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German Pages 142 Year 1981
Schriftenreihe zur Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung
Band 50
Rezeption als sozialer Prozeß Erläutert am Beispiel der Türkei Von
Prof. Dr. Ernst E. Hirsch
Duncker & Humblot · Berlin
ERNST E. HIRSCH
Rezeption als sozialer Proze&
Schriftenreihe zur Rechtssoziologie und Rechtstatsachenfol'schung Herausgegeben von Ernst E. Hirsch und Manfred Rehbinder
Band 50
Rezeption als sozialer Prozefi Erläutert am Beispiel der Türkei
Von
Dr. iur. Dr. h. c. Ernst E. Hirsch em. o. Profe.sor an der Freien Universität Berlin o. Professor an den Universitäten Istanbul und Ankara (1983.52)
DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN
Alle Rechte vorbehalten
© 1981 Duncker & Humblot. Berlln 41
Gedruckt 1981 bel Buchdruckerei A. SayUaerth - E. L. Krohn. Berlln 61 Printed In Germany ISBN 3 428 05047 9
Vorwort Die Staaten der "Dritten Welt" bedürfen für den Anschluß an das zivilisatorische Niveau der "Alten" und der "Neuen" Welt einer rechtlichen Ordnung, die den für sie völlig neuen Systemen und Institutionen des Wirtschafts- und Soziallebens Genüge tut. Als geeigneter Weg zum Erwerb einer derartigen Rechtsordnung erscheint die Übernahme und Übersetzung ausländischer Gesetze. Der dafür heute üblich gewordene Ausdruck lautet "Rezeption". Man vermeint, durch den Erlaß eines aus irgendeinem modernen Staat übernommenen und in die Landessprache übersetzten Gesetzes ausländisches Recht in inländisches Recht verwandelt zu haben. Diesem Irrtum erlagen die besten Politiker und Diplomaten, die anläßlich der Friedensverhandlungen zwischen der Türkei und deren Feindmächten nach dem ersten Weltkrieg 1922/ 1923 in Lausanne über die Aufhebung der sog. Kapitulationen, d. h. die Abschaffung der Konsulargerichtsbarkeit, verhandelten und offensichtlich der Meinung waren, man könne das im Osmanischen Reich in Jahrhunderten gewachsene islamische Privatrecht durch Einführung von Privatrechtsregeln westeuropäischen Ursprungs von einem Tag auf den anderen ersetzen. Diese Vorstellung wirkt nach Ablauf von 60 Jahren auch heute noch nach, wenn man in Aufsätzen und Büchern zu lesen bekommt, die Türkei habe das schweizerische Zivilrecht übernommen. Das aber ist nicht geschehen; die Türkei hat u. a. zwei schweizerische Zivilrechtsgesetze übersetzen und als türkische Gesetze bei sich einführen lassen, ohne damit das schweizerische Recht zu übernehmen. Recht erschöpft sich nicht im Wortlaut von Gesetzesartikeln. Das, was man "Rezeption" nennt, ist kein einmaliger Akt, sondern ein langwieriger Prozeß, der mit dem Inkraftsetzen von Gesetzen beginnen kann, aber sich dann erst entwickeln muß. Dies wird auf der Grundlage meiner praktischen Erfahrungen in diesem Buche gezeigt, das gegenüber theoretischen Werken zum Rezeptionsproblem den Vorzug genießt, unmittelbar aus einer zwanzigjährigen persönlichen Beobachtung der türkischen Rechtspraxis und einer tätigen Mitarbeit daran erwachsen zu sein. Ich kann an den Lösungsversuchen einer ganz einfachen Rechtsfrage zeigen, wie schwierig es ist, alther übernommene Rechtsvorstellungen aus den Köpfen der Rechtspraktiker und Rechtsgelehrten zu entfernen und dafür zu sorgen, daß sie sich nach denjenigen Rechtsnormen richten, die der Gesetzgeber
Vorwort
4
im Rezeptionsgesetz aufgestellt hat. Da dies nur möglich ist, wenn man in den Einzelheiten und Feinheiten des alten und neuen Rechts Bescheid weiß, ist e'ine Beschränkung allein auf den Rezeptionsprozeß in der Türkei unerläßlich. Die Entwicklung des türkischen Zivil- und Handelsrechts im Laufe von einigen Jahrzehnten zeigt, daß die Rezeption ausländischer Gesetze einen Wechsel des Denkens und eine Angleichung an fremde Rechtsgedanken voraussetzt, ein rechtssoziologisch bedeutsamer Umstand, den Atatürk klar erkannt und zum Prinzip seiner Reformpolitik erhoben hat. So ist es nicht von ungefähr, wenn diese Studie im internationalen Atatürk-Jahr zur Feier der 100. Wiederkehr seines Geburtstages erscheint. Für das Mitlesen der Korrektur danke ich Herrn Professor Dr. Manfred Rehbinder, ohne dessen ständiges Drängen weder dieses Werk
noch andere Bände der Schriftenreihe zur Veröffentlichung gekommen wären, ferner Frau Margret Heidemann für die Herstellung des Manuskripts und Herrn Dieter H. Kuchta nebst seinen Mitarbeitern im Verlag Duncker & Humblot für die Sorgfalt bei der Herstellung des Buches. Königsfeld im Schwarzwald im November 1981
Ernst E. Hirsch
Inhaltsverzeichnis Einleitung
9
Erstes Kapitel Die Rezeption fremden Rechts als sozialer Prozeß
11
I. Gegenstand der Rezeption ....................................
11
II. Einmaliger Akt oder sozialer Prozeß ..........................
13
1. Übernahme eines ausländischen Gesetzes ..................
13
2. Die Wege für die übertragung rechtlichen Gedankenguts
17
3. Von welchen Umständen hängt der faktische Beginn des Rezeptionsprozesses ab? .....................................
19
4. Dauer der Abhängigkeit ..................................
25
Zweites Kapitel Vier Phasen im Ablauf der Rezeption der schweizerischen Gesetze in der Türkei
29
A. Planung und Vorbereitung der Rezeption.. . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . .. . ..
29
I. Die wirklichen Ursachen und Gründe ........................
29
1. Verpflichtung zur Reorganisation des Rechts- und Gerichts-
wesens ...................................................
30
2. Äußerungen des Justizministers Mahmut Esad Bozkurt ....
32
3. Schlußfolgerungen ........................................
35
H. Die Übersetzung der schweizerischen Gesetzestexte in das Türkische .......................................................
37
1. Sprachliche Schwierigkeiten ...............................
37
2. Mangel an nationalen Entscheidungsnormen ..............
41
3. Bewußte Abweichung des türkischen Textes vom Original 43 4. Aufhebung des alten Zivilrechts ..........................
44
5. Ergänzungs- und Nebengesetze ...........................
46
HI. Die Begründung zu den Gesetzentwürfen ....................
48
1. Aus der Begründung zum Gesetzentwurf eines türkischen
Zivilgesetzbuchs (TZGB) und Obligationengesetzbuchs (TOG)
48
6
Inhaltsverzeichnis 2. Aus dem Bericht des Justizausschusses der Großen Nationalversammlung .............................................
50
B. Die Ausführung des Rezeptionsgesetzes als Aufgabe des Rechtsstabs 51 I. Die Schwierigkeiten .........................................
51
11. Die zentrale Bedeutung von Rechtslehre und Rechtsunterricht 53 1. Die Errichtung der Rechtsschule in Ankara ................
53
2. Der Geist der Medresse ...................................
55
3. Die ausländischen Professoren ............................
56
4. Unterlassene Unterweisung der Praktiker ................
57
C. Wegeleitung durch die Wissenschaft ............ . ...................
58
I. Einführung ..................................................
58
11. Urteile des Kassationshofs, die sich auf die Verjährungsfrist von Ansprüchen auf "ecrimisil" beziehen ..........................
60
111. Der Ausdruck "ecrimisil"
61
IV. Die gesetzlichen Termini
64
V. Wer ist der Kläger? .........................................
65
VI. Wer ist Beklagter? ..........................................
65
VII. Gegenstand der Klage ......................................
67
VIII. Qualifizierung des Anspruchs ................................
68
IX. Die Ansprüche aus unberechtigtem Besitz ....................
69
X. Die Ersatzklage nach Art. 895 und 896 TZGB ..................
71
XI. Die Schadensersatzk1age nach Art. 906 und 908 TZGB ........
74
XII. Rückgabepflicht hinsichtlich der Früchte ......................
77
XIII. Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung ............
81
XIV. Klage aus ungerechtfertigter Bereicherung
81
XV. Klage aus Geschäftsführung ohne Auftrag
82
XVI. Ergebnis
82
D. Die Verwirklichung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung . ..... 83 I. Entscheidung des Großen Senats Nr. E UlK 2 vom 1. 3. 1950
83
H. Entscheidung des Großen Senats Nr. E UlK 4 vom 8. 3. 1950
86
Inhal tsverzeichnis
7
88
E. Schlußbemerkung
I. Für Entwicklungsländer, welche ausländische Gesetze übernehmen wollen ..................................................
88
H. Für theoretisch und praktisch verwertbare Rechtsvergleichung 89 Drittes Kapitel Ist die Berücksichtigung ausländischer Gesetzestexte anläßIich einer Kodifikation eine Rezeption?
90
I. Das türkische Handelsgesetzbuch von 1926 ....................
90
1. Was bedeutet Kodifikation? ..............................
90
2. Das türkische Privatrecht vor und nach dem 4. Oktober 1926 91 3. Fortdauer des Dualismus von Zivil- und Handelsrecht . . . . ..
92
4. Die Unstimmigkeiten innerhalb des HGB ..................
92
H. Reformbestrebungen
94
1. Die Hauptvorschläge ....................... . . . ...... . . . ...
94
2. Kommissionen ............................................
97
3. Eigene Bemühungen ......................................
97
UI. Die Hauptziele der Reform ................... . ..............
99
1. Die Einheit des Privatrechts ..............................
99
2. Der Zentralbegriff des Handelsrechts ...................... 101 IV. Das kaufmännische Unternehmen ............................ 103 1. Textrezeptionen aus dem schweizerischen Rechtskreis ...... 103
2. Handelsgesellschaften ..................................... 104 V. Seehandelsrecht
107
VI. Hauptunterschiede zwischen deutschem und türkischem Seehandelsrecht .................................................... 109 1. Begriffsbestimmungen
.................................... 109
2. Flaggenrecht
109
3. Schiffss'achenrecht
110
4. Reeder, Ausrüster, Partenreederei ........................ 110 5. Kapitän .................................................. 111 6. Verträge des Seehandelsrechts ............................ 111 7. Haverei
112
8. Bergung und Hilfeleistung ............................... 113 9. Schiffs- und Ladungsgläubiger ............................ 113
8
Inhaltsverzeichnis VII. Privatversicherungsrecht ................. . ................... 114 VIII. ErgebniS\Se
116
1. HGB von 1926 ............................................ 116
2. THGB von 1956 .......................................... 117 3. Auch Kodifikationen können zu Rezeptionen führen ........ 118 Gesamtergebnis I. Was ist "Das Recht" als Objekt einer Rezeption?
120 120
11. Bedeutungswandel des Begriffs "Rezeption" .................. 123 111. Die übernahme der Texte des schweizerischen Zivilgesetzbuchs und Obligationenrechts durch die Türkei ...................... 124 1. In ihrer rein tatsächlichen Bedeutung
124
2. Die Stellung des türkischen Richters
127
3. Kann bei Anwendung türkischer Gesetze auf schweizerisches Recht zurückgegriffen werden? ............................ 129 IV. Die Besonderheiten des Rezeptionsgesetzes .............. . .... 130 1. Aktuelles und potentielles Recht .......................... 131
2. Rechtsvereinheitlichung ................... . ............... 133 a) Retortengesetze ........................................ 133 b) Einheitliches Gesetz erzwingt nicht einheitliches Recht 134 3. Anpassung
............................................... 135 Register
138
Einleitung Seit fast einem halben Jahrhundert bin ich wissenschaftlich mit Fragen der Rezeption konfrontiert worden. Vom ersten Tag meiner Tätigkeit als Professor des Handelsrechts an der Universität Istanbul, d. h. seit dem Herbst 1933, habe ich mich mit der Rezeptionsfrage tagtäglich befassen müssen, weil die Rechtsnormen, mit denen ich es zu tun hatte, nicht autochthon im Lande gewachsen waren, sondern fremdstämmiges rechtliches Gedankengut bildeten, das man in die türkische Sprache übersetzt und im Gewand türkischer Gesetze hatte in Geltung setzen lassen. Es waren nicht nur die beiden aus der Schweiz importierten Kodifikationen (Zivilgesetzbuch und Obligationenrecht), auf die man in der einschlägigen Literatur allein verweist, sondern, was kaum beachtet worden ist, auch das Handelsgesetzbuch von 1926 und sein seerechtliches Buch von 1929. War das letztere eine Übersetzung des vierten Buches des deutschen Handelsgesetzbuches, so war die handelsrechtliche Kodifikation von 1926 eine Kompilation aus mindestens einem Dutzend ausländischer Gesetze. Auch insoweit handelte es sich de facto um eine Rezeption in dem hier gemeinten Sinn, auch wenn sie jeweils nur die Übernahme der für ein bestimmtes Rechtsinstitut aufgestellten Rechtssätze aus diesem oder jenem Staat betraf. Die hieraus entstandenen Schwierigkeiten, die man großenteils hätte voraussehen können und müssen, zwangen nicht nur aus dogmatischen und rechtstheoretischen Erwägungen, sondern aus Gründen der praktischen Rechtsanwendung zu mehr oder weniger tiefgreifenden Korrekturen, deren umfangreichste der Ersatz des Handelsgesetzbuchs von 1926/1929 durch das neugeschaffene und am 1. 1. 1957 in Kraft getretene Türkische Handelsgesetzbuch gewesen ist. Daß dieses neue, von mir vorbereitete umfangreiche Gesetz mit seinen 1475 Artikeln in Wirklichkeit die Fortsetzung und der vorläufige Abschluß der in den 20er Jahren begonnenen Privatrechtsrezeption der Türkei gewesen ist, sei mit aller Klarheit hier betont. Es scheint mir deshalb als unmittelbar Beteiligter und nächster Beobachter dieses sich über Jahrzehnte erstreckenden Prozesses nicht unberechtigt zu sein, meine diesbezüglichen wissenschaftlichen Äußerungen in deutscher oder türkischer Sprache in einer einheitlichen Darstellung zusammenzufassen und bei dieser Gelegenheit deutlich zu machen, daß und wie sich meine eigene Sicht der Probleme im Laufe
10
Einleitung
der Jahre entwickelt hat. Die folgenden Ausführungen stellen also nicht die erneute Wiedel'gabe, sondern die kritische Neubearbeitung meiner im Laufe von Jahrzehnten erschienenen zahlreichen Veröffentlichungen dar und zeigen die Komplexität des sozialen Prozesses, den man mit "Rezeption" zu bezeichnen pflegt.
Erstes Kapitel
Die Rezeption fremden Rechts als sozialer Proze/31 I. Gegenstand der Rezeption Daß die Rezeption des römischen Rechts in den kontinentalen Ländern Europas, vor allem in Deutschland, ein Vorgang war, der in der Soziologie als sozialer Prozeß bezeichnet wird, ist uIl!bestritten 2 • Etwas anderes aber soll gelten, "wenn die Einführung fremder gesetzlicher Normen oder ganzer Gesetzbücher durch Gesetzgebungsakt terfolgt), wie sie sich namentlich in der neueren Rechtsgeschichte vielfach findet, wo gewisse zivilrechtliche Kodifikationen - der französische Code Civil, das deutsche BGB und neuerdings das ZGB und das OR der Schweiz - sich als Modelle für fremde Gesetzgebungen besonderer Beliebtheit erfreuen"3. Es herrscht die Vorstellung, daß bei modernen Rezeptionen irgend eine Autorität, ein Gesetzgeber anordnen könnte, daß von heute an fremdes Recht gelte und das bisherige aufgehoben sei4, daß - mit anderen Worten - die Rezeption ein "einmaliger Akt"6 ist. Diese Auffassung ist unhaltbar. Sie beruht auf der positivistischen Vorstellung, daß allein das Wort des Gesetzgebers dazu ausreiche, das Recht zu verändern, und verwechselt die Idealität einer Rechtsnorm 1 Neue Fassung meines gleichnamigen Beitrages in der Festgabe für Friedrich Bülow, Berlin 1960, S. 121 - 137. 2 Vgl. statt vieler P. Koschaker (Europa und das römische Recht, 2. Auf!. 1953, S. 145), der darauf hinweist, daß die Rezeption des römischen Rechts in Europa "in jahrhundertelanger Auseinandersetzung mit dem heimischen Recht" erfolgte; ferner H. Coing: Die Rezeption des römischen Rechts in Frankfurt am Main, 1950, S.7: "Geistesgeschichtlicher Prozeß"; G. Dahm: Zur Rezeption des römisch-italienischen Rechts, Darmstadt 1955, S.48: "Eine von oben nach unten vordringende Bewegung." 3 So E. Pritsch: Das schweizerische Zivilgesetzbuch in der Türkei, seine Rezeption und die Frage seiner Bewährung, in: Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft 59 (1957), S. 123 (128 f.). 4 So Koschaker (N. 2) ebd., allerdings mit der Einschränkung in Anm. 3, daß auch in derartigen Fällen ,eine Auseinandersetzung des rezipierten mit dem heimischen Recht stattfinde, denn der Gesetzgeber "kann zwar das Recht von heute auf morgen ändern, nicht aber die Menschen, für die es gilt und die es in Zukunft anzuwenden haben". /; So Pritsch (N. 3), S. 129 Anm. 8.
12
1. Kap.: Die Rezeption fremden Rechts als- sozialer Prozeß
(daß sie gelten soll) mit ihrer Realität (daß sie faktisch gilt, d. h. befolgt und angewandt wird). Sie wird durch die Fakten widerlegt, die jeder Beobachter feststellen kann, der den Ablauf einer Rezeption verfolgt, die von einer gesetzgeberischen Instanz zwar ausgelöst, aber nicht verwirklicht wird. Denn jede Rezeption fremden Rechts stellt eine Übertragung und Einpflanzung von rechtlichem Gedankengut 6 , nicht aber von Rechtsnormen dar. Rezipiert werden rechtliche Vorstellungen, Ideen, Ideale, die zwar in der Formulierung des ausländischen Vorbilds als Gesetzesnormen fixiert sind, aber für den rezipierenden Gesetzgeber nicht den Charakter von Rechtsnormen, sondern von faktischen Mustern und Modellen besitzen. Man importiert, mit anderen Worten, weder fremdes Recht noch fremde Gesetzbücher, sondern fremdes Kulturgut, das erst nach seiner sprachlichen und systematischen Umgestaltung die für den eigenen Gebrauch erforderliche äußere Form findet und im ordnungsmäßigen Gesetzgebungsgang als verbindliche Rechtsnorm beschlossen, verkündet und in Kraft gesetzt werden kann. Erst vom Tage seines Inkrafttretens an beansprucht es Geltung im Rechtssinne, dekretiert also, soziologisch gesehen, die Erwartung, daß der Norm entsprochen wird. Diese Erwartung kann sich bei jeder einzelnen vom Gesetzgeber statuierten Norm ganz oder nur teilweise erfüllen oder ganz oder teilweise nicht erfüllen. Nur in dem Grade, in dem sich diese Erwartung erfüllt, verliert das im heimischen Gewand des Gesetzes fixierte, aber aus dem Ausland importierte rechtliche Gedankengut seinen Charakter als "fremdes" und kann, weil es als Wirkungsfaktor im nationalen Recht aufgegangen ist, für "rezipiert", d. h. nicht nur für übernommen, sondern auch für angenommen gehalten werden. Der Vorgang der Rezeption fremden Rechts gehört, mit anderen Worten, zu dem soziologischen Problemkreis, den man im Anschluß an William F.Ogburn mit dem Ausdruck "sozialer Wandel" bezeichnet. Es handelt sich um einen Fall von exogenem Wandel, der sich durch Integrierung des fremden Kul6 Die von mir vertretene Auffassung, daß nicht Rechtsnormen, sondern rechtliches Gedankengut rezipiert wird, ist keinesfalls so originell, wie es E. Pritsch (N.3) darstellt. So gebraucht Coing (N.2, S. 86) ebenfalls den Ausdruck "Gedankengut"; K. Michaelis: Wandlungen des deutschen Rechtsdenkens seit dem Eindringen des fremden Rechts, Berlin 1935, S. 20, sagt: "Es besteht heute übereinstimmung darüber, daß nicht das Gesetzbuch Justinians und noch weniger natürlich das sog. klassische römische Recht den Gegenstand der Rezeption gebildet haben, sondern die Lehren, die die kirchlichen und weltlichen oberitalienischen Juristen aufgrund des Corpus Iuris ... entwickelt haben"; Dahm (N.2, S.23): "Die italienischen Juristen haben das römische Recht nicht als lebendiges und geschichtliches Recht übernommen, sondern das im elften Jahrhundert in seinen Hauptteilen wiederentdeckte Corpus Iuris als einen zunächst fremdartigen Bildungsstoff rezipiert. "
II. Einmaliger Akt oder sozialer Prozeß?
13
turgutes in die übernehmende Gesellschaft in mehreren Stufen und Graden der Diffusion und Assimilation vollzieht. Das durch Rezeption integrierte neue Gedankengut ist verschiedener Art: Es ist rechtsphilosophischer Art, soweit es in den Ideologien zum Ausdruck kommt, die den Rechtssätzen und Rechtseinrichtungen ihre besondere weltanschauliche, religiöse, politische Färbung geben. Es ist rechtstechnischer Art, soweit es seinen Ausdruck in Gesetzen, Verordnungen, Gerichtsentscheidungen gefunden hat, die nicht als positive Rechtssätze mit Geltungsanspruch importiert werden, sondern als Materialien, welche sich dank ihrer rechtstechnischen Formung zum Einbau in das interne Rechtssystem besonders gut eignen. Es ist schließlich rechtswissenschaftlicher (dogmatischer) Art, soweit es seinen Ausdruck im Schrifttum findet oder an den Hochschulen in Vorlesung, übung und Seminar, in Vorträgen und auf Tagungen mündlich vorgetragen und erörtert wird.
11. Einmaliger Akt oder sozialer Prozeß? Gegen diese Auffassung wendet sich Pritsch mit der Begründung, "folgerichtig zu Ende gedacht wäre die Rezeption fremden Rechts nicht ein einmaliger Akt, sondern ein ständiger Prozeß mit dem Ziel einer vollständigen Integration des fremden Gedankenguts, wobei die rechtsphilosophische, rechtstechnische und rechtswissenschaftliche Entwicklung in dem repizierenden Lande von der entsprechenden Weiterentwicklung im Heimatland des rezipierten Rechts dauernd abhängig bleiben müßte und erst dann ein Ende fände, wenn das rezipierte Recht durch anderes Recht ersetzt würde. Abgesehen davon, daß sich eine derartige geistige Abhängigkeit eines souveränen Staates wohl kaum denken ließe, ist nicht recht einzusehen, wie eine solche Art der Entwicklung möglich sein soll, wenn ein Land auf verschiedenen Rechtsgebieten Gesetze verschiedener Länder rezipiert hat"7. Ich darf demgegenüber meinen Standpunkt erneut zur Diskussion stellen.
1. übernahme eines ausländischen Gesetzes Die Rezeption fremden Rechts ist selbst dann kein einmaliger Akt, sondern ein sozialer Prozeß, wenn sie auf legislativem Wege durch Übernahme eines ausländischen Gesetzgebungswerkes oder eines ausländischen Gesetzes in die heimische Rechtsordnung erfolgt. 7
N.3ebd.
14
1. Kap.: Die Rezeption fremden Rechts als sozialer Prozeß
a) Mit Recht macht Ferid AyiterB im Anschluß an Wieacker 9 darauf aufmerksam, daß für den Begriff einer "Rezeption" drei Momente wesentlich sind: das Rezipieren, der Gegenstand der Rezeption und das rezipierende Subjekt. Das "Rezipieren" wird von Ayiter als "Aufnahmeakt" bezeichnet: "Das Rezipieren eines fremden Gesetzes macht aus etwas Nichtverbindendem ein bindendes Recht bzw. eine Schöpfungsquelle hierzu. Es ist daher wohl el'denklich, den Rezeptionsakt als die gesetzgebende (legislative wie gewohnheitsrechtliche) Handlung in das autoritär-zwingende Moment, das in dieser Handlung als solches enthalten ist, zu verlegen, d. h. mit irgendeinem autoritär-zwingenden Grund bzw. Einfluß in Verbindung zu denken10." Aus dieser Sinndeutung des Rezeptionsaktes wird deutlich, daß die von Pritsch repräsentierte Lehrmeinung unter Rezeption und Rezipieren gerade nicht den sozialen Vorgang des übernehmens und Entnehmens des fremden Rechts, d. h. einen langsamen Amalgamierungsprozeß zwischen dem festgewurzelten Alten und dem hereinströmenden N euen versteht, sondern allein den normativen gesetzgeberischen Akt, welcher als eine Art Startschuß die verfassungsrechtlich notwendige Rechtsbedingung für den Beginn, die Vollziehung und den Ablauf des Rezipierens darstellt. Denn daß das Rezipieren in Wahrheit ein "procedere", ein Dauervorgang und kein einmaliger Akt ist, verkennt auch Ayiter nicht, wenn er zum eigentlichen Rezeptionsproblem die Frage erklärt: "Wie können fremde Gesetzbücher, die übernommen werden, sich zu einer Quelle nationaler Rechtsbildung und -gestaltung entfaltenl l ?" Diese Fragestellung ist nicht nur, wie Ayiter meint, eine philosophische, sondern zugleich auch eine soziologische, soweit dieser Entfaltungsprozeß zu einem sozialen Wandel führt. Im Grunde genommen ist auch Pritsch selbst dieser Auffassung, wenn er ausführt, "daß nicht alle Rechtsgebiete in gleicher Weise rezeptibel oder, wenn rezipiert, der Verwirklichung zugänglich sind"12. Kann man eine Norm, deren Verwirklichung, d. h. praktische Durchführung, sich aus irgendwelchen Gründen als unmöglich erweist, die also lettre morte bleibt und keinerlei Bedeutung gewinnt1 3 , im Ernst als "rezipiert", d. h. - in der grammatikalischen Form des Perfekts - als übernommen oder vom heimischen Recht aufgenommen bezeichnen? 8 Das Rezeptionsproblem im Zeichen der kulturhistorischen Perspektive "Europa und das römische Recht" und unter besonderer Berücksichtigung der Rezeption westeuropäischer Gesetzbücher in der modernen Türkei, in: L'Europa e il Diritto Romano (Studi in Memoria di Paolo Koschaker), Milano 1954, Bd. 2, S. 130 (137). 9 Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, Göttingen 1952, S.64 Anm.2. 10 N.8 S. 147 f.
11
N. 8 S. 143.
12 N. 3 S. 134. 13 Hierfür gibt es gerade bei der Rezeption europäischen Rechts durch die Türkei eine Vielzahl von Beispielen.
II. Einmaliger Akt oder sozialer Prozeß?
15
Der auch von Pritsch ausdrücklich hervorgehobene Unterschied zwischen Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit zwingt bei der Übernahme fremder Gesetze zu einer scharfen Unterscheidung zwischen dem, was laut gesetzgeberischem Akt rezipiert werden soll, und demjenigen, was im Laufe eines über Jahre und Jahrzehnte sich erstreckenden sozialen Prozesses durch Normverwirklichung faktisch rezipiert wird. Man sollte deshalb im Interesse der Klarheit zwischen dem Rezeptionsgesetz und "der" Rezeption als dem sozialen Prozeß der Integrierung fremden Rechts einen deutlichen Unterschied machen14 • b) Die unrichtige Vorstellung, die Rezeption sei ein einmaliger Akt, wird wohl auch dadurch genährt, daß der Gegenstand der Rezeption ungenau, um nicht zu sagen: unrichtig, bezeichnet wird. Wenn auch Einigkeit darüber besteht, daß nicht ein fremdes Recht als Ganzes rezipiert werden kann, weil dieses mit einem bestimmten Gesellschaftsintegrat unlösbar verbunden isV 5 , so wird doch immer wieder behauptet, rezipierbar sei ein fremdes Recht insoweit, als es schriftlich fixiert sei, wobei es keinen Unterschied mache, ob die Fixierung in Form eines Gesetzes oder, wie beim Corpus Iuris, in Gestalt einer privaten wissenschaftlichen Bearbeitung erfolgt seP6. Ein case-Iaw wie das anglo-amerikanische Recht dagegen könne nie rezipiert werden, weil, wie Koschacker17 meint, niemand ernstlich daran denken könne, die Tausende von Bänden mit einer noch viel größeren Anzahl von Urteilen als Grundlage des neuen Rechts einzuführen, zumal es sich hier um eine ständige Rechtsschöpfung handele, die ihrer Natur nach nicht in das Rechtsleben eines anderen Volkes verpflanzt werden könne1S • Immerhin räumt Pritsch19 ein, eine Rezeption des anglo-amerikanischen case-Iaw sei in der Art denkbar, daß es in dem rezipierenden Lande kodifiziert würde. Ich stimme dieser Auffassung nicht nur zu, sondern kann sie sogar mit Beispielen aus dem türkischen Recht praktisch belegen: Die im türkischen Handelsgesetzbuch von 1926 im Abschnitt über den Handeiskauf eingereihten Vorschriften über das eif-Geschäft beruhten auf der übersetzung eines Entwurfs, der von der französischen Landesgruppe der International Law Assoeiation aufgestellt worden war 14 So im Ergebnis und teilweise auch in der Begründung schon F. Hollack, in: Logos 16 (1927), S. 1 ff. 15 F. Ayiter (N. 8), S. 150: "Das Recht dieser Gemeinschaft ist eben wie ein Stück Fleisch von ihr." 16 Pritsch (N.3), S. 129 f.; auch Ayiter (N.8), S. 152 f., unterstreicht, daß nur fremde Gesetzbücher und nicht fremdes Recht rezipiert werden, weil dies "im Wesen des menschlich gesetzten Rechts begründet (das Naturrecht einbegriffen)" liege. 17
18 19
N. 2 S. 162.
So Ayiter (N. 8), S. 152 f., 156.
