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German Pages 266 Year 2023
Abhandlungen zum deutschen und internationalen Arbeits- und Sozialrecht Band 13
Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld am Beispiel der Überstunde
Von
Julia Breucker
Duncker & Humblot · Berlin
JULIA BREUCKER
Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld am Beispiel der Überstunde
Abhandlungen zum deutschen und internationalen Arbeits- und Sozialrecht Band 13
Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld am Beispiel der Überstunde
Von
Julia Breucker
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Ruhr-Universität Bochum hat diese Arbeit im Jahre 2022 als Dissertation angenommen.
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ISSN 2747-9021 ISBN 978-3-428-18936-6 (Print) ISBN 978-3-428-58936-4 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2021/2022 von der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen. Gesetzgebung, Literatur und Rechtsprechung wurden bis Februar 2022 berücksichtigt. Im Laufe der Arbeit habe ich viel Unterstützung aus meinem beruflichen und privaten Umfeld erfahren, für die ich mich bedanken möchte. Zunächst danke ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Jacob Joussen, für die umfassende Unterstützung meines Vorhabens. Zudem danke ich Herrn Prof. Dr. Matteo Fornasier für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens sowie Herrn Prof. Dr. Arndt Kiehnle für sein Mitwirken in der Prüfungskommission. Darüber hinaus gilt mein Dank den Mitarbeiter*innen des Lehrstuhls von Prof. Dr. Jacob Joussen für ihre bemerkenswerte Hilfsbereitschaft und die wertvollen Impulse, die ich aus gemeinsamen Gesprächen ziehen konnte. Bedanken möchte ich mich auch bei Dr. Stephan Seiwerth, der durch seine Anregungen vor allem den Beginn der Arbeit maßgeblich gefördert hat. Weiterer Dank gebührt der Kanzlei SOH aus Essen für die Aufnahme in ihr Promotionsstipendium und die Gewährung des Druckkostenzuschusses. Zuletzt möchte ich bei meiner Familie bedanken, allen voran bei meinen Eltern, die mich von Anfang an ermutigt haben, dieses Projekt zu wagen. Gemeinsam mit meinem Mann, dem ebenfalls besonderer Dank gilt, haben sie mich stets bedingungslos unterstützt. Essen, im Mai 2023
Julia Breucker
Inhaltsübersicht Kapitel 1 Einleitung
15
A. Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
Kapitel 2 Die Arbeitszeit im Wandel
19
A. Der Begriff der Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 B. Die Flexibilisierung der Arbeitszeit als Folge von Arbeit 4.0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
Kapitel 3 Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
81
A. Die Unterscheidung zwischen absoluten und relativen Fixgeschäften . . . . . . . . . . . . . 82 B. Die Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . 93 C. Konsequenzen aus der Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
Kapitel 4 Die Überstunde
159
A. Der Begriff der Überstunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 B. Die Überstunde als Anwendungsfall der veränderten Arbeitszeitdogmatik . . . . . . . . . 211 C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
8
Inhaltsübersicht Kapitel 5 Zusammenfassung der Ergebnisse der Arbeit
226
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Personen- und Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 Einleitung
15
A. Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
Kapitel 2 Die Arbeitszeit im Wandel
19
A. Der Begriff der Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 I. Das Gesetz als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1. Art. 2 Nr. 1 ArbZ-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 a) Kumulative Auslegung des Art. 2 Nr. 1 ArbZ-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 b) Definition der drei Merkmale des Art. 2 Nr. 1 ArbZ-RL . . . . . . . . . . . . . . . . 25 c) Anwendung der Merkmale des Art. 2 Nr. 1 ArbZ-RL durch den EuGH . . . . 27 d) Die Ruhezeit als Gegenbegriff zur Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2. § 2 Abs. 1 ArbZG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 II. Begriff der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1. Historische Entwicklung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2. Anlehnung an den physikalischen Arbeitsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3. Berücksichtigung der sozialen Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 a) Zweckgerichtetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 b) § 611a BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 c) Fremdnützigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 4. Untätigkeit des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 a) Zur-Verfügung-Stellen der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer . . . . . . 43 b) Zur-Verfügung-Stehen des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 III. Ablehnung der herkömmlichen Bildung des Arbeitszeitbegriffs . . . . . . . . . . . . . . 47 1. Einheitlicher Arbeitszeitbegriff anstatt Aufspaltung des Arbeitszeitbegriffs . . . 47 a) Herkömmliche Aufspaltung des Arbeitszeitbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 aa) Arbeitsschutzrechtlicher Arbeitszeitbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 bb) Vergütungsrechtlicher Arbeitszeitbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
10
Inhaltsverzeichnis cc) Mitbestimmungsrechtlicher Arbeitszeitbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 b) Einheitlicher Arbeitszeitbegriff für das gesamte Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . 51 aa) Methodisch angreifbare Definitionsbestimmung durch die herkömmliche Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 bb) Künstliche Differenzierung durch Aufspaltung des Arbeitszeitbegriffs 52 cc) Anknüpfung an den Begriff der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 dd) Unterscheidung erst auf der Ebene der Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . 55 (1) Arbeitsschutzrechtlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 (2) Vergütungsrechtlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 (3) Mitbestimmungsrechtlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2. Kein Abstellen auf die Belastung des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 a) Inkonsequente Anwendung der Belastungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 b) Unionsrechtswidrigkeit der Belastungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 aa) Belastung als nicht hinreichend objektives Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . 61 bb) Unionsrechtswidriges Abstellen auf die Intensität der Arbeit durch das Kriterium der Belastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 3. Konkrete Einzelfallsubsumtion anstatt starren Abstellens auf Begrifflichkeiten
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IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 B. Die Flexibilisierung der Arbeitszeit als Folge von Arbeit 4.0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 I. Definition der Arbeitszeitflexibilisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 II. Einfluss von Arbeit 4.0 auf die Arbeitszeitgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
Kapitel 3 Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
81
A. Die Unterscheidung zwischen absoluten und relativen Fixgeschäften . . . . . . . . . . . . . 82 I. Der enge Leistungsbegriff des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 II. Absolutes Fixgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 III. Relatives Fixgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 IV. Abgrenzung anhand der Frage der Nachholbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 B. Die Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . 93 I. Das Dogma der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 II. Ablehnung der herkömmlichen Begründungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 1. Dauerschuldcharakter des Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 2. Rückgriff auf § 615 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 3. Vergänglicher Wert der Arbeitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 4. Rechtliche Unmöglichkeit durch Arbeitszeitbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . 105 5. Konkludente Abbedingung der Nachleistungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
Inhaltsverzeichnis
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6. Arbeitsrechtliches Schutzprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 a) Arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 b) Unzumutbarkeit für Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 c) Nachteile bei kündigungsschutzrechtlicher Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 7. Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 8. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 C. Konsequenzen aus der Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 I. Auswirkungen auf den Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . 115 1. Grundsätzliche Einordnung der Arbeitsleistung als relative Fixschuld . . . . . . . 115 2. Auswirkungen der Arbeitszeitflexibilisierung auf den Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 a) Beschränkung auf Arbeitszeitmodelle mit Zeitsouveränität für den Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 b) Gleitzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 aa) Definition der Gleitzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 bb) Arbeitszeitsouveränität bei der Gleitzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 cc) Auswirkungen der Gleitzeit auf den Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 (1) Gleitzeit mit Kernarbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 (a) Situation innerhalb der Kernarbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 (b) Situation innerhalb der Gleitzeitspannen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 (2) Kernlose Gleitzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 c) Vertrauensarbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 aa) Definition der Vertrauensarbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 (1) Eigenverantwortliche Bestimmung der Arbeitszeit durch den Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 (2) Arbeitgeberseitiger Verzicht auf Arbeitszeitaufzeichnungen . . . . . . 133 (3) Abschied von der Präsenzkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 (4) Unterschied zur kernlosen Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 bb) Auswirkungen der Vertrauensarbeitszeit auf den Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 II. Auswirkungen auf die Rechtsfolgen bei Nichtleistung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . 140 1. Pflicht zur Nachholung der ausgefallenen Arbeitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 2. Ausnahmen von der Nacharbeitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 a) § 615 S. 1 a. E. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 b) Entgeltfortzahlungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 c) Lohnersatzleistungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 d) Sonstige zeitweilige Erfüllungshindernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
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Inhaltsverzeichnis e) Vertraglicher Ausschluss der Nacharbeitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 f) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 3. Nacharbeitsrecht des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 4. Teilrücktritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 5. Nacharbeitszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 III. Auswirkungen auf die Lage der Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
Kapitel 4 Die Überstunde
159
A. Der Begriff der Überstunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 I. Rechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 1. Keine Legaldefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 2. Kollektivrechtliche Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3. Arbeitsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 4. Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 II. Uneinheitliche Begriffsbildung in Literatur und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . 163 III. Eigene Bestimmung des Begriffs der Überstunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 1. Überobligatorische Arbeitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 a) Quantitative Bestimmung der überobligatorischen Arbeitsleistung . . . . . . . . 166 b) Maßgebliche Arbeitszeit für die Bestimmung der überobligatorischen Arbeitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 aa) Mögliche Anknüpfungspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (1) Gesetzliche Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (2) Kollektiv geltende Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 (3) Individuelle Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 (4) Betriebsübliche Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 bb) Relevanz der Frage nach dem maßgeblichen Anknüpfungspunkt . . . . . . 172 cc) Individuelle Arbeitszeit als maßgeblicher Anknüpfungspunkt . . . . . . . . 173 2. Veranlassung durch den Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 a) Anordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 aa) Anordnungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 bb) Grenzen einer Anordnung im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 cc) Rechtsfolgen einer unzulässigen oder unwirksamen Anordnung . . . . . . 186 b) Billigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 c) Duldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 d) Bezug zum Arbeitszeitbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
Inhaltsverzeichnis
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3. Merkmal der Unregelmäßigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 a) Merkmal der Unregelmäßigkeit bei §§ 4 Abs. 1a S. 1 EFZG, 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 aa) § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 (1) Vereinbarte Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 (2) Tatsächlich praktizierte Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 (a) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 (b) Einzelfallgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 (c) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 bb) § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 b) Keine Allgemeingültigkeit des Merkmals der Unregelmäßigkeit . . . . . . . . . 204 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 IV. Abgrenzung zu Überarbeit und Mehrarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 1. Begriff der Mehrarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 2. Begriff der Überarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 B. Die Überstunde als Anwendungsfall der veränderten Arbeitszeitdogmatik . . . . . . . . . 211 I. Transitorische Überstunden als Vorholung der Arbeitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . 213 1. Definition der transitorischen Überstunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 2. Transitorische Überstunden als Anwendungsfall der veränderten Arbeitszeitdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 II. Definitive Überstunden als zusätzliche Arbeitsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 1. Definition der definitiven Überstunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 2. Definitive Überstunden als Anwendungsfall der veränderten Arbeitszeitdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 III. Die Nachholung der Arbeitsleistung im Kontext der Überstunde . . . . . . . . . . . . . . 221 1. Unterstunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 2. Minusstunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
Kapitel 5 Zusammenfassung der Ergebnisse der Arbeit
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Personen- und Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
Kapitel 1
Einleitung „Zeit ist Geld“: Dieser Satz Benjamin Franklins, einem der Gründungsväter der USA, den dieser in seinem Buch „Ratschläge für junge Kaufleute“ niederschrieb1 und der sich seitdem großer Popularität erfreut,2 bringt zum Ausdruck, dass die Zeit so wertvoll ist wie Geld, ihr also ein gewisser Geldwert zukommt.3 Dieser Geldwert der Zeit drückt sich in der Arbeitswelt dadurch aus, dass Arbeitnehmer eine Vergütung für geleistete Arbeitszeit erhalten. Der Zeit kommt aber aus der Perspektive eines Arbeitnehmers4 nicht nur ein Geldwert, sondern auch ein Freizeit- und Erholungswert zu.5 Arbeitnehmer haben ein Interesse daran, nicht sämtliche ihnen zur Verfügung stehende Zeit für Arbeit aufzuwenden, sondern gewisse Zeitkontingente zur freien Gestaltung beizubehalten. Aufgrund dieses Wechselspiels von Geldwert einerseits und Freizeit- und Erholungswert andererseits steht der Faktor Zeit als „Strukturmerkmal des Arbeitsverhältnisses“6 seit jeher im Zentrum des Arbeitsrechts.7 Die Bedeutung der Zeit im Arbeitsrecht wird aber vor allem in letzter Zeit aufgrund der zunehmenden Flexibilisierungstendenzen in der Arbeitswelt noch einmal größer. Diese Flexibilisierungstendenzen stellen zum Teil althergebrachte Grundsätze im Bereich der Arbeitszeit in Frage. Bei der Beschäftigung mit dem Thema der Arbeitszeit spielen zwei unterschiedliche Dimensionen der Arbeitszeit eine Rolle: Die Arbeitszeit betrifft zum einen die Frage, wie lange ein Arbeitnehmer arbeiten muss – in diesem Fall geht es um die Dauer der Arbeitszeit. Zum anderen geht es um die Frage, zu welchen
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Labaree/Bell, The papers of Benjamin Franklin III, S. 306. So wurde dieses Sprichwort sogar als das „Stichwort des neunzehnten Jahrhunderts“ bezeichnet, vgl. Rachel, Globus 1868, 210. 3 Kock, DB 2021, 1135; https://www.wortbedeutung.info/Zeit_ist_Geld/ (zuletzt abgerufen am 25. 02. 2022). 4 Zur Erleichterung des Leseflusses wird in dieser Dissertation das generische Maskulinum verwendet. Die Ausführungen betreffen jedoch alle Geschlechter gleichermaßen. 5 Kock, DB 2021, 1135. 6 Gast, BB 1998, 2634. 7 Vgl. Bernhardt/Thüsing/Voelzke u. a., jM 2020, 46 (47), wonach das Arbeitszeitrecht im Zentrum des Arbeitsrechts stehe und Söllner, AuR 1967, 353 (357), der der Zeit im Arbeitsverhältnis eine größere Rolle zuspricht als in anderen Rechtsverhältnissen. 2
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Kap. 1: Einleitung
Zeitpunkten ein Arbeitnehmer Arbeitszeit leistet – hier ist die Lage der Arbeitszeit betroffen.8 Die vorliegende Arbeit setzt sich mit verschiedenen Rechtsfragen hinsichtlich der Dauer und der Lage der Arbeitszeit auseinander. Dazu erfolgt zunächst eine Auseinandersetzung mit den Grundbegriffen der Arbeit, insbesondere dem Begriff der Arbeitszeit (Kapitel 2). Sodann wird die Frage nach der im Arbeitsverhältnis geltenden Arbeitszeitdogmatik untersucht (Kapitel 3). Zuletzt werden die Ergebnisse dieser Untersuchung anhand des Phänomens der Überstunde auf ihre Praxistauglichkeit überprüft (Kapitel 4). Im Rahmen der gesamten Arbeit wird immer wieder ein Bezug zu den flexiblen Arbeitszeitgestaltungen in der heutigen Arbeitswelt hergestellt.
A. Untersuchungsgegenstand Das Thema der Arbeitszeit wird in der vorliegenden Arbeit primär anhand der Frage nach der dem Arbeitsverhältnis zugrundeliegenden Arbeitszeitdogmatik behandelt. Nach der bisher herrschenden Meinung soll im Arbeitsverhältnis das sogenannte Dogma der absoluten Fixschuld gelten, das heißt, die Arbeitsleistung wird mangels Nachholbarkeit zu einem anderen Termin als absolute Fixschuld angesehen mit der Folge, dass bei einer Nichtleistung der Arbeit Unmöglichkeit der Arbeitsleistung nach § 275 Abs. 1 Alt. 2 BGB eintritt, ohne dass eine Abgrenzung zur bloßen Leistungsverzögerung vorgenommen werden muss. Die Frage nach der im Arbeitsverhältnis geltenden Arbeitszeitdogmatik betrifft die Lage der Arbeitszeit. Im Rahmen dieser Arbeit erfolgt eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Dogma der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht. Dass eine solche lohnenswert ist, zeigt sich anhand der in letzter Zeit aufgrund der verstärkten Verbreitung flexibler Arbeitszeitgestaltungen in der heutigen Arbeitswelt aufkommenden, an dem Dogma der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht zweifelnden Stimmen.9 Die Ausführungen im Rahmen dieser Arbeit beschränken sich jedoch nicht auf die Auswirkungen flexibler Arbeitszeitgestaltungen auf das Dogma der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht. Vielmehr wird das Dogma der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht einer grundsätzlichen Analyse hinsichtlich seiner Berechtigung unterworfen. Hierzu
8 Zum Teil auch als Termin der Arbeitszeit oder als Verteilung der Arbeitszeit bezeichnet, vgl. Reichold, in: MHA, § 40, Rn. 65, 101; ErfK/Roloff, § 3 ArbZG, Rn. 13; Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 18. 9 Gerhartsreiter, Arbeitszeitkonten, S. 337; Erman/Edenfeld, § 611 BGB, Rn. 333; BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB, Rn. 408; HWK/Krause, § 615 BGB, Rn. 8; Linck, in: Schaub, § 49, Rn. 5; Lindemann, AuR 2002, 81 (82); ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 677; BeckOGK/Riehm, § 275 BGB, Rn. 108; MüKo-BGB/Spinner, § 611a BGB, Rn. 10; Stoffels, Vertragsbruch, S. 110; Wank, Arbeitnehmer und Selbstständige, S. 70.
A. Untersuchungsgegenstand
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werden die verschiedenen Begründungsstrategien der herrschenden Meinung kritisch durchleuchtet. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Dogma der absoluten Fixschuld erfordert zudem eine Untersuchung der Konsequenzen, die eine Ablehnung des Dogmas mit sich bringt. Dabei wird zunächst auf die Frage eingegangen, welche Arbeitszeitdogmatik bei Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld gilt, das heißt, ob der Arbeitsleistung dennoch Fixschuldcharakter zukommt, oder ob eine Einordnung der Arbeitsleistung als Fixschuld gänzlich abzulehnen ist. Die Beantwortung dieser Frage erfolgt auch unter dem Blickwinkel möglicher Auswirkungen flexibler Arbeitszeitmodelle auf den Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung. Zu den zu untersuchenden Konsequenzen der Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht gehören zudem die Rechtsfolgen einer Nichtleistung der Arbeit. Diese wurden nämlich bisher fast immer nur unter Zugrundelegung des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht untersucht.10 Zuletzt werden die Auswirkungen der veränderten Arbeitszeitdogmatik auf die Lage der Arbeitszeit dargestellt. Sekundärer Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit ist das in der Praxis sehr bedeutsame Phänomen der Überstunde. Die Überstunde betrifft primär die Dauer der Arbeitszeit. Da allerdings jede Veränderung der Dauer der Arbeitszeit zwangsläufig auch eine Veränderung der Lage der Arbeitszeit bedeutet, hat die Erbringung von Überstunden auch einen Einfluss auf die Frage, zu welchen Zeiten ein Arbeitnehmer seine Arbeitszeit erbringt, mithin auf die Lage der Arbeitszeit. Im Rahmen der Untersuchung der Überstunde erfolgt unter Auseinandersetzung mit den verschiedenen in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Ansätzen eine eingehende Bestimmung des Begriffs der Überstunde. Im Rahmen dieser Begriffsbestimmung werden die von Literatur und Rechtsprechung geforderten unterschiedlichen Merkmale des Überstundenbegriffs überprüft. Ziel ist es, einen einheitlichen Begriff der Überstunde zu definieren. Zudem werden anhand des Überstundenbegriffs die Ergebnisse der Untersuchung der im Arbeitsverhältnis geltenden Arbeitszeitdogmatik auf ihre Praxistauglichkeit überprüft. Dabei wird erläutert, dass die Überstunde letztlich ein Anwendungsfall der veränderten Arbeitszeitdogmatik darstellt. Im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Überstundenbegriff wird lediglich auf die Lage eingegangen, wie sie sich aus dem Gesetz ergibt. (Kollektiv- und individual)vertragliche Bestimmungen des Überstundenbegriffs werden hingegen nicht berücksichtigt.
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Hellfeier, Leistungszeit, S. 79.
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Kap. 1: Einleitung
B. Gang der Untersuchung Die Darstellung der soeben dargestellten Untersuchungsgegenstände erfolgt anhand von vier Kapiteln: In Kapitel 2 wird zunächst der Begriff der Arbeitszeit als Schlüsselbegriff für die weiteren Ausführungen definiert (Kapitel 2, A.). Dabei wird kritisch hinterfragt, ob die bisherige Aufspaltung des Arbeitszeitbegriffs durch Rechtsprechung und Literatur zugunsten einer einheitlichen Bestimmung für das gesamte Arbeitsrecht zu verwerfen ist. Zudem wird aufgezeigt, wie sich die Gestaltung der Arbeitszeiten des Arbeitnehmers durch die in der Arbeitswelt 4.0 vorherrschenden flexiblen Arbeitszeitmodelle verändert (Kapitel 2, B.). Das dritte Kapitel widmet sich der Untersuchung der im Arbeitsverhältnis geltenden Arbeitszeitdogmatik. Dazu erfolgt zunächst eine Darstellung von absoluten und relativen Fixgeschäften (Kapitel 3, A.). Sodann wird das bisher unangefochten geltende Dogma der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht kritisch in den Blick genommen (Kapitel 3, B.). Ausgehend davon werden die Konsequenzen aus der Ablehnung dieses Dogmas dargestellt (Kapitel 3, C.). Hierbei wird zunächst auf die Frage eingegangen, wie die Arbeitsschuld bei Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht zu charakterisieren ist. Sodann werden die Auswirkungen der veränderten Arbeitszeitdogmatik auf die Rechtsfolgen der Nichtleistung der Arbeit sowie auf die Lage der Arbeitszeit dargestellt. Kapitel 4 widmet sich der Anwendung der bisherigen Ergebnisse zu der Veränderung der Arbeitszeitdogmatik auf das praktisch relevante Phänomen der Überstunde. Dabei wird zunächst der Begriff der Überstunde unter kritischer Auseinandersetzung mit der in der Literatur und Rechtsprechung geforderten Merkmale eingehend bestimmt (Kapitel 4, A.). Sodann wird die Relevanz der im Arbeitsverhältnis geltenden Arbeitszeitdogmatik für den Komplex der Überstunde dargestellt. Dabei wird herausgearbeitet, dass die Überstunde einen Anwendungsfall der veränderten Arbeitszeitdogmatik darstellt (Kapitel 4, B.). Den Abschluss der Arbeit bildet eine in Thesen formulierte Zusammenstellung der Forschungsergebnisse in Kapitel 5.
Kapitel 2
Die Arbeitszeit im Wandel Der Begriff der Arbeitszeit ist einer der zentralen Begriffe des Arbeitsrechts.1 Er ist sowohl im öffentlich-rechtlichen Arbeitszeitrecht als auch für das Austauschverhältnis der Arbeitsvertragsparteien relevant.2 Die Arbeitszeit steht dabei in einem ständigen Spannungsverhältnis zwischen dem Geldwert der Zeit einerseits und dem Freizeit- und Erholungswert andererseits. Auf der einen Seite steht mit dem Interesse der Arbeitnehmer, die Arbeitszeit, die zu einer Verkürzung ihrer begrenzten Lebenszeit führt,3 möglichst zu limitieren, um so ausreichend Zeit für ihre sonstigen Interessen zu haben, der Freizeit- und Erholungswert der Zeit. Auf der anderen Seite ist der Arbeitgeber an einer optimalen Nutzung der ihm zur Verfügung stehenden Arbeitszeit, die für ihn maßgeblich einen ökonomischen Faktor darstellt, interessiert.4 In diesem Interesse des Arbeitgebers zeigt sich der Geldwert der Zeit. Unter anderem aufgrund dieses Spannungsverhältnisses spielt das Thema Arbeitszeit für das Arbeitsverhältnis in der betrieblichen Praxis – und wegen der regelmäßig dadurch entstehenden Streitigkeiten auch in der Rechtsprechung und juristischen Literatur – eine große Rolle.5 Die Bestimmung des Arbeitszeitbegriffs hat zudem aufgrund der Flexibilisierungstendenzen im Arbeitsrecht noch einmal an Bedeutung gewonnen,6 was sich vor allem an den zahlreichen in den letzten Jahren veröffentlichten Beiträgen zu dem Thema7 zeigt. 1 Stöckel/Wulff, AiB 2011, 731; vgl. auch Bernhardt/Thüsing/Voelzke u. a., jM 2020, 46 (47); Gast, BB 1998, 2634; Söllner, AuR 1967, 353 (357); hierzu bereits Fn. 6, 7. 2 Hahn, Flexible Arbeitszeit I, S. 45. 3 Maurer, Zweckrationalisierung, S. 123; Weuthen, Bereitschaftsdienst, S. 17. 4 Weuthen, Bereitschaftsdienst, S. 17. 5 Vgl. hierzu Niklas, ArbRB 2019, 275 (278) und Freyler, Arbeitszeit- und Urlaubsrecht, S. 78, die die Frage, „welche Formen von Zeitaufwendung“ der Begriff der Arbeitszeit erfasst, als Gegenstand zahlreicher Urteile und wissenschaftlicher Abhandlungen ausmacht. 6 So auch BT-Drs. 15/279, S. 73, wonach die Diskussion um die Arbeitszeitgestaltung heutzutage wesentlich von der Flexibilisierung geprägt sei und Jacobs, NZA 2016, 733 (735), der eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Arbeitszeit bei der Beschäftigung mit dem Thema der Flexibilisierung im Bereich des Arbeitsrechts für notwendig hält; auch ErfK/ Roloff, § 2 ArbZG, Rn. 1 misst der Abgrenzung von Arbeitszeit und Ruhezeit in Zeiten der immer stärkeren Verbreitung von mobiler Arbeit und Homeoffice eine erhebliche Bedeutung zu. 7 Vgl. z. B. zu der arbeitszeitrechtlichen Einordnung der ständigen Erreichbarkeit des Arbeitnehmers Bissels/Domke/Wisskirchen, DB 2010, 2052 ff.; Jacobs, NZA 2016, 733 (735 f.); Krause, NZA-Beil. 2017, 53 (56 f.); ders., NZA-Beil. 2019, 86 (90 f.); Preis, VSSAR 2019,
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Kap. 2: Die Arbeitszeit im Wandel
In diesem Kapitel wird daher zunächst der Begriff der Arbeitszeit definiert (A.). Sodann wird darauf eingegangen, welche Folgen die Entwicklungen der modernen Arbeitswelt auf die Arbeitszeitgestaltung hatten und haben (B.).
A. Der Begriff der Arbeitszeit Im Arbeitsverhältnis ist die Zeit das Maß der vom Arbeitnehmer geschuldeten Leistung,8 das heißt, der Wert einer Arbeitsleistung des Arbeitnehmers wird am Umfang der für die Leistung verbrauchten Zeit gemessen.9 Diese verbrauchte Zeit gehört als Arbeitszeit zu den essentialia negotii des Arbeitsvertrags.10 Dabei ist zu beachten, dass ein Arbeitsverhältnis aufgrund seiner Eigenschaft als Dauerschuldverhältnis nicht in einem Zeitpunkt, sondern in einer Zeitspanne erfüllt wird.11 Während aber in anderen Dauerschuldverhältnissen die vertraglich geschuldete Hauptleistung zumeist kontinuierlich erbracht wird – so zum Beispiel im Mietverhältnis, in dem der Vermieter dem Mieter den Gebrauch der Mietsache ohne Unterbrechung zu gewähren hat12 –, wechseln sich bei einem Arbeitsverhältnis Zeiten des Bestehens der Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers mit Zeiten des Nichtbestehens einer solchen ab.13 Die Arbeitsleistung wird nicht permanent und konstant vom Arbeitnehmer erbracht, sondern lediglich zu den (individual- oder kollektivrechtlich) vereinbarten Zeiten.14 Daher ist eine genaue Abgrenzung zwischen Arbeitszeit und Freizeit notwendig, um bestimmen zu können, ob der Arbeitnehmer seine geschuldete Leistung erbracht hat. Bei dieser Abgrenzung ist zunächst vom Gesetz, das heißt Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 04. 11. 2003 (im Folgenden: ArbZ-RL) und § 2 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz (im Folgenden: ArbZG), auszugehen (I.). Dabei ist festzustellen, dass der Regelungsgegenstand „Arbeitszeit“ durch diese Regelungen zu ungenau erfasst ist, sodass eine davon unabhängige Begriffsbildung erforderlich ist. Diese kann in Anlehnung an den Begriff der Arbeit erfolgen (II.). Zuletzt wird aufgezeigt, warum die herkömmliche Begriffsbildung 267 (291 f.); Reinhard, NZA 2019, 1313 (1317 f.); Sagan, NJW 2018, 1076; Schlegel, NZABeil. 2014, 16 (19 ff.); Schuchart, in: Neue Arbeitswelt, S. 175 ff.; Ulber, in: Preis/Sagan, § 7, Rn. 127 f. 8 Heinrich, Jura 1996, 235 (236); ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 641; Söllner, AuR 1967, 353 (357). 9 Kreft, Arbeitszeitdauerregulierungen, S. 16. 10 Franzen, RdA 2014, 1 (4); Reichold, in: MHA, § 40, Rn. 63; vgl. auch § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 NachwG. 11 Franzen, RdA 2014, 1 f.; Söllner, AuR 1967, 353 (357). 12 Beispiel von Söllner, AuR 1967, 353 (357); ders., ArbR, S. 224. 13 Franzen, RdA 2014, 1 (2); Sommer, Nichterfüllung, S. 111; so auch Fechner, Arbeitsbereitschaft, S. 3, der von einem „Wechsel von Tätigkeit und Ruhe“ spricht. 14 Hellfeier, Leistungszeit, S. 111.
A. Der Begriff der Arbeitszeit
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zugunsten eines solchen an den Begriff der Arbeit angelehnten Begriffs der Arbeitszeit abzulehnen ist (III.).
I. Das Gesetz als Ausgangspunkt Zunächst ist festzuhalten, dass das Arbeitszeitrecht sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene geregelt ist.15 Sowohl Art. 2 Nr. 1 ArbZ-RL als auch § 2 Abs. 1 ArbZG beziehen sich auf den Begriff der Arbeitszeit. 1. Art. 2 Nr. 1 ArbZ-RL Der unionsrechtliche Arbeitszeitbegriff, der sich auf Art. 2 Nr. 1 der ArbZ-RL stützt, stellt einen autonomen Begriff des Unionsrechts dar,16 der unabhängig von nationalen Vorschriften der Mitgliedstaaten nach Maßgabe der ArbZ-RL auszulegen ist.17 Daher können die Mitgliedstaaten weder selbst definieren, was Arbeitszeit im Sinne der ArbZ-RL ist, noch die Reichweite der Regeln, die an diesen Arbeitszeitbegriff anknüpfen, selbst festlegen.18 Allerdings bezieht sich die Richtlinie nur auf das öffentlich-rechtliche Arbeitszeitrecht, sodass sie keine Regelungen zu vergütungsrechtlichen Fragen in Bezug auf die Arbeitszeit enthält.19
15
Witschen, Rahmenvorgaben, S. 37. EuGH, Urt. v. 09. 09. 2003, C-151/02 (Jaeger), ECLI:EU:C:2003:437, AP BGB § 611 Arbeitszeit Nr. 31 (Rn. 58); Urt. v. 01. 12. 2005, C-14/04 (Dellas), ECLI:EU:C:2005:728, AP Richtlinie 93/104/EG Nr. 1 (Rn. 44); Baeck/Deutsch/Winzer, § 2, Rn. 3; Buschmann, FS Düwell, S. 34 (46 f.); Franzen, ZESAR 2015, 407 (411); Freyler, Arbeitszeit- und Urlaubsrecht, S. 82; EU-ArbR/Gallner, Art. 2 RL 2003/88/EG, Rn. 1; Greif, EuZA 2016, 337 (339); Junker, in: G/J/R, S. 99 (109); Preis, VSSAR 2019, 267 (270); Preis/Temming, Rn. 1111; Ulber, in: Preis/Sagan, § 7, Rn. 98; EAS/Wank, RL 93/104/EG Art. 2 Nr. 2 Ziff. I 2; ders., RdA 2014, 285; Witschen, Rahmenvorgaben, S. 49; als Argument für ein solches autonomes Verständnis des unionsrechtlichen Arbeitszeitbegriffs nennt Krause, NZA-Beil. 2019, 86 (88) vor allem, dass Art. 2 ArbZ-RL nicht zu den Vorschriften gehöre, von denen nach Art. 17 ff. ArbZ-RL abgewichen werden dürfe. Zudem würde ansonsten das Ziel der Richtlinie, den Arbeitnehmern einen effektiven Gesundheitsschutz zu verschaffen, unterlaufen werden, wenn die Mitgliedsstaaten den Arbeitszeitbegriff nach ihren eigenen Vorstellungen einschränken könnten. Zuletzt wäre auch die Wettbewerbsgleichheit zwischen den Mitgliedsstaaten beeinträchtigt. 17 EuGH, Urt. v. 09. 09. 2003, C-151/02 (Jaeger), ECLI:EU:C:2003:437, AP BGB § 611 Arbeitszeit Nr. 31 (Rn. 59); Urt. v. 09. 03. 2021, C-344/19 (Radiotelevizija Slovenija), ECLI: EU:C:2021:182, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 37 (Rn. 30); Greif, EuZA 2016, 337 (339); Ulber, in: Preis/Sagan, § 7, Rn. 98; Witschen, Rahmenvorgaben, S. 49. 18 EuGH, Urt. v. 09. 09. 2003, C-151/02 (Jaeger), ECLI:EU:C:2003:437, AP BGB § 611 Arbeitszeit Nr. 31 (Rn. 59); Greif, EuZA 2016, 337 (340). 19 EuGH, Urt. v. 01. 12. 2005, C-14/04 (Dellas), ECLI:EU:C:2005:728, AP Richtlinie 93/ 104/EG Nr. 1 (Rn. 38); Urt. v. 26. 07. 2017, C-175/16 (Hälvä), ECLI:EU:C:2017:617, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 20 (Rn. 25); Urt. v. 21. 02. 2018, C-518/15 (Matzak), ECLI:EU:C: 2017:82, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 22 (Rn. 24); Witschen, Rahmenvorgaben, S. 38, 62. 16
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Kap. 2: Die Arbeitszeit im Wandel
Der unionsrechtliche Arbeitszeitbegriff wird in Art. 2 Nr. 1 der ArbZ-RL definiert, deren deutsche Sprachfassung drei Merkmale enthält. Danach ist Arbeitszeit „jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt.“. a) Kumulative Auslegung des Art. 2 Nr. 1 ArbZ-RL Nicht ganz klar ist, ob die Merkmale des Art. 2 Nr. 1 ArbZ-RL kumulativ oder alternativ vorliegen müssen. Diesbezüglich ist der Wortlaut der deutschen Fassung nicht eindeutig.20 Einerseits könnte die Vorschrift nämlich wie folgt zu lesen sein: 1. „[…] arbeitet, 2. dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und 3. seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt.“
Dann stünde die Bejahung von Arbeitszeit unter drei kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen.21 Eine Alternative bestünde lediglich innerhalb der letzten Voraussetzung.22 Andererseits könnte man Art. 2 Nr. 1 ArbZ-RL auch wie folgt lesen: 1. „[…] arbeitet, 2. dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder 3. Aufgaben wahrnimmt.“
20 Das lassen z. B. Freyler, Arbeitszeit- und Urlaubsrecht, S. 80; Pickenhahn, Gestaltungsspielräume, S. 71; Ulber, in: Preis/Sagan, § 7, Rn. 105 und Witschen, Rahmenvorgaben, S. 52 außer Acht, indem sie lediglich auf die Verwendung von „und“ abstellen und die Verwendung von „oder“ außer Acht lassen. 21 Für eine solche Auslegung sprechen sich aus: Europäische Kommission, Mitteilung vom 24. 05. 2017, ABl. EU Nr. C 165, S. 16; Generalanwalt Bot, Schlussantrag vom 11. 06. 2015, C-266/14 (Tyco), ECLI:EU:C:2015:391, BeckRS 2015, 81133, Rn. 31; Körlings, Mobile Erreichbarkeit, S. 62; Krause, NZA-Beil. 2019, 86 (88); Röller/Henseler, FS Preis, S. 1073 (1075); Witschen, Rahmenvorgaben, S. 54, wobei Krause und Witschen gleichzeitig betonen, dass das Erfordernis des kumulativen Vorliegens aller drei Merkmale vom EuGH nicht streng geprüft wird, sondern eine ausgesprochen großzügige Interpretation aller Elemente erfolgt und das erste und dritte Merkmal in der Regel bejaht werden, wenn das zweite Merkmal zuvor als erfüllt angesehen wurde; zudem spricht sich Schuchart, in: Neue Arbeitswelt, S. 175 (199) für ein kumulatives Vorliegen des zweiten und dritten Merkmals zur Annahme von Arbeitszeit i. S. v. Art. 2 Nr. 1 ArbZ-RL aus; nach Ansicht von Barnard, EU Employment Law, S. 547 unterstützt auch der EuGH eine kumulative Auslegung; das begründet sie mit einem Verweis auf EuGH, Urt. v. 03. 10. 2000, C-303/98 (SIMAP), ECLI:EU:C:2000:528, AP EWG-Richtlinie Nr. 93/104 Nr. 2 (Rn. 48). 22 Körlings, Mobile Erreichbarkeit, S. 61.
A. Der Begriff der Arbeitszeit
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Bei dieser Lesart wären die Merkmale des Art. 2 Nr. 1 ArbZ-RL als „eigenständige Sachverhalte der Arbeitszeit“23 zu verstehen, sodass sie lediglich alternativ und nicht kumulativ vorliegen müssten.24 Es wäre demnach für die Bejahung von Arbeitszeit ausreichend, dass eine der drei Alternativen vorliegt. Für die alternative Anwendung der Kriterien spricht die Tatsache, dass der Richtliniengeber eine kumulative Anwendung eindeutig hätte formulieren können, indem er statt der vier Prädikate in der deutschen Sprachfassung lediglich drei verwendet hätte (arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit oder Aufgaben wahrnimmt).25 Allerdings hat er eine solche Formulierung in anderen Sprachfassungen gewählt,26 was wiederum für eine kumulative Auslegung spricht.27 Auch in der portugiesischen Sprachfassung kommen nur drei Prädikate vor.28 Allerdings trägt diese Sprachfassung weniger zur Klärung der Frage nach der richtigen Auslegung der Merkmale des Art. 2 Nr. 1 ArbZ-RL bei, als dass sie noch mehr Verwirrung stiftet. Denn hier hat der Richtliniengeber sich auf zwei statt drei Merkmale beschränkt, wobei auch hier eine kumulative oder eine alternative Auslegung möglich ist.29 Insofern ist festzuhalten, dass der Wortlaut von Art. 2 Nr. 1 ArbZ-RL aufgrund dieser Unterschiede in den verschiedenen Sprachfassungen keine belastbare Grundlage für die Frage nach der Eigenständigkeit der Merkmale des Art. 2 Nr. 1 ArbZ-RL sein kann.30
23 Greif, EuZA 2016, 337 (340); Generalanwalt Saggio, Schlussantrag vom 16. 12. 1999, C-303/98 (SIMAP), ECLI:EU:C:1999:621, Rn. 34. 24 Das wird so gesehen von: Generalanwalt Saggio, Schlussantrag vom 16. 12. 1999, C-303/98 (SIMAP), ECLI:EU:C:1999:621, Rn. 34; EAS/Balzer, B3100, Rn. 101; Buschmann, AuR 2003, 1 (3); ders., FS Düwell, S. 34 (46); Buschmann/Ulber/Buschmann, § 2 ArbZG, Rn. 12; HK-ArbZR/Spengler, § 2 ArbZG, Rn. 2; Schliemann, ArbZG, § 2, Rn. 7; auch EAS/Wank, RL 93/104/EG Art. 2 Nr. 2 Ziff. I 2 kann so verstanden werden, da er sich zwar nicht explizit für eine alternative Auslegung ausspricht, aber eine kumulative Anwendung der drei Begriffe als nicht sinnvoll ansieht. 25 Körlings, Mobile Erreichbarkeit, S. 62. 26 Vgl. die englische Fassung: „any period during which the worker is working, at the employers’ disposal and carrying out his activity or duties“; und die französische Fassung: „temps du travail: toutes période durant laquelle le travailleur est au travail, à la disposition de l’employeur et dans l’exercise de son activité ou de ses fonctions“. 27 Franzen, ZESAR 2015, 407 (410); Körlings, Mobile Erreichbarkeit, S. 62. 28 Vgl. die portugiesische Fassung: „qualquer período durante o qual o trabalhador está a trabalhar ou se encontra à disposição da entidade patronal e no exercício da sua actividade ou das suas funções“. 29 Alternative Auslegung: „qualquer período durante o qual o trabalhador está a trabalhar [1.] ou se encontra à disposição da entidade patronal e no exercício da sua actividade ou das suas funções [2.]“; kumulative Auslegung: „qualquer período durante o qual o trabalhador está a trabalhar ou se encontra à disposição da entidade patronal [1.] e no exercício da sua actividade ou das suas funções [2.]“. 30 Witschen, Rahmenvorgaben, S. 52.
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Kap. 2: Die Arbeitszeit im Wandel
Als Argument gegen eine kumulative Anwendung wird eingewendet, dass die Merkmale zur Verfügung steht und Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt ihrem Wortlaut nach antithetisch zueinanderstehen und daher nicht nebeneinander angewendet werden können.31 Allerdings ist dem lediglich insoweit zu folgen, als dass sich zur Verfügung steht und Tätigkeit ausübt widersprechen. Während das Merkmal zur Verfügung steht vom Wortlaut her auch Raum für Passivität lässt und nicht zwingend eine Aktivität des Arbeitnehmers voraussetzt, ist mit dem Merkmal Tätigkeit ausübt ein aktives Tun des Arbeitnehmers verbunden, sodass eine Passivität des Arbeitnehmers gerade nicht ausreichend ist. Hingegen ist das Merkmal Aufgaben wahrnimmt weiter gefasst als Tätigkeit ausübt, sodass hier nichts dagegenspricht, auch eine Untätigkeit des Arbeitnehmers zu erfassen. Die Antithese von zur Verfügung steht und Tätigkeit ausübt spricht aber gerade nicht gegen die kumulative, sondern gegen die alternative Anwendung der Merkmale des Art. 2 Nr. 1 ArbZ-RL. Zwar würde bei einer alternativen Anwendung das Vorliegen lediglich eines der Merkmale zur Bejahung von Arbeitszeit ausreichen. Allerdings lautet bei einer alternativen Auslegung das zweite Merkmal nicht mehr nur zur Verfügung steht, sondern zur Verfügung steht und Tätigkeit ausübt. Der Widerspruch zwischen zur Verfügung steht und Tätigkeit ausübt besteht dann bereits innerhalb des zweiten Merkmals, indem diese Merkmale dort durch das „und“ kumulativ verbunden werden. Hingegen stehen sich bei der kumulativen Auslegung von Art. 2 Nr. 1 ArbZ-RL nicht die Merkmale zur Verfügung steht und Tätigkeit ausübt, sondern die Merkmale zur Verfügung steht und Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt gegenüber. Über die Alternative Aufgaben wahrnimmt innerhalb des dritten Merkmals kann dann auch eine Passivität des Arbeitnehmers in Form des Zur-Verfügung-Stehens als Arbeitszeit erfasst werden. Denn die Wahrnehmung von Aufgaben ist nicht zwingend mit einer Aktivität des Arbeitnehmers verbunden. Gegen eine kumulative Auslegung spricht auch nicht Art. 2 ILO-Übereinkommen Nr. 30 vom 28. 08. 1920 (im Folgenden: ILO-Übereinkommen).32 Nach der sechsten Begründungserwägung der ArbZ-RL ist bei der Arbeitszeitgestaltung den Grundsätzen der Internationalen Arbeitsorganisation Rechnung zu tragen, das heißt, dass auch das ILO-Übereinkommen berücksichtigt werden muss. Nach Art. 2 ILOÜbereinkommen ist Arbeitszeit „die Zeit, während der die Arbeitnehmer zur Verfügung des Arbeitgebers stehen“. Zum Teil wird gegen eine kumulative Anwendung der Merkmale von Art. 2 Nr. 1 ArbZ-RL angeführt, dass sie zu einer unzulässigen Verengung des Arbeitszeitbegriffs des Art. 2 ILO-Übereinkommens führe. Es müsse nämlich zur ausreichenden 31 Generalanwalt Saggio, Schlussantrag vom 16. 12. 1999, C-303/98 (SIMAP), ECLI:EU: C:1999:621, Rn. 34. 32 So aber Preis, VSSAR 2019, 267 (271 f.).
A. Der Begriff der Arbeitszeit
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Berücksichtigung von Art. 2 ILO-Übereinkommen allein das Merkmal zur Verfügung steht ausreichend sein, um Arbeitszeit anzunehmen. Bei einer kumulativen Auslegung sei aber noch die Erfüllung weiterer Merkmale zur Bejahung von Arbeitszeit erforderlich.33 Diese Argumentation lässt allerdings wiederum außer Acht, dass sich bei einer alternativen Auslegung das zweite Merkmal nicht mehr darin erschöpft, dass der Arbeitnehmer zur Verfügung steht. Vielmehr sind bei einer alternativen Auslegung innerhalb des zweiten Merkmals zur Verfügung steht und Tätigkeit ausübt kumulativ miteinander verknüpft. Gerade dadurch ist aber das reine Zur-Verfügung-Stehen des Arbeitnehmers bei der alternativen Auslegung nicht mehr ausreichend zur Bejahung von Arbeitszeit, wohingegen bei der kumulativen Auslegung über das weitergefasste Merkmal Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt auch die Passivität des Arbeitnehmers in Form des Zur-Verfügung-Stehens erfasst werden kann. b) Definition der drei Merkmale des Art. 2 Nr. 1 ArbZ-RL Nach der vorzuziehenden kumulativen Auslegung ist Arbeitszeit also jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer 1. „[…] arbeitet, 2. dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und 3. seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt.“
Dabei wird das erste Merkmal (arbeitet), das als „wenig aussagekräftig“34 und „lediglich tautologische Umschreibung“ kritisiert wird,35 vom EuGH als räumliches Kriterium verstanden.36 Insoweit stellt der EuGH darauf ab, dass sich der Arbeitnehmer „an seinem Arbeitsort“ oder „an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort“ aufhält.37 Dieses erste Merkmal steht für eine eher enge Auslegung des Arbeitszeitbegriffs.38 33
Preis, VSSAR 2019, 267 (271 f.). Franzen, ZESAR 2015, 407 (409). 35 Franzen, ZESAR 2015, 407 (409); Hanau, EuZA 2019, 423 (426); Röller/Henseler, FS Preis, S. 1073 (1076); in diese Richtung auch Körlings, Mobile Erreichbarkeit, S. 62, der von einer „tautologischen Begriffsleere“ spricht, die durch die erste Voraussetzung geschaffen werde. 36 Generalanwalt Bot, Schlussantrag vom 11. 06. 2015, C-266/14 (Tyco), ECLI:EU:C: 2015:391, BeckRS 2015, 81133, Rn. 31; Hanau, EuZA 2019, 423 (427); Generalanwalt Pitruzzella, Schlussantrag vom 06. 10. 2020, C-344/19 (Radiotelevizija Slovenija), ECLI:EU:C: 2021:796, BeckRS 2020, 25333, Rn. 56; Europäische Kommission, Mitteilung vom 24. 05. 2017, ABl. EU Nr. C 165, S. 16 f.; Röller/Henseler, FS Preis, S. 1073 (1076); Witschen, Rahmenvorgaben, S. 51. 37 EuGH, Urt. v. 10. 09. 2015, C-266/14 (Tyco), ECLI:EU:C:2015:578, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 16 (Rn. 35); Urt. v. 01. 12. 2005, C-14/04 (Dellas), ECLI:EU:C:2005:728, AP Richtlinie 93/104/EG Nr. 1 (Rn. 48); Europäische Kommission, Mitteilung vom 24. 05. 2017, 34
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Kap. 2: Die Arbeitszeit im Wandel
Zur Bejahung des zweiten Merkmals (zur Verfügung steht), das der EuGH als weisungsbezogenes Kriterium versteht,39 ist entscheidend, ob der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber den Zugriff auf seine Arbeitskraft eröffnet.40 Zur Verfügung steht der Arbeitnehmer, wenn er sich in einer Lage befindet, in der er den Anweisungen seines Arbeitgebers Folge leisten und seine Tätigkeit für ihn ausüben muss.41 Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer verpflichtet ist, sich an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufzuhalten und sich zu dessen Verfügung zu halten, um gegebenenfalls sofort seine Leistungen erbringen zu können.42 Kann ein Arbeitnehmer hingegen ohne größere Zwänge über seine Zeit verfügen und eigenen Interessen nachgehen, kann das ein Anhaltspunkt dafür sein, dass keine Arbeitszeit vorliegt.43 Letztlich steht bei diesem Merkmal die Beschränkung des Arbeitnehmers infolge seiner Weisungsgebundenheit gegenüber dem Arbeitgeber im Vordergrund.44 Dieses zweite Merkmal wird insgesamt eher weit verstanden.45 Das dritte Merkmal („der Arbeitnehmer hat seine Tätigkeiten auszuüben oder seine Aufgaben wahrzunehmen“) ist weitgehend deckungsgleich mit dem ersten Merkmal,46 wird aber vom EuGH als berufsbezogenes Kriterium verstanden.47 Es ABl. EU Nr. C 165, S. 16 f. unter Verweis auf die französische und spanische Sprachfassung der ArbZ-RL; Hanau, EuZA 2019, 423 (427); Witschen, Rahmenvorgaben, S. 51. 38 Buschmann, FS Düwell, S. 34 (46). 39 Generalanwalt Bot, Schlussantrag vom 11. 06. 2015, C-266/14 (Tyco), ECLI:EU:C: 2015:391, BeckRS 2015, 81133, Rn. 31; Generalanwalt Pitruzzella, Schlussantrag vom 06. 10. 2020, C-344/19 (Radiotelevizija Slovenija), ECLI:EU:C:2020:796, BeckRS 2020, 25333, Rn. 56; Hanau, EuZA 2019, 423 (427). 40 Franzen, ZESAR 2015, 407 (409). 41 EuGH, Urt. v. 10. 09. 2015, C-266/14 (Tyco), ECLI:EU:C:2015:578, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 16 (Rn. 36 f.); Urt. v. 03. 10. 2000, C-303/98 (SIMAP), ECLI:EU:C: 2000:528, AP EWG-Richtlinie Nr. 93/104 Nr. 2 (Rn. 50); Europäische Kommission, Mitteilung vom 24. 05. 2017, ABl. EU Nr. C 165, S. 17; EU-ArbR/Gallner, Art. 2 RL 2003/88/EG, Rn. 4; Ricken, DB 2016, 1255 (1258); Witschen, Rahmenvorgaben, S. 51 f. 42 Europäische Kommission, Mitteilung vom 24. 05. 2017, ABl. EU Nr. C 165, S. 17; Franzen, ZESAR 2015, 407 (409); EU-ArbR/Gallner, Art. 2 RL 2003/88/EG, Rn. 4; Greif, EuZA 2016, 337 (340). 43 EuGH, Urt. v. 10. 09. 2015, C-266/14 (Tyco), ECLI:EU:C:2015:578, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 16 (Rn. 36 f.); Urt. v. 03. 10. 2000, C-303/98 (SIMAP), ECLI:EU:C: 2000:528, AP EWG-Richtlinie Nr. 93/104 Nr. 2 (Rn. 50); Europäische Kommission, Mitteilung vom 24. 05. 2017, ABl. EU Nr. C 165, S. 17; EU-ArbR/Gallner, Art. 2 RL 2003/88/EG, Rn. 4; Ricken, DB 2016, 1255 (1258); Witschen, Rahmenvorgaben, S. 51 f. 44 Generalanwalt Bot, Schlussantrag vom 11. 06. 2015, C-266/14 (Tyco), ECLI:EU:C: 2015:391, BeckRS 2015, 81133, Rn. 40; Ricken, DB 2016, 1255 (1258); Witschen, Rahmenvorgaben, S. 52. 45 Buschmann, FS Düwell, S. 34 (46). 46 Franzen, ZESAR 2015, 407 (409); in diese Richtung auch Witschen, Rahmenvorgaben, S. 51, nach der die Aussagen der Kommission in ihrer Mitteilung vom 24. 05. 2017 daraufhin deuteten, dass diese dem dritten Merkmal relativ wenig eigenständige Aussagekraft beimesse. 47 Generalanwalt Bot, Schlussantrag vom 11. 06. 2015, C-266/14 (Tyco), ECLI:EU:C: 2015:391, BeckRS 2015, 81133, Rn. 31; Generalanwalt Pitruzzella, Schlussantrag vom
A. Der Begriff der Arbeitszeit
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wird anhand der jeweiligen Tätigkeit spezifiziert, das heißt es kommt darauf an, was das Wesen der Tätigkeit ausmacht und welche Umstände damit untrennbar verbunden sind.48 c) Anwendung der Merkmale des Art. 2 Nr. 1 ArbZ-RL durch den EuGH Im Ergebnis kann die Frage nach der Alternativität oder Kumulativität der Merkmale des Art. 2 Nr. 1 ArbZ-RL jedoch ohnehin dahinstehen. Zum einen bestimmt der EuGH die einzelnen Merkmale recht großzügig und orientiert sich bei seiner Prüfung in der Regel nicht an festen Konturen, sondern nimmt eher fließend ineinander übergehende Prüfungen der Merkmale vor.49 Im Einzelfall prüft der EuGH zwar formal alle drei Merkmale des Art. 2 Nr. 1 ArbZ-RL getrennt, behandelt sie dann aber faktisch als Beispiele eines einheitlichen Arbeitszeitbegriffs.50 Zudem legt der EuGH das erste und das dritte Merkmal sehr weit aus, sodass er diese in der Regel bei Bejahen des zweiten Merkmals ebenfalls als erfüllt ansieht.51 Im Ergebnis ist also maßgeblich auf das Merkmal zur Verfügung steht abzustellen.52 Aufgrund der großzügigen Auslegung von Art. 2 Nr. 1 ArbZ-RL durch den EuGH umfasst der unionsrechtliche Arbeitszeitbegriff neben aktivem Tun des Arbeitnehmers im Sinne einer ununterbrochenen beruflichen Tätigkeit auch all jene Zeitspannen, in denen der Arbeitnehmer sich am Arbeitsplatz aufhält und dem Arbeitgeber (nur) für die Arbeit zur Verfügung steht und dadurch seine Aufgaben wahrnimmt.53 Somit differenziert die ArbZ-RL nicht nach der Intensität der vom Arbeitnehmer geleisteten Arbeit.54 06. 10. 2020, C-344/19 (Radiotelevizija Slovenija), ECLI:EU:C:2020:796, BeckRS 2020, 25333, Rn. 56; Hanau, EuZA 2019, 423 (427). 48 Generalanwalt Bot, Schlussantrag vom 11. 06. 2015, C-266/14 (Tyco), ECLI:EU:C: 2015:391, BeckRS 2015, 81133, Rn. 37; Witschen, Rahmenvorgaben, S. 51. 49 Greif, EuZA 2016, 337 (340); Ulber, in: Preis/Sagan, § 7, Rn. 106; Witschen, Rahmenvorgaben, S. 53. 50 EuGH, Urt. v. 10. 09. 2015, C-266/14 (Tyco), ECLI:EU:C:2015:578, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 16 (Rn. 30 ff.); Ulber, in: Preis/Sagan, § 7, Rn. 106. 51 Witschen, Rahmenvorgaben, S. 54; in diese Richtung ebenfalls Ulber, in: Preis/Sagan, § 7, Rn. 106, wonach der EuGH aus der vertraglichen Verpflichtung, am Arbeitsplatz zur Verfügung zu stehen, die Aufgabe des Arbeitnehmers ableite, eben dies zu tun und damit seine Tätigkeit auszuüben, also das dritte Merkmal zu erfüllen. 52 Pickenhahn, Gestaltungsspielräume, S. 73; Preis/Sagan/Ulber, § 7, Rn. 105. 53 Boemke, RdA 2020, 65 (70); HK-ArbZG/Linnenkohl, § 2, Rn. 2; Ulber, in: Preis/Sagan, § 7, Rn. 113; so auch Karthaus, AuR 2001, 485, nach dem ein Arbeitnehmer allein schon durch Unterordnung unter das Dispositionsrecht des Arbeitgebers, also durch das „Sich-dem Arbeitgeber-zur-Verfügung-Halten“, seine Aufgaben wahrnimmt. 54 EuGH, Urt. v. 01. 12. 2005, C-14/04 (Dellas), ECLI:EU:C:2005:728, AP Richtlinie 93/ 104/EG Nr. 1 (Rn. 43); Baeck/Deutsch/Winzer, § 2, Rn. 3; Boemke, RdA 2020, 65 (70); EUArbR/Gallner, Art. 2 RL 2003/88/EG, Rn. 7; Jacobs, NZA 2016, 733 (736); Preis, VSSAR 2019, 267 (271); Ulber, in: Preis/Sagan, § 7, Rn. 114.
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Kap. 2: Die Arbeitszeit im Wandel
d) Die Ruhezeit als Gegenbegriff zur Arbeitszeit Als Gegenbegriff zur Arbeitszeit definiert Art. 2 Nr. 2 der ArbZ-RL die Ruhezeit – und zwar als „jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit“. In der Ruhezeit kann der Arbeitnehmer frei über seine Zeit verfügen und seinen Aufenthaltsort frei bestimmen.55 In der ArbZ-RL stehen die Begriffe Arbeitszeit und Ruhezeit also in einem strengen Alternativverhältnis zueinander.56 Eine bestimmte Zeitspanne kann immer nur entweder als Arbeitszeit oder als Ruhezeit qualifiziert werden; das europäische Recht kennt insoweit keine Zwischenform.57 Es ist daher stets zu fragen, ob ein Arbeitnehmer arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt. Kann das bejaht werden, handelt es sich um Arbeitszeit im Sinne von Art. 2 Nr. 1 ArbZ-RL, anderenfalls um Ruhezeit im Sinne von Art. 2 Nr. 2 ArbZ-RL.58 Aufgrund dieses strengen Dualismus der ArbZ-RL, der die Zwischenformen zwischen Arbeit und Freizeit gar nicht beachtet, wird die ArbZ-RL beziehungsweise der unionsrechtliche Arbeitszeitbegriff stark kritisiert.59 Da allerdings bisherige Reformbemühungen in Bezug auf die ArbZ-RL aufgrund unüberbrückbarer politi55
Ulber, in: Preis/Sagan, § 7, Rn. 106. EuGH, Urt. v. 03. 10. 2000, C-303/98 (SIMAP), ECLI:EU:C:2000:528, AP EWGRichtlinie Nr. 93/104 Nr. 2 (Rn. 47); Urt. v. 10. 09. 2015, C-266/14 (Tyco), ECLI:EU:C: 2015:578, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 16 (Rn. 26 f.); Baeck/Deutsch/Winzer, § 2, Rn. 3; Buschmann, FS Düwell, S. 34 (47); Franzen, ZESAR 2015, 407 (410); EU-ArbR/Gallner, Art. 2 RL 2003/88/EG, Rn. 6; Jacobs, NZA 2016, 733 (736); Junker, in: G/J/R, S. 99 (109 f.); Krause, NZA-Beil. 2019, 86 (88); Pickenhahn, Gestaltungsspielräume, S. 70 f.; Ulber, in: Preis/Sagan, § 7, Rn. 97. 57 EuGH, Urt. v. 10. 09. 2015, C-266/14 (Tyco), ECLI:EU:C:2015:578, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 16 (Rn. 26 f.); Urt. v. 09. 03. 2021, C-344/19 (Radiotelevizija Slovenija), ECLI:EU:C:2021:182, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 37, 3588 (Rn. 29); Baeck/Deutsch/ Winzer, § 2, Rn. 3; Franzen, ZESAR 2015, 407 (410); Freyler, EuZA 2021, 336 (338); EUArbR/Gallner, Art. 2 RL 2003/88/EG, Rn. 6; Jacobs, NZA 2016, 733 (736); Junker, in: G/J/R, S. 99 (109 f.); Krause, NZA-Beil. 2017, 53 (56); Lunk, AnwBl. 2020, 216 (217); Ulber/Koch, AuR 2018, 328 (329). 58 Europäische Kommission, Mitteilung vom 24. 05. 2017, ABl. EU Nr. C 165, S. 17; Witschen, Rahmenvorgaben, S. 50. 59 Vgl. Junker, in: G/J/R, S. 99 (110); so betont z. B. Anzinger, FS Wißmann, S. 3 (12 ff.), dass es verschiedene Intensitäten der Arbeitsbelastungen bei Bereitschaftsdiensten gebe, die in der Rechtsprechung des EuGH nicht beachtet würden; Franzen, ZESAR 2015, 407 (410) ist der Ansicht, dass sich die Lebenswirklichkeit nicht als ein solches „Entweder- oder“ darstelle, sondern es vielmehr „zwischen Arbeit im Sinne der Vollanspannung der Kräfte des Arbeitnehmers und der vom Arbeitgeber gänzlich unbeeinflussbaren Freizeit des Arbeitnehmers vielerlei Zwischenformen“ gebe; zuletzt spricht Wank, RdA 2014, 285 von einer „grobschlächtigen Zuordnung“ im Unionsrecht; allerdings betont Bayreuther, NZA 2018, 348 zu Recht, dass die vermeintliche Differenz zwischen dem strengen Begriffsdualismus der ArbZRL und den Mitgliedstaaten, denen Mischformen hinsichtlich der Zeit geläufig sind, im Ergebnis bedeutungslos sei; letztlich gelte es bei beiden Herangehensweisen zu entscheiden, ob eine bestimmte Tätigkeit als arbeitszeitrechtlich relevant einzuordnen sei oder nicht; vgl. hierzu genauer Kapitel 2, A. III. 3. 56
A. Der Begriff der Arbeitszeit
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scher Interessengegensätze vorerst gescheitert sind,60 ist weder eine alsbaldige Richtlinienanpassung noch eine Rechtsprechungsänderung zu erwarten. Daher müssen die rechtlichen Gegebenheiten auf der Unionsebene trotz der bestehenden Kritik so zugrunde gelegt werden, wie sie sich zurzeit darstellen.61 2. § 2 Abs. 1 ArbZG Auf nationaler Ebene ist Ausgangspunkt zur Erarbeitung des Arbeitszeitbegriffs § 2 Abs. 1 ArbZG. Nach § 2 Abs. 1 ArbZG wird unter Arbeitszeit die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne Ruhepausen verstanden. Arbeitszeit im Sinne von § 2 Abs. 1 ArbZG ist also „die mit der Arbeit des Arbeitnehmers ausgefüllte Zeit“.62 Zudem ist Arbeitszeit von den Ruhepausen im Sinne von § 5 ArbZG beziehungsweise der Ruhezeit abzugrenzen. Diese Definition der Arbeitszeit in § 2 Abs. 1 ArbZG ist allerdings wenig aussagekräftig,63 sodass mit ihr nicht viel gewonnen ist.64 Der Erkenntnisgewinn durch § 2 Abs. 1 ArbZG erschöpft sich in einem Verweis auf den „nicht minder ausfüllungsbedürftigen Begriff“65 der Arbeit, ohne diesen Begriff selbst zu definieren.66 Lediglich § 8 Abs. 1 JArbSchG und §§ 5, 21a Abs. 3 ArbZG könnten weitere Hinweise entnommen werden, was der Gesetzgeber unter Arbeitszeit im Sinne von § 2 Abs. 1 ArbZG verstanden wissen wollte. So kann aus der Verbindung von § 2 Abs. 1 ArbZG mit § 5 ArbZG geschlossen werden, dass Arbeitszeiten ohne die Unterbrechungen, die in § 5 ArbZG vorgesehen sind, der Gesundheit des Arbeitnehmers abträglich zu sein scheinen.67 Zudem wird in der Literatur vertreten, dass 60 Siehe genauer zu den gescheiterten Reformverfahren: EU-ArbR/Gallner, Art. 1 RL 2003/88/EG, Rn. 22 ff.; Weuthen, Bereitschaftsdienst, S. 3 ff.; Witschen, Rahmenvorgaben, S. 38. 61 Witschen, Rahmenvorgaben, S. 56. 62 Baeck/Deutsch/Winzer, § 2, Rn. 4; Meisel/Hiersemann, § 2, Rn. 6. 63 Fröhlich, ArbRB 2017, 61 (62); Giesen, in: G/J/R, S. 15 (29). So auch Niklas, ArbRB 2019, 275 und ErfK/Wank, 21. Aufl. 2021, § 2 ArbZG, Rn. 10, die die in § 2 Abs. 1 ArbZG enthaltene Definition als „Pseudodefinition“ bezeichnen; Buschmann, AuR 2003, 1 (2), der von einer „rudimentären Formulierung“ des § 2 Abs. 1 ArbZG spricht; Preis, VSSAR 2019, 267 (270) und jM 2020, 367 (371), der § 2 Abs. 1 ArbZG als „bemerkenswert inhaltsleer“ bezeichnet, und Schrader/Teubert/Siegel, BB 2021, 1396, die eine gewisse „Schärfe“ der Definition vermissen; zuletzt geht in diese Richtung auch Galperin, Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst, S. 5 und DB 1960, 695 (beides noch zur alten Norm des § 2 AZO): „Der Gesetzgeber sagt nicht, was Arbeitszeit ist, sondern er sagt lediglich, wie lange sie dauert.“. 64 Krause, NZA-Beil. 2019, 86 (88); Tietje, Arbeitszeitrecht, S. 76. 65 Buschmann, FS Hanau, S. 197 (200); so auch Freyler, Arbeitszeit- und Urlaubsrecht, S. 82. 66 BayObLG, Beschl. v. 23. 03. 1992 – 3 ObOWi 18/92, NZA 1992, 811; Baeck/Deutsch/ Winzer, § 2, Rn. 4; Baeck/Lösler, NZA 2005, 247; Boemke, RdA 2020, 65 (70); Buschmann/ Ulber/Buschmann, § 2 ArbZG, Rn. 7; Hahn, Flexible Arbeitszeit I, S. 46; dies., Flexible Arbeitszeit II, S. 15; Krause, NZA-Beil. 2019, 86 (88); Meisel/Hiersemann, § 2, Rn. 7. 67 Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 32.
