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German Pages 428 Year 1984
RICHTUNGEN DER MODERNEN SEMANTIKFORSCHUNG
SAMMLUNG AKADEMIE-VERLAG 37
SPRACHE
Akademie der Wissenschaften der DDR Zentralinstitut für Sprachwissenschaft
RICHTUNGEN DER MODERNEN SEMANTIKFORSCHUNG
mit Beiträgen von Manfred Bierwisch, Ewald Lang, Renate Pasch, Anna Ufimceva, Dieter Viehweger und Ilse Zimmermann Herausgegeben von Wolfgang Mötsch und Dieter Viehweger
AKADEMIE-VERLAG • BERLIN 1983
Erschienen im Akademie-Verlag, DDR-1086 Berlin, Leipziger Straße 3—4 © Akademie-Verlag Berlin 1983 Lektor: Stephan Ploog Lizenznummer: 202 • 100/249/83 Gesamtherstellung: VEB Druckerei „Thomas Müntzer", 5820 Bad Langensalza Bestellnummer: 7540127 (7537) LSV 0805 Printed in GDR DDR 2 8 , - M
Inhalt
Vorwort
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Manfred Bierwisch Psychologische Aspekte der Semantik natürlicher Sprachen
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Ewald Lang Die logische Form eines Satzes als Gegenstand der linguistischen Semantik
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Dieter Viehweger Semantik und Sprechakttheorie
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Renate Pasch und Ilse Zimmermann Die Rolle der Semantik in der Generativen Grammatik
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Anna Ufimceva Wortschatzbeschreibung mittels Systemmethode in der sowjetischen Sprachwissenschaft . . 363
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Was ist Bedeutung? Diese Frage wird mit unterschiedlichen Voraussetzungen und Zielstellungen in mehreren Wissenschaften gestellt. Bedeutungsbegriffe wurden vor allem in der Linguistik, der Logik, der kommunikationstheoretisch orientierten Sprachphilosophie und in der kognitiven Psychologie entwickelt. Sie spielen darüber hinaus in zahlreichen anderen Gebieten wissenschaftlicher Forschung eine Rolle. Zu den durch die Interessen verschiedener Wissenschaften geprägten Unterschieden kommen noch divergierende Standpunkte innerhalb einzelner Wissenschaften, so daß sich insgesamt der Eindruck verwirrender Vielfalt ergibt. Diese Bilanz verdeutlicht eine methodologische Grundtatsache: ein und derselbe Sachbereich kann unter verschiedenen Aspekten und mit unterschiedlichen theoretischen Positionen erforscht werden; oder anders ausgedrückt, ein Bereich von Erscheinungen der objektiven Realität kann zum Zwecke genauerer wissenschaftlicher Erforschung in zahlreiche, durch bestimmte Theorien festgelegte Gegenstandsbereiche zerlegt werden. Jede Theorie gestattet es, Aussagen über ganz bestimmte Seiten des Gesamtbereichs objektiver Erscheinungen zu formulieren. Je präziser die zugrunde gelegte Theorie ist, desto verbindlicher sind diese Aussagen bezüglich ihres Wahrheitswertes überprüfbar. Man könnte sich nun mit dieser methodologischen Feststellung begnügen und sich auf den Standpunkt zurückziehen, daß jede mit semantischen Fragen konfrontierte Wissenschaft ihren eigenen Bedeutungsbegriff zu entwickeln habe, der entweder unabhängig von entsprechenden Begriffen anderer Wissenschaften ist oder diese in bestimmter Weise ergänzt. Lange Zeit ist diese Voraussetzung in der Tat in der linguistischen ebenso wie in der logischen Semantikforschung mehr oder weniger direkt vertreten worden. Die Logik befaßte sich mit den syntaktischen und semantischen Eigenschaften idealer Sprachen, die von einer formalen Theorie des Schließens vorausgesetzt werden. Eigenschaften natürlicher Sprachen interessierten nur unter diesem Blickwinkel. Die linguistische Semantik begnügte sich mehr oder weniger mit intuitiven Bedeutungsbegriffen und befaßte sich vor allem mit semantischen Eigenschaften des Wortschatzes einzelner Sprachen. Einer der bedeutendsten Trends in der Entwicklung der Semantikforschung der jüngsten
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Zeit ist jedoch eine außerordentlich fruchtbare Begegnung von Linguistik und Logik. Ergebnis des vor allem von der Linguistik geförderten Kontaktes ist nicht nur die Übernahme logischer Beschreibungsmittel für eine linguistisch-semantische Theoriesprache, sondern auch die Einbeziehung von Konzepten der logischen Semantik in die linguistische Bedeutungsanalyse. Begriffe wie logische Form eines sprachlichen Ausdrucks, Intension und Extension bzw. Bedeutung und Referenz, Proposition, Skopus, Präsupposition, Enthaltensein (entailment) u. a. erwiesen sich als brauchbar auch für die Untersuchung semantischer Eigenschaften natürlicher Sprachen. Die auf diese Weise sich vollziehende Integration wurde und wird vor allem dadurch gefördert, daß die Beziehung zwischen natürlichen Sprachen und konstruierten Sprachen der Logik durch die Ergebnisse der linguistischen Theoriebildung immer besser durchschaut werden konnten. Auch Logiker betrachten neuerdings natürliche Sprachen als die eigentliche empirische Instanz ihrer Untersuchungen. Das gilt ganz entschieden für die von M O N T A G U E , C R E S W E L L u. a. entwickelte modelltheoretische Semantik. Wenn aber die Bedeutung von Ausdrücken natürlicher Sprachen die empirische Basis sowohl der linguistischen wie auch der logischen Semantikforschung bildet, so drängt sich die Frage auf, ob die Aspekte, unter denen beide Disziplinen den Objektbereich untersuchen, wirklich völlig auseinandergehalten werden können oder ob nicht eine integrative Theorie möglich ist, die es gestattet, die logischen Aspekte als Spezialisierung eines allgemeineren Bedeutungskonzepts zu erklären. Diese Problematik ist in der gegenwärtigen Diskussion noch umstritten. Ihre Klärung hängt in hohem Maße davon ab, ob die von F R E G E eingeführte Unterscheidung zwischen ,Sinn' ( = Begriffsbezug) und ,Bedeutung' ( = Sachbezug) eines sprachlichen Zeichens, die später auch durch die Termini,Intension' und .Extension' sowie ,meaning' und ,reference' repräsentiert wurde und die die Grundlage logischer Semantiktheorien darstellt, in einem linguistischen Bedeutungsbegriff enthalten sein muß. Insbesondere stellt sich die Frage, welche Rolle die Begriffe ,Wahrheit' und ,Wahrheitsbedingungen' bei einer linguistischen Erklärung des Sachbezugs von sprachlichen Ausdrücken spielen. Linguistische Vorschläge, den Begriff .Bedeutung eines Satzes S' auf der Grundlage einer Angabe der Wahrheitsbedingungen von S zu definieren, gehen von einer Uminterpretation des klassischen logischen Wahrheitsbegriffs aus, die sich an den Bedingungen natürlicher Sprachen orientiert. Problematisch ist aus linguistischer Sicht vor allem die in der logischen Semantik vorausgesetzte Anwendbarkeit strenger Kriterien für die Bestimmung des Sachbezugs eines sprachlichen Ausdrucks und die Beschränkung des Wahrheitsbegriffs auf Aussagesätze sowie auf solche semantischen Aspekte, die unter dem Gesichtspunkt einer Theorie des Schließens relevant sind. Die Vorgaben der Logik erweisen sich in ihrer klassischen Form häufig als zu weit oder als zu streng. Unbestritten ist, daß natürliche Sprachen nicht nur Aussagesätze enthalten, die Sachverhalte beschreiben, sondern auch andere Satztypen wie Aufforderungen und
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Fragen. Ein auf natürliche Sprachen anwendbarer Bedeutungsbegriff muß diese Tatsache berücksichtigen. Auf diese Notwendigkeit hatte ganz besonders WITTGENSTEIN in seinen späteren Arbeiten hingewiesen. Er postulierte eine Gebrauchstheorie der Bedeutung, die teilweise in den Glückensbedingungen der Sprechakttheorie von AUSTIN und SEARLE sowie in der kommunikationstheoretisch orientierten Semantiktheorie von GRICE ausgeführt wurde. Die in der Sprechakttheorie eingeführte Aufteilung der Satzbedeutung in .illokutionäre Rolle' und ,propositionalen Gehalt' gilt heute als eine notwendige Bedingung für die Explikation des linguistischen Bedeutungsbegriffs. Damit ergibt sich die zusätzliche Problematik, wie semantische Fragen zu formulieren und theoretisch zu begründen sind, die über die auf Sachverhaltsbeschreibungen eingeschränkte Semantik hinausreichen. Der Charakter der Sprache als Handlungsinstrument und damit ihre gesellschaftlichen Funktionen rückten auf diese Weise in das Blickfeld der theoretischen Forschung. Es zeigte sich, daß allgemeine und spezifische gesellschaftliche Bedingungen für das Verständnis und den Erfolg sprachlicher Handlungen mitbestimmend sind. Dies kommt in den Begriffen .illokutionäre Rolle', Einstellungen der Kommunikationspartner', Bedingungen für das Glücken einer Äußerung' genauer zum Ausdruck. Die Beziehung zwischen Sprache und Kommunikation wurde bewußt in die Diskussion von Begriffen der Semantiktheorie einbezogen. Hier ist natürlich nur ein ganz weiter Rahmen für die Probleme angedeutet, die mit der Bestimmung des Bedeutungsbegriffs verbunden sind. Innerhalb dieses Rahmens gibt es ganz verschiedene Zugänge, die z. T. schwer aufeinander zu beziehen sind. So unterscheiden sich vor allem die handlungstheoretisch orientierten Vorstöße der Sprachphilosophen, die unter dem Namen ,ordinary language philosophy' (Philosophie der normalen Sprache) bekannt sind, von denen der formallogischen Traditionslinie FREGES, TARSKIS, CARNAPS, MÖNTAGUES. Diese beiden sprachphilosophischen Strömungen behandeln das Verhältnis zwischen Semantik und Pragmatik auf z. T. sehr unterschiedliche und schwer vergleichbare Weise. Dennoch gibt es Berührungspunkte, und in jedem Falle wird anerkannt, daß ein auf natürliche Sprachen anwendbarer Bedeutungsbegriff nicht auf Aussagesätze beschränkt sein darf. In der linguistischen Semantikforschung haben die logischen und sprachphilosophischen Zugänge zu pragmatischen Fragestellungen einen nachhaltigen Widerhall gefunden. Für eine theoretische Fundierung des Bedeutungsbegriffs ist weiterhin eine Klärung der Frage relevant, was Bedeutungen eigentlich unter psychologischen Gesichtspunkten sind. Diese Frage wurde aus der Logik ganz bewußt ausgeschlossen. FREGE verstand unter dem Sinn nur die .objektive' Struktur von Gedanken, nicht die .subjektiven' Prozesse, aus denen sie hervorgehen. Für die linguistische Semantikforschung erweist sich der psychologische Status von Bedeutungen jedoch als eine fundamentale Voraussetzung. Vor allem die Interpretation semantischer Grundelemente und die Begründung möglicher Strukturen aus den Grund-
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elementen, aber auch speziellere semantische Fragestellungen sind nur auf dem Hintergrund psychologischer Erkenntnisse möglich. Betrachtet man die Semantikforschung aus linguistischer Sicht, aber mit einem systematischen Blick auf andere Wissenschaften, die Aspekte der Bedeutung natürlicher Sprachen erforschen, so kann zweifellos festgestellt werden, daß die jüngste Entwicklung zu einer integrativen Betrachtungsweise geführt hat. Diese geht davon aus, daß Probleme der sprachlichen Bedeutung nur dann allseitig geklärt werden können, wenn es gelingt, eine Bedeutungstheorie zu entwickeln, die die logischen, linguistischen, sozialen und psychologischen Aspekte in systematischer Weise aufeinander bezieht. Im Verlauf dieser Entwicklung wurden Konzepte der positivistischen Wissenschaftstheorie, wie sie für eine ganze Phase des Strukturalismus charakteristisch waren, verworfen. Eine integrative Betrachtungsweise setzt ja gerade die Überwindung undialektischer Abgrenzungen von Gegenständen voraus. Sie verlangt den Vergleich der theoretischen Grundlagen und der Resultate eines bestimmten Blickwinkels mit den Voraussetzungen und Ergebnissen anderer Blickrichtungen. Eine methodologische Untersuchung dieser integrativen Forschungsweise auf semantischem Gebiet könnte wichtige Hinweise für die Anwendung der dialektisch-materialistischen Denkweise auf linguistischem Gebiet ergeben und den komplizierten Forschungsprozeß durch methodologische Bewußtheit stützen. Die Entwicklungstendenzen der modernen Semantikforschung bestätigen die Kritik, die vor allem seit Ende der 60er Jahre an den positivistisch beeinflußten Richtungen der Linguistik geübt wurde. Wir können heute aber auch besser verstehen, daß wirkungsvolle Kritik Vorschläge oder zumindest konkretere Vorstellungen zur Überwindung des kritisierten Zustands voraussetzt. Aus unserer heutigen Perspektive lassen sich sowohl die weiterführenden Leistungen als auch die Mängel, Fehler und Lücken älterer linguistischer Theorien kompetenter und sachlicher beurteilen. Ein umfassender Bedeutungsbegriff hängt zweifellos mit philosophischen Fragen zusammen. Die Art und Weise, wie philosophische Aspekte der Bedeutung mit einzelwissenschaftlichen verbunden sind, ist jedoch durchaus nicht ohne weiteres durchschaubar. Nach Auffassung der Philosophie des dialektischen und historischen Materialismus sind philosophische Theoreme nicht apriorisch begründbar. Sie sind vielmehr das Ergebnis der theoretischen Durchdringung des spezifischen Gegenstandsbereichs der Philosophie und der Verallgemeinerung der Ergebnisse von Einzelwissenschaften. Die empirisch fundierten Ergebnisse der Semantikforschung in Einzelwissenschaften sind im dargelegten Zusammenhang zugleich Grundlagen für die Rechtfertigung philosophischer Aussagen, die auf semantische Erscheinungen Bezug nehmen. Das gilt z. B. für Aussagen über den Abbildcharakter des menschlichen Bewußtseins und die darauf begründete Erkennbarkeit der objektiven Realität; eine philosophische Fragestellung, die weitreichende Konsequenzen für das Verständnis des Wesens des menschlichen Lebens hat. Ergebnisse
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und Problemstellungen der linguistischen Semantikforschung können also in gewissem Maße zur empirischen Rechtfertigung philosophischer Aussagen, speziell erkenntnistheoretischer, herangezogen werden. Für die Sprachwissenschaft ergibt sich in diesem Rahmen die Aufgabe, auf die philosophische Auswertbarkeit ihrer Ergebnisse hinzuweisen. Für die linguistische Bedeutungstheorie wichtiger, wenngleich auch bei weitem komplizierter, sind aber direkte oder indirekte Beziehungen zwischen philosophischen und linguistischen Begriffen im Bereich der Semantik. Welche Konsequenzen hat z. B. der dialektisch-materialistische Abbildbegriff für den linguistischen Bedeutungsbegriff? Diese Frage betrifft den Zusammenhang zwischen Gedanken als mentalen Gebilden, Bedeutungen und der objektiven Realität. Die erkenntnistheoretische Frage nach dem Primat der objektiven Realität vor den gedanklichen Gebilden muß sowohl im Hinblick auf den intensionalen Aspekt der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke wie auch im Hinblick auf den extensionalen aufgeworfen werden. Die mit dem Abbildbegriff verbundene Problematik wird erst dann im linguistischen Bedeutungsbegriff rekonstruierbar, wenn Gedanken durch eine psychologische Theorie genauer als konzeptuelle Strukturen beschreibbar sind, die auf semantische Strukturen und eine ontologische Strukturierung der Welt abgebildet werden. In diesem Rahmen stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen konzeptuellen Strukturen und semantischen Strukturen einerseits und semantischen und ontologischen andererseits, die materialistisch, d. h. letztlich unvoreingenommen wissenschaftlich zu beantworten ist. BIERWISCH skizziert in seinem Beitrag einen Weg, der es ermöglicht, die FREGEschen Begriffe ,Sinn' und .Bedeutung' in ihrer durch die modelltheoretische logische Semantik definierten Form auf Begriffe der kognitiven Psychologie und der linguistischen Semantik zu beziehen. Damit wird zugleich die Einschlägigkeit von Positionen der marxistischen Erkenntnistheorie für einen integrativen Bedeutungsbegriff offensichtlich. Der vorliegende Band vereinigt Darstellungen, die auf unterschiedliche Weise einen stark problemorientierten Überblick über Fragestellungen und theoretische Positionen speziell der linguistischen Semantikforschung vermitteln. Von Richtungen sprechen wir in zweifacher Bedeutung: zum einen im Sinne von .Schulen' und zum anderen im Sinne von Problemstellungen'. Die Beiträge von E. LANG und M. BIER WISCH behandeln keine Schulen der Semantikforschung, sondern Problemstellungen, die sich aus den jüngsten Tendenzen der integrativen Betrachtungsweise ergeben. E. LANG geht vom Begriff der ,logischen Form eines Satzes', einem Grundbegriff der linguistischen Semantik, aus und zeigt in Form eines Überblicks konvergierende Bemühungen verschiedener Semantikrichtungen um die Bestimmung dieses Begriffs. Er skizziert ein Programm, das vor allem den Zusammenhang linguistischer und logischer Fragestellungen unterstreicht. Die logische Form eines Satzes wird als die grundlegende Repräsentationsform eines Satzes S aus der Sprache L behandelt, die es erlaubt,
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die zentralen Bedeutungsaspekte Systembezug, Begriffsbezug und potentieller sowie aktueller Sachbezug systematisch aufeinander zu beziehen. LANG versucht nachzuweisen, daß dies eine Ergänzung der bisher innerlinguistisch betriebenen Sinn-Semantik durch eine Referenz-Semantik erfordert. Die Verbindung von Sinnund Referenzsemantik erfolgt über das Kriterium der Wahrheit, d. h. die logische Form eines Satzes spezifiziert dessen Wahrheitsbedingungen. Der Beitrag geht von der Überzeugung aus, daß sich die Semantiktheorie dann fruchtbar entwickeln wird, wenn sie nicht im herkömmlichen Sinne innerlinguistisch bleibt, sondern zum Integrationsbereich für Grammatik, Logik und Psychologie, sowie — bei entsprechender Erweiterung — auch Handlungstheorie, Soziologie und Geschichte wird. M. BIER WISCH erweitert das von E. LANG skizzierte Programm durch Aspekte der Psychologie. Er gibt vor allem einen Überblick über Antworten auf die Frage: was ist die semantische Struktur eines Satzes unter dem Gesichtspunkt psychischer Gegebenheiten? Ziel seines Beitrages ist es, das Verhältnis zwischen Linguistik und Psychologie aus grundsätzlicher Sicht zu beleuchten. Dabei spielt die Logik eine wichtige vermittelnde Rolle. BIERWISCH will zeigen, daß die psychologische Seite sprachlicher Strukturen nicht lediglich eine ergänzende Betrachtung verdient, sondern in der linguistischen Theoriebildung enthalten sein muß. Die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke wird im Zusammenhang mit der begrifflich strukturierten Widerspiegelung der objektiven Realität und über diese mit der objektiven Realität überhaupt betrachtet. Die grundsätzliche Rolle des gesellschaftlichen Charakters des menschlichen Lebens und der organismischen Anlagen des Menschen für die Art dieses Zusammenhangs wird herausgestellt. Die in sprachlichen Bedeutungen enthaltenen systematischen Beziehungen zwischen grammatischer, psychologischkonzeptueller, logisch-konzeptueller Struktur und Wirklichkeit werden an konkreten Beispielen besprochen. Dabei werden vor allem Standpunkte, Ergebnisse und Fragestellungen der generativen Transformationsgrammatik einschließlich ihrer semantischen Ausprägung, der kognitiven Psychologie und der modelltheoretischen Semantik herangezogen. Von erkenntnistheoretischem Interesse dürfte der Versuch M. BIERWISCHS sein, den logischen Begriff der .möglichen Welt' materialistisch zu interpretieren. Die Anstöße, die die Linguistik durch die Sprechakttheorie von AUSTIN und durch die kommunikationsorientierte Bedeutungstheorie von GRICE sowie durch andere pragmatische Richtungen erhielt, werden von D. VIEHWEGER in einem Überblick dargestellt. Er zeigt den Einfluß dieser sprachphilosophischen Richtungen auf die Generative Semantik. Hier bestand das Grundanliegen darin, durch Erweiterung bzw. Modifizierung des existierenden Modells bestimmte Aspekte der Kommunikation in der Grammatiktheorie zu berücksichtigen. Dieses Vorgehen führt zu zahlreichen unbefriedigenden Lösungen. Erfolgversprechender scheinen die Versuche zu sein, die von vornherein zwischen einer Theorie der SEARLE,
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Sprache und einer Theorie sprachlichen Handelns unterscheiden und auf dem Hintergrund von Begriffsbildungen dieser Theorien semantische Fragen behandeln. Relativ einheitliche Richtungen im Sinne von Schulen, die durch Gegenstandsbestimmung, methodologische und theoretische Instrumentarien sowie Tradition definierbar sind, werden in dem Beitrag von R. PASCH und I. ZIMMERMANN behandelt. Es handelt sich dabei um eine kritisch-vergleichende Darstellung der beiden auf der Basis der Generativen Transformationsgrammatik entstandenen Grammatikmodelle, die als Interpretative bzw. Generative Semantik bekannt geworden sind. Die linguistische Semantik wird innerhalb dieser Grammatikmodelle konsequent als Teilkomponente behandelt. Im Mittelpunkt steht das generelle Problem, wie semantische Strukturen auf syntaktische bezogen sind. Die genauer dargestellten Vorschläge der Generativen Transformationsgrammatik dienen nur als Beispiele für die Problemlage und für zentrale Detailfragen des Gesamtgebiets. Beide ausführlicher behandelten Richtungen haben in theoretischer und methodologischer Hinsicht einen maßgeblichen Beitrag zur Entwicklung der linguistischen Semantik geleistet. Sie haben in ganz besonderem Maße zur Durchsetzung einer interdisziplinären Sehweise beigetragen und damit zur Ausweitung des Gegenstandsbereichs der linguistischen Semantikforschung. Das bedeutet keinesfalls, daß diese Richtungen jenseits der Kritik stünden. Zahlreiche empirische und theoretische Fragen sind durchaus offen. Das betrifft insbesondere Probleme, die sich im Rahmen der eingangs skizzierten Integrationstendenzen von Linguistik, Logik, kognitiver Psychologie und Kommunikationstheorie ergeben. Ferner werden bestimmte Gebiete der linguistischen Bedeutungsforschung kaum oder nur andeutungsweise behandelt, so zum Beispiel der Anteil grammatischer Formative an der Bedeutung von Sätzen. A. A. UFIMCEVAS Beitrag schließlich stellt die verschiedenen Forschungsansätze vor, die in der sowjetischen Sprachwissenschaft auf dem Gebiet der lexikalischen Semantik entwickelt wurden. Die theoretischen und methodologischen Positionen, die von den einzelnen Forschungsrichtungen erarbeitet wurden, werden dabei nicht nur in philosophische, erkenntnistheoretische, semiotische und psychologische Theoriezusammenhänge eingeordnet, sondern auch in ihren Traditionen bis zur russischen Sprachwissenschaft zurückverfolgt und Modellvorschlägen gegenübergestellt, die sich in der westeuropäischen und amerikanischen Linguistik herausgebildet haben. Keiner der Beiträge erhebt den Anspruch auf vollständige Darstellung und umfassende Kritik. Hauptanliegen der Autoren war es, einige der Richtungen der modernen Semantikforschung genauer vorzustellen, die die Entwicklung zu einem umfassenden linguistischen Bedeutungsbegriff mitbestimmt haben bzw. mitbestimmen. Die Autoren hoffen, mit ihren Überblicksdarstellungen zur Information und
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zur Diskussion auf dem Gebiet der Semantikforschung beizutragen. Sie wenden sich nicht nur an Linguisten, sondern auch an Logiker, Psychologen und Philosophen, vor allem Erkenntnistheoretiker. Sie versprechen sich gerade von Vertretern anderer Einzelwissenschaften und nicht zuletzt auch von Vertretern der marxistisch-leninistischen Philosophie weiterführende Hinweise und Kritik. Einen besonderen Wert erhält das Buch durch die Zusammenarbeit mit den Kollegen des Sektors für allgemeine Sprachwissenschaft des Instituts für Sprachwissenschaft der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften, die nicht nur durch den Beitrag von A. A. UFIMCEVA in diesem Band zum Ausdruck kommt. Die „Richtungen der modernen Semantikforschung" stehen darüber hinaus in einem, wenngleich auch losen Zusammenhang mit dem vom Sektor für allgemeine Sprachwissenschaft verfaßten Band „Aspekte der modernen Semantikforschung", der 1980 im Verlag Nauka in Moskau erschien. Die Autoren danken an dieser Stelle N . D . ARUTJUNOVA, T . N . BULYGINA, E . S . KUBRJAKOVA u n d A . A . UFIMCEVA
herzlich für anregende Kritik und lebhaften Gedankenaustausch. Autoren und Herausgeber danken ferner Dorothea DUCKWITZ, die das umfangreiche Druckmanuskript schrieb. Mit besonderer Dankbarkeit erwähnen wir schließlich die große Förderung, die unserer Arbeit durch Stephan PLOOG, Lektor im AkademieVerlag, zuteil wurde. Berlin, im Dezember 1980
Wolfgang Mötsch Dieter Viehweger
Manfred Bierwisch
Psychologische Aspekte der Semantik natürlicher Sprachen
1. Linguistik und kognitive Psychologie 1.1. Die Fragestellung, die der Titel dieses Beitrages andeutet, hängt mit dem mentalen Charakter sprachlicher Strukturen im allgemeinen und mit der konzeptuellen Natur der Semantik im besonderen zusammen. Der Grund für ihre Erörterung liegt nicht nur und nicht in erster Linie in der Fülle von Befunden, die psychologische Untersuchungen in diesem Bereich in den vergangenen Jahren erbracht haben, so daß semantische Probleme in der Tat nicht mehr ernsthaft verfolgt werden können, ohne diese Befunde zu berücksichtigen. Der wichtigste Grund ist vielmehr die Art der Fragen und Erklärungsmöglichkeiten, die sowohl für die Linguistik wie für die Psychologie aus der systematischen Klärung ihrer wechselseitigen Beziehung und aus der Integration ihrer jeweiligen Gegenstandsbereiche entstehen. Natürlich ist die Feststellung, daß Linguistik und Psychologie durch ihren Gegenstand in enger Beziehung zueinander stehen, keineswegs neu, und die Art, in der dieser Tatsache Rechnung getragen worden ist, hat in der Geschichte beider Disziplinen beträchtliche Wandlungen durchlaufen. STEINTHAL, W U N D T , PAUL, BÜHLER und VYGOTSKI repräsentieren verschiedene Ausprägungen innerhalb einer Entwicklung, die hier nicht nachgezeichnet werden kann. Das Verhältnis der beiden Disziplinen, das aus dieser Entwicklung hervorgegangen ist, resultiert vor allem aus ihrer jeweils spezifischen Ausgestaltung der Theoriebildung und der Methodologie, durch die ihre Beziehungen in wesentlichen Punkten klarer bestimmbar geworden sind. Eine kurze Erläuterung dieser Beziehungen, die sich dabei als keineswegs symmetrisch erweisen werden, bildet den Ausgangspunkt der folgenden Darstellung, die im weiteren nicht auf einen Überblick über die kaum überschaubare Vielfalt empirischer Analysen und Resultate gerichtet ist, sondern auf die Verdeutlichung von Grundzügen, denen die speziellen Ergebnisse zuzuordnen sind. Bei der Bestimmung dieser Grundzüge im Verhältnis von Linguistik und Psychologie wird für den Bereich der Semantik außerdem die Logik eine wichtige Rolle spielen, die sich als dritte Disziplin mit einer weiteren Seite des gleichen Objektbereichs beschäftigt. 1.2. Was linguistische und was psychologische Aspekte der Sprache allgemein
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und der Semantik im besonderen sind, steht nicht im vorhinein fest. Ein provisorischer erster Schritt ergibt sich durch die prätheoretischen Schlüsselbegriffe der jeweiligen Disziplin, also etwa Verhalten, Wahrnehmung, Lernen, Gedächtnis, Motivation für die Psychologie und Wort, Satz, Grammatik, Bedeutung, Lautform für die Linguistik. Solche Schlüsselbegriffe, die ich hier nur als Beispiel und keineswegs im Sinn einer verbindlichen Liste aufgeführt habe, umschreiben Gegenstandsaspekte, auf die hin die Theoriebildung angelegt wird. Die schrittweise Ausarbeitung der Theorie klärt dann die systematischen Zusammenhänge und damit auch die genauere Abgrenzung der jeweiligen Aspekte. Ohne das Gesamtbild der beiden Disziplinen hier auch nur kursorisch darstellen zu können1, will ich in diesem Sinne die folgenden relativ unstrittigen Feststellungen treffen: Zusammen mit vielen anderen fallen auch sprachliche Erscheinungen in den Gegenstandsbereich der Psychologie, sofern es z. B. um ihre Wahrnehmung, ihren Erwerb, ihre Verankerung und Auffindung im Gedächtnis, die Motivation ihrer Hervorbringung geht; umgekehrt fallen psychische Erscheinungen dann in den Bereich der Linguistik, wenn in ihnen Wörter, deren Verknüpfung zu Sätzen, die Abhängigkeit von grammatischen Regeln eine bedingende Rolle spielen. Diese provisorischen Feststellungen sind nicht so trivial wie sie auf den ersten Blick erscheinen: Sie umschreiben nicht nur den Bereich von Erscheinungen, der sowohl in die Zuständigkeit der Psychologie wie der Linguistik fallt, sondern lassen zugleich eine bemerkenswerte Asymmetrie erkennen: Die Erscheinungen, mit denen sich die Linguistik befaßt, haben offensichtlich stets auch eine psychologische Seite, da sie eine Form des Verhaltens sind, auf Gedächtnis beruhen, lernabhängig sind, usw.; dagegen haben keineswegs alle Erscheinungen, die in den Bereich der Psychologie fallen, stets eine linguistische Seite. Anders ausgedrückt: die Linguistik analysiert einen systematisch zusammenhängenden Aspekt eines Bereichs, der insgesamt zu den von der Psychologie erfaßten Erscheinungen gehört. Damit hängt eine zweite Art von Asymmetrie zusammen, die aus dem Gesagten nur mittelbar hervorgeht: Die psychologische Analyse sprachlicher Erscheinungen — etwa der Perzeption sprachlicher Äußerungen oder der Gedächtnisfixierung sprachlicher Einheiten — setzt immer zumindest eine partielle Charakterisierung des linguistischen Aspekts voraus. Die psychologische Analyse und Theorie-
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Einen kurzen Versuch dieser A r t habe ich in BIERWISCH (1979 b) gemacht. Umfangreichere Darstellungen finden sich in Überblickswerken wie LEONT'EV (1969), FODOR, BEVER, GARRETT (1974), FODOR (1975), MILLER, JOHNSON-LAIRD (1976), CLARK und CLARK (1977). Der jeweils spezifische Gesichtspunkt der Darstellung und die Position der Autoren haben dabei nicht unwichtige Unterschiede in der Bestimmung der Disziplinen und ihres Ineinandergreifens zur Folge. Einige solcher Probleme sind im folgenden zu erörtern.
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bildung setzt in diesem Sinn die Bestimmung der linguistischen Struktur voraus in dem Bereich, der in die Zuständigkeit beider Disziplinen fallt. Am wenigsten offensichtlich ist eine dritte, wiederum asymmetrische Beziehung, die auf den ersten Blick die Umkehrung der soeben erörterten zu sein scheint. Sie ergibt sich daraus, daß die fundierenden Begriffe der Linguistik ihrerseits psychologisch interpretierbar sein müssen. Der Grund dieser Forderung liegt methodologisch in der Tatsache, daß sprachliche Erscheinungen stets auf viele verschiedene Arten beschrieben werden können; Illustrationen dieser Behauptung liefert nahezu jede ernsthafte Erörterung der verschiedenen Analysen etwa des Phonemsystems einer Sprache oder einer syntaktischen Erscheinung wie Passiv oder Nominalisierung. Unter diesen verschiedenen Beschreibungen kann nur dann auf empirisch begründete Weise ausgewählt werden, wenn zu den sprachlichen Beobachtungsdaten entsprechende Kriterien für die Angemessenheit der Beschreibung hinzugenommen werden. Das entscheidende Kriterium in dieser Hinsicht ist aber die psychologische Gültigkeit der Beschreibung, das heißt ihre Begründung durch psychologisch interpretierbare Prinzipien. Anders ausgedrückt, wenn die Analyse sprachlicher Strukturen eine empirische Erklärung und nicht lediglich eine nach beliebigen Gesichtspunkten systematisierte Beschreibung sein soll, dann muß sie auf psychologisch interpretierbare Grundlagen zurückgeführt werden können. 2 In diesem dritten Bezug wird die Linguistik demnach zu einem speziellen Gebiet der theoretischen Psychologie. Damit tritt die Zielstellung dieses Beitrags in ein neues Licht: Die psychologische Seite sprachlicher Strukturen gehört nicht zu einer Betrachtungsweise, die der linguistischen hinzugefügt werden kann, sondern sie ist in der linguistischen Theoriebildung immer schon enthalten. Ich werde das an entsprechenden konkreten Problemen verdeutlichen. Das bisher Gesagte betrifft das, was ich eingangs den mentalen Charakter der Sprache im allgemeinen genannt habe. Im Hinblick auf die semantische Struktur ergibt sich zusätzlich ein spezieller Bezug, den ich wiederum im Rahmen intuitiver Vorüberlegungen deutlich machen will. Die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke hat eine direkte Beziehung zur begrifflich strukturierten Widerspiegelung der äußeren und inneren Realität und durch diese vermittelt zu dem, worüber die Ausdrücke etwas sagen, worauf sie verweisen. Welcher Art diese Beziehung ist, wird im einzelnen zu erörtern sein, sie weist jedenfalls eine gewisse Parallelität zur Beziehung der Lautmuster der Sprache zu den artikulatorischen und auditiven 2
Dieser Gesichtspunkt hat vor allem in der europäischen Linguistik, so etwa bei BAUDOUIN DE COURTENAY und bei BÜHLER, eine bedeutende Tradition, die bei SÖERBA (1931) eine program-
matische Formulierung gefunden hat. Die systematischen Konsequenzen aus diesen Bedingungen für die Methodologie und Theoriebildung der Linguistik hat CHOMSKY, insbesondere in CHOMSKY (1965: Kap. 1), aber auch in zahlreichen anderen Arbeiten, deutlich gemacht. 2
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Eigenschaften der akustischen Signale auf. So wie die Phonologie mit der artikulatorischen und auditiven Phonetik zusammenhängt, hängt deshalb die Semantik mit den Disziplinen zusammen, die sich mit der konzeptuellen Struktur der Umwelterfahrung (im weitesten Sinn) befassen. Psychologie und Logik teilen sich unter verschiedenen Gesichtspunkten mit der Linguistik in diesen Bereich 3 , wobei in diesem Fall die Psychologie nicht insgesamt, sondern nur eine Teildisziplin der kognitiven Psychologie relevant ist. Die genaue Formierung dieser Teildisziplin ist erst im Werden. 4 Festzuhalten ist zunächst lediglich, daß der Charakter sprachlicher Bedeutungen eine spezielle Beziehung der Semantik einerseits zu einem Teilgebiet der Psychologie, andererseits zur Logik bedingt. 5 Diese Beziehung entspricht zwar auch dem allgemeinen mentalen Charakter sprachlicher Strukturen, sie betrifft darüber hinaus aber speziell den konzeptuellen Aspekt semantischer Strukturen. Dieser Aspekt bildet den eigentlichen Fokus dieses Beitrags. 1.3 Ich habe das Verhältnis von Linguistik und Psychologie bisher im wesentlichen methodologisch, das heißt aus der Vorgehensweise der betroffenen Disziplinen betrachtet. Ich will dem noch eine kurze Erläuterung der inhaltlichen Vorstellungen anfügen, die diesen Überlegungen zugrunde liegen. Das menschliche Verhalten wird durch ein komplexes System kognitiver Strukturen und Prozesse determiniert, das mit den emotionalen und motivationalen Grundlagen des Verhaltens zusammenwirkt. Das kognitive System gliedert sich in Teilsysteme, die auf teils spezifischen, teils generellen Grundlagen beruhen. Mit einem in der Schule VYGOTSKIS entwickelten Konzept können diese Teilsysteme als funktionelle Hirnsysteme (LURIA 1970: 47 ff.) oder als funktionelle Hirnorgane (LEONT'EV 1959: 466ff.) charakterisiert werden. Das visuelle, das motorische, das auditive, das konzeptuelle, das sprachliche, das auf soziale 3
Diese Feststellung hat keinen ausschließenden Charakter. Ein Beispiel wie die ausführlich studierten Verwandtschaftsbeziehungen macht deutlich, daß auch andere Disziplinen wie Kulturanthropologie und allgemeiner solche Wissenschaften, die sich mit der Struktur und den Prinzipien von Alltagswissen befassen, an der Analyse dieses Bereichs Anteil haben. Sie haben für den jeweils speziellen Bereich ein ähnliches Verhältnis zur Psychologie wie die Linguistik es für den Bereich der Sprachstruktur hat. Aus dieser Feststellung folgt sinngemäß auch das Verhältnis der genannten Disziplinen zueinander.
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Wäre dieser Titel nicht durch seine Tradition vorbelastet, dann würde .Denkpsychologie' das Gebiet am ehesten umschreiben. Im Augenblick ist jedoch weder eine terminologische noch eine inhaltliche Abgrenzung des auf konzeptuelle Strukturbildung orientierten Gebiets der kognitiven Psychologie hinreichend geklärt.
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Nur der Vollständigkeit halber erwähne ich, daß die Linguistik selbstverständlich noch in einer anderen Beziehung zur Logik steht, insofern diese nämlich als Metawissenschaft die Struktur linguistischer Theorien bestimmt. In dieser Hinsicht ist,die Beziehung der Linguistik zur Logik nicht anders als die der Astronomie, der Physik oder der Ökonomie.
Psychologische Aspekte der Semantik
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Interaktion gerichtete System sind hypothetisch anzunehmende Funktionseinheiten dieser Art, die als relativ autonome Systeme in ihrer Wechselwirkung die komplexe Struktur menschlicher Tätigkeit bestimmen. 6 Die Aufzählung hat lediglich exemplizifierenden Charakter. Sie ist nicht erschöpfend und in der angenommenen Aufteilung provisorisch. Insbesondere ist anzunehmen, daß die Teilsysteme sich in weitere, spezifische Funktionseinheiten aufgliedern. Offensichtlich ist das für das sprachliche System, das etwa in die phonologische, die syntaktische und die lexikalische Komponente zu gliedern ist, und entsprechende Teilsysteme sind im konzeptuellen System anzunehmen. Ein funktionelles Organ im eben erläuterten Sinn ist die Basis für bestimmte Leistungen oder Fähigkeiten, auf denen das konkrete Verhalten beruht. Das besagt nicht, daß es jeweils einzelne Handlungen oder Verhaltensabläufe gibt, die durch ein und nur ein solches System bedingt sind. In der Regel sind mehrere Teilsysteme am Zustandekommen konkreter Handlungen beteiligt: Das motorische System wird durch visuelle Leistungen gesteuert, soziale Interaktion bezieht motorische Strukturen praktischer Handlungen oder kommunikative Akte sprachlicher oder anderer Art ein, sprachliche Prozesse stehen in direkter Wechselwirkung mit konzeptuellen Repräsentationen, usw. Der pathologische Ausfall eines bestimmten Systems hat deshalb Störungen in der Funktion der mit ihm interagierenden Systeme zur Folge, auch wenn diese selbst nicht gestört sind. Das Studium hirnpathologischer Störungen ist deshalb ein wichtiger Weg, die hypothetisch angenommenen Hirnsysteme zu identifizieren und ihre Wechselwirkung zu bestimmen. 7 F ü r jedes in diesem Sinn anzunehmende funktionale System m u ß es nun einerseits Mechanismen geben, die die Realisierung der entsprechenden Leistungen garantieren, und andererseits die systemspezifischen Kenntnisse, die den Inhalt der Leistung determinieren. Diese Kenntnisse und Mechanismen sind der bewußten Kontrolle weitgehend entzogen, ihre Identifizierung m u ß deshalb im wesentlichen auf indirektem Wege geschehen. 6
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Wieweit solchen Funktionseinheiten spezielle Regionen im Cortex zugeordnet werden können, ist eine bisher nur partiell geklärte Frage, die auf der hier gegebenen Abstraktionsebene jedoch nicht entscheidend ist. Es soll lediglich gelten, daß die funktionellen Einheiten grundsätzlich als Leistungen entsprechender physiologischer Strukturen aufzufassen sind, wobei diese Strukturen nicht nur die Großhirnrinde, sondern auch entsprechende periphere Systeme umfassen können. Die berühmten Arbeiten von BROCA (1861) und WERNICKE (1874) waren bahnbrechende Schritte auf diesem Weg, der unter anderem durch die Arbeiten von LURIA (1970 und 1973) entscheidend vorangetrieben worden ist. Dabei ist die funktionale Identifizierung eines Systems von seiner Lokalisation im Cortex zu unterscheiden. Die Aufklärung des Zusammenhangs zwischen diesen beiden Aspekten hat eine wechselhafte Geschichte gehabt und kann noch bei weitem nicht als abgeschlossen gelten.
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Die genauere Analyse dessen, was ich hier als Kenntnissystem bezeichnet habe, führt zur Unterscheidung von drei Dingen: (a) Repräsentationen der Struktur der durch das System bedingten Leistungen, (b) Regeln, die der Mannigfaltigkeit der Repräsentationen zugrunde liegen, (c) Prinzipien, die den Charakter und die Funktionsweise der Regeln determinieren. Die Termini Repräsentationen', ,Regeln' und .Prinzipien' haben orientierenden Sinn, das mit ihnen Gemeinte findet sich unter wechselnden Bezeichnungen wieder. Repräsentationen können Muster oder Instruktionen — also selbst eine Art von Regeln — sein, Regeln können Strukturschemata, mehr oder weniger generelle Bedingungen oder Operationsmuster sein, und entsprechend vielgestaltig kann der Charakter der Prinzipien sein. Es gehört zur theoretischen Analyse der jeweiligen Funktionssysteme, den genauen formalen Charakter der unter (a) bis (c) angegebenen Entitäten zu bestimmen. Ein funktionales System ist damit durch ein Kenntnissystem im angedeuteten Sinn und die zugehörigen Realisierungsmechanismen bestimmt. Die Unterscheidung dieser beiden Komponenten ist durch Fakten verschiedener Art begründet. So sind hirnpathologisch bedingte Störungen in der Regel Beeinträchtigungen der Realisierungsmechanismen. Aphasie, Agnosie, Apraxie, Alkalkulie sind Beispiele solcher Störungen, bei denen die Wirkung der jeweiligen Kenntnissysteme zwar blockiert ist, weil bestimmte Realisierungsfunktionen ge- oder zerstört sind, aber zumeist in latenter Form erhalten bleiben, wie unter anderem die Möglichkeit spontaner Restitutionen belegt.8 Weiterhin sind die Realisierungsmechanismen nicht notwendig kongruent mit den Kenntnissystemen strukturiert: Ein Kenntnissystem kann mehrere partiell verschiedene Realisierungssysteme haben, und umgekehrt kann ein Realisierungssystem für mehrere Kenntnissysteme zur Verfügung stehen. Um das nächstliegende Beispiel anzuführen: Das Kenntnissystem der Sprache liegt sowohl dem Produzieren wie dem Verstehen von Äußerungen, aber auch der Bildung von Urteilen über Eigenschaften von Äußerungen zugrunde. 9 Andererseits dienen bestimmte Mechanismen der Moto8
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Vgl. dazu unter anderem LENNEBERG ( 1 9 6 7 ) , W E I G L und BIERWISCH ( 1 9 7 0 ) und CHOMSKY ( 1 9 8 0 ) . Alternative Auffassungen über den Charakter hirnpathologisch bedingter Störungen, insbesondere der Aphasie, führen, sofern sie in der fraglichen Hinsicht hinreichend klar formuliert sind, wie etwa bei WITHACKER ( 1 9 7 1 ) , ZU Schwierigkeiten angesichts der weitverbreiteten Erscheinungen von Fluktuation, von Restitution und von Störungen, die nur Leistungen einer Realisierungsform (etwa der Sprachproduktion) betreffen, während die gleichen Leistungen in anderen Modalitäten (etwa der Sprachperzeption) ungestört sind. Ein nicht selten anzutreffender Irrtum besteht darin, die Realisierungsprozesse des spontanen Sprachgebrauchs z. B. beim Verstehen von Äußerungen nicht von denen der Beurteilung von Äußerungen etwa auf ihre Wohlgeformtheit oder ihre phonetische oder semantische Ähnlich-
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rik sowohl der schriftlichen Sprachproduktion wie zahlreichen anderen Verhaltensleistungen. Das skizzierte Bild des kognitiven Gesamtsystems als Komplex interagierender Systeme und Subsysteme, in denen wiederum Kenntnisstrukturen und verschiedene Formen von Realisierungsmechanismen zu unterscheiden sind, stützt sich auf theoretische Überlegungen und zahlreiche empirische Befunde, hat aber selbstverständlich hypothetischen Charakter und ist im einzelnen weitgehend offen. Es gestattet aber, spezielle Problemstellungen zu formulieren und empirisch zu prüfen. Für die kognitive Psychologie ergeben sich auf dem Hintergrund dieses Bildes zwei Typen von Problemen, die in einsehbarer Weise miteinander verknüpft sind: Einmal ist die Struktur von Kenntnissystemen — d. h. der verschiedenen Systeme von Repräsentationen, Regeln und Prinzipien — zu bestimmen, zum anderen sind die Mechanismen der Realisierungsprozesse und die Prozesse des Erwerbs der Kenntnissysteme zu analysieren. Für letzteres ist natürlich wesentlich, welchen Charakter die Kenntnisse haben, die erworben bzw. realisiert werden. Auf diesem Hintergrund stellt sich die Linguistik als Theorie der Repräsentationen, Regeln und Prinzipien des sprachlichen Kenntnissystems dar. Ihr sind entsprechende Theorien der anderen Kenntnissysteme an die Seite zu stellen. Die Psycholinguistik kann weitgehend als Analyse der Realisierungs- und Erwerbsprozesse des sprachlichen Funktionssystems identifiziert werden. Das im vorigen Abschnitt methodologisch betrachtete Verhältnis von Linguistik und Psychologie erhält damit ein inhaltliches Korrelat, das auch die wissenschaftsgeschichtlichen Zufälligkeiten in der Aufteilung der Disziplinen erkennen läßt. Von den verschiedenen Problemen, die sich in dem bisher skizzierten Rahmen dem Titel .psychologische Aspekte der Semantik' zuordnen lassen, werde ich im weiteren vor allem die betrachten, die sich aus dem Status der Semantik als Teil des sprachlichen Kenntnissystems und ihre Beziehung zu anderen Kenntnissystemen ergeben, von denen natürlicherweise die Beziehung zu dem im Vordergrund steht, was ich provisorisch das konzeptuelle Kenntnissystem genannt habe. Probleme, die mit den verschiedenen Realisierungsmechanismen der Kenntnisse zusammenhängen, werden nur sekundär und im Hinblick auf die zugrundeliegenden Kenntnisse einbezogen.
keit zu unterscheiden oder die letzteren als irrelevant aus der empirischen Analyse auszuklammern. Die empirische Basis der Linguistik wird damit entweder unangemessen verzerrt oder willkürlich eingeengt. Im Sinn der hier angedeuteten Vorstellungen ist es sinnvoll und notwendig, die verschiedenen Arten der Realisierungsprozesse zu berücksichtigen und ihre jeweils verschiedenen Bedingungen zu analysieren.
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2. Biologische und gesellschaftliche
Bedingungen der Sprache
2.1. Ehe ich mich den damit umschriebenen Problemen selbst zuwende, will ich die weiteren Zusammenhänge umschreiben, in denen sie gesehen werden müssen. Denn der im vorigen Abschnitt angedeutete Rahmen ist mit entscheidenden Abstraktionen verbunden. Ohne solche Abstraktionen ist die theoretische Durchdringung konkreter Erscheinungen natürlich nicht möglich. Es ist aber notwendig, den Charakter der Abstraktionen deutlich zu machen, um einerseits Mißverständnissen vorzubeugen und Fehldeutungen zu vermeiden, und um andererseits die Wechselwirkungen zwischen den durch Abstraktion gewonnenen Systemen erklären zu können. Offensichtlich wird das menschliche Verhalten insgesamt nicht nur durch das kognitive Gesamtsystem und seine Wechselwirkung mit dem emotionalen und motivationalen System bestimmt, sondern natürlich auch durch die Gesamtheit der natürlichen und gesellschaftlichen Umweltbedingungen, die ihre eigenen spezifischen Strukturen und Gesetzmäßigkeiten besitzen. Da diese beiden Bedingungsgefüge, das interne und das externe, nicht einfach nebeneinanderstehen, sondern eng miteinander verflochten sind, gehen in jede abstrahierende oder idealisierende Herauslösung eines Teilsystems stets bestimmte Annahmen über die Art ihrer Zusammenhänge ein. Die mit dieser Feststellung verbundene Problematik kann hier natürlich auch nicht annähernd vollständig erörtert werden. Ich will im folgenden aber einige Faktoren deutlich machen, die für das sprachliche und das konzeptuelle System wesentlich sind. Beginnen wir mit der unstrittigen Feststellung, daß sprachliche Äußerungen die wichtigste Form, oder wenn man so will, das wichtigste Mittel, der menschlichen Kommunikation sind. Kommunikation jeder Art ist konstitutiver Bestandteil des realen gesellschaftlichen Lebensprozesses, sie spielt sich im Rahmen verschiedenartiger sozialer Strukturen ab, deren determinierende Grundlage die gesellschaftliche Reproduktion des Lebens ist. Vom jeweils speziellen Charakter dieser Strukturen hängt der interaktive Sinn kommunikativer Äußerungen ab: (1) Da liegen noch Äpfel auf dem Tisch. Eine Äußerung dieses Satzes kann, je nach den Umständen, eine überraschte Feststellung sein, ein Angebot, einen Apfel zu essen, eine Aufforderung, den Tisch abzuräumen, die wiederum von sehr verschiedener Verbindlichkeit sein kann, ein Ausdruck des Bedauerns, oder vieles andere mehr. Ich werde den damit angedeuteten Aspekt, der gewöhnlich als die illokutionäre Kraft sprachlicher Äußerungen bezeichnet wird, hier nicht weiter diskutieren. 10 Was ein ein10
Ausführlich behandelt wird dieser Aspekt in der umfangreichen Literatur zur Sprechakttheorie. Einen Überblick gibt VIEHWEGER
(1982).
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faches Beispiel wie (1) für unseren Zusammenhang illustrieren kann, ist dreierlei. Erstens sind kommunikative Äußerungen in zweifacher Weise sozial bedingt, einmal weil sie sich stets auf einen Kommunikationspartner beziehen und insofern gewissermaßen elementare, konkrete Realisierungen sozialer Interaktion sind, zum anderen aber, weil sie auf soziale Strukturen und Zusammenhänge Bezug nehmen, die über den jeweils konkreten Kommunikationsakt hinausgehen. Zweitens setzt ein Kommunikationsakt nicht nur das Bestehen der sozialen Strukturen voraus, sondern auch die (weitgehend unreflektierte) Kenntnis der Kommunikationspartner von diesen Strukturen und den Konsequenzen, die sich aus ihnen im Hinblick auf den Kommunikationsakt ergeben — daß z. B. bestimmte Verpflichtungen oder Rechte entstanden sind oder aufgehoben werden usw. Drittens setzt ein sprachlicher Kommunikationsakt natürlich die Kenntnis der sprachlichen Struktur der produzierten Äußerung und der ihr zugrunde liegenden Regeln voraus, d a ß diese Kenntnis von der soeben betrachteten Kenntnis der sozialen Strukturen und Konsequenzen zu unterscheiden ist, wird sofort deutlich, wenn man einander entsprechende Kommunikationsakte in verschiedenen Sprachgemeinschaften betrachtet: die Unterschiede der vorauszusetzenden Sprachkenntnis fallen dabei keineswegs mit entsprechenden Unterschieden der Sachbezüge und der Sozialstrukturen zusammen. Die im dritten Punkt enthaltene Unterscheidung von Sprache und K o m munikation will ich noch etwas verdeutlichen, da mit ihr eine für unsere Problematik wichtige Kontroverse verbunden ist bezüglich der Möglichkeit oder Notwendigkeit, Sprache aus der Kommunikation erklären, sie also in gewissem Sinn auf diese reduzieren zu können. Klar und kaum zu bestreiten ist zunächst die Tatsache, daß es Kommunikation auch mit anderen als sprachlichen Mitteln gibt. So kann z. B. eine hinweisende Geste unter entsprechenden Bedingungen die gleiche Aufforderung oder Offerte wie eine Äußerung von (1) realisieren. Wichtig ist, d a ß es demnach ein Kenntnissystem geben muß, das Kommunikationsakten sprachlicher und nichtsprachlicher Natur zugrunde liegt und das übrigens keineswegs trivialer Art sein kann. Eindeutig ist weiterhin die Tatsache, daß es verschiedene Formen nichtkommunikativer sprachlicher Äußerungen gibt. Sie reichen von sprachlich formulierten Überlegungen monologischer Art bis zu unwillkürlichen emotionalen Reaktionen. Wer etwa einen bellenden Hund verägert anfahrt: (2) Halt die Schnauze, blödes Vieh! produziert eine regelmäßige sprachliche Äußerung, vollzieht aber in keinem ernsthaft vertretbaren Sinn eine kommunikative Handlung.
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Strittig hingegen ist die Frage, ob die nichtkommunikative auf die kommunikative Verwendung sprachlicher Äußerungen zurückgeführt werden kann. Das entschiedenste Programm einer solchen Reduktion hat GRICE (1957 und 1968) formuliert. Es besteht in dem Versuch, die Bedeutung von Sätzen aus der kommunikativen Intention abzuleiten, die bei ihrer normalen Verwendung verfolgt wird. Statt dieses Programm hier nachzuzeichnen und die Gründe zu erörtern, aus denen es scheitert11, will ich kurz die Grundzüge einer Vorstellung skizzieren, derzufolge sprachliche und kommunikative Strukturen durch jeweils eigene, aber aufeinander zu beziehende Kenntnissysteme bedingt sind. Sprachliche Kenntnisse vermitteln nach dieser Auffassung die systematisierte Möglichkeit, konzeptuell strukturierte gedankliche Strukturen auf extern manifestierbare Signale abzubilden, ihnen also eine äußere, sinnlich wahrnehmbare Manifestation zu geben. Verkürzt gesagt: Die Sprache ist eine systematische Möglichkeit, Gedanken auszudrücken. Sprachliche Äußerungen realisieren diese Möglichkeit bei nichtkommunikativer Verwendung nicht weniger als bei kommunikativer. Ein Gedanke, der auf diese Weise durch eine Äußerung repräsentiert wird, bedingt nun bei kommunikativer Verwendung einer Äußerung (mehr oder weniger direkt) deren speziellen kommunikativen Sinn auf Grund der Kenntnisse
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Vgl. dazu u. a. ZIFF (1967), CHOMSKY (1975, Kap. 2), BIERWISCH (1979) und Y u (1979). Das entscheidende Problem ist, daß Äußerungen wie (2) — und viele andere — zwar eine reguläre Bedeutung haben und der Sprecher durchaus meint, was er sagt, ohne daß damit eine k o m m u nikative Absicht verbunden ist. Die Bedeutung des Satzes stammt demnach nicht aus seiner kommunikativ intendierten Verwendung. Ein noch tiefergehendes Problem liegt darin, daß zahlreiche systematische Eigenschaften sprachlicher Strukturen, und zwar nicht nur ihrer semantischen, sondern auch der syntaktischen und phonologischen Seite, aus ihrer kommunikativen Verwendung nicht hergeleitet werden können. Die Tatsache, daß alle Sprachen, die stimmhafte Verschlußlaute haben, auch stimmlose besitzen, aber nicht notwendig umgekehrt, oder d a ß (i) eine korrekte Frage ist, (ii) dagegen nicht, sind willkürlich herausgegriffene Beispiele. (i) Mit wem ist Hans verwandt ? (ii) * Als wer ist Hans jünger? Der entscheidende Punkt ist, daß Eigenschaften der angedeuteten Art nicht arbiträren oder konventionellen Charakter haben, sondern auf den zugrunde liegenden Prinzipien der Sprachstruktur beruhen. Gewiß müssen die Eigenschaften sprachlicher Äußerungen ihrer kommunikativen Verwendung entsprechen und werden den damit verbundenen Bedingungen auch in bestimmten Grenzen im Verlauf der Sprachentwicklung stets erneut angepaßt. Aber davon sind gerade die nicht-arbiträren Eigenschaften nicht betroffen. D e r Versuch, sie aus der Kommunikation zu erklären wäre dem Versuch analog, die Anatomie der Beine aus der Art der Fortbewegung zu erklären statt umgekehrt die Art der Fortbewegung als mitbedingt durch die Anatomie der Beine.
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über die Struktur von Kommunikationssituationen, auf die sich die Partner ebenso wie auf ihre Sprachkenntnisse beziehen. Das Charakteristikum sprachlicher Kommunikationsvorgänge besteht demnach in der Möglichkeit, die Kommunikation durch die externe Wiedergabe konzeptueller Strukturen zu vermitteln, sie an die begriffliche Abbildung von Sachverhalten zu binden. Diese nicht sehr überraschende Feststellung besagt zugleich, daß sprachliche Äußerungen stets auch die Kenntnissysteme einbeziehen, die dem Aufbau konzeptuell strukturierter Gedanken zugrunde liegen. Die damit postulierte Beziehung zwischen sprachlichen und konzeptuellen Strukturen wird im folgenden ausführlicher betrachtet. 12 Wenn es richtig ist, daß die Struktur sprachlicher Äußerungen und die ihnen zugrunde liegenden Kenntnisse nicht auf ihre kommunikative Verwendung zurückgeführt werden können, dann entsteht anscheinend die Frage, wie ihre doch offensichtliche gesellschaftliche Bedingtheit begründet werden kann. Tatsächlich liegt das Problem umgekehrt: Nur weil die Sprache ein gesellschaftlich bedingtes Kenntnissystem ist, kann sie in spezieller Weise der Kommunikation dienen. Dieses Problem aber stellt sich keineswegs nur für die Sprachkenntnis, sondern für alle Systeme, die an der Formung des menschlichen Verhaltens beteiligt und nicht rein biologischer Natur sind. In der Formulierung von M A R X (1844: 538): „. . . auch wenn ich wissenschaftlich, etc. tätig bin, eine Tätigkeit, die ich selten in unmittelbarer Gemeinschaft mit anderen ausführen kann, so bin ich gesellschaftlich, weil als Mensch tätig. Nicht nur das Material meiner Tätigkeit ist mir — wie selbst die Sprache, in der der Denker tätig ist — als gesellschaftliches Produkt gegeben, mein eigenes Dasein ist gesellschaftliche Tätigkeit;" Mit anderen Worten, nicht aus der kommunikativen Verwendung folgt die gesellschaftliche Bedingtheit der Sprachkenntnis, sondern aus ihrem Charakter als Kenntnissystem selbst, ein Umstand, der für Kenntnissysteme insgesamt gilt. 13
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Die vielzitierte These von MARX und ENGELS (1884: S. 30), nämlich „die Sprache ist das praktische, auch für andere Menschen existierende, also auch für mich selbst erst existierende wirkliche Bewußtsein" verlangt zu ihrer Explizierung die Analyse genau dieser Beziehung. Hier sind übrigens interessante Unterschiede zu machen im Hinblick auf den Anteil, den gesellschaftlich veränderbare Komponenten an den Kenntnissystemen haben. Dieser Anteil ist offensichtlich in der historisch und regional wechselnden Sprachkenntnis; er ist unschwer, wenn auch weniger direkt erkennbar in den historisch und regional wechselnden konzeptuellen Systemen. Auf wiederum andere Weise variieren Kommunikationssysteme. Indessen ist es denkbar, daß Kenntnissysteme zwar an der Strukturierung sozialer Bezüge beteiligt sind, ohne jedoch gesellschaftlich bedingten Veränderungen zu unterliegen. Ein hypothetischer Kandidat dieser Art ist das System, das der Identifizierung und Unterscheidung von Gesichtern zugrunde liegt. Wichtiger als die Frage, ob es in diesem Sinn „geschichtsinvariante" Systeme strikter
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2.2. Zwei aufeinander angewiesene Seiten oder Momente konstituieren den gesellschaftlichen Charakter von Kenntnissystemen im eben erwähnten Sinn: (a) Kenntnissysteme werden im Rahmen des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses aufgebaut, geformt und modifiziert. (b) Damit Kenntnissysteme als gesellschaftlicher Bestand wirksam sein können, müssen sie von den Individuen im Verlauf der Ontogenese angeeignet werden. Bei oberflächlicher Betrachtung mag man geneigt sein, die inner (b) genannte Seite für die abgeleitete, der unter (a) genannten nachgeordnete zu halten» denn das jeweilige Produkt des gesellschaftlichen Prozesses legt ja fest, was im Sozialisationsprozeß erworben wird: Welche begrifflichen Unterscheidungen ein Mensch zu machen lernt, mit welchen sprachlichen Mitteln sie ausgedrückt werden können, das hängt zunächst von den entsprechenden Festlegungen ab, die in dem Consocium gelten, in das er hineinwächst. Bei näherem Hinsehen wird indessen sofort deutlich, daß es eine ebenso entscheidende umgekehrte Abhängigkeit gibt: Nur auf dem Wege über den Erwerb durch die konkreten Individuen können Kenntnissysteme modifiziert und akkumuliert werden: konzeptuelle Distinktionen differenzieren oder vereinfachen, sprachliche Regeln verändern sich, indem die Individuen entsprechend veränderte Kenntnissysteme erwerben. Aber äuch das ist noch nicht das vollständige Bild. Die Bedingungen des Kenntniserwerbs (zusammen mit den Grundlagen der Realisierungsmechanismen) stecken nämlich den Rahmen ab, in dem sich Kenntnissysteme auf Grund des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses überhaupt nur entwickelt und verändern können. Um diese Behauptung zu verdeutlichen und zu begründen, wenden wir uns wieder dem im Abschnitt 1.3. skizzierten Charakter kognitiver Systeme zu. Die funktionellen Systeme, von denen dort die Rede war, werden durch zwei Typen von Bedingungen geformt und strukturiert: (i) die organismische Ausstattung des Individuums als Glied der menschlichen Spezies, die einen charakteristischen Bereich von Möglichkeiten zur Ausbildung der verschiedenen funktionellen Systeme bereitstellt; (ii) die in der sozial vermittelten Umwelt auftretenden Gegebenheiten, die entsprechend der in (i) genannten Ausstattung verarbeitet werden und die Substanz der Erfahrung bilden, die die Kenntnissysteme formt. Wir können (i) abkürzend die biologischen, (ii) die gesellschaftlichen GrundArt gibt, ist die Tatsache, daß auch eindeutig Variante Systeme wie Sprache oder Kommunikation wesentliche invariante Strukturen aufweisen. Ich komme darauf im nächsten Abschnitt zurück.
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lagen der resultierenden psychischen Funktionssysteme nennen. Daß diese beiden Faktoren als Grundlage angenommen werden müssen, ist nicht strittig, wohl aber ihr relatives Gewicht und die Art ihrer Wechselwirkung. Ich will deshalb beide Seiten noch etwas näher erläutern. 2.3. Daß die Individuen verschiedener Gattungen nicht nur die für die jeweilige Gattung charakteristischen physiologischen Organe und Systeme, sondern auch spezifische funktionelle oder Verhaltenssysteme ausbilden, ist unstrittig und vor allem durch die Verhaltensforschung ausführlich belegt. Endogene und exogene Faktoren wirken dabei in spezifischer Weise zusammen: exogene Faktoren, d. h. Reize aus der Umwelt, werden den endogenen Bedingungen entsprechend verarbeitet, die endogenen Faktoren werden durch die externen Bedingungen aktiviert und modifiziert. Umweltreize werden so verarbeitet, wie die jeweiligen Anlagen es bedingen, und die Anlagen werden aktiviert und entwickelt durch die jeweiligen Umgebungsbedingungen. In dieser allgemeinen Form gilt das auch für die Ontogenese des Menschen, wobei die exogenen Faktoren bereits gesellschaftlich vermittelter Natur sind, d. h. sie gehören zu den historisch entwickelten Lebensbedingungen der Gemeinschaft, an deren Existenz die Entwicklung des Individuums gebunden ist. Kontrovers ist die Spezifik der organismischen Anlagen. Unter der Voraussetzung, daß ein bestimmtes spezies-spezifisches Arsenal als Grundlage der normalen Entwicklung des Individuums angenommen werden muß, gibt es zwei prinzipielle Alternativen: (a) Die organismischen Anlagen sind nicht spezifiziert im Hinblick auf bebestimmte Kenntnissysteme, sie bilden ein einheitliches System der Informationsverarbeitung und Verhaltensregulation. (b) Die organismischen Anlagen legen Dispositionen zur Ausbildung bestimmter Kenntnissysteme mit jeweils spezifischer Auswertung und Verarbeitung der Umweltinformation fest. Nach der Auffassung (a) wären die Gliederung des kognitiven Gesamtsystems, von der oben die Rede war, und der Aufbau der Teilsysteme im wesentlichen determiniert durch die Struktur des äußeren Reizangebots und könnten mit dem Reizangebot beliebig variieren. Die organismischen Anlagen würden den Menschen nur durch bestimmte globale Charakteristika wie Umfang der Gedächtniskapazität oder Komplexität interner Repräsentationen (in bezug auf ein globales Komplexitätsmaß) von anderen Gattungen unterscheiden. 14 Insbesondere wären 14
Diese Auffassung ist kein bloßer Strohmann: Alle Vorstellungen, die den Erwerb von Kenntnissen auf den Aufbau bedingter Reflexe oder assoziativer Verknüpfungen im Gedächtnis reduzieren, gehen von der Annahme (a) aus, womit der Unterschied zwischen verschiedenen biologischen Gattungen auf rein quantitative Faktoren der angedeuteten Art zurückgeführt werden muß.
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Erwerb und Beherrschung der Sprache nur extern bedingte Besonderheit des Menschen. Nach der Auffassung (b) dagegen beruht die Informationsverarbeitung auf spezifischen Dispositionen, die sowohl Auswahl und Interpretation der relevanten Information wie die aus ihrer Auswertung entstehenden Kenntnissysteme in charakteristischer Weise organisieren. Der Erwerb der Sprache ist damit ein Prozeß, der einer spezifischen internen Grundlage entspricht, auf Grund deren sprachliche Äußerungen in einer für diesen Bereich charakteristischen Weise verarbeitet werden. Entsprechendes gilt für andere Erfahrungsbereiche. Die organismische Ausstattung stellt nach Auffassung (b) gewissermaßen Vorinformationen bereit, die die Interpretation von Interaktionsbeziehungen, gegenständlichen Sachzusammenhängen usw. steuern und die Entwicklung der entsprechenden Kenntnissysteme erst ermöglicht. Nun ist in strikter Auslegung die Auffassung (a) mit ziemlicher Gewißheit falsch. Nicht nur haben verschiedene biologische Gattungen unterschiedliche Dispositionen für die Auswertung der Umweltinformation, die sich in der Phylogenese als Ergebnis von Mutation und Selektion herausgebildet haben. Vielmehr geschieht auch beim Menschen die Entwicklung verschiedener Teile des kognitiven Gesamtsystems in jeweils spezifischer Weise und in Phasen, die im Wachstum des Organismus verankert sind. Die Entscheidung zwischen (a) und (b) wäre damit zu ersetzen durch die schrittweise empirische Klärung der Art und Spezifik der in (b) angenommenen Dispositionen und ihrer Wechselwirkung. Dieses Problem läßt sich noch etwas klarer formulieren, wenn wir auf die früher getroffene Unterscheidung von Repräsentationen, Regeln und Prinzipien von Kenntnissystemen zurückgreifen. Repräsentationen sind die Form, in der die verarbeiteten Informationen und die Verhaltensantworten intern dargestellt, abgebildet werden. Sie sind strukturiert gemäß den Regeln, die zu dem für den jeweiligen Erfahrungsbereich zuständigen Kenntnissystem gehören. Dieses System von Regeln wiederum ist strukturiert gemäß den zugrunde liegenden Prinzipien, die den Aufbau des jeweiligen Regelsystems determinieren, und damit auch die allgemeine Form der zugehörigen Repräsentationen. Für das visuelle System z. B. sind Repräsentationen die Strukturen, in denen optische Reize zu interpretierten, perzeptiven Mustern organisiert sind, die Regeln bestimmen den Aufbau solcher Muster, und die Prinzipien determinieren die Form, die diese Regeln auf Grund entsprechender Erfahrung annehmen können. 15 Die Repräsentationen, Regeln und 15
Da Regelsysteme als erfahrungsabhängige Spezialisierungen innerhalb des durch die Prinzipien gesetzten Rahmens gelten müssen, könnte man versucht sein, Regeln und Prinzipien für das visuelle System zu identifizieren, da man ja offenbar nicht im gleichen Sinn sehen lernt, wie man sprechen lernt. Es scheint jedoch notwendig zu sein, auch beim visuellen System mit der Ausprägung unterschiedlich differenzierter Regelsysteme zu rechnen. Was
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Prinzipien anderer Kenntnissysteme sind entsprechend verschiedener Natur: Strukturen kooperativer Handlungen oder sprachlicher Äußerungen repräsentieren Informationen anderer Art auf Grund anderer Regeln. Die Auffassung (a) vom uniformen Charakter der organismischen Anlagen läßt sich in diesem Rahmen als die Hypothese formulieren, daß das kognitive Gesamtsystem auf einem einzigen System P von Prinzipien beruht, die alle gleichermaßen am Aufbau aller Kenntnissysteme beteiligt sind. Die Auffassung (b) dagegen rechnet mit unterschiedlichen Systemen P2, P3 usw. von Prinzipien, die jeweils spezifische Erfahrungsbereiche organisieren. Dabei können mehr oder weniger generelle Prinzipien angenommen werden. Ein Kenntnissystem K1 könnte außer auf bestimmten, nur in Ki wirksamen Prinzipien auch auf übergreifenden Prinzipien beruhen, die mehrere Kenntnissysteme determinieren. Ein Prinzip der hierarchischen Strukturierung linearer Folgen etwa ist vermutlich sowohl für sprachliche wie für musikalische und für handlungsorganisierende Repräsentationen, nicht dagegen für visuelle und konzeptuelle Repräsentationen anzunehmen. Das besagt, daß auch Regeln und Repräsentationen ganz unterschiedlicher Art von partiell gleichen Prinzipien determiniert sein können. Die auf der Basis der Auffassung (b) zu formulierende empirische Aufgabe ist dann die Auffindung der verschieden speziellen Systeme von Prinzipien. Ein Kenntnissystem K d a s zusammen mit den entsprechenden Realisierungsmechanismen ein funktionelles Organ im oben besprochenen Sinn bildet, beruht damit auf einem System Pi von (mindestens zum Teil) spezifischen Prinzipien. Diese Prinzipien bestimmen, was die für Ki relevanten Informationen sind und wie ihre Auswertung zu dem zu Kt gehörenden Regelsystem Ri führt. R( schließlich determiniert die Repräsentationen, die das entwickelte Kenntnissystem Kt zur Organisation des Gesamtverhaltens beisteuert. Dieses Raster gibt zugleich ein generelles Schema für den Erwerb von Kenntnissen an: P ; ist die für den durch Ki organisierten Verhaltensbereich relevante organismische Ausstattung; sie wird durch die Auswertung von spezifischen Umwelterfahrungen des zugehörigen Bereichs in das entsprechende Regelsystem Rt überführt, wobei Pi eine Klasse möglicher Regelsysteme festlegt und die verarbeitete Erfahrung das tatsächlich erworbene Regelsystem Rt ergibt. Dieses generelle Schema bedarf entsprechender Konkretisierung, in der vor allem die mit mit dem intuitiven Begriff „Sehgewohnheiten" gefaßt wird, gehört in diesen Bereich. Einen konkreten Beleg liefert die Tatsache, daß die Regeln zur perzeptiven Interpretation von Photographien erworben werden müssen, wie Untersuchungen in vorindustriellen Kulturen zeigen. Allerdings macht der Vergleich des visuellen mit dem sprachlichen System deutlich, daß die Spezialisierung des jeweiligen Regelsystems gegenüber den zugrunde liegenden Prinzipien sehr unterschiedlichen Charakter haben kann. Ein Aspekt dieser Unterschiedlichkeit ist der in Anmerkung 13 erwähnte Grad der gesellschaftlich bedingten Varianz der Kenntnissysteme.
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der Formel „Auswertung der Erfahrung" nur vage umschriebenen Prozesse zu spezifizieren sind. Es erlaubt jedoch zwei wichtige Feststellungen: Erstens folgt aus diesem Schema, daß Umweltreize in bestimmter Weise strukturiert ausgewertet werden, daß die Erfahrungsbereiche, auf die sich die auszubildenden Kenntnissysteme jeweils beziehen, durch die Prinzipien begrenzt werden. Und zweitens besagt dieses Schema, daß die Umwelterfahrungen in spezifische organisierende Systeme eingeordnet werden, innerhalb deren sie mehr besagen als ihr Informationswert in bezug auf ein unstrukturiertes Gesamtsystem. Mit anderen Worten, je spezifischer das jeweilige System von Prinzipien, desto informativer werden die relevanten Informationen. Lückenhafte, uneinheitliche oder divergierende Erfahrungen können dadurch zu relativ einheitlichen, invarianten Kenntnissystemen führen, eine für die menschliche Ontogenese charakteristische Tatsache. Im Anschluß an geläufige terminologische Festlegungen will ich für das sprachliche Kenntnissystem die zugrunde liegenden Prinzipien Pt die Universalgrammatik UG nennen und das Regelsystem Rt die jeweils erworbene einzelsprachliche Grammatik G. Die Gesamtheit der durch G determinierten Repräsentationen ist die durch G determinierte Sprache L(G). Für das konzeptuelle System, das uns neben dem sprachlichen im weiteren vor allem interessiert, sind entsprechende Begriffsbildungen nicht terminologisiert, ihr Inhalt ist auch weit weniger vorgeklärt als dies innerhalb der Linguistik für das sprachliche System geschehen ist. In provisorischer Analogie will ich mit UC die Prinzipien des Konzeptuellen Systems bezeichnen und mit C das jeweils spezielle erworbene Konzeptuelle System. Entsprechend sei M(C) die Gesamtheit der durch C determinierten konzeptuellen Repräsentationen. 2.4. Folgt man den skizzierten Annahmen über die biologische Grundlage von Kenntnissystemen, dann ergeben sich zwei Gesichtspunkte für die gesellschaftliche Bedingtheit der Sprache (und anderer Kenntnissysteme). Der erste liegt in der offensichtlichen Tatsache, daß eine Sprache jeweils an eine Sprachgemeinschaft gebunden ist, die den ,Inhalt' der Sprachkenntnis tradiert. Er betrifft die Determination von G (und allgemein der Regelsysteme R,) auf Grund gesellschaftlich vermittelter Erfahrung. Der zweite liegt in der auf diese Erfahrung disponierten Grundlage des Erwerbs von Kenntnissen, er betrifft den Charakter von UG (und allgemeiner der Prinzipien P ; ). Der zweite dieser beiden Gesichtspunkte geht über unsere Thematik grundsätzlich hinaus, er verlangt die Erörterung des Zusammenwirkens biologischer und sich entwickelnder gesellschaftlicher Faktoren in der Anthropogenese. Die Grundüberlegungen zu dieser Problematik findet man bei ENGELS (1876) 16 , sie 16
Es ist hier nicht der Ort, die nicht selten anzutreffenden Fehldeutungen von ENGELS' Grundüberlegungen zu erörtern. Es sei nur ein Punkt erwähnt: Der Beschreibung der beginnenden Ver-
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wären im Lichte der modernen Evolutionstheorie und, was die Sprache betrifft, der modernen Linguistik weiterzuführen und zu präzisieren. Ich will hier nur zwei Anmerkungen machen. Zum einen besagt die Annahme (empirisch zu begründender) spezieller Dispositionen nicht, daß Kenntnissysteme in dem M a ß außerhalb des gesellschaftlichen Bedingungsrahmens liegen, in dem sie durch organismische Grundlagen bestimmt sind. Vielmehr ist anzunehmen, daß sich in der Phylogenese gerade solche Dispositionen selektionsbevorzugt waren, die den sich herausbildenden sozialen Reproduktionsprozessen die relativ angemessensten Kenntnissysteme bereitzustellen in der Lage waren. Die oben erwähnte Spezifik der Informationsauswertung deutet die Wirkungsweise dieser Bedingung an. Mit anderen Worten, die anzunehmenden Prinzipien sind wesentlich auf ihre soziale Nutzung hin disponiert. Zum anderen hören die organismischen Anlagen damit nicht auf, biologischer Natur zu sein: sie müssen im Rahmen biologischer Entwicklungen entstanden sein und sie werden als solche vererbt. Was dies besagt, ist vielmehr, daß die biologische Natur des Menschen auf Gesellschaftlichkeit disponiert ist. Ich komme damit zum ersten der oben genannten Gesichtspunkte, der den gesellschaftlichen Charakter der resultierenden Kenntnissysteme betrifft. Was unter diesem Titel ins Auge zu fassen ist, kommt zu der soeben angedeuteten Bedingung nicht als zusätzliches Moment hinzu, sondern macht den Bereich aus, in dem sich ihre Wirkung manifestiert, daß nämlich menschliche Individuen sich zu ihrer Umwelt verhalten auf Grund von Kenntnissystemen verschiedener Art, die im Verlauf des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses geformt worden sind, in diesem Sinn also ein gesellschaftliches Produkt sind. Der Erwerb dieser Kenntnissysteme macht den normalen Sozialisationsprozeß der Individuen aus, und die Gesellschaftlichkeit der Kenntnissysteme besteht eben darin, daß die Glieder einer Gemeinschaft sie sich aneignen und in ihrem Verhalten realisieren. gesellschaftung als Faktor, der mehr und mehr die biologische Evolution bestimmt, folgt bei ENGELS die Feststellung: „Kurz, die werdenden Menschen kamen dahin, daß sie einander etwas zu sagen hatten. Das Bedürfnis schuf sich ein Organ: Der unentwickelte Kehlkopf des Affen bildete sich langsam aber sich um, durch Modulation für stets gesteigerte Modulation . . ." (S. 446 f.). Wer nicht berücksichtigt, daß ENGELS entschiedener Darwinist war, mißinterpretiert diesen Gedanken leicht im LAMARCKschen Sinn als Vererbung durch Übung gewonnener Eigenschaften. Es ist für ENGELS aber klar, daß ein ,Bedürfnis' nur auf dem Weg über Erbanpassung — d. h. Mutation und Selektion — ein Organ schaffen oder verändern kann. Und es versteht sich von selbst, daß das .Organ' der Sprache nicht nur der Kehlkopf ist, sondern die Struktur des Zentralnervensystems, vor allem aber des Cortex umfaßt. Das so gefaßte Organ der Sprache ist übrigens nicht das in Abschnitt 1.3. erörterte funktionelle Hirnorgan, da&ja das Resultat des individuellen ontogenetischen Spracherwerbs ist, sondern vielmehr die organismische Grundlage für die Entstehung dieses funktionellen Organs, also die phylogenetisch erworbene Sprachfähigkeit des Menschen.
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Die Fähigkeit dazu macht einen entscheidenden Aspekt der Natur des Menschen aus. Wenn wir nun annehmen, daß diese Fähigkeit als wesentlichen Bestandteil die oben erörterten Prinzipien der verschiedenen Kenntnissysteme enthält, dann ergeben sich zwei wichtige Konsequenzen. Erstens: Der Sozialisationsprozeß besteht im wesentlichen darin, die durch die Prinzipien vorgezeichneten Möglichkeiten zu konkretisieren, die mit ihnen gegebenen offenen Parameter auf Grund einschlägiger Erfahrungen so festzulegen, wie es den in der sozialen Umgebung geltenden Regeln entspricht. Der entscheidende Punkt dabei ist, daß ein Kind damit im Vorhinein über alles das schon verfügt, was in der Kenntnisstruktur durch die Prinzipien determiniert ist. Es kommt damit zu seinem sprachlichen oder konzeptuellen oder kommunikativen Kenntnissystem nicht, indem es dieses System aus isolierten, atomaren Erfahrungen induktiv zusammensetzt, sondern indem es die Erfahrungen nach einem wohlorganisierten (aber natürlich völlig unbewußten) Plan auswertet. In der Tat ist nur auf diesem Weg eine Erklärung der Effektivität und Invarianz möglich, mit der Kinder die komplexen Systeme sprachlicher und konzeptueller Kenntnisse erwerben, mit denen sie ohne systematische und explizite Anleitung konfrontiert sind. Zweitens: Der Rahmen, in dem die Veränderung, Differenzierung, Vereinfachung, kurz jede Art von Entwicklung gesellschaftlicher Kenntnissysteme vor sich geht, ist durch die Prinzipien strukturiert, die den Erwerbsprozeß steuern, da der Erwerb im normalen Sozialisationsprozeß ja die Bedingung für den gesellschaftlichen Charakter der Kenntnisse ist. Mit anderen Worten, wie verschiedenartig auch die sprachlichen oder konzeptuellen Systeme sein mögen, die sich in verschiedenen Gemeinschaften herausbilden, sie sind Differenzierungen innerhalb eines wohlstrukturierten Rahmens von Prinzipien. Und es ist gerade dieser organisierende Rahmen, der erst die Entwicklung immer neuer, den jeweiligen Zielen und Bedürfnissen entsprechender, außerordentlich komplexer Systeme von Kenntnissen ermöglicht. Der an das einzelne Individuum gebundene Prozeß des Spracherwerbs und die an gesellschaftliche Gruppen gebundenen Prozesse des Sprachwandels haben damit in dem System UG, also den Prinzipien, die die Universalgrammatik ausmachen, ihren Schnittpunkt, ihren gemeinsamen Rahmen. Entsprechendes gilt für alle anderen gesellschaftlich tradierten Kenntnissysteme. Diesen Rahmen gilt es in entsprechenden empirisch zu begründenden Theorien abzubilden. Er muß Spielraum für die Vielzahl der historisch oder regional verschiedenen Systeme aufweisen, und er muß spezifisch genug sein, um die möglichen von den unmöglichen Kenntnissystemen zu unterscheiden und damit zugleich die charakteristische Komplexität menschlicher Leistungen und Verhaltensweisen erklären. Zusammengefaßt: Die gesellschaftliche Erfahrung schlägt sich in Kenntnissystemen nieder, die historisch sich wandelnde Ausprägungen auf der Grund-
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läge der in den Individuen verankerten biologischen Anlagen sind; diese in der Anthropogenese fixierten Anlagen strukturieren die Wechselwirkung der Gesellschaft mit der Natur und konkret der Individuen mit ihrer Umwelt. Einen besonderen Aspekt im gesellschaftlichen Charakter von Kenntnissystemen bildet eine Erscheinung, die PUTNAM (1975) ,linguistische Arbeitsteilung' genannt hat. (Angemessener wäre es, von konzeptueller Arbeitsteilung zu sprechen.) Sehr vereinfacht gesagt besteht diese Erscheinung darin, d a ß bei der Entwicklung spezieller Konzepte die Mitglieder einer Gemeinschaft nicht alle mit diesen Konzepten verbundenen Aspekte in gleicher Vollständigkeit erwerben, daß also die Repräsentation der entsprechenden Kenntnisse sich auf verschiedene Weise auf das Consocium verteilen kann. Ich komme auf dieses Problem, das nur im Rahmen der zuvor skizzierten allgemeineren Bedingungen möglich ist, in Abschnitt 5. kurz zurück. Die in Abschnitt 1. umschriebene Fragestellung aufgreifend fasse ich nun Kenntnissysteme als psychische Strukturen auf, in denen biologische und gesellschaftliche Bedingungen des Verhaltens im Individuum zusammengeschlossen sind und die konkreten Verhaltensabläufe, die von den jeweiligen Realisierungsmechanismen getragen werden, bedingen und ermöglichen. Der mentale Charakter der Strukturen, auf den sich unsere Aufmerksamkeit konzentriert, ist auf eben diesem Hintergrund zu verstehen. 3. Die Struktur
sprachlicher
Äußerungen
3.1. U m zu den konkreteren Problemen zu kommen, die sich in diesem Rahmen für die semantische Struktur ergeben, will ich von der Betrachtung konkreter sprachlicher Äußerungen ausgehen. Ich führe zunächst eine Reihe von Begriffen und Unterscheidungen ein, mit deren Hilfe diese Probleme klarer formuliert werden können. Obwohl dabei im wesentlichen geläufige Überlegungen zu rekapitulieren sind, scheint mir das zur Vermeidung von Mißverständnissen und im Interesse der Übersichtlichkeit von Nutzen. Eine Äußerung ist zunächst ein physikalisches Ereignis oder Gebilde, mit einem Terminus von KASHER (1972) eine Inskription ins, das von einem Sprecher (oder Schreiber) produziert wird und von einem Hörer (oder Leser) perzipiert werden kann. Zu einer sprachlichen Äußerung wird ein solches akustisches oder optisches Signal dadurch, daß ihm eine sprachliche Struktur / zugeordnet wird, kurz: (D 1) Eine sprachliche Äußerung u ist ein geordnetes Paar (ins, l), wobei ins ein physikalisches Signal und / die Repräsentation der sprachlichen Struktur von u ist. Die sprachliche Struktur / besteht aus der Gesamtheit von Elementen und Beziehungen, die der Inskription auf G r u n d der Sprachkenntnis vom Sprecher 3
Viehweger, Semantikforschung
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M. Bierwisch
bzw. vom Hörer zugeordnet werden. Der geläufigen Auffassung zufolge sind dabei mindestens drei Strukturebenen zu unterscheiden, eine phonetische, eine morphosyntaktische und eine semantische Repräsentation. Zusammengefaßt: (D 2) Die sprachliche Struktur / einer Äußerung u ist ein Tripel (phon, syn, sem), wobei phon die phonetische, syn die morpho-syntaktische und sem die semantische Struktur von u ist. Ich verschiebe die notwendigen Kommentare zur Struktur und Funktion dieser Repräsentationen auf die folgenden Abschnitte und vervollständige zuerst die Grundkomponenten sprachlicher Äußerungen. Betrachten wir zu diesem Zweck einen einfachen Satz wie diesen: (3) Ich werde alle abschließen
lassen.
Eine Äußerung dieser Lautfolge hat, bezogen auf die Grammatik des Deutschen, mindestens vier Strukturen /, die zwar stets die gleiche phonetische Repräsentation phon aufweisen, aber in der semantischen und zum Teil auch in der syntaktischen Repräsentation differieren: syntaktisch kann abschließen transitiv oder intransitiv sein (im ersten Fall ist alle Subjekt von abschließen, im zweiten Fall ist es Objekt), und in jedem der beiden Fälle kann abschließen entweder als beenden oder als verschließen interpretiert werden. Da diese verschiedenen Möglichkeiten nicht mit Unterschieden in der Signalstruktur korrespondieren, müssen sie durch die Information bedingt sein, die die Sprachkenntnis bereitstellt. Sprecher und Hörer einer Äußerung selektieren demnach bei der Zuordnung von / zur Inskription ins gegebenenfalls eine unter mehreren möglichen Varianten. 17 Mit der Zuordnung einer bestimmten sprachlichen Repräsentation l ist die Interpretation einer Äußerung jedoch keineswegs abgeschlossen. Das wird deutlich, wenn wir eine der möglichen Strukturen von (3) herausgreifen, etwa die, die ungefähr durch (4) paraphrasiert werden kann: (4) Ich werde veranlassen,
daß alle verschlossen
werden.
Damit eine so interpretierte Äußerung einen Gedanken repräsentiert, muß sie auf einen Kontext oder eine Situation bezogen werden, aus der die Gegenstände zu entnehmen sind, auf die alle sich bezieht. Je nach der Art dieser G e g e n s t ä n d e — Häuser,
Schränke,
Türen,
Koffer
z u m Beispiel — verweist
abschließen auf verschiedene Handlungen. Sprecher wie Hörer beziehen sich bei diesen Festlegungen auf außersprachliches Sachwissen, das auf den Kontext 17
Experimentelle Untersuchungen zum Sprachverstehen zeigen, daß diese Selektion in der Tat im Verlauf des Perzeptionsprozesses vollzogen wird, nachdem unter Umständen zunächst zwei oder mehr Möglichkeiten (unbewußt) verfolgt werden. Vgl. dazu — wie zum Sprachrezeptionsprozeß insgesamt — den instruktiven Überblick von LEVELT (1978).
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bzw. die Situation, in der die Äußerung interpretiert wird, zu beziehen ist. Mit anderen Worten, eine Äußerung in dem in ( D l ) und (D 2) festgelegten Sinn bezieht sich auf einen Kontext et, und in bezug auf diesen Kontext gewinnt sie eine kontextuell bedingte Äußerungsbedeutung, die ich mit m symbolisieren will. Bezeichnen wir eine dergestalt interpretierte Äußerung mit mu, so kommen wir zu folgender Festlegung: (D 3) Eine kontextuell interpretierte Äußerung mu ist ein Tripel (u, et, m), wobei u eine sprachlich interpretierte Äußerung gemäß (D 1) und (D 2) ist, et der Kontext, auf den u bezogen wird, und m die Bedeutung, die u in bezug auf et annimmt. Im Hinblick auf die Beziehung zwischen Sprache und Kommunikation kann nun eine kommunikativ verwendete Äußerung bestimmt werden als eine kontextuell interpretierte Äußerung mu, die in Abhängigkeit von den Interaktionsbeziehungen, in denen Sprecher und Adressat zueinander stehen, einen bestimmten kommunikativen Sinn annimmt. (D 4) Eine kommunikativ interpretierte Äußerung kmu ist ein Tripel (mu, ias, ks), wobei mu eine kontextuell interpretierte Äußerung gemäß (D 3) ist, ias die Struktur der Interaktionssituation, in der die Äußerung interpretiert wird, und ks der kommunikative Sinn, den sie in bezug auf diese Bedingungen annimmt. So kann z. B. eine Äußerung von (3) eine Zusage, ein Versprechen, eine Drohung oder auch nur eine beiläufige Bemerkung sein, je nachdem welche Beziehungen informeller oder institutioneller Art und welche Erwartungen oder Verpflichtungen von Sprecher und Adressat den Rahmen des Kommunikationsaktes bilden. Jede dieser kommunikativen Interpretationen bezieht aber den von mu ausgedrückten Sachverhalt ein. Fügt man die in ( D l ) bis (D 4) festgelegten Bestimmungen ineinander, so erhält man für die Komponenten einer kommunikativ verwendeten sprachlichen Äußerung folgendes Schema: (5)
G
C
1 u mu kmu 3*
K
M
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Bierwisch
Über den erörterten Komponenten habe ich die Regelsysteme angegeben, die die jeweiligen Repräsentationen strukturieren. (G für Grammatik und C für konzeptuelles System habe ich oben eingeführt, K wäre entsprechend als System der Kommunikationsregeln zu verstehen, das möglicherweise Teil eines umfassenderen Systems sozialer Interaktionsregeln ist.) Dieses Schema ist zunächst nur eine strukturierte Liste von Komponenten oder Faktoren, die die in Abschnitt 2.1. skizzierten Annahmen über den Zusammenhang von Sprache, konzeptueller Verarbeitung der Umwelt und Kommunikation etwas präzisiert. Es stellt keineswegs eine Theorie dar, sondern liefert nur die Möglichkeit, Probleme deutlicher zu formulieren, ein heuristischer Zweck, der auch auf verschiedenen anderen Wegen erreicht werden könnte. Von den erörterten und in (5) zusammengefaßten Komponenten werde ich mich im Folgenden mit denen, die die kommunikative Verwendung von Äußerungen betreffen, nicht weiter befassen.18 Unser zentrales Thema ist der Charakter der semantischen Repräsentation sem und der Äußerungsbedeutung m und ihre Beziehung zueinander. 3.2. Für die Analyse der semantischen Struktur und ihrer verschiedenen Bezüge ist es nützlich, wenn nicht unumgänglich, von den Ergebnissen auszugehen, die die moderne Logik zu dieser Problematik beigesteuert hat, zum einen weil sie ein außerordentlich präzises Instrumentarium zur Behandlung dieses Gebietes bereitgestellt hat, zum anderen aber, weil die Schwierigkeiten und Grenzen, die sich für die Logik dabei ergeben, unmittelbar mit dem psychologischen Aspekt der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke zusammenhängen und also unser Thema besonders zu verdeutlichen gestatten.19 Schlüsselkonzept der logischen Analyse der Sprache ist die logische Form If einer Äußerung u. Von Autoren mit sonst sehr unterschiedlicher Auffassung wie etwa K A T Z ( 1 9 7 2 ) oder M O N T A G U E ( 1 9 7 4 ) wird die logische Form einer Äußerung mit ihrer semantischen Struktur gleichgesetzt. Ich werde zunächst von dieser Gleichsetzung ausgehen und dann auf einige Probleme eingehen, die sich aus dieser Identifizierung ergeben, um damit die psychologischen Bedingungen der semantischen Struktur kennzeichnen zu können. Die Traditionslinie der modernen Logik, die für unsere Thematik relevant ist, hat ihren Ausgangspunkt bei FREGE. Für diese Traditionslinie sind zwei Punkte wichtig, die die mögliche Integration der Logik mit dem was man die linguistische
18
Einige der hierher gehörenden Probleme machen den wesentlichen Teil der von AUSTIN (1962), SEARLE (1969) und anderen entwickelten Sprechakttheorie aus. Deren Interpretation in dem hier umrissenen Rahmen habe ich in BIER WISCH (1980) erörtert.
19
Diese beiden Befunde sind unter verschiedenem Blickwinkel thematisiert worden, u. a. in JOHNSON-LAIRD ( 1 9 7 9 ) u n d H A L L - P A R T E E ( 1 9 7 9 ) .
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und die psychologische Semantikforschung nennen könnte, entscheidend bestimmen. Zum ersten dient bei F R E G E (1892) und der gesamten an ihn anschließenden formalen Logik die Klärung der logischen Form letzten Endes der Begründung der Mathematik und allgemeiner der Theorie des logischen Schließens. Sofern die semantische Struktur mit der logischen Form gleichgesetzt werden kann, wird die Semantik im Sinn dieser Tradition zu einer Grundlagendisziplin der Mathematik. 20 Bei F R E G E ist diese Festlegung aufgrund sorgfaltiger Abwägung des Zusammenhangs zwischen logischen Strukturen und den psychischen Prozessen, in denen logische Strukturen aufgebaut und manipuliert werden, zunächst eine deutliche Grenzziehung zwischen dem ,objektiven' Charakter der Struktur von Gedanken und den subjektiven' Prozessen, aus denen sie hervorgehen und die ihre logische Validität nicht begründen können. (Daß darin eine zeitbedingte Abwehr gegen eine unangemessene Psychologisierung der Logik zum Ausdruck kommt, ist dabei nur von historischem Interesse.) Inhaltlich besagt das, daß in die logische Form einer Äußerung alles und nur das einzuordnen ist, was auf ihre Wahrheit bzw. die aus ihr abzuleitenden Folgerungen Einfluß hat. Die logische Form wird damit zur Repräsentation der Bedingungen, unter denen eine Äußerung wahr ist. Diese Festlegung hat T A R S K I (1935) systematisch ausgearbeitet und so erweitert, daß Wahrheitsbedingungen als Spezialfall von Erfüllungsbedingungen gefaßt werden können. (Der Spezialfall trifft dann auf Äußerungen von Aussagesätzen zu, während Äußerungen anderen Typs jeweils eigene Arten von Erfüllungsbedingungen haben.) Zweitens wird innerhalb dieses Ansatzes die Klärung der logischen Form dadurch erreicht, daß künstliche oder formale Sprachen konstruiert werden, deren Struktur direkt mit der logischen Form natürlicher Sprachen identifiziert werden kann. Grund dieses Vorgehens ist die Überzeugung, daß die Struktur von Äußerungen der natürlichen Sprache deren logische Form eher verdeckt oder verschleiert als daß sie sie einsichtig und greifbar macht. In diesem Sinn besteht die Entwicklung der modernen Logik im kontrollierten Aufbau formaler Systeme, bei denen die logische Form If (und das heißt nach der oben getroffenen Annahme die semantische Struktur sem) mit ihrer syntaktischen Struktur syn zusammenfallt, die wiederum direkt und ohne Vermittlung durch eine separier20
Diese Einordnung der Semantik in die Mathematik ist nicht identisch mit der Verwendung mathematischer Mittel, etwa der Mengentheorie oder der abstrakten Algebra, beim Aufbau der entsprechenden Theorie. Mathematische Mittel können zur Formulierung der Semantiktheorie auch dann verwendet werden, wenn sie nicht als Teil der Mathematik, sondern als Teil der Psychologie konzipiert wird, so wie ja auch die Ökonomie oder die Astronomie mathematisch formulierte Theorien besitzen, ohne eine Teildisziplin der Mathematik zu sein. Vgl. dazu auch Anmerkung 5.
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bare phonetische Struktur auf die jeweilige Inskription bezogen werden kann. Damit können dann semantische Beziehungen gewissermaßen direkt auf Eigenschaften der Inskription bezogen werden. Dieses Vorgehen, das, angefangen von FREGES Begriffsschrift über die ,Principia Mathematica' von WHITEHEAD und RUSSELL, in den verzweigten Systemen der Modallogik zu außerordentlich komplexen und ausdrucksstarken Systemen geführt hat, bringt zwei gravierende Probleme für die Beziehung der Logik zur Semantik natürlicher Sprachen mit sich: Das erste besteht darin, daß jeweils nur die Teile der semantischen Struktur im Rahmen formaler Systeme .rekonstruiert' werden (wie der Terminus technicus lautet), die unter dem Gesichtspunkt der Theorie des Schließens relevant und eindeutig analysierbar sind. Mit anderen Worten, die Elemente der natürlichen Sprache teilen sich in ,logische' und ,außerlogische' Elemente, von denen nur die ersteren tatsächlich erfaßt werden. Das zweite Problem besteht darin, daß die semantische Analyse natürlicher Sprachen sich verwandelt in die Aufgabe, die Korrespondenz zwischen den Ausdrücken der formalen Sprache und den ihnen entsprechenden Ausdrücken der natürlichen Sprache zu klären, eine Aufgabe, die nicht mehr innerhalb der formalen Systeme gelöst werden kann. Die Schwierigkeit in bezug auf das erste Problem besteht darin, die Prinzipien, nach denen die formalen Systeme zur Darstellung der logischen Form aufgebaut sind, auf die Gesamtheit der Elemente natürlicher Sprachen auszudehnen. Die Schwierigkeit mit dem zweiten Problem liegt darin, die Korrespondenz zwischen Ausdrücken der natürlichen Sprache und Ausdrücken der konstruierten formalen Sprache ihrerseits systematisch zu erfassen. Diese Voraussetzungen der formalen Logik in Rechnung stellend, ist nun zu fragen, was deren Analyse der logischen Form für die Charakterisierung der semantischen Struktur ergibt. Die Antwort auf diese Frage muß mit der bekannten Unterscheidung von FREGE (1892) zwischen Sinn und Bedeutung beginnen, die in der weiteren Entwicklung der Logik durch die Unterscheidung von Intension und Extension ersetzt worden ist. Die Bedeutung oder Extension einer Äußerung ist das, worauf sie verweist; der Sinn bzw. die Intension einer Äußerung ist die Art, in der sie auf die Extension verweist. Der Grund für diese Unterscheidung ist die Tatsache, daß zwei Äußerungen mit verschiedener Intension die gleiche Extension haben können und also in verschiedener Art auf das gleiche verweisen können. Äußerungen der Sätze (6) und (7) sind Beispiele dafür: (6) Ich bitte um Entschuldigung. (7) Der Sprecher dieses Satzes bittet um Entschuldigung. Die Extension einer Äußerung sind also offenbar die Dinge, Beziehungen, Sachverhalte der Umwelt (im weitesten Sinne), auf die verwiesen wird. Und die Intension einer Äußerung kann als eine (komplexe) Regel aufgefaßt werden, die diese Dinge, Beziehungen und Sachverhalte identifiziert. Die beiden Sätze (6) und (7)
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haben die gleiche Extension, weil die Intension von Ich und von der Sprecher dieses Satzes zwar verschieden zusammengesetzte Regeln sind, die aber in jedem Fall das gleiche Objekt, nämlich den Sprecher des Satzes, identifizieren, so daß auch die Intensionen der Sätze (6) und (7) als Ganzes den gleichen Sachverhalt identifizieren. Die Zusammensetzung der Intension einer Äußerung aus Teilregeln bildet dann die logische Form der Äußerung, und die Ausdrücke der formalen Logiksysteme sind nichts anderes als ein Mittel, die Teilregeln und die Art ihrer Zusammensetzung durch Grundsymbole und die Art ihrer Verknüpfung darzustellen. Die Möglichkeit, daß Ausdrücke mit verschiedener Intension die gleiche Extension haben, macht deutlich, daß Intension und Extension nicht generell die gleiche Struktur, d. h. die gleiche Art der Zusammengesetztheit aus Teilen aufweisen können. Andererseits ist auch offensichtlich, daß ein Zusammenhang zwischen der Struktur der Intensionen, also der logischen Formen einer Sprache, und der Extensionen, also des Bereichs, auf den die Intensionen verweisen, bestehen muß. In diesem abgeleiteten Sinn kann man dann auch von der logischen Struktur der Welt sprechen als der Form, in der die Dinge, Beziehungen und Sachverhalte zu Extensionen von Ausdrücken einer Sprache werden. Die logische Struktur der Welt ist mithin stets abhängig von der logischen Struktur der Sprache, in der über die Welt gesprochen wird. Sieht man umgekehrt die logische Struktur der Welt — ihre Zusammensetzung aus Dingen und Beziehungen, die Zugehörigkeit der Dinge zu bestimmten Klassen usw. — als gegebene Ausgangsbedingung an, dann hängt in bestimmten Grenzen die logische Form der sprachlichen Ausdrücke, mit denen man über die Welt sprechen kann, von der logischen Struktur der Welt ab. Unabhängig davon, in welcher Richtung man die Abhängigkeit betrachtet, wird die Beziehung zwischen Intension und Extension bei dieser Betrachtungsweise zur Beziehung zwischen zwei komplexen Strukturen, und die Art dieser Beziehung genau zu bestimmen, läßt sich damit als eine mathematische Aufgabe formulieren. In genau diesem Sinn wird die formale Logik zu einer mathematischen Disziplin. Um die Art der Beziehung zwischen Intension und Extension in der für unsere Fragestellung relevanten Hinsicht richtig zu verstehen, müssen wir dem bisher Gesagten noch einen Punkt hinzufügen, der erst in der Weiterentwicklung von FREGES Ansatz deutlich geworden ist. Er setzt an bei der einfachen Beobachtung, daß nicht nur zwei Äußerungen mit verschiedener Intension die gleiche Extension haben können, sondern daß auch eine Äußerung bei der gleichen Intension verschiedene Extensionen haben kann, je nachdem, auf welchen Weltausschnitt man sie bezieht. (8) ist ein Satz, auf den das, im Unterschied zu (9) zutrifft: (8) Der höchste Turm der Welt ist eine Metallkonstruktion. (9) Der Eifelturm ist eine Metallkonstruktion. Für einen bestimmten Zeitausschnitt der Welt haben Äußerungen von (8) und (9),
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trotz ihrer verschiedenen Intension, die gleiche Extension, für andere Zeitausschnitte aber nicht, und zwar, weil (8) — bei gleicher Intension — verschiedene Extensionen haben kann. Einfacher gesagt, (9) ist eine unabhängig von der Zeit wahre Behauptung, (8) dagegen nicht. Was in diesem Beispiel durch verschiedene Zeitabschnitte der realen Welt bedingt ist, wird im folgenden Beispiel durch den Unterschied zwischen der realen, historischen und einer fiktiven Dramenwelt bedingt: (10) Jeanne d Are ist im Kampf
gefallen.
In bezug auf S C H I L L E R S Drama ist eine Äußerung von ( 1 0 ) zutreffend, hat sie einen bestehenden Sachverhalt als Extension, in bezug auf die überlieferte Geschichte nicht. Was ich zunächst als,Weltausschnitt' eingeführt habe, kann nun allgemeiner als Extensionsbereich oder, mit dem dafür üblich gewordenen Terminus, als mögliche Welt w bezeichnet werden. Fassen wir die Intension einer Äußerung weiterhin als (komplexe) Regel zur Identifizierung der Extension auf, dann müssen wir sie nun als Regel ansehen, deren Resultat davon abhängt, auf welche Welt w sie angewendet wird. Eine Regel, deren Resultat davon abhängt, worauf sie angewendet wird, ist mathematisch eine Funktion. Die Ausarbeitung der formalen Logik zu einer intensionalen Logik, die diese Abhängigkeit berücksichtigt, ist demnach auf folgender Grundbeziehung aufgebaut: (D 5) Die logische Form If einer Äußerung u ist eine Funktion dergestalt, daß lf{w) = e, wobei w eine mögliche Welt ist, auf die u bezogen wird und e die Extension, die u bei der Interpretation in bezug auf w annimmt. Faßt man die möglichen Welten als eine weitere Strukturierung des Extensionsbereichs auf, als komplexe Einheiten, die ihrerseits aus Dingen, Klassen von Dingen, Relationen zwischen Dingen und aus dadurch gebildeten Sachverhalten bestehen und die untereinander in zeitlichen, räumlichen oder ihren Realitätscharakter betreffenden Beziehungen stehen, dann nimmt auch die intensionale Logik, die auf einem System möglicher Welten beruht, den Charakter einer mathematischen Theorie über bestimmte Beziehungen in strukturierten Mengen
21
Nach Ansätzen von
ist die intensionale Logik in diesem Sinn von MONTAGUE und anderen ausgebaut worden. Es ist anzumerken, daß sich dabei die Blickrichtung von der Begründung der Mathematik, die bei FREGE und RUSSELL den Ausgangspunkt bildete, mehr und mehr auf die formale Struktur beliebiger sprachlicher Systeme, einschließlich der natürlichen Sprachen, verschoben hat. Insbesondere der von MONTAGUE formulierte Grundriß einer,Universal Grammar' stellt einen Rahmen auf, innerhalb dessen die logische Struktur beliebiger Sprachen mit allen Verzweigungen, die sich (1974),
CARNAP ( 1 9 4 7 )
LEWIS ( 1 9 7 2 ) ,
CRESSWELL ( 1 9 7 3 )
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3.3. Es bleibt zu fragen, was dieser ausschnitthafte Blick auf die formale Behandlung der logischen Form sprachlicher Äußerungen für die Analyse der Semantik von Äußerungen der natürlichen Sprache besagt.22 Ausgehend von der Identifizierung der semantischen Repräsentation sem mit der logischen Form If können wir unter Bezugnahme auf (D 5) die jeweilige mögliche Welt w, auf die If bezogen wird, als wesentlichen Bestandteil des Interpretationskontextes et auffassen. Daß et nicht einfach mit w gleichgesetzt wird, soll die Möglichkeit offenlassen, daß et zusätzlich bestimmte Informationen enthält, die z. B. den Sprecher als ein bestimmtes Individuum innerhalb von w auszeichnen oder die Zeitkoordinate von w zum Zeitpunkt der Äußerung in Bezug setzen usw. Diese Erweiterung von w verändert die Grundbeziehung aus (D 5) nicht. In der Tat hat z. B. L E W I S (1972) eine ähnliche Erweiterung im Rahmen der intensionalen Logik vorgenommen. Schließlich können wir die Extension e als wesentlichen Bestandteil der Äußerungsbedeutung m ansehen. Auch hier soll die Möglichkeit offengelassen werden, daß m zusätzliche Spezifizierungen enthält. Solche Spezifizierungen können Einstellungen sein, die der Sprecher zu dem identifizierten Sachverhalt hat. Mit diesen Vorkehrungen ergibt sich aus (D 5) für sem, et und m die folgende Beziehung: (11) sem(et)
= m
Mit anderen Worten, die semantische Struktur ist eine (komplex zusammengesetzte) Funktion, die angewendet auf den Äußerungskontext die Äußerungsbedeutung m ergibt. Und sofern die Identifizierung der logischen Form mit der semantischen Struktur berechtigt ist, stellt die intensionale Logik das Instrumentarium zur Repräsentation dieser Funktionen bereit. Anders formuliert ergibt sich daraus die Frage, wieweit die intensionale Logik zugleich eine Theorie eines Teils
22
aus den skizzierten Grundbedingungen ergeben können, darstellbar sein soll. Wesentlich bleibt dabei aber, daß es sich bei dieser Auffassung von Universalgrammatik um eine Theorie über eine bestimmte Klasse komplexer mathematischer Strukturen handelt, die nicht mit dem in Abschnitt 2.3. eingeführten Begriff der Universalgrammatik UG identifiziert werden darf. UG ist ein empirisch zu ermittelndes System von Prinzipien, das zur mentalen Struktur des Menschen gehört und die Struktur möglicher natürlicher Sprachen bedingt, MONTAGUES Universalgrammatik ist ein rein formales System, das die logische Struktur sowohl der künstlichen wie der natürlichen Sprachen zu charakterisieren erlauben soll. Wir werden die Konsequenzen dieser unterschiedlichen Zielsetzungen an einigen Punkten deutlich machen. Ebenso ausschnitthaft wie die Skizzierung der Problematik der logischen Form sind auch die hier zu ziehenden Konsequenzen für die Semantik natürlicher Sprachen. Sie dienen vornehmlich dem Zweck, die psychologischen Bedingungen der semantischen Struktur denen gegenüberzustellen, die in der logischen Analyse erfaßt werden. Für eine vollständigere Erörterung des Zusammenhangs von Sprachstruktur und logischer Form vgl. LANG (1982).
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M
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der Kenntnissysteme sein kann, auf denen die semantische Interpretation sprachlicher Äußerungen beruht.
4. Der Aiifbau semantischer
Repräsentationen
4.1. Nachdem wir im vorigen Abschnitt die verschiedenen Komponenten der Struktur sprachlicher Äußerungen erörtert haben, sollen nun einige Bedingungen des internen Aufbaus der semantischen Repräsentation behandelt werden. Dieser Aufbau, der bisher nur pauschal als die Struktur der logischen Form identifiziert worden ist, ist nicht direkt konstatierbar, aber er ist von zwei Seiten her eingrenzbar: Einerseits muß die Struktur von sem in der in (11) angedeuteten Weise mit der Struktur der Äußerungsbedeutung m zusammenhängen, also mit dem, was die Äußerung über die Welt sagt, andererseits muß sem mit der Struktur der syntaktischen Repräsentation syn (und über diese vermittelt mit der linear aufgebauten phonetischen Repräsentation phon) zusammenhängen. Da natürliche Sprachen keine abgeschlossene Liste von Äußerungsstrukturen sind, müssen sowohl die Struktur der semantischen Repräsentationen wie ihre Beziehung zu den übrigen Strukturkomponenten auf systematischen Konstruktionsvorschriften beruhen. Wir kommen damit zu der Abhängigkeit der Äußerungsstrukturen von den verschiedenen Regelsystemen, die wir in Abschnitt 2. als wesentlichen Bestandteil der Kenntnissysteme betrachtet haben, die das Sprachverhalten tragen. Ich wende mich zunächst dem Zusammenhang der semantischen mit der syntaktischen Repräsentation einer Äußerung zu. In (D 2) habe ich der allgemeinen und gut begründeten Auffassung folgend sem als Bestandteil der sprachlichen Struktur / aufgefaßt, wobei / Element der Menge L(G) ist, und G ist das System von Regeln, das der Sprache zugrunde hegt, zu der / gehört. Wie sem mit syn zusammenhängt, wird demnach für jede einzelne Sprache durch die Grammatik dieser Sprache bestimmt, und zwar im Rahmen der allgemeinen Möglichkeiten, die das System UG universeller Prinzipien festlegt. Dieser allgemeine Rahmen muß die verschiedenen Teilsysteme bestimmen, aus denen die Grammatik besteht. Jede Theorie über diesen allgemeinen Rahmen muß die beiden folgenden Mindestbedingungen erfüllen: (B 1) Die Grammatik G einer natürlichen Sprache L enthält ein endliches System E von lexikalischen Einheiten. (B 2) Die Grammatik G enthält ein endliches System R von Regeln und Bedingungen, die zusammen eine Funktion F spezifizieren dergestalt, daß sich jede Struktur l aus L als Wert von F angewendet auf eine endliche Folge von Elementen aus E ergibt. Zu (B 1) ist nur die Erläuterung hinzuzufügen, daß die lexikalischen Einheiten
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im Grenzfall selbst Elemente aus L, also Tripel der Form (phon, syn, sem) sein können, daß sie aber im allgemeinen nicht vollständig spezifizierte phonetische, syntaktische und semantische Charakteristiken aufweisen müssen, sondern durch Regeln oder Bedingungen, die zu R gehören, komplettiert werden können. Anders ausgedrückt, die lexikalischen Einheiten enthalten alle und nur die Informationen, die nicht durch allgemeinere Regeln festgelegt sind. Die Bedingung (B 2) garantiert, daß jede Struktur / sich vollständig auf die in ihr enthaltenen lexikalischen Einheiten und die Art ihrer Kombination zurückführen läßt. Etwas spezieller heißt das, daß erstens der Aufbau sowohl von syn wie von phon und sem sich aus den in l enthaltenen lexikalischen Einheiten und der Art ihrer Verknüpfung ergibt, und daß zweitens die Zuordnung dieser drei Repräsentationen zueinander durch die Regeln aus R garantiert wird. Damit ist sogleich deutlich, daß R aus verschiedenen Subsystemen Rlf R2,..., Rn bestehen muß, die diese verschiedenen Zusammenhänge determinieren. Im Rahmen dieser beiden Bedingungen sind eine Vielzahl von detaillierteren Annahmen und Modellbildungen möglich. Vergleiche von ausgeführten Modellvorstellungen finden sich u. a. bei J. D . F O D O R (1977), PARTEE (1976) und bei PASCH/ZIMMERMANN (1982). Eine grobe Schematisierung der Beziehungen zwischen den verschiedenen Komponenten von G läßt sich folgendermaßen darstellen:
Jede dieser Regelgruppen kann auf verschiedene Weise untergliedert sein und aus Regeln verschiedenen Typs bestehen. Ohne auf Einzelheiten eingehen zu können, will ich annehmen, daß eine empirisch begründete Aufgliederung der Regelsysteme im wesentlichen den von CHOMSKY (1965 und 1977) entwickelten Grundzügen entsprechend aufgebaut werden kann. Grundsätzlich aber gilt, daß alle Annahmen in dieser Hinsicht als empirisch zu begründende Hypothesen über die mentalen Prinzipien aufzufassen sind, die der Organisierung sprachlicher Kenntnisse zugrunde liegen. Im Hinblick auf die Beziehung zwischen syn und sem will ich einen generellen Gesichtspunkt verdeutlichen, der für die Formulierung von Annahmen über diese Prinzipien eine Rolle spielt. Offensichtlich sind syntaktische und semantische Repräsentationen sprachlicher Äußerungen nicht generell isomorph. (Andernfalls könnten syn und sem identifiziert werden, wie dies bei der Konstruktion formaler Sprachen aus den oben erörterten Gründen getan wird.) Andererseits ist es eine vernünftige Annahme,
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natürliche Sprachen als effektive Codierungssysteme anzusehen, deren syntaktische Form nicht arbiträr von der Form der auszudrückenden Gedanken und damit von der semantischen Struktur abweicht. Diese beiden Gesichtspunkte zusammen besagen, daß einerseits strukturelle Divergenzen zwischen syn und sem durch autonome Prinzipien, die die syntaktischen Wohlgeformtheitsregeln organisieren, bedingt sein müssen, und daß andererseits die Struktur von sem soweit durch die Struktur von syn determiniert wird, wie das nicht durch inhärente Prinzipien von sem eingeschränkt wird. 4.2. Nehmen wir nun für die weitere Diskussion an, daß die semantische Repräsentation des Satzes (13), die sich durch entsprechende Projektionsregeln aus der syntaktischen Struktur (14) ergibt, in der in (15) angegebenen Weise dargestellt werden kann. (13) Hans weckt den Hund.
Hans
weckt
den
Hund
Die in dieser Darstellung gemachten Annahmen lassen zahlreiche wesentliche Einzelheiten beiseite, da es mir jetzt nur darum geht, den Charakter der internen Struktur von sem zu erörtern. Es darf also nicht generell mit einer so direkten Entsprechung zwischen der syntaktischen und der semantischen Repräsentation gerechnet werden, wie das hier unterstellt ist. Da die semantische Repräsentation als Ganzes eine Funktion, eine komplexe Regel, zur Identifizierung der Extension ist, muß ihre interne Struktur den Aufbau dieser Funktion darstellen. Anhand unseres einfachen Beispiels läßt sich verdeutlichen, daß dafür zwei Arten von Regeln bekannt sein müssen: (A) die Regeln, die die semantische Information der Lexikoneinheiten ausmachen, die also für die Grundelemente, aus denen eine Äußerung besteht, die Bestimmung der jeweiligen Extension determinieren;
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(B) die Regeln, die die schrittweise Verknüpfung von Teilregeln zu der komplexen Funktion bestimmen, die die Extension der gesamten Äußerung determiniert. In unserem Beispiel symbolisiert F3 diese resultierende komplexe Funktion, und F2 und Fl sind Zwischenstufen, die die Verknüpfung der Ausgangsregeln zu F3 vermitteln. Zur Verständigung gebe ich eine Umschreibung sowohl der zu (A) gehörenden Intensionen der lexikalischen Einheiten wie der auf Grund der Regeln aus (B) gebildeten Komplexe, die in unserem Beispiel vorkommen: (16) (a) HANS ist eine Funktion, die in jeder beliebigen Welt ein Individuum h identifiziert, das Hans heißt, d. h. HANS(ci) = h (b) WECKEN ist eine Funktion, die in jeder beliebigen Welt die Menge von Paaren x und y identifiziert, für die gilt, x weckt y, d.h. WECKEN(ci) = {x, y:x weckt y} (c) H U N D ist eine Funktion, die in jeder beliebigen Welt die Menge aller Hunde identifiziert, d. h. HUND(ci) — {x:x ist ein Hund} (d) SPEZ ist eine Funktion, die in jeder beliebigen Welt auf eine Menge X angewendet werden kann und in dieser Menge ein bestimmtes Element k identifiziert, d. h. SPEZ(X)(c/) = k (e) F1 ist eine Funktion, die in jeder beliebigen Welt einen bestimmten Hund identifiziert, d. h. F^ct) = SPEZ(HUND(ci))(ci) (f) F2 ist eine Funktion, die in jeder beliebigen Welt die Menge der Individuen identifiziert, die einen bestimmten Hund wecken, d. h.F 2 (ct) = {x:x weckt SPEZ(HUND(c?))(c/)} (g) F3 ist eine Funktion, die in jeder beliebigen Welt den Sachverhalt identifiziert, daß h einen bestimmten Hund weckt, d. h. F3(ct) = h e F2(ct) In dieser Illustration sind (16) (a) bis (d) Regeln, die unter (A) fallen, (e) bis (g) sind die komplexen Regeln, die aus den ersteren mittels der zu (B) gehörenden Regeln aufgebaut werden. Statt diese zu (B) gehörenden semantischen Kombinationsregeln hier zu formulieren, die die Bildung von Fu F2 und F3 (und allgemein die Bildung beliebiger zusammengesetzter Funktionen) determinieren, will ich nur die folgenden allgemeinen Feststellungen über ihren Charakter machen: Erstens: Die semantischen Kombinationsregeln nehmen jeweils Bezug auf den Typ der Funktionen, die kombiniert werden sollen. Beispiel: damit SPEZ mit H U N D kombiniert werden kann, muß HUND als Extension eine Menge haben; damit F2 mit HANS kombiniert werden kann, muß HANS als Extension ein Individuum haben. Um die semantischen Kombinationsregeln generell formulieren zu können, muß also ein System von Typen aufgestellt werden, dem die Teilfunktionen, aus denen sem jeweils besteht, zugeordnet werden. Diese Typen sind unmittelbar verbunden mit der Art von Entitäten, die die jeweilige Extension der semantischen Einheiten bilden: H U N D muß eine Menge, WECKEN eine Relation (d. h.