N. 3 S. 130.
16
1. Kap.: Die Rezeption fremden Rechts als sozialer Prozeß
und bei der Ausarbeitung der Warschauer Regeln von 1928 und der Warschauer-Oxforder Regeln von 1932 als Material gedient hat. Da die letztgenannten Regeln die im Überseehandel üblichen Rechtssätze widerspiegeln, wurden sie, obwohl sie großenteils Niederschlag wichtiger Leitentscheidungen aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis sind, bei der Ausarbeitung des Entwurfs eines neuen türkischen Handelsgesetzbuchs in die Form von Gesetzesartikeln gebracht und als Art. 1139 bis 1158 des neuen türkischen Handelsgesetzbuchs am 1. 1. 1957 in Kraft gesetzt. Die aus dem deutschen Seehandelsrecht in das türkische HGB von 1929 übernommenen Vorschriften über die große Haverei waren toter Buchstabe geblieben, weil in der Praxis entsprechend den in Konossementen und Charterpartien enthaltenen Bedingungen die York-Antwerpener Regeln maßgebend waren. Diese aber sind bekanntlich nach Form und Inhalt nichts anderes als die Quintessenz von Entscheidungen anglo-amerikanischer Gerichte. Dieses ganze Material wurde unter Aufrechterhaltung seines rechtlichen Inhalts in eine Form gebracht, die der kontinentalen Gesetzestechnik entspricht, und als Art. 1179 bis 1215 des neuen türkischen HGB ebenfalls am 1. 1. 1957 in Kraft gesetzt. Welcher Schluß ist hieraus zu ziehen? Werden wirklich "Gesetze" und "Rechtsnormen" rezipiert? Die negative Antwort scheint mir klar und eindeutig: Der Vorgang einer jeden Kodifikation besteht darin, daß rechtliches Gedankengut ohne Rücksicht auf seine Herkunft sowie Form und Gestalt seiner Fixierung aus den Sätzen des heimischen oder ausländischen Gesetzesrechts, heimischen oder ausländischen Gewohnheitsrechts, heimischen oder ausländischen Gerichtsbrauchs, heimischen oder ausländischen wissenschaftlichen oder politischen Schrifttums nach bestimmten Gesichtspunkten ausgewählt und in die Form eines Gesetzesentwurfs oder Gesetzesvorschlags gebracht, in wissenschaftlichen, politischen, parlamentarischen Diskussionen gesichtet, gesiebt, ergänzt, umgestaltet und schließlich in derjenigen Gestalt und mit demjenigen Gehalt in Kraft gesetzt wird, die der gesetzgebenden Instanz angemessen erscheint. Nichts anderes gilt für diejenigen Gesetzgebungsakte, die als Rezeption fremden Rechts bezeichnet werden, die Rezeptionsgesetze. Auch hier dient das ausländische Gesetz oder die ausländische Rechtsnorm, die von den verfassungsrechtlich zuständigen Instanzen als rezipierbar angesehen wird, als Material, Muster, Modell, das erst in die gehörige Form umgewandelt werden muß, bevor es als neuer, für das nationale Sozialleben maßgebender Normenkomplex in Geltung gesetzt werden kann. Zur Rezeption gestellt wird nicht irgendeine abstrakte Norm, die von den Adressaten nach Willkür, Belieben oder persönlichen Interes-
H. Einmaliger Akt oder sozialer Prozeß?
17
sen verwirklicht werden soll, sondern ein durch Kodifizierung in die abstrakte Norm gekleideter konkreter Rechtsgedanke, der als geistiges Kulturgut aus seinem bisherigen Bereich übernommen werden soll und in einem neuen Bereich eingepflanzt wird. Inwieweit diesem rechtlichen Gedankengut im neuen Bereich ein Neuaufleben und Fortleben beschieden ist, hängt von den Bedingungen und Verhältnissen des Soziallebens ab, auf das dieser importierte Rechtsgedanke nunmehr als Norm Anwendung finden soll. Das Weiterleben, die Verwandlungen und Veränderungen, das Hinwelken oder Absterben eines aus einem fremden Bereich übernommenen Kulturguts in den Händen des neuen Trägers, dieses in der rechtshistorischen Literatur ausgiebig erörterte Problem der "historischen Kontinuität" hat für den Vorgang der Rezeption nur insoweit Bedeutung, als man nach Jahr und Tag feststellen kann, ob und gegebenenfalls wie der zur Rezeption gestellte Rechtsgedanke im neuen Bereich Wurzeln geschlagen hat. c) Die unrichtige Vorstellung, die Rezeption sei ein einmaliger Akt, wird schließlich auch durch den Umstand mit beeinflußt, daß man bei der Übernahme fremden Rechtsguts durch staatliches Gesetz als rezipierendes Subjekt den Gesetzgeber ansieht. Es dürfte aber klar geworden sein, daß die Funktion des Gesetzgebers in diesem Falle keine andere ist wie bei sonstigen Kodifikationen: nämlich die Auswahl, Formulierung, Bereitstellung von rechtlichen Gedanken in Form von Rechtsnormen und ihr Inkraftsetzen. Ob und wie die Norm verwirklicht wird, ist nicht mehr Sache des Gesetzgebers, sondern anderer Mächte und Gewalten.
2. Die Wege für die Übe1·tragung rechtlichen Gedankenguts Das schließt aber nicht aus, daß der Gesetzgeber mit seinem Rezeptionsgesetz einen Rezeptionsprozeß mit dem Ziel einer Integrierung des fremden Gedankenguts auslöst, was ebenfalls von Pritsch zu Unrecht bestritten wird. Denn hätte der Gesetzgeber dieses Ziel nicht, so wäre es unverständlich, warum er fremde Gesetzbücher übersetzen und im normalen Gesetzgebungsgang als heimisches Gesetz beschließen, verkünden und in Kraft setzen läßt. Ob und bis zu welchem Grade dieses Ziel theoretisch erreichbar ist und praktisch erreicht wird, hängt von zahlreichen Faktoren ab, die an dieser Stelle nicht weiter interessieren. Daß aber alle, die staatlicherseits von Amts wegen verpflichtet sind, an der Erreichung dieses vom Gesetzgeber gesteckten Zieles mitzuarbeiten, diese Integrierung des fremden rechtlichen Gedankenguts als geradezu selbstverständliche Pflicht auffassen, kann durch zahlreiche Fakten belegt werden. So hat man sich nicht damit begnügt, die schweizerischen Gesetze ins Türkische zu übersetzen und als türkische Gesetze zu verkünden und 2 Hirsch
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1. Kap.: Die Rezeption fremden Rechts als sozialer Prozeß
in Kraft zu setzen. Ähnliches hatte man seit 1839 schon wiederholt getan, ohne damit mehr zu erreichen, als daß die nach westlichem Muster geschneiderten Gesetze auf dem Papier stehen blieben. Nur unter diesem Gesichtspunkt gewinnt das Werk Atatürks ja seine wirkliche Größe und Bedeutung: Er hat erkannt und nach dieser Erkenntnis auch gehandelt, daß die Rezeption einen Wechsel des Denkens, eine Angleichung an fremdes Rechtsdenken voraussetzt, also ein Einpflanzen fremden Gedanken- und Kulturguts bedeutet. Um eine radikale Rechtsreform durchzuführen und das aus Europa importierte rechtliche Kulturgut zu integrieren, wurden zwei entscheidende Maßnahmen getroffen. a) Einmal holte man sich aus Europa, vor allem aus der Schweiz, Deutschland und Frankreich, Hochschullehrer und Spezialisten, um Inhalt und Tragweite des importierten rechtlichen Gedankenguts den türkischen Studenten und den türkischen Praktikern durch sachverständige Lehrer vermitteln zu lassen. Diese ausländischen Gelehrten haben, wenn der Ausdruck gestattet ist, als "Sauerteig" gewirkt. Ihr Einfluß blieb nicht auf den Hörsaal beschränkt. Vielmehr haben sie durch ihre wissenschaftliche Wirksamkeit, durch Veröffentlichung von Lehrbüchern, Grundrissen und Monographien, durch Ausbildung von Assistenten und Dozenten, durch Vorträge und Seminare, durch Mitwirkung bei der Gestaltung des Stundenplans, der Prüfungen und der Universitätsverwaltung auch mittelbar einen erheblichen Beitrag zur Konsolidierung des importierten rechtlichen Gedankenguts geleistet. Den gleichen Beitrag haben aber auch alle diejenigen türkischen Professoren und Richter geleistet, die im Ausland ausgebildet, nach der Rückkehr in die Heimat die Mehrzahl der Lehrstühle besetzt haben oder an wichtiger Stelle als Richter ihres Amtes walten. Besonders die Auffrischung der Richterschaft am obersten Gerichtshof durch Richter, die bereits im neuen westlich-weltlichen Geist ausgebildet und erzogen sind, hat eine wesentliche Wandlung der Rechtsprechung im Sinne der neuen Gesetze herbeigeführt. b) Die zweite Maßnahme bestand darin, daß das Justizministerium schweizerische Kommentare zum ZGB und OR übersetzen ließ und sie nicht nur den Richtern unentgeltlich zugänglich machte, sondern auch zu sehr niedrigen Preisen auf den Markt brachte. Daneben sind und werden die wichtigsten Entscheidungen des schweizerischen Bundesgerichts in türkischer Übersetzung in der Zeitschrift des Justizministeriums sowie in den Zeitschriften der türkischen Rechtsfakultäten und Rechtsanwaltskammern laufend publiziert. Schließlich sind zahlreiche juristische Standardwerke aus der schweizerischen, deutschen, französischen und italienischen Rechtsliteratur ins Türkische übertragen worden.
Ir. Einmaliger Akt oder sozialer Prozeß?
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3. Von welchen Umständen hängt der faktische Beginn des Rezeptionsprozesses ab? Ein Gesetzgeber, der von der Notwendigkeit überzeugt ist, auf bestimmten Gebieten mit der heimischen Rechtstradition brechen und an die Stelle des überkommenen Rechts ein Recht setzen zu müssen, das dem Rechtsdenken eines anderen Staates entspricht, kann sich nicht damit begnügen, die entsprechenden Gesetze des fremden Staates zu übersetzen, als Landesgesetze im Amtsblatt zu veröffentlichen und in Kraft zu setzen. Denn hiermit wird nur die verfassungsrechtliche Voraussetzung dafür geschaffen, daß der Rezeptionsprozeß von Rechts wegen beginnen kann. Ob und wann er faktisch beginnt, hängt vor allem von folgenden Umständen ab: a) Die Übersetzung oder, genauer gesagt, die Bearbeitung (Adaptation) von Sätzen, die als Rechtssätze in ausländischen Gesetzbüchern formuliert vorliegen, ist zwar bequem, aber gefährlich. Sie ist bequem, weil man sich nicht nur die Arbeit der Formulierung des Rechtssatzes, sondern auch die Arbeit des Nachdenkens darüber spart, welche rechtliche Regelung für einen Lebenssachverhalt am angemessensten ist. Und sie ist gefährlich, weil - traduttore traditore - das richtige und sachgemäße Übersetzen eine Kunst ist, die nur von wenigen wirklich beherrscht wird. Die Zahl der Übersetzungsfehler und Ungenauigkeiten ist in der Regel recht groß. Dadurch kommt der Richter in eine schwierige Lage: von Amts wegen hat er das türkische Recht, d. h. den amtlichen türkischen Text anzuwenden. Oft aber wird er, sei es durch einen sprachkundIgen Anwalt, der vor ihm plädiert, sei es durch einen Hochschullehrer oder eine wissenschaftliche Publikation darauf aufmerksam gemacht, daß der türkische Text seinem ausländischen Muster nicht entspricht. In manchen Fällen ist die Abweichung gewollt und als solche klar ersichtlich. Dann entstehen keine Schwierigkeiten. Es gilt der türkische Text. In den meisten Fällen ist aber die Abweichung nur eine Folge der Unachtsamkeit des Übersetzers, der z. B. bei der Übersetzung des französischen Textes des schweizerischen Obligationenrechts das Wort "faute" statt mit "Verschulden" mit "Irrtum" übersetzt, was in einem Falle richtig, in vielen anderen Fällen aber falsch ist. Die Praxis hat eine Fülle derartiger vom Gesetzgeber nicht beabsichtigter Ungenauigkeiten und Fehler zutage gefördert, die z. T. grotesk anmuten. In diesen Fällen einer vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Abweichung vom ausländischen Vorbild hat der Richter gemäß Art.l Abs.2 des Zivilgesetzbuchs, d. h. "nach konstanter Rechtsprechung und Lehre" zu entscheiden. Ist die Rechtsprechung national, so ist die wissenschaftliche Lehre nicht an die Landesgrenzen gebunden. Der
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ausländische Originaltext und seine Erläuterungen sind als "konstante Lehre" demgemäß auch vom türkischen Richter kraft Gesetzes bei seinen Entscheidungen zu beachten. Diese von mir in meiner "Methode der praktischen Rechtsanwendung"20 vorgeschlagene Lösung hat sich der Oberste Gerichtshof in mehreren Plenarentscheidungen zu eigen gemacht. b) Neben der Gefahr der Übersetzungsfehler besteht aber die weit größere Gefahr, daß der aus dem ausländischen Gesetz übernommene Rechtssatz entweder kein Anwendungsfeld findet, weil der geregelte Sachverhalt in der Türkei nicht vorkommt, oder aber den Lebenssachverhalt, den er regeln soll, nicht oder nicht genau genug trifft. Dann bleibt dieser Rechtssatz ,,lettre morte". Oder aber die rechtliche Regelung, die den sozialen Verhältnissen in der Heimat des Rechtssatzes angemessen ist, paßt nicht auf die sozialen Verhältnisse in der Türkei und tut ihnen Gewalt an. Diese Wirkung kann vom Gesetzgeber beabsichtigt sein, wie z. B. die Einführung der Monogamie, der Zivilehe, des Verbots der Blutrache und dgl. In diesen Fällen hängt alles davon ab, daß der Wille des Gesetzgebers durch Verwaltung und Rechtsprechung auch tatkräftig durchgesetzt wird, um die soziale Ordnung des Landes zu ändern. Dieser Kampf wird sei 50 Jahren bald mit mehr, bald mit weniger Energie, Geschick und Erfolg geführt. Von seiner siegreichen Durchführung hängt letzten Endes die wirkliche Europäisierung der Türkei ab21 . Aber es kann auch sein, daß dieser Zwiespalt zwischen der sozialen Wirklichkeit und dem Rechtssatz gar nicht beabsichtigt war. Dann muß eine konsequente Durchführung des Rechtssatzes zu Schwierigkeiten im Sozialleben, die Nichtdurchführung des Rechtssatzes zur Schwächung des Rechtsgedankens führen, zwei Erscheinungen, die immer wieder zu beobachten sind. Sie erklären zur Genüge die zahlreichen Änderungen der aus dem Ausland entlehnten Gesetze, wie sie im Strafrecht und Strafprozeßrecht, aber auch im Zivilrecht vorgenommen wurden. Ist es doch eine von vielen Rechtsvergleichern leider allzuoft vernachlässigte Binsenweisheit, daß kein Rechtssatz den Charakter eines aller Zeiten und aller Orten gültigen mathematischen Satzes hat, sondern jeweils nur in dem Sinne angewandt wird, wie er in dem Milieu, für das er gelten soll, verstanden wird. Die Übernahme fremden Gedankenguts in das heimische Recht darf also nicht eine bloße 20 In türkischer Sprache (Praktik Hukukta Metod) 1. Aufi. Istanbul 1944, 2. Aufi. Ankara 1948, 3. Aufi. Ankara 1978 (besorgt von Volf Sachenrechts das Verhältnis zwischen Eigentum und beschränkten dinglichen Rechten schief zum Ausdruck bringt. 7 Bei Ersatzansprüchen wegen verbotener Eigenmacht konnte nach früherem Recht der Eigentümer eines Grundstückes, dem dieses widerrechtlich entzogen worden war, vom Besitzer als Entschädigung denjenigen Betrag verlangen, welcher dem ortsüblichen Miet- oder Pachtzins entsprach. Der hierfür verwendete Begriff "ecrimisil" war derart fest in der Vorstellung der Juristen verwurzelt, daß auch nach Inkrafttreten des ZGB trotz der Art. 906 bis 908 türk. (= 938 - 940 schweiz.) ZGB die frühere Rechtsprechung beibehalten wurde. Allein die Frage der Verjährungsfrist war zwischen den Senaten des Kassationshofs streitig, weil man sich über die Rechtsnatur dieses Anspruchs (Schadenersatz? Pachtzins? Pachtzinsähnlicher Anspruch?) nicht einigen konnte. Erst nach meinem unten S. 08 ff. in deutscher Über-
A.IL Die übersetzung der schweizerischen Gesetzestexte in das Türkische 39 schweizerischen ZGB Einrichtungen und Fachausdrücken, für die man im bisherigen Recht keine Entsprechungen hattes. Dieser Umstand erklärt hinlänglich die sprachlichen Mängel, die sich immer wieder störend bemerkbar gemacht haben. Erschwerend kam noch hinzu, daß die Rechtssprache sehr stark mit arabischen Fremdworten durchsetzt war, so daß die Bemühung um eine von Fremdworten möglichst gereinigte türkische Sprache gerade auf dem Gebiete des Rechts ein zwar sehr lockendes, aber höchst gefährliches Objekt vorfand. Das Zivilgesetzbuch ist bis jetzt sprachlich nicht angetastet worden. Jedoch hat sowohl die Rechtsprechung wie vor allem die Lehre sich bemüht, die Ungenauigkeiten des Gesetzestextes nach Möglichkeit zu beheben. d) Schwierigkeiten für das Verständnis und die Anwendung der Vorschriften bereitete aber auch der Umstand, daß sich in den türkischen Text eine größere Anzahl von Übersetzungsfehlern eingeschlichen hat. Einige Beispiele mögen genügen: In den Art. 680, 724 türk. (= 706, 752 schweiz.) ZGB, in 43, 48, 49, 51 und noch an anderen Stellen des OR ist vom Verschulden die Rede. Das entsprechende französische Wort "faute" wird aber mit dem türkischen Ausdruck für "Irrtum" übersetzt. Der Ausdruck "Beiwohnung" (cohabitation) in Art. 255 Abs.2 ZGB wird im türkischen Text mit "gemeinsamer Wohnsitz" übersetzt. Nach Art.491 Abs.2 ZGB wird der Vorerbe Eigentümer der Erbschaft unter der Verpflichtung zur Auslieferung, während nach dem entsprechenden Art.471 des türkischen Textes der Nacherbe mit der Auslieferung Eigentümer der Erbschaft setzung wiedergegebenen Aufsatz über die Rechtsnatur dieses angeblichen Anspruchs und meiner eingehenden Kritik der Rechtsprechung des Kassationshofs (in türkischer Sprache in der Festschrift der Istanbuler Juristenfakultät anläßlich der 15. Jahresfeier des Inkrafttretens des ZGB, Istanbul 1943, S. 773 ff.) hat der Kassationshof seine frühere in Plenarbeschlüssen festgelegte Rechtsprechung im Jahre 1950 durch folgende zwei Leitsätze aufgegeben und sich hiermit erst vierundzwanzig Jahre nach Inkrafttreten des ZGB von den früheren Rechtsvorstellungen getrennt. a) Wer eine unbewegliche Sache eines andern ohne Berechtigung an sich nimmt und bösgläubig nutzt, ist verpflichtet, den Schaden aus der unberechtigten Innehabung des Grundstückes zu ersetzen und für die bezogenen oder versäumten Früchte Ersatz zu leisten. Dagegen hat er dem Eigentümer oder Besitzer, der keinen Schaden erlitten hat, als "ecrimisil" oder unter irgendeiner anderen Bezeichnung keine sonstige Leistung zu gewähren. b) Der in Art. 907 türk. (= 939 schweiz.) ZGB gebrauchte Ausdruck "die vom Besitzer bezogenen Früchte" bezieht sich auf natürliche wie auch auf zivile Früchte, nicht aber auf den durch den Gebrauch erzielten Nutzen des gutgläubigen Besitzers. Deswegen kann der Gegenwert eines derartigen Gebrauchs auf die Forderung für Verwendungen nicht angerechnet werden. S So wurde zum Beispiel Art. 22 ZGB über die Heimatangehörigkeit nicht übernommen. In der Praxis werden die Vorschriften über den Wohnsitz unter Heranziehung des alten Gesetzes über das Personenstandsregister derart ausgelegt, daß der Wohnsitz dort angenommen wird, wo jemand im Register eingetragen ist.
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wird. Ein ähnlicher sinnentstellender übersetzungsfehler findet sich bei Art. 758 ZGB, wonach die Nutznießung nur "zur Ausübung" übertragen werden kann, während diese Einschränkung im entsprechenden Art. 730 des türkischen Textes fehlt, so daß, wenn man den Wortlaut des Gesetzes entscheiden läßt, die Nutznießung als solche übertragbar ist. In Art. 58 OR ist von "mangelhafter Unterhaltung" die Rede, während der türkische Text von "schuldhafter" Unterhaltung spricht. In Art. 181, 182 OR ist von der Übernahme eines Geschäftes (entreprise) die Rede, was in den entsprechenden Art. 179 und 180 mit Verpftichtungsübernahme übersetzt wird. Während nach Art. 72 Abs. 2 ZGB die Anfechtung der Ausschließung aus einem Verein "wegen ihres Grundes" (po ur les motifs) nicht statthaft ist, fehlen diese Worte in dem entsprechenden Art. 65 des türkischen Textes, so daß ein völlig falscher Sinn entsteht. Ganze Absätze fehlen manchmal, ohne daß ein stichhaltiger Grund ersichtlich ist9 • Die durch derartige Übersetzungsfehler und Weglassungen herbeigeführten Schwierigkeiten für eine zweckentsprechende Anwendung der Rechtssätze müssen auf irgendeine Weise überwunden werden. Ich habe in meiner in türkischer Sprache erschienenen "Methode der Rechtspraxis"lO unter Berufung auf Art. 1 Abs.2 ZGB ausgeführt, daß unter "Rechtsprechung" zwar nur die Entsche~dungen türkischer Gerichte gemeint sein können, daß aber unter "bewährtel' Lehre" das gesamte rechtswissenschaftliche Schrifttum ohne Rücksicht auf Sprache und Erscheinungsort verstanden werden müsse, so daß auch das schweizerische, deutsche, französische, italienische rechtswissenschaftliche Material, soweit es sich für die Auslegung und das Verständnis des türkischen Rechts verwerten lasse, herangezogen werden dürfe. Wenn der türkische Gesetzestext keinen klar verständlichen Sinn ergebe, dann müsse man erst recht auf dieses ausländische wissenschaftliche Quellenmaterial zurückgehen, zumal nicht anzunehmen sei, daß der Gesetzgeber den Übersetzungsfehler absichtlich gemacht habe. Schließlich seien einige Kommentare zum schweizerischen ZGB auf Veranlassung des türkischen Justizministeriums ins Türkische übersetzt worden, zu dem Zwecke, den türkischen Richtern eine richtige Entscheidung zu ermöglichen. Der türkische Kassationshof hat in mehreren Plenarentscheidungen (vom 24. Mai 1944, 28. Nov. 1945, 20. Sept. 1950) sich diesen Weg zunutze gemacht und auf diese Weise die Schwierigkeit der Übersetzungsfehler beseitigt. "Wenn wir auch bei der Auslegung unserer Gesetze unseren eigenen Text vor Augen haben müssen, so können wir 9 Vgl. z. B. Art.503 Abs. 2, 510 Abs. 1 des schweiz. ZGB, die in den entsprechenden Art. 483,490 TZGB fehlen. 10 s. Kapitell N. 20.
A.II. Die übersetzung der schweizerischen Gesetzestexte in das Türkische 41 doch nicht darauf verzichten, auch die Originale uns anzusehen, da wir bei der Auslegung auch von den wissenschaftlichen Lehrmeinungen Nutzen ziehen können l1 ." Auch in dem Plenarbeschluß von 1950, der sich mit der oben bereits erwähnten Unstimmigkeit bei der Übersetzung von Art. 72 ZGB befaßt, sagt der Kassationshof ausdrücklich, daß "angesichts von Art. 72 Art. 2 des schweizerischen ZGB, das die Quelle unseres Gesetzes ist", die entsprechende Bestimmung des türkischen ZGB im Sinne des Originals auszulegen sei. Ein anderes Beispiel: Nach Art. 648 Abs.1 ZGB ist jeder Miteigentümer befugt, die Sache insoweit zu vertreten, als es mit den Rechten der anderen verträglich ist. Der türkische Text (Art. 625) lautet dagegen, daß jeder Miteigentümer hinsichtlich der gemeinsamen Interessen die anderen Miteigentümer vertreten kann: Wie man sieht, ein ziemlich erheblicher Unterschied. Trotzdem hat der türkische Kassationshof in einem Plenarbeschluß von 1944 das Wort "vertreten" nicht auf die Person, sondern im Sinne des Originals auf die Sache bezogen, d. h. eine Entscheidung gefällt, die nicht dem türkischen, sondern dem schweizerischen Wortlaut entspricht und demnach eine Vertretung nur zuläßt für unteilbare Ansprüche wie z. B. Berichtigung des Grundbuches, Herausgabeanspruch, Abwehrklage, nicht aber Schadenersatzklage wegen verbotener Eigenmacht. Dementsprechend kann ein Miteigentümer weder mit einem anderen Miteigentümer noch mit einem Dritten einen Mietvertrag mit Wirkung für alle Miteigentümer abschließen. Nur wenn die Sache im Eigentum von zwei Miteigentümern steht, ist ein derartiger Vertrag gültig12 •
2. Mangel an nationalen Entscheidungsnormen Der Mangel an nationalen Entscheidungsnormen, der sich besonders in den ersten Jahren der Rezeption fühlbar machte, ist in dem Maße geringer geworden, als durch die Gerichtsentscheidungen zum neuen Recht die gesetzlichen Bestimmungen Farbe und Klarheit gewonnen haben. Einige Beispiele mögen aber zeigen, wie trotz Mangel an Entscheidungsnormen der Oberste Gerichtshof auch in schwierigen Fällen seinen Weg findet und zu selbständigen Entscheidungen kommt, für die er keine ausländischen Muster finden kann. Zur Frage der Beweislast für den guten oder bösen Glauben wird in einer Plenarentscheidung von 1951 zu Art. 3, 6, 650 türk. (= 3, 8, 11 Plenarbeschluß von 1945, der sich auf die durch einen übersetzungsfehler in Art. 482 TZGB (= 503 schweiz. ZGB) zurückzuführende Frage bezog, ob außer der Unterschrift auch die Erklärungen der Testamentszeugen eigenhändig geschrieben werden müssen. 12 So Plenarbeschluß des Kassationshofs von 1946 in Auslegung der Art. 624, 627 TZGB = 647, 650 schweiz. ZGB.
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673 schweiz.) ZGB folgendes gesagt: Wenn sich aus den Umständen und Vermutungen ergibt, daß jemand nicht gutgläubig sein konnte, so braucht der Gegner nicht auch noch die Bösgläubigkeit zu beweisen. In einem derartigen Falle kann das Gericht den guten oder bösen Glauben, der die Grundlage des Klagerechts bildet oder sie beseitigt, von Amts wegen in Betracht ziehen. Da in Art. 21 türk. (= 25 schweiz.) ZGB der Wohnsitz des Ehemannes auch als Wohnsitz der mit ihm zum gemeinsamen Leben verpflichteten Ehefrau betrachtet wird, niemand aber an mehreren Orten zugleich seinen Wohnsitz haben kann, ist nach einem Plenarbeschluß des Kassationshofes von 1932 für einen von der Ehefrau anzustrengenden Ehescheidungsprozeß gemäß Art. 136 türk. (= 144 schweiz.) ZGB das Gericht am Wohnsitz des Ehemannes zuständig. Ist jedoch der Ehemann eine Militärperson und muß er kraft dienstlichen Befehls den Garnisonsort ändern, so ist der Ehescheidungsprozeß vor dem Gericht des Wohnsitzes der Ehefrau zu erheben. Hinsichtlich des Beweises des Ehebruchs haben die Vereinigten Zivilsenate in einem Beschluß von 1931 ausgesprochen: Aus der Tatsache, daß nach den Aussagen der Zeugen der Beklagte mit seiner Geliebten allein in einem Zimmer und in einem Bett gesehen worden ist und daß sie in einsamer Gegend Spazierfahrten mit dem Auto gemacht haben, rechtfertige sich der Schluß, daß sie in geschlechtlichen Beziehungen gestanden haben. Zu dem Vorkaufsrecht nach Art. 658 türk. (= 681 schweiz.) ZGB wird in einem Plenarbeschluß von 1951 folgendes ausgeführt: Die Frist des Abs. 3 des erwähnten Artikels hinsichtlich des im Grundbuch vorgemerkten vertraglichen Vorkaufsrechtes findet auch auf das den Miteigentümern in Art. 659 türk. (= 682 schweiz.) ZGB gesetzlich eingeräumte Vorkaufsrecht entsprechende Anwendung. Die Frist ist keine Verjährungsfrist, sondern eine Ausschlußfrist und beginnt mit dem Verkaufsfall. Die Begründung sagt u. a.: Das Vorkaufsrecht ist ein Gestaltungsrecht. Es ist also kein Forderungsrecht im Sinne von Art. 125 türk. (= 127 schweiz.) OR. Da aber die Ausübung von Gestaltungsrechten im allgemeinen zeitlich begrenzt ist (wie zum Beispiel die Anfechtung wegen laesio enormis, die Ehescheidungsklage wegen Ehebruchs), ist auch die Ausübung des gesetzlichen Vorkaufsrechts als zeitlich begrenzt anzusehen. Da das gesetzliche Vorkaufsrecht zur dinglichen Sicherung keiner Vormerkung im Grundbuch bedarf (Art. 657 türk. = 680 schweiz. ZGB), beginnt die Zehnjahresfrist mit dem Verkaufsfall. Hinsichtlich des Unterschiedes zwischen der Erbschaftsklage und der rei vindicatio hat der Kassationshof in einem Plenarbeschluß von 1959 folgendes ausgeführt: Verlangt ein Miterbe von einem anderen Mit-
A.II. Die übersetzung der schweizerischen Gesetzestexte in das Türkische 43 erben ein Grundstück, das auf den Namen des gemeinsamen Erblassers eingetragen steht, mit der Erbschaftsklage heraus, so sind die Art. 578, 579 türk. (= 599, 600 schweiz.) ZGB anwendbar. Besteht dagegen zwischen den Erben kein Streit über die Erbschaft und wird der Herausgabeanspruch geltend gemacht, so sind die allgemeinen Vorschriften der Art. 638, 639 türk. (= 661, 662 schweiz.) ZGB über die ordentliche und außerordentliche Ersitzung anwendbar. Hinsichtlich der Ersitzungszeit kann auch diejenige Zeit angerechnet werden, welche vor dem Inkrafttreten des ZGB verstrichen ist, weil das Institut der Ersitzung auch dem früheren Recht bekannt war. Hinsichtlich der Ersitzung von Grundstücken sagt ein Plenarbeschluß von 1948 folgendes: Der Eintragungsanspruch wegen außerordentlicher Ersitzung ist nicht im Wege des Prozesses, sondern im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu verfolgen. Da Art. 639 türk. ZGB lediglich den Satz enthält: "Die Eintragung darf nur auf Verfügung des Richters erfolgen", der weitergehende dritte Absatz des entsprechenden Art. 662 schweiz. ZGB aber bei der Formulierung des türkischen Gesetzes nicht berücksichtigt worden ist, bedarf es nicht einer vorherigen amtlichen Ankündigung.
3. Bewußte Abweichungen des türkischen Textes vom Original Während man, wie bereits erwähnt, alle Verweisungen auf das kantonale Recht gestrichen hat, wodurch erhebliche Lücken entstanden, hat man die Verweisungen auf das "öffentliche Recht" im Text beibehalten, obwohl die Unterschiede zwischen der Schweiz als Bundesstaat und der Türkei als Einheitsstaat erheblich sind. Wenn man von den Abweichungen absieht, die durch die oben skizzierten Umstände ungewollt und unbeabsichtigt, ja sogar oft unbewußt hervorgerufen worden sind, so kommen als bewußte Abweichungen vom schweizerischen Gesetz nur die folgenden in Frage: Die Altersstufen, sowohl für das Mündigkeitsalter wie für das Alter der Mündigkeitserklärung und auch für das Ehefähigkeitsalter, sind gegenüber dem schweizerischen Vorbild herabgesetzt worden, weil die Geschlechtsreife eine derartige Herabsetzung erforderlich macht. Die Erfahrung hat gezeigt, daß man beim Ehefähigkeitsalter nicht weit genug gegangen ist1 3 • Ursprünglich betrug das Ehefähigkeitsalter für den Mann 18, für die Frau 17 Jahre, doch konnte in außergewöhnlichen Fällen Eheerlaubnis erteilt werden, wenn Mann oder Frau mindestens 15 Jahre waren. Durch ein Abänderungsgesetz von 1938 hat 13 Der Begründung des Abänderungsgesetzes ist zu entnehmen, daß im Jahre 1937 nicht weniger als 61 806 Anträge auf Ehemündigkeitserklärung gestellt worden sind.