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Kap. 2: Die Arbeitszeit im Wandel
aus einem Vergleich des § 2 Abs. 1 ArbZG mit § 8 Abs. 1 JArbSchG – der unter der Überschrift „Dauer der Arbeitszeit“ zur Bejahung von Arbeitszeit die reine „Beschäftigung“ ausreichen lässt und keine „Arbeit“ fordert – geschlossen werden könne, dass für Arbeit im Sinne von § 2 Abs. 1 ArbZG die reine Beschäftigung nicht ausreiche, sondern § 2 Abs. 1 ArbZG vielmehr einen aktiven Zustand für das Vorliegen von Arbeit voraussetze.68 Hiergegen spricht jedoch ein Umkehrschluss aus § 21a Abs. 3 ArbZG. Nach § 21a Abs. 3 ArbZG gelten bei Beschäftigungen im Straßentransport Zeiten, während derer sich ein Arbeitnehmer bereithalten muss, das heißt, in denen er keine aktive Tätigkeit vornimmt, nicht als Arbeitszeit. Da es sich bei § 21a Abs. 3 ArbZG nach seinem Wortlaut („Abweichend von § 2 Abs. 1“) um eine Abweichung von § 2 Abs. 1 ArbZG handelt, müssen bei § 2 Abs. 1 ArbZG Zeiten des Bereithaltens grundsätzlich berücksichtigt werden.69 Weitere Hinweise, was unter Arbeitszeit verstanden werden soll, liefert der Gesetzgeber jedoch nicht.70 Das Problem der Bestimmung des Begriffs der Arbeitszeit im Sinne von § 2 Abs. 1 ArbZG verlagert sich damit auf die Bestimmung des Begriffs der Arbeit.71
II. Begriff der Arbeit Der Begriff der Arbeit wiederum ist ebenfalls nicht gesetzlich definiert.72 Er wird auch in vielen Lehrbüchern und Kommentaren nur äußerst knapp behandelt.73 Das mag damit zusammenhängen, dass er als selbstverständlich wahrgenommen wird – als ein Begriff, den man nicht erklären muss, da ohnehin klar ist, was gemeint ist.74 Bei näherer Beschäftigung mit dem Begriff der Arbeit stößt man jedoch auf „ein Meer von Definitionen, Abgrenzungen, Gegenbegriffen, Zitaten, Aphorismen und
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Anzinger/Koberski, § 2, Rn. 8; Witschen, Rahmenvorgaben, S. 57. Genauer zu der Frage, ob Zeiten des Bereithaltens vom Begriff der Arbeit(szeit) umfasst sind, siehe unten, Kapitel 2, A. II. 4. sowie Kapitel 2, A. III. 3. 70 Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 32 f. 71 Tietje, Arbeitszeitrecht, S. 76; ders., NZA 2001, 241 (242). 72 Freyler, Arbeitszeit- und Urlaubsrecht, S. 82; Körlings, Mobile Erreichbarkeit, S. 65; Kreft, Arbeitszeitdauerregulierungen, S. 5; ArbR-BGB/Schliemann, § 611 BGB, Rn. 608; ders., ArbZG, § 2, Rn. 13; Witschen, Rahmenvorgaben, S. 58. 73 Vgl. Buschmann, FS Hanau, S. 197 (205); so beschränken sich die Ausführungen in der Literatur zum Begriff der Arbeit in Anlehnung an die hierzu ergangenen Leitsätze der Rechtsprechung meist darauf, dass hierunter „jede Tätigkeit, die der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient“ zu verstehen ist, vgl. BAG, Urt. v. 08. 03. 1961 – 4 AZR 71/59, BAGE 11, 23 (26); Urt. v. 11. 10. 2000 – 5 AZR 122/99, BAGE 96, 45 (51); Beschl. v. 14. 11. 2006 – 1 ABR 5/06, BAGE 120, 162 (169); BeckOGK/Maties, § 611a BGB, Rn. 75; BeckOKBGB/Baumgärtner, § 611a BGB, Rn. 13; Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts, S. 7; Vogelsang, in: Schaub, § 8, Rn. 9. 74 In diese Richtung auch Preis, FS Moll, S. 539. 69
A. Der Begriff der Arbeitszeit
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Lebensweisheiten“,75 die nicht immer in Einklang zueinander stehen. Daher ist es durchaus sinnvoll, den Begriff der Arbeit zu untersuchen und genauer zu bestimmen. Dabei wird im Folgenden allerdings nicht der Versuch unternommen, einen allgemeinen Begriff der Arbeit zu bestimmen, der sodann unterschiedslos in jedem Kontext gilt. Zwar ist der Begriff der Arbeit nicht nur für den Bereich des (Arbeits-) Rechts relevant. Vielmehr spielt er auch in anderen Wissenschaften – wie zum Beispiel der Betriebswirtschaftslehre, der Volkswirtschaftslehre, der Philosophie, der Theologie, den Sozialwissenschaften und der Physik – eine entscheidende Rolle. Allerdings sind diese Begriffe nicht zwingend kongruent, vielmehr kann in jedem Kontext der Schwerpunkt bei der Bestimmung des Begriffs bei einem anderen Aspekt liegen. Daher wird im Folgenden lediglich ein arbeitsrechtlicher Begriff der Arbeit bestimmt, das heißt ein Begriff der Arbeit, der dem Arbeitsrecht zugrunde liegt und zur Bejahung eines Arbeitsvertrags im Sinne von § 611a BGB führt. 1. Historische Entwicklung der Arbeit Das Arbeitsrecht ist ein recht junges Rechtsgebiet – erst die sozialpolitische Gesetzgebung in der Zeit der Weimarer Republik hat das Arbeitsrecht in Deutschland zu einem eigenen juristischen Fachgebiet gemacht.76 Hingegen sind die Wurzeln des dem Arbeitsrecht zugrundeliegenden Begriff der Arbeit bereits viel älter und reichen bis in die Antike zurück. Seitdem hat sich das Verständnis von Arbeit stark gewandelt. In der Antike war der Begriff der Arbeit eher negativ besetzt.77 Als Idealbild der antiken Hochkulturen in Griechenland und Rom galt der von materiellen Sorgen freie und unabhängige Bürger.78 Arbeit galt aus Sicht der Griechen und Römer als das Gegenteil dieser Freiheit.79 Nur der nicht auf Tätigkeiten zum Erwerb seines Lebensunterhalts angewiesene Mensch konnte sich der Muße widmen,80 das heißt anderen Tätigkeiten nachgehen, wie zum Beispiel der politischen Mitwirkung im Staat81 oder auch Tätigkeiten, die wir heute als geistige Arbeit bezeichnen, wie die
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Preis, FS Moll, S. 539, der sodann als Beispiele für die unterschiedlichen Begrifflichkeiten hinsichtlich des Begriffs der Arbeit die körperliche und geistige Arbeit, die fremdbestimmte und selbstbestimmte Arbeit sowie die Erwerbsarbeit und ehrenamtliche Arbeit nennt. 76 Laufs, Rechtsentwicklungen, S. 363; vgl. hierzu insb. Art. 157 ff. WRV, die den Arbeitnehmerschutz zur Aufgabe des Reiches machten, vgl. Art. 157 WRV, die Koalitionsfreiheit festlegten, vgl. Art. 159 WRV, sowie Arbeiterschutz zur Erhaltung der Gesundheit, insb. in Form von Mutterschutz, versprachen, vgl. Art. 161 WRV. 77 Preis, FS Moll, S. 539 (540); Weuthen, Bereitschaftsdienst, S. 19. 78 Aßländer, Bedeutungswandel der Arbeit, S. 7; Weuthen, Bereitschaftsdienst, S. 19. 79 Preis, FS Moll, S. 539 (540); Weuthen, Bereitschaftsdienst, S. 19. 80 Weuthen, Bereitschaftsdienst, S. 19. 81 Preis, FS Moll, S. 539 (541); Weuthen, Bereitschaftsdienst, S. 19.
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Kap. 2: Die Arbeitszeit im Wandel
Erteilung von wissenschaftlichem Unterricht.82 Solche Dienste höherer Art wurden nicht als Arbeit eingestuft.83 Sie waren hoch angesehen und wurden – da es als unanständig galt, sich für die eines freien Mannes würdige Tätigkeit entlohnen zu lassen84 – nicht für ein Entgelt, sondern für ein honorarium, eine Gegengabe „aus Ehre“, erbracht.85 Mit dem Begriff der Arbeit hingegen wurde die körperliche Arbeit verbunden, die verachtet wurde, da sie eines freien Mannes unwürdig sei.86 Der Großteil der körperlichen Arbeit wurde von Sklaven verrichtet,87 die nicht als Rechtssubjekte verstanden, sondern rechtlich als Sachen behandelt wurden.88 Die Sklaven waren den Anweisungen ihrer Besitzer unterworfen, sodass sich ihre Arbeitszeit ausschließlich nach dem Willen der Sklavenhalter richtete.89 Diese wiederum hatten ein großes Interesse an der maximalen Ausdehnung der Arbeit zur Steigerung ihres Ertrages.90 Demnach arbeiteten die Sklaven oftmals so lange wie möglich; die Arbeitszeit wurde faktisch nur durch die Ruhezeiten beschränkt, die zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit unbedingt erforderlich waren.91 Ein kleiner Teil der Arbeit entfiel auf einfache Lohnarbeiter, die zwar theoretisch frei über die Einteilung ihrer Zeit bestimmen konnten. In der Realität jedoch war auch ihre Arbeit durch den Zwang zur Sicherstellung der Existenzgrundlage sowie durch die große Konkurrenz durch die Sklaven bestimmt. Daher arbeiteten auch sie oft so lange wie möglich. Grenzen existierten lediglich durch natürliche Gegebenheiten wie Tag- und Nachtwechsel.92 82 Richardi, NZA 2017, 36; ders., Arbeitsrecht im Wandel der Zeit, S. 5; Preis, FS Moll, S. 539 (541). 83 Richardi, NZA 2017, 36; Preis, FS Moll, S. 539 (541). 84 Richardi, ZfA 1988, 221 (223). 85 Gamillscheg, ArbR I, S. 5; Richardi, ZfA 1988, 221 (223); ders., Arbeitsrecht im Wandel der Zeit, S. 5. 86 Aßländer, Bedeutungswandel der Arbeit, S. 7; Nippel, in: Geschichte und Zukunft der Arbeit, S. 54 (61); Preis, FS Moll, S. 539 (540); Richardi, ZfA 1988, 221 (223); so heißt es bei Cicero, De officiis, S. 125: „Und alle Handwerker treiben ein schmutziges Gewerbe“; Aristoteles, Rhetorik, S. 50 bezeichnet es als „Kennzeichen eines unabhängigen Mannes, nicht in Abhängigkeit von anderen zu leben.“. 87 Gamillscheg, ArbR I, S. 5; Glaubrecht, Arbeitszeit im Wandel, S. 18; Honsell/Fargnoli, Römisches Recht, S. 176; Preis, RdA 2019, 75 (76); Weuthen, Bereitschaftsdienst, S. 19 f.; Schneider, in: Geschichte der Arbeit, S. 93 f. bezeichnet die römische Wirtschaft daher sogar als Sklavenwirtschaft. 88 Gamillscheg, ArbR I, S. 5; Hähnchen, Rechtsgeschichte, S. 27; Honsell/Fargnoli, Römisches Recht, S. 176; Molitor, Wesen des Arbeitsvertrages, S. 13; Preis, RdA 2019, 75 (76); Richardi, ZfA 1988, 221 (222); ders., Arbeitsrecht im Wandel der Zeit, S. 5. 89 Weuthen, Bereitschaftsdienst, S. 20. 90 Ebd.; in diese Richtung auch Glaubrecht, Arbeitszeit im Wandel, S. 18, der davon spricht, dass die Arbeitszeit gar nicht „lange genug sein“ konnte, wenn es sich als nutzbringend erwies. 91 Schneider, in: Geschichte der Arbeit, S. 120. 92 Weuthen, Bereitschaftsdienst, S. 20 f.
A. Der Begriff der Arbeitszeit
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Durch den wachsenden Einfluss des Christentums im Übergang von der Antike in das Mittelalter verkehrte sich das negative Verständnis von Arbeit in sein Gegenteil.93 Denn die Bibel erkennt sowohl im alten als auch im neuen Testament menschliche Arbeit als hohen Wert – ja sogar als „eine fundamentalen Dimension der Existenz des Menschen auf Erden“ –94 an.95 Ausgangspunkt zu dieser Feststellung ist bereits der Schöpfungsbericht. Hier wird der Auftrag an die Menschheit formuliert, sich die Erde untertan zu machen.96 Aufgrund dieses Auftrags Gottes an die Menschen sieht auch Papst Johannes Paul II. den Menschen als „seit dem Anfang zur Arbeit berufen“ an.97 Zwar weise dieser Auftrag nicht direkt und ausdrücklich auf die menschliche Arbeit hin. Er stellt jedoch indirekt auf die Arbeit des Menschen als diejenige Tätigkeit ab, die der Mensch in der Welt zu verrichten habe. Denn nur durch Arbeit kann der Mensch immer mehr zum Herrn der Erde werden und seine Herrschaft über die Welt festigen.98 Aber auch in weiteren Stellen der Bibel wird der Wert der Arbeit deutlich. So sollen die Menschen die Welt in Form des Garten Edens in Gottes Namen bebauen und bewahren.99 Damit wird jedem Menschen eine Verantwortung für die Schöpfung Gottes und damit die Verpflichtung auferlegt, seinen Beitrag zur Entwicklung und Erhaltung des Gemeinwesens zu leisten.100 Zuletzt wird oftmals die bessere Behandlung beziehungsweise Freilassung der Sklaven gefordert,101 was mit dem antiken Verständnis der körperlichen Arbeit von Sklaven als Tätigkeit, die eines freien Mannes unwürdig ist, entgegensteht. Von nun an stand also nicht mehr die Muße im Vordergrund;102 stattdessen erfuhr die körperliche Arbeit eine Aufwertung. Nunmehr galt harte Arbeit als gottgefällig.103 In der Folge wurde Arbeit nicht mehr nur von Sklaven und einigen wenigen einfachen Lohnarbeitern erbracht, sondern von einem Großteil der Bevölkerung 93
Aßländer, Bedeutungswandel der Arbeit, S. 12 ff.; Nippel, in: Geschichte und Zukunft der Arbeit, S. 54 (65); Oexle, in: Geschichte und Zukunft der Arbeit, S. 67 (69 f.); Weuthen, Bereitschaftsdienst, S. 22 f.; hierzu auch Glaubrecht, Arbeitszeit im Wandel, S. 18, der es im Wesentlichen auf christliche Einflüsse zurückführt, dass körperlich-mechanische und geistige Arbeit als gleichwertig angesehen wurden; vgl. zudem Papst Johannes Paul II., laborem exercens, S. 27, der eine „grundlegende Umwälzung“ der Anschauungen der Antike hinsichtlich des Werts der Arbeit durch das Christentum sieht. 94 Papst Johannes Paul II., laborem exercens, S. 19 f. 95 Vgl. Preis, RdA 2019, 75 (77); ders., FS Moll, S. 539 (541). 96 Gen. 1,28. 97 Papst Johannes Paul II., laborem exercens, S. 9. 98 Papst Johannes Paul II., laborem exercens, S. 20 f. 99 1. Mose 2,15. 100 Preis, FS Moll, S. 539 (541). 101 2. Mose 15,12; Jer 34,10; Sir 7,20; Kol 3,11; Gal 3,28. 102 Preis, FS Moll, S. 539 (541). 103 Preis, FS Moll, S. 539 (541); Weuthen, Bereitschaftsdienst, S. 23.
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Kap. 2: Die Arbeitszeit im Wandel
– zum einen in den feudalen Strukturen der Landwirtschaft, zum anderen von den Handwerkern im Zunftsystem. Während in der feudalen Landwirtschaft einerseits eine starke Abhängigkeit der Bauern zu ihren Feudalherren bestand,104 waren die Bauern andererseits aber in der Einteilung und Nutzung ihrer Zeit sehr frei.105 Sie konnten selbstbestimmt Pausen – etwa für Mahlzeiten, Gebete, soziale Tätigkeiten oder Erholungsphasen – einlegen und auch die Intensität ihrer Beanspruchung ihrem persönlichen Arbeitsrhythmus anpassen.106 Die Zeit an sich war kein Gegenstand, dem eine hohe Bedeutung zukam;107 die Feudalpflichten richteten sich nicht nach etwaigen Anwesenheitszeiten der Bauern.108 Es gab keinen Gegensatz von fremdbestimmter Arbeitszeit und selbstbestimmter Freizeit;109 vielmehr reichte die Arbeitszeit mehr oder weniger vom Aufstehen bis zum Zubettgehen,110 wobei jedoch lebensweltliche Elemente in den Arbeitsbereich eingeschlossen waren.111 Die Arbeit der Handwerker unterschied sich auf den ersten Blick von derjenigen der Bauern im Feudalsystem dadurch, dass sie nicht innerhalb eines direkten und unmittelbaren Zwangsverhältnisses ausschließlich für einen Feudalherren produzieren mussten.112 Allerdings wurde auch das handwerkliche Produkt durch Hausund Stallrenten, Mühlen- und Ofenmonopole sowie Zölle und Steuern durch die 104
So bezeichnet es Weuthen, Bereitschaftsdienst, S. 23 als konstitutives Merkmal des mittelalterlichen Arbeitssystems, dass ein „direktes und unmittelbares Zwangsverhältnis zwischen Feudalherren und Bauern“ bestand, innerhalb dessen die Bauern zur Abgabe von großen Teilen ihres mit den vom Feudalherren erhaltenen Ländereien Erwirtschafteten sowie zur Ableistung von Frondiensten verpflichtet waren; vgl. hierzu auch Maurer, Zweckrationalisierung, S. 104. 105 Vgl. hierzu Maurer, Zweckrationalisierung, S. 104 ff.; Scharf, Arbeitszeitverkürzung, S. 28 f.; Weuthen, Bereitschaftsdienst, S. 23 f.; Zoll, in: Zerstörung und Wiederaneignung von Zeit, S. 76. 106 Weuthen, Bereitschaftsdienst, S. 24; siehe auch Scharf, Arbeitszeitverkürzung, S. 29, der ein Zusammenfallen von Arbeits- und Lebensrhythmus in der mittelalterlichen Agrarwirtschaft erkennt. 107 So auch Maurer, Zweckrationalisierung, S. 105, nach der der Arbeitszeit „keine ausdrückliche soziale oder wirtschaftliche Funktion“ zukam, und Zoll, in: Zerstörung und Wiederaneignung von Zeit, S. 76, der herausstellt, dass Uhren für das tägliche Leben des mittelalterlichen Dorfes keine Bedeutung hatten. 108 Maurer, Zweckrationalisierung, S. 103 ff. 109 Deller, Flexible Arbeitszeitmodelle, S. 7; Maurer, Zweckrationalisierung, S. 106; Weuthen, Bereitschaftsdienst, S. 27. 110 Dipper, Deutsche Geschichte, S. 189; Engels, Hochkapitalismus, S. 12; Maurer, Zweckrationalisierung, S. 105 f.; Schneider, Streit um Arbeitszeit, S. 21; Tietje, Arbeitszeitrecht, S. 27; Weuthen, Bereitschaftsdienst, S. 24; Zoll, in: Zerstörung und Wiederaneignung von Zeit, S. 76; auch Glaubrecht, Arbeitszeit im Wandel, S. 19 spricht davon, dass der ganze Tag mit Arbeit ausgefüllt war. 111 Maurer, Zweckrationalisierung, S. 186; so auch Dipper, Deutsche Geschichte, S. 189, der beschreibt, dass die Freizeit ein Bestandteil des Arbeitstages war. 112 Maurer, Zweckrationalisierung, S. 104.
A. Der Begriff der Arbeitszeit
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Oberherren der Städte abgeschöpft,113 sodass eine dem feudalen System ähnliche Abhängigkeit bestand. Zudem war das mittelalterliche Handwerk durch die Hauswirtschaft geprägt, bei der die Handwerksgesellen im Haushalt des Handwerksmeisters lebten.114 Hierdurch verfügte der Handwerksmeister über eine umfassende soziale Kontrolle über seine Gesellen,115 sodass der Arbeits- und Lebensrhythmus der Handwerksgesellen stark fremdbestimmt war.116 Zur Wahrung ihrer Interessen gründeten die Handwerker Zünfte, die neben der Sicherstellung eines geordneten Wettbewerbs unter den Zunftgenossen117 die Förderung der Selbstbestimmung der Handwerksgesellen118 und dadurch letztlich auch die Sicherstellung der angemessenen Versorgung aller Zunftmitglieder119 zum Ziel hatten. Durch die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beginnende Industrielle Revolution folgte auf die bislang gegebene Einbindung lebensweltlicher Elemente in die Zeiten der Arbeit nunmehr eine Zweiteilung der Welt in Arbeitszeit auf der einen und Freizeit auf der anderen Seite.120 Daher wird die Industrielle Revolution auch als einer „der wesentlichsten Einschnitte in der Entwicklungsgeschichte der Arbeit“121 bezeichnet.122 Diese Veränderung lag zum einen daran, dass Arbeits- und Wohnstätte voneinander getrennt wurden.123 Dadurch wurden Arbeitszeit und Freizeit nunmehr nach außen hin klar voneinander abgegrenzt.124 Der Arbeiter musste „sich dem täglichen Weg zur Arbeit und nach Hause unterziehen“.125 Zudem folgte aus der Abkehr vom feudalen System zwar einerseits die Freiheit der Arbeiter, indem sie von der Leibeigenschaft beziehungsweise der Hauswirtschaft der Handwerksmeister befreit 113
Hilton, in: Sweezy, S. 23; Maurer, Zweckrationalisierung, S. 104. Weuthen, Bereitschaftsdienst, S. 24. 115 Schneider, Streit um Arbeitszeit, S. 21. 116 Weuthen, Bereitschaftsdienst, S. 24 f.; vgl. auch Nahrstedt, Freizeit, S. 99, der wiederum von Hohberg, Georgica curiosa, S. 174 zitiert: „Ein Hausvater gleichet einer Hausuhr, darnach sich jedermann mit Aufstehn, Schlafengehen, Arbeiten, Essen und allen Geschäften richten muss.“. 117 Vgl. hierzu Deutschmann, in: Offe, S. 35 f.; Michels-Holl, FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 681 (686); Schmoeckel/Maetschke, Rechtsgeschichte, Rn. 49; Weuthen, Bereitschaftsdienst, S. 25. 118 Vgl. hierzu von Müller, in: Geschichte der Arbeit, S. 176. 119 Vgl. hierzu Deutschmann, in: Offe, S. 35 f.; Scharf, Arbeitszeitverkürzung, S. 32. 120 Maurer, Zweckrationalisierung, S. 117, 187. 121 Paulinyi, in: Geschichte der Arbeit, S. 193. 122 So auch Weuthen, Bereitschaftsdienst, S. 28, der in der Industriellen Revolution „eine grundlegende Zäsur sowohl in der Entwicklung der Arbeitsorganisation wie auch in der Entwicklung der Arbeitszeit“ sieht. 123 Glaubrecht, Arbeitszeit im Wandel, S. 19; Paulinyi, in: Geschichte der Arbeit, S. 206; Weuthen, Bereitschaftsdienst, S. 30. 124 Maurer, Zweckrationalisierung, S. 117; Schneider, Streit um Arbeitszeit, S. 20; Weuthen, Bereitschaftsdienst, S. 30. 125 Paulinyi, in: Geschichte der Arbeit, S. 206. 114
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Kap. 2: Die Arbeitszeit im Wandel
wurden, andererseits aber auch der Verlust der Fürsorgepflicht der Feudalherren.126 Der einzelne Arbeitnehmer war nun allein auf den Verkauf seiner Arbeitskraft zur Bestreitung seines Lebensunterhalts angewiesen. Diese Arbeitskraft mussten die Arbeitgeber durch Zahlung einer finanziellen Entlohnung erwerben. Aus dieser Ausgangsposition entstand nunmehr das Lohnarbeitsverhältnis, in dem die Arbeitszeit eine zentrale Größe mit ökonomischem Wert darstellte. Die Arbeitszeit wurde also zur verkauften Lebenszeit,127 über die nicht mehr der Arbeiter selbst, sondern der Arbeitgeber bestimmte. 2. Anlehnung an den physikalischen Arbeitsbegriff Als Ausgangspunkt zur Bildung eines Begriffs der Arbeit im Sinne des Arbeitsrechts diente in den 1920er-Jahren der physikalische Arbeitsbegriff, der Arbeit als die Wirkung einer Kraft zur Überwindung eines Widerstandes während eines Weges definiert – oder verkürzt Arbeit gleich Kraft mal Weg.128 Ausgehend davon bestimmte Richter Arbeit als Vollzug einer Änderung durch eine Kraft.129 Aus dieser Begriffsbestimmung folgerte Richter sodann, dass Arbeit keine Sache sei und daher nicht wie eine Ware geschuldet oder ausgetauscht werden könne. Arbeit könne von der Kraft, von der sie geleistet wird, nicht losgelöst werden.130 Allerdings erkannte Richter auch, dass der physikalische Begriff der Arbeit nicht ohne Weiteres auch für das Recht brauchbar sei und daher nicht jede Art physikalischer Arbeit auch der (Arbeits-)Rechtsordnung zu unterwerfen sei – so könne unter den Begriff der physikalischen Arbeit zum Beispiel bereits das Steigen und Fallen der Meeresflut oder das Rollen bewegter Maschinen fallen.131 Richter zog den Schluss, dass für den Begriff der Arbeit im Sinne des (Arbeits-)Rechts lediglich menschliches Handeln relevant sei; die Quelle, aus der die Arbeit komme, könne also nicht beliebig sein, sondern es müsse sich um eine menschliche Quelle handeln.132 Dieser an den physikalischen Arbeitsbegriff angelehnte Begriff der Arbeit wurde allerdings wegen seiner Ausrichtung an den Erscheinungen der Natur anstatt an denen des sozialen Lebens stark kritisiert.133 Zwar gingen die Vertreter dieser Ansicht 126
Weuthen, Bereitschaftsdienst, S. 29. Maurer, Zweckrationalisierung, S. 187. 128 Vgl. Richter, Arbeitsrecht als Rechtsbegriff, S. 5 f. 129 Vgl. hierzu Richter, Arbeitsrecht als Rechtsbegriff, S. 5 ff.; zustimmend zu diesem physikalischen Arbeitsbegriff: Groh, Deutsches Arbeitsrecht, S. 9 ff.; Potthoff, Arbeitsrecht, S. 11 ff.; Silberschmidt, Deutsches Arbeitsrecht I, S. 7 ff.; ablehnend: Engisch, Vom Weltbild des Juristen, S. 42 f.: Hueck/Nipperdey, ArbR I, S. 36, Fn. 7; Mayer-Maly, RdA 1967, 281 (282); Molitor, Wesen des Arbeitsvertrages, S. 5. 130 Richter, Arbeitsrecht als Rechtsbegriff, S. 6 f. 131 Richter, Arbeitsrecht als Rechtsbegriff, S. 6 ff. 132 Richter, Arbeitsrecht als Rechtsbegriff, S. 11. 133 Engisch, Vom Weltbild des Juristen, S. 42 f.; Hueck/Nipperdey, ArbR I, S. 36, Fn. 7; Molitor, Wesen des Arbeitsvertrages, S. 5 f. Ablehnend auch Söllner, ArbR, S. 226. 127
A. Der Begriff der Arbeitszeit
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in Ansätzen auch auf den sozialen Gehalt der Arbeit ein, indem sie erkannten, dass Arbeit kein Selbstzweck ist, sondern final und innerhalb einer sozialen Beziehung erbracht wird.134 Allerdings wurde hierauf nicht vertieft eingegangen. Vielmehr lag der Schwerpunkt der Ausführungen zu diesem Begriff der Arbeit auf dem physikalischen Aspekt einer Tätigkeit im Sinne einer Aufwendung von Kraft oder Energie durch den Arbeitnehmer beziehungsweise einer durch die Kraft zu bewirkenden Veränderung am Arbeitsobjekt.135 Richter kam daher sogar explizit zu dem Schluss, dass rein geistige Arbeit mangels sichtbarer Kraftaufwendung für das Recht „unmöglich“ sei. Nur dann, wenn zu dem hauptsächlichen Arbeitsvorgang im Gehirn noch eine äußere Wirkung – wie etwa eine Niederschrift – hinzutrete, läge eine relevante Arbeitsleistung vor.136 3. Berücksichtigung der sozialen Verhältnisse Unter Berücksichtigung der sozialen Aspekte der Arbeit wurde dieser an den physikalischen Arbeitsbegriff angelehnte Begriff der Arbeit verändert. Ausgangspunkt blieb dabei die Feststellung, dass Arbeit menschliches Handeln und damit untrennbar vom arbeitenden Menschen ist.137 Wie bei dem an den physikalischen Begriff angelehnten Begriff der Arbeit ist jedoch nicht jegliches menschliches Handeln umfasst. Vielmehr wird auch hier der Begriff der Arbeit auf spezifisches menschliches Handeln verengt. Anders als bei dem oben dargestellten Begriff der Arbeit liegt diese Verengung allerdings nicht mehr darin, dass nur Tätigkeiten, bei denen eine gewisse Kraft oder Energie aufgewendet wird, erfasst sein sollen, sondern in dem sozialen Gehalt des Handelns, das heißt vor allem in der Berücksichtigung der menschlichen Beziehungen, die der Vornahme von Tätigkeiten zugrunde liegen.138
134 Vgl. Groh, Deutsches Arbeitsrecht, S. 10 f., der einen kulturellen Zweck der Tätigkeit fordert, damit diese als Arbeit gelten könne; Potthoff, Arbeitsrecht, S. 12 f., der auf die in Abhängigkeit geleistete Arbeit abstellt; Richter, Arbeitsrecht als Rechtsbegriff, S. 13, der anerkennt, dass Arbeit nur dort vorliege, wo eine Tätigkeit in einem Rechtsverhältnis zwischen Personen geleistet werde und Silberschmidt, Deutsches Arbeitsrecht I, S. 77, der davon spricht, dass Arbeit „einem fremden Bedürfnisse“ diene; genauer zu den sozialen Aspekten sogleich. 135 Vgl. insb. Silberschmidt, Deutsches Arbeitsrecht I, S. 9, der eine Verankerung des Arbeitsrechts „innerhalb der Energiewirtschaft“ sieht und ihm folgend Potthoff, Arbeitsrecht, S. 11, der ein „Recht der Kräfte“ fordert; ebenfalls die durch die Arbeit nach außen tretende Kraft bzw. Energie betonend: Groh, Deutsches Arbeitsrecht, S. 9 ff.; Richter, Arbeitsrecht als Rechtsbegriff, S. 8 f. 136 Richter, Arbeitsrecht als Rechtsbegriff, S. 8. 137 Lotmar, Arbeitsvertrag I, S. 7 ff., 72 f.; Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts, S. 7 f.; Wlotzke, RdA 1965, 180 (181). 138 Vgl. hierzu auch bereits Groh, Deutsches Arbeitsrecht, S. 10, der erkannte, dass arbeitsrechtlich relevante Handlungen nur innerhalb von menschlichen Beziehungen vorliegen können.
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Kap. 2: Die Arbeitszeit im Wandel
a) Zweckgerichtetheit Dieser soziale Gehalt drückt sich zunächst darin aus, dass das menschliche Handeln final auf ein bestimmtes Ziel hin ausgerichtet sein muss.139 Es wird nicht jede beliebige menschliche Tätigkeit vom Begriff der Arbeit erfasst, sondern nur solche Tätigkeiten, die auf einen bestimmten, über die Tätigkeit hinausgehenden Zweck gerichtet sind.140 Dieses Verständnis deckt sich mit der philosophischen Herangehensweise an den Begriff der Arbeit141 und dem heutigen Begriffsverständnis von Arbeit im allgemeinen Sprachgebrauch142. Allerdings muss im Bereich des Arbeitsrechts eine weitere Verengung hinsichtlich der Ausgestaltung dieses Zwecks stattfinden. Es reicht daher nicht aus, mit der menschlichen Tätigkeit irgendeinen Zweck zu verfolgen. Vielmehr ist der Begriff der Arbeit im Arbeitsrecht auf Erwerbstätigkeiten zu beschränken. Es sind daher regelmäßig nur Tätigkeiten erfasst, die auf das Ziel gerichtet sind, für die Tätigkeit ein Entgelt zu erhalten und damit den Lebensunterhalt verdienen zu können.143 Mithin erfolgt eine Ausgrenzung nichtkommerzieller Tätigkeiten, das heißt solcher Tätigkeiten, die keinen Erwerbszwecken dienen,144 aus dem Begriff der Arbeit im Sinne des Arbeitsrechts. b) § 611a BGB Erwerbstätigkeiten im Sinne einer Tätigkeit gegen Entgelt können allerdings nicht nur im Rahmen eines Arbeitsvertrags, sondern grundsätzlich auch im Rahmen eines Dienst- oder Werkvertrags erfolgen.145 Arbeit im Sinne von § 611a BGB ist also 139
Engisch, Vom Weltbild des Juristen, S. 43. Galperin, DB 1960, 695; Molitor, Wesen des Arbeitsvertrages, S. 6; Motzer, positive Vertragsverletzung, S. 26; Wlotzke, RdA 1965, 180 (182). 141 Hiernach ist unter Arbeit jede Tätigkeit zu verstehen, die zu einem Ziel in Beziehung steht, das vorgegeben ist oder das man sich steckt, vgl. Alvira, in Bydlinski/Meyer-Maly, S. 9; Kreft, Arbeitszeitdauerregulierungen, S. 8. 142 https://de.pons.com/%C3%BCbersetzung/deutsche-rechtschreibung/Arbeit+suchend (zuletzt abgerufen am 25. 02. 2022): hiernach ist Arbeit eine planvolle Tätigkeit, „mit der man Ergebnisse bewirkt oder Produkte schafft“. 143 Vgl. EuGH, Urt. v. 07. 09. 2004 – C-456/02 (Trojani), ECLI:EU:C:2004:488, AP EG Art. 39 Nr. 16 (Rn. 15); BeckOGK/Maties, § 612 BGB, Rn. 126; ErfK/Preis, § 612 BGB, Rn. 1; in diesem Sinne kann auch Lotmar, Arbeitsvertrag I, S. 72 verstanden werden, der davon ausgeht, dass für Arbeit „erfahrungsgemäß irgend wann oder wo ein Entgelt geboten wird“; vgl. zudem Soergel/Raab, § 612 BGB, Rn. 4 f., wonach eine Vergütungspflicht für die Annahme eines Dienstvertrags i. S. v. § 611 BGB konstitutiv ist; genauer zum Erfordernis der Entgeltlichkeit Seiwerth, FS Preis, S. 1253 (1258 f.). 144 Hierunter fallen z. B. ehrenamtliche Arbeit, vgl. Kreft, Arbeitszeitdauerregulierungen, S. 9, oder Tätigkeiten innerhalb der Familie, vgl. Lotmar, Arbeitsvertrag I, S. 2. 145 So auch ArbR-BGB/Schliemann, § 611 BGB, Rn. 7, der als Gemeinsamkeit von Dienstund Arbeitsvertrag „die Leistung von Diensten gegen Entgelt“ ansieht und Richardi, FS 125 Jahre Juristische Gesellschaft zu Berlin, S. 607 (622); ZfA 1988, 221 (241) sowie NZA 2017, 36, der als gemeinsames Element „die Verpflichtung zu einer Tätigkeit gegen Entgelt“ ausmacht. 140
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von einfachen Diensten im Sinne von § 611 BGB und von der Herstellung eines Werkes im Sinne von § 631 BGB abzugrenzen. Diese Abgrenzung erfolgt über das Kriterium der Abhängigkeit: Arbeit im Sinne des Arbeitsrechts sind nur abhängige Tätigkeiten.146 Bei Tätigkeiten im Rahmen eines Dienstvertrags im Sinne von § 611 BGB oder eines Werkvertrags im Sinne von § 631 BGB handelt es sich um selbstständige und selbstbestimmte Tätigkeiten im Sinne einer „Verfügung des Menschen über sich selbst“147. Die tätig werdende Person kann ihre Tätigkeit frei gestalten und dabei selbst über Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit bestimmen. Hingegen liegen bei einem Arbeitsvertrag abhängige – das heißt weisungsgebundene, unselbstständige und fremdbestimmte – Tätigkeiten vor. Eine andere Person als der tätig werdende Mensch selbst hat die Verfügungsgewalt über die Ausführung der Tätigkeit inne. Arbeit im Sinne des Arbeitsrechts wird demnach im Rahmen eines Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber erbracht.148 Das Arbeitsrecht definiert Arbeit also als in Abhängigkeit erbrachte Arbeit.149 Das kommt auch in dem 2017 eingeführten § 611a BGB zum Ausdruck, der erstmals eine gesetzliche Regelung zum Arbeitsvertrag enthält. § 611a BGB bezieht sich zwar ausweislich seiner Überschrift nur auf den „Arbeitsvertrag“ und nicht auf den Begriff der Arbeit. Allerdings können die Begriffe der Arbeit und des Arbeitsvertrags nicht unabhängig voneinander definiert werden, sondern sind kongruent zueinander – Arbeit wird von einem Arbeitnehmer auf Grundlage eines Arbeitsvertrags erbracht.150 Daher zeugt es von „innerer Systemgerechtigkeit“151, dass die Kriterien für die Bejahung eines Arbeitsvertrags dieselben sind wie für die Frage, ob eine Tätigkeit Arbeit ist. Mithin enthält § 611a BGB nicht nur Kriterien für das Vorliegen eines Arbeitsvertrags, sondern auch für das Vorliegen von Arbeit. § 611a BGB bestimmt also – unter Rückgriff auf die von der bisherigen Rechtsprechung des BAG entwickelten Kriterien zum Arbeitnehmerbegriff152 – die relevanten Tatbestandsmerkmale zur Annahme eines Arbeitsvertrags im Sinne von § 611a BGB in Abgrenzung von anderen Vertragsgestaltungen, insbesondere zu 146 Vgl. Gamillscheg, ArbR I, S. 1; Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 66; Richardi, FS 125 Jahre Juristische Gesellschaft zu Berlin, S. 607. 147 Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts, S. 10. 148 Ogris, RdA 1967, 286; Wlotzke, RdA 1965, 180 (182, 184). 149 Gamillscheg, ArbR I, S. 1. 150 Vgl. Preis, VSSAR 2019, 267 (284 f.). 151 Preis, FS Moll, S. 539 (550). 152 Vgl. BT-Drs. 18/10064, 4: „1:1-Kodfizierung einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung“; ferner Deinert/Maksimek/Sutterer-Kipping, Rechtspolitik des Sozial- und Arbeitsrechts, S. 335; Hromadka, NZA 2018, 1583; BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB, Rn. 4; BeckOGK/Maties, § 611a BGB, Rn. 1; Preis, NZA 2018, 817; Richardi, NZA 2017, 36; ders., NZA 2018, 974; Roloff, FS Preis, S. 1087 (1088); Sittard/Pant, jM 2021, 416; Willemsen, FS Moll, S. 757 (760).
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einem Dienstvertrag im Sinne von § 611 BGB und einem Werkvertrag im Sinne von § 631 BGB, und damit auch zur Bejahung von Arbeit im Sinne des Arbeitsrechts.153 Dabei hat der Gesetzgeber in § 611a Abs. 1 BGB eine „Kriterientrias“154 zur Abgrenzung von Arbeitsvertrag und Dienstvertrag aufgestellt: die Weisungsabhängigkeit, die Fremdbestimmheit und die persönliche Abhängigkeit. Es wird jedoch nicht bestimmt, in welchem Verhältnis diese Begriffe zueinander stehen.155 Unter anderem deswegen wird die Vorschrift stark kritisiert.156 Insbesondere das Kriterium der persönlichen Abhängigkeit wird als „Leerformel“ angesehen.157 Zudem bemängelt Hromadka, dass sich der Inhalt von § 611a BGB mit den klassischen Auslegungsmethoden „nur schwer“ erschließe.158 Letztlich habe der Gesetzgeber lediglich Leitsätze abgeschrieben, dabei aber nicht beachtet, dass das BAG keine Gesetzestexte formuliere159 und daher nicht unbedingt Verlass auf Leitsätze sei,160 sodass durch die Schaffung des § 611a BGB „kein Gran an Klarheit gewonnen worden“161 sei. Trotz dieser handwerklichen Mängel162 des § 611a BGB muss die Vorschrift für die Praxis handhabbar gemacht werden. Dabei ist mit Preis163 davon auszugehen, dass die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers das zentrale Kriterium des § 611a Abs. 1 BGB ist.164 Das zeigt sich unter anderem auch daran, dass das Kri153 In diese Richtung auch Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 66, wonach § 611a Abs. 1 S. 1 BGB Attribute aufstelle, die „erforderlich sind, um von Arbeit im Sinne des Arbeitsvertrages zu sprechen“. 154 Preis, NZA 2018, 817 (819). 155 Hromadka, NZA-Editorial 12/2017; ders., NZA 2018, 1583; Preis, NZA 2018, 817 (819); Willemsen, FS Moll, S. 757 (761). 156 Willemsen, FS Moll, S. 757: „tautologische Aneinanderreihung von Abgrenzungskriterien und -formeln, die in Ermangelung eines roten Fadens, der diese Kriterien sinnvoll miteinander verknüpfen könnte, den Rechtsanwender ebenso wie seinerzeit der Kaiser sein Volk ratlos zurücklassen.“ (in Anspielung auf das Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ von Hans Christian Andersen). 157 Richardi, NZA 2018, 974; siehe auch ders., FS Preis, S. 1023 (1031), wonach das Merkmal der persönlichen Abhängigkeit „wenig Klarheit“ bringe. 158 Hromadka, NZA 2018, 1853. 159 Hromadka, NZA 2018, 1583 (1586). 160 Richardi, NZA 2017, 36. 161 Hromadka, NZA 2018, 1583 (1586). 162 Vgl. Preis, NZA 2018, 817 (826); Richardi, NZA 2018, 974; zustimmend auch Hromadka, NZA 2018, 1853, der § 611a BGB handwerklich als „kein Glanzstück“ bezeichnet. 163 Preis, NZA 2018, 817 (819 ff.). 164 So auch Hromadka, NZA 2018, 1583 (1585); ders., NZA-Editorial 12/2017; BeckOKArbR/Joussen, § 611a BGB, Rn. 24, der die Weisungsgebundenheit als den „unabdingbaren Kern“ des Arbeitnehmerbegriffs deutet; Maties, FS Wank, S. 323 (328); zudem Vogelsang, in: Schaub, § 8, Rn. 23, der das Weisungsrecht als wesentlichen Indikator der persönlichen Abhängigkeit ansieht; a. A. Willemsen, FS Moll, S. 757 (767 ff.), der der Weisungsbindung nur noch eine geringe Bedeutung zuweist und stattdessen maßgeblich darauf abstellt, ob jemand durch seinen Auftritt am Markt einen eigenen wirtschaftlichen Zweck verfolgt und dazu auch
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terium der Weisungsgebundenheit – beziehungsweise das daraus folgende Weisungsrecht des Arbeitgebers – gleich drei Mal in § 611a Abs. 1 BGB aufgenommen wurde – nämlich in den Sätzen 1, 2 und 3.165 Nach der Legaldefinition des § 611a Abs. 1 S. 3 BGB liegt Weisungsgebundenheit vor, wenn eine Person „nicht im Wesentlichen frei“ ihre Tätigkeit gestalten und ihre Arbeitszeit bestimmen kann. § 611a Abs. 1 S. 3 BGB stellt damit das Gegenstück zur Definition der Selbstständigkeit in § 84 Abs. 1 S. 2 HGB dar.166 Nach dieser Vorschrift, die durch das Gesetz zur Änderung des Handelsgesetzbuchs (Recht der Handelsvertreter) vom 06. 08. 1953167 eingefügt worden ist, um den selbstständigen Handelsvertreter von dem als Handlungsgehilfen angestellten Arbeitnehmer abzugrenzen,168 ist derjenige als selbstständig anzusehen, der „im Wesentlichen frei“ seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Die Kriterien der Fremdbestimmtheit und der persönlichen Abhängigkeit werden sodann in Abhängigkeit zum Kriterium der Weisungsgebundenheit bestimmt.169 Wer weisungsgebunden arbeitet, kann nicht selbst über seine Tätigkeiten bestimmen und wird daher zugleich fremdbestimmt tätig.170 Letztlich kommt es also bei der Anwendung von § 611a BGB und damit auch für das Vorliegen von Arbeit darauf an, dass keine freie Tätigkeitsbestimmung der tätig werdenden Person vorliegt,171 sondern eine andere Person die Verfügungsgewalt über die Ausführung der Tätigkeit hat. c) Fremdnützigkeit Für das Vorliegen von Arbeit – in Abgrenzung zu Zeiten der Ruhe und des Müßiggangs – muss die Tätigkeit eines Arbeitnehmers zudem fremdnützig sein, das heißt der mit der Tätigkeit verfolgte Zweck darf nicht selbst gewählt und eigennützig sein. Vielmehr erfolgt Arbeit im Sinne des Arbeitsrechts im Interesse eines anderen
tatsächlich in der Lage ist, weil er über seine Arbeitskraft im Wesentlichen frei verfügen kann (sog. „Geprägetheorie“); Roloff, FS Preis, S. 1087 (1092) sieht statt der Weisungsgebundenheit die persönliche Abhängigkeit als den zentralen Begriff für die Abgrenzung Arbeitnehmer – Dienstnehmer an; kritisch hinsichtlich der Maßgeblichkeit der Weisungsabhängigkeit auch Richardi, NZA 2018, 974 (975). 165 Preis, NZA 2018, 817 (819). 166 Hromadka, NZA 2018, 1583 (1585); ders., NZA-Editorial 12/2017; BeckOK-ArbR/ Joussen, § 611a BGB, Rn. 24. 167 BGBl. I 1952, S. 771 ff. 168 Richardi, NZA 2018, 974 (975). 169 So explizit für das Verhältnis von persönlicher Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit Hromadka, NZA 2018, 1583 (1584). 170 Hromadka, NZA 2018, 1853 (1585); Preis, NZA 2018, 817 (820). 171 Vgl. BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB, Rn. 25.
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und zur Befriedigung seiner Bedürfnisse;172 sie richtet sich auf von einer anderen Person – dem Arbeitgeber – vorgegebene und nicht auf eigene, selbst gewählte Zwecke.173 Die Vorgabe der vom Arbeitnehmer zu verfolgenden Zwecke wiederum erfolgt aufgrund des zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber bestehenden Abhängigkeitsverhältnisses, dem Arbeitsvertrag.174 Keine Fremdnützigkeit liegt vor, wenn der Arbeitnehmer die Zeit eigennützig verwenden, das heißt eigenwirtschaftlichen und eigennützigen Interessen nachgehen kann.175 Das wiederum ist der Fall, wenn der Arbeitnehmer seine Zeit frei gestalten und sich eigenen persönlichen und sozialen Interessen widmen kann. Die maßgebliche Frage zur Abgrenzung von Fremd- und Eigennützigkeit ist also, ob die persönliche Dispositionsfreiheit des Arbeitnehmers durch vom Arbeitgeber auferlegte Einschränkungen so stark beschränkt wird, dass er seine Zeit nicht mehr frei gestalten kann.176
4. Untätigkeit des Arbeitnehmers In Anwendung der soeben herausgearbeiteten Kriterien kann Arbeit – entgegen manchen Stimmen in der Literatur177 – nicht nur bei einer aktiven Tätigkeit des Arbeitnehmers im Sinne eines positiven Tuns angenommen werden. Vielmehr kann auch bei einem Nichtstun des Arbeitnehmers, das heißt bei einer Untätigkeit des Arbeitnehmers, von Arbeit auszugehen sein.178 Dabei darf es sich allerdings nicht nur um ein reines Zur-Verfügung-Stellen der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer im Sinne einer bloßen Bereitschaft zur Arbeit handeln. Vielmehr muss ein durch den Arbeitgeber veranlasstes Zur-Verfügung-Stehen des Arbeitnehmers vorliegen, durch das der Arbeitnehmer in der freien Gestaltung seiner Zeit eingeschränkt ist.179 172 So formuliert auch das BAG in ständiger Rechtsprechung: „Arbeit ist eine Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient“, vgl. BAG, Urt. v. 08. 03. 1961 – 4 AZR 71/59, BAGE 11, 23 (26); Urt. v. 11. 10. 2000 – 5 AZR 122/99, BAGE 96, 45 (51); Beschl. v. 14. 11. 2006 – 1 ABR 5/06, BAGE 120, 162 (169). 173 Wlotzke, RdA 1965, 180 (184); so auch bereits Engisch, Vom Weltbild des Juristen, S. 43. 174 Engisch, Vom Weltbild des Juristen, S. 43; so kann es auch bei Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 25 verstanden werden, wonach „die Einschränkung des Arbeitnehmers durch eine Weisung des Arbeitgebers, die ihm ein fremdnütziges Verhalten abverlangt“ zentral für die Einordnung einer Dienstreise als Arbeitszeit sei. 175 Preis, VSSAR 2019, 267 (286). 176 Vgl. genauer Kapitel 2, A. III. 3. 177 Anzinger/Koberski, § 2, Rn. 8; Witschen, S. 57. 178 Ricken, DB 2016, 1255; Wlotzke, RdA 1965, 180 (182). 179 Das verkennt v. Stebut, RdA 1985, 66 (70), der einerseits das bloße Zur-VerfügungStellen der geschuldeten Arbeitsleistung zur Erfüllung der Verpflichtung des Arbeitnehmers ausreichen lässt und andererseits davon spricht, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen müsse, damit dieser die Nutzungsmöglichkeit über die Arbeitsleistung erlange.
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a) Zur-Verfügung-Stellen der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer Die Tatsache, dass auch durch eine Untätigkeit des Arbeitnehmers Arbeit und damit Erfüllung seitens des Arbeitnehmers vorliegen kann, darf nicht dahin missverstanden werden, dass ein Arbeitnehmer seine Verpflichtung aus dem Arbeitsvertrag stets bereits dann erfüllt, wenn er dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft lediglich anbietet, dieser sie aber – aus welchen Gründen auch immer – nicht annimmt, es also zu keiner Arbeitsleistung im eigentlichen Sinne kommt. Hiervon gehen einige Vertreter in der Literatur180 aus, indem sie zur Erfüllung der Leistungspflicht des Arbeitnehmers die reine Nutzungsmöglichkeit der Arbeitskraft des Arbeitnehmers, das heißt das bloße Zur-Verfügung-Stellen der Arbeitskraft durch den Arbeitnehmer, ausreichen lassen. Vertreter dieser Ansicht berufen sich auf die Vergleichbarkeit von Arbeits- und Mietvertrag. Im Mietvertragsrecht erfüllt der Vermieter gemäß § 537 BGB seine Leistungsverpflichtung bereits mit dem Zur-Verfügung-Stellen der Mietsache – unabhängig davon, ob der Mieter die Mietsache überhaupt nutzen kann oder am Gebrauch der Mietsache verhindert ist. Dieser Grundsatz sei auch auf den Arbeitsvertrag zu übertragen, sodass der Arbeitnehmer bereits durch das Zur-Verfügung-Stellen seiner Dienste von seiner Leistungspflicht frei werde – unabhängig davon, ob der Arbeitgeber diese auch konkret verwende.181 So wie es im Mietrecht Sache des Mieters sei, von der Mietsache Gebrauch zu machen, sei es im Arbeitsrecht Sache des Arbeitgebers, von der Arbeitskraft des Arbeitnehmers Gebrauch zu machen.182 Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen. Gegen die Annahme, dass bereits das bloße Zur-Verfügung-Stellen des Potentials eines Arbeitnehmers die Erfüllung seiner Leistungspflicht darstellen soll, spricht zum einen bereits der Wortlaut der §§ 611 Abs. 1, 611a Abs. 1 BGB. Das Gesetz spricht nämlich von der Leistung der versprochenen Dienste beziehungsweise weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit und nicht von der Gewährung des Gebrauchs wie bei § 537 BGB. Die im Arbeits-
180 Hueck/Nipperdey, ArbR I, S. 818; Köhler, Zweckstörungen, S. 55 f.; Nikisch, ArbR I, S. 325; 517 f.; Söllner, ArbR, S. 226 f.; ders., in: Tomandl, Entgeltprobleme, S. 97 (105); MüKo-BGB/Spinner, § 611a BGB, Rn. 73; v. Stebut, RdA 1985, 66 (70); Wieacker, FS Nipperdey I, S. 783 (794), Fn. 29; Windscheid, HeidelbKritZ 1855, 106 (138 f.); dagegen: BAG, Urt. v. 21. 12. 1954 – 2 AZR 5/53, BAGE 1, 241 (245); Canaris, FS Prölss, S. 21 (32); Fabricius, Leistungsstörungen, S. 13; Hellfeier, Leistungszeit, S. 85; Hüffer, Leistungsstörungen, S. 32 f.; BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB, Rn. 348; Picker, JZ 1979, 285 (286); ders., FS Kissel, S. 813 (850); ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 642; Reichold, in: MHA, § 40, Rn. 3; Staudinger/Richardi/Fischinger, § 611a BGB, Rn. 1051; Rückert, ZfA 1983, 1 (5); Sedlmeier, Unzureichende Arbeitsleistung, S. 23 f. 181 V. Stebut, RdA 1985, 66 (70). 182 Söllner, in: Tomandl, Entgeltprobleme, S. 97 (105); MüKo-BGB/Spinner, § 611a BGB, Rn. 73.
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vertrag vereinbarte Arbeit ist also nicht nur anzubieten, sondern auch tatsächlich zu leisten.183 Auch aus systematischer Sicht ist diese Ansicht abzulehnen. Wäre bereits das ZurVerfügung-Stellen des Potentials eines Arbeitnehmers als Erfüllung anzusehen, so bliebe für § 615 BGB kein Anwendungsbereich mehr. In dem Fall, dass der Arbeitgeber von dem Potential des Arbeitnehmers keinen Gebrauch macht, ergäbe sich nach dieser Ansicht der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers direkt aus § 611a Abs. 2 BGB, sodass für die Anwendung des § 615 BGB kein Raum mehr bliebe.184 Dadurch käme allerdings auch die Anrechnungsmöglichkeit nach § 615 Abs. 2 BGB nicht mehr zur Anwendung,185 was den Arbeitgeber unbillig belasten würde. Zuletzt spricht die Entstehungsgeschichte des § 615 BGB und der dabei geäußerte Wille des Gesetzgebers gegen eine Erfüllung der Leistungspflicht des Arbeitnehmers allein durch das Bereitstellen seines Potentials. Zwar haben Miet- und Arbeitsvertrag gemeinsam, dass es sich bei beiden um ein Dauerschuldverhältnis handelt. Im römischen Recht wurden der Gebrauch einer Sache – Sachmiete – und der Gebrauch einer Arbeitskraft – Dienstmiete – sogar als Unterfälle der sogenannten locatio conductio186 weitestgehend gleichgestellt.187 Allerdings ergibt sich aus den Gesetzgebungsmaterialien zu § 615 BGB, dass die Verfasser des BGB das Prinzip, dass das bloße Zur-Verfügung-Stellen des Potentials als Erfüllung anzusehen ist, nicht vom Mietvertrag auf den Dienstvertrag übertragen wollten. So heißt es in den Motiven zum BGB, dass für den Dienstvertrag der Grundsatz, dass die Leistungspflicht des Dienstverpflichteten erfüllt ist, wenn er zur Dienstleistung bereit und im Stande ist, „keineswegs als selbstverständlich erachtet werden“ könne. Sodann wird hierzu noch genauer ausgeführt, dass „nicht ausgesprochen werden“ dürfe, „dass die Dienstleistung erfolgt sei, wenn […] der Dienstverpflichtete zur Vorleistung fertig war und er rechtzeitig und ordnungsmäßig sich zur Erfüllung erboten hatte“. Zwar lasse sich die „Angemessenheit jenes Prinzips […] auch für den Dienstvertrag nicht bestreiten“, allerdings nahmen die Gesetzgeber weder Erfüllung noch die Fiktion einer solchen durch bloßes Zur-Verfügung-Stellen des Potentials an, sondern wollten lediglich „die an die Fiktion sich knüpfenden Folgen“ hervorheben und die „Wirkung der Erfüllung“188 gewinnen. Um das zu 183 Siehe hierzu auch: ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 642; Preis/Hamacher, Jura 1998, 11 (12); Reichold, in: MHA, § 40, Rn. 3; Sedlmeier, Unzureichende Arbeitsleistung, S. 23. 184 Reichold, in: MHA, § 40, Rn. 3; Sedlmeier, Unzureichende Arbeitsleistung, S. 24; siehe hierzu bereits Sommer, Nichterfüllung, S. 81. 185 ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 642; Preis/Hamacher, Jura 1998, 11 (12); Sedlmeier, Unzureichende Arbeitsleistung, S. 23; Sommer, Nichterfüllung, S. 81. 186 Gai. III, 142 ff.; Digesten 19, II; vgl. umfassend zur locatio conductio Mayer-Maly, Locatio conductio. 187 Vgl. BeckOK-BGB/Baumgärtner, § 611 BGB, Rn. 1; Honsell/Fargnoli, Römisches Recht, S. 171; Lotmar, Arbeitsvertrag I, S. 52 f.; Richardi, ZfA 1988, 221 (222); Staudinger/ Richardi/Fischinger, Vor § 611a BGB, Rn. 3. 188 Vgl. Picker, FS Huber, S. 497 (519), Fn. 90.