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eine Menge von Paaren), HANS ein Individuum und SPEZ eine Auswahlfunktion über einer Menge als Extension haben. Das Typensystem bildet damit einen konstitutiven Teil des Rahmens, der die strukturellen Beziehungen zwischen der logischen Form sprachlicher Ausdrücke und der logischen Struktur der Welt im oben erörterten Sinn bedingt. Die Typen legen in diesem Sinn die Ontologie fest, die einer gegebenen Sprache innewohnt und die sie auf die Welt projiziert. Zweitens: Die semantischen Kombinationsregeln nehmen Bezug auf die syntaktischen Beziehungen, die zwischen den Konstituenten bestehen, deren semantische Repräsentationen zu einer komplexen Funktion zu verknüpfen sind. Da die syntaktischen Beziehungen zum Teil durch die Kategorienzugehörigkeit der durch sie verknüpften Konstituenten bedingt ist, ergibt sich aus dem eben Gesagten, daß die syntaktischen Kategorien einer Sprache vermittelt durch die Typen der semantischen Einheiten auf die Struktur der Extensionen projiziert werden, also indirekt mit der Ontologie zusammenhängen, die die Sprache auf die Welt projiziert. Dieser Zusammenhang ist insofern indirekt, als ja syn und sem nicht grundsätzlich isomorph sind, sondern zwischen ihnen die Projektionsregeln im Sinne des Schemas (12) vermitteln. Drittens: Das Resultat einer semantischen Kombinationsregel, also die durch sie erzeugte komplexe Funktion, ist vollständig determiniert durch die Funktionen, auf die sie angewendet wird. In unserem Beispiel ist also z. B. die Funktion F3 (die den Sachverhalt identifiziert, daß Hans einen bestimmten Hund weckt) vollständig determiniert durch die Verbindung der Funktionen HANS und F2. Die Regel, die diese beiden Funktionen kombiniert gilt generell für die Verbindung von zwei Funktionen Ft und F. und sie lautet, stark vereinfacht, folgendermaßen: (17) Wenn Ft die Intension des Subjekts und Fj die Intension des Prädikats eines Satzes 5 ist und F. hat als Extension ein Individuum k und F. hat als Extension eine Menge M, dann ist Fk die Intension von 5 und Fk hat als Extension den Sachverhalt ke M. Setzt man in (17) die Intensionen unseres Beispiels ein, nämlich HANS für F. und F2 für Fjt dann ergibt sich F3 als Resultat mit der in (16) (g) angegebenen Charakteristik. Mit anderen Worten zusammengefaßt: die nach bestimmten Typen klassifizierten Intensionen lexikalischer Einheiten ergeben auf Grund der semantischen Kombinationsregeln eine beliebig erweiterbare Menge von Intensionen komplexer Ausdrücke. In diesem Sinn können wir die unter (A) postulierten und unter (16) (a) bis (d) illustrierten Regeln die lexikalische Semantik einer Sprache nennen, die unter (B) postulierten und in (17) illustrierten Regeln die strukturelle Semantik. Von diesen beiden Bestandteilen ist die strukturelle Semantik (zusammen mit der lexikalischen Semantik der sogenannten logischen Elemente wie und, oder, wenn — dann, alle, ein usw.) im Rahmen der formalen Logik systematisch ausgearbeitet worden. Es ist aber nach dem Gesagten klar, daß die Intension
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komplexer Ausdrücke immer nur so weit determiniert ist, wie auch die Intension der in ihnen vorkommenden lexikalischen Einheiten gegeben ist. Damit ergibt sich die Frage, ob eine formale Theorie der lexikalischen Semantik möglich ist, ob — um bei unserem Beispiel zu bleiben — die durch H U N D oder durch W E C K E N repräsentierten Funktionen formal charakterisiert werden können. 4.3. U m das hier bestehende Problem zu verstehen, muß man sich klar machen, daß Regeln der in (17) illustrierten Art als rein formale Operationen charakterisiert werden können, die unabhängig davon sind, welche konkreten Extensionen die von ihnen kombinierten Funktionen haben. Dies gilt aber im allgemeinen nicht für die lexikalischen Regeln: Die Funktion, die als Wert die Menge der Hunde determiniert, kann nicht im gleichen Sinn als formale Operation angegeben werden. Die Verfahrensweise der formalen, logischen Semantik gegenüber diesem Problem ist, es aus der Behandlung auszuklammern und von der Voraussetzung auszugehen, daß z. B. H U N D , K A T Z E , H A U S , W E C K E N , L A U F E N als geeignet unterschiedene Funktionen gegeben sind, so daß ihre Rolle in der kombinatorischen Struktur der logischen Form garantiert ist. Bleibt die Frage, ob damit eine prinzipielle Grenze angegeben ist, oder ob die Grundlagen der formalen Semantik eine Einbeziehung dieser für die Semantik natürlicher Sprachen entscheidende Problematik erlauben. 4.3. Ein Schritt in dieser Richtung ergibt sich, wenn die Intensionen lexikalischer Einheiten nicht unreduzierbare Einheiten sind, sondern als kombinatorische Strukturen behandelt werden können. Dieser Schritt führt zur Einbeziehung der semantischen Komponentenanalyse in die formale Semantik. Was ich im Beispiel (15) durch die elementare, lexikalische Intension W E C K E N angegeben habe, wird dabei zu einer Verknüpfung von elementareren Komponenten, und (15) wäre etwa durch die folgende Repräsentation zu ersetzen: HANS
CAUS
NICHT
SCHLAFEN
SREZ
HUND
Mit diesem Schritt verändert sich das Verhältnis zwischen dem, was wir bisher als lexikalische und strukturelle Komponente der Semantik unterschieden haben: Die strukturelle Semantik bestimmt nun auch den Aufbau mindestens eines Teils der Intensionen lexikalischer Einheiten, und die formal nicht charakterisierbaren
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Intensionen können als formal zusammengesetzt analysiert und partiell auf formal charakterisierbare elementare Intensionen zurückgeführt werden. Formal charakterisierbar in diesem Sinn ist jedenfalls NICHT, möglicherweise CAUS 2 3 , aber mit Sicherheit nicht SCHLAFEN. Die Einbeziehung der Komponentenanalyse in die formale Charakterisierung der semantischen Repräsentation verschiebt dem-, nach zunächst nur die Grenzen des Problems, löst es aber nicht. Das wird noch deutlicher, wenn wir lexikalische Einheiten wie Hund betrachten. Die Aussonderung von Komponenten wie LEBEWESEN, TIER, VIERFÜSSLER etc. im Sinne der üblichen Komponentenanalyse führt erstens nicht zu formal charakterisierbaren Intensionen, und zweitens bleibt die Notwendigkeit Hund, Katze, Pferd etc. zu unterscheiden, was auf die Annahme genau der problematischen Komponente hinausläuft, die durch H U N D zu repräsentieren ist und die Menge der Hunde identifiziert. Die Frage bleibt also, wie die Kenntnis charakterisiert werden kann, auf Grund deren Sprecher einer natürlichen Sprache lexikalische Einheiten wie Hund, schlafen und wecken semantisch interpretieren. Hält man an der Grundüberlegung fest, daß die semantische Struktur einer Äußerung und insbesondere eines Wortes die Funktion ist, auf Grund deren — bezogen auf einen gegebenen Kontext — die Extension bestimmt werden kann, dann muß ein Wort wie Hund mit einer Funktion verbunden sein, die im jeweils gegebenen Kontext genau die Klasse der Hunde aussondert. Diese Funktion muß als System von Kriterien bestimmbar sein, die über die Zugehörigkeit eines Individuums zu dieser Klasse entscheidet. PUTNAM (1975) hat nun eine Reihe von Fällen diskutiert, an denen deutlich wird, daß diese Forderung nicht generell einlösbar ist, genauer: daß die lexikalische Bedeutung nicht grundsätzlich als Intension bestimmt werden kann und zugleich als Kenntnis der einzelnen Sprecher. Ein Sprecher, der das Wort Hund mit seiner Bedeutung kennt, muß nämlich durchaus nicht in der Lage sein, genau die Kriterien anzugeben, die Hunde von anderen Tieren unterscheiden. Im Zweifelsfall ist vielmehr der Rückgriff auf das Urteil entsprechender Spezialisten entscheidend. In solchen Fällen kennt der einzelne Sprecher im allgemeinen nicht die genauen Kriterien, die die Extension bestimmen, und also nicht im strengen Sinn die Intension. Da sich, mit anderen Worten, die Kenntnis der Intension auf verschiedene Spezialistengruppen einer Sprachgemeinschaft verteilt, spricht PUTNAM hier von linguistischer Arbeitsteilung. 24 23 M
Einen interessanten Vorschlag in dieser Richtung hat DOWTY (1976) gemacht. In welchem Ausmaß der Rückgriff auf Expertenkenntnis (im Prinzip, nicht im Einzelfall) von Belang ist, ist selbst wieder ein offenes Problem. So ließe sich etwa argumentieren, daß schlafen einen biologischen Zustand identifiziert (also die jeweilige Menge der in diesem Zustand befindlichen Individuen als Extension hat), dessen genaue Charakteristika durch Expertenurteil festgelegt sind. In dem Maß, in dem Nichtexperten diese Kriterien nicht kennen, kennen sie damit auch nicht die Intension von schlafen, d. h. sie kennen nicht die
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Wichtiger als dieser Punkt ist jedoch die Frage, was die semantische Kenntnis ist, die der Durchschnittssprecher mit lexikalischen Einheiten der fraglichen Art verbindet. Die Antwort auf diese Frage muß zugleich den Charakter der semantischen Struktur der lexikalischen Einheiten zu klären gestatten, die nicht durch .linguistische Arbeitsteilung' an Expertenurteile gebunden sind, die jedoch nicht durch formale Funktionen rein logischer Art beschrieben werden können. P U T N A M schlägt als Antwort auf diese Frage das Konzept .Stereotyp' vor. Ein Stereotyp ist die Zusammenfassung der aus der Alltagserfahrung gewonnenen Kenntnis zu einer Repräsentation, die einem typischen Exemplar der fraglichen Klasse entspricht. In bezug auf diesen Prototyp wird dann die Zugehörigkeit von Elementen zur Extension eines Wortes bestimmt. Die Bestimmung der Extension wird damit nicht mehr durch einen Satz von Kriterien entschieden, sondern durch Ähnlichkeit mit dem Stereotyp. Ehe wir diesen Lösungsweg weiter erörtern können, ist es notwendig, den Charakter des Bereichs der Extensionen insgesamt näher ins Auge zu fassen.
5. Konzeptuelle Strukturen und Äußerungsbedeutungen 5.1. Bei der Erörterung der Aspekte sprachlicher Äußerungen habe ich bisher die als Äußerungskontext et und als Äußerungsbedeutung m bezeichneten Komponenten dadurch bestimmt, daß et als wesentlichen Bestandteil einen Weltausschnitt oder allgemeiner eine mögliche Welt w enthält und m die Extension e, die die Äußerung u in bezug auf w annimmt. Dabei habe ich zunächst den Charakter von w und e vollkommen offengelassen, bis auf die generelle Annahme, daß Welten und Extensionen strukturiert sein müssen und daß diese Struktur dem Zusammenhang zwischen der semantischen Repräsentation und der Äußerungsbedeutung zugrunde liegt. Fragen wir uns nun nach der Herkunft dieser Strukturierung und allgemeiner nach dem Charakter von w und e, so ist die nächstliegende Antwort offenbar diese: Die Welt w, die zum Kontext et gehört, ist die Umwelt, über die wir sprechen, und die Extension e sind die Dinge und Sachverhalte in w, auf die wir mit der Äußerung verweisen. Mit anderen Worten, während die semantische Repräsentation sem — zusammen mit den übrigen Komponenten der linguistischen Struktur / — interne Repräsentationen, also mentale Strukturen sind, sind Funktion SCHLAFEN. Eine andere Blickweise auf dieses Problem wäre die, daß Experten eine andere Bedeutung mit dem Wort schlafen verbinden als die Durchschnittssprecher, daß also zwei Intensionen SCHLAFEN und SCHLAFEN' existieren. Auch wenn man diese wiederum nicht unproblematische Lösung akzeptiert, bleibt die Frage nach dem Verhältnis dieser beiden Intensionen zueinander, das ja nicht in einfacher Mehrdeutigkeit wie etwa bei Bank oder ziehen (in es zieht vs. er zieht ihn) besteht. 4
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et und m wesentlich Gegebenheiten der Umwelt, also nicht mentaler Natur, und ihre Struktur ist die externe Struktur, die die Umwelt aufweist. Diese Auffassung, so natürlich sie scheint, führt zu grundsätzlichen Schwierigkeiten. Ein erstes gravierendes Problem ergibt sich daraus, daß sprachliche Äußerungen sich nicht nur auf die reale Umwelt (einschließlich so wenig ,externer' Dinge wie Absichten, Gefühle, Gedanken, Einstellungen usw.) beziehen können, sondern auch auf fiktive, irreale, nicht wirkliche Welten und die Dinge und Sachverhalte, aus denen sie bestehen. Dieses Problem könnte man dadurch zu lösen versuchen, daß man die Gleichsetzung von w mit der tatsächlichen Welt und von e mit den tatsächlichen Dingen, Beziehungen, Eigenschaften und Sachverhalten als primär ansieht und die Einbeziehung fiktiver Welten als sekundär und abgeleitet betrachtet. Tatsächlich gehört die Unterscheidung zwischen realen, wirklichen und nur erwogenen, geplanten oder fiktiven Sachverhalten zu den Grundbedingungen der Verhaltensregulation, die die praktische Auseinandersetzung mit der Umwelt garantieren. Es fragt sich allerdings, ob dieser Unterschied einer in der Natur der Äußerungsbedeutung ist, der gewissermaßen zwei semantische Theorien rechtfertigt, eine für Äußerungen über die tatsächliche Welt und eine für Äußerungen über fiktive Welten. Ist die Äußerungsbedeutung der Sätze eines Romans grundsätzlich anderer Art als die einer historischen Abhandlung? Aber auch wenn man die Teilung der Semantik in zwei verschiedene Systeme in Kauf nähme — deren Abgrenzung zudem äußerst problematisch wäre, da die Unterscheidung von Äußerungen über tatsächliche und über fiktive Sachverhalte vielfach gar nicht auszumachen ist —, so bliebe ein zweites, noch fundamentaleres Problem, das mit der Herkunft der Struktur sowohl der fiktiven Welten wie der tatsächlichen Welt verbunden ist. Die naive Auffassung, daß die Realität eine vorgegebene Gliederung in Dinge und Klassen und Sachverhalte aufweist, die wir mit Hilfe unseres Wahrnehmungsapparates lediglich abbilden, erweist sich bei näherem Hinsehen als Irrtum. Die Strukturierung der Umwelt, die Aussonderung von Dingen mit bestimmten Eigenschaften und von Sachverhalten, in die sie eingegliedert werden, ergibt sich erst durch die vom kognitiven Gesamtsystem gesteuerte Auseinandersetzung mit der Umwelt. Anders ausgedrückt, die Welt nimmt eine bestimmte Struktur an, indem wir Erfahrungen in ihr machen, sie den perzeptiven und konzeptuellen Bedingungen unserer Kenntnissysteme entsprechend verarbeiten, und erst die so erzeugte Struktur ist es, die in gedanklichen Strukturen festgehalten und sprachlich wiedergegeben wird.25 Um diese Auffassung etwas hand25
Diese Überlegung darf nicht als subjektivistisch oder idealistisch mißverstanden werden. Erstens handelt es sich bei dem, was ich das kognitive Gesamtsystem genannt habe, selbst um ein spezielles, außerordentlich komplexes materielles System, das seine generellen Eigenschaften im Evolutionsprozeß gewonnen hat; zweitens eignet es sich im Rahmen dieser biologisch bedingten Eigenschaften gesellschaftlich bedingte Strukturen in Form von Kenntnissystemen an;
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habbarer zu machen, will ich die auf die Umwelt projizierte Struktur das interne Modell nennen. Nur in der Form des internen Modells hat die Umwelt eine bestimmte Struktur, auf die wir uns beziehen können. Und meine These ist nun, daß das innere Modell der Extensionsbereich sprachlicher Äußerungen ist, daß es ihren Kontext bildet und daß zu ihm die Äußerungsbedeutung gehört. Kurz, das worüber wir sprechen, ist das interne Modell, die auf die Realität projizierte Struktur. Im verbleibenden Teil dieses Beitrags will ich diese These begründen und erläutern und einige der sich daraus für die hier angeschnittenen Themen ergebenden Konsequenzen erörtern. 5.2. Zunächst ist deutlich, daß das interne Modell eine mentale Struktur ist und in dieser allgemeinen Hinsicht mithin vom gleichen Charakter wie sprachliche Strukturrepräsentationen. Operationen auf diesem Modell, Veränderungen, Erweiterungen, Einschränkungen, sind Prozesse, die im weitesten Sinn das ausmachen. was man unter Denken verstehen kann. Das interne Modell kommt zustande als Resultat sowohl der perzeptiven Information, die die Sinnesorgane aufnehmen, wie durch die Verarbeitung konzeptueller, insbesondere sprachlich vermittelter Informationen, und durch gedankliche Prozesse im eben erwähnten Sinn von Operationen über diesem Modell. Und das interne Modell liegt dem externen Verhalten, der praktischen Einwirkung auf die Umgebung zugrunde. Alle diese Prozesse verlaufen nicht unabhängig voneinander, sondern in entsprechenden Wechselwirkungen, was im folgenden Abschnitt noch etwas näher zu erörtern ist. Das besagt unter anderem auch, daß das interne Modell keineswegs nur direkt durch die Rezeptoren vermittelte, in einem Sinn des Wortes konkrete Dinge und Sachverhalte repräsentiert, sondern auch alle Arten von vermittelten, indirekten oder abstrakten Entitäten. Diese Auffassung über die Rolle des internen Modells als mentaler Repräsentation führt zunächst zu einer zwanglosen und vernünftigen Lösung des ersten der oben genannten Probleme der semantischen Struktur, das den Charakter der möglichen Welten betrifft. Wenn die Welt, auf die sich sprachliche Äußerungen beziehen, das interne Modell ist, dann ergeben sich durch entsprechende Abwandlungen innerhalb dieses Modells die verschiedenen Arten
drittens besagt die Projektion von Strukturen auf die Umwelt bei der Wechselwirkung zwischen Individuum und Umwelt keineswegs, daß dieser Struktur keine Korrelate in der Umwelt entsprechen. Nur erweisen sie sich erst auf Grund der Wechselwirkung von Individuum und Umwelt als die Korrelate zu der projizierten Struktur. Es ist ein Gemeinplatz, daß dabei auch Strukturen auf die Realität projiziert werden, denen keine Korrelate entsprechen, angefangen von Sinnestäuschungen bis zu ganzen Überzeugungssystemen (die M A R X falsches Bewußtsein oder Ideologie genannt hat). Die Aufdeckung derartiger falscher' Projektionen ist gerade darum ein verwickelter und indirekter Prozeß, weil die Erzeugung von Strukturen in der Umwelt eine konstitutive Bedingung der Wechselwirkung zwischen Organismus und Umwelt ist. 4*
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möglicher Welten: Zukunftsprojektionen, durch Einführung fiktiver Elemente gebildete irreale Welten, Welten, die auf Sinnestäuschung oder Halluzination beruhen, etc. Die Semantik sprachlicher Ausdrücke unterscheidet sich im Hinblick auf alle diese Abwandlungen des Modells nicht, und es ist zugleich die Beziehung zwischen diesen Welten interpretiert durch die verschiedenen kognitiven Operationen, durch die sie auseinander hervorgehen oder zueinander in Beziehung stehen. Damit bleiben allerdings zwei Fragen offen. Die erste betrifft den unterschiedlichen Status dieser verschiedenen Welten und insbesondere den Charakter des Modells, das wir als das Modell der tatsächlichen Welt ansehen. Auch wenn fiktive, geplante oder gewünschte Welten im Prinzip in gleicher Weise aus Dingen, Beziehungen, Sachverhalten bestehen, durch Orts- und Zeitkoordinaten usw. strukturiert sind wie die tatsächliche Welt, so behält diese doch einen primären, fundierenden Status. Allerdings ist, wie bereits erwähnt, der Unterschied zwischen der tatsächlichen Welt und fiktiven Alternativen keineswegs immer deutlich, und es ist leicht, Beispiele für Strukturen anzugeben, die über lange Zeit als Strukturen der tatsächlichen Welt aufgefaßt worden sind und später durch andere ersetzt wurden. Praktisch alle Mythologien gehören in diesen Bereich. (Pathologische Grenzfälle bilden die Projektionen von Schizophrenen und Paranoikern.) Die Antwort auf das genannte Problem besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil ist die Tatsache, daß zur Struktur des konzeptuellen Systems, das die in Rede stehenden Repräsentationen erzeugt und strukturiert, auch die Möglichkeit zur Repräsentation der Operationen gehört, die planende oder erwartende Antizipationen, Fiktionen und Wunschvorstellungen als Modellalternativen erzeugen. Anders gesagt, sofern das interne Modell zwei (oder mehr) Modellalternativen aufweist, repräsentiert das konzeptuelle System zugleich die Operation oder Relation, durch die diese Alternativen verbunden sind oder auseinander hervorgehen. Der zweite Teil betrifft die Auszeichnung des besonderen Status der tatsächlichen Welt. Diese Auszeichnung wird dann und nur dann relevant, wenn das interne Modell zwei oder mehr alternative Welten repräsentiert. Mir scheint, daß das damit gegebene Problem nur behandelt werden kann unter Bezugnahme auf das praktische Verhalten (im weiteren Sinn), und zwar in folgendem Sinn: (T) Von zwei Welten wl und w2 repräsentiert diejenige relativ zur anderen die tatsächliche Umwelt, die die Grundlage für die tatsächlichen Verhaltensentscheidungen bildet. Diese These gibt nur die Richtung an, in der eine genauere Formulierung auszuarbeiten wäre. Was sie besagt, ist eine Seite dessen, was in der marxistischen Erkenntnistheorie als das Praxiskriterium der Erkenntnis gefaßt wird. Verhaltensentscheidungen erweisen, welche Dinge und Sachverhalte als tatsächliche gelten,
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und die Konsequenzen dieser Verhaltensentscheidungen bestätigen oder verändern das Modell der tatsächlichen Umwelt. Die zweite Frage betrifft die Tatsache, daß die Interpretation der Struktur der Welt als mentale Repräsentation in Konflikt zu stehen scheint mit der Tatsache, daß die Welt .draußen' ist, nicht im Kopf, daß sie nicht ein mentaler Zustand ist, sondern allenfalls dessen Ursache, und daß wir sie als solche erfahren. Der Anschein dieses Konflikts entsteht durch die Kontamination von zwei verschiedenen Aspekten. Es darf als ziemlich unzweifelhaft gelten, daß das physiologische Organ, das die verschiedenen internen Repräsentationen erzeugt, das Zentralnervensystem und speziell der Cortex ist. In einem ganz generellen und noch kaum detaillier.baren Sinn sind also interne Repräsentationen an bestimmte Zustände dieses physiologischen Systems gebunden, sind sie also ,im K o p f . Als mentale Strukturen repräsentieren sie aber die Wechselwirkung zwischen Organismus und Umwelt. So wie die Schmerzempfindung zwar im Gehirn zustande kommt, aber repräsentiert wird als lokalisiert in dem schmerzenden Organ, so kommt das interne Modell der Welt im Gehirn zustande, und zwar auf Grund der kognitiven Operationen, die an dieses Organ gebunden sind, aber es wird repräsentiert als Struktur der externen Welt. (Das gilt weitgehend auch für fiktive Welten, die ebenfalls als ,draußen' repräsentiert werden. Nicht erst die Bühnenaufführung gibt z. B. der imaginierten Welt Hamlets diesen Charakter des draußen und unabhängig Bestehenden.) Genau diese Tatsache verhindert im Normalfall auch, daß das interne Modell als eine auf die Umgebung projizierte Struktur erfaßbar ist, da es eben als deren Struktur repräsentiert wird.26 Nach diesen eher erkenntnistheoretischen Vorüberlegungen wende ich mich den psychologischen und linguistischen Aspekten der umrissenen Auffassung zu. 5.3. Um den Charakter der Repräsentationen, die ich als internes Modell der Welt (bzw. von Weltalternativen) bestimmt habe, näher zu kennzeichnen, sind zunächst drei Punkte zu diskutieren: Erstens der projektive Charakter dieser Repräsentationen, zweitens das Zusammenwirken verschiedener Subsysteme bei ihrer Erzeugung, und drittens der konzeptuelle Charakter der Struktur. Zum ersten Punkt. Mit dem projektiven Charakter ist die Tatsache gemeint, daß die resultierende Struktur des internen Modells nicht in der Umwelt liegt, sondern durch die Operationsweise des kognitiven Systems erzeugt wird. Ich illustriere das Gemeinte mit drei Beispielen aus dem Bereich des visuellen Systems. Auf ganz elementarer Stufe formulieren die Gesetze der Psychophysik den Zusammenhang zwischen externen Stimuli und ihrer Repräsentation als phänomenale Werte im Wahrnehmungsfeld. Ohne auf die Einzelheiten des methodologischen Ansatzes und 26
Auf diese zugleich entdeckende und das Entdecken verdeckende Funktion des internen Modells bin ich durch die aufschlußreiche Erörterung dieses Problems in JACKENDOFF (im Druck) aufmerksam geworden.
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der resultierenden Gesetze eingehen zu müssen, kann man festhalten, daß z. B. wahrgenommene Helligkeitswerte das Resultat der Reizgröße und der Verarbeitungsform sind. Den projektiven, also das physikalische Signal modifizierenden Charakter drückt in diesem Bereich das Weber-Fechnersche Gesetz für verschiedene Sinnesmodalitäten aus. Für einen zusammenfassenden Überblick vgl. KLIX (1971 : Kap. 4). Eine komplexere Stufe der projektiven Organisation erfassen die verschiedenen in der Gestaltpsychologie analysierten Gestaltgesetze. Daß z. B. die vier Punkte
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als Quadrat und nicht als X oder als Punkte auf einem Kreisumfang wahrgenommen werden, ist dafür ein einfaches Beispiel. Wiederum ohne auf die Einzelheiten einzugehen, die noch der zusammenhängenden theoretischen Verarbeitung bedürfen, läßt sich sagen, daß die Prinzipien der Gestaltschließung, des Figur-Grund-Kontrastes etc. die Wirkung projektiver Strukturbildung demonstrieren. Schließlich zeigen die zahlreichen gut studierten optischen Illusionen besonders deutlich den strukturierenden Charakter der Wahrnehmung. Der entscheidende Punkt an ihnen ist ja gerade, daß in ihnen die Diskrepanz zwischen der projizierten (d. h. wahrgenommenen) und einer kontrollierenden Struktur faßbar wird. Parallele Feststellungen lassen sich für die anderen Sinnesmodalitäten treffen und gelten, wie wir sogleich sehen werden, nicht nur für die perzeptiven Systeme. Zum zweiten Punkt. Ich habe bereits im vorigen Abschnitt kurz erwähnt, daß das innere Modell in der Wechselwirkung der verschiedenen Systeme erzeugt wird. So wirken nicht nur akustische, optische und taktile Perzeption bei der Orientierung in alltäglichen Situationen zusammen. Es wird auch das motorische System etwa bei der Fortbewegung oder bei manuellen Verrichtungen durch das visuelle gesteuert, wobei die visuelle Information im Normalfall zunächst in das konzeptuell organisierte interne Modell integriert wird: man greift nach einer Tasse, einer Schere, nicht nach einem Farbfleck oder einem Glitzern. Diese Wechselwirkung besagt, daß es Kodierungsformen, Typen interner Repräsentationeri geben muß, in denen die verschiedenen Teilsysteme aufeinander bezogen werden können. Für diese Repräsentationsformen sind verschiedene Hypothesen möglich, über die empirisch zu entscheiden ist. Eine Hypothese wäre, daß es stufenweise integrierende Repräsentationen gibt, die verschiedene perzeptive Systeme, perzeptive und motorische, motorische und konzeptuelle usw. zusammenfassen. Eine andere wäre die, daß alle peripheren, an die Rezeptoren und Effektoren gebundenen Repräsentationen auf einen Vermittlungscode bezogen sind, der dann das konzeptuelle System sein müßte. Zum dritten Punkt. Wie auch immer die Lösung des eben formulierten Pro-
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blems aussehen wird, die perzeptiven und motorischen Systeme müssen an das konzeptuelle System angeschlossen sein. Das konzeptuelle System organisiert die Struktur des internen Modells, in ihm werden perzeptiv, motorisch und konzeptuell strukturierte Repräsentationen integriert. Erst auf dieser Stufe werden Dinge, Klassen und Sachverhalte repräsentiert und die Struktur der realen oder fiktiven Umwelt erzeugt. Daß die konzeptuelle Struktur die perzeptiven Repräsentationen beeinflußt oder sogar determiniert, läßt sich auf zahlreichen Wegen demonstrieren. So konnte METZLER ( 1 9 7 9 ) in einem Wiedererkennungsexperiment zeigen, daß abgebildete Gegenstände ebenso schnell identifiziert werden wie ihre Namen (auch wenn die Bilder ganz unähnlich sind), und daß sie sogar schneller zu Oberbegriffen zugeordnet werden als ihre Namen, was nichts anderes besagt, als daß sie bei der Wahrnehmung bereits konzeptuell repräsentiert werden. Bereits auf ganz intuitiver Ebene läßt sich dieser Zusammenhang verifizieren: ein Kind malt zuerst das, was es über die Gegenstände ,weiß', nicht was es sieht; ein Bergführer sieht die Landschaft anders als ein Tourist; für einen Mechaniker ist ein Motor eine organisierte Struktur, für einen Laien nur ein verwirrendes Konglomerat. 27 Kurz, welche Vermittlungen zwischen konzeptuellen und anderen Repräsentationsformen auch anzunehmen sind, das interne Modell muß konzeptuell repräsentiert sein und determiniert die Wechselwirkung mit der realen und die Erzeugung fiktiver Welten. 5.4. Zweck dieser relativ weitläufigen, aber dennoch außerordentlich provisorischen und unvollständigen Erörterungen ist die Charakterisierung der Kontexte und der Äußerungsbedeutung in dem in 3.1. eingeführten Sinn. Für beide haben wir mit dem internen Modell und seiner konzeptuellen Repräsentationsform zunächst den grundsätzlichen Bereich identifiziert und motiviert. Gewonnen ist damit allerdings eher eine Aufgabenstellung für weitere Forschungen als ein ausgearbeitetes Instrumentarium. Denn während die Linguistik für die Charakterisierung sprachlicher Kenntnisse, ihrer Grundelemente und Prinzipien, nicht nur ausgearbeitete, sondern sogar empirisch zu entscheidende Alternativvorstellungen entwickelt hat, steht eine entsprechende Entwicklung der Prinzipien des konzeptuellen Systems weitgehend aus. Ein erster bedeutender Ansatz, konzeptuelle Repräsentationen als Vermittlung zwischen Perzeption und Sprache zu charakterisieren und Regeln und Prinzipien zu formulieren, auf denen sie beruhen, ist der groß angelegte Entwurf von MILLER und JOHNSON-LAIRD ( 1 9 7 6 ) . Was eine Theorie
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Ein besonders drastisches Beispiel für die Projektion konzeptueller Strukturen ist mir in einem Science-Fiction-Film begegnet, in dem der Protagonist ein Gerät erfunden hatte, dessen Strahlen Gegenstände vergrößern oder verkleinern können. Auf einen telephonierenden Mann gerichtet, verwandelten diese Strahlen ihn in einen Zwerg, der am Boden stand unter einem riesigen, baumelnden Telephonhörer. Die unreflektierte Unterstellung war, daß die Strahlen die gleiche strukturelle Aufteilung der Welt in Dinge vornehmen wie die konzeptuelle Projektion des Menschen.
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des konzeptuellen Systems als dessen Prinzipien ermitteln muß, sind die Grundelemente und die Typen möglicher Strukturbildung. Ehe ich auf diese beiden Aspekte kurz eingehe, will ich noch einige Vorüberlegungen anstellen. Erstens. Ausgangspunkt unserer Betrachtungen zum Charakter konzeptueller Strukturen war die Frage nach der Herkunft der Struktur des Bereichs der Extension sprachlicher Ausdrücke. Ohne Begründung dieser Struktur erwiesen sich die lexikalischen Intensionen als nicht formulierbar und damit die Struktur semantischer Repräsentationen als nicht fundiert. Mit der konzeptuellen Struktur des internen Modells haben wir die fragliche Struktur im Prinzip identifiziert. Ihre Herkunft ergibt sich aus den kognitiven Prinzipien und Operationen, die die Interaktion mit der Umwelt determinieren. Die Ermittlung dieser Prinzipien und Operationen ist eine empirische Aufgabe im gleichen Sinn wie die Aufdeckung der Prinzipien der syntaktischen oder phonetischen Struktur. Neben der systematischen Einbeziehung und Weiterführung von Ergebnissen, die z. B. in der Gestaltpsychologie formuliert sind und die von der perzeptiven Seite her Prinzipien des konzeptuellen Systems zu identifizieren gestatten, spielt dabei vor allem der Zusammenhang zwischen sprachlicher und konzeptueller Struktur eine entscheidende Rolle. Die Gründe dafür sind erstens die Tatsache, daß die Sprache in gewissem Sinn den unmittelbarsten Zugang zu konzeptuellen Repräsentationen bildet, und zweitens der oben erörterte Zusammenhang zwischen allgemeinen Bedingungen der Struktur von Extension und Intension. Letzteres heißt, daß unabhängig motivierte Annahmen über die Struktur semantischer Repräsentationen immer auch Rückschlüsse auf die konzeptuellen Repräsentationen erlauben. Das gilt insbesondere für das System der Typen von Intensionen und die ihnen entsprechenden Arten von konzeptuellen Entitäten, also für die Ontologie des internen Modells. Zweitens. Die Interpretation der Extension einer Äußerung als konzeptuelle, mentale Repräsentation führt zusammen mit ihrer eben erörterten strukturellen Verwandtschaft mit der semantischen Repräsentation zu der Frage, ob die Unterscheidung zwischen diesen beiden Repräsentationen damit nicht ein Artefakt wird, ob nicht, mit anderen Worten, die konzeptuelle Repräsentation selbst als semantische Struktur zu interpretieren ist. In der Tat hat JACKENDOFF ( 1 9 7 8 ) genau diesen Schritt getan. Die konzeptuellen Repräsentationen werden damit direkt der syntaktischen Struktur zugeordnet. Die Entscheidung zwischen diesen Alternativen ist eine empirische Frage, die an Hand relevanter Fakten entschieden werden muß. Ich werde zwei mögliche Gründe, die gegen eine solche Identifizierung sprechen, in "den nächsten Abschnitten erörtern. Man könnte übrigens versucht sein, die Identifizierung der semantischen mit der konzeptuellen Struktur zu verteidigen und dennoch die Unterscheidung von Intension und Extension beizubehalten, indem man die konzeptuellen Repräsentationen als Regeln zur Identifizierung von Dingen, Sachverhalten etc. interpretiert, die dann allerdings nicht mentale, sondern
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,externe' Entitäten wären. Damit wären aber wieder alle Probleme offen, die wir durch die Identifizierung der Extension mit den konzeptuellen Strukturen gelöst haben. Überdies wäre dieser Schritt gerade nicht im Sinne JACKENDOFFS. Die konzeptuellen Repräsentationen erzeugen Strukturen in der Umwelt, sie identifizieren nicht bereits vorgegebene Strukturen. Drittens. Die Annahme eines konzeptuellen Systems mit eigenen Regeln und Prinzipien erlaubt eine natürliche Uminterpretation eines alten linguistischen Problems, nämlich der Analyse semantisch abweichender Sätze. Die Annahme von Selektionsbeschränkungen, die den lexikalischen Einheiten zugeordnet sind, um Sätze wie (19) oder (20) auszuschließen, wird überflüssig, da die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Verbindung entsprechender konzeptueller Einheiten ohnehin durch Regeln der konzeptuellen Strukturbildung determiniert ist, unabhängig von ihrer sprachlichen Realisierung. (19) *Der Stein floß den Himmel hinaus. (20) * Die Zahlen freuten sich über ihren Bruder. Umgekehrt hören Sätze, die durch Selektionsbeschränkungen ausgeschlossen sind, auf, anomal zu sein, wenn sie in einer geeigneten Welt interpretiert werden. — So würde (20) als Äußerung über eine Welt, in der Zahlen personifiziert sind, nicht mehr anomal sein, wohl aber wäre diese Welt .anomal'. — Wohlgemerkt, die Probleme, die mit Sätzen wie (19) und (20) verbunden sind, verschwinden nicht, sie nehmen aber eine andere und wie mir scheint vernünftigere Stelle ein: sie erweisen sich als konzeptuelle, nicht als linguistische Probleme. 5.5. Ich will jetzt drei Probleme der formalen Struktur konzeptueller Repräsentationen diskutieren und anschließend zu den konzeptuellen Grundelementen und der Charakterisierung lexikalischer Einheiten kommen. Erstens. Die in 5.3. angestellten Überlegungen über Herkunft und Charakter konzeptueller Strukturen haben zur Konsequenz, daß sie in einem bestimmten Sinn abstrakter Natur sein müssen. Auch die perzeptiven Informationen, die ihnen zugeordnet' sind (um eine hinreichend vage Formulierung zu gebrauchen), müssen in dem Sinn abstrakt kodiert sein, daß konzeptuelle Operationen über ihnen möglich sind. In dieser Hinsicht ist demnach anzunehmen, daß sie ähnlich beschrieben werden können wie semantische und syntaktische Strukturen, nämlich als formale Konfigurationen von Elementen eines fixierten Repertoires. Zweitens. Das besagt aber weder, daß die Elemente noch daß die Verknüpfungsweisen gleicher Art sind wie in sprachlichen Repräsentationen. Letzteres will ich an einem Problem in zweifacher Hinsicht illustrieren. Eine etwas vereinfachte semantische Repräsentation des Satzes (21) könnte etwa (22) sein: (21) Hans hört, daß man ihn ruft.
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Der Index bei HANS und X gibt die hier intendierte Lesung mit Koreferenz von Hans und ihn an. Bei dieser Bedingung haben die beiden Intensionen HANS und X die gleiche Extension, sie identifizieren das gleiche Individuum. Während es zu den charakteristischen Mitteln der Sprache gehört, durch verschiedene Elemente (mit gleicher oder unterschiedlicher Intension) auf die gleiche Extension zu verweisen, gibt es für deren wiederholte Repräsentation in der konzeptuellen Repräsentation kein Indiz — was nicht heißt, daß das a priori auszuschließen ist. Angenommen, daß die wiederholte Repräsentanz des gleichen Objekts in einer konzeptuellen Struktur für einfache Fälle wie (21) nicht zulässig ist, dann ergibt sich als Extension von (22) in einer gegebenen Welt eine von (22) ganz verschiedene Repräsentation. Während (22) mehrfache Repräsentanz eines Objekts aufweist, liegt in der semantischen Struktur von (23) das umgekehrte vor, nämlich Zusammenfassung mehrerer Objekte in einer Einheit: (23) Viele Schachmeister
sind Lehrer.
Während in der semantischen Repräsentation von (23) die Intension von viele Schachmeister als eine (komplexe) Einheit erscheint, ist anzunehmen, daß ihre Extension die Repräsentation einer Menge von Individuen ist. JOHNSON-LAIRD und STEEDMAN (1978) haben gefunden, daß Deduktionen über quantifizierten Sätzen vom Typ (23) offenbar auf der Konstruktion solcher Mengen und dem Operieren mit ihnen beruht. Treffen diese Überlegungen zu, dann folgt daraus, daß konzeptuelle Repräsentationen nicht nur gewissermaßen lokal andere Struktur haben als die semantischen Repräsentationen, deren Extension sie sind, sondern von grundsätzlich anderem formalen Typ sind. Drittens. Von ganz anderer Art ist das letzte in diesem Zusammenhang anzuschneidende Problem. Die semantische Repräsentation einer Äußerung ist, ebenso wie ihre syntaktische Repräsentation, stets eine begrenzte Struktur über einer endlichen Menge von Elementareinheiten. Formal läßt sie sich als Graph darstellen. Eine konzeptuelle Repräsentation, die ja zunächst eine Welt darstellt, ist demgegenüber in einem bestimmten Sinn stets vollständig und unabgeschlossen zugleich. Was damit gemeint ist, läßt sich am besten durch den Begriff ,Grund' aus dem gestaltpsychologischen Begriffspaar ,Figur-Grund' andeuten: Während die Figur begrenzt und konturiert ist, ist der Grund ohne Begrenzung, er ist offen
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und vollständig. Innerhalb dieser Repräsentation, die als mögliche Welt den Interpretationskontext einer Äußerung bildet, ist dann die Extension der Äußerung als konturierte Struktur, gewissermaßen als Figur auf dem Grund des Kontexts, ausgezeichnet. Damit sind drei Richtungen angedeutet, in denen nach einer Abklärung der Prinzipien konzeptueller Strukturbildung zu suchen ist. Die Entscheidung über alternative Möglichkeiten ist zwar indirekter Art, aber jedenfalls empirisch bedingt. 5.6. Die Frage nach den Grundelementen des konzeptuellen Systems, also den konzeptuellen Grundelementen, kann nur an einigen Beispielen erörtert werden, um die Art des Problems anzudeuten. Da diese Grundelemente die Einheiten sind, mit deren Hilfe Erfahrungen strukturiert und repräsentiert werden, können sie nicht das Resultat von (individuellen) Erfahrungen sein, sondern müssen zu den Voraussetzungen gehören, die Erfahrungen überhaupt erst möglich machen. Die Grundparameter, die die Struktur perzeptiver Muster organisieren und auf die modalitätsneutrale, konzeptuelle Repräsentationsform beziehen, sind Kandidaten für solche Einheiten. Die konzeptuelle Organisation von räumlichen Beziehungen, die Kategorisierung des Farbspektrums, wie sie in der aufschlußreichen Untersuchung von BERLIN und K A Y (1969) aufgedeckt worden ist, illustrieren diesen Aspekt. Kandidaten für dieses Repertoire von Grundelementen sind weiterhin kognitive Grundoperationen, die nicht perzeptiver Herkunft sind. Dazu wären etwa die früher erwähnten Operationen zu rechnen, die alternative Welten zueinander in Beziehung setzen, aber auch Grundrelationen, die den internen Aufbau innerhalb einzelner Welten organisieren, wie die Kausalbeziehung zwischen Ereignissen, die Operation, die Dinge als konstante Einheiten konstituiert, sowie die kognitive Basis logischer Operationen und Verknüpfungen wie Negation, Konjunktion, Mengenbildung. Der Status dieser Grundelemente, die durch diese Aufzählung nur provisorisch illustriert werden sollten, ist im Hinblick auf die in der Erfahrung auszubildenden Konzepte im eigentlichen Sinn etwa dem der phonetischen Merkmale und ihrer Rolle bei der Organisation phonetischer Repräsentationen zu vergleichen. Sie stellen damit das Korrelat zu den semantischen Komponenten dar, auf die sich der oben erörterte erste Schritt bei der Lösung des Problems der lexikalischen Semantik stützt. Bezogen auf die nun eingeführte Grundlage führt dieser Schritt weiter als bei der Einschränkung auf rein logisch interpretierbare Elemente wie NICHT oder UND, da jetzt eine strukturelle Charakterisierung auch ,nicht-logischer' Komponenten garantiert ist, nämlich durch die kognitiven Grundoperationen, die den konzeptuellen Raum strukturieren. Es bleibt der Status solcher Einheiten zu erörtern, die als Extensionen von semantischen Einheiten angenommen werden müssen, die nicht im bislang erörterten Sinn elementar sein können, also die Extensionen von Funktionen wie HUND, TIER, STEIN, aber auch SCHLAFEN, SPIEL usw., mit anderen Worten, der
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Charakter der konzeptuellen Einheiten, die den von PUTNAM angenommenen Stereotypen entsprechen. Das Problem, das mit dem Konzept des Stereotyps gelöst werden soll, hat zwei Ingredienzien: zum einen soll es die Funktionsweise lexikalischer Intensionen auch beim Fehlen strikter Entscheidungskriterien einsichtig machen, zum anderen soll es die auf der Ähnlichkeit zum Stereotyp beruhende Bestimmung der Extension erfassen. Zwei ganz ähnliche Ingredienzien liegen dem in der Psychologie entwickelten Konzept des Prototyps zugrunde, der eine Reihe experimenteller Befunde bei der Entstehung und Wirkungsweise von Klassifikationsleistungen auf eine systematische Grundlage stellen soll und der Auffassung von Begriffen als strukturierten Merkmalssätzen gegenübergestellt worden ist. Dieser vor allem von ROSCH (1973) entwickelte Begriff des Prototyps bezieht sich zunächst auf perzeptiv induzierte Strukturen wie geometrische Figuren, Farben und auf Klassenbegriffe wie Vogel, soweit sie vornehmlich an ihren perzeptiven Eigenschaften festgemacht werden können. Die Grundüberlegung bei dieser Theorie ist, stark vereinfacht,, die, daß Konzepte der hier einschlägigen Art durch ein primär perzeptives Muster repräsentiert sind und eine Ähnlichkeitsfunktion die Zuordnung der Elemente der durch das Konzept bedingten Menge bestimmt. Prototypen können dabei sowohl Grundelemente im zuvor erörterten Sinn sein — dies ist z. B. der Fall für die Kardinalfarben des Farbspektrums — oder sie können komplexer Natur sein und damit erfahrungsabhängig, wie bei Vogel oder Haus. Die Ähnlichkeitsfunktion bedingt dann die experimentell beobachtbaren Erscheinungen, daß ,gute' Exemplare der Menge, also dem Prototyp sehr ähnliche, schneller identifiziert und zugeordnet werden, daß Konzepte, deren Prototyp mit der durch die konzeptuellen Grundeinheiten determinierten Strukturierung des Wahrnehmungsfeldes koinzidieren, eher und schneller erworben werden als solche, die Zwischen- oder Grenzwerte in dieser Struktur besetzen. TVERSKY (1976) hat ein Modell entwickelt, daß eine Ähnlichkeitsfunktion auch für komplexe Konzepte, die ihrerseits durch elementare Merkmale strukturiert sind, definiert. Mit dieser Erweiterung kann die zunächst an perzeptiv bedingte Strukturen gebundene Typikalität auch auf Stereotype übertragen werden, die der von PUTNAM diskutierten Problematik entsprechen. Einheiten wie Freude, Spiel, Arbeit, Regel (genauer die diesen Worten zugeordneten Intensionen und Extensionen), die wenn überhaupt, dann nur sekundär durch perzeptiv begründete Merkmale bestimmt sind und die im wesentlichen durch Bedingungen im Rahmen bestimmter ,Alltagstheorien' repräsentiert werden müssen, können damit im Prinzip dem gleichen Ansatz unterworfen werden: Ihre konzeptuelle Struktur ergibt sich aus Konfigurationen der Elementareinheiten mit Bevorzugung solcher Konfigurationen, die die für die Typikalität charakteristischen Präferenzen aufweisen, und die Unschärfe ihrer Klassifikationsweise ergibt sich aus der Ähnlichkeitsfunktion, der gemäß sie angewendet werden.
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Ein Problem bleibt dabei allerdings, daß unbeschadet der Typikalitätsphänomene Objekte im Normalfall nicht graduell bestimmten Klassen zugewiesen werden, daß Sachverhalte nicht als mehr oder weniger bestehend identifiziert werden, kurz, daß Objekte und Sachverhalt nicht graduell, sondern eindeutig identifiziert werden. JOHNSON-LAIRD hat deshalb den interessanten Vorschlag gemacht, Stereotype als reguläre konzeptuelle Strukturen kombinatorischer Art aufzufassen mit der Zusatzbedingung, daß es für die Elemente, die in diese Konfigurationen eingehen, unspezifizierte Normalwerte geben kann. Ein Objekt, das in seiner Charakteristik den Normalwerten entspricht, ist dann typischer' als ein Element, das besonders spezifizierte Werte verlangt. So ist eine Ente bezüglich bestimmter Merkmale ein weniger typischer Vogel als ein Rabe, und ein Pinguin weniger typisch als eine Ente. Dennoch werden beide eindeutig als Vögel klassifiziert. Die Annahme neutraler, nicht eigens zu spezifizierender Werte für definierende Eigenschaften läßt sich nun leicht als eine Übernahme des in der Phonologie und der Syntax bereits gut ausgearbeiteten Konzepts der Markiertheit ansehen und mit den dort bereitgestellten Mitteln präzisieren. Dieser Schritt bringt uns noch einmal zum Verhältnis von semantischer und konzeptueller Struktur und damit von Intension und Extension zurück. Die natürliche Deutung für Stereotype in dem nun vorgestellten Sinn als Merkmalskonfigurationen mit speziellen oder neutralen, unspezifizierten Werten ist ihre Interpretation als lexikalische Intensionen, deren Extension die konzeptuellen Strukturen sind, die sich bei den verschiedenen möglichen Fixierungen der offenen Werte ergeben. Dadurch werden nicht nur z. B. Vögel mit verschieden ,gut' spezifizierten Werten für bestimmte perzeptive Merkmale als Extension der lexikalischen Intension von Vogel identifiziert. Die verschiedene Spezifizierung offener Merkmale erlaubt auch die Unterschiede in den verschiedenen Extensionen eines Wortes wie Universität in den folgenden Sätzen zu erfassen: (24) (25) (26) (27) (28)
Wir stehen hier vor der Universität. Hans verläßt nächstes Jahr die Universität. Die Universität ist im 12. Jahrhundert als feste Einrichtung entstanden. Ich bleibe noch in/an der Universität. Dann verließ er die Universität.
Die Extension der verschiedenen Vorkommen von die Universität gehört zu verschiedenen Arten von Entitäten: Sie ist ein physikalisches Objekt in (24), eine Institution in (25), und so etwas wie das Muster oder das Prinzip einer Institution in (26). (27) und (28) weisen doppelte Interpretationsmöglichkeiten auf. Es wäre nun sehr unangemessen, dies als Fälle von Polysemie aufzufassen und Universität durch (mindestens) drei Intensionen zu charakterisieren. Bleiben jedoch bestimmte Merkmale in der Intension offen, dann ergeben sich die verschiedenen Extensionen als natürliche, überdies einem bestimmten Schema folgende Spezifizierungen dieser
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Merkmale. Verwandte Überlegungen hat am Beispiel der verschiedenen Interpretationen eines Verbs wie cut SEARLE (1980) angestellt.
6. Theoretische und experimentelle Psychologie:
Schlußbemerkungen
Der Gesichtspunkt, unter dem ich semantische Probleme, und linguistische Erscheinungen generell, betrachtet habe, ordnet sie auf grundsätzliche Weise in den Bereich der Psychologie ein. Am Beispiel der lexikalischen Intensionen habe ich zu zeigen versucht, wie durch diese Einordnung grundsätzliche Probleme der semantischen Struktur, die in der formalen Logik ausgeblendet werden, überhaupt erst lösbar werden. Alternative theoretische Vorstellungen, die in diesen wie in anderen Fällen entwickelt und entschieden werden müssen, konkretisieren die Ausarbeitung solcher Lösungen. Die Fragestellungen, denen ich nachgegangen bin, gehören zum Bereich der theoretischen Psychologie, in bezug auf den experimentelle Analysen erst ihren Stellenwert und empirischen Sinn erhalten. Experimentell zu entscheidende Fragen sind in diesem Sinn u. a. der Charakter konzeptueller Grundelemente und Kombinationsprinzipien. Dabei können sowohl die klassischen Instrumentarien der experimentellen Psychologie wie auch die auf die Ermittlung zugrunde liegender Strukturen gerichteten Verfahrensweisen der Linguistik, aber auch Analysen pathologischer Erscheinungen aufschlußreich sein. Grundsätzlich aber ist die Zuordnung der zahlreichen vorliegenden experimentellen Befunde zu entsprechenden theoretischen Modellvorstellungen die Voraussetzung für den auf diesem Weg zu erzielenden Erkenntnisgewinn.
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Ewald Lang
Die logische Form eines Satzes als Gegenstand der linguistischen Semantik
1. Einführung 1.1. In diesem Beitrag soll der Versuch unternommen werden, das Verhältnis von Sprache und Logik, ein uraltes, facettenreiches und insgesamt unerschöpfliches Thema, aus dem Blickwinkel der linguistischen Sprachbeschreibung anzuvisieren, so daß es sich darstellt als das Verhältnis von grammatischer und logischer Struktur von Sätzen auf der Ebene ihrer semantischen Repräsentation. Damit ist zunächst die Sehweise festgelegt und der thematische Ausschnitt ungefähr bestimmt. Im einzelnen geht es darum, das im Titel genannte Konzept näher zu charakterisieren und in zwei Richtungen zu begründen: Erstens dahingehend, daß ersichtlich wird, weshalb und wie der in der Natur der Sache liegende grundsätzliche Zusammenhang von Sprache und Logik in der linguistischen Semantik reflektiert werden muß, wenn diese ihrer explikativen Zielsetzung gerecht werden soll. Zweitens dahingehend, daß umgekehrt ersichtlich wird, daß die linguistische Semantik der wesentliche, empirisch abgestützte Zugang zur theoretischen Aufklärung des Verhältnisses von Sprache und Logik ist. Natürlich wird dieses Verhältnis auch von verschiedenen anderen Disziplinen mit spezifischen, der jeweiligen Sehweise und Zwecksetzung angepaßten Begriffen von Sprache einerseits und Logik andererseits untersucht und gedeutet, wobei jeweils typische Akzentsetzungen und Abstraktionsgrade zustande kommen, so daß für die Interpretation des Zusammenhangs entweder der formale Aspekt (Aufbau und Interpretation strukturierter Zeichenreihen) oder schwer faßbare „inhaltliche" Gesichtspunkte (Stichworte: Psychologismus; Denkgesetze vs. sprachliche Ausdrucksformen; plastische Unschärfe vs. starre Exaktheit usw.) dominieren. In keiner anderen Disziplin aber als in der linguistischen Semantik stellt sich die Aufgabe, das Verhältnis von Sprache und Logik so zu fassen, daß empirische Befunde und formale Rekonstruktion in wechselseitiger Determination zur Deckung gebracht werden. Der Themenwahl entsprechend wird vor allem die erste Blickrichtung die folgende Darstellung bestimmen, wobei wir jedoch fortwährend auf Gesichtspunkte 5
Viehweger, Semantikforschung
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E. Lang
und Argumente zurückgreifen müssen, die ihren Platz in einer — hier nicht zu leistenden — Darstellung der Entwicklung der Logik bzw. der Geschichte der Logikkonzeptionen haben. Eine solche Darstellung im Sinne der zweiten Blickrichtung, die auf einer allgemeinen semiotischen Grundlage die genetischen Beziehungen von Sprache und Logik sowie die sich wechselseitig bedingenden Auffassungen von Grammatik und Logik als Wissenschaften zu rekonstruieren hätte, steht meines Wissens noch aus. Zu verweisen ist aber auf wichtige Beiträge in dieser Richtung, etwa auf SCHENK (1973) als umfassender Darstellung bis zum Ausgang des Mittelalters (2. Band in Vorbereitung) sowie auf die zunehmende Literatur zur FREGE-Forschung in vielen Ländern. 1 1.2. Das Schlüsselwort „logische Form eines Satzes" steht — und das muß in einem Band über moderne Forschungsrichtungen in der Semantik vorab gesagt werden — nicht als Etikett oder Markenzeichen für eine bestimmte, durch Gegenstandsfestlegung, Tradition, Schulenbildung oder Methodenkanon definierte, vorhandene Forschungsrichtung. Vielmehr gilt, daß das Konzept der logischen Form eines Satzes in unterschiedlicher Ausprägung und Beleuchtung in verschiedenen aktuellen Semantiktheorien als Erklärungsgegenstand figuriert. Das besagt aber nicht, daß wir gewissermaßen nur einen Terminus als Angelhaken benutzen, um dann ganz verschiedene, nicht zusammenhängende Dinge an Land zu ziehen. Bei allen Unterschieden in der Auffassung und in der Explizitmachung dessen, was als logische Form in der semantischen Repräsentation von Sätzen einer natürlichen Sprache enthalten sein muß, ist mit dem Konzept doch ein gewisser Kernbereich konstanter Vorstellungen verbunden, die sich auch in zunehmend präzisierbaren Postulaten für die Semantikforschung niederschlagen. Sie werden in Abschnitt 2. und 3. entwickelt. Die mit dem Konzept operierenden verschiedenen Semantiktheorien sind dann Varianten in Hinsicht auf die jeweils als vorrangig erachtete, somit modell- und zielbezogen vorgenommene Ausarbeitung einzelner Aspekte des Konzepts. Unter dem Stichwort „logische Form eines Satzes" wird somit ein Forschungsgegenstand konstituiert, der es erlaubt, durch Bündelung verschiedener Ansätze seiner deskriptiven Bewältigung und Ausarbeitung, eine Richtung in der Semantikforschung zu charakterisieren, d. h. einen Bezugspunkt anzugeben, dem sich die einzelnen Semantiktheorien in unterschiedlicher Weise annähern. Diese Orientierung bestimmt die Querverbindung dieses Beitrags mit den anderen
1
Zu verweisen ist in dieser Hinsicht auch auf Konferenzen großangelegten Typs, die sich in letzter Zeit verstärkt mit dieser Thematik befassen, z. B. die „Memorial-Conference ,100 Years FREGE'S Begriffsschrift'", Jena 7. 5.—11. 5. 1979, ferner das Symposium „Metodologiceskie Problemy Logiceskogo Analiza Jazyka", Vilnijus 1977, und eine Reihe von sowjetischen Sammelbänden, die aus solchen Veranstaltungen hervorgingen.
Die logische Form eines Satzes
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Kapiteln und rechtfertigt dadurch seine Aufnahme in den vorliegenden Sammelband. Nun noch einige Klärungen zur inhaltlichen Disposition. 1.3. Aus dem Vorangegangenen wird ersichtlich, daß der Beitrag keine lineare Stoffdarstellung erlaubt, sondern einer Disposition zu folgen hat, dergemäß das Konzept der logischen Form eines Satzes innerhalb mehrerer ineinander zu fügender Bezugsrahmen zu charakterisieren und zu problematisieren ist. 1.3.1. Der erste Bezugsrahmen ergibt sich aus einer Skizzierung der für eine linguistische Semantiktheorie zu postulierenden Annahmen und Zielstellungen: was es heißt, die Bedeutung von Sätzen zu beschreiben im Rahmen einer Theorie, die erklären soll, was es heiß,t, einen Satz zu verstehen. Die daraus herleitbaren Anforderungen an die semantische Repräsentation werden dann zu einer funktionalen Bestimmung des Begriffs „logische Form eines Satzes" gebündelt. 1.3.2. Ein zweiter Bezugsrahmen für die Darstellung ergibt sich, wenn man den Gegenstand' der linguistischen Semantik aus dem der Gesamtbeschreibung ausgliedert und in Aspekte zerlegt. Grundsätzlich kann man sagen, daß Phonologie, Lexik und Syntax die Einheiten und Regeln zum Gegenstand haben, denen gemäß die Sätze einer Sprache L als sprachliche Gebilde strukturiert sind und bezogen auf das grammatische System von L interpretiert werden. Die Semantik hingegen hat die Regeln zu beschreiben, denen gemäß die Sätze einer Sprache L als verbale Träger gedanklicher Gebilde strukturiert sind und bezogen auf außersprachliche Gegenstände und Zusammenhänge interpretiert werden. Der so umschriebene Komplex von Zuordnungen läßt sich aufgliedern in folgende Aspekte, die für die semantische Beschreibung relevant sind. Wir unterscheiden diesbezüglich einen kompositioneilen, einen konzeptuellen, einen referentiellen und einen inferentiellen Aspekt. Das damit gewonnene Raster läßt sich auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Hinsichten benutzen. So ist es geeignet, (a) für die Charakterisierung von Sprache und Logik sowohl bezüglich ihrer gemeinsamen semiotischen Genesis wie auch bezüglich ihrer Differenzen und jeweiligen Eigenständigkeit als Instrument und Objekt der Reflexion und Kommunikation; (b) für den Analogievergleich von Sprache und Logik auf der Ebene ihrer formalen Rekonstruktion in Repräsentationssystemen, also für den Vergleich zwischen einer Grammatik als Beschreibungssystem und einem Logikkalkül; (c) für die — (a) und (b) einschließende — Festlegung der Bestimmungsstücke eines linguistischen Konzepts von „Bedeutung eines Satzes" und die daraus ableitbaren Konsequenzen für die logische Form eines Satzes als Repräsentationsaufgabe; (d) für die — auf der Grundlage von (a)—(c) fußende — Erörterung einzelner 5*
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Semantiktheorien, die jeweils bestimmte Aspekte des Konzepts der logischen Form in den Vordergrund rücken. Die genannten vier Aspekte hängen untereinander so eng zusammen, daß sie in bezug auf die Charakterisierung von Sprache und Logik auf allen in (a)—(d) erwähnten Betrachtungsebenen als ein einziges Gefüge anzusehen sind. Für unsere Darstellungsabsicht aber ist ihre getrennte Betrachtung durchaus legitim und sinnvoll, denn so wird es möglich, die in 1.1. formulierte Problemstellung nach bestimmten Ordnungsgesichtspunkten abzuhandeln und die in 1.2. erwähnten Semantiktheorien danach zu bewerten. 1.3.3. Im Anschluß an Punkt (d) ergibt sich schließlich ein drittes Gliederungsmoment, wenn man nämlich den Status der als logische Form qualifizierten Repräsentation in den unterschiedlichen Semantiktheorie ins Auge faßt. Als Ziel anzustreben ist letztlich eine Repräsentationsform, die linguistischen Erfordernissen und logischen Kriterien gleichermaßen gerecht wird. Vorhanden sind einerseits verschiedene, spezifisch linguistisch motivierte Darstellungsformen, um die Struktur von Sätzen als sprachliche Gebilde zu beschreiben, und es gibt andererseits ein reiches Angebot spezifisch logischer Darstellungsformen, um die Struktur von Sätzen als propositionale Gebilde, d. h. als Aussagen repräsentierende und wahrheitsbewertbare Gebilde, im Rahmen von Argumentationszusammenhängen zu beschreiben. Die für die linguistische Semantik angemessene Repräsentation der logischen Form eines Satzes liegt daher im Integrationsbereich von Darstellungsmitteln aus mehreren, zwar genetisch und strukturell verwandten, jedoch weitgehend separat betriebenen Disziplinen, die sich in bezug auf die unter (a)—(c) genannten Gesichtspunkte aufeinander zu bewegen und partiell überschneiden. Man kann entsprechend die vorhandenen Ansätze zur Repräsentation der logischen Form eines Satzes im Sinne der linguistischen Semantik in primär linguistisch und in primär logisch orientierte Konzeptionen unterteilen. Sie stellen jeweils Kompromisse dar in mehr als einer Hinsicht. Die dabei praktizierten Vorgehensweisen für die Integration linguistischer und logischer Darstellungsformen lassen sich grob so bestimmen: (1) Globale Annäherung der linguistischen an die logische Darstellungsform. Repräsentativ hierfür ist die unter dem Namen „Generative Semantik" bzw. „Semantische Syntax" bekannte Richtung. (Abschnitt 5.1.) (2) Zweckbegrenzte Einbeziehung logischer Darstellungsformen in eine linguistisch formulierte Gesamtbeschreibung. Repräsentativ hierfür sind einige Versionen des Modells der „Interpretativen Semantik", die die Beschreibung von Skopusverhältnissen und Koreferenzbeziehungen einer sogenannten logischen Komponente innerhalb des Grammatikmodells zuweisen. (Abschnitt 5.2.) (3) Logische Darstelluhgsformen als primäres Repräsentationsmittel für eine
Die logische Form eines Satzes
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linguistisch motivierte Semantik. Hierher gehören die verschiedenen Versionen der unter dem Namen „modelltheoretische Semantik" bekannten logisch orientierten Forschungsrichtung. (Abschnitt 5.3.) Nun könnte es auf den ersten Blick so aussehen, als seien die auf dieser Betrachtungsebene erkennbaren Unterschiede zwischen (1)—(3) letztlich reduzierbar auf verschieden gelagerte Notationsprobleme, auf Fragen der wechselseitigen Zuordnung, Übersetzbarkeit und Ersetzbarkeit von Repräsentationssystemen, die ihrer formalen Natur nach vergleichbar, aber ihrer Herkunft und Zwecksetzung nach verschieden sind. Natürlich sind diese Fragen wichtig und sie werden uns unter dem Stichwort „empirische Angemessenheit" mehrfach begegnen. Wichtiger jedoch sind bei (1)—(3) die Differenzen, die sich da im Hinblick auf die für eine Semantiktheorie formulierten und eingelösten Zielstellungen ergeben. Und hierbei zeigt sich, daß ein aktuelles und sich langsam als verbindlich durchsetzendes Verständnis von dem, was den Gegenstand der linguistischen Semantik konstituiert, ganz erheblich geprägt wurde durch Anstöße und Problemstellungen von außerhalb der Linguistik, insonderheit durch Entwicklungen in der symbolischen Logik seit FREGE. 1.4. Damit haben wir schließlich den Gesamtrahmen abgesteckt, in den das im Titel formulierte Problem inhaltlich und darstellungstechnisch einzuordnen ist. Wir können es nun für die Objektebene, die Theorieebene und die Darstellungsebene zusammenhängend so rekapitulieren: Der primäre Zusammenhang von Sprache und Logik auf der Objektebene ist semiotisch fundiert und manifestiert sich in der semantischen Interpretierbarkeit, genauer: darin, daß die Sätze einer natürlichen Sprache grammatisch strukturierte, bedeutungstragende Gebilde sind, die nach komplexen generellen Zuordnungsbedingungen auf außersprachliche Entitäten und Zusammenhänge bezogen werden. In dem Maße nämlich, wie ein Satz auf Grund seiner grammatischen Struktur teilhat an der Determination dieser Zuordnung, hat er auch eine logische Struktur. Die der Sprache inhärente Logik ist, so gesehen, nichts anderes als die Systematisierung dieser Zuordnungsbedingungen in allgemeinster Form. Der Zusammenhang von grammatischer und logischer Struktur erscheint nun auf der Theorieebene als Gegenstand integrierter Forschung, nämlich als Gegenstand einer Semantiktheorie, die definiert ist durch konvergierende bzw. einander ergänzende Annahmen und Zielstellungen aus Linguistik und Logik als Wissenschaftsdisziplinen. Und im Rahmen der Beschreibung der genannten Zuordnungsbedingungen wird das Konzept der logischen Form eines Satzes als Gegenstand der Semantiktheorie definiert. Damit ist zugleich festgelegt, wie die Explikation des Konzepts sich auf der Darstellungsebene zu vollziehen hat, nämlich durch eine Repräsentationsform, die linguistische und logische Darstellungsmittel im Sinne einer empirisch motivierten Kalkülisierung vereinigt.
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1.5. Nach diesen Darlegungen versteht es sich von selbst, daß der nachfolgende Überblicksartikel den Schwerpunkt auf Problemdarstellungen und Konzeptvergleiche zu legen hat, auf ausgiebige Detaildarstellungen jedoch verzichten muß.
2. Aufgaben einer linguistischen
Semantiktheorie
2.1. Die Frage, was die logische Form eines Satzes zum Gegenstand seiner semantischen Beschreibung macht und wie sie in diesem Rahmen zu repräsentieren ist, ja, weshalb sie überhaupt in einer semantischen Beschreibung figurieren sollte, greift ganz erheblich in die Vorstellungen ein, die sich die linguistischen Semantiker über die Ziele, Aufgaben und Verfahren ihrer Disziplin machen. Entsprechend variiert die Beantwortung. Es scheint daher angebracht, zunächst einen Bezugsrahmen herzustellen, in dem semantische Aufgabenstellungen und — entsprechend — semantische Forschungsrichtungen charakterisiert werden können, um dann innerhalb dessen den Status des Konzepts ,logische Form' genauer bestimmen zu können. So trivial es zunächst klingen mag: eine linguistische Semantik hat letzten Endes theoretisch zu explizieren, was Bedeutung ist, und zwar — im Unterschied zu anderen semiotischen Disziplinen wie etwa Logik, Ästhetik oder Kulturologie — in bezug auf die Struktur und Verwendungsweisen von Ausdrücken natürlicher Sprachen. Der mit dieser Explikation verbundene Übergang von einem intuitiven zu einem theoretischen Bedeutungsbegriff ist äußerst kompliziert.
2.2. Der intuitive
Bedeutungsbegriff
Jeder Sprecher einer Sprache verfügt über einen intuitiven, d. h. nicht reflektierten, aber praktisch funktionstüchtigen Bedeutungsbegriff, der mit dem Erwerb der Sprache erworben und durch fortwährend praktizierte Kommunikation stabilisiert und elaboriert wird. Dieser Bedeutungsbegriff steht bei allen Vollzügen aktiven oder rezeptiven Sprachgebrauchs praktisch zur Verfügung, praktisch insofern, als dieser intuitive Bedeutungsbegriff vornehmlich als operationalisierbare Kenntnis zur Geltung kommt, weniger als bewußter, d. h. reflektierter, Kenntnisbesitz. Wohlgemerkt: Es ist hier nicht allein die Rede von der intuitiven Kenntnis des Sprechers davon, was ein Ausdruck in seiner Sprache bedeutet, sondern vom Begriff des Sprechers davon, daß und inwiefern ein Ausdruck Bedeutung hat. Dieser Bedeutungsbegriff ist also nicht identisch mit der Kenntnis von Bedeutungen, die Ausdrücken zuzuordnen sind, aber er wird unter normalen Kommunikationsbedingungen stets mit dieser ins Spiel gebracht und nur in
Die logische Form eines Satzes
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besonderen Fällen von ihr abgehoben, so wie jemand, der richtig rechnen kann, zwar über einen intuitiven, aber keineswegs über einen zahlentheoretisch definierten ZahlbegrifT verfügen muß. Der intuitive Bedeutungsbegriff ist unmittelbar gebunden an bzw. nicht von vornherein abgehoben von Kenntnis und Handhabung der Sprache als eines Systems bedeutungstragender Gebilde. „Bedeutungstragend" umfaßt hierbei all diejenigen Bestimmungen, denen gemäß ein sprachlicher Ausdruck 2 über sich selbst hinaus verweist. Der intuitive Bedeutungsbegriff, über den jeder Sprecher verfügt, ist somit Resultante der empirisch-praktischen Erfahrung, daß die Ausdrücke einer Sprache nicht nur die Eigenschaft haben, als lautliche (oder graphische) Gebilde produziert und wahrgenommen zu werden (also Träger physikalischer Parameter zu sein), sondern daß sie darüber hinaus die Eigenschaften haben, als materielle Gebilde kraft ihrer sprachlichen Struktur zugleich auch produziert und wahrgenommen zu werden (1) als Mittel zum Ausdruck von Gedanken, Gefühlen und Einstellungen, (2) als Mittel zur Bezeichnung von Gegenständen und Sachverhalten und deren kontextbedingter Identifizierung, (3) als Mittel zum situationsbedingten Vollzug von Handlungen in der sozialen Interaktion. Damit sind nur die wichtigsten Bestimmungsstücke dessen genannt, was eine sprachlich codierte Mitteilung ausmacht, also den normalen, aber keineswegs ausschließlichen Verwendungszweck sprachlicher Ausdrücke. 3 Wenn wir „verweisen" als Hilfsterminus benutzen zur allmählichen Präzisierung des Begriffs „bedeutungstragend" und schließlich auch des Begriffs „Bedeutung", dann ist zunächst folgendes festzuhalten. Ein gegebener Ausdruck der Sprache L, sagen wir ein Satz s, verweist — als Mitteilungsträger verwendet — in folgenden Hinsichten über sich selbst hinaus: (a) sprachintern. Die sprachliche Struktur von s definiert den Platz von s im System sämtlicher in L bildbarer Ausdrücke. Dadurch bezieht sich (verweist) mittelbar auf potentiell unendlich viele andere Ausdrücke von L (Systembezug von s). (b) sprachextern. In partieller Abhängigkeit von der Art des Systembezugs werden s Entitäten bzw. Konfigurationen von Entitäten aus (mindestens) folgenden drei Bereichen korrelativ zugeordnet: 2
Wir benutzen hier zunächst den hinsichtlich der grammatischen Kategorisierung unspezifizierten Terminus „Ausdruck". In den späteren Detaildiskussionen wird dann entsprechend differenziert.
3
Nicht unter den Verwendungszweck des Mitteilens fallen z. B. der Gebrauch der Sprache zur (monologischen) Reflexion und Kommemoration, ihre Benutzung in ästhetischer und dekorativer Funktion, ihr Gebrauch zu Übungs- und Demonstrationszwecken im Sprachunterricht bzw. in der Linguistik usw.
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(1) aus dem Bereich der Cognition — konzeptuelle Einheiten samt deren Operationsmodalitäten (Begriffsbezug von ,y);4 (2) aus dem Bereich der (grob gesagt) außersprachlichen Wirklichkeit in partieller Abhängigkeit von der Art des Begriffsbezugs — Gegenstände und Sachverhalte, eingebettet in bestimmte Prozesse und Zusammenhänge (Sachbezug und Kontextbezug von i); (3) aus dem Bereich des gesellschaftlichen Kommunikationsprozesses (wiederum in partieller Abhängigkeit vom Sach- und Kontextbezug) — Faktoren der interaktioneil betriebenen Erreichung von Handlungszielen. (Situations- und Sozialbezug von s)s. Dies zusammen, was wir vorläufig die komplexe Verweisfunktion eines sprachlichen Ausdrucks nennen wollen, ist das, was einen sprachlichen Ausdruck zum bedeutungtragenden Gebilde macht. Entsprechend weitgefächert ist der Gesamtbereich, auf den sich der intuitive Bedeutungsbegriff erstreckt, denn in jeder der genannten Verweishinsichten hat ein Ausdruck ,Bedeutung', d. h. abhängig von seiner sprachlichen Struktur (Systembezug) wird ihm in jedem der Bereiche (1)—(3) eine Interpretation zugeordnet, und erst recht natürlich hat er Bedeutung im Hinblick auf den komplexen Verweiszusammenhang, der diese Interpretationen korreliert. Der intuitive Bedeutungsbegriff, über den der Sprecher normalerweise unreflektiert verfügt, ist daher nicht spezifiziert für die genannten Interpretationsbereiche, sondern er deckt in unspezifischer, flexibler Weise die komplexe Verweisfunktion ab. Diese Überlegungen zum intuitiven Bedeutungsbegriff sind nicht unbedingt neu, aber sie sind nützlich für die Erhellung der Probleme, die sich für die Etablierung eines theoretischen Bedeutungsbegriffs, mithin für die Formulierung semantischer Konzeptionen und Theorien ergeben.
4
5
Wir beschränken uns im folgenden auf die Probleme der Beschreibung des Zusammenhangs von sprachinternem Systembezug und Begriffs- und Sachbezug. Zum Kontextbezug vgl. BIER WISCH (1977, 1978 sowie 1982). Der ins Zentrum gerückte Bereich deckt etwa die „Darstellungsfunktion" der Sprache (im BÜHLERschen Sinne) ab und bildet daher die eigentliche Domäne für logisch-semantische Analysen, obwohl sie sich nicht darauf beschränken müssen. Dennoch bildet dieser Bereich den Kern der Semantik; Forschungsgebiete wie „Semantik der Rede", „Sprechhandlungssemantik" oder „Textsemantik" sind unabhängig davon nicht ernsthaft zu betreiben. H i e r ü b e r h a n d e l t VIEHWEGER ( 1 9 8 2 ) , s o w i e BIER WISCH ( 1 9 7 8 ) u n d MÖTSCH ( 1 9 7 8 ) , u m
nur
die nächstliegenden Arbeiten aus einem ständig wachsenden Berg von Literatur zu erwähnen. — Verweishinsichten, von denen wir hier absehen, sind z. B. die mit der Interpretation von Äußerungen verbundenen Konnotationen und Stilindikatoren.
Die logische Form eines Satzes
2.3. Explikation des
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Bedeutungsbegriffs
Für die Aufstellung einer Semantiktheorie ist der intuitive Bedeutungsbegriff Grundlage, Instrument und Explicandum zugleich. Die mit dieser Konstellation verbundenen besonderen methodologischen Aspekte der linguistischen Sprachanalyse sollen hier aber nur insoweit betrachtet werden, wie sie sich in der Konstituierung von Semantikkonzeptionen niederschlagen. Wenn man sich vergegenwärtigt, daß der intuitive Bedeutungsbegriff wesentlich dadurch bestimmt ist, daß er (a) die komplexe Verweisfunktion sprachlicher Ausdrücke in unspezifischer Weise global abdeckt, (b) am praktischen Umgang mit bedeutungstragenden Ausdrücken orientiert ist, dann wird deutlich, welche Bedingungen dies für die Konzipierung einer Semantiktheorie zeitigt. 2.3.1. Betrachten wir zunächst die Konsequenzen aus dem Punkt (a): (1) Der Gegenstand der Semantiktheorie ist hinsichtlich Umfang und Reichweite bestimmbar als die Gesamtheit der „Bedeutungs"-Phänomene, jener Phänomene nämlich, die unter die komplexe Verweisfunktion sprachlicher Ausdrücke fallen, und er ist hinsichtlich seines Inhalts bestimmbar als die Gesamtheit der Realisierungsbedingungen dieser komplexen Verweisfunktion. Daraus folgt: (2) Die Aufgabe, zu explizieren, was Bedeutung ist, kann nur durch die Semantiktheorie in toto geleistet werden, ähnlich wie die Zahlentheorie, eventuell sogar die Mathematik insgesamt, als Explikation des Begriffs „Zahl" gelten müssen. Daher kann man auf die Frage „Was ist Bedeutung?" keine direkten und vollständigen Antworten erwarten (ein Umstand, der in der philosophischen und wissenschaftstheoretischen Diskussion zu vielen Kontroversen geführt hat bis hin zur völligen Verwerfung der Frage als sinnvoller Fragestellung), anders gesagt : Es kann zu dem oben charakterisierten intuitiven Bedeutungsbegriff kein direktes theoretisches Pendant geben, keine Definition, die nicht wegen des abzudeckenden Phänomenbereichs zu vage, und deshalb unspezifisch, und die nicht bezogen auf die einzelnen Verweishinsichten zu unspezifisch, und deshalb vage wäre. Daraus wiederum ergibt sich: (3) Eine linguistische Semantik, d. h. eine unter linguistischen Zielsetzungen aufzubauende Theorie der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke, kann daher nur etabliert und entwickelt werden mit Hilfe einer ganzen Anzahl von spezifischen Bedeutungsbegriffen. Mit Begriffen somit, die spezifiziert für die einzelnen Ver-
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weishinsichten abdecken, was „Bedeutung" ist, und die dann aufeinander bezogen schrittweise zu einer Gesamtexplikation führen, die das ausfüllt, was wir oben mit dem Arbeitsterminus ,komplexe Verweisfunktion' eingeführt haben. Die Komplexität der Struktur des Gegenstands „Bedeutung" manifestiert sich daher notwendigerweise in der Komplexität der Theorie über diesen Gegenstand. Eine linguistische Semantik ist vorstellbar nur als Aggregat verschiedener Theorien. Der Sinn der Fragestellung „Was ist Bedeutung?" besteht für die linguistische Semantik zum einen darin, daß man sich klar macht, wie komplex der von ihr zu behandelnde Gegenstand strukturiert ist und wie komplex die entsprechende theoretische Rekonstruktion strukturiert werden muß-, zum andern darin, daß man aus dieser Einsicht die methodischen Konsequenzen zieht für die Form der zu leistenden Explikation und ihre inhaltliche Ausfüllung. Die linguistische Antwort auf die Frage erfolgt in Gestalt eines fortwährenden Prozesses, in dem im Wechselspiel von jeweiliger Gegenstandsbestimmung und der Entwicklung passender theoretischer Begriffe Teilexplikationen geliefert und miteinander verknüpft werden. Die Geschichte der sprachwissenschaftlichen Bedeutungsforschung ist, ohne daß sich die jeweiligen Autoren dieser gnoseologischen Rahmenbedingungen voll bewußt gewesen wären, in dieser Form abgelaufen (was wir in Abschnitt 3. ausschnitthaft illustrieren werden), und sie wird sich im Prinzip auch so fortsetzen, wobei die Einsicht in die Rahmenbedingungen zusammen mit der Gewinnung passender Konzepte und geeigneter Instrumente zu ihrer formalen Fixierung die treibenden Momente in diesem Prozeß sind. Unter „logischer Form eines Satzes" ist eines davon hier thematisiert. (4) Wenn man den in 2.2. charakterisierten intuitiven Bedeutungsbegriff — natürlich in passender Einbettung und Formulierung — als eigentlichen Gegenstand der linguistischen Semantik akzeptiert, dann ist damit auch eine Festlegung über die Spezifik des linguistischen gegenüber anderen (etwa logischen, erkenntnistheoretischen, ästhetischen, kommunikationspsychologischen oder nicht sprachbezogen semiotischen) Bedeutungsbegriffen verbunden. Die Spezifik besteht gerade darin, daß eine linguistisch sachgerechte Explikation von „Bedeutung" die an die Form sprachlicher Ausdrücke gebundene Komplexität der Verweisfunktion in Rechnung zu stellen hat. Das besagt u. a., daß ein linguistischer Bedeutungsbegriff nicht auf die Bedeutungsbegriffe anderer Disziplinen reduziert werden kann. Er behält, wie z. B. FODOR (1977: Kap. 2) in einer einleuchtenden Serie von Gegenüberstellungen gezeigt hat, einen Status sui generis und seine Explikation bleibt Ziel (nicht Voraussetzung oder Zwischenergebnis) einer linguistischen Semantik insgesamt. Umgekehrt aber ist die Linguistik für die Ausarbeitung von Teilexplikationen und ihre Verknüpfung untereinander auf Konzeptvorgaben und Beschreibungsmittel aus anderen Disziplinen angewiesen. Dies resultiert aus der zu Beginn des Abschnitts erwähnten besonderen Konstellation, daß für die lingui-
Die logische Form eines Satzes
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stische Semantik der intuitive Bedeutungsbegriff Grundlage, Instrument und Explicandum zugleich ist und daß sich alle auf Bedeutungsexplikation gerichtete Sprachanalyse bezüglich ihres Gegenstands, bezüglich der Beschreibung des Gegenstands in Termen einer Theorie und auch bezüglich der Vermittlung zwischen beidem stets im Rahmen sprachlicher Gebilde und auf sie bezogener Intuitionen bewegt. Um innerhalb einer solchen Konstellation nach wissenschaftlichen Kriterien vorgehen zu können, bedarf es sorgfaltiger Festlegungen über Zweck, Form und Interpretation der jeweils verwendeten sprachlichen Ausdrucksmittel sowie zuverlässiger Kriterien darüber, in welcher Hinsicht und in welcher Repräsentationsform intuitive-Kenntnisse über die Sprache objektivierbar sind. Und genau hierfür sind verschiedene Disziplinen für die Linguistik insgesamt wie für die Semantik im besonderen unverzichtbare Ressourcen. Das hier zu besprechende Interesse der linguistischen Semantik an dem Konzept „logische Form eines Satzes" ist ein Ergebnis dieser methodologischen Situation. Die Logik (als Disziplin) figuriert in diesem Zusammenhang als Lieferant für Ausdruckssysteme, d. h. für Theoriesprachen, mithilfe derer über die natürliche Sprache Aussagen formuliert werden, wobei — wie in Abschnitt 1. vermerkt wurde — die Art und Weise, wie sich die Logik auf die in der Linguistik benutzten deskriptiven Ausdruckssysteme Einfluß verschafft, ein ziemlich breites Spektrum von Möglichkeiten umfaßt. 2.3.2. In (1)—(4) wurden einige wissenschaftstheoretische Konsequenzen skizziert, die sich aus der in 2.3. (a) oben charakterisierten Natur des intuitiven Bedeutungsbegriffs für den Aufbau und die Bedingungen einer linguistischen Semantik ergeben. (1)—(4) betreffen Gegenstand und Zielsetzung einer linguistischen Semantik als Aggregat von Theorien. Die Konsequenzen, die sich aus dem Punkt (b) oben ergeben, betreffen die methodischen und heuristischen Bedingungen, unter denen der in (1)—(4) skizzierte Rahmen auszufüllen ist. Der Umstand, daß der intuitive Bedeutungsbegriff am praktischen, d. h. durch die Alltagskommunikation bestimmten, Umgang mit bedeutungstragenden Ausdrücken orientiert ist und alle Verweishinsichten unspezifisch abdeckt, läßt sich ganz gut illustrieren an der Verwendungsweise etwa des Verbs bedeuten. Jede natürliche Sprache verfügt über ein Arsenal von solchen Ausdrücken, die sich auf semantische Eigenschaften beziehen und mithilfe derer über sprachliche (und nichtsprachliche) Bedeutungsträger kommuniziert wird. Der Gebrauch und die Interpretation von bedeuten (das im Vergleich mit meinen, besagen, heißen, daß u. a. das allgemeinste semantikbezogene Verb ist) folgen hierbei jeweils einem kontextuell bestimmten Interesse an der kommunikativen Funktion des Ausdrucks, dessen „Bedeutung" erläutert wird. Man vergleiche als Auswahl hier einschlägiger Verwendungsweisen: (a) „No smoking!" bedeutet „Rauchen verboten!"
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(b) „No smoking!" auf dem Schild bedeutet, daß man hier nicht rauchen darf. (c) Das Schild „No smoking!" bedeutet, daß jetzt auch der Transitraum zur Nichtraucherzone erklärt worden ist. Peters Telegramm „Komme Dienstag" bedeutet, (d) daß er heute kommt (e) daß er kommen darf (0 daß wir ihn abholen müssen (g) daß wir Montag ohne ihn anfangen müssen (h) daß er sich im Datum geirrt hat etc. Einer semantischen Explikation am nächsten steht (a), insofern, als hier (unabhängig von Kontextbedingungen) gesagt wird, daß ein bestimmter unbekannter Ausdruck dasselbe bedeutet wie ein als bekannt angenommener Ausdruck. Es ist dies das Prinzip der Bedeutungsexplikation durch Paraphrase oder Übersetzung. Alle anderen Beispiele enthalten Erläuterungen, wie ein kontextgebundenes Äußerungsvorkommen eines Ausdrucks im Hinblick auf seine diversen Voraussetzungen und Folgen zu verstehen sei. Die Verwendung von bedeuten deckt dabei ganz unterschiedliche Verweishinsichten ab, in (a) indirekt den Begriffsbezug, in (b), (d) direkt den Sachbezug, in (g), (h) Folgerungen aus dem Sachbezug, in (c), (e), (f) Folgerungen, die in unterschiedlicher Weise die Verweishinsicht Situations- und Sozialbezug involvieren. Es ist offensichtlich, daß eine linguistische Semantik nicht einfach definiert ist durch den Aktionsradius etwa des Verbs bedeuten oder — andersherum gesagt — daß eine linguistische Bedeutungsexplikation vor allen Dingen eine detaillierte Analyse der Verwendungweisen solcher Ausdrücke wie bedeuten beinhalten müßte. Der Illustrationswert der Beispiele für unseren Zusammenhang liegt in Folgendem: (5) Die illustrierten Verwendungsweisen von bedeuten, einem Ausdruck, an dessen Gebrauchsbedingungen sich der intuitive Bedeutungsbegriff sichtbar manifestiert, verdeutlichen, was es heißt, auf dem Wege schrittweiser Explikation von einem intuitiven zu einem theoretischen Bedeutungsbegriff zu gelangen. Semantikbezügliche Ausdrücke der natürlichen Sprache wie bedeuten und andere sind, da sie aus der Alltagssprache in die Wissenschaftssprache übernommen werden müssen (und zwar sowohl als objektsprachliche Einheiten wie als unentbehrliche Einheiten der Metasprache), ihrerseits explikationsbedürftig. Insbesonderheit bedarf die metasprachliche Verwendung solcher Ausdrücke der präzisen Festlegung, bezüglich welcher Verweishinsicht die zu beschreibenden objektsprachlichen Ausdrucks man sie verwendet. Und für diesen Zweck sind Analysen, die Verben wie bedeuten, mean etc. als objektsprachliche Einheiten untersuchen, von erheblichem Interesse (vgl. etwa STAMPE 1975, van den BOOM 1976, GRABSKI 1978), weil sie zur Schärfung der linguistischen Redeweise und zur Erhellung der zu differenzierenden Verweishinsichten beitragen.
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(6) Die Beispiele zeigen, daß die Bedeutung eines Ausdrucks auch unter Verwendung von bedeuten etc. niemals direkt ausdrückbar ist. Alles was hinter bedeuten in (a)—(h) folgt, ist jeweils nur ein selektiver Verweis auf eine Verweishinsicht des zu erläuternden Ausdrucks bzw. Äußerungsvorkommens. Die Konsequenz daraus ist, daß für die linguistische Analyse alle Versuche, in Normalsprache oder auch in reglementierter Quasi-Normalsprache zu formulieren, was ein Ausdruck bedeutet, als zwar unerläßliches, aber nicht ausreichendes Verfahren der Explikation zu betrachten sind. Eine linguistische Beschreibung kann also nur in dem Sinne sagen, was ein Ausdruck bedeutet, daß sie den Verweis auf seine Verweishinsichten systematisch und formal angibt. Das wiederum heißt, sie muß dem Ausdruck eine Repräsentation zuordnen, die die Verweishinsichten codifiziert. (7) Die in (5) und (6) angestellten Betrachtungen lassen für den Übergang vom intuitiven zu einem theoretischen Bedeutungsbegriff folgende Analogieformulierung zu: So wie der intuitive Bedeutungsbegriff des Sprechers am Umgang mit den sprachlichen Ausdrücken „klebt", so „klebt" auch die linguistische Semantik zuerst und vornehmlich an der Analyse sprachlichen Materials. Linguistisch betriebene Bedeutungsanalysen haben ihren natürlichen — und historisch klar belegten — Ausgangspunkt in der Betrachtung ausgewählter Mengen sprachlicher Ausdrücke und deren Systemzusammenhang. In die Explikation der verschiedenen Verweishinsichten ist die linguistische Bedeutungsanalyse nur allmählich und selektiv vorgestoßen, und zwar in jeweiliger Abhängigkeit von bestimmten Leitvorstellungen über die Natur des Sprachsystems und die Rolle der Grammatik. Man kann in der Tat sagen, daß der in (a) und (b) erwähnte intuitive Bedeutungsbegriff der Angelpunkt dafür ist, daß und wie sich die epistemische Unmöglichkeit, einen theoretischen Bedeutungsbegriff zu gewinnen, der die komplexe Verweisfunktion angemessen abbildet, umsetzt in das forschungsgeschichtliche Faktum, daß sich die linguistische Semantik als Disziplin aus einer Vielzahl materialgebundener partieller Explikationsvorstöße entwickelt hat und auch derzeit ein entsprechend pluralistisches Bild bietet. Mit einander verschränkt bestimmen die in (1)—(4) genannten wissenschaftstheoretischen Aspekte und die in (5)—(7) genannten heuristischen und methodischen Bedingungen das Wechselspiel von Gegenstandsbestimmung und Teilexplikation, und damit den inneren Motor der Semantikforschung. 2.4. Bevor wir im nächsten Kapitel eine bestimmte Auswahl von linguistischen Semantiktheorien (in etwas laxer Auslegung des Begriffs) vor diesem Hintergrund betrachten, sei hier noch der Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen der jeweilige Explikationsvorstoß bewertet werden soll. Wie jede andere Theorie, so ist auch eine Semantiktheorie (dies als Kurzwort für „linguistisch intendierte Theorie der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke")
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charakterisierbar durch ihre Gegenstandsbestimmung. Die Gegenstandsbestimmung definiert diejenigen Objektbereiche, deren Elemente beschrieben und in ihrem Zusammenhang erklärt werden sollen. Da man davon ausgehen kann, daß für eine linguistische Semantiktheorie ein solcher Objektbereich stets durch die (ausgewählten) Ausdrücke unter Berücksichtigung ihres Systembezugs vorgegeben ist, unterscheiden sich die einzelnen Theorien vornehmlich darin, welche weiteren Objektbereiche in die Gegenstandsbestimmung der jeweiligen Theorie eingehen. Durch die Gegenstandsbestimmung wird festgelegt, welche Kategorien von sprachlichen Ausdrücken (etwa: lexikalische Einheiten oder Syntagmen oder Sätze; sogenannte autosemantische oder synsemantische Ausdrücke; Einheiten des Sprachsystems oder ihre Äußerungsvorkommen in der Rede usw.) in welcher Verweishinsicht untersucht werden sollen. Jede ins Auge gefaßte Verweishinsicht bringt für die Theorie zweierlei ein: (1) legt sie für die ausgewählten sprachlichen Ausdrücke einen Interpretationsbereich fest, dessen Entitäten damit zu einem Objektbereich der Theorie werden; (2) macht sie die Angabe eines Zuordnungsverfahrens erforderlich, das die sprachlichen Ausdrücke und die ihnen als Interpretation zugewiesenen Entitäten miteinander verbindet. Mit anderen Worten: Die Gegenstandsbestimmung einer Semantiktheorie legt fest, was und wieviel von der komplexen Verweisfunktion sprachlicher Ausdrücke analytisch in den Blick kommt bzw. was und wieviel vom intuitiven Bedeutungsbegriff durch theoretische Bedeutungsbegriffe abgehoben und expliziert werden soll. Eine Explikation ist eine theoretisch begründete Rekonstruktion eines Explicandums durch ein Explikat. Das Explicandum für eine linguistische Semantiktheorie ist die „Bedeutung eines Ausdrucks s der Sprache L" in systematisierter und auf die Grammatik von L bezogener Weise. Dabei ist die Bedeutung von s nicht aufzufassen als eine diskrete Einheit in dem Sinne wie der Ausdruck s eine diskrete Einheit der Sprache ist. Vielmehr gilt — und das sollte durch den Hilfsterminus , Verweishinsicht' bereits angezeigt werden — daß die Bedeutung eines Ausdrucks s zu explizieren ist als ein Gefüge von Zuordnungen im Hinblick auf die Entitäten der Bereiche, in denen s eine Interpretation erhält. Wenn also „Bedeutung" zum linguistischen Explicandum erhoben wird, dann muß der relationale Charakter des zu explizierenden Begriffs hinreichend berücksichtigt werden. Die Explikate werden daher letztlich den Charakter spezifizierter Relations- bzw. Funktionsbegriffe annehmen müssen, die als Werte jeweilige Entitäten aus den Interpretationsbereichen annehmen. In der formalen Bewältigung dieser Zuordnungen hat das Konzept der logischen Form eines Satzes seinen Platz. Die sachgerechte Implementierung logischer Beschreibungssysteme in die linguistische Semantik hat aber zur Voraussetzung, daß die von uns ,Interpretationsbereiche' genannten Objektsbereiche der Semantiktheorie in geeigneten Modellen aufbereitet werden
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können, auf denen die gewählte Logik operiert, andernfalls würden Logiksprachen in diesem Zusammenhang nur als uninterpretierte Notationsmittel fungieren. Die Einsicht in die Implementierungsbedingungen logischer Systeme für linguistischsemantische Beschreibungen ist nur im Laufe eines ziemlich langwierigen Prozesses zu gewinnen, von dem wir in Abschnitt 3. einige Ausschnitte schildern. Was die Form der semantischen Explikation betrifft, so kann man demnach sagen, daß alle der Explikation von „Bedeutung" dienenden Einzelaussagen einer Semantiktheorie in der einen oder anderen Weise dem folgenden Schema genügen müssen: (A) Der Ausdruck e in L BEDEUTET 6 E Für die Erfüllung dieses Schemas gibt es einige generelle Bedingungen, die bestimmen, was überhaupt eine semantische Explikation sein kann. Eine detaillierte Diskussion dieser Punkte findet sich z. B. bei SCHNELLE (1973). Alles Übrige, und das ist das, worin sich die einzelnen Semantiktheorien gemäß Gegenstandsbestimmung etc. erheblich unterscheiden, ist eine Angelegenheit der passenden Einsetzung, der Ausgestaltung der Positionen e, E und BEDEUTET im Schema. Die generellen Bedingungen sind: (A) (i)
Für e ist in jedem Falle der Name eines Ausdrucks aus der natürlichen Sprache L einzusetzen. Dabei wird normalerweise im Sinne autonymischer Verwendung der Ausdruck e selbst figurieren, versehen mit bestimmten Angaben seines Systembezugs, d. h. e wird repräsentiert zusammen mit seiner grammatischen Strukturbeschreibung. Daß an der Position von e der Name eines sprachlichen Ausdrucks stehen muß, gleichviel ob in Form eines Ausdruckszitats oder in theoretischer Symbolisierung, ist insofern wichtig, als die an der Position e figurierenden Ausdrücke in den Bereich der Objektsprache gehören. (A) (ii) Für E erscheint in jedem Falle eine Repräsentation von metasprachlich formulierten Aussagen über den Ausdruck e aus L, und zwar so, daß E eine Beschreibung der Entitäten enthält, die e in einer oder mehreren Verweishinsichten zugeordnet werden. E entstammt also einer Menge von Aussagen einer elementaren oder elaborierten Theorie, die den jeweiligen Interpretationsbereich von e rekonstruiert. (A) (iii) An der Stelle von .BEDEUTET' figuriert das jeweilige Explikat von „Bedeutung", ausdrückbar durch eine (unter Umständen ziemlich komplexe und mit Bedingungsangaben versehene) Funktion, die dem sprachlichen Ausdruck e die durch E beschriebenen (Konfigurationen von) 6
„BEDEUTET" ist hier nicht das deutsche Verb gleichen Namens, sondern der Platzhalter für jeweils einzusetzende Explikate des Bedeutungsbegriffs. Angesichts der in 2.3.2. angestellten Überlegungen markiert eine Explikation nach Schema (A) mit e = bedeuten und vollspezifiziertem E den gewissermaßen unerreichbaren Zielpunkt einer Semantiktheorie.
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Entitäten als Interpretation zuordnet. Kurzum: An der Stelle von »BEDEUTET' manifestiert sich das, was den Zusammenhang von e und E formal und inhaltlich als semantische Explikation ausweist. Das Schema (A) enthält alle wesentlichen Bestimmungsstücke einer semantischen Explikation, die auch dann vorhanden sind, wenn sich die Resultate und Aussageformen von semantischen Analysen in ganz anderer Gestalt darbieten, etwa in einoder mehrsprachigen Wörterbüchern, bei Wortfelddarstellungen oder bei der Gruppierung von Sätzen nach Paraphrasebeziehungen usw. Auch da also, wo die Form der semantischen Explikation keineswegs so transparent ist wie in (A), sind ihre Bestimmungsstücke rekonstruierbar. Die jeweiligen Semantikauffassungen sind dann auf diesem Hintergrund methodisch kritisierbar. Auf die Ebene einer semantischen Gesamtbeschreibung gehoben, kann man nun das Explikationsschema (A) generalisiert wiedergeben als Interrelation von Beschreibungsaussagen aus verschiedenen Teiltheorien. Wenn wir mit LS die Menge der an der Position e in (A) figurierenden Repräsentationen bezeichnen, mit IB entsprechend die Menge der an der Position von E in (A) erscheinenden Aussagen und mit F eine Menge von Zuordnungen, so ergibt sich: (B)
LS
IB
Damit sind wir auf der in der Einleitung mehrfach genannten Ebene der Interrelation von Darstellungsformen bzw. Repräsentationsformen aus dem Arsenal verschiedener Theorien. Es ist dies auch die Ebene, auf der die logische Form eines Satzes als Gegenstand der Semantiktheorie erst in den Blick kommt und es bedarf dazu einer Gegenstandsbestimmung der Semantiktheorie, die das, was wir komplexe Verweisfunktion genannt haben, insgesamt umgreift. Eine solche Gegenstandsbestimmung ist in der Geschichte der linguistischen Semantikforschung
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Die logische Form eines Satzes
eine relativ neue Errungenschaft, und sie hat sich auch längst noch nicht durchgesetzt. Daher mag es von Interesse sein, wenn wir an Hand der Schemata (A) und (B) einige Semantikauffassungen bezüglich Gegenstandsbestimmung und gelieferter Teilexplikation von „Bedeutung" charakterisieren. Auf dem Hintergrund der unter 2.1. oben genannten Verweishinsichten sind dann unter den Kennmarken LS und IB die jeweiligen Objektbereiche der Theorie aufzuführen, d. h. unter LS die jeweils untersuchten Kategorien von sprachlichen Ausdrücken, unter IB die Objektbereiche, deren Entitäten den sprachlichen Ausdrücken zugeordnet werden, unter F schließlich die jeweiligen semantischen Grundbegriffe bzw. Explikate, die die betreffende Semantiktheorie liefert. Die folgende Zusammenstellung kann nur einige Schlaglichter setzen, sie ist keine Geschichte der Semantik.
3. Semantiktheorien
und Bedeutungsexplikationen.
Ein Überblick
3.1. F. de SAUSSURE. Unbeschadet seiner immensen Leistung für die Entwicklung der modernen Linguistik hat SAUSSURE im Cours eine Semantikauffassung vorgebracht, die angesichts seiner sonstigen Begriffsbildungen eigenartig dürftig und widersprüchlich anmutet, die aber wegen der nachhaltigen Wirkungen auf die strukturelle Linguistik durchaus der Erwähnung wert ist. SAUSSURE hat einerseits den sprachinternen Systembezug klar erkannt, nämlich, daß „die Sprache ein System ist, dessen Glieder sich alle gegenseitig bedingen und in dem Geltung und Wert des einen nur aus dem gleichzeitigen Vorhandensein des anderen sich ergeben" (Grundfragen 1931: 137) und er hat dafür wichtige Begriffsbildungen (die bekannten Dichotomien Syntagmatik, Paradigmatik; Diachronie, Synchronie ; Langue, Parole) eingeführt. Aber er hat sich andererseits die Ausnutzung dieser differenzierenden Einsichten für die Semantik dadurch verbaut, daß er die Betrachtung der sprachexternen Verweisfunktion in die sprachinterne des bilateral aufgefaßten Einzelzeichens verlegte. Damit sind drei gravierende Reduktionen für die Explikation von „Bedeutung" verbunden: (1) als Ausdruckskategorien unter LS kommen nur einzelne Wörter (Substantive) in den Blick, trotz programmatischer Bemerkungen über das Ineinanderspielen von Syntagmatik und Paradigmatik bei der Feststellung des Werts von Syntagmen (Grundfragen, Kap. V, VI). (2) Als Entitäten der IB kommen bei ihm weder sprachexterne reale Gegenstände {choses réelles) noch sprachunabhängige konzeptuelle Einheiten der Kognition ins Spiel. Vielmehr fließen die LS und IB konstituierenden Objektbereiche in SAUSSURES alleinigem Gegenstandsbereich zusammen — dem System der bilateral aufgefaßten Zeichen. Und da gilt, „daß die im sprachlichen Zeichen vereinigten 6
Viehweger, Semantikforschung
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Bestandteile" — Vorstellung und Lautbild bzw. signifié und signifiant — „alle beide psychisch sind, und daß sie in unserem Gehirn durch das Band der Assoziation verknüpft sind" (ibid. : 77) und „das sprachliche Zeichen ist also etwas im Geiste tatsächlich Vorhandenes, das zwei Seiten hat" (ibid.: 78). Damit sind Begriffsbezug und Sachbezug ins sprachimmanente Relationssystem verlegt und gehen in ihm auf bzw. unter. „Die Sprache" — die die gestaltlose und unbestimmte Masse des Denkens erst organisiert — „schafft eine Form, keine Substanz" (ibid.: 134). (3) Als Explikat unter F erscheint bei SAUSSURE für die Einzelzeichen die durch die bekannten Pfeile symbolisierte Verbindung (association) von Vorstellung und Lautbild und für das System insgesamt „erzeugt dieses In-Beziehung-Setzen einer gewissen Anzahl von lautlichen Zeichen mit einer entsprechenden Anzahl von Abschnitten in der Masse des Denkens ein System von Werten" (ibid. : 144). Eine Explikation von „Bedeutung" im Sinne unserer Kriterien kommt bei SAUSSURE also nicht zustande, sie wird behindert, wenn nicht gar verhindert, durch die Gegenstandsbestimmung seiner Sprachtheorie, die alle für eine Explikation notwendig zu trennenden Objektbereiche zu einem einzigen Bereich fusioniert. Daß dieser Bereich im unbestimmt „Psychischen" angesiedelt wird, erweist sich bei aller dagegen vorzubringenden Idealismus-Kritik dabei für die weitere Entwicklung der linguistischen Semantik als weniger gravierend als die Bestimmung der Sprache als immanentes Relationssystem von Werten über bilateralen Zeichen. Der Psychologismus — schon im Cours an vielen Stellen durchbrochen 7 — läßt sich in der SAUSSURE-Nachfolge offensichtlich nicht durchhalten. Er wird in verschiedenen Anläufen relativiert durch zumindest mittelbare Einbeziehung sprachexterner Objektbereiche. Die Auffassung der Sprache als immanentes Relationssystem von Zeichen aber hat nachhaltig die Richtung der semantischen Analysen in der Folgezeit bestimmt. Es bleibt für lange Zeit dabei, daß als Ausdruckskategorien lexikalische Einheiten untersucht werden und daß als Verweishinsichten diverse Relationen im System beschrieben werden. SAUSSURES SystemaufTassung und seine dichotomischen Leitbegriffe haben in der Sprachwissenschaft allgemein den Übergang von der Philologie zur Linguistik wesentlich mitverursacht, sie haben zugleich aber bewirkt, daß innerhalb der 7
So kann man bei der Lektüre des Cours an mehreren Stellen bemerken, wie sich bei der Entfaltung des Gedankens der systemimmanenten Werte dem Autor immer wieder unversehens ein sachbezogener Bedeutungsbegriff in den Weg stellt. Vgl. etwa folgende Passage : „Geltung oder Wert, von der Seite des Vorstellungsinhaltes genommen, ist ohne Zweifel ein Bestandteil der Bedeutung, und es ist schwer, anzugeben, wodurch sich beides unterscheidet, obwohl doch die Bedeutung vom Wert abhängig ist. Gleichwohl ist es notwendig, diese Frage ins reine zu bringen, wenn man nicht die Sprache auf eine bloße Nomenklatur zurückzuführen will." (Grundfragen: 136)
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Linguistik die Emanzipation vom intuitiven unspezifischen Bedeutungsbegriff nur sehr langsam vonstatten ging. Man kann diesen Emanzipationsprozeß in folgende Tendenzformulierung bringen: Die linguistischen Bedeutungsbegriffe werden umso differenzierter, je mehr die komplexe Verweisfunktion entfaltet und entflochten wird, je mehr die Regularitäten der Komplexbildung von Ausdrücken unter LS ihre Entsprechung finden in Komplexbildungen differenzierter Objektbereiche unter IB. Beides ist abhängig von der jeweiligen Gegenstandsbestimmung: Je umfassender und zugleich differenzierter der intuitive Bedeutungsbegriff selbst zum Gegenstand einer Semantiktheorie wird, umso deutlicher erweist sich die Notwendigkeit, von der am Material „klebenden" sprachinternen Betrachtung überzugehen zur Analyse der mit den untersuchten Ausdrücken verbundenen sprachexternen Verweishinsichten. Aus diesem Zusammenhang heraus erklärt sich auch, weshalb die unter F einzuordnenden Explikate der meisten linguistischen Semantiktheorien nach S A U S S U R E in der Sphäre intuitiv flankierter Begrifflichkeit verbleiben. Dennoch gilt auch hier: Je komplexer und differenzierter die Zuordnungen von LS zu IB erkannt und formuliert werden, desto klarer müssen sich die Explikate aus dem intuitiven Verständnis herauslösen und formal vergegenständlicht werden. Als nächstes werden wir nach demselben Schema einige Semantikauffassungen charakterisieren unter dem Stichwort: 3.2. Wortfelder und „Sprachinhaltsforschung". Bei TRIER (1931), dem Begründer der Wortfeldtheorie werden (zunächst aus der Sicht des Bedeutungswandels) Einzelwörter in ihrem sprachinternen Systembezug zum Gesamtwortschatz einer Sprache untersucht: „Die Einzelworte bestimmen sich durch Zahl und Lagerung im Gesamtfeld gegenseitig ihre Bedeutungen" (ibid. 7). Der Wortbestand einer Sprache gliedert sich in einzelne ineinander verschränkte Felder, „die zwischen den Einzelwerten und dem Wortschatzganzen lebendigen Wirklichkeiten" (1934: 430). Obwohl „die Bedeutung des Einzelwortes abhängig (ist) von der Bedeutung seiner begrifflichen Nachbarn" im Feld (1931: 2) und „vom Gefüge des Ganzen her seine inhaltliche begriffliche Bestimmtheit empfangt" (ibid.), erscheint bei TRIER (und seinen Nachfolgern) der Begriffsbezug sprachlicher Ausdrücke nur in Gestalt der „Sinnbezirke", die jeweils bestimmte Wortfelder „inhaltlich" zusammenfassen. Ein „Sinnbezirk" ist „ein mehr oder weniger geschlossener Begriffskomplex, dessen innere Aufteilung sich im Gefüge des Zeichenfeldes darstellt, in ihm für die Angehörigen einer Sprachgemeinschaft gegeben ist" (1931: 1). Durch die Postulierung von Sinnbezirken als IB ist SAUSSURES psychologistisches Konzept vom sprachimmanenten Relationssystem zwar aufgebrochen, eine Bedeutungsexplikation im Sinne unserer Schemata bleibt aber weiterhin verbaut, weil TRIERS Gegenstandsbestimmung auf die Wortfelder als sprachinterne „Wirklichkeiten" abzielt. Sachbezug wird nicht thematisiert, steht aber bei der Analyse 6*
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der Feldgliederung notwendig im Hintergrund. Explikate im Sinne von F sind hier nur implizit anzutreffen, d. h. sie müssen aus den illustrativen Wortzusammenstellungen abgeleitet werden. Bei WEISGERBERS (1956, 1962 und 1971) „Sprachinhaltsforschung" wird der Gegenstandsbereich erweitert: Neben den sprachlichen Ausdrücken (Lautformen von Wörtern) im Sinne von SAUSSURES signifiant erscheint der Bereich der Wortinhalte (signifié) und ein Bereich der „Dinge der vorgegebenen Außenwelt". Obwohl hier IB postuliert werden, somit die Voraussetzung für eine Explikation der Verweishinsichten gegeben wären, sperrt sich WEISGERBER gegen eine Explikation, denn „was da als Bedeutung von Wörtern, als Funktion von Formen auftaucht, das sind sehr ungeklärte Gebilde, und vor allem, die grammatische Betrachtung siedelt üblicherweise diese Bedeutungen und Funktionen bereits außerhalb der Sprache an, im ,Denken', in der Außenwelt oder sonstwo" (1962: 29). Statt die Verweishinsichten der Wörter als Zuordnungen zu explizieren, verlegt WEISGERBER jeglichen erklärbaren Zusammenhang von Ausdruck und Begriffsund Sachbezug in das Walten einer „geistigen Zwischenwelt" — einer Hypostasierung des Sinnbezirks von TRIER — welche das „sprachliche Weltbild" einer betreffenden Sprachgemeinschaft prägt und durch die Bestimmung der „sprachlichen Zugriffe" auf die Außenwelt somit auch den Bereich der außersprachlichen Wirklichkeit für die betreffende Sprachgemeinschaft sprachabhängig strukturiert. WEISGERBERS ideologischer Hintergrund, die Ausstaffierung der „geistigen Zwischenwelt" mit allerlei wundersamen Kräften und Wirkungen, seine ganze mulmige Metaphorik — all das ist hinreichend oft kritisiert worden und braucht uns hier nicht zu beschäftigen. Bemerkenswert innerhalb unserer Revue von Semantikauffassungen ist lediglich WEISGERBERS ausdrückliche Leugnung einer Explikationsmöglichkeit von „Bedeutung" im Sinne einer rationalen Rekonstruktion von Zuordnungen und sein Ausweichen in den Mythos der „geistigen Zwischenwelt". WEISGERBER hat seine Intuition von Bedeutung beständig benutzt, um eine Vielzahl subtiler Beobachtungen über die Wortfeldstruktur anzustellen und in illustrativen Fragmenten deskriptiv anzuordnen. Aber was die Semantiktheorie betrifft, da hat er den intuitiven Bedeutungsbegriff nicht thematisiert oder gar zu explizieren versucht, sondern er hat ihn als möglichen Gegenstand einer Semantiktheorie geradezu begraben — unter einem Wust von pseudo-wissenschaftlichen Ideologemen. Erwähnenswert innerhalb der weitverzweigten Wortfelduntersuchungen ist (1934 und 1950) syntagmatischer Feldbegriff. Während die übrigen Feldforscher Wortbedeutungszusammenhänge innerhalb eines Paradigmas einer Ausdruckskategorie untersuchten, bringt P O R Z I G (und später K U R Y L O W I C Z 1936 u. a.) Relationen innerhalb von syntaktisch determinierten Ausdruckspaaren ins Spiel: greifen — Hand-, sehen — Auge; hören — Ohr-, bellen — Hund-, wiehern — Pferd-, fällen — Baum etc. und nennt sie „eine Beziehung, die im PORZIGS
Die logische Form eines Satzes
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Wesen der gemeinten Bedeutungen selbst gründet" (1934: 70). Hier wird für syntaktische Konstruktionen von Ausdrücken ein Zusammenhang von Begriffsbezug und Sachbezug unterstellt, der später in den Selektionsbeschränkungen der Generativen Grammatik verschiedene Explikationsformen gefunden hat. Mit diesen wenigen exemplarisch kritisierten Auffassungen soll keinesfalls die Wortfeldforschung als legitime semantische Forschungsrichtung disqualifiziert werden. Wortfelder sind in mehrerlei Hinsicht ganz natürliche Materialausschnitte für semantische Analysen. Die wichtigsten Einsichten auf dem Gebiet der lexikalischen Semantik stammen eigentlich daher, daß etwa ein Dutzend favorisierter „Felder" (Verwandtschaftsnamen, Farbnamen, Dimensionsadjektive, Bewegungsverben, Vorgangsverben etc.) immer wieder mit unterschiedlichsten Zielstellungen und Methoden analysiert wurden. Auch die kritisierte spezifisch deutsche Tradition der Wortfeldtheorie verdient hierbei nicht nur mit bestimmten Beobachtungsresultaten, sondern auch mit ihren Spekulationen durchaus Interesse — sofern es gelingt, die spekulativen Annahmen in empirische Fragestellungen umzuformen (beispielhaft hierfür etwa LEHRER 1974). Implizit, mindestens im Sinne heuristischer Vororientierung, ist der Wortfeldgedanke natürlich auch in allen Varianten der Komponenten- oder Semanalyse enthalten. Vgl. u. a. L Y O N S (1977) und VIEHWEGER et al. 1976 als Überblicke, über lexikalische Semantik handelt auch der Band Aspekty (1980). Es ging uns hier nur um die möglichen Beiträge, die von der Wortfeldtheorie für eine theoretische Explikation des Bedeutungsbegriffes geleistet werden unter dem Blickwinkel des Zusammenhangs von Gegenstandsbestimmung und Explikation. Und gerade hierfür sind die frühen Wortfelduntersuchungen als Negativbefunde interessant — die Explikation kann sich nicht von der Intuition lösen. 3.3. Exkurs. Übrigens wäre es als wissenschaftshistorische Studie äußerst reizvoll, wenn man darstellte, wie sich auf der Materialbasis ein und desselben Wortfeldes durch sukzessive, jeweils modellabhängige Reanalyse die Explikation des Bedeutungsbegriffs im Sinne der schrittweisen Rekonstruktion der komplexen Verweisfunktion entwickelt hat. Einen geradezu exemplarischen Kriechwurzeleffekt hat hier das Feld der polaren Dimensionsadjektive hoch: tief; lang: kurz; breit .schmal/eng; groß'.klein etc gehabt. Eine grobe Skizze ergibt etwa folgendes Bild: Die Ausgangsdaten stammen von LEISI (1953), der in einem scharfsinnigen deutsch-englischen Lexikvergleich bereits die wesentlichen semantisch relevanten Charakteristica dieser Gruppe (Dimensionierung, Normbezug, beobachterabhängige perzeptive Orientierung und Markiertheit) herausfand und beschrieb, allerdings ohne Ambitionen auf theoretische Explikation. GREIMAS (1966) tat einen ersten Explikationsschritt, indem er diese Adjektivgruppe in seine Hierarchie klassifikatorischer Seme einordnete, allerdings ohne die Seme selbst zu interpretieren.
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Die nächste Etappe ist markiert durch BIER WISCH ( 1 9 6 7 ) (und darauf bezogene Modifikationen von TELLER 1969), der ( 1 ) diese Ausdrücke im Satzzusammenhang einführt (Erweiterung der LS), (2) eine begrenzte Menge (universalienverdächtiger) semantischer Merkmale im Sinne von KATZ/FODOR postuliert und (3) diese Merkmale durch sprachunabhängige psychologische Evidenzen begründet. Damit ist (im Ansatz) nicht nur durch die Form der Darstellung die Bedingung einer partiellen Explikation — nämlich des Begriffsbezugs erfüllt, sondern diese Explikation wird auch empirisch überprüfbar, weil die Entitäten des herangezogenen Interpretationsbereichs (Konzepte der Raumorientierung) experimenteller Verifikation zugänglich sind, die dann auch von CLARK & CLARK ( 1 9 7 1 ; 1973), ERTEL ( 1 9 7 4 ) u. a. vorgenommen wurde. Die Auswirkungen der semantischen Eigenschaften dieser Wortgruppe auf die Syntax von Vergleichssätzen wurden von DOHERTY (1970) und WUNDERLICH (1973) untersucht, die damit zum einen durch Komplexbildung im Bereich LS einen weiteren Integrationsschritt vornahmen, zum anderen durch Repräsentation in zwei Varianten prädikatenlogischer Notation einen Beitrag zur Entwicklung einer Semantiksprache leisteten. Was noch fehlt ist der Sachbezug. Dieser wird bei BARTSCH/VENNEMANN ( 1 9 7 3 ) angedeutet im Zusammenhang mit einer weiteren Modifikation der Beschreibungssprache. Endgültig thematisiert (und damit in die Explikation integriert) wird der Sachbezug in der auf CRESSWELL aufbauenden modell-theoretischen Semantikanalyse dieser Adjektivgruppe bei KAISER ( 1 9 7 8 ) . Ich hoffe, dieser gedrängte Exkurs hat den Sinn unserer Betrachtungen über die Explikation von „Bedeutung" noch einmal verdeutlicht. 3.4. Sinnrelationen bei
LYONS
Ein ganz erheblicher Fortschritt bezüglich der Explikation von „Bedeutung" wird (bei kritischer Anknüpfung an SAUSSURE und die Wortfeldtheorie) durch LYONS' (1963; 1968 und 1977) „sense relations" erreicht. LYONS' Semantiktheorie zielt ab auf eine Explikation des Systembezugs von Lexemen bezüglich ihres Sinns (sense) — was er deutlich abhebt gegenüber ihrem Sachbezug (reference) — durch Spezifikation der Sinnrelationen, die ein Lexem mit dem übrigen Wortschatz verbinden. Dabei werden in den Gegenstandsbereich seiner Theorie neben den Wortschatzeinheiten weitere Objektbereiche einbezogen, die Verweishinsicht wird spezifiziert und insgesamt wird ein wesentlicher Schritt getan in Richtung auf „logische Form als Gegenstand der Semantik", obwohl LYONS ein solches Konzept gerade ablehnt. Der Ausgangsbegriff „having meaning" (was etwa der Nomenklatur „bedeutungstragend" für den in 2.2. eingeführten intuitiven Bedeutungsbegriff ent-
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Die logische Form eines Satzes
spricht) wird in mehreren Schritten zu einem theoretischen Explicandum präzisiert. LYONS argumentiert, daß — wiewohl die Linguisten Wörter und Sätze untersuchten — sich die Bedeutungen dieser Einheiten letztlich und vollständig nur in ihrem kommunikativen Vollzug, d. h. im Rahmen von kontextgebundenen Äußerungen von Sätzen ergäben. LYONS' Kontextbegriff ist sehr umfassend 8 , wird aber für die Explikation der Sinnrelationen in einigen Punkten differenziert. Die Verankerung im kommunikativen Vollzug ist auch die Basis für die formale Explikation der Sinnrelationen. LYONS definiert Sinnrelationen zwischen Lexemen (lexical items) a, b mit Hilfe von strukturell bis auf die jeweiligen Vorkommen von a, b identischen Sätzen S1, S2, die ihrerseits objektsprachlich zueinander in der Beziehung der (materialen) Implikation und/oder Negation stehen. Einige Beispiele: I. Hyponymie:
-> S2, aber S2
Sj
(a) A' ist ein(e) Baum/Strauch/Blume; X ist eine Pflanze (b) X ist eine Rose ¡Tulpe /Nelke; X ist eine Blume (c) X ist karmin/zinnober/weinrot; X ist rot
II. Synonymie: Sy
S2 & S 2 ->• S1 =df 5, = S2
(a) X ist ein männliches Pferd; X ist ein Hengst
(b) X beginnt zu sprechen; Xfängt an zu sprechen (c) X insultiert Y; X beleidigt
Y
III. Opposition (1) Antonymie:
-+ —, S2, aber —| S2 -/—> 5,
X ist groß/schlank/faul;
(2) Heteronymie: S,
X ist
klein/dick/fleißig
—, (S^ v S'2 v ...
Heute ist Montag', Heute ist Sonntag, Dienstag,
(3) Komplementarität: Si X ist männlich/weiblich/tot",
—, S2 & —, S2 X ist
...
S, =d/ 5, =
S
weiblich/männlich/lebendig
und eine Reihe durch Kombination und Spezialisierung von I—III abzuleitender weiterer Sinnrelationen, die gewissermaßen die sinn-semantische Feinstrukturierung des Wortbestandes bilden. Wir können auf diesen sehr fruchtbaren Aspekt 8
So rechnet LYONS zum Kontext einer Äußerung sowohl die unmittelbare Umgebung (raumzeitliche Situation, Sprecher, Hörer, die mit der Äußerung verbundene Handlung „and various external objects and events") als auch „shared knowledge" bezüglich des vorangegangenen Diskurses und schließlich „tacit acceptance" aller relevanten Konventionen, Überzeugungen und Voraussetzungen, die von den Mitgliedern der betreffenden Sprachgemeinschaft geteilt werden. — Eine Berücksichtigung dieser Faktoren innerhalb einer Semantik ist gewiß notwendig, bedarf jedoch erheblicher Differenzierungen.
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hier nicht weiter eingehen, wollen aber festhalten, daß LYONS' Theorie Explikationen nach Schema (A) in folgender Form bereitstellt: (IV) Lexem a steht in Sinnrelation SR zu Lexem b im Kontext C Die Explikate, d. h. die einzelnen Typen von SR, erhalten eigene Namen {Baum, Blume sind Ko-Hyponyme zu Pflanze-, Pferd ist Hyperonym zu Hengst und Stute; Norden ist orthogonales Heteronym zu Osten, Westen sowie diametrales Heteronym zu Süden etc.). Die Bedingungsangabe „im Kontext C" hat mehrere Ingredienzen. Erstens. Sie ist ein Hinweis, daß es sich bei den Sinnrelationen um Beziehungen zwischen sprachlichen Ausdrücken handelt (nicht um Beziehungen zwischen deren Extensionen oder Intensionen), um Einheiten somit, deren Interpretation im Hinblick auf Sach-, Begriffs-, Situations- und Sozialbezug definitiv erst im Äußerungsvollzug festliegt, also unter voller Einflußnahme des Kontextes. LYONS abstrahiert bei (IV) vom Aktualkontext (Vorwissen, Redehintergrund, Situationsausstattung, Sprecher-Hörer-Interaktion etc.) und definiert die Sinnrelationen relativ zu einem „restricted context", der nur den Einfluß der „more general beliefs, Conventions and presuppositions governing the particular ,universe of discourse' in the society"9 berücksichtigt. (1968: 419). Zweitens. „Im Kontext C" liefert die Basis für die Interpretation der benutzten Metasprache, also für ,—|' und ,-»'. LYONS lehnt es ab, diese Operatoren logisch extensional (durch Klasseninklusion) oder intensional (durch „entailment") zu interpretieren, sondern er postuliert statt dessen entsprechende „pragmatic concepts" . . . „by way of the prior concepts of explicit assertion (5: John is married) and denial (—, S: John is not married)" (1968: 445). Entsprechend die 9
Man muß diese Art der Festlegung für den Interpretationsraum für Sinnrelationen vielleicht durch folgendes illustrieren: Es ist z. B. die gesellschaftliche Norm, daß Personen entweder weiblich oder männlich sind und dies ist auch die einzige Distinktion, die im Personenstandswesen vorkommt. Darauf bezieht sich dann die Relation männlich = —, weiblich, d. h. Zwitter sind nicht vorgesehen, ebensowenig Geschlechtsumwandlungen. So ist die Relation X ist Vater von Y -» X ist männlich ebenfalls auf die Norm bezogen. Unbeschadet davon gibt es natürlich Fälle von Äußerungen wie Sie ist der Vater ihrer Kinder, die keinerlei Metaphorik oder Verletzung von Selektionsbeschränkungen enthalten, weil sie sich auf eine geschlechtsumgewandelte Person beziehen. Die Illustration lenkt noch auf einen anderen wesentlichen Punkt hin: Sinnrelationen zwischen (autosemantischen) Lexemen sind — logisch gesprochen — Relationen zwischen deskriptiven Ausdrücken, die ihrerseits bezüglich ihrer Interpretation dem Wandel der Welt unterliegen können. Davon strikt zu unterscheiden sind Sinnrelationen zwischen bestimmten (synsemantischen) Lexemen, die unter diesem Aspekt keinerlei Veränderung unterliegen und daher z. T. auch das Material bilden, aus denen sich die Logik aufbaut. Kurzum: Es ist keine Welt vorstellbar, in der nicht gilt: ,X ist rot und rund' —• ,X ist rot' und ,X ist rund'.