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man die Altersstufen derart geändert, daß das Ehefähigkeitsalter für einen Mann 17, für eine Frau 15 Jahre ist, und in außergewöhnlichen Fällen die Eheerlaubnis einem 15jährigen Mann (wie bisher) und bereits einer 14jährigen Frau gewährt werden kann. Das Mündigkeitsalter ist auf 18 Jahre, das Mindestalter für die Mündigkeitserklärung für beide Geschlechter auf 15 Jahre festgesetzt worden. Doch macht Eheschließung mündig, so daß bereits eine 14jährige durch Eheschließung auch die Mündigkeit erreicht. Eine weitere bewußte Abweichung vom schweizerischen Vorbild ist die Regelung des ehelichen Güterrechts. Gesetzlicher Güterstand ist die Gütertrennung. Alle übrigen Güterstände sind vertraglicher Natur. Doch kommt es kaum vor, daß vom gesetzlichen Güterstand der Gütertrennung in der Praxis abgewichen wird, ein Beweis dafür, wie sehr diese Abweichung vom Original den türkischen Lebensgewohnheiten entsprochen hat und entspricht. Beim Erbrecht hat man auf die Gewohnheiten nicht genügend Rücksicht genommen, so daß sich sowohl hinsichtlich der Frage des Pflichtteils als auch der Erbberechtigung der Geschwister und deren Abkömmlinge Unzufriedenheiten ergaben. Die bewußte dritte und erhebliche Abweichung vom schweizerischen Vorbild besteht darin, daß man den 1925 noch nicht revidierten 3. Teil des schweizerischen Obligationen rechts nicht mit übernommen hat und statt dessen ein besonderes Handelsgesetzbuch ebenfalls mit Wirkung vom 4. Okt. 1926 ab in Kraft setzte. Da man auf den Entwurf eines Handelsgesetzbuches zurückgriff, der nicht unter Berücksichtigung des schweizerischen ZGB und OR aufgestellt war, ergaben sich eine Fülle von Überschneidungen und Widersprüchen, die dazu führten, daß ein neues Handelsgesetzbuch ausgearbeitet wurde, das am 1. Jan. 1957 in Kraft getreten ist. (Vgl. unten Drittes Kapitel.)
4. Aufhebung des alten Zivilrechts Als die neuen Privatrechtsgesetze am 4. Okt. 1926 in Kraft traten, dekretierte man, daß das alte Gewohnheitsrecht (mit Ausnahme des Handelsgewohnheitsrechts) nicht mehr angewendet werden dürfe. Man wollte einen endgültigen Schnitt zwischen dem Alten und dem Neuen, aber keine Amalgamierung. Schon andere Gesetzgeber hatten vorher Ähnliches verordnet, ohne damit mehr Erfolge zu haben als der türkische Gesetzgeber. Gewiß kann man dem Richter verbieten, altes Gewohnheitsrecht anzuwenden. Aber man kann weder den Richter, der im Geiste des alten Rechts groß geworden ist, zwingen, im neuen Geiste zu denken, noch kann man durch die Verkündung eines umfangreichen Gesetzes (das damals nur ein verschwindender Bruchteil der Bevölkerung überhaupt lesen konnte und ein noch geringerer
A.II. Die Übersetzung der schweizerischen Gesetzestexte in das Türkische 45 Bruchteil tatsächlich geleS€n hat) die Bevölkerung zwingen, in ihrem täglichen Leben sich anders zu verhalten, als sie es bisher gewohnt war. Macht man sich einmal klar, daß ja nur ein ganz verschwindender Bruchteil aller tatsächlich abgeschlossenen Rechtsgeschäfte und aller wirklich vorkommenden Rechts- und Unrechtshandlungen vor den Richter kommt, so ist ohne weiteres begreiflich, daß, wenn ich ein Schlagwort gebrauchen darf, Volksrecht und Juristenrecht zunächst ihre eigenen Wege gehen und gehen müssen, bis durch den Wandel der Generationen und das langsame Eindringen des neuen Juristenrechts in die Kautelarpraxis der Notare und Rechtsagenten eine Amalgarnierung zwischen altem und neuem Recht und damit ein einheitliches nationales Recht entsteht. Während der Übergangszeit gilt sehr vieles, was im Gesetz steht, nicht als Recht, und sehr vieles, was als Recht tatsächlich gilt und geübt wird, steht nicht im Gesetz oder ist gar gesetzlich verboten. Um diese tatsächlichen Abweichungen des geltenden türkischen Rechts vom schweizerischen Recht zu begreifen, ist ein kurzer Hinweis auf die völlig verschiedene soziale Lage unerläßlich. Während bei der Ausarbeitung und Inkraftsetzung des schweizerischen ZGB der Nachdruck auf der Erhaltung des historisch Gewordenen lag und Traditionsgebundenheit auf der einen Seite und Volksnähe auf der anderen Seite als leitende Gesichtspunkte maßgebend waren, ergibt sich aus der Begründung zum türkischen ZGB der klare Wille zum Bruch mit jeder Tradition und die bewußte Inkaufnahme einer hierdurch bedingten Volks fremdheit. "Den Gewohnheiten, Bräuchen und Traditionen unbedingt treu bleiben zu wollen, ist eine Theorie, die so gefährlich ist, daß sie die Menschheit aus ihrem primitivsten Zustand nicht einen Schritt vorwärts bringen kann. Keine Kulturnation hat an diesem Dogma festgehalten und hat gezögert, von Zeit zu Zeit die Bräuche und Gewohnheiten, die sie fesselten, zu zerreißen. Vor allem Revolutionen sind als wirksamstes Mittel hierfür gebraucht worden." So heißt es in der Begründung zum türkischen ZGB. Im Bericht des Rechtsausschusses kommt der Glaube zum Ausdruck, daß dieses Gesetz, "das vollkommenste unter den modernen Zivilgesetzbüchern", die weitestgehenden und tiefsten Umwälzungen im zivilen, sozialen und wirtschaftlichen Leben des Landes im Sinne der modernen Bedürfnis,se hervorrufen wird. Der derart geäußerte "Wille des Gesetzgebers" ist soziologisch betrachtet nichts weiter als eine Erwartung, deren Erfüllung von der freiwilligen Nachachtung des Gesetzes durch die Bevölkerung und von dem Ausmaß der zwangsweisen Durchsetzung mit Hilfe des staatlichen Apparates abhängt. Diese Erwartung setzt einen langsamen Amalgamierungsprozeß in Gang, der sich zwischen dem festgewurzelten Alten und dem hereinströmenden Neuen vollzieht. Charakteristisch hierfür
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ist vor allem das Urkundenwesen, das in den Städten in der Hand der Notare, auf dem Lande in der Hand der Dorfältesten und überall im Lande in der Hand der "Schreiber" liegt, welche zur Verfügung des Publikums in nächster Nähe der Gerichte und Behörden das Handwerk der Formulierung von Anträgen und Urkunden gewerbsmäßig ausüben. Da hierbei das "Simile" seine attraktive Kraft stets neu bewährt, ist es ohne weiteres verständlich, daß der Stil der Urkunden noch sehr starke Reminiszenzen an die früheren Rechtsverhältnisse enthält. Nur in dem Maße, in dem eine neue Generation der "Schreiber" in den Geist der neuen Gesetze hineinwächst, wird dieser Amalgamierungsprozeß fortschreiten können. Aber gewisse Regelungen und Institutionen sind dem Volksbewußtsein so fremd, daß sie sich nicht werden durchsetzen können (zum Beispiel das Gesamthandsprinzip vor allem bei der Erbengemeinschaft; die Versagung des Pflichtteils für die Eltern oder die Regelung der Adoption).
5. Ergänzungs- und Nebengesetze Für die zwangsweise Durchführung und Durchsetzung des neuen Rechts sind vor allem auch die Ergänzungs- und Nebengesetze von Bedeutung, weil gerade durch sie gewisse Abweichungen des türkischen vom schweizerischen Zivilrecht verursacht und erklärt werden. a) Die Verfahrensgesetze sind zwar auch auf schweizerische Vorbilder zurückzuführen, das Zivilprozeßgesetz auf die ZPO des Kantons Neuchätel, das Vollstreckungs- und Konkursgesetz auf das eidgenössische Zwangsbetreibungs- und Konkursgesetz. Aber die Abweichungen der türkischen Texte von den Originalen sind ebenso bedeutsam wie die Milieuunterschiede, die sich vor allem bei den Fristen und Zuständigkeitsfragen, der Verfahrensart und der Gerichtsorganisation bemerkbar machen und wegen der Fülle des Stoffes an dieser Stelle nicht weiter belegt werden können. Nur erwähnt seien in diesem Zusammenhang auch das Richtergesetz, das Anwaltsgesetz, das Notariatsgesetz, das Arbeitsgerichtsgesetz, die Gesetze über das Revisionsgericht und den Kompetenzkonfliktsgerichtshof, Ges,etze, die zum Teil durch zahlreiche Novellen ergänzt und abgeändert wurden. b) Zahl und Art der Ergänzungsgesetze materiellen Inhalts erklären sich aus den bereits oben angedeuteten zwei Gründen: Einmal aus der Streichung aller Verweisungen auf das kantonale Recht, sodann aus den besonderen sozialen Verhältnissen des Landes. Einige Beispiele mögen genügen: Art. 15 OR, wonach jemand seine Unterschrift durch ein beglaubigtes Handzeichen ersetzen oder durch eine öffentliche Beurkundung ersetzen lassen kann, ist nach einem Plenarbeschluß des Kassationsho-
A.n. Die übersetzung der s'chweizerischen Gesetzestexte in das Türkische 47 fes von 1930 im Sinne von Art. 297 ZPO auszulegen, so daß ein Handstempel schreibunkundiger Personen auf Urkunden nur dann als gültiger Ersatz der Unterschrift gilt, wenn er vom Dorfältestenrat und zwei persönlich bekannten Personen bestätigt worden ist. Nach Art. 26 des Grundbuchgesetzes von 1934 werden die öffentlichen Urkunden, welche das Eigentum und die beschränkten dinglichen Rechte an Grundstücken betreffen, vom Grundbuchführer errichtet. Diese Vorschrift hat zu zahllosen Prozessen Anlaß gegeben, die sich vor allem auf die Frage bezogen, ob auch notarielle Urkunden ausreichend seien. Nach einem Plenarbeschluß des Kassationshofes von 1931 ist ein Grundstücksverkauf in notarieller Form unwirksam. Das Gericht weist zur Begründung darauf hin, daß der Ausdruck "öffentliche Urkunde" in Art. 634 türk. (= 657 schweiz.) ZGB und in Art. 213 türk. (= 216 schweiz.) OR dem Text der schweizerischen Gesetzbücher entspricht, weil in manchen Kantonen für die Beurkundung dieser Geschäfte die Notare, in anderen Kantonen andere Behörden zuständig sind. Infolgedessen komme es für die Frage, ob eine notarielle Beurkundung für Grundstücksgeschäfte ausreichend sei, darauf an, ob die Notare überhaupt zur Aufnahme derartiger Urkunden befugt seien. Da das Notariatsgesetz keine ausdrücklichen Bestimmungen über Grundstücksveräußerungsurkunden enthalte, während für die Aufnahme anderer Urkunden ausdrückliche Vorschriften gegeben seien, seien zur Aufnahme von Urkunden über Grundstücksgeschäfte ausschließlich die Grundbuchführer befugt. Als der Kassationshof in einer Plenarentscheidung von 1938 den gleichen Grundsatz auch für Vorverträge auf Abschluß von Grundstücksveräußerungsverträgen anwandte, wurde das Notariatsgesetz geändert und als Form für das Verkaufsversprechen von Grundstücken die notarielle Urkunde für ausreichend erklärt. Im Jahre 1952 mußte sich das Plenum des Kassationshofes mit zwei in diesen Zusammenhang gehörenden Sonderfragen auseinandersetzen. Das eine Mal handelte es sich um die Form des Verpfründungsvertrages nach Art. 512 tür'k. (= 522 schweiz.) OR. Diese Bestimmung verweist auf die Form des Erbvertrages und diese wieder auf die Form der öffentlichen letztwilligen Verfügung (Art. 492, 479 türk. = 512, 499 schweiz. ZGB), d. h. Errichtung des Vertrages unter Mitwirkung von zwei Zeugen vor dem Friedensrichter oder Notar. Der Kassationshof ist der Meinung, daß, wenn der Pfründer dem Pfrundgeber ein Grundstück überträgt, der Vertrag zwar von dem Grundbuchführer oder Beamten wirksam abgeschlossen werden könne, aber zu seiner Wirksamkeit nicht in dieser Form errichtet werden müsse. Das andere Mal handelte es sich um einen Erbteilungsvertrag, der sich auf Nachlaßgrundstücke bezog. In diesem Falle wurde die Anwendung des Art. 26
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Grundbuchgesetz verneint und die Schriftform für genügend erklärt unter Hinweis auf die unterschiedlichen Formvorschriften der Art. 611 und 634 türk. (= 657 schweiz.) ZGB. Zu großen Schwierigkeiten haben auch die außerordentlich zahlreichen Fälle der Veräußerung von Grundstücken geführt, die noch nicht ins Grundbuch aufgenommen waren. Der Kassationshof hat in mehreren Plenarentscheidungen die Auffassung vertreten, daß derartige Verträge wirkungslos seien, so daß trotz Übergabe des Grundstücks an den "Käufer" dieser selbst dann zur Rückgabe verpflichtet sei, wenn er jahrelang unangefochten das Grundstück besessen, genutzt und verbessert hat und bei der Rückgewähr lediglich Ansprüche auf den mittlerweile durch die Geldentwertung entwerteten Kaufpreis geltend machen kann. Der Kassationshof hat allerdings auf dem Wege über Art. 650 türk. (= 673 schweiz.) ZGB geholfen und diese Bestimmung auch bei einer Klage auf Rückerstattung eines Grundstücks wegen Formmangels des Grundstückskaufvertrages angewandt. Die Begründung lautet: Art. 648 türk. (= 671 schweiz.) ZGB gebraucht den Ausdruck "ohne Einwilligung des Eigentümers"; also muß angenommen werden, daß eine andere Vorschrift Platz greift, wenn der Eigentümer eingewilligt hat. In Anbetracht der folgerichtigen Anordnung und klaren Gedankenführung im ZGB wurde für Bauten, die mit Einwilligung des Grundstückseigentümers erfolgen, eine besondere Vorschrift für notwendig erachtet, nämlich Art. 650 türk. (= 673 schweiz.) ZGB. Zwar liegt bei derartigen formlosen Verkäufen keine ausdrückliche Zustimmung des Grundstückseigentümers vor. Aber wenn der Verkäufer den Kaufpreis einsteckt und das Grundstück dem Käufer übergibt, so liegt hierin die stillschweigende Einwilligung zur Errichtung von Bauten. Das ist für formgültige Grundstückskaufverträge selbstverständlich. Es besteht aber kein Grund, bei formlosen Verkäufen etwas anderes anzunehmen, zumal wenn der Verkäufer die Bauten und Anpflanzungen sich ruhig mit ansieht, ohne Einspruch zu erheben. IH. Die Begründungen zu den Gesetzentwürfen
1. Aus der Begründung zum Gesetzentwurf eines Türkischen Zivilgesetzbuchs (TZGB) und ObLigationengesetzbuchs (TOG) "Zur Zeit besitzt die Türkische Republik keine zivilrechtliche Kodifikation. Es gibt nur das ,Mecelle' genannte Buch, das auf einen kleinen Teil der Verträge anwendbar ist. Es besteht aus 1851 Artikeln, seine Ausarbeitung wurde am 8. Muharrem 1286 (1869) begonnen und am 6. Saben 1293 (1876) vollendet und in Kraft gesetzt. Man kann sa-
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gen, daß lediglich 300 Artikel dieses Gesetzes den gegenwärtigen Bedürfnissen genügen. Der Rest der Vorschriften wird nicht angewandt, weil er von einer den Bedürfnissen unseres Landes nicht mehr entsprechenden Primitivität ist. Die Religion bildet die Quelle und die Grundlagen des Mecelle genannten Gesetzbuchs. Das menschliche Leben jedoch unterliegt tagtäglich, ja sogar in jedem Augenblick den wichtigsten Wandlungen ... Unwandelbar zu sein ist für Religionen eine Notwendigkeit. Deswegen gehört die Auffassung, daß Religionen lediglich eine Sache des Gewissens sind, zu den Grundlagen der modernen Zivilisation und zu den wichtigsten Unterschieden zwischen der alten und der modernen Zivilisation ... Ferner gehört zu den Merkmalen, welche den modernen Staat von primitiven politischen Gebilden unterscheiden, die Kodifizierung der im Leben der Gesellschaft anwendbaren Vorschriften. In den Zeiten des Nomadenlebens sind diese Vorschriften nicht kodifiziert. Der Richter entscheidet nach Gewohnheitsrecht. Wenn man von den erwähnten 300 Mecelle-Artikeln absieht, üben die Richter der Türkischen Republik die Zivilgerichtsbarkeit auf der Grundlage eines Haufens von Büchern zum Scheriatrecht und von religiösen Grundsätzen aus. Der türkische Richter ist in seiner Rechtsprechung durch keine feste Rechtsprechung, Doktrin oder Grundauffassung gebunden. Infolgedessen steht ein Urteil, das zu irgendeiner Frage an irgendeinem Ort unseres Landes gefällt worden ist, meistens mit den Urteilen, die andernorts zu derselben Frage ergangen sind, nicht im Einklang, ja sogar in Widerspruch. Infolgedessen ist das türkische Volk hinsichtlich der Ausübung der Rechtspflege der Unregelmäßigkeit und der dauernden Unsicherheit ausgesetzt. Die Geschicke des Volkes ruhen nicht auf der Grundlage einer festen und ständigen Rechtspflege, sondern hängen vom Zufall, vom persönlichen Glück und von den einander widersprechenden mittelalterlichen Scheriatvorschriften ab. Die Republik hat die Notwendigkeit mit sich gebracht, die türkische Rechtspflege von diesem Durcheinander, diesem mangelhaften und höchst primitiven Zustand zu befreien, so rasch wie möglich ein den Bedürfnissen der Staatsumwälzung und der modernen Zivilisation entsprechendes neues Zivilgesetzbuch zu schaffen und zu kodifizieren. Zu diesem Zweck ist das vorgelegte Türkische Zivilgesetzbuch von dem schweizerischen Zivilgesetzbuch übernommen und entlehnt worden, das unter den Zivilgesetzbüchern das neueste, beste und demokratischste ist ... Dem Justizministerium scheint das schweizerische ZGB, welches das neueste und vollkommenste ist, ein Zivilisationswerk zu sein, welches die uns bisher eigene große Intelligenz und Tüchtigkeit befriedigen und für sie ein wahrhafter Spielraum und Bereich sein wird. Es ist nicht anzunehmen, daß es in diesem Gesetz eine mit den Gefühlen unserer Nation unvereinbare Stelle gibt. 4 Hirsch
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Auch auf folgenden Umstand muß hingewiesen werden: Die türkische Nation, welche in der Absicht, die moderne Zivilisation zu übernehmen und sich zu eigen zu machen, vorwärts schreitet, ist gezwungen, mit den Erfordernissen der modernen Zivilisation, koste es was es wolle, Schritt zu halten, kann aber nicht verlangen, daß diese sich ihr anpaßt. Dies ist Bedingung für eine Nation, die überleben will. Der vorbereitete Entwurf enthält die wichtigsten Bestandteile für dieses Bedürfnis. Der Gewohnheit und der Tradition unbedingt verhaftet bleiben, ist eine Theorie, welche die Gefahr in sich birgt, die Menschheit in ihrem Existenzkampf aus den primitivsten Verhältnissen nicht einen Schritt vorwärts zu bringen. Keine zivilisierte Nation ist bei diesem Dogma stehengeblieben und hat gezögert, durch Anpassung an die Lebensbedürfnisse von Zeit zu Zeit die BiIl!dungen der Gewohnheiten zu lösen ... Wenn die türkische Nation alle Rechte, welche den zivilisierten Nationen unseres Jahrhunderts zuerkannt werden, ohne jede einschränkende Bedingung von der ganzen zivilisierten Welt für sich selbst beansprucht, so übernimmt sie auch aus eigenem Entschluß mit dem neuen Zivilgesetzbuch die Zivilisationspflichten, welche diese Rechte mit sich bringen. Dies ist ebenfalls der Sinn dieser Gesetzesvorlage. An dem Tag, an dem dieser der Großen Nationalversammlung als der Repräsentantin der türkischen Nation zur Billigung und Annahme vorgelegte Entwurf des türkischen Zivilgesetzbuchs in Kraft gesetzt wird, wird unsere Nation von dem Durcheinander und den falschen Dogmen, in die sie sich selbst dreizehn Jahrhunderte lang eingezwängt hat, befreit werden, die Tore der alten Zivilisation schließen und in die Zivilisation der Gegenwart eingetreten sein, welche Leben und Fortschritt gewährleistet. "
2. Aus dem Bericht des Justizausschusses der Großen Nationalversammlung "In der Erwägung, daß die Gesetzesvorlage aus dem schweizerischen Zivilgesetzbuch, dem vollkommensten der zur Zeit in der zivilisierten Welt in Kraft befindlichen Zivilgesetzbücher, übertragen worden ist, und daß seine neuen Vorschriften und Prinzipien in unserem bürgerlichen, sozialen und wirtschaftlichen Leben sehr wichtige und folgenreiche Umwälzungen entsprechend den Bedürfnissen unseres Jahrhunderts mit sich bringen und jedenfalls zahlreiche Mängel beseitigen und Lücken ausfüllen werden, wurde der zutreffende Gesichtspunkt unserer Regierung vom Ausschuß gebilligt: Die Artikel wurden einzeln gelesen und nach Erhalt der erforderlichen Aufklärungen unverändert angenommen.
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Der Ausschuß, der davon Kenntnis genommen hat, daß seitens des zuständigen Ministeriums schon jetzt die notwendigen Maßnahmen getroffen worden sind, damit diese Vorlage allen, die es angeht, ordnungsgemäß zur Kenntnis gebracht und von ihnen richtig angewandt wird, unterbreitet den Gesetzentwurf dem Plenum, nicht ohne seiner Ansicht Ausdruck zu verleihen, daß in der erwähnten Hinsicht während der Zeitspanne bis zum Inkrafttreten des Gesetzes noch umfassendere und wirkungsvollere Maßnahmen getroffen werden14 ."
B. Die Ausführung des Rezeptionsgesetzes als Aufgabe des Rechtsstabs I. Die Schwierigkeiten Die Schwierigkeiten der Ausführung finden beredten Ausdruck in folgendem Brief15 : "Es ist nicht leicht, die sich auf die dinglichen Rechte insbesondere an Grundstücken beziehenden Vorschriften des Zivilgesetzbuchs zu verstehen, solange man nicht ausführliche Studien darüber anstellt. Diese Schwierigkeiten mögen z. B. für die Schweiz, wo die Organisation des Katasters und des Grundbuchs abgeschlossen war, vielleicht etwas leichter gewesen sein. Fast in allen Dörfern und in zahlreichen kleineren und größeren Städten unseres Landes werden über zahllose Äcker, Weinberge und Gärten, bebaute und unbebaute Grundstücke, die bis jetzt noch nicht in die Grundbuchmatrikel eingetragen worden sind, Verfügungen getroffen, aus denen Streitigkeiten und Prozesse der verschiedensten Art entstehen. Diesem großen Mißstand des Landes haben die gesetzlichen und administrativen Maßnahmen, welche die Regierung schon eh und je von Zeit zu Zeit getroffen hat, infolge zahlreicher Gründe und Ursachen nicht abhelfen können; auch die modernen Vorschriften des Zivilgesetzbuchs und des Grundbuchgesetzes nebst der Grundbuch-Registrierungs-Verordnung konnten diese Streitigkeiten endgültig nicht erledigen. Vielleicht ist es möglich, in unseren geltenden Gesetzen einen Ausweg aus dieser mißlichen Lage zu finden; wir Richter jedoch können ihn nicht finden, sei es, weil wir unserem überkommenen juristischen Denken verhaftet geblieben sind, sei es, weil wir unter einer die menschliche Arbeitskraft übersteigenden Aufgabenlast keine Zeit haben oder finden, um den in den Feinheiten unserer gesetzlichen Vorschriften verborgenen Rettungsweg ausfindig machen zu können. 14 Das Gesetz ist als Türkisches Zivilgesetzbuch mit der Gesetzesnummer 743 einstimmig angenommen, am 4.4.1926 verkündet und gemeinsam mit dem Obligationengesetzbuch und dem Handelsgesetzbuch am 4. 10. 1926 in Kraft gesetzt worden. 15 Deutsche übersetzung eines an mich als den im Geist des importierten rechtlichen Gedankenguts erzogenen ausländischen Professor von dem Präsidenten eines Zivilsenats des türkischen Kassationshofs gerichteten Briefes, der das Datum des 23.5.1944 trägt, also achtzehn (18) Jahre nach der Verkündung und dem Inkrafttreten des Gesetzbuchs geschrieben ist.
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In beiden Fällen ist es jedenfalls Pflicht des Richters, danach zu fragen und zu forschen. Auch von denen, die es wissen, zu lernen, ist ihr gesetzliches Recht. Der letzte Absatz von Art. 1 unseres Zivilgesetzbuchs gewährt dem Richter dieses Recht mit den Worten: ,Der Richter läßt sich von der gefestigten Lehre und Rechtsprechung leiten.' Auch unser früheres Recht kannte dieses Recht des Richters unter der Bezeichnung ,istifta'16. So möchte auch ich, gestützt auf dieses Recht, mich von Ihrer sachkundigen wissenschaftlichen Ansicht, zu der ich volles Vertrauen habe, leiten lassen. Die Antwort, die zu geben Sie die Güte haben werden, wird nicht meiner Person, sondern dem Allgemeininteresse zugute kommen. Wenn Ihr wissenschaftliches Gutachten meine persönlichen Ansichten bestätigt - Ansichten, in deren Mittelpunkt der Gedanke steht, vor allem die Interessen der Bauern und der ärmeren Landsleute von Gesetzes wegen zu schützen -, so wird dies sowohl mir als auch meinen gleichgesinnten Kollegen den Mut geben, einen neuen Schritt zur Änderung der derzeitigen Rechtsprechung zu wagen. Deswegen bitte ich Sie von ganzem Herzen um Ihr wertvolles wissenschaftliches Gutachten .. .17" Dem äußeren Schein nach war ein dem modernen Zivilisationsstand entsprechendes und damit höchsten Ansprüchen genügendes Rechtsund Justizwesen geschaffen worden, nachdem der Verabschiedung des TZGB und des TOG zugleich mit einem HGB in kurzen Abständen weitere Gesetze zum Verfahrens- und Zwangsbetreibungsrecht nach schweizerischem Muster gefolgt waren. Aber der äußere Schein entsprach nicht der Rechtswirklichkeit, solange und soweit die vom Gesetzgeber veraibschiedeten Gesetze nicht zu Recht geworden waren 18 . In der Schweiz konnte man bei der Verabschiedung des ZGB im Jahre 1907 davon ausgehen, daß diese Kodifikation "bewährter Lehre und Überlieferung" entsprach und deshalb der Bevölkerung keine grundlegende und umstürzende Änderung ihres Rechtsempfindens, ihrer Rechtsvorstellungen und ihrer Gerechtigkeitskriterien zumutete. Auch von den Mitgliedern des Rechtsstabes verlangte man nur eine den gewandelten und sich dauernd wandelnden Verhältnissen des Soziallebens angepaßte Fortführung der überkommenen Rechtsprinzipien und Rechtsmethoden. Das überkommene Recht hatte seinen adäquaten Ausdruck im Gesetz gefunden, auch wenn dieses einige organisatorische, technische und sachliche Neuerungen enthielt. Die Situation in der Türkei war eine völlig andere: Das, was mit juristischem Geltungsanspruch als Gesetz in Kraft gesetzt war, hatte 16 Unter diesem Terminus wurde die Befugnis eines Richters ("kadi") verstanden, die Entscheidung einer Rechtsfrage vom Müfti, der höchsten geistlichen Autorität, zu erfragen und in Form einer schriftlichen Antwort ("Fetva", d. h. Rechtsgutachten nach Scheriatsrecht) zu erbitten. 17 Die restlichen drei Seiten des Briefes enthalten eine kurze Darstellung des üblichen Sachverhalts und der bisherigen Lösungsversuche. 18 s. zum Verhältnis von "Gesetz" und "Recht" ausführlich meine Abhandlung: Vom Kampf des Rechtes gegen die Gesetze, in AcP 175, 1975, S.471 bis 511.
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noch nicht die Qualität von "Recht", und das, was als "Recht" galt tUld in der Praxis auch weiterhin befolgt und angewandt wurde, war durch Art. 43 des Anwendungsgesetzes zum TZGB großenteils juristisch außer Kraft gesetzt worden. Wie hätte es auch anders sein können? Der reine Gesetzestext, für sich allein betrachtet, glich einem Betongerüst, das auf seine Füllung durch sachverständige Praktiker wartete, damit der geplante Bau bezugs- und gebrauchsfähig würde. Anders ausgedrückt: Das Sprachwerk TZGB enthielt die Idealordnung der zwischenmenschlichen Beziehungen und Verhältnisse, wie sie sich in Zukunft umgestalten und entwickeln sollten. Dies aber war nur möglich durch die Handhabung, d. h. durch das, was die Bevölkerung und die Juristen aus diesem Gesetzbuch machten. Gesetze als Verhaltenserwartungen sind nur dann sinnvoll, wenn der Bevölkerung die realisierbare Gelegenheit gegeben wird, von den durch den Gesetzgeber neu gesetzten Normen und den daran geknüpften Erwartungen Kenntnis zu nehmen. Erforderlich ist ferner, daß allen Mitgliedern des Rechtsstabes diejenigen Kenntnisse und Methoden vermittelt und dasjenige "Handwerkszeug" zur Verfügung gestellt werden, ohne die sie ihre praktischen Aufgaben nicht erfüllen können. Um die "Rechtsinformation" der Bevölkerung kümmerte man sich seinerzeit überhaupt nicht, weil der größte Teil der mohammedanischen Bevölkerung aus Analphabeten bestand und - hiervon ganz abgesehen - die Verkündung von Gesetzen im Amtsblatt auch in den zivilisatorisch weitest fortgeschrittenen Staaten den Kern der Bevölkerung nicht erreicht. Um so wichtiger wäre die mittelbare Information auf dem Wege über Rechtslehre und Rechtsprechung gewesen, weil nur mit Hilfe der Rechtslehre erkennbar wird, welchen Inhalt und welche Tragweite die förmlich als Gesetz in Kraft getretenen Rechtsnormen haben, und weil nur die Rechtsprechung erkennen läßt, mit welchem Inhalt, in welchem Grade und in welchem Umfang die neue Kodifikation sich durchgesetzt hat und den Ablauf des Soziallebens beeinflußt. 11. Die zentrale Bedeutung von Rechtslehre und Rechtsunterricht 1. Die Errichtung der Rechtsschule in Ankara
Noch vor Beginn der parlamentarischen Beratungen, aber bereits während der Vorbereitung der türkischen Übersetzungen von ZGB und OR beschäftigte sich das Parlament mit einem Antrag des Justizministers, in Ankara eine Rechtsschule zu errichten. Anläßlich der Beratungen im zuständigen Ausschuß wurde auf den akuten Richtermangel hingewiesen. Die Anzahl der Lizentiaten, die alljährlich von
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der einzigen Rechtsfakultät der Türkei in Istanbul abgehe, sei außerordentlich gering (etwa 20 - 30 im Jahre 1925). Auch seien diese hinsichtlich der Berufswahl frei: sie könnten freiberuflich tätig werden oder sich der Richterlaufbahn zuwenden. Aber selbst in letzterem Falle seien sie "wertlos für die Entwicklung der von uns gewünschten Rechtspflege" (weil sie nämlich im alten islamischen Rechtsdenken ausgebildet wurden!). Deshalb sei die Gründung einer zweiten Rechtsschule in Ankara notwendig. Diese müsse allerdings mit einem Internat verbunden sein, in dem die Studenten Unterkunft und Verköstigung auf Staatskosten erhielten, sich dafür aber verpflichten müßten, als Gegenleistung eine bestimmte Anzahl von Jahren zur Verfügung des Justizministeriums zu stehen. Der Justizminister betonte ausdrücklich, in der neuen Hauptstadt der Türkei müsse "das neue Recht gelehrt werden". Als ein Abgeordneter äußerte, die Rechtsschule müsse dasselbe Unterrichtsprogramm und die gleichen Vorlesungen wie die Istanbuler Fakultät haben, verzeichnet das amtliche Sitzungsprotokoll einen bezeichnenden Zwischenruf: "Nur mit dem Geist von Ankara!" Die Professoren sollten vom Justizministerium aus dem Kreise der Universitätslehrer von Istanbul oder solcher Personen bestellt werden, "welche in Europa ihr Studium beendet haben". Bei der Einweihungsfeier dieser ursprünglich als "Ankaraer Justizrechtsschule" bezeichneten Fachhochschule am 5. 11. 1925 sprach Atatürk (damals noch Gazi Mustafa Kemal) die Worte, die in Marmor über dem Eingang des Gebäudes der heutigen Rechtsfakultät der Universität Ankara eingemeißelt sind: "Noch bei keiner Veranstaltung habe ich ein solches Glücksgefühl empfunden wie bei der Einweihung dieser großen Anstalt, die eine Garantie der Republik sein wird." Diese Worte waren der Ausdruck der festen Überzeugung, daß erst mit und nach Heranbildung eines im europäischen Rechtsdenken geschulten Juristenstandes die Verwirklichung des großen Reformwerkes ein für allemal gesichert und garantiert sei, nämlich im Rahmen einer weltlichen Republik die Befreiung des Staats- und Rechtslebens von religiöser Bevormundung, von den geistlichen Gerichten, von den islamisch geschulten Richtern, kurzum von dem Geist der ein Jahr zuvor aufgehobenen Hochschulen für islamische Theologie, Jurisprudenz und Literatur ("Medresse"), welche während vieler Jahrhunderte Ausbildungsstätten für die Richter des Osmanischen Reiches gewesen waren.