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erreichen, wurde für den Erhalt der Vergütung des Arbeitnehmers an den Annahmeverzug angeknüpft.189 b) Zur-Verfügung-Stehen des Arbeitnehmers In dem reinen Zur-Verfügung-Stellen der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer liegt also noch keine Erfüllung der Leistungspflicht des Arbeitnehmers. Vielmehr erfüllt der Arbeitnehmer seine Leistungspflicht aus dem Arbeitsvertrag erst dann, wenn er die im Arbeitsvertrag vorgesehene Dienstleistung auch tatsächlich erbringt. Allerdings kann diese Dienstleistung auch eine (vorübergehende) Untätigkeit einschließen.190 Das ist dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer zwar keine Arbeitsleistung im Sinne einer produktiven Tätigkeit erbringt, es sich aber auch nicht nur um ein reines ZurVerfügung-Stellen der Nutzungsmöglichkeit hinsichtlich der Arbeitskraft handelt, sondern der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort zur Leistung191 der versprochenen Dienste zur Verfügung steht und daher nicht frei über die Nutzung seiner Zeit bestimmen kann und der Arbeitgeber diese Untätigkeit des Arbeitnehmers veranlasst hat.192 Es ist also begrifflich zu unterscheiden zwischen einem reinen Zur-VerfügungStellen der Dienste und einem Zur-Verfügung-Stehen des Arbeitnehmers zur Erbringung seiner Dienste. Während das reine Zur-Verfügung-Stellen der Dienste keine Erfüllung der Leistungspflicht des Arbeitnehmers darstellt, kann der Arbeitnehmer durch ein Zur-Verfügung-Stehen seine Leistungspflicht erfüllen. Gemeinsam ist beiden, dass eine Untätigkeit des Arbeitnehmers vorliegt. Entscheidend für die Abgrenzung der Begriffe sind die oben herausgearbeiteten Kriterien für die Bestimmung von Arbeit. Bei dem Zur-Verfügung-Stellen der Dienste durch den Arbeitnehmer bietet dieser dem Arbeitgeber die Nutzungsmöglichkeit seiner Dienste an, der Arbeitgeber hat 189
Motive II, S. 461 ff. = Mugdan, S. 257 f.; vgl. hierzu auch: Canaris, FS Prölss, S. 21 (32); Fabricius, Leistungsstörungen, S. 13 f.; Hellfeier, Leistungszeit, S. 85; Picker, FS Kissel, S. 813 (850); Staudinger/Richardi/Fischinger, § 615 BGB, Rn. 3 ff. 190 Reichold, in: MHA, § 40, Rn. 3; Sedlmeier, Unzureichende Arbeitsleistung, S. 24; Sommer, Nichterfüllung, S. 80 f. 191 Von dem Erfordernis des vom Arbeitgeber vorgegebenen Ortes kann in den Fällen der Rufbereitschaft zum Teil abgewichen werden, vgl. unten, Kapitel 2, A. III. 3. 192 So auch BAG, Urt. v. 20. 04. 2011 – 5 AZR 200/10, BAGE 137, 366 (371); ArbR-BGB/ Schliemann, § 611 BGB, Rn. 608; ders., ArbZG, § 2, Rn. 13; hierunter fallen auch die in der Literatur oft genannten Beispiele der Tätigkeit als Maler- oder Fotomodell, vgl. Engisch, Vom Weltbild des Juristen, S. 43; Galperin, Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst, S. 10; ders., DB 1960, 695 (696); Hueck/Nipperdey, ArbR I, S. 36, Fn. 7, 8; Lotmar, Arbeitsvertrag I, S. 73; Molitor, Wesen des Arbeitsvertrages, S. 6; Söllner, AuR 1967, 353 (359 f.) oder der Fall, in dem sich eine Arbeitnehmerin im Arbeitsvertrag dazu verpflichtete, in einem Schaufenster die Qualität einer Matratze durch gesunden Schlaf zu demonstrieren, vgl. Söllner, AuR 1967, 353 (359 f.).
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jedoch kein Interesse am Gebrauch der Arbeitsleistung und weist den Arbeitnehmer ab. Das Zur-Verfügung-Stellen der Arbeitsleistung erschöpft sich daher in der bloßen Bereitschaft des Arbeitnehmers zur Arbeit, ohne dass dieser vom Arbeitgeber angewiesen wird. Es liegt also schon keine Veranlassung durch den Arbeitgeber vor. Mangels Weisungen des Arbeitgebers kann der Arbeitnehmer weiterhin frei über seine Zeit verfügen, sodass eine Fremdnützigkeit abzulehnen ist. Hingegen wird der Arbeitnehmer bei dem Zur-Verfügung-Stehen durch den Arbeitgeber angewiesen, für ihn bereit zu stehen, um gegebenenfalls die Arbeitstätigkeit aufzunehmen. Hier kann also eine Veranlassung der Untätigkeit des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber bejaht werden. Entscheidend für das Vorliegen von Arbeit in diesen Konstellationen ist sodann, ob der Arbeitnehmer die Zeit, in der er zur Verfügung steht, frei verwenden kann oder ob er aufgrund der Weisung des Arbeitgebers in der freien Nutzung seiner Zeit so stark beschränkt ist, dass nicht mehr von einer eigennützigen und selbstbestimmten Verwendung der Zeit ausgegangen werden kann. Ist letzteres der Fall, liegt bei der Untätigkeit des Arbeitnehmers in Form des Zur-Verfügung-Stehens Arbeit vor.193 5. Zwischenergebnis Unter Arbeit im arbeitsrechtlichen Sinne sind also alle Tätigkeiten im Sinne von § 611a Abs. 1 BGB zu verstehen.194 Arbeit ist daher jedes Tun oder Nichtstun eines Arbeitnehmers, das auf Basis einer arbeitgeberseitigen Weisung oder aufgrund des Arbeitsvertrags fremdbestimmt und fremdnützig erfolgt.195 Dabei können auch Tätigkeiten eines Arbeitnehmers, die nicht explizit im Arbeitsvertrag vereinbart worden sind, als Arbeit angesehen werden, solange sie auf einer Weisung des Arbeitgebers beruhen und der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dienen.196
193 Das steht dann auch in Einklang mit dem europäischen Arbeitszeitbegriff, insb. mit der Auslegung des EuGH zum zweiten Merkmal des Art. 2 Nr. 1 ArbZ-RL, vgl. bereits oben, Kapitel 2, A. I. 1. c); zur Anwendung dieser Kriterien auf die umstrittenen Fälle der Bereitschaftszeiten siehe Kapitel 2, A. III. 3. 194 ArbR-BGB/Schliemann, § 611 BGB, Rn. 608. 195 Preis, VSSAR 2019, 267 (286, 304); ders., FS Moll, S. 539 (551); ders., jM 2020, 367 (373); Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 66 ff., 115. 196 Als Beispiel für eine solche Tätigkeit nennt Schliemann, ArbZG, § 2, Rn. 13 einen als Automechaniker angestellten Arbeitnehmer, der auf Weisung seines Arbeitgebers Blumenkübel für diesen bepflanzt. Im Arbeitsvertrag sind in diesem Beispiel nur die Tätigkeiten als Automechaniker vereinbart; gleichwohl ist auch das Bepflanzen der Blumenkübel als Arbeitszeit anzusehen.
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III. Ablehnung der herkömmlichen Bildung des Arbeitszeitbegriffs Der Begriff der Arbeitszeit ist an diesen oben dargestellten Begriff der Arbeit anzuknüpfen. Arbeitszeit ist daher die Zeit, in der ein Arbeitnehmer Arbeit im Sinne von § 611a Abs. 1 BGB erbringt.197 Sie liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer auf Basis einer arbeitgeberseitigen Weisung oder aufgrund des Arbeitsvertrags fremdbestimmt und fremdnützig handelt oder zur Verfügung steht. Freizeit hingegen liegt bei weisungsfreien, eigennützigen und selbstbestimmten Tätigkeiten vor.198 Ein so verstandener Arbeitszeitbegriff weicht von der herkömmlichen Bildung des Arbeitszeitbegriffs in mehreren Punkten ab. Anders als bei dem herkömmlichen Arbeitszeitbegriff findet keine Aufspaltung des Arbeitszeitbegriffs für verschiedene Bereiche des Arbeitsrechts statt; vielmehr ist von einem einheitlichen Arbeitszeitbegriff für das gesamte Arbeitsrecht auszugehen (1.). Auch ist die Belastung eines Arbeitnehmers bei seiner jeweiligen Tätigkeit für die Einordnung als Arbeitszeit irrelevant (2.). Zuletzt ist anhand einer einzelfallbezogenen Subsumtion unter die oben dargestellten Merkmale von Arbeit(szeit) zu bestimmen, ob Arbeitszeit oder Ruhezeit vorliegt anstatt anhand von starren Begrifflichkeiten auf das Vorliegen von Arbeitszeit oder Ruhezeit zu schließen (3.). 1. Einheitlicher Arbeitszeitbegriff anstatt Aufspaltung des Arbeitszeitbegriffs Nach herkömmlicher Ansicht in Rechtsprechung und Literatur kennt das deutsche Recht keine einheitliche Arbeitszeitdefinition.199 Vielmehr habe der Begriff der Arbeitszeit in verschiedenen Sinn- und Sachzusammenhängen eine unterschiedliche Bedeutung, sodass er differenziert betrachtet werden müsse.200 Dieser Aufspaltung des Arbeitszeitbegriffs ist jedoch nicht zu folgen. Vielmehr ist im gesamten Arbeitsrecht ein einheitlicher Begriff der Arbeitszeit zugrunde zu legen.
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Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 66. So auch Preis, VSSAR 2019, 267 (286). 199 Buschmann, AuR 2003, 1; Schulze/Häfner, AiB 2007, 398; Wank, RdA 2014, 285 (286); Wirtz, BB 2014, 1397. 200 Schliemann, ArbZG, § 2, Rn. 6; Wirtz, BB 2014, 1397; andeutungsweise auch schon Frey, RdA 1960, 246 (247), nach dem der „Erfassungsbereich der Idee und Kategorie „Arbeitszeit“ […] von der Arbeitsschutzbedeutung über die kollektivrechtliche Erfassung durch Tarifvertrag und Betriebsverfassung bis zum individualrechtlichen Bereich der Lohnzahlung im Einzelarbeitsverhältnis“ reiche. 198
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Kap. 2: Die Arbeitszeit im Wandel
a) Herkömmliche Aufspaltung des Arbeitszeitbegriffs Nach der herrschenden Ansicht werden – kleinere sprachliche Abweichungen außer Acht gelassen –201 drei verschiedene Arbeitszeitbegriffe unterschieden: der arbeitsschutzrechtliche, der vergütungsrechtliche und der mitbestimmungsrechtliche Arbeitszeitbegriff.202 Die Schnittmenge der verschiedenen Arbeitszeitbegriffe ist zwar recht groß,203 sodass sich die Differenzierung zwischen Arbeitsschutz-, Vergütungs- und Mitbestimmungsrecht bei der Bewertung eines konkreten Sachverhalts oftmals gar nicht auswirkt. Im Einzelfall kann es aber durchaus zu Abweichungen zwischen den verschiedenen Begriffen kommen.204 aa) Arbeitsschutzrechtlicher Arbeitszeitbegriff Ausgangspunkt des arbeitsschutzrechtlichen Arbeitszeitbegriffs – auch als Arbeitszeitbegriff im ordnungsrechtlichen Sinne,205 arbeitszeitgesetzliche Arbeitszeit,206 Arbeitszeit im Sinne des ArbZG207 und arbeitszeitrechtliche Arbeitszeit208 bezeichnet – ist das Arbeitszeitgesetz, genauer § 2 Abs. 1 ArbZG.209 Das Arbeitszeitgesetz bezweckt gemäß § 1 Nr. 1 ArbZG vor allem die Gewährleistung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer. Die Arbeitnehmer sollen 201
Siehe zu den unterschiedlichen Bezeichnungen der Arbeitszeitbegriffe sogleich. BAG, Beschl. v. 14. 11. 2006 – 1 ABR 5/06, BAGE 120, 162 (168); Beschl. v. 22. 10. 2019 – 1 ABR 11/18, AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 146 (Rn. 22); Buschmann, AuR 2003, 1; Franzen, NZA 2016, 136 ff.; Freyler, Arbeitszeit- und Urlaubsrecht, S. 78 ff.; Düwell/ Kohte, § 87 BetrVG, Rn. 41; Kreft, AuR 2018, 56 ff.; ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 516a; Preis/Temming, Rn. 1109; Reinhard, NZA 2019, 1313 (1316); Ricken, DB 2016, 1255; HKArbZR/Spengler, § 2, Rn. 1; Stöckel/Wulff, AiB 2011, 731; Volk, JbArbR 2019, 47 (48 ff.); Wank, RdA 2014, 285 f.; Witschen, Rahmenvorgaben, S. 49, 56; Zwanziger, DB 2007, 1356; hingegen sprechen Boemke, RdA 2020, 65; Hördt, ArbRAktuell 2019, 55 (56); Meisel/Hiersemann, § 2 AZO, Rn. 3; Natzel, BB 2015, 2938; Niklas, ArbRB 2019, 275 f.; Salamon/ Wessels, ArbRB 2019, 19 ff.; Stöhr/Stolzenberg, NZA 2019, 505 ff. lediglich von einem vergütungsrechtlichen und einem arbeitsschutzrechtlichen Arbeitszeitbegriff; in diese Richtung auch BAG, Urt. v. 20. 04. 2011 – 5 AZR 200/10, BAGE 137, 366 (372), wonach „allein die Einordnung einer bestimmten Zeit“ als Arbeitszeit „nichts über deren Vergütungspflicht“ besage. 203 Kreft, AuR 2018, 56 (66); Volk, JbArbR 2019, 47 (48); Witschen, Rahmenvorgaben, S. 64. 204 Witschen, Rahmenvorgaben, S. 64; das ist insb. bei der Einordnung von Dienstreisen als Arbeitszeit der Fall, vgl. statt vieler Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 19 ff. 205 Litschen, öAT 2019, 89. 206 Hahn, öAT 2017, 202. 207 Buschmann, AuR 2003, 1; Schulze/Wannisch, ArbRAktuell 2019, 453; ErfK/ Wank, 21. Aufl. 2021, § 2 ArbZG, Rn. 10, 21. 208 Franzen, NZA 2016, 136; Freyler, Arbeitszeit- und Urlaubsrecht, S. 78, 80; dies., BB 2019, 1397; Düwell/Kohte, § 87 BetrVG, Rn. 41; Kreft, AuR 2018, 56 (66); ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 516a; Ricken, DB 2016, 1255; Rieger, RdA 1964, 405. 209 Zu § 2 Abs. 1 ArbZG bereits oben, Kapitel 2, A. I. 2. 202
A. Der Begriff der Arbeitszeit
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gegen eine übermäßige zeitliche Inanspruchnahme beziehungsweise vor den Gesundheitsgefahren, die durch ein Überschreiten der zeitlichen Leistungsgrenzen drohen, geschützt werden.210 Den Arbeitnehmern soll Gelegenheit zur Erholung und Entfaltung ihrer Persönlichkeit gegeben werden; zudem soll die Möglichkeit zur Teilnahme am Familienleben sowie am kulturellen und politischen Geschehen gesichert werden.211 Daher betrifft der arbeitsschutzrechtliche Arbeitszeitbegriff die Frage nach der höchstzulässigen Dauer der Arbeitsleistung212 – wann und wie lange darf ein Arbeitgeber seine Arbeitnehmer zur Arbeit einsetzen?213 In Anwendung dieser Ausführungen findet sich ein Verständnis des arbeitsschutzrechtlichen Arbeitszeitbegriffs, das alle Zeiten erfasst, in denen ein Arbeitnehmer Tätigkeiten erbringt, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dienen.214 Zum Teil – vor allem bei der Frage, ob Dienstreisen des Arbeitnehmers Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne darstellen – wird zusätzlich eine für den Arbeitnehmer belastende Beeinträchtigung gefordert.215 bb) Vergütungsrechtlicher Arbeitszeitbegriff Der vergütungsrechtliche Arbeitszeitbegriff – auch schuldrechtlicher216 oder arbeitsvertraglicher217 Arbeitszeitbegriff genannt – hingegen soll sich anhand der im 210 Falder, NZA 2010, 1150 (1151); Kreft, Arbeitszeitdauerregulierungen, S. 5; Zmarzlik, DB 1967, 1264. 211 So richtigerweise BayObLG, Urt. v. 23. 03. 1992 – 3 ObOWi 18/92, NZA 1992, 811; zustimmend Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 40 f., die die Teilhabe am sozialen, kulturellen und politischen Geschehen als wesentlichen Faktor der Gesundheit ansehen; a. A. BAG, Urt. v. 11. 07. 2006 – 9 AZR 519/05, BAGE 119, 41 (51); Hunold, NZA-Beil. 2006, 38 (40); Stöhr/ Stolzenberg, NZA 2019, 505 (506). 212 Preis/Temming, Rn. 1109; Salamon/Wessels, ArbRB 2019, 19 (20). 213 Litschen, öAT 2019, 98; Wirtz, BB 2014, 1397. 214 Boemke, RdA 2020, 65 (70); Franzen, NZA 2016, 136 (137); Hördt, ArbRAktuell 2019, 55 (56); Ricken, DB 2016, 1255 (1256); Witschen, Rahmenvorgaben, S. 59; anderer Ansicht sind hingegen Meisel/Hiersemann, § 2 AZO, Rn. 12 und Reinhardt, NZA 2019, 1313 (1316), wonach als Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne die Zeit angesehen werden kann, die zur Erfüllung der Pflichten des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis erbracht wird, sowie ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 516e; Preis/Temming, Rn. 1109, die Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne unter Verweis auf Art. 2 Nr. 1 der ArbZ-RL bestimmen als jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder seine Aufgaben wahrnimmt. 215 Sog. Belastungs- oder Beanspruchungstheorie, vgl. BAG, Urt. v. 11. 07. 2006 – 9 AZR 519/05, BAGE 119, 41 (49 f.); Urt. v. 18. 01. 2017 – 7 AZR 224/15, AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 167 (Rn. 28 f.); Anzinger/Koberski, § 2, Rn. 21 f.; Baeck/Deutsch/Winzer, § 2, Rn. 73 ff.; Baeck/Lösler, NZA 2005, 247 (249); Hunold, NZA-Beil. 2006, 38 (39); Neumann/Biebl, § 2, Rn. 15; genauere Ausführungen hierzu erfolgen unter Kapitel 2, A. III. 2. 216 Litschen, öAT 2019, 89. 217 Bitterberg, Bereitschaftsdienst, S. 39; HWK/Gäntgen, § 2 ArbZG, Rn. 3; Preis, VSSAR 2019, 267 ff.; ErfK/Wank, 21. Aufl. 2021, § 2 ArbZG, Rn. 11; auch Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 15 sprechen von „Arbeitszeit im Sinne des Arbeitsvertragsrechts“.
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Kap. 2: Die Arbeitszeit im Wandel
konkreten Arbeitsverhältnis geltenden Regelungen bestimmen, das heißt in der Regel anhand des zwischen den Parteien geltenden Arbeitsvertrags. Er soll den wirtschaftlichen Wert der Arbeitsleistung eines Arbeitnehmers abbilden218 und mithin die Frage beantworten, in welchem Umfang Beschäftigte Arbeitszeit zu leisten haben219 und ob und in welcher Höhe sie für ihre Leistung Vergütungsansprüche erwerben.220 Daher wird unter dem vergütungsrechtlichen Arbeitszeitbegriff die Zeit subsumiert, in der der Arbeitnehmer „versprochene Dienste“ im Sinne von § 611a Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem jeweiligen Arbeitsvertrag erbringt.221 Unter den versprochenen Diensten wiederum wird „jede vom Arbeitgeber im Synallagma verlangte Tätigkeit oder Maßnahme“ verstanden, „die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt“.222 cc) Mitbestimmungsrechtlicher Arbeitszeitbegriff Bei dem mitbestimmungsrechtlichen Arbeitszeitbegriff – auch tarifrechtlicher223 oder betriebsverfassungsrechtlicher224 Arbeitszeitbegriff genannt – ist die maßgebliche Norm die des § 87 Nr. 2, 3 ArbZG. Schutzzweck der in § 87 Nr. 2, 3 BetrVG geregelten Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei der Arbeitszeit ist die Gewährleistung einer sinnvollen Arbeitszeit- und Freizeiteinteilung für die Arbeitnehmer.225 Die durch den mitbestimmungsrechtlichen Arbeitszeitbegriff zu beantwortende Frage ist mithin, ob Beteiligungsrechte des Betriebsrates bei der Festlegung von Zeiten für die Arbeitnehmer ausgelöst werden.226 Unter der mitbestimmungsrechtlichen Arbeitszeit werden demnach Zeiten verstanden, in denen ein Arbeitnehmer verpflichtet beziehungsweise berechtigt ist, die 218
Kreft, Arbeitszeitdauerregulierungen, S. 4 f.; Zmarzlik, DB 1967, 1264. Litschen, öAT 2019, 89; Stöckel/Wulff, AiB 2011, 731. 220 Litschen, öAT 2019, 89; Stöckel/Wulff, AiB 2011, 731; Wirtz, DB 2014, 1397. 221 Boemke, RdA 2020, 65 (66); Hördt, ArbRAktuell 2019, 55 (56); anderer Ansicht wiederum ist Reinhardt, NZA 2019, 1313 (1316), der unter Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinne die Zeit versteht, die der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient. 222 BAG, Urt. v. 19. 09. 2012 – 5 AZR 678/11, BAGE 143, 107 (114 f.); Urt. v. 26. 10. 2016 – 5 AZR 226/16, AP BGB § 611 Arbeitszeit Nr. 48 (Rn. 22); Urt. v. 17. 10. 2018 – 5 AZR 553/ 17, BAGE 164, 57 (59); Boemke, RdA 2020, 65 (66); Hördt, ArbRAktuell 2019, 55 (56). 223 Litschen, öAT 2019, 89. 224 Franzen, NZA 2016, 136; Freyler, Arbeitszeit- und Urlaubsrecht, S. 79; HWK/Gäntgen, § 2 ArbZG, Rn. 3; Preis/Temming, Rn. 1109; Stöckel/Wulff, AiB 2011, 731; Volk, JbArbR 2019, 47 (49); Wank, RdA 2014, 285 (286); ErfK/Wank, 21. Aufl. 2021, § 2 ArbZG, Rn. 12; NK/Wichert, § 2 ArbZG, Rn. 3; auch Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 15 sprechen von „Arbeitszeit im Sinne des Betriebsverfassungsrechts“. 225 HWK/Gäntgen, § 2 ArbZG, Rn. 3; Hahn, öAT 2017, 202; Düwell/Kohte, § 87 BetrVG, Rn. 41; Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 15; Richardi/Richardi/Maschmann, § 87, Rn. 258. 226 Preis/Temming, Rn. 1109. 219
A. Der Begriff der Arbeitszeit
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von ihm geschuldete Arbeitsleistung tatsächlich zu erbringen.227 Dabei sei es unerheblich, ob es sich bei der Tätigkeit des Arbeitnehmers um die Erfüllung der Hauptleistungspflicht oder um eine vom Arbeitgeber verlangte sonstige Leistung handele, solange sie der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses diene.228 b) Einheitlicher Arbeitszeitbegriff für das gesamte Arbeitsrecht Der Aufspaltung des Arbeitszeitbegriffs in einen arbeitsschutzrechtlichen, einen vergütungsrechtlichen und einen mitbestimmungsrechtlichen Arbeitszeitbegriff ist nicht zu folgen. Vielmehr kann und darf es für die Frage, ob eine Tätigkeit als Arbeit und daran anknüpfend als Arbeitszeit (im Sinne des Arbeitsrechts) einzuordnen ist, nicht entscheidend sein, in welchem Teilgebiet des Arbeitsrechts sich diese Frage stellt.229 Daher ist im gesamten Arbeitsrecht ein einheitlicher Begriff der Arbeitszeit zugrunde zu legen – was arbeitsschutzrechtlich Arbeitszeit ist, ist auch arbeitsvertraglich und mitbestimmungsrechtlich Arbeitszeit und umgekehrt.230 aa) Methodisch angreifbare Definitionsbestimmung durch die herkömmliche Ansicht Zwar ist eine Aufspaltung in verschiedene Arbeitszeitbegriffe grundsätzlich methodisch vertretbar, um den jeweiligen Belangen des Arbeitsschutzrechts, des Vergütungsrechts und des Mitbestimmungsrechts Rechnung zu tragen.231 Insbesondere verstößt eine solche Aufspaltung auch nicht gegen Unionsrecht. Denn Art. 2 Abs. 1 der ArbZ-RL bezieht sich nur auf das Arbeitszeitrecht und nicht auf das Vergütungs- oder Mitbestimmungsrecht,232 sodass die Mitgliedstaaten im Rahmen des Vergütungs- und Mitbestimmungsrechts eigene Regelungen und Begrifflich-
227 BAG, Beschl. v. 14. 11. 2006 – 1 ABR 5/06, BAGE 120, 162 (168); Beschl. v. 15. 04. 2008 – 1 ABR 44/07, AP BetrVG 1972 § 80 Nr. 70 (Rn. 43); Beschl. v. 12. 11. 2013 – 1 ABR 59/12, BAGE 146, 271 (275); Hahn, Flexible Arbeitszeit I, S. 52; Witschen, Rahmenvorgaben, S. 64. 228 BAG, Beschl. v. 15. 04. 2008 – 1 ABR 44/07, AP BetrVG 1972 § 80 Nr. 70 (Rn. 43). 229 Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 17. 230 Explizit für das Arbeitsschutz- und das Vergütungsrecht: Preis, VSSAR 2019, 267 (280). 231 Vgl. Preis, VSSAR 2019, 267 (281), der das explizit für die Entwicklung eines eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitszeitbegriffs, der den mitbestimmungsrechtlichen Belangen gerecht werden soll, annimmt. 232 EuGH, Urt. v. 01. 12. 2005, C-14/04 (Dellas), ECLI:EU:C:2005:728, AP Richtlinie 93/ 104/EG Nr. 1 (Rn. 38); Urt. v. 26. 07. 2017, C-175/16 (Hälvä), ECLI:EU:C:2017:617, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 20 (Rn. 25); Urt. v. 21. 02. 2018, C-518/15 (Matzak), ECLI:EU:C: 2017:82, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 22 (Rn. 49 ff.); Heintz, Dienstreisezeiten, S. 72; Hördt, ArbRAktuell 2019, 55 (56); Ulber/Koch, AuR 2018, 328 (329); Wank, RdA 2014, 285; Witschen, Rahmenvorgaben, S. 49.
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Kap. 2: Die Arbeitszeit im Wandel
keiten einführen können, die von der unionsrechtlichen Bewertung im Arbeitsschutzrecht abweichen dürfen. Allerdings ist die Aufspaltung in verschiedene Arbeitszeitbegriffe aus einem anderen Grund methodisch angreifbar: Durch die Aufspaltung wird von den zur Verwirklichung der verschiedenen Schutzzwecke gewünschten Rechtsfolgen im Arbeitsschutz-, Vergütungs- und Mitbestimmungsrecht auf die Definition geschlossen.233 Eine solche Bestimmung einer Definition als Folgerung aus der erwünschten Rechtsfolge ist aber methodisch abzulehnen.234 bb) Künstliche Differenzierung durch Aufspaltung des Arbeitszeitbegriffs Die Aufspaltung des Arbeitszeitbegriffs ist aber auch gar nicht erforderlich, sondern führt zu einer künstlichen Differenzierung. Denn letztlich können die von der herkömmlichen Ansicht erarbeiteten, verschiedenen Arbeitszeitbegriffe auf einen gemeinsamen Begriffskern zurückgeführt werden. Das zeigt sich schon daran, dass sich die Ausführungen zu den verschiedenen Arbeitszeitbegriffen des Öfteren lediglich in der Feststellung erschöpfen, dass kein einheitlicher Begriff der Arbeitszeit existiere, sondern eine Differenzierung vorzunehmen sei.235 Zum Teil folgen darauf noch Ausführungen zu den verschiedenen Schutzzwecken des Arbeitsschutzrechts einerseits und des Mitbestimmungsrechts andererseits236 oder zu den Rechtsfolgen der verschiedenen Arbeitszeitbegriffe, insbesondere zu der Frage, ob bestimmte, in Rechtsprechung und Literatur diskutierte Fälle – vor allem Bereitschaftszeiten und Fahrzeiten – unter die verschiedenen Arbeitszeitbegriffe zu subsumieren sind.237 Konkrete Definitionen der verschiedenen Arbeitszeitbegriffe finden sich jedoch selten. Werden Ausführungen zu konkreten Definitionen der verschiedenen Arbeitszeitbegriffe versucht, fehlt es mitunter an der notwendigen Trennschärfe,238 sodass es 233 Vgl. hierzu auch Körlings, Mobile Erreichbarkeit, S. 71, der im Rahmen der Diskussion, ob Zeiten der mobilen Erreichbarkeit eines Arbeitnehmers Arbeitszeit darstellen, darauf hinweist, dass oft „vergütungsrechtliche Denkmuster“ in die Diskussion eingebracht würden, „obwohl sie nichts mit der arbeitszeitrechtlichen Bewertung zu tun“ hätten. 234 In diese Richtung auch Heintz, Dienstreisezeiten, S. 39, wenn auch in einem anderen Zusammenhang. 235 Buschmann, AuR 2003, 1; Freyler, BB 2019, 1397; Salamon/Wessels, ArbRB 2019, 19 ff.; Stöhr/Stolzenberg, NZA 2019, 505; Wirtz, BB 2014, 1397; Zwanziger, DB 2007, 1356. 236 Hahn, öAT 2017, 202; Düwell/Kohte, § 87 BetrVG, Rn. 41; Wank, RdA 2014, 285 (286); Zmarzlik, DB 1967, 1264. 237 Natzel, BB 2015, 2938 ff.; ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 516a ff.; ErfK/Wank, 21. Aufl. 2021, § 2 ArbZG, Rn. 21 ff. 238 Witschen, Rahmenvorgaben, S. 57; in diese Richtung auch Boemke, FS Preis, S. 109 (117), nach dem die Trennschärfe der Unterscheidung zwischen den verschiedenen Arbeitszeitbegriffen zur Disposition stehe.
A. Der Begriff der Arbeitszeit
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des Öfteren zu einer Durchmischung der verschiedenen Begriffe kommt.239 Nicht immer wird eindeutig zum Ausdruck gebracht, auf welchen Begriff der Arbeitszeit Bezug genommen wird. Teilweise werden Begrifflichkeiten unreflektiert übernommen, ohne vorher zu prüfen, ob der Kontext, in dem sie verwendet wurden, mit dem aktuellen Kontext vergleichbar ist.240 Insbesondere bei Ausführungen zum arbeitsschutzrechtlichen Arbeitszeitbegriff wird oft auf Urteile verwiesen, die im Kontext des Vergütungs- oder Mitbestimmungsrechts ergangen sind.241 Das beruht vor allem auch darauf, dass Rechtsstreitigkeiten zur Arbeitszeit häufig im vergütungs- oder mitbestimmungsrechtlichen Kontext und weniger im arbeitsschutzrechtlichen Kontext geführt werden.242 Das wiederum ist zum einen damit zu erklären, dass sich arbeitsschutzrechtliche Fragen typischerweise im ungekündigten Arbeitsverhältnis stellen, wohingegen vergütungsrechtliche Fragen (auch) nach einer Kündigung relevant sind. Die Neigung zu einem Rechtsstreit ist aber im ungekündigten Arbeitsverhältnis geringer als nach einer Kündigung.243 Zum anderen führen Betriebsräte unabhängig vom Bestand konkreter Arbeitsverhältnisse Rechtsstreitigkeiten über ihre Beteiligungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG. Zudem ist die Rechtsprechung des BAG im Bereich der Arbeitszeit uneinheitlich und oftmals widersprüchlich. Es drängt sich zum Teil der Eindruck auf, dass das BAG das Vorliegen von Arbeitszeit mit mitunter inkonsistenten Begründungen je nach gewünschtem Ergebnis mal bejaht und mal verneint.244 So scheint die Rechtsprechung insbesondere im Bereich der Dienstreise davon getragen, finanzielle Belastungen der Arbeitgeberseite sowie Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats durch die 239
Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 14 ff. unter Verweis auf BAG, Urt. v. 20. 04. 2011 – 5 AZR 200/10, BAGE 137, 366 (371), in dem das BAG zu der Frage, ob eine arbeitgeberseitig veranlasste Untätigkeit als Arbeit zu vergüten sei, unter anderem darauf abstellte, dass diese keine Pause im Sinne des ArbZG darstelle; eine Vermengung von Vergütungs- und Arbeitszeitrecht im Rahmen des Arbeitszeitbegriffs stellen auch Thüsing/Hütter, NZA 2015, 970 (973) fest, ziehen daraus allerdings andere Schlüsse und betonen die Verschiedenheit der Arbeitszeitbegriffe. 240 Witschen, Rahmenvorgaben, S. 57. 241 Vgl. insb. BAG, Urt. v. 26. 10. 2016 – 5 AZR 226/16, AP BGB § 611 Arbeitszeit Nr. 48 (Rn. 19); hier verweist das BAG zu der Frage, was Arbeitszeit i. S. v. § 2 Abs. 1 ArbZG darstelle, auf BAG, Urt. v. 18. 11. 2015 – 5 AZR 814/14, AP BGB § 138 Nr. 73 (Rn. 25); dieses Urteil wiederum betrifft vergütungsrechtliche Fragen der Arbeitszeit; auch Boemke, RdA 2020, 65 (70) und Ricken, DB 2016, 1255 (1256) stellen bei der Erläuterung des arbeitsschutzrechtlichen Arbeitszeitbegriffs auf die Rechtsprechung des BAG im Kontext des Vergütungsrechts ab; zuletzt verweist Kleinebrink in PuR 2017, 8 bei der Erläuterung des arbeitsschutzrechtlichen Arbeitszeitbegriffs und in DB 2016, 2114 bei der Erläuterung des vergütungsrechtlichen Arbeitszeitbegriffs auf einen Beschluss des BAG zum Mitbestimmungsrecht (BAG, Beschl. v. 14. 11. 2006 – 1 ABR 5/06, BAGE 120, 162). 242 Tietje, Arbeitszeitrecht, S. 77; Witschen, Rahmenvorgaben, S. 58. 243 Junker, ZfA 1998, 105 (106). 244 Boemke, FS Preis, S. 109 (115); Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 14.
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Kap. 2: Die Arbeitszeit im Wandel
Anerkennung von Dienstreisezeiten als Arbeitszeit zu vermeiden.245 Das zeigt sich insbesondere in einer Entscheidung des 1. Senats, in der dieser die Mitbestimmungspflicht des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG überraschend verneint hat.246 Unter anderem diese Durchmischung der verschiedenen Begriffe zeigt aber gerade, dass die Begriffe an sich deckungsgleich sind247 und es sich bei der Aufspaltung des Arbeitszeitbegriffs um eine künstliche Differenzierung248 handelt. cc) Anknüpfung an den Begriff der Arbeit Anstatt eine Aufspaltung des Arbeitszeitbegriffes vorzunehmen, ist ein einheitlicher Begriff der Arbeitszeit zu bestimmen, der an den oben dargestellten Begriff der Arbeit anknüpft. Das heißt, dass der Begriff der Arbeitszeit mit den Begriffen der Arbeit, des Arbeitsvertrags und des Arbeitnehmers korreliert.249 Arbeit wird durch Arbeitnehmer im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erbracht. Erst durch ein Arbeitsverhältnis wird eine Bindung des Arbeitnehmers an die Weisungen seines Arbeitgebers geschaffen.250 Der Begriff der Arbeitszeit kann damit nicht bestimmt werden, ohne den Begriff der Arbeit im Sinne des Arbeitsverhältnisses zu bestimmen251 – Arbeitszeit ist die Zeit, die mit Arbeit des Arbeitnehmers ausgefüllt ist.252 Das zeigt auch die Tatsache, dass die Ausführungen zu den verschiedenen Arbeitszeitbegriffen mitunter zwischen den Begriffen der Arbeitszeit und der Arbeit wechseln.253 Arbeitszeit im Sinne des gesamten Arbeitsrechts ist demnach die Zeit, in der ein Arbeitnehmer Arbeit im Sinne von § 611a Abs. 1 BGB erbringt.254 Arbeitszeit im 245
Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 14. BAG, Beschl. v. 14. 11. 2006 – 1 ABR 5/06, BAGE 120, 162 (168 ff.); vgl. hierzu auch Boemke, FS Preis, S. 109 (115). 247 Hinsichtlich des arbeitsschutzrechtlichen und des vergütungsrechtlichen Arbeitszeitbegriffs auch schon Temming, NZA 2021, 1433 (1436), der festhält, dass es eine grundsätzliche inhaltliche Übereinstimmung zwischen arbeitsschutzrechtlicher und vergütungsrechtlicher Arbeitszeit gebe. 248 Vgl. Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 17. 249 So bisher jedoch nur von Preis, FS Moll, S. 539 (550); ders., VSSAR 2019, 267 (303); ders., jM 2020, 367 (373); Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 67, 115 vertreten; zudem stellt ErfK/Roloff, § 2 ArbZG, Rn. 21 fest, dass die vertraglich geschuldete und geleistete Arbeit maßgeblich den Begriff der Arbeitszeit bestimmen und umgekehrt. 250 Meisel/Hiersemann, § 2 AZO, Rn. 11. 251 So auch Galperin, Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst, S. 7 und DB 1960, 695; ErfK/Roloff, § 2 ArbZG, Rn. 21. 252 Hahn, öAT 2017, 202; ErfK/Roloff, § 2 ArbZG, Rn. 21. 253 So z. B. Grimm/Freh, ArbRB 2019, 278 (280); Jacobs, NZA 2016, 733 (736); Reinhard, NZA 2019, 1313 (1316); Ricken, DB 2016, 1255 (1256). 254 Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 66; ErfK/Roloff, § 2 ArbZG, Rn. 21. 246
A. Der Begriff der Arbeitszeit
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arbeitsrechtlichen Sinne liegt also dann vor, wenn ein Arbeitnehmer auf Basis einer arbeitgeberseitigen Weisung oder aufgrund des Arbeitsvertrags fremdbestimmt und fremdnützig handelt oder zur Verfügung steht. Freizeit hingegen liegt bei weisungsfreien, eigennützigen und selbstbestimmten Tätigkeiten vor.255 dd) Unterscheidung erst auf der Ebene der Rechtsfolgen Dennoch ist dem Ansatz der herrschenden Ansicht darin zu folgen, dass das Arbeitsschutzrecht, das Vergütungsrecht und das Mitbestimmungsrecht jeweils unterschiedliche Schutzzwecke verfolgen – das Arbeitsschutzrecht soll Arbeitnehmer vor übermäßiger zeitlicher Belastung schützen, das Vergütungsrecht soll eine angemessene Vergütung für die Arbeitnehmer sicherstellen und das Mitbestimmungsrecht dient dem Schutz der Freizeit der Arbeitnehmer beziehungsweise dem Schutz der Arbeitnehmer vor Sonderbelastungen. Daher sind auch bei dem Thema Arbeitszeit unterschiedliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen, sodass eine Differenzierung zwischen Arbeitsschutz-, Vergütungs- und Mitbestimmungsrecht sinnvoll sein kann. Eine solche Differenzierung sollte aber nicht schon auf der Ebene der Begriffsbildung, sondern erst auf der Ebene der Rechtsfolgen stattfinden.256 Hier kann dann auch die Arbeitsintensität beziehungsweise die Belastung des Arbeitnehmers berücksichtigt werden. Daher können an den einheitlichen Begriff der Arbeitszeit unterschiedliche Rechtsfolgen anknüpfen, wobei hier eine Unterscheidung in arbeitsschutzrechtliche, vergütungsrechtliche und mitbestimmungsrechtliche Aspekte vorgenommen werden kann. So kann trotz einer Einordnung als Arbeitszeit von den – grundsätzlich zwingenden – Vorschriften der §§ 3 ff. ArbZG abgewichen werden oder ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates zu verneinen sein. Zudem führt das Bejahen von Arbeitszeit nicht zwingend dazu, dass diese Zeit auch zu vergüten ist.257 (1) Arbeitsschutzrechtlich Das Arbeitsschutzrecht ist als öffentliches Recht grundsätzlich zwingend.258 Das bedeutet, dass bei einer Einordnung einer Zeitspanne als Arbeitszeit grundsätzlich die zwingenden Vorschriften der §§ 3 ff. ArbZG zu beachten sind, insbesondere die Bestimmungen über die Höchstarbeitszeiten und die Ruhezeiten. Erfüllt eine Zeitspanne also die Merkmale von Arbeitszeit, zählt sie für die Wahrung der gesetzlichen 255
So auch Preis, VSSAR 2019, 267 (286); zustimmend: Boemke, FS Preis, S. 109 (117). So auch ErfK/Roloff, § 2 ArbZG, Rn. 21, der die Frage nach dem Vorliegen von Arbeitszeit von der Frage lösen will, „ob und in welchem Umfang sie vergütungspflichtig ist oder einem Mitbestimmungsrecht unterliegt.“. 257 So auch NK/Koberski, Art. 2 RL 2003/88/EG, Rn. 385; Niklas, ArbRB 2019, 275; Preis, VSSAR 2019, 267 (280); Salamon/Wessels, ArbRB 2019, 19 (20); Schulze/Häfner, AiB 2007, 398. 258 ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 516e. 256
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Kap. 2: Die Arbeitszeit im Wandel
Höchstarbeitszeiten sowie für die Gewährung von Ruhepausen und -zeiten im Sinne der §§ 3 ff. ArbZG. Allerdings besteht aufgrund von § 7 ArbZG eine gewisse Tarifdispositivität hinsichtlich dieser zwingenden Normen des ArbZG. Wenn „in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst fällt“, können gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 4, Abs. 2a ArbZG in einem Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrags Ausnahmen von den §§ 3 ff. ArbZG zugelassen werden.259 Hier wird also an die Intensität der Leistung des Arbeitnehmers angeknüpft, sodass für Arbeitszeiten, in denen diese Intensität geringer ist, Ausnahmen von den arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen gelten. Fehlt es an solchen Bestimmungen in Tarifverträgen, sind die arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften der §§ 3 ff. ArbZG zu beachten. (2) Vergütungsrechtlich Ein Anspruch eines Arbeitnehmers auf Vergütung ergibt sich aus dem zwischen ihm und dem Arbeitgeber bestehenden Arbeitsvertrag. Darin wird die Leistungspflicht des Arbeitnehmers – die Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung, in der Regel ausgedrückt in Arbeitszeit – synallagmatisch verknüpft mit der Zahlung eines Entgelts. Erbringt ein Arbeitnehmer also die geschuldete Arbeitszeit, ist ihm für diese Arbeitszeit das vereinbarte Entgelt zu gewähren. Dabei können die Parteien jedoch aufgrund der Privatautonomie über die Höhe des Entgelts selbst entscheiden, welche Zeiten sie mit welchem Entgelt entlohnen wollen. Im Rahmen dieser Entscheidung haben sie jedoch die gesetzlichen Grenzen zu beachten, wozu vor allem § 138 BGB und § 3 MiLoG zählen. Zwar wird vertreten, dass für Zeiten der Rufbereitschaft260 oder des Bereitschaftsdienstes261 mangels Vorliegens von Arbeitszeit (im vergütungsrechtlichen Sinne) keine Pflicht zu Zahlung des Mindestlohnes entstehe. Diese Ansicht beruht jedoch zum einen noch auf der tatbestandlichen Differenzierung zwischen Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne einerseits und im vergütungsrechtlichen Sinne andererseits. Zudem kann aus den bloßen Begrifflichkeiten der Rufbereitschaft beziehungsweise des Bereitschaftsdienstes kein Rückschluss auf das Vorliegen von Arbeitszeit gezogen werden.
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Hinsichtlich der Regelung des § 7 Abs. 2a ArbZG, der eine Verlängerung der werktäglichen Arbeitszeit ganz ohne zeitliche Obergrenze oder Ausgleich zulässt, gibt es kritische Stimmen in der Literatur, die an der Europarechtskonformität der Vorschrift zweifeln: Buschmann, AuR 2004, 1 (4 f.); ders., AuR 2016, 164; Hartmann, EuZA 2017, 153 (181); Laber, ArbRB 2021, 180 (181); Mayer, AiB 2003, 713 (716); Reim, DB 2004, 186 (187 f.); ErfK/Roloff, § 7 ArbZG, Rn. 9. 260 Vgl. LAG Hessen 21. 11. 2016 – 16 Sa 1257/15, BeckRS 2016, 116469, Rn. 21; ErfK/ Franzen, § 1 MiLoG, Rn. 4; Lembke, NZA 2015, 70 (73); ders., NZA 2016, 1 (5); Thüsing/ Beden/Denzer u. a., NZS 2021, 321 (331). 261 Vgl. Naber/Schulte, BB 2021, 2176; Thüsing/Hütter, NZA 2015, 970 ff.
A. Der Begriff der Arbeitszeit
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Vielmehr können auch Zeiten der Rufbereitschaft und des Bereitschaftsdienstes Arbeitszeit darstellen,262 die dann auch mit dem Mindestlohn zu vergüten sind. Den Parteien ist es also unbenommen, unterschiedliche Formen der Inanspruchnahme des Arbeitnehmers unter Beachtung der gesetzlichen Grenzen unterschiedlich zu vergüten.263 Eine unterschiedliche Vergütung auf Rechtsfolgenebene ändert allerdings nichts an der Einordnung als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitsrechts auf der Tatbestandsebene.264 Es sollte also nicht von einer vergütungsrechtlichen Arbeitszeit gesprochen werden, sondern lediglich von einer vergütungspflichtigen Arbeitszeit.265 Damit würde hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass es nicht um die Bildung eines eigenständigen Arbeitszeitbegriffs im Vergütungsrecht geht, sondern um die Rechtsfolgen, die die Einordnung einer Zeit als Arbeitszeit auf der Ebene der Vergütung mit sich bringt. (3) Mitbestimmungsrechtlich Liegt Arbeitszeit im Sinne des Arbeitsrechts vor, folgt daraus nicht automatisch ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG. Vielmehr ist ein solches Mitbestimmungsrecht nur zu bejahen, wenn die Schutzzwecke der § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG berührt sind. Der Schutzzweck von § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG besteht darin, die Interessen der Arbeitnehmer an der Lage ihrer Arbeitszeit und damit zugleich die Freizeit der Arbeitnehmer für die Gestaltung ihres Privatlebens zu sichern.266 Das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG 262
Vgl. unten, Kapitel 2, A. III. 3. So auch bereits BAG, Urt. v. 28. 11. 1973 – 4 AZR 74/73, BAGE 25, 426 (428); 12. 03. 2008 – 4 AZR 616/06, AP § 1 TVG Tarifverträge Nr. 18 (Rn. 35); Urt. v. 24. 09. 2008 – 10 AZR 770/07, BAGE 128, 42 (52); BeckOK-ArbR/Kock, § 2 ArbZG, Rn. 2, 7, 11; Merath, GWR 2020, 298 (299); Natzel, BB 2015, 2938 (2939); Rudkowski/Stadelmann, ZfA 2021, 553 (562). 264 Das stellt auch der EuGH in seinen Urteilen vom 09. 03. 2021, C-344/19 (Radiotelevizija Slovenija), ECLI:EU:C:2021:182, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 37 (Rn. 58 ff.); C-580/19 (Stadt Offenbach am Main), ECLI:EU:C:2021:183, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 36 (Rn. 57) und vom 09. 09. 2021, C-107/19 (Dopravní podnik hl. m. Prahy), ECLI:EU:C: 2021:722, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 40 (Rn. 42) heraus: Danach dürfen „Zeiten, in denen tatsächlich Arbeitsleistungen erbracht werden“ und Zeiten, in denen der Arbeitnehmer lediglich zur Verfügung steht, bei der Vergütung einer Bereitschaftszeit in unterschiedlicher Weise berücksichtigt werden, selbst wenn diese Zeiten insgesamt als „Arbeitszeit“ anzusehen sind. 265 Das wird zum Teil auch schon von Rechtsprechung und Literatur so gehandhabt – allerdings ohne, dass ein Bewusstsein über die Bedeutung der Verwendung des abweichenden Begriffs herrschen würde; z. B. BAG, Urt. v. 24. 06. 2020 – 5 AZR 93/19, NZA 2020, 1707 (1712); Urt. v. 24. 06. 2021 – 5 AZR 505/20, NZA 2021, 1398 (1402); BeckOK-ArbR/Kock, § 2 ArbZG, Rn. 7, 11; Schrader/Teuber/Siegel, BB 2021, 1396 (1396 f., 1399); Thüsing/Hütter, NZA 2015, 970 (973); Letztere betonen sogar noch einmal explizit die Verschiedenheit der Arbeitszeitbegriffe auf der Definitionsebene. 266 BAG, Beschl. v. 21. 12. 1982 – 1 ABR 14/81, BAGE 41, 200 (208); Beschl. v. 14. 11. 2006 – 1 ABR 5/06, BAGE 120, 162 (169); Richardi/Richardi/Maschmann, § 87, Rn. 258; BeckOK-ArbR/Werner, § 87 BetrVG, Rn. 41. 263
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Kap. 2: Die Arbeitszeit im Wandel
dient dem Schutz der Arbeitnehmer vor Sonderbelastungen, die mit vorübergehenden Arbeitszeitverkürzungen oder -verlängerungen verbunden sein können.267 Der Betriebsrat ist immer dann zu beteiligen, wenn diese Schutzzwecke berührt sind. 2. Kein Abstellen auf die Belastung des Arbeitnehmers Vor allem in Grenzfällen – wie der Einordnung von Dienstreise- oder Bereitschaftszeiten – stellt die herkömmliche Ansicht bei der Einordnung einer Zeitspanne als Arbeitszeit (im arbeitszeitrechtlichen Sinne) auf die sogenannte Beanspruchungs- oder Belastungstheorie ab. Hiernach ist zur Anerkennung von Arbeitszeit im arbeitszeitrechtlichen Sinne eine dem Umfang von Vollarbeit entsprechende Beanspruchung beziehungsweise Belastung des Arbeitnehmers erforderlich.268 Diese Beanspruchungstheorie hat bisher vor allem für Fälle der Dienstreisen Konkretisierung erfahren. Eine dem Umfang von Vollarbeit entsprechende Beanspruchung des Arbeitnehmers soll in diesen Fällen jedenfalls bei der Erledigung von Arbeitsaufgaben während der Fahrt gegeben sein.269 Mithin könne immer dann, wenn der Arbeitnehmer die Dienstreisezeit „zur Erledigung seiner Arbeitsaufgaben“ nutzen müsse, Arbeitszeit angenommen werden.270 Als Beispiele nennt das BAG das Bearbeiten von Akten oder E-Mails sowie die Vor- oder Nachbereitung des auswärtigen Termins.271 Zur Begründung wird ausgeführt, es könne keinen Unterschied machen, an welchem Ort ein Arbeitnehmer seine Arbeitsaufgaben ausübe.272 267
BeckOK-ArbR/Werner, § 87 BetrVG, Rn. 56. BAG, Urt. v. 11. 07. 2006 – 9 AZR 519/05, BAGE 119, 41 (50 f.); Baeck/Deutsch/ Winzer, § 2, Rn. 73; Baeck/Lösler, NZA 2005, 257 (249); Fröhlich, ArbRB 2017, 61 (63); Hahn, öAT 2017, 202 (203); Heins/Leder, NZA 2007, 249 (250); Heintz, Dienstreisezeiten, S. 305; Hunold, NZA-Beil. 2006, 38 (39); Salamon/Wessels, ArbRB 2019, 19 (20); Witschen, Rahmenvorgaben, S. 59 f.; Zwanziger, DB 2007, 1356 (1357); ablehnend: Boemke, RdA 2020, 65 (74); Buschmann/Ulber/Buschmann, § 2 ArbZG, Rn. 45; Kreft, Arbeitszeitdauerregulierungen, S. 177; ders., AuR 2018, 56 (59); Preis, VSSAR 2019, 267 (276 ff.); ders., jM 2020, 367 (368, 372 f.); Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 37 ff.; HK-ArbZR/Spengler, § 2 ArbZG, Rn. 17. 269 BAG, Urt. v. 11. 07. 2006 – 9 AZR 519/05, BAGE 119, 41 (50); Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 27 sprechen insoweit von einer „arbeitsspezifischen Tätigkeit“, die nach Auffassung des BAG zur bloßen Reisetätigkeit des Arbeitnehmers hinzutreten müsse. 270 BAG, Urt. v. 11. 07. 2006 – 9 AZR 519/05, BAGE 119, 41 (50); zustimmend Anzinger/ Koberski, § 2 ArbZG, Rn. 21; BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB, Rn. 389; Ricken, DB 2016, 1255 (1259); Schliemann, ArbZG, § 2, Rn. 56; hierbei wird zum Teil einschränkend vertreten, dass das nur bei einer Verpflichtung des Arbeitnehmers zum Tätigwerden gelte, das heißt nur, wenn eine Anweisung des Arbeitgebers dahingehend vorliege; hingegen liege keine Arbeitszeit vor, wenn der Arbeitnehmer ohne eine solche Anweisung von sich aus Arbeitsleistungen erbringe, vgl. Boemke, RdA 2020, 65 (73); Heins/Leder, NZA 2007, 249 (250); a. A. Witschen, Rahmenvorgaben, S. 86 ff. 271 BAG, Urt. v. 11. 07. 2006 – 9 AZR 519/05, BAGE 119, 41 (50). 272 BAG, Urt. v. 11. 07. 2006 – 9 AZR 519/05, BAGE 119, 41 (50); zustimmend Baeck/ Lösler, NZA 2005, 247 (249); Boemke, RdA 2020, 65 (73); Freyler, BB 2019, 1397; BeckOK268
A. Der Begriff der Arbeitszeit
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Übe der Arbeitnehmer keine solche Arbeitsaufgabe aus, sondern erschöpfe sich seine Tätigkeit im bloßen Reisen, liege – zumindest bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln273 – keine ausreichende Belastung des Arbeitnehmers vor.274 Mangels einer solchen Belastung seien „Gesundheit und Sicherheit des Arbeitnehmers durch ein Überschreiten der täglich höchstzulässigen Arbeitszeit von zehn Stunden nicht gefährdet“, sodass keine Arbeitszeit im Sinne von § 2 Abs. 1 ArbZG angenommen werden müsse beziehungsweise könne.275 Diese Annahme stützt das BAG auf einen Vergleich zur Rufbereitschaft. Bei bloßen Reisezeiten des Arbeitnehmers stehe es diesem frei, private Angelegenheiten – als Beispiel werden „Dösen“, Schlafen sowie die Einnahme von Speisen und Getränken genannt – wahrzunehmen. Insofern sei ein Arbeitnehmer durch bloße Reisezeiten noch weniger beansprucht als durch – nicht als Arbeitszeit zu wertende – Zeiten der Rufbereitschaft, in denen er sich auf Abruf zur Arbeitsleistung zur Verfügung halten müsse und bei denen „hinter dem Warten auf Arbeit die Vollarbeit“ warte.276 Dass der Arbeitnehmer auch durch das bloße Reisen in einem öffentlichen Verkehrsmittel an sich in seiner Freizeit eingeschränkt und gleichsam „aus seinem familiären und sozialen Umfeld herausgerissen“ werde, ändere nichts an der Bewertung. Denn über die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer hinausgehende „weitergehende soziale Gesichtspunkte wie Freizeit und Möglichkeit zur freien Entfaltung der Persönlichkeit“ gehörten nicht zu den Schutzzielen, die § 1 Nr. 1 ArbZG festlege.277 ArbR/Joussen, § 611a BGB, Rn. 389; Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 33; Tietje, Arbeitszeitrecht, S. 111. 273 Die Entscheidung des BAG vom 11. 07. 2006 – 9 AZR 519/05 bezog sich auf einen Arbeitnehmer, der für seine Dienstreisen öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen hatte. 274 Zustimmend Baeck/Deutsch/Winzer, § 2, Rn. 75; Baeck/Lösler, NZA 2005, 247 (249); auch Salamon/Wessels, ArbRB 2019, 19 (20) sind der Ansicht, dass sich ein Arbeitnehmer während der Reise „erholen und entspannen“ könne, wenn der Arbeitgeber die Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels vorgebe und es dem Arbeitnehmer überlassen bleibe, wie er die Fahrtzeit nutze; ablehnend Buschmann, FS Hanau, S. 197 (208 f.); Niklas, ArbRB 2019, 275 (276); ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 516 h; Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 25 f., 38 f.; auch der 1. Senat des BAG sieht bereits im Reisen an sich eine objektive Belastung, „die bei einiger Dauer auch subjektiv als solche empfunden“ würde, vgl. BAG, Beschl. v. 23. 07. 1996 – 1 ABR 17/96, NZA 1997, 216 (218). 275 BAG, Urt. v. 11. 07. 2006 – 9 AZR 519/05, BAGE 119, 41 (50). 276 BAG, Urt. v. 11. 07. 2006 – 9 AZR 519/05, BAGE 119, 41 (50 f.); kritisch hinsichtlich dieser Argumentation Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 24; Witschen, Rahmenvorgaben, S. 87 f. 277 BAG, Urt. v. 11. 07. 2006 – 9 AZR 519/05, BAGE 119, 41 (51); zustimmend Hunold, NZA-Beil. 2006, 38 (40); Stöhr/Stolzenberg, NZA 2019, 505 (506); a. A.: BayObLG, Beschl. v. 23. 03. 1992 – 3 ObOWi 18/92, NZA 1992, 811; Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 40 f.; in Ansätzen auch schon Böhm, RdA 1959, 273 (274), der es als Sinn und Zweck der Ruhezeit ansieht, dem Arbeitnehmer Zeit zu lassen, am Leben und an der Lebensfreude teilzunehmen und Fechner, Arbeitsbereitschaft, S. 4, der die Entfaltung des persönlichen Daseins des Arbeitnehmers zu den Zwecken der Ruhezeit zählt; vgl. zudem Kreft, AuR 2018, 56 (59), der die
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Kap. 2: Die Arbeitszeit im Wandel
Bisher offen gelassen hat der neunte Senat hingegen die Frage, ob diese von ihm für das Reisen in öffentlichen Verkehrsmitteln aufgestellten Grundsätze auch für das Reisen mit einem selbstgesteuerten PKW gelten.278 Diese Frage ist in der Literatur sehr umstritten – die vertretenen Lösungsmöglichkeiten reichen von der generellen Verneinung von Arbeitszeit mangels ausreichender Belastung des Arbeitnehmers beim Steuern eines PKW279 über die generelle Bejahung von Arbeitszeit280 bis zur These, dass nur dann Arbeitszeit vorliege, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer angewiesen habe, den PKW zu nutzen, nicht aber, wenn die Benutzung des PKW auf einer eigenen Entscheidung des Arbeitnehmers beruhe.281 Diese Belastungstheorie vermag nicht zu überzeugen und ist daher abzulehnen. Zum einen wenden Rechtsprechung und Literatur die Belastungstheorie inkonsequent an. Zum anderen verstößt das Fordern einer Belastung des Arbeitnehmers zur Bejahung von Arbeitszeit gegen das Unionsrecht. a) Inkonsequente Anwendung der Belastungstheorie Selbst die Stimmen in Literatur und Rechtsprechung, die die Belastungstheorie grundsätzlich befürworten, empfinden sie als nicht so überzeugend, als dass sie sie konsequent anwenden. So gibt es auch bei einem gewöhnlichen Arbeitstag Phasen, in denen die Belastung des Arbeitnehmers relativ niedrig bleibt oder der Arbeitnehmer seine Tätigkeiten gar nicht als Belastung empfindet.282 Solche Zeiten werden aber ohne Interpretation des Schutzzwecks des § 1 Nr. 1 ArbZG durch das BAG angesichts der EuGHRechtsprechung für „mutig“ hält. 278 Darüber hatte er in seinem Urteil vom 11. 07. 2006 – 9 AZR 519/05, BAGE 119, 41 auch nicht zu entscheiden, da der Kläger in diesem Fall für seine Dienstreisen stets öffentliche Verkehrsmittel nutzte. 279 Dobberahn, Arbeitszeitgesetz, Rn. 44; Loritz, NZA 1997, 1188 (1191 f.); Loritz/Koch, BB 1987, 1102 (1106); Neumann/Biebl, § 2, Rn. 15; Schlessmann, DB 1958, 1253 f.; 1963, 1607; als Begründung führen die Vertreter dieser Ansicht an, dass das Auto für einen Großteil der Deutschen das beliebteste Fortbewegungsmittel in der Freizeit sei und aufgrund dieses Freizeitwerts Zeiten, in denen ein Arbeitnehmer Auto fährt, nicht pauschal mit Arbeitszeit gleichgestellt werden könnten. 280 Fröhlich, ArbRB 2017, 61 (63); Hahn, öAT 2017, 202 (203); Heins/Leder, NZA 2007, 249 (250); Heintz, Dienstreisezeiten, S. 101; Hunold, NZA 1993, 10 (15); Kreft, Arbeitszeitdauerregulierungen, S. 179; ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 516 g; Schulze/Wannisch, ArbRAktuell 2019, 453 (455); Stöhr/Stolzenberg, NZA 2019, 505 (507), Tietje, Arbeitszeitrecht, S. 112; hierbei wird v. a. auf die nicht unerheblichen physischen und psychischen Belastungen abgestellt, die mit dem Führen eines KFZ – insb. bei den heutigen Verkehrsverhältnissen – verbunden seien; Lunk, ArbRB 2021, 371 (374) bejaht sogar für den Beifahrer eine Beanspruchung, wenn dieser auf den Verkehr oder die Fahrtroute zu achten hat. 281 Baeck/Lösler, NZA 2005, 247 (249); Baeck/Deutsch/Winzer, § 2, Rn. 76; Hunold, NZA-Beil. 2006, 38 (40). 282 Vgl. Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 41 f., die als Beispiel für solche Phasen die Wartezeit eines Arbeitnehmers auf ein erforderliches Update des Betriebssystems des PCs nennen.
A. Der Begriff der Arbeitszeit
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Weiteres – insbesondere ohne zu thematisieren, ob hierin eine Belastung des Arbeitnehmers liegt – als Vollarbeit und damit als Arbeit anerkannt.283 In konsequenter Anwendung der Belastungstheorie müsste jedoch bei sämtlichen Tätigkeiten des Arbeitnehmers eine kurze Einordnung vorgenommen werden, ob die Tätigkeit als belastend anzusehen ist oder nicht. Es mag sogar Arbeitnehmer geben, die ihre Tätigkeit stets als Vergnügen empfinden – und somit nie als Belastung. Bei einer konsequenten Anwendung des Belastungskriteriums dürfte aber jede Tätigkeit eines Arbeitnehmers, die Spaß macht, nicht mehr als Arbeitszeit bewertet werden. Vielmehr müssten solche Tätigkeiten in der Folge als Ruhezeit angesehen werden.284 Das wird jedoch weder von der Rechtsprechung noch von den mit dieser grundsätzlich übereinstimmenden Stimmen in der juristischen Literatur vertreten. Allein diese inkonsequente Anwendung beziehungsweise die absurden Konsequenzen einer konsequenten Anwendung – Ablehnung von Arbeitszeit im arbeitszeitrechtlichen Sinne bei Empfinden von Vergnügen hinsichtlich der einzuordnenden Tätigkeit – zeigt, dass die Belastungstheorie nicht zu überzeugen vermag. b) Unionsrechtswidrigkeit der Belastungstheorie Zudem stellt das Kriterium einer Belastung des Arbeitnehmers zur Bejahung von Arbeitszeit einen Verstoß gegen das Unionsrecht dar. Das Kriterium der Belastung ist nicht als hinreichend objektives Kriterium zur Bestimmung des Arbeitszeitbegriffs anzusehen. Darüber hinaus wird durch die Frage nach der Belastung eines Arbeitnehmers auf die Intensität seiner Tätigkeit abgestellt, was aber nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH285 gerade kein Kriterium für die Bestimmung von Arbeitszeit sein darf. aa) Belastung als nicht hinreichend objektives Kriterium Die Bewertung, ob eine Tätigkeit für einen Arbeitnehmer belastend ist, kann nicht auf objektive Kriterien gestützt werden, sondern hängt individuell vom subjektiven Empfinden jedes einzelnen Arbeitnehmers ab. Dieses subjektive Empfinden, ab wann eine Belastung vorliegt, kann aber von Arbeitnehmer zu Arbeitnehmer
283 Vgl. Anzinger/Koberski, § 2, Rn. 11; Baeck/Deutsch/Winzer, § 2, Rn. 4; Buschmann/ Ulber/Buschmann, § 2, Rn. 9; Schliemann, ArbZG, § 2, Rn. 13; HK-ArbZR/Spengler, § 2 ArbZG, Rn. 3; NK/Wichert, § 2 ArbZG, Rn. 10. 284 Preis, VSSAR 2019, 267 (277); Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 36; Tietje, Arbeitszeitrecht, S. 112. 285 Vgl. EuGH, Urt. v. 01. 12. 2005, C-14/04 (Dellas), ECLI:EU:C:2005:728, AP Richtlinie 93/104/EG Nr. 1 (Rn. 43); Urt. v. 21. 02. 2018, C-518/15 (Matzak), ECLI:EU:C:2017:82, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 22 (Rn. 56).