Die logische Form eines Satzes
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Quasi-Definition für „Sj -> S2 — if the speakers of the language agree that it is not possible to assert explicitly S, and to deny explicitly S 2 " und für „S1 -> —| S2 — if it is agreed that the explicit assertion of Sl makes impossible, without contradiction, the explicit assertion of S 2 " (ibid.). Beides sind bei LYONS Vorbehalte bzw. Vorkehrungen, um bei der Semantikanalyse „linguistics proper" gegenüber der Logik und Philosophie nicht aus den Augen zu verlieren. Rekapitulieren wir LYONS' Theorie anhand von Schema (B), so ergibt sich: Unter LS erscheinen syntagmatisch und paradigmatisch gruppierte Paare und Tupel von Lexemen im Satzkontext; unter IB erscheinen als Objektbereiche: (1) außersprachliche Gegenstände, auf die mit Lexemen sinn vermittelt und stark kontextbedingt „referiert" wird; (2) Äußerungsereignisse in komplexen Kontexten, wobei vor allem (a) die gesellschaftlichen Konventionen und das praktische Alltagsbewußtsein zur Strukturierung des Vokabulars sowie (b) die pragmatischen Parameter des expliziten Behauptens und Bestreitens ins Spiel kommen. LYONS distanziert sich ausdrücklich vom Psychologismus und von der „Geistigkeit" der Wortfeldtheoretiker, er macht andererseits aber auch keine genaueren Annahmen bezüglich der begrifflichen Entitäten, die den kognitiven Interpretationsbereich des Sinns eines Lexems und der Sinnrelationen zwischen Lexemen abgeben müßten. (Dies geschieht erst bei der Komponenten- bzw. Marker-Analyse im Sinne von K A T Z , BIERWISCH U. a.). Die unter F erscheinenden Explikate wie Antonym, Ko-Hyponym etc. bilden somit eine Art wortschatzbedingten Rasters für die Realisierung der Verweishinsichten Begriffsbezug und Sachbezug „in restricted contexts", die betreffenden Interpretationsbereiche werden aber nicht theoretisch rekonstruiert. Wir müssen nun noch einige wertende Bemerkungen anschließen über LYONS' Verhältnis zur „logischen Form". Zunächst liegt es auf der Hand, daß man die o. g. Sinnrelationen in einer explizit eingeführten Logiksprache, z. B. der Prädikatenlogik, beschreiben kann, wie das von CARNAP U. a. im Sinne der Bedeutungspostulate auch in mehreren Varianten vorgeschlagen wurde. Voraussetzung dafür ist eine Stufenverschiebung im Verhältnis von Objektsprache und Metasprache sowie eine von der zu beschreibenden Sprache L unabhängige Interpretation der Beschreibungssprache. Die nicht satzartigen Einheiten von L, also grob gesagt: die Lexeme von L, müssen zunächst in Prädikate der Logiksprache übersetzt werden. Das heißt, daß die Ausdrücke der ursprünglichen (natürlichen) Objektsprache L nunmehr erscheinen als Ausdrücke der (logischen) Objektsprache L'. Die Definition der Sinnrelationen als Relationen zwischen Klassen von Ausdrücken in L erfolgt dann als metasprachlich formulierte Definition von Relationen über Klassen von Prädikaten in der Objektsprache L'. Zur Illustration geben wir einige Explikationen nach Schema (A). Seien ,P\ irgendwelche ein- oder mehrstellige Prädikate aus L', d. h. Übersetzungen von Ausdrücken
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ex, e2 aus L, so lassen sich u. a. folgende Definitionen für Sinnrelationen angeben : SINNRELATION SR in L = d / KLASSENRELATION KR in L' (1) ,P' ist hyponym zu ,Q' =df ,(x) (Px -> Qx)' bzw. für mehrstellige 0') (Pxy - QxyY etc. Beispiele für e1,e2: (Blume, Pflanze); O'
Beispiele: (männlich, weiblich); ', ,— in L' interpretiert sind. LYONS lehnt die darin involvierte „klassische" Unterscheidung CARNAPS nach Sachbezug = Extension und Begriffsbezug = Intension sowie den extensionalen Wahrheitsbegriff für die Linguistik — zumindest als Mittel der Bedeutungsexplikation — als unbrauchbar ab; ebenso übrigens auch relativierte Wahrheitsbegriffe wie „wahr-bezüglich-einer-Interpretation" im Sinne der Modelltheorie (1977: 185). LYONS postuliert demgegenüber eine Unterscheidung von .denotation:,sense': reference' und hält, was die linguistische Explikation des Sachbezugs von sprachlichen Ausdrücken betrifft, das Wahrheitskriterium für sekundär gegenüber dem Kriterium der applicability', wobei man noch beachten muß, daß LYONS fast ausschließlich mit Lexem- bzw. LexemgruppenSemantik, nicht aber mit Satzsemantik befaßt ist. Ganz kurz: „Denotation of a lexeme [is] the relationship that holds between persons, things, places, properties, processes and actions external to the language-system" . . . „we will say that the .denotatum' of cow is a particular class of animals, and also that the denotatum of red is a particular property (viz. the colour red), and that its denotata are red objects or, using the plural of,denotatum' quite differently, various subdivisions of the property (viz. various shades of red)." (1977: 207). LYONS hält seinen Begriff .denotation' für „philosophically neutral as between extension and intension" (ibid.) „Sense is here defined to hold between the words or expressions of a single language independently of the relationship, if any, which holds between those words or expressions and their referents or denotata" (1977: 206). Entsprechend die oben illustrierten Sinnrelationen. Schließlich : „Reference (is) an utterance-bound relation and does not hold of lexemes as such, but of expressions in context" (1977: 208). Dabei gilt, daß die Referenz hergestellt wird durch den Sprecher der betreffenden Äußerung mit Hilfe von „referring expressions" (1977: 177). ,Denotation' steht also recht pauschal für den potentiellen Sachbezug eines Lexems, der aktuelle Sachbezug hingegen realisiert sich durch .reference'. Betrachten wir ein Beispiel, um die logische und die LYONSSche Auffassung von der Explikation des Sachbezugs zu vergleichen. Was die Referenz eines Ausdrucks wie the postman in einer Äußerung wie the postman is ringing betrifft, so wird sie
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logisch gewöhnlich durch drei zusammenhängende Bedingungen expliziert: the postman hat im gegebenen Zusammenhang einen Referenten (eine Extension) genau dann, wenn es ein und nur ein Individuum i gibt (Existenz- und Einzigkeitsbedingung), für das die Beschreibung „x is a postman" wahr ist (Erfüllungsbedingung). Anders gesagt: Korrekte Referenz von definiten Beschreibungsausdrücken setzt voraus bzw. impliziert, daß die in dem Ausdruck enthaltene Beschreibung für genau einen Wert i aus dem Wertebereich von x wahr ist und dadurch das Individuum i identifiziert. Die korrekte Referenz von the postman ist ihrerseits notwendige Bedingung dafür, daß mit der gesamten Äußerung eine wahre Behauptung gemacht werden kann. Kurzum, die klassische Formulierung für die Interpretation des Sachbezugs einer Äußerung wie the postman is ringing ist (unter Vernachlässigung wichtiger Details bezüglich Tempus und Zeitbezug) die Spezifikation ihrer Wahrheitsbedingungen in Gestalt der Konjunktion: (3x) [(>>)(POSTMAN(y) s y = x) & RING (x)] die ihrerseits ersetzt werden kann durch RING (?JC)POSTMAN(X). LYONS meint hingegen, daß eine derartige Analyse der Referenzzuweisung „by no means straightforward" (1977: 197) sei im Hinblick auf „some understanding how reference operates in language behaviour" (ibid.). Nun ist anzumerken, daß es mit der linguistisch sinnvollen Festlegung des Individuenbereichs, in dem „im gegebenen Zusammenhang" ein Individuum durch einen definiten Beschreibungsausdruck identifiziert werden soll, einige Schwierigkeiten gibt. Zum einen ist bezüglich der Einzigkeitsbedingung für the postman gegenüber etwa the Queen, the Pope oder the Moon eine höhere Kontextdeterminiertheit vorzusehen. Zum anderen ist zu berücksichtigen, daß das mit dem Gebrauch von definiten Beschreibungsausdrücken verbundene „ontological commitment" bezüglich der Existenz des Referenten und bezüglich der Wahrheit der Beschreibung natürlich nicht platterdings nur auf die reale Welt hin interpretiert werden darf. Beides muß relativiert werden zu „es-gibt-, . ." bzw. „wahr-in bezug-auf-den Interpretationsbereich IB". Je nachdem, wie dieser IB rekonstruiert wird, entscheidet sich auch die vieldiskutierte Frage, ob die Verletzung der mit den definiten Beschreibungsausdrücken verbundenen Existenz- und Einzigkeitsbedingungen „semantisch" (im Sinne einer Wahrheitswert-Lücke) oder „pragmatisch" (im Sinne einer Identifizierungslücke innerhalb eines Diskurses) abzubuchen ist. Unbeschadet dieser Festlegungsprobleme, die in einer Theorie der Semantik der Rede bzw. der Äußerungssemantik mit den Mitteln einer intensionalen Logik prinzipiell lösbar erscheinen, behalten die oben genannten Bedingungen ihre Gültigkeit als notwendige Bedingungen für die Identifizierung von Referenten durch definite Beschreibungsausdrücke. Sie bestimmen genau die Rolle des bestimmten
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Artikels bei der Herstellung des Sachbezugs von the postman, also das, was (in LYONS' Termen) das Lexem postman zu einem „referential expression" macht. Die auf Spezifikation der Wahrheitsbedingungen beruhende Explikation der korrekten Referenz eines Ausdrucks wie the postman operiert auf der Kombination des ,sense' von postman + definitem Artikel bezüglich der Zuweisung eines Referenten. Sie macht keinen Gebrauch von Begriffen wie .denotation' oder .denotatum', deren Berechtigung übrigens auch bei LYONS nicht deutlich wird, weil er die Rolle des bestimmten Artikels für den Zusammenhang von Lexem — „referential expression" und „denotation" — „reference" nicht weiter erklärt. An die Stelle der Explikation der korrekten Referenz (die eben diesen Zusammenhang als Identifizierungsoperation beschreibt), setzt LYONS als linguistisch interessanter die Explikation der erfolgreichen Referenz (.successful reference'), die ja auch dann möglich sei, wenn der Sprecher der genannten Äußerung bezüglich des Referenten von the postman irrige oder unsichere oder — bei ironischem Gebrauch — bewußt falsche oder gar keine Annahmen macht. Sprecher und auch Hörer können mit dem Ausdruck the postman situationsbedingt irrtümlich und obwohl inkorrekt, so doch erfolgreich eine Referenten identifizieren, der in Wahrheit ein Lehrer, die Milchfrau oder sonstwas ist. „. . . it is rarely the case that a speaker uses a referring expression for the purpose of ontological commitment." Daher seien für die linguistische Semantik die Explikation von Begriffen wie Wahrheit, Wissen, Existenz etc. sekundär. Hingegen gelte: „The fundamental problem for the linguist, as far as reference is concerned, is to elucidate and to describe the way in which we use language to draw attention to what we are talking about." (1977: 184). Hier wird deutlich, was mit,pauschalem Kontextualismus' gemeint ist, und es wird deutlich, wieso sich LYONS' Vorbehalt gegen semantische Explikation via Wahrheitsbedingungen aus seiner Gegenstandsbestimmung für eine Semantiktheorie herleitet. (Auch die oben diskutierte „pragmatische" Fundierung seines Implikations- und Negationsbegriffs ordnet sich hier ein). Diese Gegenstandsbestimmung begünstigt oder induziert gar die Mißverständnisse, aus denen LYONS sein „admittedly somewhat personal assessment of the relationship between the linguistic and the philosophical treatment of reference" (1977: 184) aufbaut. Eine auf Spezifikation der Wahrheitsbedingungen beruhende Explikation von korrekter Referenz zielt ab auf eine formale Rekonstruktion der Bedingungen, denen gemäß ein Ausdruck wie the postman verstanden wird, d. h. welche letztlich kognitiv interpretierbareq Operationen nötig sind, um einen Referenten zu identifizieren, gleichgültig, ob dieser in einer möglichen fiktiven oder in der aktuellen „realen" Welt existiert. Jeder identifizierte Referent wird zunächst als DiskursReferent konstituiert und es ist eine ganz andere Sache, inwiefern dieser Diskursreferent verifiziert werden kann als ein tatsächlich greifbares Individuum, das z. B.
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im gegebenen Äußerungskontext sinnlich in Erscheinung tritt. LYONS' Fokussierung von erfolgreicher Referenz zielt somit auf die Verfahren der kontextgebundenen Verifizierung „(of) what we are talking about" (ibid.), also nicht darauf, wie Ausdrücke der Art the postman verstanden, sondern wie sie zur erfolgreichen Einführung von Gesprächsgegenständen angewandt werden können. Aber letzteres setzt ja genau ersteres voraus, auch die auf irrigen oder unsicheren Annahmen beruhende Referenz involviert die oben genannten Identifizierungsoperationen. Eine Semantiktheorie aber, die sich zur Aufgabe macht, zu explizieren, wie die Ausdrücke von L verstanden werden, muß nicht nur die verschiedenen Verweishinsichten differenzieren, sondern sie muß zugleich ihr komplexes Zusammenspiel erklären, und dabei ist — wie wir nun ausführlicher sehen werden — die auf Wahrheitsbedingungen rekurrierende Beschreibung und Erklärung des Zusammenhangs von ,sense' und ,reference' unerläßlich.
3.5. Semantiktheorien
im Rahmen der generativen Grammatik
(GG)
Hierbei können wir uns angesichts der ausführlichen Darstellung dieser Richtung in ihren verschiedenen Varianten durch PASCH/ZIMMERMANN ( 1 9 8 3 ) gleich auf diejenigen Gesichtspunkte konzentrieren, die für unsere Überlegungen über das Verhältnis von Gegenstandsbestimmung und (Teil-)Explikation von „Bedeutung" wesentlich sind. 3.5.1. Als Theorietypus unterscheidet sich die GG (gleichgültig, in welcher Version) grundsätzlich von den vorherigen Linguistikkonzeptionen durch ihre Gegenstandsbestimmung und die daraus resultierenden Aufgabenstellungen der Sprachbeschreibung. Die GG erklärt nicht das System einer Sprache L unter irgendeinem Materialordnungsgesichtspunkt zu ihrem unmittelbaren Gegenstand (was letztlich alle prägenerativen Theorien tun), sondern sie erhebt die Sprachkompetenz eines (idealisierten) Sprecher-Hörers der L benutzenden Sprachgemeinschaft zum zentralen Gegenstand der Theorie. Die Sprachkompetenz umfaßt — global gesagt — die Fähigkeit eines SprecherHörers von L, jede beliebige (faktisch stets begrenzte, doch potentiell unendliche) Menge von Ausdrücken der Sprache L zu bilden und zu verstehen („to produce and understand"). Die Geschichte der GG ist u. a. bestimmt durch die fortschreitende Facettierung dieser komplex postulierten Fähigkeit in separat beschreibbare Leistungen. Die Spezifikation all der Aspekte, die unter „bilden und verstehen" zusammengefaßt sind, ist noch längst nicht abgeschlossen. Als zentrale Ausdruckskategorie gilt der Satz. Die G G ist als Theorie syntaxfundiert, ein Umstand, der bei der Bestimmung des Verhältnisses der generativen Grammatiker zur Semantik stets eine wichtige Rolle gespielt hat. Die Sprache L, verstanden als die potentiell unendliche Menge der in L bild-
Die logische Form eines Satzes
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und interpretierbaren Sätze, wird beschrieben durch das der Bildung und Interpretation der Sätze von L zugrunde liegende (die Sätze von L .erzeugende') System von Regeln — die Grammatik G{L). G(L) spezifiziert — wiederum global gesagt — die Regularitäten der Laut-Bedeutungs-Zuordnung für die Sätze von L. G(L) umfaßt mehrere Inventare von Typen sprachlicher Grundeinheiten sowie Regeln zu deren Kombination und Bedingungen über die Bildung und Interpretation hierarchischer Strukturen aus solchen Kombinationen, die insgesamt determinieren, wie Signalstrukturen und Bedeutungsstrukturen systematisch aufeinander bezogen sind. Was „Bedeutungsstrukturen" hierbei besagt, werden wir gleich erläutern. Dabei wird G(L) zweifach gedeutet: Zum einen als ein interiorisiertes System, bestehend aus der Kenntnis von bestimmten Inventaren sprachlicher Einheiten und aus endlich vielen, rekursiv über diesen Inventaren operierenden Regeln der oben genannten Art — es ist dies die „innere" Grammatik, über die der Sprecher von L qua Sprachkompetenz verfügt. Zum anderen als ein deskriptiv fixiertes System, bestehend aus der expliziten Angabe von ebenenspezifisch determinierten Inventaren (linguistisch gedeuteter) sprachlicher Einheiten und aus endlich vielen, rekursiv über diesen Inventaren operierenden Regeln — dies ist die theoretische Grammatik, die der Linguist für L aufstellt. Die „innere" Grammatik ist das die Sprachkompetenz repräsentierende Hintergrundsmodell, jedes Fragment einer theoretischen Grammatik ist in seiner deskriptiven Ausführung zu werten als Versuch, dieses Hintergrundsmodell mit empirischem Material aus der Sprache L zu belegen. Jede Beschreibung von L in Form eines Fragments von G(L) wird somit zu einer Hypothese über einen Ausschnitt der Sprachkompetenz, wobei Ausschnitt nicht quantitativ zu verstehen ist, sondern eher im Sinne von Aspekt oder Facette. Als Ausgangsbefunde der Hypothesenbildung wie als Kriterien der Hypothesenüberprüfung fungieren einerseits empirische Daten (in einem recht weiten Sinne), gewonnen durch mehr oder minder gut abzusichernde intuitive Urteile, andererseits wissenschaftstheoretische Gesichtspunkte, gewonnen aus der allgemeinen Methodologie der Strukturwissenschaften (Konsistenzforderungen, Adäquatheitskriterien u. ä.). Die Hypothesenformulierung, d. h. die Abfassung eines Fragments von G(L), erfolgt — zumindest dem Anspruch nach — mit Beschreibungsmitteln, die den Kriterien einer formal kontrollierbaren Wissenschaftssprache genügen sollen. Die Verbindung von Sprachkompetenz als Gegenstand und formalen Mitteln zu ihrer schrittweisen Beschreibung in G(L) macht die Attraktivität und wissenschaftshistorische Signifikanz der GG aus. Der einigermaßen schillernde Bezug auf die pauschal unter Sprachkompetenz subsumierten Dispositionen und Fähigkeiten einerseits ebenso wie die darauf rekurrierenden Annahmen über Art und Aufbau mentaler Repräsentationen und ihre in G(L) modellierte Funktionsweise 7
Viehweger, S e m a n t i k f o r s c h u n g
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andererseits, bedingen jedoch eine Reihe von methodologischen Schwierigkeiten sowohl bezüglich der Heuristik wie auch bezüglich der empirischen Rechtfertigung von Hypothesen. Wir können auf diese schon vielfach, wenngleich kaum abschließend diskutierten Fragen hier nicht eingehen. Anzumerken ist aber, daß sich die genannten Probleme, wenn auch nicht im Prinzip, so doch im Hinblick auf die Etablierung von Teiltheorien, unterschiedlich auswirken in Abhängigkeit von den jeweils ins Auge gefaßten Aspekten von L. Konkret: Bezüglich der phonologischen und morphologischen Struktur der Ausdrücke von L ist die Faktensicherung und die Erklärung von Regularitäten weniger direkt bzw. erst auf einer anderen Generalisierungsebene auf die psychologische Realität des Hintergrundsmodells bezogen als dies etwa für die Bedeutungsexplikation der Fall ist. Die „Bedeutungsseite" innerhalb der durch G(L) zu spezifizierenden Laut-Bedeutungs-Zuordnung ist unmittelbar auf einen Objektbereich bezogen, dessen psychische Natur empirische Zugänge bestenfalls vielfach vermittelt zuläßt. Dies ändert aber nichts an der grundsätzlichen Berechtigung der Annahme, daß die von G(L) zu leistende Beschreibung der Bedeutungsstruktur von Ausdrücken von L als Hypothese über mentale Strukturen und Prozesse zu gelten hat. Der Anschluß von hieraus zur Psychologie ist in mehreren Varianten unternommen worden, vgl. BIER WISCH (1977, 1980 und 1982). Die innerlinguistische Semantikforschung im Rahmen der GG hat jedoch (ohne die Rückkopplung zur Psychologie auszuschließen) für die Bedeutungsexplikation andere Schwerpunkte gesetzt, vor allem den, daß die Bedeutungsstruktur eines Satzes aus L in erster Linie zu beschreiben ist als das Resultat des Zusammenwirkens von Syntax und Lexikon. Über die Grundannahmen hinaus besteht hier für alle Semantiktheorien innerhalb der GG ein gemeinsamer Ausgangspunkt in der Sache: Die GG hat als Beschreibungsparadigma in der Linguistik ihren Anfang genommen in Gestalt einer Grammatik, die neben einer phonologischen Komponente nur aus Syntax und Lexikon bestand. Eine G(L) hatte demnach zunächst die Aufgabe, die Menge der syntaktisch wohlgeformten Sätze von L in Form ihre Strukturbeschreibungen aufzuzählen und damit den Begriff „Grammatikalität in L" zu explizieren. Erst im Verlauf der Ausarbeitung dieses Programms wurden die Bedeutung der Ausdrücke von L und die ihr zugrunde liegenden Kompetenzleistungen in den Zuständigkeitsbereich von G{L) aufgenommen. Das bis dahin bestehende Grammatikmodell wurde um eine semantische Komponente erweitert. Bezogen auf die Aufgaben von G(L) heißt das: die Repräsentation der Struktur eines Satzes in der Grammatik wurde um eine Dimension vermehrt, die seiner semantischen Interpretation. Bezogen auf die Form der Grammatik heißt das: der Mechanismus der Derivation von Strukturbeschreibungen wurde so modifiziert, daß unter Zuhilfenahme passend formulierter Lexikoneinträge sowie neuer Typen von Regeln, eine von der (oder den) syntaktischen Repräsentationsebene(n) ver-
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schiedene, doch auf sie bezogene Repräsentation eines Satzes erzeugt wird, die als Repräsentation seiner Bedeutung gilt. Die Explikation der Bedeutung der Ausdrücke von L erfolgt im Rahmen der GG somit unter -den Prämissen einer Semantiktheorie, die in eine durch entsprechende Modellvorstellungen ausgewiesene Grammatiktheorie integrierbar sein muß. Die Forderung nach einer „Integrated Theory" (so der programmatische Buchtitel von K A T Z / P O S T A L 1 9 6 4 ) bestimmt seit damals — zusammen mit ihren inzwischen wesentlich präziser bestimmbaren Details und Konsequenzen — den auch außerhalb der GG anerkannten Katalog von Aufgaben, die an eine spezifisch linguistische Semantiktheorie zu stellen sind. Faßt man diese Aufgaben in stark geraffter Form zusammen, so bilden sie einen brauchbaren Rahmen, um einerseits zu verdeutlichen, welche Beiträge zur Bedeutungsexplikation innerhalb der GG bisher geleistet wurden (auch in Relation zu den in 3.1—3.4. vorgestellten Theorien), und um andererseits im Hinblick auf die in 2.2. aufgestellten Forderungen deutlich zu machen, was noch zu leisten ist. 3.5.2. Unter Beibehaltung der mit .Sprachkompetenz' grob umschriebenen Gegenstandsbestimmung und unter Anerkennung der Kategorie ,Satz' als zentraler Domäne der Grammatik (d. h. des Zusammenwirkens von Syntax und Lexikon), kann man folgende Aufgaben für eine Semantiktheorie formulieren: (1) Sie muß geeignete Repräsentationen für die Bedeutungen lexikalischer Einheiten (Lexeme) bereitstellen. Geeignet heißt dabei: Der Lexembestand von L muß repräsentiert werden in Form eines Lexikons, d. h. in Form einer strukturierten Gesamtheit von Lexikoneinträgen, wobei jeder Lexikoneintrag die auf das jeweilige Lexem entfallenden Spezifikationen über seinen Anteil an G(L) in systematischer Form liefern muß. Anders gesagt: Ein Lexikoneintrag muß zumindest den sprachinternen Systembezug (vgl. 2.2. oben) eines Lexems / repräsentieren, indem er alle diejenigen Informationen angibt, die den Platz von / quer durch sämtliche Repräsentationsebenen in G(L) bestimmen. Ein Lexikoneintrag umfaßt somit neben phonologischer Matrix, morphologischen Merkmalen, Angaben über lexikalische Klassenzugehörigkeit und syntaktische Kategorisierung vor allem auch eine Repräsentation seiner lexikalischen Bedeutung (Lexembedeutung) bzw. seiner Bedeutungen (bei entsprechender Vorentscheidung über die Behandlung von Mehrdeutigkeit). Auf die Form der Repräsentation kommen wir unter (3) zurück. Die Semantiktheorie enthält folglich eine Theorie der lexikalischen Bedeutung, d. h. eine Theorie des Anteils, den die Lexeme beitragen zur Gesamtinterpretation der Ausdrücke, in denen sie vorkommen. Auf die Frage, inwieweit damit notwendigerweise auch auf sprachexterne Verweishinsichten (gemäß 2.2. oben) rekurriert wird, werden wir gleich zurückkommen. T
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(2) Sie muß rekursiv operierende Regeln bereitstellen, die die Bedeutung eines Satzes s spezifizieren als die durch die syntaktische Struktur determinierte Komposition der lexikalischen Bedeutungen der Konstituenten von s. Die daraus resultierende Bedeutungsrepräsentation (bzw. die resultierenden Bedeutungspräsentationen bei Mehrdeutigkeit) eines Satzes s reflektiert die Integration von Syntax und Lexikon in der Domäne ,Satz'. Die Semantiktheorie enthält folglich auch eine Theorie der syntaktisch determinierten Komposition von Konstituentenbedeutungen zu Satzbedeutungen. (1) und (2) sind notwendig, um zusammen das Kompositionalitätsprinzip der semantischen Interpretation für Ausdrücke einer Sprache L in G(L) zu realisieren. Diesem Prinzip Rechnung zu tragen ist eine notwendige, jedoch nicht hinreichende Bedingung für eine linguistische Bedeutungsexplikation. Das bisher formulierte Kompositionalitätsprinzip ist zunächst nur das Analogon der syntaktischen Komposition bezogen auf die Ebene der semantischen Repräsentation. Nun aber gilt es zu bestimmen, was die „semantisch" genannten Repräsentationen in bezug auf die Bedeutungsexplikation eigentlich besagen. Das Kompositionalitätsprinzip ist zu ergänzen durch das Bewertungsprinzip der semantischen Interpretation für Ausdrücke von L in G(L). Das Bewertungsprinzip umfaßt die Spezifikation semantischer Eigenschaften von und semantischer Relationen zwischen den Ausdrücken von L, auf denen die zunächst als intuitive Sprecherurteile erhebbaren Bewertungen beruhen: Das heißt: (3) Eine Semantiktheorie muß so angelegt sein, daß die nach (1) und (2) bestimmten semantischen Repräsentationen unter Berücksichtigung der lexikalisch-syntaktischen Kategorisierung der Ausdrücke von L und unter Berücksichtigung der Kompositionalität ihrer Bedeutung Explikationen liefern für intuitiv (qua Sprachkompetenz) zugeschriebene semantische Bewertungen. Wenn wir uns illustrationshalber zunächst auf die Domäne ,Satz', beziehen, so geht es dabei um Bewertungen wie: (a) ist .v semantisch wohlgeformt (d. h. sinnvoll interpretierbar) oder semantisch anormal? (Die Analogie zu „grammatisch" bzw. „ungrammatisch" in Termen der Syntax liegt auf der Hand.) (b) ist s semantisch mehrdeutig oder nicht? (c) ist s semantisch redundant? (d) ist 5 eine Paraphrase zu s' oder nicht? (e) ist s eine Folgerung (,entailment') aus s' ? (f) ist 5 konsistent/inkonsistent mit s'l Die Explikation dieser Bewertungen muß sichtbar machen, auf Grund welcher Eigenschaften der Bedeutungsstruktur von s sie zustande kommen. Sofern die
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Bedeutungsstruktur von s linguistisch in der semantischen Repräsentation von s codifiziert ist, müssen die betreffenden Eigenschaften aus der Repräsentation ablesbar sein und durch entsprechende theoretische Festlegungen auf die intuitiven Bewertungen beziehbar sein. Die theoretische Rekonstruktion der in (a)—(f) genannten Bewertungen hat erhebliche Konsequenzen für die Art und Weise, in der die nach (1) und (2) bestimmten semantischen Repräsentationen aufzubauen sind. Bisher haben wir ja nur festgestellt, daß die Struktur der semantischen Repräsentation von s die Komposition der semantischen Repräsentationen seiner syntaktischen Konstituenten auf der Basis von deren lexikalischer Bedeutung reflektieren muß. Um Bewertungen wie (a)—(0 aber auf strukturelle Eigenschaften semantischer Repräsentationen beziehen zu können, muß deren Struktur wesentlich differenzierter sein, d. h. die syntaktische Struktur als Gerüst (und damit syntaktische Wohlgeformtheit als Kriterium) ist zu wenig und lexikalische Einheiten als Bausteine sind zu grob. Es ist somit erforderlich, das syntaktisch determinierte Kompositionsprinzip durch ein semantisch determiniertes zu ergänzen. Dies geschieht durch Festlegung von Kompositionsbedingungen in Termen von „semantischer Verträglichkeit/ Unverträglichkeit", „semantischer Ähnlichkeit/Differenz", „semantisches Enthaltensein/semantische Überordnung" vs. „semantisch beziehungslos" u. ä. Die nächste Frage ist, auf welche Kategorien von Einheiten diese Bedingungen zu applizieren sind, um die in (a)—(f) genannten Bewertungen auf Eigenschaften der semantischen Struktur von Sätzen und damit auf strukturelle Merkmale ihrer semantischen Repräsentation zurückzuführen. Klar ist, daß — um ein ganz simples Beispiel zu nehmen — die semantische Abweichung (innere Widersprüchlichkeit) etwa bei (i) My neighbour is a male spinster (ii) My uncle got pregnant (iii) My uncle is an aunt of mine von der Ebene ,Satz' aus zu spezialisieren ist auf strukturelle Konfigurationen einer elementareren Stufe, in diesem Fall auf die Unverträglichkeit der lexikalischen Bedeutungen syntaktisch verketteter Konstituenten. Um aber die unterschiedlichen Arten, wie sich die Unnverträglichkeit realisiert, systematisch dingfest zu machen, d. h. sie auf die elementarste strukturelle Konfiguration, die sie verursacht, zurückzuführen, muß man analytisch die Domäne .lexikalische Einheit' unterschreiten und sichtbar machen, daß die Unverträglichkeit als Quelle der Anomalie nicht die Lexembedeutungen der betreffenden Konstituenten insgesamt betrifft, sondern nur bestimmte Bedeutungsanteile, die einander ausschließen und die — relativ zur syntaktischen Struktur in (i)—(iii) — semantische Kompositionsbedingungen verletzen und somit zu Anomalie führen.
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Für unseren simplen Fall heißt das, daß in der semantischen Repräsentation von (i)—(iii) der Bedeutungsanteil MÄNNLICH bei male, uncle und der Bedeutungsanteil WEIBLICH bei spinster, aunt und bei dem für pregnant geforderten Subjekt als in einem Widerspruch stehend identifizierbar sein müssen. Um dies in generalisierter Form — also nicht etwa durch Listen von paarweise widersprüchlichen Lexemen — leisten zu können, müssen die Lexembedeutungen so repräsentiert werden, daß ihre interne Bedeutungskomposition zugänglich und strukturell beschreibbar wird. Es sind dafür verschiedene Verfahren vorgeschlagen worden. Am bekanntesten innerhalb der verschiedenen Varianten der Komponentenanalyse ist die von K A T Z eingeführte Dekomposition der Lexembedeutung in (ungeordnete) Mengen semantischer Marker (wir kommen darauf zurück). Das der Dekomposition entgegengesetzte Prinzip beschreibt die Bedeutung eines Lexems, indem es den Platz des Lexems in einem Netz von Relationen bestimmt, die ihrerseits eine hierarchisch geordnete Struktur konzeptueller Einheiten definieren. Bei diesem Verfahren wird die interne Bedeutungskomposition eines Lexems zugänglich, indem dem Lexem eine (gewöhnlich in einer konstruierten Semantiksprache formulierte) Menge von Bedeutungspostulaten zugeordnet wird, die festlegen, welche Teilstruktur aus der konzeptuellen Hierarchie das betreffende Lexem abdeckt. Wir sind in 3.4. bereits kurz darauf eingegangen. Hinsichtlich einer grundsätzlichen Gegenüberstellung von Dekomposition vs. Bedeutungspostulat-Verfahren vgl. BIERWISCH (in Vorbereitung), eine Mischung aus beiden Verfahren wird von LAKOFF (1970) vorgeschlagen. Definitive Entscheidungen sind noch nicht in Sicht. Festzuhalten ist jedenfalls, daß die Zugänglichkeit der internen Struktur der Lexembedeutungen eine unerläßliche Voraussetzung dafür ist, daß auf der Basis semantischer Repräsentationen semantische Eigenschaften von Ausdrücken von L definiert werden können, die eine strukturelle Rekonstruktion der in (a)—(f) genannten Bewertungen ermöglichen. Dies sei nun noch an einem winzigen Ausschnitt mit dem Material von (i)—(iii) illustriert. Wenn etwa MÄNNLICH, WEIBLICH, MENSCHLICH und andere Bedeutungsanteile strukturell zugänglich sind (gleichgültig nach welchem Verfahren) und über diesen Bedeutungsanteilen Verträglichkeits- und Enthaltenseinsbeziehungen durch entsprechende — zur Theorie, nicht zur Einzelpräsentation gehörende — Festlegungen definiert sind, dann kann man über die strukturellen Eigenschaften der semantischen Repräsentationen von Ausdrücken u. a. folgende semantischen Eigenschaften explizieren: (A) Auf der Ebene der Lexeme: — aunt: uncle; girl: boy; spinster: bachelor; usw. sind Antonyme — girl, boy sind Hyponyme zu child; male, person, relative sind Hyperonyme zu uncle usw. Die gesamten von LYONS (vgl. 3 . 4 . oben) vorgeschlagenen
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Sinnrelationen zwischen lexikalischen Einheiten sind hier als Spezialfall zu integrieren. (B) Im Verbund mit der syntaktischen Komposition ergibt sich auf dieser Basis dann, daß ein Satz wie — my uncle is a male person analytisch ist, — John is my male uncle pleonastisch ist, — John's only child is a boy or a girl tautologisch ist. Die drei genannten Sätze exemplifizieren die strukturelllen Grundlagen für die Bewertung (c) S. 100: „s ist semantisch redundant". Für die Rekonstruktion der semantischen Relationen zwischen Sätzen ergibt sich daraus, daß für ein Paar s, s' — my neighbour is my uncle zur Folgerung hat (.entails') my neighbour is a male person — my neighbour is pregnant präsupponiert my neighbour is female — John's son is diabetic eine Praphrase ist zu John's male child has diabetes — John's only child is a boy inkonsistent ist mit John's only child is a girl. Das Prinzip dürfte klar sein: Es gilt zu zeigen, wie sich die auf der Basis von Bedeutungsanteilen definierten Verträglichkeits- und Enthaltenseinsbeziehungen auf der Ebene der Lexeme auswirken und sich dann auf der Ebene der syntaktischen Kompositionen fortsetzen. Auf derselben Linie erfolgt auch die Behandlung der Mehrdeutigkeit, wobei es für den Fall, daß die Mehrdeutigkeit eines Ausdrucks einzig an die Mehrdeutigkeit eines Lexems gebunden ist, mehrere Alternativen gibt, wie dies durch die semantische Repräsentation im Lexikon zu gewährleisten ist. Wobei die Entscheidung darüber, wieviele verschiedene semantische Repräsentationen mit einer phonologisch und syntaktisch charakterisierten lexikalischen Einheit assoziiert werden, neben anderen Kriterien vor allem dem Kriterium folgt, daß — und das macht ein Speziflkum der Ausdruckskategorie ,Lexem' aus — die Repräsentation der Bedeutung eines Lexems keine miteinander unverträglichen Bedeutungsanteile umfassen kann. Mindestens in dem Maße, wie die Mehrdeutigkeit eines Lexems sich auf die Wahl zwischen unverträglichen Bedeutungsanteilen beziehen läßt, muß das betreffende Lexem dann mit unterschiedlichen semantischen Repräsentationen versehen werden. 3.5.3. Ziehen wir nun eine Zwischenbilanz bezüglich der in (1)—(3) skizzierten „integrierten" Semantiktheorie, und zwar zunächst im Hinblick auf „integriert" (d. h. den Zusammenhang von Syntax und Bedeutung betreffend) und dann im Hinblick auf „Semantik" (d. h. die in diesem Rahmen gebotene Explikation von .Bedeutung eines Ausdrucks in L' betreffend mit Rekurs auf die in 2.1. gebotenen Grundsätze). Erstens. (1)—(3) stehen in einem komplexen Zusammenhang wechselseitiger
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Bedingtheit. Was G(L) demzufolge zu beschreiben hat, ist das Zusammenwirken des syntaktischen Kompositionsprinzips mit dem semantischen Kompositionsprinzip, wobei letzteres sowohl unterhalb als auch oberhalb der Domäne „lexikalische Einheit' (oder ,Lexem') operiert. Die interne Bedeutungsstruktur lexikalischer Einheiten, also die Bedeutungskomposition unterhalb der Domäne ,Lexem', liefert die Bedingungen für die syntaktisch mitbestimmte Bedeutungskomposition oberhalb der Domäne,Lexem'. Das syntaktische und das semantische Kompositionsprinzip haben nicht dieselbe Operationsdomäne. Daraus ergibt sich der besondere Status, den lexikalische Einheiten in G(L) einnehmen. Lexikalische Einheiten sind nicht einfach nur Bausteine für Phrasen und Sätze etwa in dem Sinne, daß sie als Einheiten syntaktisch und semantisch parallel kategorisiert und kombiniert jeweils komplexere Strukturen bilden, die wiederum parallel syntaktisch und semantisch interpretiert werden können. Eine „Bausteine"Auffassung bezöge sich nämlich nur auf den Bereich oberhalb der Domäne,Lexem', und sie unterstellte damit für Syntax und Semantik eine identische Operationsdomäne und völlig parallele Kompositionsbedingungen. Da die semantische Komposition aber offensichtlich auch unterhalb der Domäne ,Lexem' operiert, müssen lexikalische Einheiten zugleich auch als Umschlagstellen oder Verteilerknoten zwischen dem semantischen und dem syntaktischen Kompositionsprinzip fungieren. Und genau dieser Funktion muß ihre Repräsentation im Lexikon zusammen mit den übrigen Festlegungen Rechnung tragen. Den Zusammenhang von Syntax und Lexikon im traditionellen Sinne auf die abstrakteren Zusammenhänge zwischen den Operationsdomänen des syntaktischen und des semantischen Kompositionsprinzip bezogen und beides zusammen mit der Rekonstruktion intuitiver Bewertungen auf die Beschreibung der Sprachkompetenz orientiert zu haben ist und bleibt das wesentliche Verdienst der GG gegenüber vorhergehenden bzw. alternativen Grammatik- und Semantikvorstellungen. Zweitens. Die grundlegende Einsicht, daß das syntaktische und das semantische Kompositionsprinzip nicht dieselbe Operationsdomäne haben, wirft die Frage auf, wie diese Operationsdomänen einerseits gegeneinander abzugrenzen sind, wie andererseits aber auch ihr Zusammenwirken unter Einbeziehung der in Gestalt der Lexeme empirisch vorgegebenen Umschlagstellen im Rahmen der Gesamtbeschreibung von G(L) zu gewährleisten ist. Zwar liefern die lexikalischen Einheiten eine Art Grenzmarkierung in heuristischer Hinsicht, ihre Rolle als Verteilerknoten aber bewirkt, daß sie keineswegs automatisch auch theoretisch die Operationsdomäne der Syntax „nach unten" begrenzen. Umgekehrt gilt, daß die Ausdruckskategorie ,Lexem' in bezug auf die Semantik keine scharfe Grenze bildet etwa für den Übergang von der innerlexikalischen zur syntaktisch mitbestimmten Bedeutungskomposition — man denke nur an die Wortbildung (Komposita wie Derivative).
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Kurzum: Die deskriptive Realisierung dieser Einsicht hat innerhalb der GG verschiedene, mitunter kontroverse, Varianten gefunden, die sich — wie FODOR ( 1 9 7 7 ) und PASCH/ZIMMERMANN (in diesem Band) ausführlich demonstrieren — vornehmlich darin unterscheiden, wie das Verhältnis von syntaktischem und semantischem Kompositionsprinzip aufgefaßt und die Interaktion beider arbeitsteilig auf die Komponenten des Grammatikmodells und damit die Art der Repräsentationen, Regeln und Einheiten übertragen wird. So wird — um nur zwei Hinweise zu geben — in der Konzeption der Generativen Semantik die Operationsdomäne der Syntax „nach unten" ausgeweitet mit dem Postulat, daß unterhalb der Schwelle ,Lexem' im Prinzip dieselben Bedingungen für die Bedeutungskomposition gelten wie oberhalb, daß — kurz gesagt — die Regeln der prälexikalischen Syntax eine echte Teilmenge der Regeln der postlexikalischen Syntax darstellen. Die sogenannte lexikalistische Hypothese, wie sie von den Vertretern der Interpretativen Semantik vorgebracht wurde, hat indes den gegenteiligen Effekt — hiernach wird die Operationsdomäne der Syntax eingeschränkt zugunsten einer die innerlexikalische Bedeutungskomposition reflektierenden Repräsentation von Derivativen im Lexikon. (Für weitere Details sei auf die genannten Arbeiten verwiesen.) Festzuhalten ist jedenfalls, daß die verschiedenen innerhalb der GG als Forschungsrichtung vorgeschlagenen Modellversionen — soweit sie Semantikvorstellungen umgreifen — auf das Verhältnis von Syntax und Lexikon zentriert sind. Gewiß ist und bleibt dies das Kardinalproblem für eine Grammatikbeschreibung. Die Folge dieser Schwerpunktsetzung ist jedoch auch, daß die hier geleistete Bedeutungsexplikation in jedem Fall eine innerlinguistische, genau genommen sogar eine innergrammatische geblieben ist, wenngleich mit einigen Auslegern nach draußen. Dem werden wir uns jetzt zuwenden. Drittens. Die mit KATZ/FODOR ( 1 9 6 3 ) und KATZ/POSTAL ( 1 9 6 4 ) einsetzende und inzwischen von diesen und anderen Autoren wesentlich modifizierte Semantiktheorie innerhalb der GG hat im Rahmen des Gesamtziels ,Explikation der Sprachkompetenz' die Explikation von ,Bedeutung eines Ausdrucks s in L' nach folgenden Gesichtspunkten fixiert: (a) Was immer die linguistische Beschreibung von G(L) an der Bedeutung der Ausdrücke von L interessiert, es muß sich manifestieren in semantischen Repräsentationen so wie sich — analog dazu — die lautliche und die syntaktische Struktur der Ausdrücke von L in phonologischen und syntaktischen Repräsentationen niederschlagen muß. (b) Semantische Repräsentationen müssen im Verbund mit entsprechenden Festlegungen und mit der übrigen Grammatik reflektieren, wie die Ausdrücke von L qua Sprachkompetenz gebildet und verstanden werden. Die „semantische" Kompetenz umfaßt dabei, in Analogie bzw. zusätzlich
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zur „phonologischen" und „syntaktischen" Kompetenz, zumindest folgende drei ineinandergreifende Fähigkeiten: (i) unbegrenzt viele und stets neue Ausdrücke von L semantisch zu interpretieren; (ii) die in (1)—(3) S. 99f. beschriebene Kompositionalität der Bedeutung der Ausdrücke von L zu realisieren; (iii) die Ausdrücke von L bezüglich ihrer semantischen Eigenschaften zu bewerten — etwa nach Art von (a)—(f) S. 100. Die deskriptive Rekonstruktion von (i) und (ii) sind gewissermaßen Aufstockungen bzw. Elaborierungen zum ursprünglichen syntaktischen Ansatz, die von (iii) hingegen ist spezifisch semantisch. In der Spezifikation von semantischen Eigenschaften und Relationen, die diesen Bewertungen zugrunde liegen, in dem Bemühen, für sie formale Definitionen und strukturelle Repräsentationsformen zu finden (und demgemäß die semantische Kompetenz in detailliertere Leistungen zu facettieren), haben K A T Z und die anderen Autoren den eigentlichen Zuständigkeitsbereich der Semantik gesehen. Anders gesagt: Die Frage „Was ist Bedeutung?" wurde spezialisiert zur Frage „Was sind Form und Funktion semantischer Repräsentationen?" und die Antwort darauf wiederum war in erster Linie nicht durch das Ziel bestimmt, daß semantische Repräsentationen „Bedeutungen" (im Sinne der in 2.2. genannten Verweishinsichten) spezifizieren, sondern vornehmlich dadurch, daß semantische Repräsentationen „Bedeutungseigenschaften" von Ausdrükken reflektieren. Der Zugang zur „Bedeutung" ist — wie wir in 2.3. oben diskutiert haben — auf direktem Wege nicht möglich, folglich ist es naheliegend, mit der Explikation von Bedeutungsgleichheit/Bedeutungsdifferenz zu beginnen, von da aus weiter zu differenzieren und die lexikalische Bedeutung nur in dem Maße zu spezifizieren, wie sie linguistisch relevant im Sinne von (iii) oben ist. Aus den unter (a) und (b) angestellten Überlegungen wird ersichtlich, inwiefern die Explikation von „Bedeutung" in den Semantiktheorien innerhalb der GG im wesentlichen eine innergrammatische bzw. eine innerlinguistische geblieben ist. Was da — und zwar in vollem Umfang — als Explikationsaufgabe erscheint, ist die Verweishinsicht der Ausdrücke von L, die wir in 2.2. (a) den sprachinternen Systembezug genannt haben. Nur auf indirekte Weise kommen dabei auch andere Verweishinsichten ins Spiel, (c) Die Spezifikation der Lexembedeutungen erfolgt bei KATzens Semantiktheorie (aber mutatis mutandis auch bei den anderen Versionen) durch Zerlegung der Lexembedeutungen in (atomare?) Komponenten — ,semantic markers'. Im Lexikon wird ein Lexem mit einer (oder mehreren verschiedenen) Marker-Kombination(en) assoziiert. Jede Marker-Kombination liefert eine Lesung (,reading'). Die Kombination von Lexembedeutungen zu Phrasenund Satzbedeutungen erfolgt mit Hilfe von syntaktisch konditionierten Projektionsregeln, wobei es für die Kombination einzelner Lesungen kon-
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stituentenweise anwendbare Beschränkungen gibt, die über Marker-Kombinationen formulierte Verträglichkeitsbedingungen (Selektionsbedingungen) spezifizieren. Die semantische Repräsentation eines Satzes s ist die Menge seiner syntaktisch gruppierten und nach Marker-Verträglichkeit selektiv zu Satz-Lesungen kombinierten Lexem-Lesungen. Die Marker sind — neben syntaktischen Angaben (kategorisierten Variablen), Selektionsangaben und diversen technischen Symbolen — die Beschreibungssprache, in der die semantischen Repräsentationen abgefaßt sind. Die Marker sind somit in zweifacher Weise einer Interpretation bedürftig, einmal in Hinblick darauf, wofür sie stehen, d. h. was sie repräsentieren, wenn sie Bedeutungen (Lesungen) von Ausdrücken von L repräsentieren, zum anderen in Hinblick darauf, wie sie das repräsentieren, d. h. wie sie als Metasprache funktionieren. Durch semantische Repräsentationen in Form von Markern wird die in 2.2. (b) „Begriffsbezug" genannte Verweishinsicht mindestens in der Weise anvisiert, daß die Marker aufgefaßt werden als deskriptive Korrelate zu elementaren konzeptuellen oder perzeptiven Distinktionen im kognitiven Bereich. Die Marker werden postuliert als Elemente eines universellen Inventars, das auf gattungsspezifischen psychischen Dispositionen des Menschen beruht. Der für die Marker als (hypothetisch) begriffliche Komponenten zuständige Interpretationsbereich wird zwar angedeutet, aber die Beziehung zwischen einem Marker bzw. einer Markerkombination und dem dadurch abgedeckten Ausschnitt psychischer Leistungen wird weder formal noch substantiell ausgeführt. Die Exploration dieses Bereichs ist nach Auffassung der innerhalb der GG konzipierten Semantiktheorien keine für die linguistische Semantik notwendige Aufgabe, was aber nicht ausschließt, daß — wenn etwa experimental- oder entwicklungspsychologische Evidenzen für die Plausibilität der Markertheorie erbracht werden — solche Untersuchungen nicht als positive Bestätigung erachtet würden. Evidenzen für die psychologische Relevanz linguistisch postulierter MarkerAnalysen haben u. a. CLARK & CLARK (1973 und 1977) sowie E. CLARK (1979) erbracht. Eine grundsätzliche Argumentation über den Zusammenhang von Linguistik und Psychologie hinsichtlich der Explikation von „Bedeutung" wird von BIERWISCH (1982) geführt. Nun wird aber die Verweishinsicht „Begriffsbezug" nicht nur bezüglich des konzeptuellen Gehalts einzelner Marker in Anspruch genommen, sondern — wie wir das anhand der Bedingungen der semantischen Komposition gezeigt haben — Markerkombinationen dienen auch als das strukturelle Korrelat von mentalen Repräsentationen komplexer Art. Die Repräsentation einer Satz-Lesung steht somit für eine entsprechend strukturierte mentale Konfiguration konzeptueller Einheiten. Ein solches Gebilde als Bezugsinstanz anzunehmen ist für jegliche Semantiktheorie unerläßlich, es ist in der
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philosophischen, logischen bzw. linguistischen Literatur unter verschiedenen terminologischen Einkleidungen postuliert worden. Das mentale Korrelat zum Reading eines Satzes heißt bei FREGE „Gedanke" (im Spezialfall auch „Urteil"), in der logischen Literatur „Aussage" oder „Proposition", in der linguistischen Redeweise mitunter „propositionale Bedeutung" (gegenüber „illokutiver" und sonstwie „kommunikativer" Bedeutung). Entsprechend gilt, daß eine als semantische Repräsentation deklarierte Repräsentation, die sich ausschließlich auf diese mentale Konfiguration bezieht, als Bedeutung eines Ausdrucks nur seinen „Sinn" (nach FREGE), seine intensionale Struktur, seinen Begriffsbezug wiedergibt, nicht aber seinen Sachbezug im Sinne von 2.2. (b) oben. Was von den bisher diskutierten semantischen Repräsentationen geleistet wird ist Sinnsemantik, was fehlt ist die Ergänzung durch das, was global Referenzsemantik genannt wird, d. h. die Spezifikation der Bedeutung eines Ausdrucks (Satzes) als sein durch den Sinn vermittelter Sach- und Kontextbezug. Zwischendurch sei vermerkt, daß Verweishinsichten wie Situations- und Sozialbezug in gewissen Ansätzen durch Erweiterung des Modells ( K A T Z 1977, LAKOFF 1 9 7 3 u. a.) in Angriff genommen worden sind (cf. hierzu PASCH/ZIMMERMANN und VIEHWEGER 1982, ferner BIER WISCH 1 9 7 7 und 1978). Dort werden Aspekte wie Präsuppositionen, Fokus, illokutive Kraft, Implikaturen u. a. als semantisch bzw. pragmatisch zu beschreibende Phänomene behandelt. Was jedoch nach wie vor in der GG fehlt, ist eine dezidierte Berücksichtigung der Verweishinsicht Sach- und Kontextbezug der Ausdrücke von L als Explikandum. Das heißt, der Gegenstandsbereich der (bisher behandelten) Semantiktheorie muß erweitert werden um einen Objektbereich, in dem (grob gesagt) die Gegenstände und Sachverhalte figurieren, die als Gesamtheit den Denotatbereich sprachlicher Ausdrücke darstellen. Denotate sind die Entitäten, auf die sich die Bedeutungen von sprachlichen Ausdrücken im Hinblick auf ihre referenzsemantische Interpretation beziehen. Natürlich kann die Rekonstruktion dieser Verweishinsicht nur so vor sich gehen, daß der als Denotatbereich fungierende Interpretationsbereich in die Theorie Eingang findet in Gestalt eines Modells der „Welt", das als Denotate eine Gesamtheit möglicher Sachverhalte spezifiziert. Sachverhalte sind dabei Konfigurationen aus Individuen bzw. Paaren, Tripeln etc. von Individuen („Gegenständen"), auf die bestimmte Eigenschaften bzw. Relationen zutreffen. Der Denotatbereich wird also aufgebaut als formales Konstrukt, das in bezug auf seine Ausstattung und Struktur so angelegt ist, daß es die Mechanismen der Referenz in kontrollierbarer Form zu explizieren gestattet. Die Mechanismen der Referenz sind diejenigen Bedingungen des Bildens und Verstehens von Ausdrücken, denen zufolge ein sprachlicher Ausdruck s gemäß seiner sinn-semantischen Repräsentation auf außersprachliche Gegebenheiten (Sachverhalte, Situationen, Umstände) bezogen werden kann.
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Um dies deskriptiv zu bewältigen, muß die sinn-semantische Repräsentation auf die (die Denotate spezifizierende) referenz-semantische Repräsentation abbildbar sein. Dies erfordert wiederum, daß die Ausdrucksmittel der sinn-semantischen Repräsentation — in unserem Falle: die Marker und ihre Kombinationen — als Sprache (im strengen Sinne) definiert und interpretiert werden können müssen, damit eine geregelte Übersetzung sinn-semantischer in referenz-semantische Repräsentationen gewährleistet ist. Was daraus als Konsequenz erwächst, ist, daß das in den bisher behandelten Varianten von Semantiktheorie mehr implizit durchscheinende Verhältnis von linguistischer Semantik und Logik durch explizite Festlegungen und Integrationsbereiche ersetzt wird. Um nur ein Beispiel für den impliziten Rekurs auf die Logik zu nennen: Die zur Rekonstruktion intuitiver Bewertungen über semantischen Repräsentationen (Lesungen in Marker-Notation) definierten semantischen Eigenschaften und Relationen wie Analytizität, Synthetizität, Widersprüchlichkeit, Entailment, Inkonsistenz usw. (vgl. S. 103), sind sämtlich der Logik entlehnt. Es sind dies Begriffe, die in einem auf Wahrheitsbewertung und Wahrheitserblichkeit gründenden Ausdruckssystem definiert sind und spezielle auf die Wahrheitswertzuweisung bezogene Eigenschaften von Ausdrücken betreffen. In der KATZschen Semantiktheorie aber werden diese Begriffe auf ein Ausdruckssystem übertragen — nämlich die semantischen Repräsentationen in Marker-Notation — für die eine Wahrheitsdefinition und entsprechende Interpretationsregeln nicht festgelegt sind. Nicht nur dafür, sondern auch sonst ist der Begriff „Wahrheit" ein Schlüsselbegriff für eine linguistisch orientierte Explikation von Bedeutung in allen in 2.2. erwähnten Verweishinsichten. Der Begriff „Wahrheit" ist als solcher nicht Gegenstand der Linguistik, aber er hat in mehrfachen Hinsichten für die linguistische Semantik eine kriteriale Funktion. Entsprechend vielfaltig gestaltet sich — wie schon in der Einführung gesagt wurde — das Verhältnis zwischen linguistischer Semantik und Logik. Das Verhältnis der generativen Grammatiker zur Logik ist nach Entwicklungsetappe und Modellversion unterschiedlich. Insgesamt aber sieht man die Logik (als Disziplin) vornehmlich als Bezugsinstanz für die Methodologie der Theorienbildung — so die Konsequenzen aus dem Grundlagendisput zwischen BAR-HILLEL ( 1 9 5 4 ) und CHOMSKY ( 1 9 5 5 ) — oder man sieht die Logik (als Kalkül bestimmten Typs) als Notationslieferant für linguistische Repräsentationen, ohne jedoch mit der Übernahme der Logik als Beschreibungssprache auch deren Interpretationsbedingungen zu übernehmen. Hierher gehören die „logische Form" bei den Generativen Semantikern und die „logische Komponente" bei den Interpretativen Semantikern. Wir werden darauf in 5.2 und 5.3. unten noch eingehen. Was aber außer acht bleibt, ist, daß es zwischen Sprache und Logik auf der
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Objektebene einen inhärenten und genetischen Zusammenhang gibt, den man bezüglich der Explikation von „Bedeutung" etwa so fassen kann: Wenn die Bedeutungsstruktur eines Satzes s seine grammatisch (im Sinne der Kompositionalität) determinierte Verweisfunktion im Hinblick auf die Zuordnung von außersprachlichen Entitäten zu s darstellt, dann stellt die logische Struktur von s die Systematisierung der Zuordnungsbedingungen unter dem Kriterium der Wahrheit von s (bzw. allgemeiner der Erfüllung von 5) bezüglich der Interpretationsbereiche dar, aus denen die s zuzuordnenden Entitäten stammen. Dabei ist „darstellen" hier absichtsvoll zweideutig benutzt, einmal darstellen = sein: Die Bedeutungsstruktur von s ist die Struktur seiner Verweisfunktion und die logische Struktur von s ist die Struktur seiner Wahrheits- bzw. Erfüllungsbedingungen ; zum anderen darstellen = deskriptiv veranschaulichen: Die Beschreibung der Bedeutungsstruktur von s muß eine Beschreibung der Verweisfunktion von s sein und eine Beschreibung der logischen Struktur von 5 muß eine Beschreibung seiner wahrheitsfunktionalen Eigenschaften von s sein. Ein Satz 5 hat eine Bedeutung, aber eine semantische Repräsentation wird ihm im Rahmen einer Theorie zugewiesen, ebenso hat s eine logische Struktur, aber eine logische Form wird ihm mit den Mitteln einer Logiksprache im Rahmen einer Theorie zugewiesen. Die linguistische Bedeutungsexplikation muß sich aus diesem auf der Objektebene bestehenden inhärenten Zusammenhang heraus über die Ebenen Grammatikmodell — Logikkalkül und Linguistik — Logik (als Disziplinen) entwickeln. Dies ist eine zur bisher in der GG vorherrschenden gerade gegenläufige Blickrichtung, sie hat aber u. a. als Konsequenz, daß die Kluft zwischen philosophischer bzw. logischer und linguistischer Semantikbetrachtung überwindbar wird. Die Reserve der Vertreter der GG gegenüber einer Bedeutungsexplikation, die nicht nur ,sense'/,meaning' berücksichtigt, sondern auch ,reference'/,denotation' und damit eine Definition von „Wahrheit" und „Wahrheitsbedingung" involviert, beruht offenbar auf einigen Mißverständnissen (vgl. dazu MORAVCSIK 1974), die sowohl dazu geführt haben, daß die semantischen Repräsentationen nach Art der Readings interpretatorisch unabgeschlossen sind, als auch dazu, daß die bisherige Bedeutungsexplikation die kompetenzorientierte Zielstellung, nämlich: zu erklären, wie ein Sprecher-Hörer von L die Sätze von L bildet und versteht, bei weitem nicht ausschöpft. Der Vorwurf, die KATZsche Semantik z. B. sei keine Semantik, sondern nur die Übersetzung der Syntaxsprache (SBi bei e) in uninterpretiertes MARKERESE (E = Readings Ra ... Rin), so z. B. LEWIS (1970), ist insofern nicht von der Hand zu weisen. Dabei bezieht sich der Vorwurf nicht darauf, daß die semantischen Marker bisher kaum in Termen psychologisch nachgewiesener kognitiver Leistungen interpretiert werden konnten, sondern darauf, daß KATZ' Metasprache für die Repräsentation der Readings keine Festlegungen bezüglich Wahrheit und
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Die logische Form eines Satzes
Folgerung enthält, was sie aber haben müßte, wenn z. B. Definitionen der Analytizität, Widersprüchlichkeit oder Entailment als Eigenschaften von oder Relationen zwischen Lesungen wirkliche Explikate einer Semantiktheorie sein sollen. Mann kann nun argumentieren, daß (1) die Gegenstandsbestimmung „Explikation der Sprachkompetenz" qua „Bilden und Verstehen von Sätzen" eine umfassende und zugleich differenzierte Explikation von Bedeutung nicht nur möglich, sondern eigentlich notwendig macht, und daß (2) die Explikation der komplexen Verweisfunktion einen Rekurs auf Sinn- und Referenzsemantik im Zusammenhang notwendig macht, die die Spezifikation von Wahrheitsbedingungen und damit das Konzept der „logischen Form" als grundlegend ins Spiel bringt. Ich will dieses Argument im nächsten Abschnitt anhand eines Beispiels entwickeln und im Anschluß daran einige Postulate für das Konzept der „logischen Form" ableiten. Die Losung „Semantics without truth conditions isn't semantics" (LEWIS 1970) stammt — nicht zufallig — aus dem Lager der Logiker und sie hat sich in der Linguistik nur zögernd Anerkennung verschaffen können. Ein wesentlicher Grund für diesen Umstand scheint mir darin zu liegen, daß — obwohl Linguisten und Logiker beide semantische Analysen betreiben — die Interessen dabei so verschieden gelagert sind, daß die jeweils erzielten Analyseergebnisse den Bezug auf den gemeinsamen Gegenstand kaum erkennen lassen. Entsprechend unterschiedlich sind die Ausgangspunkte für die Entwicklung von Bedeutungsbegriffen. Ein logischer Bedeutungsbegriff ist nicht intuitiv, sondern eine Sache der Festlegung von Bewertungen, Bewertungsträgern und Regeln der Bewertungserblichkeit im Rahmen einer geschlossenen Theorie. Ein linguistischer Bedeutungsbegriff hingegen muß sich erst schrittweise von einem intuitiven Bedeutungsbegriff emanzipieren, jede Festlegung im Sinne einer Teilexplikation ist ein solcher Schritt, der jeweils auch vom Verstehen von sprachlichen Ausdrücken zu einem partiellen Verstehen des Verstehens dieser Ausdrücke führt. In dieser Hinsicht dürfte die etwas umfängliche Herleitung der auf Wahrheitsbedingungen rekurrierenden Bedeutungsexplikation durch so viele verschiedene Linguistikauffassungen hindurch von einem gewissen Interesse sein.
4. Wahrheitsbedingungen
— Wahrheitswert
— logische
Form
4.1. Welche Kompetenzleistungen das Verstehen von Sätzen beinhaltet und wie dabei die einzelnen Verweishinsichten ineinandergreifen, kann man sich an folgendem Beispiel verdeutlichen. Angenommen, ein Reporter befragt am
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30. 6. 1978 in Berlin eine Gruppe von Touristen nach ihrer Herkunft und erhält folgende einzelnen Antworten: (1) Ich wohne in Moskau (2) Ich wohne auch in der Hauptstadt der UdSSR und meine Frau lebt ebenfalls dort (3) Ich wohne in der Stadt der nächsten olympischen Spiele Darauf kann der Reporter erwidern: (4) Sie sind also alle Moskauer und aus Kiew ist niemand dabei. Und er kann über sein Interview bezüglich der Antworten (1)—(3) u. a. folgendes sagen: (5) Alle Befragten sagten, daß sie in Moskau wohnen (6) Alle Befragten gaben die gleiche Antwort (7) Ich erhielt von jedem Befragten eine andere Antwort. Eine Semantiktheorie, die lediglich darauf abzielt, das Verstehen von Sätzen zu beschreiben in Form von Readings, in denen Lexembedeutungen zu Satzbedeutungen kombiniert werden, hätte hierzu festzustellen, (a) daß (1)—(3) nicht synonym sind; (b) daß (4)—(7) nicht von (1)—(3) ,entailed' werden; (c) daß (6) und (7) sich ausschließen, also inkompatibel sind. Demgegenüber steht aber die augenscheinliche Tatsache, daß aus (1)—(3) korrekt auf (4) geschlossen werden kann und daß (5)—(7) völlig korrekte und miteinander verträgliche Bezugnahmen auf die Äußerungen von (1)—(3) darstellen. Als Kompetenzleistung ist somit zu erklären, wie es zustande kommt, daß (1)—(3) so verstanden werden und daß (4)—(7) korrekte Folgerungen bzw. korrekte Redewiedergaben sind. Eine traditionelle Semantikauffassung würde diese Zusammenhänge erklären als Ergebnis von Kontextdetermination und Sachwissen, aber nicht als eine Angelegenheit, die von der Grammatik (incl. Semantik) im Sinne der Spezifikation der Regeln der Laut-Bedeutungs-Zuordnung zu beschreiben sei. Natürlich spielt der Kontext — wir werden unten noch präzisieren, was darunter zu verstehen ist — bei der Determinierung des Zusammenhangs von (1)—(3) untereinander und zu (4)—(7) eine wichtige Rolle. Aber es bleibt nach wie vor zu erklären, inwiefern die einzelnen Sätze gerade eine solche Bedeutung haben, daß sie in einem gegebenen Kontext die Herstellung solcher Folgerungen bzw. Redewiedergaben erlauben. Und bezüglich dieses Erklärungsziels sind die oben unter dem Stichwort „Readings" gegebenen Auskünfte unbrauchbar. Wir werden ir"> folgenden, um den Anschluß an die Redeweise der generativen
Die logische Form eines Satzes
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Grammatiker zu erreichen und um zugleich eine Terminologie für die FREGEsche Distinktion zu haben, die durch .Reading' abgedeckte bzw. abzudeckende Bedeutung eines Satzes als ,Sinn' bezeichnen. (,Sinn l ist seinerseits zu explizieren als Begriffsbezug im Hinblick auf den Interpretationsbereich kognitiver Entitäten, vgl. dazu B I E R W I S C H 1982.) Den Sachbezug eines Satzes werden wir hingegen mit,Referenz' bezeichnen, wobei weitere Unterscheidungen anzuschließen sind. Im Detail geht es somit darum zu zeigen, inwiefern die Sätze (1)—(3), die z. B. bezüglich der Lokalbestimmung einen unterschiedlichen Sinn haben, als Äußerungen in einem bestimmten Kontext dieselbe Referenz haben können, und darum zu zeigen, inwiefern die Sätze (6) und (7), die bezüglich ihres Sinns unverträglich sind, als Äußerungen in einem bestimmten Kontext bezüglich ein und desselben Referenten verträglich sind. Damit sind einige wichtige Differenzierungen vorgezeichnet : Ein Satz wird isoliert verstanden in bezug auf seinen Sinn. Der Sinn aber ist nichts weiter als die Bestimmung des potentiellen Sachbezugs, der möglichen Referenz. Wird der Satz in einem Kontext geäußert, dann wird der durch den Sinn bestimmte potentielle Sachbezug zur Bedingung für Identifizierung des aktuellen Sachbezugs, der aktuellen Referenz. Die aktuelle Referenz besteht aus denjenigen Entitäten des Kontexts, die die Bedingungen der im Sinn zusammengefaßten potentiellen Referenz erfüllen. Daraus folgt, daß Sinn-Verstehen als Kompetenzleistung zu definieren ist, als die Herstellung einer Zuordnung zwischen einem Satz und der Gesamtheit der möglichen Entitäten, auf die er sich beziehen kann. Diese Zuordnung ist umfassend und exakt definierbar als Spezifikation der Wahrheitsbedingungen des betreffenden Satzes. Die Wahrheitsbedingungen des Satzes explizieren seinen Sinn insofern, als sie genau diejenigen Entitäten (Individuen, Relationen, Sachverhalte) charakterisieren, die den Satz wahr machen, bzw. erfüllen. 12 Die Bestimmung dessen, was gegeben sein muß, damit der Satz wahr ist, ist somit die exakte Bestimmung des potentiellen Sachbezugs mithin des Sinns eines Satzes. Einen Satz verstehen heißt folglich: seine Wahrheitsbedingungen (bzw. Erfüllungsbedingungen) erkennen. Davon strikt zu unterscheiden ist sein Wahrheitswert. Als Sätze haben (1)—(7) 12
Wir sagen hier „wahr" und „erfüllt" bzw. „Wahrheitsbedingungen" und „Erfüllungsbedingungen" nebeneinander, weil Wahrheitsbedingungen nach allgemein üblicher Redeweise nur ein Sonderfall der Erfüllungsbedingungen sind. So wird „Wahrheit" im allgemeinen nur als Erfülltheit angesehen in bezug auf satzartige Gebilde, die behauptet werden, also nicht auf Frage-, Imperativ- oder Wunschsätze, oder — wie wir unter 3.4. gesehen haben — auf die einem deflniten Kennzeichnungsausdruck zugrunde liegende Prädikation (the postman — x isa postman).
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Viehweger, Semantikforschung
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an sich (d. h. als sprachliche Gebilde) keinen Wahrheitswert, wohl aber klar erkennbare Wahrheitsbedingungen. Sie erhalten aber als Äußerungen in einem bestimmten Kontext einen Wahrheitswert, der davon abhängt, ob der Kontext so beschaffen ist, daß er in den Bereich des potentiellen Sachbezugs der Äußerung fällt oder nicht. Wenn der Kontext die Wahrheitsbedingungen des geäußerten Satzes erfüllt, macht er die Äußerung wahr, andernfalls nicht. Der Kontext trägt also bei zur Bestimmung des Wahrheitswertes einer Äußerung, nicht zur Bestimmung der Wahrheitsbedingungen dieser Äußerung. Dies ist ein wichtiger Punkt für die Klärung des Zusammenhangs zwischen dem Sinn (der sprachlich determinierten Bedeutungsstruktur) eines Satzes und der kontextbedingten Interpretation eines Äußerungsvorkommens dieses Satzes. Auf unser Beispiel zurückkommend können wir nun sagen: Die Sätze (1)—(7) haben sämtlich verschiedene Wahrheitsbedingungen. Aber diese sind nicht so, daß sie als Bereiche des möglichen Sachbezugs völlig disjunkte Mengen definierten, sondern es gibt Überschneidungsbereiche im möglichen Sachbezug. So etwa liegen (1)—(3) bezüglich des Sinns der Lokalbestimmung in einem solchen Bereich möglicher Überschneidungen. Daß aber die Äußerungen von (1)—(3) sich in ihrem aktuellen Sachbezug tatsächlich überschneiden, insofern als sie z. B. denselben Wohnort identifizieren, geht u. a. zurück auf den Beitrag des Kontexts, der hier als wesentliche Entitäten den Zeitpunkt (30. 6. 1978) einbringt, was zur Folge hat, daß ein und derselbe Referent gleichzeitig die Bedingungen erfüllt, Träger des Namens Moskau zu sein, Hauptstadt der UdSSR zu sein und (bezogen auf die Äußerungszeit) Stadt der nächsten olympischen Spiele zu sein. Das Kontextelement ,Zeitpunkt' trägt also dazu bei, daß die Äußerungen (1) bis (3) zusammen wahr sein können, was wiederum eine notwendige Bedingung dafür ist, daß (4)—(7) wahr sein können. Der gesamte, hier nur angedeutete Verstehenszusammenhang zwischen den Äußerungen (1)—(7) in der gegebenen Situation beruht im wesentlichen auf (a) dem Sinn der Sätze ( = potentieller Sachbezug), (b) der Referenz ihrer Äußerungsvorkommen ( = aktueller Sachbezug im gegebenen Kontext), (c) auf Schlußfolgerungen, die auf der Basis von (a) relativ zu (b) zwischen den Äußerungen etabliert werden können. Daß es sich hier nicht um reine Sinnrelationen handelt, sondern um sach- und kontextbezüglich etablierte Folgerungen, haben wir schon gesagt. Daß es sich dabei um Kompetenzleistungen handelt, dürfte außer Frage stehen. Damit besteht die Aufgabe, die Möglichkeit, solche Folgerungen zu etablieren, in genereller Weise in die semantische Beschreibung zu integrieren. Dies geschieht durch die Verbindung von Sinn- und Referenzsemantik, und zwar in der Weise, daß den konzeptuell zu interpretierenden Sinnrepräsentationen (Lesungen) eines Satzes s die referentiell zu interpretierenden Repräsentationen seiner möglichen Denotate zugeordnet wird.
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Formal zu fassen ist dies als Spezifikation der Wahrheitsbedingungen von s, denn Wahrheit ist das Kriterium, dem die Zuordnung folgt. Der Sinn eines Satzes s identifiziert als mögliches Denotat von s den Sachverhalt, dessen Bestehen den Satz s wahr macht (bzw. dessen Nicht-Bestehen den Satz s falsch macht). Entsprechend gilt auf der Ebene der systematischen Beschreibung dieses Zusammenhangs, d. h. auf der Ebene, auf der Sinn- und Denotatsrepräsentationen von s aufeinander zu beziehen sind: Eine Sinnrepräsentation von s bezieht sich auf die ihr zugeordnete Sachverhaltsrepräsentation als auf die Repräsentation, die sie identifiziert (gemäß festzulegender Erfüllungsbedingungen), umgekehrt bezieht sich die Sachverhaltsrepräsentation auf die Sinnrepräsentation als auf die Repräsentation, deren Bedingungen sie genügt. Der Sinn eines Satzes s (bzw. wie wir in 3.5. als übliche Redeweise vermerkt haben: die „propositionale Bedeutung von s" oder „die von s ausgedrückte Proposition") insgesamt identifiziert einen Sachverhalt, die einzelnen SinnBestandteile (die Sinne der syntaktisch kategorisierten lexikalischen Konstituenten) identifizieren die Denotate, aus deren Konfigurationen Sachverhalte „aufgebaut" werden. Die Wahrheitsbedingungen von s setzen sich zusammen aus den Wahrheitsbedingungen seiner Bestandteile (sofern diese selbst propositional sind) bzw. aus Identifizierungsbedingungen für die Denotate seiner Bestandteile. Wir wollen das jetzt — stark vereinfacht — anhand der Beispiele (1)—(7) illustrieren. Um die Identifizierungsbedingungen für die Denotate deiktischer Ausdrücke wie ich, meine, dort u. a. zu formulieren, bedarf es — und das ist ein wesentliches Argument für die Unerläßlichkeit einer Referenzsemantik — der Bezugnahme auf Kontextgegebenheiten wie Zeitpunkt t0, Ort o und der durch das Vorkommen der Äußerung des Satzes s charakterisierten Situation sit. Formal haben diese Identifizierungsbedingungen den Status von Funktionen, die bezogen auf ein Tripel [t0, o, sit] den Konstituenten von s ihre sinngemäßen Denotate zuordnen. Die Identifizierung eines Denotats ist seine sinngemäße Selektion aus dem Gesamtbereich der Denotate. Vereinfacht verbal formuliert und unter Weglassung der für alle Funktionen gleichen Indizierung, ergibt sich dann: ich
= dasjenige Individuum, das der Sprecher des Satzes s zum Zeitpunkt t0 des Äußerns von s ist. meine Frau — dasjenige Individuum x, für das gilt: (a) x ist eine Frau, (b) es gibt ein Individuum y, mit dem JC verheiratet ist, (c) y ist identisch mit dem Individuum, das der Sprecher von s zum Zeitpunkt t0 des Äußerns von s ist. wohnen in = diejenigen Paare aus einem Personen- und einem Ortsindividuum, zwischen denen zum Zeitpunkt t0 eine als WOHNEN IN qualifizierte Relation besteht. 8*
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Moskau
= dasjenige Ortsindividuum, das zum Zeitpunkt t0 durch den Namen „Moskau" identifiziert wird. die Stadt der nächsten Olympischen Spiele = dasjenige Ortsindividuum, das mit Hilfe folgender drei selektierender Funktionen fx — f} identifiziert wird: j\ für Stadt wählt unter den Orten (der Welt) die Städte aus. f2 für Stadt der . . . Olympischen Spiele wählt unter den Städten die Olympia-Austragungsorte aus, d. h. alle Städte, die durch ein Paar (Nit Jk) gekennzeichnet sind, wobei N = eine Spielenummer I, II, III. . . ist und /eine Jahreszahl mit Jl = 1896,J 2 = 1900 usw. / 3 für die . . . der nächsten . . . wählt nun bezogen auf den Zeitpunkt t0 des Äußerns von s diejenige Olympia-Stadt aus, für deren Jahreszahlindex gilt: Jk_t < t0 < Jk. Durch eine ähnliche Staffelung selektierender Funktionen wird das Denotat von die größte Stadt der UdSSR identifiziert. Wenn wir X über die drei Lokalbestimmungen in (1)—(3) variieren lassen, so gilt (wir lassen und meine Frau weg): ich wohne in X = der Sachverhalt, daß der als Sprecher von s zum Zeitpunkt t0 des Äußerns von s und das durch X identifizierte Ortsindividuum zum Zeitpunkt t0 ein Paar bilden, das die als WOHNEN IN qualifizierte Relation zum Zeitpunkt t0 erfüllt. Eine andere Formulierung dafür ist: „ich wohne in A'ist wahr gdw. der als Sprecher von s . . .". Wiewohl in der kompositionellen Formel sehr ähnlich, haben (1)—(3) ganz verschiedene und voneinander unabhängige Wahrheitsbedingungen. Zur Etablierung der Folgerungsbeziehungen zwischen (1)—(3) und jeweils (4)—(7) ist es somit notwendig, daß (1)—(3) für sich und unabhängig voneinander wahr sind, d. h. daß der Sprecher in der von ihm angegebenen Stadt zum Zeitpunkt t0 = 1978 wohnt. Die zweite Bedingung ist die, daß die Lokalbestimmungen in (1)—(3) bezogen auf t0 = 1978 denselben Ort identifizieren. Letzteres wäre z. B. nicht der Fall, wenn t0 < 1976 oder t0 > 1980, weil dann in (2) eine andere Stadt identifiziert würde und auch die Lokalbestimmung in (3) muß nicht für jedes tj > t0, also in alle Zukunft, auf Moskau zutreffen. Die drei Lokalbestimmungen identifizieren auf unterschiedliche Weise bezogen auf t0 = 1978 genau ein Denotat als gemeinsamen Durchschnitt. Deshalb sind bezüglich der Wahrheitsbedingungen von (1)—(3) die drei Ortsbezeichnungen wechselseitig substituierbar „salva veritate", was die korrekte Folgerung von (1)—(3) auf (4) und auf (5) erklärt. Antwort in (6) und (7) erweist sich als mehrdeutiges Lexem, insofern als es sich bei Redewiedergabe entweder auf die in der
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ursprünglichen Äußerung angesprochenen Denotate beziehen kann, das ist die sogenannte de re-Lesung, oder auf die sprachliche Form der ursprünglichen Äußerung, das ist die sogenannte de rficio-Lesung. Offensichtlich ist (6) die Variante de re, (7) die Variante de diclo, und darauf bezogen sind die gleiche bzw. eine andere, da sie hinsichtlich der ursprünglichen Äußerung unterschiedliche Denotate haben, miteinander verträglich und infolge der Austauschbarkeit der Lokalbestimmungen im gegebenen Kontext sogar zusammen wahr. Nachdem wir hiermit eine wichtige Facette der semantischen Kompetenz illustriert, die Notwendigkeit einer Verbindung von Sinn- und Referenzsemantik begründet und die Form ihrer Realisierung durch Spezifikation der Wahrheitsbedingungen skizziert haben, ist ein weiteres Resümee zu ziehen: Die Kompositionalität der „Bedeutung" von Sätzen bzw. Äußerungen von Sätzen ist im Vergleich zu 3.5.3. oben noch auf eine weitere Dimension auszudehnen. Als sprachliches Gebilde ist ein Satz kompositionell aufgebaut aus grammatischen Einheiten — dies reflektiert das syntaktische Kompositionsprinzip. Das semantische Kompositionsprinzip aber erstreckt sich nun auf zwei Bereiche: Der Sinn eines Satzes ist kompositionell aufgebaut aus den Sinnen seiner Bestandteile, das dem Satz via Sinn zugeordnete Denotat ist seinerseits „aufgebaut" aus den Denotaten der Bestandteile des Satzes. Wir haben für die Beschreibung dieses Zusammenhangs dann die Formel eingeführt: Die Wahrheitsbedingungen eines Satzes sind kompositionell zusammengesetzt aus den Wahrheits- bzw. Identifizierungsbedingungen seiner sinntragenden Bestandteile, und ebenso: der Wahrheitswert eines Äußerungsvorkommens eines Satzes ist kompositionell zusammengesetzt aus den Wahrheitswerten bzw. Erfüllungen, die durch den Kontext geliefert werden. Die Berücksichtigung dieser so formulierten dreifachen Kompositionalität bei der semantischen Explikation ist — in Anlehnung an die von F R E G E um die Jahrhundertwende vorgetragenen Grundideen — in die Literatur unter dem Namen „ F R E G E ' S principle" eingegangen (vgl. hierzu van E M D E BOAS/JANSEN (1979)). Wir können das genannte Prinzip im Sinne der in 2.2. angeführten Verweishinsichten auch so umformulieren: Es gilt, bei der Beschreibung der „Bedeutung" eines Satzes s in L die Kompositionalität seines sprachinternen Systembezugs mit der seines Begriffsbezugs und mit der seines potentiellen Sachbezugs zu korrelieren. Daß diese Korrelation im wesentlichen das Verstehen eines Satzes ausmacht, ist ein Indiz für die „innere Logik" der Sprache. Tatsächlich haben sich die von der Logik (als Disziplin) entwickelten Ausdrucksysteme herausgebildet als Abstraktionen aus der natürlichen Sprache mit dem (nicht immer so formulierten) Ziel, die Kompositionalität von Systembezug, Begriffsbezug und Sachbezug in möglichst reduzierter und genereller Form zu rekonstruieren. D a ß dabei — zumindest in den kalkülisierten Systemen der symbolischen Logik — der Begriffsbezug eines Ausdrucks reduziert ist auf die Eigenschaft „Träger eines Wahrheits-
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werts" zu sein und sein Sachbezug auf die Eigenschaft „wahr bzw. falsch bezüglich eines Modells" macht nur die Art und den Grad der Abstraktion deutlich. Zugleich ist dies aber die Voraussetzung, den Systembezug der Ausdrücke im Hinblick auf Ausdrucksbildung und Ausdrucksinterpretation ganz parallel zu spezifizieren: logische Syntax und logische Semantik sind mit gewissen Zusatzbedingungen kompositioneil isomorph. Wegen des parallelen Aufbaues von Syntax und Semantik sind logische Systeme so gesehen der Idealfall einer Sprache. Insofern bietet es sich geradezu an, Logiksysteme zu benutzen als Beschreibungsmittel für die linguistische Semantik, d. h. als Mittel, die genannte dreifache Kompositionalität der Verweishinsichten sprachlicher Ausdrücke in geeigneter Form zu repräsentieren. Daher resultiert das Konzept der ,logischen Form eines Satzes'. Die Repräsentation eines Satzes s bezüglich seiner logischen Form ist zunächst nichts weiter als die Übersetzung des Satzes in die Sprache eines bestimmten Kalküls. Der so gewonnene logische Ausdruck macht die logische Struktur des Satzes s in dem Ausmaß sichtbar, wie das das Ausdrucksrepertoire des betreffenden Kalküls gestattet. Die logische Form von Sätzen aber, die wir für Repräsentationszwecke innerhalb der Bedeutungsexplikation im Rahmen der linguistischen Semantik suchen, ist an eine Vielzahl von Bedingungen gebunden. Logische Ausdruckssysteme sind (trotz der genetischen Verwandtschaft mit der natürlichen Sprache) gemäß der oben genannten Zielstellung unabhängig, d. h. ohne den für die Linguistik konstitutiven Rekurs auf die natürliche Sprache, ausgearbeitet worden. Die auf dieser Grundlage bildbaren logischen Formen von Sätzen und die durch sie explizierten logischen Strukturen sind also nicht ohne weiteres in die linguistische Beschreibung zu übernehmen. Wir werden im folgenden schrittweise eine Reihe von Forderungen bzw. Kriterien aufstellen, denen das Konzept ,logische Form eines Satzes' und seine deskriptive Realisierung genügen müssen, um für die Bedeutungsexplikation dienlich und in die linguistische Semantik integrierbar zu sein. 4.4. Die zu Ende von 3.5. oben gegebene Charakterisierung der logischen Struktur eines Satzes können wir nun so präzisieren: Die logische Struktur eines Satzes ist die Kompositionalität seiner Wahrheitsbedingungen in systematisierter Form — relativiert auf eine bestimmte Abstraktionsebene. Deskriptiv darstellbar ist die logische Struktur eines Satzes nur durch eine entsprechende Logiksprache, die den Satz s als logische Form von 5 repräsentiert. Die Ausdrucks- und Interpretationsmöglichkeiten der verwendeten Logiksprache legen dann fest, wie abstrakt, d. h. wie weit von der sprachlichen Struktur von s abgehoben, die logische Form von s repräsentiert wird. Damit ergibt sich das grundlegende Postulat: (I) Die logische Form eines Satzes muß die Kompositionalität seiner Wahrheitsbedingungen spezifizieren.
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Für die Explikation der „Bedeutung" eines Satzes im Sinne der linguistischen Rekonstruktion seiner Verweishinsichten ist dies eine notwendige, keineswegs schon hinreichende Bedingung. Durch (I) wird bei weitem nicht all das abgedeckt, was linguistisch berechtigterweise unter „Bedeutung", d. h. unter semantisch zu explizierende Phänomene fallt. Vielmehr ist (I) in erster Linie aufzufassen als Grundansatz, um dem Erklärungsziel „Wie werden die Sätze von L (semantisch) verstanden?" eine faßbare Kontur zu geben. In diesem Sinne fungiert (I) auch als organisierende Hypothese für die Sortierung von Befunden, ihre Zusammenfassung zu Beschreibungsgegenständen und die Bedingungen ihrer Rekonstruktion in (Fragmenten) eines integrierten Modells von G(L) wie es in 3.5. diskutiert wurde. Um den in (I) genannten Grundansatz in Richtung auf die dreifache Kompositionalität der „Bedeutung" natürlichsprachlicher Ausdrücke zu spezialisieren, sind eine Reihe weiterer Forderungen aufzustellen. (II) Die logische Form eines Satzes ist diejenige Repräsentationsform, die die Sinnrepräsentation und die Referenzrepräsentation des Satzes in einer die spezifische Kompositionalität berücksichtigenden Weise verbindet. Hierher gehört einerseits die Berücksichtigung der Tatsache, daß — wie wir in 3.5. gezeigt haben — bezogen auf den Satz als syntaktisch strukturierten Komplex lexikalischer Einheiten Syntax und Semantik der natürlichen Sprache nicht die gleiche Operationsdomäne haben, also im Unterschied zu Logiksprachen nicht völlig parallel aufgebaut sind. Die logische Form eines Satzes muß daher sowohl die interne Bedeutungsstruktur lexikalischer Einheiten zugänglich machen als auch die in den lexikalischen Einheiten abgedeckten Komplexbildungen reflektieren. Eine Dekomposition der lexikalischen Bedeutungen in deskriptive Konstanten der Logiksprache (etwa nach Art der Marker) ist zwar notwendig, für die linguistische Seite der Analyse ist es aber ebenso erforderlich, daß die durch Lexeme abgedeckten (bzw. abdeckbaren) Kombinationen solcher Elemente ausgezeichnet werden in der als logische Form fungierenden Repräsentation von s. Nur so ist die Rolle der Lexeme als Schaltstelle bzw. Verteilerknoten angemessen wiederzugeben. Andererseits fordert (II) die Berücksichtigung der Tatsache, daß die formale Bewerkstelligung einer Verbindung von Sinn- und Referenzrepräsentation eines Satzes der natürlichen Sprache an die Ausdrucksfahigkeit der dafür vorgesehenen Beschreibungssprache erhebliche Ansprüche stellt. Die von uns im Anschluß an FREGE ,Sinn' und,Referenz' genannten Bedeutungsaspekte sprachlicher Ausdrücke sind in der Logik vermittels der Unterscheidung ,Intension' und ,Extension' approximiert worden, demgemäß werden auch die verschiedenen logischen Ausdruckssysteme in extensionale und intensionale unterteilt, wir werden darauf noch eingehen. Was (II) als Forderung nahelegt, ist, daß als Beschreibungssprache
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für die Repräsentation der logischen Form eines Satzes ein System mindestens von der Ausdrucksfahigkeit einer intensionalen Prädikatenlogik gebraucht wird. Was natürlich nicht heißt, daß für entsprechende Ausschnitte aus dem Bereich semantischer Phänomene nicht auch einfachere Systeme einen — wenigstens heuristischen — Wert als Beschreibungsmittel hätten. Wir werden in 5.2. und 5.3. solche Beispiele diskutieren. Über die Respektierung lexikalischer Einheiten als empirisch vorgegebene Kategorien semantischer Komplexbildung hinaus gilt, daß die Repräsentation der logischen Form eines Satzes die lexikalischen Einheiten auch als syntaktisch kategorisierte Konstituenten erfassen muß, mehr noch, daß die syntaktische Struktur des Satzes insgesamt gegenüber der Repräsentation der logischen Form des Satzes transparent bleiben muß. Dabei umfaßt die Forderung nach Transparenz der syntaktischen Struktur des Satzes einerseits Disambiguierung — ein syntaktisch mehrdeutiger Satz muß entsprechend verschiedene logische Formen erhalten — andererseits Wahrung oder Restituierung ihrer Manifestationsform, die allgemein als Oberflächenstruktur' des Satzes bezeichnet wird. Daraus folgt : (III) Die Repräsentation der logischen Form eines Satzes von L muß verträglich sein mit der (Oberflächen-)Syntax von L, und zwar auf eine intuitiv wie konstruktiv angemessene Weise. Die hiermit angesprochenen Probleme betreffen die Integration von logischer Syntax und linguistischer Syntax bezüglich der Beschreibung von L. Es gilt, die innerlinguistisch entwickelten und motivierten Kategorien und Regeln der Syntax in ihrem Erklärungsgehalt zu bewahren, mehr noch, sie als Ausdruck linguistischer Generalisierungen zu betrachten, denen die syntaktische Ausdrucksfahigkeit der logischen Beschreibungssprache nach Möglichkeit Rechnung tragen sollte. Zugleich ist die Übersetzung der Oberflächensyntax von L in die Syntax einer Logiksprache, die eine linguistisch interessante Repräsentation der logischen Form der Sätze von L liefern soll, eine Überprüfungsprozedur für die linguistische Syntax in mehrfacher Hinsicht : (a) die darin codifizierten Hypothesen über intuitive Befunde werden einer Konsistenzprüfung unterzogen, (b) die Präzision der Formulierung linguistisch-syntaktischer Regeln wird durch die Übersetzung ebenfalls auf die Probe gestellt, (c) das Inventar linguistisch motivierter syntaktischer Kategorien wird dem Kriterium von Occam's Razor unterzogen. Angesichts des bekannten Variantenreichtums syntaktischer Oberflächenstrukturen, von Sätzen s, s', s" ... , die bezogen auf die von ihnen ausgedrückte Proposition, d. h. als Sinnträger, und damit bezüglich ihrer Wahrheitsbedingungen identisch oder — in schwer zu bestimmender Weise — annähernd identisch sind,
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wie auch angesichts der Vielfalt syntaktischer Oberflächenstrukturen überhaupt, sind die hier anfallenden Probleme immens. (III) ist zu verstehen als Kurzformel für ein komplexes Forschungsprogramm. Jenseits dessen, aber natürlich in unmittelbarem Konnex mit den Forderungen (I)—(III), gilt die Bedingung: (IV) Die Repräsentation der logischen Form eines Satzes von L muß so angelegt sein, daß die dem Satz intuitiv zugeschriebenen semantischen Bewertungen und die aus ihm intuitiv ableitbaren Folgerungen formal gewinnbar sind. Dies betrifft zum einen die in 3.5. oben bereits diskutierten Eigenschaften wie semantische Anomalie, Analytizität, Synthetizität, Widersprüchlichkeit, und Relationen wie Entailment, Präsupposition, Inkonsistenz u. a., die im Rahmen der verwendeten Logiksprache eine Definition erhalten müssen, zum anderen betrifft es die Spezifikation von Folgerungsbegriffen, die nur partiell auf den klassischen logischen Folgerungsbegriff rückführbar sind. Die Interpretation eines Satzes und erst recht die Interpretation einer Äußerung in einem gegebenen Kontext involviert wesentlich mehr als die „bloße" Zuordnung von Sinn und Referenz bzw. von potentiellem und aktuellem Sachbezug. Auch sind die unmittelbar wahrheitsdefiniten Folgerungsbeziehungen, wie wir sie S. 115 f. anhand von (1)—(3) bezüglich jeweils (4)—(7) illustriert haben, nur ein Teil der Interferenzen, die in die Gesamtinterpretation einer Äußerung eingehen. Folgerungen verschiedener Art sind darüber hinaus verbunden mit der Interpretation etwa der Ausdrücke auch und ebenfalls in (2), mit der Interpretation der Oberflächenstruktur im Sinne der Thema-Rhema-Gliederung, mit der Interpretation des per Sinn und Referenz Mitgeteilten in bezug auf seinen Zweck innerhalb der betreffenden Kommunikationssituation usw. Folgerungen dieser Art, die unter der Bezeichnung „lexikalische" oder „pragmatische Präsupposition" (im Unterschied zu „logischer Präsupposition", die wesentlich enger zu fassen ist), Identifizierung von bekannter vs. neuer Information, Implikatur u. a. jeweils ganze Forschungsgebiete kennzeichnen, sind ihrer formalen Struktur nach natürlich den logischen Folgerungen vergleichbar, aber sie beruhen nicht auf derselben Bewertungsinstanz, d. h. nicht auf dem die Verbindung von Sinn und Referenz herstellenden Wahrheitsbegriff. Hier besteht die Aufgabe, die für eine wahrheitsfunktionale Semantik relevanten Folgerungstypen von den anderen zu sondern, für alle mit der Interpretation von Äußerungen zusammenhängenden Arten von Folgerungen aber möglichst eine einheitliche, auf Integrierbarkeit ausgerichtete Behandlung anzustreben. Schließlich ist, da wir von der Vorstellung ausgegangen sind, daß die logische Form eines Satzes die Systematisierung seiner Verweishinsichten darstellen soll, noch ein weiterer Aspekt anzufügen, demgemäß der logischen Form eine wichtige instrumentale und erklärende Funktion zukommt:
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(V) Die Repräsentation der logischen Form eines Satzes muß so angelegt sein, daß sie als Pendant kognitiver Strukturbildungen interpretierbar ist. Damit soll nicht einer Renaissance des Psychologismus in der Logik Vorschub geleistet werden, sondern die Verweishinsicht ,Begriffsbezug' soll aus der Perspektive der linguistischen Semantik genauer ins Auge gefaßt werden. Es geht dabei darum, (a) die Elemente und Strukturen der Sinnrepräsentation auf ihre konzeptuellen und perzeptiven Grundlagen und Operationsweisen hin zu interpretieren (also das in 3.5. anhand der Marker-Interpretation als „einigermaßen schillernd" bezeichnete Verhältnis von linguistischer Semantik und Psychologie zu klären); (b) eine Verbindung herzustellen, zwischen dem, was linguistisch im Sinne des potentiellen Sachbezugs zu beschreiben ist, und dem, was die Aktualisierung dieses Sachbezugs in konkreten Äußerungssituationen gewährleistet. Die letztgenannte Verbindung ist herzustellen unter der Annahme, daß die Aktualisierung des Sachbezugs, die Anwendung des Satzsinns auf den Kontext seiner Äußerung, den Aufbau einer kognitiven Repräsentation der Äußerungssituation voraussetzt, auf die wiederum die kognitive Repräsentation, die dem Sinn der Äußerung entspricht, abgebildet wird. Logisch formuliert ist dies der Zusammenhang zwischen den Wahrheitsbedingungen eines Satzes und seinen Verifikationsbedingungen, letztere sind gegeben durch das Modell der Äußerungssituation. Die kognitive Repräsentation der Äußerungssituation liefert somit den Interpretationsbereich, (das Modell) für die ebenfalls kognitive Sinnrepräsentation. Was wir oben durchweg die von der Sinnrepräsentation separat zu haltende Referenzrepräsentation genannt haben, ist in Form eines logischen Konstrukts das, was im Falle einer wahren Äußerung als kognitive Repräsentation der Äußerungssituation aufgebaut wird und dadurch die Äußerung verifiziert. Die Forderung (V) impliziert grundsätzliche Annahmen über die Art und Weise, in der kognitive Repräsentationen aufgebaut werden, sowohl im Falle (a), wo wir immerhin linguistische Einsichten als Regulativ zur Verfügung haben, wenngleich deren psychologische Realität nur in Ansätzen bisher plausibilisiert werden konnte, wie auch im Falle (b), wo Evidenzen in erster Linie aus wahrnehmungspsychologischen Experimenten zu erwarten sind. Immerhin sind Hinweise erbracht worden, daß auch die perzeptive Identifizierung von Gegenständen bzw. von Konfigurationen von Gegenständen als Sachverhalte, etwa im Satz-BildVergleich, „propositional" funktioniert.
Die logische Form eines Satzes
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Die Forderung (V) läßt bezüglich der Struktur und Operationsweise kognitiver Repräsentationen mehrere, unterschiedlich starke Morphismus-Hypothesen zu: Die starke Version besagt, daß der Aufbau kognitiver Repräsentationen des Sinns von sprachlichen Ausdrücken qua Sprachkompetenz und der Aufbau kognitiver Repräsentationen eines außersprachlichen Situationszusammenhangs qua praktischer Umweltorientierung völlig analog vonstatten gehen und durch einen Homomorphismus auf der Beschreibungsebene korreliert werden können. Die schwächere Version besagt, daß beide Arten von Repräsentationen durchaus unterschiedlichen Prinzipien folgen können, daß sie aber, da sie ja de facto interagieren, bezüglich ihrer Strukturbildungsmuster einen Überschneidungsbereich haben, der mangels anderer Evidenzen auf der Beschreibungsebene als durch einen Homomorphismus konstituiert modelliert werden kann. Für die weitere Detaillierung dieses ein ganzes Forschungsprogramm umfassenden Problemkreises sei auf BIERWISCH (1982) verwiesen. Nachdem wir bisher vor allem ziemlich weitgespannte Forderungen aus linguistischer Sicht an die Realisierung des Konzepts der logischen Form gestellt haben, sei zum Abschluß dieses Katalogs auch daran erinnert, daß ,logisch' in diesem Zusammenhang kein schmückendes Attribut ist, sondern daß gilt: (VI) Die Repräsentation der logischen Form eines Satzes muß die Kriterien erfüllen, die an eine Logik (als kalkülisierte Sprache) zu stellen sind. Das heißt, es muß für diese Sprache eine Festlegung des Grundzeicheninventars geben, Regeln zur Bildung und Umformung von Ausdrücken über diesem Grundzeicheninventar, sodann ein Modell (Interpretationsbereich), in bezug auf den Begriffe wie „wahr" „. . . folgt aus . . ." usw. definiert werden, darauf basierend dann Schlußregeln usw. Die in (I)—(VI) formulierten Grundsätze umreißen das Konzept der logischen Form eines Satzes als Gegenstand der linguistischen Semantik. Sie charakterisieren ein weitläufiges Rahmenprogramm, das in voller Breite gar nicht in Angriff genommen werden kann, sondern nur in sehr fragmentarischen Ausschnitten, die zudem an unterschiedlichen Stellen ansetzen und z. T. ziemlich divergierenden Ausgangsannahmen folgen. Insofern begründet das Thema dieses Beitrags keine irgendwie einheitlich faßbare Forschungsrichtung, sondern es artikuliert bestimmte Grundprobleme der Semantik, in bezug auf die Semantikauffassungen herkömmlicher Art und bestimmte aktuelle Semantikforschungen als Ausarbeitungsversuche bewertet werden können. Wir werden im folgenden Kapitel drei in gewisser Weise repräsentative Konzeptionen über die logische Form eines Satzes in der linguistischen Semantik vorstellen und an (I)—(VI) messen.
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5. Drei Ausfiihrungsvarianten in der Semantik
des Konzepts der logischen Form eines
Satzes
5.1. Die drei hier vorzustellenden Konzeptionen unterscheiden sich nach ihrer Quelle, ihrer Orientierung und Zwecksetzung in wesentlichen Punkten. Dennoch sind sie in (I)—(VI) einzuordnen als Versuche, eine Integration von Logik und linguistischer Semantik vorzunehmen. Die Differenzen zwischen ihnen, etwa bezogen auf die Berücksichtigung des Verhältnisses von linguistischen und logischen Zielsetzungen einerseits wie auch andererseits bezogen auf die jeweils ins Auge gefaßten Phänomene, sind — jenseits eines schmalen Durchschnitts gemeinsam behandelter Konstruktionstypen — so groß, daß sie kaum als direkte Alternativen voneinander gewertet werden können. Realistischer ist da die Auffassung, die drei Konzeptionen als Sondierungen zu betrachten, die an ganz verschiedenen Ecken des durch (I)—(VI) abgesteckten weiten Feldes angesetzt werden. Die ersten beiden Konzeptionen sind linguistisch orientiert. Sie haben sich entwickelt aus der in 3.5.1. erläuterten Grundannahme, daß eine Grammatik G(L) Strukturbeschreibungen von den Sätzen von L erzeugt, die über ein System von Repräsentationsebenen deriviert eine Explikation liefern für die Regularitäten der Laut-Bedeutungs-Zuordnung in L. Im Gefolge der in der GG entstandenen Kontroverse um den Status der »syntaktischen Tiefenstruktur' sind die beiden Konzeptionen im Rahmen konkurrierender Modellvorstellungen mit jeweils verschiedener Zwecksetzung zu einem Konzept der ,logischen Form' gelangt. Die dritte Konzeption ist dezidiert logisch orientiert, insofern ist das Konzept der .logischen Form eines Satzes' hier nicht thematisiertes BeschreibungsziW, sondern der eigentliche Ausgangspunkt der Beschreibung. Es versteht sich, daß alle drei Konzeptionen verschieden sind in bezug auf die Annahmen, die sie für das Verhältnis von Sprache und Logik (genetisch), von Grammatik und Logik (gegenstandsbezogen) und von Linguistik und Logik (methodologisch) als vorrangig erachten.
5.2. ,Logische Form' und,Natürliche
Logik' im Sinne der Generativen
Semantik
Die einzelnen linguistischen Motivierungen für dieses — vornehmlich von G. und R. LAKOFF, MCCAWLEY, POSTAL, SEUREN (in einigen Varianten) vorgeschlagenen — Modell sind in PASCH/ZIMMERMANN ( 1 9 8 3 ) sowie in FODOR ( 1 9 7 7 ) detailliert dargestellt worden. Wir können uns somit auf eine knappe Herleitung des Konzepts der .logischen Form' in diesem Modell beschränken, indem wir die ausführlichen Darstellungen voraussetzen. Das Konzept der,logischen Form' ist in diesem Rahmen entstanden als Resultat innerlinguistischer Argumentationen und der in diesem Zusammenhang gemachten
Die logische Form eines Satzes
125
„Entdeckung", daß sich logische Notationen als zweckmäßiges Beschreibungsmittel erweisen, wenn man über die Form (einer bestimmten Art von) semantischen Repräsentationen argumentiert. Alle weitergehenden Ambitionen haben sich erst im Verlaufe der Kontroverse zwischen Interpretativer und Generativer Semantik artikuliert. Die Etablierung des Konzepts ist also keineswegs so verlaufen, daß eine der in (I)—(VI) genannten Forderungen als explizite Zielsetzung vorgelegen hätte. Die Beziehung zu (I)—(VI) hat sich erst allmählich und implizit ergeben. Nun kurz die „historische" Herleitung: Aus verschiedenen an das /Ispec/s-Modell anschließenden Analysen ergab sich die Einsicht, daß die ursprünglich angesetzten syntaktischen Kategorisierungen und .Strukturbildungen ungeeignet und durch wesentlich komplexere und abstrakter zu fassende P-Marker zu ersetzen sind. Induziert wurde dies durch Faktengruppen, deren syntaktische Beschreibung die Formulierung von Regeln (PMarker-Strukturen) erforderte, die auf semantische Bedingungen rekurrierten — stets unter Aufrechterhaltung der Annahme, daß syntaktische Transformationsregeln „meaning-preserving" sind. Dies führte zunächst zu der These, daß das Konzept einer syntaktischen Tiefenstruktur' nicht aufrecht zu erhalten sei, sofern ,Tiefenstruktur' zu verstehen sei als eine ausgezeichnete und eigenständige Repräsentationsebene innerhalb des Derivationsmechanismus von G(L). Ein zweiter Argumentationsstrang bestand darin, daß das Inventar syntaktischer Kategorien nicht erweitert wurde — was man angesichts der komplexere Strukturen erfordernden Fakten als Alternative ja erwarten könnte, sondern daß — um Generalisierungen erfassen zu können — der Kategorienbestand reduziert wurde. Das bekannteste Beispiel ist die Zusammenfassung von Verben, Adjektiven (bestimmten Typs) und Präpositionen unter die Kategorie V. Die nötigen Differenzierungen innerhalb der Kategorie V wurden nun durch semantisch zu interpretierende Merkmale angezeigt, die anstelle lexikalischer Einheiten an bestimmten Stellen als Elemente in die syntaktischen P-Marker eingefügt wurden. Dieses Verfahren machte die syntaktische Struktur in P-Marker-Form komplizierter und abstrakter zugleich. Die Hauptlinie dieser Argumentation basierte auf Faktenmaterial (darunter inchoative Verben wie thicken = become thick), dessen Analyse im Rahmen der immer noch syntaktisch orientierten Konzeption es erfordert, die interne Struktur der lexikalischen Einheiten zugänglich zu machen, damit das syntaktische Verhalten der betreffenden Einheiten im gegebenen Rahmen in generalisierter Form beschreibbar war. Dies verdichtete sich dann zu der These, daß die wesentlichen Aspekte der internen Bedeutungsstruktur lexikalischer Einheiten in Termen der Syntax zu erfassen sein. Als heuristische Brücke dienten dabei die bekannten Paraphrasebildungen der Art kill = cause someone to become not alive usw. Aus diesen Erwägungen heraus kam dann der Vorschlag, für John killed Bill eine syntaktische Struktur zu postulieren, die ebensoweit aufgefächert ist wie die
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von John caused Bill to become not alive. Die diesen beiden Sätzen (und verschiedenen möglichen Zwischenversionen) gemeinsam zugrunde liegende syntaktische Struktur enthält dann keine lexikalischen Einheiten mehr als terminale Symbole, sondern „universal semantic elements", die etwa die Bedeutung von kill repräsentieren als CAUSE — BECOME — NOT — ALIVE, verteilt auf die mit ,V' etikettierten Knoten des P-Markers. Von hier aus war es nur noch ein kleiner Schritt, die zugrunde liegenden syntaktischen Strukturen, die jetzt ohnehin mit (den Lexemen allerdings verdächtig ähnlichen!) universellen semantischen Elementen bestückt waren, mit semantischen Repräsentationen zu identifizieren. Daraus erwuchs die programmatische „organizing hypothesis": „The rules of grammer, which generate the grammajical sentences of English, filtering out the ungrammatical sentences, are not distinct from the rules relating the surface forms of English to their corresponding logical forms" (so LAKOFF 1970: 159 und viele ähnliche Versionen anderswo). Daß die so konzipierten zugrunde liegenden semantischen Repräsentationen nun als ,logical forms' ausgewiesen werden, gründet in der von LAKOFF und MCCAWLEY Ende der 60er Jahre mehrfach vorgebrachten Annahme, daß das zum damaligen Zeitpunkt für die Formulierung syntaktisch-semantischer Repräsentationen übliche Kategorieninventar (S, NP, VP, CONJ — sowie die als ,contentives' zusammengefaßten N, V, A) „matches in almost one-to-one fashion the categories of symbolic logic" (MCCAWLEY 1970: 138). Alle anschließenden Elaborierungen des Konzepts der ,logical form' sind eingepaßt in die Argumentationen, die Evidenzen für die Rechtfertigung der oben genannten organisierenden Hypothese' liefern sollten. Dabei hat sich das auf einen relativ eng umschriebenen Fakten- und Problemkreis begründete Konzept als heuristisch fruchtbar erwiesen, zumal sich seine Anwendbarkeit auf Fakten, die traditionell von logischem Interesse sind (etwa Quantorenskopus, Koreferenz, definite Beschreibungen, de re vs. de dictoLesungen, Negationsverhalten usw.), in der Folge zu bestätigen schien. Auf dieser Basis hat LAKOFF (1970) dann, unter geschickter Resümierung vieler unter diesem Blickwinkel einschlägiger Beobachtungen, die .Natürliche Logik' als umfassendes Forschungskonzept postuliert. Man muß die Herkunftsbedingungen dieses Begriffs von ,logical form' berücksichtigen, wenn man nun retrospektiv die ganze Konzeption an den Forderungen (I)—(VI) messen will. Zu berücksichtigen ist dabei ebenso, daß der in diesem Modellrahmen tatsächlich diskutierte Bereich von linguistischen Fakten wie auch der im Detail behandelte Ausschnitt des Gesamtmechanismus von G(L) ziemlich begrenzt sind, wiewohl in diesem Zusammenhang eine Fülle von Phänomenen und Problemstellungen erstmals in der Linguistik in den Blick geraten sind. Insgesamt ist diese Konzeption charakterisierbar als Versuch, (a) die semantischen Repräsentationen von Sätzen in G(L) in möglichst enger
Die logische Form eines Satzes
127
Anlehnung an die Notationsweise der Prädikatenlogik zu formulieren = .logical form' (b) Form und Funktion solcher Repräsentationen zu rechtfertigen im Hinblick auf den empirisch motivierten, d. h. aus linguistischen Befunden abgeleiteten, Aufbau einer Logik, „whose goals are to express all concepts capable of being expressed in natural language, to characterize all valid inferences that can be made in natural language, and to mesh with adequate linguistic descriptions of all natural languages." = ,Natural Logic' (LAKOFF 1 9 7 0 : 1 5 1 ) . Trotz gelegentlicher Hinweise auf Wahrheitsbedingungen werden solche als das, was die .logical form' im Sinne der Forderung (I) zu spezifizieren hätte, nicht thematisiert, geschweige denn deskriptiv ausgeführt. Ähnliches gilt in bezug auf (II): Obwohl LAKOFF gelegentlich auf die Notwendigkeit verweist, Indices für Sprechzeit, Ort, vor allem für Sprecher und Hörer (/, you) im Zusammenhang mit der Performativhypothese (vgl. dazu VIEHWEGER 1 9 8 2 ) in die semantische Repräsentation zu integrieren — eine Referenzsemantik wird de facto nicht ausgearbeitet. Da insgesamt die Verwendung des Ausdrucks,Natural Logic' unbestimmt bleibt in der Hinsicht, ob damit eine Disziplin, eine Menge von Problemstellungen, eine Theorie oder ein Kalkül gemeint ist — wie DAHL ( 1 9 7 3 ) und andere Autoren kritisiert haben —, somit Forderung (VI) gar nicht ernsthaft in Betracht gezogen wird, können wir uns beschränken auf das, was die .logical form' leistet bezüglich (III)—(IV), die ja in (b) oben immerhin anklingen. Die Angleichung des Verfahrens zur Repräsentation ,logischer Formen' an die Prädikatenlogik umfaßt im wesentlichen folgende Punkte: 1. Kategorieninventar und seine Deutung Die in den syntaktischen bzw. syntaktosemantischen Baumstrukturen als Knotenetikettierung fungierenden Kategorien werden reduziert auf S, NP, VP, was den prädikatenlogischen Ausdruckstypen Satzformel, Individuenterm, Prädikatsterm entspricht. Als Endsymbole treten unter NP-Knoten sog. Indices auf, die als Individuenvariablen (x, y, z) bzw. Individuenkonstante (a, b, c) gedeutet werden. Als Endsymbole unter V-Knoten treten universelle semantische Elemente auf, die als ein- bzw. mehrstellige Prädikate gedeutet werden. Die Kategorie V enthält (in dieser Prädikatform codiert) traditionell als sehr verschieden angesehene Kategorien wie Verben (DO, BECOME, BELIEVE, PERMIT), Adjektive (ALIVE, SAD, SIMILAR), Konjunktionen (AND, OR, NEITHER-NOR), Präpositionen (IN, TO), Negation (NOT), Quantoren (ALL, SOME, MANY, FEW).
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D i e Prädikate werden unterteilt nach Stellenzahl und Art ihrer Argumente, so verlangt A L I V E einen Individuenterm, S I M I L A R zwei Individuenterme, BELIVE und P E R M I T einen Individuenterm und eine Satzformel, A N D zwei Satzformeln usw. Die Endkette eines durch S dominierten Baumabschnitts wird als Proposition gedeutet, bei rekurrierendem S repräsentiert der Baum folglich komplexe Propositionen. 2. Ausdrucksbildung
und
-Interpretation
D i e Baumstrukturen, die ,logische Formen' repräsentieren, werden nicht durch Phrasenstruktur-Erzeugungsregeln (,rewriting rules') bestimmt, sondern durch Knotenzulässigkeitsbedingungen, die festlegen, was zulässige, d. h. interpretierbare Konfigurationen sind. Dies entspricht weitgehend der logisch-syntaktischen Ausdrucksbestimmung. Der wichtigste Unterschied zur üblichen prädikatenlogischen N o t a t i o n ist der, daß die ,logical forms' als Baumstrukturen repräsentiert werden. Dies ist erforderlich, weil die linguistisch motivierten Transformationsregeln, die zwischen den zugrunde liegenden ,logical forms' und den Oberflächenstrukturen vermitteln, so formuliert sind, daß sie auf Knotenetiketten (S, NP, V) und Konstituenzbeziehungen (Dominanz, ,command', z-ter Zyklus) Bezug nehmen. Eine durch S dominierte Struktur ist ferner so aufgebaut, daß durch V (NP", n = 1, 2, 3, ...) gebildete Operator-Operand-Strukturen bestimmt sind, die für die Behandlung von Skopusproblemen günstig sind. D i e Knotenetiketten S, NP, V und die Baumstruktur-Repräsentation sind die Anschlußstücke, die die ,logical forms' an die grammatische Strukturbeschreibung anschließen sollen. D i e darauf operierenden strukturbildenden Regeln sind ein funktionales Pendant zu den prädikatenlogischen Umformungs- bzw. Äquivalenzregeln. D e r wichtige Unterschied aber ist, daß die linguistisch motivierten Umformungsregeln wie Prädikatshebung, Equi-NP-Tilgung, Psych-Movement, Quantoren-Senkung usw. als ,meaning preserving' Operationen über P r ä d i k a t e n k o n s t a n t e n definiert sind. A u f dieser Basis gibt es dann eine Reihe weiterer, nur linguistisch motivierter Beschränkungen der Strukturbildung, die sog. Derivationsbeschränkungen, die kein Pendant in der Prädikatenlogik besitzen. Fragen wir nun, was das für die linguistische Semantik einbringt. Offensichtlich wird hierdurch ein Überschneidungsbereich von syntaktischer und semantischer Kompositionalität erfaßt — das ist durch die Anlage des gesamten Apparats garantiert. D i e oben zitierte organisierende Hypothese', die ja gegen eine Konzeption der ,Autonomen Syntax' ins Feld geführt wurde, postuliert einen parallelen,
Die logische Form eines Satzes
129
in bezug auf die Operationsdomäne sogar identischen Aufbau von Syntax und Semantik. Was dabei aber in den tatsächlichen Analysen vorgestellt wurde, betrifft genau den in 3.5. gekennzeichneten Bereich, in dem das semantische Kompositionsprinzip unterhalb der Schwelle der lexikalischen Einheiten operiert. Erfaßt wird dieser Bereich durch einfache Ausdehnung des syntaktischen Kompositionsprinzips „nach unten", was wiederum nur plausibel ist, wenn man den Kategorienbestand und die Strukturbildungsmöglichkeiten der Syntax drastisch reduziert auf das, was sich mit gewisser Plausibilität auch auf die interne lexikalische Struktur von lexikalischen Einheiten übertragen läßt. Das wesentliche Resultat dieser Konzeption besteht somit darin, in dem durch die prälexikalischen Transformationen und den entsprechenden Lexikoneintragungsvorschlägen erfaßten Bereich von Phänomen die Überschneidung von syntaktischen und semantischen Kompositionsprinzipien mindestens in aufschlußreicher Weise demonstriert zu haben. Die gravierenden Mängel in bezug auf (III) bestehen darin, daß (a) der Anschluß an die sog. postlexikalische Syntax, d. h. die Interpretation der ,logical forms' nach Anwendung der prälexikalischen Regeln und der Lexikoneinsetzung, völlig offen bleiben — von wenigen Andeutungen abgesehen, und daß (b) die an der prädikatenlogischen Notation orientierte Repräsentationsform so arm ist, daß — wie PASCH/ZIMMERMANN lakonisch vermerken — „die linguistisch interessante Syntax weitgehend abhanden gekommen ist". Werfen wir noch einen Blick auf Forderung (IV) und die in bezug auf die .Natural Logic' postulierte Forderung, daß diese Logik alle in einer natürlichen Sprache ausdrückbaren Konzepte (Begriffe) und deduzierbaren gültigen Inferenzen spezifizieren müsse, vgl. das Zitat in (b) oben. Beide Aspekte werden innerhalb der hier diskutierten Konzeption behandelt in bezug auf die zwischen den .universal semantic elements' bestehenden Kombinations- und Implikationsbeziehungen. Zum ersten Punkt werden einige sehr interessante Vorschläge gemacht hinsichtlich der Bedingungen, die ein in L mögliches von einem in L nicht möglichen Lexem differenzieren. Im Rahmen der dazu geführten Argumentation wird behauptet, daß unmögliche Lexeme z. B. dadurch zu charakterisieren seien, daß die Kollektionierung ihrer als Baumstruktur repräsentierten Konfiguration von semantischen Elementen zu einem Komplex, dem ein Lexem zuzuordnen ist, die Anwendung von prälexikalischen Regeln erforderlich machte, die bestimmte generelle syntaktische Beschränkungen verletzen würde. Als Instanzen werden dabei die berühmten von Ross formulierten ,Constraints on Variables in Syntax' benutzt — die aber auf eine oberflächennahe Syntax zugeschnitten sind. So etwa die Beschränkung, daß die Konjunkte einer koordinativen Struktur nicht durch syntaktische Tranformationsregeln aus dem ,command'-Bereich dieser Struktur herausbewegt werden dürfen, also John drank beer and whisky *It was whisky John drank beer and/ *It was beer and John drank whisky. 9
Viehweger, Semantikforschung
130
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Die Generativen Semantiker analogisieren dies auf die Ebene ihrer ,logical forms' und postulieren daher die Unmöglichkeit eines Verbs *brink = DRINK BEER AND, demzufolge *John brank whisky = John drank beer and whisky eine echte Paraphrase wäre. Die damit angeregte Diskussion über die Strukturbedingungen der lexikalischen Bedeutung hat viele wichtige Aspekte eröffnet, auch wenn die so formulierte Hypothese insgesamt empirisch wie methodologisch auf ziemlich schwachen Beinen steht. Die Inferenzaspekte werden durch Postulierung von Entailment-Beziehungen über semantischen Elementen (Prädikatenkonstanteq) anvisiert. Die Folgerung von Peter öffnet die Tür auf Die Tür ist offen oder auf Peter läßt die Tür nicht zu wird geregelt durch Postulate wie CAUSE (x, t0 (COME ABOUT (OPEN (y, tj))) - * OPEN (y, / J bzw. CAUSE (x, t0 (COME ABOUT (OPEN (y, tj))) — CAUSE (JC, t0 (NOT REMAIN (NOT OPEN (y, tj))). Wie man sieht, sind solche Postulate wieder stark angelehnt an die Paraphrasierungsmöglichkeiten auf der Oberflächenstruktur. Das macht ihre ad hoc einsichtige Plausibilität aus, die aber darf nicht verwechselt werden mit theoretischer Aussagefähigkeit für die zu erklärenden und in logischer Form zu fassenden Sinnrelationen zwischen den lexikalischen Einheiten von L. Ohne Rekurs auf die in (V) und (VI) genannten Forderungen sind solche Bedeutungspostulate — wie übrigens die gesamte hier vorgestellte Konzeption — bestenfalls eine Art organisierender Hypothese für die Gewinnung und Anordnung semantisch relevanter Beobachtungsdaten. 13
5.3. Die logische Form als Repräsentationsmittel in der Interpretativen (am Beispiel der Skopusbildung von Operatoren)
Semantik
Diese Konzeption von .logischer Form eines Satzes' ist in ihrer Reichweite wesentlich begrenzter und in ihrer Ausführung wesentlich präziser als die in 5.2. diskutierte, was sich so eingrenzen läßt: (1) Als logische Form wird hier nur eine spezifische Repräsentationsstufe innerhalb einer Hierarchie von linguistisch unabhängig motivierten Repräsentationsebenen angesehen, die einem genau abgezirkelten Darstellungszweck genügen soll. (2) Dieser Zweck, nämlich die Darstellung der Skopusbildung von Operatorausdrücken, ist ohnehin sowohl bezogen auf die dort zu repräsentierenden Aus13
Eine gute zusammenfassende kritische Darstellung gibt MCCAWLEY (1981) in seinem auf linguistische Bedürfnisse zugeschnittenen Einführungsbuch in die formale Logik.
131
Die logische Form eines Satzes
druckstypen wie auch auf die darzustellenden Relationen ein traditionell logisch relevanter Bereich. (3) Die dafür verwendete Beschreibungssprache ist eine Logik im Sinne von (VI), d. h. ein abgeschlossener, unabhängig konstruierter Kalkül. Die Integration in die linguistisch motivierten Repräsentationszusammenhänge erfolgt nicht durch Modifikation oder Uminterpretation des Kalküls, sondern durch geeignete Adaptierung der linguistischen Anschlußstücke. Zuerst ein paar Bemerkungen zu .Skopusbildung' und ,Operatorausdrücken'. „Skopus" ist ein aus der symbolischen Logik entlehnter Begriff, der definiert ist als Geltungsbereich eines Operators innerhalb des ihm als Operationsdomäne zugeordneten (komplexen) Ausdrucks'. Interessant werden Skopusbetrachtungen erst dann, wenn innerhalb einer Formel zwei oder mehr Operatoren sich in dieselbe Operationsdomäne teilen. Bei einem Ausdruck etwa folgender Art ~ Vx 3y [P(x) —> Q(y)] mit drei Operatoren gilt die Festlegung: „der 3-Operator steht im Skopus des V-Operators, beide stehen im Skopus des Negationsoperators" oder auch „der 3-Operator hat den engsten, der Negationsoperator den weitesten Skopus, der V-Operator einen weiteren als der 3-Operator, aber einen engeren als der Negationsoperator". Die Skopusweite eines Operators relativ zu anderen Operatoren bemißt sich syntaktisch an der links-rechts-Abfolge ihres Auftretens in einer Formel. Sind die Operatoren nicht „gleichnamig", wie etwa Vx Vy [P(x) - Q(y)] = Vy Vx [P(x) -
Q(y)]
dann ist mit verschiedenem Skopus auch eine verschiedene Semantik verbunden. Ein Ausdruck wie 3yVx ~ [P(x)
Q(y)]
ist mit dem eingangs genannten also weder syntaktisch noch semantisch, d. h. bezüglich seiner Wahrheitsbedingungen, äquivalent. Die Verhältnisse in der natürlichen Sprache liegen etwas komplizierter, hier ist die Skopusdetermination eines Operatorausdrucks nicht allein durch seine syntaktische Position bedingt, sondern durch eine Reihe weiterer Faktoren, was zur Folge hat, daß syntaktisch nicht ambige Strukturen mehrere semantische Interpretationen haben können. Betrachten wir ein Beispiel. Logische Ausdrücke wie (a) und (b): (a) ~ Vx [K(x)
G(x)] ;
(b) Vx ~ [K(x) — G(x)]
sind in der gegebenen Operatorabfolge syntaktisch und semantisch eindeutig in sich und klar verschieden voneinander. Wenn wir (a) und (b) aber mit natürlichsprachigen Sätzen belegen und dabei dieselbe Abfolge der Operatorausdrücke einhalten, so ergibt sich: (i) Nicht alle Kinder sind geimpft ist eindeutig, es h a t die 9*
132
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Operatorabfolge wie (a) und eine semantische Interpretation wie (a). (ii) Alle Kinder sind nicht geimpft ist mehrdeutig, es hat eine Operatorabfolge wie (b) und eine semantische Interpretation wie (b), aber auch eine wie (a). Das heißt, trotz der Abfolge Alle . . . nicht . . . in (ii) gibt es für (ii) eine Interpretation, die auf ein Skopusverhältnis wie in (a), nämlich ~ Vx zu beziehen ist, in der zweiten Interpretation von (ii) sind wie bei (i) Oberflächenreihenfolge der Operatorausdrücke und Skopusverhältnis ihrer logischen Pendants ganz parallel. Linguistisch ist daraus zu folgern: Oberflächenabfolge von Operatorausdrücken und semantisches Skopusverhältnis können, müssen aber nicht parallel liegen. Im Falle von Mehrdeutigkeit ist die parallele Version die Basis für die präferente Interpretation des Satzes, bei (ii) ist die Interpretation (b) präferent. Die Interpretation, die weniger präferent ist, also nicht auf der genannten Parallelität fußt, bedarf gewöhnlich zusätzlicher Indikatoren, im Falle (ii) in der Interpretation (a) ist dies z. B. die Akzentkontur Alle Kinder sind nicht geimpft. Andere, die potentielle Mehrdeutigkeit einschränkende Faktoren sind an die im Lexikon zu vermerkenden idiosynkratischen Eigenschaften eines Operatorausdrucks gebunden. Operatorausdrücke in diesem Sinne sind außer der Negation nicht (und eventuell kaum, keinesfalls, mitnichten) und den Quantorenausdrücken (alle, einige, mehrere, viele, wenige, keine) u. a. auch Modalverben (können, müssen, dürfen), Partikel (nur, auch), Satzadverbiale (möglicherweise, wahrscheinlich, leider) und Adverbien wie jeweils, insgesamt, gegenseitig usw. Die Operatorausdrücke in einem Satz interagieren bezüglich ihrer syntaktischen und semantischen Kombinier- und Interpretierbarkeit nicht nur miteinander, sondern auch mit dem Tempus, der Definitheit bzw. Indefinitheit von NP, der Eigenschaft „specific" — „non-specific" usw. Dieser gesamte, äußerst komplizierte Zusammenhang wurde unter dem Gesichtspunkt der Skopusbildung — die zweifellos ein semantisch zu beschreibendes Phänomen ist — in Angriff genommen durch ein Konzept von ,logischer Form', das einzig dazu dient, eindeutige Repräsentationen von logisch möglichen Operatorkombinationen zu bilden, d. h. Skopusverhältnisse in einer Idealform vorzugeben, um dann auf die bezogen die linguistisch motivierten Interpretationseinschränkungen zu formulieren. Repräsentativ für diese Verfahrensweise ist die Arbeit von KROCH (1974), die wir hier zugrunde legen. Skopusverhältnisse werden dieser Auffassung nach in G(L) am günstigsten beschrieben in einer Skopus-Komponente, die eingepaßt ist in den Modellaufbau einer Grammatik im Sinne der Erweiterten Standardtheorie wie sie auf LASNIK, JACKENDOFF und jüngste Arbeiten von CHOMSKY ( 1 9 7 5 und spätere) bezogen konzipiert ist (vgl. dazu PASCH/ZIMMERMANN, Abschnitt 4 . 3 . ) . Die Einrichtung einer solchen Komponente beruht auf drei Annahmen: (1) Die Oberflächenreihenfolge der Operatorausdrücke ist für die Interpretation ihrer Skopusverhältnisse zwar kein hinreichendes, aber doch ein wichtiges
Die logische Form eines Satzes
133
Indiz, weil sie im Falle paralleler Interpretation — wie (i) zu (a) und (ii) zu (b) — die präferente, somit unmarkierte Interpretation (Lesung) liefert. (2) Die Prädikatenlogik 1. Stufe ist ein hinreichend ausdrucksfahiges Mittel, um mit ,3', ,V\ also dem Negations-, Existenz- und Alloperator (wir beschränken uns hier auf diese) Skopusrepräsentationen anzugeben, die für Sätze mit Kombinationen von Operatorausdrücken aus not (für , ~ ' ) , all, every, each, any u. a. (für ,V) und a, some, one (für ,3') eine Grundinterpretation zu geben, die für alle weiteren (weniger präferenten oder ausgeschlossenen) Interpretationen die Basis bildet. (3) Das Skopusverhalten der Operatorausdrücke in einer natürlichen Sprache läßt sich am besten beschreiben, wenn man von einer grundsätzlichen, die Kombinatorik voll ausschöpfenden Mehrdeutigkeit ausgeht, und dann den Spielraum der Interpretationen nach syntaktischen und lexikalischen Präferenzbedingungen systematisch einschränkt. Die Skopuskomponente leistet dies durch dreierlei Vorrichtungen (,devices'): (A) Ein obligatorisch anzuwendendes Skopusprinzip ordnet syntaktischen Oberflächenstrukturen bezüglich ihrer Operatorausdrücke einen die Oberflächenabfolge direkt spiegelnden Skopusmarker zu. (B) Auf diesem Skopusmarker können dann fakultativ Skopusausgleichsregeln operieren, die die Ausgangsstruktur nach kontextsensitiven Permutationsregeln umarrangieren. (C) Eine Menge von als Filter fungierenden Output Conditions spezifiziert die nach (A) und (B) bestimmten Skopusmarker nach der Unzulässigkeit bzw. dem Präferenzgrad der ihnen zuzuordnenden Interpretationen. (B) und (C) nehmen Bezug auf den Oberflächenkontext der betreffenden Operatorausdrücke sowie auf bestimmte Lexem-gebundene Merkmale des Skopusverhaltens. Mit den gebotenen Vereinfachungen können wir das Operieren der Skopuskomponente so illustrieren: (S) Every student didrit solve some of the problems Dieser Satz enthält drei Operatorausdrücke und ist gemäß (3) entsprechend. 2 x 3 = sechsdeutig. Von diesen sechs möglichen Interpretationen sind im Englischen aber nur vier nachweisbar, und die sind verschieden natürlich, bilden also eine Präferenzordnung. Betrachten wir nun, wie die Skopuskomponente diese Fakten expliziert. Der Übersichtlichkeit wegen, wiederholen wir S und notieren darunter die sechs möglichen Skopusmarker und kommentieren, wie sie sortiert und bewertet werden als Repräsentationen für Lesungen von S. (S) Every student didn't solve some of the problems
(a) (V) (b) (V)
(3)
(3) (~)
134 (c) (d) (e) (0
E. Lang
(~) (~) (3) (3)
(V)
0)
(3)
(V) (~)
(V)
(V)
Das Skopusprinzip (A) ordnet S zunächst obligatorisch den Skopusmarker (a) zu, was jedoch einer Interpretation entspricht „jeder Student hat kein Problem gelöst", die S nicht hat. (a) für S muß somit als Interpretationsträger aussortiert werden. Dies erledigt eine auf die Spezifik von some im Skopus von not rekurrierende Out-Put-Condition aus (C). Dieselbe Bedingung filtert auch (d) aus, was einer Interpretation entspräche „es gibt kein Problem, das jeder Student gelöst hat", die S ebenfalls nicht hat. Die Skopusausgleichsregeln (B) leiten aus (a) den Skopusmarker (b) für S ab mit der präferenten Interpretation „Jeder Student hat einige der Probleme nicht gelöst", ferner (c) mit der weniger präferenten Interpretation „nicht alle Studenten haben einige der Probleme gelöst". Mit weiteren Gradabstufungen dann auch (e) mit der Lesung „es gibt einige Probleme, die alle Studenten nicht gelöst haben" und (0 mit „es gibt einige Probleme, die nicht alle Studenten gelöst haben". Das Bemerkenswerte an dieser Konzeption von ,logischer Form' ist, daß sie zunächst einmal als Instrument dient, um einen notorisch diffusen und an sehr subtile intuitive Urteile appellierenden Faktenbereich mit Rigidität auf ein bestimmtes Verfahrensschema zu bringen, das einen logisch möglichen Spielraum determiniert, der dann durch empirische Bedingungen systematisch eingeschränkt wird. Soweit es das abgegrenzte Problem der Skopusverhältnisse betrifft, werden hierdurch ernsthafte Beiträge geleistet zur Differenzierung der Kompositionalität, insbesondere zur Präzisierung der Annahme, daß das syntaktische und das semantische Kompositionsprinzip oberhalb der Domäne der lexikalischen Einheiten im wesentlichen parallel funktionieren. Die Einpassung dieser Repräsentationsebene und der Skopuskomponente überhaupt sind ein Tribut an die Forderung (III). (I) und (II) werden indes nur soweit berücksichtigt, wie die Prädikatenlogik dies für die klassischen Operatoren tut. Andererseits hat KROCH mit Hilfe seiner Analysemethode eine beachtliche Menge von idiosynkratischen oder gruppenbildenden Skopuseigenschaften für englische Operatorlexeme gefunden, die eine empirische Grundlage bieten könnten, eine motivierte Kalkülerweiterung zu erwägen, die dann auch den Forderungen (I) und (II) weiter entgegenkommen könnte. Erwähnenswert ist als Nebenprodukt ein Hinweis auf die unter (V) vermerkten Aspekte — logische Form als Pendant zu kognitiven Strukturbildungen: Wenngleich nicht explizit thematisiert, kommt die psychologische Relevanz bestimmter Festlegungen dennoch zum Vorschein: Allein die unter (1) oben gemachte An-
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nähme, daß die für Oberflächenabfolge und Skopusverhältnis parallel laufende Interpretation die unmarkierte (im Prinzip!) ist, bringt perzeptionspsychologische Beobachtungen in den Status von Argumenten. Ähnliches wäre zu sagen in bezug auf gruppenbildende Skopuseigenschaften, die Operatorlexeme aufweisen. 5.4. Logische Form eines Satzes als primäres Repräsentationsmittel der modelltheoretischen Semantik
im Sinne
Hier ist die Ausgangssituation, aus der sich die Konzeption der Verbindung von Logik und Linguistik angebahnt hat, eine völlig andere als in 5.2. und 5.3. Die unter dem Namen,modelltheoretische Semantik' zusammengefaßten Theorien haben ihren Ursprung und ihre Zielsetzung aus der Logik abgeleitet. Die theoretischen Grundlagen der entsprechenden Logiksysteme sind aus innerlogischen, unabhängigen Problemstellungen entwickelt worden. Ihre Hinwendung zur bzw. ihre Anwendung auf die natürliche Sprache erwuchs aus einem „philosophic interest in attempting to analyze ordinary English; and ordinary English is an adequate vehicle for philosophy." (MONTAGUE 1974: 186) Das damit motivierte Programm des Logikers, Sprachphilosophen und Mathematikers Richard MONTAGUE (1930—1971) verdichtete sich in seinen folgenden Arbeiten zu der (berühmt gewordenen) These: „There is in my opinion no theoretical difference between natural languages and the artificial languages of logicians; indeed, I consider it possible to comprehend the syntax and semantics of both kinds of languages within a single mathematically precise theory." (MONTAGUE 1974: 222). Und gleich darauf heißt es konkreter: „Very extensive portions of natural languages can . . . be adequately interpreted by way of translation into (das von ihm vorgeschlagene — E. L.) system of intensional logic." Die angeführten Zitate können gleich Protest hervorrufen, von beiden Seiten, und sie sind in der Tat anhaltend im Zentrum heftiger Auseinandersetzungen, vor allem unter Sprachphilosophen und Linguisten. Wir können uns aber — ohne die grundlegende philosophische Problematik zu leugnen oder zu schmälern — angesichts der unter linguistischen Gesichtspunkten aufgestellten Forderungen (I)—(VI) und den in den Abschnitten 2. und 3. diskutierten Semantikauffassungen auf den letzten Satz des dritten Zitats konzentrieren, indem wir die Position einnehmen, daß uns die hier vorgeschlagene Logik lediglich interessiert in dem Maße, wie sie als Instrument der Beschreibung der in 2.2. diskutierten Verweishinsichten sprachlicher Ausdrücke eingesetzt werden kann. Wir stehen damit vor der Situation, ein Konzept von .logischer Form eines Satzes' vorzustellen, bei dem die Logik vorgegeben ist, somit (I) und (VI) von vornherein erfüllt sind, nun aber diese Logik auf den Anwendungsfall (II) bezogen wird, und für linguistische Zwecke, die Punkte (III)—(V) das eigentliche Bewährungsfeld abgeben.