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2. Der Geist der Medresse Wie stark dieser "Geist der Medresse" gewesen ist, wie lange er nachgewirkt und damit die Rezeption des in den schweizerischen Gesetzen enthaltenen rechtlichen Gedankenguts verzögert hat, ergibt sich aus einer Denkschrift, die Professor Albert Malche (Genf) auf Wunsch der türkischen Regierung dieser unter dem 29. 5. 1932 über den damaligen Zustand der Universität Istanbul und die Möglichkeit einer Reform vorgelegt hat. Malche gibt die Anzahl der Jurastudenten im Studienjahr 1932/33 mit 1048 an, von denen aber nur 129 in die letzte Klasse vor dem Lizentiatenexamen gelangt seien. Er kritisiert die alten und veralteten Lehr- und Lernmethoden: Der akademische Lehrer liest einen vorbereiteten Text vor, und der Student muß auswendig lernen, was vorgelesen wird. Studenten mit lediglich türkischen Sprachkenntnissen seien nicht oder außerordentlich selten in der Lage, sich - abgesehen von den Vorlesungen - irgendwelche Unterlagen oder Kenntnisse zu verschaffen. Die Anzahl der Studenten, die fremdsprachliche Bücher lesen könnte, sei ebenfalls sehr gering. Für die überwiegende Mehrzahl der Studenten sei es völlig unmöglich, Kenntnisse außerhalb der Vorlesungen zu erwe~ben. Buchausleihe aus den Bibliotheken, die noch nicht einmal die periodisch erscheinenden Fachzeitschriften hielten, sei unbekannt. Die in einem großen prächtigen Raum untergebrachte medizinische Bibliothek sei erstaunlich mager. "Dagegen habe ich in der Rechtsfakultät wirklich eine reiche Bibliothek gesehen." Der "Reichtum" di'eser Bibliothek bestand aber, was Malche nicht erkannt hat und als Nicht jurist auch nicht erkennen konnte, aus Werken über das alte, bereits 1926 außer Kraft gesetzte Recht, während wissenschaftliche Literatur zu den türkischen Reformgesetzen kaum und schweizerische Werke überhaupt nicht vorhanden waren. Die bereits in den Beratungen über die Errichtung einer neuen Rechtsschule in Ankara kritisierte Einstellung vieler Mitglieder der Rechtsfakultät der alten Universität Istanbul zu den Reformgesetzen ergibt sich auch aus einer öffentlichen Erklärung des damaligen Ministers für die nationale Erziehung, Dr. Re~it Galip, vom 1. 8. 1933 anläßlich der grundlegenden Reform der Universität Istanbul entsprechend den Vorschlägen in der oben erwähnten Schrift von Malche. Der Minister sagte u. a., in der Türkei hätten große politische und soziale Revolutionen stattgefunden, die Istanbuler Universität sei ihnen gegenüber ein neutraler Zuschauer geblieben. "Im Recht gab es radikale Veränderungen. Die Istanbuler Universität begnügte sich damit, die neuen Gesetze in das Unterrichtsprogramm aufzunehmen." Nach der Durchführung der Reform bestehe der Lehrkörper nunmehr aus drei Gruppen: Aus denjenigen Mitgliedern der aufgehobenen alten Universität, die
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den Bedingungen der neuen Universität gewachsen seien; aus denjenigen jungen Wissenschaftlern, die in den Zeiten der Republik (d. h. etwa seit 1924) in Europa ausgebildet worden seien und zunächst als Anwärter auf Professorenstellen angestellt würden; schließlich aus ausländischen Professoren, die auf ihrem Fachgebiet international anerkann t seien.
3. Die ausländischen Professoren Was speziell die ausländischen Professoren betrifft, so kann ich aus eigener Erfahrung folgendes sagen: Zunächst wurde in der Öffentlichkeit sehr heftig die Frage diskutiert, welche Vorteile das Land von ausländischen Professoren des Rechts zu erwarten habe. Diese Frage war sachlich nicht unberechtigt; denn wie sollten ausländische Rechtsgelehrte ohne Kenntnis der Sprache, der Gesetzestexte und der realen Lebensbedingungen des Landes den türkischen Studenten Vorlesungen über türkisches Recht halten? Daß die genannten Rechtsgelehrten die ihnen gestellte Aufgabe meistern konnten, verdankten sie ihren jungen, zum Teil in der Schweiz oder in Deutschland ausgebildeten "Dozenten" oder den von ihnen selbst herangebildeten Assistenten, welche als Übersetzer die sprachliche Kluft zu überbrücken verstanden, sowie der Bereitschaft der türkischen Studenten, die für sie zunächst ungewohnte neuartige Unterrichtsmethode auf sich wirken zu lassen. Auch aus Schweizer Juristenkreisen konnte man besorgte Stimmen vernehmen, daß die beiden deutschen Juristen, die für die Lehre des Privatrechts an der neuen Rechtsfakultät in Istanbul zuständig waren, nämlich Andreas B. Schwarz für Zivilrecht und Römisches Recht und ich für das gesamte Handelsrecht, angesichts ihrer am BGB ausgerichteten Dogmatik, Systematik und Methdde den durch die Übernahme des schweizerischen ZGB beabsichtigten schweizerischen Charakter des neuen türkischen Privatrechts "verfremden" oder, wie man damals zu sagen pflegte, v,erderben und "eindeutschen" würden. Immerhin diente der Beschwichtigung dieser Befürchtungen der Umstand, daß A. B. Schwarz eine Zeitlang an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich gelehrt und dabei Gelegenheit genommen hatte, sich mit dem schweizerischen Zivil- und Obligationenrecht vertraut zu machen, während wie Karl Wieland in seinem großen Werk über das Handelsrecht gezeigt hatte - das schweizerische Handels- und Gesellschaftsrecht ebenso wie das deutsche HGB aus der ihnen gemeinsamen Wurzel des ADHGB gewachsen waren. Daß die beiden deutschen Privatrechtslehrer sich bemüht haben, in ihren Lehrveranstaltungen und wissenschaftlichen Publikationen den Chavakter und den Geist des schweizerischen ZGB den türkischen Studenten und den türkischen Praktikern nahezu bringen,
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wird heute, mehr als 40 Jahre nach ihrem Tätigkeitsbeginn in der Türkei, wohl auch von schweizerischen Juristen nicht mehr bezweifelt.
4. Unterlassene Unterweisung der Praktiker Allel'dings konnten auch diese beiden ausländischen Professoren nicht verhindern, daß die Ausbildung der Juristen auf der Grundlage und im Geiste der neuen Gesetze um viele Jahre, ja Jahrzehnte, ihrem förmlichen Inkrafttreten hinterherhinkte. Vor allem waren keine Anstalten getroffen worden, um die bereits in der Praxis stehenden Richter und Rechtsanwälte ausreichend und nachhaltig einzuführen. Man ließ den Praktikern nur wenige Monate Zeit zwischen der Verkündung und dem Inkrafttreten der Gesetze, um sich wenigstens in deren Texte einzulesen. Eine erst vor kurzem erschiienene Rechtsbibiliographie über die in alter (arabischer) Schrift bis zur obligatorischen Verwendung der neuen (lateinischen) Schrift am 1. 1. 1929 erschienenen Aufsätze und Bücher 19 el'gibt, daß das türkQsche Justizministerium in den Jahren 1926 und 1927 eine für die Richterschaft bestimmte türkische übersetzung des Kommentars zum ZGB von Virgile Rossel und eine türkische Übersetzung des Kommentars zum OR von Alfred Martin herausgebracht hatte, während in den Nummern 71 - 76 der Zeitschrift des Justizministeriums (Adliye Ceridesi) einige Abschnitte aus dem "Obligationenrecht" von von Tuhr in der übersetzung von Sabri ~akir Ansay erschienen waren. In den Bänden IV, V und VI der Zeitschrift der Rechtsfakultät der Universität Istanbul wurde 1926 - 1928 eine Einführung in das Studium des neuen türkischen ZGB von Georg Sausserhall in türkischer Sprache veröffentlicht, während das sonstige türkische Schrifttum in diesen Jahren nur etwa 15 selbständige Bücher zum TZGB und TOG umfaßt. Auch die Zahl der nach Umfang und Qualität sehr unterschiedlichen Zeitschriftenaufsätze während der ersten drei Jahre nach Inkrafttreten der Gesetze war für die Einarbeitung in ein den damals tätigen Praktikern völlig fernliegendes und fremdes Rechtssystem völlig unzureichend. Dabei war die am 1. 1. 1929 in Kraft getretene völlige Änderung der Schrift praktisch ein großes retardierendes Moment, weil sie für die in der Praxis tätigen Juristen eine vollkommene Umstellung auf ein fremdes Schrift- und Druckbild, ein Umlernen in der Schreibweise und in der Rechtschreibung notwendig machten. Hinzu kam, daß es Bibliographien über juristisches Schrifttum noch nicht gab 20 • Die praktischen Juristen waren also ohne eigene Schuld in eine 19 Ya:;;ar Karayal!;in/ Ahmet Mumcu: Türk Hukuk Bibliyografyasi 1727 bis 1928, Ankara 1972. 20 Die zeitlich erste Bibliographie über das juristische Schrifttum wurde
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Situation geraten, in der sie nach den Grundsätzen des ihnen geläufigen Rechtssystems, das gesetzlich aufgehoben war, judizieren mußten.
C. Wegleitung durm die Wissensmaft Statt theoretische Ausführungen darüber zu machen, wie sich im Laufe der Jahre eine türkische Doktrin zum türkischen Zivilrecht gebildet hat, dürfte es anschaulicher sein, einer jahrelang geführten Diskussion einer Rechtsfrage zu folgen, die, aus dem alten Recht übernommen, auch weiterhin im türkischen Rechtsleben eine erhebliche Rolle spielte, ohne im neuen Gesetzbuch eine Grundlage zu haben. Es handelte sich um Ersatzansprüche wegen Besitzentziehung und Besitzstörung, die zwar ,im TZGB geregelt sind, aber einen im früheren Recht anerkannten besonderen Anspruch nicht mehr zulassen. Erst nach der Klärung durch meinen (in türkischer Sprache veröffentlichten) Aufsatz 2 t, der im folgenden wiedergegeben wird, entsprach die Praxis dem "neuen" Recht, dessen Text ein Vierteljahrhundert früher in Kraft getreten war!
I. Einführung Das im Jahre 1926 aus der Schweiz übernommene Zivil- und Obligationengesetzbuch hat in seinem Heimatland eine lange Vorgeschichte, und zwar derart, daß die Bestimmungen dieser Gesetze, wenn auch nicht als einheitlicher Block, lange Zeit hindurch angewandt worden sind und sich zu einer Normensammlung entwickelt haben, an die sich sowohl das Volk als auch die Praktiker vollständig gewöhnt und die sie sich zu eigen gemacht haben. Die Kodifizierung dieser einzelnen Normen brachte trotz mancher Ergänzungen und Änderungen für die Praxis keine Schwierigkeiten mit sich. Denn sowohl die Juristen als auch die Bevölkerung waren mit den Begriffen dieses Gesetzes vertraut. Trotzdem hatte man dort zwischen der Annahme und dem Inkrafttreten des Gesetzes für das ZGB eine Eingewöhnungsfrist von vier Jahren und für das Obligationengesetz, das nur aus einer Revision des entsprechenden Gesetzes von 1881 bestand, eine Anpassungsfrist von neun Monaten gelassen 22 • von mir für die Jahre 1934 und 1935 zusammengestellt und erschien in der Zeitschrift der Rechtsfakultät der Universität Istanbul Bd. IV, S. 376 - 393. 21 Meden)' Kanunun XV, yildönümü il;in, Istanbul üniversitesi yayinlarindan No. 245, Istanbull944, S. 773 - 800. 22 Dasselbe gilt auch für das deutsche BGB. Dieses 1896 angenommene Gesetz trat erst im Jahre 1900 in Kraft.
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In der Türkei war die Situation eine völlig andere. Es war ganz natürlich, daß mit einigen Schwierigkeiten gerechnet werden mußte, als wegen der großen und vordringlichen Vorteile an die Stelle des seit Jahrhunderten überkommenen Rechtssystems ein ganz anderes, aber sehr fortschrittliches Rechtssystem angenommen wurde. Diese Schwierigkeiten haben sich dann tatsächlich auch ergeben. Aber es wäre falsch, diesen Umstand als eine Besonderheit für die Türkei zu betrachten. Seit jeher hat man in allen Ländern Schwierigkeiten mit der Anwendung eines neuen Rechts gehabt, sobald man an die Stelle des alten Rechts, das den nationalen Bedürfnissen nicht mehr entsprach und die wirtschaftliche und soziale Entwicklung eines Landes hemmte, ein höher entwickeltes Rechtssystem übernahm und ein anderes Gesetz sich zu eigen machte. Die importierten neuen Vorschriften bringen neue Begriffe und eine neue Rechtslogik mit sich. Es bedarf eines lange dauernden Studiums und einer entsprechend längeren Praxis, damit sich sowohl die Bevölkerung als auch die Rechtspraktiker daran gewöhnen. Diese Umstände machten sich in der Türkei besonders stark fühlbar. Denn es bedeutete eine radikale Änderung, an die Stelle des im islamischen Recht verankerten Mecelle-Systems die schweizerischen Gesetze zu setzen, die ihrerseits ihre Grundlagen im römischen und germanischen Recht haben. Die Frist von fünf/sechs Monaten, welche den Praktikern und der Bevölkerung gelassen wurde, reichte unter keinen Umständen dazu aus, sich diesem neuen, völlig anderen Recht anzupassen. Vielleicht wären dafür fünf Jahre notwendig gewesen. Aber angesichts der lebenswichtigen Bedürfnisse des Landes konnte man eine derartig lange Wartefrist nicht zulassen. Infolge dieser zwingenden Gründe war man genötigt, das neue Gesetz zugleich anzuwenden und zu studieren. Jedoch kommen noch immer trotz der zwischenzeitlich vergangenen mehr als fünfzig Jahre einige Irrtümer vor, die darauf beruhen, daß die gesetzlichen Bestimmungen nicht verstanden worden sind, sei es, weil die erforderlichen wissenschaftlichen Untersuchungen noch nicht zu Ende geführt werden konnten, sei es, weil das alte Rechtssystem im Denken unserer Juristen infolge langjähriger Praxis untilgbare Spuren hinterlassen hat. Jedoch möchte ich sogleich betonen, daß derartige Irrtümer ziemlich natürlich und diejenigen, die sie machen, entschuldbar sind. Für diejenigen, welche unter der alten Rechtskultur groß geworden sind, ist es äußert schwierig, sich einem neuen Rechtssystem vollständig anzupassen und die altgewohnten Begriffe und das überkommene rechtliche Denken ganz und gar auszuschließen. Deshalb haben wir in der Hoffnung, der Rechtspraxis des Landes einen Dienst zu erweisen, in unserer Abhandlung, die sich mit den Ersatzansprüchen wegen Besitzentziehung und Besitzstörung beschäftigt, eine äußerst umstrittene Frage23 aus dem Bereich des Sachenrechts gewählt.
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2. Kap.: 4 Phasen im Rezeptionsablauf schweiz. Gesetze in der Türkei 11. Urteile des Kassationshofs, die sich auf die Verjährungsfrist von Ansprüchen auf "ecrimisil" beziehen
1. In der Entscheidung Nr. 2960/2155 vom 18. 5. 1930 hat der 4. Zivilsenat des Kassationshofs "in der Erwägung, daß bei einer Klage wegen Wegnahme eines Hauses der Streitgegenstand aus dem Schadenersatzanspruch wegen unerlaubter Handlung besteht und dieser der einjährigen Verjährungsfrist unterliegt, das Urteil der ersten Instanz aus dem Gesichtspunkt kassiert, daß die Zurückweisung der Einrede der Verjährung dem Gesetz nicht entspricht"24.
2. Derselbe Senat hat in der Entscheidung Nr. 3553 vom 26. 10. 1930 ausgesprochen 25 , daß die Verjährungsfrist für Ersatzklagen aus unerlaubter Handlung (verbotener Eigenrnacht) von dem Zeitpunkt an zu laufen beginnt, in welchem die Ersatzklage erhoben werden könnte. 3. Schließlich hat derselbe Senat das Urteil der ersten Instanz wegen einer gegen die Stadtverwaltung Istanbul gerichteten Klage auf "ecrimisil" (wörtlich: mietzinsgleiches Entgelt) durch die Entscheidung Nr. 4316/3684 vom 8. 11. 1930 aufgehoben 26 , weil "im vorliegenden Streitfall zwar diejenigen Ersatzansprüche, welche in die Jahresfrist vor der Klageerhebung fallen, anzuerkennen, diejenigen für die früheren Jahre dagegen, da sie aus unerlaubter Handlung herrühren und der einjährigen Verjährungsfrist unterliegen, abzuweisen waren." 4. In der Plenarentscheidung Nr.23/44 vom 9. 12. 193127 wurde "mit Mehrheit beschlossen, daß die wegen verbotener Eigenrnacht unter der Bezeichnung ,ecrimisil' geforderte Entschädigung ihrer Rechtsnatur nach nicht zu den im zweiten Abschnitt des 1. Titels des Obligationengesetzbuchs geregelten Schuldverpflichtungen28 gehört, so daß in derartigen Entschädigungsprozessen die in Art. 60 des Gesetzes bestimmte Verjährungsfrist29 nicht anwendbar ist." 23 Demirelli, Fuat Hulusi: Yedin himayesine teferru eden birka!; mesele, Adliye Ceridesi 1938, S. 731 - 743; Gasibin tazmin bor!;u, Adliye Ceridesi 1938, S. 1887 - 1892; Erkll.n, A. S.: Ecrimisil müruru zamani hakkindaki i!;tihatlar tevhidedilemez mi?, Adliye Ceridesi 1940, S. 676 - 683; Aydiner, Hidayet: Ecrimisil mi, ecrimüsemma mi, tazminat mi?, Istanbul Baro Mecmuasi 1940, S. 457 - 475; Berki, A. Himmet: Ecrimisil ve müruru zaman, Adliye Ceridesi 1937, S. 1108 - 1130; Temizer, ~emseddin, Fuzuli i:;;gal ve ecrimisil nedir?, Adliye Ceridesi 1938, S. 1112 -1124; Belgesay, M. Resit, Fuzuli i:;;gal ve ecrimisil, Hukuki Bilgiler Mecmuasi 938, S. 5862 - 5870. 24 Hukuki Bilgiler Mecmuasi, No. 48, S. 2076. 25 Temyiz Mukarrerati 1930, Hukuk kismi S. 713. 26 Hukuki Bilgiler Mecmuasi, No. 55, S. 4016 - 4044. 27 1931 Temyiz Kararlarinin Hukuk kismi c. 10 S. 265. 28 D. h. zu den Verpflichtungen aus unerlaubter Handlung. 29 Von einem Jahr,
C.III. Der Ausdruck "ecrimisül"
61
5. Dieser Plenarentscheidung folgten der Große Zivilsenat mit seiner Entscheidung Nr.4/26 und der 4. Zivilsenat mit seinem Urteil Nr. 1935/400. "Wenn zwischen den Parteien kein Mietvertrag besteht, ist für Ansprüche auf miet(ähnliche) Beträge nicht die in Art. 126 TOG bestimmte30 fünf jährige, sondern die zehnjährige Verjährungsfrist anzuwenden"31. 6. Schließlich lautet die Entscheidung Nr. 1937/29, 1938/10 des Hauptsenats des Kassationshofs für einheitliche Rechtsprechung vom 25.5. 1938 wie folgt 32 : "Hinsichtlich von Entschädigungsansprüchen, welche von Grundeigentümern erhoben werden können, weil ihre rechtlichen Interessen durch widerrechtliche Wegnahme und Entziehung verletzt worden sind, ist die seitens des Zivilsenats getroffene Entscheidung, eine zehnjährige Verjährungsfrist anzuwenden, nicht für zutreffend erachtet worden. Denn da für Mietforderungsklagen aller Art, die aus ausdrücklich oder konkludent abgeschlossenen Verträgen entstehen, gemäß Art. 126 TOG eine fünf jährige Verjährungsfrist läuft, ist es natürlich und notwendig, daß auch für die nicht auf Vertrag beruhenden, aber im rechtlichen Ergebnis gleichgearteten Ansprüche dieser Art auf Ersatz und angemessene Entschädigung die fünf jährige Verjährungsfrist läuft."
111. Der Ausdruck "ecrimisil" Obwohl der Ausdruck "ecrimisil" im türkischen Zivil- und Obligationengesetzbuch nirgends gebraucht wird, begegnet man ihm in den oben angeführten gerichtlichen Entscheidungen und in wissenschaftlichen Abhandlungen. Nach dem (vom Türkischen Rechtsverein herausgegebenen) Türkischen Rechtswörterbuch wird der erwähnte Terminus im Gegensatz zu 'dem im voraus vereinbarten und "ecrimüsemma" genannten bestimmten Mietpreis im Sinne eines durch Mietverträge nicht festgesetzten, sondern entsprechend dem Ortsgebrauch zu berechnenden und zu bestimmenden üblichen Mietzinses verstanden. 1. Auch wenn nach Art. 248 TOG zum Zustandekommen eines Mietvertrages die Vereinbarung einer Gegenleistung erforderlich ist - andernfalls liegt kein Mietvertrag, sondern ein Leihvertrag vor - , besteht keine Notwendigkeit dafür, daß im Vertrag diese Gegenleistung 30 Nach dieser Bestimmung verjähren die Forderungen für Mietbeträge aller Art und für Kapitalzinsen sowie für periodische Leistungen in fünf Jahren. 31 1930 - 1934 Temyiz Kararlari, S.204; Adliye Ceridesi 1936, S.23; 1935 Temyiz Kararlari, S. 323. 32 Amtsblatt (Resmi Gazete) No. 4063 vom 15.11. 1938 (1938 Temyiz Kararlari S. 7); dieser Plenarentscheidung ist der 4. Zivil senat mit seiner Entscheidung No. 3357/2779 gefolgt (1938 Temyiz Kararlari S. 408).
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2. Kap.: 4 Phasen im Rezeptionsablauf schweiz. Gesetze in der Türkei
von vornherein bestimmt ist. Es ist ebenso wie beim Kaufvertrag (Art. 182, 183 TOG) und beim Dienstvertrag (Art. 323 TOG) lediglich erforderlich, daß die vereinbarte Gegenleistung bestimmbar ist. Obwohl dieserhalb im Gesetzestext hinsichtlich des Mietvertrags keine ausdrückliche Bestimmung zu finden ist, wird die erwähnte Regel allgemein auch hier angewandt. Als Beispiel kann auf Ziffer 2 der Vorschrift über die Formalitäten der Verträge nach Maßgabe der im Amtsblatt Nr.422 vom 13.6.1926 veröffentlichten Vermietungsund Immobilienverordnung hingewiesen werden: "Bei den Vertragsurkunden ohne bestimmten Betrag muß als Stempelabgabe 2 Ofo desjenigen Betrags angenommen werden, welcher nach dem Ortsgebrauch, der auf der Grundlage des Inhalts derartiger gesetzmäßig abgeschlossener Verträge ermittelt wird, als Gegenleistung vereinbart zu werden pflegt." Ein weiteres Beispiel bietet lit. B des aufgrund von Art. 30 des nationalen Notstandsgesetzes erlassenen Beschlusses Nr.98 des Koordinationsausschusses: "Wenn der Mietpreis in dem notariellen Vertrag nicht bestimmt ist, so wird für Grundstücke der letzte im Kalenderjahr 1939 abgeschlossene Mietvertrag über den Mietgegenstand zugrunde gelegt, der nach Maßgabe der Einrichtungen und anderen Bedingungen früher vergleichbar war." 2. Der Ausdruck "ecrimisil" wird auch in einem weiteren Sinne in Fällen gebraucht, bei denen es sich nicht um Mietverträge handelt. Wenn z. B. ein Grundstückseigentümer von einem anderen widerrechtlich des Genusses der Sache beraubt wird, bezeichnet man den Ersatzanspruch des Eigentümers ebenfal1s mit dem Ausdruck "ecrimisil". In derartigen Fällen wird angenommen, daß der Schaden des Grundstückseigentümers demjenigen Betrag entspricht, den er durch Vermietung der Sache hätte erhalten können, wenn er nicht an der Nutzung dieses Grundstücks verhindert worden wäre. Wenn z. B. ein durch Werkvertrag verpflichteter Unternehmer schadenersatzpflichtig wird, weil er das Wohnhaus nicht rechtzeitig übergibt, so wird er zu "ecrimisil" verurteilt, d. h. er muß soviel zahlen, wie solche Objekte Miete erbracht hätten, welche nach Lage und Größe dem fraglichen Wohnhaus vergleichbar sind. In diesem Beispiel bedeutet Gleichheit im Raum "Ähnlichkeit" 33. Der in diesen Fällen behauptete Schaden läuft somit auf die Frage hinaus, in welcher Weise das entgangene Interesse zu berechnen ist. Hierfür gibt es im türkischen Obligationengesetzbuch außer einer allgemeinen Bestimmung noch die besonderen Vorschriften der Art. 103 und 223. Nach der allgemeinen Regel von Art. 42 "setzt der Richter, wenn der Schaden ziffernmäßig nicht nachgewiesen werden kann, ihn mit Rücksicht auf den gewöhnlichen Lauf der Dinge nach Recht und Billigkeit fest". Auch nach Art. 223 "kann der Verkäu33
Arsebük, Esat:
Bor~lar
Hukuku, 2. Auf!. c.!, S.178, N.101.
C.!Ir. Der Ausdruck "ecrimiSlil"
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fer, der beim Abzahlungskauf vom Vertrag zurücktritt, einen angemessenen Mietzins verlangen" (vgl. auch Art. 689 TZGB34). Was schließlich Art. 103 betrifft, so gilt: "Ist der Schuldner mit der Zahlung einer Geldschuld in Verzug, so hat er für die Verzugstage Verzugszinsen zu 5 % für das Jahr zu zahlen und, wenn durch Vertrag höhere Zinsen als 5 Ufo, sei es direkt, sei es durch Vereinbarung einer Provision, vereinbart worden sind, auch diese während des Verzugs zu zahlen." Die Folge davon ist, daß derjenige, der ein Darlehen zu 9 Ufo aufgenommen hat, bei nicht rechtzeitiger Rückzahlung am Fälligkeitstag als Verzugszinsen nicht 5 %, sondern 9 Ufo zahlen muß. Diese Bestimmung des Art. 103 TOG wird analog auch in dem Falle angewandt, daß der Mieter nach Ablauf des Mietvertrags mit der Rückgabe der gemieteten Sache in Verzug gerät. Dies bedeutet, daß der Mieter in diesen Fällen als Verzugsschaden wenigstens den Betrag des bisherigen Mietzinses zu zahlen verpflichtet ist. Deswegen bedarf es nicht der Suche nach einer besonderen Vorschrift wie derjenigen des § 559 des deutschen BGB. Da das türkische Gesetz für diesen Sachverhalt eine allgemein für alle Verträge geltende Vorschrift enthält, besteht insofern keine Gesetzeslücke. Kurz zusammengefaßt: Der Ausdruck "ecrimisil" bedeutet in den oben erwähnten Fällen den Verzugsschaden im Sinne eines entgangenen Gewinns, der entsprechend den vergleichbaren Mietverträgen berechnet wird. 3. In den Fällen unter 1. handelt es sich um Mietverträge, in denen die Höhe des Mietzinses nicht vereinbart worden ist. In den Fällen unter 2. dagegen liegt es so, daß zwar ein Vertrag vorliegt, der Schuldner aber bei Fälligkeit die Sache dem Gläubiger nicht zurückgibt und wegen Verzugsschaden verurteilt wird. Schließlich wird der Ausdruck "ecrimisil" in einer dritten Bedeutung auch für Ersatzansprüche verwendet, welche Grurrdstückseigentümer in den Fällen erheben, in denen ihre rechtlichen Interessen dadurch verletzt werden, daß ihnen ohne noch laufenden oder bereits abgelaufenen früheren Vertrag der Besitz des Grundstücks widerrechtlich entzogen wird. In diesem letzten Sinne wird der Ausdruck "ecrimisil" in den oben angeführten Entscheidungen des Kassationshofs und den hierzu veröffentlichten Abhandlungen gebraucht35 .
34 Art. 689 TZGB lautet: Gegenstände, die mit Eigentumsvorbehalt übertragen worden sind, kann der Eigentümer nur unter der Bedingung zurückverlangen, daß er die vom Erwerber geleisteten Abzahlungen unter Abzug einer Entschädigung für die Abnutzung und eines angemessenen Entgelts zurückerstattet. 35 In einigen Entscheidungen des Kassationshofs wird bei verbotener Eigenmacht zwar auf "ecrimisil" erkannt, dieser Ausdruck aber nicht im Sinne von Schadenersatz, sondern im Sinne von "angemessener Mietzins" verwandt, was, wie noch zu zeigen sein wird, gegen die ausdrückliche Bestimmung des Gesetzes verstößt (Temyiz Kararlari 1937, S. 164). Schließlich möchte ich noch
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2. Kap.: 4 Phasen im Rezeptionsablauf schweiz. Gesetze in der Türkei
IV. Die gesetzlichen Termini Was zu den Entscheidungen des Kassationshofs und den einschlägigen wissenschaftlichen Erörterungen Anlaß gegeben hat, ist die Frage nach der Verjährungsfrist, die in derartigen Fällen anzuwenden ist. Unser verehrter Kollege Mustafa Re:;;it Belgesay sagt mit vollem Recht, "daß die Rechtsnatur des Anspruchs, dessen Verjährungsfrist in Frage steht, dafür maßgebend ist, welche Verjährungsfrist anzuwenden ist". Deshalb muß man zunächst wissen, welche Art von Anspruch geltend gemacht wird und wie dieser Anspruch rechtlich zu qualifizieren ist. Leider läßt sich aus keiner der angeführten Entscheidungen der Sachverhalt in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise ersehen. Dies kommt daher, daß die vor allem in den Gerichtsentsche~dungen gebrauchten Rechtsausdrücke und Begriffe nicht den Termini entsprechen, welche im Text der Gesetze gebraucht werden. Wie dunkel und vieldeutig Ausdrücke wie "fuzuli i:;;gal", "ecrimisil " , "misE tazminat ve münasip ücret", "hakslZ surette zapt ve i:;;gal", "i:;;gal davasi" sind, ersieht man, wenn man die Äußerungen unserer Juristen miteinander vergleicht. Da die Entscheidungen des Kassationshofs für alle Richter ein Muster bilden sollen und insbesondere die Plenarentscheidungen die Stetigkeit der Rechtsanwendung gewährleisten, sollten die Kassationsentschei'dungen auf jeden Fall in einer für alle Juristen leicht verständlichen und zu keinem Zweifel Anlaß gebenden Form abgefaßt werden. Dieses in Art. 389 des Zivilprozeßgesetzes ausdrücklich ausgesprochene Postulat ist nicht nur vom Standpunkt der Prozeßparteien, sondern zugleich aus dem Gesichtspunkt der Entwicklung des türkischen Rechts von besonderer Wichtigkeit. Meine Bitte, in allen Fragen, welche das geltende Recht betreffen, die gesetzlichen Termini zu gebrauchen, richtet sich nicht nur an die hohen Gerichte, sondern zugleich an alle Juristen. Um für die Untersuchung unseres Problems ein festes Fundament zu schaffen, sehen wir uns deshalb veranlaßt, die nicht vollständig beschriebenen Sachverhalte jedenfalls theoretisch zu rekonstruieren. Wenn das Ergebnis, zu dem wir auf dem Wege von Vermutungen gelangen, mit dem wirklichen Sachverhalt nicht übereinstimmt, dürfen wir erwarten, daß unsere verehrten Richter uns aufklären und berichtigen.
darauf hinweisen, daß im Sinne von "entsprechender Mietpreis" der Ausdruck "ecrimisil" manchmal auch bei Dienstverträgen gebraucht und sozusasagen als Entgelt für Dienstmiete angesehen wird (Temyiz Kararlari 1935, S. 135; 1936, S. 158).