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Kap. 2: Die Arbeitszeit im Wandel
verschieden sein.286 Eine Tätigkeit, die der Eine als besonders belastend empfindet, empfindet ein Anderer vielleicht als neutral oder sogar entspannend.287 So stellt für den Einen vielleicht das Steuern eines PKW stets eine (hohe) Belastung dar, für den Anderen jedoch nur unter besonderen Umständen wie zum Beispiel das Fahren bei Glatteis oder Stau.288 Allerdings ist nach der Rechtsprechung des EuGH der Begriff der Arbeitszeit – und spiegelbildlich der der Ruhezeit – im Sinne der ArbZ-RL anhand objektiver Merkmale zu bestimmen.289 Dass ein Abstellen auf objektive Merkmale bei der Bestimmung des Arbeitszeitbegriffs interessengerecht ist, zeigt sich auch angesichts der Tatsache, dass das ArbZG konkrete Pflichten der Arbeitsvertragsparteien – und bei Verstoß gegen diese gemäß §§ 22, 23 ArbZG auch nicht unerhebliche Strafen – an den Begriff der Arbeitszeit knüpft. Um diesen Pflichten nachkommen zu können, müssen die Arbeitsvertragsparteien jedoch rechtssicher und objektiv bestimmen können, wann Arbeitszeit vorliegt. Durch das Abstellen auf die innere Belastung eines Arbeitnehmers als ein sehr subjektives und damit nicht hinreichend rechtssicheres Kriterium ist eine solche objektive Bestimmung des Arbeitszeitbegriffs hingegen nicht möglich. Die innere Belastung eines Arbeitnehmers stellt damit kein hinreichend objektives Kriterium im Sinne der Rechtsprechung des EuGH dar, sodass die Belastungstheorie insgesamt als rechtsunsicher und unionsrechtswidrig abzulehnen ist. bb) Unionsrechtswidriges Abstellen auf die Intensität der Arbeit durch das Kriterium der Belastung Zudem wird durch das Kriterium der Belastung unionsrechtswidrig auf die Intensität der Arbeit zur Bestimmung von Arbeitszeit abgestellt.290 Belastend im Sinne der Belastungstheorie ist eine Tätigkeit eines Arbeitnehmers dann, wenn sie eine dem Umfang von Vollarbeit entsprechende Beanspruchung des Arbeitnehmers darstellt, das heißt, wenn die Intensität der zu beurteilenden Tätigkeit derjenigen von Vollarbeit entspricht.291 286 So auch Tietje, Arbeitszeitrecht, S. 108, der in Bezug auf Reisezeiten davon spricht, dass diese durch jeden Arbeitnehmer anders empfunden werden können. 287 Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 41. 288 Beispiele von Tietje, Arbeitszeitrecht, S. 108. 289 EuGH, Urt. v. 10. 09. 2015, C-266/14 (Tyco), ECLI:EU:C:2015:578, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 16 (Rn. 27); Urt. v. 21. 02. 2018, C-518/15 (Matzak), ECLI:EU:C:2017:82, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 22 (Rn. 62). 290 So auch Buschmann/Ulber/Buschmann, § 2 ArbZG, Rn. 45; Preis, VSSAR 2019, 267 (279); ders., jM 2020, 367 (373); Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 42 f. 291 BAG, Urt. v. 11. 07. 2006 – 9 AZR 519/05, BAGE 119, 41 (50 f.); Baeck/Deutsch/ Winzer, § 2, Rn. 73; Baeck/Lösler, NZA 2005, 247 (249); Fröhlich, ArbRB 2017, 61 (63); Heins/Leder, NZA 2007, 249 (250); Hunold, NZA-Beil. 2006, 38 (39); Witschen, Rahmenvorgaben, S. 59 f.
A. Der Begriff der Arbeitszeit
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Der Grad der Belastung eines Arbeitnehmers beziehungsweise die Intensität der Arbeit gehört jedoch nach der Rechtsprechung des EuGH gerade nicht zu den wesentlichen Merkmalen des Arbeitszeitbegriffs und ist daher für die Beurteilung des Vorliegens von Arbeitszeit unerheblich.292 Zwar erwähnt Generalanwalt Pitruzzella in seinen Schlussanträgen vom 06. 10. 2020 die Intensität als entscheidenden Faktor „für die Einstufung einer Zeit der Rufbereitschaft als Arbeitszeit oder Ruhezeit“.293 Das darf allerdings nicht dahingehend missverstanden werden, dass er der Ansicht sei, die bisherige Rechtsprechung sei dahingehend zu ändern, dass nun doch auf die Intensität der Arbeit abzustellen sei. Vielmehr bezieht sich die von ihm als Bewertungsfaktor angeführte Intensität nicht auf die Arbeit, sondern auf die dem Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber auferlegten (geographischen oder zeitlichen) Einschränkungen hinsichtlich seiner Freiheit, sich seinen eigenen Interessen zu widmen und sich auszuruhen.294 Entscheidend für eine Einordnung einer Tätigkeit als Arbeitszeit ist für den EuGH daher nicht die Intensität der Tätigkeit im Sinne einer Belastung des Arbeitnehmers durch diese, sondern die Möglichkeit des Arbeitnehmers, frei über seine Zeit zu verfügen und seinen persönlichen und sozialen Interessen nachzugehen.295 Die Intensität etwaiger geographischer oder zeitlicher Einschränkungen dieser Möglichkeit ist zu ermitteln und zu bewerten, um die Frage zu beantworten, ob bei einer Tätigkeit Arbeitszeit vorliegt oder nicht, nicht aber die Intensität der Tätigkeit, der ein Arbeitnehmer nachgeht. Es ist demnach nicht mit dem BAG anhand der Belastungstheorie zu fragen, welche Möglichkeiten der Freizeitgestaltung dem Arbeitnehmer aufgrund einer etwaigen Belastung durch die Tätigkeit genommen werden. Vielmehr ist darauf abzustellen, inwieweit dem Arbeitnehmer die Selbstbestimmung genommen ist, 292 EuGH, Urt. v. 01. 12. 2005, C-14/04 (Dellas), ECLI:EU:C:2005:728, AP Richtlinie 93/ 104/EG Nr. 1 (Rn. 43); Urt. v. 21. 02. 2018, C-518/15 (Matzak), ECLI:EU:C:2017:82, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 22 (Rn. 56); Buschmann/Ulber/Buschmann, § 2 ArbZG; Rn. 45; Preis, VSSAR 2019, 267 (279); ders., jM 2020, 367 (368); Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 21; 42 f. 293 Generalanwalt Pitruzzella, Schlussantrag vom 06. 10. 2020, C-344/19 (Radiotelevizija Slovenija), ECLI:EU:C:2020:796, BeckRS 2020, 25333, Rn. 98; 104 f.; ders., Schlussantrag vom 06. 10. 2020, C-580/19 (Stadt Offenbach am Main), ECLI:EU:C:2020:797, BeckRS 2020, 25301, Rn. 89, 95 ff. 294 Generalanwalt Pitruzzella, Schlussantrag vom 06. 10. 2020, C-344/19 (Radiotelevizija Slovenija), ECLI:EU:C:2020:796, BeckRS 2020, 25333, Rn. 99; ders., Schlussantrag vom 06. 10. 2020, C-580/19 (Stadt Offenbach am Main), ECLI:EU:C:2020:797, BeckRS 2020, 25301, Rn. 90; genauer hierzu bereits oben (Kapitel 2, A. II. 4. b)) sowie sogleich (Kapitel 2, A. III. 3.). 295 Boemke, RdA 2020, 65 (74); Buschmann/Ulber/Buschmann, § 2 ArbZG, Rn. 45; Preis, VSSAR 2019, 267 (278 f.); ders., jM 2020, 367 (373); in diese Richtung kann auch Kreft, AuR 2018, 56 (59) verstanden werden, der die Belastungstheorie des BAG angesichts der Entscheidungen des EuGH in Sachen SIMAP und Jaeger als „mutig“ bezeichnet.
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Kap. 2: Die Arbeitszeit im Wandel
mithin welche Möglichkeiten der Freizeitgestaltung dem Arbeitnehmer trotz etwaiger durch den Arbeitgeber aufgegebener Einschränkungen verbleiben.296 Ein Abstellen auf eine Belastung des Arbeitnehmers durch seine Tätigkeit und dadurch auf die Intensität seiner Tätigkeit ist daher als unionsrechtswidrig abzulehnen.297 3. Konkrete Einzelfallsubsumtion anstatt starren Abstellens auf Begrifflichkeiten Zuletzt ist der herkömmlichen Bestimmung des Arbeitszeitbegriffs insoweit zu widersprechen, als dort versucht wird, aus dem abstrakten Vorliegen von Begrifflichkeiten – wie Arbeitsbereitschaft, Bereitschaftsdienst, Rufbereitschaft, Umkleidezeit, Waschzeit, etc. – Folgerungen für das Vorliegen von Arbeitszeit während dieser Zeiten zu ziehen. Die Faktoren, die die maßgeblichen Kriterien zur Abgrenzung zwischen Arbeitszeit und Ruhezeit beeinflussen, können in jedem konkreten Einzelfall anders gewichtet oder kombiniert sein.298 Daher ist unabhängig von der Bezeichnung einer Zeitspanne im konkreten Einzelfall zu untersuchen, ob die Merkmale von Arbeit im oben dargestellten Sinne vorliegen. Anstatt also anhand eines starren Schemas von Tätigkeitsformen und der Bezeichnung einer Zeitspanne zu bestimmen, ob Arbeitszeit vorliegt, ist einzelfallbezogen unter den Begriff der Arbeit(szeit) zu subsumieren.299 Das entspricht letztlich auch dem strengen Dualismus zwischen Arbeitszeit und Ruhezeit der ArbZRL. Diese sieht nämlich gerade keine Zwischenformen zwischen Arbeitszeit und
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Preis, VSSAR 2019, 267 (279); ders., jM 2020, 367 (373). So auch Buschmann/Ulber/Buschmann, § 2 ArbZG, Rn. 45; Preis, VSSAR 2019, 267 (279); ders., jM 2020, 367 (373); Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 42 f. 298 In diese Richtung auch schon Fechner, Arbeitsbereitschaft, S. 62 und Rieger, RdA 1964, 405, die aufgrund der Vielzahl der Faktoren, die die Intensität der Inanspruchnahme eines Arbeitnehmers beeinflussen, und der möglichen Kombinationen dieser Faktoren die Herausarbeitung einer eindeutigen Reihenfolge „von Zuständen abnehmender Aufmerksamkeit und steigender Entspannung mit entsprechend steigendem Erholungswert“ ausschließen; zustimmend Herschel, RdA 1964, 401 (403). 299 Breucker, ZESAR 2021, 364 (368); Laber, ArbRB 2021, 180 (183); Lunk, AnwBl. 2020, 216 (217); Winzer, ArbRAktuell 2021, 523; in diesem Sinne kann wohl auch Freyler, EuZA 2021, 336 (343) verstanden werden, nach der bei der Abgrenzung von Arbeitszeit und Ruhezeit auch bei nationalen Sachverhalten „verstärkt auf die Belastungen und Einschränkungen der Bereitschaftszeiten und weniger auf die herkömmlichen Definitionen abzustellen sei“; auch Rudkowski/Stadelmann, ZfA 2021, 553 (562) sehen in der traditionellen Kategorisierung in Arbeitsbereitschaft, Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft nur noch eine „sprachliche Differenzierung“; vgl. zudem Kocher, RdA 2022, 50 (52, 54), die zumindest den Begriffen der Bereitschaftszeit und der Rufbereitschaft lediglich „heuristische Funktionen“ beziehungsweise problemstrukturierende Wirkungen ohne unmittelbare Aussage über die Einordnung als Arbeitszeit zuschreibt. 297
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Ruhezeit vor,300 sondern verlangt nach einer konkreten Einzelfallsubsumtion unter die Begriffe der Arbeitszeit beziehungsweise Ruhezeit. Mit einer solchen konkreten Einzelfallsubsumtion lassen sich auch die in der Literatur und Rechtsprechung stark umstrittenen Fälle der Arbeitsbereitschaft, des Bereitschaftsdiensts und der Rufbereitschaft lösen. Diese werden im Folgenden unter dem Oberbegriff Bereitschaftszeiten zusammengefasst.301 Dabei ist zunächst festzustellen, dass bei allen Bereitschaftszeiten die aktiven Zeiten, das heißt die Zeiten, in denen der Arbeitnehmer tatsächlich zum Einsatz gerufen wird, stets als Arbeitszeit einzuordnen sind.302 Umstritten sind hingegen die inaktiven Zeiten, das heißt die Zeiten, in denen der Arbeitnehmer lediglich auf Abruf zur Verfügung steht. Alle Bereitschaftszeiten stellen nicht nur ein reines Zur-Verfügung-Stellen der Dienste durch den Arbeitnehmer dar, sondern sind vom Arbeitgeber veranlasste Zeiten der Untätigkeit. Es handelt sich also bei allen Bereitschaftszeiten um ein vom Arbeitgeber veranlasstes Zur-Verfügung-Stehen des Arbeitnehmers, um auf dessen Verlangen eine Arbeitsleistung erbringen zu können.303 Entscheidend für die Einordnung als Arbeitszeit ist sodann, ob der Arbeitnehmer die Zeit, in der er zur Verfügung steht, frei nutzen kann oder ob er diesbezüglich Beschränkungen unterliegt. Daher sind Arbeitsbereitschaft – von der heutigen Rechtsprechung und überwiegenden Literatur als „Zeiten der wachen Achtsamkeit im Zustand der Entspannung“ bezeichnet,304 das heißt Zeiten, in denen ein Arbeitnehmer an seinem 300
Siehe hierzu bereits oben, Kapitel 2, A. I. 1. d). Als weitere Oberbegriffe findet man auch „Zeiten verminderter Arbeitsleistung“, vgl. Preis/Temming, Rn. 1113, „Bereitschaften“, vgl. EuGH, Urt. v. 09. 03. 2021, C-344/19 (Radiotelevizija Slovenija), ECLI:EU:C:2021:182, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 37 (Rn. 2); BAG, Urt. v. 10. 09. 1959 – 4 AZR 597/5a, AP AZO § 7 Nr. 5; Bitterberg, Bereitschaftsdienst, S. 129, und „Bereitschaftsdienste“, vgl. Koberski, in: MHA, § 182, Rn. 22; wie hier Buschmann/Ulber/Buschmann, § 2 ArbZG, Rn. 5; Hunold, DB 2014, 361 (365); Kock, DB 2021, 1135; Reinhard, NZA 2019, 1313 (1317); ErfK/Roloff, § 2 ArbZG, Rn. 3; wohl auch EuGH, Urt. v. 09. 09. 2021, C-107/19 (Dopravní podnik hl. m. Prahy), ECLI:EU:C:2021:722, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 40 (Rn. 28 ff.); BAG, Urt. v. 27. 07. 2021, 9 AZR 448/20, AP SGB IX 2018 § 164 Nr. 5. 302 So explizit für die aktiven Zeiten der Rufbereitschaft: EuGH, Urt. v. 03. 10. 2000, C-303/98 (SIMAP), ECLI:EU:C:2000:528, AP EWG-Richtlinie Nr. 93/104 Nr. 2 (Rn. 50); Urt. v. 21. 02. 2018, C-518/15 (Matzak), ECLI:EU:C:2017:82, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 22 (Rn. 60); Anzinger/Koberski, § 2, Rn. 55; Baeck/Deutsch/Winzer, § 2, Rn. 54; Boemke, RdA 2020, 65 (67); EU-ArbR/Gallner, Art. 2 RL 2003/88/EG, Rn. 21; Kleinebrink, PuR 2017, 8 (10); Krause, Gutachten zum DJT, B 33; Wank, RdA 2014, 285 (287); Witschen, Rahmenvorgaben, S. 61. 303 Vgl. EuGH, Urt. v. 09. 09. 2021, C-107/19 (Dopravní podnik hl. m. Prahy), ECLI:EU:C: 2021:722, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 40 (Rn. 33); Breucker, ZESAR 2021, 364. 304 BAG, Urt. v. 09. 03. 2005 – 5 AZR 385/02, NJOZ 2005, 3554 (3556); Urt. v. 11. 07. 2006 – 9 AZR 519/05, BAGE 119, 41 (49); Baeck/Deutsch/Winzer, § 2 ArbZG, Rn. 33; Baeck/ Lösler, NZA 2005, 247 (248); Bitterberg, Bereitschaftsdienst, S. 131, 162; Dobberahn, Arbeitszeitgesetz, Rn. 46; ErfK/Roloff, § 2 ArbZG, Rn. 17; vgl. zur Entwicklung des Begriffs der 301
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Kap. 2: Die Arbeitszeit im Wandel
Arbeitsplatz zur Verfügung steht, um gegebenenfalls sofort die Arbeit aufnehmen zu können305 – und Bereitschaftsdienst – bei dem sich ein Arbeitnehmer zwar nicht zwingend am Arbeitsplatz aufhalten muss, aber an einem vom Arbeitgeber vorgegebenen Ort, um von dort aus die Arbeit aufnehmen zu können306 – in der Regel als Arbeitszeit einzuordnen. Durch die Vorgabe des Ortes, an dem der Arbeitnehmer sich aufzuhalten hat, ist dieser in den Möglichkeiten zur Gestaltung seiner Zeit so erheblich eingeschränkt, dass er die Zeit nicht frei nutzen kann.307 Bei der Rufbereitschaft ist hingegen zu differenzieren. Rufbereitschaft liegt vor, wenn sich ein Arbeitnehmer unter ständiger Erreichbarkeit an einem von ihm gewählten Ort bereithält, um von dort aus erforderlichenfalls die Arbeit aufzunehmen.308 Grundsätzlich ist der Arbeitnehmer also in der Wahl des Ortes, an dem er sich aufzuhalten hat, frei. Er muss lediglich für den Arbeitgeber jederzeit erreichbar sein.309 Hieraus folgt, dass der Arbeitnehmer seine Zeit in der Regel eigennützig und selbstbestimmt verwenden kann. Der Arbeitnehmer kann frei über seine Zeit verfügen und eigenen Interessen nachgehen.310 Grundsätzlich liegt somit während der inaktiven Zeiten der Rufbereitschaft keine Arbeitszeit vor. Das muss aber – spätestens seit der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Matzak311 – anders bewertet werden,312 wenn der Arbeitnehmer während der inakArbeitsbereitschaft und den zur Einordnung vertretenen verschiedenen Theorien statt vieler: Gitter, ZfA 1983, 375 ff. 305 BAG, Urt. v. 11. 07. 2006 – 9 AZR 519/05, BAGE 119, 41 (49). 306 Vgl. BAG, Beschl. v. 18. 02. 2003 – 1 ABR 2/02, BAGE 105, 32 (41 f.); Urt. v. 11. 07. 2006 – 9 AZR 519/05, BAGE 119, 41 (49); Bitterberg, Bereitschaftsdienst, S. 131; Boemke, RdA 2020, 65 (67); Hördt, ArbRAktuell 2019, 55 (57); Krause, Gutachten zum DJT, B 33; Reinhard, NZA 2019, 1313 (1317). 307 A. A. Thüsing/Hütter, NZA 2015, 970 (973) und Thüsing/Beden/Denzer u. a., NZS 2021, 321 (330), die nur diejenigen Zeiten, in denen der Bedarfsfall eintritt und der Arbeitgeber aktiv Weisungen erteilt, als Arbeitsleistung des Arbeitnehmers einstufen; hingegen sei die bloße Pflicht zur Anwesenheit an einem bestimmten Ort keine Arbeit. 308 Vgl. EuGH, Urt. v. 03. 10. 2000, C-303/98 (SIMAP), ECLI:EU:C:2000:528, AP EWGRichtlinie Nr. 93/104 Nr. 2 (Rn. 50); Urt. v. 21. 02. 2018, C-518/15 (Matzak), ECLI:EU:C: 2017:82, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 22 (Rn. 60); BAG, Urt. v. 24. 10. 2000 – 9 AZR 634/ 99, AP BUrlG § 11 Nr. 50 (unter I. 2. b) der Gründe); Urt. v. 11. 07. 2006 – 9 AZR 519/05, BAGE 119, 41 (49 f.); Anzinger/Koberski, § 2, Rn. 52; Baeck/Deutsch/Winzer, § 2, Rn. 48; Bayreuther, NZA 2018, 348 (349); Boemke, RdA 2020, 65 (67); EU-ArbR/Gallner, Art. 2 RL 2003/88/EG, Rn. 21; Hördt, ArbRAktuell 2019, 55 (57); Reinhard, NZA 2019, 1313 (1317); Witschen, Rahmenvorgaben, S. 61. 309 Anzinger/Koberski, § 2, Rn. 53; Baeck/Deutsch/Winzer, § 2, Rn. 49. 310 EuGH, Urt. v. 03. 10. 2000, C-303/98 (SIMAP), ECLI:EU:C:2000:528, AP EWGRichtlinie Nr. 93/104 Nr. 2 (Rn. 50); EU-ArbR/Gallner, Art. 2 RL 2003/88/EG, Rn. 21. 311 EuGH, Urt. v. 21. 02. 2018, C-518/15 (Matzak), ECLI:EU:C:2017:82, AP Richtlinie 2003/88/EG. 312 Vgl. zum Streitstand, ob dann dogmatisch weiterhin Rufbereitschaft vorliegt, die jedoch als Arbeitszeit zu werten ist, oder ob sich die Rufbereitschaft zu Bereitschaftsdienst „verdichtet“ einerseits Bayreuther, NZA 2018, 348 (349); EU-ArbR/Gallner, Art. 2 RL 2003/88/
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tiven Zeit so starken Einschränkungen unterliegt, dass er dadurch nicht mehr frei über seine Zeit verfügen kann, das heißt, wenn sein Freizeitverhalten nicht unerheblich durch Umstände gesteuert wird, die sein Arbeitgeber geschaffen hat.313 Die entscheidende Frage ist also, ob der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber auferlegten Einschränkungen unterliegt, die so intensiv sind, dass seine persönliche Dispositionsbefugnis objektiv so stark beschränkt wird, dass er die Zeiten, in denen er nicht zur Arbeitsleistung in Anspruch genommen wird, nicht frei gestalten, das heißt sich nicht seinen eigenen persönlichen und sozialen Interessen widmen und sich im Wesentlichen ausruhen kann.314 Diese Frage muss anhand einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls bewertet werden.315 Dabei stellen die örtlichen und zeitlichen Einschränkungen, denen der Arbeitnehmer gegenüber seinem Arbeitgeber unterworfen ist, einen sehr wichtigen Aspekt dar.316 Als örtliche Einschränkungen wird im Folgenden die Vorgabe eines bestimmten Ortes durch den Arbeitgeber und unter zeitlichen Einschränkungen die Pflicht, dem Ruf des Arbeitgebers innerhalb sehr kurzer Zeit zu folgen, bezeichnet.317 Es bestehen allerdings keine festen Grenzen, bis wann eine solche sehr kurze Rufzeit anzunehmen ist. Es existiert zwar Einzelfallrechtsprechung zu dieser Frage,318 EG, Rn. 22; Hahn, ZESAR 2020, 368 (373); Kock, DB 2021, 1135; Krause, NZA-Beil. 2019, 86 (91); Laber, ArbRB 2021, 180 (181); Pickenhahn, Gestaltungsspielräume, S. 76; Schrader/ Teubert/Siegel, BB 2021, 1396 (1398), die dann jeweils Bereitschaftsdienst annehmen und andererseits Kohte, jurisPR-ArbR 6/2021, Anm. 4; ders., jurisPR-ArbR 11/2021, Anm. 4; Ulber/Koch, AuR 2018, 328 (329 f.) und Worzalla, PuR 2018, 131 (132), wonach weiterhin Rufbereitschaft vorliegt, diese jedoch als Arbeitszeit einzuordnen ist. 313 Preis, FS Moll, S. 539 (549). 314 EuGH, Urt. v. 09. 03. 2021, C-344/19 (Radiotelevizija Slovenija), ECLI:EU:C: 2021:182, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 37 (Rn. 37 ff.); Urt. v. 11. 11. 2021, C-214/20 (Dublin City Council), ECLI:EU:C:2021:909, NZA 2021, 1699 (1700), Rn. 38 f.; Generalanwalt Pitruzzella, Schlussantrag vom 06. 10. 2020, C-344/19 (Radiotelevizija Slovenija), ECLI:EU:C:2020:796, BeckRS 2020, 25333, Rn. 91 ff.; BVerwG, Urt. v. 29. 04. 2021 – 2 C 18/20, NVwZ 2021, 1861 (1863); Bayreuther, NZA 2018, 348 (349); Buschmann, AuR 2018, 303 (305); Karlsfeld, ArbRB 2019, 57 (59); Klein, jurisPR-ArbR 1/2022 Anm. 1. 315 EuGH, Urt. v. 09. 03. 2021, C-344/19 (Radiotelevizija Slovenija), ECLI:EU:C: 2021:182, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 37 (Rn. 56); Urt. v. 09. 09. 2021, C-107/19 (Dopravní podnik hl. m. Prahy), ECLI:EU:C:2021:722, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 40 (Rn. 43); Bayreuther, NZA 2018, 348 (349); Freyler, EuZA 2021, 336 (343); Karlsfeld, ArbRB 2019, 57 (59); Klein, jurisPR-ArbR 1/2022 Anm. 1; Kock, DB 2021, 1135. 316 Generalanwalt Pitruzzella, Schlussantrag vom 06. 10. 2020, C-580/19 (Stadt Offenbach am Main), ECLI:EU:C:2020:797, BeckRS 2020, 25301, Rn. 73 f.; Bayreuther, NZA 2018, 348 (349); Brockfeld, ZESAR 2021, 24 (25 f.). 317 So auch Brockfeld, ZESAR 2021, 24 (25). 318 EuGH, Urt. v. 21. 02. 2018, C-518/15 (Matzak), ECLI:EU:C:2017:82, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 22 (Rn. 63 ff.): Annahme von Arbeitszeit bei Rufzeit von 8 Minuten; BAG, Urt. v. 19. 12. 1991 – 6 AZR 592/89, NZA 1992, 560 und BAG, Urt. v. 31. 01. 2002 – 6 AZR 214/00, ZTR 2002, 432: Annahme von Arbeitszeit bei Rufzeit von 10 beziehungsweise 20 Minuten; BAG, 22. 01. 2004 – 6 AZR 543/02, BeckRS 2004, 20800702: Ablehnung von Arbeitszeit bei Rufzeit von 45 Minuten.
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Kap. 2: Die Arbeitszeit im Wandel
jedoch darf daraus nicht geschlossen werden, dass ab einer bestimmten Rufzeit nunmehr stets Arbeitszeit angenommen werden muss. Vielmehr muss stets im Einzelfall abgewogen werden, ob die konkret in Rede stehende Rufzeit zu einer Unmöglichkeit der freien Zeitgestaltung des Arbeitnehmers im oben dargestellten Sinne führt. Dabei steht die Rufzeit stets im Wechselspiel zu übrigen Einschränkungen und Erleichterungen für den Arbeitnehmer, die ebenfalls in die Bewertung einfließen müssen. So können dem Arbeitnehmer zusätzlich zur Rufzeit weitere Einschränkungen auferlegt sein, die dazu führen können, dass trotz einer an sich ausreichenden Rufzeit die Möglichkeiten des Arbeitnehmers zur freien Freizeitbeschäftigung erheblich beeinträchtigt sind. Andererseits können dem Arbeitnehmer auch gewisse Erleichterungen während der Bereitschaftszeit gewährt werden, die es ihm trotz einer kurzen Rufzeit ermöglichen, sich seinen privaten Interessen zu widmen.319 Zu diesen übrigen Einschränkungen und Erleichterungen für den Arbeitnehmer zählen zunächst die konkreten Modalitäten eines Einsatzes.320 So kann etwa die Notwendigkeit, bei einem Einsatz Arbeitskleidung zu tragen, je nach Komplexität der Kleidung und der für das Anziehen erforderlichen Zeit zu einer Verkürzung der Rufzeit führen. Andererseits kann die Überlassung eines Dienstwagens mit Wegerechten und Sonderrechten gegenüber einigen Bestimmungen zur Straßenverkehrsordnung die Rufzeit erhöhen.321 Zudem kann die Möglichkeit für den Arbeitnehmer, der Inanspruchnahme durch seinen Arbeitgeber ohne Ortsveränderung nachzukommen, eine erhebliche Erleichterung darstellen.322 Darüber hinaus spielen auch die Unvorhersehbarkeit möglicher Unterbrechungen323, die durchschnittliche Dauer324 und Häufigkeit325 der Einsätze während der 319
Vgl. Breucker, ZESAR 2021, 364 (366). Generalanwalt Pitruzzella, Schlussantrag vom 06. 10. 2020, C-580/19 (Stadt Offenbach am Main), ECLI:EU:C:2020:797, BeckRS 2020, 25301, Rn. 78 ff. 321 Generalanwalt Pitruzzella, Schlussantrag vom 06. 10. 2020, C-580/19 (Stadt Offenbach am Main), ECLI:EU:C:2020:797, BeckRS 2020, 25301, Rn. 79 f.; für die Berücksichtigung dieser beiden Kriterien auch EuGH, Urt. v. 09. 03. 2021, C-580/19 (Stadt Offenbach am Main), ECLI:EU:C:2021:183, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 36 (Rn. 49); Generalanwalt Pitruzzella, Schlussantrag vom 06. 10. 2020, C-344/19 (Radiotelevizija Slovenija), ECLI:EU:C:2020:796, BeckRS 2020, 25333, Rn. 111; Kock, DB 2021, 1335. 322 Vgl. zu diesem Punkt EuGH, Urt. v. 09. 03. 2021, C-580/19 (Stadt Offenbach am Main), ECLI:EU:C:2021:183, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 36 (Rn. 49); Generalanwalt Pitruzzella, Schlussantrag vom 06. 10. 2020, C-344/19 (Radiotelevizija Slovenija), ECLI:EU:C:2020:796, BeckRS 2020, 25333, Rn. 111; Kock, DB 2021, 1135; Krause, NZA-Beil. 2019, 86 (91); Rudkowski/Stadelmann, ZfA 2021, 553 (562); Schlottfeldt, LGP 2021, 082; siehe auch BAG, Urt. v. 25. 03. 2021 – 6 AZR 264/20, AP TVG § 1 Tarifverträge: Arzt Nr. 78 (Rn. 18), das bei einer Verpflichtung des Arbeitnehmers, im Rahmen der Bereitschaftszeit lediglich einen dienstlichen Telefonanruf anzunehmen, annimmt, dass es dem Arbeitnehmer grundsätzlich möglich ist, sich frei zu bewegen, sich um seine persönlichen und familiären Angelegenheiten zu kümmern und an sportlichen oder kulturellen Veranstaltungen teilzunehmen. 323 EuGH, Urt. v. 09. 09. 2021, C-107/19 (Dopravní podnik hl. m. Prahy), ECLI:EU:C: 2021:722, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 40 (Rn. 41). 320
A. Der Begriff der Arbeitszeit
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Bereitschaftszeiten und die zeitliche Festlegung und Dauer der Bereitschaftszeiten an sich326 eine Rolle. Dabei darf das Kriterium der Häufigkeit und Dauer der Einsätze während der Bereitschaftszeiten nicht dahingehend missverstanden werden, dass unionsrechtswidrig auf die Intensität der Tätigkeit des Arbeitnehmers abgestellt wird.327 Es geht nicht darum, welche Möglichkeiten der Freizeitgestaltung dem Arbeitnehmer aufgrund einer etwaigen Belastung durch die Tätigkeit genommen werden. Vielmehr ist darauf abzustellen, inwieweit dem Arbeitnehmer die Selbstbestimmung genommen ist, mithin welche Möglichkeiten der Freizeitgestaltung dem Arbeitnehmer trotz etwaiger durch den Arbeitgeber aufgegebener Einschränkungen verbleiben.328 Für die Bestimmung der durchschnittlichen Häufigkeit und Dauer ist dabei unter Heranziehung der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung auf einen überschaubaren, repräsentativen Zeitraum abzustellen, der eine typisierende Gesamtbetrachtung ermöglicht.329 Dabei ist in Anlehnung an die Rechtsprechung zu § 2 Abs. 1 LFZG330 ein dreimonatiger Zeitraum als ein solcher überschaubarer und repräsentativer Zeitraum anzusehen.331 Bei der Frage, ob dabei ein individueller oder ein genereller Maßstab angelegt werden sollte, ist der generelle Maßstab vorzuziehen, das heißt, es ist auf alle Arbeitnehmer abzustellen, die an dem 324 EuGH, Urt. v. 09. 03. 2021, C-344/19 (Radiotelevizija Slovenija), ECLI:EU:C: 2021:182, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 37 (Rn. 51 f.); BAG, Urt. v. 27. 07. 2021 – 9 AZR 448/20, AP SGB IX 2018 § 164 Nr. 5 (Rn. 50); Freyler, EuZA 2021, 336 (344). 325 EuGH, Urt. v. 09. 03. 2021, C-344/19 (Radiotelevizija Slovenija), ECLI:EU:C: 2021:182, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 37 (Rn. 46 ff.); Generalanwalt Pitruzzella, Schlussantrag vom 06. 10. 2020, C-344/19 (Radiotelevizija Slovenija), ECLI:EU:C:2020:796, BeckRS 2020, 25333, Rn. 125 ff.; ders., Schlussantrag vom 06. 10. 2020, C-580/19 (Stadt Offenbach am Main), ECLI:EU:C:2020:797, BeckRS 2020, 25301, Rn. 73, 81; BAG, Urt. v. 27. 07. 2021 – 9 AZR 448/20, AP SGB IX 2018 § 164 Nr. 5 (Rn. 50); Bayreuther, NZA 2018, 348 (349); Brockfeld, ZESAR 2021, 24 (26); Freyler, EuZA 2021, 336 (344); Hördt, ArbRAktuell 2021, 567; Karlsfeld, ArbRB 2019, 57 (59); Krause, NZA-Beil. 2019, 86 (91); Krimphove, ArbRAktuell 2021, 679; Mitrus, ELLJ 2019, 386 (391 f.); Rieger, RdA 1964, 405 (406 f.); Rudkowski/Stadelmann, ZfA 2021, 553 (559); Schlottfeldt, ZESAR 2021, 401 (404). 326 Generalanwalt Pitruzzella, Schlussantrag vom 06. 10. 2020, C-580/19 (Stadt Offenbach am Main), ECLI:EU:C:2020:797, BeckRS 2020, 25301, Rn. 124; ders., Schlussantrag vom 06. 10. 2020, C-344/19 (Radiotelevizija Slovenija), ECLI:EU:C:2020:796, BeckRS 2020, 25333, Rn. 115; a. A. Rudkowski/Stadelmann, ZfA 2021, 553 (561 f.), nach deren Ansicht die Dauer und Häufigkeit der Bereitschaftszeiten nichts darüber aussagen, wie sehr der Arbeitnehmer tatsächlich eingeschränkt sei. 327 So aber wohl OVG Lüneburg, Urt. v. 10. 03. 2020 – 5 LB 49/18, BeckRS 2020, 6197, Rn. 91; Rudkowski/Stadelmann, ZfA 2021, 553 (556); Sollfrank, ZESAR 2020, 374 (377). 328 Preis, VSSAR 2019, 267 (279); ders., jM 2020, 367 (373). 329 BVerwG v. 22. 01. 2009 – 2 C 90/07, NZA 2009, 733 (734); OVG Lüneburg v. 10. 03. 2020 – 5 LB 49/18, BeckRS 2020, 6197, Rn. 66. 330 Vgl. unten, Kapitel 4, A. III. 3. a) aa) (2) (c). 331 Breucker, ZESAR 2021, 364 (366 f.); ebenfalls einen Zeitraum von drei Monaten schlägt Schlottfeldt, LPG 2021, 082; ders., ZESAR 2021, 401 (405) vor.
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Kap. 2: Die Arbeitszeit im Wandel
betreffenden Dienst in der jeweiligen Organisationseinheit teilgenommen haben, abzustellen.332 Dadurch werden die mit einem individuellen Maßstab – das heißt mit einem Abstellen auf einen einzigen Arbeitnehmer – verbundenen Zufälligkeiten vermieden, die einer typisierenden, repräsentativen Gesamtbetrachtung wohl kaum gerecht würden. Zudem spricht für den generellen Maßstab auch die Rechtssicherheit und Handhabbarkeit im Arbeitsalltag. So wäre zum Beispiel bei einem neu eingestellten Arbeitnehmer in der Anfangszeit unklar, ob seine Bereitschaftszeiten, bei denen er nicht verpflichtet ist, am Arbeitsplatz zur Verfügung zu stehen, als Arbeitszeit gelten oder nicht, da diesbezüglich noch keine Daten der letzten drei Monate vorlägen.333 Auch die dem Arbeitnehmer eingeräumte Möglichkeit, während eines erheblichen Teils seiner Bereitschaftszeiten eine andere berufliche Tätigkeit auszuüben, kann ein im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigender Gesichtspunkt sein. Denn das ist ein wichtiger Hinweis darauf, dass er seine Zeit im Wesentlichen frei gestalten kann.334 Hingegen sind organisatorische Schwierigkeiten, die sich nicht aus arbeitgeberseitigen Auflagen ergeben, sondern zum Beispiel die Folge natürlicher Gegebenheiten oder der freien Entscheidung des Arbeitnehmers sind, nicht zu berücksichtigen.335 Denn nur wenn der Arbeitgeber auf die Einschränkungen, denen der Arbeitnehmer im Hinblick auf seine Freizeitgestaltung unterliegt, Einfluss nehmen kann, ist es aus Wertungsgesichtspunkten vertretbar, ihm auch die für ihn negative Konsequenz der Annahme von Arbeitszeit aufzuerlegen.336 Zuletzt ist festzustellen, dass die übrigen von Generalanwalt Pitruzzella vorgeschlagenen Kriterien,337 etwa der Handlungsspielraum des Arbeitnehmers gegenüber dem Ruf des Arbeitgebers, die Folgen, die im Fall der Verspätung oder des unterlassenen Tätigwerdens vorgesehen sind, der Grad der Dringlichkeit des Tätigwer332
Ablehnend Kocher, RdA 2022, 50 (53). Siehe hierzu Breucker, ZESAR 2019, 364 (366). 334 EuGH, Urt. v. 11. 11. 2021, C-214/20 (Dublin City Council), ECLI:EU:C:2021:909, NZA 2021, 1699 (1701), Rn. 43 f.; hierzu auch bereits Brockfeld, ZESAR 2021, 24 (27). 335 EuGH, Urt. v. 09. 03. 2021, C-344/19 (Radiotelevizija Slovenija), ECLI:EU:C: 2021:182, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 37 (Rn. 37 ff.); Urt. v. 11. 11. 2021, C-214/20 (Dublin City Council), ECLI:EU:C:2021:909, NZA 2021, 1699 (1701), Rn. 45; BAG, Urt. v. 27. 07. 2021 – 9 AZR 448/20, AP SGB IX 2018 § 164 Nr. 5 (Rn. 48); kritisch hinsichtlich der Art und Zugänglichkeit des Arbeitsplatzes Freyler, EuZA 2021, 336 (344), die diese Kriterien in die Gesamtwürdigung miteinbeziehen möchte, und Rudkowski/Stadelmann, ZfA 2021, 553 (560 f.), die zumindest dann, wenn die Lage des Arbeitsplatzes zu einer faktischen Anwesenheitspflicht des Arbeitnehmers führt, diese Lage in der Abwägung berücksichtigen möchten. 336 Breucker, ZESAR 2019, 364 (366); ablehnend Kocher, RdA 2022, 50 (53), die eine Verantwortlichkeit des Arbeitgebers auch für solche Umstände bejaht, auf die er keinen Einfluss nehmen kann. 337 Generalanwalt Pitruzzella, Schlussantrag vom 06. 10. 2020, C-344/19 (Radiotelevizija Slovenija), ECLI:EU:C:2020:796, BeckRS 2020, 25333, Rn. 111. 333
A. Der Begriff der Arbeitszeit
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dens, der Grad der Verantwortung des Arbeitnehmers oder besondere Merkmale des Berufs spielen eher keine Rolle spielen. Denn auf diese weiteren Kriterien ist der EuGH in seiner Entscheidung vom 09. 03. 2021338 nicht weiter eingegangen, woraus geschlossen werden kann, dass er sie als nicht relevant erachtet.339
IV. Ergebnis Arbeitszeit im Sinne des gesamten Arbeitsrechts ist demnach die Zeit, in der ein Arbeitnehmer Arbeit im Sinne von § 611a Abs. 1 BGB erbringt.340 Arbeitszeit im arbeitsrechtlichen Sinne liegt dann vor, wenn ein Arbeitnehmer auf Basis einer arbeitgeberseitigen Weisung oder aufgrund des Arbeitsvertrags fremdbestimmt und fremdnützig handelt oder zur Verfügung steht. Freizeit hingegen liegt bei weisungsfreien, eigennützigen und selbstbestimmten Tätigkeiten vor.341 Dieser Begriff der Arbeitszeit gilt sodann für das gesamte Arbeitsrecht, das heißt, es wird keine Differenzierung mehr für das Arbeitsschutzrecht, das Vergütungsrecht und das Mitbestimmungsrecht vorgenommen. Zudem entspricht ein so verstandener Begriff der Arbeitszeit auch dem unionsrechtlichen Arbeitszeitbegriff. Daher ist auch die bisherige Differenzierung zwischen unionsrechtlichem und deutschem Arbeitszeitbegriff nicht mehr vorzunehmen. Das entspricht auch dem gesetzgeberischen Willen. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass er mit dem allgemein gehaltenen Begriff der Arbeit in § 2 Abs. 1 ArbZG die in Art. 2 der ArbZ-RL aufgeführten Merkmale erfasst und umsetzt,342 was bedeutet, dass er einen für das Europarecht und das deutsche Recht gleichermaßen geltenden Begriff der Arbeitszeit schaffen wollte.
338 EuGH, Urt. v. 09. 03. 2021, C-344/19 (Radiotelevizija Slovenija), ECLI:EU:C: 2021:182, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 37. 339 Breucker, ZESAR 2021, 364 (367); a. A. Kocher, RdA 2022, 50 (54), die davon ausgeht, dass der EuGH ausgehend von der Case-Law-Methode Kriterien, die in den jeweiligen Vorlagefällen keine Rolle spielten, in seinen Entscheidungen nicht bewertet habe; vgl. zudem Rudkowski/Stadelmann, ZfA 2021, 553 (561), die zumindest die Verantwortung des Arbeitnehmers und die Folgen der Nichterbringung der Arbeitsleistung in die Gesamtabwägung miteinbeziehen wollen. 340 Preis/Schwarz, Dienstreisen, S. 66. 341 So auch Preis, VSSAR 2019, 267 (286). 342 Witschen, Rahmenvorgaben, S. 58.
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Kap. 2: Die Arbeitszeit im Wandel
B. Die Flexibilisierung der Arbeitszeit als Folge von Arbeit 4.0 Ausgehend vom Lohnarbeitsverhältnis der Industrialisierung, das noch von starren Arbeitszeiten und einer klaren Abgrenzung von Arbeitszeit und Freizeit geprägt war,343 hat sich die Gestaltung der Arbeitszeit seitdem stark gewandelt. Insbesondere in letzter Zeit befindet sich die Arbeitswelt und damit auch die Gestaltung der Arbeitszeit im Umbruch – so unterliegt etwa die Arbeitszeit schon seit geraumer Zeit344 gewissen Flexibilisierungstendenzen. Diese Flexibilisierungstendenzen hinsichtlich der Arbeitszeit beruhen vor allem auf den unter dem Schlagwort Arbeit 4.0 gefassten Veränderungen unserer Arbeitswelt. Daher wird zunächst genauer auf den Begriff der Arbeitszeitflexibilisierung eingegangen (I.). Daran anschließend wird dargestellt, was unter Arbeit 4.0 zu verstehen ist und welche Veränderungen Arbeit 4.0 für die Arbeitswelt im Allgemeinen und im Bereich der Arbeitszeitgestaltung im Konkreten mitgebracht hat (II.).
I. Definition der Arbeitszeitflexibilisierung Bisher fehlt es an einer gesetzlichen Bestimmung der Arbeitszeitflexibilisierung ebenso wie an allgemeingültigen wissenschaftlichen oder betriebswirtschaftlichen Definitionen.345 Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff der flexiblen Arbeitszeit benutzt, um eine anpassungsfähige und abwandelbare Arbeitszeit zu beschreiben, die offen für Veränderungen ist und sich wechselnden Situationen rasch anpassen kann.346 Konkreter wird unter Arbeitszeitflexibilisierung die immer weiter verbreitete Abkehr der Arbeitsvertragsparteien von der starren Normalarbeitszeit hin zu flexiblen Arbeitszeitmodellen verstanden.347 Ausgangspunkt der Flexibilisierung der
343
Vgl. Kapitel 2, A. II. 1. Vgl. Dombois, Normalarbeitsverhältnis, S. 2, der eine Erosion des Normalarbeitsverhältnisses seit den 1980er-Jahren ausmacht und Gerhartsreiter, Arbeitszeitkonten, S. 1, der seit Mitte der 1990er-Jahre die Zunahme und wachsende Verbreitung flexibler Arbeitszeitmodelle feststellt. 345 Deller, Flexible Arbeitszeitmodelle, S. 5; Hahn, Flexible Arbeitszeit I, S. 60; dies., Flexible Arbeitszeit II, S. 3; Linnenkohl/Rauschenberg/Gressierer u. a., Arbeitszeitflexibilisierung, S. 27; Mente, Rahmenbedingungen, S. 17; Rauschenberg, Flexibilisierung, S. 19. 346 Hahn, Flexible Arbeitszeit I, S. 60; dies., Flexible Arbeitszeit II, S. 3; Linnenkohl, BB 1985, 1920 (1921); Linnenkohl/Rauschenberg/Gressierer u. a., Arbeitszeitflexibilisierung, S. 28; Witschen, Rahmenvorgaben, S. 27; genauer zu der semantischen Bedeutung Rauschenberg, Flexibilisierung, S. 20 ff. 347 BT-Drs. 15/279, S. 73; Reichold, NZA 1998, 393 f.; Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 17. 344
B. Die Flexibilisierung der Arbeitszeit als Folge von Arbeit 4.0
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Arbeitszeit bildet also das Normalarbeitsverhältnis348, das durch eine starre Normalarbeitszeit geprägt ist. Das Leitbild des Normalarbeitsverhältnisses ist dabei die Vollzeitbeschäftigung, bei der an fünf Tagen die Woche zu stets gleichen Zeiten während des Tages an einem festen Arbeitsplatz gearbeitet wird.349 Im Normalarbeitsverhältnis herrschen also gleichförmige, festliegende und ständig identische Arbeitszeitstrukturen vor.350 Die Lage und Dauer der Arbeitszeit waren für alle Mitarbeiter einheitlich.351 Variationsmöglichkeiten hinsichtlich Lage oder Dauer der Arbeitszeit bestanden lediglich in der Anordnung von Überstunden oder Kurzarbeit.352 Von diesem Normalarbeitsverhältnis wird in der Arbeitswelt mehr und mehr abgerückt zugunsten flexibler Arbeitszeitmodelle.353 Die Arbeitszeit wird durch zwei Faktoren bestimmt, durch den sogenannten chronometrischen Faktor sowie durch den sogenannten chronologischen Faktor. Der chronometrische Faktor beschreibt dabei die Dauer der Arbeitszeit in einem bestimmten Zeitraum, das heißt den auf einen bestimmten Bemessungszeitraum bezogenen Umfang der Leistungspflicht des Arbeitnehmers.354 Der Umfang der Leistungspflicht sowie der Bemessungszeitraum ergeben sich dabei aus der jeweils maßgeblichen Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.355 Die Dauer der Arbeitszeit kann daher auf verschiedene Zeiträume bezogen sein – zum Beispiel auf einen Tages-, Wochen-, Monats- oder Jahreszeitraum.356 Der chronologische Faktor wiederum bezieht sich auf die Lage der Arbeitszeit, das heißt auf die Verteilung des Arbeitszeitvolumens.357 Mit der Festlegung der Lage 348
Genauer hierzu BMAS, Grünbuch Arbeiten 4.0, S. 25 ff. BT-Drs. 15/279, S. 73; Deller, Flexible Arbeitszeitmodelle, S. 5; Däubler, AuR 1988, 302 ff.; Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 23; siehe auch Eufinger/Burbach, DB 2019, 1147, die allerdings nicht explizit vom „Normalarbeitsverhältnis“ sprechen; vgl. zuletzt Beck, Risikogesellschaft, S. 225, der von einem „standardisierten Vollbeschäftigungssystem“ spricht. 350 Gerhartsreiter, Arbeitszeitkonten, S. 1; Hahn, Flexible Arbeitszeit II, S. 2; Richardi, FS Merz, S. 481; Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 17. 351 Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 24; Richardi, FS Merz, S. 481 (482); vgl. auch Hahn, Flexible Arbeitszeit II, S. 2, die von einem „kollektiven Nine to five“ spricht. 352 Boemke/Föhr, Arbeitsformen, S. 84; Necati, Arbeitszeitkonten, S. 18. 353 BT-Drs. 15/279, S. 73; Beck, Risikogesellschaft, S. 225; Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 17; siehe auch Ginal/Tribess, GWR 2019, 317 (318), die ein Ausdienen des klassischen „nine-to-five-Jobs“ feststellen, Henssler, FS Moll, S. 233 (235), der den traditionellen „Nine to Five Job“ als „Auslaufmodell“ bezeichnet, und Reichold, NZA 1998, 393 f., der vom „Abschied vom Normalarbeitstag“ spricht. 354 Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 24; Kilz/Reh, Neugestaltung, S. 29 f.; Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 18. 355 Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 24; Kilz/Reh, Neugestaltung, S. 29. 356 Hölting, Flexible Arbeitszeitgestaltung, S. 9. 357 Hahn, Flexible Arbeitszeit II, S. 5; Linnenkohl/Rauschenberg/Gressierer u. a., Arbeitszeitflexibilisierung, S. 15; ErfK/Roloff, § 3 ArbZG, Rn. 13; Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 18. 349
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Kap. 2: Die Arbeitszeit im Wandel
der Arbeitszeit wird der Zeitpunkt definiert, zu dem die Arbeitszeit beginnt und endet und zu dem sie durch Pausen unterbrochen wird.358 Für die Festlegung der Lage der Arbeitszeit steht dem Arbeitgeber grundsätzlich das Weisungsrecht im Sinne von § 106 GewO zur Verfügung.359 Jedoch lassen sich Lage und Dauer der Arbeitszeit kaum voneinander trennen: Jede Veränderung der Dauer der Arbeitszeit bedeutet zwangsläufig auch eine Veränderung der Lage der Arbeitszeit.360 Das beruht auf dem Umstand, dass zusätzliche Arbeitszeit im Sinne einer erhöhten Dauer der Arbeitszeit außerhalb des grundsätzlich festgelegten Zeitrahmens für die Lage der Arbeitszeit zu erbringen ist. Umgekehrt verändert sich bei einer Verschiebung der Lage der Arbeitszeit zumeist auch die Dauer der Arbeitszeit – abhängig von dem gewählten Bemessungszeitraum.361 Bei herkömmlichen, „starren“ Arbeitszeitsystemen liegen sowohl Lage als auch Dauer der Arbeitszeit fest und können weder vom Arbeitgeber noch vom Arbeitnehmer einseitig kurzfristig verändert werden.362 Eine Veränderung von Lage und/ oder Dauer der Arbeitszeit ist bei starren Arbeitszeitsystemen nur durch eine Modifikation der für das Arbeitsverhältnis geltenden vertraglichen Regelungen erreichbar.363 Hingegen spricht man von flexiblen Arbeitszeitsystemen, wenn mindestens einer dieser beiden Faktoren permanent und ohne zusätzliche vertragliche Abrede veränderbar ist.364 Dabei ist es unerheblich, welche Arbeitsvertragspartei zu der Änderung befugt ist.365 Eine Änderung kann demnach einseitig durch den Arbeitgeber beziehungsweise den Arbeitnehmer oder durch beide Parteien vorgenommen werden.366
358
Gragert, in: MAHA, § 14, Rn. 85. Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 25. 360 Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 18 f.; vgl. auch Franzen, RdA 2014, 1 (3), nach dem die Lage der Arbeitszeit auf deren Dauer zurückkoppelt. 361 Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 18 f. 362 Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 1; Kilz/Reh, Neugestaltung, S. 31; Linnenkohl/Rauschenberg/Gressierer u. a., Arbeitszeitflexibilisierung, S. 27. 363 Hellfeier, Leistungszeit, S. 13; Kilz/Reh, Neugestaltung, S. 31; Linnenkohl, BB 1985, 1920 (1921); Linnenkohl/Rauschenberg/Gressierer u. a., Arbeitszeitflexibilisierung, S. 28; Witschen, Rahmenvorgaben, S. 27. 364 Deller, Flexible Arbeitszeitmodelle, S. 6 f.; Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 25; Hellfeier, Leistungszeit, S. 13; Heinze, NZA 1997, 681; Kilz/Reh, Neugestaltung, S. 31 f.; Linnenkohl/Rauschenberg/Gressierer u. a., Arbeitszeitflexibilisierung, S. 15; Rauschenberg, Flexibilisierung, S. 20; ErfK/Roloff, § 3 ArbZG, Rn. 13; Witschen, Rahmenvorgaben, S. 27. 365 Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 25; Hellfeier, Leistungszeit, S. 13; Witschen, Rahmenvorgaben, S. 27. 366 Heinze, NZA 1997, 681; Palenberg, Arbeitszeitflexibilisierung, S. 5; ErfK/Roloff, § 3 ArbZG, Rn. 13. 359
B. Die Flexibilisierung der Arbeitszeit als Folge von Arbeit 4.0
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Unter den Begriff der Flexibilisierung der Arbeitszeit können also alle Arbeitszeitmodelle gefasst werden, bei denen der chronometrische und/oder der chronologische Faktor permanent veränderbar ist. Hierunter fallen eine Vielzahl von verschiedenen flexiblen Arbeitszeitmodellen, wobei die Begrifflichkeiten oftmals nicht trennscharf sind.367 So unterscheiden manche Autoren lediglich zehn Grundtypen flexibler Arbeitszeitmodelle,368 andere bis zu 200.369
II. Einfluss von Arbeit 4.0 auf die Arbeitszeitgestaltung Der Begriff Arbeit 4.0370 ist sowohl in der politischen Diskussion371 als auch in der juristischen Literatur omnipräsent.372 Dabei wird der Begriff allerdings je nach Kontext unterschiedlich und damit in recht vielfältiger Weise verwendet.373 Daher wird im Folgenden das für diese Arbeit maßgebliche Begriffsverständnis herausgearbeitet. Der Begriff Arbeit 4.0 ist an den – bereits seit längerem diskutierten – Begriff der Industrie 4.0 angelehnt.374 Im Gegensatz zu dem Begriff der „Industrie 4.0“, der die Veränderung von Produktionsprozessen vor allem aufgrund der wachsenden Auto367 So auch Deller, Flexible Arbeitszeitmodelle, S. 16 und Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 22, die das darauf zurückführen, dass in der praktischen Anwendung oft Mischformen oder Kombinationen einzelner Modelle angewendet werden; siehe auch Hartmann, FS Singer, S. 245 (256), der ebenfalls die uneinheitliche Terminologie in der Diskussion über die Arbeitszeitflexibilisierung beklagt. 368 Linnenkohl/Rauschenberg/Gressierer u. a., Arbeitszeitflexibilisierung, S. 30 ff. 369 Korth, Sabbaticals, S. 6. 370 Die Begrifflichkeiten sind in diesem Bereich uneinheitlich: andere Autoren sprechen auch von „Arbeitswelt 4.0“, vgl. Jacobs, NZA 2016, 733; Krause, NZA-Beil. 2019, 86; Maties, in: Benecke, S. 39 ff., „Arbeiten 4.0“, vgl. BMAS, Weißbuch Arbeiten 4.0, Grünbuch Arbeiten 4.0; Günther/Böglmüller, NZA 2015, 1025 (1026); Jacobs, NZA 2016, 733 (734); Krause, NZA-Beil. 2017, 53 ff.; Steffan, NZA 2015, 1409; Uffmann, NZA 2016, 977 (978) oder von „Arbeitsrecht 4.0“, vgl. Arnold/Günther, Arbeitsrecht 4.0; Bauschke, öAT 2016, 225; Günther/Böglmüller, NZA 2015, 1025; Ginal/Tribess, GWR 2019, 317 (318); Hanau, RdA 2017, 213 ff.; Steffan, NZA 2015, 1409; wie hier Giesen/Kersten, Arbeit 4.0; Kort, RdA 2018, 24; Reinhard, NZA 2019, 1313; Witschen, Rahmenvorgaben, S. 6 ff. 371 So z. B. auf nationaler Ebene in dem 2016 vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgebrachten Grünbuch „Arbeiten 4.0“ und dem daran anschließenden Weißbuch „Arbeiten 4.0“ von 2017 sowie auf europäischer Ebene das Grünbuch „Ein modernes Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“, das bereits 2006 von der Europäischen Kommission herausgebracht wurde; vgl. hierzu jeweils genauer Witschen, Rahmenvorgaben, S. 9 ff. 372 Vgl. die in Fn. 370 Genannten. 373 Witschen, Rahmenvorgaben, S. 7. 374 BMAS, Weißbuch Arbeiten 4.0, S. 198; Bissels/Meyer-Michaelis, DB 2015, 2331; Giesen/Kersten, Arbeit 4.0, S. 14; Schulze/Schuhmacher, AiB 2015, 22 (23); Witschen, Rahmenvorgaben, S. 7.