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Die Intensionale Logik als Mittel der Sprachbeschreibung wurde außer von von LEWIS ( 1 9 7 0 ) und CRESSWELL ( 1 9 7 3 ) in verschiedenen Versionen ausgearbeitet. Die drei (und einige Subtypen) sind zusammengefaßt als .modelltheoretische Semantik' ein aktueller Forschungszweig, der zunehmend in die genuin linguistische Forschung hineinwächst. Die Intensionale Typenlogik MONTAGUES auch nur in groben Umrissen vorzustellen erforderte einen kaum vertretbaren Aufwand an Platz und Typographie. Wir begnügen uns daher mit einer Skizze des Grundaufbaus, die in bezug auf die Forderungen (II)—(V), vor allem hinsichtlich ihrer in Kap. 4 gegebenen Aufgabenstellung, nämlich die dreifache Kompositionalität eines Satzes bezüglich der Verweishinsichten Begriffsbezug und potentieller Sachbezug, bzw. die Korrelation von Sinnsemantik, Referenzsemantik und kognitiver Strukturbildung, einen zumindest ungefähren Eindruck vermittelt. Die Grundüberlegung der modelltheoretischen Semantik ist die, die Sätze der natürlichen Sprache nach einem exakt definierten Verfahren in eine Sprache der Intensionalen Logik (IL) zu übersetzen und sie in dieser Repräsentationsform semantisch zu interpretieren. Den Ausgangspunkt des Übersetzungsvorgangs bilden zwei wichtige Festlegungen: MONTAGUE
(1) Die Lexeme der natürlichen Sprache werden als nicht weiter zerlegbare Einheiten in die Übersetzung übernommen. Davon ausgenommen sind bestimmte Operatorausdrücke, die Kopula, Artikel, sowie logisch „interessante" Ausdrücke wie believe, know usw. Eine Analyse der lexikalischen Bedeutung und damit der unterhalb des Lexems operierenden semantischen Komposition bleibt somit außer acht. Dies ist eine wesentliche Einschränkung aus linguistischer Sicht. (2) Der Übersetzungsprozeß hat die Oberflächenstruktur natürlich-sprachlicher Sätze weitestgehend zu wahren. Generalisierungen über syntaktischen Strukturzusammenhängen, wie sie in der Transformationsgrammatik angestrebt werden, sind hier kein Beschreibungsziel. Probleme wie kategorielle Homonymie, Mehrdeutigkeit, nicht-rekonstruierbare Tilgungen, die aus linguistischer Sicht eine Festlegung wie (2) unattraktiv machen, werden in der modelltheoretischen Semantik bewältigt durch Inkaufnahme von Komplizierungen der Übersetzung. Hierbei stehen Exaktheit und Explizitheit als Kriterien über Ökonomiegesichtspunkten, seien sie psychologisch oder nur darstellungstechnisch motiviert. Die Intensionale Logik geht in Gegenüberstellung zur Extensionalen Logik auf die von FREGE (1892) getroffene Unterscheidung von Sinn und Bedeutung (in FREGES Terminologie) zurück. Die beiden Logiksysteme unterscheiden sich durch die Entitäten, die sie den in ihnen bildbaren Ausdrücken als Interpretation zu-
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ordnen. In der Extensionalen Logik werden den Ausdrücken als Entitäten zugeordnet: Sätzen — Wahrheitswerte; Individuentennen (Namen, Kennzeichnungen) — Individuen (Objekte); einstelligen Prädikaten — die Klasse der Objekte, auf die das Prädikat zutrifft; «-stelligen Prädikaten — die Klasse Objekt-n-tupel, zwischen denen die durch das «-stellige Prädikat angegebene Beziehung besteht. Die Intensionale Logik hingegen interpretiert die ihren Ausdrücken zugeordneten Extensionen nach „der Art ihres Gegebenseins", d. h. nach FREGE nach dem Sinn der Ausdrücke. Intensionen nun sind die den logischen Ausdrücken qua Sinn zugeordneten Entitäten, die — wie wir in 4.2. schon gesagt haben — begrifflicher Natur sind. Als Intensionen werden in der IL den Ausdrücken zugeordnet: Sätzen — Propositionen (Sachverhalte in einer möglichen Welt — darüber unten mehr); Individuentermen — Individuenbegriffe; einstelligen Prädikaten — Eigenschaften; «-stelligen Prädikaten — Relationen-in-Intensionen. Außerdem hat die IL das in 4.2. schon erwähnte FREGEsche Prinzip der Kompositionalität übernommen, wonach die Bedeutung ( = Wahrheitswert) eines Satzes sich kompositioneil zusammensetzt aus den Bedeutungen (Extensionen) seiner Bestandteile, ebenso wie sich der Sinn ( = Proposition) zusammensetzt aus den Sinnbeiträgen ( = Intensionen) seiner Bestandteile. Eine IL ist somit das geeignete Mittel um sinnsemantische und referenzsemantische Repräsentationen via Spezifikation von Wahrheitsbedingungen zu verbinden. Und da — wie aus den Festlegungen (1) und (2) oben folgt — die Oberflächensyntax in die Übersetzung einbezogen ist, dürfte von einer intensionallogisch formulierten Übersetzung eines Satzes tatsächlich eine Explikation der dreifachen Kompositionalität zu erwarten sein. Genau das geschieht auch, und zwar in dem hier zu besprechenden System von IL so, daß die für die referenzsemantische Repräsentation erforderliche Zuordnung von Intensionen zu Extensionen und der kategoriale Aufbau der Ausdrücke absolut demselben Operationsschema folgen. Wir betrachten jetzt den Aufbau der IL. Gemäß dem in 2.2. als (B) angegebenen Schema benötigen wir zunächst dreierlei: (1) Eine Festlegung über die Menge E der erzeugbaren Ausdrücke von IL. (2) Eine Festlegung über den Denotatbereich D (Interpretationsbereich), dessen Entitäten den Ausdrücken von IL als Extensionen zugeordnet werden sollen (3) Eine Festlegung Füber die Zuordnungsvorschriften, denen gemäß jedem Element aus E eine passende Entität aus D als Interpretation zugewiesen wird. Im einzelnen gilt dann: E beruht auf einer endlichen Menge von Konstanten und einer unendlichen
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Menge von Variablen, sagen wir kurz dafür K und V. Die Gesamtmenge E ergibt sich aus Verknüpfungen von Elementen aus K mit Elementen aus V, wobei die aus der Verknüpfung resultierenden Strukturen sämtlich jeweiligen Kategorien zugeordnet werden. Die Kategorisierung wird geleistet durch Einführung eines Systems KAT. KATerfüllt zweierlei Zwecke: (a) es legt fest, wie Elemente aus K und V miteinander verknüpft werden können (b) es legt fest, welchen Typ von Denotat eine Verknüpfung aus Elementen von K und V als Extension zugewiesen erhält. KA T umfaßt (gewöhnlich nur) zwei Grundkategorien: 5 für Propositionen, deren Extensionen Sachverhalte sind N für Namen, deren Extensionen Individuen sind. Alle übrigen Kategorien sind abgeleitet, d. h. sie werden aus N und 5 gebildet nach folgender Vorschrift: (i)
(a) N, S sind Grundkategorien (b) wenn a, blt b2, ... , b„ komplexe, oder Grundkategorien sind, dann ist (ajbi ... bj eine komplexe Kategorie. (ii) Wenn el ein Ausdruck der Kategorie (a/b) ist und e2 ein Ausdruck der Kategorie b, dann ist die Verknüpfung von ei und e2 ein Ausdruck der Kategorie a. Alle Kategorien außer den beiden Grundkategorien werden — anders als in der linguistischen Syntax etwa — nicht durch direkte Etiketten, sondern durch ihre Funktionalstruktur, d. h. ihre Bildungsweise, charakterisiert. 5 ist eine Proposition mit dem Denotat Sachverhalt, N ein Name mit dem Denotat Individuum. Eine Kategorie (S/N) ist (ii) zufolge Repräsentant eines Ausdrucks, der kombiniert mit einem Namen einen Satz ergibt — also steht (S/N) für einstellige Prädikate. Entsprechend die Extensionsbestimmung: die Kategorie hat als Extension ein Denotat, das zusammen mit einem Individuum einen Sachverhalt ergibt — also hat der durch (S/N) kategorisierte Ausdruck als Denotat die Klasse der Individuen, die eine bestimmte Eigenschaft besitzen. Die Kategorie (S/N N) steht für zweistellige Prädikate, die Kategorie (5/5) für einstellige, die Kategorie ( 5 / 5 5) für zweistellige propositionale Operatoren. Analog zum Aufbau der Ausdrucksmenge E erfolgt der Aufbau ihres Dejiotatbereichs D. Der Denotatbereich ist definiert über zwei Typen von Grundeinheiten, einer Menge A von möglichen Individuen, und einer Menge W von möglichen Welten. Der Denotatbereich D ist ein mengentheoretisches Konstrukt. Eine mögliche Welt ist in diesem Zusammenhang eine durch Eigenschaften von und Relationen zwischen Individuen bzw. Individuen-tupeln strukturierte Menge von Individuen.
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Einer Eigenschaft, d. h. der Intension eines einstelligen Prädikats der Kategorie (S/N), entspricht in D eine Funktion, die für jede mögliche Welt w aus W die Klasse der Individuen auswählt, auf die die fragliche Eigenschaft in w zutrifft. Ebenso ist das Denotat einer Kategorie (S/N N) in D bestimmt durch eine Funktion, die für jede Welt w aus W die Klasse der «-tupel auswählt, die in der fraglichen Relation zueinander stehen. Die Eigenschaften, Relationen, Eigenschaften von Eigenschaften usw. in D können nun wieder als Einheiten bestimmter Typenzugehörigkeit definiert werden, und zwar ganz analog zu (i) und (ii) oben. D ist aufgebaut aus einem Typensystem TYP so wie E aufgebaut ist aus einem Kategoriensystem KAT. Für TYP gilt: (i') (a) 0 und 1 sind Grundtypen (b) wenn x, yl,y2,... , yn komplexe oder Grundtypen sind, dann ist (x;yi... ein komplexer Typ (ii') entsprechend (ii) auf Typenbildung bezogen.
yn)
Einheiten vom Typ 0 sind Sachverhalte, Einheiten vom Typ 1 sind Individuenkonzepte, Einheiten vom Typ (0; 1) sind Eigenschaften, d. h. Funktionen, die angewandt auf ein Individuum einen Sachverhalt ergeben, (0; 1 1) sind Relationen, die angewandt auf zwei Individuen einen Sachverhalt ergeben. An dieser Stelle ist es vielleicht angebracht, ein paar Bemerkungen einzuschieben über den Begriff,mögliche Welt' und entsprechend über mögliche Individuen, Sachverhalte und Wahrheitsbedingungen. In modelltheoretischer Redeweise sind die beiden folgenden Bestimmungen äquivalent: (1) Ein Sachverhalt kann aufgefaßt werden als diejenige Menge möglicher Welten, die dadurch ausgezeichnet ist, daß er in ihnen besteht. (2) Eine mögliche Welt kann aufgefaßt werden als die Gesamtheit der in ihr bestehenden Sachverhalte. Da beides, Sachverhalte und mögliche Welten, in D als mengentheoretische Gebilde figurieren, sind — entgegen dem alltagssprachlichen Sinn — (1) und (2) nur unterschiedliche Projektionen auf eine mengentheoretische Struktur. Nehmen wir ein einfaches Beispiel. Sei M der durch die Bedeutungen des Satzes S spezifizierte Sachverhalt, M = „Der 13. Mai ist ein Freitag," und die möglichen Welten, auf die S zu beziehen ist, seien repräsentiert durch die Jahreskalender 1900 bis 1980. Nach der Version (1) könnten wir sagen : M sortiert aus den 81 Kalendern die aus, in denen der 13. 5. auf einen Freitag fallt. Entsprechend gilt nach Version (2), daß wir von M ausgehend einen Kalender aufbauen und dann nachsehen, wie oft der sich von 1900—1980 wiederholt. Der Begriff .mögliche Welten' darf nicht ontologisch mißverstanden werden. Über eine erkenntnistheoretisch-philosophische Klarstellung dieses Problems vgl. die Monographie von CELISCEV ( 1 9 7 8 ) . Bleibt nun noch die Charakterisierung
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von F, der Zuordnungsvorschrift für die Einheiten aus E zu den Einheiten aus D. Da E und D völlig parallel aufgebaut sind, lautet sie: (iii) (a) AS) = 0 (b) AN) = 1 (c) Aa/bi ... bj = (x; y1 ... yJ, wobei die Typen x,yt,..., yn jeweils den Kategorien a, bx,..., bn auf Grund von (a), (b) und (c) entsprechen. Ganz parallel zu der Komplexbildung in KAT und TYP erfolgt auch die Zuordnung von Kategorien zu Typen. Eine wichtige Ergänzung zu diesem im grundsätzlichen nun vorgestellten Mechanismus muß noch angeführt werden: Wie wir anhand der Beispiele (1)—(7) in Kap. 4 verdeutlicht haben, ist die Identifizierung eines Denotats z. B. von deiktischen Ausdrücken (ich, dort, die Stadt der nächsten Olympischen Spiele) abhängig von indexikalischer Information über Zeitpunkt, Ort und Äußerungssituation. Die Integration dieser Faktoren ist in IL vorgesehen als spezifizierende Bedingung der durch (iii) geleisteten Zuordnung. Fassen wir diese Faktoren zu einem speziellen Index i aus einer Indexmenge I zusammen, wobei wir annehmen, daß i mindestens ein Paar ist (w, j), wobei w eine mögliche Welt, j die durch Äußerungszeitpunkt, Ort, Situationszusammenhang determinierte Faktorenbündelung darstellen. Demgemäß wird etwa folgende Zuordnung gemacht: (a)
ichm{i) — ^Sprecher ( w ) unter der Bedingung j
(b) dum(i) = d Adressal (w) unter der Bedingung j usw. — die in 4.2. bezüglich (1)—(7) verbal angegebenen Identifizierungsbedingungen können in IL nun in kanonischer Form ausgedrückt werden. Damit schließen wir die sehr grobe Überblicksdarstellung von IL ab. Vielen Linguisten mag der aufwendige Formalismus der IL abschreckend erscheinen und es mag sich die Frage erheben nach dem rechten Verhältnis von Nutzen und Aufwand. Was die nun wirklich ,logische' Form eines in IL übersetzten Satzes bringt für die linguistische Semantik, ist in erster Linie die Demonstration all der Beschreibungsbedingungen, die für eine formale Rekonstruktion der semantischen Kompositionalität sprachlicher Ausdrücke zu erfüllen sind. Die Ausdrucksfähigkeit der IL für die prinzipielle Darstellung der ins Auge gefaßten semantischen Zusammenhänge ist bei weitem ausreichend, das Problem besteht eher in der linguistisch passend zu rechtfertigenden Auswahl und Beschränkung. Ebenso ist die geforderte Rigidität des rekonstruktiven Vorgehens eine in der Entwicklungsgeschichte der Linguistik ebenso notwendige wie nützliche Bedingung des methodologischen Fortschritts. So gesehen kann man der Fülle modelltheoretisch angelegter Fragmente von Grammatiken, die in den letzten Jahren vor-
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gelegt wurden, eine Schubwirkung nicht absprechen, die sich u. a. auch darin niederschlägt, daß das Thema „Grammatik und Logik" derzeit zu einem der zugkräftigsten Themen für Konferenzen, Workshops und Sammelbände geworden ist, zum Knotenpunkt interdisziplinärer Bemühungen, jedenfalls zu einem Schwerpunkt der aktuellen Forschung. Ernsthafte Probleme für eine wirklich linguistisch befriedigende Nutzung des modell-theoretischen Instrumentariums zeichnen sich in zwei Richtungen ab: Einmal dürften das Kategorienerzeugungsschema und die Kompositionalitätsforderung Schwierigkeiten für eine linguistisch befriedigende Behandlung der Oberflächenstrukturen bieten, etwa eine passende Beschreibung und Integration morphologischer und morphonologischer Erscheinungen, die bisher kaum in Rechnung gestellt wurden. Zum anderen — und wichtiger noch — ergibt sich die Frage nach der emprisch angemessenen Interpretation jener zwar formal ausgefeilten, aber eines Rückbezugs auf die psychologischen Aspekte entbehrenden Repräsentationen, die hier geliefert werden. Hier formiert sich eine Forschungsrichtung, bei der von unterschiedlichen Disziplinen aus und aus unterschiedlichen Beweggründen, aber konvergierend in der Zielvorstellung auf die Notwendigkeit der Verbindung von modell-theoretischen Beschreibungsmitteln und psychologischen Evidenzen für die weitere Semantikforschung verwiesen wird. Was etwa PARTEE (1979) aus einer immanenten Kritik heraus entwickelt, ergänzt sich mit den von dem Psychologen JOHNSONLAIRD initiierten Forschungen über „mentale Modelle" und den jüngsten Arbeiten von BIERWISCH (1982; in Vorb. a, b), wo er die Erweiterung der Interpretation der durch IL repräsentier baren Strukturen im Hinblick auf kognitive Strukturbildungen etwa gemäß (V) behandelt. In Schlagworte simplifiziert könnte man sagen: war KATZ' Semantiksprache kritisierbar als Übersetzung der Syntaxsprache in uninterpretiertes MARKERESE, so ist die IL kritisierbar als Übersetzung der natürlichen Sprache in weitmaschiges F U N C T I O N A L E S E . Was uns nun linguistisch gesehen fehlt, ist eine Interlinearübersetzung von Deutsch, Ungarisch, Hopi usw. — in M E N T A L E S E ! Dabei dürften die in (I)—(VI) umrissenen Gesichtspunkte den Kriterienrahmen dafür abstecken, daß die weitere Semantikforschung, wie immer disziplinär gekoppelt oder aufgefächert und wie immer verschieden im Interessenschwerpunkt sie erfolgen mag, doch zentriert bleibt auf die Explikation dessen, was wir die komplexe Verweisfunktion eines sprachlichen Ausdrucks genannt haben, und somit zentriert bleibt auf die „logische Form".
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Dieter Viehweger
Semantik und Sprechakttheorie
A usgangspositionen Die Sprachwissenschaft befindet sich gegenwärtig in einer Phase der Neuorientierung. Während sie vor einigen Jahren noch vorwiegend unter dem Einfluß verschiedener Richtungen der strukturellen Linguistik um die Ausgrenzung eines relativ autonomen Gegenstandsbereiches bemüht war, sucht sie jetzt in stärkerem Maße die Verbindung zu anderen Wissenschaftsdisziplinen und greift bisher vernachlässige oder bewußt ausgeschlossene Fragestellungen auf. Evidenter Ausdruck dieser Neuorientierung ist die Vielzahl linguistischer Teildisziplinen, die in den letzten Jahren — häufig durch Entwicklungsanstöße der Nachbarwissenschaften — unter Bezeichnungen wie linguistische Pragmatik, Sprechakttheorie, Konversationsanalyse, Diskursanalyse, Textlinguistik, handlungsorientierte Linguistik, kulturhistorische Sprachwissenschaft u. a. entstanden sind und der Linguistik neue Forschungsperspektiven eröffneten. Im Zusammenhang damit wurde auch die Frage nach dem Objektbereich und den Erkenntnisinteressen der Linguistik neu gestellt und zu beantworten versucht. Für die Mehrzahl der neyen linguistischen Entwicklungsrichtungen ist charakteristisch, daß sie sich als Alternativvorschläge zu jenen Modellansätzen verstehen, die — wie die Mehrzahl der Richtungen und Schulen der strukturellen Linguistik — sich ausschließlich auf die Beschreibung und Erklärung des Sprachsystems konzentrieren und dabei von den Bedingungen der Kommunikation und den Menschen, die Sprache in konkreten gesellschaftlichen Situationen zur Erreichung bestimmter Ziele verwenden, weitestgehend oder gänzlich abstrahieren. Zwei Beispiele sollen verdeutlichen, wie die bisherige Sprachwissenschaft auf jede Bestimmung verzichtete, die über ihren autonomen Gegenstand hinausging. SAUSSURE (1931: 9ff.) hat es zur Aufgabe der Sprachwissenschaft erklärt, sich abzugrenzen und selbst zu definieren. Damit wurde gleichzeitig postuliert, Sprache als ein einheitliches Ganzes, als ein Ganzes in sich zu beschreiben, als ein System, das nur seine eigene Ordnung zuläßt und seiner Natur nach in sich gleichartig ist. Nach SAUSSURE untersucht die Sprachwissenschaft in ihrem „Inneren", was der Sprache als identischem Objekt wesentlich zukommt, nach außen verdrängt sie alles, was der Sprache fremd ist. Zu dem Fremden, 10
Viehweger, Semantikforschung
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D . Viehweger
was von der Sprache ferngehalten werden muß, zählt SAUSSURE all jene sprachlichen Erscheinungen, die sich durch Verschiedenartigkeit und Unabgeschlossenheit auszeichnen. Zu den fernzuhaltenden Erscheinungen gehören somit die menschliche Rede, die als allgemeine Sprachfahigkeit die Existenz der Sprache ermöglicht, sowie das Sprechen, die empirische Existenzform der Sprache in jeweils momentaner, raum-zeitlicher Konkretheit. Mit der von SAUSSURE vorgenommenen Isolierung des Sprachsystems zu einem in sich geschlossenen, einheitlichen Gegenstand ist der Weg deutlich charakterisiert, auf den sich die Sprachwissenschaft in den letzten Jahrzehnten bewegt hat und über den offenbar weitgehende Einhelligkeit bestand. MÖTSCH ( 1 9 7 8 : 1 1 ) weist mit Recht darauf hin, daß dieser Abstraktionsschritt den meisten Grammatikern so evident zu sein schien, daß „sie es selbst im Zusammenhang mit der Diskussion des Verhältnisses zwischen Sprachsystem und Sprachgebrauch für überflüssig hielten, sich genauere inhaltliche Vorstellungen vom Sprachgebrauch zu machen". Auch die generative Grammatik CHOMSKYS sieht die zentrale Aufgabe der Linguistik darin, das den Äußerungen einer Sprache zugrunde liegende System zu ermitteln. Fragen der Performanz diskutiert die generative Grammatik daher nur unter dem Aspekt der psychologischen Mechanismen des Erzeugens und Verstehens von isolierten Sätzen. Das Sprachsystem, das alle potentiellen Sätze charakterisiert, wird somit als der absolut dominierende Aspekt von Sprache angesehen. Die Konzeption der generativen Grammatik ist zu bekannt, als daß sie hier einer ausführlichen Darstellung bedürfte. 1 Da sich die Mehrzahl der eingangs genannten Forschungsrichtungen als Alternativen zur bisherigen Grammatiktheorie verstehen, und da die Entwicklung dieser Modellvorschläge vielfach mit einer grundsätzlichen Kritik an der generativen Grammatik verbunden ist, erweist es sich als zweckmäßig, hier die wichtigsten theoretischen und methodologischen Positionen der Grammatiktheorie CHOMSKYS noch einmal thesenartig vorzustellen. CHOMSKY ( 1 9 6 5 ) sieht die wichtigste Aufgabe der Linguistik darin, aus der Klasse der möglichen generativen Grammatiken diejenige Teilklasse von Grammatiken auszuwählen, die es gestattet, die Kompetenz des idealen SprecherHörers zu beschreiben und zu erklären. Eine generative Grammatik wird dabei weder als Sprecher- noch als Hörennodell verstanden, es handelt sich bei dem idealen Sprecher vielmehr um einen abstrakten Automaten, der kraft seiner Kompetenz in der Lage ist, beliebig viele Sätze seiner Sprache zu erzeugen und zu verstehen sowie jedem Satz das Prädikat ,grammatisch in V bzw. ,nicht grammatisch in V zuzuschreiben. Der ideale Sprecher-Hörer kennt ferner die Synonymie und Ambiguität von Sätzen und ist in der Lage, Ambiguitäten
1
Vgl. hierzu vor allem den Beitrag von PASCH und ZIMMERMANN (in diesem Band).
Semantik und Sprechakttheorie
147
ohne Einbeziehung von Informationen über den sprachlichen und außersprachlichen Kontext durch Paraphrasierung aufzulösen. Mit Ausnahme der allgemeinen Funktion, die Gedanken des Menschen auszudrücken, hat Sprache nach CHOMSKY keine weitere wesentliche Funktion, und wenn sie noch eine haben sollte, so gibt es zumindest keinen relevanten Zusammenhang zwischen dieser Funktion und ihrer Struktur. Für die generative Grammatik CHOMSKYS ist die Sprache durch die syntaktische Struktur definiert, die durch angeborene Eigenschaften des menschlichen Geistes bestimmt ist. Obzwar syntaktische Strukturen zur Kommunikation verwendet werden, wird kein systematischer Bezug zwischen dieser und der der Kommunikation hergestellt.2 Aus der gedrängten Problemdarstellung wird ersichtlich, daß auch CHOMSKY von einer Idealisierungsbasis ausgeht, die Probleme der sozialen und funktionalen Differenziertheit konkreter Sprachen sowie der historischen Veränderung und Entwicklung unberücksichtigt läßt. CHOMSKY befaßt sich nur mit der Grammatikkenntnis, mit der sprachlichen Kompetenz und stellt keinen Zusammenhang zwischen dem Kenntnissystem der Kompetenz und den übrigen Kenntnis-, Einstellungs- und Wertsystemen dar, die sprachlichem Handeln zugrunde liegen. Wenngleich für CHOMSKY das Sprachsystem insofern nicht autonom ist, als eine erklärende Theorie des Sprachsystems in systematischer Weise auf Erkenntnisse der kognitiven Psychologie Bezug nehmen muß, bleibt der von der generativen Grammatik eingeschlagene Weg der Forschung dennoch auf einen hochgradig restriktiven Gegenstand orientiert, auf die Untersuchung der strukturellen Eigenschaften von Sätzen einer homogenen Existenzform von Sprache. Bezüglich der Frage, welche Rolle kommunikative Faktoren für die Erklärung von Sprachstrukturen spielen, bleibt CHOMSKY fest auf den Positionen des klassischen Strukturalismus. Einige Vertreter der generativen Grammatik haben sich intensiv darum bemüht — vielfach unter partieller oder totaler Zurücknahme der strengen Idealisierungen sowie der hochrestriktiven linguistischen Grundeinheiten — die aus dem Modellvorschlag CHOMSKYS resultierenden Teiltheorien systematisch weiterzuentwickeln und durch konkrete Einzeluntersuchungen zu verifizieren und zu vertiefen. In zunehmendem Maße zeigte sich dabei jedoch, daß selbst nach der Zurücknahme ursprünglich auferlegter Idealisierungen und der dadurch zum Teil erreichten Wiedergewinnung des Zusammenhangs von Sprache und sozialem Handeln (FILLMORE 1 9 7 0 und 1 9 7 1 ) sowie der Dimension Sprache und Geschichte (KIPARSKY 1 9 6 8 ) gerade die zentrale Kategorie des Modells der generativen 2
Aus der Vielzahl kritischer Stellungnahmen, die sich vor allem gegen die in CHOMSKY (1969 a, 1969 b) entwickelten A n n a h m e n richten, erwähnen wir hier n u r SEARLE (1975), KANNGIESSER (1976) und ANDRESEN (1976).
10*
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D. Vieh weger
Grammatik — der ideale Sprecher-Hörer — eine große Zahl von Unzulänglichkeiten aufwies, die nicht nur diese Abstraktion, sondern den gesamten Modellvorschlag in Frage stellten. Gegen den von CHOMSKY abgesteckten Rahmen der Grammatik, der nur bestimmte allgemeinpsychologische Aspekte sprachlichen Handelns unter dem Gesichtspunkt einer stark vereinfachten Vorstellung von Grammatikkenntnissen zu berücksichtigen erlaubt, sind von den oben erwähnten Forschungsrichtungen zahlreiche kritische Einwände vorgebracht worden. Ziel der Kritik war vor allem der ideale Sprecher-Hörer, der in einer völlig homogenen Sprachgemeinschaft lebt und somit nicht als Träger der gesamten dialektisch organisierten Tätigkeit der Gesellschaft verstanden wurde. In den Einwänden wurde immer wieder hervorgehoben, daß die Menschen einer bestimmten Gemeinschaft, die sich ihrer Sprache zum Zwecke der gesellschaftlichen Kommunikation bedienen, mit Sicherheit mehr und anderes tun als schlechthin Sätze dieser Sprache zu bilden und zu verstehen (was sie selbstverständlich auch tun). Ein Mensch, der eine Sprache spricht, handelt, indem er dies tut, d. h., er stellt Behauptungen auf, formuliert Fragen, Bitten und Aufforderungen, spricht Beschuldigungen und Rechtfertigungen aus, die jeweils zweckorientiert und partnerbezogen realisiert werden und in der Regel mit nichtsprachlichen Handlungen in spezifischer Weise verbunden sind. Aus der damit kurz charakterisierten Auffassung von Sprache als einem Instrument gesellschaftlichen Handelns ergeben sich wichtige Konsequenzen, die wir, da sie in der vorliegenden Arbeit noch ausführlicher behandelt werden, hier nur kurz illustrieren wollen. Die Grundannahme vieler Grammatiktheorien bestand darin, daß alle in die Domäne der Grammatiktheorie fallenden sprachlichen Eigenschaften von Sätzen unabhängig von einer Charakterisierung der kommunikativen Situation erforscht werden können, in der sie geäußert werden können. Daraus wird ersichtlich, daß sich die bisherige Grammatiktheorie, soweit sie überhaupt eine umfassende und explizite Theorie der Bedeutung anstrebte, sich ausschließlich auf die Beschreibung von Aussagesätzen bzw. wahrheitsdefiniten Sätzen beschränkte und die Vielzahl jener Probleme ausklammerte, die sich aus der Untersuchung des Zusammenhangs zwischen der Bedeutung sprachlicher Äußerungen und dem Verhalten der Sprachbenutzer ergaben. Unter Linguisten und Logikern schien zunächst stillschweigendes Einverständnis darüber zu bestehen, die semantische Beschreibung anderer Modi als etwas zu betrachten, das sich finden wird, wenn man erst einmal die Aussagesätze im Griff hat. LEWIS, der radikalste Vertreter der Indikativrestriktion, hat bekanntlich die Auffassung vertreten, daß die Unterscheidung zwischen dem Indikativ und den anderen Modi semantisch irrelevant sei. Alle Sätze seien schließlich und endlich wahrheitsdefinit, auch wenn sie nicht immer dazu verwendet werden, eine Behauptung zu machen. Eine Bedeutungstheorie hat demzufolge nichts damit zu tun, was ein Sprecher mit Sätzen alles tun
Semantik und Sprechakttheorie
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kann, der Bedeutungsbegriff ist vielmehr in einem seiner wesentlichen Aspekte auf der Grundlage der Begriffe .Wahrheit' oder ,Evidenz' zu explizieren. Wahrheit wird zum Ausgangspunkt der logischen wie auch linguistischen Semantiktheorie, deren Programm DAVIDSON in der Formel zusammengefaßt hat: Die Bedeutung eines Satzes sind deren Wahrheitsbedingungen, mit anderen Worten: die Bedeutung eines Satzes zu verstehen heißt zu wissen, unter welchen Umständen ein Satz wahr ist. Aus dem kurzen Resümee wird ersichtlich, daß die Linguistik offenbar unter dem Einfluß der logischen Semantik sich ausschließlich auf die Beschreibung der propositionalen Qehalte, d. h. auf die Abbildung von Sachverhalten konzentrierte und somit nur die Wahrheitsbedingungen von Sätzen in den Mittelpunkt ihrer Theoriebildung rückte. In Anlehnung an die Sprachphilosophie (DAVIDSON, HARMAN) und an die philosophische Logik (MONTAGUE) wurde davon ausgegangen, daß Bedeutungstheorien, die die Logik für formale Sprachen entwickelt hatte, in angemessener Weise auf natürliche Sprachen übertragen werden können. GAZDAR (1978: 6) hat die Positionen, die von Linguisten wie auch Logikern bezüglich der semantischen Beschreibung natürlicher Sprachen vertreten wurden, treffend charakteririert: (i) (ii) (iii) (iv)
(v)
natürliche und formale Sprachen müssen theoretisch nicht unterschieden» werden die Sätze der natürlichen Sprache lassen sich auf die Sätze einer formalen Sprache abbilden die Bedeutung der Sätze der natürlichen Sprache kann durch ihre Gegenstücke in der logischen Sprache erfaßt werden die Bedeutungen von mutmaßlichen logischen Funktoren in einer natürlichen Sprache entsprechen den Bedeutungen ihrer Gegenstücke in der logischen Sprache die Bedeutungen von Sätzen der logischen Sprache werden durch eine Theorie angegeben, die die Bedingungen festsetzt, unter denen die Sätze wahr sind.
Werden Sätze jedoch nicht unabhängig von den kommunikativen Bedingungen untersucht, dann erweist sich die monolithische, wahrheitsfunktionale semantische Komponente der Grammatik als unzureichend. Wenn ein Sprecher den Satz (1) In Schönefeld ist im Januar häufig Nebel äußert, dann kann er damit zweierlei tun. Erstens kann er damit Feststellungen über metereologische Bedingungen machen, die im Januar häufig im Bereich des Flughafens Schönefelds anzutreffen sind. Er kann durch die Äußerung von (1) dem Adressaten auch vorschlagen bzw. empfehlen, im Januar lieber mit der Bahn zu fahren, da es wegen des Nebels ungewiß ist, ob die Flugzeuge überhaupt starten.
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D. Vieh weger
Ist sich der Sprecher, was den Grad der Gewißheit des Zutreffens des in der Proposition genannten Sachverhalts anbetrifft, nicht sicher, kann er seine Auffassung bzw. Einstellung über den Grad des Zutreffens des Abbildes auf die Wirklichkeit sowie Bewertungen in bezug auf den durch die Proposition genannten Sachverhalt zum Ausdruck bringen. Dies kann der Sprecher tun, indem er seine Einstellung durch „vermutlich", „möglicherweise" usw. dem Adressaten gegenüber kundgibt: (2) In Schönefeld
ist vermutlich/möglicherweise
im Januar häufig
Nebel
Aus der kurzen Illustration ist zu ersehen, daß die Bedeutung sprachlicher Äußerung ein komplexes Phänomen ist, in dem drei semantische Bereiche unterschieden werden können, die in der Äußerung in spezifischer Weise reflektiert werden. In Anlehnung an die in der Literatur übliche Sprechweise wollen wir diese drei Bereiche als propositionalen Gehalt, Einstellungen zum propositionalen Gehalt sowie als illokutive Funktion bezeichnen, wobei wir davon ausgegangen sind, daß der propositionale Gehalt die Abbilder von Sachverhalten charakterisiert und Einstellungen zum propositionalen Gehalt Auffassungen des Sprechers über den Grad des Zutreffens des Abbildes auf die Wirklichkeit bzw. Positionen, d. h. Bewertungen des Sprechers reflektieren. Propositionaler Gehalt und propositionale Einstellungen werden häufig auch als propositionaler Bedeutungsbereich bezeichnet. Unter dem Begriff der illokutiven Funktion hingegen werden alle diejenigen Faktoren zusammengefaßt, die mit der Art der Mitteilung von propositionalen Gestalten und Einstellungen des Sprechers in konkreten sozialen Situationen verbunden sind, in erster Linie jedoch Faktoren, die mit dem Handlungscharakter einer Äußerung und den Resultaten und Wirkungen, die durch eine sprachliche Handlung erzielt werden, verknüpft sind. Die Faktoren, die wir hier unter den Begriff der illokutiven Funktion subsumiert haben, sind in der Literatur vielfach auch als pragmatischer Bedeutungsbereich bezeichnet worden. Das Problem, worum es geht, ist durch die angeführten Fakten bereits hinreichend charakterisiert: wie kann eine Semantiktheorie um diejenigen Aspekte der Bedeutung erweitert werden, die beim Gebrauch der Sprache an den Tag treten und festlegen, was ein Satz ausdrückt, wenn er geäußert wird. Zur Erreichung dieses Ziels sind zahlreiche Forschungsansätze entwickelt worden, die sich bezüglich ihres methodologischen Herangehens in zwei Richtungen einordnen lassen: (a) bei der ersten Richtung geht es primär darum, bestehende Grammatikmodelle zu erweitern und so auszubauen, daß die neu gestellten Fragen, die über den bisherigen Rahmen der Grammatik hinausweisen, erfaßt und mit den bereits bewährten Instrumentarien beschrieben und erklärt werden können. Für den Fall, daß die neuen Phänomene nicht mit den bekannten Instrumentarien beschrieben werden können, sind diese zu verfeinern.
Semantik und Sprechakttheorie
151
(b) beim zweiten Entwicklungsweg, der eingeschlagen wurde, handelt es sich nicht um die Erweiterung existierender Modelle, sondern um die Entwicklung neuer Modellvorschläge, die dem Handlungsaspekt der Sprache gerecht werden und es erlauben, den propositionalen und pragmatischen Bedeutungsbereich in einer integrierten Semantiktheorie zu erfassen. Während es bei der unter (a) genannten Herangehensweise vorrangig um eine Modifikation bzw. Erweiterung existierender Grammatikmodelle, z. B. um die Einbeziehung einer sogenannten kommunikativ-pragmatischen Komponente geht, durch die jene Erkenntnisdimensionen zurückgewonnen werden sollen, die bisher bewußt ausgeschlossen oder vernachlässigt wurden, streben die Vorschläge, die hier unter (b) zusammengefaßt werden, eine Abkehr von den Modellentwürfen der bisherigen Grammatiktheorie an und formulieren als zentrale Aufgabe der Linguistik — die Charakterisierung der Merkmale des Sprechkontextes, die mitbestimmen helfen, welche Proposition durch einen gegebenen Satz ausgedrückt wird; — die Explikation der Bedingungen, unter denen Sprachhandlungen gelingen; — die Typisierung von Sprechhandlungen; — die Ermittlung der Struktur von Sprachhandlungsfolgen. Das hier thesenartig wiedergegebene Programm der Forschungsansätze, die wir unter (b) subsumiert haben, macht deutlich, daß es diesen Modellvorschlägen in erster Linie darum ging, den Handlungsaspekt sprachlicher Äußerungen zu untersuchen und Bedingungen, Inhalte und Ziele sprachlicher Handlungen eingehender zu analysieren. Damit ist nicht nur eine Schwerpunktverlagerung linguistischer Forschungsaufgaben verbunden, mit dem in (b) charakterisierten Herangehen wird zugleich auch der bis dahin dominierenden Ansicht entschieden widersprochen, daß Sprache in erster Linie dazu diene, wahrheitsdefinite Aussagen zu beschreiben und daraufhin ausschließlich als ein System, losgelöst von den sprechenden Menschen und den konkreten Beziehungen zwischen diesen zu erfassen sei. Die von uns getroffene Einteilung der in den letzten Jahren entstandenen Forschungsansätze in die beiden Richtungen (a) und (b) erfolgte zunächst ausschließlich auf der Grundlage der prinzipiell unterschiedlichen methodologischen Herangehensweisen, die die einzelnen Richtungen auszeichnen. Die Einteilung ist jedoch viel zu grob und macht somit nicht die unterschiedlichen theoretischen und methodologischen Positionen deutlich, die den einzelnen Richtungen zugrunde liegen, durch die vor einem Dezennium eine linguistische Entwicklung initiiert wurde, die heute vielfach als .pragmatische Wende' bezeichnet wird. Bevor wir uns eingehender mit dem Rahmen befassen, der von den in (b) charakterisierten Modellvorschlägen für eine linguistische Sprechakttheorie abgesteckt wurde, insbesondere für eine Theorie der Bedeutung, wollen wir zu-
152
D. Vieh weger
nächst einige der Vorschläge kurz vorstellen, die wir oben als Modifikationen bzw. Erweiterungen existierender Grammatikmodelle gekennzeichnet haben. Wir rükken dabei jene Entwürfe in den Mittelpunkt, an denen die Bestrebungen der Grammatiktheorie, insbesondere der Theorie der generativen Grammatik besonders deutlich werden, Handlungsaspekte der Sprache in der Grammatik zu explizieren. 1. Modifikation
existierender
Grammatikmodelle
Die zahlreichen Einwände, die gegen CHOMSKYS Grammatikkonzept sowohl von außerhalb der generativen Grammatik (SEARLE) als auch „aus dem eigenen Lager" (Ross, POSTAL, MCCAWLEY, -FILLMORE, G. LAKOFF, R. LAKOFF U. a.) vorgebracht wurden, führten dazu, daß Ende der 60er Jahre eine Reihe zum Teil grundlegender Modifikationsvorschläge vorgelegt wurde, bei denen es — wenngleich unter Beibehaltung der methodologischen Werte der generativen Grammatik — in erster Linie darum ging, die schwächste Komponente des CHOMSKYschen Modellvorschlags — die semantische Komponente — auszubauen und die scharfe Trennung zwischen Syntax und Semantik aufzuheben sowie das Modell dadurch in seiner Grundkonzeption so zu verändern bzw. zu erweitern, daß es in der Lage ist, diejenigen pragmatischen Sachverhalte einzubeziehen und zu reflektieren, die den Interpretationshintergrund sprachlicher Äußerungen liefern.
1.1. Ross'
Performativhypothese
Die 1970 erschienene Publikation „On declarative sentences" von Ross ist der erste.umfassende Versuch, die Semantiktheorie der generativen Grammatik durch die Einbeziehung des ,illokutiven Aktes' in die tiefenstrukturelle Repräsentation von Sätzen zu bereichern. Ross geht dabei von der Annahme aus, daß jeder Satz in seiner zugrunde liegenden Struktur Konstituenten aufweisen muß, die den propositionalen Gehalt einerseits und die illokutive Rolle bzw. Funktion des Satzes andererseits repräsentieren. Aus dieser Annahme wird die Schlußfolgerung gezogen, daß alle Sätze von Tiefenstrukturen abzuleiten sind, die als obersten Satz einen sogenannten Performativsatz enthalten, der aus einem Subjekt der 1. Person ( = Sprecher), einem performativen Verb und einem indirekten Objekt der 2. Person ( = Adressat) besteht. 3 Dieser übergeordnete performative Satz, 3
Vgl. dazu auch BOEDER (1968: 248), der noch vor Ross versuchte, die Personalpronomina ich und du, die die Identität mit dem Sprecher bzw. Hörer bezeichnen, in das CHOMSKYsche Grammatikmodell einzubeziehen und aus dem Vokativ, der Konstituente ,Sprecher' und dem eingebetteten Satz eine höhere Einheit ,Satz' zu konstruieren.
Semantik und Sprechakttheorie
153
d. h. der explizit performative Teil des Satzes, kann unter bestimmten Bedingungen durch eine Transformationsregel getilgt werden. Am Beispiel der Deklarativsätze des Englischen hat Ross eine eingehende Begründung seiner abstrakten Performativhypothese zu geben versucht und in diesem Zusammenhang für diese Satzart folgende Regel formuliert: Alle Deklarativsätze, die in Kontexten vorkommen, in denen ein Pronomen der 1. Person auftreten kann, werden von Tiefenstrukturen abgeleitet, die als obersten Satz genau einen Performativsatz enthalten, dessen Hauptverb ein verbum dicendi ist. Der Satz (3) Prices slumped würde nach Ross von folgender Tiefenstruktur abgeleitet: (4)
S
• performative • communication + linguistic + declarative "
prices slumped
Derjenige Teil der Tiefenstruktur, der den Performativsatz repräsentiert, kann durch sogenannte Performativtilgungsregeln eliminiert werden, wodurch (4) in (5) umgeformt wird.
prices slumped
Die Frage, wann der abstrakte Performativsatz zu tilgen ist und wann nicht, läßt Ross im wesentlichen unbeantwortet. Er weist lediglich unter Berufung auf MCCAWLEY ( 1 9 6 8 ) daraufhin, daß die Performativtilgungsregel dann ausgeschlos-
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D. Vieh weger
sen ist, wenn im übergeordneten Satz Indikatoren wie ,hereby' usw. vorkommen. Die Hypothese, daß jeder Deklarativsatz von einer Struktur wie (4) abgeleitet werden kann, versucht Ross durch 14 syntaktische Argumente zu rechtfertigen, von denen 7 die Annahme eines übergeordneten Subjekts „ I " und je 3 die Annahme des performativen Verbs sowie des übergeordneten indirekten Objekts stützen. Ein Argument schließlich dient als Rechtfertigung der Gesamtannahme. Es ist hier nicht der Ort, jedes der von Ross vorgeschlagenen Argumente ausführlich darzustellen und auf seine Tragfähigkeit hin zu prüfen. GREWENDORF hat sich eingehend mit der Performativhypothese Ross' auseinandergesetzt und eine Reihe von Überlegungen angestellt, mit denen er nachweisen konnte, daß die von Ross zu einer syntaktischen Rechtfertigung der performativen Hypothese vorgebrachten Argumente das erklärte Argumentationsziel nicht erreichen, da „vorschnelle Generalisierungen, zweifelhafte und zum Teil verkehrte Feststellungen über die Sprache einen Großteil der Argumente hinfallig machen" (GREWEN4 DORF 1972: 163). Konkret heißt dies: (a) Die Frage, welcher illokutive Akt mit einer Äußerung vollzogen wird, ist von der syntaktischen Form dieser Äußerung weitgehend unabhängig, demzufolge kann auch aus rein syntaktischen Gründen nicht entschieden werden, ob durch das Äußern eines Deklarativsatzes eine Behauptung aufgestellt oder eine Beschuldigung, eine Gratulation oder Rechtfertigung ausgedrückt wird. (b) Die bereits in (a) ausgedrückte Tatsache, daß eine Äußerung in Abhängigkeit von den Umständen mehrere illokutive Funktionen haben kann, daß eine Äußerung somit — wie es ALSTON (1963) und FRÄSER (1971) genannt haben — ein ,illokutives Aktpotential' bzw. ,force multiplicity' besitzen kann, d. h. daß ein Sprecher in Abhängigkeit von dem konkreten Kontext, in dem die Äußerung gebraucht wird, eine Behauptung aufstellen, eine Beleidigung oder einen Glückwunsch aussprechen oder eine Aufforderung formulieren kann, steht im Widerspruch zu der Annahme, ein einziger übergeordneter Satz reiche in der Tiefenstruktur aus, um die illokutiven Sachverhalte zu repräsentieren. In der Tiefenstruktur müßte explizit angegeben sein, welcher illokutive Akt in einer konkreten Situation mit der Äußerung vollzogen wird. Da Ross aber auf die kommunikativen Bedingungen in seiner Hypothese nicht zurückgreift, kann darüber folglich keine Entscheidung getroffen werden. (c) Es gibt eine Vielzahl von Äußerungen, in denen Verben in explizit performativer Form verwendet werden, mit denen jedoch nicht der illokutive Akt vollzogen wird, den das explizit performative Verb bezeichnet. So drücken die 4
Siehe dazu auch die Kritik, die in FRÄSER (1971) geäußert wird.
155
Semantik und Sprechakttheorie
Sätze (6) und (7) keineswegs ein Versprechen bzw. einen Rat aus, sondern vielmehr Drohungen, vgl.. (6) Ich verspreche dir, daß du noch dein blaues Wunder erleben wirst (7) Ich rate dir, mich nicht noch einmal Dicker zu nennen (d) Eine Reihe lllokutiver Akte ist nach G R E W E N D O R F überhaupt nicht explizit vollziehbar, d. h., für die performative Repräsentation in der Tiefenstruktur steht kein geeignetes Verb zur Verfügung. So existiert beispielsweise kein Verb, mit dem eine Beleidigung oder ein Verblüffen expliziert werden könnte. (8) *Ich beleidige dich hiermit, indem ich dir etwas vorwerfe (9) *Ich verblüffe dich hiermit, indem ich meinen neuen Anzug anziehe Ross' Versuch einer syntaktischen Rechtfertigung semantischer und pragmatischer Faktoren mußte schließlich auch deshalb erfolglos bleiben, weil die abstrakte Performativhypothese von den Handlungsbedingungen, die für Deklarativsätze einschlägig sind, vollständig abstrahierte.
1.2. Evidenzen für die
Performativhypothese
Ausgehend von der Hypothese Ross', daß jeder geäußerte Satz in seiner zugrunde liegenden Form Konstituenten aufweisen muß, die die illokutive Rolle und den propositionalen Gehalt des Satzes repräsentieren, haben sich zahlreiche amerikanische Linguisten Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre intensiv darum bemüht, die Hypothese von den höheren abstrakten Performativsätzen durch weitere Argumente zu stützen (vgl. H A R A D A 1970, H E R I N G E R 1971, G. L A K O F F 1974, R.
LAKOFF 1 9 6 8 , LEE u n d
1 9 7 0 , SADOCK 1 9 7 0 ,
MAXWELL
1971, 1972 u n d
1 9 7 0 , PETERSON
1 9 7 4 , SCHREIBER 1 9 7 2 u .
1969,
RUTHERFORD
a.).
Im Gegensatz zu Ross, der seinen Modellvorschlag ausschließlich durch syntaktische Gegebenheiten zu rechtfertigen versuchte, werden mit der Erweiterung der Ross'schen Analyse auf andere Satztypen als Evidenzen für die Performativhypothese in zunehmendem Maße auch semantische Argumente herangezogen, die durch eingehende Untersuchungen der Pronominalisierung, der Adverbialausdrücke sowie anderer sprachlicher Erscheinungen gewonnen wurden. Drei jener Modellvorschläge, deren Ziel es ist, Ross' Performativhypothese im allgemeinen sowie die Annahme einer impliziten Sprecher- und einer impliziten Hörerkonstituente und eines performativen Verbs in der Tiefenstruktur von Deklarativsätzen im besonderen durch einige wesentliche Modifikationen zu präzisieren
156
D. Viehweger
bzw. in einer linguistischen Theorie der Sprechakte aufzuheben, sollen in 1.2.1. bis 1.2.3. eingehender betrachtet werden. Zuvor scheint es notwendig, die Motivationen deutlich zu machen, die diesen Modifikationsvorschlägen zugrunde liegen. Für die zahlreichen Modifikationsvorschläge zur Performativhypothese sind im wesentlichen zwei Gründe zu nennen: (1) In einer Vielzahl linguistischer Untersuchungen war man auf zahlreiche syntaktische Phänomene gestoßen, deren Auftreten im Satz ohne Rückgriff auf pragmatische Elemente nicht erklärbar war. Es wurde daher von mehreren Linguisten der Vorschlag unterbreitet, diese Phänomene als semantische und/oder syntaktische Kategorien in der Grammatik zu erfassen. R. LAKOFF (1972: 907 ff.) soll stellvertretend für die große Zahl von Linguisten zu Wort kommen, die Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre bemüht waren, Elemente der Sprechsituation als grammatische Kategorien zu fassen und in der Tiefenstruktur von Sätzen abzubilden. Sie führt folgende Argumente an: (a) die bisherige Transformationsgrammatik versuchte die Bedingungen für die Anwendbarkeit grammatischer Regeln allein auf der Grundlage oberflächensyntaktischer Phänomene zu definieren. Dieser Standpunkt kann nach R. LAKOFF nicht länger aufrecht erhalten werden, da zahlreiche empirische Befunde, die an Partikeln, am Honorativ sowie an speziellen Verbformen, die anzeigen, daß ein Sprecher nicht selbst die Verantwortung für eine übermittelte Aufforderung trägt, festgestellt wurden, dieser Annahme grundsätzlich widersprechen; (b) um die Anwendbarkeit vieler Regeln korrekt vorhersagen zu können, ist es notwendig, Grundvorstellungen über den sozialen Kontext einer Äußerung zu entwickeln, auf die ebenso systematisch Bezug zu nehmen ist wie auf die Vielzahl impliziter Annahmen, die die Kommunikationspartner machen, bevor das relevante sprachliche Handeln abläuft. (2) Die Erkenntnisse der sprachphilosophischen Forschung sind bereits in den 60er Jahren von mehreren Linguisten aufgegriffen und für die linguistische Analyse von Sätzen nutzbar gemacht worden. Die Entwicklungsanstöße, die die Grammatiktheorie durch die Übernahme von Erkenntnissen der Sprechakttheorie erhielt, waren in zweifacher Hinsicht von Bedeutung. Zum einen waren die Erkenntnisse von AUSTIN, SEARLE U. a. deshalb für die Grammatiktheorie wichtig, weil sie gezeigt haben, daß nicht nur Sätze, sondern auch Äußerungen Gegenstand der Grammatikbeschreibung sein konnten, wodurch automatisch der Kontext und die sozialen Bedingungen ins Spiel kommen, in dem ein Satz geäußert wird. Zum anderen führte die von der Sprechakttheorie entwickelte Auffassung von der Sprache als einer spezifischen Form menschlichen Handelns dazu, die für die frühen Modelle der generativen Grammatik typische strikte Trennung zwischen
157
Semantik und Sprechakttheorie
der Struktur eines Satzes und seiner Funktion aufzugeben und die konkreten Situationen, an die sprachliches Handeln gebunden ist und in denen jeder Satz zweckhaft geäußert wird, als unentbehrlichen Erklärungshintergrund in die Grammatik einzubeziehen.5
1.2.1. RUTHERFORDS Argumente für die
Performativhypothese
RUTHERFORD (1970) will mit seinen Untersuchungen den Nachweis erbringen, daß das von Ross vorgeschlagene Schema nicht nur für Deklarativsätze, sondern auch für die Beschreibung restriktiver und nicht restriktiver Nebensätze geeignet ist. Er führt dafür eine Reihe sprachlicher Befunde an, die als Spuren eines getilgten übergeordneten Performativsatzes zu interpretieren und daher unter Bezugnahme auf diesen zu erklären sind. Das Kernstück der RuTHERFORDSchen Argumentation basiert auf Beobachtungen an nicht restriktiven Nebensätzen wie
(10) He beats his wife, because I talked to her, wo der Sprecher mit der Tatsache, daß er mit der Frau gesprochen hat, (daß die Frau ihm erzählt hat) seine Behauptung rechtfertigt, daß die Frau geschlagen wird (vgl. RUTHERFORD 1970: 100). Trotz der grundsätzlichen Übereinstimmung mit Ross hat RUTHERFORD zwei prinzipielle Einwände gegen die Performativtilgungsregel formuliert: (a) Die Performativtilgungsregel ist selbst dann anwendbar, wenn der übergeordnete performative Satz zusätzlich Partikeln enthält. Nach Ross, darauf sei hier nochmals hingewiesen, ist die Performativtilgungsregel nicht anwendbar, wenn der Performativsatz Partikeln wie „hereby" u. a. enthält. (b) Gegen die Performativtilgungsregel spricht ferner die Tatsache, daß selbst eingebettete Performativsätze performativ verwendet werden können, vgl.: (11)/ declare that I (hereby) promise to stop smoking und (12) I (hereby) declare that I promise to stop smoking die beide dem Satz (13) / (hereby) promise to stop smoking 5
Zu den Versuchen, pragmatische Erscheinungen als semantisch-syntaktische Kategorien zu fassen, gehört auch der Vorschlag von BOYD/THORNE (1969), die AUSTINS Kategorien „Sprechakt", „illokutive Kraft" und „performatives Verb" für die Analyse von Imperativsätzen sowie für die Rückführung von Fragesätzen auf Imperative verwenden.
D. Vieh weger
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semantisch äquivalent sind, der deutlich macht, daß der höchste Deklarativsatz neutral und transparent ist.6 1.2.2. SADOCKS linguistische
Sprechakttheorie
Den Inadäquatheiten, die sich für die Ross'sche Performativhypothese aus der angestrebten ,Syntaktifizierung' pragmatischer Phänomene einerseits sowie der strikten Forderung, „every deep structure contains one and only one performative sentence as its highest clause" (Ross 1970: 261) andererseits ergeben, versucht SADOCK in seinem Ansatz zu einer linguistischen Sprechakttheorie dadurch zu entgehen, indem die illokutive Kraft eines Satzes als Teil der Bedeutung eines Satzes (Hervorhebung von uns — D. V.) aufgefaßt wird, die dem höchsten Satz in dessen semantischer Repräsentation entspricht. Der empirischen Tatsache, daß eine Vielzahl geäußerter Sätze ,indirekte Illokutionen' sein können, daß sie somit eine „discrepancy between surface form and use" (SADOCK 1974: 73) aufweisen, will SADOCK dadurch gerecht werden, daß die Hypersätze, d. h. die tiefenstrukturellen Gebilde von Sätzen nicht mehr nur eine, sondern mehrere illokutive Funktionen angeben. Bei den Hypersätzen handelt es sich um Tiefenstrukturrepräsentationen von Sätzen, die den ,performativen Sätzen' bei Ross im wesentlichen gleich sind, ein signifikanter Unterschied ist aber darin zu sehen, daß Hypersätze keine lexikalischen Einheiten enthalten, sondern lediglich abstrakte (hypothetische) Kategorien, durch die Sprecher, Sprechakttyp sowie Adressat als die wesentlichsten pragmatischen Faktoren in den Tiefenstrukturen repräsentiert werden. SADOCK untersucht die hier kurz angedeuteten Probleme an imperativisch verwendeten Sätzen, die die Oberflächenform von Fragen haben, den sogenannten ,Whimperativesi (vgl. SADOCK 1970) sowie an Sätzen mit der gleichen Oberflächenform, die jedoch auf Grund ihres semantischen Wertes sowie der syntaktischen Eigenschaften als Deklarativsätze zu erklären sind. Letztere nennt SADOCK ,Queclaratives' (vgl. SADOCK 1971). Mit einer Reihe syntaktischer Tests versucht SADOCK dafür Evidenzen anzugeben, daß eine adäquate Beschreibung der sogenannten , Whimperative' für deren Tiefenstrukturen sowohl imperativisch als auch interrogative Hypersätze annehmen muß. Ein , Whimperative' von der Form (14) Will you give me a drink ? würde daraufhin in seiner Tiefenstruktur einen imperativischen und einen interrogativen Hypersatz verbinden müssen : 6
Im Gegensatz zu RUTHERFORD (1970), der für die Annahme eines obersten abstrakten performativen Satzes plädiert und dafür ein obligatorisches Verb ,declare' vorsieht, arbeitet R. LAKOFF (1969: 611 ff. und 1971: 145ff.) mit sogenannten abstrakten Verben.
159
Semantik und Sprechakttheorie S
(15)
Größere Schwierigkeiten bereitet SADOCK die Analyse der sogenannten Queclarative, die in Abhängigkeit von den Umständen, in denen sie geäußert werden, eine Behauptung oder eine Frage ausdrücken können. Auf Grund einer gewissen semantischen, d. h. illokutiven Verwandtschaft der Queclarative mit bestimmten ,tag questions', deren Oberflächenstruktur eine Kombination aus tiefenstrukturellem Deklarativsatz und tiefenstrukturellem Interrogativsatz reflektiert, hält SADOCK eine Analyse der Queclarative in Analogie zu den .,tag questions' für gerechtfertigt. Sätze wie (16) Isrft Danish
beautiful?
und (17) Danish
is beautiful,
isn't
it?
wären nach diesem Analysevorschlag auf folgende Struktur zurückzuführen: (18)
S,
Danish
(is)
beautiful
Die Frage, wann nun Interrogativität und wann Deklarativität vorliegt, versucht SADOCK mit Hilfe syntaktischer Tests zu entscheiden. So ist beispielsweise ein Unterscheidungskriterium einleitendes ,after all', das nur in Deklarativsätzen, jedoch nicht in Fragen vorkommt. Ferner können mit ,yet' eingeleitete Behauptungen Deklarativsätzen folgen, nicht aber Fragen.
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Strukturen wie (15) und (18) benutzt SADOCK, um relevante Aspekte der Sprachverwendung mit Hilfe tiefenstruktureller Hypersätze zu beschreiben. Aus SADOCKS Argumentation ist zu entnehmen, daß es sich bei den sogenannten „Whimperatives" und „Queclaratives" um pragmatische Kategorien handelt, die als pragmatische Bedeutung in den Hypersätzen repräsentiert werden. Nach SADOCK unterscheidet sich die pragmatische Bedeutung, d. h. die illokutive Kraft nicht von dem propositionalen Akt im Sinne SEARLES bzw. einer bestimmten Art des lokutiven Aktes im Sinne AUSTINS. In jedem Falle hat die illokutive Kraft eines Satzes — wenngleich auch nur sehr subtile und vielfach mehrdeutige — Reflexe in der Oberflächenstruktur. In der semantischen Repräsentation ist das Prädikat, das die illokutive Kraft ausdrückt, das höchste agentivische Prädikat, das in einem Satz vorkommt, der das Objekt eines abstrakten DO ist, der aber selbst nicht durch einen anderen Satz dominiert wird, der ein abstraktes DO enthält. Damit versucht SADOCK die Frage nach der Repräsentation der pragmatischen Bedeutung als Bestandteil der „most remote syntactic structure" (SADOCK 1 9 7 4 : 1 4 7 ) zu beantworten, eine Erklärung der jeweils vorliegenden illokutiven Funktion des geäußerten Satzes wird damit jedoch nicht gegeben. Diese Entscheidung bedarf einer Spezifikation des Kontextes. Dieser stellt aber offenbar für SADOCK keine Entscheidungsinstanz dar, durch die festgelegt wird, wann Queclarative eine Behauptung und wann sie eine Frage ausdrücken. SADOCK verläßt sich vielmehr wie schon seine Vorgänger weitgehend auf syntaktische Eigenschaften der Sätze und suggeriert mit seiner Analyse, daß Sätze wie ( 1 4 ) mehrdeutig sind. Nun hat SADOCK mit seiner Behauptung zwar recht, daß die von ihm zur Rechtfertigung seiner Annahmen herangezogenen Partikeln wie ,please', einleitendes ,after all' u. a. Indikatoren dafür sein können, wie eine Äußerung vom Sprecher intendiert wurde und somit vom Hörer zu verstehen ist. Die Partikeln fungieren dabei jedoch keineswegs — wie SADOCK behauptet — als Indikatoren der syntaktischen Eigenschaften von Sätzen, sie sind vielmehr Mittel zur Differenzierung der illokutiven Rolle, d. h. der kommunikativen Funktion von Äußerungen. Mit anderen Worten, durch die Einbeziehung dieser Indikatoren in die sprachliche Äußerung verdeutlicht der Sprecher seine kommunikative Intention, so daß der Hörer ohne Rückgriff auf Kontextinformationen diese Äußerungen relativ eindeutig interpretieren kann. SADOCK hypostasiert jedoch die Rolle der Partikeln für die Differenzierung der illokutiven Funktion sprachlicher Äußerungen und übersieht dabei, daß die Verwendung der Partikeln — wie auch die Verwendung der performativen Verben — noch keinen vollständigen Aufschluß über die tatsächliche Funktion, d. h. über die illokutive Rolle des aktualisierten Satzes geben kann. SADOCKS Forschungsansatz, mit dem nicht nur eine syntaktische Motivation der Performativhypothese, sondern zugleich auch eine Modifikation des Modells der generativen Grammatik angestrebt wurde, muß aus mehreren Gründen als ein nicht adäquater Versuch angesehen werden, relevante Aspekte der Sprech-
Semantik und Sprechakttheorie
161
situation mit Hilfe tiefenstruktureller Hypersätze zu beschreiben. Die wesentlichen Ursachen für diese Inadäquatheiten sind bereits bei der Einschätzung der Ross'schen Performativhypothese genannt worden, so daß hier darauf verwiesen werden kann. Wie schon Ross gelingt es auch SADOCK nicht, seinen Versuch zur Rechtfertigung der abstrakten Performativhypothese von einer einheitlichen Erklärungsgrundlage aus vorzunehmen. SADOCK betont zwar mit Recht, daß Sprachverwendung weitaus mehr ist als ein einfaches „stringing out and stacking up propositions. For communication take place, we must also indicate what it is we are doing with these propositions, and we must also be able to apprehend the pragmatic significance of the utterances of others" (SADOCK 1974: 12). Für die Entwicklung einer linguistischen Sprechakttheorie, um die es SADOCK primär geht, werden daraus jedoch nicht die notwendigen Konsequenzen gezogen, denn die konkreten Analysen, die mit den ,Whimperatives' und ,Queclaratives' durchgeführt werden, lassen den Kontext sowie Faktoren der Sprachverwendung nahezu in toto unberücksichtigt bzw. reduzieren die Probleme der ,illokutiven Rolle' sprachlicher Äußerungen weitgehend auf ein Repräsentationsproblem dieses Phänomens in den tiefenstrukturellen Gebilden der Hypersätze. Aus der Definition der illokutiven Kraft als „that part of the meaning of a sentence which corresponds to the highest clause in its semantic representation" (SADOCK 1974: 19) kann geschlossen werden, daß den Repräsentationsproblemen in der Tiefenstruktur ein wesentlich größerer Stellenwert zukommt als den eigentlichen Handlungsfaktoren, die sich unter den Begriff der illokutiven Rolle subsumieren lassen.
1.3.
LAKOFFS
Performativhypothese
Ross, SADOCK, RUTHERFORD U. a. sind — wie wir mit unseren Ausführungen zu zeigen versucht haben — in ihren Performativhypothesen davon ausgegangen, daß die logische Struktur eines Satzes ein performatives Prädikat enthält, das die ,illokutive Kraft' eines Satzes repräsentiert, der in einer bestimmten Situation geäußert wird. Die Rechtfertigung dieser Annahme erfolgte bei Ross ausschließlich durch syntaktische Kriterien, SADOCK, R. LAKOFF (1968, 1969a und 1969b) u. a. ziehen darüber hinaus auch semantische Kriterien heran. Weitaus schwächere Annahmen liegen der Performativhypothese zugrunde, die G . LAKOFF mit seinem Modell der generativen Semantik entwickelte (vgl. G . LAKOFF 1971a, 1971b und 1974). G . LAKOFF geht davon aus, daß (a) mit jedem Satz, der in einer bestimmten Situation zum Vollzug eines Sprechaktes geäußert wird, sich in dieser Situation eine logische Struktur verbindet, die ein performatives Prädikat enthält, das die wörtliche Bedeutung (literal meaning) des Sprechaktes ausdrückt; 11
Viehweger, Semantikforschung
162
D. Vieh weger
(b) jeder Satz, der in seiner Oberflächenstruktur ein deiktisches (oder indexikalisches Element) enthält, d. h. ein Element, das nur durch die Referenz auf einen Sprechakt etwas bedeutet, in seiner logischen Struktur ein performatives Prädikat hat, das die wörtliche Bedeutung des Sprechaktes ausdrückt. Mit diesen beiden Annahmen wird die Möglichkeit offen gelassen, daß es Sätze in natürlichen Sprachen gibt, die keine deiktischen Elemente enthalten und die in abstracto unabhängig von irgendeinem expliziten und impliziten Sprechakt betrachtet werden können. G. LAKOFFS Perfórmativanalyse stimmt trotz der schwächeren Annahmen in zahlreichen Grundpositionen mit den Modell Vorschlägen von Ross, SADOCK, R. LAKOFF U. a. überein. Auf die grundsätzliche Übereinstimmung bezüglich der Analyse der Imperativsätze, für die in allen Performativhypothesen eine logische Struktur angenommen wird, die ein performatives Imperativprädikat enthält, dessen Argumente auf den Sprecher und den Hörer referieren, weist G. LAKOFTF ausdrücklich hin. Er macht in diesem Zusammenhang deutlich, daß die syntaktischen Evidenzen den Vorschlag eines abstrakten Performativsatzes — zumindest für Imperativsätze — voll rechtfertigen. Generell ist G. LAKOFF jedoch der Ansicht, daß die syntaktischen Argumente nicht ausreichen und nicht nur wie bei SADOCK durch semantische, sondern durch semantische und pragmatische ergänzt werden müssen. Für Imperative, Fragen und Behauptungen wird von G. LAKOFF eine logische Struktur angenommen, die folgende Repräsentation hat: (19) PRED
ARG
ARG
Order
X
y
Ask state or
II
1
say
*
1 I
ARG
Jl
you
In dieser logischen Struktur wird mit Si der propositionale Gehalt einer Aufforderung, Frage oder Behauptung ausgedrückt. Subjekt und indirektes Objekt des performativen Verbs werden in einer logischen Form durch die indexikalischen Ausdrücke x und y repräsentiert. Regeln der Grammatik kennzeichnen das Subjekt des performativen Verbs als Subjekt der 1. Person und das indirekte Objekt als 2. Person, so daß in der logischen Form kein Hinweis auf die 1. und 2. Person enthalten sein muß. Gibt es in d. h. im propositionalen Gehalt einer Frage, Aufforderung oder Behauptung weitere Instanzen für die indexikalischen Aus-
Semantik und Sprechakttheorie
163
drücke x und y, dann werden sie als 1. und 2. Person entsprechend der ,grammatical rule of person-agreement' spezifiziert, die die Person einer NP mit deren Antezedenten in Übereinstimmung bringt. Alle Vorkommen von Pronomen der 1. und 2. Person sind demzufolge entweder das Subjekt oder indirekte Objekt eines performativen Verbs oder werden dies durch die erwähnte ,rule of personagreement'. Die oben angegebene logische Struktur liegt nicht nur Behauptungen, Fragen und Aufforderungen mit explizitem performativem Verb zugrunde, sondern auch Äußerungen mit der illokutiven Funktion von Behauptungen, Fragen und Aufforderungen, in deren Oberflächenform kein performatives Verb vorkommt, d. h. Äußerungen, die keine explizite performative Formel enthalten und demzufolge als indirekter Sprechakt zu interpretieren sind (vgl. 2.7.). Um diese Annahme in ihrer Konsequenz richtig beurteilen zu können, macht es sich erforderlich, die Grundvorstellung des LAKOFFSchen Grammatikmodells hier kurz zu charakterisieren. Eine Grammatik erzeugt nach G. LAKOFF ( 1 9 7 4 ) Quadrupel der Form (S, L, C, CM), wobei 5 L
für Satz bzw. dessen phonetischer Repräsentation steht; eine modelltheoretisch interpretierte logische Struktur ist, die die wörtliche Bedeutung (literal content) eines Satzes repräsentiert; C eine konsistente Menge logischer Strukturen und CM eine Sequenz logischer Strukturen ist, die die übertragenen Bedeutungen (conveyed meanings) eines Satzes relativ zum Kontext C repräsentiert. Der Grund für die Repräsentation der übertragenen Bedeutungen als Sequenz ist darin zu sehen, daß Sätze in der Regel eine wörtliche Bedeutung plus eine oder mehrere übertragene Bedeutungen haben können.
Paare der Form (S, L) werden durch Derivationen charakterisiert, d. h. durch Sequenzen von Bäumen, die S und L verbinden. Jede Derivation D charakterisiert dabei eindeutig ein Paar (S, L). Daraufhin könnte man auch sagen, daß efne Grammatik Tripel der Form (D, C, CM) erzeugt, wobei D ein Paar (S, L) determiniert. Die Derivationen sind nicht schlechthin wohlgeformt oder nicht wohlgeformt, sie sind es nur in bezug auf den Kontext C und in bezug auf die übertragenen Bedeutungen CM. Derivationen werden durch lokale und globale Korrespondenzregeln charakterisiert. Transderivationelle Regeln sind Beschränkungen, die spezifizieren, welche Derivationen in bezug auf Kontext und übertragene Bedeutungen wohlgeformt sind. Mit der prinzipiellen Unterscheidung von wörtlicher und übertragener Bedeutung will G. LAKOFF in seinem Modellvorschlag der empirischen Tatsache Rechnung tragen, daß Äußerungen in Abhängigkeit vom Kontext ganz unterschiedliche illokutive Funktionen haben können. Ein Satz wie n*
164
D . Viehweger
(20) Would you pass me the salt ? ist in seiner wörtlichen Bedeutung eine Frage, häufiger wird dieser Satz jedoch in übertragener Bedeutung, d. h. nicht wörtlicher Bedeutung als Bitte bzw. Aufforderung verwendet. In allen Fällen, in denen wie in (20) ein geäußerter Satz mehrere kommunikativen Funktionen haben kann, werden nach G. LAKOFF beim Äußern dieses Satzes die wörtlichen Bedeutungen ebenfalls übermittelt, und die übertragenen, d. h. die nicht wörtlichen Bedeutungen entstehen nur auf Grund der übermittelten wörtlichen Bedeutungen. Ein angemessenes Verfahren, das die Relation zwischen der wörtlichen und übertragenen Bedeutung erklärt, sieht G. LAKOFF in der Anwendung des sogenannten ,context dependent entailment' in Verbindung mit der Performativanalyse. In Anlehnung an GRICE (1968) wird die Annahme formuliert, daß bestimmte Konversationspostulate existieren, auf denen diese Relationen basieren. Es wird ferner angenommen, daß die wörtlichen Bedeutungen zusammen mit den Postulaten die konversationeil implizierten übertragenen, d. h. die nicht wörtlichen Bedeutungen, enthalten. Da die Anwendung der Konversationspostulate von den Kontexten abhängt, postuliert G. LAKOFF Kontextklassen als endliche konsistente Mengen logischer Strukturen, von denen jede diejenigen Kontexte charakterisiert, in denen jede logische Struktur der Kontextklasse wahr ist. Als Beispiel für ein von G. LAKOFF vorgeschlagenes Konversationspostulat kann (21) dienen: (21) ASSUME (x, NOT RELEVANT (WANT (x, O))) & SAY (x, y W A N T (x, ß)) REQUEST (x, y, Q) „Wenn x annimmt, daß es nicht relevant ist, daß er Q wünscht und zu y sagt, er wünscht ß , dann ersucht er y ß zu tun". In der ursprünglichen Konzeption der Konversationspostulate (GORDON und G . LAKOFF 1971) wurde von der Annahme ausgegangen, bei den Postulaten handle es sich um „culture-specific principies of social interaction". In G. LAKOFF (1974) wird der damit angedeutete generelle Bezug auf sprachliche Handlungszusammenhänge in gesellschaftlichen Situationen wieder zurückgenommen. G. LAKOFF weist ohne Angabe von Gründen darauf hin, daß ihm Zweifel an dieser Interpretation gekommen seien und schlägt vor, die Konversationspostulate lediglich als „meaning postulates or theoremes of natural logic that happen to contain performative predicates" (G. LAKOFF 1974: X-28) aufzufassen. Was sind die grundsätzlichen Innovationen, die die Performativhypothese G . LAKOFFS gegenüber den vorherigen Modellvorschlägen auszeichnen? G . LAKOFFS Performativhypothese geht zunächst von der Annahme aus, daß die Theorie der generativen Semantik erweitert werden muß, wenn sie der Tatsache gerecht werden will, die Bedeutung von Sätzen im Zusammenhang mit den Kontextbedingungen zu beschreiben und zu erklären. Für diese Erweiterung sind
Semantik und Sprechakttheorie
165
nach G. LAKOFF eine natürliche Logik sowie transderivationelle Regeln erforderlich, wobei die natürliche Logik den Begriff des ,Entailment' charakterisiert, insbesondere das Enthaltensein eines Satzes in einer Kontextklasse als einer endlichen konsistenten Menge logischer Strukturen. Zur Explikation der konversationell implizierten, d. h. nicht wörtlichen Bedeutungen werden bestimmte Konversationspostulate eingeführt, die von bestimmten Regeln der Grammatik abhängen. Aus der ,Semantisierung' aller pragmatischen Phänomene werden nicht nur die Rechtfertigung für eine einheitliche Performativhypothese abgeleitet, sondern Zugleich auch die Schlußfolgerung gezogen, daß „no additional pragmatic theory is necessary for an account of speech acts and conversational implicatures, provided that one accepts the goals of natural logic and the need for global transderivational grammars" (G. LAKOFF 1974: X-28). Der Erklärungsrahmen der LAKOFFschen Performativhypothese ist zweifelsohne weiter als der, der in den vorangegangenen Modellvorschlägen abgesteckt wurde. Das wird vor allem darin sichtbar, daß G. LAKOFF im Gegensatz zu SADOCK das illokutive Aktpotential weitaus stärker ausschöpft und in systematischerer Weise auf Bedingungen für sprachliches Handeln zurückgreift, als dies beispielsweise bei Ross, RUTHERFORD, HERINGER U. a. überhaupt der Fall war. Trotz der Verbesserungen, die dadurch für das Modell der generativen Semantik erreicht werden, gelingt es G. LAKOFF nur zum Teil, den funktionalen Handlungszusammenhang, in dem Sätze geäußert werden, in seiner semantisch-pragmatisch motivierten Performativhypothese zu rekonstruieren. Dafür sind u. E. folgende Gründe anzuführen. Nach G. LAKOFF sind alle pragmatischen Faktoren, die für die Explikation der konversationell implizierten Bedeutungen relevant sind, als semantische Eigenschaften der Sätze zu betrachten und somit auch der Semantiktheorie einzuverleiben. Eine Theorie der Pragmatik, die sprachliche Handlungen sowie die jeweiligen Kontexte beschreibt, in denen sie vollzogen werden, wird daraufhin als überflüssig angesehen. Wenngleich bisher nur das Gerüst dieser erweiterten Semantiktheorie durch G. LAKOFF entwickelt wurde und somit ein umfassenderer Theoriekontext noch fehlt, so wird doch daraus bereits ersichtlich, daß mit der Anreicherung der Semantik durch pragmatische Faktoren nur ein relativ begrenzter Ausschnitt des komplizierten Gefüges kommunikativer Bedingungen erfaßt wird, unter denen Sätze geäußert werden. So abstrahiert G. LAKOFFS Performativhypothese nicht nur weitgehend von den konkreten gesellschaftlich-geschichtlichen Kontexten, in denen Menschen kommunizieren, sie abstrahiert damit gleichzeitig auch von den Zielen der gesellschaftlichen Kommunikation und läßt den Kontext, in dem die grundlegenden Kategorien von Sprechakten zu bestimmen sind, weitgehend unberücksichtigt.
166
D Viehweger
2. Sprechen als Handeln. Ansätze zu einer Theorie sprachlichen Handelns Mit den bisherigen Ausführungen wurden Forschungsansätze charakterisiert, deren Ziel es ist, bisher als irrelevant ausgeschlossene Faktoren der Kommunikationssituation als grammatische Kategorien zu fassen und in existierende Grammatikmodelle zu integrieren. Grammatiktheorien, die wie die generative Grammatik abstrakte, isolierte Sätze als Untersuchungsgegenstand haben und eine strikte Trennung zwischen abstrakten sprachlichen Strukturen und ihrer Aktualisierung vornehmen, stellten — wie aus den in 1. behandelten Modellvorschlägen deutlich wurde — keine adäquate Grundlage für die Beschreibung der Vielzahl neuer Faktenbereiche dar, die in die Grammatikbeschreibung einbezogen wurden. Dies trifft vor allem auf Modelle wie das von CHOMSKY (1965) entwickelte zu, das von den Bedingungen der Kommunikation und all ihren sozialen Implikationen abstrahiert. Wir haben in der gedrängten Problemübersicht deutlich zu machen versucht, daß es sich bei den in 1.1. — 1.3. behandelten Modellvorschlägen im wesentlichen um bestimmte Verbesserungen' der generativen Grammatik handelt, nicht aber um grundsätzliche Revisionen ihrer zentralen theoretischen und methodologischen Positionen. Der von Ross, SADOCK, LAKOFF U. a. eingeschlagene Weg, Handlungsaspekte der Sprache mit dem von CHOMSKY entworfenen und in der Folgezeit mehrfach erweiterten Modell der generativen Grammatik zu erfassen, zielt auf eine Ausweitung des Gegenstandsbereichs der Grammatik ab. In den methodologischen Konsequenzen weist dieser Weg zahlreiche Gemeinsamkeiten mit dem auf, der in der Grammatiktheorie mit dem Übergang von rein syntaktischen Theorien zu solchen vollzogen wurde, die die Semantik einbeziehen. Trotz des umfassenderen Orientierungsrahmens, der mit der in Abschnitt 1. beschriebenen Ausweitung des Gegenstandsbereichs der Grammatik abgesteckt wurde, bleibt dies letztlich ein isolationistisches Herangehen an die Bestimmung des Begriffs des Sprachsystems, denn die für die Mehrzahl strukturalistischer Schulen und Richtungen charakteristische absolute Trennung zwischen Grammatiktheorie und Theorie der Kommunikation wird auch mit den Forschungsansätzen beibehalten, die wir unter den Begriff der Performativhypothese eingehender charakterisiert haben. Zwar reichen die Erkenntnisse, die von SADOCK, LAKOFF U. a. gewonnen wurden, vielfach über den kategorialen Rahmen hinaus, der mit den Grammatikmodellen abgesteckt wurde. Zu einem Theorieverständnis von Grammatiktheorie, nach dem die Grammatiktheorie als Teiltheorie in einem Gefüge linguistischer Theorien konzipiert wird, die unterschiedliche Seiten natürlicher Sprachen abbilden und in einem sachlichen und logischen Zusammenhang stehen, hat dieser Weg nicht geführt. Die entscheidende Rolle, die dem Sprachsystem — was immer darunter im einzelnen verstanden wird — für das sprachliche Handeln zukommt, ist von den in
167
Semantik und Sprechakttheorie
Abschnitt 1. charakterisierten Forschungsansätzen mehrfach hervorgehoben worden. Als problematisch erwies sich dabei aber die Begründung des konkreten Gegenstandsbereichs einer Theorie des Sprachsystems und speziell die Frage, mit welcher Begründung eine Theorie des Sprachsystems von Tatsachen des sprachlichen Handelns absehen kann bzw. wie die von einer Theorie des Sprachsystems erfaßte Seite der Sprache mit jenen Seiten der Sprache zusammenhängt, die durch andere Theorien darzustellen sind. Von besonderer Bedeutung für die Weiterentwicklung der Grammatiktheorie, insbesondere aber für die Theorie der Semantik, waren zahlreiche Anregungen, die von der Logik und analytischen Sprachphilosophie einerseits und der kulturhistorischen Schule der Psychologie andererseits ausgegangen sind und in der Folgezeit zur Entwicklung zahlreicher linguistischer Forschungsrichtungen geführt haben, die sich als linguistische Sprechakttheorie und Theorie der sprachlich-kommunikativen Tätigkeit etabliert haben. Beide Theorien gehen von der Überlegung aus, daß sprachliche Phänomene im Kontext umfassender Systeme menschlichen Handelns zu beschreiben sind. Der isolationistischen Betrachtungsweise des Sprachsystems stellen sie eine integrative Betrachtungsweise gegenüber, mit der sie den Orientierungsrahmen festlegen, in dem Sprache zu beschreiben ist. Entsprechend der Zielstellung unserer Arbeit werden wir uns im folgenden auf die Beschreibung der theoretischen und methodologischen Positionen konzentrieren, die in der von WITTGENSTEIN (1967) inspirierten und von A U S T I N und SEARLE entworfenen Sprechakt- bzw. Sprechhandlungstheorie entwickelt wurden.
2.1. Der Begriff sprachliches
Handeln'
Im Zuge der Hinwendung der Linguistik zu einer Theorie der Pragmatik bzw. zu einer erweiterten Theorie der Semantik hat der Begriff der sprachlichen Handlung eine Schlüsselfunktion erhalten und ist heute in dieser oder jener Form in einer Vielzahl linguistischer Forschungsansätze anzutreffen. Nach SEARLE (1975) ist die Sprechhandlung bzw. der Sprechakt die minimale Einheit der sprachlichen Kommunikation. M A A S und W U N D E R L I C H (1972) verstehen „Sprechen als gesellschaftliches Handeln" und sehen eine Schwerpunktaufgabe der Linguistik darin, „Sprachen als Produkte vergangenen Handelns" zu beschreiben. H E N N E (1978) grenzt aus der Gesamtheit sozialer Handlungen des Menschen das sprachkommunikative Handeln aus, das dadurch gekennzeichnet ist, daß es auf Zusammenhänge und Ereignisse verweisen kann, die außerhalb des Situationszusammenhangs stehen, in dem sich die Sprachkommunikation ereignet. Die zitierten Beispiele, die stellvertretend für die Vielzahl linguistischer Handlungsbegriffe bzw. Sprechaktdefinitionen stehen, machen deutlich, daß der Handlungsbegriff in der gegenwärtigen Linguistik offenbar zu den universellsten Abstraktionen gehört, die unab-
168
D. Viehweger
hängig von dem Kontext, in dem sie gebraucht werden, ein und dieselbe Rolle spielen. Eine eingehende Analyse der den einzelnen Forschungsansätzen zugrunde liegenden Handlungsbegriffen zeigt jedoch, daß der Begriff des sprachlichen Handelns ganz unterschiedlichen Theorietraditionen entstammt und somit auch nicht losgelöst von dem theoretischen System interpretiert und erklärt werden kann, in dem er entstanden bzw. aus dem er in linguistische Theoriezusammenhänge gestellt wurde. Da der Begriff der Sprechhandlung bzw. des Sprechakts in den folgenden Ausführungen eine zentrale Stellung einnimmt, scheint es zweckmäßig, zunächst in groben Zügen jene Dimensionen kurz zu charakterisieren, die sich für eine Sprachtheorie aus einem handlungsorientierten Forschungsansatz ergeben. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß unter den Begriff sprachliche Handlung häufig Erkenntnisse subsumiert werden, die in Abhängigkeit von dem Gesamtkontext, in dem sie entstanden sind, ganz unterschiedliche Sachverhalte problematisieren. Der folgende Versuch eines Überblicks über die gegenwärtige Problemlage soll zunächst dazu dienen, bestimmte allgemeine Theoriezusammenhänge des Begriffs sprachliche Handlung' aufzuhellen. Spezielle Aspekte von Sprechhandlungen, insbesondere die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für die Ausführung einer Sprechhandlung, werden am Ende dieses Kapitels ausführlicher behandelt. Auf die Entwicklung einer Theorie sprachlichen Handelns haben folgende Richtungen einen mehr oder minder großen Einfluß ausgeübt: (a) wesentliche Impulse auf die Entwicklung linguistischer Handlungstheorien gingen vor allem von den „Philosophischen Untersuchungen" WITTGENSTEINS aus, in denen durch die Einführung des Begriffs des,Sprachspiels' das Sprechen der Sprache als Teil einer Tätigkeit bzw. Lebensform verstanden wird, die Menschen nach bestimmten Regeln vollziehen; ein Spiachspiel ist nach WITTGENSTEIN stets ein aus sprachlichen und nicht sprachlichen Tätigkeiten verwobenes Ganzes, dessen Regeln weder ein für allemal konstruiert bzw. rekonstruiert noch in privater Gewißheit befolgt werden können, sondern in der sozialen Praxis erarbeitet und verändert werden müssen. (b) der entscheidende Einfluß auf die Entwicklung eines linguistischen Handlungsbegriffs ging von der angelsächsischen Handlungsphilosophie, insbesondere von AUSTINS philosophischem Hauptwerk „How to do things with words" und der sich daraus entwickelnden Sprechakttheorie aus, die den Handlungsaspekt der Sprache vor allem durch sozialsituative Voraussetzungen sowie durch die Folgen sprachlichen Handelns zu bestimmen versuchten. (c) bedeutende Anregungen erhielt die Theorie sprachlichen Handelns aus verschiedenen Entwicklungsrichtungen psychologischer Verhaltenstheorien sowie der Tätigkeitstheorie ( L . S. VYGOTSKIJ und A. N . LEONT'EV), durch die insbesondere der Aspekt der Produktion sprachlicher Handlungen anhand von
Semantik u n d Sprechakttheorie
169
Modellen der kommunikativen Kompetenz einer psychologischen Validierung näher gebracht wurde. (d) eine andere Traditionslinie verbindet die Theorie sprachlichen Handelns mit der Handlungslogik (von WRIGHT, NOWAKOWSKA, BRENNENSTUHL und HARE), die vor allem Aspekte der Produktion sprachlicher Handlungen eingehender untersuchte und systematisierte. (e) wichtige Impulse gingen ferner von den zahlreichen Forschungsansätzen zu einer linguistischen Pragmatik (STALNAKER, WUNDERLICH, MAAS, REHBEIN, BALLMER und EHLICH) aus, deren Hauptziel es ist, sprachliche Handlungen in ihrem systematischen Zusammenhang mit den Kontexten zu beschreiben, in denen sie vollzogen werden. (f) zahlreiche Anleihen für die Entwicklung eines sprachlichen Handlungsbegriffs wurden bei soziologischen Handlungstheorien gemacht, insbesondere bei WEBERS Begriff des sozialen Handelns, das als solches Handeln verstanden wird, „welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert i s t " (WEBER 1 9 5 6 : l ) . 7
Offenbar sind damit nicht alle Traditionslinien linguistischer Handlungstheorien erfaßt. Unsere Aufzählung erhebt auch gar nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Sie will vielmehr auf zwei methodologisch bedeutsame Probleme hinweisen, denen in der Literatur bisher nicht immer die erforderliche Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Erstens wird aus der knappen Charakterisierung der Richtungen, die auf die Entwicklung eines linguistischen Handlungsbegriffs einen mehr oder minder starken Einfluß ausgeübt haben, deutlich, daß hinter ein und demselben Namen ,Handlung' keineswegs immer gleichartige Begriffe stehen. D a r a u s ergibt sich zweitens, daß die einzelnen Handlungskonzepte ganz unterschiedliche Sachverhalte thematisieren und somit auch ein ganz unterschiedliches Erklärungspotential besitzen. Es ist hier nicht der Platz, die unterschiedlichen Handlungskonzepte eingehender zu betrachten und auf ihre Tragfähigkeit hin zu analysieren. Entsprechend der Zielstellung unserer Arbeit werden wir nach der Betrachtung allgemeiner Aspekte sprachlicher Handlungen nur diejenigen Gesichtspunkte herausgreifen, die in den einzelnen Forschungsansätzen für die Entwicklung einer linguistischen Sprechakttheorie als konstitutiv angesehen werden. In der Mehrzahl der vorliegenden Definitionsvorschläge werden f ü r den Begriff der sprachlichen Handlung vor allem folgende Bestimmungsstücke als wesentlich erachtet: (1) Sprachliche Handlungen werden — wie andere Handlungen auch — im 7
Siehe d a z u ausführlicher HARRAS (1978), insbesondere S. 3—81, KELLER (1977), REHBEIN (1977) u n d VIEHWEGER (1979).
170
D. Vieh weger
wesentlichen durch die mit ihnen verfolgten Intentionen bestimmt, d. h., mit d e m Vollzug einer sprachlichen Handlung intendiert der Sprecher, daß ein bestimmter Zustand herbeigeführt oder verhindert wird. Sprachliche Handlungen dienen somit der Erreichung bestimmter Ziele bzw. der Herbeiführung eines bestimmten Zustandes. D a b e i ist das Ziel des H a n d e l n d e n eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für das Z u s t a n d e k o m m e n einer Handlung. Handlungsziele müssen v o m handelnden Subjekt für grundsätzlich realisierbar gehalten werden. 8 (2) Sprachliche H a n d l u n g e n unterliegen bestimmten N o r m e n bzw. werden nach bestimmten K o n v e n t i o n e n oder Regeln vollzogen, die z u m kollektiven Wissen der Kommunikationspartner gehören. Bei der Ausführung einer sprachlichen H a n d lung k o m m e n zwei Konventionalitätsebenen ins Spiel: das System der grammatischen Regeln, denen ein Sprecher in seinem sprachlichen Handeln folgt, sowie die Regeln des symbolischen, speziell verbalsymbolischen Handelns, durch die der K o m m u n i k a t i o n s a b l a u f steuerbar wird. 9 8
9
Vgl. von WRIGHT (1974: 98): „Ich kann nur solche Dinge zu tun beabsichtigen — und daher auch wollen in dem Sinne von .beabsichtigen' — von denen ich glaube, daß ich sie tun kann, zu denen ich mich imstande fühle." Diese allgemeine Charakterisierung der Intentionalität sowie die Voraussetzungen ihrer Realisierbarkeit wurde zunächst unterschiedslos auf Handlungen und somit auch auf sprachliche Handlungen bezogen. Später erhielt der Intentionsbegriff der sprachlichen Handlung zahlreiche Präzisierungen. Nach SCHIFFER (1972: 62) enthält der Begriff der sprachlichen Handlung zwei intentionale Faktoren: „Generally, when a person does an act X a distinction can be made between (1) the intention(s) with which the person did x ( = Primärintention, die als Begründung für die Ausführung einer Handlung geltend gemacht werden kann — D. V.) and (2) certain other intentions that person merely had in doing X ( = sekundäre Intention — D. V.). GRICE (1967: 45): hat zwei notwendig zur Primärintention hinzukommende Intentionen in Abhängigkeit zueinander formuliert: ,,A must intend to induce by x a belief in an audience, and he must also intend his utterance to be recognized as so intended. But these intentions are not independent; the recognition is independent by A to play its part in inducing the belief, and if it does not do something will have gone wrong with the fulfilment of A's intentions". Anders ausgedrückt heißt dies: (a) Der Sprecher will, daß der Adressat etwas Bestimmtes weiß, glaubt, annimmt usw. oder etwas Bestimmtes tut. (b) Der Sprecher hat die Absicht, daß der Adressat (a) erkennt. (c) Der Sprecher wünscht, daß die Erkenntnis von (a) durch den Adressaten für dessen Reaktion eine bestimmte Rolle spielt. (d) Der Sprecher will, daß der Adressat erkennt, daß (2). Vgl. WUNDERLICH (1972: 13f.). In ähnlicher Weise differenziert auch HARRAS (1978: 49) die Regelbefolgung, die bei der Ausführung kommunikativer Handlungen in unterschiedlicher Weise in zwei Handlungsstadien relevant wird: „einmal bei der Art und Weise der Verwendung eines kommunikativen Mittels, im Fall sprachlicher Äußerungen der Formulierung, und zum anderen bei der Verwendung eines ganz bestimmten Mittels in bezug zu einem ganz bestimmten Ziel".
Semantik und Sprechakttheorie
171
(3) Als eine Grundvoraussetzung sprachlicher Handlungen wird die Tatsache angesehen, daß die handelnde Person eine oder mehrere andere Personen in ihre Handlung einbezieht. Die Involvierung einer oder mehrerer Personen in eine Handlung ist in zweifacher Weise zu verstehen: ein Sprecher führt eine sprachliche Handlung aus, (a) um sein Ziel in bezug auf einen Adressaten zu realisieren oder (b) um sein Ziel mittels eines Adressaten zu realisieren. Mit anderen Worten: sprachliche Handlungen sind auf das Verhalten anderer gerichtet und werden daher als symbolisch vermittelte Interaktionen verstanden. (4) Sprachliche Handlungen setzen die Existenz bestimmter Handlungsmittel voraus. (5) Der Vollzug einer sprachlichen Handlung wird durch bestimmte Präferenzen determiniert, die sich auf individuelle Wünsche und Bedürfnisse des Sprechers sowie auf gesellschaftlich vermittelte Wünschbarkeiten (Normen, Gesetze u. a.) beziehen. (6) Sprachliche Handlungen werden in Abhängigkeit von der Situationseinschätzung und -bewertung durch konkrete Ausdrucksmittel realisiert. Die Aspekte sprachlicher Handlungen, die durch (1)—(5) thematisiert werden, sind in den einzelnen Modellvorschlägen mehr oder weniger umfassend beschrieben und systematisch erklärt worden. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, daß die Begriffe ,Intentionalität' und ,Konventionalität' in sprachtheoretischen Kontexten häufig in einem allgemeinphilosophischen Sinne verwendet werden, ohne daß es nötig scheint, diesen Begriffen eine gegenstandsspezifische Interpretation zu geben, durch die sie letztlich erst eine reale Funktion in einer Wissenschaft erhalten und somit als Erklärungsprinzip dienen können. Dem in (6) dargestellten Problem wurde demgegenüber in linguistischen Handlungstheorien — sieht man von gelegentlich anzutreffenden fragmentarischen Äußerungen ab, durch die der Begriff des sprachlichen Handelns einen mentalistischen Anstrich erhält — bisher kaum Aufmerksamkeit geschenkt, so daß dieser bedeutsame Aspekt in den einzelnen Definitionsvorschlägen nicht zum Tragen kommen konnte. Zweifelsohne werden durch die in (1)—(6) angeführten Merkmale wesentliche Bestimmungsstücke sprachlicher Handlungen genannt, die als Anhaltspunkte für die Entwicklung eines expliziten Konzepts sprachlichen Handelns dienen können. Zwei methodologische Probleme bleiben dabei jedoch weitgehend ungelöst. Zum einen bleibt in zahlreichen Explikationsversuchen offen, in welchem Verhältnis die in (1)—(6) exemplarisch vorgeführten Bestimmungsstücke sprachlicher Handlungen stehen. Zum anderen ist in den bisherigen Definitionsvorschlägen weitgehend unberücksichtigt geblieben, daß das verwendete Kategorieninventar noch unvollständig ist und somit für die Entwicklung eines adäquaten Begriffs sprachlichen Handelns noch nicht ausreicht. Die Hauptursachen für diese Inadäquatheiten sind vor allem in den Ausgangspositionen zu sehen, in den Voraussetzungen, von denen aus das sprachliche handelnde Subjekt in den einzelnen Modellvorschlägen zum Ausgangs-
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D. Viehweger
punkt der Analyse gemacht wird. Drei nach unserem Dafürhalten entscheidende Unzulänglichkeiten sollen im folgenden thesenartig dargestellt werden. 10 In einer Reihe bisher entwickelter Forschungsansätze zu einer Theorie sprachlichen Handelns wird das menschliche Individuum nicht als ein schöpferisch tätiges, aktiv handelndes Wesen verstanden, das sich in ständiger Wechselbeziehung mit der Umwelt befindet, aktiv auf diese einwirkt und sie verändert, sondern als Abstraktum ohne historischen und sozialen Inhalt. Die sprachlich handelnden Individuen sind Sprecher bzw. Hörer an sich, die isoliert von den konkreten Kontexten kommunizieren. Mit der Isolation der Sprecher von den gesellschaftlichen Kontexten wird zugleich vielfach auch von den Zielen der Kommunikation abstrahiert. Versuche, die gesellschaftliche Dimension in linguistischen Handlungstheorien zu rekonstruieren, erschöpften sich häufig in der mechanischen Einführung eines sozialen Kontextes, in dem die Vielfalt der sozialen Beziehungen unberücksichtigt blieb. Auf diese Weise werden sprachliche Handlungen vorwiegend als Handlungen individueller Subjekte charakterisiert und nicht auf den geschichtlich konkreten gesellschaftlichen Arbeits- und Lebensprozeß des Menschen bezogen. Eine detaillierte Analyse der einzelnen Handlungskonzepte macht deutlich, daß die Tragweite dieser Einsicht offenbar nicht voll erkannt wurde, so daß linguistische Handlungstheorien nicht oder nur partiell zu der Erkenntnis vordringen konnten, daß sprachliche Handlungen ihre Grundlage und ihre entscheidenden Triebkräfte letztlich in der materiellen, gegenständlichgesellschaftlichen Tätigkeit des Menschen haben (vgl. HELBIG 1978, KOZLOVA 1972, MAAS 1972 u n d SCHLIEBEN-LANGE 1975).
— In der Vielzahl existierender sprachlicher Handlungs- bzw. Sprechakttheorien wird das handelnde Subjekt häufig nur als ein Subjekt angesehen, das auf Umweltreize reagiert und sich rezeptiv verhält, nicht aber als ein Subjekt, das mit Hilfe des Denkens die Wirklichkeit verallgemeinert widerspiegelt und die Resultate seiner zukünftigen Handlung gedanklich zu antizipieren, nach bestimmten Plänen zu realisieren und an Hand der Einschätzungen des Erfolgs zu kontrollieren vermag. Ein so verstandener Handlungsbegriff negiert den untrennbaren Zusammenhang von Handeln und Bewußtsein und reduziert das handelnde Subjekt somit weitgehend auf ein rein mechanisch handelndes Wesen. — Schließlich ist in dem gedrängten Verallgemeinerungsversuch darauf hinzuweisen, daß Schlußfolgerungen über sprachliche Handlungen häufig nur auf der Grundlage einzelner Sprechakte bzw. isolierter Handlungsausschnitte gezogen werden, nicht aber auf der Grundlage des gesamten Systems der sprachlichen Handlungen, der sprachlich-kommunikativen Tätigkeit des Menschen. Zwar wird nicht selten unterstrichen, daß zahlreiche Sprechhandlungen per Konvention zur Fortführung einladen (vgl. AUSTIN 1975 und SEARLE 1977), für 10
Siehe dazu ausführlicher die kritischen Bemerkungen in HEESCHEN (1976) und STREEK (1978).
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die konkreten Analysen jedoch wurden in den sprechakttheoretischen Modellvorschlägen daraus nur in den seltensten Fällen die erforderlichen Konsequenzen gezogen. 2.2. A U S T I N S Theorie der Sprechakte. Lokutiver vs. illokutiver Akt In 2.1. wurde bereits im Zusammenhang mit der exemplarischen Vorstellung allgemeiner Aspekte des sprachlichen HandlungsbegrifFs darauf hingewiesen, daß ein ganz wesentlicher — wenn nicht der wesentlichste — Anstoß für die Entwicklung alternativer linguistischer Modellvorschläge, die auf keine bloße Modifikation theoretischer und methodologischer Positionen der Grammatiktheorie abzielten, sondern deren grundsätzliche Revision anstrebten, von J. L . AUSTINS Werk „How to do things with words" ausgegangen ist. AUSTINS sprechakttheoretischer Ansatz war, obwohl er auf Fragestellungen zugeschnitten war, die die Grammatiktheorie bis dahin überhaupt nicht oder nur am Rande interessierten, für die Weiterentwicklung der Grammatiktheorie in den USA sowie in mehreren europäischen Ländern in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. Einerseits wurde mit der handlungsorientierten Sprachbetrachtung das relativ stabile und bis dahin als verbindlich angesehene „methodologische Paradigma" der grammatiktheoretischen Forschung beträchtlich erschüttert. Mit seinen Analysen hat AUSTIN gezeigt, daß die Entwicklung neuer Fragestellungen die Notwendigkeit mit sich bringt, eine neue Art linguistischer Daten anzuerkennen, die wiederum die Erarbeitung neuer Forschungsinstrumente und -verfahren bedingen, d. h. eine methodologische Umorientierung erforderlich machen. Darüber hinaus hat AUSTIN mit seiner Sprechakttheorie erstmals der bis dahin dominierenden Auffassung widersprochen, Sprache diene vor allem dazu, wahrheitsdefinite Aussagen zu formulieren. In seinem sprachphilosophischen Hauptwerk hält AUSTIN dem,deskriptiven Fehlschluß' die Beobachtung entgegen, daß es zahlreiche Äußerungen gibt, die zwar die grammatische Form von Tatsachenfeststellungen haben, die aber weder etwas beschreiben oder behaupten, sondern den Vollzug einer Handlung darstellen. AUSTIN zieht aus der Tatsache, daß Äußerungen in Kommunikationssituationen Bedeutungen annehmen können, die aus ihrer wörtlichen Bedeutung nicht erklärt werden können, den Schluß, daß Sprache nicht losgelöst von den sprechenden Menschen und ihren Beziehungen untereinander beschrieben werden kann. Da nahezu alle linguistischen wie auch sprachphilosophischen Forschungsansätze, die in den letzten Jahren unter Bezeichnungen wie Sprechakttheorie, Konversationsanalyse, linguistische Pragmatik, handlungsbezogene Textlinguistik, Diskursanalyse u. a. auf AUSTINS Sprechakttheorie zurückgreifen bzw. von dem Theorieansatz profitieren, der in AUSTINS sprachphilosophischem Hauptwerk entwickelt wird, erweist es sich als zweckmäßig, wenigstens in groben Zügen einige Grundpositionen zu skizzieren, die auf die Entstehung und Entwicklung der
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erwähnten Richtungen einen entscheidenden Einfluß ausgeübt haben. Im Zusammenhang mit diesem Rekurs soll gleichzeitig auf eine Reihe in der Literatur anzutreffender unvollständiger und zum Teil voneinander abweichender Vorstellungen näher eingegangen werden, die durch die unterschiedlichen Rezeptionsversuche der AusTiNschen Theorie der Sprechakte entstanden sind. AUSTINS Theorie der Sprechakte ist ein Beitrag zur Klärung der Frage, was unter dem Gebrauch einer sprachlichen Äußerung zu verstehen ist. Nach der im wesentlichen durch WITTGENSTEIN beeinflußten Auffassung der Philosophie der normalen Sprache besteht die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke in ihrem Gebrauch. Unterschiedlich gebrauchte sprachliche Äußerungen haben somit eine unterschiedliche Bedeutung. Diese These bedarf einer ausführlichen Erörterung, die wir anhand eines Beispiels vornehmen wollen. Wenn ein Sprecher einem Hörer gegenüber den Satz (22) Heute abend rufe ich dich an
äußert, dann äußert er einen Satz der deutschen Sprache, der nach den Regeln der deutschen Grammatik korrekt gebildet ist und den jeder, der des Deutschen mächtig ist, versteht, unabhängig davon, ob er weiß, wann und mit welcher Absicht der Satz geäußert wurde. Jeder vermag den Sachverhalt, der mit der Bedeutung dieses Satzes ausgedrückt ist, zu verstehen, jedoch weiß nicht jeder, was der Sprecher tut, indem er (22) äußert. Der Sprecher kann seinem Hörer gegenüber mitteilen, daß er ihn heute abend anruft, er kann aber auch ein Versprechen damit zum Ausdruck bringen, den Hörer warnen oder auch drohen wollen usw. Ob (22) als Behauptung, Versprechen, Warnung, Drohung usw. zu verstehen ist, liegt noch in keiner Weise fest, wenn die Bedeutung des Satzes bereits festliegt. Um die verschiedenen Verwendungsweisen von (22) zu kennzeichnen, sind weitere Unterscheidungen zu treffen. Ein Sprecher, der einen Satz äußert, vollzieht nach AUSTIN drei simultane Akte bzw. Handlungen. Wenn ein Sprecher (22) äußert, indem er dem Hörer sagt, daß er ihn heute (am 20. Dezember, am Donnerstag) anrufen wird, dann vollzieht er damit nach AUSTIN einen lokutiven Akt, d. h. er artikuliert ein komplexes Schallgebilde (phonetischer Akt), äußert damit gleichzeitig bestimmte Wörter in einer bestimmten grammatischen Konstruktion (phatischer Akt) und verwendet diese mit einer mehr oder minder bestimmten Bedeutung (rhetischer Akt). Wenn der Sprecher jedoch mit seiner Äußerung dem Hörer etwas mitteilt, verspricht, ihn warnt usw., dann kennzeichnet er damit den illokutiven Akt, den er mit seiner Äußerung vollzieht, d. h. „einen Akt, den man vollzieht, indem man etwas sagt im Unterschied zu dem Akt, daß man etwas sagt" (AUSTIN 1975: 115). Die Theorie der verschiedenen Funktionen, die Sprache unter diesem Aspekt haben kann, nennt AUSTIN .Theorie der illokutiven Rollen'. Damit ist das von AUSTIN aufgeworfene Problem noch nicht umfassend charakterisiert. Die illokutiven Akte müssen noch von den perlokutiven Akten abgegrenzt werden, die als
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eine Art Konsequenz angesehen werden können, die sich für den Hörer aus der Ausführung der Sprechhandlung durch den Sprecher für den weiteren Kommunikations- bzw. Handlungsablauf ergibt. So kann der Sprecher durch die Äußerung von (22) gewisse Verpflichtungen eingehen, wenn er damit ein Versprechen ausgedrückt bzw. den Hörer überzeugt hat, daß er ihn zum festgelegten Zeitpunkt anruft, für den Hörer können sich aus (22) bestimmte Handlungen, kausale Effekte bzw. Wirkungen auf Gefühle, Gedanken usw. ergeben, indem er beispielsweise daraufhin bestimmte Vorbereitungen trifft. A U S T I N weist in seiner Argumentation darauf hin, daß dies ebenfalls Phänomene sind, die ein Sprecher mit seiner Äußerung getan haben kann. Perlokutive Akte unterscheiden sich von den illokutiven Akten in mehrfacher Hinsicht. Ob ein bestimmter perlokutiver Akt vollzogen wird, hängt nach A U S T I N davon ab, ob dank der Äußerung noch etwas Zusätzliches geschieht. Für den illokutiven Akt gilt diese Bedingung nicht. Welcher illokutive Akt mit einer Äußerung vollzogen wird, hängt von den Bedingungen bzw. Umständen ab, unter denen er vollzogen wird. Lokutiver, illokutiver und perlokutiver Akt sind nicht drei Akte, die ein Sprecher nacheinander vollzieht, es handelt sich bei diesen vielmehr um unterschiedliche Aspekte ein und derselben komplexen Äußerungshandlung. AUSTINS
(nach
Analyse des Sprechaktes läßt sich durch folgendes Modell darstellen 1975):
MEYER
illokutiver Akt (die im Sprechen vollzogene Handlung)
perlokutiver Akt (die durch das Sprechen vollzogene Handlung)
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Wir werden in den folgenden Ausführungen die Problemstellung nicht weiter verfolgen, die AUSTIN unter dem perlokutiven Akt zusammenfaßt, und uns vielmehr auf das Verhältnis von lokutivem und illokutivem Akt, d. h. auf das Verhältnis von Bedeutung und illokutiver Rolle sprachlicher Äußerungen konzentrieren und die von AUSTIN aufgeworfene Frage eingehender betrachten, ob und inwieweit die Bedeutung von Sätzen mit Bezug auf die illokutive Rolle erklärt werden kann.
2.2.1. Konventionalität
illokutiver
Akte
Zu den wesentlichsten Bestimmungsstücken des illokutiven Akts gehört nach AUSTIN die Konventionalität. Ein illokutiver Akt wird als eine konventionelle Handlung verstanden, die Folgen nach sich zieht, die aber keine Folge lokutiver Akte ist oder zusätzlich einige Folgen des lokutiven Akts einschließt (vgl. AUSTIN 1975: 128). Illokutive Akte glücken nicht bzw. können nicht erfolgreich vollzogen werden, wenn nicht gleichzeitig auch eine bestimmte Wirkung erzielt wird. AUSTINS Ausführungen zur Konventionalität illokutiver Akte legen zunächst die Vermutung nahe, daß die Konventionen, nach denen diese Akte vollzogen werden, auf grammatische Regeln zurückführbar sind, d. h. auf Regeln, die eine explizit performative Formel determinieren und in einem systematischen Zusammenhang mit der Bedeutung des performativen Verbs stehen. Diese Interpretation kann aus AUSTINS Argumentation geschlossen werden, da der als konventionelles Benutzen interpretierte illokutive Akt in der Performativformel expliziert werden kann. So zeigt sich der konventionelle Charakter der illokutiven Rolle sehr deutlich bei performativen Äußerungen, deren illokutive Rolle in der Regel festgelegt ist: (23) Ich verspreche dir, das Buch morgen endlich zurückzugeben. (Versprechen) (24) Ich teile dir mit, daß dein Manuskript im Sekretariat abgeholt werden kann. (Mitteilung) (25) Ich rate dir, dich bei diesem Wetter wärmer anzuziehen. (Empfehlung, Ratschlag) Die zunächst aus der 8. Vorlesung der „How to do things with words" zu folgernde Auffassung, daß die Konventionalität illokutiver Akte auf grammatische Regeln zurückführbar ist, wird in der 9. Vorlesung grundsätzlich in Frage gestellt. AUSTIN macht hier deutlich, daß die illokutive Rolle einer Äußerung nicht deshalb konventionell ist, weil sie grammatisch explizit gemacht werden kann, sondern weil sie in einer regulären Beziehung zu den Umständen der Situation steht, in der ein illokutiver Akt vollzogen wird. Die Konventionalität illokutiver Akte ist somit durch besondere Regeln begründet. U m welche besonderen Regeln
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177
es sich dabei jedoch handelt, läßt AUSTIN im Grunde genommen unbeantwortet. Er weist lediglich darauf hin, daß mit dem Begriff des illokutiven Akts bestimmte konventionell angestrebte Wirkungen, Ergebnisse, Folgen und Konsequenzen verbunden sind, die Sprecher und Hörer ziehen bzw. zu ziehen bereit sind. Die Wirkungen eines illokutiven Akts beinhalten erstens, daß Bedeutung und illokutive Rolle der Äußerung vom Hörer verstanden und akzeptiert werden, sie beinhalten zweitens, daß sich durch die vollzogene Sprechhandlung die ,Welt' der Kommunikationspartner in spezifischer Weise verändert, d. h., daß dadurch ein bestimmter Zustand eintritt, der ohne den Vollzug der Sprechhandlung für den natürlichen Ablauf der Ereignisse nicht eingetreten wäre (vgl. AUSTIN 1975: 130, WUNDERLICH 1972: 46 und von WRIGHT 1974). Fassen wir das Problem kurz zusammen. Die Frage, ob lokutiver und illokutiver Akt nach bestimmten Regeln vollzogen werden, hat AUSTIN grundsätzlich bejaht. Obwohl die von AUSTIN entwickelten Beispiele für Sprechaktanalysen nicht genügend auf Fragestellungen zugeschnitten sind, die den Linguisten vorrangig interessieren, kann daraus geschlossen werden, daß für den Vollzug des lokutiven Akts die Regeln der Grammatik verantwortlich sind. Was die Regeln anbetrifft, die illokutiven Akten zugrunde liegen, bleibt AUSTINS Position im wesentlichen unklar und läßt unterschiedliche Interpretationen zu (vgl. STRAWSON 1973: 46ff., SEARLE 1973: 141 ff., FORGUSON 1973, 160ff. und WUNDERLICH 1972: 45 f.). Es wird lediglich deutlich gemacht, daß illokutive Akte nicht nur hinsichtlich ihrer Ergebnisse, sondern auch bezüglich der Formen ihres Vollzugs bestimmten Konventionen unterworfen sind. Wie diese Konventionen im einzelnen zu fassen sind, welchen Status sie haben, bleibt entweder ungelöst oder wird durch den Rückgriff auf einen allgemein philosophischen Konventionsbegriff zu erklären versucht. AUSTINS Aufmerksamkeit entgeht in diesem Zusammenhang ein bedeutendes methodologisches Faktum. Aus der Tatsache, daß dem Konventionsbegriff konstruktive und innovative Eigenschaften zugeschrieben werden, folgt keineswegs, daß sich der Sprachphilosophie und Linguistik automatisch neue Forschungsperspektiven für die Beschreibung des Zusammenhangs von Bedeutung und illokutiver Rolle sprachlicher Äußerungen ergeben, sobald sie sich des Konventionsbegriffs als Erklärungsprinzip bedient. Im Gegenteil, der Konventionsbegriff wird nur in dem Maße eine reale Funktion erfüllen, wie es gelingt, ihm eine gegenstandsspezifische Interpretation zu geben, d. h. wie es möglich wird, einen für den jeweiligen Gegenstandsbereich spezifischen Konventionsbegriff zu entwickeln. Darüber hinaus ist der Rahmen zu spezifizieren, in dem dieser Begriff theoretisch zu begründen und auf empirische Fakten abzubilden ist. In AUSTINS Theorie der Sprechakte wird der Rahmen, in dem sich sprachliches Handeln vollzieht, auf wenige Beispiele zeremonieller Prozeduren wie Taufe, Eheschließung, Wetten u. a. eingeschränkt, die bestimmten (teilweise sogar stark restriktiven) Konventionen unterworfen sind, von der gesellschaftlichen kommunikativen Praxis in toto jedoch wird dabei abstrahiert. Daraus folgt ferner, daß 12
Viehweger, Semantikforschung
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der Mensch, der sprachliche Handlungen vollzieht, nicht gesellschaftlich-konkret, sondern als Abstraktum verstanden wird, „abgezogen von irgendwelchen konkreten, gesellschaftlich-geschichtlich vermittelten Kontexten bzw. Situationen, in denen sie kommunizieren" (EHLICH 1972: 122). Durch diese Abstraktionen verstellt sich AUSTIN selbst den Blick auf die Realität und erkennt nicht, daß für die zu vollziehenden Sprechhandlungen Festlegungen bestehen, die jenseits der subjektiven Willkür der Kommunikationspartner liegen, sondern durch die in der gesellschaftlichen Praxis entwickelten Formen der Kommunikation bestimmt sind und somit in einem funktionalen Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Praxis des Menschen stehen. Sucht man die Fundierung der illokutiven Rolle in den Zusammenhängen der gesellschaftlichen Praxis, so kann man davon sprechen, daß Sprechhandlungstypen als gesellschaftlich-vermittelte und gesellschaftlich verbindliche Formen des Verkehrs zwischen den Menschen den Charakter von Konventionen haben, anderenfalls bleibt es eine bloße Redeweise, der man sich gern bedient, um „das Problem damit ein für allemal losgeworden zu sein, aber nicht erklärt, was denn eine Konvention (oder mit anderen Worten, eine eingespielte soziale Regel) eigentlich ist und inwiefern Sprache unter diesen Begriff von Konventionen fallen kann" (WUNDERLICH 1972: 11). Der hauptsächlich durch den Einfluß von WITTGENSTEINS philosophischem Spätwerk avancierte und von AUSTIN ZU einem Schlüsselbegriff erhobene Begriff der Regel bzw. Konvention hat vor allem in sprechakttheoretischen Untersuchungen eine große Verbreitung gefunden, ohne daß damit letztlich geklärt werden konnte, welche Aspekte eine systematische Analyse des Konventionsbegriffs zu berücksichtigen hätte. Das Fehlen einer solchen Analyse war aber kein Hindernis, diesen Begriff auch weiterhin als Erklärungsprinzip zu verwenden. Offenbar reichte es aus, immer wieder zu betonen, daß eine Sprache sprechen und verstehen etwas sei, das in Konformität zu bestimmten Regeln bzw. Konventionen geschehe.