C.VI. Wer ist Beklagter?
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V. Wer ist der Kläger? In den Prozessen, die den Anlaß für die oben angeführten Entscheidungen bilden, spielt ein Grundstückseigentümer die Rolle des Klägers. Wie sich den wissenschaftlichen Abhandlungen entnehmen läßt, sind alle Autoren in diesem Punkt einer Meinung. Aber in derartigen Prozessen kann Kläger auch ein Besitzer sein, der nicht Eigentümer ist, und den Streitgegenstand kann auch eine bewegliche Sache bilden 36 • Daß in den Entscheidungen und Abhandlungen stets vom "Eigentümer" und vom "Grundstück" die Rede ist, dürfte daraus zu erklären sein, daß in der großen Mehrzahl der Fälle den Gegenstand des Prozesses ein Grundstück gebildet hat und der Kläger, der den Besitzanspruch geltend machte, der Grundstückseigentümer war. Aber dies ist keinesfalls notwendig. So kann z. B. auch ein Mieter, gestützt auf das ihm durch den Mietvertrag gewährte Besitzrecht, einen derartigen Anspruch wegen einer Störung geltend machen, die von einer dritten Person herrührt. Allgemein läßt sich somit sagen, daß Kläger derjenige ist, dessen Besitz einer beweglichen oder unbeweglichen Sache ohne seinen Willen infolge einer Störung verletzt worden ist.
VI. Wer ist Beklagter? Wie sich aus den angeführten Entscheidungen ergibt, ist Beklagter derjenige, welcher die Sache "unberechtigt" weg- oder an sich genommen, also verbotene Eigenmacht begangen hat 37 • 1. Wenn die vom Kassationshof gebrauchten Termini im üblichen Sinne verstanden werden, kann es sich nur um diejenigen Fälle handeln, in denen jemand die im Besitz eines anderen befindliche Sache ohne oder gegen dessen Willen diesem entzieht, indem er entweder unmittelbar den Besitz des Besitzers aufhebt oder in anderer Weise verletzt.
"Die Ausdrücke "fuzuli" (nicht berechtigt) und "haksiz surette" (widerrechtlich) lassen erkennen, daß die Tat der Entziehung durch Eigenmacht, d. h. ohne oder gegen den Willen des unmittelbaren Besitzers begangen worden ist. Demnach spielen Umstände wie die Bösgläubigkeit oder das Verschulden des Entziehenden ebensowenig eine Rolle wie das Bestehen eines Rechtes an der Sache. Mit den Ausdrücken 36 H. Aydiner weist auf diese letzte Möglichkeit hin. Siehe auch Homberger, Kommentar zum Schweizerischen ZGB, Art. 999 N. 10. 37 Der Beklagte ist derjenige, der selbst verbotene Eigenmacht begangen hat. Es muß deshalb geprüft werden, ob diejenigen, welche in dem Objekt der verbotenen Eigenmacht gemeinsam wohnen, an der verbotenen Eigenmacht beteiligt waren oder nicht (1938 Temyiz Kararlari, S. 316).
5 Hirsch
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"fuzuli" und "hakslz surette" wil'd die Tat desjenigen gekennzeichnet, der in willkürlicher Weise Eigenrnacht begeht, indem er durch Bruch des öffentlichen Friedens eine Sache wegnimmt, selbst wenn er dabei in der Absicht handelt, ein ihm an der Sache zustehendes Recht zu verwirklichen. Ein altes deutsches Rechtssprichwort besagt nämlich: "Zum Recht durch Unrecht gehen, das darf nicht sein." Da somit derjenige, der den faktischen Besitzer ohne oder gegen dessen Willen aus dem Besitz setzt oder im Besitz stört, den allgemeinen Rechtsfrieden verletzt, wird angenommen, daß er, objektiv gesehen, stets widerrechtlich handelt. Aber eine derartige Handlung kann im Sinne von Art. 41 TOG nur dann eine "unerlaubte" Handlung bilden, wenn der Täter schuldhaft gehandelt hat. Daß der Kassationshof derselben Meinung war, ergibt sich aus den Plenarentscheidungen von 1931 und 1938, welche einen Anspruch aus unerlaubter Handlung verneinen. Um diesbezüglichen Unklarheiten vorzubeugen und eine zweckentsprechende Klarheit zu erhalten, wäre es richtiger, den Ausdruck "haksiz surette" (widerrechtlich) auf diejenigen Fälle zu beschränken, in denen ein Verschulden vorliegt, und in den übrigen Fällen lediglich die Ausdrücke "zapt" (Wegnahme) und i~gal" (Ansichnehmen) zu gebrauchen. 2. Unter den Ausdrücken "zapt" und "ü;lgal" schließlich wird die willkürliche Veränderung, die Verletzung einer bestehenden Besitzlage verstanden. Auf diese Weise bleiben die Fälle, in denen jemand für eine bestimmte Zeit den Besitz einer Sache erlangt hat, aber nach Ablauf der Zeit den Besitz nicht zurücküberträgt, außerhalb der Begriffe Wegnahme und Ansichnehmen. Wenn z. B. bei Ablauf der vertraglich vereinbarten Mietzeit der Mieter die gemietete Sache nicht zurückgibt, sondern auch weiterhin im Besitze der Sache bleibt, dann liegt im Sinne des Zivilgesetzbuchs weder "Wegnahme" noch "Ansichnehmen" vor. Vielmehr handelt es sich allein um Verzug in der Erfüllung einer vertraglichen Verpflichtung. Infolgedessen ist in solchen Fällen derjenige, der die Sache nicht zurückgibt, schuldrechtlichen Ansprüchen wegen Vertragsverletzung oder nicht ordnungsmäßiger Erfüllung und außerdem, weil er ohne Recht im Besitze der Sache bleibt, dem Herausgabe-Anspruch ausgesetzt. In den Fällen, in denen die faktische Besitzlage so ble~bt, wie sie ist, kann von einer eigenmächtigen Veränderung und Störung (Wegnahme und Ansichnehmen, Entziehung und Störung) des Besitzes nicht die Rede sein. Diese Auffassung wird auch von allen schweizerischen Autoren einstimmig vertreten. Wenn somit derjenige, der aufgrund eines schuldrechtlichen oder dinglichen Rechtsverhältnisses Besitzer einer Sache ist, nach Beendigung dieses Rechtsverhältnisses weiterhin im Besitze bleibt und die Sache
C.VII. Gegenstand der Klage
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nicht zurückgibt, so können die Art. 894 ff. TZGB nicht angewandt werden38 • Auch wenn sich aus den Urteilen unserer höchsten Gerichte der für die Entscheidung wesentliche Sachverhalt nicht vollständig ersehen läßt, so kann man jedenfalls denjenigen Entscheidungen, auf die Hidayet Aydiner seine zutreffenden Ansichten stützt, diesen Sachverhalt mit Bestimmtheit entnehmen. Auf alle Fälle sieht der Gesetzgeber in Art. 67 des Gesetzes Nr.2490 über öffentliche Ausschreibungen, Submissionen und Versteigerungen einen Unterschied zwischen verbotener Eigenmacht ("fuzuli i:;;gal") im wahren Sinne des Wortes und der Fortsetzung des Besitzes nach Vertragsende. Dies bestätigt unsere auf das Zivilgesetzbuch gestützte Auffassung. 3. Wenn daher der Mieter den Besitz der Sache innerhalb bestimmter Frist nicht zurückgibt und der Vermieter unter der Bezeichnung "ecrimisil" Entschädigung verlangt, so unterliegt dieser Anspruch der Verjährungsfrist für vertragliche Rechtsverhältnisse. Dieserhalb bedarf es keiner weiteren Ausführungen. Wir gehen daher im folgenden davon aus, daß ein derartiger Sachverhalt nicht gegeben ist, sondern im wahren Sinne des Wortes eine Wegnahme und ein Ansichnehmen vorliegen. Deshalb kann nur derjenige als Beklagter in Frage kommen, der in eigenmächtiger Weise, d. h. ohne oder gegen den Willen des unmittelbaren Besitzers, die tatsächliche Besitzlage verändert oder stört.
VII. Gegenstand der Klage In seiner Plenarentscheidung von 1938 bezeichnete das hohe Gericht den Gegenstand der Klage als "Schadenersatz- (ortsübliche Entschädigungs-)klage der in ihren rechtlichen Interessen durch unerlaubte Wegnahme und Ansichnehmen verletzten Grundeigentümer". Die Ausdrucksweise "Schadenersatzklage des in seinen rechtlichen Interessen Verletzten" ist unklar, weil nicht ersichtlich ist, welche rechtlichen Interessen verletzt worden sind. Außerdem reicht die erwähnte Ausdrucksweise für die Erklärung auch nicht aus. Denn wie sich aus dem letzten Absatz der fraglichen Entscheidung ergibt, ist es völlig unerheblich, ob ein Interesse des Klägers verletzt oder ihm ein Schaden zugefügt worden ist. 38 "Wenn der Kläger, der das Haus dem Beklagten verkauft und übergeben hat, danach vom Kaufvertrag zurücktritt und das Haus rechtlich wiedererlangt hat, so ist, da die Nutzung auf dem Willen beruht, kein Ersatz (ecrimisil) zu zahlen" (Temyiz Mahkemesi Hukuk Heyeti Umumiyesi No. 3/ 152/157 in 1930 - 1934 Temyiz Kararlari S. 133; 4. Zivilsenat in 1936 Temyiz Kararlari S.276; 1938 Temyiz Kararlari S.355; 1939 - 1940 Temyiz Kararlari
S.240. 5*
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In Wahrheit handelt es sich hier darum, daß der Kläger nicht einen erlittenen Schaden vom Beklagten ersetzt verlangt; vielmehr richtet sich der Anspruch auf ein angemessenes Entgelt, das dem Interesse gleichkommt, das der Kläger hätte erzielen können, wenn der Beklagte die Sache wie ein Mieter gebraucht hat oder hätte gebrauchen können. Die Stellung des Klägers ist derartig, wie sie gewesen wäre, wenn er die Sache dem Beklagten zu Mietzwecken überlassen hätte. Deshalb ist Gegenstand der Klage nicht der Ersatz des aus der Wegnahme entstandenen Schadens, sondern ein "ecrimisil" genannter, hypothetischer, üblicher "Miet"zins. VIII. Qualifizierung des Anspruchs
Aufgrund der vorstehenden Darlegungen können Tatbestand und Gegenstand der Klage etwa so beschrieben werden: Ist derjenige, der ohne oder gegen den Willen des Eigentümers oder des unmittelbaren Besitzers eine Sache wegnimmt, verpflichtet, für die Zeitspanne der tatsächlichen Sachherrschaft einen dem üblichen Mietpreis entsprechenden Betrag zu zahlen? Um auf diese Frage eine Antwort geben zu können, bedarf es zunächst der Feststellung, auf welche Rechtsbestimmungen gestützt der Kläger einen derartigen Anspruch erheben könnte. Anders ausgedrückt: auf welchem rechtlichen Grund beruht dieser Anspruch? Auch wenn im modernen Recht anders wie im römischen Recht der Kläger nicht genötigt ist, dem Richter zu sagen, auf welche actio gestützt er den Anspruch erhebe, so ist er doch verpflichtet, darzulegen, auf welchem rechtlichen Grund sein Anspruch beruht, weil die Behauptungs- und Beweislast des Klägers je nach dem Rechtsverhältnis, auf das er sich stützt, verschieden ist. Wenn z. B. derjenige, der die Herausgabe einer Sache verlangt, sich auf das Eigentum stützt, braucht er nur zu beweisen, daß er der Eigentümer der Sache ist. Wenn der Kläger dagegen seinen Anspruch auf einen Mietvertrag stützt, muß er das Bestehen eines derartigen Vertrags, die Hingabe der Sache an den Mieter aufgrund dieses Vertrags und auch die Beendigung dieses Vertrags behaupten und beweisen. Deshalb besteht auch bei unserem Problem die Notwendigkeit festzustellen, aus welchem Rechtsverhältnis der "ecrimisil" genannte Entgeltsanspruch entsteht. Auf jeden Fall handelt es sich um einen Anspruch auf Zahlung einer Geldsumme. Rechtsgrund für einen Geldzahlungsanspruch kann ein Vertrag oder eine gesetzliche Bestimmung sein. Wie der Kassationshof klargestellt hat, kann, da in den uns interessierenden Fällen ein Mietvertrag noch nicht einmal durch schlüssige Handlung abgeschlossen worden ist, von einem Vertragsverhältnis also nicht die Rede sein kann, als Quelle des "ecrimisil" genannten Forderungsrechts nur eine
C.IX. Die Ansprüche aus illlberechtigtem Besitz
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gesetzliche Bestimmung in Betracht kommen. Für unser Problem stehen folgende gesetzliche Bestimmungen zur Auswahl: 1. Besitz, der nicht auf einem rechtlichen Grunde beruht (Art. 895 - 909 TZGB); 2. Unerlaubte Handlung (Art. 41 ff. TOG); 3. Ungerechtfertigte Bereicherung (Art. 61 ff. TOG); 4. Geschäftsführung ohne Auftrag (Art. 410 ff. TOG). Diese Möglichkeiten sollen nunmehr geprüft werden. IX. Die Ansprüche aus unberechtigtem Besitz Bevor wir unser Problem näher untersuchen, sei zunächst allgemein klargestellt, daß es zwei Arten von Besitzklagen gibt: Entweder fordert derjenige, der einem Eingriff ausgesetzt war, die Aufrechterhaltungbzw. Rückgabe des tatsächlichen Besitzes (Besitzschutzklage), oder er erhebt Klage auf Anerkennung seines Rechts auf Besitz (Besitzrechtsklage). Auf die Besitzschutzklage beziehen sich die Art. 894 - 897, auf die Besitzrechtsklage die Art. 898 - 908 TZGB. Bei der Besitzschutzklage wird nicht geprüft, ob der tatsächliche Besitzer ein Recht zum Besitz hat. In Art. 895 TZGB wird klar gesagt: "Wer einem anderen eine Sache durch verbotene Eigenrnacht entzogen hat, ist verpflichtet, sie zurückzugeben, auch wenn er ein besseres Recht auf die Sache behauptet." Das Ziel dieser Klage besteht mit anderen Worten darin, die durch Eigenrnacht beeinträchtigte Situation wieder in ihren alten Zustand zurückzuversetzen. Hier ist nicht der Bestand eines Rechts wesentlich, sondern die Aufrechterhaltung und Sicherung des tatsächlichen Zustands, d. h. des öffentlichen Friedens. Dagegen muß der Kläger im Prozeß über die Anerkennung seines Besitzrechts behaupten, daß der Beklagte kein Recht zum Besitz der Sache habe oder daß er selbst Inhaber eines besseren Rechts zur Sache sei. Hier kommt es auch nicht auf die Voraussetzung einer Störung des tatsächlichen Zustands an. Denn der allein wichtige Umstand ist nicht die tatsächliche, sondern die rechtliche Lage. Während die Besitzschutzklage in der Schweiz verhältnismäßig wichtig ist, hat sie in der Türkei keine Bedeutung. Genauer gesagt: In der Türkei hat diese Klageform keinen praktischen Wert. In der Schweiz, die eine umfassende Gerichtsorganisation besitzt, kann derjenige, welcher Besitzschutz wegen Störung im Besitz begehrt, diesen Schutz rasch erhalten. In der Türkei hingegen ist die Gewährung eines sofortigen Schutzes kaum möglich, da zur Zeit noch keine derartige umfassende Gerichtsorganisation unterhalten werden kann. Zudem gilt nach
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Art. 897 TZGB folgendes: "Der Besitzer geht seines Klagerechts verlustig, wenn er nicht sofort, nachdem er von der Entziehung oder Störung und von der Person des Täters Kenntnis erlangt hat, die Sache zurückfordert oder Beseitigung der Störung verlangt. Die Klage verjährt mit dem Ablauf des Jahres, das mit der Entziehungs- oder Störungshandlung zu laufen beginnt, selbst wenn der Besitzer erst später von dem Eingriff und dem Täter Kenntnis erlangt hat." Gerade der Umstand, daß die Besitzschutzklage den besonderen Verhältnissen der Türkei nicht angemessen ist, hat den Gesetzgeber gezwungen, unter dem 12.6. 1933 das Gesetz Nr. 2311 über die Abwehr von Störungen des Grundeigentums zu erlassen. Nach den Bestimmungen dieses Gesetzes kann in Fällen von Störung der faktischen Besitzverhältnisse derjenige, der in seinem Besitz gestört worden ist, sich nicht an das Gericht, sondern an die Verwaltungsbehörden wenden 39 • "Bringt ein anderer als derjenige, in dessen Hand ein Grundstück sich befindet, das Grundstück durch Angriff und Einmischung in seine tatsächliche Gewalt, so ist diese Störung in den Provinzen durch den Gouverneur (Vali), in den Kreisen durch den Landrat (Kaymakam) und in den Gemeinden durch den Gemeindevorsteher (nahiye müdürü) abzuwehren und der alte Zustand wieder herzustellen. Auch wenn der Störer behauptet, an dem Grundstück ein besseres Recht zu haben, ist er darauf hinzuweisen, daß er sich dieserhalb an das Gericht wenden muß" (Art. 1 des Gesetzes Nr. 2311). Auch aus dieser Bestimmung ergibt sich, daß hier nicht das Besitzrecht, sondern die tatsächliche Lage, d. h. die tatsächliche Gewalt geschützt wird. Infolgedessen kann sich der tatsächliche Gewaltinhaber, wenn er sich an die zuständige Verwaltungsbehörde wendet, mit dem Beweis begnügen, daß er die tatsächliche Gewalt über das Grundstück hatte; er muß also nicht nachweisen, daß sein Besitz auf einem Rechtstitel beruht. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet verstößt Art. 1 der Verordnung vom 25.12.1933 über die Anwendung des Gesetzes über die Abwehr von Störungen des Grundeigentums gegen den Sinn des Gesetzes: Während das Gesetz "von einem Grundstück, das sich in der tatsächlichen Gewalt von jemand befindet", spricht, enthält die Verordnung eine ausdrückliche Begrenzung: "Wer als Eigentümer, Eigenbesitzer oder aufgrund einer Dienstbarkeit, eines Pfandrechts, eines Mietrechts oder eines anderen ähnlichen Rechts Fremdbesitzer eines Grundstücks ist."
39 Das erwähnte Gesetz bezieht sich nur auf Grundstücke, während für bewegliche Sachen die RechtSlage, wie sie durch das TZGB bestimmt ist, nicht verändert worden ist,
c.x. Die Ersatzklage nach Art. 895 und 896 TZGB
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x. Die Ersatzklage nach Art. 895 und 896 TZGB Mit der Besitzschutzklage kann außer Rückgabe der Sache oder Unterlassung der Störung auch "Schadenersatz" verlangt werden. Das bedeutet, daß der Ersatzanspruch an das Vorhandensein eines Schadens gebunden ist. Anders ausgedrückt kann man sagen, daß zwischen der Entziehungs- oder Störungshandlung und dem Schaden ein ursächlicher Zusammenhang bestehen muß. Jedoch hat in der Mehrzahl aller demrtigen Fälle, worauf mein verehrter Kollege Mustafa Rel?it Belgesay mit Recht hinweist, der Grundstückseigentümer keinen Schaden erlitten. Einmal bilden die durch die Entziehung des Grundstücks erworbenen Vorteile nicht das Gegenstück zu dem Schaden des Grundstückseigentümers; zum anderen kommen sie ihm auch in den meisten Fällen nicht gleich. Aufgrund von Art. 895 und 896 TZGB kann lediglich Ersatz für denjenigen Schaden verlangt werden, den der Besitzer infolge der Entziehung oder Störung tatsächlich erlitten hat. Dieser Schaden kann entstanden sein entweder im Augenblick der Entziehungs- oder Störungshandlung (der Besitzer mußte den Gegenstand, gegen den sich die Störung richtete, verteidigen, wodurch er selbst oder die Sache Schaden erlitten hat) oder unmittelbar aus der Entziehung des Besitzes (wenn der Eigentümer z. B. das Grundstück, das Gegenstand der Entziehung war, verkauft und infolge der Entziehung die Übergabe nicht vornehmen kann oder wenn er der wirtschaftlichen Vorteile beraubt wird, die er durch Gebrauch des Grundstücks hätte erzielen können, so kann er sich derartige Schäden ersetzen lassen). Wie sich aus den Beispielen ergibt, muß der Kläger, welcher unter Berufung auf Art. 895 und 896 TZGB Schadenersatz verlangt, beweisen, daß ein Schaden zugefügt worden ist und daß zwischen dem Schaden und der Entziehungs- oder Störungshandlung ein Kausalzusammenhang besteht. Allel'dings gibt es hier zwei zweifelhafte Punkte:
1. Wie unter Ziffer IX gezeigt, spielt die Besitzschutzklage in der Türkei keine Rolle, weil derjenige, der den Besitz verloren hat, diesen Schutz leichter durch Inanspruchnahme der Verwaltungsbehörden als auf dem Rechtsweg erreichen kann. Das Gesetz Nr. 2311 enthält jedoch keine Vorschrift über einen etwaigen Ersatzanspruch. Deshalb sind insoweit die Vorschriften des Zivilgesetzbuchs vorbehalten. Andererseits kann nach dem Wortlaut der Art. 895 und 896 TZGB der Schadenersatzanspruch nur im Prozeß über die Rückgabe oder Unterlassung der Störung, d. h. zusammen mit dem Verlangen auf Rückgabe der Sache oder auf Unterlassung der Störung geltend gemacht werden. Dies bedeutet, daß nach dem Wortlaut des Gesetzes der Schadenersatzanspruch nur als ein von der Besitzschutzklage abhängiger Nebenanspruch erhoben werden kann. Muß angenommen werden, daß der Besitzer, dem der Besitz entzogen wonl.en ist, auf den Schadenersatzanspruch
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verzichtet hat, wenn er unter Berufung auf das Gesetz Nr. 2311 wegen der Rückgabe des Besitzes sich an die zuständigen Verwaltungsbehörden wendet? Oder muß er, um den Schadenersatz zu erhalten, von den Erleichterungen, die ihm das Gesetz Nr.2311 gewährt, absehen und statt dessen gemäß Art. 895 und 896 TZGB Klage auf Rückgabe oder auf Beseitigung bzw. Unterlassung der Störung erheben? Meiner Ansicht nach ist die Lösung dieser Frage an die Qualifizierung des Schadenersatzanspruchs gebunden. Bildet insbesondere das Verschulden des Störers eine Voraussetzung des Schadenersatzanspruchs oder nicht? Anders ausgedrückt: Hängt der Schadenersatzanspruch davon ab, ob die Entziehung oder Störung zugleich als unerlaubte Handlung anzusehen ist oder nicht? 2. Diese Frage ist unter den schweizerischen Autoren umstritten. Während Ostertag (Berner Kommentar Art. 927 Nr.22) und RosselMentha (Bd. 3 S. 239) die Auffassung vertreten, daß derjenige, der Schadenersatz verlangt, nicht behaupten und beweisen muß, daß der Störer schuldhaft gehandelt hat, sind von Tuhr (Schweizerisches Obligationenrecht, S.363) und Homberger (Zürcher Kommentar Art. 927 Nr. 27) der Meinung, daß in den Fällen, in welchen den Störer kein Schuldvorwurf trifft, von einem Schadenersatzanspruch keine Rede sein kann. In den Prozessen über Rückgabe der Sache, Beseitigung der Störung und Unterlassung künftiger Störung spielt das Verschulden des Entziehers oder Störers keine Rolle. Wer also, gestützt selbst auf sein besseres Recht, durch Eigenmacht eine Besitzentziehung oder Besitzstörung im Sinne des Gesetzes begangen hat, muß die entzogene Sache zurückgeben, ohne daß sein guter Glaube beachtet wird. In dieser Hinsicht besteht zwischen den Autoren kein Streit. Ostertag und Rossel-Mentha sind der Meinung, daß dieser für den Rückgabe- und Störungsbeseitigungsanspruch geltende Grundsatz in derartigen Fällen auch auf die Schadenersatzklage anzuwenden sei, weil in den Art. 895 und 896 TZGB (= Art. 927 und 928 schweizerisches ZGB) für den Schadenersatzanspruch der Verschuldensfaktor nicht ausdrücklich erwähnt werde. Jedoch entspricht die Ansicht, die von Tuhr und Homberger vertreten, eher dem Geist des Gesetzes. Die besondere Erwähnung der Möglichkeit eines Schadenersatzanspruchs in den Art. 895 und 896 TZGB ist nämlich deshalb geschehen, um eine im deutschen Recht streitige Frage gar nicht aufkommen zulassen. Denn im deutschen Recht war es außerordentlich streitig, ob außer der Besitzschutzklage noch ein Schadenersatzanspruch aus unerlaubter Handlung zulässig sei oder nicht40 • SchlieB40
vgl. dieserhalb die Kommentare zu § 861 BGB.
c.x. Die Ersatzklage nach Art. 895 und 896 TZGB
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lich hat das deutsche Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung entschieden41 , daß derjenige, dem der Besitz entzogen wird, außer der Besitzschutzklage Schadenersatz wegen unerlaubter Handlung verlangen kann, wenn er einen erlittenen Schaden und die übrigen Voraussetzungen einer unerlaubten Handlung nachweisen kann. Deshalb beruht nach meiner Meinung die besondere Erwähnung des Schadenersatzes in Art. 895 und 896 TZGB darauf, von vornherein einen Streit darüber auszuschließen, ob bei der Rückgabe des Besitzes außerdem auch Schadenersatz verlangt werden könne oder nicht. Die besondere Erwähnung des Schadenersatzanspruches rührt aber keinesfalls von der Absicht her, vom Verschuldensprinzip, das dem Schadenersatzanspruch im Obligationengesetzbuch zugrunde liegt, abzuweichen. Auch wenn der Schadenersatzanspruch nach Art. 895 und 896 TZGB ein Nebenanspruch des Rückgabeanspruchs zu sein scheint, so ist er doch in Wirklichkeit nicht an den Rückgabeanspruch gebunden, sondern bildet eine davon getrennte selbständige Forderung. Wenn auch der vom Gesetzgeber hier besonders ins Auge gefaßte Umstand vor allem die Wiederherstellung des verletzten ursprünglichen tatsächlichen Zustands ist und er dieses Recht festgelegt hat, so hat er doch daneben einem Schadenersatzanspruch allein aus der Verletzung des tatsächlichen Zustands Raum gegeben. Es ist mit anderen Worten klargestellt, daß hier das Rückgabeverlangen und der Schadenersatzanspruch aus der Störung in ein und demselben Prozeß geltend gemacht werden können. Dies bedeutet die Lösung einer Frage, die nicht zum materiellen Recht, sondern zum Prozeßrecht gehört. Da somit der Schadenersatzanspruch im Verhältnis zum Rückgabe anspruch nicht als Nebenanspruch qualifiziert werden kann, muß man in derartigen Fällen ebenfalls das Verschuldensprinzip anwenden. Wenn der Kläger außer der Rückgabe der Sache Schadenersatz verlangt, muß er behaupten und beweisen, daß die Besitzentziehung bzw. Störung eine unerlaubte Handlung im Sinne von Art.41 TOG gewesen ist 42 • Aus dieser Qualifizierung folgt, daß die Schadenersatzklage auch gesondert von der Rückgabeklage erhoben werden kann. Deshalb kann derjenige, der aufgrund des Gesetzes Nr.2311 sich wegen Beseitigung der Störung an die Verwaltungsbehörden wendet, nichtsdestoweniger hinsichtlich des Schadenersatzes den Schutz der Gerichte in Anspruch nehmen. Selbst wenn man die Auffassung von Ostertag und Rossel-Mentha akzeptiert, ist jederzeit das gesonderte Verlangen nach Schadenersatz durch Anrufung des Gerichts möglich, da der RGZ 59, 326; 91, 65. Esat Arsebük, Bor~lar Hukuku, 2. Auf!. S. 618, ist im Ergebnis derselben Meinung. 41
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2. Kap.: 4 Phasen im Rezeptionsablauf schweiz. Gesetze in der Türkei
durch das Gesetz Nr.2311 gewährte Schutz völlig administrativer Natur ist und für einen Prozeß keinen Raum gibt. Wie aus den vorstehenden Erörterungen erhellt, ist der in Art. 895 und 896 TZGB normierte Schadenersatzanspruch ein solcher aus unerlaubter Handlung. Da die Schadenersatzklage eine von der sog. "ecrimisil"-Klage völlig verschiedene Rechtsnatur hat, kann die "ecrimisil" genannte Mietzinsklage nicht auf Art. 895 und 896 TZGB gestützt werden. Deswegen ist es unmöglich, auf den "ecrimisil" genannten Anspruch die in Art. 897 TZGB bestimmte Verjährungsfrist anzuwenden. Auch der Kassationshof hat mit Recht in der Plenarentscheidung von 1938 klar ausgesprochen, daß die in der genannten Bestimmung enthaltene Verjährungsfrist sich lediglich auf die Ansprüche auf Rückgabe der Sache, Beseitigung der Störung oder Unterlassung weiterer Störungen bezieht. XI. Die Schadenersatzklage nach Art. 906 - 908 TZGB Während die Vorschriften der Art. 895 und 896 TZGB dem Zwecke dienen, die Folgen gewaltsamer und eigenmächtiger Änderung der tatsächlichen Besitzlage zu beseitigen, sind die Art. 906 - 908 TZGB dazu bestimmt, die Haftung des Besitzers festzulegen, die aus seiner Verpflichtung zur Rückgabe der Sache entsteht, weil er gegenüber dem Eigentümer der Sache oder gegenüber einem anderen, der ein besseres Recht an der Sache hat, kein Recht zum Besitz hat. Mit anderen Worten: Die Haftung aus den Art. 906 - 908 TZGB leitet sich aus dem Besitzrecht her und ist eine Art Nebenrecht des dinglichen Herausgabeanspruchs. Der Gesetzgeber macht hinsichtlich dieser Nebenansprüche, die sich auf die Früchte oder die notwendigen oder nützlichen Verwendungen beziehen und von denen für die Zwecke unserer Untersuchung lediglich die "Früchte" von Bedeutung sind, einen Unterschied danach, ob der zur Rückgabe der Sache Verpflichtete die Sache in gutem oder in bösem Glauben besitzt. 1. Wer gegen ein im Besitz eines anderen befindliches Grundstück eigenmächtig vorgeht, wird nur dann als gutgläubig angesehen, wenn er nicht weiß, daß er hinsichtlich dieser Sache kein Recht hat, und es auch bei der Aufmerksamkeit, wie sie nach den Umständen von ihm verlangt werden darf, nicht hätte wissen können (Art. 3 TZGB). Wer z. B. fälschlicherweise im Grundbuch als Eigentümer eingetragen steht, wird für gutgläubig gehalten, wenn er die Unrichtigkeit der Eintragung nicht kannte und nicht kennen mußte. Dagegen wird derjenige für bösgläubig gehalten, der sich selbst für den Eigentümer
C.XI. Die Schadenersatzklage nach Art. 906 - 908 TZGB
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hält, obwohl ein anderer im Grundbuch als Eigentümer eingetragen ist. Nach der Vermutung von Art. 905 TZGB besteht nämlich hinsichtlich der in das Grundbuch aufgenommenen Grundstücke eine Vermutung des Rechts und eine Klage aus dem Besitz nur für denjenigen, der eingetragen ist. Wer in diesem Falle durch Eigenmacht die im Besitz eines anderen befindliche Sache an sich nimmt, kann sich nur auf seine Gutgläubigkeit berufen, wenn er, gestützt auf ein der Eintragung im Grundbuch nicht bedürfendes Recht (z. B. Mietrecht) an seine Befugnis zum Besitze glaubt. Für die im Grundbuch noch nicht eingetragenen Grundstücke ist die Vermutung aus Art. 905 TZGB bedeutungslos. In diesen Fällen ist streitig, ob die für bewegliche Sachen getroffene Vermutung der Art. 898 - 900 TZGB in Betracht kommen oder nicht. Homberger meint (Zürcher Kommentar Art.937 N.2): "Aus der wiederholten ausdrücklichen Beschränkung der Vermutung auf bewegliche Sachen in Art. 930 ff. (= Art. 898 ff. TZGB) ergibt sich, daß der tatsächliche Besitz auch bei. den ins Grundbuch nicht aufgenommenen Grundstücken diese Vermutung nicht zu geben vermag." Wieland (Sachenrecht, Zürich 1909, Art.937 N.6) dagegen nimmt an, daß für die in das Grundbuch nicht aufgenommenen Grundstücke der tatsächliche Besitz als Eigentumsvermutung dient. Martin Wolff (Sachenrecht, 1932, S. 26 N. 3) ist ebenfalls dieser Ansicht. Auch wir schließen uns dieser Auffassung an 43 • Wir sind der Ansicht, daß hier eine Gesetzeslücke besteht. Während in der Schweiz das Grundbuch fast überall seit langem angelegt ist, besteht in unserem Land in dieser Hinsicht noch ein sehr großer Rückstand. In der Schweiz hat diese Lücke also kaum Bedeutung. Für die Türkei handelt es sich dagegen um ein Problem, dem man eine ganz besondere Wichtigkeit beimessen muß. Hier muß der Richter entsprechend Art. 1 TZGB "nach der Regel entscheiden, die er als Gesetzgeber aufstellen würde". Als Wissenschaftler gehen wir von demselben Grundsatz aus und weisen dem Besitz die entscheidende Bedeutung zu. Da nach unserer Ansicht die Vermutung hinsichtlich der in das Grundbuch aufgenommenen Grundstücke gegenüber der Vermutung aus dem Besitz eine Ausnahme bildet, wird der Interessenlage besser in der Weise Rechnung getragen, daß die ins Grundbuch nicht aufgenommenen Grundstücke außerhalb dieser Ausnahme bleiben und unter die Regel fallen. Ebenso wie demnach der Besitzer eines im Grundbuch nicht aufgenommenen Grundstücks als sein Eigentümer vermutet werden kann, wird das Besitzrecht desjenigen 43 Vgl. dieserhalb folgende Entscheidungen des Kassationshofs: 1935 Temyiz Kararlari S.113, 222; 1936 Temyiz Kararlari S.40, 103, 206; 1938 Temyiz Kararlari S. 257.