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Kap. 2: Die Arbeitszeit im Wandel
matisierung und Digitalisierung beschreibt,375 bezieht sich der Begriff „Arbeit 4.0“ aber nicht nur auf die Produktion. Vielmehr betrifft „Arbeit 4.0“ die gesamte Arbeitswelt376, geht also über „Industrie 4.0“ hinaus.377 Arbeit 4.0 bildet den vorläufigen Schlusspunkt der historischen Entwicklung der Arbeitswelt. Diese kann in vier Phasen unterteilt werden, die sich an den Stufen der industriellen Revolution orientieren.378 Dabei beschreibt die erste Phase – Arbeit 1.0 – den Beginn der Industriegesellschaft Ende des 18. Jahrhunderts und die durch die Einführung der Dampfmaschine und mechanischer Produktionsanlagen veränderten Gesellschaftsstrukturen, insbesondere auch die veränderte Organisation von Arbeit und Arbeitern.379 Arbeit 2.0 umfasst die beginnende Massenproduktion und die durch die neuen sozialen Probleme hervorgerufenen Anfänge des Wohlfahrtsstaats Ende des 19. Jahrhunderts, die sich vor allem in der Einführung der ersten Sozialversicherung durch Otto von Bismarck äußerten.380 Unter Arbeit 3.0 versteht man die Zeit der Konsolidierung des Sozialstaates und die dadurch entstandenen Arbeitnehmerrechte. Gegen Ende dieser Phase erfolgte eine weitergehende Automatisierung der Produktion und eine Öffnung der nationalen Märkte.381 Ausgehend von dieser Entwicklung beschreibt Arbeit 4.0 also die Arbeitswelt von heute, aber auch von morgen und übermorgen,382 die maßgeblich durch die immer weiter zunehmende Digitalisierung und Globalisierung sowie durch die – vor allem durch den demografischen Wandel – veränderte Einstellung der Beschäftigten zur Erwerbsarbeit beeinflusst wird.383 375 Bissels/Meyer-Michaelis, DB 2015, 2331; Giesen, in: G/J/R, S. 15 (17); Hanau, RdA 2017, 213; Schulze/Schuhmacher, AiB 2015, 22; Steffan, NZA 2015, 1409; Krause, NZABeil. 2017, 53 (54) spricht sogar von der Veränderung „der gesamten industriellen Wertschöpfungskette über die Entwicklung und Fertigung eines Produkts bis hin zur Auslieferung und zum Recycling“. 376 BMAS, Grünbuch Arbeiten 4.0, S. 32; Weißbuch Arbeiten 4.0, S. 198; Krause, Gutachten zum DJT, B 14; ders., NZA-Beil. 2017, 53 (59). 377 Krause, NZA-Beil. 2017, 53 (54); Witschen, Rahmenvorgaben, S. 9. 378 BMAS, Grünbuch Arbeiten 4.0, S. 32; Bissels/Meyer-Michaelis, DB 2015, 2331; Witschen, Rahmenvorgaben, S. 5. 379 BMAS, Grünbuch Arbeiten 4.0, S. 32; Bissels/Meyer-Michaelis, DB 2015, 2331; Giesen/Kersten, Arbeit 4.0, S. 14; Witschen, Rahmenvorgaben, S. 5. 380 BMAS, Weißbuch Arbeiten 4.0, S. 198; Grünbuch Arbeiten 4.0, S. 32; Bissels/MeyerMichaelis, DB 2015, 2331; Giesen/Kersten, Arbeit 4.0, S. 14; Witschen, Rahmenvorgaben, S. 5. 381 BMAS, Weißbuch Arbeiten 4.0, S. 198; Grünbuch Arbeiten 4.0, S. 33; Bissels/MeyerMichaelis, DB 2015, 2331; Giesen/Kersten, Arbeit 4.0, S. 14; Witschen, Rahmenvorgaben, S. 5. 382 Bissels/Meyer-Michaelis, DB 2015, 2331; a. A. BMAS, Grünbuch Arbeiten 4.0, S. 32, wonach Arbeit 4.0 nicht die heutige Normalität in den Betrieben beschreibt, sondern neue Perspektiven und Gestaltungschancen in der Zukunft aufzeigt, also lediglich die Arbeitswelt von morgen und übermorgen, nicht aber von heute umfasst. 383 In der Literatur wird oftmals eine Verkürzung von Arbeit 4.0 auf die Entwicklungen in der Arbeitswelt, die auf der zunehmenden Digitalisierung beruhen, vorgenommen, vgl. Bis-
B. Die Flexibilisierung der Arbeitszeit als Folge von Arbeit 4.0
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Dabei kann die Digitalisierung – im Sinne einer Durchdringung des Arbeitslebens mit digital basierten Informations- und Kommunikationstechnologien384 – wohl als der wichtigste Treiber von Arbeit 4.0 angesehen werden. Durch die Digitalisierung verändern sich sowohl die Arbeitsinhalte, als auch die Arbeitsmittel und die Arbeitsorganisation.385 Vor allem kommt es durch die Digitalisierung zu einer Entgrenzung der Arbeit in zeitlicher und örtlicher Hinsicht386 – Arbeitnehmer können zunehmend von jedem Ort aus und zu jeder Zeit auf für die Arbeit benötigte betriebliche Anwendungen und Dateien zugreifen sowie mit Kollegen oder Kunden kommunizieren.387 Eine physische Anwesenheit im Betrieb wird dadurch obsolet – vielmehr wird der Arbeitnehmer selbst zu einer Art „wandelndes Büro“, indem er von nahezu jedem Ort der Welt aus zu nahezu jeder Zeit arbeiten kann.388 Unter dem Stichwort Globalisierung wird die zweite Welle eines stark beschleunigten weltweiten Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Personenverkehrs ab Mitte des 20. Jahrhunderts und insbesondere seit den 1980er-Jahren verstanden.389 Unternehmen bedienen immer öfter eine weltweite Kundschaft, wodurch die ökonomischen Aktivitäten eines Unternehmens grenzüberschreitend organisiert und weltweit vernetzt werden.390 Aufgrund des dadurch auch auf globaler Ebene gestiegenen Wettbewerbs nimmt der Konkurrenzdruck auf Unternehmen zu – irgendwo auf der Welt wird schließlich immer gearbeitet, sodass hiesige Unternehmen versuchen, ihre Unternehmens- und Arbeitsorganisation so zu restrukturieren, dass eine sels/Meyer-Michaelis, DB 2015, 2331; Giesen/Kersten, Arbeit 4.0, S. 13, 24; Jacobs, NZA 20116, 733; Klös, RdA 2019, 91 (92 ff.); Krause, NZA-Beil. 2017, 53 f.; Röller/Henseler, FS Preis, S. 1073 (1085); Uffmann, NZA 2016, 977 f.; Wiebauer, NZA 2016, 1430; allerdings ist die Digitalisierung nur einer von mehreren Faktoren, die zur Entwicklung von Arbeit 4.0 geführt haben; so auch Krause, Gutachten zum DJT, B 9; Witschen, Rahmenvorgaben, S. 8; auch Wallisch, NZA-Beil. 2018, 81 weist auf das „Zusammenspiel mit den gegenwärtigen demographischen Entwicklungen, Urbanisierungstendenzen, Globalisierung und Klimawandel“ hin. 384 Vgl. Krause, NZA-Beil. 2017, 53. 385 Krause, Gutachten zum DJT, B 7; ders., NZA-Beil. 2017, 53 (54). 386 Bissels/Meyer-Michaelis, DB 2015, 2331 (2332); Günther/Böglmüller, NZA 2015, 1025 (1026); Krause, NZA-Beil. 2017, 53 (54); Maier/Ossoinig, DB 2015, 2391; Steffan, NZA 2015, 1409; v. a. die zeitliche Entgrenzung wird dabei oftmals kritisch gesehen, da hierdurch eine gesundheitsschädliche Vermischung von Arbeits- und Privatleben befürchtet wird, vgl. Bissels/Meyer-Michaelis, DB 2015, 2331 (2332); EU-ArbR/Gallner, Art. 2 RL 2003/88/EG, Rn. 18; Krause, NZA-Beil. 2017, 53 (54); Jacobs, NZA 2016, 733 (734); Maier/ Ossoinig, DB 2015, 2391 f.; Pickenhahn, Gestaltungsspielräume, S. 18; Schlegel, NZA-Beil. 2014, 16 (20); Schulze/Schuhmacher, AiB 2015, 22; Steffan, NZA 2015, 1409; Witschen, Rahmenvorgaben, S. 31 f. 387 Krause, NZA-Beil. 2017, 53 (54); Lunck, AuA 2019, 598 (599); Witschen, Rahmenvorgaben, S. 18. 388 Falder, NZA 2010, 1150; Preis, NZA 2018, 817 (823) spricht insoweit von einem Wandel vom klassischen industriellen Arbeitnehmer-Profil zur global vernetzten Tätigkeit. 389 BMAS, Weißbuch Arbeiten 4.0, S. 25. 390 Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 17; Krause, Gutachten zum DJT, B 16.
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Kap. 2: Die Arbeitszeit im Wandel
Ansprechbarkeit rund um die Uhr gewährleistet wird.391 Das führt wiederum zu einer erhöhten Nachfrage nach Arbeit zu früher unüblichen Zeiten wie den Nachtstunden und am Wochenende.392 Zuletzt ist der gesellschaftliche Wertewandel als Treiber von Arbeit 4.0 zu nennen, der vor allem in einem veränderten Stellenwert der Arbeit im Verhältnis zum Privatleben zum Ausdruck kommt. Im Gegensatz zu früheren Generationen, bei denen Verdienst- und Karrieremöglichkeiten im Vordergrund standen,393 nimmt die Bedeutung dieser Faktoren bei der sogenannten Generation Y394 zugunsten einer besseren Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben („work life balance“) ab.395 Leistung wird also nicht mehr um jeden Preis erbracht – vielmehr steht ein ausgewogenes Verhältnis von Arbeitszeit und Freizeit im Vordergrund.396 Allein finanzielle Anreize reichen oftmals nicht mehr aus, um Arbeitnehmer für das Unternehmen zu gewinnen und diese möglichst langfristig an sich zu binden.397 Bereits jetzt kommt es in einzelnen Berufen und Regionen zu Engpässen bei der Gewinnung und Bindung von Fachkräften. Wollen Arbeitgeber keine unbesetzten Arbeitsplätze riskieren, müssen sie potenziellen Bewerbern attraktive Arbeitsbedingungen bieten – was dabei als attraktiv gilt, wird wiederum von den Bewerbern vorgegeben. Daher orientieren sich immer mehr Arbeitgeber an den von der Generation Y gelebten Werten.398 Diese Anpassung an die Werte der Arbeitnehmer wird sich in Zukunft noch verstärken. Das liegt vor allem am demografischen Wandel in Deutschland. So steigt die Lebenserwartung in Deutschland399 bei gleichzeitig sinkender beziehungsweise stagnierender Geburtenrate immer weiter an. Dadurch wird die Erwerbsbevölkerung in Deutschland nicht nur immer kleiner, wenn die älteren Jahrgänge in den Ruhestand gehen, aber aufgrund der stagnierenden Geburtenrate 391
BAuA, Flexible Arbeitszeitmodelle, S. 9; Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 17. Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 17. 393 Steffan, NZA 2016, 1409 (1411). 394 Zur Generation Y werden die Menschen gezählt, die zwischen etwa 1977 – 1998 geboren wurden, vgl. Steffan, NZA 2016, 1409 (1411), Fn. 19. 395 Krause, Gutachten zum DJT, B 20; Steffan, NZA 2016, 1409 (1411); vgl. auch Lunck, AuA 2019, 598 (600), der sogar beobachtet, dass die Arbeitnehmer von heute die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben nicht mehr als Vorteil eines Arbeitsplatzes ansähen, sondern das „ganz selbstverständlich in jedem Betrieb“ erwarteten. 396 Glaubrecht, Arbeitszeit im Wandel, S. 29; Günther/Böglmüller, NZA 2015, 1025 (1026); Krause, Gutachten zum DJT, B 20; Witschen, Rahmenvorgaben, S. 21 f. 397 BAuA, Flexible Arbeitsmodelle, S. 10; Witschen, Rahmenvorgaben, S. 24: vgl. genauer hierzu Zunker, AnwBl. 2020, 249. 398 So auch Witschen, Rahmenvorgaben, S. 24; einschränkend hierzu Kreft, Arbeitszeitdauerregulierungen, S. 105 f., der kritisch anmerkt, dass die Arbeitnehmerschaft in Deutschland keine homogene Masse darstelle und daher nicht in allen Berufen ein „strukturelles Gleichgewicht“ zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern herrsche, sondern oftmals weiterhin die Arbeitgeber eine größere Verhandlungsmacht hätten. 399 Die Lebenserwartung eines Neugeborenen im Jahr 2017 ist im Vergleich zum Jahr 1960 um 11 Jahre gestiegen, vgl. BMAS, Weißbuch Arbeiten 4.0, S. 29. 392
B. Die Flexibilisierung der Arbeitszeit als Folge von Arbeit 4.0
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keine neue Arbeitnehmer nachkommen, sondern im Durchschnitt auch immer älter.400 Bisher konnte der Einfluss des Geburtenrückgangs noch durch eine steigende Erwerbsbeteiligung vor allem von Frauen ausgeglichen werde. Hier sind jedoch die Potenziale bereits ausgereizt. Zudem gehen bis Mitte der 2030er-Jahre geburtenstarke Jahrgänge in den Ruhestand. Somit wird sich der Geburtenrückgang in naher Zukunft auch tatsächlich auf den Arbeitsmarkt auswirken.401 Die verschiedenen Treiber von Arbeit 4.0 – Digitalisierung, Globalisierung, gesellschaftlicher Wertewandel – stehen dabei nicht jeweils für sich allein, sondern in Wechselbeziehungen zueinander. So ist zum Beispiel die durch die Digitalisierung ermöglichte zeitliche und örtliche Entgrenzung der Arbeit oftmals förderlich für die verbesserte Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben, die im Rahmen des gesellschaftlichen Wertewandels von immer mehr Arbeitnehmern gefordert wird. Durch die aufgrund zeitlicher Entgrenzung mögliche flexible Arbeitszeitgestaltungen können zum Beispiel Eltern bereits am frühen Nachmittag das Büro verlassen, um Zeit mit ihren Kindern zu verbringen und die restliche Arbeit erledigen, sobald die Kinder schlafen.402 Dass die örtliche Entgrenzung ebenfalls Vorteile für die WorkLife-Balance mit sich bringt, hat sich insbesondere im Rahmen der Corona-Pandemie gezeigt, als in Deutschland vielfach Arbeitnehmer mit Kindern von zu Hause aus arbeiten und damit gleichzeitig die Betreuung ihrer Kinder sicherstellen konnten. Eine konkrete Folge des Phänomens Arbeit 4.0 ist die Flexibilisierung der Arbeitszeit als immer weiter verbreitete Form der Arbeitszeitgestaltung.403 So bildet die Digitalisierung oftmals die grundsätzliche Voraussetzung für flexible Arbeitszeitgestaltungen, indem sie ein zeitlich entgrenztes Arbeiten erst ermöglicht.404 Zudem ist die Flexibilisierung der Arbeitszeit vorteilhaft für die Arbeitgeber, die durch flexible Arbeitszeitmodelle die in einer globalisierten Arbeitswelt erforderliche Ausweitung der Betriebszeiten verwirklichen und so ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten können.405 Zuletzt können durch flexible Arbeitszeitgestaltungen die indi400 BAuA, Flexible Arbeitszeitmodelle, S. 10; Ende der 2020er-Jahre wird fast 20 % der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zwischen 60 und 67 Jahre alt sein, vgl. BMAS, Weißbuch Arbeiten 4.0, S. 29. 401 BMAS, Weißbuch Arbeiten 4.0, S. 29. So wird v. a. im Dienstleistungssektor – insb. im IT-Sektor – ein nicht gedeckter Bedarf prognostiziert, vgl. Steffan, NZA 2015, 1409 (1411); Vogler-Ludwig/Düll/Kriechel, Arbeitsmarktprognose 2030, S. 17; Witschen, Rahmenvorgaben, S. 23 f.; diese Entwicklung wird zum Teil auch mit dem Schlagwort „war for talents“ bezeichnet, vgl. Zumkeller, BB 2017, Heft 4, Die erste Seite. 402 Beispiel von Bissels/Meyer-Michaelis, DB 2015, 2331 (2332); Jacobs, NZA 2016, 733 (734). 403 So auch Witschen, Rahmenvorgaben, S. 27, die die Flexibilität als „zentrales Schlagwort im Zusammenhang mit Arbeit 4.0“ einordnet. 404 Siehe Bissels/Meyer-Michaelis, DB 2015, 2331, die die zeitliche Entgrenzung als wesentlichen Aspekt von Arbeit 4.0 ansehen und weiter feststellen, dass sich die Flexibilisierung der Arbeitszeit aus der zeitlichen Entgrenzung ergibt. 405 Vgl. BT-Drs. 15/279, S. 73; Deller, Flexible Arbeitszeitmodelle, S. 13 f.; Gerhartsreiter, Arbeitszeitkonten, S. 2; Hahn, Flexible Arbeitszeit I, S. 40; Lindecke/Lehndorff, WSI
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Kap. 2: Die Arbeitszeit im Wandel
viduellen Präferenzen der Arbeitnehmer hinsichtlich der Gestaltung ihrer Arbeitszeiten stärker verwirklicht werden, wodurch letztlich dem gesellschaftlichen Wandel entsprochen werden kann.406
Mitteilungen 1997, 471 (472 f.); Lindemann, Schuldrechtsreform, S. 1; Pickenhahn, Gestaltungsspielräume, S. 17; Reichold, NZA 1998, 393 (395); Schulze Buschoff/Rückert-John, WZB Discussion Paper, No. P 00 – 518, S. 25 f.; Witschen, Rahmenvorgaben, S. 28; so auch Pletke/Schrader/Siebert u. a., Flexible Arbeit, A., Rn. 2 in Bezug auf unternehmerische Flexibilität allgemein. 406 Vgl. BT-Drs. 15/279, S. 73; Deller, Flexible Arbeitszeitmodelle, S. 2, 14 ff.; Hahn, Flexible Arbeitszeit I, S. 40; Hellert, Arbeitszeitmodelle, S. 43; Lindecke/Lehndorff, WSI Mitteilungen 1997, 471 (473); Märkle/Petri, AuR 2000, 443 (445); Mente, Flexibilisierung, S. 19; Necati, Arbeitszeitkonten, S. 3; Pickenhahn, Gestaltungsspielräume, S. 17; Rauschenberg, Flexibilisierung, S. 16 f.; Reichold, NZA 1998, 393 (394 f.); Rölz, Freizeitausgleich, S. 16; Schulze Buschoff/Rückert-John, WZB Discussion Paper, No. P 00 – 518, S. 26; Witschen, Rahmenvorgaben, S. 28 f.
Kapitel 3
Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld Erbringt ein Schuldner vertragswidrig seine geschuldete Leistung nicht zum vereinbarten Zeitpunkt, ist auf Rechtsfolgenseite zu fragen, ob eine Unmöglichkeit der geschuldeten Leistung oder eine bloße Leistungsverzögerung vorliegt. Im Arbeitsrecht wird diese Frage im Hinblick auf eine Nichtleistung der Arbeit1 zum vereinbarten Zeitpunkt von der herrschenden Ansicht stets dahingehend beantwortet, dass eine Unmöglichkeit der geschuldeten Arbeitsleistung vorliegt. Zur Begründung dieses Vorgehens findet sich in fast allen Werken zum Arbeitsvertragsrecht der Hinweis auf den „Fixschuldcharakter“ der Arbeitsleistung – die herrschende Ansicht2 im Arbeitsrecht ordnet die Arbeitsleistung als absolute Fixschuld ein. Diese Einordnung wiederum führt dann bei Nichtleistung des Arbeitnehmers zur Unmöglichkeit der Arbeitsleistung gemäß § 275 Abs. 1 Alt. 2 BGB, ohne dass eine Abgrenzung zur bloßen Leistungsverzögerung vorgenommen werden muss. Bereits in der klassischen Arbeitswelt wurde dieses sogenannte Dogma der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht immer wieder kritisiert. Insbesondere vor dem Hintergrund von Arbeit 4.0 und der damit einhergehenden wachsenden Verbreitung von flexiblen Arbeitszeitmodellen3 kommen immer mehr Zweifel an der Fixschuldthese der herrschenden Meinung auf,4 sodass die Notwendigkeit entstanden ist, (vermeintlich)5 bereits beantwortete dogmatische Fragen erneut zu stellen.6
1 Ausführlich zu diesem Begriff Kraft, NZA 1989, 777 f.; Schlodder, Arbeitsvertrag, S. 27; Sommer, Nichterfüllung, S. 21 ff. 2 Sommer, Nichterfüllung, S. 167 spricht sogar von einer „geradezu erdrückenden Mehrheit“; vgl. auch v. Stebut, RdA 1985, 66, der hier einen „fast widerspruchslos akzeptierten“ Grundsatz des Individualarbeitsrechts ausmacht. 3 Siehe hierzu bereits oben, Kapitel 2, B. 4 Vgl. Erman/Edenfeld, § 611 BGB, Rn. 333; Gerhartsreiter, Arbeitszeitkonten, S. 337; BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB, Rn. 408; HWK/Krause, § 615 BGB, Rn. 8; Linck, in: Schaub, § 49, Rn. 5; Lindemann, AuR 2002, 81 (82); ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 677; BeckOGK/Riehm, § 275 BGB, Rn. 108; MüKo-BGB/Spinner, § 611a BGB, Rn. 10; Stoffels, Vertragsbruch, S. 110; siehe insbesondere Wank, Arbeitnehmer und Selbstständige, S. 70, der das Dogma der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht als „aus der Zeit des Zwölf-StundenArbeitstages herrührendes Dogma“ bezeichnet, das heute durchaus zweifelhaft sei. 5 Vgl. Dubovitskaya, AcP 2015, 581, die herausstellt, dass der Konsens hinsichtlich der Annahme eines absoluten Fixgeschäfts bei genauerem Hinsehen nur an der Oberfläche bestehe und viele Fragen umstritten oder nicht zufriedenstellend gelöst seien. 6 Breucker, in: Besonderheiten, S. 61 (62); so auch Hellfeier, Leistungszeit, S. 9 f.
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Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
Für die bessere Verständlichkeit der Ausführungen zum Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung erfolgt zunächst eine Differenzierung zwischen absoluten und relativen Fixgeschäften (A.). Sodann wird die herrschende Ansicht und deren Einordnung der Arbeitsleistung als absolute Fixschuld dargestellt. Hier wird insbesondere aufgezeigt, warum diese Einordnung als verfehlt abzulehnen ist (B.). Daran anschließend wird auf die Konsequenzen einer solchen Ablehnung eingegangen (C.).
A. Die Unterscheidung zwischen absoluten und relativen Fixgeschäften Jedes Schuldverhältnis kann als ein „in der Zeit verlaufender Prozess“ angesehen werden.7 Damit ist die Unterscheidung zwischen dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses und dem Zeitpunkt der Leistungserbringung gemeint. Diese Unterscheidung ergibt sich auch aus § 271 BGB, der Bestimmungen zur Leistungszeit, das heißt zum Zeitpunkt der Leistungserbringung, enthält. Haben die Vertragsparteien einen bestimmten Leistungszeitpunkt vereinbart,8 kann sich die Bedeutung der Leistungszeit von Schuldverhältnis zu Schuldverhältnis erheblich unterscheiden – so kann zum Beispiel das Interesse des Gläubigers an einer rechtzeitigen Leistung, das heißt an einer Leistung zum vereinbarten Leistungszeitpunkt, „auf einer Skala von höchster Bedeutung bis zur vollkommenen Gleichgültigkeit“ schwanken.9 Messen die Vertragsparteien der Bestimmung eines bestimmten Leistungszeitpunkts keine besondere Bedeutung zu, bestimmen sie also hierdurch nur den Termin für die Leistung, ohne dass diesem besonderes Gewicht zukommt, wird hierdurch grundsätzlich nur die Fälligkeit der Leistung beeinflusst.10 Bei Verstreichenlassen des Leistungszeitpunkts gerät der Schuldner gemäß § 286 Abs. 1 BGB grundsätzlich erst durch eine Mahnung des Gläubigers in Schuldnerverzug im Sinne der §§ 286 ff. BGB. Auch nach einer Mahnung des Gläubigers kann die Leistung noch erbracht werden – nämlich bis zu dem Zeitpunkt, in dem der Gläubiger nach erfolglosem Ablauf einer angemessenen Nachfrist entweder gemäß § 323 Abs. 1 Alt. 1 BGB vom Vertrag zurücktritt oder berechtigt Schadensersatz statt der Leistung gemäß § 281 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB verlangt.11 Dieser Fall wird im Folgenden als „Normalschuld“ 7
Horn, Vertragsdauer, S. 551 (559); Larenz, SchR I, S. 28; Sommer, Nichterfüllung, S. 61. Dass die Vereinbarung eines bestimmten Leistungszeitpunkts nicht zwingend ist, ergibt sich aus § 271 Abs. 1 BGB. 9 Sommer, Nichterfüllung, S. 61; vgl. auch Gernhuber, Erfüllung, S. 50. 10 Sommer, Nichterfüllung, S. 61; siehe auch Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 24; Hellfeier, Leistungszeit, S. 49. 11 Vgl. hierzu Latzel, AcP 2021, 881 (886), wobei er zu Unrecht davon ausgeht, dass eine hier beschriebene „Normalschuld“ nur vorliegt, wenn es gar keine vertragliche Bestimmung über die Leistungszeit gibt. 8
A. Unterscheidung zwischen absoluten und relativen Fixgeschäften
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bezeichnet, bei der sich die Bedeutung der Leistungszeit in der bloßen Bestimmung eines Termins erschöpft. Andererseits kann die Vereinbarung einer Leistungszeit auch eine größere Bedeutung für die Vertragsparteien haben als die bloße Bestimmung eines Termins für die Leistung. In diesen Fällen spricht man von sogenannten Fixgeschäften.12 Hierunter werden alle Verträge verstanden, bei denen die vereinbarte Leistung zu einem ganz bestimmten, das heißt „fixen“, Zeitpunkt erfolgen soll, weil der Gläubiger besonderen Wert auf die Pünktlichkeit der Leistung legt.13 Dabei können zwei Arten von Fixgeschäften unterschieden werden: absolute und relative Fixgeschäfte.14 Hat die Leistungszeit eine so große Bedeutung für die Vertragsparteien, dass dem Gläubiger nach Ablauf der Leistungszeit auch ohne den Ausspruch einer Mahnung das Recht zusteht, gestaltend in das Schuldverhältnis einzugreifen,15 spricht man von einer relativen Fixschuld. Hier gerät der Schuldner bereits durch das Verstreichenlassen des Leistungszeitpunkts in Verzug; einer Mahnung des Gläubigers bedarf es gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht. Zudem kann der Gläubiger ohne die ansonsten jeweils erforderliche Setzung einer angemessenen Nachfrist gemäß § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB vom Vertrag zurücktreten beziehungsweise gemäß § 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB Schadensersatz statt der Leistung verlangen. Die Vertragsparteien können darüber hinausgehend einen Leistungszeitpunkt bestimmen, der ihnen so wichtig ist, dass die Überschreitung dieses Leistungszeitpunkts sogar Auswirkungen auf die Möglichkeit der Leistung und nicht nur auf deren Fälligkeit hat.16 In diesen Fällen liegt eine absolute Fixschuld vor. Hier bewirkt jede Verspätung der Leistung automatisch – das heißt, ohne dass es eines zusätzlichen Gläubigeraktes bedarf – die objektive Unmöglichkeit der Leistung gemäß § 275 Abs. 1 Alt. 2 BGB.
I. Der enge Leistungsbegriff des BGB Ausgangspunkt für die Frage, ob bei Verstreichenlassen eines zwischen den Vertragsparteien vereinbarten Leistungszeitpunkts nicht nur die Fälligkeit, sondern sogar die Möglichkeit der Leistung betroffen ist, ist der dem BGB zugrundeliegende 12
Andere Begriffsbildung bei Leonhard, SchR, S. 529, der statt von Fixgeschäften von zeitbeherrschten Geschäften spricht. 13 Emmerich, Leistungsstörungen, 3. Aufl. 1991, S. 82; MüKo-BGB/Ernst, § 275 BGB, Rn. 49; Fehre, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 60. 14 Zum Teil wird das absolute Fixgeschäft auch als uneigentliches oder unechtes Fixgeschäft bezeichnet, wohingegen das relative Fixgeschäft das eigentliche beziehungsweise echte Fixgeschäft sein soll, vgl. BGB-RGRK/Ballhaus, § 361, Rn. 1 f.; Esser/Schmidt, S. 317; Nastelski, JuS 1962, 289 (295); Schildt, Jura 1995, 66. 15 Gernhuber, Erfüllung, S. 81; Hellfeier, Leistungszeit, S. 20. 16 Sommer, Nichterfüllung, S. 62; vgl. hierzu auch Nastelski, JuS 1962, 289 (293 f.).
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Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
Leistungsbegriff. Dabei ist zwischen dem engen und dem weiten Leistungsbegriff17 zu differenzieren, die sich darin unterscheiden, welche Bedeutung sie den Leistungsmodalitäten im Verhältnis zum Leistungssubstrat zumessen. Bei dem Leistungssubstrat handelt es sich um die eigentliche Leistung. Es geht also um die Frage, „was“ der Schuldner erbringen muss – etwa die zu liefernde Sache oder die zu erbringende Dienstleistung. Das Leistungssubstrat wird auch Leistung im engeren Sinne genannt.18 Hingegen betreffen die Leistungsmodalitäten die Umstände der Leistung, wie zum Beispiel Ort und Zeit der Leistung.19 Hier geht es um die Frage, „wie“ der Schuldner die geschuldete Leistung zu erbringen hat. Man spricht auch von der Leistung im weiteren Sinne.20 Bei dem weiten Leistungsbegriff werden die Leistungsmodalitäten als Teil der geschuldeten Leistung angesehen.21 Infolgedessen ist hierbei nur die exakte Leistung inklusive aller Leistungsmodalitäten als geschuldete Leistung anzusehen.22 Eine Leistung, die zwar bezüglich des Leistungssubstrats, allerdings nicht bezüglich der Leistungsmodalitäten den Vereinbarungen der Vertragsparteien entspricht, ist hingegen nicht die geschuldete Leistung und kann daher den Schuldner nicht von seiner Leistungspflicht befreien. Nach dem weiten Leistungsbegriff kann jede Abweichung der Leistung im Bereich der Leistungsmodalitäten zum Wegfall der Leistungspflicht aufgrund von Unmöglichkeit führen.23 Wendet man den weiten Leistungsbegriff auf die Leistungsmodalität der Leistungszeit an, ist diese nicht mehr nur als bloße Leistungsmodalität, sondern als Bestandteil der geschuldeten Leistung selbst anzusehen. Daher kann eine Leistung nach dem vereinbarten Leistungszeitpunkt keine Erfüllung mehr darstellen, da die verspätete Leistung nicht als die geschuldete Leistung anzusehen ist. Anders als der weite Leistungsbegriff unterscheidet der enge Leistungsbegriff streng zwischen Leistungssubstrat einerseits und Leistungsmodalitäten andererseits.24 Legt man den engen Leistungsbegriff zugrunde, kann die Leistung des Schuldners von den vereinbarten Leistungsmodalitäten abweichen, ohne dass eine solche Abweichung die Erfüllung der geschuldeten Leistung berührt. Der Schuldner erfüllt seine Leistungspflicht demnach nicht nur durch eine Leistung, die hinsichtlich des Leistungssubstrats und aller Leistungsmodalitäten den Vereinbarungen der
17 Schwarze, AcP 2007, 437 (440) spricht insoweit auch vom „Begriff der exakten Leistung“. 18 Schwarze, Leistungsstörungen, S. 146. 19 Joussen, SchR I, S. 49; Schwarze, Leistungsstörungen, S. 146. 20 Schwarze, Leistungsstörungen, S. 146. 21 Sommer, Nichterfüllung, S. 62. 22 Schwarze, AcP 2007, 437 (440). 23 Vgl. zum weiten Leistungsbegriff Schwarze, Leistungsstörungen, S. 146. 24 Fabricius, Leistungsstörungen, S. 36; Schwarze, AcP 2007, 437 (440).
A. Unterscheidung zwischen absoluten und relativen Fixgeschäften
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Parteien entspricht. Entscheidend ist allein, dass das Leistungssubstrat wie geschuldet erbracht wird. Folgt man dem engen Leistungsbegriff, bleibt die Leistungszeit bloße Leistungsmodalität und ist insoweit streng vom eigentlichen Leistungssubstrat zu trennen. Der Gläubiger muss daher auch eine verspätete Leistung als vertraglich geschuldete Leistung annehmen.25 Allein die Tatsache, dass die Leistung nicht pünktlich erbracht wird, verändert ihren Charakter nicht dahingehend, dass sie zu einer anderen, nicht geschuldeten Leistung wird.26 Das Verstreichen der Leistungszeit hat keine Auswirkungen auf die Möglichkeit der geschuldeten Leistung, sondern wird über besondere Störungstatbestände behandelt. Nach der herrschenden Ansicht liegt dem Leistungsstörungsrecht des BGB grundsätzlich der enge Leistungsbegriff zugrunde.27 Hierfür spricht vor allem die Tatsache, dass das BGB für Modalitätsstörungen besondere Regelungen vorsieht, die dem Schuldner grundsätzlich noch eine zweite Chance zur ordentlichen Erfüllung gewähren. Insbesondere die Existenz der Regelungen zum Leistungsverzug in den §§ 286 ff. BGB zeigt, dass eine Leistung trotz Nichteinhaltung der Leistungsmodalität der Leistungszeit grundsätzlich noch erfüllt werden kann.28
II. Absolutes Fixgeschäft Bei dem absoluten Fixgeschäft, das eher selten vorkommt und Ausnahmecharakter hat,29 wird jedoch von diesem engen Leistungsbegriff des Leistungsstörungsrechts abgewichen. Die Leistungszeit ist für die Vertragsparteien hier so wesentlich, dass das Schicksal der Leistungspflicht als mit der Leistungszeit verbunden
25
Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 332; Sommer, Nichterfüllung, S. 68. Dubovitskaya, AcP 2015, 581 (584). 27 Soergel/Ekkenga/Kuntz, § 275 BGB, Rn. 33; Fabricius, Leistungsstörungen, S. 35 f.; Schwarze, AcP 2007, 437 (440); ders., Leistungsstörungen, S. 147; Stoll, AcP 136 (1932), 257 (273 ff.); vgl. hierzu genauer Sommer, Nichterfüllung, S. 62 f., der die historische Entwicklung der Ansichten zum zugrunde zu legenden Leistungsbegriff darstellt und dabei ausführlich auf die Vertreter des weiten sowie des engen Leistungsbegriffs eingeht. 28 Siehe hierzu eingehend Fabricius, Leistungsstörungen, S. 35 f.; Schwarze, Leistungsstörungen, S. 146; Sommer, Nichterfüllung, S. 63; andeutungsweise auch Schwarze, AcP 2007, 437 (440). 29 Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 24; Emmerich, Leistungsstörungen, S. 53; MüKo-BGB/Ernst, § 275 BGB, Rn. 51; Fehre, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 61; Malorny, Gewerkschaft, S. 57; BeckOGK/Riehm, § 275 BGB, Rn. 101; siehe auch Dubovitskaya, AcP 2015, 581 (594), die den Ausnahmecharakter v. a. auf den „im deutschen Recht geltenden Vorrang der Naturalerfüllung vor den Sekundäransprüchen“ zurückführt, und Sommer, Nichterfüllung, S. 66 ff., 169, der zur Begründung ebenfalls auf das Prinzip der Naturalerfüllung, aber auch auf den Grundsatz der Vertragstreue abstellt. 26
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Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
anzusehen ist.30 Daher ist die Leistungszeit nicht lediglich als Leistungsmodalität anzusehen. Vielmehr ist sie Identitätsmerkmal der Leistung, das heißt Bestandteil des Leistungssubstrats.31 Die Leistung kann daher nur zeitgerecht oder gar nicht erfüllt werden – eine frühere oder spätere Leistung stellt ein aliud, also eine andere Leistung als die geschuldete, dar.32 Daher ist es dem Schuldner nach Überschreiten des vertraglich fixierten Leistungszeitpunkts nicht mehr möglich, den Vertrag noch zu erfüllen.33 Es tritt allein durch Zeitablauf Unmöglichkeit gemäß § 275 Abs. 1 Alt. 2 BGB ein.34 Dabei ist zu beachten, dass dann nicht nur eine Teilunmöglichkeit hinsichtlich der Leistungszeit vorliegt. Vielmehr bewirkt das Verstreichen der Leistungszeit die vollständige Unmöglichkeit hinsichtlich der gesamten geschuldeten Leistung.35 Durch die bei der absoluten Fixschuld bestehende enge Verbindung von Leistungszeit und Leistungspflicht wird deutlich, dass die Vertragsparteien der Leistungszeit hier eine sehr hohe Bedeutung zumessen. Die Leistungszeit ist für die Vertragsparteien so wesentlich, dass die Leistung nur zu einem bestimmten Zeitpunkt erbracht werden kann.36 Es ist nahezu ausgeschlossen, dass der Gläubiger mit der Leistung nach dem vereinbarten Leistungszeitpunkt noch etwas anfangen kann.37
30
Schwarze, Leistungsstörungen, S. 147; auch Joussen, SchR I, S. 121 spricht von einer strikten Verbindung von Leistungszeit und Leistungsinhalt bei der absoluten Fixschuld; vgl. zudem Sommer, Nichterfüllung, S. 64, der eine so enge Verknüpfung der Leistung mit der Zeit annimmt, dass das Verstreichen der Zeit automatisch Unmöglichkeit bewirke. 31 BGH, Urt. v. 28. 05. 2009 – Xa ZR 113/08, NJW 2009, 2743 (2744); Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 25, 27; Fabricius, Leistungsstörungen, S. 41; Gernhuber, Erfüllung, S. 82; Joussen, SchR I, S. 121; Malorny, Gewerkschaft, S. 57; Nastelski, JuS 1962, 289 (293 ff.); Sommer, Nichterfüllung, S. 64, 122, 169; a. A. Schwarze, Leistungsstörungen, S. 147, der die Leistungszeit auch bei der absoluten Fixschuld weiterhin als Leistungsmodalität ansieht, dieser aber so viel Gewicht beimisst, dass ihre Verfehlung zur Unmöglichkeit der gesamten Leistung führen könne; unklar insoweit Soergel/Ekkenga/Kuntz, § 275 BGB, Rn. 48, die einerseits davon sprechen, dass die geschuldete Leistung nur bis zu einer bestimmten Zeit erbracht werden könne und danach ihren Inhalt ändere, andererseits aber die Einhaltung der vertragsgemäßen Leistungszeit als „zur Erfüllung notwendige“ Leistungsmodalität ansehen. 32 Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 25; Dubovitskaya, AcP 2015, 581 (584); Emmerich, Leistungsstörungen, S. 52; MüKo-BGB/Ernst, § 275 BGB, Rn. 50; Gernhuber, Erfüllung, S. 82; Malorny, Gewerkschaft, S. 57; Sommer, Nichterfüllung, S. 64; Winderlich, Annahmeverzug, S. 71. 33 MüKo-BGB/Ernst, § 275 BGB, Rn. 49; § 323, Rn. 113. 34 BGH, Urt. v. 30. 11. 1972 – VII ZR 239/71, BGHZ 60, 14 (16); Fikentscher/Heinemann, SchR, S. 225; Hellfeier, Leistungszeit, S. 20; BeckOGK/Riehm, § 275 BGB, Rn. 101; Sommer, Nichterfüllung, S. 65. 35 Vgl. hierzu Sommer, Nichterfüllung, S. 64. 36 BGH, Urt. v. 25. 01. 2001 – I ZR 287/98, NJW 2001, 2878. 37 Schwarze, Leistungsstörungen, S. 148.
A. Unterscheidung zwischen absoluten und relativen Fixgeschäften
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Vielmehr ist eine verspätete Leistungserbringung für den Gläubiger absolut sinnlos.38 Daher wird der Leistungszeitpunkt von den Vertragsparteien als unabänderlich vorausgesetzt.39
III. Relatives Fixgeschäft Bei dem relativen Fixgeschäft hingegen bleibt die Leistungszeit wie sonst auch bloße Leistungsmodalität. Allerdings ist diese Leistungsmodalität stärker betont. Die Parteien messen der Leistungszeit eine höhere Bedeutung zu, sodass durch sie nicht lediglich der Termin der Leistung bestimmt wird. Vielmehr ist die Leistungszeit als wesentlicher Vertragsbestandteil einzuordnen.40 Anders als beim absoluten Fixgeschäft ist beim relativen Fixgeschäft die Erfüllung der geschuldeten Leistung auch nach Ablauf der vereinbarten Zeit noch möglich – allerdings wird dem Gläubiger die Möglichkeit eingeräumt, sich nach Zeitablauf schnell und unter erleichterten Voraussetzungen vom Vertrag zu lösen, nämlich vor allem ohne ansonsten erforderliche Fristsetzung.41 Der Leistungszeit kommt bei der relativen Fixschuld demnach keine so hohe Bedeutung zu wie bei der absoluten Fixschuld. Dennoch hat die Leistungszeit eine höhere Bedeutung im Vergleich zu einer „Normalschuld“. Daher ist es für die Annahme einer relativen Fixschuld erforderlich, dass die Parteien der Leistungszeit eine hohe Bedeutung zumessen. Hierzu ist eine bloße zeitliche Fixierung der Leistung nicht ausreichend.42 Andererseits ist keine so weitreichende Verbindung von Leistungszeit und Leistungspflicht zu fordern, dass die Leistungspflicht mit der Einhaltung der Leistungszeit „steht und fällt“. Diese Formel vom „Stehen und Fallen“ der Leistungspflicht mit der Leistungszeit, die in der arbeitsrechtlichen Literatur oft zu finden ist,43 auf das Reichsoberhandelsgericht zurückgeht44 und ausweislich der 38 Emmerich, Leistungsstörungen, S. 52 f.; Joussen, SchR I, S. 121; Medicus/Lorenz, SchR I, S. 180; Nastelski, JuS 1962, 289 (295). 39 Dubovitskaya, AcP 2015, 581 (597 f.); Schwarze, Leistungsstörungen, S. 148. 40 Gernhuber, Erfüllung, S. 82; Hellfeier, Leistungszeit, S. 22; Joussen, SchR I, S. 122 f.; Sommer, Nichterfüllung, S. 66. 41 MüKo-BGB/Ernst, § 275 BGB, Rn. 49; vgl. hierzu § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB und § 376 HGB. 42 BGH, Urt. v. 25. 01. 2001 – I ZR 287/98, NJW 2001, 2878; Grüneberg/Grüneberg, § 323 BGB, Rn. 20; Soergel/Gsell, § 323 BGB, Rn. 105. 43 BGB-RGRK/Ballhaus, § 361, Rn. 2; Brox/Walker, SchR AT, S. 299; Emmerich, JuS 1997, 98 (99); ders., Leistungsstörungen, S. 54; MüKo-BGB/Ernst, § 323 BGB, Rn. 113; Fehre, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, S. 60; Grüneberg/Grüneberg, § 323 BGB, Rn. 19; Soergel/Gsell, § 323 BGB, Rn. 105; Huber, Leistungsstörungen, S. 157 f.; BeckOK-BGB/ Schmidt, § 323 BGB, Rn. 29; Winderlich, Annahmeverzug, S. 71. 44 ROHG, Urt. v. 24. 03. 1871 – Rep. Nr. 151/17, ROHGE II, 92 (93 f.); übernommen von RG, Urt. v. 27. 05. 1902 – II 32/02, RGZ 51, 347 (348); Urt. v. 30. 04. 1924 – I 540/23, RGZ
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Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
Gesetzesbegründung45 auch dem § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB zugrundeliegt, ist für das relative Fixgeschäft zu weitgehend und daher zu Recht nicht mehr anzuwenden.46 Vielmehr entfallen bei der relativen Fixschuld die Leistungspflichten der Parteien bei nicht rechtzeitiger Erfüllung gerade nicht automatisch, sondern können grundsätzlich weiterhin erbracht werden. Das „Fallen“ des Rechtsgeschäfts tritt daher – anders als beim absoluten Fixgeschäft – nicht automatisch mit dem Nichteinhalten der Leistungszeit ein, sondern ist von einem Gestaltungsakt des Gläubigers abhängig.47 Die Formel vom „Stehen und Fallen“ der Leistungspflicht mit der Leistungszeit zeichnet daher nicht die dem relativen Fixgeschäft zugrunde liegende Verbindung von Leistungszeit und Leistungspflicht ab, sondern beschreibt vielmehr das absolute Fixgeschäft.48 Stattdessen ist für die Frage, ob eine relative Fixschuld angenommen werden kann, darauf abzustellen, ob bei Vertragsschluss eindeutig zum Ausdruck kommt, dass die Vertragsparteien der Wahrung des Leistungszeitpunkts wesentliche Bedeutung einräumen.49 Es muss sich um eine Fristvereinbarung handeln, bei der zum Ausdruck kommt, dass das Geschäft mit der Einhaltung der Frist sehr eng verbunden ist50 – nämlich so sehr, dass sich der Gläubiger allein aufgrund der Nichteinhaltung der Leistungszeit vom Vertrag lösen können soll.51 Entscheidend ist dabei, wie genau der Zeitpunkt der Leistung im Vertrag zum Ausdruck kommt – je genauer er bestimmt ist, desto eher kann der für das relative Fixgeschäft erforderliche Parteiwille, der Leistungszeit wesentliche Bedeutung zuzumessen, angenommen werden.52 Hierbei ist eine einseitige Erklärung nur einer 108, 158 sowie BGH, Urt. v. 27. 10. 1982 – VIII ZR 190/81, WM 1982, 1384 (1385); Urt. v. 14. 03. 1984 – VIII ZR 284/82, WM 1984, 639 (641). 45 Vgl. BT-Drs. 14/6040, S. 185 f. 46 So auch Beuthien, Zweckerreichung, S. 186 f., Fn. 147; Gernhuber, Erfüllung, S. 85; Hartmann, FS Singer, S. 245 (255); Hellfeier, Leistungszeit, S. 23; Larenz, SchR I, S. 306, Fn. 3a; Latzel, AcP 2021, 881 (886); BeckOGK/Looschelders, § 323 BGB, Rn. 185; Schmitt, VuR 2014, 90 (92); Schwarze, AcP 2007, 437 ff.; Sommer, Nichterfüllung, S. 67; kritisch auch bereits KG, Urt. v. 10. 10. 1959 – 10 U 1141/59, NJW 1960, 632; auch Joussen, SchR I, S. 122 f. sieht die Formel kritisch, hält aber dennoch an ihr fest, da den Parteien beim relativen Fixgeschäft die Leistungszeit so wichtig sei, dass sie sie eigens in das Schuldverhältnis mit aufnehmen. 47 Gernhuber, Erfüllung, S. 85; Hellfeier, Leistungszeit, S. 23; Larenz, SchR I, S. 306, Fn. 3a; BeckOGK/Looschelders, § 323 BGB, Rn. 185; Schwarze, AcP 2007, 437 (441 f.); Sommer, Nichterfüllung, S. 67. 48 Schwarze, AcP 2007, 437 (454); ders., Leistungsstörungen, S. 202; so im Ergebnis auch Medicus/Lorenz, SchR I, S. 179, die diese Formel zur Beschreibung des absoluten Fixgeschäfts verwenden. 49 Grüneberg/Grüneberg, § 323 BGB, Rn. 20; Soergel/Gsell, § 323 BGB, Rn. 105. 50 BGH, Urt. v. 17. 01. 1990 – VIII ZR 292/88, BGHZ 110, 88 (96 f.); Joussen, SchR I, S. 122. 51 Schwarze, Leistungsstörungen, S. 202. 52 Soergel/Gsell, § 323 BGB, Rn. 105.
A. Unterscheidung zwischen absoluten und relativen Fixgeschäften
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der Vertragsparteien nicht ausreichend. Erforderlich ist ein entsprechender übereinstimmender Parteiwille, wobei es ausreichend ist, dass sich dieser aus den objektiven Umständen des Geschäfts ergibt.53 Auf einen solchen Parteiwillen deuten Formulierungen wie „fix“, „genau“, „präzise“ oder „spätestens“ hin.54
IV. Abgrenzung anhand der Frage der Nachholbarkeit Das absolute und das relative Fixgeschäft unterscheiden sich nach dem vorher Gesagten in der Bedeutung der Leistungszeit für die Vertragsparteien. Bei der relativen Fixschuld messen die Vertragsparteien der Leistungszeit zwar eine erhöhte Bedeutung zu, es bleibt aber bei dem Grundsatz, dass die Leistungszeit bloße Leistungsmodalität und nicht Inhalt der Leistung selbst ist. Hingegen ist bei Vorliegen eines absoluten Fixgeschäfts die Bedeutung der Leistungszeit derart erhöht, dass die Leistungszeit zum Bestandteil des Leistungssubstrats wird. Bei der Frage, welche Bedeutung der Leistungszeit im Einzelfall zukommt, ob also eine so hohe Bedeutung der Leistungszeit vorliegt, dass von einer absoluten Fixschuld ausgegangen werden kann, spielt die Nachholbarkeit der geschuldeten Leistung eine Rolle.55 Sobald eine geschuldete Leistung nachholbar ist, ist sie grundsätzlich nur relativ fix geschuldet.56 Die Nachholbarkeit einer Leistung kann aus tatsächlichen oder aus rechtlichen Gründen abzulehnen sein.57 Bei der Ablehnung der Nachholbarkeit aus tatsächlichen Gründen geht es um die Frage des „physischen Könnens“58, das aufgrund der „naturgegebenen Zeitgebundenheit der betreffenden Leistung“59 abzulehnen sein kann.60 Das ist der Fall, wenn allein die Versäumung des Leistungszeitpunktes die Leistung im physischen Sinne unmöglich macht. Hier bedarf die besondere Bedeutung der Leistungszeit also keiner
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Soergel/Gsell, § 323 BGB, Rn. 105; siehe auch Schwarze, Leistungsstörungen, S. 203, der insoweit von einer konkludenten Vereinbarung einer relativen Fixschuld spricht. 54 BGH, Urt. v. 27. 10. 1982 – VIII ZR 190/81, DB 1983, 385; Brox/Walker, SchR AT, S. 300; Emmerich, JuS 1997, 98 (100); Grüneberg/Grüneberg, § 323 BGB, Rn. 20; Joussen, SchR I, S. 122; Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, S. 69; genauer zur Formulierung „spätestens“ im Kontext des relativen Fixgeschäfts Eigel, Lieferungsklausel, S. 17 ff. 55 Breucker, in: Besonderheiten, S. 61 (64). 56 Latzel, AcP 2021, 881 (885); vgl. auch Joussen, SchR I, S. 121, der dann, wenn die Leistung selbst durch Zeitablauf nicht mehr nachzuholen ist, vermutet, dass der Zeitfaktor so entscheidend für den Inhalt der Leistungspflicht ist, dass eine Leistungsverzögerung die Unmöglichkeit der Leistung bedeutet, mithin eine absolute Fixschuld vorliegt. 57 Breucker, in: Besonderheiten, S. 61 (65); Dorr/Brandt, Jura 2021, 1141 (1143). 58 Vgl. Picker, FS Kissel, S. 813 (821). 59 Schwarze, AcP 2007, 437 (441). 60 Vgl. zu diesem Beispiel Fikentscher/Heinemann, SchR, S. 225; Schwarze, AcP 2007, 437 (439); ders., Leistungsstörungen, S. 147.
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Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
vertraglichen Vereinbarung, sondern sie ist „physisches Merkmal der Leistung selbst“.61 Eine solche Ablehnung der Nachholbarkeit aus tatsächlichen Gründen ist eher selten – in der Regel sind Leistungen tatsächlich nachholbar.62 Ein Beispiel, in dem die Nachholbarkeit der Leistung aus tatsächlichen Gründen abzulehnen ist, ist der Fall eines Fotografen, der sich dazu verpflichtet hatte, eine bestimmte, nicht wiederkehrende Sternenkonstellation zu fotografieren; hier wird die geschuldete Leistung mit dem Verstreichen des maßgeblichen Zeitpunkts – nämlich dem Auftreten der Sternenkonstellation – physisch unmöglich.63 Hingegen ist die Nachholbarkeit aus rechtlichen Gründen abzulehnen, wenn die Leistung zwar rein tatsächlich noch erbracht werden könnte, aber nur die zeitlich exakte Leistung die geschuldete Leistung sein soll.64 Hier geht es um die Frage des „rechtlichen Sollens“65 – es ist zu fragen, ob die verspätete Leistung bei wertender Betrachtung als Nichtleistung einzustufen ist.66 Da es nach dem geltenden Recht keine Fälle gesetzlicher absoluter Fixschulden gibt, befinden allein die Vertragsparteien über die Frage, ob die Leistungszeit in einem konkreten Schuldverhältnis eine solche Bedeutung hat, dass die Nachholbarkeit aus rechtlichen Gründen abzulehnen ist.67 Die Beurteilung der Bedeutung der Leistungszeit ist dabei relativ einfach, wenn die Vertragsparteien vereinbaren, welchen Charakter die geschuldete Leistung haben soll. Das kann zum einen ausdrücklich geschehen; zum anderen ist auch eine konkludente Vereinbarung denkbar, wenn die Parteien sich darüber geeinigt haben, welche Rechtsfolgen bei Nichteinhaltung der vereinbarten Leistungszeit im Hinblick auf die geschuldete Leistung eintreten sollen.68 Die meisten Verträge enthalten jedoch keine solche Vereinbarung über den Charakter der Leistungspflicht,69 sodass in der Regel eine Auslegung des Vertrags
61 Schwarze, AcP 2007, 433 (439 f.); ders., Leistungsstörungen, S. 147, der jedoch in diesen Fällen gar nicht von einer (echten) absoluten Fixschuld sprechen möchte, da das Zeitelement nur die Ursache der Unmöglichkeit sei. 62 Vgl. hierzu Heinrich, Jura 1996, 235 (236). 63 Vgl. Schwarze, AcP 2007, 437 (439); ders., Leistungsstörungen, S. 147. 64 Schwarze, AcP 2007, 433 (440); ders., Leistungsstörungen, S. 147. 65 Vgl. Picker, FS Kissel, S. 813 (822). 66 Siehe hierzu Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 331; Picker, FS Kissel, S. 813 (821 f.); auch Wank, Arbeitnehmer und Selbstständige, S. 70 spricht davon, dass die Arbeitsleistung „aufgrund normativer Entscheidung“ als nicht nachholbar anzusehen sein könne. 67 Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 25, Fn. 12; Gernhuber, Erfüllung, S. 83. 68 Siehe hierzu Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 25. 69 So explizit für Arbeitsverträge Hellfeier, Leistungszeit, S. 49, der das damit begründet, dass das Problem der Nachleistung versäumter Arbeit bei Abschluss des Arbeitsvertrags zumeist nicht bedacht werde.
A. Unterscheidung zwischen absoluten und relativen Fixgeschäften
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hinsichtlich der Bedeutung der Leistungszeit zu erfolgen hat.70 Im Rahmen dieser Auslegung ist umstritten, welche Kriterien hierfür heranzuziehen sind. Nach einer Ansicht ist lediglich auf den Vertragszweck, das heißt auf den mit dem jeweiligen Vertrag verfolgten Zweck, abzustellen. Ist dieser Vertragszweck mit einer verspäteten Leistung unter keinen Umständen mehr zu verwirklichen, soll eine absolute Fixschuld vorliegen.71 Andere Stimmen wiederum ziehen die Gläubigerinteressen als maßgebliches Kriterium für die Auslegung heran.72 Zuletzt gibt es die Vertreter, die sowohl auf den Vertragszweck als auch auf die Gläubigerinteressen abstellen.73 Hiernach ist eine absolute Fixschuld anzunehmen, wenn eine verspätete Leistung den Vertragszweck nicht mehr erreichen kann und daher für den Gläubiger ihren Sinn verliert, sie also das erkennbare Leistungsinteresse des Gläubigers unter keinen Umständen mehr erfüllen kann.74 Eine relative Fixschuld hingegen liegt vor, wenn das Gläubigerinteresse an einer pünktlichen Leistung zwar wesentlicher Vertragsinhalt geworden ist, der Wegfall des Leistungsinteresses bei Verstreichen der Leistungszeit jedoch nicht automatisch unterstellt werden kann, sondern es vielmehr grundsätzlich noch möglich ist, das Gläubigerinteresse durch ein Nachholen der Leistung zu befriedigen.75 Ein solche Berücksichtigung sowohl von Vertragszweck als auch von Gläubigerinteressen ist auch interessengerecht. Eine trennscharfe Unterscheidung zwischen Vertragszweck und Gläubigerinteressen ist weder möglich noch nötig.76 Sie führt vielmehr dazu, dass derselbe Sachverhalt je nach Maßgeblichkeit von Vertragszweck oder Gläubigerinteressen anders bewertet wird. Das wird besonders deutlich am Schulbeispiel der Taxifahrt zum Bahnhof:
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Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 25; Hellfeier, Leistungszeit, S. 49; Sommer, Nichterfüllung, S. 68. 71 So zum Beispiel Beuthien, Zweckerreichung, S. 162 f.; Emmerich, Leistungsstörungen, S. 52; MüKo-BGB/Ernst, § 275 BGB, Rn. 50; Köhler, Zweckstörungen, S. 94 f.; Larenz, SchR I, S. 306 f.; BeckOK-BGB/Lorenz, § 275 BGB, Rn. 36; BeckOGK/Riehm, § 275 BGB, Rn. 104; Winderlich, Annahmeverzug, S. 71. 72 Malorny, Gewerkschaft, S. 57; Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 333; siehe auch Schwarze, AcP 2007, 437 (449 f.); ders., Leistungsstörungen, S. 147 f., der aber präzisierend fordert, dass das Gläubigerinteresse an der Leistung mit Sicherheit bzw. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfällt. 73 Dubovitskaya, AcP 2015, 581 (584); Soergel/Ekkenga/Kuntz, § 275 BGB, Rn. 47 ff.; Esser/Schmidt, SchR I Tb. 1, S. 317 f.; Gernhuber, Erfüllung, S. 83 ff.; Hellfeier, Leistungszeit, S. 24; Hromadka/Maschmann, ArbR I, S. 325; Nastelski, JuS 1962, 289 (295); Schildt, Jura 1995, 66 (67); Sommer, Nichterfüllung, S. 68 f. 74 Gernhuber, Erfüllung, S. 85; Hellfeier, Leistungszeit, S. 23 ff.; Nastelski, JuS 1962, 289 (295). 75 Hellfeier, Leistungszeit, S. 25; Nastelski, JuS 1962, 289 (295); siehe auch Schwarze, AcP 2007, 437 (450 f.), wonach für die relative Fixschuld eine überwiegende Wahrscheinlichkeit des Interessenfortfalls gegeben sein muss. 76 Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 27.
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Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
Der Gläubiger hat ein Taxi zu einem festen Zeitpunkt bestellt, um einen ganz bestimmten Zug am Bahnhof zu erreichen. Zweck dieses Beförderungsvertrags ist also das Erreichen dieses ganz bestimmten Zuges. Nun verspätet sich das Taxi bereits auf dem Weg zum Gläubiger in einem Maße, dass der vom Gläubiger anvisierte Zug nicht mehr erreicht werden kann. Stellt man lediglich auf den Vertragszweck ab, liegt eine absolute Fixschuld vor. Der Vertragszweck – das Erreichen des vereinbarten Zuges – ist nicht mehr zu erreichen. Hingegen ist bei Berücksichtigung des Gläubigerinteresses der Vertrag nicht als absolute Fixschuld zu werten. Denn der Gläubiger kann durchaus auch bei einer Verspätung des Taxis noch ein Interesse daran haben, zum Bahnhof gefahren zu werden – etwa, um einen späteren Zug zu erreichen.77 Allerdings erschöpft sich die Vertragsauslegung nicht in der Berücksichtigung von Vertragszweck und Gläubigerinteressen. Vielmehr sind bei einer Vertragsauslegung grundsätzlich alle zur Ermittlung des Parteiwillens relevanten Umstände zu berücksichtigen.78 Das gilt auch bei der Ermittlung der Bedeutung der Leistungszeit. Hierbei kann zum Beispiel auch das Schuldnerinteresse maßgeblich sein. So kann es sein, dass der Schuldner seine Leistung nur zu einem bestimmten Termin erbringen möchte und die Parteien aufgrund dieses Schuldnerinteresses seine vertraglichen Pflichten von vornherein auf diesen Termin beschränkt haben.79 Abgesehen von den Fällen, in denen die Nachholbarkeit aus tatsächlichen Gründen abzulehnen ist, handelt es sich demnach bei der Abgrenzung von absoluter und relativer Fixschuld aufgrund der vorzunehmenden Auslegung der Parteivereinbarungen, bei der – vor allem, aber nicht nur – Vertragszweck und Gläubigerinteressen maßgeblich sind, um einen reinen Wertungsakt.80 Dabei gilt, dass bei verbleibenden Zweifeln, ob die Vertragsparteien tatsächlich eine absolute Fixschuld vereinbart haben, aufgrund des Ausnahmecharakters der absoluten Fixschuld lediglich eine relative Fixschuld anzunehmen ist.81 77 Vgl. hierzu ausführlich Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 26; Dubovitskaya, AcP 2015, 581 (590); Hellfeier, Leistungszeit, S. 24; Schwarze, Leistungsstörungen, S. 149. 78 MüKo-BGB/Busche, § 157 BGB, Rn. 7; Soergel/Hefermehl, § 133 BGB, Rn. 25; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 8. 79 Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 27; siehe auch Hromadka/Maschmann, ArbR I, S. 325 f., die sogar annehmen, dass bei einem Dienstvertrag das Interesse des Schuldners an einer Leistung zu einer bestimmten Zeit das Interesse des Gläubigers in der Regel überwiege; auch Dubovitskaya, AcP 2015, 581 (593) geht auf die Schuldnerinteressen ein und betont, dass auch berücksichtigt werden müsse, dass der Schuldner bei Annahme eines absoluten Fixgeschäfts durch Zeitablauf die Möglichkeit verliere, dem Gläubiger seine Leistung anzubieten, und dadurch grundsätzlich auch keinen Anspruch auf die Gegenleistung mehr habe. 80 Breucker, in: Besonderheiten, S. 61 (66); vgl. auch Joussen, SchR I, S. 121, der betont, dass die Frage, ob eine spätere Leistungserbringung als vereinbart die Leistung völlig sinnlos machen würde, eine Wertungsfrage darstellt. 81 BGH, Urt. v. 27. 10. 1982 – VIII ZR 190/81, ZIP 1982, 1444 (1445); Urt. v. 18. 04. 1989 – X ZR 85/88, NJW-RR 1989, 1373 (1374); Urt. v. 25. 01. 2001 – I ZR 287/98, NJW 2001, 2878;
B. Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht
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B. Die Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht Die herkömmliche Ansicht im Arbeitsrecht ordnet die Arbeitsleistung als absolute Fixschuld ein, wobei die Mehrzahl der Autoren erkennen lässt, dass das nicht uneingeschränkt und immer, sondern lediglich „im Regelfall“, „in der Regel“ oder „grundsätzlich“ gelten solle, zumeist jedoch ohne konkrete Ausnahmen zu nennen.82 Diese von der herrschenden Meinung vorgenommene Einordnung der Arbeitsleistung als absolute Fixschuld wird im Rahmen dieser Arbeit als Dogma der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht bezeichnet. Im Folgenden wird zunächst genauer auf dieses Dogma der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht eingegangen, insbesondere auf dessen historische Entwicklung (I.). Sodann wird aufgezeigt, dass mangels überzeugender Begründungsstrategien das Dogma der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht abzulehnen ist (II.).
I. Das Dogma der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht Die erste ausführlichere Stellungnahme zu den Rechtsfolgen einer Nichtleistung der Arbeit findet sich noch vor Inkrafttreten des BGB bei Mommsen, der als „Vater der Fixschuldthese“ im Arbeitsrecht bezeichnet werden kann.83 Nach Mommsens Verständnis liegt bei der „Dienstmiethe“ – verstanden als Verpflichtung zur entgeltlichen Überlassung von Diensten im Sinne des heutigen Arbeitsvertrags – ebenso wie bei der „Sachenmiethe“ – also die Verpflichtung zur entgeltlichen Gebrauchsüberlassung einer Sache im Sinne des heutigen MietverDehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 29; Esser/Schmidt, SchR I, S. 317 f.; Nastelski, JuS 1962, 289 (295); Schildt, Jura 1995, 66 f. 82 Ohne Einschränkungen bejahend: Brox/Rüthers/Henssler, ArbR, S. 97; Dossow, BB 1988, 2455 (2457); Gamillscheg, ArbR I, 7. Aufl. 1987, S. 163; Henssler, RdA 2002, 129 (132, 139); Nikisch, ArbR I, S. 274 f.; Erman/Riesenhuber, § 615 BGB, Rn. 1a; mit den genannten Einschränkungen bejahend: Ehmann, NJW 1987, 401 (406); Hanau/Adomeit, ArbR, S. 185; Heckelmann/Franzen, ArbR, S. 69; Junker, ArbR, S. 117; Kraft, NZA 1989, 777 (779); Krause, ZfA 2018, 126 (130); HWK/Krause, § 615 BGB, Rn. 8; Lieb/Jacobs, ArbR, S. 70; Linck, in: Schaub, § 49, Rn. 5; Maschmann, NZA-Beil. 2006, 13; Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 340; Pallasch, JA 1994, 504 (508); Picker, JZ 1985, 693 (699); Richardi, NJW 1987, 1231 (1234); BeckOGK/Riehm, § 275 BGB, Rn. 105, 108; MüKo-BGB/Spinner, § 611a BGB, Rn. 10; Staab, Annahmeverzug, S. 16 ff.; die Rechtsprechung ist nicht ganz eindeutig in Bezug auf diese Frage – mal wird die Arbeitsleistung als absolute Fixschuld angesehen, vgl. BAG, Urt. v. 03. 08. 1999 – 1 AZR 735/98, BAGE 92, 154 (159); Urt. v. 13. 02. 2002 – 5 AZR 470/00, BAGE 100, 256 (266), mal als relative Fixschuld eingeordnet, vgl. BAG, Urt. v. 17. 03. 1988 – 2 AZR 576/87, BAGE 58, 37 (49), und zum Teil wird einfach nur vom „Fixschuldcharakter“ der Arbeitsleistung gesprochen, ohne eine genauere Einordnung vorzunehmen, vgl. BAG, Urt. v. 23. 09. 2015 – 5 AZR 146/14, BAGE 152, 327 (332); vgl. zu der uneinheitlichen Linie der Rechtsprechung Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 30 f. 83 So Sommer, Nichterfüllung, S. 90.