2.2.2. STRAWSONS Versuch der Vermittlung von Konventionalität und Intentionalität sprachlicher Handlungen Eine gründliche Auseinandersetzung mit der Konventionalitätsthese AUSTINS führt STRAWSON (1964/1971) in seinem Aufsatz „Intention and Convention in Speech Acts", in dem er vor allem die von AUSTIN erstmals aufgeworfene Frage aufgreift, ob es eine eigene Art von Regeln gibt, die die Aufnahme illokutiver Akte sichern und — falls es hinreichende Gründe für die Annahme solcher Regeln gibt — wie diese beschaffen sein müssen. STRAWSON folgt zunächst der Behauptung AUSTINS, daß die illokutive Kraft einer Äußerung eine Sache der Konvention sei. An einer Vielzahl von Beispielen läßt sich leicht ablesen, daß „many kinds of human transaction involving speech are
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governed and in part constituted by what we easily recognize as established conventions of procedure additional to the conventions governing the meanings of our utterances" (STRAWSON 1 9 6 4 / 1 9 7 1 : 6 0 2 ) . STRAWSON verweist dabei wie bereits AUSTIN auf prozedurale Handlungen im Rahmen sozialer Institutionen wie Gericht, Standesamt sowie auf zahlreiche gesellschaftliche Aktivitäten. Mit Nachdruck wird aber in diesem Zusammenhang auch hervorgehoben, daß es zahlreiche Fälle gibt, „in which the illocutionary force of an utterance, though not exhausted by its meaning, is not owed to any conventions other than those which help to give it its meaning" (STRAWSON 1 9 6 4 / 1 9 7 1 : 6 0 2 ) . Beispiele dieser Art sind nach STRAWSON Warnungen, Bitten und Einwanderheben, woraus STRAWSON den Schluß zieht, daß der Konventionsbegriff nicht generell auf illokutive Akte anzuwenden ist, d. h., einige illokutive Akte sind konventionell, andere nicht, außer in so weit, als sie lokutive Akte sind. Der Unschärfe in der Konventionalitätsthese AUSTINS will STRAWSON durch die Einführung einer Skala von Graden der Konventionalität entgehen, wobei die Pole dieser Skala durch „wesentlich konventionelle Akte" auf der einen Seite und „nicht wesentlich konventionelle Akte" auf der anderen Seite besetzt sind. Unter die wesentlich konventionellen Akte (essentially conventional acts) werden solche Akte subsumiert, die in Übereinstimmung mit einer eindeutig ausführbaren Konvention vollzogen werden müssen, während zu den nicht wesentlich konventionellen Akten jene .alltäglichen' Akte gehören, die nur in sofern konventionell sind, als sie durch konventionelle Mittel wie performative Formeln expliziert werden können. In diesen Sprechhandlungen geht die illokutive Kraft voll in der Bedeutung (im lokutiven Akt) auf. Illokutive Akte unterscheiden sich aber nicht nur durch den unterschiedlichen Grad ihrer Bindung an Konventionen. Nach STRAWSON übernimmt der Sprecher beim Vollzug wesentlich konventioneller Akte zugleich auch die Verpflichtung, eine von ihm intendierte Hörerreaktion einzuklagen, dabei sei es gleichgültig, ob der Hörer die Intention des Sprechers selbständig verstanden hat oder unter Zwang reagiere. Nicht wesentlich konventionelle Akte sind demgegenüber bereits dann gelungen, wenn der Hörer sie korrekt identifiziert hat, wie er darauf reagiert, ist letztlich eine Angelegenheit des Hörers selbst. Im letztgenannten Fall spielt die Intention des Sprechers eine zentrale Rolle, wobei zur Verdeutlichung der Intention konventionalisierte performative Formeln verwendet werden können, die zwar das Verstehen der Äußerung sichern, nicht aber den gewünschten Effekt. STRAWSON relativiert damit AUSTINS Auffassung, nach der explizit performative Äußerungen bezüglich ihrer Interpretation eindeutig festgelegt sind. Bei den wesentlich konventionellen Akten hingegen besteht die Intention des Sprechers nur darin, eine begonnene konventionelle Prozedur fortzusetzen, die neben dem Verstehen auch die Wirkung der Sprechhandlung sichert. Zur Unterscheidung der beiden Konventionalitätsakte sowie der zwei Grundklassen illokutiver Akte erweitert STRAWSON den Bedeutungsbegriff und stellt die12'
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sem als Komplementärbegriff das Hörer-Verstehen gegenüber. Während AUSTIN das Verstehen einer Äußerung auf die Kenntnis von Konventionen zurückführt, bestimmt STRAWSON unter Bezugnahme auf den GRiCEschen Bedeutungsbegriff das Verstehen von Sprechhandlungen, d. h. das Verstehen der illokutiven Rolle als ein Deuten von Intentionen und benutzt das Kriterium des Hörer-Verstehens als Erfolgsbedingung für eine Klasse von Sprechakten. STRAWSON hat mit der Unterscheidung der beiden Konventionalitätsakte und der darauf aufbauenden prinzipiellen Differenzierung der Sprechakte in institutionell verankerte und alltägliche zweifelsohne zahlreiche Inadäquatheiten überwunden, die dem Konventionalitätsbegriff AUSTINS noch anhafteten. Durch die Einführung des Intentionsbegriffs und den daran geknüpften Versuch der Vermittlung von Konventionalität und Intentionalität sprachlicher Handlungen werden darüber hinaus erstmals Ansätze einer mentalistischen Interpretation von Sprechhandlungen sichtbar. Weiterführend ist auch STRAWSONS Unterscheidung von sprecherseitigen und hörerseitigen Bedingungen von Sprechhandlungen, durch die — zumindest im Ansatz — eine Revision des im vorhinein auf monologische Produktionsmodelle der Sprachverwendung festgelegten Modellvorschlags von AUSTIN deutlich wird. Problematisch erscheint demgegenüber die Festlegung der beiden Konventionalitätsakte auf die Pole einer Skala. Daß es schwer ist, STRAWSONS Argumentation in diesem Punkte zu folgen, hängt offenbar damit zusammen, daß auch hier dem Begriff der Konvention eine zentrale Position zukommt, ohne den Begriff der Konvention jedoch zu explizieren und gegenstandsspezifisch zu "interpretieren. Selbst wenn STRAWSON im Gegensatz zu AUSTIN Sprechakte als essentiell kooperative Handlungen ansieht, die nicht deshalb kooperativ sind, weil durch die Sprechhandlungen die individuellen Beiträge der Kommunikationspartner im Sinne eines Spiels zusammenfließen, sondern weil bereits der autonome Beitrag eines jeden Sprechers ein kollektives Produkt ist, in dem die produktiven und interpretativen Leistungen der Kommunikationspartner sich vereinigen, erfaßt das Theoriegerüst STRAWSONS nur einen begrenzten Ausschnitt des komplexen Bedingungsgefüges der sprachlich-kommunikativen Tätigkeit des Menschen. Nun ist zwar unstrittig, daß Menschen in der Regel ihre gesamte Tätigkeit in Koordination bzw. Kooperation mit anderen realisieren, daß somit die Handlungen, die in einer bestimmten Situation ausgeführt werden, von den Handlungen und Verhaltensweisen der anderen Menschen abhängen. Ein Mensch, der eine Handlung ausführt, reagiert jedoch nicht einfach nur auf Reize der Umwelt bzw. auf Verhaltensweisen anderer, er vermag vielmehr das Ergebnis seiner zukünftigen Handlungen gedanklich zu antizipieren und seine Handlungen zielgerichtet, zwecksetzend zu realisieren. Dieser Problemzusammenhang wird in STRAWSONS Sprechakttheorie nicht reflektiert, so daß sie in diesem Punkt nicht wesentlich über den theoretischen Rahmen hinausführt, der durch AUSTIN abgesteckt worden war.
Semantik und Sprechakttheorie
2.2.3. Konvention
181
und Regel
Die Frage, ob es für die Ausführung illokutiver Akte besondere Regeln gibt, hat SEARLE in seiner Theorie der Sprechakte nicht nur grundsätzlich bejaht, er hat zugleich auch durch Analysen erste Hinweise auf die Struktur dieser Regeln gegeben. Mit der Interpretation der illokutiven Akte als rege/determinierte Handlungsformen hat der bis dahin in der Sprechakttheorie dominierende Begriff der Konvention an Gewicht verloren. Durch die Bezugnahme auf den in der Philosophie der normalen Sprache bereits umfassend analysierten und in seinen wesentlichen Merkmalen bestimmten Regelbegriff hat SEARLE die von A U S T I N erstmals aufgeworfene Frage, ob der Ausführung illokutiver Akte bestimmte Regeln zugrunde liegen, ein ganzes Stück weitergebracht und damit zugleich die Voraussetzung geschaffen, den relativ vagen und mit zahlreichen alltagssprachlichen und wissenschaftsgeschichtlichen Konnotationen belasteten Terminus ,Konvention' neu zu bestimmen und in einen systematischen Zusammenhang mit dem Regelbegriff zu stellen. Ob sich aus SEARLES Hypothese, daß Sprache regelgeleitetes Verhalten sei, tatsächlich inhaltliche Konsequenzen für die Weiterentwicklung der Sprechakttheorie ergeben, indem die Phänomene, die bisher unter die Konventionalitätsthese subsumiert wurden, in neue Problemzusammenhänge gestellt werden und somit ein größeres Erklärungspotential erhalten, oder ob es sich nur um eine Variation des bereits bekannten Konventionalitätsthemas handelt, ist im einzelnen noch zu zeigen. SEARLE revidiert zunächst das von A U S T I N entwickelte Modell des Sprechakts und unterscheidet folgende Arten von Akten, die ein Sprecher mit der Äußerung eines Satzes gleichzeitig vollzieht: 1. Sprechakte sind Äußerungsakte, d. h., es werden Wörter, Morpheme und Sätze geäußert, die eine Bedeutung haben und mit denen der Sprecher, der sie äußert, etwas meint. Vergleicht man diese Begriffsbildung mit den Kategorien in A U S T I N S Modell der Sprechakte, so kann man feststellen, daß der Äußerungsakt bei SEARLE den phonetischen und phatischen Akt A U S T I N S umfaßt. 2. An einem Äußerungsakt kann man mehr oder weniger deutlich den Vollzug eines propositionalen Akts ablesen, d. h. den Referenz- und Prädikationsakt, durch die der Inhalt bzw. die Proposition des illokutiven Akts ausgedrückt wird. Der propositionale Akt wird durch diejenigen Teile im Satz repräsentiert, die keine Indikatoren der illokutiven Rolle enthalten. 3. An dem Äußerungsakt kann ferner der illokutive Akt unterschieden werden, d. h. die konkrete Handlung, die ein Sprecher mit einer Proposition ausführt. Propositionaler und illokutiver Akt werden von SEARLE sehr eng mit verschiedenen Arten von Ausdrücken verbunden, die beim Vollzug dieser Akte geäußert werden. Die charakteristische Form des illokutiven Akts ist der vollständige Satz, die typische Form des propositionalen Akts hingegen bilden bestimmte Teile von
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Sätzen. So sind die Prädikate charakteristische Teile des Prädikationsakts, die Referenz der Eigennamen, Pronomen sowie andere Nominalausdrücke sind diejenigen Teile des Satzes, die mit dem Referenzakt in systematischem Zusammenhang stehen. Den entscheidenden Punkt für die Differenzierung der einzelnen Arten von Akten, die mit dem Vollzug einer Sprechhandlung ausgeführt werden, sieht SEARLE in den unterschiedlichen Identitätskriterien. So können die gleichen propositionalen Akte verschiedenen illokutiven Akten gemeinsam sein (vgl. 2.6.), ferner kann man einen Äußerungsakt vollziehen, ohne damit überhaupt einen propositionalen oder illokutiven Akt auszuführen. SEARLE verweist darauf, daß Äußerungen wie „ H u r r a ! " oder „ A u ! " als illokutive Akte keinen propositionalen Gehalt haben. Den drei genannten Akten fügt SEARLE noch den perlokutiven Akt bzw. Effekt hinzu, worunter — wie schon bei AUSTIN — die Konsequenzen oder Wirkungen verstanden werden, die illokutive Akte auf die Handlungen, Gedanken, Anschauungen und Einstellungen des Kommunikationspartners haben können. Nach SEARLES Modell besteht ein Sprechakt im einfachsten Fall aus dem Vollzug eines illokutiven Akts, z. B. einem Versprechen, einer Aufforderung, einer Warnung usw., und dem Vollzug eines dem illokutiven Akt untergeordneten propositionalen Akts. Aus dem Vollzug dieser beiden Akte resultiert dann der Sprechakt. Auf Grund der von SEARLE getroffenen Unterscheidung kann die allgemeine Form illokutiver Akt durch folgende Formel dargestellt werden: (26)
m
in die für die Variable F als Werte Mittel einzusetzen sind, die als Indikatoren der illokutiven Rolle dienen (z. B. Behauptung, Aufforderung, Versprechen, Ja-NeinFragen), p ist durch Propositionen zu ersetzen (vgl. SEARLE 1977: 51 ff.). Problematisch an dieser Einteilung ist die Grundlage, von der aus eine Differenzierung zwischen propositionalem und illokutivem Akt erreicht werden soll. SEARLE geht dabei von der Annahme aus, daß für den Vollzug dieser Akte jeweils typische Ausdrucksmittel zur Verfügung stehen, die eine eindeutige Distinktion erlauben. Da wir die Unterscheidung zwischen propositionalen und illokutiven Indikatoren noch ausführlich darstellen werden, genügt an dieser Stelle folgender genereller Hinweis. SEARLE unterlaufen in diesem Punkt im wesentlichen dieselben Fehler, wie sie bereits bei AUSTIN festzustellen sind. So wird die illokutive Funktion der expliziten performativen Formeln überschätzt und übertrieben, die situativen Bedingungen, die Umstände, unter denen ein illokutiver Akt ausgeführt wird, werden demgegenüber unterschätzt. Nach der Skizzierung des knappen Theoriekontextes, in dem SEARLES Sprechaktkonzept zu erklären ist, wollen wir nun zu der Frage SEARLES zurückkehren, inwiefern Sprechen eine Form menschlichen Verhaltens ist, die in Übereinstimmung
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mit bestimmten Regeln vollzogen wird. Wir wollen in diesem Zusammenhang ferner untersuchen, welche notwendigen und hinreichenden Bedingungen es für den Vollzug von Sprechakten gibt. Zur Bestätigung der Hypothese, daß Sprache regelgeleitetes intentionales Verhalten sei, entwickelt SEARLE anhand des Sprechhandlungstyps .Versprechen' aus den Bedingungen, die seiner Auffassung nach notwendig sind für die Ausführung illokutiver Akte, vier Arten von Regeln, die die Verwendung der illokutiven Mittel, d. h. den Gebrauch der illokutiven Indikatoren, determinieren: (a) Regeln des propositionalen Gehalts (propositional content rules), die aus den sogenannten Bedingungen des propositionalen Gehalts abgeleitet sind, die SEARLE wie folgt formuliert: (1) In der Äußerung des Satzes T drückt der Sprecher S aus, daß p ; (2) Indem S ausdrückt, daß p, sagt 5 einen zukünftigen Akt A von S voraus. (b) Einleitungsregeln (preparatory rules); diese sind von den Einleitungsbedingungen abgeleitet: (1) Der Hörer H sieht lieber die Ausführung als die Unterlassung von A durch S, und S glaubt, daß H lieber seine Ausführung als seine Unterlassung von A sieht; (2) Für S und auch für H ist es nicht offensichtlich, daß S bei einem normalen Verlauf der Ereignisse A tun wird. (c) Aufrichtigkeitsregeln (sincerity rules), die aus der Aufrichtigkeitsbedingung S beabsichtigt, A zu tun hergeleitet sind. (d) Wesentliche Regeln (essential rules), die SEARLE aus den wesentlichen Bedingungen gewinnt: S hat die Absicht, sich zur Ausführung von A zu verpflichten, wenn er. T äußert. Die Regeln für den Gebrauch der Mittel, die illokutive Rollen anzeigen, sind nach SEARLE geordnet. So setzt die Anwendung der wesentlichen Regeln die Befolgung der Regeln des propositionalen Gehalts voraus, wesentliche Regeln gelten ihrerseits nur, wenn ebenfalls den Einleitungsregeln entsprochen wurde. Auf dem Weg zur Analyse dieser Regeln, die am illokutiven Typ des Versprechens ausführlich charakterisiert werden, führt SEARLE zwei unterschiedliche Arten von Regeln ein, die als regulative und konstitutive Regeln bezeichnet werden. Regulative Regeln werden als Regeln charakterisiert, die „bereits bestehen oder unabhängig von ihnen existierende Verhaltensformen regeln" (SEARLE 1977: 56). Regulative Regeln regeln somit eine bereits existierende Täti¿keit, deren Ausführung von der Existenz dieser Regeln logisch unabhängig sei. Konstitutive Regeln hingegen regeln nicht nur Verhaltensformen, sie erzeugen bzw. prägen auch neue Formen menschlichen Verhaltens, anders ausgedrückt: Konstitutive Regeln konstituieren eine Tätigkeit, sie definieren Handlungen, deren Vorhandensein von den
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Regeln logisch abhängig ist. Bedeutungen sprachlicher Äußerungen sind ebenso wie der Vollzug eines illokutiven Akts nach SEARLE an bestimmte Konventionen gebunden, die als konstitutive Regeln beschrieben werden können. Beide Regelarten unterscheiden sich nach SEARLE durch ein weiteres wichtiges Moment. Regulative Regeln wie beispielsweise die Anstandsregeln zwischenmenschlicher Beziehungen haben die Form von Imperativen und lassen sich durch die Formel „Tue x" oder „Wenn y tue JC" charakterisieren, konstitutive Regeln werden demgegenüber durch analytische Sätze der Form „x gilt als y im Kontext c" ausgedrückt. Letztere haben daher auch keine normative Funktion, was nach SEARLE die Frage überflüssig macht, ob bestimmte Abweichungen von diesen Regeln möglich sind bzw. ob ein Sprecher diese Regeln verletzen kann. Für SEARLE ist diese Frage nicht von Bedeutung, denn ein Mensch, der diese Regeln nicht befolgt, verletzte sie in Wirklichkeit nicht, sondern spiele lediglich ein anderes Spiel. Wenn aber konstitutive Regeln keinen normativen Charakter haben, sondern nur eine definitorische Kraft besitzen, dann ist damit gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, daß sie nicht erlernbar sind. SEARLE unterläuft in der Interpretation dieser Regeln somit ein schwerwiegender Fehler. Aus der Tatsache nämlich, daß sprachliche Regeln bzw. andere soziale Regeln im Gegensatz zu Naturgesetzen einerseits bewußt und absichtlich verletzt werden können bzw. daß einem Sprecher bei ihrer Befolgung andererseits Fehler unterlaufen können, folgt als logische Konsequenz, daß Regeln dieser Art erlernbar sind und von den Mitgliedern einer menschlichen Gemeinschaft erlernt werden müssen, will man sie nicht mit biologistischen Postulaten der Existenz angeborener Ideen erklären, denen von SEARLE konsequent widersprochen wird. Mit einem solchen Regelkonzept wird nicht nur eine wesentliche Bestimmung des Regelbegriffs als Grundstein einer Theorie sprachlichen Handelns über Bord geworfen, durch den Hinweis darauf, daß das Nichtbefolgen einer Regel lediglich so zu interpretieren sei, daß hier ein anderes Spiel vorliege, wird zudem auch der intersubjektive Charakter sozialer Regeln wieder in Frage gestellt. Die eingangs mehrfach zitierte Hypothese, daß eine Sprache sprechen als regeldeterminiertes Verhalten zu interpretieren sei, erhält in der weiteren Argumentation SEARLES folgende Konkretisierung. Die semantische Struktur einer Sprache wird als eine Menge von Systemen konstitutiver Regeln, d. h. eine auf Konventionen beruhende Realisierung einer Serie von Gruppen zugrunde liegender Regeln aufgefaßt. Illokutive Akte sind dann Akte, die in Übereinstimmung mit diesen Mengen konstitutiver Regeln vollzogen werden. In der Regel ist der Vollzug eines illokutiven Akts an die Existenz bestimmter Konventionen gebunden, es gibt aber auch eine Reihe illokutiver Akte, die unabhängig von irgendwelchen Konventionen vollzogen werden. Der Konventionsbegriff wird — wie aus SEARLES Überlegungen deutlich wird — auf die semantische Struktur konkreter Sprachen als einzelsprachliche Vollzugsform von Sprechakten bezogen, nicht aber auf Sprache. Ver-
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schiedene menschliche Sprachen können in dem Maße, in dem sie ineinander übersetzbar sind, als verschiedene auf Konventionen beruhende Realisierungen der gleichen zugrunde liegenden Regeln betrachtet werden. Daß im Deutschen ein Versprechen mit „ich verspreche es dir" und im Englischen mit „I promise" ausgedrückt wird, ist nach SEARLE eine Sache der Konvention, daß die Äußerung eines zum Vollzug des Versprechens dienenden Mittels als Übernahme einer Verpflichtung gilt, hängt dagegen nicht von Konventionen, sondern von Regeln ab. Fassen wir SEARLES Diskussionen zu diesem Problem kurz zusammen. (a) Die Frage, ob es Konventionen für Sprachen gibt, wird von SEARLE grundsätzlich bejaht. Welchen Status diese Konventionen haben, bleibt bei SEARLE ebenso unklar wie in anderen Sprechaktansätzen, die auf der Konventionalitätsthese aufbauen. (b) Der Vollzug eines illokutiven Akts setzt bestimmte Regeln voraus, d. h. konstitutive Regeln, denen nach SEARLE kein normativer Charakter zukommt. (c) Konventionen sind im allgemeinen Realisierungen von Regeln. Die hier gegen SEARLES konstitutive Regeln formulierte Kritik richtet sich nicht gegen die Annahme, Sprechen als eine Form regelgeleiteten Verhaltens zu betrachten, sondern gegen die zahlreichen Analogien, die SEARLE zwischen sprachlichen Regeln und Regeln bestimmter Wettkampfspiele formuliert. Sie richtet sich ferner gegen die Vagheit, mit der der Begriff Institution, an den die konstitutiven Regeln von SEARLE gebunden werden, gebraucht wird (vgl. dazu auch B R Ü C K / K E N D Z I O R R A 1972). Die zahlreichen ungelösten Probleme sowie die Unzulänglichkeiten, die durch eine systematische Analyse des SEARLEschen Regelbegriffs deutlich werden, haben ihre Wurzeln in erster Linie in den Abstraktionen und Idealisierungen, durch die sich SEARLE selbst den Blick auf die Realität verstellt und somit zu einer Gegenstandsbestimmung seiner Sprechakttheorie kommt, die sich von der Wirklichkeit so weit entfernt hat, daß sie vielfach nicht mehr empirisch vorgefundene sprachliche Handlungen beschreibt und erklärt, sondern Typen von Handlungen, die vom generellen Arbeits- und Handlungskontext isoliert und aus dem Zusammenhang zwischen Sprechhandlung^n und den Interessen des Sprechers herausgelöst werden.
2.2.4. Bedeutung und konventionelle
Regularität
Aus den exemplarisch vorgeführten Handlungskonzepten wird deutlich, daß dem Konventionsbegriff in der Sprechakttheorie seit A U S T I N eine zentrale Stellung zukommt. D a ß ein sprachliches Zeichen eine Bedeutung hat, heißt nach der Konventionalitätsthese, daß es Konventionen und Regeln gibt, durch die die Verwendung der Zeichen festgelegt ist. Welche Bedeutung ein sprachliches Zeichen hat, hängt ausschließlich davon ab, was die Konventionen als Realisierungen von Regeln
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für den konkreten Fall besagen. Die Bedeutung eines Zeichens bzw. einer Sprechhandlung zu verstehen heißt, die Konventionen für die Verwendung der Zeichen zu erkennen. Aus den in 2.2.1.—2.2.3. eingehender behandelten Konventionsbegriffen wurde ersichtlich, daß sie bisher bestenfalls Andeutungen darüber sind, welche Aspekte eine systematische Analyse des Konventionsbegriffs zu berücksichtigen hätte, verbindliche Festlegungen, die der bedeutungstheoretischen Diskussion neue Perspektiven eröffnen könnten, wurden für die einzelnen Konventionsbegriffe bisher nicht getroffen. Die Unschärfen, mit denen bisher benutzte Konventionsbegriffe behaftet waren, stellten offenbar kein Hindernis dar, diesen Begriff auch weiterhin zu verwenden. Möglicherweise genügte es, in Anlehnung an SHWAYDERS Theorie des konventionellen Verhaltens immer wieder zu betonen, daß der Sprachgebrauch auf bestimmten (wie immer auch gearteten) Konventionen beruhe, wobei unter Konventionen zumeist ganz allgemein das konforme Handeln zwischen den Mitgliedern einer Gemeinschaft verstanden wurde, ohne damit auch nur im Ansatz anzudeuten, wie sich in der betreffenden Gemeinschaft Konventionen herausbilden, verfestigen und verändern. Gewichtige Einwände, wie sie beispielsweise von ZIFF (1960, 1970 und 1972) sowie SNYDER (1971) u. a. gegen den bedeutungsnominalistischen Konventionalismus erhoben wurden, verhallten offenbar ohne größere Resonanz und hinterließen keine erkennbaren Wirkungen. Eine wesentliche Präzisierung erfuhr die Konventionalitätsthese erst durch die ausführliche Explikation des Konventionsbegriffs in LEWIS (»1969/1975). Allgemein ausgedrückt ist eine Konvention eine Regelmäßigkeit im Verhalten der Mitglieder einer Gemeinschaft, die einer Reihe von Bedingungen unterliegt. Nach LEWIS Ausgangsthese ist sprachliches Handeln als eine Art Koordinationsproblem zu verstehen, das von den Mitgliedern einer Kommunikationsgemeinschaft konventionell gelöst wird. So betrachtet erweist sich sprachliches Handeln dann in erster Linie als Interaktion. Anhand zahlreicher Beispiele versucht LEWIS nachzuweisen, daß Sprachspiele in der Mehrzahl der Fälle darauf aufbauen, daß der Sprecher den Hörer auf Grund seines eigenen sprachlichen Verhaltens nicht im Unklaren lassen will, daß der Hörer die Sprecherabsicht zu identifizieren in der Lage ist. Eine Kombination von zwei Handlungen befindet sich dann in einem Koordinationsgleichgewicht, wenn jeder Handelnde sie zumindest so sehr erwünscht wie jede andere Kombination, die er erreicht haben könnte, wenn die Entscheidungen der anderen gegeben sind. Mit dem Hinweis, daß es Alternativen für Handeln geben muß, ist noch nichts darüber ausgesagt, durch welche Gründe die einzelnen Entscheidungen determiniert werden. Unter Bezugnahme auf das SHWAYDERSche Modell des praktischen Syllogismus kann ein Sprecher Übereinstimmung im Handeln nur dann erreichen, wenn er entsprechend seinen Erwartungen über das Verhalten des Hörers handelt und wenn umgekehrt das Verhalten des Hörers durch dessen Erwartungen über das eigene Verhalten bestimmt wird. Der Sprecher muß somit nach LEWIS die
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Überlegungen des Hörers replizieren, d. h. antizipieren. Die Entscheidung für eine bevorzugte Alternative bezeichnet LEWIS als die dominante Wahl einer Alternative zur Lösung von Koordinationsproblemen. Wenn eine von mehreren Entscheidungsmöglichkeiten dominant geworden ist, wenn sich also eine Konvention herausgebildet hat, dann hat sie die Tendenz, immer stabiler zu werden, dann ermöglicht sie den Übergang von den einzelnen Handlungen zum Handlungstyp. Die Erwartungen der Mitglieder einer Gemeinschaft, die diese in bezug auf das Verhalten einzelner in bestimmten Situationen haben, bezeichnet LEWIS als das gemeinsame Wissen. Kernstück des LEWisschen Begriffs der konventionellen Regularität ist — wie die bisherigen Ausführungen bereits erkennen lassen — der Begriff des konventionskonformen Handelns bzw. des übereinstimmenden sprachlichen Verhaltens, der besagt, daß jeder gemäß einer Konvention handelt, weil er Interessen hat, von denen er erwartet, daß er sie nur durch konventionskonformes Handeln befriedigen kann. Diese Überlegungen faßt LEWIS in folgender Definition zusammen: (27) „Eine Verhaltensregularität R von Mitgliedern einer Gemeinschaft P, wenn diese Handelnde in einer wiederkehrenden Situation S sind, ist genau dann eine Konvention, wenn es wahr ist und wenn es in P gemeinschaftliches Wissen ist, daß bei fast jedem Eintreten von S unter Mitgliedern von P (1) beinahe jeder R folgt; (2) beinahe jeder erwartet, daß beinahe jeder andere R folgt; (3) beinahe jeder annähernd die gleichen Präferenzen im Hinblick auf alle möglichen Kombinationen von Handlungen hat; (4) beinahe jeder es vorzieht, daß jeder andere R unter der Bedingung folgt, daß annähernd jeder andere R folgt; (5) beinahe jeder vorzieht, daß jeder eher R' unter der Bedingung folgt, daß beinahe jeder R' folgt, wobei R' eine andere mögliche Verhaltensregularität von Mitgliedern von P in S ist, derart, daß beinahe niemand bei beinahe jedem Eintreten von S unter Mitgliedern von P sowohl R' als auch R entsprechen könnte" (LEWIS 1975: 79). Die Äußerung (28) Öffne bitte das Fenster! ist dann der konventionelle Vollzug einer sprachlichen Handlung, wenn die Äußerung dieses Satzes unter entsprechenden Bedingungen als Vollzug einer Handlungsanweisung verstanden wird, wenn die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft sich daran halten, auf die Äußerung des Satzes hin das Fenster zu öffnen. Das Verhalten der anderen muß somit dadurch beeinflußbar sein, daß sie auf Grund des sprachlichen Verhaltens des Sprechers erkennen, was dieser von ihnen erwartet.
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Konventionen sind nach LEWIS weder auf eine explizit formulierte Regel noch auf eine Abmachung zurückzuführen, sie werden vielmehr — wie bereits erwähnt — als Kenntnisse verstanden, die das Handeln der Mitglieder einer bestimmten Gemeinschaft steuern. Entscheidend ist an LEWIS' Konventionsbegriff, d a ß er nicht auf den Sprecher festgelegt wird und somit nur etwas über das Verhalten des Sprechers aussagt, sondern auch die Handlungen des Hörers einschließt. Ein so verstandener Konventionsbegriff macht es LEWIS möglich, Sprechen als Interaktion der Mitglieder einer bestimmten Gemeinschaft zu erklären und auf der Grundlage dieses Begriffs eine Theorie der konventionellen Bedeutung sprachlicher Zeichen zu entwickeln.' Mit der Reduzierung der Bedeutung auf deren konventionellen Gebrauch ist eine Reihe von Problemen verbunden, die f ü r eine Theorie der Bedeutung von weitreichender Konsequenz sind. D a diese Probleme in einem später darzustellenden Systemzusammenhang noch ausführlich behandelt werden, ist es ausreichend, hier nur kurz darauf einzugehen. LEWIS hat durch seine systematischen Analysen den Konventionsbegriff zweifelsohne auf ein sicheres Fundament gestellt, als dies bei den bisher vorliegenden Konventionalitätskonzepten der Fall war. Durch die Einordnung des Konventionsbegriffs in Interaktionszusammenhänge erhielt dieser Begriff ferner eine neue Interpretationsbasis und ein größeres Erklärungspotential im R a h m e n sprechakttheoretischer Untersuchungen. Mit dem Versuch, den zahlreiche Vertreter der Sprechakttheorie in der Folgezeit anstellten, die Bedeutung sprachlicher Zeichen allein aus deren Gebrauch zu erklären und eine Theorie der Bedeutung ausschließlich auf eine Theorie des Gebrauchs sprachlicher Zeichen zu reduzieren, wird aber ein ganz entscheidender Aspekt sprachlicher Bedeutungen in Abrede gestellt, der Aspekt, daß Bedeutungen Abbilder von Sachverhalten der Wirklichkeit sind. Wird dieser Aspekt nicht in jeder Sprechhandlung als gegeben angesehen, dann wird nicht nur der Bedeutungsbegriff zu einem leeren Begriff, sondern auch eine wesentliche Funktion der Sprache, nämlich ihre kognitive Funktion, negiert.
2.3. Bedeutung,
Meinen,
Sprecherintention
Durch WITTGENSTEINS grundlegende Kritik am psychologistischen Intentionalismus, der die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke durch einen Rückgriff auf einen unsichtbaren Akt des Meinens zu erklären versuchte, war das Erklärungspotential des Intentionsbegriffs grundsätzlich in Frage gestellt und der Begriff Intention als nicht seriöser Begriff aus dem Theoriekontext der Sprachphilosophie verbannt worden. An die Stelle des Intentionsbegriffs wurde der Begriff der Konvention gestellt, dem a priori innovative und konstruktive Eigenschaften zugeschrieben wurden, die der Bedeutungsbeschreibung automatisch neue Forschungsperspektiven eröffnen, sobald sie sich dieses Begriffs bedient. Es bedurfte erst der 1957 unter dem Titel „Meaning" erschienenen Arbeit von GRICE, um den Intentionsbegriff
Semantik und Sprechakttheorie
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wieder zu rehabilitieren und zu einer zentralen Kategorie der weiteren bedeutungstheoretischen Diskussion zu machen. G R I C E führt in dieser Arbeit Bedeutung auf Meinen zurück und definiert Meinen als eine mit einem geäußerten Zeichen verfolgte Absicht des Sprechers. Die Evidenzen dafür, ob ein Sprecher mit dem Vollzug einer sprachlichen Handlung eine Intention verfolgt, sieht G R I C E in den öffentlich zugänglichen Verhaltensweisen des Handelnden. Die Intention ist damit nicht mehr wie im psychologistischen Intentionalismus ein unsichtbarer geistiger Akt, den der Handelnde vollzieht, sondern eine exteriorisierte Größe, die den Handlungsresultaten zugrunde liegt und an ihnen abgelesen werden kann. G R I C E hebt in diesem Zusammenhang zwei Punkte besonders hervor: (1) Ein Sprecher kann eine Äußerung mit einer bestimmten Intention ausführen, ohne dafür einen bestimmten Plan zu besitzen bzw. zu entscheiden, wie er am geeignetsten die Handlung realisiert. Das Fehlen eines Plans bzw. Entschlusses ist nach G R I C E nicht die Ausnahme, sondern der Normalfall sprachlichen Handelns. Einem Sprecher, der eine sprachliche Handlung vollzieht, wird die Absicht unterstellt, gerade das bewirken zu wollen, was er mit der Sprechhandlung normalerweise zu bewirken beabsichtigt. (2) Sprachliches Handeln ist grundsätzlich intentional, und die Absicht, die ein Sprecher mit seiner Äußerung verbindet, kann durch den Hörer eindeutig rekonstruiert werden, weil — wie bereits in (1) deutlich wurde, dieser davon ausgehen kann, daß dem Sprecher, der eine sprachliche Handlung vollzieht, die Absicht unterstellt werden kann, genau das bezwecken zu wollen, was normalerweise mit dem Vollzug der Sprechhandlung intendiert ist. Nur in wenigen Fällen, wo die Sprecherintention unklar bleibt, da mehrere Intentionen unterstellt werden können, müssen Aufschlüsse aus dem sprachlichen und außersprachlichen Kontext gewonnen werden. (1) ist nicht nur eine wenig realistische Auffassung von Intentionalität, sie steht auch im Widerspruch zu den Erkenntnissen der Verhaltens- und Tätigkeitspsychologie, durch die die These, daß menschliches Handeln nach bestimmten Handlungsplänen realisiert und kontrolliert wird, eindeutig nachgewiesen wurde. G R I C E S Intentionskonzept wird — wie aus ( 1 ) hervorgeht — nicht auf eine kognitive Basis gestellt und somit mit der Bewußtseinstätigkeit des Menschen in einen systematischen Zusammenhang gebracht. G R I C E reduziert vielmehr sprachliches Handeln auf mechanisch auszuführende Interaktionsprozesse, für die das Bewußtsein keine regulierende und kontrollierende Funktion besitzt. (2) ist zunächst nichts weiter als eine bestimmte Andeutung auf Kommunikationsbedingungen, aus ihnen kann jedoch gefolgert werden, daß die Umstände, unter denen Sprechhandlungen vollzogen werden, für die Bedeutungstheorie G R I C E S nur bedingt herangezogen werden und somit für den 1957 vorgestellten Theorieentwurf nur eine untergeordnete Rolle spielen.
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G R I C E grenzt zunächst zwei Bedeutungsbegriffe gegeneinander ab, den semantisch relevanten Begriff der ,nicht natürlichen Bedeutung' (nonnatural meaning, abgekürzt als ,meaning nn ') und den Begriff der .natürlichen Bedeutung' (natural meaning) im Sinne von Anhaltspunkt oder empirischem Anzeichen (vgl. G R I C E 1971: 437f.). Es wird von G R I C E in diesem Zusammenhang eingeräumt, daß diese Unterscheidung nicht immer leicht und einfach sei, in den meisten Fällen jedoch „we should be at least fairly strongly inclined to assimilate a use of mean to one group rather than to the other" ( G R I C E 1971: 438). Entscheidend für die GRiCEsche Zielstellung, Bedeutung auf Meinen zurückzuführen, ist die Erklärung dafür, daß ein Sprecher mit der Äußerung eines Satzes etwas gemeint hat.
(29) „Ein Sprecher S hat mit seiner Äußerung x etwas gemeint" heißt: Es gibt eine Zuhörerschaft H, so daß S x mit der Intention geäußert hat, daß (1) / / eine bestimmte Reaktion r zeige; (2) H denke oder erkenne, daß S beabsichtige, daß H r zeige; (3) /Ts Erkenntnis der Absicht von 5 (daß H r zeige) einen Grund für H darstelle, r zu zeigen". Das, was ein Sprecher in einer gewissen Situation meint, ist für G R I C E die Situationsbedeutung der Äußerung. Ein Satz hat Bedeutung, wenn der Sprecher etwas mit der Äußerung des Satzes meint. Mit einer indikativischen Äußerung intendiert der Sprecher, daß der Hörer glaube, daß p, mit einer Aufforderungshandlung wird vom Sprecher intendiert, daß der Hörer eine bestimmte Handlung ausführt bzw. daß beim Hörer eine bestimmte Intention hervorgerufen und auch realisiert wird. Das 1957 entworfene Theoriegerüst wird in G R I C E (1968 b) entscheidend präzisiert und verfeinert, wenngleich die Grundannahmen im wesentlichen erhalten bleiben. Als zentral wird dabei diejenige Bedeutung angesehen, die ein Sprecher in einer bestimmten Äußerungssituation auszudrücken beabsichtigt. Dieser Bedeutungsbegriff ist von anderen Begriffen zwar grundsätzlich abzugrenzen, jedoch im Zusammenhang mit den übrigen Bedeutungsbegriffen zu bestimmen und zu analysieren. G R I C E unterscheidet vier Bedeutungsbegriffe: — Utterer's occasion meaning (mit dem Vollzug einer Äußerung * durch den Sprecher S meint dieser, daß *p bzw. das Tun von x bedeutet für S, daß *p, wobei *p einen Modus indiziert). — Utterance-type occasion meaning (wenn S eine Äußerung vom Typ x produziert, meint S(*p)).
Semantik und Sprechakttheorie
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— Timeless meaning for an utterance-type (eine Äußerung vom Typ x bedeutet — Applied timeless meaning for an utterance type (die Äußerung vom Typ x bedeutet hier ))• Die zentralen Punkte des erweiterten und verfeinerten Programms können folgendermaßen zusammengefaßt werden: (a) Welche Bedeutung eine sprachliche Äußerung in einer bestimmten Situation hat, ist dadurch bestimmt, was der Sprecher mit ihr meint; (b) daß ein Sprecher mit dem Vollzug einer Sprechhandlung in einer bestimmten Situation etwas meint, ist durch (a) zu erklären; (c) sprachliche Bedeutung kann nicht auf konventionelle Bedeutung reduziert werden, denn nicht in jedem Falle, in dem eine Äußeriing etwas bedeutet, etwas meint, kommt ihr Bedeutung auf Grund von Konventionen zu; (d) konventionelle Bedeutung ist durch den Begriff des Meinens zu erklären aber nicht umgekehrt, was bereits durch (c) ausgeschlossen wird (vgl. auch KEMMERLING 1 9 7 6 : 7 8 ) . GRICES Analyse der Bedeutung wurde in zahlreichen anderen Modellvorschlägen besonders deshalb als adäquater Ausgangspunkt aufgegriffen, weil sie einerseits eine enge Beziehung zwischen der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke und der Sprecherintention herstellt und andererseits jenen wichtigen, bis dahin nahezu unberücksichtigt gebliebenen Aspekt einschließt, daß Kommunikation eine kooperative Tätigkeit ist, deren intersubjektiver Charakter nur dann zum Tragen kommt, wenn die Produktion und Interpretation von Sprechhandlungen auf einen Begriff bezogen werden, aus dem die zwischenmenschliche Verständigung erwächst. Zweifelsohne eröffnet der von GRICE entwickelte Forschungsansatz der Bedeutungsanalyse neue Perspektiven. Unbestritten ist auch, daß GRICE in seinem Bedeutungskonzept die Aufmerksamkeit erstmals auf zahlreiche Fakten gelenkt hat, die bisher weitgehend außerhalb des linguistischen Interesses geblieben sind. Dennoch ist GRICES Bedeutungstheorie in mehreren Punkten inadäquat und unvollständig. 11 In den vor allem von SEARLE (1965/1974), STRAWSON (1964/1974) und ZIFF (1967) gegen (b) erhobenen Einwänden wird darauf hingewiesen, daß die GRiCESche Analyse nicht zwischen den verschiedenen Arten von Wirkungen unterscheide, d. h. zwischen illokutiven und perlokutiven Wirkungen im Sinne AUSTINS. Auch zeige die Analyse von GRICE nicht die Art, wie die verschiedenen Wirkungsweisen mit der Bedeutung verbunden sind. Schließlich wird eingewandt, daß GRICES Bedeutungsbegriff unberücksichtigt läßt, in welcher Weise und in welchem Maße die Bedeutung von Regeln bzw. Konventionen abhänge und somit nicht die 11
Vgl. die grundsätzliche Kritik am GRiCEschen Programm in BARTSCH (1979), BIERWISCH (1979) sowie in KEMMERLING (1979).
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D. Viehweger
Beziehung zwischen dem erfasse, was ein Sprecher mit einer Äußerung meint und dem, was die Äußerung innerhalb einer bestimmten Sprache bedeute. G R I C E hat die Kritik im wesentlichen akzeptiert und in seinem 1969 vorgelegten Vorschlag berücksichtigt. (30) Ein Sprecher S hat mit seiner Äußerung x etwas gemeint, heißt: Es gibt eine Zuhörerschaft H, so daß der Sprecher S x mit der Absicht geäußert hat, daß (1) H eine bestimmte Reaktion r zeige; (2) H erkennt, daß 5(1) beabsichtigt; (3) ITs Erkenntnis der Absicht (1) für H einen Grund darstellt, (1) zu erfüllen ; (4) //erkennt, daß S{2) beabsichtigt; (5) H erkennt, daß S (3) beabsichtigt. Die präzisere Fassung des Begriffs des Meinens blieb nicht unwidersprochen und hat in der Folgezeit einen heftigen Meinungsstreit ausgelöst. So hat W I L S O N (1970) in Anlehnung an Z I F F (1967) die Auffassung vertreten, daß G R I C E S Begriff des Meinens deshalb nicht zum Tragen kommen kann, weil ein Sprecher mit einer Äußerung etwas meinen kann, ohne die Absicht zu haben, mit dieser beim Hörer eine bestimmte Reaktion hervorzurufen. Darüber hinaus ist W I L S O N wie auch SEARLE (1977) und W E L K E R (1970) der Meinung, daß G R I C E S Bedeutungskonzept nichts zu einer Analyse der konventionellen Bedeutung sprachlicher Zeichen beitragen kann. Der Hörer könne die einer Äußerung zugrunde liegende Sprecherintention nur über die Annahme verstehen, der Sprecher halte sich an die relevanten Konventionen für den Gebrauch des geäußerten Satzes. Mit sprachlichen Äußerungen könne der Sprecher demzufolge nur dann etwas meinen, wenn er darauf aufbauen kann, daß der Hörer die Konventionen kennt. In den gegen G R I C E S Bedeutungsanalyse erhobenen Einwänden wird das Bemühen deutlich, zwischen intentionalistischer und konventionalistischer Bedeutungsauffassung zu vermitteln und beide Konzepte miteinander zu verbinden. Dieser bereits bei S T R A W S O N ZU erkennende Versuch findet seine explizite Formulierung in SEARLE (1977: 76). (31) „Ein Sprecher meint, was er mit seiner Äußerung x des Satzes S sagt" heißt: Ein Sprecher äußert S mit der Absicht, (1) beim Hörer die Erkenntnis hervorzurufen (ihn dazu zu bringen, zu begreifen, zu erfassen), daß bestimmte Sachlagen bestehen, die durch bestimmte Regeln spezifiziert sind; (2) daß die Äußerung des Satzes die illokutive Wirkung hervorrufe, daß der Hörer die Intention des Sprechers erkennt; (3) daß der Hörer die Absicht des Sprechers (1) auf Grund seiner Kenntnis der Konventionen erkenne.
Semantik und Sprechakttheorie
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N a c h dem knapp gehaltenen Exkurs über den GRiCESchen Bedeutungsbegriff sind einige allgemeine Bemerkungen erforderlich, die deiftlich machen sollen, weshalb die verschiedenen Wege, die in der Sprechakttheorie sowie in den Pragmatiktheorien eingeschlagen wurden, ihr Beschreibungs- und Erklärungsziel vielfach nicht erreicht haben. Die heftigen Auseinandersetzungen, die in der bedeutungstheoretischen Diskussion geführt wurden, erreichen häufig deshalb nicht ihr erklärtes Ziel, weil die zentralen Begriffe wie Bedeutung, Intention, Konvention u. a. in der Regel als universelle Abstraktionen gebraucht und nicht aus dem jeweiligen Theoriezusammenhang erklärt werden. Dadurch wird der Eindruck erweckt, daß diese Begriffe unabhängig von dem Kontext, in dem sie gebraucht werden, ein und dieselbe Rolle spielen. Der eben erwähnte Gesichtspunkt trifft nicht nur auf SEARLES Einwände gegen G R I C E ZU, er gilt auch für zahlreiche andere Fälle, in denen sich Meinungsverschiedenheiten vielfach auf Mißverständnisse sowie UnSchärfen in den Grundbegriffen zurückführen lassen, d. h. daß übersehen wird, daß sich hinter ein und demselben Wort häufig ganz unterschiedliche Begriffe verbergen. KEMMERLING (1976: 81) weist darauf hin, daß das Analysandum bei SEARLE wesentlich enger ist, als das von G R I C E . SEARLE geht es nicht um die Explikation dessen, was es heißt, mit einer Äußerung etwas zu meinen, auch geht es nicht darum, mit der Äußerung eines' Satzes etwas zu meinen. SEARLE analysiert in Wirklichkeit nur „mit einer Äußerung meinen, was sie (konventional) bedeutet" ( K E M M E R L I N G 1976: 82). D a ß diese Analyse nicht ohne Bezugnahme auf den Konventionsbegriff durchzuführen ist, kann nicht als Argument gegen G R I C E verwendet werden. G R I C E hat auf G r u n d der Kritik, die gegen seinen Modellansatz vorgebracht wurde, schrittweise eine Reihe von Differenzierungen eingeführt, mit denen er seinen Bedeutungsbegriff weiter zu präzisieren versuchte. So verbindet G R I C E später den Intentionsbegriff mit bestimmten Merkmalen der sprachlichen Äußerung und differenziert daraufhin Merkmale, die mit der Einstellung des Sprechers in systematischem Zusammenhang stehen. Grundsätzlich will G R I C E zwischen Bedeutungskomponenten unterscheiden, die eine exhibitive Funktion haben, durch die dem Hörer zu verstehen gegeben wird, daß der Sprecher eine bestimmte propositionale Einstellung hat, sowie solchen, die eine protreptische Funktion haben und dem Hörer signalisieren, sich diese Einstellung zu eigen zu machen. Aus den weiteren Verbesserungen bzw. Spezifizierungen geht in G R I C E (1968b, 234) schließlich folgende Version der Bedeutungsanalyse hervor:
(32) S means by x that *ij/ p : ( E f ) (Ec): 5 Utters x intending H: (1) to think x has / *(2) to think S intends (1) (3) to think / is correlated in a way c with the State of \j/-mg that p 13 Viehweger, Semantikforschung
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(4) to think S intends (3) (5) to think S intends H via (1) and (3), to think that S i¡/'s that p (6) on the basis of the fulfilment of (5) to think that S ip's that p *(7) to think S intends (6) *(8) on the basis of the fulfilment of (6), to ij/ that p, wobei / eine Menge sprachlicher Merkmale ist, p, tjs und c für propositionaler Gehalt, propositionale Einstellung und die Art der Korrelation stehen. * vor den Bedingungen drückt aus, daß diese nicht in jedem Falle gelten. G R I C E geht davon aus, daß es eine generelle Konvention gibt, die alle Sprecher und alle Hörer kennen (und darüber hinaus wissen, daß sie alle kennen), daß bei der Äußerung einer Proposition p ein Sprecher mitteilt, daß er glaubt, daß p; dies äußert er mit der Intention, daß der Hörer weiß, daß der Sprecher x nur äußert, wenn er glaubt, daß p. X, f , c, p und ip in (32) decken nach G R I C E das ab, was ein Sprecher meint, wenn er zu einem bestimmten Anlaß einen Satz äußert. In diesem Zusammenhang wird von G R I C E hervorgehoben, daß das, was ein Satz meint (timeless meaning bei "GRICE), und das, was ein Sprecher meint, wenn er den Satz zu einem bestimmten Anlaß gebraucht (utterer's meaning bei GRICE) nicht notwendigerweise dasselbe sind. Es bedarf keiner besonderen Hervorhebung, daß GRICE'S BedeutungsaufTassung mit jenen Konzeptionen unvereinbar ist, die — der logischen Tradition folgend — Bedeutungen als Träger von Wahrheitswerten definieren. G R I C E will mit seiner Analyse zeigen, daß die Äußerungsbedeutung in Termen definiert werden kann, die erstens nicht den Begriff der sprachlichen Bedeutung voraussetzen, G R I C E will zweitens damit zeigen, daß die sprachliche Bedeutung demzufolge in Termen der Äußerungsbedeutung definiert werden kann. Mit anderen Worten: sprachliche Bedeutung muß auf der Grundlage der Sprecherüberzeugung (speaker's belief) sowie der Intention definiert werden, mit der ein Satz geäußert wurde. GRICE'S Bedeutungsdefinition ist nicht nur mit einer Reihe von Unschärfen behaftet, sie wirft auch zahlreiche Fragen auf, die zum Teil weitreichende Konsequenzen für das Erklärungspotential dieses Forschungsansatzes haben. Unklar bleibt vor allem die Relation zwischen den Elementen x, / , c, p und i¡/, die die sogenannte ,nicht natürliche Bedeutung' konstituieren. Wenig überzeugend ist ferner der Intentionsbegriff, mit dem G R I C E mehr oder minder stark die Vorstellung suggeriert, daß Intentionen zuerst etwas ganz Privates seien, die dann in ein intersubjektives, gesellschaftliches Medium übersetzt werden. Diese Interpretation liegt nahe, da G R I C E in seiner Definition von Bedeutung keinen expliziten Hinweis auf den kommunikativen Kontext gibt, in dem die Menschen zielgerichtet ihre Handlungen ausführen. Es ist im folgenden zu prüfen, inwieweit die Handlungsbedingungen, die für die Explikation des GRiCEschen Intentionsbegriffs unerläßlich sind, durch das allgemeine Kooperationsprinzip sowie durch die daraus abgeleiteten Konversationsmaximen rekonstruiert werden können.
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Semantik und Sprechakttheorie
2.3.1. Kooperationsprinzip,
Konversationsmaximen,
Implikaturen
In einer Reihe von Einwänden, die gegen G R I C E aus dem Lager der konventionalistischen Bedeutungsauffassung vorgebracht wurden, spielt das Problem, G R I C E stütze sich in seiner Analyse ausschließlich auf den Intentionsbegriff und lasse die konventionelle Komponente für die Bedeutungsdefinition weitgehend unberücksichtigt, eine zentrale Rolle. In den gegen G R I C E erhobenen Einwänden ist offenbar übersehen worden, daß diejenigen Sachverhalte, die im konventionalistischen Bedeutungsnominalismus unter die allgemeine Kategorie der Konvention subsumiert werden, bei G R I C E keineswegs fehlen, sondern aus anderen Systemzusammenhängen heraus entwickelt werden. Bisher wurde nur ein Aspekt der GRiCEschen Bedeutungstheorie eingehender dargestellt — die Definition der Sprecherbedeutung, der sogenannten ,meaning nn '. G R I C E verfolgt mit seiner Theorie jedoch ein weiteres Ziel. Es geht ihm darum, allgemeine Verhaltensmaximen aufzustellen, mit denen die kooperative Natur der Kommunikation erklärt werden kann. Dieses Problem steht im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen. Das zentrale Problem aller bisher vorgestellten Forschungsansätze zu einer Theorie der Pragmatik besteht darin, daß sich die Informationen, die in einer Äußerung übermittelt werden, nicht allein aus der wörtlichen, d. h. sprachlichen Bedeutung des Satzes ergeben, sondern aus dem sprachlichen und nicht sprachlichen Kontext, aus dem Zusammenhang zwischen sprachlichen Handlungen und den ihnen vorausgehenden, mit ihnen gleichzeitig vollzogenen sowie aus ihnen zu folgernden nicht sprachlichen Handlungen ergeben. G R I C E sieht zunächst zurecht eine Parallele zwischen den Regeln, die das sprachliche und nicht sprachliche Handeln des Menschen bestimmen und nimmt gewisse Prinzipien an, denen die Teilnehmer solcher Handlungen normalerweise folgen. So haben die Teilnehmer eines Gesprächs ein gemeinsames Ziel, sie verfolgen einen gemeinsamen Zweck und sind daraufhin bemüht, zusammenzuarbeiten. Ziel bzw. Zweck der Kommunikation können bereits vor dem Vollzug der sprachlichen Handlungen fixiert sein oder aber erst im Gesprächsverlauf entwickelt werden. Das allgemeine Kooperationsprinzip, von dem G R I C E annimmt, daß es alle Kommunikationspartner befolgen, erfahrt in G R I C E (1968a: II, 7 ) folgende Definition: (33) Mache deinen Beitrag zur Konversation so, wie es an der jeweiligen Stelle entsprechend dem akzeptierten Zweck oder der Richtung des Gesprächs, an dem du beteiligt bist, erforderlich ist. Auf der Grundlage dieses generellen Kooperationsprinzips lassen sich nach G R I C E spezifische Konversationsmaximen formulieren, die von unterschiedlicher Relevanz sein können bzw. von den Kommunikationspartnern unterschiedlich beach13*
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196 tet und befolgt werden können. 1 2 Im einzelnen unterscheidet men:
GRICE
vier Maxi-
(34) Maxime der Quantität Mache deinen Beitrag so informativ wie erforderlich. Mache deinen Beitrag nicht informativer als erforderlich. Maxime der Qualität Versuche deinen Beitrag so zu machen, daß er wahr ist. Sage nichts, von dem du glaubst, es sei falsch. Sage nichts, für das dir hinreichende Evidenzen fehlen. Maxime der Relation Mache deinen Beitrag relevant. Maxime der Art und Weise Sei klar und deutlich. Vermeide Dunkelheit im Ausdruck, vermeide Mehrdeutigkeit, sei kurz, sei methodisch. GRICE
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räumt ein, daß es weitere soziale, ästhetische und moralische Maximen
Es ist nicht nur wissenschaftsgeschichtlich interessant, daß URMSON bereits 1952 bei der Analyse parenthetischer Verben Gesprächsregeln aufgestellt hat, ohne jedoch diesen Terminus zu benutzen. Es wird von URMSON darauf hingewiesen, daß die Kommunikationspartner sich nach bestimmten ,presuppositions of communication' richten. So beanspruche ein Sprecher für sich, daß das, was er sage, wahr ist und einen Grund habe. URMSON spricht von Implied claims to truth sowie Implied claims to reasonableness, die er wie folgt definiert: Whenever anyone utters a sentence which could be used to convey truth or falsehood there is an implied claim to truth by that person . . . Suppose that someone utters . . . ,It will rain tomorrow' . . . This act carries with it the claim that it is true that it will rain to-morrow . . . just as it is understood that no one will give orders unless he is entitled to give orders, so it is understood that no one will utter a sentence of a kind which can be used to make a statement unless he is willing to claim that that statement is true, and hence one would be acting in a misleading manner if one uttered the sentence if he was not willing to make that claim. The word .implies' is being used in such a way that if there is a convention that X will only be done in circumstances Y, a man implies that situation Y holds if he does X (URMSON 1 9 6 3 : 2 2 4 ) .
Implied claims to reasonableness . . . whenever we make a statement in a standard context there is an implied claim to reasonableness . . . Unless we are acting or story-telling . . . it is, I think, a presupposition of commufiication that people will not make statements, thereby implying their truth, unless they have some ground, however tenuous, for those statements . . . we will not make statements unless we are prepared to claim and defend their reasonableness (URMSON 1 9 6 3 : 2 2 9 f.).
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geben kann, die jedoch für das generelle Kooperationsprinzip nicht einschlägig sind. Die in (34) angeführten Maximen haben einen zweifachen Status: einerseits reflektiererl sie empirische Tatsachen, GRICE nimmt an, daß die Menschen sich tatsächlich so in ihrem kommunikativen Handeln verhalten und nur unter Anstrengungen sich anders verhalten können, andererseits stellen die Maximen bestimmte Handlungsanweisungen dar, d. h., sie sagen etwas darüber aus, wie es vernünftig wäre, sich im sprachlichen Handeln zu verhalten. Der Charakter von Handlungsweisungen kommt implizit durch die von GRICE gewählte Formulierung zum Ausdruck. KEMPSON (1975: 162), die die GRiCEschen Maximen kritisch beleuchtet, fügt der Maxime der Quantität zwei weitere Untermaximen hinzu: (35) the requirement that one answer questions appropriately, the requirement of presenting sufficient information in questions and imperatives to enable one's request to be successfully carried out sowie die allgemeine Maxime (36) the general requirement of not saying what is familiar. Diese allgemeine Maxime ergibt sich bereits aus GRICES Maxime der Quantität, die besagt, nicht informativer als nötig zu sein, KEMPSON ( 1 9 7 5 : 1 6 6 ) führt sie unter Bezugnahme auf STRAWSONS „Presumption of Ignorance" und „Presumption of Knowledge" ein und begründet diesen Schritt folgendermaßen: „These presumptions' capture on the one hand the assumptions of the speaker that the hearer does not already know what the speaker is telling him and on the other hand the speaker's assumption that the hearer knows certain empirical facts relevant to the particular point to be imparted in the utterance". Es wird somit in KEMPSONS Vorschlag davon ausgegangen, daß es in jedem Gespräch ,a certain body of facts' gibt, von denen der Sprecher annimmt, daß sie dem Hörer bekannt sind. Diese Menge von Sachverhalten, die sowohl vom Sprecher als auch vom Hörer als gegenseitig bekannt vorausgesetzt werden, konstituieren das sogenannte,pragmatic universe of discourse', das als gemeinsamer Bezugspunkt von Sprecher und Hörer eine notwendige Bedingung für das Zustandekommen und für die Aufrechterhaltung eines Gesprächs darstellt. KEMPSON unterstreicht dabei, daß dieses Universum nicht statisch ist, sondern häufiger Veränderungen unterliegt. Das gemeinsame Wissen von Sprecher und Hörer, das als Grundvoraussetzung für jede erfolgreiche Kommunikation angesehen werden kann, muß nach KEMPSON (1975: 167) folgende vier Bedingungen erfüllen: (37) 1. S believes P; 2. S believes H knows Pt 3. S believes H knows S believes Pi
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4. S believes H knows S believes H knows P. wobei S, H und P für Sprecher, Hörer und Proposition stehen. Nach den darpit formulierten Beschränkungen, die von KEMPSON der Maxime der Quantität auferlegt werden, kann diese Maxime folgendermaßen neu formuliert werden: (38) Do not assert any proposition p which is a member of the Pragmatic Universe of Discourse (KEMPSON 1 9 7 5 : 1 6 9 ) . Diese Maxime besagt, daß ein Sprecher nichts Triviales, Offensichtliches oder bereits Bekanntes sagen oder gar explizit behaupten soll. Mit dem Gesprächsmaximen haben sich vor einiger Zeit bereits GORDON/ LAKOFF ( 1 9 7 1 ) und R. LAKOFF ( 1 9 7 2 ) auseinandergesetzt. Da die Gesprächspostulate, wie sie von GORDON/LAKOFF vorgeschlagen wurden, bereits in 1.3. ausführlicher dargestellt wurden, wollen wir hier nur noch kurz den Versuch von R. LAKOFF vorstellen, mit dem sie die G R i O E s c h e n Maximen zu erweitern versuchte. Nach R. LAKOFF treffen die Kommunikationspartner folgende Annahmen über die Kommunikation: (39) Rule 1: What is being communicated is true. Rule 2: It is necessary to state what is being said: it is not known to other participants, or utterly obvious. Further, everything necessary for the hearer to understand the communication is present. Rule 3: Therefore, in the case of statements, the speaker assumes that the hearer will believe what he says (due to rule 1). Rule 4: With questions, the speaker assumes that he will get a reply. Rule 5: With orders, he assumes that the command will be obeyed. Nach diesem gedrängten Überblick, mit dem zugleich eine Reihe kritischer Einwände sowie Modifikationen vorgestellt wurden, die gegen GRICES Bedeutungsbegriff sowie gegen das Kooperationsprinzip erhoben wurden, wollen wir wieder zu GRICES Ausgangspunkt zurückkehren und noch einmal hervorheben, daß GRICE bei der Begründung seines Modellvorschlags davon ausgegangen war, daß das allgemeine Kooperationsprinzip sowie die Gesprächsmaximen von den Kommunikationspartnern normalerweise befolgt werden. GRICE schließt dabei jedoch nicht aus, daß es durchaus zu Verletzungen der einzelnen Maximen wie auch des Kooperationsprinzips kommen kann. Werden einzelne Maximen verletzt, kann es dafür unterschiedliche Gründe geben. So kann ein Sprecher grundsätzlich nicht zur {Cooperation bereit sein oder sich damit einverstanden erklären, das Gespräch fortzuführen, er kann aber auch die Maximen ignorieren, um seine Gesprächspartner zu ignorieren. Schließlich ist für GRICE auch jener Fall denkbar, daß der Sprecher bewußt irreführen oder täuschen will; er kann
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aber auch seinem Gesprächspartner etwas nahelegen wollen, was dadurch erreicht werden kann, daß der Hörer annimmt, daß der Sprecher die Maximen auf einer anderen, nicht wörtlichen Ebene einhält. Es ist also nach G R I C E sehr wohl möglich, daß ein Sprecher mit seiner Äußerung etwas meint, das aus der Äußerung selbst nicht hervorgeht, das aber von den Kommunikationspartnern auf Grund der Annahme erschlossen werden kann, daß der Sprecher die Maximen befolgt, in der konkreten Kommunikationssituation etwas Sinnvolles, Relevantes und für die Kooperation Nützliches zum Ausdruck bringt. Aus der Tatsache, daß ein Sprecher etwas nicht wörtlich sagen kann, dabei aber die Maximen befolgt, leitet G R I C E den Begriff der sogenannten konversationellen Implikatur ab, den er wie folgt definiert: (40) Wenn jemand sagt, daß p (oder so tut, als würde er dies sagen), hat er konversationell impliziert, daß q, falls gilt: (1) der Sprecher beachtet die Kooperationsmaximen, mindestens aber das Kooperationsprinzip; (2) die Annahme (1) ist mit dem Umstand, daß der Sprecher sagt, daß p (oder so tut, als würde er dies sagen, oder es gerade mit diesen Worten tut), nur in Einklang zu bringen, wenn der Sprecher sich bewußt ist oder denkt, daß q\ (3) der Sprecher denkt (und erwartet vom Hörer, daß dieser denkt, der Sprecher denke so), daß es in der Kompetenz des Hörers liegt, auszuarbeiten oder zumindest intuitiv zu erfassen, daß die Annahme (2) erforderlich ist. Eine konversationelle Implikatur ist der schließende Vorgang des Hörers, eine Interpretation für die Äußerung des Sprechers zu finden, durch die der Verdacht auf Regelwidrigkeit ausgeräumt wird. Das übergeordnete Prinzip der Zusammenarbeit ist nach G R I C E gewöhnlich so stark, daß bei einer Verletzung einer Gesprächsmaxime durch den Sprecher beim Hörer ein Mechanismus in Aktion tritt, durch den der Hörer versucht, für die Äußerung eine Interpretation zu finden. Dem Hörer kommt es somit zu, eine konversationelle Implikatur auszuführen. Für die Ausführung einer konversationellen Implikatur ergibt sich folgendes allgemeine Schema: (41) Der Sprecher hat gesagt, daß p; es gibt keinen Grund anzunehmen, daß er die Maximen oder wenigstens das Kooperationsprinzip nicht beachtet; er könnte dies nicht tun, außer er dachte, daß q, er weiß (und weiß, daß ich es weiß, daß er weiß), daß ich sehen kann, daß die Annahme, er denke, daß q, notwendig ist; er hat nichts getan, um mich davon abzuhalten zu denken, daß q\ deshalb hat er die Absicht, ich solle denken, daß q, oder mindestens ist er bereit, mir zu denken zu erlauben, daß q\ folglich hat er impliziert, daß q.
200 G R I C E (1968a, Lecture II, 4 und 1975: Implikatur an folgendem Beispiel:
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verdeutlicht die konversationeile
(42) Suppose that A and B are talking about a mutual friend, C, who is now working in a bank. A asks B how C is getting on his job, and B replies, Oh quite well, I think; he likes his colleagues, and he hasn't been to prison yet. Unter den entsprechenden Gesprächsumständen löst dieses Beispiel folgenden schließenden Prozeß des Hörers aus (vgl. G R I C E 1968 a, Lecture II, 13 und 1975: 50): (43) (1) B has apparantly violated the maxim ,Be relevant' and so may be regarded as having flouted one of the maxims conjoining perspicuity; yet I have no reason to suppose that he is opting out from the operation of the CP; (2) given the circumstances, I can regard his irrelevance as only apparent if, and only if, I suppose him to think that C is potentially dishonest; (3) B knows that I am capable of working out step (2). So B implicates that C is potentially dishonest. Konversationelle Implikaturen sind von der Beachtung der wörtlichen Bedeutung, dem Prinzip der Zusammenarbeit und den Gesprächsmaximen abhängig, sie sind ferner abhängig von der konkreten Gesprächssituation sowie von den gemeinsamen Annahmen und dem gemeinsamen Wissen, die Sprecher und Hörer machen bzw. über das sie verfügen. Da konversationelle Implikaturen, nicht Teil der wörtlichen konventionellen Bedeutung sind, lassen sie sich weder vorhersagen noch sind sie die einzig möglichen Interpretationen einer Äußerung. Die konversationeile Implikatur, d. h. das schließende Verfahren seitens des Hörers sowie dessen Resultat ist von den konventionellen Implikaturen zu unterscheiden, bei denen es sich nach G R I C E um Schlußfolgerungen handelt, zu denen sich der Sprecher verpflichtet, denen er ferner nicht widersprechen kann und deren Erkennen nicht davon abhängt, daß eine Verletzung des Kooperationsprinzips unterstellt werden kann. Konventionelle Implikaturen gehören aber ebenso wie die konversationeilen Implikaturen nicht zur wörtlichen Bedeutung eines Lexems, werden aber als Folge des Gebrauchs dieses Lexems erschlossen. G R I C E (1968 a, Lecture II, 6 und 1975: 44ff.) gibt dafür folgendes Beispiel: (44) If I say (smugly), He is an Englishman-, he is, therefore brave, I have certainly committed myself, by virtue of the meaning of the words, to its being the case that this being brave is a consequence of (follows from) his being an Englishman. But . . . I do not want to say that I have SAID (in the favored sense) that it follows from his being an Englishman that he is brave, though I have certainly indicated, and so implicated, that this is so.
Semantik u n d Sprechakttheorie
201
hat mit seinem Modellvorschlag erstmals die Gemeinsankeiten der Voraussetzungen charakterisiert, die Sprecher und Hörer treffen, bevor das relevante sprachliche Handeln abläuft. Präsuppositionen, Annahmen und Erwartungen gehören zur Vorgeschichte einer sprachlichen Äußerung, Implikaturen, Mitverstandenes fallen in den Bereich der Nachgeschichte. Die von G R I C E formulierten Implikaturen beziehen sich — wie bereits gezeigt wurde — auf Äußerungen, deren kommunikativer Sinn nicht aus der konventionellen Bedeutung der sprachlichen Äußerung rekonstruiert werden kann. Sie setzen voraus, daß alle Kommunikationsteilnehmer über gemeinsame Präferenzen, d. h. Maximen verfügen. Die Frage, welchen Status die einzelnen Maximen haben, ob sie Konventionen oder allgemeine kommunikative Präferenzen darstellen, wird von G R I C E nicht eindeutig beantwortet. Aus G R I C E (1975: 48) kann gefolgert werden, daß er eher zu einer präferentiellen Bestimmung der Maximen neigt als zu einer konventionellen: „I am however enough of a rationalist to want to find a basis which underlies these facts, undeniable though they may be; I would like to be able to think of the standard type of conversational practice not merely as something which all or most do in fact follow, but as something which it is reasonable for us to follow, which we should not abandon". Dies würde nichts anderes bedeuten, als daß sich die Maximen aus der Präferenz ableiten, vernünftig zu handeln. Da aber die Praxis vernünftigen Handelns sich auf Koordination bzw. Kooperation richtet, werden dadurch Konventionen erforderlich. GRICE
GRICES Maximen bleiben sehr allgemein, sie sagen nichts darüber aus, unter welchen Bedingungen — außer den sehr allgemeinen, in den Maximen formulierten — eine sprachliche Handlung in einer sprachlichen Gemeinschaft als vernünftig zu gelten hat. G R I C E hat dieses Problem offenbar völlig außer acht gelassen oder bewußt ausgeschlossen. Ihm scheint es allein darum zu gehen, allgemeine Voraussetzungen zu formulieren wie Wahrheit, Relevanz, Informationsgehalt u. a., die in der Kommunikation eine bestimmte Rolle spielen. In der Frage, daß in kommunikativen Handlungen bestimmte präferentielle Prinzipien zur Anwendung kommen, ist G R I C E nicht zu widersprechen, da aber Kommunikation nicht etwas Naturhaftes ist, sondern stets Kommunikation zwischen Menschen einer bestimmten Gemeinschaft, reicht es nicht aus, diese Prinzipien nur unter diesen allgemeinen Gesichtspunkten zu charakterisieren und als eine Art anthropologische Konstante zu fassen, sondern stets auch unter dem Aspekt, welche Rolle diese Prinzipien in jeweils speziellen Kommunikationszusammenhängen in einer konkreten Gesellschaft spielen.
Von anderen Voraussetzungen ausgehend sind in den letzten Jahren zahlreiche Forschungsansätze entwickelt worden, die in ihrem Herangehen dem GRiCEschen Vorschlag der konversationeilen Implikatur sehr ähnlich sind. Von diesen Forschungsansätzen sind vor allem DUCROTS ( 1 9 7 2 ) Konzept des Mitverstandenen („Sous-entendus"), G E I S ' und ZWICKYS ( 1 9 7 1 ) suggerierte Schlußfolgerungen (invi-
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ted inferences), SEARLES ( 1 9 7 5 a) Inferenzprozeduren sowie K ATZ' ( 1 9 7 7 ) allgemeine Pragmatikfunktion zu nennen, die ebenso wie die GRiCEschen Implikaturen vom Hörer mit Hilfe eines Schlusses erkannt werden, der suggeriert wird. Der Rahmen dieser Arbeit erlaubt es nicht, diese Vorschläge hier im einzelnen zu charakterisieren, bestimmte Aspekte dieser Forschungsansätze werden jedoch bei der Behandlung der sogenannten indirekten Sprechakte in 2.5. wieder aufgegriffen.
2.4. Bedeutung und illokutive Rolle Nach der eingehenden Erörterung zentraler Begriffe, die im Mittelpunkt der bedeutungstheoretischen Diskussion in der Sprachphilosophie und Linguistik standen, wollen wir nun zu der Frage nach dem Zusammenhang von Bedeutung und illokutiver Rolle bzw. Funktion zurückkehren und zu zeigen versuchen, welche unterschiedlichen Wege bezüglich der Explikation des Zusammenhangs von wörtlicher Bedeutung und Äußerungsbedeutung seit AUSTIN eingeschlagen wurden. AUSTIN hat in seiner Theorie der Sprechakte darauf hingewiesen, daß ein Sprecher, der eine Äußerung produziert, bestimmte Handlungen ausführt. Die einzelnen Akte, die ein Sprecher dabei vollzieht, wurden bereits in 2.2. ausführlich charakterisiert. Die Diskussion, die sich in der Folgezeit um AUSTINS Sprechakttheorie entwickelte, konzentrierte sich im wesentlichen auf zwei Probleme: auf die Unterscheidung zwischen Bedeutung und illokutiver Rolle einer Äußerung sowie auf die Differenzierung performativer und konstativer Äußerungen. Wir betrachten im folgenden zunächst das erstgenannte Problem, über dessen Diskussion in der Sprachphilosophie der 60er Jahre bereits COOPER ( 1 9 7 2 ) eine erste Bilanz gezogen hat. COOPER hat in seiner Bestandsaufnahme festgestellt, daß es bezüglich der Frage, ob die Bedeutung von Sätzen mit Bezug auf den illokutiven Akt beschrieben und erklärt werden kann, folgende Psotionen vertreten wurden: (1) Es gibt illokutive Akte und Bedeutung kann mit Bezugnahme auf sie beschrieben werden (ALSTON 1963). (2) Es gibt illokutive Akte, aber jeder Versuch, Bedeutung mit Bezugnahme auf sie beschreiben zu wollen, führt zu einem Zirkel (HOLDCROFT 1964). (3) Es gibt illokutive Akte, sie sind aber von der Bedeutung einer Äußerung grundsätzlich verschieden, weshalb sie für eine Bedeutungserklärung offenbar auch nicht in Betracht kommen (AUSTIN 1975). (4) Es gibt keine illokutiven Akte, Bedeutung kann daher auch nicht mit Bezug auf sie beschrieben werden (COHEN 1964). GREWENDORF (1976: 108) hat die Frage umgekehrt, woraus sich mindestens drei unterschiedliche Auffassungen ergeben:
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203
(5) Welche illokutive Rolle eine Äußerung hat, hängt unter anderem davon ab, welche Bedeutung sie hat (AUSTIN 1 9 6 2 ) . (6) Welche illokutive Rolle eine Äußerung hat, hängt allein davon ab, welche Bedeutung sie hat (SEARLE 1 9 6 8 / 1 9 7 3 ) . (7) Es gibt keinen Aspekt von Äußerungen, der sich im Unterschied zu ihrer Bedeutung als illokutive Rolle bezeichnen ließe (COHEN 1964). Es ist relativ schwierig, aus den einzelnen Arbeiten die Ursachen zu rekonstruieren, die die Diskussion gerade auf dieses Problem von AUSTINS Sprechakttheorie konzentrierten, zumal AUSTINS Position in dieser Frage klar bestimmt und im grundsätzlichen kaum kritikwürdig erscheint. Möglicherweise resultieren die unterschiedlichen Standpunkte aus einer unterschiedlichen Bestimmung der zentralen Begriffe .Bedeutung' und „illokutive Rolle'. COOPER ist daher geneigt, terminologische Unschärfen und Unklarheiten als den Hauptgrund für die oben angeführten divergierenden Auffassungen anzusehen. Die weiteren Ausführungen werden zeigen, daß dieses Argument zwar durchaus einschlägig ist, daß es aber allein nicht ausreicht, die Ursachen für die inkompatiblen Standpunkte zu erklären. Ein nicht unwesentlicher Grund für die unterschiedlichen Standpunkte ist auch darin zu sehen, daß bei den einzelnen Rezeptionsversuchen der Sprachphilosophie zahlreiche Fehlinterpretationen zentraler Positionen AUSTINS unterlaufen sind. Unklarheit und Uneinigkeit über das Verhältnis von Bedeutung und illokutiver Funktion innerhalb der Linguistik haben demgegenüber ihre Ursache vor allem darin, daß an dem engen wahrheitsfunktionalen Bedeutungsbegriff konsequent festgehalten wurde, mit dem zugleich in Anlehnung an HARMAN, DAVIDSON u. a. die Behauptung vertreten wurde, daß es keinen wesentlichen Unterschied zwischen den natürlichen Sprachen und den künstlichen Sprachen der Logik gäbe. Das bedeutet nichts anderes, als daß die Semantiktheorien, die innerhalb der Logik für formale Sprachen entwickelt wurden, in angemessener Weise auf natürliche Sprachen übertragen werden können. Um den Ausgangspunkt der Diskussion noch einmal deutlich zu machen, ist es zweckmäßig, AUSTINS Grundthese, Sprechen bedeutet Handeln, durch die der wahrheitsfunktionale Bedeutungsansatz entscheidend in Frage gestellt wurde, hier noch einmal thesenartig vorzustellen. AUSTIN geht davon aus, daß jemand, der etwas sagt, mehrere zusammengehörige Akte ausführt. Ohne auf Einzelheiten hier näher einzugehen, kann dieser Prozeß folgendermaßen beschrieben werden. Wer etwas sagt, muß (a) gewisse Geräusche äußern, d. h. einen phonetischen Akt vollziehen. AUSTIN nennt das, was ein Sprecher äußert, Phon; (b) gewisse Wörter in einer bestimmten Konstruktion äußern, die zu einem bestimmten Lexikon bzw. zu einer bestimmten Grammatik gehören. Diese grammatische Konstruktion muß ferner mit einer bestimmten Intonation ge-
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D . Viehweger
äußert werden. Diesen Akt nennt A U S T I N phatischen Akt, das, was dabei geäußert wird, bezeichnet A U S T I N als Phem; (c) im allgemeinen eine Handlung vollziehen, mit der das Phem oder seine Bestandteile so benutzt werden, daß mehr oder weniger genau festliegt, wovon die Rede ist (Referenz) und mehr oder genau festliegt, was darüber gesagt wird (Sinn). Liegt beides fest, so liegt auch die Bedeutung (meaning) fest. Diese Handlung nennt A U S T I N den rhetischen Akt, das, was der Sprecher damit äußert, ist das Rhem. A U S T I N präzisiert seine Definition des rhetischen Akts durch die Angabe, daß über etwas sprechen und etwas darüber sagen untergeordnete Handlungen im Vollzug des rhetischen Akts sind. Im allgemeinen kann kein rhetischer Akt vollzogen werden, ohne über etwas zu sprechen, ohne etwas damit zu nennen. Das Phem ist eine Einheit der Sprache, des Systems, sein typischer Fehler ist nach A U S T I N , vage, leer und unklar zu sein. Mit einem Phem kann man nach A U S T I N unterschiedliche rhetische Akte vollziehen. Pheme haben somit ein bestimmtes rhetisches Aktpotential. Daß ein sinnvoller sprachlicher Ausdruck Bedeutung hat, ist für A U S T I N gleichbedeutend mit der Tatsache, daß ein Sprecher mit ihm illokutive Akte vollziehen kann. Welcher illokutive Akt in einer konkreten Situation mit der Äußerung vollzogen wird, hängt von den Umständen ab, mit anderen Worten, welche illokutive Rolle des illokutiven Aktpotentials in einer konkreten Situation aktualisiert wird, ist durch die Umstände der Äußerungssituation bestimmt. Aus dieser gedrängten Darlegung wird ersichtlich, daß A U S T I N — wie oben bereits gezeigt wurde — einen Zusammenhang zwischen, der Bedeutung und der illokutiven Rolle annimmt. Neben H A R E ( 1 9 7 0 ) , der AUSTINS Annahme kritisierte, daß die illokutive Rolle einer Äußerung etwas von deren Bedeutung Verschiedenes sei, haben vor allem C O H E N ( 1 9 7 0 , 1 9 7 3 ) und SEARLE ( 1 9 6 8 / 1 9 7 3 ) grundsätzliche Vorbehalte gegen A U S T I N S Lokutiv-Illokutiv-Unterscheidung angemeldet und den Versuch unternommen, diese Unterscheidung aufzugeben. SEARLES Hauptargument stützt sich auf die Behauptung, daß Bedeutung und illokutive Rolle in einer Äußerung nicht sinnvoll auseinander gehalten werden können, da der zur Bedeutung und damit zum thematischen Akt A U S T I N S gehörende Modus eines Satzes bereits Determinanten der illokutiven Rolle enthalte. Ähnliche Argumente führt auch H A R E ( 1 9 7 0 ) an, dessen Einwand gegen A U S T I N darauf hinausläuft, daß man im lokutiven Akt nicht etwas sagen kann, ohne dies gleichzeitig in einem bestimmten Modus zu tun, was notwendigerweise in folgendes Dilemma führe: entweder ist der Modus Bestandteil des Sinns einer Äußerung und damit zugleich Bestandteil des rhematischen und lokutiven Akts, so daß der Sinn einer Äußerung zumindest Teile ihrer illokutiven Rolle umfaßt, oder aber die illokutive Rolle gehört nicht zum Sinn der Äußerung, was aber nach H A R E eine unvollständige Äußerung zur Folge hat.
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Die Argumente, mit denen gezeigt werden soll, daß AUSTINS Unterscheidung im Prinzip leer sei, sind in mehrfacher Hinsicht wenig überzeugend. Einerseits stützen sie sich vorwiegend auf explizite performative Formeln und verkennen damit, daß in denjenigen Fällen, in denen diese fehlen, die Bedeutung des Satzes durchaus nicht einfach an der Äußerung ablesbar ist. Andererseits stellen sie damit in Abrede, daß für die Untersuchung der illokutiven Rolle wesentlich mehr als nur die Bedeutung eines Satzes zu berücksichtigen ist, nämlich die Umstände, unter denen illokutive Akte vollzogen werden. AUSTIN hat mehrfach auf diesen Fakt hingewiesen und die Rolle der Umstände, unter denen illokutive Akte ausgeführt werden, hervorgehoben. AUSTIN hat auch klar zwischen der phematischen Bedeutung (Bedeutung in Isolierung, Systembedeutung, wörtliche Bedeutung) und der rhematischen Bedeutung (Bedeutung eines Ausdrucks in einer bestimmten Verwendung, Situationsbedeutung) unterschieden. Die von uns gegen SEARLE, COHEN und HARE vorgebrachte Kritik teilt auch WARNOCK ( 1 9 7 1 ) , der SEARLES Schluß, die AusTiNsche Distinktion auf Grund der Modi aufzugeben, als Fehlschluß zurückweist. In dieselbe Richtung zielt auch die Kritik THAUS (1972), in der als Einwand gegen SEARLE zahlreiche Beispiele für geglückte rhetische und nicht geglückte illokutive Akte angeführt werden. GREWENDORF ( 1 9 7 6 : 1 1 3 ) faßt die bisher zu AUSTINS Unterscheidung von lokutivem und illokutivem Akt geäußerte Kritik treffend zusammen. Nach GREWENDORF kranken alle diese Einwände an einer Nichtunterscheidung zwischen phematischer und Thematischer Bedeutung. Ferner wird aus dem Nachweis, daß die phematische Bedeutung von Ausdrücken die mit diesen vollziehbaren illokutiven Akte determiniere, der falsche Schluß gezogen, daß eine sinnvolle Unterscheidung zwischen phematischer und Thematischer Bedeutung nicht möglich sei. Bei keinem der Kritiker AUSTINS findet sich — obwohl es deren erklärtes Ziel war — eine detaillierte Analyse des Zusammenhangs zwischen der rhematischen Bedeutung und der illokutiven Rolle einer in einer konkreten Situation vollzogenen Sprechhandlung. Aber auch in den Fällen, in denen SEARLE, COHEN U. a. der Nachweis eines solchen Zusammenhangs möglich gewesen wäre, hätte dieser die prinzipielle Berechtigung der AUSTINschen Unterscheidung nicht untergraben, da der illokutive Akt, den man mit einer Äußerung vollzieht, nicht nur von der rhematischen Bedeutung abhängt, sondern in entscheidendem Maße auch von den Umständen. Da diese aber bei SEARLE u. a. unberücksichtigt bleiben, muß es notwendigerweise zu Fehlschlüssen dieser Art kommen.
Äußerungen. 2.5. Konstative vs. performative Explizit performative und primär performative
Äußerungen
Der lange Zeit in der Sprachphilosophie dominierende Standpunkt, das „Geschäft von .Festlegungen' oder .Aussagen' sei einzig und allein, einen Sachverhalt
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zu beschreiben oder eine Tatsache zu behaupten, und zwar entweder zutreffend oder unzutreffend" (AUSTIN 1975: 23), ist durch AUSTINS exakte Beobachtungen in seinen Fundamenten erschüttert worden. AUSTIN setzte dem sogenannten „deskriptiven Fehlschluß" die Tatsache entgegen, daß es Äußerungen gibt, die ihrer grammatischen Form nach zwar Tatsachenfeststellungen sind, die aber nicht etwas beschreiben, behaupten oder berichten und auch nicht wahr oder falsch sind, sondern den Vollzug einer Handlung darstellen. Als Beispiele führt AUSTIN folgende Belege an: (45) Ich mit (46) Ich (47) Ich
taufe dieses Schiff auf den Namen , Queen Elizabeth'' (als Äußerung, die dem Wurf der Flasche gegen den Schiffsrumpf ausgeführt wird) vermache meine Antiquitäten meinem Bruder (als Teil eines Testaments) wette 100 Mark, daß es morgen regnet
Nach AUSTIN kann man davon sprechen, daß ein Sprecher mit diesen Äußerungen unter den gegebenen Umständen etwas Bestimmtes tut, wobei klar ist, daß er damit nicht beschreibt, was er tut oder feststellt, daß er es tut; den Satz äußern heißt, es ,tun' (vgl. AUSTIN 1975: 27). Äußerungen wie (45)—(47) werden im Gegensatz zu den sachverhaltsbeschreibenden konstativen Äußerungen performative Äußerungen bzw. performative Sätze genannt. Dieser Typ von Äußerungen zeichnet sich nach AUSTIN durch zwei wesentliche Merkmale aus: (a) sie stellen den Vollzug einer Handlung dar (b) sie sind weder wahr noch falsch. Performative Äußerungen weisen darüber hinaus folgende charakteristische Struktur auf: (48) 1. Person — Präsens — 2. Person — (hiermit), daß + S. Möglich sind auch verkürzte Strukturen wie (49) Es wird gebeten, ab 22 Uhr sich leise zu verhalten (50) Es ist verboten, während der Filmvorführung zu rauchen Performative Äußerungen werden von AUSTIN in Abhängigkeit davon, ob die sprachliche Handlung, die ein Sprecher mit der Äußerung eines Satzes vollzieht, expliziert wird oder nicht, weiter untergliedert in die sogenannten explizit performativen Äußerungen und in die primitiv bzw. primär performativen Äußerungen. Explizit performative Äußerungen sind Äußerungen, in denen durch das Vorkommen eines performativen Verbs deutlich gemacht wird, welche Handlung der Sprecher mit der Äußerung ausführt. Charakteristisch ist für diesen Typ von Äußerungen, daß sie alle mit einem eindeutigen Ausdruck beginnen, mit einem sogenannten explizit performativen Vorwort (explicit performative perface), dessen Funktion darin besteht „to communicate something, about what one is say-
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ing — specifically, to make it clear what one is doing in saying what he is saying and in that way to remove any possible ambiguity as to force" (STAMPE 1 9 7 3 : 2 ) .
Entsprechend den Umständen kann ein Sprecher jedoch eine Äußerung mit demselben Ergebnis benutzen, ohne dabei auf explizite performative Formeln zurückzugreifen. Die Äußerung (51) Gehen Sie abends nicht allein durch den Park kann in Abhängigkeit von den Umständen die gleiche Funktion erfüllen wie (52) Ich rate Ihnen, abends nicht allein durch den Park zu gehen oder (53) Ich warne Sie, abends allein durch den Park zu gehen Nach AUSTIN ist im wesentlichen aus den Umständen zu entnehmen, ob eine Äußerung wie (51) als ein Rat oder eine Warnung zu verstehen ist. Vielfach geben nicht einmal die Umstände etwas für die Entscheidung her, wie die Äußerung überhaupt zu interpretieren ist. Äußerungen dieser Art nennt AUSTIN primitive bzw. primär performative Äußerungen. Die Unterscheidung zwischen explizit performativen und primär performativen Äußerungen verbindet AUSTIN mit der Behauptung, daß die explizit performativen Äußerungen sich mit dem Fortschritt von Sprache und Gesellschaft aus den primär performativen Äußerungen entwikkelt haben. AUSTIN übersieht jedoch dabei, daß in konkreten Kommunikationssituationen der Gebrauch expliziter performativer Äußerungen einen Spezialfall darstellt, da Äußerungen wie (52) und (53) offenbar nur dann gebraucht werden, wenn der Sprecher seiner Sprachhandlung besonderen Nachdruck verleihen will. Mit den bisherigen Ausführungen wurde nur der allgemeine Rahmen formuliert, in den AUSTIN seine Performativ-Konstantiv-Unterscheidung gestellt hat. Um performative und konstative Äußerungen voneinander abgrenzen zu können, sind nach AUSTIN weitere Differenzierungskriterien erforderlich. 13 Es wurde bereits 13
HARE (1971
1 0 2 f f ) sieht in der Performativ-Konstativ-Unterscheidung AUSTINS zwei wesent-
liche Fehler (1) die Performativ-Konstativ-Distinktion wurde durch die falsche Kontrastierung von „saying something" und „doing something" eingeführt, (2) bei AUSTIN handelt es sich genau genommen nicht um eine Unterscheidung, sondern um zwei, die miteinander vermischt worden sind (a) die Unterscheidung zwischen verschiedenen lllokutiven Akten, die wir ausführen, wenn wir etwas sagen (z. B. Bitten, Befehlen, Fragen) (b) die Unterscheidung zwischen primär performativen und explizit performativen Verben, d h. die Unterscheidung zwischen zwei unterschiedlichen Arten, dasselbe zu tun.
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an mehreren Stellen darauf hingewiesen, daß konstative Äußerungen im Gegensatz zu den performativen Äußerungen Träger von Wahrheitswerten sind und somit entweder wahr oder falsch sein können. Als relevante Bewertungsinstanz für performative Äußerungen werden nicht die Wahrheitsbedingungen angesehen, sondern die Bedingungen des Glückens (Gelingens) oder Verunglückens (Scheiterns). Die von AUSTIN getroffene Unterscheidung zwischen performativen und konstativen Äußerungen kann auf folgende einfache Formel gebracht werden: konstative Äußerungen beschreiben den Sprechakt, performative Äußerungen hingegen stellen Sprechakte dar, mit denen gleichzeitig die entsprechende Handlung ausgeführt wird. N a c h dieser grundsätzlichen Unterscheidung erhebt sich nun die Frage, ob es bestimmte sprachliche Indikatoren, d. h. bestimmte grammatische und lexikalische Mittel gibt, die den beiden Äußerungstypen eigen sind und es somit ermöglichen, die Unterscheidung zwischen performativen und konstativen Äußerungen auf ein sicheres, empirisch überprüfbares Fundament zu stellen. Als entscheidendes Differenzierungskriterium sieht AUSTIN den bereits oben dargestellten expliziten performativen Rahmen an, d. h. das performative Verb in der 1. Person Präsens Singular Indikativ Aktiv. (54) Ich verspreche dir, daß ich morgen ins Institut
komme (performative (55) Ich versprach dir, morgen ins Institut zu kommen (konstative (56) Peter versprach ihr, morgen ins Institut zu kommen (konstative (57) Peter verspricht ihr, morgen ins Institut zu kommen (konstative
Äußerung) Äußerung) Äußerung) Äußerung)
Neben der expliziten performativen Formel, die von AUSTIN als letztes und erfolgreichstes Sprachmittel zum Ausdruck sprachlicher Handlungen angesehen wird, können auch Modus, Betonung, Adverbien und adverbiale Bestimmungen sowie Konjunktionen zur Differenzierung zwischen performativen und konstativen Äußerungen dienen. Die Liste dieser Mittel wird von AUSTIN noch durch das begleitende Verhalten des Sprechers (Gesten) und die Umstände der Äußerungssituation ergänzt. AUSTIN räumt dabei zwar ein, daß die Funktion dieser Mittel nicht eindeutig festgelegt ist, wodurch es zu Mehrdeutigkeiten und zum Verwischen von Unterscheidungen kommen kann, überschätzt aber die Funktion der expliziten performativen Formeln, indem er diesen die Eigenschaft zuschreibt, daß sie Mehrdeutigkeiten ausschließen und einigermaßen exakt festlegen, was mit dem sprachlichen Handeln getan wird. Neben den grammatischen Mitteln sind weitere Bedingungen für performative Äußerungen anzugeben, die AUSTIN in seiner Theorie der Unglücksfalle, d. h. des Scheiterns von Sprechhandlungen zu systematisieren versucht. U m eine per-
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formative Äußerung erfolgreich ausführen zu können, müssen nach AUSTIN (1975: 35) folgende Bedingungen als notwendige Bedingungen erfüllt sein: A 1: Es muß ein übliches konventionelles Verfahren mit einem bestimmten konventionellen Ergebnis geben, d. h., es muß eine Konvention existieren, auf deren Grundlage ein Sprecher mit der Äußerung bestimmter Wörter eine bestimmte Handlung ausführen kann. A 2: Die Umstände müssen so sein, daß sie zur Berufung auf eine entsprechende Konvention berechtigen. B 1: Alle Beteiligten müssen das Verfahren korrekt durchführen. B 2: Alle Beteiligten müssen das Verfahren vollständig durchführen, r 1: Wenn, wie oft, das Verfahren für Leute gedacht ist, die bestimmte Meinungen oder Gefühle haben, oder wenn es der Festlegung einer der Teilnehmer auf ein bestimmtes späteres Verhalten dient, dann muß derjenige, der am Verfahren teilnimmt und sich so darauf beruft, diese Meinungen und Gefühle auch wirklich haben, und die Teilnehmer müssen die Absicht haben, sich so und nicht anders zu verhalten. F 2: und sie müssen sich dann auch so verhalten. T 1 und T 2 besagen, daß performative Äußerungen, die bestimmte Gefühle, Absichten oder Einstellungen einschließen, als solche beim Sprecher auch vorhanden sein müssen bzw. daß durch performative Äußerungen, die bestimmte Verhaltenserwartungen hervorrufen, das Konsequenzverhalten auch tatsächlich realisiert wird. „Sündigt ein Sprecher" gegen eine oder mehrere dieser sechs Regeln, dann ist seine performative Äußerung in der einen oder anderen Weise verunglückt. Zwischen den einzelnen Regeln sieht AUSTIN fundamentale Unterschiede. Verstößt ein Sprecher beispielsweise gegen eine der A- und B-Regeln, d. h., benutzt der Sprecher eine explizit performative Formel fehlerhaft, dann wird die Handlung überhaupt nicht erfolgreich vollzogen, sie kommt nicht zustande. Unglücksfalle dieser Art, d. h. Fälle, in denen die Handlung nicht vollendet wird, nennt AUSTIN „Versager" (misfires). Verstößt ein Sprecher gegen eine der beiden T-Regeln, so kommt die Handlung zwar dennoch zustande, wenngleich der Handlungsvollzug unter solchen Umständen — wenn wir beispielsweise unehrlich sind — einen Mißbrauch des Verfahrens darstellt. Verstöße dieser Art bezeichnet AUSTIN als Mißbräuche (abuses). Neben dem grundlegenden Unterschied zwischen den A- und B-Fällen auf der einen Seite und den T-Fällen auf der anderen sind die Versager weiter zu differenzieren. Die beiden A-Fälle sind nach AUSTIN „Fehlberufungen" (misinvocations) auf ein Verfahren, das es entweder nicht gibt, das nicht so angewendet werden kann, wie es versucht wird. Den zuletztgenannten Fall bezeichnet AUSTIN als Fehlanwendungen eines Verfahrens (misapplications). Versager bezüglich der B-Fälle resultieren daraus, daß es das Verfahren zwar gibt und dieses durchaus auch anwendbar ist, daß aber die ausgeführte Handlung dadurch „ver14
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dorben" wird. AUSTIN nennt diese Art von Versagern „Fehlausführungen" (misexecutions), die wiederum in „Trübungen" (flaws) und „Lücken" (hitches) unterteilt werden. Da AUSTIN im Ansch/uß an seine Theorie der Unglücksfalle die bisher dargestellten Überlegungen grundsätzlich revidiert, ist es zweckmäßig, die bisher diskutierten Kriterien zur Unterscheidung zwischen konstativen und performativen Äußerungen noch einmal zusammenzufassen. Nach AUSTIN lassen sich alle Äußerungen zwei Grundklassen zuordnen: (1) der Klasse der konstativen Äußerungen und (2) der Klasse der performativen Äußerungen. Für (1) gilt, daß diese Äußerungen keine Handlungen sind und somit auch keinen Glückensbedingungen unterliegen; konstative Äußerungen sind wahr oder falsch und stehen somit mit der Wirklichkeit in einem systematischen Zusammenhang; schließlich werden diese Äußerungen — wie bereits gezeigt wurde — durch bestimmte grammatische Mittel realisiert. Die wesentlichen Kriterien für (2) sind, daß Äußerungen dieses Typs als explizite Handlungsausdrücke fungieren und daher keine Wahrheitswerte tragen; auf Grund dieser Eigenschaften können sie glücken oder scheitern; für diese Äußerungsklasse gibt es zahlreiche grammatische und lexikalische Mittel, die den Charakter dieser Äußerung signalisieren. AUSTIN bringt die von ihm eingeführte und durch zahlreiche empirische Evidenzen belegte Differenzierung zwischen konstativen und performativen Äußerungen am Schluß seines Buches selbst zu Fall. Er begründet diesen Schritt damit, daß die zur Differenzierung herangezogenen Merkmale nicht tragfähig seien, so daß die Dichotomie aufgegeben und letztlich ein völlig neuer Ansatz zu einer Theorie der Sprechakte entwickelt werden muß. AUSTIN weist daraufhin, daß auch konstative Äußerungen Handlungscharakter besitzen und performative Äußerungen einen Wirklichkeitsbezug haben. Der apriorische Ausschluß konstativer Äußerungen aus dem Bereich der Sprechhandlungen war von Anfang an ein dubioser Gedanke, denn wenn Sprache als Form menschlichen Handelns verstanden wird, dann gibt es keine Rechtfertigung, den Handlungsbegriff nur für eine bestimmte Äußerungsklasse zu reservieren. AUSTIN hätte das Dilemma, in das ihn seine Unterscheidung geführt hat, vermeiden können, wenn er sein Grundkonzept, Sprechen bedeutet Handeln, von vornherein grundsätzlich auf alle sprachlichen Äußerungen bezogen hätte. Es ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß AUSTIN die Revision seines Forschungsansatzes nicht mit diesem grundsätzlichen Argument motiviert, sondern mit einer Reihe von Einzelbeobachtungen, die an konstativen bzw. performativen Äußerungen gemacht wurden. Einige dieser Beobachtungen wollen wir kurz zusammenfassen. Wenn ein Sprecher den Satz (58) Die Katze ist auf der Matte äußert, aber nicht davon überzeugt ist, daß sich die Katze tatsächlich auf der
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Matte befindet, kommt es zu einem Fehlschlag im Sinne einer Unredlichkeit ( r 1). Äußert ein Sprecher den Satz (59) Peters Frau besucht die Abendoberschule obwohl es gar nicht zutrifft, daß Peter verheiratet ist, kommt es zu einem Versager (A 2). AUSTIN glaubte ursprünglich postulieren zu können, daß jede performative Äußerung prinzipiell in eine explizit performative Äußerung umgeformt werden kann, woraus sich schließlich ein Katalog performativer Verben aufstellen lasse, der durch grammatische Kriterien eindeutig bestimmbar ist. Bei dieser Zielstellung wird jedoch übersehen, daß das Kriterium der 1. Person Singular Präsens Indikativ Aktiv für performative Äußerungen keineswegs wesentlich ist, vgl.: (60) Sie werden gebeten, am akademischen Festakt teilzunehmen. Auch liefert die Einführung von Adverbien wie „hiermit" kein verläßliches Kriterium, auf das sich die Performativ-Konstativ-Unterscheidung stützen kann. (61) Ich bitte dich hiermit, mir das Buch unbedingt zurückzugeben (62) Ich stelle hiermit fest, daß der Kandidat einstimmig gewählt wurde (63) Ich gebe dir hiermit deinen Ring zurück hat auch erkennen müssen, daß eine Äußerung selbst in der explizit performativen Formel nicht in jedem Falle eine eindeutige Interpretation zuläßt. So scheinen Äußerungen, die mit der Formel „Ich stelle fest, daß . . ." eingeleitet werden, unter formalen Aspekten den Bedingungen performativer Äußerungen zu genügen, doch werden mit diesen Äußerungen Feststellungen getroffen, die wahr oder falsch sein können. Die Liste von Beispielen, die AUSTIN ZU einer sukzessiven Revision seiner Ausgangsdichotomie geführt haben, könnte beliebig erweitert werden. Wir verzichten hier auf weitere Argumente und wollen vielmehr AUSTINS Überlegungen zu einer neuen Theorie der Sprechakte in vier Punkten zusammenzufassen versuchen. AUSTIN
(1) Es gibt letzten Endes nur „ein wirkliches Ding", um dessen Klärung sich eine neue Theorie der Sprechakte zu kümmern hat, das ist der gesamte Sprechakt in der gesamten Redesituation. (2) Feststellen und Behaupten haben keine einzigartige Stellung in der Sprechakttheorie, sie sind lediglich zwei Bezeichnungen unter anderen für illokutive Akte. (3) Nicht einzigartig ist die Stellung der beiden genannten Sprechhandlungen in ihrer Relation zu den Tatsachen, denn diese Relation besteht nicht in einer einheitlichen Beziehung „wahr oder falsch sein". Wahrheit und Falschheit sind keine Namen für Relationen, sondern für eine Dimension der Beurteilung. 14*
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(4) Neu zu formulieren ist auch die Unterscheidung zwischen lokutiven und illokutiven Akten, die nicht anhand einer Liste explizit performativer Verben, sondern auf der Grundlage einer Liste der illokutiven Rolle vorzunehmen ist ( v g l . AUSTIN 1 9 7 5 : 163 f.).
Aus AUSTINS grundsätzlicher Revision seiner Sprechakttheorie wird ersichtlich, daß er das deskriptivistische Vorurteil, das er anderswo scharf anprangerte, in seinem eigenen Modellvorschlag nicht völlig abgebaut hat. Auch gelang es ihm nicht, das Dichotomieprinzip, das er in zahlreichen konkreten Einzelfallen zu beseitigen versuchte, in seiner Zwei-Dimensionen-Theorie, die als Alternativvorschlag zu Bedeutungstheorien der Logik und Sprachphilosöphie entwickelt wurde, zu überwinden. Die Tatsache, daß AUSTIN die eingeführte Unterscheidung der Äußerungen in konstative und performative selbst aufgegeben hat, fand trotz der überzeugenden Argumente, die von mehreren Kritikern (HARE 1971, COHEN 1970) und von AUSTIN selbst dafür angeführt wurden, keine ungeteilte Zustimmung. So haben CHISHOLM ( 1 9 6 9 ) , BLACK ( 1 9 6 9 ) und WALKER ( 1 9 6 9 ) versucht, diese Unterscheidung aufrechtzuerhalten. 14 Auch WUNDERLICH ( 1 9 7 1 ) versucht die AusTiNsche Distinktion in einem anderen Theoriezusammenhang durch die Behauptung zu rekonstruieren, wenn er deutlich zu machen versucht, daß konstatierende Äußerungen von der Negation nicht affiziert würden, performative Äußerungen hingegen dadurch zu konstatierenden würden. Alle Rehabilitations- bzw. Rekonstruktionsversuche sind jedoch wenig überzeugend und formulieren — wie FORGUSON ( 1 9 6 6 ) gezeigt hat — keine Einwände, durch die AUSTINS destruktiver Standpunkt grundsätzlich erschüttert werden könnte. 2.6.
Propositionale
und illokutive
Indikatoren
AUSTINS grundlegender Fehler, die illokutive Funktion der expliziten performativen Formeln zu überschätzen und deren Erklärungspotential überzubewerten, setzt sich in zahlreichen Forschungsansätzen fort, die gegenüber AUSTIN zwar als neu erscheinen, sich bei näherem Hinsehen jedoch als Variationen der AusTiNschen Sprechakttheorie erweisen. Ein evidentes Beispiel dafür ist SEARLES semantische Theorie der Sprechakte, in der die semantischen Regeln für die Äußerung von Sätzen an die Stelle der sozialen Konventionen treten und als Erklärungsprinzip für das intersubjektive Verstehen sprachlicher Handlungen benutzt werden. SEARLE geht davon aus, daß nicht nur das Verstehen des in den Sprechhandlungen 14
Zu den zahlreichen Versuchen, die Konzeption der performativen und konstativen Äußerungen trotz der Einwände, die gegen diese erhoben wurden, zu rehabilitieren bzw. zu verb e s s e r n , g e h ö r e n a u c h d i e v o n WARNOCK ( 1 9 7 3 ) u n d KATZ ( 1 9 7 7 ) .
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kommunizierten propositionalen Gehalts, sondern auch das Verstehen der illokutiven Rolle durch das Verstehen der Bedeutung des Satzes gewährleistet wird. Ein solches Herangehen macht es erforderlich, die Lokutiv-Illokutiv-Unterscheidung A U S T I N S einer gründlichen Revision zu unterziehen und aus einem neuen Problemzusammenhang heraus zu entwickeln. SEARLE (1965/1974: 89) geht dabei von der empirischen Beobachtung aus, daß unterschiedliche illokutive Akte oft gemeinsame Züge aufweisen. Das wird deutlich in den Äußerungen folgender Sätze: (64) (65) (66) (67) (68)
Wird John den Raum verlassen ? John wird den Raum verlassen. John, verlaß den Raum! Ich wünsche, daß John den Raum verläßt. Wenn John den Raum verläßt, werde ich ihn auch verlassen.
Die Äußerungen der Sätze (64)—(68) bedeuten in entsprechenden kommunikativen Situationen den Vollzug unterschiedlicher illokutiver Akte. (64) ist charakteristisch für eine Frage, (65) für eine Behauptung über die Zukunft, d. h. für eine Vorhersage, (66) für eine Aufforderung bzw. einen Befehl, (67) für den Ausdruck eines Wunsches und (68) schließlich für den hypothetischen Ausdruck einer Absicht. Mit dem Vollzug jeder dieser Äußerungen wird der Sprecher nach SEARLE auch einige subsidiäre Akte vollziehen, die allen illokutiven Akten in (64)—(68) gemeinsam sind. So bezieht sich der Sprecher in jeder dieser Äußerungen auf eine bestimmte Person „John", der zugeschrieben wird, daß sie den Raum verläßt. Mit anderen Worten: in jedem der genannten Fälle sind die nichtillukutiven Akte der Referenz und Prädikation dieselben, obwohl die einzelnen illokutiven Akte verschieden sind. Die Referenz auf ein und dieselbe Person sowie die Prädikation derselben Sache über diese Person in jedem der illokutiven Akte veranlaßt SEARLE zu sagen, daß es in all diesen Äußerungen einen gemeinsamen Inhalt gibt, der durch das allen Äußerungen gemeinsame Merkmal „daß John den Raum verlassen wird" ausgedrückt werden kann. SEARLE bezeichnet diesen gemeinsamen Inhalt als Proposition, d. h., der Sprecher, der die Äußerungen (64)—(68) vollzieht, drückt damit die Proposition „daß John den Raum verlassen wird" aus. Auf Grund dieser Beobachtung führt SEARLE zwei Unterscheidungen ein: (a) die Unterscheidung zwischen dem illokutiven Akt und dem propositionalen Gehalt eines illokutiven Akts (b) die Unterscheidung zwischen dem propositionalen Indikator und dem illokutiven Indikator. Die erste Unterscheidung ist nicht neu, sie ist bereits in dieser oder jener Version bei F R E G E , L E W I S , R E I C H E N B A C H , H A R E U. a. zu finden. Die zweite Unter-
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Scheidung hingegen, die SEARLE aus seiner semantischen Sprechakttheorie ableitet, ist neu und nicht schlechthin als Ersatz für die Lokutiv-Illokutiv-Unterscheidung AUSTINS anzusehen. Sie soll daher im folgenden kurz vorgestellt werden. SEARLE geht davon aus, daß jeder Satz zwei Teile besitzt, die auf bestimmte sprachliche Mittel abgebildet werden und somit als Indikatoren dieser beiden Teile dienen können. SEARLE bezeichnet diese beiden Teile als propositionalen Indikator und als Indikator der illokutiven Rolle. Was die propositionalen Indikatoren angeht, bleiben SEARLES Aussagen relativ verschwommen. 15 Es wird mit einem negativen Ausschlußverfahren lediglich darauf hingewiesen, daß propositionale Akte keine illokutiven Indikatoren (illocutionary force indicating devices) enthalten. Daraus kann gefolgert werden, daß es sich bei einem propositionalen Akt um den Ausdruck einer Proposition in Form eines Nominalausdrucks bzw. eines daß-Satzes handelt. Illokutive Indikatoren sind demgegenüber Mittel, die die illokutive Funktion einer Äußerung anzeigen und darüber Auskunft geben, wie die Proposition aufzufassen ist, mit anderen Worten: illokutive Indikatoren sind Mittel, die ausdrücken, welchen illokutiven Akt ein Sprecher vollzieht, wenn er einen Satz in dieser Form äußert. Zu den Mitteln, die im Englischen die illokutive Rolle anzeigen, zählt SEARLE den Modus des Verbs, die sogenannten performativen Formeln sowie Wortfolge, Betonung, Intonation und Interpunktion. So kann ein Sprecher den illokutiven Akt, den er vollzieht, durch Formeln wie „ich behaupte", „ich entschuldige mich", „ich warne" usw. zum Ausdruck bringen, in konkreten kommunikativen Situationen geht nach SEARLE bereits aus dem Zusammenhang hervor, welche illokutive Rolle der Äußerung zukommt, ohne daß es erforderlich wird, auf den expliziten Indikator der illokutiven Rolle zurückzugreifen. SEARLES semantische Differenzierung zwischen propositionalen und illokutiven Indikatoren wirft zwei grundsätzliche Fragen auf: (a) Ist' die Verwendung der oben angeführten illokutiven Mittel eine hinreichende Bedingung für den Vollzug illokutiver Akte? (b) Welcher Zusammenhang besteht zwischen einer Äußerung und der konkreten Sprechsituation, wodurch die Verwendung expliziter illokutiver Indikatoren überflüssig wird? Eine Antwort auf die erste Frage ist bereits an zahlreichen anderen Stellen unserer Arbeit gegeben worden. Äußerungen wie (69) Ich rate dir, den Mund zu halten (70) Ich verspreche dir, daß ich es dir heimzahlen
werde
sind keine Äußerungen von Sätzen, mit denen der Sprecher einen Ratschlag oder 15
Aus den inkonsequenten Ausführungen SEARLES resultieren zahlreiche Mißverständnisse und Konfusionen, die charakteristisch sind für die Diskussion dieses Problems Anfang der 70er Jahre, vgl. H A R B (1970), S L O M A N (1969/70) und G A R N E R (1970/71).
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ein Versprechen zum Ausdruck bringt, in beiden Fällen handelt es sich vielmehr um Drohungen. Für Äußerungen wie (69) und (70) ist ferner charakteristisch, daß auch der Gebrauch von „hiermit" nicht möglich ist. Die Möglichkeit, explizit performative Formeln nicht wörtlich zu verwenden, läßt den Schluß zu, daß die Mittel, die SEARLE als Indikatoren der illokutiven Rolle ansieht und sprachlichen Äußerungen fest zuordnet, die ihnen zugedachte Funktion nicht, zumindest nicht eindeutig erfüllen. Diese Einschränkung trifft auch auf die Verwendung der Modi zu. So vollzieht ein Sprecher mit Interrogativsätzen keineswegs nur den Akt des Fragestellens, so daß der Interrogativmodus dieser Äußerung nicht als feste Indikatoreigenschaft zugeschrieben werden kann. Dies kann durch zahlreiche Beispiele belegt werden. So wird (71) Können Sie mir bitte sagen, wie spät es ist ?
trotz des interrogativen Indikators in der Regel nicht dazu geäußert, um eine Frage zu stellen, sondern um jemand zu bitten bzw. aufzufordern, die Uhrzeit zu sagen. Die in (69)—(71) diskutierten Beispiele zeigen, daß die von SEARLE zum Ausdruck der illokutiven Funktion von Äußerungen behandelten sprachlichen Mittel polyfunktional sind und somit nicht als feste Indikatormerkmale an sprachliche Äußerungen gebunden werden können. Sie zeigen ferner, daß die Verwendung der explizit performativen Formeln nicht in Übereinstimmung mit den semantischen Regeln für deren Gebrauch geschehen muß. Die Beispiele zeigen ferner, daß ein entsprechender „Fehlschlag" (im Sinne A U S T I N S ) bezüglich des einen illokutiven Aktes sehr häufig ein Indiz dafür ist, daß der Sprecher einen anderen illokutiven Akt vollzieht. R I C H A R D S (1971) weist daher zu Recht die semantische Schlußfolgerung und das Prinzip der Ausdrückbarkeit zurück und macht deutlich, daß der Hauptfehler in der von SEARLE postulierten Identität von Sprechhandlungsanalyse und Semantik darin besteht, daß von SEARLE ZU viel zur Bedeutung von Sätzen gerechnet wird. An nahezu allen Sprechhandlungen kann festgestellt werden, daß die semantische Komponente keineswegs alle für die korrekte Äußerung von Sätzen notwendigen Bedingungen spezifiziert. Die zweite Frage, d. h. die Frage nach dem Zusammenhang zwischen einer Äußerung und der konkreten Kommunikationssituation, und die sich daraus ableitende Frage, unter welchen Bedingungen auf die explizite Angabe der Indikatoren verzichtet werden kann, wird in SEARLES (1977) semantischer Sprechakttheorie zu keiner echten Frage, da der Kontext, innerhalb dessen sich die Kommunikation vollzieht, weitgehend ausgeblendet wird, mit anderen Worten: die Handlungsbedingungen werden für die Entscheidung, wann performative Formeln expliziert werden und wann nicht, nicht in der erforderlichen Weise berücksichtigt. SEARLE nimmt damit nicht nur entscheidende Restriktionen für den Objektbereich seiner Sprechakttheorie vor, er formuliert damit zugleich auch grundlegende
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Annahmen über die Natur menschlicher Kommunikation, nach denen der Situationskontext für die durch die Kommunikation zu erreichende Verständigung völlig unbedeutend ist. S E A R L E betrachtet sprachliche Kommunikation als eine autonome, absolute Aktivität des Menschen, bei deren Beschreibung von den Zusammenhängen zwischen der sprachlich-kommunikativen Tätigkeit und den übrigen Tätigkeitsformen des Menschen abstrahiert werden kann. SEARLES Konzept der illokutiven Indikatoren zieht jedoch noch weitere Schwierigkeiten nach sich.16 Zur Repräsentation der Unterschiede zwischen propositionalen und illokutiven Indikatoren hatte SEARLE (1975: 51) folgende Symbolik eingeführt : „Die allgemeine Form (sehr vieler Arten) illokutiver Akte ist F(p), worin für die Variable Fals Werte Mittel einzusetzen sind, die als Indikatoren der illokutiven Rolle dienen, und fürp Ausdrücke für Propositionen." Behauptungen würden dann durch (p), Versprechen durch V(p), Warnungen durch W(p), Aufforderungen durch !{p) und ja-nein-Fragen durch ?(p) repräsentiert. In der von SEARLE eingeführten Symbolik wird erneut die Hypostasierung der expliziten performativen Formeln deutlich, denn es handelt sich hierbei um nichts anderes als um die Repräsentation der expliziten performativen Rahmen, nicht aber um den Bereich der illokutiven Mittel schlechthin, der nach S E A R L E wesentlich mehr umfaßt als die explizit performativen Formeln. 2.7. Indirekte
Sprechakte
In 2.4. und 2.6. haben wir eingehender zu zeigen versucht, daß A U S T I N S LokutivIllokutiv-Unterscheidung sowie SEARLES Differenzierung zwischen propositionalen und illokutiven Indikatoren den empirischen Tatsachen in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht werden. In den genannten Forschungsansätzen wurde davon ausgegangen, daß es in jeder Äußerung bestimmte Indikatoren gibt, die die illokutive Funktion der Äußerung anzeigen. A U S T I N hat zwar eingeräumt, daß die Bedeutung der sprachlichen Mittel zur Indizierung der illokutiven Funktion häufig unklar ist, so daß sie nicht mit Sicherheit ankommen, die erforderlichen Konsequenzen für die Explikation der illokutiven Rolle sprachlicher Äußerungen wurden daraus jedoch nicht gezogen. A U S T I N wie auch SEARLE unterlaufen dabei im wesentlichen zwei Fehler: (a) beide Modellvorschläge überschätzen die Rolle der explizit performativen Rahmen, indem sie Äußerungen, in denen diese Indikatoren vorkommen, eine eindeutige Interpretation zuschreiben; 16
Nach GREWENDORF (1976: 123) ist die Unterscheidung zwischen illokutiven und propositionalen Indikatoren nicht nur völlig leer, sie ist auch eine der irreführendsten in der Sprachphilosophie überhaupt, da durch eine solche dichotomisierende Betrachtungsweise eine völlig verkehrte Auffassung von der Bedeutung sprachlicher Äußerungen suggeriert wird.
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(b) in beiden Herangehensweisen spielen die Umstände, unter denen sprachliche Handlungen vollzogen werden, entweder eine nur untergeordnete Rolle oder sie bleiben völlig unberücksichtigt. Die erwähnten Mängel resultieren in erster Linie daraus, daß die konkreten Sprechaktanalysen nicht an empirisch vorgefundenem Material durchgeführt wurden, sondern an Beispielen, mit denen die empirische Analyse realer Kommunikationsprozesse auf die Analyse der Indikatoren der illokutiven Rolle reduziert wurde. Aus unserer kommunikativen Praxis ist uns bekannt, daß die vor allem von SEARLE angenommene Identität zwischen den illokutiven Rollen sprachlicher Handlungen und den repräsentierten Bedeutungen faktisch eine Seltenheit ist, da in der Mehrzahl der sprachlichen Äußerungen die durch sprachliche Mittel ausgedrückte illokutive Funktion nicht mit der primär intendierten illokutiven Funktion übereinstimmt. Die Tatsache, daß eine sprachliche Handlung nicht nur direkt vollzogen werden kann, indem die jeweiligen kommunikativen Funktionen der Äußerung durch ein syntaktisches Korrelat dieser Funktion oder durch ein entsprechendes performatives Verb bzw. durch einen anderen, diese Funktion spezifizierenden Indikator realisiert werden kann, sondern durch sogenannte nicht direkte bzw. indirekte Sprechhandlungen bzw. Sprechakte, hat sowohl in der Linguistik als auch in der Sprechakttheorie zur Entwicklung zahlreicher Beschreibungsverfahren geführt, die wir in diesem Kapitel eingehender beleuchten und auf ihre Tragfähigkeit hin untersuchen wollen. Das Problem der sogenannten indirekten Illokution' soll damit in diesem Kapitel noch einmal systematisch dargestellt werden, nachdem bereits an mehreren Stellen — so bei der Behandlung der linguistischen Sprechakttheorie SADOCKS, der Konversationspostulate GORDONS und LAKOFFS sowie der konversationellen Implikaturen von GRICE — kurz darauf hingewiesen wurde. Zwei Fragen wollen wir dabei in den Mittelpunkt unserer Betrachtung stellen: (1) Was sind indirekte Sprechakte und wie werden sie von den einzelnen Modellvorschlägen beschrieben? (2) Welche Gründe werden für die vorgeschlagenen Lösungen in den einzelnen Modell Vorschlägen angeführt? Zur Verdeutlichung des hier zu behandelnden Problems führen wir ein Beispiel an, das sehr gut zeigt, daß verschiedene Sprechhandlungen in ein und derselben kommunikativen Situation dieselbe illokutive Funktion erfüllen können. (72) (a) (b) (c) (d) (e)
Renate, Renate, Renate, Renate, Renate,
hole mir bitte meine Jacke! holst du mir bitte meine Jacke? kannst du mir bitte meine Jacke holen ? du kannst mir bitte meine Jacke holen. mir ist kalt.
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Für die Beschreibung der in (72) (a)—(e) enthaltenen „speech act entailments" sind von der generativen Semantik im wesentlichen drei Lösungsvorschläge entwickelt worden, deren Beschreibungs- und Erklärungsziel wir in Anlehnung an SADOCK (1974) hier kurz umreißen wollen.
2.7.1. Beschreibung indirekter der generativen Semantik
Sprechakte
durch die
Modellvorschläge
Als einer der ersten Lösungsvorschläge, übertragene Bedeutungen bzw. Verwendungsweisen von Sätzen durch die Regeln der Grammatik zu erfassen, kann der von GORDON und LAKOFF (1971) entwickelte Forschungsansatz der Konversationspostulate angesehen werden. Nach GORDON und LAKOFF sollen die indirekten, d. h. die nicht wörtlichen Bedeutungen der Sätze durch kontextabhängige semantische Folgerungen, die als Bedeutungspostulate angesehen werden, erfaßt werden, die gemeinsam mit den globalen und transderivationellen Regeln der Grammatik wirken. GORDON und LAKOFF gehen dabei von der Annahme aus, daß es in der Oberflächenstruktur eines jeden Satzes zahlreiche erkennbare Aspekte gibt, die die illokutive Funktion einer Äußerung anzeigen. Auf Grund dieser Annahme ist der auf Konversationspostulate aufbauende Vorschlag zur Beschreibung indirekter Sprechakte auch als „surface meaning hypothesis" bezeichnet w o r d e n (vgl. SADOCK 1974: 73 ff.).
Anders als GORDON und LAKOFF geht der zweite Lösungsvorschlag, der vor allem von HERINGER (1971) entwickelt wurde, von der Annahme aus, daß der Gebrauch einer Äußerung mit deren „encoded illocutionary force" übereinstimmt. Nach dieser Hypothese würden Sätze wie (73) (a) (b) (c) (d)
I want you to bury the turtle. Bury the turtle. I request that you bury the turtle. The turtle is beginning to smell.
eine logische Struktur zugeschrieben, die das performative Verb ,bitten' enthält. Ähnlich den Konversationspostulaten geht auch die von HERINGER vertretene „meaning-use hypothesis" von Aufrichtigkeitsbedingungen aus, die spezifizieren, „what is entailed by the sincere use of the various illocutionary forces" (SADOCK 1974: 75), benutzt diese jedoch nicht zur Ableitung der illokutiven Rolle aus der Bedeutung, sondern zur Derivation der Oberflächenform aus der Bedeutung. Der dritte Lösungsvorschlag, von SADOCK als „meaning-meaning-hypothesis" bezeichnet, nimmt keinen dieser extremen Standpunkte ein, wie er beispielsweise von den beiden kurz charakterisierten Hypothesen vertreten wird, stimmt aber in
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wesentlichen Punkten sowohl mit der Hypothese von GORDON und LAKOFF als auch mit HERINGERS ,Gebrauch-Bedeutung-Hypothese' überein. SADOCK will mit seinem Beschreibungsverfahren eine Methode entwickeln, die präzise anzugeben erlaubt, in welchen Fällen Übereinstimmung zwischen der illokutiven Rolle und der Oberflächenform besteht und in welchen nicht. Mit dieser Differenzierung will SADOCK die Unzulänglichkeiten der beiden anderen Hypothesen überwinden, die alle Sätze in der gleichen Weise zu behandeln versuchen und somit bedeutende Unterschiede, wie sie beispielsweise in (74) und (75) zum Ausdruck kommen, verwischen. (74) Can you close the door? (75) Are you able to close the door?