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2. Kap.: 4 Phasen im Rezeptionsablauf schweiz. Gesetze in der Türkei
vermutet, der gestützt auf ein schuldrechtliches oder beschränktes dingliches Recht den Besitz an einem Grundstück erlangt. Jedoch kann der Besitzer diese Vermutung demjenigen nicht entgegenhalten, der ihm die Sache übergeben hat. Der Besitzer eines ins Grundbuch nicht aufgenommenen Grundstücks wird also hinsichtlich seines Besitzes als gutgläubig angesehen, es sei denn, daß er weiß oder nach den Umständen des Falles wissen muß, daß er weder Eigentümer noch Inhaber eines persönlichen oder beschränkten dinglichen Rechtes ist (Art. 3 TZGB). 2. "Wer eine Sache in gutem Glauben besitzt, wird dadurch, daß er sie seinem vermuteten Recht gemäß nutzt, demjenigen gegenüber, dem er die Sache zurückgeben muß, nicht schadenersatzpflichtig und ist auch wegen Untergangs oder Beschädigung der Sache nicht verantwortlich" (Art. 906 TZGB)44. "Wer eine Sache in bösem Glauben besitzt, muß sie dem Berechtigten herausgeben und für allen durch die Vorenthaltung entstandenen Schaden sowie die gezogenen und zu ziehen versäumten Früchte Ersatz leisten. Er kann auch keine Verwendungen verlangen außer denjenigen, die auch der Berechtigte hätte machen müssen, und ist, solange er nicht weiß, daß er die Sache zurückgeben muß, nur für den durch eigenes Verschulden entstandenen Schaden verantwortlich" (Art. 908 TZGB)45.
Wenn unter dem Gesichtswinkel der zitierten gesetzlichen Bestimmungen die "ecrismisil" genannte Forderung einer eingehenden Ununtersuchung unterzogen wird, so zeigt sich, daß das Gesetz einen 44 Obwohl das Problem der Gut- oder Bösgläubigkeit desjenigen, der verbotene Eigenmacht begeht, bei den diesbezüglichen Ansprüchen eine große Bedeutung hat, wird es in einigen Entscheidungen des Kassationshofs überhaupt nicht beachtet (vgl. Tatbikattan Misaller, Beispiele aus der Praxis, Bd. 2, S. 62 - 65). 45 Der türkische Gesetzestext ist leider aus dem französischen Originaltext falsch übertragen worden. Der Text: "solange er nicht weiß, daß er die Sache zurückgeben muß", ist nicht nur fehlerhaft, sondern sinnlos. Denn nur für den Fall, daß er nicht weiß, an wen die Rückgabe zu erfolgen hat, gilt der Schutz. Wer nicht weiß, daß er die Sache zurückgeben muß, ist gutgläubig, dementsprechend nicht schutzbedürftig. In diesem Falle ist Art. 906 TZGB anzuwenden. Dagegen weiß er in dem hier behandelten Falle, daß er die Sache zurückgeben muß; er weiß nur nicht, an wen. Was er nicht weiß, ist die Person dessen, an den die Rückgabe zu erfolgen hat. Hornberger (Zürcher Kommentar, Art. 940, N. 13) führt wörtlich aus: "Die Bestimmung (gemeint ist Art. 908 letzter Absatz TZGB) ist auf die Fälle zu beschränken, wo der Besitzer auch bei der ihm nach Treu und Glauben zuzumutenden Erkundigungspflicht den Beteiligten nicht ermitteln oder finden kann. Sie wird insbesondere anwendbar sein beim Fund (Art. 693 TZGB), bei zugeführten Sachen (Art. 698 TZGB), wenn der Bestohlene z. B. unbekannt ist oder der Berechtigte verstorben und Ungewißheit über die Erben besteht. Hier kann der Besitzer ähnlich wie der Verwahrer (Art. 464 TOG) nur für den Schaden verantwortlich gemacht werden, den er absichtlich oder fahrlässig verursacht hat."
C.XII. Rückgabepflicht hinsichtlich der Früchte
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klaren und scharfen Unterschied gemacht hat zwischen den Ersatzansprüchen wegen Schadens, der aus der unberechtigten Wegnahme entsteht, und denjenigen Ersatzansprüchen, welche die gezogenen oder zu ziehen versäumten Früchte betreffen. Handelt es sich um die Ersatzansprüche aus der unberechtigten Wegnahme der Sache, so gelten die oben unter Ziffer X gemachten Ausführungen auch hier. Die "ecrimisil" genannte Forderung stellt somit kein Forderungsrecht im Sinne eines Schadenersatz anspruchs dar und kann demnach auch bei einem bösgläubigen Besitzer nicht als Klagegrund dienen. Erst recht hat der Besitzer, der gutgläubig ist, gemäß Art. 906 TZGB demjenigen gegenüber, dem er zur Rückgabe der Sache verpflichtet ist, keinerlei Schadenersatzverpflichtung46 •
XII. Rückgabepflicht hinsichtlich der Früchte Für den Anspruch auf die bezogenen ader versäumten Früchte sind folgende Umstände von Bedeutung:
1. Die in Art. 620 TZGB hinsichtlich der "Früchte" gegebene Begriffsbestimmung bezieht sich lediglich auf die natürlichen Früchte der Sache. Jedoch ist in Art. 908 TZGB der Terminus "Früchte" in einem weiteren Sinne gebraucht und umfaßt außer den natürlichen Früchten auch die Rechtsfrüchte. Die diesbezügliche Auffassung von Temizer ist richtig und entspricht auch der Interessenlage. Von ein, zwei Ausnahmen abgesehen ist auch die Mehrheit der schweizerischen Autoren dieser Ansicht 47 • Die von Demirelli und Mustafa Re~it Belgesay unter Berufung auf Curti-Forrer vertretene Meinung, wonach auch in Art. 908 TZGB der Ausdruck "Früchte" sich nur auf die natürlichen Früchte beziehe, ist in der schweizerischen Rechtsliteratur vereinzelt geblieben. Die überwiegende wissenschaftliche Lehrmeinung versteht unter dem in Art. 908 TZGB gebrauchten Ausdruck "Früchte" jede Art von Ertrag, der aus dem Grundstück gezogen wird48 •
46 Der Kassationshof spricht trotz der ausdrücklichen Bestimmung des Gesetzes im Falle verbotener Eigenrnacht keinen Schadenersatz, sondern "ecrimisil" zu (vgl. 1930 -1934 Temyiz Kararlari, Hukuk Heyeti Umumiyesi, S. 115; 1937 Temyiz Kararlari S. 164). 47 Haab, in Zürcher Kommentar, Art. 643 N.3; Ostertag, in Berner Kommentar, Art. 939 N.9, Art. 940 N. 9; Hornberger, in Zürcher Kommentar, Art. 939 N.I0, Art.940 N.ll; Wieland, Sachenrecht, Art.939 N.7 letzter Satz; Oser/Schönberger, in Züricher Kommentar, Art. 64 N. 4. 48 Der große Zivilsenat des Kassationshofs äußert dieselbe Auffassung in seiner Entscheidung No. 5/3 vom 20. 1. 1942.
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2. Wenn sich diese Herausgabeverpflichtung nur auf die tatsächlich bezogenen Früchte beschränkt hätte, wäre es möglich gewesen, dieses Forderungsrecht als einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung im Sinne von Art. 61 TOG zu qualifizieren. Denn logisch betrachtet kann von einer Bereicherung nur die Rede sein, soweit etwas bezogen und noch vorhanden ist. Was hätte bezogen werden können, aber zu beziehen versäumt worden ist, kann keine Bereicherung sein. Da nach Art. 908 TZGB der bösgläubige Besitzer außer für die bezogenen auch für die zu beziehen versäumten Früchte Ersatz zu leisten verpflichtet ist, geht dieser Anspruch erheblich über die Vorschriften zur ungerechtfertigten Bereicherung hinaus. Der Sinn von Art. 908 TZGB geht dahin, daß der bösgläubige Besitzer dem Berechtigten nicht nur die tatsächlich bezogenen Früchte herausgeben muß, sondern auch verpflichtet ist, ihn so zu entschädigen, wie wenn er die Sache in üblicher Weise genutzt hätte. Dies ist aber, wirtschaftlich gesehen, nichts anderes als "ecrimisil": Nach dem Zweck des Gesetzes soll der Berechtigte in die Lage versetzt werden, die Vorteile zu haben, die ein bösgläubiger Besitzer mindestens aus dem üblichen Gebrauch der Sache bezieht. Dies bedeutet, daß der bösgläubige Besitzer dem Berechtigten mindestens zum Ersatz des üblichen Mietentgeltes ("ecrimisil") verpflichtet ist. Wenn er über diesen Ertrag hinaus das Grundstück genutzt hat und dadurch einen den üblichen Mietpreis übersteigenden Ersatz erzielt hat, so muß er sozusagen als Strafe für seine Bösgläubigkeit diesen über den üblichen Mietzins hinaus bezogenen Vorteil erstatten. 3. Der Anspruch auf gezogene oder versäumte Früchte ist, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, somit kein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung, ebensowenig wie er ein Anspruch aus unerlaubter Handlung ist. Es besteht ja kein Schaden, vielmehr handelt es sich um die Leistungen von bezogenen oder versäumten Erträgnissen. Dieser Anspruch des Berechtigten ist ein Nebenanspruch des Herausgabeanspruchs gegen den bösgläubigen Besitzer. Der dingliche Herausgabeanspruch unterliegt keiner Verjährung. Selbst wenn nach Art. 131 TOG die für den Hauptanspruch maßgebende Verjährungsfrist auch für die Nebenansprüche maßgebend ist, kann für Nebenansprüche, welche ihrer Natur nach schuldrechtliche Ansprüche sind, keine Rede davon sein, daß sie der Verjährung nicht unterliegen; schließlich sind sie ja keine dinglichen Rechte. Da hinsichtlich ihrer Verjährungsfrist im Gesetz eine ausdrückliche Sondervorschrift fehlt, bleibt noch die Frage zu entscheiden, ob die nach den allgemeinen Vorschriften unserer Rechtsordnung maßgebende Verjährungsfrist von zehn Jahren oder, entsprechend der Plenarentscheidung des Kassationshofs von 1938, gemäß Art. 126 Ziff. 1 TOG die fünf jährige Verjährungsfrist anzuwenden ist.
C.XII. Rückgabepfiicht hinsichtlich der Früchte
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Nach dieser letztgenannten Bestimmung verjähren mit Ablauf von fünf Jahren die Forderungen für Mietzinsen aller Art, für Kapitalzinsen sowie für periodische Leistungen. Wie sich aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt, unterliegen die aufgezählten Verpflichtungen der fünf jährigen Verjährungsfrist nur dann, wenn sie aus einem Schuldverhältnis stammen und periodisch (d. h. wiederholt zu bestimmten Terminen) wiederkehren 49 • Wenn also vereinbart wird, daß die Zinsen zusammen mit der HauptschuLd bei deren Fälligkeit zu zahlen sind, kann von der fünf jährigen Verjährungsfrist keine Rede sein. Denn in einem derartigen Fall hat die Zinsschuld nicht den Charakter einer periodischen Zahlungsverpflichtung. Wenn der für die gesamte Mietzeit zu zahlende Mietzins auf einmal in einer Summe zu entrichten ist, 'kann ebenfalls die fünf jährige Verjährungsfrist nicht angewandt werden. Da Verzugszinsen, ferner Zinsen auf Beträge, die wegen ungerechtfertigter Bereicherung oder als Schadenersatz zu zahlen sind, keine periodischen Leistungen sind, fallen sie ebenfalls nicht unter Art. 126 Ziff. 1 TOG50. Der "ecrimisil" genannte Anspruch, der wie gezeigt aus Art. 908 TZGB folgt, ist keine periodische Leistung, sondern muß einmal gezahlt werden; er fällt infolgedessen nicht unter Art. 126 Ziff. 1 TOG. Vielmehr unterliegt er, weil die bezogenen oder versäumten Erträgnisse als ein Betrag verlangt werden und nicht periodisch zu zahlen sind, ebenso wie ein auf einmal zu zahlender Mietbetrag der zehnj ährigen Verj ährungsfrist. 4. Der Kassationshof hat zwar in seiner Entscheidung von 1938 ausgeführt: "Da für die Mietzinsklagen aus ausdrücklich oder konkludent abgeschlossenen Verträgen gemäß Art.126 TOG eine fünfjährige Verjährungsfrist läuft, ist es natürlich und notwendig, daß auch für diese nicht auf Vertrag beruhenden, aber im rechtlichen Ergebnis wesensgleichen Ansprüche auf Ersatz und angemessenes Entgelt die fünf jährige Verjährungsfrist läuft." Diese Entscheidung ist aber in verschiedener Hinsicht fehlerhaft. 49 Die Bestimmung ist leider in einer Weise übersetzt worden, die ihr Verständnis erschwert. Wie sich aus dem dreisprachigen Originaltext des der Bestimmung entsprechenden Art. 128 Schweiz. Obligationenrecht ergibt, müssen der Mietzins sowohl als auch der Kapitalzins ebenso wie die anderen Verpflichtungen ratenweise, d. h. periodisch zu zahlen sein. Andernfalls fallen sie nicht unter die Verjährungsfrist von Art. 126. Hifzl Veldet und Cemal Hakkl Selek haben in ihrer Übersetzung die fragliche Bestimmung aus dem Original richtig übersetzt: "Die Miet- und Pachtzinsen, die Kapitalzinsen und die in bestimmten Abständen zu zahlenden anderen Verpflichtungen". 50 Von Tuhr (§ 80 IIr 1); Oser!Schönenberger, in Zürcher Kommentar, Art. 89 N.3, Art. 128 N.3 und 4; F. Funk (Übersetzung von HIfzl Veldet, Art. 126 N. 1); Esat Arsebük (op. cit. Bd. 2, S. 942): BGE 32 II 638; 52 II 217.
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Wie sich aus dem vom höchsten Gerichtshof gezogenen Vergleich ergibt, ist er der Meinung, daß alle Mietzinsklagen unter die fünfjährige Verjährungsfrist fallen. Selbst wenn man den Vergleich als solchen akzeptiert, läuft, wie sich aus unseren Erörterungen ergeben hat, auch hier eine zehnjährige Verjährungsfrist, weil von periodischen Leistungen keine Rede sein kann. Ganz zu schweigen davon, daß dieser Vergleich, den das höchste Gericht mit den Ausdrücken "natürlich" und "notwendig" zu verstärken sich genötigt sah, völlig unberechtigt ist. Denn was hier in Frage steht, ist ein Ersatzanspruch, der gar nichts mit einem Mietverhältnis zu tun hat. Das Gesetz selbst hat ausdrücklich für alle nicht unter Art. 126 Ziff. 1 TOG fallende Ansprüche in Art. 125 eine allgemeine Vorschrift gegeben. Das höchste Gericht hätte wenigstens das Gefühl haben müssen, für diesen unserer Meinung nach überhaupt nicht zu rechtfertigenden, aber von ihm als "natürlich" und "notwendig" qualifizierten Vergleich eine echte Begründung geben zu müssen. Während die Plenarentscheidung von 1938, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, mit dem Gesetz nicht zu vereinbaren ist, entspricht die Plenarentscheidung von 1931 dem Gesetz. Ergebnis: Der auf Art. 908 TZGB gegründete Anspruch auf Ersatz der Früchte unterliegt der zehnjährigen Verjährungsfrist. 5. Die bisherigen Erörterungen bezogen sich allein auf die Fälle eines bösgläubigen Besitzers. In unserem Gesetz gibt es keine ausdrückliche Vorschrift über die Frage der Herausgabepflicht von Früchten, wenn der Besitzer gutgläubig ist. Nach Art. 906 TZGB ist derjenige, der eine Sache in gutem Glauben besitzt, dadurch, daß er sie seinem vermuteten Recht gemäß gebraucht und nutzt, demjenigen gegenüber, dem er die Sache zurückgeben muß, aus diesem Grunde nicht ersatzpflichtig. Wie sich aus dieser Bestimmung ergibt, gewährt der gute Glaube hinsichtlich des Besitzes auch das Recht, das Grundstück zu nutzen. Aus diesem Grunde ist derjenige, der sich als Eigentümer gutgläubig für den Besitzer des Grundstücks hält - vorbehaltlich der Bestimmungen über die ungerechtfertigte Bereicherung nicht zur Rückgabe der bezogenen Erträge verpflichtet. Wer jedoch nicht als Eigentümer, sondern im Glauben an das Bestehen eines beschränkt dinglichen oder schuldrechtlichen Rechts Besitzer ist (z. B. der Nutznießer oder der Mieter), hat nicht zu leisten, was er bezogen hat, sondern ist lediglich zur Zahlung desjenigen Betrages verpflichtet, den das von ihm als bestehend 'angenommene Recht als Gegenleistung erfordert. Denn derjenige, der sich für den Mieter hält und die Sache entsprechend nutzt, muß sich darüber Rechenschaft geben, daß dieses hypothetische Mietverhältnis ihn nicht nur hinsichtlich der Vorteile berechtigt, sondern ihm zugleich die entsprechenden Verpflichtungen
C.XIV. Klage aus ungerechtfertigter Bereicherung
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auferlegt. Ferner bestimmt sich das Maß der Sorgfalt des Besitzers nach dem Recht, an dessen Vorhandensein er glaubt. Der Vorteil, den er zieht, kann nicht höher sein als der Vorteil, den das hypothetische Recht mit sich bringt. Auch wenn somit in derartigen Fällen der Mieter als Fremdbesitzer nicht zur Herausgabe der bezogenen Früchte verpflichtet ist, so muß er doch die Gegenleistung auf sich nehmen, die das von ihm als vorhanden angenommene Recht erfordert (dies ergibt sich auch aus dem Sinn von Art. 906 TZGB). Wer sich der Vorschrift des Art. 908 TZGB entziehen will und behauptet, er habe geglaubt, Inhaber eines anderen Rechts als des Eigentums zu sein, muß jedenfalls für verpflichtet gehalten werden, diejenige Gegenleistung zu erbringen, welche dem fraglichen Recht entspricht. Wenn der gutgläubige Besitzer sich auf einen angeblichen Mietvertrag stützt und der Berechtigte daraufhin den sog. "ecrimisil"Anspruch erhebt, so gehen beide Teile von dem Vorhanden sein eines Mietvertrages aus; der verlangte Betrag ist der im voraus nicht vereinbarte Mietbetrag, d. h. in des Wortes wahrer Bedeutung: der ortsübliche Mietzins. Auch in diesen Fällen ist aber Art. 126 TOG nicht anwendbar, weil der zu zahlende Betrag keine periodische, sondern eine einmal zu erbringende Leistung ist. XIII. Schadenersatzanspruch aus unerlaubter Handlung Jede Entziehung des Besitzes bildet eine rechtswidrige Handlung. Wie sich aus den Art. 894 ff. TZGB ergibt, findet die eigenmächtige, gewaltsame Veränderung der Besitzlage keine Billigung. Trotzdem liegt in denjenigen Fällen, in denen der Täter der Entziehungs- oder Störungshandlung schuldhaft gehandelt und dadurch einen Schaden verursacht hat, eine unerlaubte Handlung im Sinne von Art. 41 ff. TOG vor {vgl. die Ausführungen oben, Ziffer X). Dies bedeutet, daß die Entschädigungsansprüche aus den Art. 895 ff. TZGB nicht identisch sind mit Schadenersatzansprüchen aus unerlaubter Handlung. Deshalb ist die kurze Verjährungsfrist für Ansprüche aus unerlaubter Handlung (Art. 60 TOG) nicht anwendbar. In dieser Hinsicht sind die Plenarentscheidungen von 1931 und 1938 richtig. XIV. Klage aus ungerechtfertigter Bereicherung Auch die Ansprüche nach den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung sind mit den Ersatzansprüche der Art. 895 ff. TZGB nicht identisch. Denn wenn der Besitzer gutgläubig ist, dann beruht sein Besitz auf einem hypothetisch angenommenen rechtlichen 6 Hirsch
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Grund 51 • Ist der Besitzer aber bösgläubig, so kann der Berechtigte aufgrund von Art. 908 TZGB erheblich mehr verlangen, als er bestenfalls aufgrund einer ungerechtfertigten Bereicherung verlangen könnte. Deshalb kann nicht die Rede davon sein, daß die kurze Verjährungsfrist in Art. 66 TOG durch das Interesse des Klägers bedingt sei.
xv. Klage aus Geschäftsführung ohne Auftrag Schließlich bleibt noch die Frage, ob der hier erörterte Ersatzanspruch auf die Bestimmungen des Obligationengesetzbuchs über die Geschäftsführung ohne Auftrag gestützt werden kann. Zwar ist in diesen Fällen Art. 410 TOG nicht anwendbar. Der Besitzer hat nicht im Sinn, Geschäfte eines anderen zu besorgen, sondern vielmehr seine eigenen. Jedoch kann in derartigen Fällen die Anwendung von Art. 414 TOG in Frage kommen. Nach dieser Bestimmung ist der Geschäftsherr, selbst wenn die Geschäftsführung nicht mit Rücksicht auf seine Interessen unternommen wUl'de, gleichwohl berechtigt, die aus der Führung der Geschäfte entsprechenden Vorteile in Anspruch zu nehmen. In diesen Fällen spielt es keine Rolle, ob der Geschäftsführer gutgläubig oder bösgläubig ist. Der Besitzer des Grundstücks, gleichgültig ob hinsichtlich des Besitzes gut- oder bösgläubig, ist verpflichtet, alle Vorteile, die er aus der Geschäftsführung erzielt hat, dem Berechtigten herauszugeben. Wie man sieht, fehlt hier eine Bestimmung über di:e zu ziehen versäumten Früchte, auch wenn in Art. 414 TOG der gute oder böse Glaube keine Rolle spielt. Die Bestimmung von Art. 414 TOG ist einerseits weiter als Art. 906 TZGB, andererseits enger als Art. 908 TZGB. Hinsichtlich der Verjährungsfrist ist mangels einer ausdrücklichen Sondervorschrift die allgemeine Bestimmung über die Verjährung anzuwenden. XVI. Ergebnis Die vorstehenden Untersuchungen haben gezeigt, daß die Art. 895 bis 908 TZGB ein von den Vorschriften des Obligationengesetzbuchs über unerlaubte Handlungen, ungerechtfertigte Bereicherung und Geschäftsführung ohne Auftrag abweichendes Haftungsprinzip enthalten. Deswegen muß der Besitzer, dem die Sache entzogen oder der im Besitz der Sache gestört worden ist, sich mit den erörterten Ersatzansprüchen nach den Vorschriften des Zivilgesetzbuchs begnügen, wenn andere Haftungsvoraussetzungen nicht gegeben sind oder nicht 51 Vgl. hierzu Ostertag, Berner Kommentar, Art. 938 N.15; Homberger, Zürcher Kommentar, Art. 938 N. 12.
D.I. Entscheidung für die Vereinheitlichung der Rechtsprechung
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genügende Sicherheit gewähren. Jedoch steht es ihm frei, wenn andere Haftungsgründe (z. B. eine unerlaubte Handlung) vorteilhafter sind und die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, auch gestützt auf diese Gründe Schadenersatz zu verlangen. Wird der Entschädigungsanspruch als Nebenanspruch zur Wiedereinräumung des Besitzes gemäß Art. 895 - 908 TZGB erhoben, so unterliegt er, da er keinesfalls unter die Voraussetzungen VOn Art. 126 Ziff.1 TOG fällt, der allgemeinen Verjährungsfrist VOn zehn Jahren. Wie wir oben gezeigt haben, besteht keinerlei Veranlassung, eine andere Lösungsmöglichkeit in Betracht zu ziehen. Die Ursache, weshalb diese keine besonderen Schwierigkeiten bietenden Dinge durcheinander geworfen werden, ist meiner Meinung nach vor allem der unrichtige Gebrauch der aus dem alten Recht überkommenen Ausdrücke anstelle der gesetzlichen Termini. Wenn es z. B. erforderlich ist, daß der Ausdruck "ecrimisil" im Sinne des "üblichen Mietzinses" verstanden wird, gibt es Autoren, welche sagen: "Wir halben dies im Sinne VOn Schadenersatz gebraucht." Aus diesem Grunde erstreckt sich der Einfluß dieses Durcheinanders in der juristischen Terminologie bis auf den Kern der juristischen Begriffs bildung und führt dazu, daß die Bestimmungen der neuen Gesetze falsch angewandt werden. Da bei der Entscheidung von Problemen unterschiedliche Ergebnisse herauskommen, solange die Gegebenheiten in einer unklaren und vieldeutigen Form dargeboten werden, richte ich an alle Rechtsgelehrten und Rechtspraktiker die Bitte, soweit als möglich die gesetzlichen Termini zu verwenden.
D. Die VerwirklidlUng durm die hömstrimterlime Remtspremuug I. Entscheidung des Großen Senats des Kassationshofs für die Vereinheitlichung der Rechtsprechung (Nr. E UlK 2 vom 1.3.1950)52 Leitsatz: Der gutgläubige Besitzer eines Grundstücks braucht sich den Gebrauchsvorteil nicht anrechnen zu lassen, so daß dessen Wert nicht von der Ersatzforderung für notwendige und nützliche Verwendungen abgezogen werden darf. In der Frage, ob der gutgläubige Besitzer eines Grundstücks die durch seinen Gebrauch erzielten Vorteile sich auf die von ihm ge52 Veröffentlicht im Amtsblatt (Resmi Gazete) Nr. 7546 vom 30. 6. 1950.
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2. Kap.: 4 Phasen im Rezeptionsablauf schweiz. Gesetze in der Türkei
machten notwendigen und nützlichen Verwendungen anrechnen lassen muß oder nicht, besteht zwischen den Urteilen des 4. Zivilsenats des Kassationshofs vom 29. 1. 1942 (Nr.313) und vom 24. 9. 1945 (Nr. 3263) einerseits und des 5. Zivilsenats vom 20. 3. 1947 (Nr. 677) andererseits keine Übereinstimmung. In der zur Beseitigung einberufenen Sitzung des Großen Senats für die Vereinheitlichung der Rechtsprechung wurde die Sache beraten und am 1. 3. 1950 mit einer Stimmenmehrheit von mehr als zwei Dritteln folgende Schlußentscheidung gefällt: Die erwähnte Divergenz in den Entscheidungen der bei den Senate betrifft die Bestimmung des Umfangs der in dem letzten Satz von Art.907 TZGB gebrauchten Ausdrucksweise: "Die von dem Besitzer gezogenen Früchte". Während nach der Ansicht des 4. Zivilsenats davon auszugehen ist, daß die Benutzung eines Grundstücks durch den gutgläubigen Besitzer als "Vorteil und Frucht" anzusehen und bei der Bewertung der Gegenleistung von den notwendigen und nützlichen Verwendungen abzusetzen ist, hat der 5. Zivilsenat es nicht für zulässig angesehen, den Begriff: "die vom Besitzer gezogenen Früchte" auch auf den Gebrauchsvorteil der Sache zu erstrecken. Der Ausdruck "Frucht", welcher den Hauptgegenstand der Meinungsverschiedenheit bildet, bezeichnet den Ertrag, den eine Sache ohne Verletzung oder Minderung ihrer Substanz zu bestimmten Zeiten periodisch abwirft. Um festzustellen, was im rechtlichen Sinne als Frucht anzusehen ist, muß man sich auch die wirtschaftlichen Bedürfnisse und Auffassungen vor Augen halten. In Art. 620 TZGB sind lediglich die natürlichen Früchte definiert, und zwar wird im Gesetzestext gesagt: "Natürliche Früchte sind die zeitlich wiederkehrenden Erzeugnisse und die Erträgnisse, die nach der üblichen Auffassung von einer Sache ihrer Bestimmung gemäß gewonnen werden." Was von einer Sache aber als Geld und in ähnlicher Form genommen wird (z. B. bei einem Gelddarlehen die zu bestimmten Zeiten und Perioden erwachsenen Zinsen; die bei Miet- und Pachtverträgen anfallenden Miet- und Pachtentgelte und dgl.) wird unter den Begriff der Rechtsfrüchte gebracht. Obwohl die Erzeugnisse von Bergwerken und Steinbrüchen den Früchten ähneln, fallen sie ebensowenig wie die Sachen, die nicht zu bestimmten Zeiten periodisch gewonnen werden, unter den Fruchtbegriff. Zwar hat man sich in unserem Zivilgesetzbuch ebenso wie im schweizerischen damit begnügt, nur die natürlichen Früchte zu definieren, und den Terminus Rechtsfrucht nicht gebraucht. Trotzdem umfaßt der im letzten Absatz von Art. 907 ohne die Einschränkung auf "natürliche" Früchte gebrauchte Ausdruck, der die Divergenz der Auffassungen veranIaßt, nämlich: "die vom Besitzer gezogenen
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Früchte", in weitem Sinne auch die zivilen Früchte. Diese Auffassung wird durch die Meinung anerkannter Autoren bestätigt. Aber der Gebrauchsvorteil einer Sache fällt weder unter den Begriff der Frucht noch ist er mangels eines Vertrags eine Rechtsfrucht. Der Gesetzgeber, der den gutgläubigen Besitzer einer Sache, der diese seinem vermuteten Recht gemäß gebraucht und benutzt, unter keinem Gesichtspunkt verantwortlich macht, hat in Art. 906 TZGB bestimmt, daß der Besitzer demjenigen, der die Rückgabe der Sache verlangt, wegen ihres Gebrauchs nicht ersatzpflichtig ist. Diese absolute Freistellung von der Verantwortlichkeit wird durch den letzten Absatz von Art. 907 nicht eingeschränkt. Vielmehr ist es nur zulässig, daß die von dem gutgläubigen Besitzer gezogenen Früchte auf die gemachten notwendigen und nützlichen Verwendungen anzurechnen sind. Nach den oben dargelegten Gründen und den miteinander in Vergleich gesetzten Vorschriften der Art. 906 und 907 sind es die natürlichen und rechtlichen Fruchte, welche mit der Ausdrucksweise "die vom Besitzer bezogenen Früchte" gemeint sind. Unter den Fruchtbegriff fällt dagegen nicht der Gebrauch und die Nutzung der Sache durch den gutgläubigen Besitzer, so daß der Gebrauchsvorteil nicht zu bewerten und infolgedessen auch nicht auf die notwendigen und nützlichen Verwendungen anzurechnen ist. Die Entziehung ist eine unrechtmäßige Handlung dessen, der sie begeht, mit der Folge, daß der Entziehende sowohl dem gesetzlichen Verbot zuwiderhandelt als auch das gesetzlich geschützte Besitzrecht dessen verletzt, dem der Besitz entzogen wird. Daß derjenige, welcher eine in der Gewalt eines anderen befindliche Sache wegnimmt oder den Inhaber stört, den durch die Entziehung oder Störung entstandenen Schaden zu ersetzen hat, ist sowohl in Art. 895 und 896 TZGB bestimmt als auch hinsichtlich des Umfangs in Art. 908 ausdrücklich geregelt. Es ist auch nicht möglich, das Vorbringen der Stadtgemeinde dahin auszulegen, daß sie unter dem mit "ecrimisil" bezeichneten Anspruch eine Entschädigung für die bezogenen oder versäumten Früchte verstanden wissen will. Um derartige Ansprüche zu stellen, wäre es erforderlich, daß die Stadtgemeinde die Absicht der Verwertung der Sache durch Fruchtziehung hatte. Die Stadtverwaltung hat etwas derartiges nicht behauptet.