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Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
trags – ein Fall vor, in dem die Leistung derart an eine genau bestimmte Zeit bestimmt ist, dass sie weder früher noch später erfolgen kann.84 Zudem nimmt er in allen Fällen, bei denen eine derartige Bindung der Leistung an die Leistungszeit vorliegt, als Konsequenz einer Versäumung der festgelegten Leistungszeit eine vollständige Nichterfüllung an. Daher liege bei Nichtleistung zum vereinbarten Zeitpunkt Unmöglichkeit und nicht nur eine bloße Verzögerung der geschuldeten Leistung vor.85 Bezogen auf die „Sachenmiethe“ zieht er sogar explizit den Schluss, dass der Vertrag durch eine spätere Gebrauchsüberlassung nicht erfüllt werden könne.86 Zwar benutzt Mommsen den Begriff der absoluten Fixschuld in seinen Erläuterungen nicht. Das liegt allerdings daran, dass dieser Begriff zu der Zeit noch unbekannt war. Mit seinen Ausführungen beschreibt er aber genau die Situation, in der wir heutzutage von einer absoluten Fixschuld sprechen,87 sodass sie so verstanden werden können, dass er die Arbeitsschuld als absolute Fixschuld einordnet. Während dieser Charakterisierung der Arbeitsschuld durch Mommsen in der Folgezeit sowohl zustimmende als auch ablehnende Stimmen folgten,88 muss man dennoch feststellen, dass die meisten juristischen Werke in der Zeit vor Inkrafttreten des BGB das Problem des zeitlichen Charakters der Arbeitsleistung nicht ansprachen.89 Dieses fehlende Interesse an der Frage nach der Nachholbarkeit der Arbeitsleistung kann zum einen damit erklärt werden, dass bei der zu der Zeit vorherrschenden 6-Tage-Woche und einer üblichen Arbeitszeit von täglich zehn Stunden oder mehr ohnehin rein faktisch kaum Zeit für eine Nachholung ausgefallener Arbeit war.90 Zum anderen spielt der kaum vorhandene und sich erst langsam entwickelnde Kündigungsschutz eine entscheidende Rolle bei der Betrachtung: im Falle der Nichtleistung konnte das Arbeitsverhältnis einfach gekündigt werden.91 Die 84
Mommsen, Beiträge I, S. 92 f., 218, 363. Mommsen, Beiträge I, S. 92 f.; ders., Beiträge III, S. 28, 138. 86 Mommsen, Beiträge I, S. 218; hiervon macht er allerdings eine Ausnahme, wenn sich die Unmöglichkeit nur auf einen Teil des vereinbarten Zeitraums beziehe und die Leistung in dem übrigen Teil des Zeitraums noch vollständig erfüllt werden könne; siehe auch Mommsen, Beiträge III, S. 31, wonach „die Berücksichtigung eines späteren Anerbietens der Leistung nicht unter allen Umständen ausgeschlossen werden“ könne. 87 Vgl. oben, Kapitel 3, A. II. 88 Zustimmend: Löning, Vertragsbruch, S. 460 ff., 464 f., 479; Stegmann, Folgen des Contractbruchs, S. 22, 27, 41; dagegen: Dankwardt, JherJb. 1875, 228 (247, 269, 272); Kniep, Mora I, S. 102 ff., 110 ff. 89 Siehe genauer Sommer, Nichterfüllung, S. 89 ff.; auch Hartmann, FS Singer, S. 245 (246) spricht von einem gewissen Desinteresse der Arbeitsrechtswissenschaft hinsichtlich der Frage der Nachholbarkeit der Arbeitsleistung. 90 Sommer, Nichterfüllung, S. 105; so stellte z. B. Sinzheimer, Lohn und Aufrechnung, S. 57 f., Fn. 45 fest, dass „thatsächlich eine Nachleistung selten stattfinden“ werde. 91 Sommer, Nichterfüllung, S¨105; vgl. hierzu Jacobi, ArchBürgR 1890, 137 (154), der feststellt, dass dem gemeinen Recht eine gesetzliche Kündigungsfrist für Dienstverhältnisse fremd sei und diese vielmehr jederzeit gelöst werden können und Linck/Krause/Bayreuther/ Link, Einleitung, Rn. 3. 85
B. Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht
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Nachholbarkeit der Arbeitsleistung konnte also oftmals schon aus rein tatsächlichen Gründen abgelehnt werden, sodass Gedanken dazu, ob sie darüber hinaus aus rechtlichen Gründen abzulehnen sei, nicht erforderlich waren.92 Erst mit der Verkürzung der Arbeitszeiten und der Durchsetzung des Kündigungsschutzes wurde das Problem der Nachholbarkeit der Arbeitsleistung in der juristischen Literatur ausführlicher behandelt. Durch die kürzeren Arbeitszeiten ergaben sich vermehrt Zeiträume, in denen Arbeitnehmer versäumte Arbeitsleistungen nachholen konnten. Zudem war es dem Arbeitgeber durch den Kündigungsschutz verwehrt, einem säumigen Arbeitnehmer einfach zu kündigen und die versäumte Arbeit durch einen anderen Arbeitnehmer verrichten zu lassen. Somit wurden die Fälle, in denen eine Nachholung der Arbeitsleistung schon aus tatsächlichen Gründen abgelehnt werden konnte, weniger. Daher richtete sich der Blick nunmehr auf juristische Gründe, die anstatt oder neben den tatsächlichen Gründen gegen eine Nachholbarkeit der Arbeitsleistung angeführt werden könnten. Dabei nahm die Zahl derjenigen, die die Arbeitsleistung zeitlich fixierten – mithin eine absolute Fixschuld annahmen – in erheblichem Umfang zu.93 Zwar gab es stets auch kritische Stimmen hinsichtlich der pauschalen Einordnung der Arbeitsschuld als absolute Fixschuld. Dabei verwiesen einige Autoren auf die im Einzelfall durchaus gegebene tatsächliche Möglichkeit, versäumte Arbeitsleistungen nachzuholen.94 Andere betonten die Abhängigkeit der Charakterisierung der Arbeitsschuld vom Willen der Arbeitsvertragsparteien, welcher wiederum nur im Hinblick auf den jeweiligen Vertrag im Einzelfall beurteilt werden könne.95 Zuletzt wurde auf die Überflüssigkeit des § 615 BGB hingewiesen für den Fall einer pauschalen Einordnung der Arbeitsleistung als absolute Fixschuld.96 Diese kritischen Stimmen konnten sich aber mangels ausreichender Vertiefung nie wirklich durchsetzen.97 Daher kann man das Dogma der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht spätestens seit ca. 1970 als die „fast unwidersprochene“ herrschende Meinung in der juristischen Literatur bezeichnen.98 92
Sommer, Nichterfüllung, S. 100, 105. Sommer, Nichterfüllung, S. 105; vgl. hierzu: Beitzke, Dauerrechtsverhältnisse, S. 29; Beuthien, RdA 1972, 20 (22 f.); Beuthien/Häuser, JuS 1971, 478 (479); Dossow, BB 1988, 2455 (2457); Gamillscheg, ArbR I, 7. Aufl. 1987, S. 163; Henssler, RdA 2002, 129 (132, 139); Nikisch, Grundformen, S. 178 f.; ders., ArbR I, S. 274 f.; Erman/Riesenhuber, § 615 BGB, Rn. 1a. 94 Haas, Abgrenzung, S. 64; Hollstein, Der wilde Streik, S. 48 f.; Schnorr von Carolsfeld, ArbR, S. 329 f.; vgl. auch Lotmar, Arbeitsvertrag II, S. 160, der betont, dass die Leistung der Arbeit in vielen Fällen zeitlich verschiebbar sei. 95 Sigel, Der gewerbliche Arbeitsvertrag, S. 52; Sinzheimer, Lohn und Aufrechnung, S. 57 f. 96 Hollstein, Der wilde Streik, S. 52; Nassauer, Sphärentheorien, S. 122 f.; vgl. zu diesem Argument auch Kapitel 3, B. II. 2. 97 Hellfeier, Leistungszeit, S. 7. 98 Sommer, Nichterfüllung, S. 105. 93
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Diese herrschende Meinung hat zur Folge, dass die geschuldete Arbeitsleistung aufgrund ihres absoluten Fixschuldcharakters nur zu einem fixen Zeitpunkt erbracht werden kann. Frühere oder spätere Leistungen des Arbeitnehmers sind als aliud und damit gerade nicht als die geschuldete Arbeitsleistung anzusehen. Dadurch wird die geschuldete, aber nicht erbrachte Arbeitsleistung bereits mit Arbeitsbeginn beziehungsweise mit vorzeitiger Beendigung der Arbeitsleistung endgültig unmöglich im Sinne von § 275 Abs. 1 Alt. 2 BGB. Dementsprechend muss keine Abgrenzung mehr zwischen Unmöglichkeit und bloßer Leistungsverzögerung vorgenommen werden – vielmehr ist der Schuldnerverzug automatisch ausgeschlossen.99 Jedoch wollen manche Stimmen das Dogma der absoluten Fixschuld nur eingeschränkt anerkennen – so finden sich viele Ausführungen, wonach die Arbeitsleistung nur „im Regelfall“,100 „regelmäßig“,101 „in der Regel“102 oder „grundsätzlich“103 als absolute Fixschuld einzuordnen sei. Es wird allerdings selten näher ausgeführt, in welchen Ausnahmefällen die Arbeitsleistung nicht als absolute Fixschuld anzusehen ist. Teilweise soll das der Fall sein, wenn die Arbeitszeit nicht mehr vom Arbeitgeber vorgegeben, sondern vom Arbeitnehmer selbst bestimmt wird.104 Andere Stimmen nehmen eine Nachholbarkeit der Arbeitsleistung bei einem geringfügigen Zuspätkommen an.105 Zum Teil wird eine Ausnahme vom Dogma der absoluten Fixschuld bei einem gesteigerten Interesse des Arbeitgebers an einer Nachholung ausgefallener Arbeitsleistung angenommen.106 Zuletzt wird vertreten, dass der Arbeitnehmer bei einem schuldhaften Arbeitsversäumnis zur Nachholung der Arbeitsleistung verpflichtet sei.107 Aber nicht nur hinsichtlich der Reichweite des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht ist die herrschende Meinung ungenau – häufig ist auch nicht er-
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So auch Reichold, in: MHA, § 43, Rn. 8. Ehmann, NJW 1987, 401 (406); Richardi, NJW 1987, 1231 (1234). 101 Heckelmann/Franzen, ArbR, S. 69; Linck, in: Schaub, § 49, Rn. 5; Maschmann, NZABeil. 2006, 13; Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 340; Pallasch, JA 1994, 504 (508). 102 Fabricius, Leistungsstörungen, S. 98; Hartmann, FS Singer, 245 (260); Junker, ArbR, S. 117; Lieb/Jacobs, ArbR, S. 70; Staab, Annahmeverzug, S. 25. 103 Hanau/Adomeit, ArbR, S. 185; Kraft, NZA 1989, 777 (779); Krause, ZfA 2018, 126 (130); HWK/Krause, § 615 BGB, Rn. 6. 104 Linck, in: Schaub, § 49, Rn. 5; BeckOGK/Riehm, § 275 BGB, Rn. 108; Stoffels, Vertragsbruch, S. 110. 105 BAG, Urt. v. 17. 03. 1988 – 2 AZR 576/87, BAGE 58, 37 (49); Fabricius, Leistungsstörungen, S. 98, 103; Staudinger/Feldmann, Vor §§ 286 ff. BGB, Rn. 20; BeckOK-ArbR/ Joussen, § 611a BGB, Rn. 408; Schlodder, Arbeitsvertrag, S. 30; Uhle, Nichterfüllung, S. 19. 106 Stoffels, Vertragsbruch, S. 128. 107 Gaul, ArbR, S. 241; Hanau/Adomeit, ArbR, 12. Aufl. 2000, S. 197, Fn. 22; Schnorr von Carolsfeld, ArbR, S. 314; auch Däubler, ArbR 2, S. 382 bejaht eine solche Nacharbeitspflicht im Falle der schuldhaften Arbeitsversäumnis durch den Arbeitnehmer, allerdings lässt er den Fixschuldcharakter dabei unangetastet, indem er die Nacharbeitspflicht als Form des Schadensersatzes ansieht. 100
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kennbar, ob die Nachholbarkeit der Arbeitsleistung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen abgelehnt wird.108
II. Ablehnung der herkömmlichen Begründungsstrategien Obwohl viele Autoren, die das Dogma der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht befürworten, eine eingehende Begründung hierfür vermissen lassen,109 können gewisse Begründungsstrategien für die Einordnung der Arbeitsleistung als absolute Fixschuld ausgemacht werden. Diese werden im Einzelnen aufgezeigt und jeweils abgelehnt. 1. Dauerschuldcharakter des Arbeitsverhältnisses Häufig wird zur Begründung des absoluten Fixschuldcharakters der Arbeitsleistung auf die Eigenschaft des Arbeitsverhältnisses als Dauerschuldverhältnis verwiesen.110 Richtig daran ist, dass Arbeitsverhältnisse Dauerschuldverhältnisse darstellen.111 Allerdings folgen aus dieser Einordnung als Dauerschuldverhältnis noch keine Konsequenzen für die Frage, ob die Arbeitsleistung als absolute Fixschuld anzusehen ist.112 Denn Leistungen in Dauerschuldverhältnissen sind nicht generell und automatisch absolute Fixschulden.113 Vielmehr müssen zwei Arten von Dauerschuldverhältnissen unterschieden werden. Zum einen sind die Dauerschuldverhältnisse zu betrachten, bei denen eine kontinuierliche Dauerleistung vorliegt. Hier ist die (Haupt-)Leistung permanent und ohne Unterbrechung während der Vertragsdauer zu erfüllen.114 Als Beispiel für ein solches Dauerschuldverhältnis mit kontinuierlichen Dauerleistungen kann das
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So auch Sommer, Nichterfüllung, S. 100, 104. Siehe hierzu auch Haas, Abgrenzung, S. 55; Hellfeier, Leistungszeit, S. 32 und Sommer, Nichterfüllung, S. 109. 110 Beitzke, Dauerrechtsverhältnisse, S. 29; Kalb, Betriebsrisikolehre, S. 95; Nikisch, Grundformen, S. 178 f.; dagegen: Haas, Abgrenzung, S. 61; Hellfeier, Leistungszeit, S. 33; Schroeder, Arbeitsverhältnis, S. 80 ff.; Sommer, Nichterfüllung, S. 112. 111 Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 32; Fabricius, Leistungsstörungen, S. 9, 27; Fischinger, in: MHA, § 3, Rn. 27; Molitor, Wesen des Arbeitsvertrages, S. 15; Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 153; MüKo-BGB/Spinner, § 611a BGB, Rn. 11; Sommer, Nichterfüllung, S. 47 bezeichnet den Arbeitsvertrag sogar als „ein besonders typisches“ Dauerschuldverhältnis. 112 Breucker, in: Besonderheiten, S. 61 (67 f.). 113 Christodoulou, Zeitelement, S. 172 f.; Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 333; Sommer, Nichterfüllung, S. 67 f.; a. A. Nikisch, Grundformen, S. 178; Wiese, FS Nipperdey I, S. 837 (840 f.). 114 Vgl. hierzu eingehend Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 25. 109
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Mietverhältnis angeführt werden – bei diesem schuldet der Vermieter dem Mieter permanent und ohne Unterbrechung die Überlassung des Gebrauchs der Mietsache. Bei diesen Dauerschuldverhältnissen mit kontinuierlichen Dauerleistungen ist eine Nachholung der versäumten Leistung bereits ihrer Natur nach ausgeschlossen, solange das Vertragsverhältnis weiter fortbesteht – denn ansonsten müsste dieselbe Dauerleistung im selben Zeitraum doppelt erbracht werden. Erst nach Ablauf des vertraglich festgesetzten Leistungszeitraums ist eine Nachholung möglich – diese wird aber in der Regel nicht mehr zur Erreichung des Vertragszwecks und zur Befriedigung des Gläubigerinteresses geeignet sein. Dauerschuldverhältnisse mit kontinuierlichen Dauerleistungen können also in der Regel als absolute Fixschulden eingeordnet werden.115 Anders sind Dauerschuldverhältnisse mit periodisch wiederkehrenden Dauerleistungen zu bewerten. Bei diesen wird die (Haupt-)Leistung nicht konstant und permanent, sondern nur in bestimmten Zeitabschnitten erbracht.116 Als Beispiel für Dauerschuldverhältnisse mit periodischen Dauerleistungen ist der Bierlieferungsvertrag zu nennen, bei dem lediglich zu bestimmten Zeitabschnitten – jedoch nicht permanent und ohne Unterbrechung – die Lieferung von Bier geschuldet ist.117 Im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen mit periodisch wiederkehrenden Dauerleistungen ist eine Nachholung der versäumten Leistung in denjenigen Zeitabschnitten, während derer die Dauerleistung nach den vertraglichen Vereinbarungen nicht geschuldet wird, oftmals zumindest tatsächlich möglich. Ob eine solche Nachholung dann jedoch auch den Vertragszweck und das Gläubigerinteresse zu befriedigen mag, muss stets im Einzelfall beurteilt werden.118 Im Arbeitsverhältnis wird hinsichtlich der Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers in Form der Arbeitsleistung eine periodisch wiederkehrende und keine kontinuierliche Dauerleistung erbracht. Die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers ist nicht konstant und permanent zu erbringen, sondern lediglich zu den (individual- oder kollektivrechtlich) vereinbarten Zeiten. Die Arbeitsleistung wird also von kleineren und größeren Zeiträumen unterbrochen, in denen die Arbeitspflicht nicht besteht – Zeiten des Bestehens einer Arbeitspflicht des Arbeitnehmers wechseln sich mit Zeiten des Nichtbestehens einer solchen ab. Die arbeitsvertraglich geschuldete Hauptleistung in Form der Arbeitsleistung wird daher nur periodisch zu vorab 115
Breucker, in: Besonderheiten, S. 61 (68); Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 33; Hellfeier, Leistungszeit, S. 29 f.; Nastelski, JuS 1962, 289 (294); Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 334 f.; Sommer, Nichterfüllung, S. 70; diese Einordnung für den Regelfall schließt allerdings eine abweichende Interessenlage im Einzelfall nicht aus – so kann der Schuldner z. B. bei Dauerschuldverhältnissen von sehr begrenzter Dauer durchaus auch nach Ablauf des Vertragszeitraums noch ein Interesse an einer Nachholung haben. 116 Vgl. hierzu eingehend Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 25, 335. 117 Breucker, in: Besonderheiten, S. 61 (68). 118 Breucker, in: Besonderheiten, S. 61 (69); Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 33; Hellfeier, Leistungszeit, S. 30 f.; Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 335 f.; Sommer, Nichterfüllung, S. 70.
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festgelegten Arbeitszeiten erbracht,119 sodass das Arbeitsverhältnis ein Dauerschuldverhältnis mit periodisch wiederkehrenden Dauerleistungen darstellt. Unerheblich für die Einordnung des Arbeitsverhältnisses als Dauerschuldverhältnis mit periodisch wiederkehrenden Dauerleistungen ist die Tatsache, dass die im Arbeitsverhältnis bestehenden Nebenpflichten120 auch in den Zeiten bestehen bleiben, in denen keine Arbeitspflicht für den Arbeitnehmer besteht. Bei der Frage, ob ein Dauerschuldverhältnis mit kontinuierlichen Dauerleistungen oder ein Dauerschuldverhältnis mit periodisch wiederkehrenden Dauerleistungen vorliegt, ist nämlich lediglich auf die Hauptleistungspflicht und nicht auf etwaige Nebenpflichten abzustellen.121 Mangels pauschaler Einordnung von Leistungen in Dauerschuldverhältnissen mit periodisch wiederkehrenden Leistungen als absolute Fixschuld scheidet ein Rückgriff auf den Dauerschuldcharakter des Arbeitsverhältnisses zur Begründung des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht aus.
2. Rückgriff auf § 615 BGB Einige Stimmen wollen das Dogma der absoluten Fixschuld unter Rückgriff auf § 615 BGB begründen.122 Dabei wird als Argument zum Teil die Entstehungsgeschichte des § 615 BGB herangezogen.123 Auf den ersten Blick scheint die in den Motiven zu § 615 BGB verwendete Formulierung, dass dem Dienstvertrag „regelmäßig die Eigenschaft einer Art von Fixgeschäft“ beiwohne,124 auch durchaus für eine solche Annahme zu 119
Franzen, RdA 2014, 1 (2); Hellfeier, Leistungszeit, S. 20; Sommer, Nichterfüllung, S. 111; für die Dienstleistung ebenfalls bejahend: Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 335; vgl. auch bereits oben, Kapitel 2, A.; anders ist das bei Beamten zu bewerten – aufgrund des durch § 4 BBG begründeten Treueverhältnis wird die gesamte Persönlichkeit des Beamten in das Dienstverhältnis eingebunden, vgl. BeckOK-Beamtenrecht/Werres, § 4 BBG, Rn. 5; der Beamte ist dem Dienstherrn also nicht nur in vorab bestimmten Arbeitsperioden verpflichtet, sondern – in gewissen Grenzen – mit seiner gesamten Persönlichkeit und damit auch in seinem Privatleben außerhalb der Arbeitszeit. 120 Vgl. vertiefend hierzu BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB, Rn. 266 ff. sowie Rn. 443 ff.; Park, Nebenpflichten; ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 610 ff. sowie Rn. 707 ff.; Reichold, in: MHA, § 53, Rn. 1 ff.; Richardi, in: Tomandl, Treue- und Fürsorgepflicht, S. 41 ff.; MüKo-BGB/Spinner, § 611a BGB, Rn. 895 ff. sowie Rn. 993 ff. 121 So auch Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 25, der bei der Differenzierung zwischen Dauerschuldverhältnissen mit kontinuierlichen Dauerleistungen und solchen mit periodisch wiederkehrenden Dauerleistungen auf die „vertragstypische Hauptleistung“ abstellt. 122 Heck, SchR, S. 338; Kreß, SchR AT, S. 476; BeckOGK/Maties, § 611a BGB, Rn. 1659; Pallasch, JA 1994, 504 (508); Picker, JZ 1985, 693 (699); Staab, Annahmeverzug, S. 17 ff.; Staudinger/Richardi/Fischinger, § 611a BGB, Rn. 1077; Söllner, AcP 1967, 132 (138); ders., Grundriß, S. 278. 123 Picker, JZ 1985, 693 (699 f.); Staab, Annahmeverzug, S. 24 f. 124 Motive II, S. 461 = Mugdan, S. 257.
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sprechen.125 Allerdings muss diese Textstelle vor dem Hintergrund des damaligen Sprachgebrauchs sowie der Motive zum seinerzeitigen § 361 BGB interpretiert werden.126 Dabei fällt zum einen die ungenaue Ausdrucksweise in den Motiven zu § 615 BGB im Vergleich zu der „ungleich präziseren Umschreibung“ des Fixgeschäfts in den Motiven zu § 361 BGB auf.127 Zum anderen ist zu beachten, dass zwar der Terminus des absoluten Fixgeschäfts im damaligen Sprachgebrauch noch nicht verwendet wurde.128 Allerdings sprach man von einem „Fixgeschäft im strengsten Sinne“, wenn man ausnahmsweise an eine endgültige Unmöglichkeit allein durch Zeitablauf – also an ein absolutes Fixgeschäft im heutigen Verständnis – dachte,129 sodass die unpräzise Formulierung „Art von Fixgeschäft“ in den Motiven zu § 615 BGB nicht im Sinne des absoluten Fixgeschäfts verstanden werden darf.130 Andere Stimmen in der Literatur sehen in dem in § 615 S. 1 BGB angeordneten Ausschluss der Nachleistungspflicht für den Fall, dass der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug gerät, den explizit zum Ausdruck gebrachten Grundsatz der Zeitbezogenheit der Arbeitsleistung, der zur Annahme einer absoluten Fixschuld führe.131 Gegen diese Annahme spricht jedoch die systematische Stellung von § 615 BGB. Zum einen setzt der in § 615 BGB geregelte Annahmeverzug nach dem grundsätzlichen Dogma der Alternativität von Annahmeverzug und Unmöglichkeit eine weiterhin mögliche Leistung voraus. Ist die Erbringung der Leistung hingegen unmöglich geworden, scheidet die Anwendung von § 615 BGB grundsätzlich aus.132 Wäre die Arbeitsleistung nun stets eine absolute Fixschuld, hätte das auch stets Unmöglichkeit der Arbeitsleistung zur Folge, sodass § 615 BGB mangels weiterhin möglicher Leistung auf Arbeitsverhältnisse unanwendbar wäre und daher kaum ein Anwendungsbereich für § 615 BGB verbliebe.133 125
So auch Breucker, in: Besonderheiten, S. 61 (69 f.); Hellfeier, Leistungszeit, S. 34; Stoppelkamp, Annahmeverzug, S. 20; v. Stebut, RdA 1985, 66 (68). 126 Breucker, in: Besonderheiten, S. 61 (70). 127 Hellfeier, Leistungszeit, S. 36; Sommer, Nichterfüllung, S. 125; v. Stebut, RdA 1985, 66 (68); vgl. hierzu auch Motive II, S. 199 ff. = Mugdan, S. 110. 128 Rückert, ZfA 1983, 1 (18); Staab, Annahmeverzug, S. 17. 129 Siehe hierzu Jakobs/Schubert, Beratung des BGB II, S. 450. 130 Breucker, in: Besonderheiten, S. 61 (70); Hellfeier, Leistungszeit, S. 36; Rückert, ZfA 1983, 1 (18); Sommer, Nichterfüllung, S. 125; Staab, Annahmeverzug, S. 17 f.; Winderlich, Annahmeverzug, S. 72; a. A. Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 35 ff. 131 Boewer, in: MHA 2009, § 78, Rn. 1; Picker, JZ 1985, 693 (699), Fn. 13; Kast, Die Einrede des nichterfüllten Vertrages, S. 187. 132 Beuthien, Zweckerreichung, S. 248; ders., RdA 1972, 20 (22); Ehmann, NJW 1987, 401 (405 f.); Sommer, Nichterfüllung, S. 122. 133 Beuthien, RdA 1972, 20 (22); Beuthien/Häuser, JuS 1971, 478 (479); Breucker, in: Besonderheiten, S. 61 (70 f.); Hellfeier, Leistungszeit, S. 35, 82; Rückert, ZfA 1983, 1 (9); Sommer, Nichterfüllung, S. 122.
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Dieses Argument lässt sich jedoch aushebeln, wenn man mit der sogenannten Abstrahierungsformel des BAG die Abgrenzung von Annahmeverzug und Unmöglichkeit anhand der Frage vornimmt, ob die Leistungshandlung des Schuldners bei einer unterstellten Mitwirkungshandlung des Gläubigers möglich wäre oder nicht. Ist die Leistungshandlung des Schuldners bei einer unterstellten Mitwirkungshandlung des Gläubigers nicht möglich, so liegt Unmöglichkeit vor, anderenfalls ist Annahmeverzug anzunehmen.134 Nach der Abstrahierungsformel ist also eine Unmöglichkeit abzulehnen und Annahmeverzug anzunehmen, wenn der Schuldner die Leistung zwar nicht erbringen kann, das Leistungshindernis jedoch auf einem Verhalten des Gläubigers beruht.135 So würde durchaus ein Anwendungsbereich für § 615 BGB verbleiben. Zum anderen aber ist bei einer Einordnung der Arbeitsleistung als absolute Fixschuld eine Nachleistung aufgrund der dann stets eintretenden Unmöglichkeit gemäß § 275 Abs. 1 Alt. 2 BGB ohnehin denknotwendig ausgeschlossen. Es erscheint aber nicht nachvollziehbar, warum der Gesetzgeber den Arbeitnehmer in § 615 S. 1 BGB von einer ohnehin unmöglich gewordenen Pflicht befreien sollte.136 Bei Zugrundelegung des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht wäre § 615 S. 1 BGB daher vielmehr eine „weitgehend überflüssige Wiederholung“.137 3. Vergänglicher Wert der Arbeitsleistung Zur Begründung des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht findet sich zudem häufig der Hinweis, die Arbeitskraft sei ein vergänglicher Wert; der Arbeitnehmer könne sie nicht aufbewahren. Zudem werde durch die Festlegung von Beginn und Ende der Arbeitszeit durch den Arbeitgeber der Schuldinhalt bestimmt und die Arbeitsschuld des Arbeitnehmers auf die zugewiesene Tätigkeit beschränkt. Somit müsse ein Arbeitnehmer beim Nachholen von Arbeit auf einen anderen Teil 134 BAG, Urt. v. 24. 11. 1960 – 5 AZR 545/29, BAGE 10, 202 (207); Urt. v. 18. 08. 1961 – 4 AZR 132/60, AP BGB § 615 Nr. 20; Urt. v. 23. 09. 2015 – 5 AZR 146/14, BAGE 152, 327 (332); vgl. hierzu genauer Hellfeier, Leistungszeit, S. 87 f.; MüKo-BGB/Henssler, § 615 BGB, Rn. 4; Hollstein, Der wilde Streik, S. 52 f.; Neumann-Duesberg, JuS 1970, 68 (69); Sommer, Leistungszeit, S. 133 f.; Stoppelkamp, Annahmeverzug, S. 26 f.; Winderlich, Annahmeverzug, S. 62 ff.; vgl. bzgl. anderer Lösungsmöglichkeiten zur Aufrechterhaltung der Fixschuldthese trotz des grundsätzlichen Dogmas der Alternativität von Annahmeverzug und Unmöglichkeit Hellfeier, Leistungszeit, S. 83 ff.; Nierwetberg, BB 1992, 995 (996 ff.); Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 340 ff.; Rückert, ZfA 1983, 1 (9 ff.); Sommer, Nichterfüllung, S. 132 ff., 168; Staab, Annahmeverzug, S. 20 ff.; Stoppelkamp, Annahmeverzug, S. 23 ff.; Winderlich, Annahmeverzug, S. 72. 135 Hellfeier, Leistungszeit, S. 88; Staudinger/Richardi/Fischinger, § 611a BGB, Rn. 29; Stoppelkamp, Annahmeverzug, S. 26. 136 Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 34, Rn. 46. 137 Breucker, in: Besonderheiten, S. 61 (70); Nassauer, Sphärentheorien, S. 122 f.; Sommer, Nichterfüllung, S. 122; so auch Winderlich, Annahmeverzug, S. 73, nach der sich die Nachleistungsregelung in § 615 S. 1 BGB „erübrigt“ hätte, wenn die Arbeitsleistung eine absolute Fixschuld wäre.
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Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
seiner Arbeitskraft zurückgreifen, was zur Folge habe, dass es sich bei einer Nachholung nicht mehr um die ursprünglich geschuldete, sondern um eine andere Leistung handele und eine solche Nachholung daher gar nicht möglich sei. Mangels Nachholbarkeit müsse sodann eine absolute Fixschuld angenommen werden.138 Dem ist zwar insofern zuzustimmen, dass Zeit an sich tatsächlich unwiderruflich verrinnt.139 Die Zeitspanne, in der ein Arbeitnehmer ursprünglich seine Arbeitsschuld erfüllen sollte, ist also mit Ablauf unwiderruflich verronnen, sodass es dem Arbeitnehmer naturgesetzlich nicht mehr möglich ist, die Nachleistung zu dem Zeitpunkt zu erbringen, zu dem er eigentlich hätte arbeiten müssen.140 Daraus folgt aber nicht, dass auch die Arbeitsschuld mit Ablauf dieser Zeitspanne unwiderruflich untergegangen und nicht mehr nachholbar ist. Denn Nacharbeit ist für den Regelfall nicht in dem Sinne zu verstehen, dass hierunter nur die konkret ausgefallene – das heißt die für eine bestimmte Zeitspanne angewiesene, dann aber unterbliebene Tätigkeit – fällt. Vielmehr kann jede dem Inhalt der arbeitsvertraglichen Vereinbarung beziehungsweise der ausgefallenen Arbeit ihrer Art nach entsprechende Tätigkeit Nacharbeit darstellen.141 Der Arbeitgeber kann nämlich eine in der Vergangenheit erteilte Weisung für die Zukunft ändern oder neue Weisungen erteilen. Das gilt insbesondere, solange der Arbeitnehmer der Weisung noch nicht nachgekommen ist.142 Durch das Nichtbefolgen einer Weisung seitens des Arbeitnehmers verengt sich seine Arbeitspflicht also nicht auf die angewiesene Tätigkeit mit der Folge, dass die Arbeitsleistung nicht mehr nachholbar ist.143 In Umsetzung dieser Grundsätze gilt: Je unschärfer die Art der geschuldeten Arbeit im Arbeitsvertrag geregelt ist, desto mehr Nachleistungsmöglichkeiten bestehen für den Arbeitnehmer. Umgekehrt ist der Spielraum für die Nachholung umso geringer, je konkreter die Arbeitsleistung vertraglich festgelegt ist. Ist die Arbeits138 Beuthien, Zweckerreichung, S. 247; Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 41; Heckelmann/Franzen, ArbR, S. 69; Krause, ZfA 2018, 126 (130); BeckOGK/Maties, § 611a BGB, Rn. 1659; Nitsche, Betriebsrisikolehre, S. 79; Picker, FS Kissel, S. 813 (822); Erman/ Riesenhuber, § 615 BGB, Rn. 1; in diese Richtung wohl auch Hartmann, FS Singer, S. 245 (256). 139 Breucker, in: Besonderheiten, S. 61 (71); Söllner, AuR 1967, 353 (357); Sommer, Nichterfüllung, S. 171; in diese Richtung auch Latzel, AcP 2021, 881 (888), der davon spricht, dass niemand „die Zeit zurückdrehen“ könne. 140 Breucker, in: Besonderheiten, S. 61 (72); Sommer, Nichterfüllung, S. 172, 209. 141 Breucker, in: Besonderheiten, S. 61 (72); Latzel, AcP 2021, 881 (889, 894); Sommer, Nichterfüllung, S. 196, 209. 142 BAG, Urt. v. 12. 10. 2011 – 10 AZR 649/10, BAGE 139, 296 (306); Urt. v. 18. 10. 2017 – 10 AZR 330/16, BAGE 160, 296 (319); Birk, Leitungsmacht, S. 229 f.; Bitzenhofer, Weisungsrecht, S. 123 ff.; Bötticher, Gestaltungsrecht, S. 6 f.; Hromadka, FS v. HoyningenHuene, S. 145 (151 f.); AR/Kolbe, § 106 GewO, Rn. 6; BeckOGK/Maschmann, § 106 GewO, Rn. 30; Staudinger/Rieble, § 315 BGB, Rn. 353; auch Latzel, AcP 2021, 881 (889) stellt hierzu fest: „Bis zur Weisungsbefolgung ist nichts in Stein gemeißelt.“. 143 Latzel, AcP 2021, 881 (889).
B. Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht
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leistung des Arbeitnehmers im Arbeitsvertrag also nur ganz allgemein umschrieben, kann der Arbeitnehmer ausgefallene Arbeit durch jede Arbeitsleistung nachholen, die dem billigen Ermessen gemäß § 106 S. 1 GewO entspricht.144 So bezieht sich zum Beispiel die Arbeitspflicht eines Arbeitnehmers, der nach seinem Arbeitsvertrag zur „Tätigkeit in der Computermontage“ angestellt ist, nicht auf ganz spezifische Computer. Auch wenn der ursprünglich für eine bestimmte Arbeitszeit für diesen Arbeitnehmer vorgesehene Computer aufgrund der Arbeitsversäumnis des Arbeitnehmers bereits durch einen Kollegen montiert wurde, kann der Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht durch die Montage anderer Computer weiterhin erfüllen.145 Allerdings gibt es auch Fälle, in denen der Zeitpunkt der Erbringung der Arbeitsleistung oder ein zeitgebundener Zweck der Arbeitsleistung im Arbeitsvertrag zum Ausdruck kommt – dann ist der Zeitpunkt der Leistungserbringung ausnahmsweise Bestandteil des Leistungsinhalts selbst und nur die konkret ausgefallene Arbeit stellt die Arbeitsschuld des Arbeitnehmers dar.146 In diesen Fällen stellt die Arbeitsleistung dann nach den allgemeinen Grundsätzen147 tatsächlich eine absolute Fixschuld dar. Eine solche besonders herausgehobene Zeitgebundenheit der Arbeitsleistung besteht allerdings nicht schon bei streng zeitgebundenen Tätigkeiten wie zum Beispiel Fließbandarbeit. Zwar bedeutet hier jeder Arbeitsausfall eine Nichtleistung durch den Arbeitnehmer, allerdings kann diese durchaus später nachgeholt werden. Denn auch hier kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer grundsätzlich später zum einen die gleiche Arbeit in einer anderen Schicht zuteilen oder sogar durch andere, ebenfalls dem Arbeitsvertrag entsprechende Arbeiten Möglichkeiten zur Nacharbeit schaffen. Es muss also kein Fließband länger betrieben werden für die Nachholung der ausgefallenen Arbeit, solange es noch Einsatzmöglichkeiten für den Arbeitnehmer in anderen Schichten oder bezogen auf andere Arbeiten gibt.148 Es sind aber durchaus Fälle denkbar, bei denen der Zeitpunkt der Leistungserbringung ausnahmsweise Bestandteil des Leistungsinhalts selbst ist. Das ist etwa bei äußerst kurz befristeten Arbeitsverhältnissen der Fall. Bei diesen entspricht die vereinbarte Arbeitszeit der Vertragslaufzeit, sodass nur die konkret vereinbarte Arbeit die Arbeitsschuld des Arbeitnehmers darstellen kann. Hier besteht schon rein
144 Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 53; Hellfeier, Leistungszeit, S. 61; Sommer, Nichterfüllung, S. 195 ff.; 285 jeweils mit konkreteren Beispielen. 145 Vgl. auch Sommer, Nichterfüllung, S. 196, nach dem es „vollkommen gleichgültig“ ist, ob ein Arbeitnehmer Computer XY oder YZ montiert, solange er seiner Verpflichtung „Tätigkeit in der Computermontage“ nachkommt. 146 Breucker, in: Besonderheiten, S. 61 (72); Sommer, Nichterfüllung, S. 196, 209, 285. 147 Siehe hierzu genauer oben, Kapitel 3, A. II. 148 Latzel, AcP 2021, 881 (887, 895); siehe auch Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 53.
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Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
tatsächlich keine Zeitreserve zur Nachholung der ausgefallenen Arbeitsleistung mangels fortbestehenden Arbeitsverhältnisses.149 Außerdem ist hier auch der Fall von Arbeitsleistungen in Gruppenarbeit zu nennen, die nur im Zusammenwirken mit anderen Arbeitnehmern erfolgen kann, welche wiederum nicht zur Nachleistung zur Verfügung stehen.150 Hiervon ist wiederum eine Ausnahme zu machen, wenn der Arbeitnehmer zur Nachholung der ausgefallenen Arbeitsleistung nach dem Inhalt des Arbeitsvertrags auch andere, nicht an die Gruppe gebundene Arbeit erbringen kann.151 Zu denken ist hier etwa an einen Orchestermusiker, der eine Vorstellung des Orchesters versäumt. Er kann seine ursprünglich geschuldete Leistung – das Spielen seines Instruments während des Auftritts des Orchesters – nicht unabhängig von dem restlichen Orchester einzeln nachholen. Auch eine andere Tätigkeit, bei der er nicht an die anderen Mitglieder des Orchesters gebunden wäre, ist aufgrund seiner Beschäftigung als Musiker nicht denkbar.152 Zuletzt ist die Fallgruppe der betriebsgebundenen Arbeitsleistungen zu nennen. Dabei handelt es sich um Fallgestaltungen, in denen die betrieblichen Verhältnisse eine Nacharbeit im Rahmen der Betriebsöffnungszeiten – darunter ist die Zeitspanne, in der der Arbeitsplatz für die vom Arbeitnehmer geschuldete Arbeitsleistung verfügbar ist,153 zu verstehen – prinzipiell nicht vorsehen.154 Das ist nicht schon bei festen zeitlichen Weisungen des Arbeitgebers zur Koordinierung des Betriebsablaufs wie etwa bei Schicht- und Fließbandarbeit der Fall.155 Vielmehr muss eine vollständige Übereinstimmung von individueller Arbeitszeit und Betriebsöffnungszeiten vorliegen. Liegt keine solche vollständige Übereinstimmung von individueller Arbeitszeit und Betriebsöffnungszeit vor, ist also die individuelle Arbeitszeit eines Arbeitnehmers geringer als die Betriebsöffnungszeiten, kann der Arbeitnehmer seine versäumte Arbeit grundsätzlich während der Betriebszeiten, in denen er sonst nicht arbeitet, nachholen. Hier kann also eine Nachholung versäumter Arbeit nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden. So kann zum Beispiel ein Fließbandarbeiter, 149 Breucker, in: Besonderheiten, S. 61 (72); Latzel, AcP 2021, 881 (887); vgl. zu diesem Beispiel auch schon Hollstein, Der wilde Streik, S. 48. 150 Beispiel von Sommer, Nichterfüllung, S. 206 f.; so auch Breucker, in: Besonderheiten, S. 61 (72); Hellfeier, Leistungszeit, S. 59; auch Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 23 nennt Gruppenarbeit als einen Fall, in dem die Möglichkeit, dass einzelne Arbeitnehmer versäumte Arbeit nachholen, ausgeschlossen erscheint. 151 Sommer, Nichterfüllung, S. 207. 152 Siehe zu diesem Beispiel auch Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 54; Fikentscher/Heinemann, SchR, S. 226; Medicus/Lorenz, SchR I, S. 7. 153 Hellfeier, Leistungszeit, S. 59. 154 Ebd. 155 So kann aber Reichold, in: MHA, § 43, Rn. 9 verstanden werden, der bereits in solchen Fällen von einer absoluten Fixschuld ausgeht; nicht ganz eindeutig diesbezüglich ist Stoffels, Vertragsbruch, S. 108.
B. Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht
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dessen individuelle Arbeitszeit von 8 bis 16 Uhr geht, in einem Betrieb, in dem das Fließband ohnehin von 8 – 24 Uhr läuft, etwaige versäumte Arbeitszeit auch noch nach 16 Uhr nachholen – etwa, indem er als Springer für einen ausgefallenen Kollegen eingesetzt wird.156 Nur wenn sich individuelle Arbeitszeit und Betriebsöffnungszeiten vollständig entsprechen, schließt mit Ablauf der Arbeitszeit des Arbeitnehmers auch der Betrieb. Mithin bestehen in diesem Fall nach Ablauf der täglichen Arbeitszeit eines Arbeitnehmers schon tatsächlich keine Möglichkeiten mehr zur Anweisung vertragsgemäßer Arbeit.157 Daher ist hier der Zeitpunkt der Leistungserbringung als Bestandteil des Leistungsinhalts selbst anzusehen. Die dargestellten Fallgestaltungen, in denen der Zeitpunkt der Leistungserbringung Teil des Inhalts der Leistungspflicht des Arbeitnehmers ist, kommen allerdings in der Praxis nicht sehr häufig vor; es handelt sich um Ausnahmefälle. In diesen Ausnahmefällen ist dann also die Arbeitsleistung aufgrund ihrer besonderen Zeitgebundenheit, die dazu führt, dass der Zeitpunkt der Arbeitsleistung Bestandteil des Leistungsinhalts selbst wird, als absolute Fixschuld anzusehen. 4. Rechtliche Unmöglichkeit durch Arbeitszeitbestimmungen Teilweise findet sich zur Begründung der Fixschuldthese auch der Hinweis, dass eine Nachholung von Arbeit bereits an den Vorgaben des Arbeitszeitrechts über die Höchstarbeitszeit und die Arbeitszeitlage scheitere.158 Die Vertreter dieser Ansicht verweisen dabei auf die Eigenschaft des Arbeitsverhältnisses als Dauerschuldverhältnis, in dem der Arbeitnehmer an den auf die Nichtleistung folgenden Tagen bereits die nächste Teilleistung schuldet. Das hat zur Folge, dass der Arbeitnehmer während dieser Zeiten, in denen er die nächste Teilleistung erbringt, die ausgefallene Arbeitsleistung nicht nachholen kann, sodass die Nachholung in eigentlich arbeitsfreien Zeiträumen stattfinden muss.159 Durch eine solche Nachholung in eigentlich arbeitsfreien Zeiträumen könnte sich dann aber zum einen die Arbeitszeit des Arbeitnehmers in einem Umfang verlängern, der nicht mehr den Vorgaben des Arbeitszeitrechts gem. §§ 3 ff. ArbZG160 entspricht. 156
Siehe hierzu genauer Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 53. Sommer, Nichterfüllung, S. 205 f.; in dieselbe Richtung, aber zum Teil abweichend Hellfeier, Leistungszeit, S. 58 ff., der die Nachholbarkeit nicht aus tatsächlichen, sondern aus rechtlichen Gründen ablehnt; auch Hromadka/Maschmann, ArbR I, S. 325 nehmen ein absolutes Fixgeschäft bei einer Deckung von Arbeitszeit und Betriebsöffnungszeiten an. 158 Beuthien, Zweckerreichung, S. 247; Söllner, AcP 1967, 132 (138); so auch ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 676 „zumindest bei längerer Zeit der Nichtleistung“. 159 Beuthien, Zweckerreichung, S. 247; ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 676; vgl. hinsichtlich der Tatsache, dass die Nachholung in eigentlich arbeitsfreien Zeiträumen stattzufinden hat auch BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB, Rn. 407; Preis/Hamacher, Jura 1998, 11 (13); Sommer, Nichterfüllung, S. 111, 185. 160 Siehe hierzu genauer Kapitel 4, A. III. 1. b) aa) (1). 157
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Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
Zudem könnten die Vorschriften des ArbZG über die Lage der Arbeitszeit – wie zum Beispiel das Verbot der Beschäftigung an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen gemäß § 9 Abs. 1 ArbZG – verletzt sein. Diese Verstöße gegen das Arbeitszeitrecht würden dann zu einer rechtlichen Unmöglichkeit der Nachholung führen.161 Dem kann jedoch nicht gefolgt werden – selbst Vollzeitbeschäftigte können unter Einhaltung des Arbeitszeitrechts in erheblichem Umfang Nacharbeit leisten.162 Denn § 3 S. 2 ArbZG gestattet es, die werktägliche Arbeitszeit auf bis zu zehn Stunden zu verlängern, wenn innerhalb von sechs Monaten beziehungsweise 24 Wochen die Arbeitszeit im Durchschnitt acht Stunden werktäglich beträgt. Da die Zeit der ausgefallenen Arbeitsleistung für die Berechnung der Arbeitszeit nicht mitzählt, durch die Nachleistung ausgefallener Arbeit also die Gesamtdauer der Arbeitszeit nicht verlängert wird,163 gibt das Arbeitszeitrecht den Arbeitsvertragsparteien also erhebliche zeitliche Spielräume für eine Nachholung an die Hand.164 Lediglich in Ausnahmefällen165 kann daher die Nachholung versäumter Arbeitsleistungen als rechtlich unmöglich angesehen werden. 5. Konkludente Abbedingung der Nachleistungspflicht Einige Autoren wollen im Anschluss an Beuthien den Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung als vertragstypisch begründen. Bei Fehlen anderweitiger Abreden zwischen den Arbeitsvertragsparteien sei die Nachholung ausgefallener Arbeit vertragstypisch abbedungen. Das wird mit den typischen, auf den sozialen Gegebenheiten des heutigen Arbeitslebens beruhenden Vorstellungen beider Arbeitsvertragsparteien begründet.166
161
ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 676. Breucker, in: Besonderheiten, S. 61 (73). 163 Mangels Arbeitsleistung des Arbeitnehmers ist keine Arbeitszeit anzunehmen; vgl. hierzu auch Latzel, AcP 2021, 881 (893); Sommer, Nichterfüllung, S. 187. 164 Sommer, Nichterfüllung, S. 185; siehe auch Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 54, der die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes über die Höchstarbeitszeit und die Arbeitszeitlage als so weit gefasst ansieht, „dass das Nachholen versäumter Arbeit auch in konventionellen Vollarbeitsverhältnissen ohne Weiteres möglich“ sei. 165 So zum Beispiel bei längeren Zeiten der Nichtleistungen, bei denen die nachzuholenden Arbeitsleistungen dann einen Umfang erreichen, der nicht mehr im Rahmen der Vorgaben des Arbeitszeitrechts abgearbeitet werden kann, vgl. hierzu ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 676; zudem ist an die engeren Arbeitszeitschranken für schwangere und stillende Frauen sowie Jugendliche zu denken, vgl. Beuthien, RdA 1972, 20; v. Stebut, RdA 1985, 66 (67); vgl. zu den Vorgaben des Arbeitszeitrechts zu diesen Personen auch Kapitel 4, A. III. 1. b) aa) (1). 166 Beuthien, RdA 1972, 20 (22); Beuthien/Häuser, JuS 1971, 478 (479); Preis/Hamacher, Jura 1998, 11 (14); Stoffels, Vertragsbruch, S. 109 f.; Zöllner/Loritz/Hergenröder, ArbR, S. 269 f.; mit Einschränkungen auch Reichold, in: MHA, § 43, Rn. 9, der eine solche vertragstypische Abbedingung immer dann annimmt, wenn die Arbeitszeit vertraglich oder betrieblich präzise festgelegt ist. 162
B. Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht
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Dieser Begründungsstrategie ist lediglich insoweit zuzustimmen, als dass es den Vertragsparteien aufgrund der Vertragsfreiheit selbstverständlich freisteht, die Nachholung ausgefallener Arbeit vertraglich auszuschließen und damit die Arbeitsleistung zu einer absoluten Fixschuld zu machen.167 Das setzt aber – wie Beuthien selbst zu Recht erkennt – eindeutige Willenserklärungen der Beteiligten voraus.168 Dabei ist zu beachten, dass bei der Auslegung der Willenserklärungen der Parteien in der Regel an den einzelnen Vertrag anzuknüpfen ist und nicht global an einen ganzen Vertragstypen, wie etwa den Arbeitsvertrag. Eine globale Auslegung des Arbeitsvertrags dahingehend, dass eine Nachholung vertragstypisch abbedungen ist, wäre nur dann zulässig, wenn die Interessenlage der Arbeitsvertragsparteien in ausnahmslos jedem Arbeitsvertrag das Nachleisten versäumter Arbeit ausschlösse.169 Ein solches fehlendes Interesse an einer Nachleistung der ausgefallenen Arbeit kann allerdings weder auf Arbeitgeber- noch auf Arbeitnehmerseite pauschal angenommen werden.170 Zwar kommen in der betrieblichen Praxis durchaus häufig Fälle vor, in denen der Arbeitgeber tatsächlich kein Interesse an der Nachholung ausgefallener Arbeit hat.171 So können zum Beispiel bei aufeinander abgestimmten Arbeitsabläufen im Falle einer Nachholung der Arbeit „nicht unerhebliche organisatorische Probleme“172 entstehen, die mit der Dauer der Fehlzeiten und dem Grad der Betriebsgebundenheit der Arbeit noch weiter wachsen.173 Daher wird der Arbeitgeber in diesen Fällen oftmals auf die Nachholung durch den säumigen Arbeitnehmer verzichten und die versäumte Arbeit lieber auf andere Art ausgleichen wollen – etwa, indem die liegen gebliebenen Aufgaben auf einen oder mehrere andere Arbeitnehmer übertragen werden, die dafür wiederum eigene, weniger dringende Arbeitsaufträge zurückstellen.174 Auch in Fällen des sogenannten Crowdworkings, bei dem ein Unternehmen als Auftraggeber konkrete Arbeitsaufgaben über eine digitale Plattform an eine 167
Siehe auch Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 29, 45; Hellfeier, Leistungszeit, S. 55; BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB, Rn. 408; Latzel, AcP 2021, 881 (900); ErfK/ Preis, § 611a BGB, Rn. 677; Schlodder, Arbeitsvertrag, S. 29; Sommer, Nichterfüllung, S. 165; Stoffels, Vertragsbruch, S. 109. 168 Beuthien, RdA 1972, 20 (22); Beuthien/Häuser, JuS 1971, 478 (479); Winderlich, Annahmeverzug, S. 75; Hellfeier, Leistungszeit, S. 49 fordert insoweit von den Arbeitsvertragsparteien signalisierte Anhaltspunkte für die Annahme einer solchen Fixschuldabrede; Latzel, AcP 2021, 881 (900) fordert sogar, dass solche Fixschuldabreden ausdrücklich getroffen werden müssen. 169 Vgl. Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 46. 170 Breucker, in: Besonderheiten, S. 61 (74). 171 Beispiele hierfür finden sich auch bei Beuthien, RdA 20 (22); Hellfeier, Leistungszeit, S. 51; Preis/Hamacher, Jura 1998, 11 (13); Sommer, Nichterfüllung, S. 115 f. 172 Vgl. Nierwetberg, BB 1982, 995 (999). 173 Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 47; Sommer, Nichterfüllung, S. 115. 174 Vgl. hierzu Sommer, Nichterfüllung, S. 115.
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Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
unbestimmte Menge von Menschen ausschreibt,175 kann wohl nicht von einem Interesse des Auftraggebers an einer Nachleistung der Arbeit durch den säumigen Crowdworker selbst ausgegangen werden. Vielmehr ist hier aufgrund der Ausschreibung der Tätigkeit an eine unbestimmte Menge von Menschen anzunehmen, dass es dem Auftraggeber schlicht egal ist, welcher Crowdworker die Arbeitsleistung erbringt.176 Es gibt jedoch genug Situationen, in denen der Arbeitgeber durchaus ein Interesse daran haben kann, dass der säumige Arbeitnehmer selbst die ausgefallene Arbeit nachholt – zum Beispiel aus disziplinarischen Gründen oder weil der Arbeitnehmer aufgrund seiner besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht ersetzbar ist.177 Zudem ist auch hier zu beachten, dass in der Regel für die Nachholung ausgefallener Arbeit nicht nur die konkret angewiesene Arbeitsleistung in Betracht kommt, sondern jede dem Inhalt der arbeitsvertraglichen Vereinbarung entsprechende Tätigkeit.178 Insoweit ist davon auszugehen, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer in aller Regel anstelle der ursprünglich angewiesenen Arbeit noch weitere Arbeitsleistungen aus dem „vertraglich geschuldeten Leistungsspektrum“179 zuweisen kann und er insoweit ein Interesse an der Nachholung der Arbeitsleistung hat.180 Auch auf der Arbeitnehmerseite ist die Interessenlage nicht so eindimensional wie von dieser Begründungsstrategie behauptet.181 Zwar mag der Arbeitnehmer ein – grundrechtlich durch Art. 2 Abs. 1 GG geschütztes –182 Freizeitinteresse haben, das zur Ablehnung seines Nachleistungsinteresses führen kann.183 Allerdings führt die grundsätzliche Anerkennung von Freizeitinteressen auf Arbeitnehmerseite noch
175 Bourazeri, NZA 2019, 741 (742); Däubler/Klebe, NZA 2015, 1032 (1033); ErfK/Joussen, § 611a BGB, Rn. 60a; Krause, Gutachten zum DJT, B 99 f.; Thüsing/Hütter-Brungs, NZA 2021, 231 (232); vgl. ausführlich zum Begriff des Crowdworkings Walzer, Crowdworker, S. 41 ff. 176 Siehe zu der umstrittenen Frage, ob im Falle des Crowdworkings überhaupt ein Arbeitsverhältnis vorliegt BAG, Urt. v. 01. 12. 2020 – 9 AZR 102/20, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 132, Rn. 28 ff.; Bayreuther, RdA 2020, 241 ff.; Bourazeri, NZA 2019, 741 (744 f.); Däubler/Klebe, NZA 2015, 1032 ff.; ErfK/Joussen, § 611a BGB, Rn. 60a; Thüsing/HütterBrungs, NZA 2021, 231 ff.; Walzer, Crowdworker, S. 130 ff. 177 Breucker, in: Besonderheiten, S. 61 (74); Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 47; Sommer, Nichterfüllung, S. 116; weitere Beispiele bei Hellfeier, Leistungszeit, S. 9. 178 Siehe bereits oben, Kapitel 3, B. II. 3. 179 Vgl. Latzel, AcP 2021, 881 (895). 180 Breucker, in: Besonderheiten, S. 61 (74 f.). 181 Ebd. 182 Sommer, Nichterfüllung, S. 183. 183 Vgl. hierzu Beuthien, RdA 1972, 20 (22); Beuthien/Häuser, JuS 1971, 478 (479); Nierwetberg, BB 1992, 995 (999); Stoffels, Vertragsbruch, S. 109; Winderlich, Annahmeverzug, S. 75.
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nicht dazu, dass Arbeitnehmer diese Freizeitinteressen stets höher bewerten als die Interessen an der Erbringung ihrer Arbeitsleistungen.184 Vielmehr kann auch der Arbeitnehmer ein Interesse an einer Nachleistung versäumter Arbeit haben. So kann er zum Beispiel eine persönliche Befriedigung aus seiner Arbeit ziehen, die ihm im Falle der Ablehnung einer Nachholbarkeit verwehrt bliebe.185 Zudem muss vor allem beachtet werden, dass der Arbeitnehmer ohne Nachleistung der Arbeitsleistung im Regelfall seinen Vergütungsanspruch verliert – beziehungsweise im Falle einer Vorleistung des Arbeitgebers dieser Rückzahlungsansprüche gegen den Arbeitnehmer hat.186 Insofern kann wohl davon ausgegangen werden, dass manche Arbeitnehmer ihr Freizeitinteresse gerne hintanstellen, um einen solchen Lohnabzug zu vermeiden.187 Damit bleibt festzuhalten, dass sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Arbeitnehmerseite im Einzelfall kein Interesse an einer Nachleistung ausgefallener Arbeit bestehen kann. Andererseits kann aber sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Arbeitnehmerseite auch ein Nachleistungsinteresse bestehen. Eine typische Interessenlage der Arbeitsvertragsparteien, die ausnahmslos jedem Arbeitsvertrag zugrunde liegt, kann daher nicht angenommen werden. Mithin ist eine vertragstypische Abbedingung der Nachleistungspflicht, die zur Annahme einer absoluten Fixschuld führen würde, abzulehnen.188 Selbstverständlich bleibt es den Vertragsparteien im Einzelfall aber unbenommen, die Nachleistungspflicht ausdrücklich vertraglich abzubedingen und dadurch die Arbeitsleistung zu eine absoluten Fixschuld zu erklären.189 Dazu müssen allerdings zureichende Anhaltspunkte für die Annahme einer dahingehenden Vereinbarung der Vertragsparteien vorliegen, dass eine verspätete Leistung den Vertragszweck nicht mehr erreichen kann und daher für den Arbeitgeber ihren Sinn verliert, sie also das erkennbare Leistungsinteresse des Arbeitgebers unter keinen Umständen 184 Vgl. hierzu genauer Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 52, der das Bild eines solchen Arbeitnehmers, der seine Freizeitinteressen stets höher bewertet, als „schwer mit der Anerkennung einer allgemeinen Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers“ vereinbar ansieht. 185 Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 51. 186 Hellfeier, Leistungszeit, S. 53; Latzel, AcP 2021, 881 (896). 187 Breucker, in: Besonderheiten, S. 61 (75); Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 52; Hellfeier, Leistungszeit, S. 53; Sommer, Nichterfüllung, S. 183; so kann auch Tillmanns, Strukturfragen, S. 450 verstanden werden, die ein berechtigtes Interesse der Arbeitnehmer am Erhalt des Lohnanspruchs durch Nacharbeit sieht; auch Latzel, AcP 2021, 881 (897) lehnt ein mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegendes Überwiegen des Freizeitinteresses gegenüber dem Vergütungsinteresse ab. 188 So auch v. Stebut, RdA 1985, 66 (68), der es für „kaum akzeptabel“ hält, dass „die praktisch nie ausdrücklich getroffene Vereinbarung über den Wegfall des Nachleistungsrechts in alle Arbeitsverträge hineininterpretiert“ werde. 189 Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 29, 45; Latzel, AcP 2021, 881 (900); Sommer, Nichterfüllung, S. 165; Stoffels, Vertragsbruch, S. 109; Stoppelkamp, Annahmeverzug, S. 22; Wank, FS Schwerdtner, S. 247 (258).
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Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
mehr erfüllen kann.190 Dann ist die Arbeitsleistung bei wertender Betrachtung nicht mehr nachholbar, sodass sie als absolute Fixschuld anzusehen ist. In der Praxis kommt eine solche vertragliche Abbedingung der Nachleistungspflicht allerdings selten vor,191 sodass es sich lediglich um eine weitere Ausnahme handelt, die zur Begründung eines Dogmas nicht ausreichend ist. 6. Arbeitsrechtliches Schutzprinzip Während allen bisher aufgezeigten Begründungsstrategien die allgemeine zivilrechtliche Dogmatik zugrunde liegt, wird im Folgenden untersucht, ob spezielle arbeitsrechtliche Gesichtspunkte die Einordnung der Arbeitsleistung als absolute Fixschuld erforderlich machen. Dabei ist die maßgebliche Frage, ob es sich bei dem Dogma der absoluten Fixschuld um Arbeitnehmerschutzrecht handelt, das nicht preisgegeben werden darf.192 Diesbezüglich kommen drei Punkte in Betracht: ein Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, die generelle Unzumutbarkeit der Nachholung von Arbeitsleistungen für Arbeitnehmer und die gegebenenfalls nachteiligen Auswirkungen einer bei Ablehnung der absoluten Fixschuld grundsätzlich bestehenden Nacharbeitspflicht auf die kündigungsrechtliche Abwägung. a) Arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz Die Ablehnung der Fixschuldthese und die damit einhergehende grundsätzliche Bejahung der Nachholbarkeit von Arbeitsleistungen könnten einen Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz darstellen. Das wird von manchen Vertretern in der arbeitsrechtlichen Literatur so gesehen und damit begründet, dass die Verpflichtung eines Arbeitnehmers zur Nachholung einer Arbeitsleistung eine willkürliche Ungleichbehandlung darstelle. Denn die Nachholungspflicht hinge davon ab, ob die betrieblichen Verhältnisse im Einzelfall eine Nachholung der Arbeit überhaupt zuließen – und das könne von Arbeitnehmer zu Arbeitnehmer verschieden sein, sodass von zwei Arbeitnehmern, die ihre Arbeitsleistung versäumt haben, der eine vom Arbeitgeber zur Nachholung angewiesen werden könne, der andere jedoch seine Arbeitsleistung nicht nachholen müsse. Gleichbehandlung für alle Arbeit-
190 Das kann z. B. durch die Klausel „Eine Verpflichtung zur Nachholung ausgefallener Arbeit besteht nicht.“ zum Ausdruck kommen. 191 Vgl. Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 45; Hellfeier, Leistungszeit, S. 49; Sommer, Nichterfüllung, S. 165; v. Stebut, RdA 1985, 66 (68); das ist vor dem Hintergrund des (noch) herrschenden Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht auch nicht überraschend – unter Zugrundlegung dieses Dogmas besteht ja ohnehin keine Nachleistungspflicht, sodass eine solche auch nicht abbedungen werden muss, vgl. auch Sommer, Nichterfüllung, S. 165. 192 Vgl. hierzu Sommer, Nichterfüllung, S. 173.
B. Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht
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nehmer eines Betriebes sei daher nur möglich, wenn man die Nachholbarkeit der Arbeitsleistung allgemein verneine.193 Tatsächlich ist dieser Ansicht insoweit zuzustimmen, dass es durchaus Situationen gibt, in denen es zu einer Ungleichbehandlung von verschiedenen Arbeitnehmern kommen kann, indem der Arbeitgeber gegenüber manchen Arbeitnehmern schon rein tatsächlich keine Nachholung verlangen kann, wohingegen es anderen Arbeitnehmern grundsätzlich möglich ist, die versäumte Arbeitsleistung nachzuarbeiten. So ist es zum Beispiel bei einem Arbeitnehmer, der in eigener Verantwortung Akten bearbeitet, unerheblich, ob er seine Arbeitsleistung im Rahmen seiner üblichen Arbeitszeit erbringt oder später.194 Dieser Arbeitnehmer kann also rein tatsächlich seine Arbeitsleistung nachholen, sodass der Arbeitgeber in diesen Fällen die Nachholung anordnen könnte. Hingegen ist in den oben aufgezeigten Fallgruppen, in denen eine besonders herausgehobene Zeitgebundenheit der Arbeitsleistung besteht, eine Nachholung schon aus tatsächlichen Gründen nicht mehr möglich. So besteht für einen Arbeitnehmer, dessen Arbeitszeit vollständig mit den Betriebsöffnungszeiten übereinstimmt, bei Ablauf seiner täglichen Arbeitszeit keine Möglichkeit zur Arbeitserbringung mehr, da mit Ablauf der täglichen Arbeitszeit auch der Betrieb schließt.195 Hier kann also der Arbeitgeber mangels tatsächlicher Möglichkeit zur Nachholung der Arbeit durch den Arbeitnehmer eine solche Nachholung nicht anordnen. Versäumen nun beide Arbeitnehmer ihre geschuldete Arbeitsleistung und ordnet der Arbeitgeber daraufhin gegenüber dem einen Arbeitnehmer Nachholung der Arbeitsleistung an und gegenüber dem anderen nicht, liegt eine tatsächliche Ungleichbehandlung der beiden Arbeitnehmer vor. Allerdings hat diese tatsächliche Ungleichbehandlung verschiedener Arbeitnehmer nur dann auch eine rechtliche Bedeutung, wenn dadurch der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz und nicht nur ein etwaiges Gerechtigkeitsempfinden verletzt wird.196 Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Arbeitsrecht gebietet jedoch nicht die gleiche Behandlung aller Arbeitnehmer; es wird also nicht schlechthin jede Differenzierung verboten. Vielmehr wird der Arbeitgeber lediglich dazu verpflichtet, diejenigen seiner Arbeitnehmer, die sich in vergleichbarer Lage befinden, nicht willkürlich, das heißt ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes, ungleich zu behandeln. Hingegen dürfen einzelne Arbeitnehmer besser beziehungsweise schlechter gestellt werden, wenn hierfür ein sachlicher Grund vorliegt, der auf vernünftigen, einleuchtenden Erwägungen beruht und nicht gegen verfassungsrechtliche oder sonstige übergeordnete Wertentscheidungen verstößt.197 193
Gamillscheg, ArbR I, 7. Aufl. 1987, S. 163; Stoffels, Vertragsbruch, S. 109. Beispiel von Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 43. 195 Siehe bereits Kapitel 3, B. II. 3. 196 So auch Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 43. 197 BAG, Urt. v. 25. 02. 1999 – 3 AZR 113/97; BAGE 91, 73 (75 f.); Urt. v. 21. 05. 2003 – 10 AZR 524/02, BAGE 106, 166 (168); Urt. v. 21. 08. 2007 – 3 AZR 269/06, BAGE 124, 22 (29); BeckOGK/Maties, § 611a BGB, Rn. 1468, 1513; MüKo-BGB/Spinner, § 611a BGB, 194
112
Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
In Anwendung dieser Grundsätze auf die Nachleistungsfälle im Arbeitsverhältnis ist schon fraglich, ob die Ungleichbehandlung durch die gegenüber einem Arbeitnehmer angeordnete Nacharbeit überhaupt eine Schlechterstellung gegenüber anderen Arbeitnehmern, die nicht nacharbeiten müssen, darstellt.198 Denn auch wenn ein Arbeitnehmer die Verpflichtung zur Nacharbeit wegen seines Freizeitinteresses oder aus sonstigen Gründen als Strafe – und damit als Schlechterstellung – wahrnimmt, bietet sie ihm gleichzeitig die Gelegenheit, sein Entgelt zu verdienen, sodass die Nacharbeit nicht unbedingt (nur) nachteilig für den Arbeitnehmer ist.199 Selbst wenn man eine Schlechterstellung des Arbeitnehmers durch die Anordnung zur Nachleistung annehmen will, liegt jedoch noch kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vor. Zum einen hängt das Nachleistungsbegehren des Arbeitgebers – vergleichbar mit dem Ausspruch einer Kündigung – von zahlreichen unterschiedlichen Faktoren ab. Jeder Einzelfall liegt also anders, sodass absolut gleiche Tatbestände kaum vorliegen und die Arbeitnehmer nur selten miteinander vergleichbar sein werden.200 Zum anderen ist davon auszugehen, dass die Nachleistungsmöglichkeit an sich einen sachlichen Differenzierungsgrund darstellt, aufgrund dessen eine Ungleichbehandlung als nicht willkürlich anzusehen ist.201 b) Unzumutbarkeit für Arbeitnehmer Zum Teil werden die Arbeitnehmerinteressen in den Mittelpunkt der Diskussion gestellt – so wird vertreten, dass die Nachholung von Arbeitsleistungen für den Arbeitnehmer unzumutbar sei. Aufgrund dieser Unzumutbarkeit sei daher die Nachleistungspflicht der Arbeitnehmer auszuschließen.202 Hiergegen ist zunächst einzuwenden, dass den Arbeitnehmern auch hier wieder Interessen unterstellt werden, die so pauschal nicht bestehen. Vielmehr ist bereits Rn. 1043; genauer zum sachlichen, rechtfertigenden Grund BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB, Rn. 326 ff. 198 So kann aber Nierwetberg, BB 1982, 995 (999) verstanden werden, der die Verpflichtung zur Nachleistung versäumter Arbeit als „soziale Sanktion mit Strafcharakter“ ansieht. 199 Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 44; Hellfeier, Leistungszeit, S. 42; vgl. auch bereits oben, Kapitel 3, B. II. 5. 200 Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 44; Hellfeier, Leistungszeit, S. 42; Sommer, Nichterfüllung, S. 181. 201 Ebd. 202 Hueck/Nipperdey, ArbR I, S. 221; Nierwetberg, BB 1982, 995 (998 f.); für Hanau/ Adomeit, ArbR, S. 186 stellt die Nachholung von Arbeitsleistungen sogar eine „wohl unerträgliche Konsequenz“ dar; in diese Richtung auch bereits Heck, SchR, S. 338, der ein Überschreiten der „Opfergrenze“ des Arbeitnehmers bei einer Nachholung der Arbeitsleistung sieht; auch Beuthien, RdA 1972, 20 (21) und Beuthien/Häuser, JuS 1971, 478 (479) betonen das (gestiegene) Freizeitinteresse des Arbeitnehmers und sprechen davon, dass ein Verlust von arbeitsfreier Zeit als schmerzlich empfunden werde – allerdings ziehen diese daraus einen anderen Schluss, nämlich die im Regelfall vorliegende konkludente Abbedingung der Nachleistungspflicht, vgl. bereits oben, Kapitel 3, B. II. 5.
B. Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht
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aufgezeigt worden, dass sich die Interessen von Arbeitnehmern hinsichtlich einer Nachholung von Arbeitsleistungen stark unterscheiden können.203 Zudem sprechen gesetzessystematische Erwägungen gegen die Argumentation mit der Unzumutbarkeit: Der Gesetzgeber hat diverse Situationen gesehen, in denen Arbeitnehmer unzumutbar belastet sein können und diese gesetzlich geregelt. So wird die Nachholung von Arbeitsleistungen durch die arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften der §§ 3 ff. ArbZG zu Höchstarbeitszeit und Lage der Arbeitszeit begrenzt. Auch § 62 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 888 Abs. 3 ZPO, die den Vollstreckungsausschluss bei einer gerichtlichen Durchsetzung des Anspruchs auf Arbeits(beziehungsweise Nach-)leistung normieren, berücksichtigen eine ansonsten gegebene Unzumutbarkeit für die Arbeitnehmer. Zuletzt können hier §§ 275 Abs. 3, 615, 616 BGB genannt werden, die jeweils eine Nachholbarkeit der Arbeitsleistung aufgrund von speziellen Unzumutbarkeitserwägungen ausschließen. Aus der Existenz dieser gesetzlichen Regelungen, bei denen der Gesetzgeber Unzumutbarkeitswertungen berücksichtigt hat, ergibt sich im Umkehrschluss, dass eine Nachleistung im Übrigen grundsätzlich zumutbar ist.204 c) Nachteile bei kündigungsschutzrechtlicher Abwägung Zuletzt ist zu fragen, ob die grundsätzlich mögliche Nachholung von Arbeitsleistungen nachteilige Auswirkungen auf eine gegebenenfalls anzustellende kündigungsrechtliche Abwägung hat – in dem Sinne, dass der für das Arbeitsverhältnis gewährleistete Bestandsschutz in Frage gestellt wird. Verlangt nämlich der Arbeitgeber für die versäumten Arbeitsleistungen Nachleistung, und weigert sich der Arbeitnehmer, diesem Nachleistungsverlangen nachzukommen, könnte sich dadurch dessen kündigungsrechtliche Position aufgrund eines erneuten Pflichtenverstoßes verschlechtern. Allerdings ist der Arbeitgeber auch bei der Anordnung der Nacharbeit an die Grenzen seines Direktionsrechts nach § 106 GewO gebunden. Überschreitet er diese Grenzen, so darf der Arbeitnehmer die Nachleistung genauso verweigern, wie er eine „normale“ Arbeitsleistung bei Nichteinhaltung von § 106 GewO verweigern darf.205 So lange, wie der Arbeitgeber bei der Anordnung der Nachleistung aber von seinem Direktionsrecht nicht willkürlich Gebrauch macht, wird kein unzulässiger Druck auf den Arbeitnehmer zur Nachleistung aufgebaut, der seine kündigungsrechtliche Position verschlechtern würde.206 203
Siehe hierzu auch bereits Kapitel 3, B. II. 5. Vgl. zu diesem Aspekt genauer Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 38 ff.; Hellfeier, Leistungszeit, S. 39 ff. 205 Vgl. BAG, Urt. v. 18. 10. 2017 – 10 AZR 330/16, BAGE 160, 296 (316); Urt. v. 28. 11. 2019 – 8 AZR 125/18, AP GewO § 106 Nr. 42 (Rn. 26); genauer hierzu Kapitel 4, A. III. 2. a) cc). 206 Vgl. zu diesem Aspekt genauer Sommer, Nichterfüllung, S. 177 ff. 204
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Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
d) Zwischenergebnis Es bleibt also festzuhalten, dass auch spezielle arbeitsrechtliche Wertungen das Dogma von der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht nicht begründen können. 7. Gewohnheitsrecht Abzulehnen ist auch eine – durch die nahezu erdrückende Mehrheit der Anhänger des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht naheliegende –207 gewohnheitsrechtliche Geltung der Fixschuldthese. Das liegt vor allem daran, dass eine große Uneinigkeit dahingehend besteht, ob die Fixschuldthese absolut oder nur „in der Regel“ gelten soll und welche Ausnahmefälle von dieser Regel im letzteren Fall bestehen sollen. Insofern fehlt es schon an einer allgemeinen Rechtsüberzeugung, die der Fixschuldthese zugrunde liegt.208 Ein solches Akzeptieren einer Regelung als verbindlich und abstrakt-generell durch die Beteiligten ist aber Voraussetzung für die Anerkennung von Gewohnheitsrecht.209 8. Zwischenergebnis Weder allgemeine zivilrechtlich-dogmatische noch spezifisch arbeitsrechtliche Begründungsstrategien führen dazu, die Arbeitsleistung mit dem Dogma der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht immer als absolute Fixschuld anzusehen. Lediglich in den aufgezeigten Fallgruppen – Fälle, in denen der Zeitpunkt der Erbringung der Arbeitsleistung Bestandteil des Leistungsinhalts selbst ist, und bei vertraglicher Abbedingung der Nachleistungspflicht – stellt die Arbeitsleistung mangels Nachholbarkeit eine absolute Fixschuld dar. Diese bilden jedoch die Ausnahme und nicht die Regel und können daher nicht zur Begründung eines Dogmas herangezogen werden. Das gilt umso mehr aufgrund der Tatsache, dass die absolute Fixschuld Ausnahmecharakter hat und daher nicht leichtfertig angenommen werden sollte.210 Mithin ist das Dogma der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht abzulehnen. Vielmehr wird es in sein Gegenteil verkehrt: In der Regel stellt die Arbeitsleistung keine
207
Breucker, in: Besonderheiten, S. 61 (75). Breucker, in: Besonderheiten, S. 61 (76); Sommer, Nichterfüllung, S. 167; zustimmend Hellfeier, Leistungszeit, S. 32 f.; im Ergebnis auch Dehmel, Leistungsverweigerungsrecht, S. 30, Fn. 28, der allerdings maßgeblich darauf abstellt, dass es aufgrund der Uneinigkeiten hinsichtlich der Ausnahmen von der Fixschuldthese an der auch für Gewohnheitsrecht zu fordernden Bestimmtheit eines Rechtssatzes fehle. 209 BVerfG, Beschl. v. 28. 06. 1967 – 2 BvR 143/61, BVerfGE 22, 114 (121); Beschl. v. 15. 01. 2009 – 2 BvR 2044/07, BVerfGE 122, 248 (269); MüKo-BGB/Säcker, Art. 2 EGBGB, Rn. 2. 210 Vgl. bereits oben, Kapitel 3, A. II. 208
C. Konsequenzen aus Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld
115
absolute Fixschuld dar – lediglich in Ausnahmefällen kann eine solche anzunehmen sein.211
C. Konsequenzen aus der Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht Aus der Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht ergeben sich Folgefragen. Dabei ist zunächst zu hinterfragen, welche Auswirkungen die Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht auf den Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung hat (I.). Zudem werden die Rechtsfolgen einer Nichtleistung der Arbeit bei Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht dargestellt, die sich mangels pauschaler Charakterisierung der Arbeitsleistung als absolute Fixschuld und damit einhergehender Anwendung von Unmöglichkeitsrecht von den bisher durch die herrschende Meinung angenommenen Rechtsfolgen erheblich unterscheiden (II.). Zuletzt wird auf die Auswirkungen der veränderten Arbeitszeitdogmatik auf die Lage der Arbeitszeit eingegangen (III.).
I. Auswirkungen auf den Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung Verneint man das pauschale Vorliegen einer absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht, bleibt die Frage, wie die Arbeitsleistung stattdessen charakterisiert werden kann. Kann bei der Arbeitsleistung (in der Regel) eine relative Fixschuld angenommen werden oder ist vielmehr eine Einordnung als Fixschuld gänzlich abzulehnen (1.)? Bei dieser Frage muss auch die zunehmende Verdrängung des Normalarbeitsverhältnisses durch die Flexibilisierung der Arbeitszeit im Rahmen von Arbeit 4.0 in den Blick genommen werden, die zu einer abweichenden Beurteilung des Fixschuldcharakters der Arbeitsleistung führen könnte (2.). 1. Grundsätzliche Einordnung der Arbeitsleistung als relative Fixschuld Lehnt man die Einordnung der Arbeitsleistung als absolute Fixschuld aufgrund der oben aufgezeigten Argumente ab, bleibt die Frage, ob die Arbeitsleistung dann zumindest eine relative Fixschuld darstellt oder ob der Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung generell zu verneinen ist. Eine relative Fixschuld zeichnet eine im Vergleich zur „Normalschuld“ höhere Bedeutung der Leistungszeit aus. Bei der „Normalschuld“ wird durch die Leis211
Breucker, in: Besonderheiten, S. 61 (78).
116
Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
tungszeit lediglich der Termin der Leistung bestimmt – hingegen ist die Leistungszeit bei der relativen Fixschuld als wesentlicher Vertragsbestandteil einzuordnen. Um eine solche erhöhte Bedeutung der Leistungszeit anzunehmen, ist darauf abzustellen, ob bei Vertragsschluss eindeutig zum Ausdruck kommt, dass nach dem übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien der Wahrung des Leistungszeitpunkts wesentliche Bedeutung eingeräumt wird. Es muss sich daher um eine Fristvereinbarung handeln, bei der zum Ausdruck kommt, dass das Geschäft mit der Einhaltung der Frist sehr eng verbunden ist – nämlich so sehr, dass sich der Gläubiger allein aufgrund der Nichteinhaltung der Leistungszeit vom Vertrag lösen können soll.212 Bei der Beantwortung der Frage, ob der Leistungszeit im Arbeitsverhältnis eine solche erhöhte Bedeutung zukommt mit der Folge, dass die Arbeitsleistung als relative Fixschuld zu charakterisieren ist, ist zunächst vom Normalarbeitsverhältnis als Regelfall auszugehen.213 Bei diesem ist dem Arbeitnehmer die Arbeitszeit verbindlich vorgegeben, das heißt die Arbeitsleistung ist zu beziehungsweise innerhalb einer vom Arbeitgeber bestimmten Zeit zu erbringen. Die Einhaltung dieser vom Arbeitgeber vorgegebenen Arbeitszeiten ist für einen für den Arbeitgeber nutzbringenden Einsatz der Arbeitskraft des Arbeitnehmers oftmals erforderlich214 – denn zumeist ist der Arbeitnehmer in betriebliche Abläufe eingebunden, die durcheinander gebracht werden, wenn er die vorgegebene Arbeitszeit nicht einhält. Es ist also festzuhalten, dass die Leistungszeit im Normalarbeitsverhältnis eine hohe Bedeutung hat. Das ist auch für beide Vertragsparteien bei Abschluss des Arbeitsvertrags ersichtlich.215 Aufgrund dieser hohen Bedeutung der Leistungszeit im Arbeitsverhältnis kann man demnach durchaus davon sprechen, dass die Leistungszeit im Arbeitsverhältnis in der Regel wesentlicher Vertragsbestandteil geworden ist. Somit stellt die Arbeitsleistung für den Regelfall der verbindlichen Vorgabe von Arbeitszeiten durch den Arbeitgeber im Normalarbeitsverhältnis eine relative Fixschuld dar.216
212 213
B. I. 214
Vgl. noch einmal genauer zur relativen Fixschuld oben, Kapitel 3, A. III. Vgl. genauer zu dem Begriff des Normalarbeitsverhältnisses bereits oben, Kapitel 2,
Breucker, in: Besonderheiten, S. 61 (76). Vgl. hierzu Breucker, in: Besonderheiten, S. 61 (76); Sommer, Nichterfüllung, S. 173; in diese Richtung auch Hellfeier, Leistungszeit, S. 62, der der Zeitbestimmung im Arbeitsverhältnis eine „entscheidende Rolle“ zuspricht. 216 Latzel, AcP 2021, 881 (894); Reichold, in: MHA, § 43, Rn. 9; auch Däubler/Colneric, S. 729 kann so verstanden werden, indem er die Arbeitsleistung meistens als Fixschuld einordnet, allerdings gleichzeitig feststellt, dass es sich nur „in den seltensten Fällen um eine absolute Fixschuld“ handele; a. A. Tillmanns, Strukturfragen, S. 450, die sich gegen „pauschale Kategorisierungen“ wendet und stattdessen in jedem Einzelfall die konkrete arbeitsvertragliche Vereinbarung auslegen will; in diese Richtung auch Preis/Hamacher, Jura 1998, 11 (13), die je nach Arbeitsverhältnis unterscheiden wollen. 215
C. Konsequenzen aus Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld
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Diese Einordnung der Arbeitsleistung als relative Fixschuld gilt jedoch dann nicht, wenn einer der Ausnahmefälle gegeben ist, deren Vorliegen zur Annahme einer absoluten Fixschuld führt.217 2. Auswirkungen der Arbeitszeitflexibilisierung auf den Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung Das Normalarbeitsverhältnis wird zunehmend durch die Flexibilisierung der Arbeitszeiten im Rahmen von Arbeit 4.0 verdrängt.218 Diese Veränderungen könnten Auswirkungen auf den Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung haben mit der Folge, dass die grundsätzliche Einordnung der Arbeitsleistung als relative Fixschuld im Rahmen flexibler Arbeitszeitmodelle nicht gelten kann. Selbst Stimmen, die dem Dogma der absoluten Fixschuld in der klassischen Arbeitswelt ohne Widerspruch gefolgt sind, vertreten eine differenzierende Ansicht hinsichtlich der Einordnung der Arbeitsleistung vor dem Hintergrund von Arbeit 4.0 und den damit verbundenen flexiblen Arbeitszeitmodellen.219 Dabei ist zunächst festzustellen, dass durch die Einführung von flexiblen Arbeitszeitmodellen immer häufiger die individuelle Arbeitszeit von den Betriebsöffnungszeiten entkoppelt ist.220 Dadurch werden die Ausnahmefälle, in denen aufgrund der besonderen Zeitgebundenheit der Arbeitsleistung eine absolute Fixschuld angenommen werden kann,221 seltener. Diese Feststellung unterstreicht noch einmal die Richtigkeit der Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld,222 hat aber ansonsten keine weitergehenden Konsequenzen für den Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung. a) Beschränkung auf Arbeitszeitmodelle mit Zeitsouveränität für den Arbeitnehmer Die Flexibilisierung der Arbeitszeit könnte jedoch insofern einen Einfluss auf den Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung haben, als dass flexible Arbeitszeitmodelle 217
Vgl. oben, Kapitel 3, B. II. 8. Siehe bereits oben, Kapitel 2, B. I. 219 Gerhartsreiter, Arbeitszeitkonten, S. 337; Erman/Edenfeld, § 611 BGB, Rn. 333; BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB, Rn. 408; HWK/Krause, § 615 BGB, Rn. 8; Linck, in: Schaub, § 49, Rn. 5; Lindemann, AuR 2002, 81 (82); ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 677; BeckOGK/Riehm, § 275 BGB, Rn. 108; MüKo-BGB/Spinner, § 611a BGB, Rn. 10; Stoffels, Vertragsbruch, S. 110; Wank, Arbeitnehmer und Selbstständige, S. 70. 220 Vgl. hierzu Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 24; Heinze, Flexible Arbeitszeitmodelle, NZA 1997, 681 (685); Reichold, NZA 1998, 393 (394); Schüren, FS Gitter, S. 901. 221 Vgl. oben, Kapitel 3, B. II. 3. 222 So auch Latzel, AcP 2021, 881 (882), der insoweit davon spricht, dass durch die Flexibilisierung der Arbeitszeiten nur deutlich werde, was bei genauer Betrachtung ohnehin der Regelfall sei; siehe auch Breucker, in: Besonderheiten, S. 61 (78). 218
118
Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
dem Arbeitnehmer eine gewisse Zeitsouveränität einräumen können. Zeitsouveränität liegt vor, wenn der Arbeitnehmer – abweichend von dem ansonsten bestehenden Weisungsrecht des Arbeitgebers hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit, das mit einer zeitlich fixierten Arbeitspflicht einhergeht – Beginn und Ende seiner Arbeitszeit ganz oder teilweise eigenständig bestimmen darf.223 Konsequenz einer dem Arbeitnehmer eingeräumten Arbeitszeitsouveränität ist das Fehlen fixer, das heißt von vornherein bestimmter und festliegender, Arbeitszeiten. Stattdessen kann der Arbeitnehmer – in gewissem Rahmen – selbst entscheiden, wann er arbeitet. Wesentliches Merkmal von Fixgeschäften ist jedoch, dass die vereinbarte Leistung zu einem ganz bestimmten, das heißt „fixen“, Zeitpunkt erfolgen soll.224 Fraglich ist daher, welche Auswirkungen die durch die Arbeitszeitsouveränität mögliche eigenständige Konkretisierung der Arbeitszeiten durch den Arbeitnehmer auf den Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung hat. Nicht jedes flexible Arbeitszeitmodell sieht eine solche Zeitsouveränität für den Arbeitnehmer vor.225 Für die Frage, ob eine Zeitsouveränität für den Arbeitnehmer vorliegt, ist entscheidend, wer über die Lage der Arbeitszeit bestimmt. Das ist in starren Arbeitszeitsystemen immer der Arbeitgeber. Diesem kommt aufgrund des Arbeitsvertrags ein Leistungsbestimmungsrecht hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit zu226 – nicht aber in Bezug auf ihre Gesamtdauer, da diese den Umfang der Hauptleistungspflicht aus § 611a BGB als „Kernbereich des arbeitsvertraglichen Austauschverhältnisses“227 betrifft und daher einer vertraglichen Regelung – etwa im Wege der Änderungskündigung – bedarf.228 Dieses Leistungsbestimmungsrecht des Arbeitgebers bezüglich der Lage der Arbeitszeit beruht auf seinem Direktionsrecht im Sinne von § 106 GewO229 und hat seinen Grund in der Risikoverteilung im Arbeitsverhältnis, nach der dem Arbeitgeber das Risiko einer wirtschaftlich optimalen Verwertung der Arbeitskraft seiner Mitarbeiter zugewiesen ist.230 Der Arbeitgeber muss dieses Leistungsbestimmungsrecht hinsichtlich der Arbeitszeitlage gemäß § 106 GewO nach billigem Ermessen ausüben.
223
Vgl. Reichold, in MHA, § 43, Rn. 9. Vgl. oben, Kapitel 3, A. 225 Reichold, NZA 1998, 393 (395). 226 Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 35; Hromadka, DB 1995, 1601 (2603); Reichold, NZA 1998, 393 (397). 227 Linck, in: Schaub, § 45, Rn. 43. 228 BAG, Urt. v. 12. 12. 1984 – 7 AZR 509/83, BAGE 47, 314 (321, 324); Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 35; Necati, Arbeitszeitkonten, S. 18, 32; Preis/Wieg, AuR 2016, 313 (314); Reichold, NZA 1998, 393 (397). 229 Biswas, Vertrauensarbeitszeit, S. 100; Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 45; Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 35. 230 Biswas, Vertrauensarbeitszeit, S. 100; Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 35; Necati, Arbeitszeitkonten, S. 19; Schüren, AuR 1996, 381 (384). 224
C. Konsequenzen aus Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld
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In flexiblen Arbeitszeitsystemen kann die Bestimmung der Arbeitszeitlage weiterhin dem Arbeitgeber zugewiesen sein. In diesen Fällen bleibt das Direktionsrecht bei diesem. Der Unterschied zu starren Arbeitszeitsystemen besteht allerdings darin, dass es bei diesen in der Regel zu Beginn des Arbeitsverhältnisses zu einer grundlegenden, fixen Festlegung der Arbeitszeitstrukturen kommt, bei der der Arbeitgeber dann die Interessen gemäß § 106 GewO in einen billigen Ausgleich bringt.231 Hingegen kann es in flexiblen Arbeitszeitmodellen permanent zu Anpassungen der Arbeitszeitlage kommen, bei denen der durch § 106 GewO angestrebte billige Interessenausgleich ständig neu erfolgen muss.232 Man kann auch davon sprechen, dass es bei starren Arbeitszeitsystemen zu einem statischen Interessenausgleich kommt, während der Interessenausgleich bei flexiblen Arbeitszeitmodellen dynamisch ist.233 Die Bestimmung der Arbeitszeitlage kann bei einem flexiblen Arbeitszeitsystem aber auch einseitig dem Arbeitnehmer zugewiesen werden. Hierdurch verliert der Arbeitgeber sein Weisungsrecht hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit; er hat nur noch „der Sache, nicht aber der Zeit nach“ ein Weisungsrecht in Bezug auf die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers.234 Stattdessen wird der Arbeitstermin eigenständig durch den Arbeitnehmer bestimmt. Er ist selbstständig und einseitig zu Änderungen der Arbeitszeitlage berechtigt. Hier erhält der Arbeitnehmer also eine – je nach Ausgestaltung des konkreten flexiblen Arbeitszeitmodells unterschiedlich weitreichende – Arbeitszeitsouveränität. Eine solche einseitige Zuweisung der Bestimmung der Arbeitszeitlage ist bei den flexiblen Arbeitszeitmodellen der Gleitzeit und der Vertrauensarbeitszeit gegeben. b) Gleitzeit Als flexibles Arbeitszeitmodell mit Zeitsouveränität für Arbeitnehmer ist zunächst das Modell der Gleitzeit zu nennen. Dieses wird auch als die „Keimzelle“ der deutschen Arbeitszeitflexibilisierung bezeichnet235 und ist inzwischen sowohl in der öffentlichen Verwaltung als auch in Produktionsbetrieben weit verbreitet.236
231
Necati, Arbeitszeitkonten, S. 18 ff. Necati, Arbeitszeitkonten, S. 39 f. 233 Necati, Arbeitszeitkonten, S. 18, 40. 234 Reichold, NZA 1998, 393 (398). 235 Deller, Flexible Arbeitszeitmodelle, S. 20; Kutscher/Weidinger/Hoff, Flexible Arbeitszeitgestaltung, S. 149. 236 Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 19; Heinze, NZA 1997, 681 (687); Reichold, NZA 1998, 393 (395); Schüren, AuR 1996, 381; siehe hierzu auch bereits Hillert, BB 1970, 216; Rauschenberg, Flexibilisierung, S. 29; Neumann, RdA 1971, 106. 232
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Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
aa) Definition der Gleitzeit Im Rahmen der Definition der Gleitzeit ist zwischen der sogenannten einfachen Gleitzeit237 und der sogenannten qualifizierten Gleitzeit238 zu unterscheiden. Beiden gemeinsam ist, dass es eine Kernarbeitszeit und dieser vor- und nachgelagerte Gleitzeitspannen gibt.239 Innerhalb der Kernarbeitszeit möchte der Arbeitgeber über die Arbeitsleistung aller Arbeitnehmer verfügen,240 das heißt es besteht eine allgemeine Anwesenheits- beziehungsweise Arbeitspflicht.241 Innerhalb der Gleitzeitspannen hingegen können die Arbeitnehmer selber bestimmen, wann sie arbeiten – konkreter, wann sie mit der Arbeit beginnen und aufhören.242 Der Beginn und das Ende der Arbeitszeit müssen auch nicht täglich gleich sein; vielmehr kann der Arbeitnehmer seine Arbeit täglich zu einem anderen Zeitpunkt beginnen und beenden.243 Die Bandbreite, innerhalb derer die Gleitzeit frühestmöglich beginnen und spätestens enden darf, nennt sich Rahmenarbeitszeit.244 Im Vergleich zu einem starren Arbeitszeitsystem, in dem eine Anwesenheits- und Arbeitspflicht für alle Arbeitnehmer zum Beispiel von 8 – 17 Uhr gilt, bedeutet das also bei einem Gleitzeitsystem, dass es eine bestimmte Kernarbeitszeit gibt, zum Beispiel von 9 – 16 Uhr. In dieser Zeit müssen alle Arbeitnehmer arbeiten. Davor und danach befinden sich jeweils Gleitzeitspannen, zum Beispiel von 7 – 9 Uhr und von 16 – 18 Uhr. In diesen Zeiten können die Arbeitnehmer dann frei entscheiden, wann sie ihre Arbeit erbringen wollen.245
237
Auch als „gleitende Arbeitszeit ohne Zeitausgleich“ bezeichnet, vgl. Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 18; Kufer, AR-Blattei SD 240, 127. EL, Mai 2004, Rn. 100. 238 Auch „Gleitzeit mit Zeitausgleich“ genannt, vgl. Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 18; Heinze, NZA 1997, 681 (687); Kufer, AR-Blattei SD 240, 127. EL, Mai 2004, Rn. 101; auch die Bezeichnung „gleitende Arbeitszeit mit Zeitausgleich“ findet sich, vgl. Kroll, Arbeitszeitkonten, S. 30. 239 So auch Hamm, Flexible Arbeitszeiten, S. 93, der den Tag in drei Phasen unterteilt: die Kernzeit und zwei Gleitzeitphasen zu Beginn und Ende des Arbeitstages. 240 Schüren, AuR 1996, 381 (382). 241 BAuA, Flexible Arbeitszeitmodelle, S. 34; Biswas, Vertrauensarbeitszeit, S. 18; Ebert, ArbRB 2003, 24; Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 20; Hackh, Gleitende Arbeitszeit, S. 15; Hamm, Flexible Arbeitszeiten, S. 93; Kroll, Arbeitszeitkonten, S. 30; Schüren, AuR 1996, 381 (382); dabei wird teilweise konkret die Anwesenheit im Betrieb gefordert, vgl. Necati, in: Preis, Innovative Arbeitsformen, S. 200; das erscheint aber aufgrund der zunehmenden örtlichen Flexibilisierung der Arbeit nicht mehr zeitgemäß; stattdessen ist eine Anwesenheit am Arbeitsplatz – der nicht zwingend im Betrieb sein muss – zu fordern. 242 BAuA, Flexible Arbeitszeitmodelle, S. 34; Hamm, Flexible Arbeitszeiten, S. 93; Kroll, Arbeitszeitkonten, S. 30. 243 Hackh, Gleitende Arbeitszeit, S. 15. 244 BAuA, Flexible Arbeitszeitmodelle, S. 34; Necati, in: Preis, Innovative Arbeitsformen, S. 200. 245 Beispiele von Neumann, RdA 1971, 106.
C. Konsequenzen aus Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld
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Bei der einfachen Gleitzeit liegt die Dauer der täglichen Arbeitszeit fest; der Arbeitnehmer kann lediglich Beginn und Ende seiner Arbeit innerhalb der Gleitzeitspannen selbst bestimmen,246 solange er am Ende des Tages seine tägliche Arbeitszeit erbracht hat. Insofern bezieht sich die Zeitsouveränität des Arbeitnehmers bei der einfachen Gleitzeit lediglich auf die Lage der Arbeitszeit.247 Ist zusätzlich auch die Dauer der täglichen Arbeitszeit variabel, liegt die sogenannte qualifizierte Gleitzeit vor.248 Auf diese Weise kann die tägliche Arbeitszeit schwanken – Arbeitnehmer können außerhalb der Kernzeit ihre tägliche Arbeitszeit variieren und dadurch zusätzliche Arbeitszeit ansparen oder versäumte Arbeitszeit wieder ausgleichen.249 Teilweise wird bei der qualifizierten Gleitzeit sogar auf die Festlegung von Kernzeiten verzichtet. Dann handelt es sich um die sogenannte kernlose Gleitzeit.250 Bei dieser kann der Arbeitnehmer arbeiten, wann und wie lange er möchte, solange er die vereinbarte durchschnittliche Arbeitszeit einhält.251 Zum Teil setzt der Arbeitgeber hierbei einen Arbeitszeitrahmen, innerhalb dessen der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung erfüllen sollte,252 zum Teil ist der Arbeitnehmer ganz frei, wann er arbeitet, sodass er zum Beispiel auch nachts arbeiten kann. Voraussetzung für die qualifizierte Gleitzeit sind ein Zeiterfassungssystem253 und eine Vereinbarung über die Möglichkeiten der Arbeitnehmer zum Ansparen oder 246
Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 20; Hamm, Flexible Arbeitszeiten, S. 96; Necati, in: Preis, Innovative Arbeitsformen, S. 200. 247 Biswas, Vertrauensarbeitszeit, S. 19; Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 20; Hamm, Flexible Arbeitszeiten, S. 96; Linnenkohl/Rauschenberg/Gressierer u. a., Arbeitszeitflexibilisierung, S. 29, 55; Rauschenberg, Flexibilisierung, S. 29; Reichold, NZA 1998, 393 (395); Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 21. 248 Biswas, Vertrauensarbeitszeit, S. 19; Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 7, 20; Hölting, Flexible Arbeitszeitgestaltung, S. 106; Kroll, Arbeitszeitkonten, S. 30; Linnenkohl/Rauschenberg/Gressierer u. a., Arbeitszeitflexibilisierung, S. 29; Mente, Flexibilisierung, S. 68 f.; ErfK/Roloff, § 3 ArbZG, Rn. 14; Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 21. 249 Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 20; Kroll, Arbeitszeitkonten, S. 30; Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 21. 250 Vgl. hierzu genauer Biswas, Vertrauensarbeitszeit, S. 20; Schüren, AuR 1996, 381 (383), die dieses Modell als „Gleitzeit ohne feste Kernarbeitszeit“ bezeichnen; das ist insofern verwirrend, als dass der Begriff „Gleitzeit ohne feste Kernarbeitszeit“ von Necati, Arbeitszeitkonten, S. 32; dies., in: Preis, Innovative Arbeitsformen, S. 201 synonym zur qualifizierten Gleitzeit im Allgemeinen verwendet wird; richtigerweise ist die kernlose Gleitzeit jedoch ein Unterfall der qualifizierten Gleitzeit. 251 Necati, Arbeitszeitkonten, S. 33; Schüren, AuR 1996, 381 (383). 252 Biswas, Vertrauensarbeitszeit, S. 104; dabei existieren in der Praxis unterschiedlichste Ausformungen von sehr engen bis sehr weiten Arbeitszeitrahmen. 253 Hamm, Flexible Arbeitszeiten, S. 101; in diese Richtung auch Biswas, Vertrauensarbeitszeit, S. 18, die eine arbeitgeberseitige Arbeitszeiterfassung als „gemeinsames Kennzeichen aller Gleitzeitmodelle“ ausmacht, und Hahn, Flexible Arbeitszeit II, S. 72, die eine „permanente Erfassung der vom Arbeitnehmer tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten“ als erforderlich für flexible Arbeitszeitsysteme im Allgemeinen hält.
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Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
Ausgleich von Arbeitszeit.254 In der Praxis vorherrschend zur Erfüllung dieser Voraussetzungen sind Arbeitszeitkonten.255 Bei diesem gesetzlich nicht geregelten256 System handelt es sich um ein technisches Mittel zur Verwaltung ungleichmäßig verteilter Arbeitszeit.257 Arbeitszeitkonten kommen zum Einsatz, wenn die zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber vereinbarte Sollarbeitszeit ungleichmäßig auf einen vereinbarten Bezugszeitraum verteilt wird.258 Durch sie kann die ungleichmäßige Arbeitszeitverteilung nachvollzogen werden.259 Damit tragen Arbeitszeitkonten zur Flexibilisierung der Arbeitszeit bei und stellen so eine Voraussetzung für viele flexible Arbeitszeitmodelle dar,260 sind jedoch kein eigenes flexibles Arbeitszeitsystem.261 In Arbeitszeitkonten wird zum einen die vom Arbeitnehmer tatsächlich geleistete Arbeitszeit – auch als Istarbeitszeit bezeichnet –262 eingetragen.263 Allerdings erhält ein Arbeitnehmer in gewissen Fällen auch eine Zeitgutschrift für Zeiten, in denen er nicht gearbeitet hat – und zwar, wenn diese Zeiten der Nichtleistung aufgrund normativer oder einzelvertraglicher Regelungen ohne Verpflichtung zur Nachleistung zu vergüten sind. Denn in diesen Fällen gilt die Arbeitspflicht trotz Nichtleistung als erfüllt.264 Zudem können die Arbeitsvertragsparteien vereinbaren, dass 254 Siehe auch Richter, ArbRAktuell 2018, 241, der eine Verrechnung von Arbeitsstunden ohne entsprechende Vereinbarung für unzulässig hält. 255 So auch Hartmann, FS Singer, S. 245 (256); möglich wären auch Geldwertkonten, bei denen Zeitguthaben und -rückstände in Geldbeträgen ausgedrückt werden, vgl. hierzu genauer Ebert, ArbRB 2003, 24; Palenberg, Arbeitszeitflexibilisierung, S. 24; Reß, Lohn + Gehalt 1997, 15; Richter, ArbRAktuell 2018, 241 (242); Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 22; ders., in: Schaub, § 160, Rn. 37. 256 Vgl. Hahn, Flexible Arbeitszeit II, S. 73; Kroll, Arbeitszeitkonten, S. 44; neuerdings enthält allerdings § 2 Abs. 2 MiLoG eine gesetzliche Regelung bezüglich Arbeitszeitkonten, damit die Zahlung des Mindestlohns nicht durch die Einrichtung solcher Konten umgangen wird, vgl. hierzu genauer Bonanni/Hahne, ArbRB 2014, 343 ff.; Poeche, in: Küttner, Stichwort: Arbeitszeitmodelle, Rn. 4; Richter, ArbRAktuell 2018, 241 (242). 257 Fergen, in: HdB MTV, S. 171; Kroll, Arbeitszeitkonten, S. 38; Seifert, WSI Mitteilungen 2001, 84. 258 Kroll, Arbeitszeitkonten, S. 26. 259 Kroll, Arbeitszeitkonten, S. 38. 260 BAuA, Flexible Arbeitszeitmodelle, S. 21; Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 7; Kroll, Arbeitszeitkonten, S. 38; Rolfs/Witschen/Veit u. a., Arbeitszeitkonten, S. 95. 261 Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 7; Kroll, Arbeitszeitkonten, S. 38; in diese Richtung aber Biswas, Vertrauensarbeitszeit, S. 22; BMAS, Lohn + Gehalt 1997, 31; Compensis, NJW 2007, 3089; Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 29; Hellert, Arbeitszeitmodelle, S. 15; Palenberg, Arbeitszeitflexibilisierung, S. 5. 262 Vgl. Poeche, in: Küttner, Stichwort: Arbeitszeitmodelle, Rn. 3. 263 BAG, Urt. v. 19. 03. 2008 – 5 AZR 328/07, AP BGB § 611 Feiertagsvergütung Nr. 1 (Rn. 10); Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 23. 264 BAG, Urt. v. 19. 03. 2008 – 5 AZR 328/07, AP BGB § 611 Feiertagsvergütung Nr. 1 (Rn. 10); Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 23; lediglich in Bezug auf krankheitsbedingte Ausfälle i. S. d. EFZG Gerhartsreiter, Arbeitszeitkonten, S. 282.
C. Konsequenzen aus Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld
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Zeiten mit Arbeitsleistungen von geringerer Intensität wie zum Beispiel Bereitschaftszeiten265 mit einem niedrigeren Wert in das Konto eingestellt werden, als es dem eigentlichen zeitlichen Umfang entspricht. Umgekehrt können aber auch Arbeitsleistungen wie zum Beispiel Nachtarbeit oder Arbeit an Sonn- oder Feiertagen höher bewertet werden.266 In diesen Fällen bildet der Wert auf dem Arbeitszeitkonto den Umfang der tatsächlich geleisteten Arbeit nicht exakt ab, sondern stellt nur eine abstrakte Recheneinheit dar.267 Zum anderen wird die Sollarbeitszeit in dem Arbeitszeitkonto vermerkt, das heißt die Arbeitsmenge, die ein Arbeitnehmer aufgrund der Vereinbarung zwischen den Arbeitsvertragsparteien während eines bestimmten Abrechnungszeitraums zu leisten hat.268 Aus dieser Sollarbeitszeit errechnet sich dann auch die Entgeltzahlung für den entsprechenden Abrechnungszeitraum, die verstetigt erfolgt.269 Durch das Eintragen der Arbeitszeiten kann sodann die Differenz zwischen der tatsächlich geleisteten – oder präziser: der unter Anwendung der oben aufgeführten Ausnahmen als tatsächlich geleistet geltenden – Arbeitszeit und der vertraglich geschuldeten Sollarbeitszeit festgestellt werden.270 Diese Differenz weist – je nach Stand – Vorleistungen der einen oder der anderen Seite aus.271 Letztlich ist das System der Zeitkontenführung also ein an das System der Buchführung angelehntes Verfahren.272 Erbringt ein Arbeitnehmer Arbeitsleistungen, die über die vertraglich geschuldete Sollarbeitszeit hinausgeht, erlangt er ein Zeitguthaben auf dem Arbeitszeitkonto.273 Dieses Guthaben kann – je nach Vereinbarung – entweder durch Freizeit oder durch Auszahlung ausgeglichen werden.274 Durch solche Zeitguthaben wird dem Arbeit-
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Vgl. hierzu ausführlich oben, Kapitel 2, A. III. 3. BAG, Urt. v. 19. 03. 2008 – 5 AZR 328/07, AP BGB § 611 Feiertagsvergütung Nr. 1 (Rn. 10); MüKo-BGB/Spinner, § 611a BGB, Rn. 973; Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 23. 267 Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 23. 268 Gerhartsreiter, Arbeitszeitkonten, S. 14; Richter, ArbRAktuell 2018, 241 (242). 269 Poeche, in: Küttner, Stichwort: Arbeitszeitmodelle, Rn. 3; Richter, ArbRAktuell 2018, 241 (242); Schüren, in: MHA, § 44, Rn. 15; Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 23; ders., in: Schaub, § 160, Rn. 38. 270 BAG, Urt. v. 19. 03. 2008 – 5 AZR 328/07, AP BGB § 611 Feiertagsvergütung Nr. 1 (Rn. 10); Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 7; Gerhartsreiter, Arbeitszeitkonten, S. 14; Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 29; Schüren, in: MHA, § 44, Rn. 15. 271 BAG, Urt. v. 15. 05. 2013 – 10 AZR 325/12, AP BGB § 611 Arbeitszeit Nr. 42 (Rn. 38); Urt. v. 19. 09. 2018 – 10 AZR 496/17, AP BGB § 611 Arbeitszeit Nr. 52 (Rn. 21); Poeche, in: Küttner, Stichwort: Arbeitszeitmodelle, Rn. 3. 272 Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 29; Seifert, WSI Mitteilungen 2001, 84. 273 Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 7; Richter, ArbRAktuell 2018, 241 (242). 274 Hahn, Flexible Arbeitszeit I, S. 78; dies., Flexible Arbeitszeit II, S. 72 f.; Richter, ArbRAktuell 2018, 241 (242); Schüren, MHA, § 44, Rn. 15. 266
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Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
geber ein Kredit gewährt.275 Erbringt ein Arbeitnehmer weniger Arbeitsleistung, als er schuldet, entsteht ein Zeitsaldo auf dem Arbeitszeitkonto.276 Hier wird dann dem Arbeitnehmer ein Kredit gewährt.277 Zum Ausgleich der Salden aus dem Arbeitszeitkonto können die Arbeitsvertragsparteien bestimmte Zeiträume festlegen,278 an dessen Ende das Arbeitszeitkonto dann weder einen positiven noch einen negativen Saldo aufweisen sollte. Je nach Länge des Ausgleichszeitraums können Kurzzeit- und Langzeitkonten unterschieden werden.279 Dabei spricht man von einem Kurzzeitkonto, wenn der Ausgleich innerhalb relativ kurzer Zeit, in der Regel innerhalb eines Jahres, erfolgen soll. Hingegen ist bei Langzeitkonten der Ausgleichszeitraum länger als ein Jahr.280 Teilweise werden sogar sogenannte Lebensarbeitszeitkonten geführt, die dann längerfristige Freistellungen bei gleichbleibender Vergütung wie Sabbaticals ermöglichen.281 bb) Arbeitszeitsouveränität bei der Gleitzeit Bei der Gleitzeit handelt es sich um eine Arbeitszeitform, die Arbeitnehmern insoweit eine gewisse Zeitsouveränität einräumt, als dass diese innerhalb bestimmter Grenzen entweder nur die Lage oder Lage und Dauer der täglichen Arbeitszeit selbst bestimmen können.282 Dabei erhalten die Arbeitnehmer Arbeitszeitsouveränität nur während der Gleitzeitspannen, während der Kernarbeitszeit besteht vergleichbar mit einem starren Arbeitszeitsystem eine fixe Arbeitspflicht, sodass die Arbeitnehmer hier nicht eigenständig über ihre Arbeitszeit verfügen können. 275 Hahn, Flexible Arbeitszeit I, S. 77; dies., Flexible Arbeitszeit II, S. 72; Märkle/Petri, AuR 2000, 443 (445); vgl. auch BAuA, Flexible Arbeitszeitmodelle, S. 23; hier wird auch auf die damit für den Arbeitnehmer verbundenen Risiken im Falle einer Insolvenz seines Arbeitgebers hingewiesen. 276 BAuA, Flexible Arbeitszeitmodelle, S. 21; Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 7, Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 28. 277 So auch BAG, Urt. v. 13. 12. 2000 – 5 AZR 334/99, AP BGB § 394 Nr. 31 (unter II. 2. b) der Gründe); Urt. v. 26. 01. 2011 – 5 AZR 819/09, BAGE 137, 38 (42); Poeche, in: Küttner, Stichwort: Arbeitszeitmodelle, Rn. 3 und MüKo-BGB/Spinner, § 611a BGB, Rn. 977, die in einem negativen Guthaben des Arbeitnehmers einen Vorschuss des Arbeitgebers sehen. 278 Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 7. 279 Ebert, ArbRB 2003, 24; Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 23. 280 BAuA, Flexible Arbeitszeitmodelle, S. 21; Richter, ArbRAktuell 2018, 241 (242); letztlich auch Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 7 f. die jedoch Jahresarbeitszeitmodelle einerseits und Ansparkonten andererseits unterscheidet. 281 BAuA, Flexible Arbeitszeitmodelle, S. 21; Ebert, ArbRB 2003, 24 f.; Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 7 f.; Pletke/Schrader/Siebert u. a., Flexible Arbeit, B., Rn. 714; Reß, Lohn + Gehalt 1997, 15 (16); Richter, ArbRAktuell 2018, 241 (242); Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 23. 282 Kroll, Arbeitszeitkonten, S. 29; Mente, Flexibilisierung, S. 68; Necati, in: Preis, Innovative Arbeitsformen, S. 199; ErfK/Roloff, § 3 ArbZG, Rn. 14; vgl. auch Schüren, der insoweit von einer „begrenzte[n] Selbstbestimmung der Arbeitszeitverteilung im vorstrukturierten Rahmen“ spricht.
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Allerdings bedeutet Arbeitszeitsouveränität nicht zwangsläufig, dass die Arbeitszeitgestaltung ausschließlich den Interessen des Arbeitnehmers entspricht.283 Vielmehr unterliegt auch der Arbeitnehmer bei der Bestimmung der Arbeitszeitlage Einschränkungen. In welchem Maße den Arbeitnehmern Arbeitszeitsouveränität während der Gleitzeitspannen eingeräumt wird, ist davon abhängig, ob den Arbeitnehmern das Leistungsbestimmungsrecht des Arbeitgebers hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit übertragen wird. Liegt eine Übertragung des Leistungsbestimmungsrechts hinsichtlich der Arbeitszeitlage auf den Arbeitnehmer vor, unterliegt der Arbeitnehmer gemäß § 315 BGB den gleichen Bindungen wie ein Arbeitgeber, der das ihm gemäß § 106 GewO eingeräumte Direktionsrecht hinsichtlich der Arbeitszeitverteilung ausübt. Hingegen ist § 106 GewO nicht einschlägig, da dieser ausweislich seines Wortlauts nur für Arbeitgeber gilt.284 In den Fällen, in denen keine Übertragung des Leistungsbestimmungsrechts auf den Arbeitnehmer vorliegt, ist dieser lediglich an die Grundsätze von Treu und Glauben gebunden. Für die Frage, ob dem Arbeitnehmer das Leistungsbestimmungsrecht übertragen ist, ist entscheidend, ob es sich um ein Gleitzeitmodell mit Kernarbeitszeit oder um ein solches ohne Kernarbeitszeit handelt. Bei Gleitzeitmodellen mit Kernarbeitszeit hat der Arbeitgeber bereits die tatsächliche Lage der Arbeitszeit durch die Festlegung der Kernarbeitszeit und Gleitzeitspannen konkretisiert. Dadurch hat er seine Befugnis zur Leistungsbestimmung ausgeübt und „verbraucht“, sodass eine Übertragung des Leistungsbestimmungsrechts auf den Arbeitnehmer nicht mehr möglich ist.285 Den billigen Interessenausgleich im Sinne von § 315 BGB (beziehungsweise im Fall des Arbeitgebers im Sinne von § 106 GewO) nimmt hier nicht der Arbeitnehmer bei der konkreten Festlegung seiner Arbeitszeitlage vor. Vielmehr ist dieser Interessenausgleich bereits eine Stufe höher, nämlich bei der Gleitzeitregelung selbst, die die Kernarbeitszeit und die Gleitzeitspannen festlegt, erfolgt.286 Somit liegt in der eigenständigen Festlegung von Anfangs- und Endpunkt der Arbeitszeit durch den Arbeitnehmer keine Leistungsbestimmung im Sinne von § 315 BGB, sondern die schlichte Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten.287 283
Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 44; siehe auch Reichold, NZA 1998, 393 (396), der betont, dass Zeitsouveränität nicht mit „Willkür bei der Zeiteinteilung“ gleichzusetzen sei. 284 Vgl. Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 46; Schüren, in: MHA, § 44, Rn. 33; § 47, Rn. 11; missverständlich insoweit Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 31; Necati, Arbeitszeitkonten, S. 34. 285 Schüren, in: MHA, § 44, Rn. 31; § 47, Rn. 12; so auch Biswas, Vertrauensarbeitszeit, S. 104 und Reichold, NZA 1998, 393 (398), die jeweils keinen Raum mehr für eine Anwendung von § 315 BGB durch den Arbeitnehmer sehen. 286 Biswas, Vertrauensarbeitszeit, S. 104; Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 42; Hellfeier, Leistungszeit, S. 66; Reichold, NZA 1998, 393 (398); Schüren, AuR 1996, 381 (382). 287 Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 42; Hellfeier, Leistungszeit, S. 66; Schüren, AuR 1996, 381 (382); ders., in: MHA, § 47, Rn. 13 ff.; zustimmend Reichold, NZA 1998, 393
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Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
Daher ist der Arbeitnehmer bei Gleitzeitmodellen mit Kernarbeitszeit nicht an § 315 BGB gebunden. Gleichwohl kann er seine Arbeitszeit nicht uneingeschränkt nach seinen eigenen Interessen bestimmen. Er unterliegt nämlich weiterhin der Bindung an Treu und Glauben, § 242 BGB. Dadurch allein ist der Arbeitnehmer zwar noch nicht angehalten, seine Arbeitszeitplanung nach dem betrieblichen Bedarf auszurichten. Treten allerdings besondere Umstände hinzu, kann ein Verstoß gegen Treu und Glauben vorliegen, wenn der Arbeitnehmer die ihm eingeräumte Freiheit nutzt.288 Zur Bestimmung des Maßstabs, wann ein solcher Verstoß gegen Treu und Glauben vorliegt, kann ein Vergleich zu einem Arbeitsverhältnis mit starren Arbeitszeiten hilfreich sein. Wäre dort ein Arbeitnehmer verpflichtet, den Rahmen seiner starren Arbeitszeiten zu überschreiten,289 muss er wohl auch in einem Arbeitsverhältnis mit flexiblen Arbeitszeiten seiner Arbeitspflicht nachkommen.290 Zusätzlich kann in Arbeitsverträgen oder Betriebsvereinbarungen die Berücksichtigung betrieblicher Belange bei der arbeitnehmerseitigen Festlegung von Beginn und Ende der Arbeitszeit während der Gleitzeitspannen bestimmt werden.291 Hingegen ist bei Gleitzeitmodellen ohne Kernarbeitszeit das Leistungsbestimmungsrecht hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit vom Arbeitgeber auf den Arbeitnehmer übertragen. Hier ist die Festlegung des Arbeitszeitrahmens nicht mit der Festlegung der Kernarbeitszeit durch den Arbeitgeber bei der Gleitzeit mit Kernarbeitszeit vergleichbar. Der Arbeitszeitrahmen stellt keine vollständige Regelung dar, die die beiderseitigen Interessen der Vertragspartner berücksichtigt und ausgleicht.292 Daher hat der Arbeitgeber durch die Vorgabe des Arbeitszeitrahmens noch nicht sein Leistungsbestimmungsrecht ausgeübt. Vielmehr wird dieses hier auf den Arbeitnehmer übertragen. Somit hat der Arbeitnehmer bei Gleitzeitmodellen ohne Kernarbeitszeit die Grenzen des § 315 BGB bei der Festlegung der Lage seiner Arbeitszeit zu beachten. Daher hat er die betrieblichen Belange und die Ordnung des Betriebes zu berücksichtigen. Die Realisierung seiner Freizeitwünsche ist dem Arbeitnehmer infolge(398), nach dem eine Arbeitsleistung während der Gleitzeitspannen „schlichte Leistungserbringung“ ist; a. A. Wisskirchen/Bissels, NZA-Beil. 2006, 24 (33); unklar insoweit Kocher, NZA 2010, 841 (843), der § 315 BGB für anwendbar erklärt, dabei aber nicht zwischen Gleitzeit mit Kernarbeitszeit und Gleitzeit ohne Kernarbeitszeit differenziert. 288 Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 42; Schüren, AuR 1996, 381 (382 f.); ders., in: MHA, § 47, Rn. 18. 289 Vgl. hierzu unten, Kapitel 4, A. III. 2. a). 290 Vgl. Schüren, AuR 1996, 381 (382 f.); ders., in: MHA, § 47, Rn. 19 f.; dieser gibt auch ein Beispiel für solche besonderen Umstände: so sei es „vermutlich“ treuwidrig, wenn ein Arbeitnehmer erst um 9 Uhr kommt, obwohl er weiß, dass er und seine Arbeitskraft wegen eines besonderen Anlasses bereits um 8 Uhr dringend gebraucht werde. 291 Schüren, in: MHA, § 47, Rn. 18; vgl. auch Litschen, ZTR 2012, 423 (424), der von Ausnahmetatbeständen spricht, die die Arbeitszeitsouveränität des Mitarbeiters einschränken können. 292 Biswas, Vertrauensarbeitszeit, S. 105; Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 42; Schüren, AuR 1996, 381 (384).
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dessen nur dann möglich, wenn keine erheblichen betrieblichen Belange beeinträchtigt werden.293 Die Arbeitszeit ist letztlich so einzuteilen, wie es ein vernünftiger Arbeitgeber täte, der sein Direktionsrecht ausübt.294 cc) Auswirkungen der Gleitzeit auf den Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung Hinsichtlich der Auswirkungen, die die Gleitzeit auf den Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung haben könnte, ist zwischen der Gleitzeit mit Kernarbeitszeit und der kernlosen Gleitzeit zu differenzieren. (1) Gleitzeit mit Kernarbeitszeit Bei der Gleitzeit mit Kernarbeitszeit erhalten die Arbeitnehmer Arbeitszeitsouveränität nur während der Gleitzeitspannen, während der Kernarbeitszeit besteht vergleichbar mit einem starren Arbeitszeitsystem eine fixe Arbeitspflicht. Daher ist die Situation innerhalb der Kernarbeitszeit hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf den Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung getrennt von der Situation innerhalb der Gleitzeitspannen zu bewerten. (a) Situation innerhalb der Kernarbeitszeit Innerhalb der Kernarbeitszeit bleibt es bei dem Vorliegen von fixen Arbeitszeiten, sodass die Arbeitnehmer hier nicht eigenständig über ihre Arbeitszeit verfügen können. Insoweit entspricht die Situation der Kernarbeitszeit innerhalb von flexiblen Arbeitszeitmodellen derjenigen von starren Arbeitsverhältnissen. Erscheint der Arbeitnehmer während der Kernarbeitszeit nicht zur Arbeit, verletzt er daher die arbeitsvertragliche Pflicht zur Arbeitsleistung, sodass eine Nichtleistung der Arbeit vorliegt. Hinsichtlich des Fixschuldcharakters der Arbeitsschuld innerhalb der Kernarbeitszeit ist sodann nach der Bedeutung der Leistungszeit zu fragen – es kommt also entscheidend darauf an, ob die versäumte Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nachholbar ist.295 Fraglich ist, ob auch diesbezüglich die Arbeitsschuld innerhalb der Kernarbeitszeit mit der Arbeitsschuld in starren Arbeitsverhältnissen vergleichbar ist, die grundsätzlich als nachholbar und somit als relative Fixschuld einzuordnen ist, 293
Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 46; Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 43; Necati, Arbeitszeitkonten, S. 34; Reichold, NZA 1998, 393 (396); Schüren, AuR 1996, 381 (384); ders., FS Gitter, S. 901 (906); so stehen die betrieblichen Belange beispielsweise einer Handhabung der Vertrauensarbeitszeit in der Weise, dass bei einer Kreissparkasse der Arbeitnehmer seinen Arbeitsbeginn auf 6 Uhr statt 9 Uhr legt, um so vor dem morgendlichen Kundenansturm „Stunden ansammeln“ und vor dem nachmittäglichen Kundenansturm Feierabend machen zu können, entgegen; Beispiel von Biswas, Vertrauensarbeitszeit, S. 105 f. 294 Biswas, Vertrauensarbeitszeit, S. 105; Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 46; Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 43; Schüren, AuR 1996, 381 (384). 295 Vgl. genauer oben, Kapitel 3, A. IV.