Da beide Sätze als Bitte verwendet werden können, die Tür zu schließen, postuliert HERINGERS „meaning-use hypothesis", daß (74) und (75) dieselbe zugrunde liegende Struktur erhalten. GORDON und LAKOFF würden demgegenüber die in beiden Sätzen ausgedrückte Bitte aus der logischen Fragestruktur ableiten. Beide Explikationsversuche machen jedoch die zwischen beiden Sätzen bestehenden Unterschiede nicht deutlich. Nach SADOCK (1974) wird nur die „meaning-meaninghypothesis" dem Unterschied zwischen beiden Sätzen gerecht, da sie (74) als Bitte und (75) als Frage erklärt, wobei der Gebrauch von (75) als Bitte aus der Bedeutung abgeleitet wird, wohingegen der Gebrauch von (74) als Bitte als eine Funktion dessen aufgefaßt wird, daß der Satz die Bedeutung einer Bitte hat. SADOCK diskutiert zahlreiche andere Fälle, aus denen er Argumente zur Favorisierung seines Modellvorschlags ableitet, und durch die er das größere Erklärungspotential seines Lösungswegs nachzuweisen versucht. Es würde zu weit führen, diese hier im Detail zu behandeln und auf ihre Reichweite hin zu untersuchen. Wir wollen vielmehr einige generelle Aspekte herausgreifen, die für alle Modellvorschläge von Bedeutung sind, die im Rahmen der generativen Semantik entwickelt wurden. Läßt man die bereits erwähnten Unterschiede zunächst beiseite, dann wird deutlich, daß alle Forschungsansätze, die zur Explikation indirekter Sprechakte im Rahmen der generativen Semantik entwickelt wurden, von der Annahme ausgehen, daß die illokutive Rolle ein Aspekt der Bedeutung ist, der wie alle anderen Bedeutungsaspekte auch als Teil der „most remote syntactic structure" (SADOCK 1974: 147) zu repräsentieren ist. Die illokutive Rolle eines geäußerten Satzes ist somit nicht von den propositionalen Akten im Sinne SEARLES verschieden. Die genannten Modellvorschläge gehen ferner von der Annahme aus, daß die illokutive Rolle in jedem Falle Reflexe in der Oberflächenstruktur hat, wenngleich diese Reflexe oder Spuren vielfach sehr subtil und in der Regel auch mehrdeutig sein können. Diese Reflexe dienen als Erklärungsbasis für die sogenannten „speech act entailments" im Sinne COHENS bzw. für die „indirect illocutions" im Sinne
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D. Viehweger
HERINGERS. Drei fundamentale Probleme bleiben in den genannten Forschungsansätzen weitgehend ungeklärt: (1) Die von der Grammatiktheorie formulierten Annahmen, die Relationen zwischen wörtlicher Bedeutung, übertragener Bedeutung und Kontext in der Grammatik zu erfassen und zu beschreiben, zeugen zweifelsohne von dem Bemühen, die semantische Seite der sprachlich-kommunikativen Tätigkeit immer tiefer theoretisch zu durchdringen. Da aber — wie die Beispiele (72) (e) und (73) (d) zeigen — sprachliche Äußerungen in bestimmten Situationen kommunikative Bedeutungen annehmen können, die von den wörtlichen Bedeutungen völlig verschieden sind, verlangt dies eine systematischere Analyse der Kommunikationssituation sowie der Handlungsbedingungen sprachlicher Äußerungen, als dies bisher in der Grammatik der Fall war. Damit entfernt sich die Grammatik mehr und mehr von dem semiotischen Aspekt als dem zentralen Abstraktionsgesichtspunkt ihrer bisherigen Gegenstandsbestimmung und überschreitet den Rahmen der Zuordnung von Laut- und Bedeutungsstrukturen. Daraus leitet sich die prinzipielle Frage ab; ob indirekte Sprechakte überhaupt durch den bisher von der Grammatik abgesteckten Rahmen adäquat erfaßt werden können oder ob diese nicht vielmehr von einer linguistischen Teiltheorie zu beschreiben sind, die von einer Einbettung semantischer Strukturen sprachlicher Äußerungen in komplexe Handlungszusammenhänge ausgeht und keinerlei Bezug auf die spezifischen Ausdrucksmittel nimmt.
(2) In keinem der hier thesenartig vorgestellten Forschungsansätze werden indirekte Sprechakte von nichtwörtlichen Sprachverwendungstypen wie Ironie, metaphorischen Reden, standardisierten Redensarten u. a. unterschieden 17 , so daß unter den Begriff des indirekten Sprechaktes letztlich alle Sprechakte subsumiert werden, die nicht direkt gebraucht werden. Mit dieser Einordnung aller nichtwörtlichen Verwendungsweisen verliert der Begriff indirekter Sprechakt' nicht nur seine Spezifik, es wird dabei auch übersehen, daß Ironie, metaphorische Redensarten u. a. offenbar andere Interpretationsverfahren verlangen als indirekte Sprechakte. (3) Der Begriff,indirekter Sprechakt' ist nur dann ein sinnvoller Begriff, wenn er auf bestimmte Sprechakttypen bezogen werden kann, mit anderen Worten: die Erklärung nichtwörtlicher Verwendungsweisen durch den Begriff des indirekten Sprechakts setzt Überlegungen über eine Sprechakttypologie bzw. Sprechaktklassifikation voraus. Keines der bisher beschriebenen Beschreibungsverfahren
17
Vgl. dazu auch SCHLIEBEN-LANGE (1979: 93): „Einige Erscheinungen, die gelegentlich unter dem Stichwort ,Indirektheit von Sprechakten' mitbehandelt werden, scheinen mir getrennt davon gesehen werden zu müssen, nämlich Ironie, Witz, Metaphorik usw."
Semantik und Sprechakttheorie
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hat diesem Zusammenhang die erforderliche Aufmerksamkeit geschenkt und einen Forschungsansatz zur Sprechakttypologie entwickelt.
2.7.2. Der Begriff „nicht-direkter Sprechakt" bei
EHRICH
und
SAILE
Einen anderen Weg zur Beschreibung indirekter Sprechakte sind EHRICH und (1972) gegangen, mit dem nicht nur eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen direkten und nicht direkten Sprechakten getroffen, sondern auch die Ermittlung der spezifischen kommunikativen Funktionen nicht direkter Sprechakte angestrebt wird. Als direkte Sprechakte werden dabei diejenigen Äußerungen von Sätzen angesehen, „deren jeweilige kommunikative Funktion (z. B. Behauptung, Frage, Aufforderung) durch ein syntaktisches Korrelat dieser Funktion (Behauptungs-, Frage-, Befehlsatz) oder durch ein entsprechendes performatives Verb bzw. einen anderen, diese Funktion spezifizierenden Indikator realisiert wird" (EHRICH und SAILE 1972: 256). Nicht-direkte Sprechakte weisen demgegenüber eine Dissoziation zwischen der intendierten kommunikativen Funktion und dem Satztyp der Äußerung oder einem in ihr enthaltenen performativen Verb bzw. einem anderen illokutiven Indikator auf oder aber sie haben eine Dissoziation zwischen der intendierten Proposition und der wörtlichen Form der Äußerung. EHRICH und SAILE halten es anhand der von ihnen durchgeführten Beispielanalyse für erforderlich, bei den nicht-direkten Sprechakten zwischen dem indirekten und dem impliziten Gebrauch zu unterscheiden, wobei die Explikation der indirekten Sprechakte inhaltlich im wesentlichen den Konversationspostulaten bei GORDON und LAKOFF folgt. Es muß noch daraufhingewiesen werden, daß EHRICH und SAILE mit einem sehr weiten Indirektheitsbegriff operieren, der keineswegs nur die „nicht direkten Sprechakte" umfaßt, sondern auch illokutive Indeterminiertheit, Ironie, metaphorische und standardisierte Redensarten, verdeckte Angriffe, Techniken des ,fishing for compliments' und des ,advocatus diaboli' u. a. einschließt. Darin mag im wesentlichen der Grund für die sehr allgemeine, den linguistischen Tatsachen nicht in jeder Weise gerecht werdende Interpretation der sogenannten nicht-direkten Sprechakte zu suchen sein, die EHRICH und SAILE geben, wenn sie nicht-direkte Sprechakte als bestimmte Techniken der Imagepflege im Sinne GOFFMANS (1973) charakterisieren und davon ausgehen, daß ein Sprecher einen nicht-direkten Sprechakt dann gebraucht, wenn er sein Image oder das des Hörers zu bewahren versucht. Zahlreiche Fälle, die von EHRICH und SAILE diskutiert werden, legen möglicherweise diese Interpretation nahe, da in den analysierten Beispielen verstärkt paralinguistische Mittel ins Spiel kommen; Indirektheit jedoch allein als Techniken der Imagepflege beschreiben und erklären zu wollen, verlagert das Problem auf eine andere Ebene und führt somit zu inadäquaten Ergebnissen. Auch bei EHRICH und SAILE vermißt man Aussagen über eine mögSAILE
222
D. Vieh weger
liehe Typologie der Sprechhandlungen, ohne die — worauf bereits hingewiesen wurde — der Begriff des indirekten Sprechakts inhaltlich leer bleibt.
2.7.3.
FRANKS
und
SEARLES
Analyse indirekter
Sprechakte
Weiterführende Ansätze zur Beschreibung indirekter Sprechakte haben FRANCK ( 1 9 7 5 ) und SEARLE ( 1 9 7 5 a) entwickelt, deren Grundideen sowie deren Objektbereich im folgenden eingehender charakterisiert werden sollen. Unter einem indirekten Sprechakt wird von den genannten Autoren ein Sprechakt verstanden, in dem der mit sprachlichen Mitteln angezeigte Illokutionstyp nicht mit der primär intendierten illokutiven Funktion übereinstimmt. Der Begriff ,Indirektheit' wird hier in einem rein linguistischen Sinne verstanden und an dem verbal expliziten Teil der Ausführung von Sprechakten festgemacht. Ein solches Herangehen geht von einer normalen, d. h. eindeutigen Interpretation der illokutiven Indikatoren aus und setzt somit voraus, daß jede Äußerung Indikatoren bezüglich der möglichen illokutiven Funktionen enthält. Methodologisch gesehen können ganz unterschiedliche Wege zur Beschreibung der indirekten Sprechakte gegangen werden. Zwei dieser Wege, die auch bei FRANCK und SEARLE ausführlich diskutiert und gegeneinander abgewogen werden, wollen wir ohne Anspruch auf eine tiefergehende Analyse kurz skizzieren. (1) Es wäre durchaus denkbar, auf den Begriff des indirekten Sprechaktes überhaupt zu verzichten. Anstatt der Markierung ,indirekter Sprechakt' werden der Interpretation der illokutiven Indikatoren weitere Varianten hinzugefügt, d. h., man macht die Indikatoren somit mehrdeutig. Dieser Lösungsvorschlag wäre z. B. denkbar in Fällen wie (76) und (77), in denen Aufforderungen durch Fragen ausgedrückt werden: (76) Können Sie mir bitte sagen, wie spät es ist ? (77) Würdest Du das Buch bitte im Sekretariat abgeben ? Für alle übrigen indirekten Verwendungsweisen, die nicht wie (76) und (77) auf weitgehend konventionalisierte Indirektheitsmuster zurückgehen, erweist sich dieser Vorschlag jedoch als ungeeignet, da den Sätzen eine so große Zahl von Mehrdeutigkeiten zugeschrieben werden müßte, die in Abhängigkeit vom Kontext wieder einzuschränken wäre, so daß damit eine Bedeutungszuordnung zu den illokutiven Indikatoren letztlich unmöglich wird. (2) Der zweite Weg, der zur Beschreibung indirekter Sprechakte eingeschlagen werden kann, geht wie G. LAKOFF (1974) von der Annahme aus, daß illokutive Indikatoren eine relativ enge und damit weitgehend eindeutige Funktion besitzen, durch die die Interpretation einer Äußerung festgelegt wird. Die Interpretation eines indirekten Sprechaktes wird nach diesem Lösungsvorschlag als ein Folge-
Semantik und Sprechakttheorie
223
rungsprozeß des Hörers verstanden, in dem „sowohl die wörtliche Bedeutung wie auch bestimmte Kontextfaktoren, Regeln der Sprechakte und Sprechaktsequenzen, allgemeine Prinzipien der Konversation und des Schließens eine Rolle spielen" ( F R A N C K 1975: 220). Daraus wird ersichtlich, daß auch in diesem, in erster Linie von F R A N C K und SEARLE entwickeltem Lösungsvorschlag dem Kontext eine zentrale Funktion eingeräumt wird, denn es wird hier davon ausgegangen, daß der Kontext letztlich entscheidet, daß überhaupt ein indirekter Sprechakt vorliegt. Kontext und sprachliche Indiktoren geben schließlich darüber Auskunft, um welchen konkreten Sprechakt es sich handelt, sie werden somit für den Hörer zu entscheidenden Prämissen, auf deren Grundlage er die intendierte Bedeutung einer Äußerung zu rekonstruieren vermag. F R A N C K und SEARLE weisen mit Recht darauf hin, daß die Einführung des Begriffs .indirekter Sprechakt' sich nur dann als sinnvoll erweist, wenn im Zusammenhang damit folgende Fragen aufgeworfen und hinreichend beantwortet werden: (a) Welche spezifischen kommunikativen Funktionen besitzen indirekte Sprechakte? (b) Können die direkte und die indirekte Version eines Sprechaktes semantisch in bestimmter Hinsicht als Paraphrasen und somit als Sprechhandlungsvarianten angesehen werden, die in einer konkreten Kommunikationssituation wechselseitig austauschbar sind? (c) Welcher Zusammenhang besteht zwischen der wörtlichen, d. h. der direkten und der indirekten Interpretation eines Sprechaktes? Die hier aufgeworfenen Fragen sind in der Literatur bisher vielfach nur thesenartig beantwortet worden, wobei als spezifische Funktionen indirekter Sprechakte in erster Linie Tabuvermeidung, Unverfanglichkeit, Unverbindlichkeit, Umgehung unerwünschter commitments oder unberechtigter Beanspruchung (oder Verschleierung) eines Status oder Rechts, Schaffung eines breiteren Fortsetzungsbzw. Auswegspotentials für den Sprecher oder den Kommunikationspartner verstanden wurden (vgl. F R A N C K 1975: 225). Die zweite Frage, ob in konkreten Kommunikationssituationen die indirekte Version eines Sprechaktes durch eine entsprechende direkte Version austauschbar ist, muß auf Grund zahlreicher Faktoren verneint werden, so daß die direkte und die indirekte Version eines Sprechaktes auch nicht als Sprechhandlungsvarianten angesehen werden können. Was die Frage nach dem Zusammenhang zwischen der wörtlichen und der indirekten Interpretation eines Sprechaktes angeht, wird von SEARLE (1975a) daraufhingewiesen, daß dieser Zusammenhang trotz der Tatsache, daß illokutive Indikatoren und der eigentliche Sprechaktcharakter in indirekten Sprechakten nicht zusammenfallen, keineswegs beliebig ist. Anhand zahlreicher Beispiele hat SEARLE diesen Zusammenhang eingehend analysiert und daraus die für das natürliche Schließen typischen Inferenzschritte rekonstruiert. Im Zusammenhang damit wird von
D. Vieh weger
224
die Unterscheidung zwischen dem primären illokutiven Akt und dem sekundären illokutiven Akt eingeführt, die durch die Beispiele (78) und (79) wie folgt begründet wird: SEARLE
(78) Student X: Lefs go to the movies tonight. (79) Student Y: I have to study for an exam.lB (78) ist ein Vorschlag, was nach S E A R L E bereits durch den Indikator ,Let's* zum Ausdruck gebracht wird. (79) ist in diesem Kontext die Zurückweisung dieses Vorschlags, obwohl die Äußerung, mit der diese Zurückweisung geschieht, auf Grund ihrer Bedeutung lediglich eine Behauptung ist. Wieso kann der Student X die Antwort von Y als Zurückweisung des in (78) unterbreiteten Vorschlages verstehen bzw. wie ist es Y möglich, (79) als Zurückweisung eines Vorschlages zu
Die Rekonstruktion der einzelnen Schritte, die notwendig sind, um in (78) und (79) die Primärillokution aus der wörtlichen Illokution abzuleiten, hat SEARLE (1975A: 63) wie folgt beschrieben: Schritt 1: Ich habe Y einen Vorschlag gemacht, und er hat darauf mit einer Feststellung erwidert, daß er für eine Prüfung lernen müsse (Fakten über das Gespräch). Schritt 2: Ich nehme an, daß Y in diesem Gespräch mit mir kooperiert und daß sein Beitrag deshalb als relevant beabsichtigt ist (Prinzipien kooperativer Gesprächsführung). Schritt 3: Als relevante Erwiderung kann eine Annahme des Vorschlags, eine Ablehnung, ein Gegenvorschlag, eine weiterführende Diskussion usw. gelten (Sprechakttheorie). Schritt 4: Wörtlich verstanden, war seine Äußerung aber nichts Derartiges und also keine relevante Erwiderung (Folgerung aus Schritten 1 und 3). Schritt 5: Er meint deshalb wahrscheinlich mehr, als er sagt. Wenn ich annehme, daß sein Beitrag relevant ist, so muß sich dessen primärer Illokutionszweck (illocutionary poini) von der wörtlichen Illokution unterscheiden (Folgerung aus Schritten 2 und
4). Schritt 6:
Ich weiß, daß das Lernen für eine Prüfung einen großen Teil eines Abends in Anspruch nimmt, und ich weiß auch, daß Ins-Kino-Gehen einen großen Teil eines Abends beansprucht (faktisches Hintergrundswissen). Schritt 7: Deshalb kann Y sehr wahrscheinlich am selben Abend nicht sowohl ins Kino gehen, als auch für eine Prüfung lernen (Folgerung aus Schritt 6). Schritt S: Eine Vorbereitungsbedingung für die Annahme eines Vorschlags oder für jede andere kommissive Äußerung (commissive) besteht darin, daß der Hörer die in der Bedingung des propositionalen Gehalts ausgedrückte Handlung auch ausführen kann (Sprechakttheorie). Schritt 9: Ich weiß daher, daß er etwas gesagt hat, das zur Folge hat, daß er den Vorschlag nicht annehmen kann, wenn er sich konsistent verhalten will (Folgerung aus Schritten 1, 7 und 8). Schritt-10: Daher besteht der primäre Illokutionszweck seiner Äußerung wohl darin, den Vorschlag abzulehnen (Folgerung aus Schritten 5 und 9).
Semantik u n d Sprechakttheorie
225
intendieren? SEARLE geht davon aus, daß der primäre illokutive Akt, der mit der Äußerung von Y vollzogen wird, die Zurückweisung des Vorschlags ist, den X unterbreitet hat. Y weist diesen zurück „by way of performing a secondary illocutionary act of making a statement to the effect that he has to prepare for an exam. He performs the secondary illocutionary act by way of uttering a sentence the literal meaning of which is such that its literal utterance constitutes a performance of that illocutionary act. We may, therefore, further say that the secondary illocutionary act is literal; the primary illocutionary act is not literal" (SEARLE 1 9 7 5 A: 6 2 ) . Aus SEARLES Argumentation geht deutlich hervor, daß die wörtliche Bedeutung von der indirekten Bedeutung impliziert wird, nicht aber umgekehrt. Wörtliche Bedeutung und indirekte Bedeutung stehen somit in einem Verhältnis von Prämisse — Schlußfolgerung bzw. Handlungsvoraussetzung — eigentliche Handlung zueinander. In SEARLE ( 1 9 7 5 a, 1 9 7 5 b), in denen das Konzept des indirekten Sprechaktes eingeführt und als mögliche Kategorie zur Beschreibung der nicht wörtlichen Bedeutung begründet wird, ist erstmals auf ein bedeutendes methodologisches Problem hingewiesen, das in den bisher behandelten Beschreibungsverfahren nahezu unberücksichtigt blieb, oder nur — wie in SADOCK ( 1 9 7 4 : 1 4 9 ) — im Ansatz entwickelt worden war. SEARLE hat sehr gut demonstriert, daß der Begriff indirekter Sprechakt' sich nur dann als sinnvoll erweist, wenn dieser auf eine allgemeine Sprechaktklassifikation bezogen werden kann. Geht man von der von SEARLE entwickelten Klassifikation aus, dann ergeben sich folgende Arten von Indirektheitsbeziehungen, die wir in Anlehnung an FRANCK ( 1 9 7 5 : 2 2 9 ff.) in der nachfolgenden Tabelle zusammenfassend darstellen.
direkte (wörtliche) Bedeutung
indirekte Bedeutung
Beispiel
Repräsentativ
Direktiv
Dort ist die Tür. Die Schuhe sind noch nicht geputzt. Meine Eltern sind verreist. Es ist noch Eis im Kühlschrank. Ich bin eben auch nur ein Mensch. Das Mittagessen könnte schmackhafter sein. Willst du nicht lieber Tee trinken ? Kannst du mir sagen, wie spät es ist? Sag' noch 'mal, daß ich ein Idiot bin. Warum hast du das gemacht ?
Commissiv Expressiv Repräsentativ Direktiv
Direktiv Commissiv Expressiv
15
Viehweger, Semantikforschung
226
D. Viehweger
direkte (wörtliche) Bedeutung
Commissiv
indirekte Bedeutung
Beispiel
Repräsentativ
Siehst du, was der Mond heute für einen Hof hat ? Ich werde dir beim Abendbrot helfen. Ich verspreche dir, daß es beim nächsten Mal knallt. Wer so ein Haus konstruiert hat, der müßte selbst mal drin wohnen. Ich verspreche dir, morgen regnet's. Ich bedaure sehr, daß Sie das noch nicht erledigt haben. Es tut mir leid, daß ich zukünftig zu strengeren Mitteln greifen muß. Ich bedaure es außerordentlich, daß ich so etwas tun konnte. Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, daß . . .
Direktiv Commissiv Expressiv
Expressiv
Repräsentativ Direktiv Commissiv Expressiv Repräsentativ
Die gedrängte, keineswegs vollständige und durch weitere Subkategorisierungen sowie durch Kontextangaben noch zu präzisierende Übersicht zeigt, daß jeder Sprechakttyp indirekt gebraucht werden kann. Eine Ausnahme machen lediglich die deklarativen Sprechakte wie Taufen, Schuldigsprechen, Trauung usw., die auf Grund ihrer festen Bindung an institutionalisierte Kontexte keine indirekte Verwendung zulassen. Die aus dieser Übersicht zu folgernde allseitige Verwendbarkeit der einzelnen Sprechakttypen erfährt mit Sicherheit Einschränkungen, wenn eine adäquatere Klassifikation, insbesondere jedoch eine weitere Subklassifikation der einzelnen Sprechakttypen zugrunde gelegt wird. 2.8.
Sprechakttypen,
2.8.1.
AUSTINS
Klassifikation
Klassifikation der
von Sprechakten
Sprechakte
In dem knapp gehaltenen Exkurs über die indirekten Sprechakte wurde bereits mehrfach das Problem der Typisierung bzw. Klassifikation von Sprechakten erwähnt und der von SEARLE entwickelte Klassifikationsvorschlag kurz vorgestellt. Wir haben uns dort einer kritischen Stellungnahme weitgehend enthalten und lediglich darauf hingewiesen, daß bisher noch keine geeignete Klassifikation
227
Semantik und Sprechakttheorie
erarbeitet wurde. Bevor wir auf Probleme der Abgrenzung und Identifizierung von Sprechakten näher eingehen und einige Klassifikationsvorschläge zur Diskussion stellen, wollen wir kurz zeigen, daß die Klassifizierung von Sprechakten bereits im Ansatz in AUSTINS Sprechakttheorie angelegt ist und in der ursprünglich angenommenen Unterscheidung von performativen und konstativen Äußerungen ihre erste wissenschaftliche Reflexion erfahrt. Wir haben bereits in 2.5. gezeigt, daß diese Distinktion, die durch die Dimension von Glücken und Verunglücken einerseits sowie durch die Dimension von Wahrheit und Falschheit andererseits begründet werden sollte, von AUSTIN später wieder aufgegeben wurde, da er feststellen mußte, daß konstativen Äußerungen keine einzigartige Stellung zukommt und Feststellungen und Behauptungen lediglich zwei Namen unter vielen anderen für illokutive Akte sind. An die Stelle der performativ-konstativ-Dichotomie will AUSTIN eine Einteilung der Äußerungen setzen, die diese nach ihren illokutiven Rollen klassifiziert. Der von AUSTIN in der 12. Vorlesung der „How to do things with words" entwickelte Klassifikationsvorschlag umfaßt 5 Klassen: (1) Verdiktive Äußerungen, mit denen über Werte oder über Tatsachen auf Grund von Beweismaterial oder Argumenten ein amtliches oder nicht amtliches Urteil abgegeben wird. AUSTIN zählt zu dieser Klasse im wesentlichen die Urteile einer Jury, Äußerungen des Schätzens, Bewertens und Taxierens u. a. Die von AUSTIN angeführte Beispielliste deutet darauf hin, daß es sich um Äußerungen handelt, die Werte oder Tatsachen betreffen, über die man aus unterschiedlichen Gründen schwer Gewißheit erlangen kann. Beispiele für verdiktive Äußerungen sind: beurteilen, deuten, auslegen, veranschlagen, zeichnen, schuldig sprechen usw.
kenn-
(2) Exerzitive Äußerungen, die dazu benutzt werden, um Einfluß und Rechte auszuüben. Mit diesen Äußerungen spricht sich der Sprecher für oder gegen ein bestimmtes Verhalten aus. Es geht bei diesen Äußerungen um Entscheidungen, daß etwas so oder auch so sein solle. Exerzitive Äußerungen können zur Folge haben, daß andere „verpflichtet", ermächtigt oder nicht befugt sind, bestimmte Dinge zu tun. Beispiele für diesen Äußerungstyp sind befehlen, bestimmen,
verbieten, untersagen, fordern, verlangen usw.
(3) Kommissive Äußerungen, d. h. Versprechen oder andere Verpflichtungsübernahmen. Mit diesen Äußerungen legt sich der Sprecher auf ein bestimmtes Verhalten bzw. auf bestimmte Handlungen fest. AUSTIN ordnet dieser Klasse von Äußerungen ferner Willens- und Absichtserklärungen sowie Parteinahmen zu. Beispiele sind versprechen, sich verpflichten, sich bereit erklären, erheben, übereinkommen u. a.
Einspruch
(4) Konduktive Äußerungen, d. h. Äußerungen, die mit Einstellungen und Verhalten in der Gesellschaft zu tun haben. Bei diesem Äußerungstyp geht es in erster Linie um Reaktionen auf das Verhalten anderer sowie um Einstellungen 15'
228
D. Viehweger
und um den Ausdruck von Einstellungen gegenüber dem Verhalten anderer. Beispiele sind entschuldigen, Dank sagen, gratulieren, bedauern, glückwünschen. (5) Expositive Äußerungen, d. h. Äußerungen, die den Sinn haben klarzumachen, „wie die Äußerungen zu nehmen sind, mit denen man seine Ansichten darlegt, seine Begründung durchführt, die Bedeutung der eigenen Worte erklärt" (AUSTIN 1975: 177). Beispiele für die nach AUSTIN sehr schwer zu definierende Gruppe von Äußerungen sind behaupten, annehmen, mitteilen, fragen, voraussetzen. Dazu gehören ferner die metakommunikativen Ausdrücke wie ich will damit sagen, ich spreche von, ich beziehe mich auf usw. AUSTIN hat an mehreren Stellen daraufhingewiesen, daß er diese Klassifikation als vorläufig betrachtet; er hat ferner hervorgehoben, daß sich für die Begründung der einzelnen Klassen zahlreiche Schwierigkeiten ergeben haben, was sich letztlich darin zeigt, daß einige Klassen wie die Klasse der konduktiven und expositiven Äußerungen außerordentlich heterogen zusammengesetzt sind, so daß sich die Frage aufdrängt, ob die Einordnung in eine andere Klasse nicht eine angemessenere Lösung darstellen würde. Darüber hinaus ist sogar grundsätzlich zu fragen, ob die Einteilung nicht in toto inadäquat ist und demzufolge durch eine andere zu ersetzen sei. AUSTIN hält die Klassifikation trotz der erwähnten Unzulänglichkeiten für ausreichend, um damit mit zwei Fetischen fertig zu werden, die es in der Bedeutungstheorie zu überwinden gilt: den Wahr-Falsch-Fetisch sowie den Sein-SollenFetisch (vgl. AUSTIN 1975: 165). AUSTINS selbstkritische Einstellung erfaßt aber keineswegs alle Unzulänglichkeiten, die in dem von ihm vorgelegten Klassifikationsvorschlag sichtbar werden. Ein ganz zentrales methodologisches Problem läßt AUSTIN völlig unbeachtet: Die Einordnung aller sprachlichen Äußerungen in die oben dargestellten fünf Klassen macht deutlich, daß von AUSTIN kein durchgängiges Kriterium definiert und damit auch keine einheitliche Klassifikationsbasis bestimmt wurde, die es erlaubt, die zu charakterisierenden Sprechakte voneinander zu unterscheiden. Zum anderen fehlen in dem AusTiNschen Klassifikationsvorschlag die Anwendungsprinzipien, die klarstellen, wie die Äußerungstypen auf einzelne beobachtbare Sprechakte zu beziehen bzw. wie einzelne Sprechakte den fünf definierten Klassen zuzuordnen sind. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß AUSTIN die einzelnen Klassen bzw. Typen von Äußerungen nicht als disjunkte Klassen versteht, sondern als Familien verwandter und einander überlappender Sprechakte, wodurch wesentliche Klassifikationsprinzipien aufgegeben und die Klassifikation von Sprechhandlungen auf eine mehr oder weniger willkürliche Aneinanderreihung irgendwie charakterisierbarer Sprechakte reduziert werden. Wir haben dem Klassifikationsvorschlag AUSTINS deshalb mehr Platz eingeräumt, um an diesem Vorschlag einige allgemeine Eigenschaften von Klassifikationen zu diskutieren. Dabei wurde sichtbar, daß dieser Vorschlag nicht durch eine einheitliche Klassifikationsbasis getragen wird, worin wiederum die wesentlichen Ur-
229
Semantik und Sprechakttheorie
sachen dafür zu suchen sind, daß fundamentale Anforderungen, die an Klassifikationen zu stellen sind, hier nicht erfüllt werden. Prüfen wir nun, inwieweit andere Klassifikationsvorschläge diesen Anforderungen gerecht werden.
2.8.2.
SEARLES
Sprechakttypologie
Der in SEARLE (1976) unterbreitete Vorschlag zur Klassifikation von Sprechakten ist die erste Klassifikation, die auf der Grundlage exakter Kriterien eine Differenzierung der einzelnen Sprechakte zu erreichen versucht. SEARLES Klassifikation stützt sich auf drei Hauptkriterien: 1. welches ist die illokutive Absicht, der illokutive Zweck (illocutionary point) eines Sprechaktes? 2. welches ist die Anpassungsrichtung (direction of fit) des Sprechaktes? 3. welcher psychische Zustand wird in einem Sprechakt zum Ausdruck gebracht? Durch zusätzliche Kriterien kann die Menge der möglichen Sprechakte weiter unterteilt werden. SEARLE versteht darunter (a) (b) (c) (d) (e)
die Stärke eines Sprechaktes den Status oder die Position von Sprecher und Hörer das Interesse von Sprecher und Hörer den von der illokutiven Rolle determinierten propositionalen Gehalt die Relationen des Sprechaktes zum Kontext sowie zum übrigen Teil des Diskurses (f) die Möglichkeit, einen Sprechakt mit einem Satz zu vollziehen, der ein performatives Verb enthält.
Unter Zugrundelegung der drei oben angeführten Hauptkriterien gelangt zu folgender Klassifikation:
SEARLE
Sprechakttyp
illokutive Absicht
Richtung der Zuordnung von Welt und Wörtern
psychischer propositioZustand des naler Gehalt Sprechers in bezug auf den propositionalen Gehalt
1. repräsentative Sprechakte
(Freges Urteilsstrich) S verpflichtet sich H gegen-
J, die Wörter sollen der Welt entsprechen
Meinen Glauben
p beliebige Proposition
230 Sprechakttyp
2. direktive Sprechakte
D. Viehweger
illokutive Absicht
Richtung der Zuordnung von Welt und Wörtern
psychischer propositioZustand des naler Gehalt Sprechers in bezug auf den propositionalen Gehalt
über zur Wahrheit der ausgedrückten Proposition ! S versucht zu bewirken, daß H etwas Bestimmtes tut
Î die Welt soll Wunsch 7/ tut a, den Wörtern entder Adressat sprechen (die führt eine Proposition soll Handlung aus wahr gemacht werden) Intention S tut a 3. kommissive C S verpflich- t die Welt soll Sprechakte tet sich zu den Wörtern (Sprecher einem zukünf- entsprechen führt Handtigen Handlung aus) lungsablauf 4. expressive E S drückt P kein Bezug verschiedene p beliebige Proposition Sprechakte den psychizwischen Wort Zustände schen Zustand, und Welt sind möglich der in der Aufrichtigkeitsbedingung festgelegt ist, aus p beliebige 5. deklarative D S versucht | Welt und 0 keine besonderen Proposition Sprechakte eine Überein- Wörter entZustände stimmung sprechen sich erforderlich zwischen propositionalem Gehalt und Wirklichkeit herzustellen Das Fundament der SEARLEschen Klassifikation stellen die illokutiven Absichten sowie das Kriterium der „direction of fit" dar, d. h. die Richtung, in der Wörter
Semantik und Sprechakttheorie
231
und Welt einander zugeordnet werden. So einleuchtend SEARLES Klassifikationsvorschlag prima facie zu sein scheint, eine eingehende Analyse macht zahlreiche Probleme sichtbar, die für diese Sprechaktklassifikation von mehr oder weniger großer Tragweite sind. Bevor wir einige dieser Probleme, auf die in mehreren Arbeiten hingewiesen wurde, systematischer behandeln, ist zunächst deutlich zu machen, daß SEARLES Sprechaktklassifikation gegenwärtig als die am weitesten ausgearbeitete und am explizitesten dargestellte Typologie von Sprechakten angesehen werden muß. Sie gehört ferner zu den wenigen bisher existierenden Klassifikationen, die auf einem exakt definierten Kategoriensystem basieren, das eine relativ vollständige und disjunkte Klassifikation der Sprechakte erlaubt. BALLMER (1979) und WUNDERLICH (1976, 1979) haben nachgewiesen, daß SEARLES Klassifikation nicht vollständig ist und somit keineswegs alle Sprechakte erfaßt. Sie haben ferner gezeigt, daß diese Klassifikation nicht disjunkt ist, d. h., daß es zahlreiche Sprechakte gibt, die in mehr als eine Klasse fallen. BALLMER zieht daraus den Schluß, daß SEARLES Klassifikation nicht Sprechakte, sondern lediglich Sprechaktkomponenten bzw. Sprechaktaspekte erfaßt. WUNDERLICH (1979: 284 ff.) erhebt gegen SEARLES Klassifikation im wesentlichen drei Einwände. So hält er es erstens für problematisch, den propositionalen Gehalt in allen Fällen mit einer Proposition gleichzusetzen, wie dies bei SEARLE geschieht. WUNDERLICH kritisiert in diesem Zusammenhang SEARLES Klasse der direktiven Sprechakte und weist nach, daß hierbei Unterschiede zwischen Aufforderungen, Nonneinführungen und Vorhersagen nicht in Betracht gezogen worden sind. Der zweite Einwand, der von WUNDERLICH vorgebracht wird, richtet sich gegen das zentrale Kriterium der Anpassungs- bzw. Einflußrichtung, der ,direction of fit', das in SEARLES Klassifikation eine Proposition durch unterschiedliche Perspektiven in der ,Wortung der Welt' zu situieren versucht. WUNDERLICH weist an zahlreichen Beispielen nach, daß nach diesem Kriterium kommissive Sprechhandlungen (Versprechen) nicht von direkten (Aufforderungen) unterschieden werden können. Drittens schließlich kritisiert WUNDERLICH an SEARLES Typologie, daß der Frage keine eigene Klasse eingeräumt wird. Mit der Subsumierung der Fragen unter die direktiven Sprechakte scheint SEARLE von der Annahme auszugehen, daß Fragen — wie (80) und (81) zeigen — häufig als Aufforderungen formuliert werden können, wodurch die Proposition vervollständigt wird: (80) Wann beginnt heute die Vorstellung in der Komischen Oper ? (81) Sage mir, wann heute die Vorstellung in der Komischen Oper beginnt. Die Umschreibung von Fragen nach dem Muster „Sage mir, . . ." trifft jedoch nicht auf alle Fragen zu, sondern nur auf Informations- und Examensfragen. Mit der Einordnung aller erotetischen Sprechakte, d. h. aller Fragehandlungen in die direktiven übersieht SEARLE, daß rhetorische Fragen, deliberative und didaktische Fragen wie auch Überraschungsfragen nicht mit diesem Muster umschrieben werden können.
232
D. Vieh weger
Wir können an dieser Stelle die Vorzüge bzw. Nachteile der Sprechaktklassifikation SEARLES nicht weiter ergründen, da dies voraussetzen würde, allgemeine Eigenschaften einer prinzipiellen Klassifikation eingehender zu erörtern, an denen letztlich SEARLES Vorschlag zu messen wäre. BALLMER (1979:253 ff.) hat allgemeine Bedingungen der Klassifikation von Sprechakten im Detail analysiert und eine Modifikation der SEARLEschen Klassifikation vorgeschlagen. Wir wollen stattdessen noch zwei andere Klassifikationsvorschläge betrachten und daran deutlich zu machen versuchen, welchen Einfluß die Klassifikationsbasis letztlich auf die zu erarbeitende Typologie hat.
2.8.3.
FRÄSERS
Klassifikation der Sprechakte
(1974,1975) sieht als wesentlichen Faktor zur Differenzierung der illokutiven Akte die Intention des Sprechers an, deren Funktion darin besteht, beim Hörer Verständnis für die Position des Sprechers gegenüber der im geäußerten Satz ausgedrückten Proposition zu erreichen. Da ein Sprecher mit einer einzigen Äußerung verschiedene illokutive Akte ausführen kann, und dies auch häufig tut, muß die Position des Sprechers gegenüber der Proposition als eine komplexe Kombination einfacher Positionen angesehen werden. FRÄSER geht in seiner Taxonomie illokutiver Akte von 8 Positionen aus, die ein Sprecher gegenüber einer Proposition einnehmen kann. Damit ist nicht ausgeschlossen, daß jede der 8 Klassen durch mehrere Subklassen weiter spezifiziert werden kann, wenn weitere Kriterien zur Klassifikation herangezogen werden. In die Taxonomie illokutiver Akte, d. h. die Taxonomie performativer Verben nimmt FRÄSER nur die sogenannten „vernacular performatives" auf und ordnet diese einer oder mehreren Klassen zu. Unter „vernacular performatives" werden dabei Verben verstanden, die allgemeine, alltägliche Handlungen wie Versprechen, Definieren, Erlaubnis erteilen, Fragen usw. bezeichnen. Diese Klasse der performativen Verben wird von den „ceremonial performatives" abgegrenzt, die Handlungen ausdrücken, deren erfolgreicher Vollzug an die Existenz bestimmter staatlicher, juristischer, kommerzieller, religiöser u. a. Institutionen gebunden ist. Durch diese Bindung sind die mit diesen Verben zu vollziehenden Sprechakte weitgehend konventionalisiert und unterliegen daher in der Regel bestimmten Restriktionen. FRÄSERS Taxonomie umfaßt folgende Klassen, deren Differenzierung nach dem Kriterium der Sprecherintention vorgenommen wird (vgl. F R Ä S E R 1975: 190ff.). FRÄSER
(1) Akte des Behauptens (acts of asserting): Sie machen deutlich, wie der Sprecher die ausgedrückte Proposition in das Gespräch eingliedern will; sie bringen ferner zum Ausdruck, wie stark der Sprecher von der Wahrheit der Proposition überzeugt ist.
Semantik und Sprechakttheorie
233
Beispiele : abstreiten, anerkennen, ankündigen, antworten, befürworten, benachrichtigen, bestreiten, folgern, informieren, postulieren, sagen, schließen, verkünden, warnen, zurückweisen, zustimmen u. a. Innerhalb dieser Klasse werden zwei Gruppen unterschieden : Behaupten I : ankündigen, bekanntgeben, bemerken, berichten, erinnern, erwähnen, erwidern, erzählen, informieren, sagen u. a. Behaupten II : abstreiten, anerkennen, argumentieren, befürworten, beschuldigen, beweisen, folgern, voraussagen, widersprechen, zustimmen u. a.
(2)
(3)
(4)
(5)
(6)
Für die erste Gruppe nimmt FRASER an, daß wenige, vielfach überhaupt keine Bedingungen für den erfolgreichen Vollzug des entsprechenden Illokutionsakts vorausgesetzt werden. Bei der zweiten Gruppe hingegen gibt es demgegenüber bestimmte Einschränkungen für den erfolgreichen Vollzug. So impliziert ,beschuldigen', daß der dadurch bezeichnete Akt als negativ angesehen wird, ,zugeben' impliziert, daß der Sprecher sich zuvor weigerte, die Proposition anzuerkennen. Akte des Bewertens (acts of evaluating). Der Sprecher beurteilt die Wahrheit der ausgedrückten Proposition und schätzt die Grundlagen für sein Urteil ein. Beispiele: abschätzen, analysieren, auswählen, berechnen, klassifizieren, beurteilen, charakterisieren, einschätzen, postulieren u. a. Akte, die die Einstellung des Sprechers widerspiegeln (acts reflecting speaker's attitude): Der Sprecher beurteilt die Angemessenheit eines Sachverhalts, der durch einen vorangehenden, in der Proposition ausgedrückten Sachverhalt bewirkt wurde. Beispiele: anprangern, beglückwünschen, begrüßen, empfehlen, sich entschuldigen, gratulieren, loben, tadeln, Vorwürfe machen u. a. Akte des Festsetzens (acts of stipulating) : Der Sprecher äußert den Wunsch, daß die in der Proposition ausgedrückten Benennungskonventionen akzeptiert werden. Beispiele: beginnen, benennen, beschreiben, bezeichnen, charakterisieren, ernennen, kennzeichnen, als etwas klassifizieren, unterstreichen u. a. Akte des Aufforderns (acts of requesting) : Der Sprecher äußert den Wunsch, der Hörer möge den in der Proposition ausgedrückten Sachverhalt herbeiführen. Beispiele: anflehen, appellieren, auffordern, beauftragen, befehlen, bitten, einladen, ersuchen, fordern, fragen, untersagen, verbieten u. a. Akte des Vorschlagens (acts of suggesting): Der Sprecher äußert den Wunsch, der Hörer möge die Vorteile der in der Proposition ausgedrückten Handlung in Erwägung ziehen.
D. Viehweger
234
Beispiele: befürworten, empfehlen, raten, vorbringen, vorschlagen, warnen, zureden (7) Akte- der Autoritätsausübung (acts of exercising authority): Der Sprecher will auf Grund bestimmter ihm zustehender Rechte und Machtbefugnisse einen neuen Sachverhalt herbeiführen. Beispiele: ablehnen, abweisen, akzeptieren, anerkennen, beantragen, befreien, einwilligen, entlassen, entschuldigen, erlauben, ermächtigen, genehmigen, gewähren, verbieten, verfugen, verordnen u. a. (8) Akte des Sich-Verpflichtens (act of committing): Der Sprecher erklärt sich bereit, eine Verpflichtung einzugehen, den in der Proposition ausgedrückten Sachverhalt herbeizuführen. Beispiele: akzeptieren, anbieten, garantieren, geloben, schwören, versichern, versprechen, sein Wort geben u. a. Aus der gedrängten Wiedergabe des FRASERschen Klassifikationsvorschlages ist zu entnehmen, daß es bei dieser Taxonomie im Grunde genommen nicht um eine Klassifikation illokutiver Akte, sondern um die systematische Analyse explizit performativer Verben geht, wobei der Taxonomievorschlag im wesentlichen nur den subjektiven Faktor der Intentionalität bzw. Einstellung des Sprechers in Betracht zieht und objektive Faktoren wie z. B. die Tatsache, daß Sprechakte auch erwartbare Konsequenzen für die beteiligten Personen haben können, unberücksichtigt läßt. Wie bereits SEARLES Klassifikation erfüllt auch diese Taxonomie die Anforderungen, die an eine prinzipielle Klassifikation zu stellen sind, noch nicht.
2.8.4.
WUNDERLICHS
Klassifikation illokutiver
Typen
(1976: 54 ff.) schlägt im Zusammenhang mit der Entwicklung einer integrierten Theorie der grammatischen und pragmatischen Bedeutung eine Klassifikation illokutiver Typen vor, die auf der semantischen Ebene 8 Typen von Sprechakten unterscheidet. Unterschiede zwischen Sprechaktklassen wie Aufforderungen, Versprechen, Behauptungen, Fragen u. a. versucht WUNDERLICH — wie eingangs bereits angedeutet — auf der semantischen Ebene zu differenzieren, die Abgrenzung der zu einem Sprechakttyp gehörenden Subklassen, z. B. die Spezifizierung des Sprechakttyps der Aufforderung nach Bitten, Befehlen, Anordnungen usw. wird demgegenüber auf der pragmatischen Ebene vorgenommen. Ausschließlich pragmatisch charakterisiert werden in WUNDERLICHS Sprechakttheorie die sogenannten konditionalen Sprechakte, die Sprechhandlungen wie Warnungen, Drohungen, Ratschläge, Belehrungen, Vorwürfe, Vorschläge u. a. umfassen, sowie die redeorganisierenden Sprechakte, d. h. die metakommunikatiWUNDERLICH
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ven Äußerungen. Entscheidendes Kriterium zur Differenzierung der einzelnen illokutiven Typen ist bei WUNDERLICH die Stellung der Sprechakte zu allgemein notwendigen Interaktionsbedingungen. In diesem Zusammenhang kritisiert WUNDERLICH, daß in den meisten sprechakttheoretischen Forschungsansätzen im allgemeinen und in den bisher vorgeschlagenen Typologien im besonderen der objektive Charakter der Sprechakte weitgehend vernachlässigt wird. Die illokutive Kraft ist für WUNDERLICH etwas, das neue Interaktionsbedingungen einführt. Wenngleich diese Eigenschaft nicht für alle Sprechhandlungen zutrifft — Entschuldigungen erfüllen bereits bestehende Interaktionsbedingungen — scheint es dennoch gerechtfertigt, Sprechakte primär in bezug auf dieses Kriterium zu klassifizieren und nicht in bezug auf die Intention des Sprechers, da nahezu jeder Sprechakt bestimmte Konsequenzen für den weiteren Handlungsablauf hat, Intentionen aber für zahlreiche Sprechakte — besonders für institutionalisierte — irrelevant sein können. Mit der von WUNDERLICH gewählten Klassifikationsbasis kommt ein weiterer, außerordentlich wichtiger Aspekt ins Spiel, der in den vorangegangenen Klassifikationen gänzlich vernachlässigt wurde. Für WUNDERLICH gehört es zur Natur der Sprechakte, daß sie in bestimmten Handlungssequenzen stehen, wodurch der daraus abgeleitete Klassifikationsrahmen nicht nur umfassender als der auf der Intentionalität isolierter Sprechakte basierender Typologien ist, er ist damit auch adäquater. Von WUNDERLICH werden folgende illokutive Typen unterschieden: (1) Direktive Sprechakte: Aufforderungen, Bitten, Befehle, Anweisungen, Anordnungen, Instruktionen, Normsetzungen (2) Kommissive Sprechakte: Versprechungen, Ankündigungen, Drohungen (3) Erotetische Sprechakte: Fragen (4) Repräsentative Sprechakte: Behauptungen, Feststellungen, Berichte, Beschreibungen, Erklärungen, Versicherungen (5) Satisfaktive Sprechakte: Entschuldigungen, Danksagungen, Antworten, Begründungen, Rechtfertigungen (6) Retraktive Sprechakte: Zurückziehen eines Versprechens, Korrektur einer Behauptung, Erlaubnisse (7) Deklarative Sprechakte: Benennungen, Definitionen, Ernennungen, Schuldsprüche, Festsetzen einer Tagesordnung, Eröffnung einer Sitzung (8) Vokative Sprechakte: Anrufe, Aufrufe, Anreden Direktive und erotetische Sprechakte sind initiativ, d. h., sie führen neue Interaktionsbedingungen ein und eröffnen somit eine Handlungsfolge. Satisfaktive Sprechakte sind demgegenüber reaktiv, da sie bereits bestehende Interaktionsbedingungen erfüllen und somit Handlungsfolgen abschließen. Die Anzahl der illokutiven Typen entspricht nicht der Anzahl der grammatischen Modi. Gegen eine solche Gleichsetzung sprechen zahlreiche empirische Fakten, denn nur direk-
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tive und erotetische Sprechhandlungen können unmißverständlich durch die entsprechenden grammatischen Modi ausgedrückt werden.
2.9. Analyse von
Sprechhandlungssequenzen
In den vorangegangenen Kapiteln wurde skizziert, wie Sprechakte durch die vor allem auf AUSTIN und SEARLE zurückgehenden Forschungsansätze analysiert und klassifiziert wurden. Wir konnten dabei immer wieder feststellen, daß die von der sprachanalytischen Philosophie entwickelten Modellvorschläge nahezu in toto davon abstrahierten, daß Sprechakte in der Regel nicht isoliert vollzogen werden und demzufolge auch nicht allein, sondern stets in bestimmten Sprechhandlungssequenzen vorkommen und somit in bestimmten Sequenzmustern organisiert sind. Die Sequenzstruktur von Sprechhandlungen spiegelt sich nicht nur in komplexen, aus mehreren einzelnen Sprechakten zusammengesetzten Sprecheinheiten wider, sie ist auch charakteristisch für einzelne Sprechakte wie für ganze Diskursarten bzw. Textsorten. Aus der verstärkten Hinwendung zur Analyse von Sprechhandlungssequenzen sowie Zusammenhängen der Sprecheinheiten ergeben sich für die Sprechakttheorie zahlreiche Konsequenzen, die wir im folgenden kurz skizzieren wollen. (1) Es bedarf keiner besonderen Hervorhebung, daß die stärkere Orientierung der Sprechakttheorie auf die Analyse von Sprechhandlungsfolgen zu einer wesentlichen Erweiterung ihres bisherigen Objektbereichs führte. Waren es bisher einzelne, aus dem Kontext herausgelöste Sprechakte, die das Untersuchungsobjekt der Sprechakttheorie AusTiNscher und SEARLEscher Prägung darstellen, so wurden mit der eingangs erwähnten Neuorientierung mehr und mehr komplexe Einheiten, d. h. Texte in die Untersuchung einbezogen und mit den Instrumentarien der Sprechakttheorie zu beschreiben versucht. Im Zusammenhang damit verlagert sich der Schwerpunkt der Untersuchungen von der Beschreibung monologischer und schriftlich repräsentierter Texte zur Analyse dialogischer und mündlich repräsentierter Texte. (2) Von der Mehrzahl der auf AUSTIN und SEARLE zurückgehenden Forschungsansätze wurden Sprechakte im Grunde genau so als isolierte Einheiten erklärt und beschrieben wie bisher Sätze oder Propositionen durch die Grammatiktheorie. In den Analysen wurden darüber hinaus die konkreten Bedingungen, unter denen Sprechhandlungen vollzogen werden, weitgehend ausgeblendet. Im Prinzip ging es SEARLE u. a. gar nicht um die Analyse konkreter Sprechakte, sondern um die Ermittlung derjenigen Gesetzmäßigkeiten, die der Produktion von Sprechhandlungen zugrunde liegen. Im Gegensatz dazu wurde die Analyse von Sprechhandlungssequenzen streng sprachspezifisch in Angriff genommen, so daß die Analyse der Bedingungen, die Sprechhandlungen überhaupt erst ermöglichen,
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sowie des Verhältnisses zwischen Sprechakt und außersprachlichen Kontext nicht länger unberücksichtigt bleiben konnte. (3) In sprechakttheoretischen Untersuchungen ist immer wieder hervorgehoben worden, daß Kommunikation ein kooperatives Unternehmen, eine kooperative Tätigkeit ist, an der zumindest zwei Personen beteiligt sind. Durch die vorrangige Orientierung auf monologische Produktionsmodelle ist der intersubjektive Charakter der Kommunikation bisher nur in sehr wenigen Modellen zum Tragen gekommen. Mit der verstärkten Hinwendung zur Analyse von Sprechhandlungsfolgen ist im Rahmen der Sprechakttheorie erstmals deutlich gemacht worden, daß die bisher entwickelten Modelle der Wirklichkeit nicht gerecht werden, da Kommunikation keine isolierte Tätigkeit ist, sondern eine Tätigkeit, die in der Regel von einer Vielzahl nicht sprachlicher Prozesse umgeben ist, die für das Gelingen der sprachlichen Verständigung unmittelbar wichtig sind. Das bedeutet konkret, daß der Handlungsbegriff, wie er in mehreren Modellvorschlägen definiert wurde, einer gründlichen Revision zu unterziehen ist, d. h. daß ein Handlungsbegriff zu entwickeln ist, der aus der zwischenmenschlichen Verständigung abgeleitet wird und somit die Produktion und Interpretation von Sprechhandlungen auf einen einheitlichen Begriff bezieht. Das bedeutet aber auch, daß die Annahmen über Kognition, wie sie beispielsweise der These von der semantischen bzw. konventionellen Natur der Sprechakte zugrunde liegen, grundsätzlich korrigiert werden, da sie Ausdruck einer Denkweise sind, die in den Wissenschaften, die sich mit menschlicher Informationsverarbeitung befassen, seit langem als überwunden gilt. Für diesen Einwand gibt es zahlreiche Evidenzen. Wir haben bereits an mehreren Stellen deutlich zu machen versucht, daß das handelnde Subjekt in einer Vielzahl von Forschungsansätzen lediglich als ein mechanisch handelndes Subjekt verstanden wird, das bei der interpretativen Verarbeitung einer sprachlichen Äußerung keine anderen Informationen als eben diese Äußerung in Anspruch nimmt. Dieser Ansatz, nach dem der geäußerte Satz als einzige Quelle für die Identifikation der illokutiven Rolle angesehen wird, stellt im Grunde genommen in Abrede, daß der Mensch über komplexe kognitive Mechanismen verfügt, die keineswegs nur im vorhinein festgelegte Form-InhaltBeziehungen reidentifizieren, sondern unablässig auf eine Vielzahl zusätzlicher, implizierter, situativer sowie im Textkontinuum ausgedrückter Informationen zurückgreifen und diese mit den im Gedächtnis gespeicherten Kenntnissystemen in Beziehung setzen, um somit die gesamte Information einer Äußerung zu erfassen, die das verbal Repräsentierte weit überschreiten kann. (4) Die Sprechakttheorie hat sich ihren Objektbereich selbst ausgegrenzt und die dafür angemessenen Analyseeinheiten zu bestimmen versucht. Wir erinnern noch einmal daran, daß die Sprechakttheorie ihr wichtigstes Ziel nicht in der Analyse konkreter Sprechhandlungen sah, sondern in der Analyse performativer Formeln, die mit der Realität der sprachlichen Kommunikation durch das idealisierende
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Prinzip der Ausdrückbarkeit verbunden sind. Als fundamentale Analyseeinheit wurde der Sprechakt angenommen, wobei unter einem Sprechakt die grundlegenden oder kleinsten Einheiten der sprachlichen Kommunikation verstanden wurden, d. h. die Produktion oder Hervorbringung von Satzzeichen (vgl. SEARLE 1 9 7 5 : 3 0 und 36). Die Analyse zusammenhängender Sprechhandlungsfolgen benötigt neben dem Begriff des Sprechakts weitere Kategorien, um eine hinreichend vollständige Charakterisierung der Sprechhandlungsfolgen bzw. komplexen Sprecheinheiten zu ermöglichen. Als Grundeinheit der Sprechakttheorie, deren Ziel es ist, Sprechhandlungsfolgen zu analysieren, wird von WUNDERLICH u. a. der Redebeitrag angesehen, worunter eine Folge von 1 — n Sprechakten bzw. Sprechhandlungen verstanden wird, die ein Sprecher nacheinander, d. h. ohne Unterbrechung ausführt. Ein Redebeitrag kann eine ganze Abfolge von Sprechhandlungen realisieren, er kann aber auch minimal sein, unter Umständen ist er nicht einmal von verbaler Natur. Jeder Redebeitrag besitzt — wie WUNDERLICH ( 1 9 7 6 : 298ff. und 1 9 7 8 : 287ff.) gezeigt hat - zwei Eigenschaften. Erstens besitzt er eine kommunikative Funktion, d. h. eine für den Hörer erkennbare kommunikative Funktion. Zweitens weist ein Redebeitrag eine bestimmte innere Struktur auf, womit bereits zum Ausdruck gebracht ist, daß die Abfolge und Gliederung der einzelnen Redebeiträge keineswegs zufallig ist, sondern im allgemeinen „immer relativ zum gerade erreichten Entwicklungsstand eines Diskurses" (WUNDERLICH 1 9 7 6 : 2 9 9 ) zu sehen ist. Aus unserer kommunikativen Praxis ist uns bekannt, daß zahlreiche Sprechhandlungen wie Frage, Aufforderung, Beschuldigung typisch initiative, d. h. sequenzeröffnende Sprechakte sind, wohingegen Antwort, Gegenfrage, Danksagung, Rechtfertigung, Entschuldigung u. a. reaktive Sprechakte sind und Sprechhandlungssequenzen abschließen können. Die Abfolge von Sprechhandlungen ist nicht nur für Sprechhandlungen charakteristisch, mit denen im allgemeinen ein Sprecherwechsel verbunden ist, d. h. in denen der Sprecher, der einen initiativen Redebeitrag macht, dem Kommunikationspartner die Möglichkeit zu einem Redebeitrag gibt. Auch Sprechhandlungsfolgen wie Argumentationen sind keine willkürlichen Aneinanderreihungen, sondern Folgen mit genau festgelegten Sequenzstrukturen. Neben den Analyseeinheiten Sprechakt und Redebeitrag benötigt die Analyse von Sprechhandlungssequenzen Begriffe wie Sprechaktsequenzmuster und Textsorte bzw. Diskurstyp, um der Tatsache Rechnung zu tragen, daß es zahlreiche Sprechhandlungsfolgen gibt, in denen die Abfolge der einzelnen Sprechakte bereits festgeworden ist und somit den Status sozialer Normen erreicht hat. (5) Die Verlagerung des Interesses der Sprechakttheorie von der Analyse isolierter Sprechakte auf die Beschreibung von Sprechhandlungssequenzen hat wesentlich dazu beigetragen, daß die Barrieren, die z. B. zwischen der Textlinguistik, der Konversations- und Diskursanalyse bisher bestanden, systematisch abgebaut werden konnten. Für die bisherige Entwicklung dieser linguistischen Teildisziplinen
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war charakteristisch, daß sie sich weitgehend isolativ entwickelten und in keiner Weise aufeinander Bezug nehmen. Die Interessenverlagerung der Sprechakttheorie trug mit dazu bei, daß sich Forschungsrichtungen wie die Textlinguistik mit neuen Fragestellungen beschäftigten, für die sie aus der linguistischen Pragmatik, verschiedenen Forschungsansätzen der Konversationsanalyse u. a. wesentliche Entwicklungsimpulse erhielten. Die Untersuchung geschriebener Texte hat eine lange Tradition. Sprachwissenschaft, Rhetorik und Stilistik haben die Regeln, die Sätze zu Texten verbinden, vorwiegend auf der Ebene der Syntax und Semantik gesucht. Dabei wurde die Annahme vertreten, daß Texte die gleichen semantischen, syntaktischen und kommunikativ-pragmatischen Eigenschaften wie Sätze haben und daher auch durch eine Grammatik zu beschreiben sind. LABOV (1970), ISENBERG (1977), REHBEIN (1972), WUNDERLICH (1976) u. a. haben gezeigt, daß der Rahmen, in dem Texte bisher beschrieben wurden, zu eng ist. Die Regeln, die Äußerungen zu Texten verknüpfen, sind demzufolge auf der Ebene der Sprechhandlungen zu suchen, so daß ein Text auch nicht primär als eine Abfolge von Sätzen, sondern als Ergebnis einer Abfolge von Sprechhandlungen zu verstehen ist. Diese Abfolge ergibt sich nicht allein aus den syntaktischen und semantischen Eigenschaften der Sätze, sie ergibt sich auch aus den Bedingungen, unter denen Texte produziert und rezipiert werden. Andererseits darf nicht übersehen werden, daß die im Rahmen der Konversationsanalyse bzw. Diskursanalyse entwickelten Forschungsaktivitäten, die ausschließlich mit empirisch erhobenen Sprachdaten arbeiten und diese strikt im textuellen Gesamtzusammenhang analysieren, ganz entscheidenden Einfluß auf die Sprechakttheorie SEARLEscher Prägung hatten.
3.
Schlußfolgerungen
Ziel unseres Beitrages war es, einige jener Forschungsansätze kritisch zu behandeln, die als Alternativen zur bisherigen Grammatiktheorie vor mehr als zehn Jahren in der Linguistik die sogenannte .pragmatische Wende' herbeigeführt haben. Auf Grund der Themenstellung war es nicht möglich, alle Forschungsansätze, von denen neue Impulse für eine Theorie der Bedeutung ausgegangen sind, hier eingehender zu charakterisieren. Wir haben uns dabei auf jene Modellvorschläge beschränkt, die innerhalb einer Theorie sprachlichen Handelns entwickelt wurden, und uns vorrangig auf die Frage konzentriert, wie eine Semantiktheorie um diejenigen Aspekte der Bedeutung erweitert werden kann, die beim Gebrauch der Sprache an den Tag treten und festlegen, was ein Satz ausdrückt, wenn er geäußert wird. Die unterschiedlichen Wege, die zur Erreichung dieses Ziels eingeschlagen wurden, lassen sich im wesentlichen in zwei methodologisch
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unterschiedliche Richtungen einordnen, die wir als Erweiterung bestehender Grammatikmodelle einerseits und als Entwicklung neuer Modellvorschläge andererseits eingehender charakterisiert haben. Bei den unter dem Begriff der Modifikation existierender Grammatikmodelle zusammengefaßten Forschungsansätzen ging es primär darum, diejenigen Aspekte, die durch die Betrachtung des Sprachsystems in seiner tätigen Realisierung ins Spiel kommen, entweder der syntaktischen oder der semantischen Komponente zuzuweisen oder aber durch die Einbeziehung einer sogenannten kommunikativ-pragmatischen Komponente in die Grammatik zu erfassen und zu beschreiben. Es ist unbestritten, daß damit unsere Einsichten in die semantische Seite der sprachlich-kommunikativen Tätigkeit vertieft werden konnten, mit den Modifikationsversuchen entfernte sich aber die Grammatik mehr und mehr von dem semiotischen Aspekt als dem zentralen Abstraktionsgesichtspunkt ihrer bisherigen Gegenstandsbestimmung. Der zweite Weg bestand in der Entwicklung integrierter Theorien der Bedeutung natürlicher Sprachen auf der Grundlage einer Theorie sprachlichen Handelns. Ausgangspunkt dieser Bedeutungstheorien war die Annahme, daß die sprachlichen Eigenschaften von Sätzen nicht unabhängig von einer Charakterisierung der kommunikativen Situation erforscht werden können. Damit war eine wesentliche Schwerpunktverlagerung der linguistischen Forschung verbunden, durch die das linguistische Interesse auf die Charakterisierung der Merkmale des Sprachkontextes, auf die Explikation der Bedingungen, unter denen Sprechhandlungen gelingen, sowie auf die Ermittlung der Struktur von Sprechhandlungen gelenkt wurde. Mit dem Versuch, die Aussagen über Sprache auf Aussagen von Nachbardisziplinen wie Soziologie, Handlungstheorie, Psychologie, Geschichte u. a. zu beziehen, ergab sich aber häufig das Problem, daß die eigentlich genuin linguistischen Begriffe nicht ohne weiteres mit sozialwissenschaftlichen Begriffen in Beziehung gesetzt werden konnten, so daß der Anspruch, mit dem einzelne Forschungsansätze auftraten, vielfach schon wegen einer ungeeigneten Begrifflichkeit nicht eingelöst werden konnte. Als wesentlicher Grund dafür ist jedoch die Tatsache anzusehen, daß sich die Forschung auf diesem Gebiet erst am Anfang befindet, so daß gegenwärtig noch keine expliziten Theorien über die kommunikativen, soziologischen, psychologischen u. a. Aspekte (1er Sprache existieren. Bei einer solchen Forschungssituation ist es verständlich, daß zunächst der Orientierungsrahmen abgesteckt wird, in dem eine Theorie der Bedeutung natürlicher Sprachen zu entwickeln ist. Wie eine explizite Theorie der Bedeutung aufzubauen ist, ist gegenwärtig noch weitgehend offen; daß es sich hierbei jedoch um einen komplexen Forschungsansatz handelt, der aus einer Theorie der Wahrheitsbedingungen (propositionaler Bedeutungsbereich) und einer Theorie sprachlichen Handelns (pragmatischer Bedeutungsbereich) sowie einer Theorie besteht, die die beiden Bedeutungsbereiche in systematischer Weise verbindet, ist eine Schlußfolgerung, die bereits heute aus den gewonnenen Einsichten gezogen werden kann.
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Semantik und Sprechakttheorie
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Renate Pasch und Ilse Zimmermann
Die Rolle der Semantik in der Generativen Grammatik
Einleitung Eine zentrale Frage für die Sprachwissenschaft und auch für die Semantikforschung ist das Problem, nach welchen Prinzipien und Regeln in sprachlichen Äußerungen Bewußtseinseinheiten auf Lautfolgen bezogen sind, wie LautBedeutungs-Zuordnungen in den konkreten historisch gewachsenen natürlichen Sprachen zum Zwecke der Kommunikation kodifiziert sind. Der Darstellung dieser komplizierten, über mehrere Strukturebenen vermittelten Beziehung zwischen Laut und Bedeutung wurden seit der Antike einzelsprachige Grammatiken und später auch Wörterbücher gewidmet, die in gewissem Sinne als partielle Abbildung der einzelnen Sprachsysteme betrachtet werden können. Allerdings zeigt sich beim Gebrauch solcher Grammatiken und Wörterbücher, daß die Erfassung der Regularitäten der Laut-Bedeutungs-Zuordnung unvollständig und unsystematisch ist, so d a ß der Grammatik- und Wörterbuchbenutzer nicht selten auf seine Intuition angewiesen ist, um Lücken, widersprüchlichen Auskünften und zusammenhangloser Darstellung von Fakten zu begegnen. Besonders kennzeichnend ist, daß Grammatik und Wörterbuch nicht als Teilkomponenten eines einheitlichen Regelsystems aufeinander bezogen wurden und keine Annahmen über Konstruktionsprinzipien gemacht wurden, nach denen sich die Bedeutung sprachlicher Äußerungen aus den Bedeutungen ihrer Komponenten zusammensetzt. Ein zentrales Anliegen der neueren linguistischen Forschung ist es in zunehmendem Maße, Regularitäten der Laut-Bedeutungs-Zuordnung in allen ihren Einzelheiten und Zusammenhängen zu erfassen und als ein System von Regeln und Prinzipien auf durchweg explizite Weise darzustellen. Das schließt die Explizierung der Bedeutungsstruktur sprachlicher Äußerungen ein — eine Aufgabe, die für die Linguistik nicht geringe intra- und interdisziplinäre Bedeutung hat. In der folgenden Untersuchung soll die Gesamtproblematik beispielhaft a n h a n d eines Vergleichs zweier relativ gut ausgearbeiteter Grammatikmodelle, der Interpretativen Semantik (IS) und der Generativen Semantik (GS), dargelegt werden. Es ist zu zeigen, wie in einer generativen Transformationsgrammatik (TG), die den Anspruch erhebt, als wissenschaftliches Abbild des Sprachsystems zu gelten,
Generative Grammatik
247
Bedeutungseinheiten und Lautfolgen aufeinander bezogen werden und insbesondere wie die Semantik in die Grammatik integriert ist. Im Vordergrund stehen die Art und der Grad der Vermitteltheit des Zusammenhangs zwischen Bedeutungs- und Lautstrukturen und das Zusammenwirken der verschiedenen Bedeutungsaspekte sprachlicher Äußerungen auf den einzelnen Strukturebenen. Bei dem Vergleich der IS und der GS werden wir uns darauf konzentrieren, Antworten auf folgende Fragen zu finden: (a) Welche unterschiedlichen Bewußtseinsfaktoren werden in Regeln der LautBedeutungs-Zuordnung natürlicher Sprachen — d. h. in deren Grammatiken - erfaßt? (b) Wie konstituieren diese Faktoren in sprachlichen Äußerungen gemeinsam deren Bedeutung? (c) Welche Vorstellungen gibt es bezüglich des Zusammenhangs zwischen semantischer Strukturbildung, syntaktischen Regeln und Lexikon? Wir legen unseren Untersuchungen den entwickeltsten Stand der zu vergleichenden Grammatikmodelle der IS und der GS zugrunde und verfolgen ihre Entwicklungslinien nur, soweit dies für die Behandlung der genannten Problemkreise von Belang ist.1 Bezüglich der wissenschaftsgeschichtlichen Einbettung und der philosophischen und methodologischen Implikationen der TG 2 möchten wir bei allen Einschränkungen im Detail hervorheben, daß die TG einen fruchtbaren Beitrag zur Klärung der auch erkenntnistheoretisch sehr wesentlichen Frage geleistet hat, wie Bewußtseinseinheiten und sprachliche Ausdrucksmittel miteinander verknüpft sind. Die über diese Beziehung im Rahmen der TG entwickelten Modellvorstellungen sind auch in methodologischer Hinsicht ein nicht zu unterschätzender Fortschritt in der sprachwissenschaftlichen Forschung. 3 Eine umfassende Sprachtheorie, die auf dem Fundament der marxistisch-leninistischen Weltanschauung alle Seiten berücksichtigt, die das Wesen natürlicher Sprachen ausmachen und ihre Entwicklung bestimmen, kann sich auch auf eine Reihe von begründeten Erkenntnissen der TG stützen. 4 1
Für uns beispielgebende, sehr informative Überblicke über die Entwicklung der TG und die Behandlung der verschiedenen Bedeutungsaspekte sprachlicher Äußerungen haben DEAN FODOR ( 1 9 7 7 ) , SOBOLEVA ( 1 9 7 7 ) u n d DANES z u s a m m e n m i t HLAVSA u n d K o f t E N S K Y ( 1 9 7 3 )
gegeben. Wir verweisen auch auf die Darstellung der Entwicklung der TG von IMMLER (1974). 2
V g l . d a z u BIERWISCH, HEIDOLPH, MÖTSCH, NEUMANN, SUCHSLAND ( 1 9 7 3 ) .
3
Die Relevanz der in den verschiedenen Wissenschaften immer breiter und tiefgründiger praktizierten Modellmethode für die wissenschaftliche Erkenntnis und Theoriebildung hat HÖRZ (1978) mit Nachdruck hervorgehoben. Auf diesem Hintergrund sehen wir auch die in der Reihe Studia Grammatica des AkademieVerlags Berlin veröffentlichten zahlreichen Arbeiten zur TG (siehe u. a. BIERWISCH 1963;
4
248
R. Pasch/I. Zimmermann
Unser Entschluß, die Rolle der Semantik in der Grammatik natürlicher Sprachen. anhand von TG-Modellen zu erörtern, bedeutet nicht, daß wir die rationalistischen psychologischen und philosophischen Interpretationen der T G akzeptieren müßten, die insbesondere von C H O M S K Y 5 und nicht wenigen seiner Anhänger gegeben wurden und werden. Diese Interpretationen 6 folgen nicht zwingend aus den Annahmen über die Art und Weise, wie die Regularitäten der LautBedeutungs-Zuordnung, die sprachlicher Kommunikation im einzelnen eigen sind, wissenschaftlich zu beschreiben sind. Wir sehen unsere Aufgabe vor allem darin, im Rahmen unseres Themas die Erträge zu beleuchten, die die T G für die Entwicklung der Linguistik allgemein und für die Semantikforschung im besonderen gebracht hat. Zugleich soll auch verdeutlicht werden, wo noch gravierende Lücken in der Forschung bestehen. In unseren Betrachtungen über die Rolle der Semantik in der Grammatik werden wir uns mit der GS und der IS auseinandersetzen, weil hier zwei gegensätzliche, aber durch ihre gemeinsame theoretische Grundlage relativ gut vergleichbare Grammatikkonzeptionen vorliegen. In dem Gegensatz, den diese beiden Konzeptionen bilden, liegt eines der grundlegenden spezifisch linguistischen Probleme, mit dem semantische Forschungen konfrontiert sind, nämlich die Frage, wie Lautstrukturen auf Bedeutungsstrukturen bezogen sind. Beide Modelle zeichnen sich durch eine ganzheitliche Betrachtungsweise des Sprachsystems aus und schließen das Lexikon und die Semantik als Komponenten der Grammatik ein. Sie streben in der wissenschaftlichen Beschreibung der entdeckten Regularitäten der Laut-Bedeutungs-Zuordnung nach Vollständigkeit und Explizitheit auf allen Strukturebenen. Sie haben ihre Entwicklung im einzelnen durch eine wechselseitige Polemik vorangetrieben. Die Einleitung und der Schluß sind unser Gemeinschaftsprodukt. Die Abschnitte 1.2., 2.3., 3.2.3., 3.3.3., 4.4. und 5. verfaßte R. P A S C H als Anwalt der GS. Die Position der IS vertrat I. Z I M M E R M A N N , die alle übrigen Abschnitte schrieb und die Gesamtredaktion besorgte. Für helfende Kritik danken wir E. S . K U B R J A K O V A , M . B I E R W I S C H , E. L A N G , D . VIEHWEGER, W . M Ö T S C H , B . K R A F T u n d K .
MENG.
MÖTSCH 1964 u n d 1 9 6 5 ; HÄRTUNG 1 9 6 4 ; STEINITZ 1 9 6 9 ; ISENBERG 1 9 6 8 ; WURZEL 1 9 7 0 ; LANG
1977 a), die verschiedenen Studien von RÖZIÖKA am Material slawischer Sprachen (siehe vor allem R£I2ICKA 1966 und 1980), Grammatikentwürfe wie im 4. Kapitel der „Theoretischen Probleme der Sprachwissenschaft" (1976) und in den „Grundzügen einer deutschen Grammatik" (1981). 5
S i e h e v o r a l l e m CHOMSKY ( 1 9 6 6 , 1968).
6
Zur rationalistischen Interpretation der TG siehe MÖTSCH (1974: Abschnitt 4).
Generative Grammatik
249
1. Generative Transformationsgrammatik als System von Regeln der Laut-Bedeutungs-Zuordnung
1.1. Der Gegenstand der Grammatik Bevor gezeigt wird, wie die Vertreter der IS und der GS die Beziehung von Semantik, Syntax und Lexikon in der Grammatik sehen, sollen als Vergleichsgrundlage einige wesentliche allgemeine Eigenschaften einer T G hervorgehoben werden. Die Gesamtheit der für eine Sprache geltenden Regularitäten der wechselseitigen Zuordnung von Bedeutungen und phonetisch oder graphisch manifestierten Signalstrukturen bildet das Sprachsystem, dessen wissenschaftliche Rekonstruktion die Grammatik ist. Da das Sprachsystem keine von den betreffenden Sprachträgern losgelöste Existenz hat, ist die Grammatik zugleich eine Hypothese über die Sprachkompetenz, d. h. über die mehr oder weniger unbewußte Kenntnis des Sprachsystems, die die Mitglieder der gegebenen Sprachgemeinschaft im Prozeß der Sprachaneignung erworben haben. Die Grammatik — einschließlich des Lexikons — muß als wissenschaftliches Abbild des Sprachsystems und der Sprachkompetenz das in einer Sprache Mögliche spezifizieren, unabhängig davon, ob es in einem gegebenen Corpus realisiert ist. , , . . . A O C T O H H C T B O cjioßapa H R P A M M A R A K H ;IOJDKHO H 3 M E P H T B C A B O 3 Mo>KHocTbK) n p n HX n o c p e a c T B e
cocTaBjiHTb j n o ö b i e npaBHJibHbie (J>pa3bi BO
Bcex cjiynaax 5KH3HH H B n o j m e noHHMaTb Bce roßopHMoe Ha aanHOM H3biice", vermerkt SCERBA7, der mehrfach auf den innovativen Charakter des Sprachgebrauchs hinweist. Die ununterbrochene Auseinandersetzung des Menschen mit seiner natürlichen und sozialen Umwelt in Form ihrer fortschreitenden Erkenntnis und praktischen Veränderung verlangt und bedingt, daß die Bedeutungsstrukturen wie auch die sprachlichen Äußerungsformen in ihrem Inventar, ihrer Strukturierung und gegenseitigen Bezogenheit über Eigenschaften verfügen, die die sprachlich gebundene Verarbeitung und Vorwegnahme immer neuer Situationen ermöglichen. Die theoretische Klärung dieser Aspekte der Sprachstruktur wurde in der von CHOMSKY begründeten und in den letzten 20 Jahren von einer wachsenden Zahl von Sprachwissenschaftlern verschiedener Länder weiterentwickelten T G mit besonderem Nachdruck vorangetrieben. Dieser Grammatiktheorie zufolge stellt die Grammatik einen rekursiven Konstruktionsmechanismus dar, der im Rahmen einer endlichen Menge von Grundeinheiten und Strukturprinzipien jedem Satz aus einer potentiell unendlichen Menge von Sätzen mindestens eine Struktur7
SCERBA ( 1 9 3 1 ) in ZVEGINCEV ( H r s g . ) ( 3 1 9 6 5 : I I , 362).
R. Pasch/I. Zimmermann
250
beschreibung zuordnet, die angibt, wie der betreffende Satz auf der Basis seiner Bestandteile und ihrer Relationen gebildet und verstanden wird. 8 In diesem Sinne ist eine generative Grammatik aufzufassen als ein System von Strukturvorschriften, das in durchweg expliziter Weise die in einer bestimmten Sprache geltenden Regularitäten der Laut-Bedeutungs-Zuordnung angibt. Die Grammatik ist weder ein psycholinguistisches Sprecher- oder Hörermodell noch eine Theorie der Kommunikationshandlungen, sondern sie umfaßt für eine konkrete Sprache die Regularitäten der Laut-Bedeutungs-Zuordnung und repräsentiert die Sprachkenntnis, die für den aktuellen Sprachgebrauch eine Grundvoraussetzung ist. 9
1.2. Grammatik als Ergebnis einer methodischen
Abstraktion
Wenn wir hier die Stellung der Semantik in der Grammatik am Beispiel der IS und der GS behandeln, so sind wir uns dessen bewußt, daß diese beiden Theorien nur eine Seite sprachlichen Verhaltens beschreiben und erklären. Wir verstehen diese Grammatiktheorie als Teiltheorie einer umfassenden Sprachtheorie. Ihre Aufgabe ist es, die Aufbauprinzipien möglicher einzelsprachlicher Grammatiken festzulegen. (Vgl. B I E R W I S C H et al. 1 9 7 1 : 1 1 . ) Dabei ist unter Grammatik die Charakterisierung des Systems einer Einzelsprache „als eines der Aspekte der Struktur des sprachlichen Verhaltens, nämlich als dessen Strukturierung hinsichtlich der regulären Zuordnung von Lautformen und Bewußtseinsinhalten" (ibid.: 8) zu verstehen. Grammatiktheorien betrachten also Sprache unter einem speziellen Abstraktionsgesichtspunkt, nämlich dem semiotischen. (Vgl. B I E R W I S C H , H E I D O L P H , M Ö T S C H , N E U M A N N , S U C H S L A N D 1 9 7 3 : 1 1 sowie 11 ff. ausführlicher zum Gegenstand der Grammatiktheorie.) Insofern, als in einer Grammatik die Struktur einer Sprache hinsichtlich der Laut-Bedeutungs-Zuordnung beschrieben und sprachliches Verhalten als in dieser Hinsicht geregeltes Verhalten erklärt wird, d. h. insofern die Grammatiktheorie Strukturerklärungen liefert (siehe K A N N G I E S S E R 1 9 7 6 : 7 3 ) , gibt sie Antwort auf die Frage, wie sprachliche Kommunikation möglich ist (ibid.). Ein Aspekt, von dem bei der Formulierung „traditioneller" und struktureller Grammatiken — und auch in der Theorie der IS — abstrahiert wird, ist die Einbettung sprachlichen Verhaltens in nichtsprachliche Bedingungsgefüge, in
8
CHOMSKY, MILLER ( 1 9 6 3 : 2 8 5 ) u n d CHOMSKY ( 1 9 6 5 / 1 9 7 0 : 14).
9
V g l . SCERBA ( 1 9 3 1 ) in ZVEGINCEV ( H r s g . ) ( 3 1 9 6 5 : II, 3 6 1 ) u n d CHOMSKY ( 1 9 6 5 / 1 9 7 0 :
18).
„Actually, grammars . . . are quite neutral as between speaker and hearer, between synthesis a n d a n a l y s i s o f u t t e r a n c e s " , s c h r e i b t CHOMSKY ( 1 9 5 7 : 48).
Generative Grammatik
251
einen „Interpretationshintergrund sprachlicher Bedeutungen" (ANDRESEN 1 9 7 6 : 131). Die Abstraktion von solchen Faktoren muß im Rahmen einer umfassenderen Erklärung sprachlichen Verhaltens aufgehoben werden. (Vgl. ibid.: 131 ff.) Es muß in der Sprachtheorie eine sogenannte pragmatische Dimension sprachlicher Zeichen berücksichtigt werden. (Vgl. ibid.: 131, siehe zur Aufgabe pragmatischer Theorien ibid.: 1 3 2 - 1 3 3 . ) Zur theoretischen Behandlung des Zusammenhangs von grammatischen und pragmatischen Fakten wurden in der GS Vorstellungen entwickelt, auf die ausführlich in dem Beitrag von VIEHWEGER ( 1 9 8 3 ) eingegangen wird und zu denen im Rahmen des vorliegenden Kapitels in Abschnitt 5.3. kurz Stellung genommen wird. Wir sind der Auffassung, daß Bezüge sprachlicher Zeichen auf „nichtsprachliche Interpretationshintergründe" (was immer darunter zu verstehen ist), die für die — den Intentionen des Sprechers entsprechende — Interpretation einer sprachlichen Äußerung notwendig sind, in die Grammatik gehören, wenn sie Bestandteil der Bedeutung selbst, d. h. Primärbedingungen für die Verwendung einer bestimmten Lautform gegenüber anderen Lautformen sind. Aufgabe einer in allen ihren Teiltheorien entwickelten Sprachtheorie wird es dann sein, die fraglichen Teilbereiche der Grammatik, die auf die genannten pragmatischen Faktoren Bezug nehmen, zu einer Teiltheorie sprachlichen Handelns in Beziehung zu setzen.10 Es ist der TG zum Vorwurf gemacht worden, daß sie die Sprache als statisches System behandle und damit deren Natur, Keime und Möglichkeiten ihrer eigenen Entwicklung in sich zu tragen, nicht gerecht werde. Weiterhin sieht die TG mit der Annahme eines idealen Sprechers/Hörers und Mitglieds einer homogenen Sprachgemeinschaft (vgl. CHOMSKY 1 9 6 5 / 1 9 7 0 ) von der sozialen und u. U . regionalen Differenzierung des Sprachsystems ab, behandelt einen heterogenen Gegenstand also als homogen. Wenn man die methodische Natur solcher Idealisierungen nicht vergißt, haben dieselben im Zuge der immer besseren und arbeitsteiligen Erforschung des komplexen Phänomens Sprache durchaus ihre Berechtigung; ja, sie scheinen uns Voraussetzung für die Beschreibung der historischen Variabilität und sozialen Differenzierung von Sprachen zu sein: „. . . die Untersuchung der Frage, welche Gesetzmäßigkeiten in einem heterogenen System von Teilsprachen und Teilgrammatiken gelten, setzt Einsichten in die Gesetzmäßigkeiten des einfacheren Falles, der homogenen Grammatik voraus." (BIERWISCH, HEIDOLPH, MÖTSCH, NEUMANN, SUCHSLAND 1 9 7 3 : 4 2 ) Ähnlich setzt die Erforschung der historischen Variabilität 10
Im Grammatik-Modell der „Theoretischen Probleme der Sprachwissenschaft" und in den „Grundzügen einer deutschen Grammatik" erfolgt die Berücksichtigung „pragmatischer" Faktoren in einer besonderen Komponente der Grammatik, in einer kommunikativ-pragmatischen Komponente.
R. Pasch/I. Zimmermann
252
— der Veränderlichkeit von Regeln — eine Abstraktion von der Veränderung voraus; denn „bestimmte Bedingungen für die Veränderung von Regeln hängen . . . auf sehr tiefgreifende Weise mit Gesetzmäßigkeiten im Aufbau von Grammatiken zusammen" (ibid.: 43). Die Erfassung dieser Gesetzmäßigkeiten ist dann eine Phase beim Fortschreiten der wissenschaftlichen Erklärung vom (relativ) Einfachen zum Komplizierten. (Zur Grammatiktheorie als Teiltheorie der Sprachtheorie vgl. ibid.; gegen die Verabsolutierung der genannten methodischen Idealisierung durch CHOMSKY siehe ibid.: 4 5 — 4 6 . )
1.3. Die Motiviertheit
der
Satzgrammatik
Die T G ist als Satzgrammatik konzipiert. Sie spezifiziert eine infinite Menge von Sätzen und mit ihnen synonymer sprachlicher Ausdrücke bezüglich der Regularitäten der Laut-Bedeutungs-Zuordnung in Form von Strukturbeschreibungen. Das Prinzip, den Satz als Orientierungspunkt für die Grammatik — nicht nur für bestimmte Gebiete der Syntax — zu nehmen, kennzeichnet die T G seit ihrem Bestehen und hat sich in der Forschungspraxis durchaus bewährt. Sätze sind die sprachliche Manifestation des Prädizierens, der Konstitution von Sachverhalten. Sie bilden die fundamentalen Einheiten, die im Spracherwerb eine entscheidende Rolle spielen, die als Aussagen einen Wahrheitswert besitzen und aus denen die Bedeutung des jeweiligen Satzes und seiner Teile hervorgeht. 11 Betrachtet man den Satz als grundlegende sprachliche Mitteilungseinheit, so müssen für seine Bedeutung folgende Faktoren als konstitutiv gelten, unabhängig davon, wie sie in einer gegebenen Sprache auf der Ausdrucksebene in Erscheinung treten. Neben der die semantische Satzbasis bildenden propositionalen Bedeutung, d. h. neben der Darstellung eines oder mehrerer verbundener Sachverhalte, ist auch der kommunikativ-pragmatische Aspekt zu berücksichtigen. So wird die in der Satzbasis enthaltene Sachverhaltsbeschreibung ergänzt durch die ThemaRhema-Gliederung, in der sich die prädikative Beziehung zwischen Aussagegegenstand und Ausgesagtem, zwischen dem logischen Subjekt und dem logischen Prädikat, ausdrückt, ferner durch die Tatsachengeltung, die der Sender der Prädikation beimißt, und nicht zuletzt durch die Intention, die der Sender bezüglich der 11
REICHENBACH, der keine Notwendigkeit für die Unterscheidung zwischen Satz, Proposition und Aussage sieht (1966: 5, Anm. 2), führt aus: " W h a t makes a proposition the fundamental unit is the fact that only a whole proposition can be true or false — that, as we say, it has a truth-value. An isolated word like 'table' is not true or false. . . . Likewise the property of having a meaning is originally restricted to whole sentences. If we want to communicate meanings to other persons we speak in sentences; a word does not communicate anything unless it stands for a sentence." (ibid.: 6)
Generative Grammatik
253
Verarbeitung der Mitteilung seitens des Adressaten mit der Sachverhaltsdarstellung verbindet. Bezüglich des Vorrangs von Sätzen gegenüber Texten als Äußerungstypen in der Grammatik soll hier nur soviel gesagt werden: Trotz der Einsicht, daß der Satz erst im Text lebt, daß der Text viel zur semantischen Interpretation eines Satzes beitragen kann und in nicht geringem Maße seine Struktur bestimmt, erscheint es begründet, in erster Linie zu fragen, was der Satz für den Text bedeutet und nicht umgekehrt. Eine solche Blickrichtung vom Satz zum Text folgt aus der Annahme, daß der Satz als grundlegende kommunikative Einheit zu gelten hat, und bietet sich gewissermaßen an, wenn man Sätze mit beliebiger Komplexität und Länge in Betracht zieht. Gegenüber dem Text ist der Satz die fundamentale Einheit, deren Strukturbeschreibung Gegenstand der Grammatik ist, weil die Regularitäten, die sich in Strukturbeschreibungen von Texten auf die wechselseitige Zuordnung von Bedeutungsstrukturen zu Lautfolgen beziehen, keine anderen sind als die, die für Sätze gelten. Demgegenüber betreffen die über die Beschreibung der Strukturprinzipien von Sätzen hinausgehenden Regularitäten in der Konstitution komplexer Texte nicht mehr spezifische Lautstrukturen. Folglich ist ihre Erfassung in einer Grammatik, die als System von Regeln der Laut-Bedeutungs-Zuordnung konzipiert ist, nicht zwingend. Sofern eine Grammatik Sätze und deren Komponenten auch hinsichtlich ihrer textorganisierenden Funktion charakterisiert, kann man sagen, daß sie textorientiert ist. Eine textbezogene Grammatik erfaßt die in der Domäne „Satz" als Regularitäten der Laut-Bedeutungs-Zuordnung in Erscheinung tretenden Eigenschaften, die die textorganisierende Rolle des Satzes betreffen, und expliziert in den Strukturbeschreibungen von Sätzen auch Strukturmomente, die elementare Bedingungen für die sequentielle Textkonstitution und die globale Textkomposition darstellen. Ihre Distribution in Satzfolgen und textbildende Wirkung werden in speziellen Theorien über den Gegenstand „Text" beschrieben.
1.4. Das System der Komponenten der Grammatik die Strukturebenen sprachlicher Äußerungen
und
Nach diesem Exkurs zur Motivierung der Satzgrammatik sollen die Komponenten der Grammatik und die Repräsentationsebenen sprachlicher Äußerungen näher betrachtet werden. Dabei geht es um den Grad und die Art der Vermitteltheit der Beziehung zwischen Signal- und Bedeutungsstrukturen und um den Anteil und die Rolle, die die Komponenten der Grammatik in der wechselseitigen Zuordnung der Elemente der Inhalts- und der Ausdrucksebene spielen. Es kann als allgemein anerkannt gelten, daß das Sprachsystem eine strukturierte Gesamtheit von relativ autonomen Subsystemen darstellt, die ihrerseits
254
R. Pasch/I. Zimmermann
jeweils aus einem bestimmten Inventar von Grundeinheiten und aus Regeln zu deren Kombination bestehen. (Vgl. „Allgemeine Sprachwissenschaft" 1972/ 1975: II, 71 f.) Als theoretisches Analogon ist die Grammatik mit ihren in systematischer Weise zusammenwirkenden Komponenten anzusehen, so daß der Aufbau der Grammatik, die Struktur und gegenseitige Bezogenheit ihrer Komponenten nicht ein beliebig gewähltes methodisches Verfahren zur Beschreibung einer bestimmten Sprache ist, sondern sich aus dem Wesen der Sprache, aus der auf der Vielschichtigkeit des Sprachsystems beruhenden mehrfach vermittelten Beziehung von Signal- und Bedeutungsstrukturen ergibt. (Vgl. ibid.: 62.) Jede Komponente der Grammatik ist eine charakteristische Teilmenge von Strukturvorschriften und determiniert im Rahmen des von ihr erfaßten Strukturaspekts die Strukturbeschreibung sprachlicher Äußerungen. Es wird vorausgesetzt, daß die Semantik, das Lexikon, die Syntax, die Morphologie und die Phonologie relativ selbständige Komponenten der Grammatik sind und ein hierarchisch gegliedertes System bilden. Demnach schließt die Grammatik als Mechanismus der wechselseitigen Zuordnung von Bedeutungsstrukturen und lautlichen bzw. graphischen Manifestationen sprachlicher Äußerungen die Semantik ausdrücklich ein. Trotz der scheinbaren Separierung der Semantik von den übrigen Komponenten der Grammatik geht es bei letzteren gerade darum, die sprachliche Kodierung semantischer Struktureinheiten, ihre Lexikalisierung, syntaktische Organisation, morphologische Ausformung und schließlich ihre physikalische Repräsentanz, zu explizieren, so daß die Semantik der Grammatik nicht gegenübersteht, sondern sie durchdringt. Als Konsequenz dieser Position ergibt sich die Überwindung der scharfen Trennung von lexikalischer und grammatischer Bedeutung 12 und die Einbeziehung des Lexikons in die Grammatik als eine ihrer zentralen Komponenten. Insbesondere wird zu zeigen sein, welche Rolle der lexikalische Bestand einer Sprache bei der Materialisierung von Gedanken mit den Ausdrucksmitteln der natürlichen Sprache spielt und wie die einzelnen Komponenten der Grammatik in diesem sich ständig neu vollziehenden Akt zusammenwirken. Bei allen Unterschieden im Prinzip und im Detail gehen beide hier zu vergleichenden Grammatikmodelle, die IS und die GS, davon aus, daß die Grammatik die verschiedenen Strukturaspekte sprachlicher Äußerungen in Form von Strukturbeschreibungen expliziert. Jede Strukturbeschreibung ist eine Derivation D = (Pi, P2 ,..., Pr ), d. h. eine Folge von miteinander in regulärer Weise verbundenen
12
(1967: 16f.) kritisiert die übertriebene Abgrenzung grammatischer und lexikalischer Bedeutungen, die bisweilen sogar dazu führt, daß als eigentlicher Gegenstand der Semantik nur die lexikalischen Bedeutungen gelten, während die grammatischen außerhalb semantischer Untersuchungen bleiben.
APRESJAN
255
Generative Grammatik
Repräsentationen der Struktur einer sprachlichen Äußerung hinsichtlich der LautBedeutungs-Zuordnung. Entsprechend dem Aufbau und der Operationsweise der Grammatik gliedert sich jede Strukturbeschreibung in Teilfolgen, deren Anfangs- bzw. Endelemente insofern ausgözeichnet sind, als sie charakteristischen Strukturebenen angehören und jeweils spezifische, die möglichen Laut-Bedeutungs-Zuordnungen beschränkende Generalisierungen ausdrücken. Während sich diese markanten Repräsentationsstufen aus homogenen, für die jeweilige Strukturebene typischen Komponenten zusammensetzen, widerspiegeln die übrigen Elemente der Strukturbeschreibungen in der Heterogenität ihrer Struktureinheiten den schrittweisen Übergang von Strukturebene zu Strukturebene in der vermittelten Zuordnung von Bedeutungs- und Signalstrukturen. 13 Auf der Grundlage der folgenden Skizze eines Grammatikmodells sollen die spezifischen Vorstellungen der IS und der GS über den Gesamtaufbau der Grammatik und das Zusammenwirken ihrer Komponenten in der Spezifizierung von Strukturbeschreibungen und der charakteristischen Strukturebenen sprachlicher Äußerungen verdeutlicht werden. Es soll gelten: (1.4.-1) L(G)
=
{D:D
=
(Pu ... , Pd,...,
P0, ..., Pp, ..., Pr)} ist die von der
Grammatik (G) spezifizierte Menge von Strukturbeschreibungen (Derivationen). Für jedes Element dieser Menge gilt (1.4.-2). (1.4.-2) D = (Pv ... , Pä, ... , P0, ... , Pp, ..., Pr) ist eine Strukturbeschreibung einer sprachlichen Äußerung, gdw.: (a) Alle bezüglich der Laut-Bedeutungs-Zuordnung Relevanten Strukturebenen, {£•,.}, sind in D durch eine entsprechende Repräsentationsform, Pt, vertreten (/ = 1, d, o, p, r). (b) Alle Pj entsprechen den Strukturvorschriften von G (1 ^ j ^ r). (1.4.-3) Die hinsichtlich der Laut-Bedeutungs-Zuordnung relevanten Strukturebenen sprachlicher Äußerungen sind: die semantische Struktur, El = {Pj} die syntaktische Tiefenstruktur, Ed = {Pä} die syntaktische Oberflächenstruktur, E0 — {P0} die systematisch-phonemische Strukturebene, E = {Pp} die phonetische bzw. graphische Signalstruktur, Er = {Pr} Die durch (1.4.-1) bis (1.4.-3) charakterisierte Grammatik G kommt der IS nahe. Die Grammatik der GS, G', ist durch die entscheidende Hypothese geprägt, daß die syntaktische Tiefenstruktur keine die Laut-Bedeutungs-Zuordnung ver13
Zur gegenseitigen Durchdringung der einzelnen Teilsysteme des Sprachsystems vgl. „Allgemeine Sprachwissenschaft" (1972/1975: II, 64).
gemäß G
s
gemäß G'
aT
2?
5?
Phonologische Regeln
£
Morphologische Regeln
£
Syntaktische Transformationen
I1
Teilfolgen der Struktiirbeschreibung
aT
Syntaktische Ersetzungsregeln Lexikalische Transformationen
Projektionsregeln
Regeln der Grammatik G
Phonologische Regeln
Morphologische Regeln
Postlexikalische Transformationen
Lexikalische Transformationen
Prälexikalische Transformationen
Semantische Knotenzulässigkeitsbedingungen
Regeln der Grammatik G'
256 R. Pasch/I. Zimmermann
5?
!, PR, Top, F, ...)55
Dabei entspricht P1 Strukturen, wie sie durch Knotenzulässigkeitsbedingungen definiert werden. Die drei anderen Symbole des «-Tupels haben folgende Interpretation : PR ist eine Konjunktion von Präsuppositionen Top ist eine Angabe des Topiks des Satzes F ist die Angabe des Fokus des Satzes 56 Es ist nicht ausgeschlossen, daß es weitere Elemente gibt, die zur SR eines Satzes gehören (was durch „. . ." angedeutet sein soll). 57 Der Zusammenhang der Elemente dieses «-Tupels ist noch nicht geklärt. 58 Infolgedessen ist auch das Zusammenwirken von Pl mit den anderen Elementen der SR in der Derivation der Oberflächenstruktur (OS) bis jetzt in seiner formalen Behandlung in der GS noch nicht in Angriff genommen. Dies ist einer der Gründe dafür, daß wir uns in den folgenden Ausführungen im wesentlichen auf Pt als SRl konzentrieren werden. G. L A K O F F nimmt ganz allgemein an, daß Transformationen mit Präsuppositionen durch globale Derivationsbeschränkungen in Beziehung gesetzt werden können. 5 9 Die von den Basisregeln erzeugten Strukturen werden durch ein einziges System von Transformationen in OS überführt, wobei davon ausgegangen wird, daß die Transformationen die SR verhüllen. Zwischen den verschiedenen Stufen der transformationellen Ableitung der OS aus der SR1 bestehen Derivationsbeschränkungen (derivational constraints). Derivationsbeschränkungen geben die Bedingungen an, unter denen eine transformationeile Derivation — also eine 55
G. LAKOFF (1969: 119); vgl. zu diesen verschiedenen Dimensionen der Satzbedeutung auch Abschnitt 4.2.
56
Vgl. G . LAKOFF ( 1 9 6 9 : 119).
57
Vgl. i b i d . ; desgl. G . LAKOFF (1971A: 234).
58
Z. B. hält G. LAKOFF (1971 a: 263) es nicht für ausgeschlossen, daß der Begriff des Topiks ein Spezialfall des Präsuppositionsbegriffs ist. Siehe G. LAKOFF (1971 a: 263); einige Hinweise für eine adäquate Analyse und Repräsentation von Präsuppositionen von Sätzen gibt z. B. MORGAN (1969: 173f.).
59
Generative Grammatik
285
Sequenz von transformationell verbundenen Strukturbäumen (von denen der erste SR, und der letzte die OS ist) — wohlgeformt ist.60 Es werden globale und lokale Derivationsbeschränkungen unterschieden. Als lokale Derivationsbeschränkungen sind die Transformationen zu verstehen. Es handelt sich hierbei um Wohlgeformtheitsbedingungen für die Konfigurationen korrespondierender Knoten in Strukturen, die in der Derivation benachbart sind. (Vgl. G. LAKOFF 1971a: 233f.) Globale Derivationsbeschränkungen spezifizieren Wohlgeformtheitsbedingungen für Konfigurationen korrespondierender Knoten in Strukturen, die in der Derivation nicht notwendig benachbart sind. (Siehe G . LAKOFF 1970b: 6 2 8 . ) Die GS nimmt an, daß die syntaktische Kategorisierung eine semantische ist, wobei die Kategorienhierarchie im Laufe der Derivation der Oberflächenstruktur transformationeil modifiziert wird. In Abschnitt 3.2.3. werden wir zeigen, wie bei der Umbildung der Hierarchie semantischer Konstituenten in der Derivation Kategorien fortfallen können — oder die Hierarchiestufe wechseln können. Auf die Frage, in welcher Beziehung die syntaktischen Kategorien der IS zu den genannten semantischen ( = syntaktischen) Kategorien der GS stehen, werden wir im Abschnitt 5.2. eingehen. In der GS gibt es keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Semantik und Syntax: „In this theory, both the syntactic and the semantic properties of the same objects, sentences, can be adequately predicted by one single set of rules, the syntax." (SEUREN 1974 A: 115)
3. Die Rolle des Lexikons
in der Grammatik
3.1. Als wissenschaftliches Abbild des Sprachsystems schließt die TG neben den Regeln zur Konstruktion von Sätzen auch den Wortschatz der jeweiligen natürlichen Sprache ein und erfaßt die für die Rolle der Lexik in der Laut-BedeutungsZuordnung sprachlicher Äußerungen charakteristischen Regularitäten im Lexikon als einer Komponente der Grammatik. Einer solchen weiten Auffassung von Grammatik stand bereits SAUSSURE in seinen 1906—1911 gehaltenen Vorlesungen über allgemeine Sprachwissenschaft nahe: „ . . . est-il logique d'exclure la lexicologie de la grammaire? A première vue les mots, tels qu'ils sont enregistrés dans le dictionnaire, ne semblent pas donner prise à l'étude grammaticale, qu'on limite généralement au rapports existants entre les unités. Mais tout de suite on constate qu'une foule de ces rapports peuvent être exprimés aussi bien par des mots que par des moyens 60
„Falls ein bestimmter Baum Pf in einer Derivation die Struktur C, hat, muß ein bestimmter anderer Baum derselben Derivation . . . eine bestimmte Struktur C 2 haben, sonst ist die Derivation nicht wohlgeformt." (IMMLER 1974: 122)
286
R. Pasch/I. Zimmermann
grammaticaux." (SAUSSURE 1949: 186); „. . . au point de vue de la fonction, le fait lexicologique peut se confondre avec le fait syntaxique. D'autre part, tout mot qui n'est pas une unité simple et irréductible ne se distingue pas essentiellement d'un membre de phrase, d'un fait de syntaxe; l'agencement des sous-unités qui le composent obéit aux mêmes principes fondamentaux que la formation des groupes de mots." (ibid. : 187) Die T G dehnt die von SAUSSURE angesprochene Parallelität von komplexen Wörtern und Wortverbindungen hinsichtlich ihrer systematischen Analysierbarkeit auf die semantische Komplexität morphologisch einfacher Wörter aus und bezieht die gesamte Lexik in das Regelsystem der Grammatik ein. Dabei kommt die Spezifik lexikalischer Mittel in der Laut-Bedeutungs-Zuordnung von Sätzen voll zum Tragen. 61 Jede einzelne lexikalische Einheit bildet eine in den folgenden Abschnitten näher zu betrachtende Menge von klassifizierenden (generellen) und speziellen (idiosynkratischen) Angaben phonologischer, morphologischer, syntaktischer und semantischer Natur. Diese Kennzeichnungen explizieren die Art der Zuordnung von Laut und Bedéutung für jede lexikalische Einheit sowie deren paradigmatische und syntagmatische Eigenschaften. In diesem Sinne sind die Lexeme komplexe Strukturvorschriften in der Laut-Bedeutungs-Zuordnung und haben den Charakter von Transformationen. In dem Schema (1.4.-4) bilden die lexikalischen Transformationen das jeweilige Lexikon der IS und der GS. Ganz allgemein läßt sich sagen, daß das Lexikon das Spezielle in der Grammatik repräsentiert und eine wichtige Seite des Sprachsystems und der Sprachkenntnis erfaßt: die konventionalisierte, festgeschriebene Zuordnung einzelsprachlicher Ausdrucksmittel zu Begriffen als Kondensaten kognitiver Strukturen. 3.2. Satzstruktur
und lexikalische
Einsetzung
3.2.1. Wie der Überblick über die Komponenten der Grammatik im Abschnitt 1.4. zeigt, existieren in beiden hier zu vergleichenden Versionen einer TG lexikalische und nichtlexikalische Regeln der Strukturbildung. Sowohl die IS als auch die GS sind so aufgebaut, daß bestimmte Mengen nichtlexikalischer Regeln für das jeweilige Grammatikmodell charakteristische Satzstrukturen erzeugen, die das Bedingungsgefüge für die Einsetzung lexikalischer Einheiten darstellen. 61
Wir betrachten es als eine offene Frage, inwieweit eine integrative Darstellung der verschiedenen Seiten des Wortschatzes einen besonderen Gegenstandsbereich der Lexikologie jenseits der Grammatik konstituiert. Vgl. dazu die „Grundzüge einer deutschen Grammatik" (1981: Kap. 1, §9).
287
Generative Grammatik
3.2.2. Lexikalische
Einsetzung in der Interpretativen
Semantik
Zusammen mit den Konventionen für die lexikalische Einsetzung sind Lexikoneinheiten Transformationsregeln. Die Strukturen, auf denen sie operieren, sind in der IS die von den Ersetzungsregeln erzeugten syntaktischen Basisstrukturen. Deren letzte Konstituenten sind die lexikalischen Kategorien (Wortklassen). Sie bilden die entscheidende strukturelle Bedingung für die Einsetzung passender Wortklassenvertreter aus dem Lexikon. Jede lexikalische Einheit ist allgemein charakterisierbar als ein Paar (D, Q , wobei D eine Matrix von phonologischen Merkmalen ist und C eine Menge von nichtphonologischen Angaben. Zu diesen Angaben, auf deren Charakter wir in 3.3.2. näher eingehen werden, gehört für jede lexikalische Einheit ein Wortklassenmerkmal [+X]. So kann für die lexikalische Einsetzung folgende Konvention formuliert werden: (3.2.2.-1) Wenn in einer syntaktischen Basisstruktur eine lexikalische Kategorie X gegeben ist, kann die von ihr erschöpfend dominierte leere Kette e durch die lexikalische Einheit (D, C) ersetzt werden, wenn C das Merkmal [+X] enthält. 62 In den Beispielen (2.2.3.1.-2) und (2.2.3.1.-3) sind demnach John, doctor, race, examination, probability in die betreffenden syntaktischen Basisstrukturen unter der Dominanz von N korrekt eingesetzt, weil sie als lexikalische Einheiten durch das Markmal [ + N] gekennzeichnet sind. Lediglich diese Konvention legt JACKENDOFF (1972: 21) für die lexikalische Einsetzung fest. Die gegenseitige syntaktische und semantische Verträglichkeit lexikalischer Einheiten ist Gegenstand der Regeln der semantischen Komponente. Eine weitere Besonderheit der lexikalischen Transformationen in dem von JACKENDOFF vorgeschlagenen Grammatikmodell ist, daß sie fakultativ sind (ibid.: 181). Das bedeutet, daß Tiefenstrukturen mit lexikalisch nicht ausgefüllten syntaktischen Positionen erzeugbar sind. Ein Teil dieser Leerstellen wird in der semantischen Komponente unter Bezugnahme auf ausgefüllte Stellen interpretiert. Wir kommen darauf im Abschnitt 4.3.4. zurück. CHOMSKY ( 1 9 6 5 / 1 9 7 0 : 9 3 ff.) betrachtet die Anwendung der lexikalischen Transformationen als obligatorisch und sieht für die lexikalische Einsetzung weitere Bedingungen vor, die den syntaktischen und semantischen Kontext der jeweiligen lexikalischen Einheit berücksichtigen. Es handelt sich um die sogenannte strikte und die selektionelle Subkategorisierung lexikalischer Einheiten. Für die selektionelle Subkategorisierung ist inzwischen klargestellt worden, daß sie nicht in den Bereich der Syntax gehört. Die strikte Subkategorisierung ist 62
Vgl. CHOMSKY (1965/1970: 120).
288
R. Pasch/I. Zimmermann
dagegen syntaktischer Natur. Sie besteht darin, daß sie Lexeme hinsichtlich ihrer syntaktischen Valenz klassifiziert, und zwar innerhalb bestimmter syntaktischer Konfigurationen von Konstituenten. Das Prinzip ist einfach und einleuchtend: Die strenge Subkategorisierungsdomäne einer lexikalischen Kategorie X ist das Syntagma X, dessen head sie ist. Die lexikalischen Einheiten erhalten Kontextmerkmale folgender Form: [ + Y Z], Sie besagen, daß Y und Z obligatorische Ko-Konstituenten von X unter der Dominanz von X sind. Für die Lexemeinsetzung kann dann folgende zusätzliche Konvention gelten: (3.2.2.-2) Eine lexikalische Einheit (D, C) kann in eine syntaktische Struktur eingesetzt werden, wenn die in (3.2.2.-1) genannte Bedingung erfüllt und wenn K entsprechend dem zu C gehörenden Merkmal [ + Y als A [ J V Y X Z W ] B analysierbar ist. (Die Variablen V und repräsentieren mögliche Kokonstituenten von X.)
K ist Z] W
In Anwendung auf die Beispiele (2.2.3.1.-2) und (2.2.3.1.-3) bedeutet das, daß der von den Lexemen lose, examination und famous verlangte syntaktische Kontext gegeben ist. Die entsprechenden Kontextmerkmale als Strukturbedingungen für die Einsetzung der betreffenden lexikalischen Einheit sind [ + NP] für lose, [+ PP] für examination und [ + ] für famous. Je nachdem, ob für die lexikalische Einsetzung die Konventionen (3.2.2.-1) und (3.2.2.-2) gelten oder wie bei JACKENDOFF (1972) nur erstere, ist die Menge der auf der Ebene der syntaktischen Tiefenstruktur erzeugten, d. h. durch syntaktische Ersetzungsregeln und lexikalische Transformationen definierten Satzstrukturen mehr oder weniger beschränkt. Im letzen Fall entstehen viele syntaktisch nicht wohlgeformte Strukturen, die später auf diese oder jene Weise ausgefiltert werden müssen. Unseres Erachtens gehört die in (3.2.2.-2) ausgedrückte Strukturbedingung für die lexikalische Einsetzung in den Bereich der Syntax. Außer den hier genannten Bedingungen können durchaus weitere erforderlich sein. Es bedarf z. B. der Erwägung, welche Zusammenhänge zwischen syntaktischen und semantischen Regularitäten des Zusammenvorkommens von lexikalischen Einheiten bestehen und wo und wie diese Beziehungen zur Geltung gebracht werden. Ein sich anbietender Platz wäre das Lexikon. Wir kommen auf diese Frage in den Abschnitten 3.3.2. und 4.3. zurück. Für die Konfrontation der IS und der GS ist wichtig, zu betonen, daß in der IS durch die lexikalische Einsetzung die für den Aufbau dieses Grammatikmodells charakteristische Ebene der syntaktischen Tiefenstruktur, Ed = {Pd}, als syntaktische und lexikalische Invariante möglicher syntaktischer Abwandlungen entsteht. Die lexikalischen Einheiten bringen sämtliche an sie gebundenen grundlegenden Informationen der Laut-Bedeutungs-Zuordnung in die Satzstruktur ein. Die Bedeutung der lexikalischen Einheiten ist ein wesentlicher Bestandteil der in die Tiefenstruktur eingehenden Bedeutungsfaktoren von Sätzen.
289
Generative Grammatik
3.2.3. Lexikalische
Einsetzung in der Generativen
Semantik
Wie in Abschnitt 2.3.2. ausgeführt wurde, ist in der GS die abstrakte zugrunde liegende Struktur der Sätze identisch mit ihrer semantischen Repräsentation (,SRl). Diese ist wie gesagt mit der Oberflächenstruktur der Sätze durch lokale und globale Derivationsbeschränkungen verbunden. Eine Teilmenge dieses Systems von Zuordnungsbeschränkungen ist das Lexikon. Durch Einheiten des Lexikons wird semantisches Material in Sätzen durch lexikalisches Material ersetzt. Genauer gesagt wird semantisches Material durch ein lexikalisches Formativ (siehe dazu insbesondere Abschnitt 3.3.3.) ersetzt. Nun entsprechen lexikalische Einheiten in der IS aber jeweils genau einer syntaktischen Konstituente. Auch nach Übereinkunft der Vertreter der GS können lexikalische Einheiten nur für einen Knoten in einer Satzstruktur und nicht für mehrere Knoten zusammen eingesetzt werden. Dies ist die sogenannte Ein-Knoten-Bedingung für die lexikalische Einsetzung in der GS, d. h. für die Einsetzung eines lexikalischen Formativs für spezifisches semantisches Material in Sätzen. Oft entspricht aber die Teilstruktur der SR 1 eines Satzes, die von einer lexikalischen Einheit „abgedeckt" wird, nicht genau einem Knoten der Satzstruktur (siehe z. B. die Teile der SRl eines Satzes, die remind ersetzt, in Beispiel (3.2.3.-1) weiter unten). Die Einführung von lexikalischen Einheiten in die Struktur eines Satzes anstelle mehrerer nicht in einem Dominationsverhältnis stehender Knoten ist nun nach Annahme der GS möglich, weil es Transformationen gibt, die — in SRt verstreute — Konstituenten verschiedener Hierarchiestufe so zusammenfassen — kollektionieren —, daß sie von einem Kategoriensymbol erschöpfend dominiert werden. Eine Regel, die dies leistet, ist die Prädikat(an)hebung (predicate raising, predicate lifting). Diese Regel vereinigt ein Prädikat eines S mit dem Prädikat des nächsthöheren S unter einem gemeinsamen Kategorienknoten (vgl. M C C A W LEY 1968 b und 1971b). (Ein Beispiel für diese Kollektionsregel findet sich weiter unten.) Regeln, die semantisches Material zu Strukturen umgruppieren, die jeweils durch ein lexikalisches Formativ ersetzt werden können, werden prälexikalische Transformationen genannt. Neben der Prädikathebung wirken noch andere Typen von Transformationen prälexikalisch, d. h. auf semantischen Strukturen und als Bedingungen dafür, daß ein bestimmtes Formativ in die Struktur eines Satzes eingeführt werden kann (vgl. ibid.). Wir wollen jetzt an einem Beispiel zeigen, wie die SRl eines Satzes mittels verschiedener Typen von Transformationen so abgewandelt wird, daß die Einsetzung eines bestimmten lexikalischen Format ; vs möglich wird. Es handelt sich um das Verb remind in dem englischen Satz (3.2.3.-1) Harry reminds me of Fred Astaire. 19
Viehweger, Semantikforschung
290
R. Pasch/I. Zimmermann
Die Darstellung der Derivation dieses Satzes im Rahmen einer GS-Grammatik stützt sich auf eine Präsentation bei KATZ (1972: 403 f.), die ihrerseits an die in POSTAL (1970) vorgeschlagene angelehnt ist. (Die Diskussion, die POSTALS Analyse von ,remind' ausgelöst hat, ignorieren wir bewußt, da die fragliche Darstellung der Derivation in unseren Ausführungen nur einen illustrativen Wert hat.) (3.2.3.-1) Harry reminds me of Fred Astaire. (3.2.3.-1) (i)
(Speaker)
(Perceives)
(Harry) (Similar)
(Fred
Astaire)
(i) ist die SÄj von (3.2.3.-1). (3.2.3.-1) (ii)
(Speaker)
(Perceives)
(Harry) (Similar)
(Fred
Astaire)
(ii) ist Ergebnis der Transformation vom Typ Subjekthebung (das Subjekt von Sj — Harry — ist in S0 gehoben worden). 63 63
Die Darstellung in (i) und (ii) setzt voraus, daß die Links-Rechts-Anordnung kennzeichnet, welche NP Subjekt ist; es ist eine in der GS eingebürgerte Verfahrensweise, das Subjekt als die erste, d. h. am weitesten links stehende NP darzustellen. Eine Alternative dazu ist die Heraushebung einer NPt von mehreren gleichgeordneten NPn und die Nebenordnung von NPi zu dem S, das von dem Knoten gebildet wird, von dem NPi ursprünglich auch dominiert wurde. Dies ist die sogenannte Subjektbildung durch CHOMSKY-Adjunktion. (Siehe BACH 1971: 8.)
291
Generative Grammatik
(3.2.3.-1) (iii)
(Harry)
(Speaker) (Similar)
(Perceives)
(Fred
Astaire)
(iii) ist Ergebnis von Psych-Movement. (Das erste und das zweite Argument von perceive sind vertauscht worden.) (3.2.3.-1) (iv)
(Harry) (Perceives)
(Similar)
(Speaker)
(Fred
Astaire)
(iv) ist Ergebnis der Prädikathebung. (Das Prädikat von Si — similar — ist dem Prädikat von S0 — perceive — adjungiert worden.) Mögliche deutsche Lexikalisierungen von (i) bis inklusive (iii) sind z. B. (3.2.3.-2) (a) Ich finde, daß Harry Fred Astaire ähnlich ist {¡ähnelt), (für (i)) (b) Ich halte Harry für Fred Astaire ähnlich, (für (ii)) (c) Harry scheint mir Fred Astaire ähnlich zu sein (/zu ähneln). (für (iii)) Die Struktur (iv) gestattet nicht mehr, alle Konstituenten einzeln lexikalisch zu realisieren. Die gemeinsame Unterordnung mehrerer (in diesem Falle zweier) F-Knoten unter einen F-Knoten verlangt hier die Einsetzung eines lexikalischen Formativs. Eine dem obersten F-Knoten in (iv) entsprechende lexikalische Einheit ist nun remind. Ihr Formativ — oder das einer anderen dem Knoten entsprechenden lexikalischen Einheit — kann für den V untergeordneten Prädikatkomplex eingesetzt werden; die Einsetzung des Formativs in die Satzstruktur ist eine lexikalische Transformation. Transformationen, die nach der lexikalischen Transformation wirksam werden, operieren dann „postlexikalisch". 19'
292
R. Pasch/I. Zimmermann
Die Einsetzung des Formativs remind in die Satzstruktur (iv) ergibt (3.2.3.-1) (v)
NP Harry
reminds
me
of
Fred Astaire
(v) ist Ergebnis der lexikalischen Einsetzung. Neben reminds sind auch die anderen Bestandteile dieser Struktur keine semantischen Einheiten mehr, sondern lexikalische bzw. grammatische Formative. Es wird in der GS — im Gegensatz zur IS — angenommen, daß die lexikalischen Einsetzungen nicht en bloc erfolgen, sondern daß auf den einzelnen Ableitungsstufen des Satzes in einer Struktur lexikalisch interpretierte mit noch nicht lexikalisch interpretierten Teilstrukturen koexistieren können, lexikalische Einsetzungsregeln mit anderen syntaktischen Transformationen alternieren können (MCCAWLEY 1 9 6 8 b: 7 2 und 7 8 f.). Die Unterscheidung der lexikalischen, prä- und postlexikalischen Transformationen hängt natürlich vom Begriff der Konstituente in der syntaktischen Struktur und davon ab, was unter einem lexikalischen Formativ verstanden werden soll. So ist die Einsetzung der grammatischen Formative (z. B. Flexive) postlexikalisch (oder transformationeil in der IS) nur insofern, als lexikalische und grammatische Formative unterschieden werden. Aber die Konstitution eines solchen lexikalischen Formativs, bezüglich dessen die Adjunktion von Flexiven postlexikalisch ist, kann ihrerseits postlexikalisch in bezug auf die Einsetzung möglicher das Wort konstituierender lexikalischer Morpheme sein. So könnten z. B. für totschießen zwei Formative tot und schießen eingesetzt werden ( = lexikalische Transformation), wenn die EinKnoten-Bedingung sich nicht auf traditionell syntaktische Konstituenten, sondern auf wortinterne lexikalisch-morphologische Konstituenten bezieht. Die Möglichkeit, Wortformative einzusetzen, und die Möglichkeit, lexikalische Morphemformative einzusetzen, wägt BINNICK: (1970: 48 ff.) gegeneinander ab. BINNICK: skizziert ganz grob einen Weg der Behandlung der Wortbildung, jedoch findet sich auch bei ihm wie in den anderen Arbeiten zur GS keine ausgearbeitete Konzeption zur Eingliederung der Wortbildung in die Grammatik. 3.3. Typen lexikalischer
Information
3.3.1. Die einzelnen Komponenten der TG sind sich ergänzende Regelsysteme, die jweils ganz bestimmte Regularitäten der Laut-Bedeutungs-Zuordnung sprach-
293
Generative Grammatik
licher Äußerungen erfassen. Welche spezielle Funktion das Lexikon als Komponente der Grammatik hat, muß im Zusammenhang mit den Informationen untersucht werden, die in den Lexikoneintragungen als Angaben über die Eigenschaften der lexikalischen Mittel einer Sprache enthalten sind. Entsprechend der besonderen Stellung des Wortschatzes im Sprachsystem stimmen die IS und die GS darin überein, daß das Lexikon eine Liste der lexikalisch verfestigten Zuordnungen von Laut und Bedeutung darstellt und der Ort in der Grammatik ist, wo das Spezielle (Idiosynkratische) der in sprachlichen Zeichen hergestellten Verbindung von Inhalt und Ausdruck auftritt. Jede Lexikoneinheit ist eine Menge von Strukturangaben, die das Verhalten des betreffenden Lexems auf den einzelnen Strukturebenen sprachlicher Äußerungen charakterisieren. Dadurch ist das Lexikon und jede einzelne lexikalische Einheit eine zentrale Vermittlungsinstanz in der Beziehung von Laut und Bedeutung. Im folgenden werden wir zeigen, wie Lexikoneintragungen in der IS und in der GS aufgebaut sind und inwieweit Zusammenhänge zwischen semantischen und syntaktischen resp. morphologischen Eigenschaften von Lexemen im Lexikon erfaßt werden. 64
3.3.2. Lexikoneinträge
in der Interpretativen
Semantik
In den folgenden Betrachtungen über den Aufbau von Lexikoneinträgen in der IS gehen wir von den Vorschlägen aus, die JACKENDOFF (1972, 1974b und 1975) zu dieser Frage entwickelt hat. Das Lexikon ist in dem von JACKENDOFF ins Auge gefaßten Grammatikmodell eine Liste von Wörtern; ein Morphemverzeichnis, wie es beispielsweise HALLE (1959 resp. 1973) vorsieht 65 , existiert nicht. Jeder Lexikoneintrag repräsentiert ein Wort (eine lexikalische Einheit), und zwar als Menge von Informationen über die systematischen und die idiosynkratischen Struktureigenschaften des betreffenden Lexems. Auch derivationell verwandte Wörter wie das Verb employ und die deverbalen Nomina employer, employee und employment sind als separate lexikalische Einheiten registriert. Das heißt, sie werden nicht wie bei CHOMSKY ( 1 9 7 0 ) , TERRY und STOCKWELL ( 1 9 6 7 ) oder bei HUDSON ( 1 9 7 6 ) auf der Basis ihrer Gemeinsamkeiten zu einem komplexen, redundanzfreien Lexikoneintrag zusammengefaßt. JACKEN64
Siehe dazu auch den Abschnitt 1.7.3. der „Grundzüge einer deutschen Grammatik" (1981), in dem „das Wort als Vermittlungseinheit zwischen semantischer und syntaktischer Struktur" untersucht wird.
65
Vgl. auch WURZEL (1970: 18), w o ebenso wie in den „Theoretischen Problemen der Sprachwissenschaft" (1976: II, 555) das Lexikon Wortstämme und Derivative verzeichnet.
294
R. Pasch/I. Zimmermann
(1972) und insbesondere (1975) schlägt vor, die in den Lexikoneinträgen verwandter lexikalischer Einheiten ausgedrückten Parallelitäten durch sogenannte lexikalische Redundanzregeln, die dem Lexikon assoziiert sind, zu erfassen und jeweils nur einmal als neu zu lernende Information zu zählen. Daß z. B. das Tiefenstruktursubjekt von decide und decision ein menschliches Wesen bezeichnet und mit dem impliziten Subjekt der Infinitivergänzung in Beispielen wie (3.3.2.-1 a) und (3.3.2.-1 b) DOFF
(3.3.2.-1) (a) John decided to go. (b) Johns decision to go identisch ist, sind solche in den Lexikoneinträgen von decide und von decision ganz parallel auftretenden Informationen. 66 (Vgl. auch die ganz offensichtlichen phonologisch-morphologischen, syntaktischen und semantischen Parallelitäten der unter (3.3.2.-4) und (3.3.2.-5) angeführten verwandten lexikalischen Einheiten.) Die Lexikoneinträge (3.3.2.-2)—(3.3.2.-5) für die Verben put und remind sowie (3.3.2. -2) (a)
(d)
/put / +V + NP,_ _NP2 P NP 3 "CAUSE" (NP P "GO" (NP 2 , NP3)) x - y .
(3.3.2.-3) (a) r /re=maynd/ (b) +V (c) + N P , _ N P 2 of NP 3 (d) [_ PERCEIVE (NP 2 , SIMILAR (NP 1 ; NP3)) (3.3.2.-4)
(d)
./blitm/ +V + N P 1 — on NP 2 (for NP 3 "CAUSE" (NP„ "GO" u
66
»
V
Ausführlichere Betrachtung zur nichttransformationellen, lexikalistischen Behandlung von Wortbildungen finden sich in ZIMMERMANN (1983).