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2. Kap.: 4 Phasen im Rezeptionsablauf schweiz. Gesetze in der Türkei 11. Entscheidung des Großen Senats des Kassationshofs für die Vereinheitlichung der Rechtsprechung (Nr. E U/K 4 vom 8. 3. 1950)53
Leitsatz: Wer bösgläubig ein Grundstück rechtswidrig an sich nimmt und gebraucht, ist verpflichtet, die Schäden aus der Inbesitznahme des Grundstücks und die gezogenen oder versäumten Früchte zu ersetzen, braucht jedoch dem Eigentümer oder Besitzer, wenn sie keinen Schaden erlitten haben, als "ecrimisil" oder unter einer anderen Bezeichnung keinerlei Entschädigung zu zahlen. In dem Großen Senat für die Einheitlichkeit der Rechtsprechung wurde aufgrund einer schriftlichen Mitteilung des Justizministeriums (Nr.44 vom 8. 8. 1945) über widersprüchliche Entscheidungen des 1. Zivilsenats des Kassationshofs vom 18. 6. 1945 (Nr. 1416/3079) und des 4. Zivilsenats vom 2. 2. 1945 (Nr. 1958/340) über die Frage, ob ein bösgläubiger Besitzer, der das in seiner Hand befindliche Grundstück dem Kläger im Herausgabeprozeß zurückgeben muß, dem Kläger, der infolge der Vorenthaltung (des Besitzes) keinerlei Schaden erlitten hat, auch zur Zahlung eines "ecrimisil" genannten Geldbetrags verpflichtet ist oder nicht, die Sach- und Rechtslage geprüft. Man kam zu folgendem Ergebnis: Die Stadtgemeinde Istanbul hatte ein Grundstück erworben, um es als Friedhof zu verwenden. Zwei Personen namens Yakup und Hüsnü hatten je einen Teil dieses Grundstücks eigenmächtig an sich genommen. Die Stadtverwaltung hat gegen jeden der beiden getrennt Klage erhoben und beantragt, sie zur Räumung und zur Zahlung von je zehn Jahres-ecrimisil-Beträgen zu verurteilen. Obwohl die Stadtverwaltung diese beiden Grundstücksteile in irgendeiner Weise verwenden wollte, hat sie nicht behauptet, daß sie sie infolge der Wegnahme nicht habe verwenden können und einen Schaden erlitten habe. Der Anspruch der Stadtverwaltung stützt sich auf die Erwägung, daß ohne Rücksicht darauf, ob sie selbst einen Schaden erlitten habe oder nicht, die Beklagten verpflichtet seien, ein Entgelt dafür zu zahlen, daß sie das Grundstück gebraucht und daraus Vorteil gezogen haben. Das erstinstanzliche Gericht hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, daß zwischen den Parteien kein Vertragsverhältnis bestehe und die Stadtverwaltung durch den Gebrauch keinen Schaden erlitten habe. Der 1. Senat des Kassationshofs hat das Urteil in der Sache gegen Hüsnü bestätigt, während der 4. Zivilsenat in der Sache gegen Yakup 53 Resmi Gazete Nr. 7528 vom 9.6. 1950.
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das Urteil aufgehoben hat mit der Begründung, "wer das Grundeigentum eines anderen widerrechtlich an sich nimmt und gebraucht, ist zur Zahlung des ,ecrimisil'-Betrags verpflichtet". Aus dem Urteil des 4. Zivilsenats folgt, daß der Grundeigentümer einen Anspruch auf ein Mietentgelt, wie es das Grundstück üblicherweise bringen könnte, geltend machen kann, ohne daß es darauf ankommt, ob er einen Schaden erlitten hat und die Höhe des Schadens beweisen muß. Da zwischen den Parteien kein Vertrag besteht, ist nicht einzusehen, daß die Stadtverwaltung ein Mietentgelt verlangen kann. Ebensowenig wie das Obligationengesetzbuch eine Vorschrift darüber enthält, daß der Entzieher als Mieter betrachtet und zur Zahlung eines Mietentgelts verpflichtet gehalten werden kann, ist es möglich, eine derartige Vorschrift aus den Bestimmungen über Miete und Pacht und allen anderen Bestimmungen über die Schuldverhältnisse heraus zu entwickeln. Der widerrechtliche Gebrauch des Guts eines anderen ist nämlich kein Rechtsgeschäft, das unter die Bestimmungen über Verträge fällt, sondern eine rechtswidrige Handlung, für welche die Bestimmungen des Obligationengesetzbuchs für unerlaubte Handlungen gelten. Für die Entstehung einer Verpflichtung aus unerlaubter Handlung ist Voraussetzung, daß derjenige, welchem die Widerrechtlichkeit widerfahren ist, infolge davon einen Schaden erlitten hat. Ein Schaden entsteht durch Vermögensverminderung. Eine Schadenersatzpflicht gibt es nur in den gesetzlich bestimmten Fällen, die eine Ersatzpflicht auslösen; dagegen können Schäden, die durch Handlungen hervorgerufen werden, welche im Gesetz nicht aufgeführt sind, nicht Gegenstand eines Schadenersatzprozesses sein. Wer einen derartigen Schaden erleidet, muß ihn tragen. Da der Gesetzgeber die Tatbestände der unerlaubten Handlung und der ungerechtfertigten Bereicherung voneinander unterschieden hat, ist auch die Annahme abwegig, daß der widerrechtliche Gebrauch des Guts eines anderen eine ungerechtfertigte Bereicherung bildet, so daß insoweit ein Anspruch aus ungerechtfertigtem Erwerb entstehe. Hier liegt nämlich gar kein Erwerb vor. Ein Erwerb ist nur möglich aufgrund eines Rechtsgeschäfts. Die eigenmächtige Ansichnahme ist weder ein einseitiges noch ein zweiseitiges Rechtsgeschäft. Wer nicht daran gedacht hat, die Früchte zu ernten und eine Sache Früchte tragen zu lassen, und dies auch nicht beabsichtigt hat, hat kein Recht, eine Entschädigung für bezogene oder versäumte Früchte zu verlangen. In diesem Falle bringt das Ernten der Früchte oder das Versäumen der Fruchtziehung im Vermögen des Eigentümers der
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Sache keine Verminderung hervor. Der Eigentümer erleidet keinen Schaden. Die Lage des Eigentümers in diesen Fällen gleicht der Situation dessen, der sein Eigentum aufgegeben hat. Wer eine derelinquierte Sache an sich nimmt, ist zur Rückgabe nicht verpflichtet. "Ebensowenig sind z. B. diejenigen, welche die auf den Bäumen und Feldern des Eigentümers belassene Ernte einsammeln, weil der Eigentümer in folge einer Krise die Erntekosten nicht aufbringen konnte, zur Herausgabe oder zum Ersatz verpflichtet." Aufgrund dieser Erwägungen und Gründe wurde am 8. 3. 1950 mit Stimmenmehrheit entschieden, daß derjenige, der bösgläubig ein Grundstück an sich nimmt und gebraucht, verpflichtet ist, die Schäden aus der Inbesitznahme des Grundstücks und die bezogenen oder die 'versäumten Früchte zu ersetzen, jedoch dem Eigentümer oder Besitzer, wenn sie keinen Schaden erlitten haben, als "ecrimisil" oder unter einer anderen Bezeichnung keinerlei Entschädigung zu zahlen braucht.
E. Smlußbemerkung Die vorstehend in deutscher übersetzung dargebotenen charakteristischen Materialien, die sich auf das erste Vierteljahrhundert der Geschichte der türkischen Rezeption des schweizerischen Zivilgesetzbuchs beziehen, liefern eine Bestätigung für Erkenntnisse, die zwar schon wiederholt betont und beschrieben worden sind, aber noch immer nicht genügend beachtet werden. Deshalb sei zum Schluß eine lehrsatzmäßige Zusammenfassung gestattet. I. Für Entwicklungsländer, welche ausländische Gesetze übernehmen wollen 1. Es genügt nicht, fremdsprachliche Gesetzestexte zu übersetzen; man muß sie auch genau übersetzen.
2. Es genügt nicht, ausländische Gesetze zu Ülbernehmen; man muß auch die Voraussetzungen und Einrichtungen schaffen, ohne die eine sachgemäße Anwendung nicht möglich ist. 3. Es genügt nicht, ausländische Gesetze korrekt zu übersetzen und die zu ihrer Anwendung erforderlichen Voraussetzungen und Einrichtungen zu schaffen; man muß auch dem Rechtsstab und der Bevölkerung eine reichlich bemessene Zeitspanne lassen, um sich den neuartigen Rechtsgedanken anzupassen und umzudenken.
E.II. Für theoretische und praktisch verwertbare Rechtsvergleichung
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4. Es genügt nicht, dem Rechtsstab und der Bevölkerung die erforderliche Zeit zur Anpassung und zum Umdenken zu gewähren; man muß auch a) die im Amt befindlichen Mitglieder des Rechtsstabs umschulen; b) die künftige Juristengeneration durch Lehrer ausbilden lassen, die im neuartigen Rechtsdenken erzogen sind; c) die gesamte Bevölkerung in geeigneter Weise ausreichend informieren. 11. Für theoretische und praktisch verwertbare Rechtsvergleichung 1. Die übernahme eines fremden Gesetzes durch verfassungsgemäßen Akt des inländischen Gesetzgebers bedeutet nicht die Übernahme fremden Rechts, sondern nur den Versuch, das in Geliung gesetzte abstrakte Normengerüst mit Hilfe des Rechtsstabs (Regierung, Verwaltung, Rechtsprechung und Rechtspraxis) zu konkretem Recht werden zu lassen.
2. Die Vorstellung von Mutter- und Tochterrecht ist nur insoweit berechtigt, als man zwischen beiden keine Identität annimmt. 3. Die Übernahme eines fremden Gesetzes durch Gesetzgebungsakt bedeutet nicht, daß a) die sprachliche Ü1bersetzung in allen Teilen korrekt ist; b) jede (selbst korrekt übersetzte) Vorschrift im Tochterrecht die gleiche soziale Bedeutung wie im Mutterrecht hat; c) jede (selbst korrekt übersetzte) Vorschrift im Tochterrecht ebenso ausgelegt und angewandt wird wie im Mutterrecht. 4. Bei einer Rechtsvergleichung zwischen Mutter- und Tochterrecht muß man sich stets vergegenwärtigen, in welcher Entwicklungsphase (vom abstrakten Normengerüst zum konkreten Recht) sich das Tochterrecht sowohl als Ganzes als auch in jedem seiner einzelnen Vorschriften befindet. 5. Da jede Rechtsordnung einem dauernden Wandel unterliegt, der durch metajuristische Faktoren determiniert ist, kann Rechtsvergleichung nur auf rechtssoziologischer Grundlage zu gesicherten Ergebnissen führen 54 • 54 Vgl. dazu die Beiträge im Sammelband Ulrich DrobniglManfred Rehbinder, Rechtssoziologie und Rechtsvergleichung, 1977.
Drittes Kapitel
Ist die Berücksichtigung ausländischer Gesetzestexte anläf3lich einer Kodifikation eine Rezeption? I. Das türkische Handelsgesetzbuch von 1926 1. Was bedeutet Kodifikation?
Gleichzeitig mit den aus der Schweiz importierten Gesetzen zum Zivil- und Obligationenrecht trat am 4. Oktober 1926 ein auf das Landhandelsrecht beschränktes türkisches HGB in Kraft, das das Ergebnis einer gesetzgeberischen Vorarbeit von 8 Jahren gewesen war. Hierbei hatte man für die zahlreichen Materien und Institute des Handelsrechts kein einheitliches Muster einer ausländischen Gesetzgebung zugrunde gelegt, sondern eine Vielzahl einzelner ausländischer Gesetzestexte berücksichtigt. Ähnliches geschah während der Reformarbeiten an diesem Gesetz, das im Jahre 1956 durch ein neues THGB ersetzt wurde. Der Umstand, daß bei der Ausarbeitung bei der Handelsgesetzbücher Texte ausländischer Gesetze übernommen worden sind, führt zu der Frage, ob auch einzelne fremde Rechtsinstitute, deren Texte in eine Kodifikation aufgenommen werden, einen Rezeptionsprozeß einleiten können. Nach Liver l bedeutet kodifizieren die nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten erfolgende, d. h. systematische Zusammenstellung von Rechtsnormen für einen bestimmten Teilbereich des Soziallebens zu dem Zweck, das Ergebnis künftig als maßgebende rechtliche Regulierung an die Stelle der bisher verschiedenartigen Regeln treten zu lassen. Die Ursachen, die den Wunsch zur Kodifizierung auslösen, sind im sozialen Leben und seinen politischen, geistigen, wirtschaftlichen und sozialen Wandlungen zu suchen; denn jede Kodifikation ist letzten Endes zu dem Zweck gedacht und gewollt, einerseits einen rechtlichen Schlußstrich unter eine als vergangen betrachtete historische 1 Peter Liver: Kodifikation und Rechtswissenschaft, ZSR 80 (1960), S.193 (199): "Es ist die Wissenschaft, welcher der Gesetzgeber die Kodifikation verdankt; ihre Lehre erhebt er zum unabänderlichen Gesetz und schickt den Lehrer in die Wüste."
I. Das türkische Handelsgesetzbuch von 1926
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Periode zu ziehen, andererseits die Grundlagen für ein neues Kapitel der Rechtsgeschichte zu legen.
2. Das türkische Privatrecht vor und nach dem 4. X. 1926 Zur Kennzeichnung der Situation, die zu dem Versuch einer Kodifikation auf dem Gebiete des türkischen Handelsrechts geführt hat, sei zunächst das türkische Privatrecht vor und nach dem 4. Oktober 1926 kurz skizziert. Bis zu dem erwähnten Tag war das osmanische Recht trotz der Auflösung des Osmanischen Reiches im Jahre 1918 und trotz der Gründung der Türkischen Republik im Jahre 1923 in Kraft geblieben. Innerhalb des Osmanischen Reiches waren Zivilrecht und Handelsrecht streng voneinander geschieden. Es herrschte ein Dualismus nicht nur hinsichtlich der Grundlagen, sondern auch hinsichtlich der Struktur. Das osmanische Zivilrecht war in den rein türkischen Gebieten de facto das muslim ische Gewohnheitsrecht, das aus geistlichen Quellen gespeist war. Selbst das Obligationenrecht in Form einer Mecelle genannten Kodifikation, die zugleich eine Art Einführung in das Rechtsstudium auf der Grundlage von Maximen und allgemeinen Rechtsprinzipien enthält, war in Wirklichkeit nur eine Sammlung von Bestimmungen, die sich im Laufe der Zeit in den islamischen Zentren des Orients gebildet und entwickelt hatten. Im Gegensatz dazu hatte das osmanische Handelsrecht eine ganz andere Herkunftsquelle und Struktur: Das Landhandelsgesetzbuch von 1850 und das Seehandelsgesetzbuch von 1864 waren dem französischen Handelsgesetzbuch von 1807 entnommen. Es handelte sich dabei um unvollständige und teilweise fehlerhafte Übersetzungen eines laizistischen Gesetzbuchs, dessen Basis das staatliche französische Recht, d. h. letztlich das römische Recht und die Handelsbräuche der Kaufleute der westlichen Welt bildeten. Auch das Prozeßrecht in Zivil- und Handelssachen war unterschiedlich. Man kann sagen, daß selbst im Mittelalter zur Zeit des Statutarrechts in den oberitalienischen Städten keine so vollständige "Autonomie" des Handelsrechts bestanden hat wie in der Türkei im Zeitpunkt des Untergangs des Osmanischen Reiches. Diese rein tatsächliche "Autonomie des Handelsrechts" gegenüber dem islamischen Zivilrecht hatte sich als Grundprinzip in den Köpfen der türkischen Juristen festgesetzt und war zu einer Theorie geworden, die keine Einheitlichkeit des Privatrechts und folgerichtig auch kein Einheitsgesetzbuch für das Privatrecht zuließ, sondern einen sachlichen Dualismus zwischen Zivilrecht und Handelsrecht annahm und zwei getrennte, voneinander unabhängige Gesetzbücher für notwendig hielt. Als die politischen Kreise der Tür-
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3. Kap.: Berücksichtigung ausländ. Gesetzestexte - eine Rezeption?
kei sich zur en bloc-Übernahme eines westeuropäischen Zivilgesetzbuchs entschlossen und dazu das schweizerische Zivilgesetzbuch nebst Obligationenrecht bestimmten, traf diese ihre Wahl ein Einheitsgesetzbuch, das ebenso wie das italienische Zivilgesetzbuch außer dem Zivil- und Obligationenrecht im engeren Sinne auch das Handelsrecht umfaßte.
3. Fortdauer des Dualismus von Zivil- und Handelsrecht Das war für die türkischen Juristen nicht vorstellbar. Ein Zufall schien ihnen zur Hilfe zu kommen: Da zur Zeit der Übernahme der erwähnten schweizerischen Gesetze der dritte Teil des Obligationengesetzbuchs betreffend Handelsgesellschaften, Wertpapiere und Handelsregister in der Schweiz einer Reform unterzogen wurde, rezipierte man diesen Teil nicht mit. Weil aber das formell in Geltung befindliche Landhandelsgesetzbuch von 1850 und das Seehandelsgesetzbuch von 1864 den neuen Bedürfnissen nicht entsprachen, entschloß man sich, gleichzeitig mit dem Inkrafttreten der schweizerischen Zivilgesetze einem noch in den Zeiten des Osmanischen Reiches begonnenen Entwurfe des Handelsgesetzbuchs Gesetzeskraft zu verleihen. Dieser Entwurf war aber unter der Voraussetzung begonnen und ausgearbeitet worden, daß für das gesamte Gebiet des Zivilrechts nach wie vor das islamische Recht (Fikih und Mecelle) weiter gelten würden. Mit einer Berücksichtigung des weltlichen schweizerischen Rechts hatte man nicht gerechnet. Trotzdem unterblieb teils aus Zeitmangel, teils aus Ungeschicklichkeit ein Abstimmen der beiden Gesetzeswerke aufeinander mit der Folge, daß nun zahlreiche handelsrechtliche Materien, die bekanntlich im schweizerischen Recht nicht in einem besonderen Handelsgesetzbuch, sondern im Obligationengesetzbuch mitgeregelt sind, eine doppelte, oft sehr widerspruchsvolle Behandlung erfahren haben. Während die hierdurch entstandenen Unstimmigkeiten von der Praxis unter Berufung auf den Satz beiseite geschoben wurden, daß das HGB als Spezialgesetz dem Obligationengesetz vorgehe - eine gewiß praktische, aber nichtsdestoweniger falsche Begründung, da die entsprechenden handelsrechtlichen Vorschriften des Obligationengesetzibuchs ja auch den Charakter einer lex specialis haben -, bereiteten die Unstimmigkeiten innerhalb des Handelsgesetzbuchs selbst der Anwendung und Auslegung außerordentliche Schwierigkeiten.
4. Die Unstimmigkeiten innerhalb des Handelsgesetzbuches Woher kamen diese Unstimmigkeiten? Die Mitglieder der Kommission, welche den Entwurf des Handelsgesetzbuchs zusammenstellte, teilten sich derart in die Arbeit, daß jedes Mitglied eine bestimmte
1. Das türkische Handelsgesetzbuch von 1926
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Materie übernahm. Diese Materie wurde nun aufgrund derjenigen ausländischen Vorlagen bearbeitet, die dem Bearbeiter kraft seiner Sprachkenntnisse und juristischen Ausbildung zugänglich waren. Borchards "Handelsgesetze des Erdballs" spielten ebenfalls eine erhebliche Rolle. Damit nicht genug. Da eine feste Terminologie für das westliche Recht fehlte, 'blieb es jedem Bearbeiter überlassen, bei der übersetzung und Adaptierung der ausländischen Rechtssätze diejenigen Ausdrücke zu gebrauchen, die ihm am passendsten schienen. Das Ergebnis dieser Arbeit, das HGB von 1926, bildete infolgedessen weder terminologisch noch auch sachlich eine Einheit, und zwar weder in sich selbst noch auch mit dem übrigen Privatrecht. So war, um konkret zu sprechen2 , der allgemeine Teil des Gesellschaftsrechts, das Recht der Handlungsangestellten, Bevollmächtigten und Handelsvertreter dem früheren italienischen Handelsgesetzbuch, der Abschnitt über die GmbH dem entsprechenden französischen Gesetz, derjenige über die Genossenschaft dem belgischen Gesetz, der Abschnitt über die Personalhandelsgesellschaften und die Aktiengesellschaft teils dem deutschen, teils dem italienischen Handelsgesetzbuch entnommen. Die allgemeinen Vorschriften des Rechts der Handelsgeschäfte stammten aus dem Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch, die Bestimmungen über das Kontokorrent dem chilenischen Handelsgesetzbuch, Wechsel- und Scheckrecht den Haager Abkommen von 1910 und 1912, der Landtransport dem französischmarokkanischen Gesetz, die Vorschriften über den cif-Kauf einem Entwurf der französischen Landesgruppe der "International Law Association" von 1922. Das 1929 verkündete Seehandelsgesetzbuch war eine zum Teil recht fehlerhafte Übersetzung des 4. Buchs des deutschen HGB, des deutschen Flaggengesetzes und der Vorschriften des deutschen BGB über das Schiffspfandrecht. Bei dieser Art der Vorbereitung durch Kopieren ausländischer Gesetzestexte aus mehr als einem Dutzend verschiedener Staaten hatte man über dem Drang nach Modernisierung vor allem auch die soziale und wirtschaftliche Lage des Landes nicht berücksichtigt. Man hatte ferner nicht beachtet, inwieweit die auf der Grundlage der Mitte des 19. Jahrhunderts dem französischen Code de Commerce von 1807 entnommenen Bestimmungen der türkischen Handelsgesetzbücher im Laufe der Zeit in das osmanische Recht durch Rechtsprechung und Lehre Eingang gefunden hatten und zu berücksichtigen waren. Kurzum: man hatte ins Blaue gearbeitet, ohne sich um die Wirklichkeit der politischen und wirtschaftlichen Situation des Landes und die 2 Ich stütze mich bei den folgenden Ausführungen auf E. Manasse: Legislation commerciale Turque. Code de Commerce du 29 mai 1926 (traduit et annote), Constantinople 1926.
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3. Kap.: Berücksichtigung ausländ. Gesetzestexte - eine Rezeption?
Folgen des Lausanner Friedensvertrages zu kümmern und ohne die einfachsten wissenschaftlichen Überlegungen anzustellen, die bei jeder Gesetzgebung zu beachten sind. Ohne derartige Vorbereitungsarbeiten mußte die einfache und bloße Übertragung ausländischer Gesetze, und wären es die besten der Welt gewesen, und ihr Erlaß als internes Gesetz früher oder später zu unlösbaren Schwierigkeiten führen, zumal deshalb, weil es sich um eine Kompilation aus mehr als einem Dutzend ausländischer Gesetzbuchstellen handelte, die weder einheitlich strukturiert noch miteinander harmonisiert waren. 11. Reformbestrebungen
Schon wenige Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes wurden die Mängel offensichtlich. Auf Anregung des Justizministeriums wurde 1934 bei der Industrie- und Handelskammer in Istanbul eine aus Kaufleuten und Juristen bestehende Reformkommission gebildet, die Änderungsvorschläge für die ersten hundert Artikel des Gesetzes ausarbeitete. In den folgenden Jahren wurden die Notwendigkeit und die Wege einer Reform in den türkischen Rechtszeitschriften ausführlich erörtert. Anläßlich der Programmrede der Regierung im November 1937 wurde die Anpassung der beiden Bücher des HGB an die wirtschaftlichen Bedürfnisse des Landes als so dringend bezeichnet, daß die erforderlichen Gesetzesänderungen schon für das laufende Parlamentsjahr angekündigt wurden. In dieser kurzen Zeit ließen sich allerdings grundlegende Reformen nicht durchführen, zumal die in der Öffentlichkeit geäußerten Meinungen und Vorschläge über den Umfang und die Methode der Reformen erheblich voneinander abwichen. 1. Die Hauptvorschläge
Zwei Hauptwege standen zur Verfügung: entweder ein neues Gesetz zu schaffen oder das derzeitige Gesetz zu verbessern. Zur Verwirklichung der ersten Möglichkeit kamen zwei Varianten in Frage, für deren Verwirklichung auch in der Reformliteratur gefochten wurde, nämlich entweder die Schaffung eines den besonderen türkischen Verhältnissen angepaßten Originalgesetzbuchs oder die Vollendung der 1926 begonnenen Rezeption des schweizerischen Zivilund Obligationenrechts durch übernahme der im Jahre 1926 noch nicht revidierten und deshalb damals nicht rezipierten, aber zwischenzeitlich 1936 revidierten Teile III, IV und V des schweizerischen OR. a) Die Vorbereitung eines den sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Bedingungen des Landes entsprechenden originalen
11. Reformbestrebungen
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HGB hätte einer außerordentlich umfangreichen Vorarbeit bedurft. Hiervon abgesehen ist zu bedenken, daß das Handelsrecht als Ganzes betrachtet einerseits zwar der nationalen Wirtschaftsordnung seines Landes entspricht, andererseits aber derjenige Zweig des Rechts ist, bei dem die nationalen Eigentümlichkeiten am stärksten den internationalen Vereinheitlichungstendenzen gewichen sind. Das in der türkischen Verfassung verankerte Wirtschafts system beruht auf den Grundsätzen des Privateigentums und der Wirtschaftsfreiheit, die sich jedoch im Hinblick auf das Allgemeinwohl mehr oder weniger weitgehende Einschränkungen gefallen lassen mußten und noch immer oder wiederum müssen. Die Türkei hatte in den letzten Jahrzehnten nicht nur eine politische, sondern vor allem eine wirtschaftliche Revolution durchgemacht, von deren Ausmaß sich ein Außenstehender keine rechte Vorstellung machen kann. Die Grenzen, die zwischen Staatsinterventionismus und Wirtschaftsfreiheit verlaufen, und die wissenschaftlichen und politischen Auffassungen darüber, wo sie verlaufen sollten, waren so unsicher und streitig, daß es an der für ein autarkes HGB erforderlichen Stabilität der wirtschaftlichen Verhältnisse und einer als herrschend anerkannten wissenschaftlichen Lehrmeinung fehlte. Es mangelten mit anderen Worten die Grundbedingungen, unter denen allein die Ausarbeitung einer völlig neuen nationalen Kodifikation, die stets Ende und Anfang zugleich bedeutet, gerechtfertigt werden konnte. b) Der stark propagierte Gedanke, die im Jahre 1926 nicht vollendete Rezeption des schweizerischen Zivil- und Obligationengesetzbuches durch Übernahme der mittlerweile rev1dierten Teile des schweizerischen OR zu Ende zu führen, erschien auf den ersten Blick als zweckmäßigste Lösung. Man behauptete, auf diese Weise die Rechtsharmonie zwischen Zivilrecht und Handelsrecht ohne größere Mühe, Arbeit und Zeitverlust verwirklichen zu können. Jedoch ist der rascheste und billigste Weg nicht immer auch der beste. Man hatte folgendes zu bedenken: Die Vorschriften des revidierten schweizerischen OR über Wertpapiere konnten zwar unbedenklich übernommen werden. Das gleiche galt für den Abschnitt über die GmbH, weil sich dieser Gesellschaftstyp, der völlig unzureichend geregelt und von staatlicher Bevormundung wesentlich befreit war, vielleicht gerade deswegen einer besonderen Vorliebe erfreute und dringend einer Reformgesetzgebung bedurfte. Jedoch bestanden erhebliche Bedenken hinsichtlich der Bestimmungen über das Handelsregister, die Firma und die kaufmännische Buchführung, die im schweizerischen Gesetz allzu knapp und teilweise auch rechtlich unklar behandelt sind. Während das HGB von 1926 die Rechtsverhältnisse der OHG und KG sehr ausführlich
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3. Kap.: Berücksichtigung ausländ. Gesetzestexte - eine Rezeption?
in 105 Artikeln regelte, stellte das revidierte schweizerische Recht hierfür nur 42 Artikel zur Verfügung, wobei außerdem zu bedenken ist, daß im Gegensatz zum schweizerischen Recht beide Personalgesellschaften im türkischen Recht ausdrücklich als juristische Personen anerkannt sind. Was die AG anlangt, so sind, abgesehen von der Verschiedenheit der wirtschaftspolitischen Entwicklung beider Länder, die wirtschaftlichen Verhältnisse völlig verschieden. Während 1936 in der Schweiz mehr als 19000 Unternehmungen in Form der AG betrieben wurden, war die Anzahl dieses Gesellschaftstyps in der Türkei außerordentlich klein, so daß ein Teil der im schweizerischen Gesetz gegebenen Vorschriften nicht paßte. Für das Genossenschaftswesen war zu bedenken, daß für die landwirtschaftlichen Absatz- und Kreditgenossenschaften und Genossenschaftsverbände ganz neue Gesetze gerade in Kraft getreten waren, die den Bedürfnissen des Landes im wesentlichen entsprachen, so daß für eine Übernahme des schweizerischen Genossenschaftsrechts kein Anlaß bestand. Abgesehen hiervon kam noch in Betracht, daß bei der Rezeption der erwähnten Teile des revidierten schweizerischen OR das gesamte HGB von 1926, zumindest sein erstes Buch über das Landhandelsrecht, hätte aufgehoben werden müssen mit der Folge, daß eine größere Anzahl bisher gesetzlich geordneter Sachverhalte wie Kaufmannseigenschaft, unlauterer Wettbewerb, Kontokorrent, Lagerhäuser, Agentur, Privatversicherung, überseekauf u. a., ohne Regelung geblieben wären. Man hätte allerdings die entsprechenden Vorschriften dem rezipierten Teil des schweizerischen OR irgendwie einfügen können, wobei dann immer noch das Problem einer Reform des Seerechts ungelöst geblieben wäre. c) Unter diesen Umständen tendierte man zu der bescheideneren, aber wesentlich schwierigeren Lösung einer Revision des Gesetzbuchs von 1926/1929. Für diese Lösung spr:ach vor allem auch die Erwägung, daß dieses Gesetz trotz seiner unbestreitbaren Mängel seit seinem Inkrafttreten sozusagen die Rolle eines Grundgesetzes der türkischen Wirtschaft gespielt hatte, so daß seine Grundsätze im wirtschaftlichen Leben der Türkei Wurzel fassen konnten. Die etwa im Jahre 1930 einsetzenden Bemühungen um eine wissenschaftliche Klärung und Erhellung des Handelsrechts auf der Basis des Gesetzes von 1926 -1929 und die Rechtsprechung dazu, d. h. der wesentliche und eigentliche Rezeptionsprozeß nach der lediglich formellen Textrezeption, hatten dem Gesetz eine bestimmte Farbe und Tendenz gegeben, so daß selbst das beste neue Gesetz zu einer Erschütterung der Rechtssicherheit und einer Aufopferung wertvollen rechtlichen Gedankenguts geführt hätte. Hierzu bestand um so weniger Anlaß, als die Kaufleute in der Anwendung neuer Methoden der Organisation und
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Technik zwar sehr fortschrittlich sind, aber hinsichtlich der rechtlichen Ordnung wirtschaftlicher Beziehungen konservativ an liebgewordenen Gewohnheiten hängen.
2. Kommissionen Versuche der Regierung, mit Hilfe von besonderen Kommissionen, die aus den Kreisen der Ministerialbürokratie, der Richterschaft, der Rechtsanwaltschaft und der Rechtslehre zusammengesetzt waren, auf dem angezeigten Weg eine Revision durchzuführen, scheiterten, zumal man kein einheitliches Konzept hatte und nur an den Symptomen herumkurierte. Man entschloß sich, je einen Professor der Rechtsfakultät in Ankara mit der Ausarbeitung eines Entwurfs für ein neues Landhandelsgesetzbuch und ein neues Seehandelsgesetzbuch zu betrauen, um diese Entwürfe alsdann von den Kommissionen durchberaten lassen zu können. Dazu ist es aber aus verschiedenen Gründen nicht gekommen. Die Vorarbeiten verliefen im Sande.
3. Eigene Bemühungen Ich selbst hatte mich, ohne Mitglied der erwähnten Kommissionen zu sein, sehr eingehend mit der Frage einer Reform oder Revision der handelsrechtlichen Gesetzgebung befaßt und mehrere Aufsätze darüber veröffentlicht3 • Hatte ich mich doch als Inhaber des Lehrstuhls für Land- und Seehandelsrecht an der Rechtsfakultät in Istanbul seit November 1933 täglich damit abzuplagen, auf der Grundlage schlecht ausgearbeiteter und nicht zueinander passender Vorschriften für meine Studenten eine Vorlesung vorzubereiten, die zwar oft nicht dem Gesetzestext entsprach, aber angemessene Lösungen der angesprochenen Probleme bot. Durch diese tägliche Konfrontation sah ich mich veranlaßt, nach Wegen zu suchen, um bis zu einer durchgreifenden Revision vorläufige Notlösungen zu finden. Dies konnte nur auf dem Weg geschehen, der seit Inkrafttreten des HGB von 1926 noch nicht betreten worden war: der Assimilation der aus zahlreichen ausländischen Gesetzestexten entnommenen und türkisch gewordenen Rechtsvorschriften an das türkische Rechts- und Sozialleben durch den Versuch einer Einpassung des fremden recht3 Mein erster Aufsatz, Gedanken zur Reform des HGB, erschien 1937 in der Zeitschrift der Rechtsfakultät Istanbul, mein erster Beitrag zur Reform des Seehandelsrechts ein Jahr später in der Zeitschrift der Rechtsanwaltskammer Izmir. 1941 veröffentlichte ich in der Zeitschrift des Justizministeriums einen großen Aufsatz: Gedanken zur Reform des HGB. Gesetzentwurf mit Begründung, ferner im gleichen Jahr eine Studie über die Frage, ob sich die übernahme des 3. und 5. Teils des schweizerischen OR über Wertpapiere und Gesellschaften empfehle.
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3. Kap.: Berücksichtigung ausländ. Gesetzestexte - eine Rezeption?
lichen Gedankenguts in das vor allem durch das Zivil- und Obligationengesetzbuch neu bestimmte türkische Privatrechtssystem. Eine Anknüpfung an das jeweilige "Heimatrecht" kam nicht in Betracht. Ich mußte also versuchen, diesen "salade russe", wie meine türkischen Kollegen das HGB von 1926 qualifizierten, mit Hilfe einer geeigneten "Mayonnaise" genießbar zu machen. Dies geschah in meinen Vorlesungen und Lehrbüchern in der Weise, daß ich das wissenschaftliche System des Handelsrechts zugrunde legte, nach dem ich meinen Beitrag "Handelsrecht" zum Rechtsvergleichenden Handwörterbuch für das Zivil- und Handelsrecht des In- und Auslandes 4 aufgebaut ,hatte. Ich holte mit anderen Worten nach, was die Mitglieder der Kommission, die das HGB von 1926 zusammengestellt hatten, sowie die türkischen HandelsrechtleI' nach Inkrafttreten des Gesetzes versäumt hatten: den Aufbau eines theoretischen Systems des türkischen Handelsrechts. 1936 lag der erste Band meines in türkischer Sprache abgefaßten Lehrbuchs vor: "Handelsrecht auf den Grundlagen des türkischen Handelsgesetzbuchs". Eine Neufassung erschien 1939/1940, eine 2. Auflage 1946 unter Heranziehung der mittlerweile publizierten einschlägigen Literatur und hächstrichterlichen Rechtsprechung, der ich noch einen besonderen Platz in meiner ebenfalls 1946 erschienenen und mit Anmerkungen versehenen Taschenausgabe des HGB einräumte. So stand nach einem Jahrzehnt intensiver Bemühungen das Gerüst eines wissenschaftlichen Systems fest, mit dessen Hilfe man sich im türkischen HGB trotz seiner schweren Geburtsfehler zurechtfinden konnte. Nachdem ich Ende des Jahres 1943 den Lehrstuhl des Handelsrechts in Istanbul mit demjenigen in Ankara vertauscht hatte, trat ich in engere Beziehungen zum türkischen Justizministerium. Im März 1944 hielt ich in Ankara einen Vortrag über "Neue Strömungen im Handelsrecht", der in der Zeitschrift des Justizministeriums veröffentlicht wurde. Der damalige Justizminister nahm dies zum Anlaß, erneut eine kleine Kommission zur Vorbereitung einer Reform der beiden Gesetzbücher zu bilden. Aber es zeigte sich sehr bald, daß diese Form der Arbeit nicht weiterführte. Es mußte erst einmal nach einem einheitlichen Plan ein einheitliches System eines neuen Handelsgesetzbuchs vorliegen, bevor man an die Ausführung der Einzelheiten gehen konnte. Meine ursprüngliche, 1941 veröffentlichte Konzeption, nur in ·beschränktem Umfang eine Reform zu versuchen, gab ich unter diesen Umständen auf und entwickelte den Plan, den Entwurf eines Handelsgesetzbuchs auszuarbeiten, das neben dem Obligationengesetzbuch einen wesentlichen Bestandteil des Zivilgesetzbuchs bilden sollte, um auf diese Weise den Dualismus zwischen Zivilrecht und 4
Schlegelberger u. a. (Hrsg.), Bd. IV, Berlin 1933, S. 161 - 195.
III. Die Hauptziele der Reform
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Handelsrecht, der vor 1926 einen sachlichen Sinn gehabt, diesen aber inzwischen verloren hatte, zu beseitigen. Ohne eine derartige Konzeption schien mir jede Bemühung um eine Revision des HGB von 1926 vergeblich. Der Justizminister war damit einverstanden und ließ mir jede sachliche Freiheit unter der Voraussetzung, daß ich mich bei der Textgestaltung der Mithilfe seines Ministeriums bediente und den Entwurf nach seiner Fertigstellung der kleinen Kommission zur Durchberatung überlasse.
III. Die Hauptziele der Reform
1. Die Einheit des Privatrechts Das Hauptziel der Reform bestand darin, die fehlende Harmonie zwischen dem HGB und den anderen Gesetzen herzustellen, die strukturellen Schwächen im Gesetz selbst zu beseitigen und das Gesetz im Rahmen des unbedingt Notwendigen den wirtschaftlichen, sozialen und politischen Bedingungen des Landes anzupassen. In dieser Absicht mußten überflüssige Vorschriften aufgehoben, Ubersetzungsfehler korrigiert, unklare Bestimmungen klarer gefaßt, empfindliche Lücken geschlossen, veraltete Vorschriften durch zweckmäßigere ersetzt und das ganze Gesetz nach Aufbau, Sprache und Terminologie dem übrigen Privatrecht angepaßt werden. Gerade aus diesem letzterwähnten Grund wurde es notwendig, sämtliche Artikel des geltenden Gesetzes zwar nicht dem Inhalt, aber der Fassung nach zu ändern und neu zu formulieren. Daraus erklärt sich, daß man die Technik eines Abänderungs- oder Ergänzungsgesetzes entsprechend meinem oben erwähnten bescheidenen ersten Entwurf nicht anwenden konnte, sondern ein neues Gesetz entwerfen mußte. Es mußte klar ersichtlich sein, daß Zivilrecht und Handelsrecht, auch wenn sie im Verhältnis von generellen und speziellen Normen standen und äußerlich auf drei Gesetzbücher, nämlich das Zivilgesetzbuch, das Obligationengesetzbuch und das neu zu entwerfende Handelsgesetzbuch verteilt waren, sachlich gegenüber den anderen Teilen der Rechtsordnung wie z. B. gegenüber dem Strafrecht oder dem öffentlichen Recht die einheitliche Sektion des Privatrechts bildeten. Schon allein die Tatsache, daß das Justizministerium einen Universitätsprofessor mit der Vorbereitung und Ausarbeitung des Entwurfs betraut hatte, zeigte zur Genüge, daß man mehr wollte als eine bloße Ausräumung praktischer Schwierigkeiten und überschneidungen. Es war für mich eine große Genugtuung, im Bericht des Rechtsausschusses an das Plenum des Parlaments die Feststellung zu lesen: "Unser 7*
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3. Kap.: Berücksichtigung ausländ. Gesetzestexte - eine Rezeption?
Ausschuß schließt sich vollinhaltlich den rechtfertigenden Gründen und wissenschaftlichen Darlegungen an, die in der Begründung zum Regierungsentwurf hinsichtlich der Änderung des geltenden Gesetzes und der Kodifikation eines neuen HGB in der Form des Entwurfs vorgebracht worden sind." Von dieser wissenschaftlichen Auffassung, die dem späteren Gesetz zugrunde liegt, soll zunächst die Rede sein. Früher bestanden, wie bereits erwähnt, im Osmanischen Reich unter dem Einfluß des islamischen Rechts zwischen den zivilrechtlichen und handelsrechtlichen Vorschriften grundlegende Unterschiede. Diese sind im Zuge der Verweltlichung des Rechts seit der Ausrufung der Republik und der Abschaffung des Kalifats beseitigt. Wenn heute noch zwischen den beiden Kategorien ein Unterschied besteht, so ist es kein anderer als im deutschen Recht auch: nämlich das Verhältnis zwischen allgemeiner und spezieller Norm. Die Spezialregel kann nur als Ausnahme oder Ergänzung zur Generalregel verstanden werden und gewinnt infolgedessen lediglich im Hinblick auf sie Sinn und Bedeutung. Während früher Zivilrecht und Handelsrecht auf verschiedenen Ebenen lagen, lagen sie jetzt in derselben Bbene. Während früher das Bestreben dahin ging, das Wirtschaftsleben vor dem Zivilrecht zu bewahren, war jetzt der Drang nach einer Vereinheitlichung des Privatrechts unverkennbar. Zur Verwirklichung dieser Einheit des Privatrechts standen, gesetzes technisch gesehen, zwei Wege zur Verfügung: entweder eine einheitliche Kodifikation wie in der Schweiz und seit 1942 in Italien oder die formelle Aufrechterhaltung eines besonderen HGB neben einem ZGB wie in Frankreich und Deutschland unter der Voraussetzung, daß trotz dieses formellen Dualismus materiell der Grundsatz der einheitlichen Substanz der Normen klar zum Ausdruck kam. Aus den oben erwähnten Gründen war der erste Weg nicht gangbar. Es blieb also nur der zweite Weg; und im ersten Satz des Gesetzes wird ausdrücklich bestimmt: "Das türkische Handelsgesetzbuch ist ein untrennbarer Teil des türkischen Zivilgesetzbuchs." Hiermit war der geschichtlich überkommene Dualismus im Privatrecht nun auch für die Türkei endgültig überwunden. Diese Feststellung ist deshalb bedeutsam, weil ein größerer Teil der älteren, noch zu Zeiten des islamischen Rechts großgewordenen Richter diesen Dualismus als eine Selbstverständlichkeit auch dann noch respektierte, als im Jahre 1926 an die Stelle des islamischen das aus der Schweiz importierte weltliche Zivilrecht trat. Ist auf diese Weise die Einheit des Privatrechts betont, so ist auf der anderen Seite unter Wahrung der Tradition die Möglichkeit gegeben, die Hauptmasse der handelsrechtlichen Vorschriften auch weiterhin in einem besonderen Gesetzbuch neben dem ZGB zusammenzufassen. Im Anschluß an die Technik der
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schweizerischen Gesetze sind alle Artikel des neuen HGB und des Einführungsgesetzes mit Randleisten versehen, die aus Ziffern und Buchsta\ben und kurzen Kennworten bestehen, so daß sowohl die Systematik des Gesetzes und das Verhältnis der einzelnen Vorschriften zueinander wie auch der Inhalt jeder einzelnen Bestimmung deutlich erkennbar werden. Daß diese Randleisten zum Gesetzestext gehören, wurde in Art.1474 ausdrücklich hervorgehoben, um eine Polemik zu beenden, die durch einen nicht ganz klaren gegenteiligen Beschluß des türkischen Parlaments im Jahre 1944 entstanden war. 2. Der Zentralbegriff des Handelsrechts
Diese Zusammenfassung konnte nicht nur äußerlich in Erscheinung treten, sondern bedurfte auch einer sachlichen Rechtfertigung. Hiermit ist bereits die Frage nach dem Zentralbegriff des Handelsrechts im allgemeinen und des türkischen HGB im besonderen gestellt. Im bisherigen Recht hatte der Begriff "Handelsgeschäft" (acte de commerce) eine wichtige Rolle gespielt, weil mit seiner Hilfe die Abgrenzung zwischen Zivilrecht und Handelsrecht versucht worden war. Nach der Beseitigung des Dualismus hatte dieser Begriff aber seine Bedeutung verloren; denn jeder Sachverhalt wird nach den allgemeinen privatrechtlichen Vorschriften und nur in besonderen Fällen aus den Bedürfnissen des Wirtschaftslebens heraus nach den hierfür zweckmäßigen Spezial regeln beurteilt. Abgesehen hiervon ist der Begriff "Handelsgeschäft" zu eng, weil nicht nur für Rechtsgeschäfte, sondern auch für Rechtshandlungen und sonstige rechtlich erhebliche Angelegenheiten derartige Spezialregeln vorhanden sind. Deshalb mußte der Begriff des Handelsgeschäfts erweitert werden zum Begriff der "Handelssachen" nicht nur im prozessualen, sondern auch im materiellen Sinne. Neben der Abgrenzung der "Handelssachen" von den "Zivilsachen" ist aber von gleicher Bedeutung eine klare Abgrenzung der "handelsrechtlichen" Spezialvorschriften von den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften. Denn wenn auch das HGB die Hauptmasse der handelsrechtlichen Bestimmungen enthält, so finden sich gerade nach der im Anschluß an die schweizerische Regelung erfolgten türkischen Gesetzgebung zahlreiche handelsrechtliche Normen auch noch in anderen Gesetzen wie z. B. ZGB, OR, KO. Es bedurfte also eines Kriteriums, mit dessen Hilfe man sowohl handelsrechtliche Sachverhalte (= Handelssachen) von den zivilrechtlichen Sachverhalten wie auch handelsrechtliche Vorschriften (= Handelsrecht) von den zivilrechtlichen Vorschriften abgrenzen kann.
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Entsprechend der im Schrifttum schon vor 50 Jahren vertretenen und seit der Handwerkernovelle von 1953 auch in der deutschen Ge-setzgebung durchgedrungenen Auffassung, welche dem positiven Recht der Schweiz, Italiens5 und anderer Länder zugrunde liegt, ist das maßgebende Kriterium für die Abgrenzung der Sachverhalte und der Normenkomplexe und damit zugleich der Zentralbegriff des Handelsrechts der sog. "Handelsgewerbebetrieb" oder das "kaufmännische Unternehmen"'. Dementsprechend sind "Handelssachen" im materiellen Sinne nach Art.3 "die in diesem Gesetz geregelten Angelegenheiten sowie alle Geschäfte, Handlungen und Angelegenheiten, welche ein Handels-, Fabrikations- oder ein anderes nach kaufmännischer Art geführtes Unternehmen betreffen". Handelsrechtliche Vorschriften sind nach Art. 1 "die Bestimmungen in diesem Gesetz sowie die in anderen Gesetzen gegebenen Sondervorschriften hinsichtlich der Geschäfte, Handlungen und Angelegenheiten, welche ein Handels-, Fabrikations- oder ein anderes nach kaufmännischer Art geführtes Unternehmen betreffen". Hiermit ist für den Richter klargestellt, daß er zunächst zu prüfen hat, ob ein Sachverhalt, materiell-rechtlich gesehen, eine Handelssache ist oder nicht. Verneinendenfalls hat er ausschließlich Zivilrecht anzuwenden; bejahendenfalls hat er dagegen, bevor er auf das allgemeine Zivilrecht zurückgreift, zunächst zu prüfen, ob für den Sachverhalt "handelsrechtliche" Vorschriften vorhanden sind, sei es im HGB selbst, sei es in anderen Gesetzen, sei es schließlich auch in der Form von Handelsgewohnheitsrecht. Daß Handelsbräuche, solange eine opinio necessitatis und damit ihre Verwandlung in einen Satz des Handelsgewohnheitsrechts nicht festgestellt ist, kein objektives Recht darstellen und gegebenenfalls lediglich zur Auslegung und Ergänzung von Willenserklärungen dienen können, wird ausdrücklich betont. Ferner aber kann Handelsgewohnheitsrecht auf Nichtkaufleute nur zur Anwendung kommen, wenn es dem Betreffenden bekannt war oder hätte bekannt sein müssen (Art. 2).
5 Vgl. Art. 2188 ff. des italienischen ZGB von 1942 und vor allem Art. 458 schweiz. OR (= Art. 449 TOG) nebst Art. 52 ff. der schweizerischen VO über das Handelsregister von 1937. 6 Vgl. hierzu auch meinen Artikel: Der Zentralbegriff des Handelsrechts, in Annuario di Diritto Comparato e di Studi Legislativi XIII, 1 (1938), S.369 bis 420.
IV. Das kaufmännische Unternehmen
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IV. Das kaufmännische Unternehmen
Die Wahl des "kaufmännischen Unternehmens" als Zentralbegriff des Handelsrechts und des diesbezüglichen Gesetzbuchs brachte es mit sich, daß nicht nur das erste Buch des Entwurfs diese Überschrift erhielt, sondern der Begriff auch für die Bestimmung der Kaufmannseigenschaft und der daraus abgeleiteten Rechtsfolgen nutzbar gemacht wurde, z. B. Wahl und Anmeldung einer Firma, Eintragungspflicht zum Handelsregister, kaufmännische Buchführung, kaufmännische Hilfspersonen u. a. m. Zu prüfen war, inwieweit es bei den diesbezüglichen Bestimmungen des Gesetzes von 1926 bleiben konnte oder ob Entlehnungen aus ausländischen, insbesondere schweizerischen Gesetzen zweckmäßiger waren. 1. "Textrezeptionen " aus dem schweizerischen Rechtskreis
a) Der Kampf gegen den unlauteren Wettbewerb litt unter einer argen Zersplitterung der einschlägigen Vorschriften. Art.48 des Obligationengesetzes enthielt entsprechend dem früheren schweizerischen Recht nur eine Generalklausel und das HGB von 1926 lediglich Spezialvorschriften über Wettbewerbsverstöße unter Kaufleuten. Da die Gerichteaufgrund des von ihnen mißverstandenen Dualismus von Zivilrecht und Handelsrecht die Anwendung der Generalklausel des Obligationengesetzes in Handelssachen ablehnten, blieben sehr viele Wettbewerbsverstöße ungeahndet. Die Vorschriften der veralteten Verordnung über Warenzeichen waren unzureichend, die Bestimmungen der Pariser Verbandsübereinkunft über das gewerbliche Eigentum in der Haager Fassung toter Buchstabe. Deshalb erschien es zweckmäßig, das schweizerische Vorbild nachzuahmen, d. h. Art. 48 des Obligationengesetzes zu streichen, die Art. 56 - 65 des HGB von 1926 aufzuheben und an ihre Stelle das schweizerische Bundesgesetz über den unlauteren Wettbewerb vom 30.9.1943 mit einigen den besonderen türkischen Verhältnissen Rechnung tragenden Änderungen zu übernehmen 7 • b) Der Rechtszustand hinsichtlich der selbständigen und unselbständigen kaufmännischen Hilfspersonen war höchst unklar und unbefriedigend: Dienstvertrag und Auftrag waren im Obligationengesetz nach schweizerischem Vorbild geregelt; die Vorschriften über den Agenturvertrag waren im HGB zu finden und stammten aus dem früheren 7 Leider ist der Rechtsausschuß des Parlaments dem schweizerischen Vorbild nicht gefolgt, sondern hat Art.48 OR bestehen lassen mit dem Zusatz, für Wettbewerbsverstöße unter Kaufleuten seien die Vorschriften des HOB anzuwenden!
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3. Kap.: Berücksichtigung ausländ. Gesetzestexte - eine Rezeption?
italienischen HGB. Für das Kommissionsgeschäft fanden sich ausführliche Bestimmungen sowohl im Obligationengesetz nach schweizerischem Muster wie im HGB aufgrund einer Kompilation. Der rechtliche Status der Handlungsgehilfen, Handlungsreisenden, Prokuristen und sonstigen Hilfspersonen war sowohl im HGB als auch im Obligationengesetz nach unterschiedlichen Grundsätzen bestimmt. Dieses völlige Durcheinander mußte bereinigt werden: aufrechterhalten blieben die Bestimmungen des Obligationengesetzes über Prokura und Handlungvollmacht sowie über den Kommissionsvertrag. Die Bestimmungen über den Agenturvertrag dagegen wurden in Anlehnung an das italienische Zivilgesetzbuch von 1942 umgeformt und dem Entwurf als selbständiger Titel eingefügt. Dieser Rückgriff auf das italienische Recht war dadurch gerechtfertigt, daß bereits die bisherigen Bestimmungen dem italienischen Recht entnommen waren und keine Veranlassung bestand, auf ein anderes System überzugehen. Die Beibehaltung des Bestehenden erschien wichtiger als die Versuchung, die mittlerweile in der Schweiz erlassenen neuen Bestimmungen der Art. 418 a ff. OR zu übernehmen.
2. Handelsgesellschaften Die Reformen im Recht der Handelsgesellschaften werden nur verständlich, wenn man sich den früheren Zustand vergegenwärtigt. Im HGB waren die OHG, KG, AG, KGaA, Genossenschaft, GmbH und stille Gesellschaft geregelt. Ein allgemeiner Teil war den Abschnitten über die einzelnen Gesellschaftstypen vorangestellt. Aber es bestand weder zwischen dem allgemeinen Teil und den einzelnen Abschnitten noch zwischen den einzelnen Abschnitten untereinander der erforderliche Zusammenhang, weil die Vorschriften des allgemeinen Teils und diejenigen für die einzelnen Gesellschaftstypen aus ganz verschiedenen ausländischen Rechten entlehnt worden waren. Zu allem überfluß bestand auch zwischen dem Handelsgesellschaftsrecht und dem zivilrechtlichen Körperschafts- und Gesellschaftsrecht keinerlei innere Beziehung. Beruhte das aus schweizerischer Quelle stammende zivile Körperschaftsrecht auf der Theorie der realen Verbandspersönlichkeit, so war die Grundlage für die juristische Persönlichkeit der Handelsgesellschaften die Fiktionstheorie. Hafteten die zivilrechtlichen juristischen Personen für unerlaubte Handlungen ihrer Organe, so wurde dieser Grundsatz für das Recht der Handelsgesellschaften meistens abgelehnt. Trotzdem galt jede Gesellschaft, die nicht als Handelsgesellschaft oder stille Gesellschaft angesehen werden konnte, als einfache Gesellschaft im Sinne des Zivilrechts. Völlig unklar war die Rechtsnatur der sog. stillen Gesellschaft, die zugleich auch die Funktionen der Gelegenheitsgesellschaft wahrnehmen sollte. Deshalb war in der Reformliteratur
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immer wieder der Vorschlag gemacht worden, die diesbezüglichen Vorschriften des HGB durch die mittlerweile in der Schweiz revidierte 3. Abteilung des OR über die Handelsgesellschaften zu ersetzen. Dieser radikale Vorschlag entsprach aber nicht den türkischen Verhältnissen und der Rechtsentwicklung seit 1926. Man begnügte sich mit folgenden Maßnahmen: a) Die Vorschriften des bisherigen HGB über die stille Gesellschaft sind ersatzlos weggefallen, nachdem das neue HGB zum untrennbaren Teil des ZGB erklärt worden ist und die hier geregelte einfache Gesellschaft auch in der Schweiz die Funktion sowohl der stillen Gesellschaft wie der Gelegenheitsgesellschaft sowie schließlich auch der faktischen Gesellschaft in zufriedenstellender Weise erfüllt. b) Die Einrichtung eines allgemeinen Teils für das Recht der Handelsgesellschaften wurde zwar beibehalten, aber wesentlich gekürzt und von allen Vorschriften gereinigt, die nicht allgemeiner Natur sind. Die Begriffsbestimmungen für die einzelnen Gesellschaftstypen wurden an den Anfang des jeweiligen Spezialabschnittes verwiesen und in Art. 136 lediglich festgelegt, daß OHG, KG, AG, GmbH und Gen Handelsgesellschaften sind. Die Frage, ob man für die OHG und KG die Rechtspersönlichkeit beibehalten sollte oder nicht, wurde entgegen dem schweizerischen und italienischen Vorbild in positivem Sinne entschieden. Gleichwohl wurde versucht, die Vorschriften des Handelsgesellschaftsrechts mit denen des zivilrechtlichen Körperschafts- und Gesellschaftsrechts zu harmonisieren. Im Hinblick auf die Aufrechterhaltung des für AG, GmbH und Gen bisher schon maßgebend gewesenen Konzessionssystems, dessen Anwendung auch heute noch teils auf planwirtschaftlichen, teils auf polizeilichen Gesichtspunkten beruht, war eine Ausdehnung von Art. 46 türk. ZGB (= 53 schweiz. ZGB) über die grundsätzlich unbeschränkte Rechtsfähigkeit der juristischen Person auf die Handelsgesellschaften nicht vertretbar. Deshalb wurde die herrschende sog. ultra-vires-Theorie schon damals gesetzlich verankert, wonach alle Handelsgesellschaften zwar die Rechtsfähigkeit besitzen, aber nur innerhalb des im Gesellschaftsvertrag bestimmten Gegenstands des Unternehmens. Diese durch wirtschaftspolitische Erwägungen bedingte Einschränkung der Rechtsfähigkeit hat nichts mit der Fiktionstheorie zu tun. Infolgedessen wird in Art. 138 ausdrücklich bestimmt, daß unter Vorbehalt der Sondervorschriften eines jeden Gesellschaftstyps die Vorschriften des ZGB (betr. den Erwerb der Rechtspersönlichkeit, über Handlungsfähigkeit und Haftung der Organe und über den Sitz der juristischen Personen) wie auch die Vorschriften des Obligationengesetzes über die einfache Gesellschaft, soweit sie auf den einzelnen Typ passen, auch auf Handelsgesellschaften entsprechend anwendbar sind.
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3. Kap.: Berücksichtigung ausländ. Gesetzestexte - eine Rezeption?
c) In dem früheren HGB war die GmbH völlig unzureichend geregelt. Da zur Gründung einer derartigen Gesellschaft die Genehmigung des Wirtschafts- und Handelsministeriums erforderlich war, benutzte man bei der Gründung das Musterstatut dieses Ministeriums, das faktisch die gesetzlichen Bestimmungen außer Kraft gesetzt hatte. Da dieses Musterstatut unter sehr starkem Einfluß des schweizerischen Rechts ausgearbeitet worden war und im Hinblick auf die Harmonisierung mit dem Zivilrecht bei der Reform des HGB weitere Anleihen beim schweizerischen Recht nur vorteilhaft sein konnten, rezipierte man die Art. 772 - 827 des 1936 revidierten schweizerischen OR. Allerdings ist diese Rezeption nicht wortwörtlich erfolgt. Man mußte vielmehr den besonderen türkischen Verhältnissen Rechnung tragen und gewisse Einzelfragen in einer vom schweizerischen Recht abweichenden Weise regeln. Hierzu nur einige Beispiele: Während nach dem bisherigen Recht und nach dem Regierungsentwurf der Gegenstand einer GmbH wirtschaftlich oder nichtwirtschaftlich sein konnte, hat der Rechtsausschuß durch Verweisung auf die entsprechende aktienrechtliche Vorschrift des Art. 271 dafür Sorge getragen, daß die GmbH nicht mehr für jeden Zweck zur Verfügung steht, sondern nur noch für wirtschaftliche Zwecke gegründet werden kann. Ausgenommen ist zudem entsprechend dem früheren Rechtszustand die Gründung einer GmbH für Versicherungsgeschäfte. Für die Gründung der Gesellschaft ist nach wie vor eine Konzession durch das Wirtschafts- und Handelsministerium erforderlich. Für die Gesellschafterversammlung gelten, wenn die Zahl der Gesellschafter höher als zwanzig ist, die entsprechenden Vorschriften über die Hauptversammlung der AG. Bei Gesellschaften mit zwanzig oder weniger Mitgliedern können Beschlüsse auch auf schriftlichem Wege im Umlaufverfahren gefaßt werden. In beiden Fällen sind Beschlüsse nur wirksam, wenn sie von Gesellschaftern gef'aßt werden, die mindestens die absolute Mehrheit des eingezahlten Stammkapitals vertreten. Je 500 türkische Pfund eines Geschäftsanteils geben eine Stimme. Jedoch kann kein Gesellschafter mehr als ein Drittel der Gesamtzahl aller Stimmen haben. Abgesehen hiervon kann das Stimmrecht durch Vertrag nicht ausgeschlossen werden. d) Obwohl der Ausdruck "Wertpapiere" sowohl im ZGB wie im OG sehr oft verwandt wird, fehlte früher eine gesetzliche Begriffsbestimmung. Außerdem berührten die gesetzlichen Vorschriften nur Einzelfragen, so daß ein allgemeiner Teil des Wertpapierrechts mangelte. Dies war um so lästiger, als die Vorschriften des HGB übel' Wechsel und Scheck, Lagerschein und Ladeschein, Aktie und Schuldverschreibung weder untereinander noch mit den wertpapierrechtlichen Vorschriften des Zivilrechts harmonisierten. Eine Zusammenfassung des gesamten Wertpapierrechts nach einheitlichen Gesichtspunkten war
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somit unumgänglich. Zu diesem Zweck wurde die fünfte Abteilung des 1936 revidierten schweizerischen OR über die Wertpapiere übernommen. Zwar ist man auch hier manchmal vom Original abgewichen, aber diese Abweichungen sind größtenteils unerheblich. Interessant ist nur die dem deutschen Recht entsprechende Ergänzung des Art. 694 (= 1102 schweiz. OR), wonach ein in der Türkei zahlbarer, aber nicht auf eine Bank gezogener Scheck keine Schecksteuerfreiheit genießt, was bisher mangels einer entsprechenden Bestimmung im Wechselsteuergesetz möglich war und dazu führte, daß Wertpapiere, welche die Funktion eines Wechsels zu erfüllen hatten, aus Steuerersparnisgründen als Scheck ausgeschrieben wurden. Von der Schweiz nicht übernommen wurden die Abschnitte über die Warenpapiere und Anleiheobligationen (Art. 1153 - 1182 schweiz. OR). Der Grund hierfür war, daß die von den Aktiengesellschaften ausgegebenen Anleiheobligationen wie im früheren Recht im Abschnitt über das Aktienrecht g