295
Generative Grammatik
(3.3.2.-5) (a) /blxm/ (b) +N (c) + A r t _ (for NP 3 ) (d)
C A U S E ! (NPJ,
( [ R E S P O N S I B I L I T Y F O R N P 3 ] , NP2)))
u für das Verb blame und das entsprechende Verbalsubstantiv blame61 sind ergänzungsbedürftig und nur in bestimmter Hinsicht repräsentativ für die Kennzeichnungen lexikalischer Einheiten bezüglich der für sie geltenden Zuordnung von Laut und Bedeutung.68 Außer den gleich noch genau zu betrachtenden Typen von Informationen unter (a)—(d) gehören vor allem Angaben folgender Art in die Lexikoneinträge: — morphologische Merkmale, die Auskunft geben über die Einordnung des betreffenden Lexems in Flexionsklassen, über mögliche Besonderheiten der Stammbildung, über das grammatische Genus der Substantive, über Reflexivität/Nichtreflexivität der Verben u. a. m. (Vgl. dazu WURZEL 1970: 29ff.) — syntaktische Merkmale, die die Anwendbarkeit von lexikalisch regierten, d. h. auf bestimmte Lexemklassen beschränkten Transformationen betreffen. (Vgl. G. LAKOFF 1965, R. T. LAKOFF 1968 und ISENBERG 1968). Zum Beispiel müssen transitive Verben wie besitzen und bekommen von der Passivtransformation ausgeschlossen werden; die Subjekthebungstransformation ist u. a. für seem und certain zulässig, nicht aber für probable. — selektionelle Beschränkungen für die semantische Kombinierbarkeit des betreffenden Lexems mit seinen syntaktischen Kookkurrenzpartnern. Es handelt sich um die selektioneile Subkategorisierung. (Vgl. dazu CHOMSKY 1965/1970: 93ff., 112ff.; BIERWISCH 1970 und KATZ 1972: 104ff.) Wir kommen auf die Wirkungsweise selektioneller Vorschriften bei der semantischen Interpretation von Sätzen im Abschnitt 4.3.2. noch zu sprechen. Auf welche Eigenschaften von Wörtern beziehen sich nun die Angaben (a)—(d) in den oben aufgeführten Lexikoneinträgen (3.3.2.-2)—(3.3.2.-5)? 67
68
Die Lexikoneinträge für put und blame sind JACKENDOFF (1974b: 491) entnommen. Die Angaben für remind basieren auf K A T Z ' (1972: 403ff.) Betrachtungen zu POSTALS (1970) semantischer Analyse dieses Verbs und wurden JACKENDOFFS Notationsweise angepaßt. Grundsätzlich ist zu sagen, daß wir die Komponentenanalyse der Bedeutung der hier betrachteten Lexeme nicht in allen Punkten für unstrittig halten. Für die hier zu demonstrierenden Zusammenhänge zwischen Semantik und Syntax kann die Diskussion alternativer Vorstellungen jedoch unterbleiben. Bezüglich der Bedeutungsanalyse des Verbs blame verweisen wir auf FILLMORE (1968b und 1969) und auf G. LAKOFF (1970a). FILLMORE ( 1 9 6 8 b: 6 6 ) zählt 8 Typen von Angaben auf, die in jeden Lexikoneintrag eingehen.
296
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Unter (a) ist die phonologische Repräsentation des jeweiligen Lexems angedeutet : Die Vokal- und Konsonantensymbole sowie das Präfixe abtrennende Symbol „ = " ' sind verkürzte Schreibweisen für Matrizen phonologischer Merkmale. (Vgl. CHOMSKY, HALLE 1968 sowie WURZEL 1970.) Unter (b) ist die Wortklassenzugehörigkeit des Lexems angegeben, die eine wesentliche Strukturbedingung für die Einsetzung der betreffenden lexikalischen Einheit in die syntaktische Basisstruktur ist. (Vgl. die Konvention (3.2.2.-1).) Unter (c) ist sehr komplexe Information registriert. JACKENDOFF (1972 und 1974 b) spricht von „strenger Subkategorisierung", ohne allerdings deutlich zu machen, was er im Unterschied zu CHOMSKY ( 1 9 6 5 / 1 9 7 0 : 9 3 ff.) darunter versteht. Offensichtlich bezieht er das Subjekt, unter (c) jeweils NPl, in die Angabe der syntaktischen Kontextpartner des betreffenden Lexems ein und erweitert damit die Domäne der strengen Subkategorisierung auf S und entsprechend auf NP. Das Pro und Kontra für eine solche Entscheidung muß abgewogen werden. Uns fehlt dafür hier der Platz. Wir wollen sagen, daß die Angaben unter (c) die strenge Subkategorisierung, wie wir sie in 3.2.2. festgelegt haben, enthalten: Die Verben put und remind haben das Merkmal [ + NPPP], das Verb Warne ist durch [+ PP (PP)] streng subkategorisiert, während das Substantiv blame das Merkmal [+ _ (PP)] hat. Ferner enthalten die Angaben unter (c) Informationen über regierte Präpositionen. Von den angeführten Lexemen regiert nur das Verb put nicht die Präposition der von ihm abhängigen Präpositionalphrase. Die Angaben unter (c) in dem Lexikoneintrag für das Verb blame spezifizieren für jeden der rechten Kontextpartner eine regierte Präposition, obwohl das Verb immer mit einem direkten Objekt auftritt. Diese Angaben sind eine Konsequenz der Annahmen über den Charakter der syntaktischen Tiefenstruktur als lexikalischer und syntaktischer Invariante möglicher syntaktischer Abwandlungen und auch der Beschränkungen für Transformationen (siehe unsere Ausführungen im Abschnitt 2.2.3.2.): Eine Präpositionalphrase kann transformationell zu einer Nominalphrase reduziert, nicht aber transformationeil aufgebaut werden. So basieren die Sätze (3.3.2.-6a) bis (3.3.2.-6c) auf den in (3.3.2.-7) angedeuteten syntaktischen Tiefenstrukturen, auf die auch die Lexikoninformationen des Verbs blame Bezug nehmen. 69 (3.3.2.-6) (a) John blamed Bill for the accident. (b) John blamed the accident on Bill. (c) John blamed Bill. (3.3.2.-7) [S[NJ,./O/IRT] [Auxpast] [vp[vblame] [,,Pon[NPBill\] ([ppfor[Npthe accident}})]\ (3.3.2.-6a) und (3.3.2.-6c) haben eine Transformation durchlaufen, welche eine 69
Die Analyse von blame und die Beispiele entnehmen wir JACKENDOFF (1974 b).
Generative Grammatik
297
Präposition vor einer Nominalphrase, die unmittelbar benachbarte rechte KoKonstituente eines Verbs ist, elidiert und damit die betreffende Präpositionalphrase auflöst. ( 3 . 3 . 2 . - 6 b ) durchläuft vor dieser Reduktion eine Permutationstransformation, die die äußere Präpositionalphrase in unmittelbare rechte Nachbarschaft zu dem Verb bringt. 70 Für das Substantiv Warne besagen die syntaktischen Informationen unter (c), daß es immer zusammen mit einem Artikel — möglicherweise ohne jede Ergänzung — auftritt. Als rechte Ko-Konstituente ist die mit for eingeleitete Präpositionalphrase möglich, die mit on eingeleitete Präpositionalphrase liegt nicht innerhalb des Syntagmas, dessen head das Substantiv blame ist. (Vgl. JACKENDOFF 1 9 7 4 b.) Die Subskripte an den Nominalphrasen in (c) und (d) dienen der Identifizierung syntaktischer und semantischer Argumentstellen. Unter (d) ist in den oben -aufgeführten Lexikoneinträgen die Bedeutung des jeweiligen Lexems angegeben. Die Nominalphrasen mit den Subskripten sind in (d) als Variable zu verstehen, die durch die semantischen Interpretationsregeln (Projektionsregeln) mit der Bedeutung der entsprechenden syntaktischen Einheiten ausgefüllt werden. (Vgl. unsere Ausführungen im Abschnitt 4.) Durch den Bezug auf die in (c) enthaltenen syntaktischen Angaben sind die Nominalphrasen in (d) mit den kategorisierten Variablen in den Bedeutungscharakterisierungen von K A T Z ( 1 9 7 2 : 1 0 4 f f . ) vergleichbar. In welchen unterschiedlichen Konfigurationen semantische Argumente und die ihnen entsprechenden syntaktischen Einheiten auftreten können, zeigt der Lexikoneintrag für das Verb remind besonders deutlich. Im Unterschied zu den Annahmen der GS erfolgt in der IS die Korrelierung semantischer und syntaktischer Strukturen zu einem ganz wesentlichen Teil — nämlich bezüglich der propositionalen Bedeutung von Sätzen — vermittels des Lexikons. Solche Zwischenprodukte, wie sie die prälexikalischen Transformationen der GS erzeugen, existieren nicht in der IS. Das hat auch zur Folge, daß die Bedeutungscharakterisierungen der Lexeme in der GS sich von denen der IS dadurch ganz wesentlich unterscheiden, daß sie derivierte semantische Strukturen, (in der Regel) also nicht semantische Basisstrukturen repräsentieren (siehe hierzu 3 . 3 . 3 . ) , während die Bedeutungsrepräsentationen lexikalischer Einheiten der IS Konfigurationen von Prädikaten und Argumenten der semantischen Basisstrukturen der GS entsprechen. Wie die Bedeutungsangaben in den Lexikoneinträgen ( 3 . 3 . 2 . - 2 ) — ( 3 . 3 . 2 . - 5 ) zeigen, sind alle semantischen Argumente der einzelnen Prädikate in die Bedeutungsstruktur des betreffenden Lexems einbezogen, unabhängig davon, ob sie in der syntaktischen Struktur ihre Entsprechung haben. So erhält durch die in
70
Zur Motivation dieser Transformationen vgl. auch JACKENDOFF, CULICOVER (1971).
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R. Pasch/I. Zimmermann
(3.3.2.-4d) verzeichnete Bedeutung des Verbs blame der Satz (3.3.2.-6c), John blamed Bill, auch eine Bezugnahme auf das syntaktisch und lexikalisch nicht näher spezifizierte semantische Argument NP3. Die in Großbuchstaben geschriebenen Prädikate, die in die jeweils unter (d) angegebene Bedeutungsstruktur der einzelnen Lexeme eingehen, sind — mindestens teilweise — nicht weiter analysierbare Komponenten der Bedeutung von Wörtern. Die unter den Prädikaten CAUSE und GO befindlichen Variablen stehen für nicht näher spezifizierte Modi der Verursachung (Initiierung) bzw. der Bewegung. J A C K E N D O F F (1974b: 491) deutet an, daß es sich bei put in Sätzen wie John put the book on the table um physikalische Bewegung handelt, während bei blame abstrakte Bewegung vorliegt. F in (3.3.2.-5d) repräsentiert eine Funktion, die Situationen (events) in die Klasse abstrakter Gegenstände überführt (ibid.). In den Bedeutungsstrukturen sind die Argumente durch bestimmte Prädikate hinsichtlich der Rollen charakterisiert, die die entsprechenden Partizipanten in den durch die propositionale Bedeutung von Sätzen identifizierten Situationen spielen. Das bedeutet eine Rekonstruktion der von F I L L M O R E ( 1 9 6 8 a) und G R U B E R ( 1 9 6 5 ) als syntaktische Pseudokategorien repräsentierten semantischen Funktionen von Nominalphrasen unmittelbar durch die Prädikat-Argument-Konstellationen. So nimmt J A C K E N D O F F ( 1 9 7 2 : 3 9 und 1 9 7 4 b : 4 8 9 f.) an, daß dem ersten Argument von CAUSE die semantische Funktion des Agens (Agent) zukommt, dem ersten Argument von GO die des Themas (Theme) und dem zweiten Argument von GO die des Ziels (Goal). Das heißt: Prädikate wie CAUSE und GO definieren bestimmte Rollentypen ihrer Argumente. Welche — offenbar sehr grundlegenden — Prädikate semantische Funktionen von Argumenten spezifizieren, betrachten wir als offene Frage. 71 Entsprechend den von J A C K E N D O F F angenommenen Rollentypen und der von ihm vorgeschlagenen Bedeutungsstruktur für das Verb blame haben dessen Argumente folgende semantische Funktionen: NPl fungiert als Agens, RESPONSIBILITY FOR NP3 ist das Thema und NP2 das Ziel. Die Bedeutung des Verbs legt also die Rollentypen für die von ihm abhängigen Konstituenten fest. In den unter
71
(1972: 39) nennt außer CAUSE noch CHANGE und BE. (Wie sich CHANGE und GO zueinander verhalten, ist unklar.) CHANGE charakterisiert die semantischen Funktionen seiner drei Argumente als Thema, Ausgangspunkt (Source) und Ziel; BE hat zwei Argumente mit den semantischen Funktionen Thema und Ort (Location). Freilich kann man bei dem gegenwärtigen Entwicklungsniveau semantischer Analysen nicht umhin, FREIDIN (1975) und ROSENBERG (1975b) zuzustimmen, wenn sie die Unscharfe der von JACKENDOFF verwendeten Rollenkonzepte kritisieren und die Gefahr ihrer inhaltlichen Aushöhlung sehen. Dennoch erscheint es lohnend und unerläßlich, die von FILLMORE und GRUBER weit vorangetriebene Suche nach geeigneten Verallgemeinerungen zur Charakterisierung der semantischen Funktionen der Argumente fortzusetzen.
JACKENDOFF
Generative Grammatik
299
(3.3.2.-6) angeführten Beispielen ist im Einklang mit der Bedeutung von blame John das Agens, Bill das Ziel und the accident Teil des Themas. Die in den Lexikoneinträgen (3.3.2.-2)—(3.3.2.-5) angegebenen Bedeutungsstrukturen repräsentieren jeweils den nicht präsupponierten Teil der Bedeutung. Die mit den einzelnen Lexemen verbundenen Präsuppositionen sind nicht erfaßt. Sie sind jedoch ergänzbar.72 Wir kommen auf die Rolle von Präsuppositionen im Aufbau von Satzbedeutungen in den Abschnitten 4.3. und 5.3.2. noch genauer zu sprechen. Für unsere weiteren Betrachtungen wollen wir festhalten, daß in der IS die Bedeutung der lexikalischen Einheiten zusammen mit den syntaktischen Basisstrukturen das Fundament für die Bedeutung von Sätzen bildet. Es kam uns in diesem Abschnitt besonders darauf an, die spezifischen Annahmen zu verdeutlichen, die im Rahmen der IS in dem von JACKENDOFF entworfenen Grammatikmodell über den Zusammenhang von Syntax und Semantik und ihre Inbeziehungsetzung durch das Lexikon gemacht wurden. Die andersartigen Vorstellungen der GS werden im folgenden Abschnitt vorgeführt.
3.3.3. Lexikoneinträge in der Generativen Semantik Nach Auffassung der Vertreter der GS besteht das Lexikon als Inventar der lexikalischen Einheiten aus (a) phonologischen Formen mit der Angabe morphologischer Eigenschaften und syntaktischer Ausnahmemerkmale — d. h. „Morphemen ohne Bedeutung", Formativen — (b) derivierten semantischen Bäumen (c) Mechanismen, die (a) und (b) einander zuordnen. ( V g l . GREEN 1 9 6 9 : 7 8 f . )
Jede lexikalische Einheit ist als Lexikoneintrag im Hinblick auf diese drei Typen von Angaben gekennzeichnet, sie ist als eine Regel konzipiert, die eine bestimmte derivierte semantische Struktur durch ein bestimmtes lexikalisches
72
FILLMORE (1968b und 1969) gibt die Präsuppositionen in den Lexikoneinträgen explizit an. JACKENDOFF deutet sie an (siehe 1972: 40) bzw. charakterisiert die verbal (siehe 1974b: 489). Zu der Unterscheidung von nicht präsupponierter, „inhärenter" Bedeutung und Präsuppositionen vgl. BIERWISCH (1970).
300
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Formativ ersetzt. Ein Beispiel für solche im Lexikon registrierten Regeln der lexikalischen Einsetzung in syntaktische Strukturen 73 ist (3.3.3.-1) (a) [^BECOME^NOT^KNOW]]] => [rForget] bzw. in anderer Notation (3.3.3.-1) (b) v
>
v
(Die Regel weist an, die links vom Pfeil stehende Struktur durch die rechts von ihm stehende zu ersetzen; vgl. DE RIJK 1974: 65.) Ähnlich faßt auch MCCAWLEY Lexikoneinträge als Substitutionstransformationen auf, deren strukturelle Beschreibung eine transformationeil derivierte SR zusammen mit gewissen kontextuellen Spezifikationen ist, wie z. B. mit der Angabe, daß ein bestimmtes Verb ein direktes Objekt verlangt. Die Substitutionstransformation setzt für die derivierte SR eine phonologische Repräsentation mit idiosynkratischen Merkmalen ein, die das Verhalten des Morphems in postlexikalischen Transformationen steuern. Vgl. DEAN FODOR (1977: 156) unter Verweis auf MCCAWLEY ( 1 9 6 8 b ) .
Damit stellen sich die Bedeutungen der lexikalischen Einheiten als Doubletten von Ergebnissen syntaktischer Regeln dar. Der Unterschied zwischen Syntax und Lexikon wird in bezug auf diese semantischen Strukturen gleichsam aufgehoben und ist auf die Bindung der Bedeutung der lexikalischen Einheiten an spezifische Formative reduziert. Es gibt jedoch Spezifika der lexikalischen Einheiten und damit des Lexikons gegenüber der Syntax, denen auch in der GS im Lexikon Rechnung getragen werden muß. Eines von diesen soll im folgenden veranschaulicht Werden. In durch Prädikathebung derivierten semantischen Strukturen SRi von Sätzen wie 73
Vgl. auch DE RIJK (1974: 50): " T h e set of all lexical insertion rules is appropriately called the lexicon."
Generative Grammatik
(3.3.3.-2)
301
SRr. S
MACHEN (CAUSE)
WERDEN
NICHT
LEBEND
(BECOME) (NOT)
(ALIVE)
wo der vom obersten K-Knoten dominierten Teilstruktur das Verb töten entsprechen soll, kann die semantische Rolle von x, und yl aus der Derivationsgeschichte des Satzes, und zwar aus seiner zugrunde liegenden semantischen Struktur SRi entnommen werden. Bei den lexikalischen Einheiten ist dies nach M C C A W L E Y S und G R E E N S Auffassung von Lexikoneinträgen nicht möglich. Für die lexikalischen Einheiten gibt es im Lexikon keine zugrunde liegende semantische Struktur. Demzufolge muß die Spezifik der semantischen Relation zwischen Verben und ihren einzelnen Ergänzungen aus der zugrunde liegenden semantischen Struktur von Sätzen, in die die lexikalischen Formative eingesetzt werden, entnommen werden. Nun unterliegen die im Lexikon verzeichneten prädikativen Einheiten bezüglich ihres Kontextes semantischen Selektionsbeschränkungen — auch lexikalische Voraussetzungen genannt. 74 Für das Verb töten z. B. ist dies die Beschränkung, daß das Objekt lebendig ist. töten hat die Bedeutungskomponenten , für < R U N D (JK)>. Diese beiden Arten von Regeln der Konstitution semantischer Strukturen versteht die GS als „natürliche Logik", P1 (bzw. SRX) ist für sie die „logische 118 119
JACOBSON beruft sich auf eine unveröffentlichte Arbeit von G . LAKOFF aus dem Jahre 1972. Eine entsprechende Schlußfolgerung scheint auch MCCAWLEY ZU ziehen, und zwar für die generellen Voraussetzungen, wenn er betont, daß die Verletzung von generellen Voraussetzungen (Präsuppositionen) nicht allein durch die Grammatik zu bestimmen sei, sondern auch durch „the whole of logic" (MCCAWLEY 1971C: 294).
Generative Grammatik
337
F o r m " der Sätze. (Vgl. G. LAKOFF 1970a: Abschn. II.) Dabei wird „natürliche Logik" aufgefaßt als „a theory about the logical structure of natural language sentences and the regularities governing the notion of valid argument for reasoning in natural language"; „. . . it is a theory about the human mind" ( G . LAKOFF 1970 a : 128). 120
Bezüglich des Zusammenhangs semantischer Wohlgeformtheitsbedingungen mit den Regeln der Grammatik ist in der Polemik zwischen der IS und der GS auch das Problem erörtert worden, wie syntaktisch wohlgeformte Sätze, die semantisch abweichend sind, zu behandeln seien. Wie mehrfach hervorgehoben wurde, ist es eine Aufgabe der Grammatik einer Sprache L, die Regeln anzugeben, nach denen wohlgeformte sprachliche Strukturen — insbesondere die Sätze der Sprache L — erzeugt werden. Sprachliche Strukturen, die in irgendeiner Hinsicht nicht wohlgeformt sind, müßten dann auf Verletzungen grammatischer Regeln beruhen; vgl. (4.4.-1) *Luzie will ins Kino zu gehen. {Luzie will ins Kino gehen.) (4.4.-2) *Luzie ist sich freuen auf den Kinobesuch. {Luzie freut sich auf den Kinobesuch.) (4.4.-3) *Luzie lügt ihren Vater. {Luzie belügt ihren Vater.) (4.4.-4) *Luzie beabsichtigt. {Luzie beabsichtigt zu heiraten.) (4.4.-5) * Luzie hat immer manchmal Kopfschmerzen. (4.4.-6) *Johris reflection is waterproof. Offensichtlich können bei der Abweichung von Regeln Gruppen unterschieden werden. Bei den Beispielen (4.4.-1) bis (4.4.-6) unterscheiden sich (4.4.-5) und (4.4.-6) deutlich von den Konstruktionen (4.4.-1) bis (4.4.-4). Die Beispiele (4.4.-5) und (4.4.-6) sind vor allem wegen der semantischen Unverträglichkeit der beiden Adverbiale bzw. des Adjektivs und der Subjekt-TV/5 abweichend. (4.4.-4) ist unvollständig, denn das Verb beabsichtigen fordert eine explizite kontextuelle Angabe eines zweiten semantischen Arguments. (4.4.-3) dagegen ist abweichend, weil im Objekt eine kontextuelle Angabe zum Verb vorliegt, die bei lügen ausgeschlossen ist. In (4.4-1) und (4.4.-2) ist eine wohlgeformte semantische Struktur erkennbar, die jeweils mit einer bestimmte Transformationen {zu- bzw. Kopula-Einführung) verletzenden Oberflächenstruktur realisiert ist. Während Sätze wie (4.4.-1) bis (4.4.-4) in der IS als „syntaktisch abweichend" (vgl. CHOMSKY 1965/1970: 142ff.) bezeichnet werden, gilt (4.4.-6) als 120
Vgl. auch MCCAWLEY (1971C: 285f.). Bezüglich der „logischen Form" der Sätze und der „natürlichen Logik" siehe LANG (1983).
22
Viehweger, Semantikforschung
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R. Pasch/I. Zimmermann
semantisch abweichend, aber syntaktisch als wohlgeformt. (4.4.-5) ist semantisch und syntaktisch abweichend, weil sich die beiden Adverbien semantisch und syntaktisch ausschließen. Es ist überhaupt die Frage, in welchem Bereich der TG solche komplexen Abweichungen erfaßt werden können. (Wir beschränken uns auf die Nennung des Problems.) KATZ (1970: 254) meint, daß GS-Grammatiken solche Sätze wie (4.4.-6) nicht erklären könnten. Dabei stützt er sich in seiner Behauptung auf die Annahme, daß die lexikalischen und postlexikalischen Transformationen nur auf semantischen Strukturen operieren, die wohlgeformt sind: „if the output of the semantic component consists of all and only formal representations of propositions, then the input to the lexicon and transformational components cannot contain representations of 'senses' involving a conceptual incoherence" (ibid.) und „there would be nothing from which to derive the representations of the admittedly existing surface form" (ibid.). MCCAWLEY hält dieser Annahme entgegen, daß „. . . if selectional restrictions are in fact to be treated wholly within grammar and if each selectional restriction is itself a derivational constraint, then both the whole grammar and the subset of the grammar obtained by omitting the selectional restrictions define classes of derivations" (MCCAWLEY 1971 C: 295). Oder anders gesagt: „. . . given a grammar and a putative derivation, one could tell whether the derivation satisfies all the rules of the grammar, whether it satisfies all the rules but some selectional restrictions, etc." (ibid.). Das heißt: Auch die GS trägt der Tatsache Rechnung, daß sprachliche Ausdrücke (und ihre Strukturbeschreibungen) aus semantischen Gründen abweichend, nicht wohlgeformt sein können und daß semantische und syntaktischmorphologische Normalität unterscheidbare, teilweise voneinander unabhängige Eigenschaften sprachlicher Äußerungen sind. 121 MCCAWLEY räumt allerdings bei seiner Entgegnung auf die KATZsche Kritik ein, daß in der GS semantisch abweichende, aber syntaktisch wohlgeformte Sätze nicht durch die Grammatik selbst als abweichend charakterisiert werden können. Dies ergibt sich aus der Interpretation der Verletzung semantischer Selektionsbeschränkungen als Widerspruch zwischen Voraussetzungen (MCCAWLEY 1971c: 294), die ja — wie weiter oben deutlich gemacht wurde — nach Annahme der GS im Bereich der Regeln der „natürlichen Logik" — d. h. außerhalb der Grammatik als System einzelsprachspezifischer Regeln — angesiedelt sind. Hieraus ist jedoch — wie auch MCCAWLEY hervorhebt — kein überzeugender Einwand gegen die Theorie der GS bezüglich der Möglichkeit abzuleiten, semantisch abwei121
Für den Satz (4.4.-6) ist z. B. die Kongruenz-Regel angewandt worden, die selbst nichts mit der semantischen Regel der Voraussetzung von (MATERIELL (x)> durch zu tun hat, die in (4.4.-6) verletzt ist.
339
Generative Grammatik
chenden, aber syntaktisch wohlgeformten Sätzen Rechnung zu tragen, denn „an adequate account of such sentences requires interaction between grammar and (natural) logic, and Katz has exhibited no defect in the grammar which generative semantics can provide for natural logic to interact with" (ibid.). 5. Konklusionen über die Beziehung zwischen Semantik, Syntax und Lexikon in der generativen Transformationsgrammatik 5.1. Die relative Autonomie der
Grammatikkomponenten
Nachdem wir die Regelmechanismen der beiden von uns zur Erörterung der Beziehung von Semantik und Grammatik herangezogenen Grammatiktheorien vorgestellt haben und zusammenfassend den Aufbau der Semantikkomponente in diesen Konzeptionen beleuchtet haben, kommen wir jetzt zu einigen Schlußfolgerungen über das Zusammenwirken der Komponenten der Grammatik in der LautBedeutungs-Zuordnung und über den Gegenstandsbereich der Grammatik. Unbeschadet der Tatsache, daß es möglich ist, einen sprachlichen Ausdruck als semantisch, morphologisch, rein syntaktisch oder phonetisch korrekt bzw. abweichend zu charakterisieren, muß unterstrichen werden, daß die grammatisch wohlgeformten Sätze einer Sprache von der Gesamtheit der Regeln der Grammatik erzeugt werden. Dabei schränken die einzelnen Komponenten der Grammatik die durch die Regeln einer oder mehrerer Komponenten erzeugbaren Strukturen auf spezifische Weise ein.122 Ein Beispiel ist in der GS die Filterfunktion des Lexikons bezüglich möglicher derivierter semantischer Strukturen und in der IS die Ausfilterung uninterpretierbarer syntaktischer Strukturen durch die semantischen Interpretationsregeln. Ein Vergleich von IS und GS ergibt hinsichtlich der Filterfunktion von Grammatikkomponenten speziell für den Zusammenhang von Semantik, Syntax und Lexikon folgendes Bild: (a) Die Regeln der Transformationskomponente beschränken die Menge der von der Basis-Komponente der IS und der GS erzeugbaren Strukturen, die zu Oberflächenstrukturen gelangen.123 122
Von der Filterfunktion der einzelnen Grammatikkomponenten zu unterscheiden sind Filter, die in Ergänzung zu den Regeln der Grammatik auf bestimmten Strukturebenen unzulässige Strukturen ausfiltern. DINGWALL ( 1 9 6 9 : 228f., Anm. 13) stellt über die Entwicklung der TG fest, daß „there has been a gradual elaboration of a system of filters which now encompasses all levels of the grammar . . ." Zur Rechtfertigung von OberflächenstrukturFiltern und zu den entsprechenden Einschränkungen für Transformationen vgl. insbesondere PERLMUTTER ( 1 9 7 1 ) u n d CHOMSKY, LASNIK ( 1 9 7 7 ) .
123
Zur Filterfunktion — speziell der Transformationen — siehe G . LAKOFF (1971a: 233).
22*
CHOMSKY
(1965/1970: 134) und
340
R Pasch/I Zimmermann
(b) Die Regeln des Lexikons beschränken die Anwendungsmöglichkeiten der Regeln der Syntax Durch die semantischen Basisregeln der GS erzeugbare und durch syntaktische Transformationen umformbare semantische Strukturen sind sprachlich nur zu realisieren, wenn das Lexikon für jede korrekt analysierte Endkette einer semantischen Struktur mindestens ein entsprechendes Formativ bereitstellt. Die durch die syntaktischen Basisregeln der IS erzeugbaren Strukturen sind sprachlich nur zu realisieren, wenn sie mit im Lexikon registrierten Einheiten belegt werden können. (c) Die Regeln der semantischen Komponente schränken in der IS die durch die Anwendung von syntaktischen Formations- und Transformationsregeln möglichen Strukturbildungen ein. 124 Es hängt selbstverständlich von dem Verständnis der in den einzelnen Grammatikkomponenten zu erfassenden Regulantäten der Laut-Bedeutungs-Zuordnung ab, in bezug auf welche Aspekte der Struktur sprachlicher Äußerungen die einzelnen Regelmengen der Grammatik spezifische Beschränkungen ausdrücken. Beispielsweise hat C H O M S K Y ( 1 9 6 5 / 1 9 7 0 ) gemäß dem für die damalige Entwicklung der T G charakteristischen Verständnis des Zusammenhangs von Semantik und Syntax selektionelle Beschränkungen im Rahmen der Syntax behandelt, während sie J A C K E N D O F F ( 1 9 7 2 ) eindeutig als semantisches Phänomen auffaßt und dem Kompetenzbereich der semantischen Interpretationsregeln zuweist. Es ist eine bisher vernachlässigte, unseres Erachtens aber wichtige Frage, was die von den einzelnen Grammatikkomponenten ausgefilterten Strukturen darstellen, zumal dieses Problem die Substanz dessen betrifft, was die jeweilige Regelmenge der Grammatik abbildet. So erscheint u. a. für die Art des Zusammenhangs von Sprache und Denken nicht unwesentlich, zu klären, was die durch den lexikalischen Bestand einer Sprache nicht besetzbaren derivierten semantischen Strukturen bzw. die ihnen zugrunde liegenden oder in einer Einzelsprache nicht lexikalisierbaren semantischen Basisstrukturen der GS darstellen. Was die Autonomie der einzelnen Grammatikkomponenten angeht, so kann sie immer nur bezüglich des spezifischen Strukturaspekts sprachlicher Äußerungen bestehen, der in der betreffenden Regelmenge der Grammatik erfaßt wird. Vor allem in diesem Sinne ist die von C H O M S K Y und anderen vertretene Auffassung von der Autonomie der Syntax gegenüber der Semantik zu verstehen. 125 Unter dem Gesichtspunkt des Zusammenwirkens der Komponenten der Gram124 125
Zur Filterfunktion semantischer Interpretationsregeln siehe CHOMSKY (1971 210F) Vgl CHON SKY (1965/1970 212f,Anm. 15, und 142 ff).
341
Generative G r a m m a t i k
matik bei der Erzeugung der wohlgeformten Sätze einer Sprache 126 kann es sich nur um eine relative Autonomie der einzelnen Teilsysteme von Regeln der Grammatik handeln. Grammatikkomponenten, deren Regeln auf Strukturen operieren, die von Regeln einer anderen Komponente erzeugt werden, sind nicht autonom. Autonome Grammatikkomponenten dagegen sind Systeme von Regeln, die in ihrer Funktionsweise unabhängig von anderen Regelmengen der Grammatik sind. In der GS trifft das für die semantische Komponente zu, in der IS für die syntaktische Basiskomponente. Entscheidend ist, daß jede Komponente der T G in ihren beiden hier verglichenen Varianten der IS und der GS spezifische Regularitäten der Laut-Bedeutungs-Zuordnung sprachlicher Äußerungen unter charakteristischen Abstraktionsgesichtspunkten erfaßt und expliziert.
5.2. Die Repräsentation
von Generalisierungen
im Aufbau der
Grammatik
In der Entwicklung der T G ist immer wieder die Frage des angemessenen Ausdrucks von im Sprachsystem zu beobachtenden Generalisierungen Anlaß gewesen, diesbezügliche Unzulänglichkeiten in spezifischen Vorschlägen für die Beschreibung und Erklärung bestimmter sprachlicher Fakten aufzudecken und bessere Lösungen zu suchen. In diesem Klärungsprozeß kam es zu einer polemischen Auseinandersetzung zwischen den Vertretern der IS und der GS, die mit dem Verständnis der Grundannahmen der beiden TG-Varianten zusammenhängt. Zur Illustration der Problemlage seien hier zwei solcher Streitpunkte angeführt. So wirft CHOMSKY den Vertretern der GS vor, daß sie die wichtige Generalisierung, daß Nominalphrasen als spezifisch oder generisch interpretiert werden können, nicht ausdrücken, da sie Nomina wie Verben und Adjektive aus den unterschiedlichsten zugrunde liegenden semantischen Einheiten der semantischsyntaktischen Kategorie Prädikat ableiten (siehe CHOMSKY 1972a: 156f.) und die genannte Generalisierung als reine Zufälligkeit erscheinen lassen. 127 Ein Beispiel für eine Generalisierung, die die IS nicht ausdrücke, führt SEUREN (1974b: 20) an. Er weist d a r a u f h i n , daß das Französische und eine Reihe anderer Sprachen eine kausative Konstruktion haben — frz. mit faire —, die ganz klar die Transformationen der Prädikathebung in der postlexikalischen Syntax verlangt. Im Französischen würde nun in den/a/Ve-Konstruktionen das Subjekt eines eingebetteten transitiven, nichtpassivierten Satzes zum Dativ in der Oberflächenstruktur, wie z. B. in Je ferai voir la lettre ä Jean, was abgeleitet sei aus zugrunde liegendem je faire [Jean voir la lettre], (Wenn der eingebettete Satz intransitiv oder 126 127
Siehe CHOMSKY (1965/1970: 142ff.) und G. LAKOFF (1970a: Abschnitt II). Zur Ableitung der Nominalphrasen in der GS siehe MCCAWLEY (1971b: insbesondere 227 f.).
342
R. Pasch/I. Zimmermann
passiviert sei, würde das (abgeleitete) Subjekt in der Oberflächenstruktur A k k u s a tiv.) Im Französischen gibt es nun einen Satz, der mit dem eben aufgeführten völlig synonym ist: Je montrerai la lettre ä Jean. In der G S würde das nach Anwendung prälexikalischer Prädikathebung entstandene komplexe semantische Prädikat durch die lexikalische Einheit montrer ersetzt werden. So wäre der Dativ bei montrer gleichen Ursprungs wie bei faire voir. In der IS vom T y p des Aspects-Modells dagegen müßten die Dative unterschiedlich behandelt werden: Der Dativ bei faire voir sei dort Resultat eines transformationeilen Prozesses, der bei montrer dagegen besetze eine Leerstelle, die für dieses Verb im Lexikon definiert sei. D a diese Situation bei einer großen Zahl von Verben besteht, die den Dativ regieren und semantisch zerlegbar sind in ,cause to . . .' oder ,allow to . . .', bedeute die Verfahrensweise der Aspects-Theorie einen Verlust an Allgemeinheit in der syntaktischen Beschreibung. Diese beiden wechselseitigen Vorwürfe sollen hier stellvertretend für eine Fülle von Unzulänglichkeiten bezüglich des Ausdrucks von Generalisierungen stehen, die G S und IS einander zur Last gelegt haben. N u n wäre eine Grammatik, die diese Generalisierungsbefunde nicht ausdrückt, empirisch unangemessen und folglich zugunsten einer anderen G r a m m a tik, die die Generalisierungen ausdrückt, zu verwerfen. Bis jetzt konnte jedoch nicht nachgewiesen werden, daß eine der beiden Grammatikalternativen prinzipiell nicht in der Lage ist, bestimmte Generalisierungen auszudrücken, die die jeweils andere berücksichtigt, die sie selbst aber auf dem Stand ihrer derzeitigen Ausarbeitung noch nicht reflektiert. Betrachtet man die Entwicklung der generativen Grammatik insgesamt und die Entwicklung innerhalb ihrer beiden Varianten, so muß man feststellen, daß sie eine ständige Adaption des Modells bzw. der Modelle an die Notwendigkeit darstellt, bislang außer acht gelassene Generalisierungen zu berücksichtigen. Der Vorwurf, eine Grammatik erfasse bestimmte Generalisierungen nicht, kann sich vor allem auch auf die Art und Weise beziehen, wie diese Generalisierungen in dieser Grammatik ausgedrückt werden können. Dieser Ansatzpunkt der Kritik aber ergibt sich aus dem Grundunterschied zwischen IS und G S . Wie wir weiter oben zu zeigen versuchten, war die Konzeption der T G motiviert durch die Annahme, daß jeder Satz eine von seiner konkreten Oberflächengestalt unterschiedene syntaktische Tiefenstruktur hat, die eine Invariante bezüglich syntaktischer (nicht lexikalischer) — die Bedeutung nicht verändernder — Variation des Satzes darstellt. Durch die Unterscheidung von syntaktischer Tiefenstruktur und syntaktischer Oberflächenstruktur wurde ein bestimmter Aspekt semantischer Invarianz als Generalisierung auf der Ebene der Tiefenstruktur ausgedrückt. A u f dieser Grundlage entwickelte sich die Auffassung, daß es schlechthin A u f g a b e der zugrunde liegenden Struktur sprachlicher Ausdrücke sei, die semantischen Generalisie-
343
Generative Grammatik
rungen auszudrücken, u. a. auch die Generalisierungen, die unter Berücksichtigung der inneren semantischen Struktur lexikalischer Einheiten in der G r a m m a t i k festzustellen sind. In der G S wird die zugrunde liegende Struktur der Sätze ausschließlich aus semantischen Einheiten konstituiert. D a m i t werden Generalisierungen — wie z. B. die Klasse der faktiven, die der inchoativen, die der kausativen Prädikate 1 2 8 , aber auch Z u s a m m e n h ä n g e zwischen bestimmten Adjektiven und bestimmten Adverbien (möglich — möglicherweise) — durch eine semantische Invariante begründet, die eine bestimmte Konstellation f ü r die jeweilige Klasse typischer Prädikate in der semantischen Struktur von Sätzen ist. Diese determiniert auch die Klasse der K o o k k u r r e n z p a r t n e r der Elemente der fraglichen Klasse, d. h. die semantischen u n d syntaktischen Gemeinsamkeiten dieser Einheiten. Im R a h m e n dieser semantisch bedingten Klassenbildungen gibt es natürlich Hierarchien und Kreuzklassifizierungen. So sind z. B. viele Verben und Adjektive, die die Einstellung eines Individuums zu einem Sachverhalt widerspiegeln, Teilmenge einer semantischen Klasse, bei der das Individuum und der Sprecher die Wahrheit dessen, was vom Individuum mittels des Verbs oder Adjektivs bewertet wird, als gegeben ansehen müssen. Diese Klasse konstituiert eine Teilmenge von Prädikaten, die P. KIPARSKY und C. KIPARSKY (1970) als /aktive Prädikate bezeichnet haben. (P. KIPARSKY und C. KIPARSKY beziehen die Faktizitätsvoraussetzung nicht auf das bewertende Individuum, sondern nur auf den Sprecher, der diese Verben/Adjektive verwendet; siehe ibid.: 143.) Vgl.
Solchen Verben und Adjektiven stehen nicht/aktive
Prädikate gegenüber. Vgl.
P. KIPARSKY und C. KIPARSKY (1970) machen deutlich, d a ß der Unterschied zwischen faktiven und nichtfaktiven Prädikaten unterschiedliche Transformationsmöglichkeiten für die Satzkomplemente bedingt. So gestatten im Englischen nur nichtfaktive Prädikate eine Pronominalisierung des Komplementsatzes mittels so: (5.2.-3)
128
John supposed that Bill had done it, and Mary supposed so, too. *John regretted that Bill had done it, and Mary regretted so, too.
Zu einer Gruppe von Kausativen und ihren syntaktischen Gemeinsamkeiten vgl. das oben angeführte Beispiel von SEUREN.
R. Pasch/I. Zimmermann
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(Siehe dazu die vorgeschlagene Behandlung der Faktiven bei P . KIPARSKY, insbesondere 1 6 6 . ) Aus diesen und einer Reihe weiterer syntaktischer Befunde zogen P . KIPARSKY und C . KIPARSKY ( 1 9 7 0 ) den Schluß, daß die hier illustrierten semantischen Faktoren in der Basisstruktur ausgedrückt werden müssen, damit die Notwendigkeit entfallt, jedes Verb bezüglich der „compatibility with each surface complement type" zu kennzeichnen, und damit auch die Notwendigkeit „for treating complementation as basically irregulär and unpredictable" (siehe ibid.: 172). Solche semantischen Generalisierungen können für Prädikate ganz verschiedener syntaktischer Kategorien (im Sinne der IS) gelten. Auf der Grundlage des gemeinsamen semantischen Merkmals der Faktivität lassen sich z. B. die oben angeführten Prädikate propositionaler Einstellung und Satzadverbiale zusammenfassen : C . KIPARSKY 1 9 7 0 :
(5.2.-4) Ich bedauere, daß Paul schläft. Leider schläft Paul. Nichtfaktivität charakterisiert eine Klasse sprachlicher Ausdrücke, unter die sich z. B. können, möglich (sein) und möglicherweise subsumieren lassen: (5.2.-5) Es ist möglich, daß er die Stadt schon verlassen hat. Möglicherweise hat er die Stadt schon verlassen. Er kann die Stadt schon verlassen haben. Neben solchen semantischen Klassenbildungen und den mit ihnen verbundenen Generalisierungen bezüglich kookkurrierender Einheiten gibt es auch semantische Generalisierungen, die Konsequenzen für die Ausformung des betreffenden Typs semantischer Struktur als syntaktische Kategorie im Sinne der IS haben. Ein Beispiel hierfür sind die Satzadverbiale, die propositionale Einstellungen zum Inhalt des Ensembles ihrer Ko-Konstituenten repräsentieren. Beispiele hierfür sind (5.2.-6)
leider
erfreulicherweise möglicherweise Bedauern Kummer
zu
Unglück fseinerFreude seiner
t
[meiner
]
GenugtuungJ
Diese Klasse wird semantisch konstituiert durch
Generative Grammatik
345
(a) einen Typ von Prädikaten in einer bestimmten Position der hierarchisch organisierten semantischen Struktur von Sätzen einschließlich des Arguments, das den benennt, der das bewertet, was das propositionale Argument widerspiegelt, und (b) durch gleiche Beschränkungen bezüglich der Stellung dieses Prädikats und seines ersten Arguments in der Topik-Fokus-Präsupposition-Gliederung des Satzes: Diese propositional-semantische Konfiguration kann — außer in Antworten und Korrekturen — nicht alleiniger Fokus des Satzes sein und auch nicht Topik und nicht Voraussetzung des Satzes. 129 Die Elemente dieser Klasse von Adverbialen spezifizieren die gleichen Wahrheitsbedingungen für das Satzkomplement des in ihnen enthaltenen Prädikats wie die ihnen jeweils entsprechenden Prädikate (Verben und Adjektive) der propositionalen Einstellung. Z. B. sind es ist möglich, daß . . . und möglicherweise nicht faktiv, während es ist ein Unglück, daß und unglücklicherweise faktiv sind. Die Adverbiale bilden also mit bestimmten Prädikaten höherer Sätze semantische Klassen auf Grund der unter (a) genannten Eigenschaft. Die unter (b) genannte Besonderheit dagegen hebt die Adverbiale semantisch und syntaktisch von den Verben und Adjektiven der propositionalen Einstellung ab. 130 Wenn nun Satzadverbiale eine semantische Struktur haben, die aus einem Prädikat (mit einem Argument) besteht, wobei der Rest des einfachen Satzes, dem das Satzadverbial in der Oberflächenstruktur angehört, Argument des Prädikats ist, dann muß — gemäß der Art der Behandlung der Laut-Bedeutungs-Zuordnung in der GS — die Klasse der Satzverbiale bestimmte prälexikalische Transformationen durchlaufen haben, die die als höhere Sätze realisierten Prädikate nicht durchlaufen haben. 1 3 1 Dabei sind im vorliegenden Zusammenhang die unter (b) genannten Eigenschaften zusammengenommen Bedingungen dafür, daß die betreffenden propositionalsemantischen Konfigurationen diese Transformationen durchlaufen können, die die Ausprägung der propositionalen Einstellung als Präpositionalphrase oder Adverb ergeben. Das Lexikon filtert diejenigen auf diesem Wege erzeugten prälexikalisch derivierten semantischen Repräsentationen aus, denen kein Formativ mit einer solchen ihm zugeordneten semantischen Repräsentation entspricht. Die Adverbiale der propositionalen Einstellung reihen sich aber in eine syntak129
Zum Begriff von Topik, Fokus und Präsupposition (Voraussetzung) siehe CHOMSKY (1971)
130
Zu weiteren Besonderheiten, die die Annahme einer totalen semantischen Äquivalenz von
und G . LAKOFF (1971a). Satzadverbialen und entsprechenden Prädikat-Argument-Strukturen in Matrixsätzen ausschließen, siehe LANG (1977 b). 131
Zur Kritik einer transformationellen Behandlung der Adverbien siehe JACKENDOFF (1972: Abschnitt 3.3.).
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R. Pasch/I. Zimmermann
tische Konstruktionsklasse ein, zu der auch Adveriable eines ganz anderen semantischen Typs gehören, für'; die die Eigenschaft (b) nicht Bedingung ihrer zum Konstituententyp Präpositionalphrase bzw. Adverb führenden transformationellen Ableitung ist. Ein Beispiel für Adverbiale des letztgenannten Typs sind kausale Bestimmungen; vgl. zu meinem Bedauern/leider — wegen meiner Krankheit/ krankheitshalber. In der IS sind solche nicht semantischen Gemeinsamkeiten als syntaktische Kategorisierungen in den syntaktischen Basisregeln ausgedrückt. Es ist ein offenes Problem, wie diese Generalisierungen als solche in der GS ausgedrückt werden. Daß sie auch im Rahmen der GS relevant werden, wird u. a. durch die Notwendigkeit belegt, entsprechende Angaben im Lexikon zu haben. (5.2.-7) (a) Sie schwamm durch den Ärmelkanal. (b) Sie durchschwamm den Ärmelkanal. Je nachdem, ob die Art der räumlichen Beziehung zwischen dem sich Bewegenden und dem räumlichen Bezugssystem selbständig oder als Präfix des Verbs lexikalisiert ist, ergibt sich als Ko-Konstituente des Verbs eine Präpositionalphrase oder eine Nominalphrase. Die als kontextuelle Angabe erforderliche syntaktische Generalisierung p r ä positionalphrase' erfordert, daß sichtbar ist, was eine Präposition ist, die ja den Unterschied zwischen Präpositionalphrase und Nominalphrase ausmacht. Die lexikalischen Einheiten — und somit auch die Präpositionen — müßten demzufolge im Lexikon eine Kennzeichnung bezüglich der lexikalischen Kategorie aufweisen, der sie angehören. In der IS ist die fragliche syntaktische Generalisierung dadurch ausgedrückt, daß die syntaktischen Basisregeln mit einem entsprechenden Inventar lexikalischer Kategorien operieren. In der GS dagegen ist weniger klar, wie solche Generalisierungen ausgedrückt werden können. Die Angabe ,Präposition' entspricht hier nämlich keiner Kategorie der semantischen Syntax. Hier gibt es als primäre syntaktische Kategorien nur die Kategorien der semantischen Strukturbildung: Prädikat, Argument und Proposition. Die Prädikate können als Adjektive, Verben, Nomina, Präpositionen oder Konjunktionen realisiert werden. Die Beschreibung mittels der semantischen ( = primären syntaktischen) Kategorien der GS ist für die Unterscheidung dieser lexikalischen Kategorien nicht mehr ausreichend. Die im vorliegenden Zusammenhang interessierenden grammatischen Generalisierungen sind vielmehr vom Standpunkt der transformationeilen Ableitung von Oberflächenstrukturen aus semantischen Repräsentationen komplexe Erscheinungen der Laut-Bedeutungs-Zuordnung. So zeichnet z. B. eine Präposition gegenüber anderen Prädikaten wie Verb, Adjektiv, Nomen aus, daß an sie nicht Flexionsmorpheme angefügt werden. Des weiteren gilt für alle
Generative Grammatik
347
Präpositionen, daß sie im Deutschen und in anderen Sprachen vor einer NP stehen. Wenn nun lexikalische Einheiten wie Verben Forderungen bezüglich der Realisierung ihrer Kontextpartner stellen, so bedeutet dies auch für die Lexikoneinträge in der GS, daß diese komplexen Erscheinungen der Laut-Bedeutungs-Zuordnung, die die als Präposition, NP, PP bezeichneten grammatischen Generalisierungen darstellen, zu repräsentieren sind. Wie die Einführung dieser sekundären syntaktischen Kategorien als Ausdruck grammatischer Generalisierungen in der GS erfolgen könnte, ist bislang unklar. Es ist aber denkbar, daß in der GS die kategoriellen grammatischen Generalisierungen in Lexikoneinträgen als Merkmale auftreten und in die Satzstruktur per Einsetzung der entsprechende Charakterisierungen aufweisenden lexikalischen Formative für die semantische Struktur gelangen, wodurch dann der Satz eine syntaktische Strukturierung im Sinne der traditionellen Grammatik und auch der IS erhält. Das, was sich hinter den sekundären syntaktischen Kategorien verbirgt, müßte dem entsprechen, was die syntaktischen Kategorien der IS signalisieren: Typen syntaktischer (im Sinne der GS postlexikalischer) Transformationen, die die entsprechenden lexikalischen Einheiten durchmachen bzw. bei anderen lexiaklischen Einheiten auslösen können. Das Lexikon erwiese sich damit auch für die GS als eine Schaltstelle zwischen semantischer und eigentlich syntaktischer Strukturierung von Sätzen. Dabei könnte ein spezifischer Beitrag der GS zur Syntaxforschung in der Feststellung dessen liegen, was relevante nichtsemantische syntaktische Angaben im Lexikon sind, in der Erarbeitung eines Katalogs der sekundären syntaktischen Kategorien (die in der IS als primäre syntaktische Kategorien behandelt werden). Die Einführung eines neuen Typs von Merkmalen durch die lexikalische Einsetzungstransformation würde jedoch eine grundlegende Modifikation der Leistungen von Transformationen und damit des Grammatiktyps bedeuten. Es ist allerdings unklar, wie ohne die Annahme von Regeln der Konfigurationsbildung für die syntaktische Oberflächenstruktur die Binnenstruktur z. B. einer NP allein auf Grund der inhärenten und kontextuellen syntaktischen Kategorisierung der lexikalischen Einheiten im Lexikon und auf Grund der Erwähnung dieser Kategorien in Transformationen spezifiziert werden kann. Mit anderen Worten, es ist nicht klar, wie die diskutierten grammatischen Generalisierungen ohne selbständige (autonome) syntaktische Formationsregeln vollständig in der Grammatik ausgedrückt werden können.
5.3. Die Ausweitung des Gegenstandsbereichs
der Grammatik durch die Semantik
5.3.1. Betrachtet man die Entwicklung der Theorie der TG im Hinblick auf die Phänomene, die die Grammatik beschreiben und erklären muß, so ist eine zunehmende Ausweitung ihres Gegenstandsbereichs zu verzeichnen. In den „Syn-
348
Generative Grammatik
tactic Structures" hatte CHOMSKY unter der Grammatik nur Regeln der Konstruktion von Sätzen verstanden, bei denen von der Bedeutung und den Verwendungsbedingungen der Sätze abgesehen wurde. Durch die Einbeziehung der Semantik in die Grammatik und vor allem durch die Entwicklung der G S ist die Grammatik als Modell der Laut-Bedeutungs-Zuordnung zu einem System geworden, das einen immer größeren Kreis von Bedingungen erfaßt, die mit dem Gebrauch von spezifischen Lautstrukturen sprachlicher Ausdrücke verknüpft sind. Dabei herrscht durchaus keine einhellige Meinung, was alles zur Bedeutung sprachlicher Ausdrücke (Sätze) zu rechnen ist. 132 N a c h weitgehendem Einverständnis vieler Vertreter der T G umfaßt die semantische Repräsentation eines Satzes nicht allein die Beschreibung der designierten Situation(en), sondern auch Information, welche besagt, in welcher Art von Kontext der betreffende Satz auftreten kann bzw. angemessen ist. Divergenzen in den Ansichten gibt es jedoch darüber, welche Art kontextueller Information bei der semantischen Repräsentation der Sätze zu berücksichtigen ist.
5.3.2.
Präsuppositionen
Kontextuelle Gegebenheiten betreffen z. B. die mit einem Satz S verbundenen Präsuppositionen, und zwar insofern, als diese Bedingungen dafür sind, d a ß 5 eine sinnvolle Behauptung, Frage, Aufforderung usw. darstellt. (Vgl. auch G . LAKOFF 1974c: XI-15.) In der G S werden auch die Glückensbedingungen für Sprechakte als Präsuppositionen angesehen (G. LAKOFF 1971b: 335—336), also z. B. die Glückensbedingungen für Fragen, Aufforderungen, Behauptungen usw. In der am Satz (5.3.2.-1) (a) John called Mary a virgin, and then she insulted him. exemplifizierten A n n a h m e des Sprechers des Satzes, d a ß jemanden eine Jungfrau nennen eine Beleidigung der fraglichen Person ist, sieht G. LAKOFF eine pragmatische Präsupposition. Eine pragmatische Präsupposition ist f ü r ihn „a relation holding between an individual and a proposition" (G. LAKOFF 1974c: XI-20). Und er fügt hinzu: „This is the sort of presupposition that linguists usually talk a b o u t " (ibid.). Die mit Sätzen verbundenen pragmatischen Präsuppositionen sollen nach G . LAKOFF durch transderivationelle Regeln der Grammatik behandelt werden (ibid.).
132
Vgl. den im Abschnitt 4.3. charakterisierten sehr engen Bedeutungsbegriff von KATZ (1972: 417ff.) und die Ausklammerung der Topic-Comment-Aufteilung von Sätzen und der FokusMarkierung aus der semantischen Komponente der Grammatik.
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Generative Grammatik
Es gibt Argumente dafür, die Präsuppositionen von Sätzen in der Grammatik zu erfassen. (5.3.2.-1) (a) John called Mary a virgin, and then shé insülted him. und (5.3.2.-1) (b) John called Mary a virgin, and then she insülted him. unterscheiden sich semantisch dadurch, daß mit (5.3.2.-1) (a) der Sprecher (per Präsupposition) die Annahme ausdrückt, daß John Mary beleidigt hat. Dieser Bedeutungsunterschied ist lautlich durch einen Intonationsunterschied ausgedrückt. Andere Präsuppositionen sind mit lexikalischen Ausdrucksmitteln verbunden: (5.3.2.-2) Karl hat seinem kleinen Bruder einen Teddybären versprochen. (5.3.2.-3) Karl hat seinem kleinen Bruder einen Teddybären gekauft. Hier ist in (5.3.2.-3) vom Sprecher des Satzes vorausgesetzt, daß es in der Realität, in die Karl gehört, ein bestimmtes Ding gibt, das als Teddybär charakterisiert ist. Dies ist in (5.3.2.-2) nicht vorausgesetzt. Der Unterschied ergibt sich aus einem semantischen Unterschied der in den beiden Sätzen verwendeten Prädikate. 1 3 3 Ein Unterschied bezüglich möglicher Präsuppositionen liegt ferner im Gegensatz von Entscheidungs- und Ergänzungsfragen. In (5.3.2.-4) wird nicht vorausgesetzt, daß jemand kommt, wogegen in (5.3.2.-5) vom Sprecher vorausgesetzt wird, daß jemand kommt: (5.3.2.-4) Kommt jemand zu deinem Geburtstag? (5.3.2.-5) Wer kommt zu deinem Geburtstag? Soweit Unterschiede in den Präsuppositionen von Sätzen systematisch mit Unterschieden in den Ausdrucksmitteln verbunden sind, d. h. sofern Regularitäten in der Laut-Bedeutungs-Zuordnung vorliegen, erscheint ihre Erfassung in der Grammatik als notwendig.
5.3.3.
Übertragene
Bedeutung
Die Frage, ob übertragene Bedeutungen bzw. Verwendungsweisen von Sätzen durch die Regeln der Grammatik erfaßt werden müssen, ist weitaus schwerer zu beantworten. Die semantischen Relationen zwischen wörtlicher (literal) und übertragener (indirectly conveyed) Bedeutung (siehe G. LAKOFF 1974 b: X-25f.) sind nicht an Unterschiede in der Lautstruktur gebunden. Sie sind nur aus der Ein133
Vgl. auch die im Abschnitt 5.2. erwähnte Unterscheidung faktiver und nichtfaktiver Prädikate.
350
R. Pasch/I. Zimmermann
bettung der betreffenden Äußerung in die semantische Struktur des verbalen Kontextes und/oder die Spezifik der nichtverbalen Situation, in der der Satz geäußert wird, interpretierbar. Eine wichtige Gruppe übertragener Bedeutungen stellen für die neuere Entwicklung der GS die sogenannten übertragenen illokutiven Kräfte von Sätzen dar, eine Erscheinung, die in der Sprechakttheorie im Zusammenhang mit der Behandlung der indirekten Sprechakte diskutiert wird (vgl. zu diesem Problemkreis VIEHWEGER 1983).
(5.3.3.-1) Can you pass the salt? ist in wörtlicher Bedeutung eine Frage, die abhängig vom Kontext die übertragene illokutive Kraft einer Aufforderung haben kann. 134 Reguläre Beziehungen zwischen solchen Typen von illokutiven Kräften wie Frage und Aufforderung, die in der GS als ein Aspekt der Bedeutung der Sätze aufgefaßt werden, sollen durch kontextabhängige semantische Folgerungen (entailments) (G. LAKOFF 1974b: X-26), die als Bedeutungspostulate angesehen werden (ibid.: X-13f.), erfaßt werden, welche zusammen mit globalen und transderivationellen Regeln der Grammatik wirken (ibid.: X-26).135 So gilt schließlich nach Ansicht der Vertreter der GS als Aufgabe der Grammatik, Quadrupel der Form (5.3.3.-2) zu erzeugen: (5.3.3.-2) „(S, L, C, CM) where S is a sentence (more strictly its phonetic representation), L is a model-theoretically interpreted logical structure (representing the literal meaning of the sentence), C is a consistent set of logical structures (the models in which the sentence has the literal meaning of L), and CM is a sequence of logical structures (representing the conveyed meanings of the sentence relative to context C — the last member of the sequence is the ultimately conveyed meaning')" (ibid.: X-25). (S, L)-Paare sind durch Derivationen, d. h. durch Folgen von Strukturbäumen charakterisiert, die S und L verknüpfen. Derivationen sind nur in bezug auf Kontexte C und übertragene, ausgedrückte Bedeutungen CM wohl- oder mißgeformt (ibid.: X-26).
Die hier referierten Vorschläge der GS zur Behandlung von Regularitäten in der Zuordnung von Lautstrukturen von Sätzen zu inhaltlichen Faktoren kommunikativer Äußerungen sind nicht unkontrovers. In VIEHWEGER (1983) wird neben dieser 134 135
Zum Begriff der illokutiven Kraft — illocutionary force — siehe AUSTIN (1971). Transderivationelle Regeln spezifizieren in diesem Falle, welche Derivationen wohlgeformt sind „with respect to which contexts and which conveyed meanings" (G. LAKOFF 1974b: X-26).
Generative Grammatik
351
Grammatikkonzeption ein theoretischer Ansatz diskutiert, der sprechakttheoretische Fakten wie die Verbindung von direkt ausgedrückter (wörtlicher) und indirekt ausgedrückter (übertragener) illokutiver Kraft über konversationeile Implikaturen (wie sie in den genannten „kontextabhängigen semantischen Folgerungen" verkörpert sein sollen) außerhalb der Grammatik ansiedelt. Was an Äußerungen wie (5.3.3.-3) Ich möchte gern
Spazierengehen.
zweifelsfrei durch die Grammatik erfaßt werden muß, ist, daß dieser Satz einen Wunsch des Sprechers ausdrückt. Daß es möglich ist, diesen Wunsch u. a. auch im übertragenen Sinne, d. h. im Sinne von (5.3.3.-4) Erlaube mir bitte
spazierenzugehen.
als Bitte an den Hörer zu verstehen, kann dagegen außerhalb der Grammatik, nämlich in einer Teiltheorie der Linguistik erfaßt werden, die die Einbettung semantischer Strukturen sprachlicher Äußerungen in Schemata sprachlicher Interaktion beschreibt und dabei keinerlei Bezug auf spezifische Ausdrucksmittel nimmt. Die Annahme der GS, daß die Relationen zwischen wörtlicher Bedeutung, übertragener Bedeutung und Kontext in der Grammatik erfaßt und beschrieben werden, zeugt einerseits vom Bemühen, die semantische (bzw. inhaltliche) Seite der sprachlichen Tätigkeit immer tiefer und umfassender theoretisch zu durchdringen, andererseits unterläuft sie jedoch die Konzeption der Grammatik als Beschreibung eines bestimmten Gesichtspunktes sprachlicher Tätigkeit, nämlich des semiotischen. Sie überschreitet den Rahmen der Zuordnung von Lautstrukturen zu Bedeutungsstrukturen. Das führt mindestens in der Tendenz dazu, grammatische Regeln und Regeln sprachlichen Verhaltens schlechthin zu identifizieren. Den 1 semiotischen Aspekt zum zentralen Abstraktionsgesichtspunkt für die Gegenstandsbestimmung der Grammatik zu machen, folgt der Tradition der Grammatikforschung und stellt ein sinnvolles Kriterium für die Bestimmung der Spezifik grammatischer Regeln im Rahmen der Regeln sprachlichen Verhaltens dar.
6.
Schluß
In den vorstehenden Betrachtungen haben wir zwei im Rahmen der Generativen Transformationsgrammatik (TG) entstandene Grammatikmodelle, die Interpretative Semantik (IS) und die Generative Semantik (GS), in ihren grundlegenden Annahmen über den Aufbau des Sprachsystems und hinsichtlich ihres Verständnisses des Charakters der Laut-Bedeutungs-Zuordnung sprachlicher Äußerungen vergleichend vorgestellt. Das Schwergewicht legten wir dabei auf den Zusammenhang von Semantik, Syntax und Lexikon als Komponenten der Grammatik und zeigten, wie und inwieweit die beiden Varianten einer TG die
352
R. Pasch/I. Z i m m e r m a n n
verschiedenen Faktoren der inhaltlichen Seite sprachlicher Ausdrücke berücksichtigen und in der Strukturbeschreibung von Sätzen zur Geltung bringen. Gegenüber der im Abschnitt 1.4. gegebenen Skizze des Zusammenwirkens der einzelnen Regelmengen der IS resp. der GS sind zusammenfassend folgende wesentliche Modifikationen und Ergänzungen zu nennen, die wir im Laufe unserer Darlegungen größtenteils mehr oder weniger ausführlich erläutert haben: Erstens: Die Repräsentation der Bedeutung von Sätzen ist entsprechend den verschiedenen Komponenten des Inhalts sprachlicher Äußerungen mehrgliedrig. Für die IS haben wir vor allem die von JACKENDOFF ( 1 9 7 2 ) entwickelten semantischen Teilstrukturen zur Diskussion gestellt. Inwieweit auch andere Vertreter der IS eine nicht zu einer zusammenhängenden Struktur integrierte Repräsentation der verschiedenen Bedeutungsaspekte von Sätzen ins Auge fassen, ist nicht deutlich zu erkennen. KATZ (1972) separiert die Faktoren der kommunikativen Gliederung von den logisch-semantischen Eigenschaften sprachlicher Äußerungen und erfaßt sie nicht im Rahmen der semantischen Interpretation von Sätzen. Für die GS haben wir deutlich gemac' i, daß sich die Bedeutungsrepräsentation entsprechend den von G. LAKOFF (1969) entwickelten Vorstellungen mindestens aus der intensional-logischen Struktur, den Präsuppositionen, dem Topik und dem Fokus der jeweiligen Äußerung zusammensetzt. Zweitens: Innerhalb der GS ist insbesondere für die Inbeziehungsetzung bestimmter Bedeutungsfaktoren zu den entsprechenden Ausdrucksmitteln von Sätzen ein neuer Typ von Regeln, die globalen Derivationsbeschränkungen, eingeführt worden. (Siehe G. LAKOFF 1969 und 1970b.) Durch sie ist wie für Lexikoneinheiten nun auch für beliebig komplexe Syntagmen die direkte Zuordnung zwischen Erscheinungen der Inhalts- und der Ausdrucksebene darstellbar. Und das ist ein nicht zu übersehender Vorzug der GS gegenüber der IS. Drittens: Die Korrelierung von Inhalts- und Ausdrucksstrukturen erfolgt in der IS durch semantische Interpretationsregeln, und zwar nicht ausschließlich auf der Basis der Gegebenheiten der syntaktischen Tiefenstruktur. Die Vertreter der „trace theory" als einer Variante der Erweiterten Standardtheorie der IS sehen die mit semantischen Informationen in Form von Spuren der syntaktischen Tiefenstruktur entsprechend angereicherte syntaktische Oberflächenstruktur als Ansatzpunkt für die semantische Interpretation an. JACKENDOFF vertritt ein Grammatikkonzept, demzufolge die semantischen Interpretationsregeln auf verschiedenen Stufen der transformationeilen Derivation sprachlicher Äußerungen operieren, auf der syntaktischen Tiefenstruktur, auf der syntaktischen Oberflächenstruktur und auch auf zwischen diesen Ebenen liegenden Repräsentationsformen sprachlicher Ausdrücke. Viertens: Einige Vertreter der IS sehen bestimmte Typen von Permutationen als stilistische Regeln an und beziehen die auf der Anwendung dieser Regeln basierenden Strukturen nicht in die semantische Interpretation ein. (Vgl. CHOMSKY,
Generative Grammatik
353
LASNIK 1 9 7 7 : 4 3 1 , 4 3 3 und EMONDS 1 9 7 6 : 1 0 . ) Es bleibt zu prüfen, ob die betreffenden Strukturen wirklich keine Bedeutungsnuancen signalisieren. Es bedarf auch der Klärung, warum diese Permutationen wie auch die Eliminierung von Konstituenten erst jenseits der Ebene der syntaktischen Oberflächenstruktur erfolgen sollen, wie CHOMSKY und LASNIK meinen. Fünftens: Die strenge Forderung der IS, daß alle lexikalischen Transformationen den nichtlexikalischen vorausgehen, kann dahingehend gelockert werden, daß die Einfügung grammatischer Formative, z. B. von konfigurationell determinierten Präpositionen wie of in Nominalisierungen, nach den entsprechenden syntaktischen Transformationen zulässig ist. Für bedeutungshaltige („lexikalische") Formative gilt die aufgestellte Forderung jedoch ohne jede Einschränkung. Sechstens: Die durch die Grammatik gelieferten Strukturbeschreibungen von Sätzen sind nicht notwendig als Resultat der sequentiellen Anwendung der die einzelnen Komponenten der Grammatik konstituierenden Regeln zu verstehen. Allerdings haben wir in unserer Darstellung ein solches Grammatikkonzept nahegelegt. Es ist prinzipiell möglich, die Grammatik als ein Regelsystem zur Akzeptierung von Strukturbeschreibungen sprachlicher Äußerungen aufzufassen. (Vgl. G. LAKOFF 1969: 117f.) Dabei würden die Regeln der Grammatik als Strukturbeschränkungen das Zusammenvorkommen der zu einer Strukturbeschreibung gehörenden Elemente und der sie bildenden Einheiten spezifizieren und sie als wohlgeformte Repräsentation der auf unterschiedliche Weise mehr oder weniger zusammenhängenden Struktureigenschaften sprachlicher Äußerungen qualifizieren. Wir beschränken uns hier auf die Erwähnung dieser im einzelnen genau abzuwägenden Möglichkeit und verweisen auf JACOBSON (1974). Wir haben dem Leser vor Augen geführt, was es bedeutet, die Grammatik als ein System von Regeln der Laut-Bedeutungs-Zuordnung zu verstehen, das die Semantik als eine in sich in spezifische Regelmengen gegliederte Komponente einschließt. Als einen wesentlichen Gewinn für die Semantikforschung betrachten wir, daß die TG seit der Arbeit von K A T Z und FODOR ( 1 9 6 3 ) dem kompositioneilen Aspekt der Bedeutung sprachlicher Äußerungen große Aufmerksamkeit gewidmet hat und zu tragfahigen Aussagen darüber gekommen ist, wie sich die Bedeutung der Sätze und ihrer Komponenten aus der Bedeutung der lexikalischen Einheiten zusammensetzt; die TG hat damit die Bedeutungscharakterisierung beliebig komplexer sprachlicher Ausdrücke auf eine einheitliche Grundlage gestellt. Solche logisch-semantischen Eigenschaften und Relationen wie Normalität bzw. Anomalie, Analytizität, Ambiguität, Synonymie und Folgerungsbeziehungen sind für die betreffenden sprachlichen Einheiten explizit gemacht worden. (Siehe vor allem die Vorschläge von K A T Z 1972, G . LAKOFF 1970a und MCCAWLEY 1972.) Hervorhebenswert sind auch die vor allem im Rahmen der GS unternommenen Versuche, kommunikativ-pragmatische Bedeutungsaspekte in die linguistische 23
Viehweger. Semantikforschung
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R. Pasch/I. Zimmermann
Semantikforschung einzubeziehen, auch wenn sich hier noch vieles im Stadium der Vorverständigung über die in Betracht zu ziehenden Fakten und ihre linguistische Relevanz befindet. Wir verweisen auf die kühnen Vorstöße von R. T. LAKOFF (1971, 1974 a, 1974 b und 1974 c), SHOPEN (1972), GREEN (1974), CORUM (1974, 1975) und ROSENBERG (1975a) sowie auf die grundlegenden Arbeiten von GORDON und G . LAKOFF (1971) und G . LAKOFF (1974a, 1974b). Was die Position der IS anbelangt, plädiert CHOMSKY ( 1 9 7 6 : 53 ff.) in Übereinstimmung mit den Auffassungen von K A T Z ( 1 9 7 2 : 4 4 2 ff.) dafür, zwischen einer Theorie der Bedeutung und einer Theorie der erfolgreichen (sprachlichen) Kommunikation zu unterscheiden und in ersterer die sogenannte wörtliche Bedeutung zu erfassen, die den Einheiten von Sätzen eigen ist. Es ist jedoch nicht klar zu erkennen, welche Bedeutungsfaktoren CHOMSKY als in den Kompetenzbereich der semantischen Interpretationsregeln der Satzgrammatik gehörend ansieht. Insbesondere stellt sich diese. Frage für die verschiedenen Ausdrucksmittel der kommunikativen Intention des Sprechers, seiner Einstellungen und Annahmen bezüglich der Tatsachengeltung der in der Mitteilung angesprochenen Sachverhalte und bezüglich der aktuellen Informiertheit des Adressaten. Wir haben — besonders im Abschnitt 4.2. — deutlich gesagt, daß die Bedeutung von Sätzen sich nicht in der propositionalen Semantik erschöpft und die Bedeutungsrepräsentation alle an sprachliche Ausdrucksmittel gebundenen systematischen Bedeutungsunterschiede erfassen muß. Dabei haben wir die den Sätzen und ihren Komponenten innewohnende direkte Bedeutung im Auge. Die Bedingungen für die Verwendung sprachlicher Ausdrücke in indirekter Bedeutung liegen nach unserer Meinung jenseits der in der semantischen Komponente der Satzgrammatik zu behandelnden Bedeutungsaspekte. In diesem Zusammenhang erscheint uns die Annahme CHOMSKYS ( 1 9 7 6 : 1 0 4 f . ) berechtigt und notwendig, daß die Bedeutungsrepräsentation von Sätzen durch besondere außerhalb der Satzgrammatik liegende und auf Gegebenheiten des Kontexts im weitesten Sinn Bezug nehmende Regeln zu ergänzen ist. Das heißt, daß die Bedeutung sprachlicher Äußerungen im Rahmen der Satzgrammatik nur teilweise — wenn auch in wesentlichen Aspekten — charakterisierbar ist. Es muß hervorgehoben werden, daß die Bedeutungsrepräsentationen, so wie sie in die Strukturbeschreibung von Sätzen eingehen, selbst der Interpretation bedürfen (vgl. CHOMSKY, LASNIK 1 9 7 7 : 4 2 9 ) , und zwar vor allem im Hinblick auf den Gegenstandsbereich, d. h. auf außersprachliche Gegebenheiten, über die in der sprachlichen Kommunikation Informationen ausgetauscht werden, und im Hinblick auf die Erkenntnistätigkeit und das praktische Handeln der Sprachträger unter konkreten gesellschaftlichen und natürlichen Bedingungen. Die Beiträge, die LANG, BIERWISCH und VIEHWEGER für diesen Band schrieben, zeigen Entwicklungen in dieser Richtung. Ein Gebiet, das wir aus unseren Betrachtungen gänzlich ausgeklammert haben,
Generative Grammatik
355
sind die grammatischen Formative und ihr Anteil an der Bedeutung von Sätzen. Zu letzterem Problem sind die in der TG gemachten Annahmen sehr allgemein und vage. Es zeigt sich hier eine große Kluft in der Wissenschaftsentwicklung, zumal die Erkenntnisse der traditionellen Grammatik und des klassischen Strukturalismus vor allem der Prager Schule auf dem Gebiet der Bedeutung grammatischer Kategorien in der TG viel zu wenig in Betracht gezogen wurden. Hier besteht großer Nachholebedarf. Nach unserer Meinung ist die T G noch nicht zu den Verallgemeinerungen vorgestoßen, die das Wesen der Bedeutung grammatischer Formative ausmachen. Ein ähnlich gelagertes Defizit der T G ist bezüglich der semantischen Strukturierung des Lexikons zu verzeichnen. Vor allem ist die Frage der Einordnung der lexikalischen Einheiten in Bedeutungshierarchien nach der Arbeit von K A T Z und FODOR (1963) nicht wesentlich vorangebracht worden. Infolgedessen steht auch hier ein zentraler und für interdisziplinäre Belange relevanter Bereich der linguistischen Semantik, die Gruppierung des Wortschatzes in semantische Felder, auf der Liste der dringend einer Lösung harrenden Probleme der Bedeutungsforschung. Auch hier bietet sich die Anknüpfung an das Erbe vor allem der strukturellen Sprachwissenschaft an. Alle Anstrengungen, die Grammatikmodellvorstellungen zu verfeinern, müssen daran gemessen werden, welchen Beitrag sie zur Beförderung der hier genannten sehr zentralen offenen Fragen der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke und vieler Detailprobleme der Laut-Bedeutungs-Zuordnung leisten. Der Anspruch, mit dem viele Vertreter der TG auftreten, und der erhebliche Aufwand zur Einschränkung des sehr ausdrucksstarken Beschreibungsapparats können nicht darüber hinwegtäuschen, daß viele Fakten der zu erforschenden natürlichen Sprachen einschließlich ihrer Einbettung in Zusammenhänge des gesellschaftlichen Handelns der Sprachträger ihrer gründlichen Sichtung und theoretischen Durchdringung harren.
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Anna Ufimceva, Moskau
Wortschatzbeschreibung mittels Systemmethode in der sowjetischen Sprachwissenschaft
1. Einführung Die Semasiologie als Wissenschaft von der lexikalischen Bedeutung bildete sich in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts als selbständige linguistische Teildisziplin heraus. In einem Zeitraum von mehr als einem halben Jahrhundert existierte die Semasiologie als eine weit gefächerte philologische Disziplin, die einerseits zahlreiche Berührungspunkte mit der Poetik und Rhetorik besaß, andererseits — zumindest partiell — in einem engen Zusammenhang mit der Etymologie und Stilistik stand. In der Periode des Entstehens wie auch in den Jahren danach bestand die grundlegende und leider auch einzige Aufgabe dieser Wissenschaftsdisziplin in der Aufdeckung assoziativer Wortverbindungen. Alle bemerkenswerten semantischen Theorien am Ende des 19. Jahrhunderts wie auch in den ersten Jahren unseres Jahrhunderts 1 beschränkten sich darauf, Typen von Wortbedeutungsveränderungen festzustellen, die sich unter dem Einfluß extralinguistischer, d. h. logischer, psychologischer und sozialer Faktoren vollzogen. Die Semasiologie dieser Zeit konnte mit ihrem atomistischen Herangehen an die lexikalischen Fakten sowie mit ihrem unzureichenden bzw. fehlenden methodologischen Instrumentarium den neuen Anforderungen nicht gerecht werden, die auf Grund der Erkenntnisse, die die Sprachwissenschaft in der Zwischenzeit gewonnen hatte, an eine solche Disziplin gestellt wurden. In den 30er Jahren unseres Jahrhunderts geriet daher die Semasiologie, der es immer noch nicht gelungen war, ihren Untersuchungsgegenstand zu bestimmen und die dafür erforderlichen Beschreibungsmethoden zu entwickeln, in eine theoretische Sackgasse. Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zeichnet sich durch eine intensive lexikographische Beschreibung und Inventarisierung des Wortschatzes unterschiedlicher Sprachen 2 wie auch durch zahlreiche Arbeiten aus, die die Erkennt1
Vgl. dazu die Arbeiten von BREAL (1921), DARMSTETER (1887), PAUL (1920), WUNDT (1900), STERN ( 1 9 3 1 ) , WEILANDER ( 1 9 2 8 ) , POTEBNJA ( 1 8 8 8 ; 1 8 8 9 ) s o w i e POKROVSKU ( 1 8 9 5 ) .
2
Siehe dazu die unterschiedlichen Zielstellungen und Ergebnisse der Lexika (HOOPS 1919), T h e s a u r i ( R O G E T 1 9 5 3 , WEHRLE-EGGERS 1 9 6 1 ) , S a c h w o r t s c h ä t z e (DORNSEIFF 1 9 3 4 ) s o w i e d e r i d e o l o g i s c h e n (CASARES 1 9 5 1 ) u n d S y n o n y m e n w ö r t e r b ü c h e r (BUCK 1 9 4 8 ) .
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nisse der praktischen Lexikographie und die Aufbauprinzipien von Wörterbüchern, insbesondere die der ideologischen Wörterbücher, zu verlallgemeinern versuchten. 3 Mit der Beschreibung der Lexik nach semantischen Feldern bildete sich in den 20er und 30er Jahren eine neue Richtung innerhalb der Sprachwissenschaft heraus. Die Entstehung des Begriffs „semantisches Feld" war vor allem damit verbunden, daß in Deutschland zu dieser Zeit HUMBOLDTS Lehre von der „inneren Sprachform" wieder auflebte (vgl. PORZIG 1923; WEISGERBER 1926; IPSEN 1932), sie war ferner mit der umfangreichen Diskussion um den „Sprachinhalt" als Grundlage der linguistischen Beschreibung verbunden (vgl. WEISGERBER 1927; 1928; 1929; 1952; 1953). Unter den Begriff des semantischen Feldes wurden ganz unterschiedliche Phänomene subsumiert in Abhängigkeit davon, worin von den einzelnen Sprachwissenschaftlern die vollständige Offenbarung der „inneren Form" gesehen wurde. So verstand TRIER (1931; 1934) unter einem semantischen Feld einen „Sinnbezirk", WEISGERBER (1927) einen „Ausschnitt aus dem Gebiet des Sprachinhalts", PORZIG (1934) „wesenhafte Bedeutungsbeziehungen", IPSEN (1932) „Bedeutungsfelder", d. h. Gruppen etymologisch verbundener und semantisch vereinigter Wörter, und JOLLES (1934) schließlich subsumierte unter den Begriff des semantischen Feldes „Typen von Bedeutungsgefügen" wie Antonymenpaare und Synonymenreihen. Die Methodologie der neuen Richtung, die in ihrer Sprachauffassung in der Theorietradition HUMBOLDTS stand, in ihren Untersuchungsmethoden jedoch zumindest teilweise bereits auf strukturelle Beschreibungsverfahren zurückgriff (WEISGERBER; TRIER), beruhte einzig und allein auf dem Begriff der „inneren Sprachform". Das theoretische Fundament der neohumboldtianischen Richtung bildete das Gesetz der Gliederbarkeit der Sprache, das ihre „innere Form" bestimmt. Der Begriff der Struktur der menschlichen Sprache, die Eigenschaft ihrer „Zergliederung in Elemente", wie sie erstmals in der Geschichte der Sprachwissenschaft von HUMBOLDT formuliert wurden, werden darauf zurückgeführt, daß die Sprache ihrem Wesen nach, auf Grund ihrer inneren Organisation, in ihrem vollen Umfang empfunden und wahrgenommen wird, wobei jedes Teilchen, das herausgelöst wird, einem anderen und dem Ganzen entspricht. Jedes Element wird durch die Summe sprachlicher Erscheinungen sowie durch die in einer Sprache vorherrschenden Gesetzmäßigkeiten bestimmt. HUMBOLDT war somit in der Geschichte der Sprachwissenschaft der erste, der die Aufmerksamkeit auf die inhaltliche und formale Seite der Sprache als ein einheitliches, strukturell organisiertes Ganzes lenkte.4 HUMBOLDT selbst gab jedoch 3
4
Die Aufbauprinzipien für ideologische Wörterbücher sind am explizitesten in CASARES (1950), HALLIG und WARTBURG (1952), MEZGER (1956), STOJKOV und MLADENOV (1969) und KARAULOV (1976a; 1976 b) dargestellt. SAUSSURE hat einige Jahrzehnte danach erneut das Gesetz der Gliederung der Sprache als Struktur artikulierter Elerrjente auf einer neuen Grundlage bestimmt. Sprache wurde als ein
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dem Begriff der „inneren Sprachform" eine eigenartige Interpretation, indem er sie mit einem Mechanismus verglich, der die „nationeile Eigentümlichkeit eines Volkes hervorleuchten läßt", ein Mechanismus, durch den die „innere Form" als etwas interpretiert wird, das die Eigenart des „nationalen Geistes" selbst ausdrückt. Durch die Hypertrophierung der inhaltlichen Seite der Sprache sowie durch deren Identifikation mit dem Erkenntnis- und Denkprozeß des Menschen hat H U M B O L D T der inneren Organisation der Sprache den Charakter des Phänomenalismus, häufig sogar den des Mystizismus hinzugefügt. Die „innere Sprachform" wird zu einer eigenartigen geistigen Kraft, deren Wesen völlig im Dunkeln bleibt. Die Sprache selbst verwandelt sich aus einem Werk (Ergon), aus einer Schöpfung des in ihr sprechenden Volkes in eine Tätigkeit des Geistes (Energeia), in eine Gabe, die ihm das Schicksal bereitgestellt hat. Vielleicht ist aus diesem Grunde H U M B O L D T , der vor mehr als hundert Jahren die Idee von der strukturellen Ganzheit der menschlichen Sprache antizipierte und damit bis heute zahlreiche wissenschaftliche Richtungen 5 beeinflußte, völlig unverdient im Schatten der Geschichte der theoretischen Sprachwissenschaft geblieben. H U M B O L D T S moderne Nachfolger und Anhänger sind die Neohumboldtianer mit WEISGERBER an der Spitze. Doch wie es häufig der Fall ist, entwickeln die Nachfolger nicht die stärksten und die tatsächlich innovativen Ideen ihrer Vorgänger weiter. Dies gilt auch für die Neohumboldtianer, die nur die Vorstellung von der äußeren Seite der sprachlichen Gliederung herausgriffen und verabsolutierten, die somit nur den Zusammenhang zwischen der Sprache als „Zwischenwelt" und der äußeren, uns umgebenden Welt herauslösten, wodurch die Sprache ausschließlich als Form zur Verbalisierung der Wirklichkeit angesehen und die strukturellen Unterschiede nur als Evidenzen für die nationale Eigentümlichkeit der Sprache und ihrer Träger interpretiert wurden (vgl. WEISGERBER 1950; 1952; 1954). Da die Sprache von den Neohumboldtianern als „eine unaufhörlich wirkende Kraft des Geistes" ( G U C H M A N 1961: 132) verstanden wurde, als ein Mittel zur Verkörperung der Eigentümlichkeit des nationalen Denkens, blieben alle Fragen, die mit der Sprache als einem strukturell abgeschlossenen Gebilde zusammenhängen, besonders aber die Fragen nach der Strukturierung der sprachlichen Einheiten im allgemeinen und der lexikalischen im besonderen ebenso unberücksichtigt wie die Spezifik der sprachlichen Zeichen und die Bedingungen der Zeichengeschlossenes immanentes Zeichensystem verstanden, dessen Zeichen ihren Wert (valeur) nur durch die Gegenüberstellung mit anderen Zeichen innerhalb des jeweiligen Systems erhalten. 5
Siehe d a z u ausführlicher GUCHMAN ( 1 9 5 4 ; 1961).
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konstitution, die Typen der Wortzeichen und die Probleme des Virtuellen und Aktuellen in der Sprache. Bereits HUMBOLDT sah das Ergebnis der sprachlichen Gliederung sowohl in der Determiniertheit und Abgeschlossenheit der in einer Sprache entstandenen Gliederung der Laute, die sich von der Gliederung der Silben in kleinste Elemente, d. h. Laute bis hin zur Bildung einfacher Wörter erstreckt, als auch in der Fähigkeit der Lautseite des Wortes, einen bestimmten Inhalt in der Sprache anzunehmen, in der Fähigkeit also, eine bilaterale sprachliche Einheit, das Wort zu bilden, das einen bestimmten abgeschlossenen Begriff ausdrückt. 6 HUMBOLDT wies daraufhin, daß die Wortform faktisch jene Grenze darstellt, bis zu der sich die der Sprache innewohnende Kraft erstreckt. Aus diesem Grunde nahm er an, daß das Wort das grundlegende Element darstellt, in dem sich die „Tätigkeit der Sprache" erschöpft. Von dieser theoretischen Position ging TRIER aus, der die Untersuchung des Sprachinhalts als Aufdeckung der Art und Weise verstand, nach der eine bestimmte Sprache in einer bestimmten Entwicklungsetappe „von oben nach unten" gegliedert wird, einschließlich des Wortes. Dem Wort als der grundlegenden Einheit der Sprache räumte HUMBOLDT in der Sprachstruktur einen bedeutenden Platz ein, er sah die wesentliche Eigenschaft des Wortes darin, einen Begriff in verallgemeinerter Form darzustellen. Mit Recht hob HUMBOLDT hervor, daß am Wortschatz einer Sprache das 'Begriffsarsenal eines Volkes nicht gemessen werden kann, weil ein großer Teil der Begriffe durch die semantische „Gliederung" der Wörter in Einheiten des sogenannten metaphorischen oder beschreibenden Ausdrucks entsteht. HUMBOLDT unterschied daher zwischen dem Wort als Element des Sprachsystems und dem Wort in seinem Gebrauch in der Kommunikation. Die fruchtbaren Ideen über die strukturelle Organisation der Sprache, über die formale und inhaltliche Gliederung ihrer Einheiten, über die Rolle und die Stellung des Wortes als bilaterale (abgeschlossene) Einheit im Sprachsystem haben in den Arbeiten der Nachfolger HUMBOLDTS bedauerlicherweise keine wissenschaftliche Reflexion erfahren. Genau das Gegenteil trat ein: 1927 veröffentlichte WEISGERBER seinen programmatischen Aufsatz „Die Bedeutungslehre — ein Irrweg der Sprachwissenschaft?", in dem nicht nur die orthodoxe Bedeutungslehre einer scharfen Kritik unterzogen, sondern auch die Existenz der semasiologischen Kategorien ,Wort' und ,Wortbedeutung' grundsätzlich in Frage gestellt wurde. Die grundlegende semasiologische Kategorie „Bedeutung" wurde als ein Irrtum des Lexikographen charakterisiert und ihre Beschreibung als ein Irrweg der Sprachwissenschaft bezeichnet. Die bisherigen Unzulänglichkeiten der Semasiologie können nach WEISGERBER überwunden werden, wenn sich die Sprachwissenschaft von der traditionellen Sprachauffassung lossagt und stattdessen Sprache als „intellektuelle Gestaltung der Welt" betrachtet. Erst dann, wenn Begriffe wie 6
Vgl. den Begriff ,erste und zweite Gliederung der Sprache' in MARTINET (1949: 30—37).
Wortschatzbeschreibung mittels Systemmethode
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,Wort' und .Bedeutung', die einer wissenschaftlichen Sprachbetrachtung im Wege stehen, aufgegeben werden, zeichnet sich der Weg für eine wissenschaftliche Untersuchung des Begriffsinhalts der Sprache ab. In der deutschen sprachwissenschaftlichen Tradition der 30er und 40er Jahre trat daher an die Stelle des Begriffs ,Wortschatz' der ,Begriffsschatz', an die Stelle der Bedeutungslehre rückte die Begriffslehre, Wortforschung schließlich wurde durch Sprachinhaltsforschung verdrängt, deren grundlegende Beschreibungseinheit das Begriffsfeld wurde, ein Begriff, der auf Grund seiner Unschärfe und Vieldeutigkeit in einer Vielzahl von Arbeiten einer scharfen Kritik unterzogen wurde (vgl. U F I M C E V A 1962C; B E R E Z A N 1 9 6 7 ; SPENCE 1 9 6 8 ; SÖUR 1 9 7 4 u .
a.).
Theorie der Begriffsfelder, die in zahlreichen Arbeiten dargelegt und ausführlich begründet (vgl. T R I E R 1932 und 1934) sowie zum Fundament konkreter Untersuchungen gemacht wurde, stellt das erste Ergebnis der neuen Begriffslehre dar. Mit der Darstellung des Begriffsinhalts der Sprache als geordnete Struktur, die sich streng in „Begriffsfelder und Begriffssphären" gliedert, hat T R I E R mit der Beschreibung des Begriffsinhalts der Wörter durch den Begriff der „Geltung" erstmals neue Wege beschritten. 7 In den 30er und 40er Jahren, als das theoretische Denken in der westeuropäischen Semasiologie stagnierte, schien dieses neue Herangehen an die Beschreibung der Inhaltsseite der Sprache der Beschreibung der Lexik als System neue Forschungsperspektiven zu öffnen. Als Antithese zur traditionellen Wissenschaft der Wortbedeutung erschien die Idee von der Untersuchung semantischer Systeme in der Sprache kühn, verlockend und neu. In der Tat war alles neu in T R I E R S Theorie: zum Untersuchungsgegenstand wurde das Begriffssystem bzw. der Begriffsbestand der Sprache, als Untersuchungsmethode des Begriffssystems wurde die differenzierte Bestimmung der Geltung der Sprachzeichen gewählt, als grundlegende Analysekategorie schließlich diente das Begriffsfeld bzw. der Sinnbezirk. Die von T R I E R verfolgten Ziele reduzierten sich auf die Aufdeckung der Besonderheiten und Formen des sprachlichen Denkens der Träger einer bestimmten Sprache. 8 Methodologisch betrachtet ging T R I E R bei der Begriffsbestimmung der „inneren Sprachform", d. h. des „semantischen Felds" von der idealistischen VorausTRIERS
7
ULLMANN (1959: 159) überschätzt die Theorie des semantischen Feldes, wenn er ihr Entstehen mit der Phonologie der Prager Schule vergleicht. Dieser Vergleich ist vielleicht dann noch akzeptabel, wenn man die einen nach den Ergebnissen, die anderen (so TRIER) nach ihren Aufgaben vergleicht.
8
TRIER (1931: 10—11) stellte sich die Aufgabe, „mit dieser Forschungsweise enger als bisher an das Bewußtsein heranzukommen, . . .
in das sprachliche Bewußtsein einzudringen, seine
sprachlich-begrifflichen Fähigkeiten, seine Neigungen, den Schwerpunkt seiner Interessen erkennen."
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setzung aus, daß das Verstehen der Wirklichkeit bzw. eines Begriffsbereichs durch den Menschen sowohl in bezug auf den Umfang als auch in bezug auf die Art der Gliederung durch das menschliche Bewußtsein selbst determiniert wird, d. h. transzendental ist; andererseits werden Wirklichkeit oder Begriffsbereich am Sein orientiert und sind daher nicht erkennbar, transzendent, unabhängig davon, ob dieser Begriffsbereich die materielle oder ideelle Welt repräsentiert. Eine kritische Analyse dieser Position TRIERS findet sich in M Ü L L E R ( 1 9 5 7 ) . ZVEGINCEV (1957: 268), der die fundamentale gnoseologische Ausgangsposition der Theorie TRIERS analysiert, kommt zu folgender Einschätzung: „. . . die in jeder Sprache vorhandene spezifische Begriffsbildung läßt vor dem geistigen Auge des Menschen eine Art Vorhang herunter, durch den der Mensch nicht zur Wirklichkeit hindurchsehen kann". Die Sprache ist eine „Zwischenwelt", die zwischen dem Menschen und der Realität steht. Aus dieser methodologischen Grundvoraussetzung leiten sich alle übrigen Postulate ab, die TRIER an seine Theorie stellt: (1) Die Sprachimmanenz, die durch das Gesetz der Selbstgliederung der Sprache in „semantische Felder" bestimmt wird, die völlige Abstraktion des Sprachinhalts sowohl von den Gegenständen und Erscheinungen der materiellen Welt wie auch von der Wirklichkeit einer Sprache und der Geschichte ihrer Träger. (2) Die Sprache wird ausschließlich als Verbalisierungsmittel betrachtet, als eine Grundlage, die die menschliche Erkenntnis und das Bewußtsein determiniert. Die kommunikative Funktion der Sprache wird überhaupt nicht in Betracht gezogen. (3) Sprache wird nur insofern als Gegenstand linguistischer Untersuchungen anerkannt, wie sie das Denken ihrer Träger entwickelt, wie sie deren geistige und intellektuelle Besonderheiten bestimmt, wie sie schließlich die originären Züge des nationalen Geistes eines Volkes offenbart. Diese zutiefst antihistorischen Grundlagen der Theorie TRIERS waren mehrfach Gegenstand heftiger Kritik in einer Reihe von Arbeiten sowjetischer Sprachwissenschaftler (BUDAGOV 1 9 4 9 ; VINOGRADOV 1 9 5 3 a und 1 9 5 6 ; ZVEGINCEV 1 9 5 7 ; GUCHMAN 1 9 6 1 ; LEVKOVSKAJA 1 9 6 1 , UFIMCEVA 1 9 6 1 ) . Es hätte sicherlich wenig Sinn, ausführlicher auf die Inkonsequenzen und Widersprüche der Wortschatzbeschreibung nach semantischen Feldern' einzugehen, die die Theorie TRIERS bei ihrer ersten Anwendung auf sprachliche Fakten untergruben und sprengten und die spekulativen Schemata einer kongruenten Entsprechung zwischen Begriffsfeldern und d.eren sprachlichem Ausdruck, den Wortfeldern, in Frage stellten, würden diese nicht die Lösung eines der wichtigsten Probleme der modernen Linguistik berühren, das Problem, auf welche Weise und auf welcher Grundlage sich die „Vereinigung" der beiden Seiten der Sprache vollzieht, die Vereinigung von Laut und Bedeutung. In der Beantwortung dieser Kardinalfrage — in der heutigen Terminologie als Wesen der Zeichenrepräsentation bezeichnet — stimmten HUMBOLDT und SAUSSURE überein. Die „Notwendigkeit" zur Gliederung der Sprache als gesellschaftliches Bewußtsein, die nach SAUSSURE der Beliebigkeit des
W o r t s c h a t z b e s c h r e i b u n g mittels S y s t e m m e t h o d e
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sprachlichen Zeichens innerhalb eines abgeschlossenen Systems entspringt, erinnert an die sich immanent entwickelnde innere Sprachform, die nach H U M B O L D T selbst die Notwendigkeit enthält, sich mit dem Laut zu verbinden, um durch die Determinierung der Gliederung der materiellen Welt diese als Ergebnis ihrer Gliederung, als Weltbild der Sprache darzustellen. Jede Sprache ist nach T R I E R (1934: 429) ein Auswahlsystem, das sich über der objektiven Realität befindet und ihr gegenübergestellt ist. Insbesondere die unbewiesene Behauptung über das universelle und absolute Wirken des Gesetzes der lexikalischen Gliederung der Sprache, das in TRIERS Auffassung nicht nur die Auswahl des Gegenstandes und der Methode, sondern auch das Forschungsergebnis selbst entscheidend bestimmte, führt in einen circulus vitiosus und macht TRIERS Doktrin theoretisch anfechtbar und praktisch nicht anwendbar. Sie hat eine scharfe Kritik bei D O R N S E I F F (1938); SCHEIDWEILER (1941a, 1941b und 1942); Ö H M A N N (1951) und (1953); B E T Z (1954); K O N R A D T H I C K I N G (1956); M Ü L L E R (1957); U L L M A N N (1959) und R E U N I N G (1.973) hervorgerufen. Formuliert man die linguistische Kardinalfrage in den Termen des heute sehr weit verbreiteten semiologischen Prinzips, dann ist das „Gesetz der lexikalischen Gliederung" der Sprache nichts anderes als der Prozeß der primären Zeichenkonstitution, der in erster Linie durch Wortzeichen realisiert wird, denn das Wort erfüllt die Rolle des grundlegenden Mittels der Zeichenrepräsentation, indem es die Vielfalt der gegenständlichen und geistigen Welt des Menschen charakterisiert und den Vorstellungen der Träger einer bestimmten Sprache in einer bestimmten historischen Periode Benennungen gibt. BENVENISTE (1969: 133) bezeichnete das Verfahren der primären Benennung sprachlicher Elemente als das eigentliche semiologische Verfahren, als Etappe der Zeichenkonstituierung im eigentlichen Sinne des Wortes. Der Bereich der sekundären Benennung der Wörter, von BENVENISTE als semantisches Prinzip bezeichnet, ist der Bereich der metaphorischen, abgeleiteten und propositiven Benennungen, der in der Wortfeldtheorie völlig unberücksichtigt geblieben ist. Dadurch wurden auch die zwei Hauptbereiche der sprachlichen Tätigkeit nicht unterschieden — der Bereich der Nomination als System nominativer Mittel sowie der Bereich der Prädikation als aktuelle Rede. Das erklärt sich vor allem daraus, daß in der Formulierung der „inneren Form", wie sie H U M B O L D T vorgeschlagen hat, selbst ein Widerspruch enthalten ist. Die „innere Form" offenbart sich in jeder Sprache im Gesetz der Gliederung ihres Wortschatzes sowie der Sprachstruktur insgesamt. Sie ist nicht einfach ein Akt, der noch nicht geformte und verschwommene Gedanken und psychische Zustände eines Individuums gliedert, sie ist eine ideelle Form, die dazu bestimmt ist, Gedankeninhalte adäquat wiederzugeben. An einem semantischen Feld, an der Anzahl sowie an der Position der Wörter sind alle Wörter beteiligt, die durch die Gesamtstruktur der Sprache einer bestimmten menschlichen Gemeinschaft 24 Viehweger, Semantikforschung
A. U f i m c e v a
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determiniert werden, andererseits stellt das semantische Feld den Wortschatz eines Individuums dar, der in Abhängigkeit von dessen sozialer Position und dessen kulturellem Niveau variiert. Auf Grund dessen wurde in der Theorie wie auch in den konkreten Arbeiten TRIERS nicht zwischen dem überindividuellen System der Mittel und der Sprache als individueller Kenntnis des Sprachgebrauchs ihrer Träger unterschieden. Eine umfassende Kritik dieser Position findet sich in BETZ ( 1 9 5 4 : 1 9 0 — 1 9 1 ) . In einer Bilanz der Vorzüge und Mängel der Wortfeldtheorie muß hervorgehoben werden, daß diese Theorie den ersten Versuch einer strukturellen Analyse der Inhaltsstruktur der Sprache darstellt. Das abstrakt und a priori konstruierte und vereinfachte Schema der Relationen zwischen dem Inhalt und den Begriffsfeldern sowie dem Ausdruck und den Wortzeichenfeldern geriet jedoch bei seiner ersten Anwendung in einen unlösbaren Widerspruch mit den lexikalischen Fakten der Sprache. T R I E R , der in seiner Sprachauffassung sowie in seinem Untersuchungsgegenstand WEISGERBER folgt, hat nicht nur keine strukturelle Methode für die Analyse der Inhaltsseite sprachlicher Einheiten entwickelt, er hat zugleich gezeigt, daß es unmöglich ist, eine solche Methode zu entwickeln, wenn als Grundlage nur die Begriffsfelder als extralinguistische Daten genommen werden. Die kurze Darstellung hat gezeigt, daß die Begriffsfeldanalyse in keiner Beziehung zu den Aufgaben einer Systembeschreibung der Lexik steht. Es ist unmöglich, die Systemhaftigkeit der Lexik, die Spezifik der lexikalischen Semantik zu untersuchen, wenn aus der Analyse die fundamentalen semiologischen Begriffe und Kategorien ausgeschlossen werden: das Wort als selbständige Einheit des Sprachsystems, die individuelle lexikalische Bedeutung, die ein Wortzeichen besitzt, der Charakter der Zeichenbedeutung, der Typ der Inhaltsstruktur des Wortes, der von Sprache zu Sprache sowie von Periode zu Periode in Abhängigkeit von den Bedingungen und der Besonderheit der semantischen Entwicklung der Lexeme bei ihrer Aktualisierung in der Rede variiert. Der erste Versuch einer strukturellen Beschreibung der Lexik endete somit in der Geschichte der Semasiologie mit der Abschaffung ihrer fundamentalen Begriffe und Kategorien. Was die Methode einer differenzierten Bestimmung der Bedeutung sprachlicher Einheiten auf der Ebene von Wortgruppen und ganzer Wortsysteme angeht, erwies sie sich nicht nur als nicht anwendbar, sie wurde faktisch von TRIER selbst nicht angewandt. Der einzige Beweis für deren Anwendung findet sich in dem formalen Gebrauch des Terminus ,Geltung', der dem traditionellen Bedeutungsbegriff gleichgestellt wird. Die Anwendung der Methode der differenzierten Bestimmung der Wortbedeutung nach der Begriffsfeldtheorie führte über die traditionelle empirische Betrachtungsweise nicht hinaus; TRIER hat nach Ansicht SCHEIDWEILERS (1941a: 93 und 1941b: 200—202) auf der Basis unzureichenden Materials zwar weitreichende, jedoch voreilige Schlüsse gezogen. In Opposition zu
TRIER
und
WEISGERBER
und zu den Anhängern der Begriffs-
Wortschatzbeschreibung mittels Systemmethode
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forschung entstand in den 30er und 40er Jahren in Deutschland eine Forschungsrichtung, die die systembedingten Eigenschaften lexikalischer Einheiten durch den Begriff des „semantischen Feldes" deutlich zu machen versuchte. Unabhängig davon, ob der Begriff des „semantischen Feldes" theoretischen Charakter trägt oder die praktische Beschreibung der Lexik einer oder mehrerer Sprachen darstellt, wird von allen Vertretern dieser Richtung die einhellige Auffassung vertreten, daß als Beschreibungsgegenstand nur real vorkommende sprachliche Einheiten, d. h. Wörter, Wortverbindungen und Wortgruppen als Elemente eines konkreten Sprachsystems dienen können. Die Vielzahl von Arbeiten über Wortgruppen und Wortreihen, die im Ergebnis des wissenschaftlichen Meinungsstreits über den Charakter des „semantischen Feldes" als Antithese zum „Begriffsfeld" TRIERS entstand, umfaßt konfrontative Untersuchungen etymologischer Wortgruppen (IPSEN 1 9 2 3 ; 1 9 2 4 ; 1 9 3 0 ; 1932), Untersuchungen zu lexikalisch-semantischen Wortverbindungen, die elementare Sinnfelder bilden (PORZIG 1 9 2 3 ; 1 9 2 8 ; 1932), die Analyse paradigmatischer Wortgruppierungeri, die bestimmte Sinnverbindungen konstituieren — Synonymie, Antonymie usw. (JOLLES 1934) sowie die Beschreibung konkreter lexikalischsemantischer Wortgruppen (REUNING 1941 u. a.).9 Mit der Rückkehr zur Semasiologie kann man feststellen, daß in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Neue mehr in der Interpretation bereits bekannter Fakten bestand als im Suchen neuer Fakten im Ergebnis der allseitigen Untersuchung der Spezifik und der strukturellen Organisation der Lexik in ihrem engen Zusammenhang mit den anderen Aspekten der Sprache. Der Lexik war kein Glück beschieden, denn in denjenigen Richtungen, die die Sprache als ein strukturell organisiertes Ganzes betrachteten, wurde sie aus der systemhaften Betrachtung als eine „nicht strukturelle Ebene" ausgeschlossen, dort jedoch, wo der Wortschatz einer Sprache den genuinen Untersuchungsgegenstand darstellte wie z. B. in historischen Untersuchungen und in der praktischen Lexikographie, wurde er unsystematisch behandelt und nicht in seinem systematischen Zusammenhang mit den übrigen Aspekten der Sprache gesehen, wodurch dessen Organisation als System nicht aufgedeckt werden konnte. Mit der Entwicklung struktureller und formaler Beschreibungsmethoden der Sprache wurde die gesamte lexikologische und semasiologische Problematik, wurde das Wort als bilaterale asymmetrische Einheit des Sprachsystems zugunsten einer „größeren Objektivität" sowie einer „größeren Methodenstrenge" bewußt aus dem Forschungsprogramm zahlreicher Richtungen ausgeschlossen. Dies gilt besonders für die amerikanische deskriptive Linguistik. Nicht ohne Grund sah WEINREICH (1963a: 60—61) eine Ursache für das Zurückbleiben der amerikanischen Lexikologie in der „paralysis of semantic interest which caused most scholars 9
Siehe dazu ausführlicher UFIMCEVA (1962b), §CUR (1974).
24«
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during the Bloomfeldian period of linguistics in the United States". Viele amerikanische Linguisten verzichteten auf die Untersuchung der inhaltlichen Seite der Sprache zugunsten anderer, nach WEINREICH weniger fruchtbringenderer Erkenntnisse, und ihre mechanistisch-behavioristische Sprachauffassung trieb sie lange Zeit in eine relativ enge antimentalistische Richtung. Nach KACNEL'SON ( 1 9 6 4 : 34) wurde die Untersuchung der lexikalischen Semantik auch von der Glossematik ignoriert und ebenso, das wurde bereits deutlich gemacht, von den Neohumboldtianern. Die Vorstellung vom Isomorphismus unterschiedlicher Sprachebenen, die ihre Widerspiegelung in der Forschungspraxis zahlreicher linguistischer Schulen fand, führte zu einer unzulänglichen Abgrenzung verschiedener Arten des Sprachinhalts. Der breiteste und daher auch inhaltsreichste Terminus „Semantik" wird heute in der Sprachwissenschaft10 sowohl in bezug auf die kategorialen, d. h. die verallgemeinertsten und formal ausgedrückten Bedeutungen der Elemente und Modelle des Sprachsystems gebraucht wie auch in bezug auf die äußere Welt der Gegenstände und Erscheinungen (vgl. „semantischer Raum", „semantisches Kontinuum") und auf die Verhaltensreaktionen des Hörers in einer Kommunikationssituation. Nicht immer wird dabei zwischen lexikalischer und grammatischer Semantik unterschieden, und es wird mit der Eliminierung des Wortes zugleich auch die fundamentale lexikalische Gegenüberstellung ausgeschlossen, die Gegenüberstellung von lexikalischer Bedeutung eines Wort-Lexems als virtuelles Zeichen im Sprachsystem und von Bedeutung eines relativ oder absolut gegliederten, realisierten Wortes in der Kommunikation. Die semantische Struktur der Sprache, ihr inhaltlicher Aspekt erfuhr auch deshalb keine adäquate Explikation, weil — von einigen Ausnahmen abgesehen (vgl. WEINREICH 1 9 6 3 b; CHAFE 1976) — die Spezifik und Funktionen der verschiedenen Typen von Sprachzeichen im allgemeinen und der Wortzeichen im besonderen nicht untersucht wurden, weil nicht zwischen dem „Bezeichnenden" und dem „Bezeichneten" in der Sprache als System und in der Kommunikation als Form und Realisierungsgrad dieses Systems unterschieden wurde. Durch das gestiegene Interesse an der inhaltlichen Seite der Sprache wurde diese in den letzten Jahren zum Untersuchungsgegenstand zahlreicher Wissenschaften, die sich auf Grund des gemeinsamen Untersuchungsobjekts nicht immer scharf voneinander abgrenzen lassen. Einen zwischen Linguistik und Philosophie äußerst schwer ausgrenzbaren Bereich stellt die logische Analyse der Sprache, die logische Syntax und Semantik dar. Die von der logischen Analyse natürlicher Sprachen formulierten Begriffe, die in der Linguistik mit unterschiedlichen Erkenntniszielen angewandt wurden, haben den linguistischen Objektbereich wesentlich erweitert und die Entstehung 10
Vgl. die philosophischen Termini „logische Semantik" und „allgemeine Semantik".
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zahlreicher neuer Richtungen initiiert. In der weiteren Entwicklung erwies sich diese Position jedoch als ein Hindernis für eine adäquate, unvoreingenommene Untersuchung der Bedeutungsstruktur der Sprache: es wurde nicht klar zwischen dem logischen und sprachlichen Inhalt unterschieden, zwischen lexikalischer und grammatischer Bedeutung erfolgte keine klare Differenzierung, die Kategorien der Sprache wurden unter die der Logik subsumiert, das Interesse an den universellen, logischen Grundlagen der Sprache wurde hypertrophiert, im Zusammenhang damit wurde der Bedeutungsstruktur konkreter Sprachen so gut wie keine Beachtung geschenkt, Lexik und lexikalische Semantik als Repräsentanten der Inhaltsseite der Sprache wurden aus der Inhaltsebene der Sprache ausgeschlossen u. a. m. Einen zweiten Kenntnisbereich, innerhalb dessen eine klare Angrenzung der Grundbegriffe und der fundamentalen Analysekategorien nur sehr schwer möglich ist, stellt die Semiotik dar. Obzwar die Semiotik sich als eine interdisziplinäre Wissenschaft versteht, die beliebige Zeichen in allen Formen und Erscheinungen untersucht (MORRIS 1964: 1), stellen die Wörter als bilaterale Sprachzeichen ihren einzigen grundlegenden Anwendungsbereich dar. Der Terminus „semiotisch" — wird er auf bilaterale sprachliche Wortzeichen und Wortverbindungen bezogen — bezeichnet sowohl deren kommunikativen Zweck, d. h. die Fähigkeit, Informationen zu tragen, als auch die Erkenntnisfunktion, den semiologischen Wert der Zeichen, d. h. den verallgemeinerten Charakter der Zeichenrepräsentation. Im ersten Fall steht die Semiotik mit der Kybernetik in Beziehung, im zweiten Fall wird sie in einen Zusammenhang mit der Erkenntnistheorie gebracht. Der pragmatische Aspekt sprachlicher Zeichen verbindet die Linguistik mit der Psychologie und Soziologie. Mit der Gewinnung wissenschaftlicher Kenntnisse über die Sprache bildeten sich auch neue methodische Herangehensweisen an ihre Einheiten heraus, innerhalb derer auch neue Beschreibungsverfahren für die Untersuchung des Wortes entstanden. Im Zusammenhang damit veränderten sich auch Umfang und Inhalt der Begriffe „Semantik" und „Inhaltsseite der Sprache". Die Anwendung der Systemmethode auf die Sprache verlagerte den Interessenschwerpunkt auf die Explikation der Spezifik der verschiedenen Teilsysteme der Sprache sowie auf das Wirken ihrer Einheiten, auf die Etablierung der internen Zusammenhänge zwischen den lexikalischen Einheiten als selbständige Strukturebene des Sprachsystems. 2. Wesensbestimmung
der Sprache und Systembeschreibung
der Lexik
Die Anwendung der Systemmethode auf die Beschreibung der Lexik, die für die sowjetische Sprachwissenschaft charakteristisch ist 11 , stellt einen neuen Unter11
Siehe Allgemeine Sprachwissenschaft (1973; 1975 und 1976), SOLNCEV (1971), UFIMCEVA (1962b; 1976), MEL'NIKOV (1977).
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suchungsaspekt dieses komplexen Gegenstandes dar, der weder auf die eigentliche substantielle Analyse noch auf die Strukturanalyse reduziert werden kann. Die ihrem Wesen nach integrale Systemmethode ist darauf gerichtet, das Objekt in seiner Gesamtheit zu beschreiben, als ein bestimmtes System (vgl. Allgemeine Sprachwissenschaft 1975: 17). „Jedes funktionierende und sich entwickelnde System existiert nur auf Grund der Übereinstimmung seiner drei wichtigsten Attribute — der Struktur, der Substanz und der Funktion, nur auf Grund ihrer dialektischen Einheit" (Allgemeine Sprachwissenschaft 1975: 16). 2.1. Die Sprache wird als ein Zeichensystem besonderer Art verstanden 12 , und das Zeichen- oder semiologische Organisationsprinzip der Sprache stellt eine ihrer universellen und fundamentalen Besonderheiten dar. Das Modellierungsprinzip der Sprache insgesamt — einschließlich der Lexik — muß daher ein semiologisches Prinzip sein. 2.1.1. Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal der menschlichen Sprache ist vor allem ihre Repräsentationsfunktion, die Eigenschaft, die Ergebnisse der sozialhistorischen Erfahrung und der Erkenntnistätigkeit der Sprachträger vermittelt auszudrücken, zu festigen und zu speichern. Die Zeichenrepräsentation der Sprache stellt eine spezifische, nur dem Menschen als denkendem Wesen eigene Form der vermittelten Idealisierung der Wirklichkeit dar, sie ist ein Mittel der Widerspiegelungs- und Kommunikationstätigkeit des Menschen. Auf Grund dieser Eigenschaft gibt die Sprache durch die Klassifikation den Gegenständen und Erscheinungen der objektiven Realität Benennungen, indem sie deren Eigenschaften und Relationen differenziert und identifiziert, andererseits gewährleistet die Sprache, die die Erfahrung der gesellschaftlichen Erkenntnis aufbewahrt und deren Weitergabe ermöglicht, die Denk-Sprech-Tätigkeit, wodurch sie den Kommunikationsbedürfnissen der Menschen gerecht wird. Wortzeichen sind daher als grundlegende nominative Elemente keine einfachen Benennungen bzw. Etiketten, sondern psycho-physische Erscheinungen, Vorstellungen und Begriffe, die in eine sprachliche Form gekleidet sind und für die Sprachträger einer bestimmten Sprache Wirklichkeitssignale darstellen, sie sind Mittel der abgeleiteten Dematerialisierung der Entfernung vom Sichtbaren, Fühlbaren und Empfindbaren. „Zahlreiche Wortreize haben uns einerseits von der Wirklichkeit entfernt. Andererseits hat uns gerade das Wort zum Menschen gemacht" (PAVLOV 1949: 569).
Die Wesensbestimmung der Zeichenrepräsentation als „Idealisierung der materiellen Welt" hängt davon ab, wie erstens die erkenntnistheoretische Grundfrage nach dem Wechselverhältnis von Sprache, Denken und objektiver Realität gelöst 12
Siehe hierzu vor allem die Materialien zur Konferenz „Jazyk kak znakovaja sistema osobogo roda", Moskva 1967.
Wortschatzbeschreibung mittels Systemmethode
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wird, sie hängt zweitens davon ab, welche Sprachfunktion, die repräsentative (Benennungs- und Verallgemeinerungsfunktion) oder die kommunikative bzw. pragmatische Funktion als Grundlage für die Bestimmung der Sprache überhaupt und für das sprachliche Zeichen im besonderen benutzt wird. In der nominalistischen Philosophie (CASSIRER 1 9 2 3 ; HUSSERL 1922) wird die Sprache beispielsweise als die einzige Denkform interpretiert, und die sprachlichen Zeichen werden als konzeptuelle Symbole verstanden, die die objektive Realität konstituieren. Die Fähigkeit des verallgemeinerten abstrakten Denkens, die dem Menschen eigen ist und der mittelbaren Repräsentation der Wirklichkeit zugrunde liegt, wird den Zeichen selbst zugeschrieben. Die Sprache entwirft eine Art „Begriffsnetz", das die objektive Realität gliedert und das sprachliche Weltbild schafft (vgl. TRIER 1 9 3 1 ; WEISGERBER 1 9 5 3 ; IPSEN 1930).
Vereinfacht und eigenartig interpretiert wird auch die Frage nach dem wechselseitigen Zusammenhang von Sprache, Denken und objektiver Realität in den Arbeiten des logischen Positivismus. Aus den drei Gliedern dieses Wechselverhältnisses wird das wesentliche Glied, das Denken, ausgeschlossen, die Triade wird auf die binäre Gegenüberstellung „Sprache — objektive Realität" reduziert, die sich eindeutig zueinander verhalten; das, das bezeichnet wird, und das, das bezeichnet. Das sprachliche Zeichen ist unilateral, es ist die bloße Bezeichnung, es hat keine Bedeutung und wird auf die Ausdrucksform reduziert. Der Gesamtbereich der sich in mehreren Stufen organisierenden semantischen Relationen sprachlicher Zeichen sowie der Kategorien des Denkens und der objektiven Realität wird der eindeutigen Entsprechung Zeichenform — Bezeichnendes unterstellt. Ausgeklammert wird die Frage nach dem Wechselverhältnis zwischen Sprache, Denken und objektiver Realität auch von denjenigen wissenschaftlichen Richtungen, die die pragmatische Funktion, die Verhaltensfunktion als die grundlegende ansehen (vgl. BLOOMFIELD 1964). Sprache wird als zielgerichtetes Verhalten des Menschen aufgefaßt, und das Wesen der Zeichenrepräsentation wird auf den „semiotischen Prozeß" reduziert, in dem alle Faktoren, die die Zeichensituation und die Zeichenbedeutung konstituieren, ausschließlich vom Subjekt abhängig sind, von dessen empirischer Erfahrung und den Daten der sinnlichen Erkenntnis. Bei einer dialektisch-materialistischen Lösung der erkenntnistheoretischen Frage wird das Materielle als das Primäre angesehen, es ist dem Ideellen als dem Sekundären gegenübergestellt. Das Bewußtsein schafft die objektive Realität nicht, sondern spiegelt sie mit Hilfe der Sprache wider und festigt die Ergebnisse der Erkenntnistätigkeit in der Zeichenbedeutung der sprachlichen Elemente, der Wörter und Wortverbindungen. Sprachliche Zeichen werden daher als unmittelbar mit den der Ebene des begrifflichen Denkens eigenen Differenzierungs- und Integrationsprozessen zusammenhängende Erscheinungen verstanden, sie werden als Erscheinungen ange-
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sehen, die mit den Akten der Gegenstands- und Personenidentifikation verbunden sind, mit dem Erkennen und Verstehen der Zeichenbedeutungen in der kommunikativen sowie in der klassifikatorisch-nominativen Tätigkeit des Menschen. In einer materialistischen Interpretation der Zeichenrepräsentation dient das erste Glied in der Wechselbeziehung „Sprache — Denken" nicht nur zur Bezeichnung des zweiten Glieds, der Sprache, ihre Zeichen und Wörter sind Träger der verallgemeinerten Widerspiegelung der Wirklichkeit, die deren Bedeutung konstituiert. An dem Prozeß der Konstituierung der Zeichenbedeutung sind alle drei wechselseitig zusammenhängenden Elemente der Semiosis beteiligt und spiegeln sich darin wider: das erkennende Subjekt (Mensch), das Erkenntnisobjekt (Wirklichkeit) und das sprachliche Zeichen (Sprache), das den Erkenntnisprozeß vermittelt. Die Relation zwischen den drei Konstituenten der Semiosis ist eine spezifische, durch das menschliche Bewußtsein vermittelte Relation, eine Relation zwischen dem erkennenden Subjekt und der objektiven Realität via Zeichen. Der Begriff der „Gliederung" der materiellen Welt und der Vorstellungen der Menschen durch die Elemente der Sprache fand seinen Niederschlag in zahlreichen Theorien unterschiedlicher Provenienz. Wir sind eingangs im Zusammenhang mit der Darstellung der Sprachinhaltsforschung relativ ausführlich auf die Ansichten HUMBOLDTS und seiner Nachfolger eingegangen. .Den Auffassungen bedeutender Wissenschaftler unterschiedlicher linguistischer Richtungen 13 lag in unterschiedlichen Epochen ein und derselbe Gliederungsbegriff zugrunde. Die einen befaßten sich mit der gegenständlichen Welt im Sinne der von uns entwickelten Vorstellungen, andere waren an Gliederungsproblemen der Sprachstruktur interessiert, wieder andere schließlich untersuchten die Gliederung der bilateralen Einheiten in deren Bezeichnendes und Bezeichnetes sowie die Differenzierung der kleinsten bilateralen und unilateralen Einheiten. Die Anwendung der Systemmethode auf die Sprache im allgemeinen und auf die Lexik im besonderen setzt ein komplexes Herangehen voraus, das folgende Faktoren einschließt: die konsequente Lösung der erkenntnistheoretischen Frage und die ständige Berücksichtigung der Relationen zwischen den Konstituenten des Semioseprozesses (Sprache, Denken, objektive Realität), die die Bedingungen und das Ergebnis der Gliederung der gegenständlichen Welt durch sprachliche Zeichen (Wörter) aufdecken; die Behandlung der Frage nach der strukturellen Gliederung der Sprache selbst; die Analyse des Bezeichnungsprozesses und Bezeichnungsresultats der Systemeinheiten und deren semantische Interpretation in der Kommunikation, schließlich die Gliederung der Wortzeichen in Bezeichnendes und Bezeichnetes und in kleinere bilaterale lexikalische Einheiten. Aus der grund13
Vgl. dazu die Zeichentheorie SAUSSURES, die Theorie der zweifachen Gliederung MARTINETS sowie die Begriffskategorien JESPERSENS.
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legenden Struktureigenschaft der Sprache leiten sich zahlreiche Schlußfolgerungen ab, die für die praktische Anwendung der Systemmethode auf die Beschreibung des Wortschatzes relevant sind: (1) die Möglichkeit, den Wortinhalt in zweifacher Hinsicht zu untersuchen: (a) vom Wort im System zum Wort im Text (lexikozentristische Orientierung, die den Untersuchungen zur lexikalischen Semantik zugrunde liegt), (b) vom Wort im Text zu dessen Referenzbereichen im System (textzentristische Orientierung, die für die Arbeiten zur semantischen Syntax charakteristisch ist). (2) Die semantische Aktualisierung des Wortes, die Konkretisierung (semantische Aufgliederung) des virtuellen Wortzeichens, die Ermittlung der bezüglich ihres Abstraktionsgrades unterschiedlichen Ebenen der semantischen Gliederung des Wortes, die Definition der sprachlichen Mittel (lexikalischer, morphologischer, syntaktischer oder deren Gesamtheit), die die Grenze für die wortinterne Markierung der lexikalischen Semantik ziehen, stellen bei einer solchen Modellierung der sprachlichen Phänomene eine zentrale Orientierung sowie ein angemessenes Verfahren dar. 2.1.2. Ein weiteres, nicht weniger wichtiges und ausgezeichnetes ontologisches Merkmal der Sprache ist das anthropozentrische Prinzip ihres Aufbaus, das sich in der Fähigkeit des Sprechers offenbart, sich die Sprache (die Mittel des Systems) im Prozeß ihrer Anwendung anzueignen (vgl. BENVENISTE 1 9 7 4 : 259ff.; STEPANOV 1974: 13). Daraus leitet sich die zweifache Existenzweise der Sprache ab, die Sprache als System verallgemeinerter virtueller Zeichen und die Kommunikation als reale Funktionsform der Sprache, als konkrete Realisierung dieses Systems, Sprache als „Kategorienkomplex, der in potentia existiert, und Sprache als ein sich fortwährend wiederholender Prozeß" (BAUDOUIN DE COURTENAY 1 9 6 3 : 7 7 ) . Mit anderen Worten: die Sprache ist ihrer N a t u r nach ein objektiv-subjektives Gebilde; die Sprache ist objektiv und gesellschaftlich in bezug auf ihre Entstehung als Produkt einer bestimmten Sprachgemeinschaft sowie in bezug auf ihre Funktion als Kommunikationsmittel zwischen den Sprachträgern in all ihren Tätigkeitsbereichen. Andererseits ist die Sprache subjektiv und individuell bezüglich ihres Gebrauchs, weil sie nur funktioniert und real existiert auf Grund der Tatsache, daß sie dem Menschen eigen ist. Die Sprache muß daher ein überindividuelles, allgemeines System von Mitteln haben (und hat es auch), das in individuellen Sprechakten realisiert wird, ein System, das relativ stabil ist, um die Kommunikation sowie die Verständigung zwischen den Mitgliedern einer bestimmten menschlichen Gemeinschaft zu garantieren. Andererseits aber muß das System hinreichend flexibel sein, um die Vielfalt der Gedanken, Intentionen, und Gefühle derer auszudrücken, die sich der Sprache bedienen. Das anthropozentrische Prinzip der Funktionsweise der Sprache drückt der Eigenschaft sowie den Ausdrucksmitteln der Kategorie Person/Nicht-Person im Sprachsystem im allgemeinen und im lexikalischen System im besonderen seinen Stempel auf. Die Existenz von Sprechakt-
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koordinaten, d. h. der Koordinaten Kommunikationspartner/Person, über die gesprochen wird, sowie der Orts- und Zeitdeixis des Sprechakts determiniert darüber hinaus die Existenz unterschiedlicher Klassen im Wortschatz (semiologische Klassen), die mit bestimmten Bedeutungstypen korrelieren: deiktische und semideiktische Wörter, Pronomina, Auxiliarelemente unterschiedlicher Art (Shifter, Aktualisatoren u. a.), die ausschließlich der Verständnissicherung in der konkreten Kommunikation dienen. Die Anwendung der Systemmethode auf die Lexik schließt notwendigerweise die Untersuchung der Bedeutung dieser Wörter ein. Bisher fanden sie in existierenden Modellvorschlägen jedoch noch wenig Beachtung. 2.1.3. Die objektiv-subjektive Natur der Sprache sowie ihr Anthropozentrismus bestimmen auch deren semiotische Struktur, die ebenfalls zweigliedrig ist: Einheiten (Zeichen- und Nichtzeicheneinheiten) unterschiedlicher Ebenen des Sprachsystems (der phonologischen, der morphologischen und lexematischen Ebene) sind Einheiten der Kommunikation gegenübergestellt, obzwar sie mit diesen in einem wechselseitigen Zusammenhang stehen. Die Zeichen der natürlichen Sprache haben im Gegensatz zu allen übrigen Zeichen eine zweifache Referenz, einen zweifachen Bezug zu einer Gegenstandsreihe: (a) als nominative Zeichen (Wörter und Wortverbindungen) im Benennungssystem, in der Paradigmatik und (b) als prädikative Zeichen, d. h. als Sätze in der Kommunikation, in der Syntagmatik. Die Eigenschaft, die außersprachliche Realität sowohl im System als auch in der Kommunikation zu repräsentieren, ist nur der natürlichen Sprache eigen und macht diese zu einem signifikativ-kommunikativen System besonderer Art, das in bezug auf seine Struktur unikal und universell bezüglich seiner Bestimmung ist, das in der Lage ist, jede Tätigkeit des Menschen sowie jedes andere Zeichensystem zu interpretieren. Im Unterschied zu den Zeichen der übrigen semiotischen Systeme, deren Relevanz sich ausschließlich auf Grund der Relationen der Zeichen innerhalb des jeweiligen Systems ergibt, so z. B. der Verkehrszeichen, besitzen Sprachzeichen nicht nur eine relative Bedeutung, sondern auch eine absolute, ihnen allein kommt Bedeutung zu. Virtuelle Zeichen werden auf der Grundlage ihrer Systembedeutung realisiert, die in einer konkreten Äußerung mit den neuen, konkreten Ereignissen der außersprachlichen „gegenständlichen" Situation in Beziehung gesetzt werden. Die Sprache als System wird in der Kommunikation auf der Grundlage ein und derselben Referenzbezüge der sprachlichen Zeichen durch die Identifizierung der Zeichen bezüglich ihrer Form und Bedeutung wiedergegeben und wahrgenommen. 2.1.4. Die menschliche Sprache, die dazu bestimmt ist, die Erkenntnistätigkeit sowie die Denk-Sprech- und Kommunikationstätigkeit des Menschen zu gewährleisten, ist ein besonderes semiotisches System, dessen Einheiten sich durch eine zweifache Strukturierung (im System der Ausdrucksmittel und in der Kommunikation) sowie durch zwei Benennungsarten auszeichnen.
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Die Differenzierung der beiden sprachlichen Benennungsarten hat in der modernen Literatur ihren Niederschlag in der Gegenüberstellung folgender Kategorienpaare gefunden: (a) nominative und prädikative Zeichen, Benennungszeichen (znaki-naimenovanija) und Mitteilungszeichen (znaki-soobscenija) (BULYGINA 1967 a), partielle und vollständige Zeichen (GAK 1967), Zeichen und Seme (BUYSSENS 1 9 6 7 ) , (b) Bedeutung und Sinn als zwei Arten semiologischer Entitäten, nominativer und syntagmatischer Wert des Zeichens (UFIMCEFA 1 9 6 8 a und 1 9 7 0 ) , (c) semiologisches und semantisches Prinzip als die zwei Benennungsprinzipien der Systemmittel (BENVENISTE 1 9 6 9 ) . Unter Benennungsbedingungen sind vor allem jene Bedingungen zu verstehen, daß sprachliche Ausdrucksmittel dieses oder jenes semiologischen Werts existieren, daß ein Zeichen in ein bestimmtes System (Teilsystem, Paradigma, Reihe usw.) aufgenommen wird und in diesem System eine bestimmte Semantisierung erfahrt. „Als semiotisches Benennungsverfahren wird dasjenige Verfahren bezeichnet, das dem sprachlichen Zeichen eigen ist und ihm den Status einer ganzheitlichen Einheit verleiht . . . Das Zeichen existiert nur dann, wenn es als Benennung von den Mitgliedern eines Sprachkollektivs anerkannt wurde und bei jedem Mitglied dieses Kollektivs gleiche Assoziationen sowie einheitliche Vorstellungen hervorruft" (BENVENISTE 1 9 6 9 : 113). Das semiotische oder semiologische Benennungsverfahren ist ausschließlich mit der primären Zeichenkonstitution verbunden, mit der Manifestierung und Anerkennung eines Zeichens durch eine Sprachgemeinschaft (vgl. Jazykovaja nominacija 1977, Kap. I, II und III). Die Gliederung der Vorstellungen des Menschen über die Vielfalt der Wirklichkeit sowie der Elemente seiner eigenen Erfahrung und deren Transformation in eine abstraktere, generalisiertere Form vollzieht sich mit Hilfe der nominativen Zeichen, durch die Differenzierung und Benennung der ständig wiederkehrenden Vorstellungen, die im Erkenntnis- und Kommunikationsprozeß von den Sprachträgern im Ergebnis des Vergleichens und Erkennens gewonnen werden. Wenn wir vom semantischen Verfahren sprechen, dann haben wir ein spezifisches „Benennungsverfahren im Auge, das durch die Kommunikation hervorgebracht wird" (BENVENISTE 1 9 6 9 : 1 1 3 ) und mit der Funktion der Sprache als Mechanismus zur Gewährleistung der Kommunikation verbunden ist. Die Besonderheiten der beiden Verfahren, die in unterschiedlichen Bereichen der Sprache wirken, das semiotische im nominativen Bereich, das semantische im Bereich der Prädikation, hat BENVENISTE ( 1 9 6 9 : 1 3 4 ) wie folgt charakterisiert: „Das Semiotische, das Zeichen muß erkannt werden, das Semantische, die Kommunikation, die Rede muß verstanden werden". Die besondere Stellung, die die menschliche Sprache als ein von der Gesellschaft hervorgebrachtes und von ihr benutztes Mittel einnimmt, schließt ein, daß sie gleichzeitig die Benennungen der Wörter und Äußerungen realisiert, woraus ihre metasprachliche Fähigkeit resultiert, die es erlaubt, nicht nur andere Zeichen-
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systeme zu interpretieren, sondern auch sich selbst. Daraus folgt, daß in der Sprache zwei unterschiedliche, jedoch eng miteinander zusammenhängende Benennungsbereiche existieren: (1) der Bereich des primären, des eigentlichen semiologischen Benennungsverfahrens der Wortzeichen, die die wiederkehrenden Vorstellungen über die objektive Realität und die subjektiven Erfahrungen der Sprachträger bezeichnen; (2) der Bereich der sekundären Benennung, die Konstituierung von Äußerungen als „vollständige Zeichen" ( G A K 1 9 6 7 ) . Es muß hervorgehoben werden, daß erst bei der Primärbenennung, d. h. bei der Manifestierung (elementarer und sinnbildender) Zeichen die „Vereinigung von Laut und Bedeutung", die Verbindung der Zeichenform und der Bedeutung ins Spiel kommt. Das nominative Wortzeichen, das den Status einer Systemeinheit erworben hat, kann als Benennungsgrundlage für Einheiten der Kommunikation dienen, für Zeichen, die nach dem semantischen Prinzip konstituiert werden. Die Benennung der Zeichen der Primärbenennung, der Wörter und Wortverbindungen als nominative Zeichen, sowie der Zeichen der Sekundärbenennung, der Mitteilungen und Äußerungen als prädikative Zeichen unterscheidet diese nicht nur nach ihrem Funktionsbereich, sondern auch nach ihrem Zweck. Nominative Zeichen figurieren im Klassifikations- bzw. Nominationsbereich, sie erfüllen die Repräsentationsfunktion, bezeichnen einheitliche Gegenstände und Fakten und geben Gegenstandsklassen sowie Faktenreihen einen Namen, denn sie drücken verallgemeinerte Vorstellungen und Begriffe über die Vielfalt der „Welt der Gegenstände und Ideen" aus. Prädikative Zeichen dienen dem Kommunikationsbereich, der Kern des Bezeichneten ist in diesen besonderen Zeichen die kommunikative Aufgabe, die Äußerungsmodalität, irgendetwas Neues, für das eine bestimmte kommunikative Einheit geschaffen wird (die durch ein Zeichen benannt werden kann oder auch nicht). Den Unterschied zwischen nominativen und prädikativen Zeichen hat A R U T JUNOVA (1975: 255) deutlich gemacht: „Manchmal wird der Standpunkt vertreten, die Spezifik der Benennungsfunktion des Satzes sei dadurch bedingt, daß sich der Satz als aktualisiertes sprachliches Zeichen unmittelbar auf das Denotat, auf die reale Situation außerhalb der Sprache beziehe. Daher sei das Bezeichnete des Wortes das Designat (Signifikat), d. h. ein gewisser verallgemeinerter Begriff, und das Bezeichnete des Satzes das Denotat (der Referent), d. h. ein Einzelereignis. Der Satz sei also monosem, er drücke keinen Brgiff aus, der an der Gliederung der Wirklichkeit durch die betreffenden Sprachträger beteiligt wäre. Der Sinn des Satzes sei nicht im Sprachkode verankert". Hauptkomponenten des semiologischen Wertes kommunikativer Einheiten sind „der Inhalt der Kommunikationsintention", „die Äußerungsmodalität" und „der Bezug zum Zeitpunkt des Sprechaktes". Zwei Seme sind in den Zeichen des Sprachsystems und denen der Kommunikation identisch — „die Benennungs-
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funktion" und „deren denotativer Bezug", d. h. der Hinweis auf den benannten Gegenstand. Abgesehen von der Gemeinsamkeit, die die beiden Zeichenarten in der Benennungsfunktion aufweisen, gibt es grundlegende Unterschiede zwischen ihnen sowohl bezüglich des Charakters und des Mechanismus des Nominationsaktes als auch in bezug auf die Ergebnisse und Eigenschaften der Nomination. Wortzeichen im System und in der Kommunikation können als Primär- und Sekundärnomination gegenübergestellt werden, als grundlegende und modifizierte, als „Tiefen"und „Oberflächennomination". Das Bezeichnete primärer Zeichen kann als Bedeutung bezeichnet werden, das der sekundären Zeichen als Sinn. „Der Sinn", schreibt GAK (1967: 17) „ist ein Mittel zur Repräsentation des Referenten im Zeichen". 2.2. Ein nicht minder spezifisches Merkmal menschlicher Sprache ist ihr tätiger, schöpferischer und demzufolge dynamischer Charakter (vgl. YARTSEVA, UFIMTSEVA, KOLSHANSKI, STEPANOV 1 9 7 7 : 1 5 5 ) . LENIN (Werke Bd. 3 8 : 1 9 4 ) , der den schöpferischen Charakter des menschlichen Denkens hervorhob, schrieb: „Das Bewußtsein des Menschen spiegelt die objektive Realität nicht nur wider, es schafft sie auch". Und die Sprache, die auf unterschiedliche Weise mit den zwei Aspekten der menschlichen Erkenntnis verbunden ist, die in sich die Einheit von Widerspiegelung der Wirklichkeit und schöpferischer Rolle des Menschen verkörpert, spiegelt nicht nur wider, sondern schafft in einer bestimmten Weise auch, weil in der Sprache, in ihren Einheiten Ergebnisse des Erkenntnisprozesses fixiert sind, die immer in die Erfahrung und das Denken eingehen und die Weiterentwicklung von Theorie und Praxis determinieren. In einer materialistischen Sprachauffassung stellt sich die Wechselbeziehung zwischen Sprache und objektiver Realität als Wechselbeziehung zwischen Sprache und Arbeitstätigkeit (praktische und theoretische Tätigkeit) des Menschen dar, weil gerade die Struktur der Arbeitstätigkeit, die durch das Denken vermittelt widergespiegelt wird, die menschliche Sprache von allen übrigen analogen Zeichensystemen unterscheidet. In den Bedeutungen sprachlicher Einheiten, besonders aber in den Wörtern und Wortverbindungen als nominativen Einheiten „werden die in die Materie der Sprache umgewandelte ideelle Existenzform der gegenständlichen Welt, deren Eigenschaften und Relationen, die in der gesamten gesellschaftlichen Praxis verborgen sind, repräsentiert" (LEONT'EV 1 9 7 2 : 1 3 4 ) . Im Gegensatz zur idealistischen Interpretation der Wesensbestimmung der Sprache, nach der ihr schöpferischer Charakter als teleologischer Zweck betrachtet wird, geht die materialistische Auffassung von menschlicher Sprache und Erkenntnis von der gesellschaftlichen Praxis der Menschen aus, die gleichzeitig auch das Kriterium und die Grundlage für die Widerspiegelungstätigkeit des Menschen darstellt. „Wenn der wirkliche, leibliche, auf der festen wohlgerundeten Erde stehende, alle Naturkräfte ein- und ausatmende Mensch seine wirklichen, gegen-
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ständlichen Wesenskräfte durch seine Entäußerung als fremde Gegenstände setzt", schreibt M A R X (MEW 1968, Erg.-Bd. 577), „so ist nicht das Setzen Subjekt; es ist die Subjektivität gegenständlicher Wesenskräfte, deren Aktion daher auch eine gegenständliche sein muß. Das gegenständliche Wesen wirkt gegenständlich, und es würde nicht gegenständlich wirken, wenn nicht das Gegenständliche in seiner Wesensbestimmung läge. Es schafft, setzt nur Gegenstände, weil es durch Gegenstände gesetzt ist, weil es von Haus aus Natur ist. In dem Akt des Setzens fallt es also nicht aus seiner ,reinen Tätigkeit' in ein Schaffen des Gegenstandes, sondern sein gegenständliches Produkt bestätigt nur seine gegenständliche Tätigkeit, seine Tätigkeit als die Tätigkeit eines gegenständlichen natürlichen Wesens." Die Relationen zwischen Sprache, Denken und objektiver Realität haben in ihrer Triade keinen statischen, sondern einen dynamischen Charakter, da das Denken immer Tätigkeit ist und „die alte objektive Realität" in der Sprachstruktur selbst in den nominativen Zeichen und die „neue Wirklichkeit" in den prädikativen Zeichen widerspiegelt. ZVEGINCEV (1976: 304) schreibt dazu: „Es war gerade der Ausschluß des Dynamischen aus den Relationen zwischen den drei Größen, der für RUSSELL und den frühen WITTGENSTEIN die Grundlage schuf, eine ,ideale logische Sprache zu konstruieren', eine Sprache, die ein statisches und konstantes Gebilde darstellt, in der eindeutige Entsprechungen zwischen ihren atomaren Elementen und den einzelnen .Gegenständen' und .Sachen' der äußeren Welt existieren." Aus der Eigenschaft des Dynamischen sowie aus der tätigen anthropozentrischen Grundlage der natürlichen Sprache ergeben sich für die lexikalische Forschung folgende Konsequenzen: (1) Bei der Anwendung der Systemmethode auf die Beschreibung der Wortbedeutung ist es unmöglich, diese nur auf die Zeichenaspekte und die onomasiologischen Aspekte zu begrenzen, d. h. auf die Analyse des logisch-gegenständlichen Wortinhalts. Der dynamische, schöpferische Charakter der Sprache, der durch ihre Hauptfunktionen determiniert wird, durch die Erkenntnis- und Kommunikationsfunktion, setzt die Untersuchung des Variationsmechanismus der Wortzeichen insgesamt oder einzelner Seiten voraus, d. h. die Untersuchung der Systembedeutung des Wortes, die Bedingungen und das Resultat der semantischen Aktualisierung des lexikalischen Inhalts des Wortzeichens in einer Richtung, die entgegengesetzt zum Verallgemeinerungsprozeß verläuft, vom Allgemeinen zum Besonderen, vom Abstrakten zum Konkreten und vom Virtuellen zum Aktuellen. (2) Da der „Hauptunterschied zwischen natürlichen und formalisierten Sprachen in dem wechselseitigen Zusammenhang zwischen Sprachsystem und Kommunikation besteht" (ZVEGINCEV 1970: 303), muß die Anwendung der Systemmethode auf die Untersuchung der Wortbedeutung deutlich machen, wie die „alte" Erfahrung, die in den Wortbedeutungen kodifiziert ist, als Benennungsgrundlage für die durch die Kommunikation erzeugten Einheiten dient. Sie muß ermitteln, wie die „neue" Wirklichkeit in die Sprache eingeht, wie sie zum Bestandteil des Systems
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wird. Dieser fortwährende schöpferische Prozeß der „Hinzufügung" der neuen Erfahrung zur alten findet in der Sprache seinen Ausdruck in der semantischen Ableitung des Wortes, die die semantische Wortstruktur konstituiert bzw. neben Syntagmatik und Paradigmatik die sogenannte dritte strukturelle Dimension der Wortbedeutung, die Epidigmatik, bildet (SMELEV 1973: 55).
3. Systemtheorie und
Wortschatzbeschreibung
3.1. Unterscheidungsmerkmale des Sprachsystems
des Wortes als grundlegende bilaterale Einheit
Als Grundeinheit des Sprachsystems oder seiner einzelnen Strukturebenen kann man jene Elemente ansehen, die in sich am vollständigsten die formalen und inhaltlichen Eigenschaften der Sprache oder deren Strukturebenen verkörpern. 3.1.1. Das Wort ist die grundlegende kognitive Einheit des Sprachsystems, die die Repräsentationsfunktion erfüllt. Die menschliche Sprache, die ihrem Wesen nach ein Zeichensystem darstellt, spielt bei der Aneignung von Erkenntnissen über die Wirklichkeit eine wesentliche Rolle. Neben der gegenständlichen Welt, neben den Gegenständen, Erscheinungen und deren Relationen existiert für den Menschen eine ideelle Realität, die Welt der Abbilder, Ideen, Begriffe, der Widerspiegelungen, bei denen es sich häufig um verzerrte und gebrochene Widerspiegelungen der gegenständlichen Welt handelt. Die Zeichenrepräsentation der gegenständlichen und ideellen Wirklichkeit, die vor allem durch die Wortzeichen realisiert wird, ist eine spezifische, nur dem Menschen als denkendem Wesen eigene Idealisierungsform der objektiven Realität, sie ist ein Mittel zur Widerspiegelungs- und Kommunikationstätigkeit des Menschen. Der Hauptunterschied des Benennungsprozesses durch Wortzeichen besteht darin, daß dieser Prozeß mit der Widerspiegelungstätigkeit des Menschen verbunden ist, mit der Verallgemeinerung und Differenzierung des Notwendigen und Wesentlichen, mit der Begriffsbildung und anderen Denkformen. Es wäre jedoch falsch anzunehmen, daß die Sprache eine Form des Denkens ist. Das Denken hat seine eigene Form. Daraus folgt, daß die menschliche Sprache eine zweifache Funktion erfüllt. In der Triade „Denken — Sprache — Wirklichkeit" erfüllt die Sprache in bezug auf die einzelnen Konstituenten unterschiedliche Funktionen. In dem Wechselverhältnis „Denken — Sprache" dient die Sprache als Mittel zur Materialisierung der Gedanken, in der Gegenüberstellung „Sprache — materielle Wirklichkeit" dient sie als Mittel der Idealisierung der objektiven Realität. Die Sprache im allgemeinen und das Wort im besonderen vereinigen in sich als komplexe materiell-ideelle Gebilde durch ihre Relation zur objektiven Realität
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die simultane Eigenschaft der Benennung sowie der verallgemeinerten Widerspiegelung der Realität. Die Benennung durch sprachliche Zeichen ist mit den Prozessen und Ergebnissen der Abbildung des „Gegenständlichen", Sinnlichen und Tätigen, d. h. mit der Idealisierung, der Objektivierung der gegenständlichen Welt verbunden. In der Sprache werden die „Abbildungsergebnisse" des Gegenständlichen, der realen Eigenschaften und Relationen zwischen den Gegenständen in erster Linie durch nominative Zeichen fixiert, in deren direkten Bedeutungen mehr oder weniger adäquat die Funktionen, die äußere Form, die Gebrauchsweise eines Gegenstandes, das Agens, Objekt, Milieu, das Mittel sowie andere reale Charakteristika der bezeichneten Handlungen und Prozesse in der objektiven Realität sowie die subjektiven Eigenschaften und Zustände des Menschen repräsentiert werden. Diese Eigenschaft der Zeichenbedeutung des Wortes war häufig der Anlaß, die lexikalische Bedeutung als Summe von Operationen über den benannten Gegenstand zu definieren. Genau das hatte VINOGRADOV (1947a: 13) im Auge, wenn er schrieb, „daß es für das Sprachverstehen notwendig ist, die durch Wörter benannten Gegenstände zu kennen,. . . den gesamten Bereich der entsprechenden materiellen Kultur." In welcher Beziehung zur Sprache, zur praktischen Tätigkeit der Menschen befinden sich der Idealisierungsprozeß der gegenständlichen Welt sowie die Ergebnisse dieses Prozesses? Im Ergebnis seiner sozial-historischen Erfahrung bildet der Mensch, der die Gegenstände und deren Eigenschaften zu Gegenständen seiner Arbeit umgestaltet, neue Begriffe überjdie soziale Funktion sowie über die spezifischen Eigenschaften und Funktionen dieser Gegenstände. Zusammen mit den Arbeitsprodukten entwickelt er neue Vorstellungen und Begriffe, die jeweils eine besondere Benennung erhalten. Der Gegenstand, die Sache wird objektiviert, d. h., das Materielle „wird' s zum Ideellen in dem Falle, wenn das Materielle in eine aktuelle Tätigkeitsform mit einem realen Gegenstand im Bewußtsein des Menschen umgestaltet und durch sprachliche Formen, d. h. Wortzeichen ausgedrückt wird, die für alle Mitglieder einer bestimmten Gemeinschaft verbindlich sind. „Das Ideelle existiert dort, wo die Fähigkeit vorhanden ist, ein Objekt im Raum unter Bezugnahme auf die Sprache, auf das Wort, zu rekonstruieren" (Filosofskaja encyklopedija 1962: 222). Das ideelle Abbild eines Gegenstandes, d. h., die Repräsentationsform eines Gegenstandes mit Hilfe des Wortes und der abgebildete Gegenstand stellen eine dialektische Einheit von Gegensätzen dar. Sie gleichen sich wie Original und Kopie, sie sind jedoch einander gegenübergestellt als das Materielle und Ideelle. Aus dieser methodologischen Grundposition ergibt sich für den Linguisten folgende wichtige Konsequenz: das durch autosemantische Wortzeichen Bezeichnete erscheint in zwei gegensätzlichen Formen: (a) als real existierender Gegenstand, Erscheinung (materielles Denotat), konkreter Referent der Kommunikationssituation und (b) als ideelles Abbild dieses Gegenstandes,
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dieser Erscheinung (ideelles Denotat), das die Bedeutung des betreffenden Wortzeichens konstituiert. Jedes Wort vom Typ stul (Stuhl), sad (Garten) und celovek (Mensch) weist in seiner Zeichenbedeutung einen Gegenstands- wie auch einen Begriffsbezug auf. Das virtuelle Wortzeichen steht im Sprachsystem nicht mit einem einzelnen Gegenstand, sondern mit einer ganzen Klasse oder ainer Kategorie ähnlicher Gegenstände in Beziehung. Die Zeichenbedeutung eines Wortes ist daher vom Standpunkt ihres Entstehungsprozesses sowie ihres Entstehungsresultats eine Verallgemeinerung, die einer ganzen Gegenstandsklasse bzw. einer Klasse von Erscheinungen Bezeichnungen gibt. Die Relation zwischen dem Begriff (dem Allgemeinen), der durch ein bestimmtes Wortzeichen übermittelt wird, und dem Gegenstand (dem Konkreten), dessen Bezeichnung, ist so beschaffen, daß der Begriff der Gegenstandsbenennung eine inhaltliche Charakterisierung verleiht und die Bezeichnung demzufolge diesen Begriff benennt und darüber hinaus eine Bezeichnung der konkreten Gegenstände ist, die dieser Klasse angehören. Auf der Korrelation, auf der Vereinigung oder der Übereinstimmung zwischen dem Allgemeinen und Konkreten, auf dem „Maß" des Gegenstands- und Begriffsbezugs basieren nicht nur der Charakter der semantischen Struktur der Wörter und deren Gebrauchsgrenzen, sondern auch die paradigmatischen Gruppierungen im Sprachsystem. In denjenigen Fällen, in denen Begriffs- und Gegenstandsbezug des Zeichens so wie beispielsweise Begriffsumfang und Begriffsinhalt zusammenfallen, ist das Wort die Bezeichnung einer ganzen Klasse konkreter Gegenstände, die unter einen bestimmten Inhalt subsumiert werden. Es drückt den konkreten, vollständigen Begriff der Klasse von Gegenständen aus, die unter die Klasse subsumiert werden; vgl. ruka (Hand), zena (Ehefrau), cvetok (Blume). In denjenigen Fällen, in denen der Begriffsbezug des Wortes im Inhalt der Zeichenbedeutung dominiert, dient das Wort als Bezeichnung des Allgemeinbegriffs, des Typs, so z. B. in „Bewegung", „Relation" usw. In diesem Fall werden die konkreten Handlungen, Zustände usw. durch andere Wortzeichen benannt, vgl. dvizenie (Bewegung): beg (Laufen), chozdenie (Gehen),plavane (Schwimmen) usw. In den Fällen mit einer sogenannten spezialisierten, d. h. bezüglich ihres Begriffsinhalts spezialisierten Lexik dominiert demgegenüber die Repräsentation der Gegenständlichkeit über dem Begriffsbezug. Wortzeichen dieser Art dienen daher als spezialisierte Gegenstandsbezeichnung, vgl. z. B. die Bezeichnung der Sportschuhe im Russischen: butsy (Fußballschuhe), sipovki (Spikes), p'eksy (Schischuhe) u. a. In Substantiven, die Gegenstände im weitesten Sinne des Wortes bezeichnen, fallen Begriffs- und Gegenstandsbezug im Rahmen des dialektischen Ganzen als Abstraktes und Konkretes zusammen, sie bilden ihrem 25
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Ursprung nach unterschiedliche Begriffe. In den Verbbezeichnungen, die in ihrer Zeichenbedeutung Begriffsrelationen ausdrücken, reicht der Gegenstandsbezug in der Regel über den Rahmen der Verbbezeichnung hinaus, die jedoch obligat gegeben ist relativ zur Handlungssphäre des Subjekts und Objekts. Relationsbegriffe, die durch die Zeichenbedeutung der Verblexeme ausgedrückt werden, sind somit durch die Subjekt-Objekt-Lokalisierung der verbalen Handlung manifestiert, konkretisiert und in den syntaktischen Relationen zum Subjekt und Objekt der Handlung sichtbar gemacht. Wortzeichen, die ein unikales Zeichensystem bilden, sind mit den auf der Ebene des begrifflichen Denkens ablaufenden Differenzierungs- und Integrationsprozessen verbunden, mit den Erkentitnisakten, die es im Kommunikationsprozeß ermöglichen, das Geäußerte durch die Interpretation der primären Sprachzeichen zu verstehen, vor allem aber durch die Wörter. 3.1.2. Das Wort ist der Schnittpunkt aller Sprachfunktionen. Eine fundamentale Eigenschaft der Zeichen natürlicher Sprachen besteht im Gegensatz zu allen übrigen Zeichensystemen nicht so sehr in den unterschiedlichen Funktionen, die sie erfüllen, als vielmehr in der Koexistenz dieser Funktionen innerhalb eines Zeichens. Die kommunikative und die erkenntnistheoretische Funktion stehen in einem wechselseitigen Zusammenhang, die Kommunikation zwischen den Mitgliedern einer bestimmten menschlichen Gemeinschaft wird nur dann möglich, wenn mit den sprachlichen Zeichen und den Zeichenstrukturen allgemeingültige Entitäten ausgebildet werden, in denen sich überindividuelle, allgemeingültige Bedeutungen und deren sprachliche Ausdrucksmittel herauskristallisiert haben, die sich im Prozeß ihrer kommunikativen Verwendung verselbständigen. In einem unmittelbaren Zusammenhang, in einer bestimmten Hierarchie befinden sich auch die kommunikative und die pragmatische Funktion der Sprache, die Mitteilungs- und Benennungsfunktion. Unter den sprachlichen Zeichen nimmt das Wort einen besonderen Platz ein, weil es in mehrfacher Hinsicht einen semiologischen Wert besitzt: es verallgemeinert, gibt den Gegenständen und Erscheinungen der objektiven Realität Benennungen, das Wort erfüllt eine zeichenkonstituierende Funktion, es bezeichnet nicht nur die Gegenstände, sondern auch die Begriffe, die der Mensch von diesen Gegenständen hat, das Wort spiegelt wider, drückt die Einstellungen und Gefühle des Sprechers wie auch des Hörers aus. Der Funktionsbereich des Wortzeichens ist so umfassend, daß die äußere Grenze in der Sprache der Wortgebrauch in Form von Äußerungen darstellt, d. h. in der Funktion prädikativer Zeichen einerseits und als Bauelemente, als Morpheme andererseits. Die sich wechselseitig bedingende Koexistenz der verschiedenen Funktionen macht Bas Wort zu einem Zeichen besonderer Art, zu einem Zeichen, das universell bezüglich seines Charakters und unikal in bezug auf die Funktionen ist, die es erfüllt.
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3.1.3. Das Wort zeichnet sich durch eine spezifische strukturelle Organisation aus. Das Dominierende im Wort ist jener feste und unlösbare Zusammenhang zwischen der äußeren (Lautseite) und der inneren (Inhaltsseite) Seite, d. h. zwischen dem Bezeichnenden und dem Bezeichneten, ein Zusammenhang, der nicht nur die Existenz und Funktionsweise determiniert, sondern auch die semantische Veränderung eines Wortzeichens. S M I R N I C K I J (1954b: 87) schreibt dazu, daß die „materielle sprachliche Hülle insofern auch eine lautliche Hülle ist, als sie mit dem Inhalt angefüllt ist, ohne den sie keine sprachliche Erscheinung wäre." Das Wort als eine bilaterale, im höchsten Grade asymmetrische Einheit besitzt eine komplizierte semantische (Inhaltsstruktur) und morphologische (formale) Struktur. Die Komplexität der strukturellen Organisation des Wortinhalts resultiert daraus, daß das Wort im Sprachsystem eine semantische Entität mit zweifacher Existenz darstellt: es ist gleichzeitig eine Einheit der Nomination, des Wortschatzes, wie auch als lexikalisch-grammatische Einheit Element des Sprachbaus. Das Wort als eine zentrale Einheit, als ein Schlüsselelement des Sprachsystems, vereinigt in sich alle Aspekte des Sprachsystems: den phonetischen, grammatischen, lexikalischen und semantischen. 14 Daraus leitet sich die Ausgrenzbarkeit, die Isolierbarkeit des Wortes und dessen Reproduzierbarkeit als fertige sprachliche Einheit ab. Im Inhalt der autosemantischen lexikalischen Einheiten fallen die in bezug auf ihren Verallgemeinerungsgrad sowie den Charakter der Verallgemeinerung unterschiedlichen semantischen Werte zusammen: (a) die allgemeinen Werte, die einer ganzen Klasse oder Wortreihe zukommen, die mit einer „Gegenstandsreihe" korreliert, die sogenannten grammatischen Bedeutungen; (b) das kategoriale Merkmal, das ein Wort erhält, wenn es in diese oder jene semantische Gruppe aufgenommen wird; (c) die lexikalische (idiomatische Bedeutung), die das Wortzeichen konstituiert und daher Zeichenbedeutung genannt wird, die Gegenstände der objektiven Realität repräsentiert. Der nichthomogene Inhalt des Wortes „uciteF" (Lehrer) setzt sich beispielsweise zusammen aus: (1) (2) (3) (4) (5) (6)
14
25'
der Wortartenbedeutung „Gegenständlichkeit" dem Merkmal der semantischen Reihe „Beseeltheit" dem Merkmal der semantischen Kategorie „Person" dem Merkmal der semantischen Subkategorie ,männlich' der Wortbildungsbedeutung „Person, die die Tätigkeit beruflich ausübt" der lexikalischen Bedeutung des Einzelwortes „Lehrer = Unterrichtender, der beruflich diese Tätigkeit ausführt".
Siehe ausführlich bei (1978:9-11).
VINOGRADOV
(1947a: 8—28),
UFIMCEVA
(1974),
STEPANOVA/HELBIG
A. Ufimceva
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In einigen Sprachen werden Wortartenbedeutung, Merkmale der semantischen Kategorien sowie der lexikalisch-semantischen Wortgruppierungen explizit ausgedrückt, in anderen hingegen nicht. Innerhalb einer bestimmten Wortart, in der solche lexikalisch-grammatischen Wortreihen vorkommen, wird das Wort in einer zweiten, danach in einer dritten, vierten und fünften Abhängigkeitsreihe aufgebaut, d. h. in semantischen Reihen, Kategorien, Subkategorien und lexikalisch-semantischen Gruppen bis hin zur individuellen Bedeutung. Dieses Aufbauprinzip kann durch das „MatroschkaPrinzip" sehr gut charakterisiert werden. Diese fünf verschiedenen Verallgemeinerungsebenen der Abhängigkeitsreihen machen den Wortinhalt indiskret und global, indem sie dessen paradigmatische Strukturierung gleichzeitig im System der Mittel festschreiben. Auch die individuelle lexikalische Bedeutung ist nicht homogen. Eine Besonderheit des Wortes besteht im Gegensatz zum Satz und zu den Wortverbindungen auf der einen Seite und zu den formalen (Wortbildungs- und Wortveränderungs-)Morphemen auf der anderen darin, daß eine Zeichenform in sich eine ganze Reihe von signifies, von bezeichneten Gegenständen tragen kann, daß sie polysem ist. Zwischen dem formalen Morphem und dem Wort kann man eine bestimmte Isomorphie beobachten. Die Wortveränderungsmorpheme, die von vielen Linguisten zu den Zeichen gezählt werden, vereinigen in sich ebenfalls „mehrere" grammatische Entitäten und können — was ihre Struktur angeht — den polysemen Wörtern gegenübergestellt werden. Zwischen der Mehrdeutigkeit der formalen und gegenständlichen Morpheme besteht jedoch ein fundamentaler Unterschied. Der „Polysemantismus" der formalen Morpheme wird sowohl im System, in der Paradigmatik, als auch in der Kommunikation, in der Syntagmatik bewahrt : die Polysemie ist nur den Wörtern im System eigen, eine syntagmatische Reihe gliedert immer eine bestimmte Bedeutung aus, das semantisch realisierte Wort ist eindeutig. Im ersten Fall haben wir es mit Synkretismus der Derivationsmorpheme zu tun, im zweiten hingegen mit zwei Wortmodifikationen, dem virtuellen und aktuellen Wortzeichen. 3.1.4. Die Besonderheit, durch die sich das Wort von allen anderen bilateralen Einheiten auszeichnet, besteht darin, daß das Wort in zwei Modifikationen existiert — als semantisch nicht gegliederte Einheit des Wortschatzes (virtuelles Wort) und als semantisch gegliedertes (aktualisiertes) Wort. Das virtuelle Zeichen ist als Systemelement zu verstehen. Es ist ein nicht realisiertes Element, d. h. ein in einer bestimmten Hinsicht potentielles Zeichen, das dem aktuellen Zeichen, dem Element der Kommunikation, gegenübergestellt i s t (ACHMANOVA 1 9 6 6 : 7 9 u n d
158).
Der Begriff des virtuellen Wortzeichens und das Wesen seines Inhalts wurden bereits von PESKOVSKIJ (1959: 93) exakt bestimmt: „Wir müssen zwei Bilder
Wortschatzbeschreibung mittels Systemmethode
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unterscheiden. Das eine, das in uns bei der Aussprache eines einzelnen Wortes entsteht, das andere, das bei der Aussprache irgendeiner Wortverbindung mit diesem Wort entsteht. Es ist sehr wahrscheinlich, daß das erste nur eine Abstraktion von der unendlichen Anzahl der zweiten ist. Aber statisch ist es nicht, denn es existiert, es ist keine ,Abstraktion', die unseren wissenschaftlichen Überlegungen entspringt, es ist eine real existierende psychologische Tatsache. Und es kann sogar entgegen dem Wirklichen als Primärwesen dargestellt werden, und die konkreten Bilder der Wörter und Wortverbindungen können als Modifikationen dieses Wesens dargestellt werden." Die Dichotomie virtuelles/aktuelles Wortzeichen charakterisiert das Wort nicht nur vom Standpunkt der Wechselbeziehungen zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen, sie deckt auch eine Reihe weiterer Gegenüberstellungen auf: Allgemeines und Konkretes, Potentielles und Reales, Unveränderliches und Veränderliches. Die Begriffe „virtuell" und „aktuell" weisen auf unterschiedliche Wortmodifikationen hin und begrenzen das Wort bezüglich seiner Tätigkeitsbereiche: das virtuelle Zeichen bezieht sich auf das nominativ-klassifikatorische System der Sprache, es determiniert das semantische Potential und die lexikalische Valenz, die aktuell in einer syntagmatischen Reihe realisiert wird. Das virtuelle Sprachzeichen bezeichnet in seiner Relation zum Sprecherkollektiv das allgemeine, überindividuelle Zeichen und ist dem konkreten, semantisch aktualisierten Wort'in der Kommunikation gegenübergestellt. Das objektiv-subjektive Wesen der Sprache setzt voraus, daß das Wortzeichen allgemein ist und nicht von dessen individuellem Gebrauch abhängt. Das virtuelle Zeichen dient daher als eine objektive Restriktion für die semantischen Wortgrenzen, die für das wechselseitige Verständnis innerhalb einer bestimmten menschlichen Gemeinschaft notwendig sind. Betrachtet man das Wort vom Standpunkt seiner synchronischen und historischen Funktionsweise, dann kann man den Begriff „virtuell" als nicht veränderlich, als beständig ansehen im Gegensatz zum aktuellen, semantisch realisierten Wort, das flexibel und veränderbar ist. Auf diese Besonderheit hat bereits HUMBOLDT (1963: 449) hingewiesen. Bei HUMBOLDT ist schon implizit der Gedanke von der zweifachen Existenzweise des Wortes ausgedrückt, von der unersetzbaren Eigenschaft der Wortzeichen, Entitäten des Sprachsystems und der Kommunikation zu verbinden, einem Sprecherkollektiv die Möglichkeit zur selbständigen, schöpferischen Begriffsbildung zu geben, wenngleich durch eine bestimmte, durch das Sprachsystem vorgeschriebene Art, durch die primäre lexikalische Nomination. KARCEVSKI (1965: 85) schreibt, daß sich die Sprache zwischen zwei Polen bewegt, die man als den allgemeinen und individuellen, als den abstrakten und konkreten bezeichnen kann, wodurch sprachliche Entitäten notwendigerweise einen virtuellen, allgemeinen Charakter haben, damit die Sprache unabhängig vom Individuum bleibt. „Die Natur des sprachlichen Zeichens muß zugleich unver-
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änderbar und flexibel sein. Das Zeichen, das für eine konkrete Zeichenverwendungssituation bestimmt ist, verändert sich nur partiell: es ist notwendig, daß das Zeichen dank der Konstanz bestimmter anderer Teile mit sich selbst identisch bleibt." Aus dieser fundamentalen Eigenschaft der Wortzeichen leitet sich folgender Schluß ab: die grundlegende Gesetzmäßigkeit der Funktionsweise der Wortzeichen ist die semantische Aktualisierung des virtuellen (potentiellen) Wortes. Die semantische Aktualisierung nimmt die Form der Bedeutungsgliederung im Sprachsystem und in der Kommunikation an, sie nimmt die Form der semantischen Expansion des Wortes in der Syntagmatik an. Die Relationen zwischen den zwei Modifikationsformen des Wortes, die auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen stehen, hat PESKOVSKU durch die Opposition „Wort-Typ" vs. „Wortglied" (slovo-tip/slovo-clen) ausgedrückt. Die Existenz des Wortes in zwei Modifikationsweisen, die sowohl die synchrone als auch die historische Wortidentität gewährleisten, sind die reale Form der Wortexistenz im Sprachsystem und die fortwährende Funktionsbedingung bzw. Gebrauchsbedingung in der Kommunikation. Es ist gerade diese Besonderheit des Wortes, die der anthropozentrischen Natur der Sprache am vollständigsten gerecht wird, die der Möglichkeit und Notwendigkeit der Sprachträger entspricht, sich die Systemmittel derjenigen Sprache ständig anzueignen, die sie sprechen. „Um die Eindrücke der äußeren Wahrnehmung zu verarbeiten, muß der Mensch jeden einzelnen Eindruck im Wort objektivieren und das Wort in einen Zusammenhang mit anderen Wörtern bringen. Das Sprechen, die Kommunikation, ist untrennbar mit dem Verstehen verbunden, und der Sprechende, der empfindet, daß das Wort zum Verstehen gehört, nimmt gleichzeitig an, daß Wort und Vorstellung nicht nur diesem angehören, weil das, was der Sprecher versteht, folglich ihm auch selbst gehört." (POTEBNJA 1 9 1 3 : 1 1 5 ) Ein Ignorieren dieser Wortzeichenbesonderheit führt zu zwei Extremen: erstens zu einer Beschreibung des Wortschatzes als statisches, summarisches System, zu einer Wortnomenklatur; zweitens dazu, daß ausschließlich die Wortkombinatorik untersucht wird, d. h. die syntagmatischen (syntaktischen, seltener die phraseologischen und lexikalischen) Wortverbindungen. Die Vertreter des ersten Standpunkts reduzieren die Wortbedeutung auf ein statisches, unveränderliches Konzept (significatum), das an einen Zeichenkomplex gebunden ist, oder auf die Korrelation zwischen dem Wort, der Welt und der „Erfahrung" (designatum). Durch die Hypertrophierung und Verabsolutierung der nominativen Funktion der Zeichen werden die Bedeutungsveränderungen der Wörter ausschließlich in den Bezeichnungsveränderungen gesehen. In Untersuchungen dieser Art wird nur der Gegenstands- und Begriffsbezug des Zeichens berücksichtigt, nur die sogenannte qualitative Seite des Zeichens. Der quantitative Aspekt, d. h. „die
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semantische Expansion eines polysemen Wortes", die die Bedingungen für die Sekundärbenennungen der Wortzeichen in der Kommunikation, für die Aktualisierung eines virtuellen Zeichens in einer linearen Reihe schafft, wird völlig ignoriert. Die Verfechter des zweiten Standpunktes betrachten demgegenüber die Wortbedeutung im System als eine Funktion 15 und reduzieren das Wesen des Zeichens auf dessen Kombinatorik und die Wortbedeutung auf deren Gebrauch in einer syntagmatischen Reihe. Sie lassen die nominative Wortbedeutung im System sowie deren paradigmatische Relationen unberücksichtigt.
3.1.5. Die drei Dimensionen der lexikalischen
Semantik
Wie bereits oben deutlich gemacht wurde, setzt sich der Wortinhalt eines autosemantischen Wortzeichens aus semantischen Merkmalen unterschiedlicher Abstraktionsstufen zusammen: (1) aus der grammatischen Bedeutung, (2) aus den Merkmalen semantischer Kategorien und Subkategorien und (3) aus der individuellen lexikalischen Bedeutung. Unter dem gnoseologischen Aspekt haben wir die Zeichenbedeutung eines Wortes als Gegenstands-Begriffs-Bezug, als Gegenstands- oder als reinen Begriffsbezug definiert, der das Zeichen konstituiert. Das Wortzeichen besitzt sowohl einen nominativen Wert, d. h. die Fähigkeit, Gegenstände und Erscheinungen der objektiven Realität zu benennen und die entsprechenden Begriffe zu bezeichnen, als auch einen syntagmatischen Wert, d. h. die Fähigkeit, in der Syntagmatik bestimmte Verbindungen einzugehen. Das Wort besitzt im nominativ-klassifikatorischen System der Sprache eine direkte nominative Bedeutung, die Zeichenbedeutung genannt werden kann, da sie das betreffende Wortzeichen konstituiert. Wie dem Wort sind auch der Wortbedeutung zwei strukturelle Organisationsprinzipien eigen — das paradigmatische und das syntagmatische. Durch die paradigmatischen Relationen der Wortzeichen werden im System Ähnlichkeiten und Unterschiede in Form differenzierender Merkmale oder allgemeiner semantischer Multiplikatoren (mnozitel'i) hergestellt, der sogenannte systeminterne Wert (valeur). Die syntagmatischen lexikalischen Zusammenhänge des Wortes dienen als grundlegendes Mittel der semantischen Aktualisierung, der Entfaltung der virtuellen Zeichen, als Form und Bedingung der wortinternen Abgrenzung der lexikalischen Semantik. In der Syntagmatik werden nicht selten neue semantische Werte 15
Siehe dazu HJELMSLEV (1961: 45): The so-called lexical meanings in certain signs are nothing but artificially isolated contextual meanings or artificial paraphrases of them. In absolute isolation no sign has any meaning."
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geschaffen, die in bezug auf die Systembedeutungen besondere „Bedeutungsschattierungen" darstellen oder einen neuen Sinn erzeugen, der sich aus der Verbindung aus zwei oder mehreren Wörtern ergibt. Vom Standpunkt des Sprachstatus aus betrachtet setzt sich der semantische Inhalt der Wortzeichen im Sprachsystem aus der nominativen Bedeutung (absolute Größe), dem Wert, der sich in den paradigmatischen Wortrelationen zeigt, und dem Sinn zusammen, der in der Syntagmatik entsteht (relative Entitäten). Was ist unter Zeichenbedeutung zu verstehen? Vor allem das, wodurch das Zeichen konstituiert wird. Die Zahl der Definitionen der Zeichenbedeutung variiert in Abhängigkeit davon, welche Sprachfunktion, welches Element der Semiose als Definitionsgrundlage gewählt wird. Gemeinsam ist allen Definitionen, daß die Zeichenbedeutung ein bestimmtes Element der Zeichenrepräsentation oder die Relation zwischen den Konstituenten der Semiose darstellt: das Zeichen, der bezeichnete Gegenstand, genauer der Benennungsgegenstand (Denotat), der Begriff (Signifikat), der Sprecher und der Hörer. Die Bedeutung wird entweder als eine ideelle Größe, als Substanz definiert, oder als Relation zwischen den Elementen der Zeichensituation. Die Definitionen, die von einer substantiellen Bedeutungsauffassung ausgehen, differieren in Abhängigkeit davon, was unter Substanz verstanden wird, die Gegenstandsbenennung oder die verallgemeinerte Widerspiegelung der Merkmale und Eigenschaften der Gegenstände in Form der Begriffe. Nicht selten wird die Bedeutung der Wortzeichen funktional verstanden, d. h., als Bedeutung eines sprachlichen Elements wird diejenige Funktion angesehen, die dieses Element im System erfüllt. Bei einem so weiten Bedeutungsbegriff kann jede Funktion eines Elements als Zeichenbedeutung und jedes beliebige Graphem als Zeichen betrachtet werden. Nach einer anderen Auffassung des Funktionsbegriffs wird die Zeichenbedeutung als Relation verstanden zwischen (a) (b) (c) (d) (e) (f)
den beiden Seiten des Zeichens dem Bezeichnenden und dem Begriff dem Bezeichnenden und dem benannten Gegenstand Zeichen innerhalb des Systems (paradigmatischer Wert) Zeichen einer linearen Reihe (syntagmatischer Sinn) Sprache und Tätigkeit bzw. Verhalten der Menschen (operationale Bedeutungsauffassung) (g) Sprecher und Hörer (pragmatische Bedeutungsdefinition in Termen von Stimulus-Reaktion). Paradigmatik und Syntagmatik der Wortzeichen erzeugen als die zwei Arten ihrer innersprachlichen Zusammenhänge und Relationen eine große Zahl neuer Entitäten, die ihrem Charakter nach relativ sind und ausschließlich die systeminterne
Wortschatzbeschreibung mittels Systemmethode
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Organisation und den Wortgebrauch manifestieren. Das Bemerkenswerteste in der natürlichen Sprache ist, daß die lexikalische Semantik eine dritte Dimension besitzt, eine epidigmatische Dimension (SMELEV 1973). Das Ergebnis der synchronischen und diachronischen Funktionsweise des Wortes ist die Entstehung neuer semantischer Entitäten eines bestimmten Wortes durch Sekundärbenennungen, die auf der Grundlage der direkten nominativen Bedeutung dessen Sinnstruktur konstituieren. Die Definition der lexikalischen Bedeutung mit Hilfe des Begriffs „Sinnstruktur bzw. semantische Struktur" erlaubt es, den scheinbaren Widerspruch zwischen der virtuellen und aktuellen Wortbedeutung zu überwinden, weil die Definition des Begriffs „semantische Struktur" sowohl den Referenzbezug als auch die strukturellen Eigenschaften berücksichtigt. Dies zieht erstens eine Grenze zwischen dem Lexikalischen und Grammatischen im Wort, zweitens weist es auf den engen wechselseitigen Zusammenhang zwischen den grammatischen Formen und dem lexikalischen Inhalt polysemer Wörter hin. Schließlich erlaubt eine Definition der lexikalischen Bedeutung durch den Begriff der semantischen Struktur ein Sichtbarmachen der sprachlichen Mittel, die der sprachinternen Abgrenzung des Wortinhalts dienen, sie erlaubt es somit, diesen als Prozeß der Bedeutungsvariation des Wortes zu betrachten. 3.1.6. Eine spezifische und unikale Eigenschaft der Sprache als Zeichensystem ist die Asymmetrie des sprachlichen Zeichens. Die bezüglich des Umfangs komplexere und bezüglich der strukturellen Organisation mehrdimensionale Inhaltsseite der Sprache hat keine 1:1-Entsprechung zu den Einheiten der sprachlichen Ausdrucksseite. Es ist hinreichend bekannt, daß zwischen der Bedeutung und der Lautform, zwischen Inhalt und Ausdruck keine Parallelität besteht, d. h., die Asymmetrie des Wortzeichens findet in der Linguistik eine unterschiedliche Interpretation und demzufolge auch eine unterschiedliche Benennung (Polysemie, Homonymie, Synonymie, Polylexie, Synkretismus u. a.). Die Asymmetrie des Wortzeichens wird am offenkundigsten in der Gegenüberstellung der beiden Modifikationsweisen — des virtuellen und aktuellen Wortes. In der Ausdrucksseite ist der Prozeß des Sprechens (aktualisierte Zeichen) zeitlich geregelt : die lineare Phonemfolge ist eine zeitliche Folge, in dem Bezeichneten des aktuellen Zeichens fehlt demgegenüber der Zeitfaktor. Beim virtuellen Zeichen, in der Paradigmatik, im Lexikon als System nominativer Einheiten hat die Ausdrucksseite keinen Zeitbezug, die Inhaltsseite (die Bedeutungen der Wortschatzeinheiten) hat kumulativen Charakter, d. h., die Inhaltsseite erscheint bei jedem synchronen Schnitt als Ergebnis der historischen Entwicklung, als Summe von Bedeutungen, die den Bedeutungsumfang, die die semantische Struktur des betreffenden Wortes konstituieren. Für die asymmetrischen Wortzeichen stellt die lineare Diskretheit des Bezeich-
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nenden neben der globalen Struktur und der zeitlichen Kontinuität des Bezeichneten ein Charakteristikum dar. Im Unterschied zu Zeichen rein konventioneller Systeme, in denen einem Bezeichnenden in der Regel genau ein Bezeichnetes entspricht, sind die beiden Seiten des Wortzeichens auf eine andere Art korreliert: ein Bezeichnendes — mehrere Bezeichnete oder umgekehrt mehrere Bezeichnende — ein und dasselbe Bezeichnete. Die Asymmetrie der Wortzeichen drückt sich in dem differenzierenden Charakter der beiden Seiten sowie in der ungleichen Gliederung des Bezeichnenden und des Bezeichneten in Elemente aus (BULYGINA 1967b und 1967c). Jede Seite des Zeichens besitzt ihr eigenes Gliederungs- und Organisationsprinzip. Das Wesen der Asymmetrie des Wortzeichens im System wie auch bei dessen Verwendung in der Kommunikation besteht darin, daß jedes autosemantische Wortzeichen (charakterisierende Zeichen) auf Grund allgemeiner (identifizierender) und differenzierender Merkmale gleichzeitig mit anderen Zeichen identifiziert und durch irgendetwas notwendigerweise von diesen unterschieden werden kann. 4. Systemmethode und praktische 4.1. Einföhrende
Wortschatzbeschreibung
Bemerkungen
Das ständige wissenschaftliche Interesse am Wort sowie dessen allseitige und tiefgründige Untersuchung sind ein Wesensmerkmal der russischen sprachwissenschaftlichen Tradition. Bereits in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts, als sich die Semasiologie als eine selbständige Wissenschaftsdisziplin herausbildete, unterschied sich die Semasiologie in Rußland durch die zahlreichen semantischen Beobachtungen POTEBNJAS ( 1 8 8 8 ; 1 8 8 9 ; 1 9 1 3 ) , durch die originären Ansichten FORTUNATOVS und BAUDOUIN DE COURTENAYS wie auch durch die programmatischen Arbeiten POKROVSKIJS ( 1 8 9 5 ; 1 8 9 7 ; 1898) grundlegend von der Semasiologie in Westeuropa. Im Unterschied zur westeuropäischen Sprachwissenschaft am Ausgang des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die sich ausschließlich mit den Inhaltsveränderungen isolierter Wörter sowie mit der Klassifikation assoziativer Wortverbindungen befaßte, war die russische Semasiologie seit ihrem Entstehen eine historische Wissenschaft, die sich bereits damals die Aufgabe gestellt hatte, die Bedingungen und Gesetzmäßigkeiten der semantischen Entwicklung ganzer Wortreihen und Wortgruppen zu ermitteln. Es war bemerkenswert, daß semantische Veränderungen wie auch die Funktionsweise des Wortes nicht nur in ihrem Zusammenhang mit den äußeren Faktoren, die diese bedingen (Geschichte der Kultur, Geschichte des Volkes), untersucht wurden, sondern auch im Zusammenhang mit den inneren, rein sprachlichen
Wortschatzbeschreibung mittels Systemmethode
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Bedingungen, besonders unter dem Aspekt des Zusammenhangs zwischen dem Lexikalischen und Grammatischen in der Sprache und im Wort (POKROVSKIJ 1898; POTEBNJA 1864). Eine andere wichtige Quelle für die Entwicklung der theoretischen Lexikologie war die reiche Wörterbuchtradition, die nach 1917 einsetzte und bis in die 40er und 50er Jahre andauerte. An dieser Stelle sei nur auf so bedeutende Lexikologen und Lexikographen wie SÖERBA, VINOGRADOV, USAKOV, ISTRINA, ABAEV, BARCHUDAROV, OZEGOV, FILIN, LARIN, SMIRNICKIJ, ACHMANOVA, EVGEN'EVA U. a. verwiesen, die beweisen, daß die theoretischen Grundbegriffe der sowjetischen Lexikologie das Ergebnis einer umfassenden Arbeit mehrerer Wissenschaftlergenerationen darstellen, die sich systematisch mit Wortschatzuntersuchungen befaßten. Die wichtigste Quelle für die Entwicklung der lexikologischen Theorie, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts herausbildete, waren die Arbeiten BAUDOUIN DE COURTENAYS (1963), SCERBAS (1931; 1936; 1940) und PESKOVSKIJS (1925; 1928). Diese Entwicklung wurde durch die zahlreichen Arbeiten VINOGRADOVS (1944; 1945; 1947b; 1951a; 1951b und 1956) und seiner Nachfolger vollendet. In den 50er Jahren wurde in der sowjetischen Lexikologie die Untersuchung des Wortes als grundlegende bilaterale Einheit des Sprachsystems in der Synthese ihrer formalen und inhaltlichen Aspekte als grundlegende linguistische Aufgabe auf die Tagesordnung gestellt. Die Auffassung vom Wort als einer inhaltlichen und formalen Einheit unterschiedlicher „Formen", d. h. der grammatischen (Wortformen), lexikalischen (morphophonologische und etymologische Wortvarianten), stilistischen (vom Typ gorod/grad), lexikalisch-syntaktischen (Alternation der Adverbien/Präpositionen:
itti
vperedi/itti
vperedi
kogo-libo
,vorangehen') und der
lexikalisch-
phraseologischen Form (lexikalisch-semantische Wortvarianten), ermöglichte es, über das Wort als zentrale Einheit des Sprachsystems alle übrigen Teilsysteme der Sprache zu untersuchen und zu modellieren, insbesondere aber das lexikalischsemantische Teilsystem. Damit wurden erstmals die Probleme „Vereinzelung" und „Identität" des Wortes (VINOGRADOV 1953b; SMIRNICKIJ 1952; 1954; ACHMANOVA 1954; 1957; UFIMCEVA 1962) aufgeworfen und einer Lösung näher gebracht und die Begriffe „phonologische und grammatische Wortvarianten" eingeführt (ACHMANOVA 1958; LEVKOVSKAJA 1962; FILIN 1963; REFORMATSKIJ 1963; SKORIK 1963; ZIRMUNSKIJ 1963). Die vollständigste und umfassendste Behandlung des Problems der unterschiedlichen Wortvarianten findet sich in der Monographie ACHMANOVAS (1957), in der jeder Variationsart ein spezielles Kapitel gewidmet wird. Das Vorkommen differenzierender und integraler Elemente sowohl im Wortinhalt als auch im Formbestand des Wortes, d. h. das Vorkommen „absoluter und relativer Parameter" impliziert riesige Möglichkeiten für die Wortvariation in bezug auf
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A. Ufimceva
(1) die lexikalische Bedeutung (lexikalisch-semantische Varianten); (2) das Bezeichnende des Wortzeichens (phonetische, morphophonologische und orthographische Wortvarianten); (3) die grammatische Bedeutung (morphologische Varianten, sogenannte Wortformen) ; (4) den Verwendungsbereich (stilistische, dialektale und soziale Varianten); (5) die Herkunft (etymologische Varianten, Dubletten). Eine deutliche Behandlung finden diese Probleme in der Monographie „Semanticeskoe i formal'noe var'irovanie" (1979). Wir werden uns im folgenden speziell mit dem Wesen und den Bedingungen der lexikalisch-semantischen Variation des Wortes, d. h. mit Bedeutungsvariationen des Wortes befassen.
4.2. Lexikalisch-semantische
Variation des Wortes
Als ergebnisreichste Richtung bei der Anwendung der Systemmethode auf die Beschreibung der lexikalischen Bedeutung, aus der zugleich ein bedeutender Beitrag für die Weiterentwicklung der Theorie der allgemeinen Lexikologie16 resultierte, erwies sich die Untersuchung der fundamentalen semasiologischen Kategorie — der lexikalischen Bedeutung als Prozeß und Ergebnis der semantischen oder — was dasselbe ist — der lexikalisch-semantischen Variation des Wortes. Den Untersuchungsgegenstand bilden Fragen der synchronen und historischen Identität des Wortes, die bereits in der russischen Sprachwissenschaft auf die Tagesordnung gestellt wurden und dann durch VINOGRADOVS Arbeiten eine Lösung vom Standpunkt der materialistischen Wortauffassung gefunden haben. In dem 1944 erschienenen theoretischen Aufsatz „Über die Wortformen" schrieb VINOGRADOV: „Das, was man traditionell als unterschiedliche lexikalische Bedeutungen eines Wortes aufgefaßt hat, kann von einem anderen Standpunkt aus auch als lexikalisch-phraseologische Formen des Wortes betrachtet werden." (S. 43). Wenn man an die lexikalischen Fakten lexikozentristisch herangeht, d. h. vom Wort zum Text und das Wort als Einheit seiner unterschiedlichen Formen (der phonetischen, grammatischen, lexikalisch-phraseologischen, lexikalisch-syntaktischen und stilistischen Form) definiert, dann geben wir dem Terminus SMIRNICKIJS „lexikalisch-semantische Variante des Wortes" den Vorzug gegenüber VINOGRADOVS Terminus „lexikalisch-phraseologische Wortform". Die Ersetzung des einen Terminus durch einen anderen war nicht nur dadurch notwendig, daß die „Mehrdeutigkeit des Terminus ,Form' zu einer Reihe von Mißverständnissen führte" (VINOGRADOV 1947a: 31), sondern auch deshalb, weil der Terminus ,lexikalisch-phraseologische Wortform' eine Bedeutung hat, die „der lexikalischen 16
Siehe dazu die Einschätzung über die sowjetische Lexikologie, die
WEINREICH
(1963a) gibt.
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Wortschatzbeschreibung mittels Systemmethode
Wortbedeutung" gleicht, sobald sie anderen Wortformen gegenübergestellt wird, d. h. der phonetischen, den morphophonologischen u. a. Wenn die Inhaltsseite des Wortes untersucht wird, dann führt der Begriff „lexikalisch-phraseologische Form" theoretisch zu Verwirrungen und erschwert somit die Definition der Bedeutungsstruktur des Wortes als konstante Reihe lexikalisch-semantischer Wortvarianten in deren Einheit. Wie sind die beiden Hauptkategorien, die beiden Organisationsformen der Wortbedeutung im Sprachsystem zu bestimmen, als lexikalisch-semantische Wortvariante oder als Bedeutungsstruktur des Wortes?
4.2.1. Der Begriff der lexikalisch-semantischen
Wortvariante
Lexikalisch-semantische Wortvarianten, werden jene Varianten genannt, die sich durch ihre lexikalischen Bedeutungen unterscheiden, wobei der Bedeutungsunterschied nicht durch deren lautliche Hülle ausgedrückt wird. Das russische Adjektiv sovremennyj hat zwei lexikalisch-semantische Varianten: (1) gegenwärtig, (2) gleichzeitig mit jmdn. bzw. mit etwas; das Substantiv den' hat demgegenüber drei lexikalisch-semantische Varianten (im folgenden LSV): (1) der helle Teil des 24-Stundentages; Nahrung nimmt der Mensch gewöhnlich am Tage ein\ (2) ,sutok\ 24 Stunden, d. h. von Mitternacht bis Mitternacht; die Woche hat sieben Tage; (3) der Arbeitstag — ich bekomme 10 Rubel am Tag. Wenn wir von der lexikalisch-semantischen Variation sprechen, dann haben wir die wortinternen Unterschiede sowie die sprachlichen Mittel zur Aufhebung der Asymmetrie des sprachlichen Zeichens in der betreffenden Sprache im Auge. Man könnte annehmen, daß es sich hier um die bekannte Erscheinung der Polysemie und deren Lösung handle. Vom Standpunkt der Natur sprachlicher Erscheinungen aus betrachtet, genauer gesagt von der semantischen Nichtgliederbarkeit des Wortinhalts eines virtuellen Sprachzeichens aus wäre dies ein und dieselbe Erscheinung. Die Beschreibung des Wortinhalts in Termen des traditionellen Polysemiebegriffs sowie in Termen der lexikalisch-semantischen Variation ist nicht dasselbe, es handelt sich vielmehr um zwei unterschiedliche Modellierungsweisen der lexikalischen Semantik. Die Beschreibung der Mehrdeutigkeit des Wortes geschieht traditionell ausschließlich auf der Grundlage der Gliederung des logisch-gegenständlichen Inhalts sowie der assoziativen Wortverbindungen in „Einzelbedeutungen" als kleinste unilaterale Einheiten des Inhalts, die ausschließlich intuitiv, häufig sogar subjektiv ausgegrenzt werden.
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Eine Definition der lexikalischen Bedeutung, die allein auf dem Referenzbezug des Wortes basiert, sowie eine Auffassung, nach der die semantische Struktur des Wortes als ein Netz assoziativer Begriffsbeziehungen und deren Merkmale verstanden wird, erlaubt es nicht nur nicht, die Lexik als Strukturebene der Sprache zu beschreiben, sondern führt die Semasiologie wie schon früher über den Rahmen einer linguistischen Disziplin hinaus, sie macht sie zu einer Disziplin, deren Gegenstand und Methoden ausschließlich durch extralinguistische Faktoren determiniert werden. Mit der Anwendung der System- und Strukturmethode auf die Beschreibung der Lexik wird die lexikalische Bedeutung auf eine völlig neue Weise bestimmt. „Die Wortbedeutung wird nicht nur als Entsprechung zwischen dem Wort und dem Begriff definiert, der mit Hilfe dieses Wortes ausgedrückt wird (z. B. dvizenie Bewegung, razvitie Entwicklung, jazyk Sprache, obscestvo Gesellschaft, zakon Gesetz u. a.), die Wortbedeutung hängt von den Eigenschaften derjenigen Wortart ab, von jener grammatischen Kategorie, der das Wort angehört. Sie hängt ferner von den gesellschaftlich anerkannten Kontexten des Wortgebrauchs ab, von den konkreten lexikalischen Zusammenhängen mit anderen Wörtern (Hervorhebung von uns — A. U.), von den sprachspezifischen, d. h. einer Sprache eigenen gesetzmäßigen Verbindungen der Wortbedeutungen, von den semantischen Relationen zu den Synonymen und zu den sich in der Bedeutung und Bedeutungsschattierung gleichenden Wörtern, von der expressiven und stilistischen Wortfärbung." (VINOGRADOV 1953 b: 6). Diese allumfassende und zugleich konkrete Definition, die auf jede Sprache anwendbar ist und die Spezifik der Entstehungs- und Existenzbedingungen der Wortbedeutungen in jeder konkreten Sprache widerspiegelt, ordnet die lexikalische Bedeutung den sprachlichen Kategorien zu. Die Wortbedeutung wird durch drei Hauptfaktoren bestimmt: (1) durch den logisch-gegenständlichen Inhalt, der an eine bestimmte Wortzeichenform gebunden ist; (2) durch die Gesetzmäßigkeiten und Besonderheiten der grammatischen Mittel, durch die der logisch-gegenständliche Inhalt gebildet, realisiert und wiedergegeben wird; (3) durch die korrelativen Beziehungen zwischen dem Wort und dem semantischen System des Wortschatzes überhaupt, dessen Element die Bedeutung ist. Wie gründlich und detailliert auch immer wir die Begriffsseite isoliert von den rein sprachlichen Fakten untersucht haben, die die lexikalische Bedeutung konstituieren, es ist unmöglich, das Wichtigste aufzudecken, das, was die Begriffsseite der Wörter konstituiert und nach dem Charakter der materiellen Gegenstände selbst sowie nach den gesellschaftlich-historischen Erfahrung den Menschen differenziert. Es kann ferner nicht gezeigt werden, wodurch die „Verwandlung" eines Begriffs in die Bedeutung eines bestimmten Wortes, in ein Ele-
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ment des semantischen Systems der jeweiligen Sprache auf einer bestimmten Etappe seiner Entwicklung determiniert wird. Was die beiden anderen Faktoren betrifft, die den Systemcharakter und die Spezifik des sprachlichen Ausdrucks der lexikalischen Bedeutung bestimmen, so spielen sie die wichtigste Rolle, da sie einen Begriffsinhalt in Wort- und Wortverbindungsformen kleiden, die auf Grund der ihnen zugrunde liegenden semantischen und semantisch-syntaktischen Zusammenhänge im Sprachsystem zulässig sind. Ein solches Herangehen an das Wesen der lexikalischen Bedeutung ermöglicht es, auf eine völlig andere Weise die semantische Struktur des Wortes zu modellieren, insbesondere wird es damit möglich, das Wort in seiner individuellen lexikalischen Bedeutung in minimale bilaterale lexikalische Einheiten zu gliedern — in lexikalisch-semantische Wortvarianten. „Die Unterschiede zwischen den lexikalisch-semantischen Wortvarianten werden nicht in deren Lautform reflektiert, in einer sehr großen Zahl werden sie entweder in dem unterschiedlichen syntaktischen Bau oder aber in der unterschiedlichen Vereinbarkeit des Wortes mit anderen widergespiegelt, in den phraseologischen Besonderheiten oder aber an einer ganz anderen Stelle" (SMIRNICKIJ 1954a: 37). Diese Kontextmittel der wortinternen Abgrenzung hat VINOGRADOV eingehend untersucht, neben den „lexikalisch-phraseologischen Wortformen" sprach er von den „lexikalisch-syntaktischen Zusammenhängen der Wörter" als Mittel, die in der Lage sind, eine Grenze zwischen den einzelnen LSV eines Wortes zu ziehen. Mit der Differenzierung der kleinsten bilateralen lexikalischen Einheiten, der lexikalisch-semantischen Varianten, wurde die Voraussetzung für eine „Formalisierung", d. h. für die sprachliche Markierung der Grenzen der wortinternen semantischen Variation und damit für die systemhafte Beschreibung der Lexik als Strukturebene der Sprache geschaffen. Als äußeres Kennzeichen der lexikalisch-semantischen Varianten sowie der Grenzen zwischen ihnen sind die Besonderheiten im Bestand sowie im Gebrauch der jeweiligen lexikalischen Einheiten und deren grammatische Form in Abhängigkeit von der lexikalischen Bedeutung zu verstehen. Als Beispiele wollen wir uns die beiden LSV des Wortes stol ansehen, die ausschließlich durch die Bedeutung der mit ihnen verbundenen Adjektive abgegrenzt werden: dubovyj stol (Eichentisch) molocnyj stol (Milchspeise). Als spezifische Mittel, die in einer Sprache zum semantischen „Bewußtwerden" des Wortes in dieser oder jener LSV benutzt werden, können folgende angesehen werden:
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(1) semantischer Wert; (2) lexikalische Kollokabilität, d. h. die Gesamtheit der semantisch mit einem Wort vereinbaren Wörter; (3) syntaktische Vereinbarkeit; (a) Modell der Sinnzusammenhänge; (b) syntaktischer Konstruktionstyp; (c) syntaktische Position des semantisch realisierten Wortes; (4) paradigmatische Relationen; systemhafte Gegenüberstellungen (Antonymie, Synonymie, Hyponymie, Wortbildungs- und lexikalisch-semantische Wortparadigmen); (5) Form des Wortzeichens: unterschiedliche Wortformen, die den semantischen Wert eines Wortes realisieren oder abgrenzen. Nicht zufällig hat VINOGRADOV (1944: 39) das Wort als „System koexistenter, sich wechselseitig bedingender und funktional integrierter Formen verstanden, von denen jede mit den durch die Sprachstruktur determinierten Gebrauchskontexten verbunden ist". Mit der Auffassung der lexikalischen Bedeutung des Wortes als Prozeß und Ergebnis der Variation seiner direkten nominativen Bedeutung wurde die Enge traditioneller lexikalischer Bedeutungsdefinitionen überwunden, nach denen die Bedeutung ausschließlich als Referenzbezug bestimmt wurde. Die lexikalische Bedeutung eines Wortes, eines Lexems, d. h. die Bedeutung eines Wortes in der Gesamtheit ihrer lexikalisch-semantischen Varianten, stellt eine bestimmte historisch entstandene Struktur wortinterner semantischer Werte dar, die sich nicht nur durch die Zeichenform auszeichnet, sondern auch durch die Mittel der anderen Ebenen der Sprache, durch die morphologische Wortform, durch das syntaktische Modell, die syntaktische und semantische Position des Wortes und die lexikalische Kollokation (den phraseologischen Kontext). Betrachten wir als Beispiel die beiden LSV des englischen Substantivs wood, die durch die Pluralform abgegrenzt werden: wood (Holz) — woods (Wald); die LSV des englischen Verbs stop werden durch unterschiedliche syntaktische Konstruktionen abgegrenzt; to stop somebody (jmdn. anhalten) — to stop doing something (aufhören, etwas zu tun) — to stop to do (aufhören, um etwas zu tun) (vgl. UFIMCEVA 1968 b : 8 2 - 1 1 2 u n d 2 0 0 - 2 4 4 ) .
Aus der Begriffsbestimmung der LSV als kleinste bilaterale lexikalische Einheit folgt, daß folgende drei Faktoren bei der Untersuchung der lexikalisch-semantischen Variation des Wortes relevant sind: (1) semantische Struktur des Wortes; (2) System-/Nicht-Systemkontext als notwendige Bedingung für die Abgrenzung des virtuellen Wortes von lexikalisch-semantischen Varianten; (3) lexikalisch-semantische Ebene des Wortes (Ebene der gegliederten lexikali-
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sehen Bedeutung), die das lexikalisch-semantische Teilsystem der Sprache konstituiert. Jeden dieser Begriffe wollen wir im folgenden kurz charakterisieren:
4.2.2. Der Begriff „semantische Struktur des Wortes"
Die Definition der lexikalischen Bedeutung durch das Erschließen der semantischen Struktur des Wortes ermöglicht es, folgende, bei der Analyse konkreter lexikalischer Einheiten häufig aus dem Blickfeld des Forschers verschwindende Faktoren zu berücksichtigen: (1) die gesellschaftlich anerkannten, überindividuellen systematischen Gebrauchskontexte des Wortes; (2) die Zugehörigkeit eines Wortes zu einer bestimmten semantischen und lexikalisch-grammatischen Wortreihe; (3) die konkreten lexikalischen Zusammenhänge, der Systemvorrat lexikalisch verbindbarer, d. h. gemeinsam vorkommender Wörter; (4) die inhaltlichen (in bezug auf den logisch-gegenständlichen Inhalt) und funktionalen Wechselbeziehungen zwischen Wörtern und Synonymen im Sprachsystem. Eine objektive Schwierigkeit bei der Erarbeitung einer Methodik für die Beschreibung der lexikalisch-semantischen Variation sowie für die Bestimmung der semantischen Struktur lexikalischer Einheiten besteht darin, daß als semantischer Kontext, der sowohl als Systemkontext als auch als kommunikativer Kontext erscheint, der diese oder jene lexikalisch-semantische Variante realisiert, nicht nur lexikalische, sondern auch grammatische Mittel (morphologische und syntaktische) dienen (vgl. AMOSOVA 1963: 36—56).
Die semantische Struktur des Wortes zu bestimmen heißt erstens, die Ordnung der inneren Verkettung und der Koordination heterogener Bedeutungselemente (Werte) im Wort sichtbar zu machen; zweitens zu ermitteln, durch welche sprachlichen Mittel die wortinterne semantische Abgrenzung der lexikalisch-semantischen Wortvarianten realisiert wird, das heißt, den Typ des semantischen (System-)Kontextes zu bestimmen, den Bereich lexikalisch kollokabler Wörter, der Kollokationsmodelle, das heißt aber auch, den Platz und die Rolle jeder LSV im lexikalisch-semantischen System der Sprache anzugeben. In jeder historischen Periode gibt es in der Struktur eines Lexems eine Grundbedeutung oder eine grundlegende LSV, die das betreffende Wort zur Grundbezeichnung des entsprechenden Begriffs oder einzelner Merkmale im Sy26
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stem des Wortschatzes macht. Die Zugehörigkeit seiner LSV zur Kategorie des „Grundlegenden" wird auch durch die Formen ihrer sprachlichen Realisierung bedingt: der homogene semantische (lexikalische) Kontext, die freien lexikalischsyntaktischen Verbindungen, weder die Morphologie noch die Syntax legen Grenzen fest. Die grundlegende LSV ist diejenige, die als freie, in einem bestimmten Zeitraum feste nominative Bedeutung als semantisches Zentrum der Derivationsbedeutungen wie auch der Wortbildungsreihen auftritt; in seiner grundlegenden lexikalisch-semantischen Variante ist das Wort in der Regel in einer entsprechenden Synonymenreihe das Stützwort oder der zentrale Wortidentifikator in einer lexikalisch-semantischen Gruppe. Eine solche Auffassung von Grundbedeutung grenzt diese vom Begriff der etymologischen Bedeutung ab und kann daher auch als „produktive" Bedeutung nicht nur in bezug auf die Bedeutungselemente innerhalb eines Wortes bezeichnet, sondern auch in bezug auf die Relation zu den übrigen Wörtern im lexikalisch-semantischen System bestimmt werden. Die Bedeutungsstruktur des englischen Substantivs room kann folgendermaßen repräsentiert werden : auf der höchsten Verallgemeinerungsstufe steht die erste nominative Bedeutung „Raum" bzw. „Platz" allgemein — There is no room for a house, it takes too much room, there is a plenty of room. Auf der zweiten
Stufe der Konkretisierung dieses auf der höchsten Stufe verallgemeinerten Begriffs werden zwei Bedeutungen unterschieden, die einander gegenüberstehen auf Grund des Merkmals der Raumcharakterisierung relativ zum Menschen: 2. make room for me. I would rather have this room than this Company, oder aber nicht in bezug auf den Menschen 3. room for evasion, room for criticism, room for dispute,
room for improvement usw. Auf der letzten Konkretisierungsebene stehen zwei LSV: a good room, his mother's room, to do the room, to sweep the room usw.
auf der Grundlage dieser LSV entstand eine neue Variante, die LSV ,Wohnung', die nur im Plural realisiert wird: to hire rooms. Der Typ der Bedeutungsstruktur des Wortes, der sich auf die verschiedenen lexikalisch-grammatischen und semantischen Reihen bezieht sowie das Begriffsmuster und der Charakter der wortinternen Verbindungen stellen die dominierenden Merkmale des lexikalischsemantischen Systems dar. Der Charakter der semantischen Struktur variiert in Abhängigkeit von der Natur des logisch-gegenständlichen Wortinhalts, von der Zugehörigkeit des Inhalts einer Wortklasse zu einer bestimmten semiologischen Klasse von Wortzeichen (charakterisierende Zeichen, Eigennamen, Appellativa, deiktische Zeichen usw.) sowie in Abhängigkeit vom Funktionsbereich (allgemeingebräuchliche/terminologische Lexik, neutrale/stilistisch gefärbte, literatursprachliche/dialektale Lexik usw.). Eine andere, in den Grundparametern jedoch nicht völlig divergierende Auffassung von der Bedeutungsstruktur findet sich in VINOGRADOV (1963 b), SMELEV (1964; 1973), NIDA (1964), ARNOL'D (1966) u n d NIKITINA (1974).
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4.2.3. Der Begriff, Systemkontext'' als Bedingung für die semantische Variation des Wortes sowie als Mittel für die Abgrenzung der lexikalisch-semantischen Varianten des Wortes Wenn wir von ,Kontext' sprechen, dann meinen wir damit jene sprachlichen Mittel, die die Grenze zwischen zwei oder mehreren LSV eines Wortes im Sprachsystem markieren. Der Vorrat an sprachlichen Mitteln, die die lexikalische Bedeutung variieren und sich von Sprache zu Sprache unterscheiden, bildet ein besonderes lexikalischsemantisches System einer Sprache. Die typischsten Mittel zur Abgrenzung eines Wortes in LSV sind im Englischen beispielsweise syntagmatische Mittel: Modelle der lexikalischen und syntaktischen Vereinbarkeit, die semantische und syntaktische Position eines realisierten Wortes, das ebenso eine conditio sine qua non für die Realisierung des Gedankens wie die lexikalische Kollokation eine notwendige, wenngleich auch nicht immer hinreichende Bedingung für die Abgrenzung und Realisierung der LSV eines Wortes darstellt. Die Existenz zweier Modifikationen des Wortes — des virtuellen und des aktuellen — sowie die Notwendigkeit, die Bedeutung eines realisierten Wortzeichens in einer syntagmatischen Reihe auf andere Wörter zu verteilen, stellen eine Eigenschaft der Wortbedeutung dar. Die lexikalische Kollokation ist daher weniger eine Form zum Ausdruck der neuen Wortbedeutung als vielmehr eine Form zur Realisierung der Werte eines Wortes, die es im Sprachsystem besitzt. Die lexikalische Paradigmatik repräsentiert die strukturell-determinierten semantischen Relationen der Wörter als nominativ-klassifikatorische Ausdrucksmittel der Sprache, sie kann daher als Lexematik des Sprachsystems bezeichnet werden. Die lexikalische Syntagmatik, die den Funktionsbereich der lexikalischen Verbindungen der Wörter in ihrem Gebrauch darstellt, bildet die Lexematik der Kommunikation. 17 Die Paradigmatik macht den nominativen semantischen Wert der Wortzeichen sichtbar sowie die ihr entsprechenden Modelle der semantischen Relationen der Wörter als nominative Einheiten im Sprachsystem. Die Syntagmatik weist demgegenüber auf die konkreten Aktualisierungsformen und Aktualisierungsweisen der Systemmöglichkeiten hin und spiegelt die Realisierungsbedingungen sowie den Realisierungsgrad dieser Potenzen wider. Ebenso wie die paradigmatischen Lexemrelationen in einem minimalen Paar einander gegenübergestellter Wörter realisiert werden, realisieren sich die syntagmatischen Zusammenhänge in einem minimalen Syntagma, in einer Verbindung von mindestens zwei Wörtern. 17
26*
Vgl. COSERIUS (1964) Opposition „Lexematik der Sprache und Lexematik der Rede".
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Im Gegensatz zu den paradigmatischen Relationen lexikalischer Einheiten, die eine bedeutungsunterscheidende Funktion besitzen, erfüllen die syntagmatischen Zusammenhänge zwischen Wörtern, die auf den Relationen des semantischen Kontrasts aufbauen, eine zweifache Funktion: sie konstituieren einerseits die Systembedeutungen der Wörter und schaffen andererseits durch eine fortwährende „Systemüberwindung" neue semantische Entitäten. Die Gegenüberstellung der Wörter im Paradigma (Synonymenreihen, Antonymenpaare, lexikalisch-semantische Paradigmen usw.) basieren auf integralen oder differenzierenden Merkmalen (allgemeinen, die semantischen Reihen und Wortkategorien eigen sind, und empirischen, die individuellen Wortzeichen angehören), die den Inhalt eines bestimmten Lexems einer Sprache konstituieren. Die Vereinigung (Verbindung) der Wörter in der Syntagmatik erzeugt im Falle einer korrekten, einer systematischen Realisierung in der Kommunikation eine neue semantische Entität, eine neue Bedeutung, die einem Glied der Verbindung zukommt, häufiger jedoch beiden Elementen. Der Hauptgegenstand der lexikalischen Syntagmatik ist die „lexikalische Syntax" im Gegensatz zur „grammatischen" Syntax, d. h. die lexikalische Kollokation. Dennoch sind die Grundeinheiten nicht die Sätze und deren Bedeutung, die sie als kommunikative Einheiten besitzen, sondern jene minimalen Verbindungen autosemantischer Wörter, in denen die systemhaften Möglichkeiten der Lexeme realisiert werden. Erneut stellt sich die Frage: setzt sich eine Wortgruppe aus gemeinsam vorkommenden Lexemen, d. h. nominativen Einheiten der Sprache zusammen oder ist die Verbindung der Wörter nur das Resultat der Gliederung der kommunikativen Einheiten, der Satzäußerungen? SÖERBA (1962) schrieb, daß dann, wenn das Wesentliche beseitigt wird, das den Satz organisiert, wenn dem Satz der dynamische Charakter, die Intonation genommen wird, dieser in eine ganze Reihe von Teilen, besonderen Syntagmen und Wortgruppen zerfallt, die durch die Bedeutung integriert sind (meaningful units). Syntagmen dieser Art können freie Syntagmen sein (wenn sie durch Systembedeutungen realisiert sind) oder gebundene Wortgruppen (wenn eine neue Bedeutung entsteht, die durch die gesamte Wortgruppe repräsentiert wird). Die freien Syntagmen entstehen und „zerfallen" wieder, die festen Syntagmen werden als Ganzes reproduziert. Da bei der normativen Realisierung lexikalischer Wortgruppen es ständig zu einer „Verletzung" der Systemkoordinaten kommt, entsteht ein sehr großer Bereich alogischer und nicht systembedingter Wortverbindungen, der den tatsächlichen Zusammenhängen zwischen den bezeichneten Gegenständen und Erscheinungen der objektiven Realität widerspricht. Dies führt zur Entstehung der Idiomatik der Sprache und erzeugt durch die Systemgesetzmäßigkeiten eine große
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Zahl metaphorischer Verbindungen sowie einzelner gegliederter Nominationen, die normgerecht oder auch nicht normgerecht konstituiert sind. Wir wollen wieder zum Begriff des Kontextes zurückkehren. U L L M A N N ( 1 9 5 9 : 65)18 sah als das wesentlichste Merkmal der Semasiologie des 20. Jahrhunderts das Bemühen an, Verfahren und Formen zur materiellen Darstellung der Wortbedeutungen zu finden und eine Vielzahl von Wegen zur „Formalisierung der Semantik" abzuschreiten. Abgesehen von den unterschiedlichen methodologischen Grundlagen, Aufgaben und Forschungsmethoden untersuchen die heutigen wissenschaftlichen Richtungen und Schulen die Wortbedeutung in ihrem Kontext. Unter den Terminus ,Kontext' werden in der gegenwärtigen Linguistik ganz unterschiedliche sprachliche Erscheinungen wie auch außersprachliche Faktoren subsumiert: die lexikalische Kollokation der Wörter, die syntaktische Vereinbarkeit, die das Modell der syntaktischen Abhängigkeiten sowie der Positionen der verbundenen Wörter determiniert, die phraseologische Kollokation, die in jeder Sprache durch feste Wortverbindungen repräsentiert wird, der Hinweis auf die Semantik der Wortverbindungen und Sätze, der aus den konkreten Sprechaktkoordinaten hervorgeht, die konkrete außersprachliche Situation eines bestimmten Sprechakts, psycho-physische und kulturell-historische Faktoren, die die Wahrnehmung begleiten und die Bedeutung eines Wortzeichens oder einer Wortgruppe in der Kommunikation bestimmen. In der Linguistik existiert eine umfangreiche Literatur zu Fragen der kontextuellen Abhängigkeit der verschiedenen sprachlichen Einheiten. 19 Wir gehen hier nur auf den Kontextbegriff ein, wie er relativ zu den lexikalischen Einheiten definiert wurde. Die Grundfragen der Kontextmittel der wortinternen Bedeutungsabgrenzung zwischen polysemen Wörtern wurden in der sowjetischen Lexikologie von VINOGRADOV (1944; 1953a) und SMIRNICKIJ (1954a; 1955b) grundsätzlich aufgeworfen. VINOGRADOV befaßte sich speziell mit Fragen der Abgrenzung grammatischer Formen durch die Wortbedeutung, SMIRNICKIJ formulierte exakte Bedingungen für die lexikalisch-semantische Variation lexikalischer Einheiten, besonders für die Unterschiede im syntaktischen Aufbau und in der phraseologischen Verbindbarkeit. Die Untersuchung der Kontextbedingungen der LSV wurde unter der Bezeichnung „kontextologische Analyse" in den Arbeiten von AMOSOVA (1958; 1962 und 1963) fortgeführt, in denen die Explikation der syntagmatischen Zusammenhänge sprachlicher Einheiten auf ein neues, sicheres Fundament gestellt wurde. Mit der Gegenüberstellung von veränderlichem und konstantem Kontext wird 18
"The context theory is perhaps the most influential Single factor in the growth of twentieth Century semantics. All the most promising discoveries and most fruitful methods of modern research . . . can be traced to this source" (ULLMANN 1959: 65).
19
Vgl. SLAMA-CAZACU (1961), LYONS (1963), AMOSOVA ( 1 9 6 3 ) u n d KOLSANSKIJ (1959).
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eine Grenze zwischen zwei extremen, einander prinzipiell ausschließenden lexikalischen Einheiten gezogen: den freien Wortverbindungen und den phraseologisch festen Wortverbindungen als Einheiten der direkten und abgeleiteten Nomination. Der veränderliche Kontext weist zwei Arten von Kontextbedingungen auf: eine linguistische Bedingung, wenn der Hinweis vom sprachlichen Element und dessen Zusammenhängen ausgeht, sowie den außersprachlichen Kontext, unter den unterschiedliche Formen der Kommunikationssituation subsumiert werden: die außersprachliche Situation, die konkrete Sprechaktsituation, die mitgeteilte Situation sowie die Textbedingungen. Der sprachliche Kontext kann nicht auf einen „bestimmten Kommunikationsausschnitt" reduziert werden, er ist eine conditio sine qua non für die Reproduktion alter und die Schaffung neuer semantischer Entitäten und Bedeutungen lexikalischer Einheiten. In diesem Sinne ist er dem außersprachlichen Kontext gegenübergestellt. Der sprachliche Kontext untergliedert sich wiederum in einen System- sowie einen Rede-, d. h. Kommunikationskontext. Der semantische Kontext, d. h. die Existenz- und Reproduktionsbedingungen einzelner Wortbedeutungen, sind Systembedingungen, wenn der semantische Hinweis von den paradigmatischen Charakteristika und Gesetzmäßigkeiten ihrer syntagmatischen Kollokabilität (d. h. der lexikalischen wie auch der syntaktischen Vereinbarkeit) ausgeht, die den Wortzeichen im System eigen sind. Der Redekontext, der Kommunikationskontext ist dann gegeben, wenn der semantische Hinweis von den Äußerungseinheiten, den Sätzen ausgeht, von den deiktischen Elementen, den Sprechaktkoordinaten mit den Orts-, Zeit- und Personenimplikationen, den Handlungsbeteiligten eines Sprechakts. Die erste Art des sprachlichen Kontextes, d. h. die Systembedingungen zur Realisierung einer bestimmten Bedeutung (oder LSV) eines virtuellen Zeichens kann man als strukturellen Kontext bezeichnen, weil die semantischen Hinweise auf die realisierte LSV des Wortes nicht nur von den lexikalisch miteinander verbundenen Wörtern ausgehen, sondern in gleicher Weise auch von den lexikalischen und syntaktischen Vereinbarkeitsmodellen und -Positionen. Dies ist jener obligate und für die Funktionsweise des Sprachsystems permanente Kontextbereich, der die strukturelle Basis darstellt und die notwendigen sprachlichen Bedingungen für die lexikalisch-semantische Variation des Wortes schafft. Der Systemkontext schließt folgende Komponenten ein: (1) (2) (3) (4)
das das das das
semantisch realisierte Wort; sogenannte Schlüsselwort; lexikalische Kollokationsmodell; syntaktische Vereinbarkeitsmodell.
Der systemhafte semantische Kontext repräsentiert die minimale zweigliedrige
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Wortgruppe, wobei ein Glied dieses Syntagmas das semantisch realisierte Wort darstellt, das andere das Schlüsselwort, von dem der semantische Hinweis ausgeht. Eine lexikalisch freie Verbindung vom Typ boFsoj dorn (großes Haus), ugol doma (Hausecke) stellt ein zweigliedriges Syntagma dar, dessen Glieder sich in unterschiedlichen syntaktischen Abhängigkeiten zueinander befinden. Die grammatische Abhängigkeit beeinflußt jedoch nicht das semantische Ergebnis der verbundenen Wörter: das semantisch realisierte Wort kann das syntaktisch dominierende wie auch das abhängige sein. Diesen Typ des systembedingten semantischen Kontextes wollen wir als Kontext ersten Grades bezeichnen. „Der Kontext, dessen hinweisendes Minimum durch ein einziges Schlüsselwort repräsentiert ist, sei es das dominierende oder das abhängige Glied einer Wortgruppe, in der das betreffende semantisch realisierte Wort entweder als Subjekt oder als Prädikat figuriert, kann als Kontext ersten Grades bezeichnet werden" (AMOSOVA 1963: 37).
Diese Definition des Kontextes sowie der Relationen zwischen semantisch realisierten Wörtern und Schlüsselwörtern erfolgte auf der Grundlage von Begriffen, die für kommunikative Einheiten charakteristisch sind, vgl. die Verwendung der Begriffe Subjekt und Prädikat, wohingegen sich die minimalen Wortgruppen dieses Typs auf die nominativen Einheiten beziehen. Das minimale, d. h. das zweigliedrige Syntagma wurde daher auch nur rein syntaktisch charakterisiert. Im Systemkontext zeigen sich der nominative Wert und die Relationen, die Gegenständen und Personen in der objektiven Realität eigen sind: Agens der Handlung, Handlungsobjekt, Subjekt eines Zustandes, Gegenstandsmerkmal, Merkmal eines Merkmals usw. Für den Systemkontext ersten Grades ist charakteristisch, daß die semantischen Relationen zwischen den Gliedern minimaler lexikalischer Syntagmen zweiseitig sind, Identifizierungs- und Unterscheidungsfunktion verteilen sich symmetrisch: das eine Glied eines Syntagmas erfüllt in bezug auf das andere die Identifikationsfunktion. Jedes Glied einer solchen minimalen lexikalischen Wortgruppe kann daher in bezug auf das andere das Schlüsselelement sein.20 Wird der Systemkontext ersten Grades durch minimale lexikalische Verbindungen repräsentiert, dann kann der Kommunikationskontext drei- und mehrgliedrige Syntagmen, d. h. ganze Sätze einschließen. Der semantische Kontext, der mehr als zwei Glieder in seinem hinweisenden Minimum enthält, wird in AMOSOVA ( 1 9 6 3 : 39) als Kontext zweiten Grades bezeichnet. Als Beispiel für eine textologische Analyse wollen wir das englische Lexem fair nehmen. 20
Vgl. die Definition des Syntagmas als automatisiertes sprachliches Zeichen, das zwei Funktionen besitzt, eine differenzierende und eine identifizierende in der syntagmatischen Theorie MIKUS' (1957).
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(1) Die gebräuchlichste Bedeutung von fair ist die Bedeutung ,schön', wenn das Schlüsselwort in einem minimalen Syntagma durch Nomina repräsentiert wird, die belebte oder unbelebte Gegenstände bezeichnen, die „für das Auge schön sind". We cannot see many a fair French city, for one fair French maid. (Shakespeare) (2) Die LSV fair bedeutet demgegenüber „angenehm, günstig" in Syntagmen wie a fair wheather, a fair wind, a fair day, a fair sky. (3) Eine andere LSV wird in Syntagmen realisiert, in denen als Schlüsselwort zu fair Gegenstandsbezeichnungen für Eigenschaften von Personen und Sachen auftreten: a fair copy, a fair cloth, fair frame, fair reputation. (4) Das Lexem fair realisiert die Bedeutung „ausgezeichnet" in Syntagmen wie: fair handwriting, fair sight, fair view, fair mark. (5) Das Lexem fair realisiert in einer semantischen Verbindung mit Substantiven, die eine Oberfläche bezeichnen, die Bedeutung „glatt": a fair surface, a fair vessel. (6) In den Fällen, wo fair mit Nomina verbunden ist, die Handlungen bzw. das Verhalten von Menschen bezeichnen, realisiert es die Bedeutung „gerecht", „ehrlich": fair means, fair proceeding, a fair man, fair dealing, fair play, fair statement usw. (7) In der Verbindung mit Substantiven, die Personen nach der Haut- bzw. Haarfarbe benennen, bedeutet fair „blond" bzw. ,hell': a fair girl, a fair woman, a fair skin, a fair complexion. Der semantische Kontext ersten Grades, in dem die semantische Autonomie den Konstituenten dieser Syntagmen am größten ist, können diese syntaktisch zu ganzen Sätzen expandiert werden, ohne daß sich dabei das semantische Resultat jedes Gliedes oder des Ganzen verändert, vgl. fair to act, fair of him to act, it is not fair of the people living there to act like that. Ein ähnlicher semantischer Kontexttyp, in dem das semantische Resultat nur durch die Wortsemantik der Konstituenten bedingt ist, wird lexikalischer Kontext genannt. Im lexikalischen Kontext kann der semantische Hinweis nicht nur von der einzelnen Bedeutung, sondern auch von kategorialen"Merkmalen des Schlüsselwortes ausgehen, vgl. to to to to
walk a street walk a baby dance a waltz dance a girl
(unbelebter Gegenstand) (belebter Gegenstand) (unbelebt) (Lebewesen, menschlich).
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Der semantische Kontext wird morphologisch, wenn die Grenze der lexikalischsemantischen Variation mit der morphologischen Form des realisierten Wortes einhergeht. Für das Englische ist charakteristisch, daß Mengenunterschiede relativ einfach lexikalisiert werden: drops — Tropfen (Medizin) colours — Fahne customs — Zoll
drop — Tropfen colour — Farbe custom — Gewohnheit im Russischen: beg — Lauf nota — Note voda — Wasser
bega — Rennen noty — Notizen vody — Gewässer
Wir haben für das Englische und Russische analoge Beispiele genommen und diese als Wortbildungserscheinungen interpretiert. Vom Standpunkt der semantischen Variation des Wortes aus betrachtet kann man jedoch diese Erscheinung als rein morphologische Bedingungen der wortinternen Bedeutungsabgrenzung charakterisieren. Für die Lexik des Englischen hat der sogenannte semantische Mischkontext eine besondere Bedeutung, in dem nicht nur lexikalische Mittel als Mittel der Bedeutungsabgrenzung sowie der Reproduktion der LSV dienen, sondern auch die meisten syntaktischen Funktionen der Wörter, deren Position und Reihenfolge. Die lexikalische Mehrdeutigkeit der sogenannten zweifach gerichteten (SubjektObjekt- und Objekt-Subjekt-)Verben wird ausschließlich mit Hilfe des lexikalischsyntaktischen Kontextes beseitigt (vgl. UFIMCEVA 1 9 7 4 ; K U V E N E V A 1978; G I G A U R I 1979). Als Schlüsselwort, das auf eine bestimmte LSV hinweist, muß beim englischen Verb to burn für die Realisierung der LSV ,brennen' das Subjekt und für die LSV ,verbrennen' ein Objekt vorhanden sein: The fire burns (brightly), to burn something; it blows hard, to blow something usw. Ein minimales lexikalisches Syntagma ist somit eine Verbindung von mindestens zwei Wörtern entsprechend ihrer Bedeutung. Jedes lexikalische Syntagma setzt auch die syntaktische Wohlgeformtheit voraus, wodurch das syntaktische Syntagma häufig auch eine Bedingung für eine neue materielle Bedeutung sein kann. Ein gewaltiges Variationspotential ist vor allem für die lexikalische Semantik die Nomination der Verbrelation, des Tätigkeitsbereichs ihres Agens, d. h. des Subjekts, oder ihres Patiens (Objekt) oder beider gemeinsam. Syntaktische Syntagmen können ihrerseits ebenfalls Subjekt- oder Objektsyntagmen sein. Vgl. dazu die lexikalische Bedeutung von to plod als Bezeichnung einer Handlung, die das semantische Merkmal der Handlungsweise einschließt, d. h. „gehen", „sich hinschleppen" in den syntaktischen Subjekt- und Objektsyntagmen somebody plods (Subjektsyntagma) und to plod a bath (Objektsyntagma). In den lexikalischen Syntagmen the wind blows und 26 a
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to blow a candle bezeichnen wir die Nomina wind und candle, durch die die Verbhandlung ihren Namen erhält, als semantische Aktanten, die Gegenstandsbezeichnungen oder deren Substitute in syntaktischen Syntagmen werden syntaktische Aktanten genannt. Im englischen Verbsystem sind mehr als die Hälfte der Verben zweifach gerichtete Verben, deren nominative Bedeutung in bezug auf zwei nominative Bereiche bestimmt wird: 1. in bezug auf den Subjektbereich (direkte Bedeutung) 2. in bezug auf den Objektbereich (abgeleitete Bedeutung), vgl. das Subjekt-Objekt-Verb to walk — „zu Fuß gehen" (Subjekt-LSV) und to walk a dog — einen Hund ausführen (Objekt-LSV). Die lexikalisch-semantische Variation der materiellen Bedeutung semantisch und syntaktisch zweifach gerichteter Verben wird allein durch den Wechsel von Subjekt und Objekt vollzogen, wodurch das Verb die semantische Orientierung der Verbbezeichnung verändert: to read
— Objekt-LSV Subjekt-LSV to stand — Subjekt-LSV Objekt-LSV
— „etwas lesen" — „(an)zeigen" — „stehen" - „stellen"
Den Typ lexikalisch-semantischer Variation zweiseitig gerichteter englischer Verben kann man auf Grund des wechselseitigen Zusammenwirkens der semantischen (nominativen) und syntaktischen Aktanten auch semantisch-syntaktische Derivation der lexikalischen Bedeutung nennen ( U F I M C E V A 1 9 7 4 ; K U V E N E V A 1 9 7 8 ) . Der erste Typ der semantisch-syntaktischen Derivation, d. h. die Bildung einer neuen Bedeutung mittels Variation des Verblexems, wird durch die wechselseitige Substitution des semantischen Verbobjekts und dessen syntaktisches Subjekt ausgedrückt. Da sich die LSV mit direktem Objekt und die abgeleitete Subjekt-LSV in einer logischen Konversionsrelation befinden, da die Nomination in bezug auf ein und denselben Referenten erfolgt, kann dieser Typ lexikalisch-semantischer Variation auch bedingt als „Konversion, als Übersetzung eines semantischen Objekts in ein syntaktisches Objekt" genannt werden ( K U V E N E V A 1978: 9—10). Im Syntagma to stage a play wird beispielsweise die direkte nominative Bedeutung ,aufführen' realisiert, während das Subjekt-Syntagma the play stages (well) die Subjekt-LSV inszenieren' realisiert. Bei diesem Typ lexikalisch-semantischer Variation hat die Bedeutung zweiseitig gerichteter Verben eine ganze Reihe semantischer „Konversionsmodelle" wie z.B. (1) pridaf svojstvo/priobresti schaft erwerben)
svojstvo (eine Eigenschaft verleihen — eine Eigen-
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pridafformu (Ob)ckt-hSV)/priobresti formu (Subjekt-LSV) Form geben — Form annehmen. (2) pomestif /nachodit'sja (unterbringen — sich befinden) poselit'/poselit'sja (ansiedeln — sich niederlassen) predostavif ubezisce Isprjataf sja (Asyl gewähren — sich verstecken, verborgen halten) Der zweite Typ zur Bildung neuer LSV findet bei Verblexemen seinen Ausdruck in deren absolutem Gebrauch (NOVOSELOVA 1972; UFIMCEVA 1974; K U V E N E V A 1978).
Die lexikalisch-semantische Variation zweiseitig gerichteter Verben mit Weglassung des syntaktischen Objekts kann man als bedingte Verabsolutierung des semantischen Subjekts bezeichnen, vgl. direkte Objekt-LSV to write a letter to stitch something
abgeleitete Subjekt-LSV to write (Schriftsteller sein) to stitch (Näherin sein)
Der dritte Typ zur Bildung neuer abgeleiteter LSV wird formal im Gebrauch der Objektverben mit Reflexivpronomen ausgedrückt und kann als „Reflexiver Ausdruck des semantischen Subjekts „bezeichnet werden, z. B. Objektsyntagma to prove somebody's guilt
Subjektsyntagma to prove oneself (guilty)
Der vierte Typ semantisch-syntaktischer Variation betrifft die Subjekt-ObjektVerben. In einer abgeleiteten Objekt-LSV wird das semantische Subjekt eines Verblexems als Element repräsentiert, das die beabsichtigte zielgerichtete Einwirkung auf das semantische Objekt vollzieht, z. B. im Subjektsyntagma some prospers wird die Subjekt-LSV Fortschritte machen' in der Objekt-LSV ,gedeihen' realisiert. Das semantische Objekt ist in einem Objektsyntagma ein obligatorisches Glied, von dem die Sekundärnomination abgeleitet wird. Diesen Typ semantisch-syntaktischer Derivation kann man als „Verursachung des semantischen Objekts" bezeichnen ( K U V E N E V A 1978; SIL'NICKIJ 1974). Wir haben der Analyse der lexikalisch-semantischen Variation zweiseitig gerichteter Verben des Englischen deshalb einen breiten Raum gegeben, um damit die Art des Zusammenwirkens des Lexikalischen und Syntaktischen zu zeigen, die für „lexikologische" Sprachen wie das Englische besonders charakteristisch ist. Der Variationsbereich der Verben sowie der Entstehungsbereich neuer LSV ist im Vergleich zu deren direkter nominativer Bedeutung das lexikalisch-semantische System und der Aktualisierungsbereich der Verblexeme in der Kommunikation. 26a*
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Es gibt schließlich noch einen dritten Kontexttyp — den syntaktisch-morphologischen Kontext. Die beiden LSV von to want werden beispielsweise nicht nur in Abhängigkeit von den Komplementen abgegrenzt, sondern auch von der grammatischen Form der Komplemente: to want something — .Bedarf haben an' (nominative Grundbedeutung), to want to do something ,es tun wollen' (modal gefärbt). Für die Realisierung dieser beiden LSV von to want ist die lexikalische Bedeutung der Schlüsselwörter nicht relevant, die Abgrenzung erfolgt ausschließlich durch die morphologische Form des Komplements. Diesen Kontexttyp kann man als syntaktisch-morphologischen Kontext bezeichnen. Hierher gehören solche konstruktionsbedingten LSV der Verben to drop, to stop, to keep, to go on, to continue usw. wie drop shouting, stop walking, go on crying, keep waiting u. a. Auf den rein syntaktischen Kontext können sich die LSV to to to to
laugh laugh at catch a stick catch at a stick
lächeln lachen über jmdn. bzw. etwas einen Stock greifen sich an einem Stock festhalten
beziehen. Bisher haben wir den systembedingten semantischen Kontext ersten Grades behandelt. Der Kontext zweiten Grades kann durch folgende Beispiele illustriert werden. Wenn wir minimale Syntagmen wie a fair woman, girl, lady usw. haben, dann ist die Polysemie nicht beseitigt, denn die Person ist zwar eine notwendige, keineswegs aber eine hinreichende Bedingung für die Gliederung des Lexems fair. Das Syntagma a fair woman benennt 1. eine schöne Frau, 2. eine blonde Frau und 3. eine gerechte Frau. Die Mehrdeutigkeit des minimalen Syntagmas wird nur durch den Kontext der Rede beseitigt, d. h. durch weitere Wörter, die das notwendige Referenzminimum vergrößern: 1. a fair woman to look at 2. a fair woman seems never gray 3. a fair woman to act like that. Zu diesen semantischen Kontexttyp gehören alle Wortgruppen, die Pronomina, deiktische Wörter sowie Wortsubstitute einschließen, im Satz drop it ist schwer zu verstehen, welche LSV realisiert wird, weil durch diesen Typ des Schlüsselwortes der Kontexthinweis neutralisiert wird: drop it (a pencil) drop it (a letter) drop it (a habit)
leg' den Bleistift weg schicke den Brief ab lege die Gewohnheit ab.
Die Definition systembedingter semantischer Hinweise bei einer wortinternen Abgrenzung des lexikalischen Inhalts eines virtuellen Zeichens erlaubt es, die
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Wortschatzbeschreibung mittels Systemmethode
Grenzen zu markieren, die im Sprachgebrauch solche feinen Unterschiede gestatten; sie erlaubt es somit, jenes semantische Kontinuum zu bestimmen, dessen Variationsgrenzen sich durch bestimmte überindividuelle sprachliche Mittel auszeichnen.
4.2.4. Der Begriff des lexikalisch-semantischen des Sprachsystems
Systems
als • Strukturebene
Der Differenzierung bestimmter Ebenen des Sprachsystems sowie bestimmter Teilsysteme können ganz unterschiedliche Kriterien zugrunde liegen: die Spezifik der Einheiten des Objekts oder der Analyseeinheiten21, die Gegenüberstellung der Einheiten nach der Korrelation ihrer Konstituenten ,Inhalt — Form' bzw. ,Funktion — Ausdrucksmittel', die Gegenüberstellung der sprachlichen Einheiten nach ihrem Abstraktionsgrad (z. B. des Systems, der Norm und der Kommunikation), die abstrakten Struktureinheiten, die die Einheiten manifestieren, die Einheiten der funktionalen Realisierung u. a. Betrachtet man, das Wort als die grundlegende nominative Einheit des Sprachsystems, die mehrfach strukturiert ist und Idiomatizität besitzt ( S M I R N I C K I J 1952; 1955a; S M E L E V 1964a; 1973), dann lassen sich bestimmte Aspekte dieses komplexen Objekts unterscheiden. Werden in der asymmetrischen Wortstruktur einerseits inhaltliche und formale Aspekte, andererseits lexikalische (individuelle) und grammatische (kategoriale) Bedeutungen unterschieden, dann lassen sich vier Aspekte des Wortes gegenüberstellen: (1) der phonematische, (2) der morphematische, (3) der lexematische und (4) der lexikalisch-semantische Aspekt. Auf der ersten und zweiten Ebene stellt die „Ausdrucksseite" den Analysegegenstand dar, wohingegen die Inhaltsseite des Wortes insgesamt als Identifizierungsgrundlage für die differenzierten Einheiten, für die Phoneme und Morpheme dient. Auf der dritten und vierten Ebene wird das Wort inhaltlich analysiert, und die Differenzierung der globalen, nicht gegliederten Einheiten (Lexeme) und die Identifikation der kleinsten bilateralen lexikalischen Einheiten (LSV) erfolgt nach der Wortform, nach deren Phonembestand. Die Inhaltsebenen des Wortes, die lexematische und die lexikalisch-semantische werden formal nicht abgegrenzt, obwohl es evident ist, daß sich diese Einheiten bezüglich ihrer formalen und inhaltlichen Gliederung unterscheiden. Die vollständige Inkongruenz von Laut- und Inhaltsseite beginnt folglich auf der dritten Ebene. Bis zur lexematischen Ebene erfüllen die formalen Aspekte eine Unterscheidungsfunktion, 21
Vgl. die korrelativen Termini „phonematisch/phonologisch", „morphematisch/morpholog i s c h " , „ l e x i k a l i s c h / l e x i k o l o g i s c h " , „ s e m a n t i s c h / s e m a s i o l o g i s c h " (ZVEGINCEV 1 9 6 0 ) .
27
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sie grenzen zwei Wörter oder den grammatischen Inhalt zweier Wortformen voneinander ab. Auf der vierten Ebene spielen sie eine völlig andere Rolle. Hier identifizieren sie einzelne LSV nach ihrer Form innerhalb eines Wortes und garantieren somit nicht zuletzt die synchrone und historische Identität des Wortes. Im Wort werden alle diese Ebenen interpretiert, daher läßt sich eine Abgrenzung der spezifischen lexikalischen Einheiten für die dritte und vierte Ebene, die ausschließlich auf die Wortform (den Phonem- und Morphembestand) Bezug nimmt, nicht durchführen, weil jede formale Einheit (Phonem, Morphem) an allen vier Wortaspekten partizipiert. Die Einheiten der Inhaltsebenen jedoch, d. h. die Einheiten der lexematischen und der lexikalisch-semantischen Ebene sind korrelativ und stehen in einer Konstituenzrelation zueinander, sie werden nicht durch die zugrunde liegende Zeichenform unterschieden. Wie oben bereits gezeigt wurde, sind die paradigmatischen Relationen der Wörter in der Paradigmatik und die lexikalischen und syntaktischen Zusammenhänge der Wörter in der Syntagmatik die wesentlichen Mittel zur Abgrenzung eines virtuellen Wortes (Lexems). Erscheinungen wie die lexikalische und lexikalisch-grammatische Homonymie, die wortinterne Abgrenzung der Wörter (Polysemie), Antonymie, Bedingungen und Grenzen der lexikalisch-semantischen Variation sowie phraseologisch verbundene Realisierungen der Wortbedeutungen werden auf der Gliederungsebene der Wortbedeutung analysiert, d. h. auf der Ebene der lexikalisch-semantischen Wortvariation und bilden somit den Gegenstand der semasiologischen Untersuchung des Wortes. In der Lexik werden die lexematische und die lexikalisch-semantische Ebene klar voneinander abgegrenzt und einander gegenübergestellt. Es sind zwei Ebenen, die zueinander in einer Konstituenzrelation stehen und sich mit dem Inhaltsaspekt (lexikalisch-semantische Ebene) und dem formalen Aspekt (lexematische Ebene) befassen. Das Lexem als Einheit der lexematischen Ebene repräsentiert als komplexes Inhaltselement des Wortschatzes sowie des Aufbaus einer Sprache vom syntagmatischen Standpunkt aus eine virtuelle und konkrete Einheit im Bereich der Nomination, die Phonem- und Graphemfolgen unterscheidet. Von seiten des nominativen Systems der Sprache aus erscheint das Lexem in seiner direkten nominativen Bedeutung vor allem als eine Einheit, die am vollständigsten den Umfang und den Inhalt des mit dem Lexem verbundenen Begriffs widerspiegelt. Die direkte nominative Bedeutung eines Lexems als eine unmittelbar mit einer „Gegenstandsreihe" in Beziehung stehende, leicht differenzierbare, häufig reproduzierbare und grammatisch und phraseologisch freie Bedeutung geht in das obligatorische Kenntnisminimum der Sprachbenutzer ein und ist somit der notwendige und obligatorische Inhalt, durch den ein Lexem im Sprachsystem einem anderen gegenüber-
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gestellt ist. Das Lexem repräsentiert in jeder historischen Periode eine komplexe asymmetrische Struktur, eine Folge von LSV, die durch die Relation der Epidigmatik streng geordnet ist. Im Vergleich zum Lexem als abstrakter (virtueller) Einheit ist die LSV eines Wortes die kleinste konkrete bilaterale Einheit, die in der Kommunikation verwendet wird. Eine LSV ist somit nicht nur eine Analyseeinheit, sondern auch eine real vorkommende und funktionierende sprachliche Einheit. Es wäre jedoch nicht nur eine Vereinfachung, sondern sogar ein Fehler, würde man annehmen, daß zwischen den Lexemen (Wortkomplexen) und den LSV als Systementitäten Relationen bestehen, die denjenigen gleichen, die zwischen dem System der Elemente und deren Realisierungsebene existieren. Die Strukturierung des Wortes von dessen lexikalischem Inhalt aus wird in der Sprache durch drei unterschiedliche Gliederungsordnungen repräsentiert: (1) das Wort, (2) die LSV und (3) der Wortgebrauch, zwischen denen komplizierte Wechselbeziehungen exitieren. Das Lexem, d. h. das Wort der ersten semantischen Gliederungsordnung und die zu seiner Struktur gehörenden LSV (Wort der zweiten semantischen Gliederungsordnung) befinden sich in einer Konstituenzrelation: Die LSV wird in die Struktur des Lexems als kleinster Bestandteil integriert, sie wird auf diese Weise in ein größeres Ganzes aufgenommen. Daraus leiten sich vier wesentliche Schlußfolgerungen ab: (1) Die lexikalisch-semantischen Varianten eines Wortes sind bilaterale Einheiten, (2) die lexikalisch-semantischen Varianten sind wie das Lexem virtuell in bezug auf den Wortgebrauch in der Kommunikation, (3) die lexikalisch-semantischen Varianten repräsentieren überindividuelle Verallgemeinerungen, Systementitäten, die im lexikalisch-semantischen System durch präzise bestimmte sprachliche Mittel manifestiert werden, vgl. die unterschiedlichen Typen semantischer Kontexte, die die einzelnen LSV abgrenzen, (4) eine lexikalischsemantische Wortvariante erscheint in der Sprachstruktur in einer zweifachen Repräsentationsform: als aktuelle Variante, d. h. als Ergebnis der semantischen Gliederung in bezug auf das Lexem, und als virtuelle Variante in bezug auf die kommunikative Realisierbarkeit eines Wortes. Die Beziehungen zwischen den drei Stufen der semantischen Gliederung (Abstraktion) kann man als Repräsentationsrelation ansehen, in der sich die Ebenen 2 und 1 sowie 3 und 2 auf ihr abstraktes Wesen beziehen. Bei dem konsequent inklusiven Charakter der lexikalischen Abstraktion und der entsprechenden semantischen Ableitbarkeit lexikalisch-semantischer Varianten sind sie nicht als Modifikationen einer verallgemeinerten invarianten Entität (wie die grammatische Bedeutung) zu betrachten, sondern als Gegenüberstellung auf der Grundlage eines ausgezeichneten Merkmals. Die zwei Seiten der LSV eines Wortes befinden sich in einer Wesensrelation zu den Mitteln, die sie mani27»
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festieren. Gleichzeitig stehen die LSV eines Wortes (bilaterale Einheiten) mit den zahlreichen Verwendungsformen in Beziehung, die ein und dieselbe systembedingte semantische Entität als systembedingte Basiselemente mit deren Realisierung in der Kommunikation wiedergeben. Wenn wir an die Strukturierung des Wortes vom Standpunkt der Abstraktionsstufen sprachlicher Einheiten herangehen oder dieses komplexe Element bezüglich seiner einzelnen Aspekte analysieren, dann lassen sich darin drei Ebenen unterscheiden: (1) die lexematische, (2) die lexikalisch-semantische (Ebene der Gliederung der Wortbedeutung in LSV) und (3) die Ebene der kommunikativen Realisierung, des funktionalen Gebrauchs. Die Beschreibung der Wortbedeutung beginnt normalerweise bei der ersten Ebene, der lexematischen Ebene, auf der nur die direkte nominative Bedeutung die Grundlage bildet, auf der das Wort in das Benennungssystem und somit in die Struktur des Vokabulars eingeht. Sie kann aber auch auf der dritten Stufe, auf der Stufe der realen Funktionsweise eines Wortes in der Kommunikation beginnen. Das eine wie auch das andere Herangehen (das erste ist prospektiv, das zweite retrospektiv) läßt jedoch das Wichtigste in der strukturellen Organisation der Lexik unberücksichtigt — die Ebene der lexikalisch-semantischen Varianten eines Wortes, d. h. die Organisationsform der lexikalischen Semantik, die das eigenständige lexikalisch-semantische System der Sprache konstituiert. Das lexikalischsemantische System der Sprache macht nicht nur den Mechanismus sichtbar, der die Asymmetrie der Sprachzeichen beseitigt, es determiniert auch den Charakter der paradigmatischen Gruppierungen sowie der syntagmatischen Verbindungen der Wörter untereinander und mit den Einheiten anderer Ebenen des Sprachsystems. Die lexikalisch-semantische Ebene des Wortes kann man im Unterschied zur lexematischen (virtuellen) und zur Ebene der in der Kommunikation realisierten Wörter (Wortgebrauch) als relative semantische Gliederung (Realisierung) bezeichnen. Das lexikalisch-semantische System stellt eine integrale Ebene der Wortsemantik dar, es zeigt, wie die Wortbedeutung durch die Mittel unterschiedlicher Ebenen des Sprachsystems gegliedert wird. Die fundamentalen Kategorien, die die Spezifik des lexikalisch-semantischen Systems einer Sprache ausmachen, sind die Grundparameter der Lexik in bezug auf die drei Achsen der strukturellen Organisation des Wortes als zentraler Einheit: (1) Die Spezifik paradigmatischer Wortgruppen (semantische Kategorien, Subkategorien des Wortes, lexikalisch-semantische Gruppen, Synonymenreihen und Antonymenpaare). (2) Der Charakter und die Konfiguration der Bedeutungsstruktur des Wortes, das mit unterschiedlichen Wortarten in Beziehung steht sowie mit unterschiedlichen semantischen Wortreihen, die Besonderheiten der historischen und synchronischen
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Identität des Wortes als Form der Systemorganisation der Wortbedeutung und conditio sine qua non für den Gebrauch des Wortes in der Kommunikation, die epidigmatische Dimension des Ergebnisses der lexikalisch-semantischen Wortvariation. (3) Die Besonderheiten (Umfang und Mittel) der lexikalisch-semantischen Variation, Typen semantischer Kontexte, d. h. Systemmittel, die die Asymmetrie des Wortzeichens in einer syntagmatischen Reihe eliminieren. (4) Der Grad der Kontextbedingtheit lexikalisch-semantischer Varianten als Ergebnis des wechselseitigen Zusammenwirkens des Lexikalischen und Grammatischen im Wort im allgemeinen sowie des Lexikalischen und Syntaktischen im besonderen. Zum Wesen des lexikalisch-semantischen Systems siehe VINOGRADOV (1953a; 1953b und 1956) und UFIMCEVA (1962a, 1962b, 1968a und 1968b). 4.3. Anstelle eines
Schlußwortes
Wir sind im Detail nur auf einen Aspekt der Anwendung der Systemmethode auf die Lexik eingegangen, auf den semasiologischen Aspekt und'haben das Wort in seinen systembedingten Zusammenhängen und Relationen nach den drei Organisationsprinzipien der Lexik betrachtet: das Wort in der Paradigmatik, Epidigmatik und Syntagmatik. Was die Anwendung der Systemmethode auf die zwei anderen inhaltlichen Aspekte, auf den onomasiologischen und semiotischen Aspekt angeht, so haben wir die Problematik hier nur andeuten können und auf die Literatur verwiesen. Die onomasiologische Wortuntersuchung, die in den letzten 10—15 Jahren in der sowjetischen Sprachwissenschaft eine immer größere Anwendung fand, hat die Problematik der Inhaltsseite der Sprache, die Problematik des nominativen und des Zeichenaspekts, bedeutend bereichert. Neu ist in der Untersuchung des nominativen Aspekts nicht nur das Wort, sondern die Sprache insgesamt, wonach vom erkenntnistheoretischen Standpunkt aus die Nomination (vgl. Jazykovaja nominacija 1977) in den jüngsten sowjetischen Arbeiten als ein „Zirkulationsprozeß" betrachtet wird, der die Fakten der außersprachlichen Realität zum Besitz des Sprachsystems und der Sprachstruktur macht, zum Besitz der sprachlichen Bedeutungen, die im Bewußtsein der Sprachträger deren gesellschaftliche Erfahrung widerspiegelt. Die Untersuchung des nominativen Aspekts der Sprache ist eng mit den Prozessen der Zeichenrepräsentation durch die Systemmittel sowie die Mittel des Sprachgebrauchs verbunden, sie erfordert eine Rückkehr zum Problem des Zusammenhangs von Sprache, Denken und objektiver Realität auf einer neuen erkenntnistheoretischen „Stufe". Die im Verhältnis zu der jahrhundertealten Existenz des linguistischen Denkens kurzzeitige Periode des Antimentalismus, die unseren sprachwissenschaftlichen Traditionen völlig fremd war, spielte ihrerseits die Rolle des „negativen Experiments" in der linguistischen Theorie.
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„Die Unmöglichkeit einer adäquaten Beschreibung der Sprache in ihrer realen Funktionsweise ohne die systematische Bezugnahme auf den Inhalt ihrer Einheiten sowie auf die Denk-Sprech-Mechanismen wurde in evidenter Weise darin sichtbar, daß technisch noch so ausgearbeitete und verfeinerte Verfahren zur Einbeziehung einer semantischen Komponente' in taxonomische und generative Sprachmodelle ihr wesentliches Ziel nicht erreichten, die sprachliche Tätigkeit und den damit untrennbar verbundenen Nominationsprozeß zu erklären" (Jazykovaja nominacija 1977: 12). Eine solche Auffassung vom Nominationsprozeß sowie von den Ergebnissen der Nomination hat den Kreis onomasiologischer Probleme bedeutend erweitert und linguistische Untersuchungen zu Fragen der Primär- und Sekundärnomination, der direkten und abgeleiteten (phraseologischen) Benennungen der Wortbildungsnomination sowie der stilistischen Nomination auf die Tagesordnung gestellt (Jazykovaja nominacija 1977). In die linguistische Diskussion wurden verstärkt Fragen zu den Methoden und Zielen onomasiologischer Untersuchungen einbezogen (POCUCHA 1 9 6 4 ; KOMLEV 1 9 6 8 ; ZAONEGIN 1 9 6 9 ; TOROPCEV 1 9 7 0 ; 1 9 7 4 und 1 9 7 5 ; NIKITEVIÖ 1 9 7 3 ) , erstmals wurde eine onomasiologisch-theoretische Beschreibung einzelner Wortarten vorgelegt (KUBRJAKOVA 1 9 7 7 ) , die Mechanismen der Verbalbenennungen (GIGAURI 1 9 7 9 ; FILATOVA 1978) wurden untersucht, schließlich wurden zahlreiche Mikrosysteme des Wortes unter dem nominativen Aspekt in verschiedenen Sprachen beschrieben. Die Prinzipien und Methoden der semiologischen Natur der Sprache im allgemeinen sowie der Wortzeichen im besonderen wurden eingehend charakterisiert. Das semiologische Organisationsprinzip der Sprache, das von der Mehrzahl der sowjetischen Sprachwissenschaftler anerkannt wird, liegt zahlreichen Arbeiten zugrunde (SOLNCEV 1971; STEPANOV 1976; MARTYNOV 1966; 1969; 1974; 1977 a und 1977b; VARDUL' 1977; MEL'NIKOV 1977). Mehrere Untersuchungen zum Zeichenaspekt des Wortes sowie zu dessen zweifacher Benennung wurden in Angriff genommen (UFIMCEVA 1974; 1977), erste Arbeiten zur Beschreibung der charakterisierenden Wortzeichen nach der denotativ-signifikativen Struktur ihrer Zeichenbedeutung wurden vorgelegt (UFIMCEVA 1968a und 1974; KOLSANSKIJ 1976; MEL'NIKOV 1971; KURICYNA 1977). Besonders eingehend wurde der Bedeutungscharakter der Wortzeichen untersucht, die die Klasse der sogenannten deiktischen Wörter konstituieren (UFIMCEVA 1970 und 1976; STERNIN 1973; PODCASOVA 1978; ERZINKJAN 1979). In die semiologische Untersuchung wurden auch zahlreiche Pronomina einbezogen (MAJTINSKAJA 1969; METAKSA 1974; BONDAREV 1978). Abschließend ist festzustellen, daß sich die Autorin im klaren ist, daß vieles in dem vorliegenden Beitrag unberücksichtigt bleiben mußte, daß auch zahlreiche Fragen und Probleme nicht mit der erforderlichen Tiefe hier dargestellt werden konnten. Aus Platzgründen mußte hier auch auf eine textologische Analyse verzichtet werden, die die Mittel sowie die Resultate der lexikalisch-semantischen
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Variation des Wortes, die sich auf unterschiedliche Wortarten sowie unterschiedliche semiologische Klassen bezieht, besser sichtbar machen würde. Die Autorin sieht ihre Aufgabe jedoch als erfüllt an, wenn es ihr gelungen ist, den Problemkreis zu umreißen, der sich bei der Anwendung der Systemmethode auf die Lexik stellt. Sie sieht sie ferner als erfüllt an, wenn sie dazu beitragen konnte, das Interesse an der Beschreibung der Wortsemantik als einer Strukturebene der Sprache zu wecken. Übersetzt von Dieter Viehweger
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