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Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
solange keine Ausnahmetatbestände vorliegen.296 Das wäre der Fall, wenn es sich bei der Bestimmung der Kernarbeitszeit um eine gewöhnliche Bestimmung der Arbeitszeit handelt. Hieran könnte man zweifeln, da die explizite Bestimmung einer Kernarbeitszeit einerseits, die mit einer Arbeitspflicht der Arbeitnehmer verbunden ist, und Gleitzeitspannen andererseits, in denen Arbeitnehmer frei entscheiden können, wann und wie lange sie arbeiten, auf ein verstärktes Interesse des Arbeitgebers an der Einhaltung der vorgegebenen Arbeitszeit während der Kernarbeitszeit hindeuten könnte.297 Insoweit könnte also durch die Bestimmung der Kernarbeitszeit und der Gleitzeitspannen eine konkludente Abbedingung der Nachleistungspflicht des Arbeitnehmers gegeben sein – mit der Folge, dass eine absolute Fixschuld anzunehmen wäre. Andererseits könnte der Arbeitgeber gerade durch die Bestimmung von Gleitzeitspannen neben der Kernarbeitszeit zum Ausdruck bringen, dass ihm die Einhaltung der vorgegebenen Arbeitszeit weniger wichtig ist, sondern es ihm hauptsächlich auf die Erfüllung der Arbeitspflicht ankommt.298 Es ist also festzustellen, dass die Interessenlage des Arbeitgebers bei der Bestimmung der Kernarbeitszeit nicht stets gleich zu beurteilen ist, sondern erheblich von den Umständen des konkreten Arbeitsverhältnisses abhängt. Insofern fehlt es an einer typischen Interessenlage, die eine konkludente Abbedingung der Nachleistungspflicht begründen könnte. Selbstverständlich bleibt es den Arbeitsvertragsparteien auch hier unbenommen, ausdrücklich eine absolute Fixschuld zu vereinbaren. Solange das aber nicht der Fall ist, ist die Arbeitsschuld innerhalb der Kernarbeitszeit in der Regel als relative Fixschuld zu charakterisieren. (b) Situation innerhalb der Gleitzeitspannen Anders stellt sich die Situation innerhalb der Gleitzeitspannen dar. Hier kann der Arbeitnehmer – unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben – selbst entscheiden, wann und wie lange er arbeitet. Erscheint ein Arbeitnehmer während der Gleitzeitspannen zur Arbeit, konkretisiert er damit seine Arbeitspflicht und den Zeitraum, in dem er sie erfüllt. Erscheint er allerdings nicht, kann und darf hieraus nicht sofort auf eine Leistungsstörung in Form der Nichtleistung des Arbeitnehmers geschlossen werden. Vielmehr besteht zu diesem Zeitpunkt mangels verbindlicher Vorgaben über die Lage der Arbeitszeit überhaupt keine zeitlich fixierte Pflicht des Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung.299 Somit verletzt der Arbeit296
Vgl. oben, Kapitel 3, C. I. 1. Vgl. hierzu Hellfeier, Leistungszeit, S. 67. 298 Vgl. hierzu Hellfeier, Leistungszeit, S. 66. 299 Hellfeier, Leistungszeit, S. 66; Moll, RdA 1980, 138 (154); Reichold, in: MHA, § 43, Rn. 9; Sommer, Nichterfüllung, S. 189; auch Reichold, NZA 1998, 393 (398) kann so verstanden werden, indem er feststellt, dass die Arbeitspflicht für die Gleitzeit aufgehoben sei. 297
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nehmer durch Nichtarbeit in den Gleitzeitspannen zunächst keine arbeitsvertragliche Pflicht – es liegt keine Leistungsstörung in Form der Nichtleistung vor.300 Mangels Nichtleistung stellt sich dann die Frage nach der Nachholbarkeit der Arbeitsleistung beziehungsweise nach dem Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung gar nicht.301 Insofern sollte in diesem Zusammenhang der Begriff der Nachholung von Arbeit vermieden werden, wenn der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung zu einem späteren Zeitpunkt innerhalb des Ausgleichszeitraums erbringt. Der Begriff des Nachholens impliziert nämlich, dass der Arbeitnehmer die Leistung zu einem früheren Zeitpunkt hätte erbringen müssen.302 Eine solche Pflicht besteht aber wie dargelegt innerhalb der Gleitzeitspannen aufgrund der Arbeitszeitsouveränität des Arbeitnehmers nicht. Es ist allerdings auch die Situation in den Blick zu nehmen, in der das Arbeitszeitkonto am Ende des vereinbarten Ausgleichszeitraums beziehungsweise bei Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis, falls das vor Ende des vereinbarten Ausgleichszeitraums erfolgt, einen negativen Saldo aufweist. Dann nämlich steht fest, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung nicht vollständig erbracht hat, sodass eine Nichtleistung gegeben ist. Bei der einfachen Gleitzeit endet der maßgebliche Ausgleichszeitraum bereits am Ende jedes Tages. Mangels arbeitnehmerseitiger Flexibilität hinsichtlich der täglichen Arbeitszeitdauer kann der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung hier nämlich nicht mehr am nächsten Tag erbringen. Hat ein Arbeitnehmer bei der einfachen Gleitzeit am Ende des Tages nicht die vereinbarte tägliche Arbeitszeit erbracht, liegt eine Leistungsstörung in Form der Nichtleistung des Arbeitnehmers vor. Zur Bestimmung des Fixschuldcharakters der Arbeitsleistung in dieser Situation ist nach der Bedeutung der Leistungszeit beziehungsweise nach der Nachholbarkeit der Arbeitsleistung zu fragen. Als Indiz für eine absolute Fixschuld könnte es gesehen werden, dass sich der Arbeitgeber anstatt für eine qualifizierte Gleitzeit, bei der auch die Dauer der Arbeitszeit variabel ist, für eine einfache Gleitzeit entschieden hat, bei der nur die Lage der Arbeitszeit innerhalb eines Tages variabel ist. Dadurch hat er eine erhöhte Bedeutung der Leistungszeit zum Ausdruck gebracht. Allerdings ist die Bedeutung der Leistungszeit noch nicht als so hoch anzusehen, dass eine Nachholung in den darauffolgenden Tagen ausgeschlossen ist. Denn gerade aufgrund der Bestimmung von Gleitzeitspannen ist davon auszugehen, dass dem Arbeitgeber die feste Einhaltung von Arbeitszeit nicht so wichtig ist, als dass die Arbeitsleistung später nicht mehr nachholbar ist. In der Wahl der einfachen Gleitzeit und der 300
Gitter/Michalski/Frotscher, ArbR, S. 73; Sommer, Nichterfüllung, S. 189. In diese Richtung auch Latzel, AcP 2021, 881 (890), der feststellt, dass die Freiheit der Zeiteinteilung für die Fixschuldfrage unerheblich sei; siehe auch Hromadka/Maschmann, ArbR I, S. 326, die zu Recht feststellen, dass sich bei Gleitzeit die Frage von Unmöglichkeit oder Verzug gar nicht stelle, solange sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber innerhalb des vereinbarten Zeitrahmens hielten. 302 Biswas, Vertrauensarbeitszeit, S. 107; Sommer, Nichterfüllung, S. 266. 301
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Bestimmung der Gleitzeitspannen liegt also nur eine gewöhnliche Bestimmung der Arbeitszeiten, sodass auch hier von einer relativen Fixschuld auszugehen ist. Bei der qualifizierten Gleitzeit ist der vereinbarte Ausgleichszeitraum länger als ein Tag. Erst wenn das Arbeitszeitkonto am Ende dieses Ausgleichszeitraums beziehungsweise bei einem vorherigen Ausscheiden des Arbeitnehmers am Ende des Arbeitsverhältnisses einen negativen Saldo aufweist, steht fest, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung nicht mehr erbringen kann, sodass eine Nichtleistung des Arbeitnehmers vorliegt. Mit dem Vorliegen einer Nichtleistung des Arbeitnehmers bei einem negativen Saldo ist aber noch nichts über die Zeitabhängigkeit der Arbeitsschuld in diesen Fällen ausgesagt.303 Diese ist weiterhin über die Frage der Nachholbarkeit zu bestimmen. Unabhängig von ihrem Nachleistungsinteresse können die Arbeitsvertragsparteien vereinbaren, dass die innerhalb eines Ausgleichszeitraums geschuldete Arbeit spätestens an dessen Ende vollständig geleistet sein muss und danach unmöglich ist.304 In diesen Fällen ist die Nachholbarkeit der Arbeitsleistung zu verneinen und die Arbeitsschuld als absolute Fixschuld einzuordnen. Andererseits sind auch (kollektiv- oder arbeitsvertragliche) Vereinbarungen denkbar, in denen explizit eine Nachholung auch nach dem Ende des Ausgleichszeitraums vorgesehen wird oder eine Partei wählen kann, ob ein negativer Saldo nach dem Ende des Ausgleichszeitraums nachzuarbeiten ist oder einen Vergütungsabschlag – beziehungsweise im Falle der Vorausvergütung eine Rückzahlung der Vergütung – zur Folge hat. Eine solche Vereinbarung ist dahingehend auszulegen, dass die Parteien die Arbeitsleistung als relative Fixschuld ansehen.305 Fehlen solche Vereinbarungen, ist zu fragen, ob der Arbeitgeber mit Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers außerhalb des Ausgleichszeitraums noch etwas anfangen kann. Dabei ist die Bestimmung des Ausgleichszeitraums durch den Arbeitgeber so auszulegen, dass dieser dadurch eine erhöhte Bedeutung der Leistungszeit zum Ausdruck bringen wollte – dem Arbeitgeber ist es wichtig, dass der Arbeitnehmer grundsätzlich innerhalb dieses Ausgleichszeitraums seine geschuldete Arbeitsleistung vollständig erbringt. Allerdings kann die Bestimmung des Ausgleichszeitraums nicht dahingehend interpretiert werden, dass die Arbeitsleistung nur innerhalb dieses Ausgleichszeitraums erbracht werden kann, sodass sie danach nicht mehr nachholbar ist. Vielmehr handelt es sich um eine gewöhnliche Bestimmung der Leistungszeit. Mithin ist auch in diesen Konstellationen die Arbeitsleistung grundsätzlich als relative Fixschuld einzuordnen. Etwas anderes gilt jedoch, wenn der negative Saldo bei einem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis vor dem Ende des vereinbarten Ausgleichszeitraums besteht. Aufgrund des Ausscheides des Arbeitnehmers besteht 303
So auch Latzel, AcP 2021, 881 (899). Vgl. hierzu Latzel, AcP 2021, 881 (900). 305 Vgl. hierzu Latzel, AcP 2021, 881 (899 f.). 304
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dann nämlich schon gar kein Arbeitsverhältnis mehr, in dessen Rahmen der Arbeitnehmer die versäumte Arbeitsleistung nachholen könnte. Hier ist demnach die Nachholbarkeit der Arbeitsleistung zu verneinen und eine absolute Fixschuld anzunehmen. Zuletzt liegt eine Nichtleistung vor, wenn der Arbeitnehmer das maximal zulässige Defizit des Arbeitszeitkontos überschreitet. Auch hier können explizite (kollektiv- oder arbeitsvertragliche) Regelungen bestehen, nach denen eine Nachholung dieser Arbeitszeiten ausgeschlossen ist.306 Fehlt es an solchen Regelungen, ist bei der Frage nach der Nachholbarkeit zu berücksichtigen, dass auch Arbeitsversäumnisse über das maximal zulässige Defizit hinaus durch vermehrte Arbeit in der Folgezeit problemlos ausgeglichen werden können, sodass auch hier lediglich eine relative Fixschuld anzunehmen ist. (2) Kernlose Gleitzeit Bei der kernlosen Gleitzeit ist die Einteilung der Arbeitszeit vollständig in den Verantwortungsbereich des Arbeitnehmers übertragen. Der Arbeitnehmer kann Beginn und Ende seiner Arbeitszeit – unter Berücksichtigung von § 315 BGB – selbst konkretisieren. Es gibt daher keine festen Zeiträume mehr, in denen der Arbeitnehmer zur Arbeit verpflichtet ist.307 Demnach entspricht die Situation derjenigen der Gleitzeitspannen bei der Gleitzeit mit Kernarbeitszeit. Grundsätzlich liegt bei Nichtarbeit des Arbeitnehmers keine Nichtleistung vor. Eine solche ist erst anzunehmen, wenn das Arbeitszeitkonto am Ende des Ausgleichszeitraums beziehungsweise bei einem vorherigen Ausscheiden des Arbeitnehmers am Ende des Arbeitsverhältnisses einen negativen Saldo aufweist beziehungsweise wenn das maximal zulässige Defizit des Arbeitszeitkontos überschritten ist. In diesen Fällen kann eine (arbeits- oder betriebs-)vertragliche Vereinbarung vorsehen, dass dann eine absolute Fixschuld gegeben ist. Anderenfalls liegt auch hier eine relative Fixschuld vor.
306 Ein Beispiel hierzu findet sich bei Schrader, in: ArbRFV-HdB, B. Kollektivarbeitsrecht, Rn. 181, § 6 Abs. 4: „Wird der Gleitzeitsaldo um mehr als zehn Stunden unterschritten, so wird die zehn Stunden übersteigende Zahl als Fehlzeit gerechnet und die entsprechende Vergütung abgezogen.“; siehe hierzu auch Hellfeier, Leistungszeit, S. 67, der in dieser Regelung eine Vereinbarung sieht, dass eine Nachholung der Arbeitsleistung nicht in Betracht komme; a. A. zu diesem Beispiel Sommer, Nichterfüllung, S. 189, Rn. 776, der hierin lediglich einen Hinweis auf § 320 BGB erblickt. 307 Vgl. genauer bereits oben, Kapitel 3, C. I. 2. b) bb).
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c) Vertrauensarbeitszeit Auch die Vertrauensarbeitszeit308 ist ein flexibles Arbeitszeitmodell, durch das dem Arbeitnehmer Arbeitszeitsouveränität eingeräumt wird. Manche Stimmen ordnen die Vertrauensarbeitszeit wegen der hier stark ausgeprägten Arbeitszeitsouveränität sogar als das weitest gehende Modell flexibler Arbeitszeit ein.309 aa) Definition der Vertrauensarbeitszeit Bei der Vertrauensarbeitszeit vertraut der Arbeitgeber darauf, dass der Arbeitnehmer auch ohne durchgängige arbeitgeberseitige Erfassung beziehungsweise Kontrolle der Arbeitszeit seine vertraglich vereinbarte Arbeitsleistung erbringt, wobei hinsichtlich der Erfüllung der Arbeitsleistung dem Arbeitsergebnis anstelle der bloßen Präsenz des Arbeitnehmers eine größere Bedeutung zukommt. Vertrauensarbeitszeit zeichnet sich also durch drei Elemente aus: die eigenverantwortliche Bestimmung der Arbeitszeit durch den Arbeitnehmer, den arbeitgeberseitigen Verzicht auf die Arbeitszeiterfassung und den Abschied von der Präsenzkultur. (1) Eigenverantwortliche Bestimmung der Arbeitszeit durch den Arbeitnehmer Vertrauensarbeitszeit zeichnet sich dadurch aus, dass der Arbeitnehmer eine noch weitergehende Eigenverantwortung hinsichtlich der Festlegung seiner Arbeitszeit erlangt als bei den Gleitzeitmodellen mit Kernarbeitszeit.310 Bei der Vertrauensarbeitszeit verzichtet der Arbeitgeber auf formale Arbeitszeitregelungen.311 Er gibt weder Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit vor noch legt er eine Kernarbeitszeit fest.312 Stattdessen wird die Einteilung der Arbeitszeit vollständig in den
308 Zum Teil auch als Vertrauensgleitzeit bezeichnet, vgl. Compensis, NJW 2007, 3089; Fröhlich, AuA 1999, 159 ff.; Hellfeier, Leistungszeit, S. 16; Picker, ZfA 2019, 269 (272); Reichold, NZA 1998, 393 (396); Vogelsang, in: Schaub, § 160, Rn. 33. 309 Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 8; vgl. auch Hellfeier, Leistungszeit, S. 16 und Reichold, NZA 1998, 393 (396), die in der Vertrauensarbeitszeit den „Höhepunkt von Zeitsouveränität“ sehen und Schüren, AuR 1996, 381, der von der endgültigen Verwirklichung des Ziels der Zeitsouveränität spricht. 310 Daher wird die Vertrauensarbeitszeit zum Teil auch als „Weiterentwicklung“ der qualifizierten Gleitzeit bezeichnet, vgl. Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 22; Hahn, Flexible Arbeitszeit II, S. 236; Hamm, AiB 2000, 152 (153); in diese Richtung auch Henssler, FS Moll, S. 233 (237), der die Vertrauensarbeitszeit als Prototypen entgrenzter Gleitzeitmodelle ansieht und Eylert, NZA-Beil. 2017, 95 (98), der von der Vertrauensarbeitszeit als „Spielart der qualifizierten Gleitzeit“ spricht. 311 Compensis, NJW 2007, 3089; Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 11; Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 23; Necati, in: Preis, Innovative Arbeitsformen, S. 333. 312 BAG, Urt. v. 06. 05. 2003 – 1 ABR 13/02, BAGE 106, 111 (122); Urt. v. 23. 09. 2015 – 5 AZR 767/13, BAGE 152, 315 (321 f.); Bettinghausen, BB 2019, 2740 (2741); Hamm, AiB 2000, 152 (153); Höpfner/Daum, RdA 2019, 270 (279); Kreft, AuR 2018, 56 (61); Poeche, in: Küttner, Stichwort: Arbeitszeitmodelle, Rn. 16; Richter, ArbRAktuell 2018, 241 (242).
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Verantwortungsbereich des Arbeitnehmers übertragen.313 Der Arbeitnehmer erhält also insoweit vollständige Arbeitszeitsouveränität, als dass es keine festen Zeiträume mehr gibt, in denen er zur Arbeit verpflichtet ist. Er entscheidet grundsätzlich selbst, wie und wann er seine vertragliche Arbeitszeit einsetzt.314 Insoweit entspricht die Situation hinsichtlich der Eigenverantwortlichkeit des Arbeitnehmers bei der Bestimmung seiner Arbeitszeiten derjenigen bei der kernlosen Gleitzeit.315 Daher wird auch bei der Vertrauensarbeitszeit wie bei der kernlosen Gleitzeit das Leistungsbestimmungsrecht des Arbeitgebers hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit auf den Arbeitnehmer übertragen. Infolgedessen muss der Arbeitnehmer auch bei der Vertrauensarbeitszeit hinsichtlich der konkreten Festlegung seiner Arbeitszeiten § 315 BGB beachten. Er kann somit nicht uneingeschränkt seine Interessen hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit verwirklichen, sondern muss stets einen billigen Ausgleich dieser Interessen mit den betrieblichen Belangen vornehmen.316 (2) Arbeitgeberseitiger Verzicht auf Arbeitszeitaufzeichnungen Es gibt einige Stimmen in der Literatur, die zudem den vollständigen Verzicht beider Arbeitsvertragsparteien auf jegliche Überwachung und Aufzeichnung der Arbeitszeit als konstitutives Merkmal der Vertrauensarbeitszeit ansehen.317 Allerdings ist dem nicht zu folgen. Auch im Rahmen der Vertrauensarbeitszeit ist der Arbeitgeber nicht von seinen arbeitsschutzrechtlichen Organisationspflichten befreit.318 Diese stehen nicht zur Disposition der Arbeitsvertragsparteien – vielmehr unterfallen auch Arbeitnehmer in Vertrauensarbeitszeit ebenso wie Arbeitnehmer mit starren Arbeitszeiten dem öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutz, der insbesondere
313 BAuA, Flexible Arbeitszeitmodelle, S. 40; Biswas, Vertrauensarbeitszeit, S. 32 ff.; Compensis, NJW 2007, 3089; Ginal/Tribess, GWR 2019, 317 (319); Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 23; Reichold, NZA 1998, 393 (396). 314 Biswas, Vertrauensarbeitszeit, S. 33; allerdings schließt auch Vertrauensarbeitszeit nicht aus, dass der Arbeitgeber einen Arbeitszeitrahmen vorgibt, innerhalb dessen die Arbeitszeit grundsätzlich zu leisten ist; vgl. Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 11; dann ist der Arbeitnehmer lediglich innerhalb dieses Arbeitszeitrahmens frei hinsichtlich der Einteilung seiner Arbeitszeit. 315 Vgl. hierzu oben, Kapitel 3, C. I. 2. b) bb). 316 Biswas, Vertrauensarbeitszeit, S. 105 f.; Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 44 ff.; Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 42 ff.; vgl. zudem bereits oben, Kapitel 3, C. I. 2. b) bb). 317 So BAuA, Flexible Arbeitszeitmodelle, S. 40; Compensis, NJW 2007, 3089; Necati, in: Preis, Innovative Arbeitsformen, S. 338; Poeche, in: Küttner, Stichwort: Arbeitszeitmodelle, Rn. 16; Reichold, NZA 1998, 393 (396); auch Seebacher, AiB 2020, 22 verbindet mit Vertrauensarbeitszeit „in ihrer reinen Form“ den vollständigen Verzicht auf die Erfassung der „Kommt-/Geht-Zeiten“ der Arbeitnehmer. 318 Höpfner/Daum, RdA 2019, 270 (279); Kössel, DB 2019, 1958 (1962); Krause, Gutachten zum DJT, B 34; Ulber, NZA 2019, 677 (680); Zwanziger, DB 2007, 1356 (1358); vgl. auch BAG, Urt. v. 06. 05. 2003 – 1 ABR 13/02, BAGE 106, 111 (122); Reinhard, NZA 2019, 1313 (1318) in Bezug auf die Einhaltung der Höchstarbeitszeiten.
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in Art. 31 Abs. 2 GrCh, der ArbZ-RL sowie dem ArbZG zum Ausdruck kommt.319 Hierbei war bisher vor allem § 16 Abs. 2 ArbZG relevant, der eine Aufzeichnung der Arbeitszeit vorschreibt, die über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 S. 1 ArbZG hinausgeht.320 Schon diese Vorschrift steht mithin einem vollständigen Verzicht auf Arbeitszeitaufzeichnungen entgegen. Daher handelt es sich dabei nicht um ein konstitutives Merkmal von Vertrauensarbeitszeit. Allerdings verzichten die Arbeitsvertragsparteien im Rahmen von Vertrauensarbeitszeit auf eine arbeitgeberseitige Erfassung der Arbeitszeit und vereinbaren stattdessen eine Arbeitszeitaufzeichnung durch den Arbeitnehmer. Eine solche Delegation ist hinsichtlich der Aufzeichnungspflicht gemäß § 16 Abs. 2 ArbZG anerkannt,321 solange der Arbeitgeber die Aufzeichnungen durch stichprobenartige Kontrollen systematisch überwacht322 und Anreize zur Unterschlagung von Arbeitszeit vermeidet.323 Fraglich ist, ob eine solche Selbstaufzeichnung der Arbeitszeiten durch den Arbeitnehmer auch nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache CCOO324 weiterhin möglich ist.325 In dieser Entscheidung hat der EuGH nationale Vor319
Höpfner/Daum, RdA 2019, 270 (279); vgl. auch Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 47, allerdings lediglich hinsichtlich der Einhaltung des ArbZG. 320 Vgl. hierzu genauer Biswas, Vertrauensarbeitszeit, S. 35, 80 ff.; Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 134 ff. 321 BT-Drs. 16/1685, S. 13; LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 03. 06. 2010 – 15 Sa 166/10, BeckRS 2010, 73659; LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 05. 06. 2013 – 8 Sa 571/12, BeckRS 2014, 65219; Anzinger/Koberski, § 16, Rn. 12; Baeck/Deutsch/Winzer, § 16, Rn. 28; Bettinghausen, BB 2019, 2740 (2742); Erasmy, NZA 1994, 1105 (1111); Henssler/Lunk, NZA 2016, 1425 (1430); Höpfner/Daum, RdA 2019, 270 (278); BeckOK-ArbR/Kock, § 16 ArbZG, Rn. 8; Schlottfeldt/Hoff, NZA 2001, 530 (532); Schrader, NZA 2019, 1035 (1037); a. A. nur Buschmann/Ulber, § 16, Rn. 16; Trittin, NZA 2001, 1003 (1006); Ulber, NZA 2019, 677 (680). 322 LAG Niedersachsen, Beschl. v. 08. 11. 2004 – 5 TaBV 36/04, NZA-RR 2005, 424 (426); Anzinger/Koberski, § 16, Rn. 12; Baeck/Deutsch/Winzer, § 16, Rn. 28; Bayreuther, NZA 2020, 1 (7); Erasmy, NZA 1994, 1105 (1111); Henssler/Lunk, NZA 2016, 1425 (1430); Höpfner/Daum, RdA 2019, 279 (278); BeckOK-ArbR/Kock, § 16 ArbZG, Rn. 8; Schlachter, FS 50 Jahre BAG, S. 1253 (1270); Schlottfeldt/Hoff, NZA 2001, 530 (532); Schrader, NZA 2019, 1035 (1037). 323 Schlachter, FS 50 Jahre BAG, S. 1253 (1270 f.); vgl. auch Höpfner/Daum, RdA 2019, 279 (278), die zudem eine Klarstellung des Arbeitgebers fordern, dass es sich auch bei „gut gemeinten“ Verstößen gegen die Aufzeichnungspflicht um eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung handelt. 324 EuGH, Urt. v. 14. 05. 2019, C-55/18 (CCOO), ECLI:EU:C:2019:402, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 30. 325 Für die Delegationsmöglichkeit: Baeck/Deutsch/Winzer, § 16, Rn. 28; Bettinghausen, BB 2019, 2740 (2742); Bürger/Müller, AuA 2019, 568 (570); Fuhlrott/Garden, ArbRAktuell 2019, 263 (264); Grimm/Freh, ArbRB 2019, 278 (280 f.); Henssler, FS Moll, S. 233 (249); Heuschmid, NJW 2019, 1853; Höpfner/Daum, RdA 2019, 270 (277 f.); BeckOK-ArbR/Kock, § 16 ArbZG, Rn. 4c; Reinhard, NZA 2019, 1313 (1318 f.); Sittard/Esser, jM 2019, 284 (289); Temming, NZA 2021, 1433 (1438); dagegen: Seebacher, AiB 2020, 22 (24); Ulber, NZA 2019, 677 (678 ff.).
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schriften, die keine Verpflichtung begründen, die täglich geleistete Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers aufzuzeichnen, als unionsrechtswidrig angesehen. Es bestehe daher eine Pflicht für die Mitgliedstaaten, die Arbeitgeber zu verpflichten, „ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann“.326 Dieses Urteil wurde in Deutschland medial und politisch kontrovers diskutiert – dabei wurde zum Teil auch das „Ende der Vertrauensarbeitszeit“ ausgerufen.327 Das wäre jedoch nur dann der Fall, wenn das Urteil des EuGH einer Delegation der Aufzeichnungspflichten an den Arbeitnehmer entgegenstünde. Zunächst ist festzuhalten, dass der EuGH eine solche Möglichkeit der Delegation der Aufzeichnungspflicht an die Arbeitnehmer nicht explizit ausschließt – das Urteil enthält nämlich keine konkrete Aussage dazu, wer die Arbeitszeit erfassen muss.328 Auch der Zweck der ArbZ-RL – der Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer329 – steht einer Selbstaufzeichnung durch die Arbeitnehmer nicht entgegen.330 Es ist insbesondere nicht von einer erhöhten Gefahr der Manipulation der Arbeitszeitaufzeichnungen mit negativen Auswirkungen für die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer auszugehen. Vielmehr bietet die Selbstaufzeichnung durch die Arbeitnehmer sogar eher die Gewähr der Richtigkeit und Vollständigkeit. Denn Arbeitnehmer werden nicht ohne Weiteres bereit sein, für sie negative fehlerhafte Aufzeichnungen zu tätigen.331 Es gibt zudem keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der Aufzeichnungspflicht um eine höchstpersönliche Pflicht des Arbeitgebers handelt.332
326
EuGH, Urt. v. 14. 05. 2019, C-55/18 (CCOO), ECLI:EU:C:2019:402, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 30 (Rn. 60). 327 Vgl. Bayer, GWR 2019, 198; Benkert, NJW-Spezial 2020, 50 (51); Fuhlrott, Legal Tribune Online v. 14. 05. 2019, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/eugh-c-5518-arbeits zeit-richtlinie-zeiterfassung-ueberstunden-arbeitnehmerschutz/ (zuletzt abgerufen am 25. 02. 2022); Poeche, in: Küttner, Stichwort: Arbeitszeitmodelle, Rn. 16; Seebacher, AiB 2020, 22 (24); so auch Schrader, NZA 2019, 1035 (1039) zumindest hinsichtlich der Vertrauensarbeitszeit „in ihrer bisher praktizierten Form“. 328 Fuhlrott/Garden, ArbRB 2019, 278 (280); Rieble/Vielmeier, Gutachten, S. 11; Sittard/ Esser, jM 2019, 284 (289). 329 Vgl. Erwägungsgründe 2, 4, 5, 11 der ArbZ-RL. 330 Sittard/Esser, jM 2019, 284 (289). 331 Bayreuther, NZA 2020, 1 (7); ders., Gutachten, S. 39; in diese Richtung auch Thüsing/ Flink/Jänsch, ZfA 2019, 456 (472), die betonen, dass der Arbeitnehmer bei einer Selbstaufzeichnung sicherstellen könne, dass „seine Rechte nicht durch eine etwaige Manipulation der Arbeitszeitdokumentation seitens des Arbeitgebers beschränkt werden“; zumindest aber ist die Gefahr gegenüber einem vom Arbeitgeber installierten System zur Zeiterfassung nicht erhöht – auch bei solchen Systemen kann der Arbeitnehmer sich ausstempeln und anschließend weiterarbeiten oder sich Arbeit mit nach Hause nehmen, vgl. Höpfner/Daum, RdA 2019, 270 (278). 332 Sittard/Esser, jM 2019, 284 (289) mit Verweis auf Thüsing/Joussen, § 17 MiLoG, Rn. 13, der das in Bezug auf die Aufzeichnungspflicht i. S. d. § 17 Abs. 1 MiLoG annimmt.
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Fraglich ist allerdings, ob eine vom Arbeitnehmer selbst durchgeführte Zeiterfassung den vom EuGH aufgestellten Kriterien der Objektivität und Verlässlichkeit entspricht. Auch das lässt sich dem Urteil nicht eindeutig entnehmen.333 Allerdings hat der EuGH in der Rechtssache Hälvä334 jüngst eine Berichtspflicht der Arbeitnehmer bezüglich der Anwendung eines vorher ausgearbeiteten Betreuungs- und Erziehungsplans als Mittel zur Arbeitszeiterfassung anerkannt.335 Daraus lässt sich schließen, dass der EuGH auch von Arbeitnehmern erstellte Arbeitszeitaufzeichnungen als geeignet ansieht, die Arbeitszeit objektiv und verlässlich zu messen.336 Obwohl der EuGH in seinem Urteil insgesamt neunmal auf das „objektive und verlässliche System“ Bezug nimmt,337 definiert er es an keiner Stelle. Der Duden definiert „objektiv“ als unabhängig von einem Subjekt und seinem Bewusstsein existierend und unparteiisch.338 Eine objektive Aufzeichnung der Arbeitszeit hat also unabhängig davon zu erfolgen, was die Arbeitsvertragsparteien jeweils als Arbeitszeit einordnen.339 Es wird diesbezüglich vertreten, dass eine Selbstaufzeichnung durch den Arbeitnehmer stets auf dessen subjektiver Einschätzung beruhe, welche Zeiten als Arbeitszeiten gelten. Das stünde der Objektivität entgegen.340 Unabhängigkeit von der subjektiven Einschätzung der jeweiligen Arbeitsvertragspartei bedeutet jedoch lediglich, dass die tatsächliche – objektiv geleistete – Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufgezeichnet wird.341 Dabei kommt es nicht darauf an, durch wen die Arbeitszeitaufzeichnung erfolgt – vielmehr ist entscheidend, dass von den Arbeitsvertragsparteien klar definiert ist, was als aufzuzeichnende Arbeitszeit gilt.342 Dann beruht auch eine Selbstaufzeichnung durch den Arbeitnehmer nicht auf dessen subjektiver Einschätzung, sondern auf der vorher vereinbarten, objektiven Definition von Arbeitszeit. Die im Rahmen von Vertrauensarbeitszeit praktizierte Übertragung der Arbeitszeiterfassung auf den Arbeitnehmer ist somit auch zukünftig zulässig. Dabei gilt weiterhin, dass der Arbeitgeber durch geeignete organisatorische Maßnahmen gewährleisten muss, dass die Arbeitnehmer die Arbeitszeit auch tatsächlich und richtig 333
Höpfner/Daum, 270 (277 f.). EuGH, Urt. v. 26. 07. 2017, C-175/16 (Hälvä), ECLI:EU:C:2017:617, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 20. 335 EuGH, Urt. v. 26. 07. 2017, C-175/16 (Hälvä), ECLI:EU:C:2017:617, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 20 (Rn. 38). 336 Höpfner/Daum, RdA 2019, 270 (278). 337 EuGH, Urt. v. 26. 07. 2017, C-175/16 (Hälvä), ECLI:EU:C:2017:617, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 20 (Rn. 47, 49, 50, 54, 56, 57, 60, 62, 66). 338 https://www.duden.de/rechtschreibung/objektiv (zuletzt abgerufen am 25. 02. 2022). 339 Bayreuther, NZA 2020, 1 (6); Grimm/Freh, ArbRB 2019, 278 (280). 340 Seebacher, AiB 2020, 22 (24); Ulber, NZA 2019, 677 (678 ff.). 341 Grimm/Freh, ArbRB 2019, 278 (280); Schrader, NZA 2019, 1035 (1038 f.). 342 Grimm/Freh, ArbRB 2019, 278 (280). 334
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aufzeichnen.343 Zur Erfüllung dieser Anforderungen erscheint insbesondere eine Schulung der Arbeitnehmer in den Grundzügen des Arbeitszeitrechts als sinnvoll344 – so kann sichergestellt werden, dass zwischen den Arbeitsvertragsparteien klar ist, welche Zeiten als Arbeitszeit gelten. Auch die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales beziehungsweise Bundesministerium für Wirtschaft und Energie zur Vorbereitung eines Gesetzesvorschlags für eine Neufassung der Arbeitszeiterfassung in Auftrag gegebenen Gutachten von Bayreuther beziehungsweise von Rieble/Vielmeier sehen in ihren Vorschlägen zur Änderung von § 16 ArbZG die Möglichkeit einer Delegation der Aufzeichnungspflicht auf den Arbeitnehmer vor.345 Insofern ist davon auszugehen, dass in dem nationalen Gesetz zur Umsetzung des EuGH-Urteils eine solche Delegationsmöglichkeit aufgenommen wird. (3) Abschied von der Präsenzkultur Zuletzt rückt bei der Vertrauensarbeitszeit das Arbeitsergebnis anstatt der Präsenz am Arbeitsplatz stärker in den Vordergrund.346 Bisherige Arbeitszeitmodelle zeichnen sich durch eine Präsenzkultur aus, das heißt, bei diesen erfolgt eine Überprüfung der Anwesenheitszeit des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz, woraus Rückschlüsse auf die Arbeitsleistung gezogen werden.347 Dadurch werden Arbeitnehmer dazu angehalten, zur Erreichung der vertraglich vereinbarten Arbeitsleistung Arbeitszeit „abzusitzen“, obwohl sie ihre Arbeit bereits erledigt haben. Das gilt vor allem für starre Arbeitszeitsysteme, aber auch für die einfache Gleitzeit, bei der der Arbeitnehmer das Ende seines Arbeitstages nicht flexibel gestalten darf. Zudem haben die Arbeitnehmer zum Teil auch bei der qualifizierten Gleitzeit ein Interesse daran, Arbeitszeitguthaben auf dem Arbeitszeitkonto durch bloße Präsenz am Arbeitsplatz aufzubauen. Ein solches Verhalten des Arbeitnehmers entspricht aber nicht 343 Bayreuther, NZA 2020, 1 (7); ders., Gutachten, S. 40; Grimm/Freh, ArbRB 2019, 278 (281); Schrader, NZA 2019, 1035 (1037); Thüsing/Flink/Jänsch, ZfA 2019, 456 (473). 344 Höpfner/Daum, RdA 2019, 270 (278); in diese Richtung auch Bayreuther, Gutachten, S. 40, der auf das österreichische Recht (§ 26 Abs. 2 und Abs. 4 S. 2 AZG-AT) verweist, das eine Pflicht des Arbeitgebers zur Anleitung des Arbeitnehmers hinsichtlich der ordnungsgemäßen Führung der Aufzeichnungen enthält. 345 Bayreuther, Gutachten, S. 63 f.; Rieble/Vielmeier, Gutachten, S. 27. 346 Adamski, AuA 1999, 154; BAuA, Flexible Arbeitszeitmodelle, S. 40; Bürger/Müller, AuA 2019, 568 (570); Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 21; Hahn, Flexible Arbeitszeit II, S. 236; Hamm, AiB 2000, 152 (153); Henssler, FS Moll, S. 233 (237); Hoff, Vertrauensarbeitszeit, S. 19; Linnenkohl/Rauschenberg/Gressierer u. a., Arbeitszeitflexibilisierung, S. 62; Necati, in: Preis, Innovative Arbeitsformen, S. 334; so auch Aumann/Hack, ZESAR 2016,266 (268), wonach der Arbeitnehmer bei der Vertrauensarbeitszeit nicht noch Zeit im Büro „absitzen“ solle, wenn er seine Aufgabe bereits erledigt habe und Eylert, NZA-Beil. 2017, 95 (98), der den Sinn von Vertrauensarbeitszeit v. a. drin sieht, das „Mindset“ der Arbeitnehmer dahingehend zu schärfen, dass sie sich auf ihre Aufgaben konzentrieren und nicht nur Arbeitszeit „absitzen“. 347 Biswas, Vertrauensarbeitszeit, S. 31, vgl. auch Hellert, Arbeitszeitmodelle, S. 86.
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Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
den Interessen des Arbeitgebers: Der Arbeitnehmer soll nicht bloß Arbeitszeit „absitzen“, sondern Arbeitsleistung erbringen.348 Diese Schwäche der bisherigen Arbeitszeitmodelle überwindet die Vertrauensarbeitszeit, indem sie von der Präsenzkultur abrückt.349 Die Arbeitsleistung wird nicht mehr mit der Anwesenheitszeit gleichgesetzt. Vielmehr stellt das erzielte Arbeitsergebnis den Schwerpunkt für die Bemessung der Arbeitsleistung dar.350 Durch die damit einhergehende Fokussierung auf das Arbeitsergebnis anstelle der Anwesenheitszeit werden Arbeitnehmer dazu angeregt, effizient mit der Arbeitszeit umzugehen.351 Oftmals wird dem Arbeitnehmer lediglich ein konkreter Arbeitsauftrag mit festgelegtem Erledigungstermin gegeben – den Arbeitgeber interessiert dabei nicht, wo beziehungsweise wann der Arbeitsauftrag erledigt wird.352 Es handelt sich jedoch nicht um eine reine Ergebnisorientierung, bei der das Arbeitsergebnis alleinige Bemessungsgrundlage für das Entgelt ist. Die Dauer der Arbeitszeit bleibt weiterhin Maßstab der Arbeitsverpflichtung des Arbeitnehmers und damit auch für die Entgeltzahlung.353 Daher muss auch nicht zum Werkvertragsrecht gemäß § 631 ff. BGB abgegrenzt werden.354 Dadurch, dass weiterhin die Arbeitszeit Maßstab der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers bleibt, kann einerseits der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer verlangen, dass dieser alle ihm übertragenen Aufgaben bis zur Grenze der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit ausführt. Andererseits kann der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber fordern, nur so viele Aufgaben übertragen zu bekommen, wie er innerhalb der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit bewältigen kann. Daher ist fortlaufend ein gemeinsamer Abstimmungsprozess zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber über Arbeitsplanung und -abwicklung erforderlich.355
348
So auch Hromadka, FS Hanau, S. 211. Von einem Arbeiten „jenseits der Präsenzkultur“ sprechen auch BMAS, Weißbuch Arbeiten 4.0, S. 73; EU-ArbR/Gallner, Art. 2 RL 2003/88/EG, Rn. 17; allerdings nicht in Bezug auf Vertrauensarbeitszeit im Speziellen, sondern allgemein im Hinblick auf zeitlich und örtlich entgrenztes Arbeiten. 350 Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 25. 351 Biswas, Vertrauensarbeitszeit, S. 31. 352 Compensis, NJW 2007, 3089. 353 BAG, Urt. v. 24. 05. 2012 – 2 AZR 124/11, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 191 (Rn. 34); Urt. v. 15. 05. 2013 – 10 AZR 325/12, AP BGB § 611 Arbeitszeit Nr. 42 (Rn. 26); Biswas, Vertrauensarbeitszeit, S. 32, 38; Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 8; Hahn, Flexible Arbeitszeit II, S. 237; Höpfner/Daum, RdA 2019, 270 (279); Hoff, Vertrauensarbeitszeit, S. 23; Necati, in: Preis, Innovative Arbeitsformen, S. 339; Poeche, in: Küttner, Stichwort: Arbeitszeitmodelle, Rn. 16; Schlachter, FS 50 Jahre BAG, S. 1253 (1264); Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 25 f.; ders., in: Schaub, § 160, Rn. 34; vgl. hierzu genauer Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 51 ff. 354 Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 26. 355 Vgl. hierzu Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 31. 349
C. Konsequenzen aus Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld
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(4) Unterschied zur kernlosen Arbeitszeit Bei der Vertrauensarbeitszeit verschwimmen die Grenzen zur kernlosen Arbeitszeit356 – im Gegensatz zur Vertrauensarbeitszeit, bei der die Arbeitsvertragsparteien auf die arbeitgeberseitige Arbeitszeiterfassung verzichten, wird bei der kernlosen Gleitzeit wie bei allen Gleitzeitsystemen die Arbeitszeit durch den Arbeitgeber erfasst und überwacht. Zudem rückt bei der Vertrauensarbeitszeit das Arbeitsergebnis anstatt der Anwesenheitszeit in den Vordergrund; bei der Gleitzeit bleibt die Anwesenheitszeit maßgebliches Kriterium. bb) Auswirkungen der Vertrauensarbeitszeit auf den Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung Wie bei der kernlosen Gleitzeit erhält der Arbeitnehmer auch bei der Vertrauensarbeitszeit insoweit vollständige Arbeitszeitsouveränität, als dass es keine festen Zeiträume mehr gibt, in denen er zur Arbeit verpflichtet ist. Erst durch seine tatsächliche Arbeitsaufnahme konkretisiert er die Arbeitszeit.357 Die Vertrauensarbeitszeit unterscheidet sich aber von der kernlosen Arbeitszeit insofern, als dass hier aufgrund des arbeitgeberseitigen Verzichts der Arbeitszeitaufzeichnung in der Regel kein Ausgleichszeitraum vereinbart ist, an dessen Ende eine Nichtleistung des Arbeitnehmers vorliegen könnte. Insofern gilt bei der Vertrauensarbeitszeit stets, dass bei Nichtarbeit des Arbeitnehmers mangels zeitlich fixierter Arbeitspflicht schon gar keine Leistungsstörung in Form der Nichtleistung des Arbeitnehmers vorliegt und sich die Frage nach der Einordnung der Arbeitsschuld als (absolute oder relative) Fixschuld gar nicht stellt. d) Zwischenergebnis Es ist festzuhalten, dass weder die Gleitzeit noch die Vertrauensarbeitszeit Auswirkungen auf die grundsätzliche Einordnung der Arbeitsleistung als relative Fixschuld haben. Lediglich in den Fällen, in denen das Arbeitsverhältnis bei Vereinbarung eines Arbeitszeitkontos im Rahmen von Gleitzeitgestaltungen vor Ablauf des vereinbarten Ausgleichszeitraums endet und das Arbeitszeitkonto einen negativen Saldo ausweist, ist mangels Möglichkeit zur Nachholung der Arbeitsleistung von einer absoluten Fixschuld auszugehen.
356
Vgl. z. B. Schüren, AuR 1996, 381, der es als extremste Form einer Gleitzeitregelung ansieht, wenn nur noch eine Arbeitsaufgabe festgelegt sei; das ist aber eher der Vertrauensarbeitszeit zuzuordnen. 357 Biswas, Vertrauensarbeitszeit, S. 108; Schüren, AuR 1996, 381 (385).
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Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
II. Auswirkungen auf die Rechtsfolgen bei Nichtleistung der Arbeit Ausgehend von der grundsätzlichen Einordnung der Arbeitsleistung als relative Fixschuld bleibt die ausgefallene Arbeitsleistung grundsätzlich nachholbar, und die Erfüllung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung wird bei Nichtleistung des Arbeitnehmers nicht unmöglich.358 Vielmehr behält der Arbeitgeber grundsätzlich seinen Anspruch auf die Arbeitsleistung und kann diese weiterhin vom Arbeitnehmer verlangen – es besteht also eine Pflicht des Arbeitnehmers zur Nachholung der ausgefallenen Arbeitsleistung (1.). Allerdings bedeutet die grundsätzliche Nachholbarkeit von Arbeitsleistungen nicht, dass die Nachholung auch in allen Fällen stattzufinden hat, in denen sie möglich ist. Von der Nachholungspflicht des Arbeitnehmers bestehen nämlich wiederum Ausnahmen, wenn der Grund des Arbeitsausfalls einer Nachholung der Arbeit entgegensteht (2.). Weiterhin ist zu fragen, ob dem Arbeitnehmer korrespondierend zu seiner Pflicht zur Nachleistung der Arbeit auch ein Recht zur Nachleistung zusteht (3.). Fraglich ist zudem, welche Folgen es hat, wenn der Arbeitgeber gar kein Interesse an einer Nachholung der Arbeitsleistung hat (4.). Zuletzt ist zu untersuchen, ob der Arbeitgeber von seinen Arbeitnehmern unbegrenzt die Nachholung ausgefallener Arbeit verlangen kann oder er auf einen gewissen Nacharbeitszeitraum beschränkt ist (5.). 1. Pflicht zur Nachholung der ausgefallenen Arbeitsleistung Versäumt ein Arbeitnehmer seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung, liegt also eine Nichtleistung des Arbeitnehmers vor, behält der Arbeitgeber seinen Leistungsanspruch – der Arbeitnehmer bleibt also zur Arbeitsleistung in Form der Nachholung der ausgefallenen Arbeitsleistung verpflichtet.359 Der Arbeitgeber kann dem Arbeitnehmer also erneut Arbeit zuweisen. Dabei ist er nicht an die zuvor für die dann ausgefallene Arbeitsleistung erteilte Weisung gebunden. Vielmehr kann er eine neue Weisung erteilen, die jedoch – genau wie die Zuweisung der ursprünglich vorgesehenen Arbeitsleistung – die sich aus Gesetz, kollektivrechtlichen Vereinbarungen oder Arbeitsvertrag ergebenden Grenzen des Weisungsrechts einhalten muss.360 Der Umfang der Nacharbeit richtet sich dabei – vorbehaltlich anderweitiger 358
So auch Latzel, AcP 2021, 881 (903). Latzel, AcP 2021, 881 (904); Sommer, Nichterfüllung, S. 185. 360 Hellfeier, Leistungszeit, S. 119 f.; Latzel, AcP 2021, 881 (912 f.); dabei gelten allerdings zum Teil andere Maßstäbe hinsichtlich des Weisungsrechts; vgl. Sommer, Nichterfüllung, S. 264, der hinsichtlich der Ausübung des Weisungsrechts des Arbeitgebers bei der Anweisung von Nacharbeit besonders hohe Anforderungen an die Ermessensausübung des Arbeitgebers stellen will für den Fall, dass der Arbeitnehmer schuldlos in diese Lage geraten sei – dann müssten insb. private Termine des Arbeitnehmers Berücksichtigung finden; zudem nimmt Latzel, AcP 2021, 881 (913) analog § 12 Abs. 3 TzBfG eine Vorlauffrist von mindestens vier Tagen für die Ankündigung von Nacharbeit an. 359
C. Konsequenzen aus Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld
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Absprachen –361 nach dem Umfang der ursprünglich geschuldeten, aber ausgefallenen Arbeit.362 Die Nacharbeitspflicht ist Teil der mangels Erfüllung fortbestehenden Primärleistungspflicht des Arbeitnehmers und nicht etwa gewährleistungsrechtliche Nacherfüllungspflicht.363 Der Arbeitnehmer leistet also durch die Nacharbeit keinen Schadensersatz.364 Kommt der Arbeitnehmer seiner Nachleistungspflicht nach, erfüllt er damit das ursprüngliche Pflichtenprogramm des Arbeitsvertrags und der Anspruch auf (Nach-)Arbeit erlischt durch Erfüllung gemäß § 362 BGB.365 Leistet der Arbeitnehmer hingegen nicht nach, verletzt er seine vertraglich geschuldete Pflicht. Dadurch gerät er in Schuldnerverzug gemäß §§ 286 ff. BGB.366 Zudem hat er aufgrund der Eigenschaft des Arbeitsverhältnisses als gegenseitiges Vertragsverhältnis im Sinne der §§ 320 ff. BGB keinen Anspruch auf Lohnzahlung.367 Bereits gezahltes Entgelt kann der Arbeitgeber nach den Vorschriften der ungerechtfertigten Bereicherung zurückfordern.368 2. Ausnahmen von der Nacharbeitspflicht Diese Pflicht zur Nachholung ausgefallener Arbeit besteht allerdings dann nicht, wenn ihr der Grund für den Arbeitsausfall entgegensteht. a) § 615 S. 1 a. E. BGB Ein solcher der Nachholungspflicht entgegenstehender Grund ist in § 615 S. 1 a. E. BGB sogar gesetzlich ausdrücklich geregelt – und bekommt durch die Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht auch tatsächlich einen
361
Beispiele bei Sommer, Nichterfüllung, S. 200. Latzel, AcP 2021, 881 (904). 363 Ebd.; ungenau in diesem Zusammenhang etwa Tillmanns, Strukturfragen, S. 449 ff., die von der Nacherfüllungspflicht des Arbeitnehmers auch bei Nichtleistung spricht. 364 Latzel, AcP 2021, 881 (905); das gilt selbst dann, wenn der Arbeitnehmer den Arbeitsausfall zu vertreten hat. 365 Sommer, Nichterfüllung, S. 264; zu Recht weist Latzel, AcP 2021, 881 (917) darauf hin, dass die Nacharbeitspflicht auch durch Einbringung von Arbeitszeitguthaben oder durch Abbau von Urlaubstagen erfüllt werden kann. 366 So auch Sommer, Nichterfüllung, S. 264. 367 Diese Feststellung, dass ein Arbeitnehmer, der seiner Arbeitsleistung nicht nachkommt, grds. keinen Anspruch auf Lohnzahlung hat, wird auch mit dem Schlagwort „Ohne Arbeit kein Lohn“ betitelt, vgl. ErfK/Preis, § 614 BGB, Rn. 4; Staudinger/Richardi/Fischinger, § 614 BGB, Rn. 1; Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 41, 54; ders., RdA 2018, 110 (113); leicht abgewandelt, aber genauer spricht Glaser, in: MAHA, § 24, Rn. 2 f. von dem Grundsatz „Entgelt nur für geleistete Arbeit“. 368 Glaser, in: MAHA, § 24, Rn. 2. 362
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Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
Anwendungsbereich.369 Danach wird die Nachleistungspflicht des Arbeitnehmers für den Fall ausgeschlossen, dass sich der Arbeitgeber im Annahmeverzug befand und die Arbeitsleistung aufgrund dieses Annahmeverzugs ausgefallen ist.370 Hierunter fallen auch die Konstellationen, in denen das Betriebs- oder Wirtschaftsrisiko des Arbeitgebers zur Nichtannahme führt, etwa, weil der Arbeitgeber die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers aus betriebstechnischen Gründen nicht annehmen kann oder weil die Arbeitsleistung trotz theoretischer Möglichkeit zur Leistung für den Arbeitgeber nicht sinnvoll nutzbar ist.371 In den Fällen des § 615 S. 1, S. 3 BGB besteht also aufgrund der gesetzlichen Wertung grundsätzlich keine Nachholungspflicht für den Arbeitnehmer. Von diesem Grundsatz ist jedoch wiederum eine Rückausnahme zu machen für die Fälle, in denen die Arbeitsvertragsparteien eine zulässige – aufgrund des grundsätzlichen Entfalls der Nacharbeitspflicht konstitutive – Nacharbeitsklausel vereinbart haben. Konstitutive Nacharbeitsklauseln werden für die Fälle vereinbart, in denen eigentlich keine Nacharbeitspflicht besteht, und konstituieren sodann eine solche Pflicht. Im Gegensatz dazu stellen deklaratorische Nacharbeitsklauseln in Fällen, in denen ohnehin eine Nacharbeitspflicht besteht, nur klar, dass der Arbeitnehmer die ausgefallene Arbeitsleistung nachholen muss.372 Eine solche konstitutive Nacharbeitsklausel muss jedoch zulässig sein. Dazu muss die Vorschrift, aufgrund derer die Nacharbeitspflicht grundsätzlich ausgeschlossen ist, dispositiv sein. Das ist bei § 615 S. 1 BGB der Fall. § 615 S. 1 BGB enthält nach ständiger Rechtsprechung und ganz überwiegender Literatur kein zwingendes Recht, ist also dispositiver Natur.373 Dafür spricht vor allem der Umkehrschluss zu § 619 BGB,374 der lediglich hinsichtlich der §§ 617, 618 BGB, nicht jedoch hinsichtlich § 615 BGB eine Unabdingbarkeit statuiert.375
369 Sommer, Nichterfüllung, S. 198; vgl. zu dem Verhältnis vom Dogma der absoluten Fixschuld und § 615 BGB oben, Kapitel 3, B. II. 2. 370 Latzel, AcP 2021, 881 (906). 371 Ebd.; vgl. zum Betriebsrisiko auch Sommer, Nichterfüllung, S. 198 und jetzt ausdrücklich § 615 S. 3 BGB. 372 Latzel, AcP 2021, 881 (900 f.). 373 BAG, Urt. v. 06. 02. 1964 – 5 AZR 96/63, BAGE 15, 258 (259); Urt. v. 08. 12. 1982 – 4 AZR 134/80, BAGE 41, 123 (131); BeckOGK/Bieder, § 615 BGB, Rn. 133; Glaser, in: MAHA, § 24, Rn. 315; MüKo-BGB/Henssler, § 615 BGB, Rn. 10; Hueck/Nipperdey, ArbR I, S. 328; BeckOK-ArbR/Joussen, § 615 BGB, Rn. 9; Staudinger/Richardi/Fischinger, § 615 BGB, Rn. 10; Zaumseil, ArbRB 2011, 222; eher kritisch: Tillmanns, in: MHA, § 76, Rn. 11. 374 BAG, Urt. v. 05. 09. 2002 – 8 AZR 702/01, AP BGB 2002 § 280 Nr. 1; BeckOGK/ Bieder, § 615 BGB, Rn. 133; MüKo-BGB/Henssler, § 615 BGB, Rn. 10; BeckOK-ArbR/ Joussen, § 615 BGB, Rn. 9; Staudinger/Richardi/Fischinger, § 615 BGB, Rn. 10; Zaumseil, ArbRB 2011, 222. 375 LAG Nürnberg, Urt. v. 20. 05. 2006 – 6 Sa 111/06, NZA-RR 2006, 511 (512); BeckOKArbR/Joussen, § 615 BGB, Rn. 9; Staudinger/Richardi/Fischinger, § 615 BGB, Rn. 10; Zaumseil, ArbRB 2011, 222.
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Allerdings bestehen gewisse Grenzen hinsichtlich der Dispositivität, insbesondere darf die Abbedingung des § 615 BGB nicht unbillig sein.376 So darf die gesetzliche Wertung des § 615 S. 1 BGB, dass der Arbeitgeber die Gefahr trägt, eine Arbeitsleistung nicht annehmen zu können, nicht vollständig in ihr Gegenteil verkehrt werden – der Arbeitgeber darf demnach nicht das ihm grundsätzlich durch § 615 S. 1 BGB zugewiesene Risiko vollständig auf den Arbeitnehmer verlagern.377 Zudem dürfen keine Fälle erfasst werden, in denen der Arbeitgeber den Annahmeverzug vorsätzlich herbeigeführt hat.378 Auch darf der Ausschluss des § 615 S. 1 BGB nicht zu einer Umgehung von zwingenden Kündigungsvorschriften führen.379 Die § 615 S. 1 BGB ausschließenden Vereinbarungen müssen hinreichend deutlich und klar sein380 und dürfen nicht gegen zwingendes Recht verstoßen.381 Zuletzt müssen sie im Falle einer formularmäßigen Abbedingung den §§ 305 ff. BGB, insbesondere § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB, standhalten.382
376
MüKo-BGB/Henssler, § 615 BGB, Rn. 11; BeckOK-ArbR/Joussen, § 615 BGB, Rn. 10; ErfK/Preis, § 615 BGB, Rn. 8. 377 LAG Nürnberg, Urt. v. 20. 05. 2006 – 6 Sa 111/06, NZA-RR 2006, 511 (512); BeckOGK/Bieder, § 615 BGB, Rn. 134; BeckOK-ArbR/Joussen, § 615 BGB, Rn. 10; ErfK/Preis, § 615 BGB, Rn. 8; Staudinger/Richardi/Fischinger, § 615 BGB, Rn. 11; Zaumseil, ArbRB 2011, 222 f. 378 In diesem Fall scheitert der Ausschluss der Zahlungsverpflichtung an § 276 Abs. 3 BGB, vgl. MüKo-BGB/Henssler, § 615 BGB, Rn. 11; Staudinger/Richardi/Fischinger, § 615 BGB, Rn. 14. 379 LAG Nürnberg, Urt. v. 20. 05. 2006 – 6 Sa 111/06, NZA-RR 2006, 511 (512); BeckOGK/Bieder, § 615 BGB, Rn. 134; MüKo-BGB/Henssler, § 615 BGB, Rn. 11; ErfK/Preis, § 615 BGB, Rn. 8; Staudinger/Richardi/Fischinger, § 615 BGB, Rn. 15; so darf nicht von vornherein vereinbart werden, dass den Arbeitgeber auch bei einer unwirksamen fristlosen Kündigung keine Zahlungspflicht trifft, vgl. ErfK/Preis, § 615 BGB, Rn. 8; Staudinger/Richardi/Fischinger, § 615 BGB, Rn. 15. 380 BAG, Urt. v. 04. 07. 1958 – 1 AZR 559/57, AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 5; Glaser, in: MAHA, § 24, Rn. 315; BeckOK-ArbR/Joussen, § 615 BGB, Rn. 9; Soergel/Kraft, § 615 BGB, Rn. 8; Staudinger/Richardi/Fischinger, § 615 BGB, Rn. 13; Zaumseil, ArbRB 2011, 222 (223). 381 MüKo-BGB/Henssler, § 615 BGB, Rn. 11; BeckOK-ArbR/Joussen, § 615 BGB, Rn. 10. Das ist zum einen der Fall bei einer individualvertraglichen Abbedingung trotz tarifvertraglichen oder betriebsverfassungsrechtlichen Vereinbarung der Unabdingbarkeit des Vergütungsanspruchs, vgl. § 77 Abs. 4 BetrVG, § 4 Abs. 1, 3, 4 TVG; vgl. hierzu MüKoBGB/Henssler, § 615 BGB, Rn. 11; BeckOK-ArbR/Joussen, § 615 BGB, Rn. 10. Zudem hat § 11 Abs. 4 AÜG für den Bereich der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung zwingende Wirkung, die einer vertraglichen Beschränkung des § 615 BGB entgegensteht, vgl. MüKoBGB/Henssler, § 615 BGB, Rn. 11; Staudinger/Richardi/Fischinger, § 615 BGB, Rn. 12. 382 BAG, Urt. v. 07. 12. 2005 – 5 AZR 535/04, BAGE 116, 267 (278 ff.); LAG Nürnberg, Urt. v. 20. 05. 2006 – 6 Sa 111/06, NZA-RR 2006, 511 (512); MüKo-BGB/Henssler, § 615 BGB, Rn. 11; BeckOK-ArbR/Joussen, § 615 BGB, Rn. 9; Latzel, AcP 2021, 881 (902 f.); ErfK/Preis, § 615 BGB, Rn. 8; Staudinger/Richardi/Fischinger, § 615 BGB, Rn. 11; Zaumseil, ArbRB 2011, 222 (223 f.).
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Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
b) Entgeltfortzahlungsfälle Fraglich ist, ob auch in Fällen, in denen trotz ausgefallener Arbeitsleistung aufgrund einer gesetzlichen Vorschrift das Entgelt fortgezahlt wird, eine Nachholungspflicht ausscheidet. Hierzu zählen vor allem Fälle, in denen der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt ist. Liegt eine solche Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers vor, ist dessen Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1 BGB beziehungsweise nach § 275 Abs. 3 BGB ausgeschlossen.383 Welche der beiden Normen einschlägig sind, richtet sich nach der Schwere der Krankheit – nicht jede Krankheit hindert nämlich den Arbeitnehmer daran, seine Arbeitsleistung zu erbringen; vielmehr sind Fälle denkbar, in denen die Erbringung der Arbeitsleistung trotz Vorliegens von Arbeitsunfähigkeit theoretisch und praktisch möglich ist.384 Bei wiederhergestellter Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers stellt sich – unabhängig davon, ob § 275 Abs. 1 BGB oder § 275 Abs. 3 BGB einschlägig war – sodann die Frage, ob die während der Arbeitsunfähigkeit ausgefallene Arbeit nachzuholen ist. Dabei ist zunächst festzustellen, dass das EFZG als das bei einer Arbeitsunfähigkeit einschlägige Gesetz keine dem § 615 S. 1 a. E. BGB entsprechende Vorschrift enthält, die die Nachleistungspflicht des Arbeitnehmers im Falle des Arbeitsausfalls aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit ausdrücklich ausschließt.385 Es kommt aber eine analoge Anwendung von § 615 S. 1 a. E. BGB in Betracht. Dabei ist das hinter dem EFZG stehende gesetzgeberische Anliegen der wirtschaftlichen Existenzsicherung der Arbeitnehmer im Krankheitsfall386 zu berücksichtigen. Der Gesetzgeber hat durch den in § 3 EFZG enthaltenen Entgeltfortzahlungsanspruch bei Arbeitsunfähigkeit zu erkennen gegeben, dass der Arbeitnehmer durch eine von ihm nicht verschuldete Arbeitsunfähigkeit (und den damit einher-
383 Greiner, Unzumutbarkeit, S. 289 ff.; MüKo-BGB/Henssler, § 616 BGB, Rn. 3; Latzel, AcP 2021, 881 (907). 384 Latzel, AcP 2021, 881 (907); BeckOGK/Riehm, § 275 BGB, Rn. 110 f.; Sedlmeier, Unzureichende Arbeitsleistung, S. 165; Wank, FS Schwerdtner, S. 247 (249); auch nach Reichold, in: MHA, § 43, Rn. 17 indiziere eine Krankschreibung noch keine Unmöglichkeit i. S. v. § 275 Abs. 1 BGB – vielmehr könne es sich auch um bloße „Unpässlichkeiten“ eines Arbeitnehmers handeln, bei denen er grundsätzlich weiterhin seiner Arbeit nachgehen könne; zuletzt hält Hellfeier, Leistungszeit, S. 107 § 275 Abs. 1 BGB nur dann für anwendbar, wenn eine Erkrankung vorliegt, die zur objektiven Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers führe. 385 Latzel, AcP 2021, 881 (908); hinsichtlich aller Entgeltfortzahlungstatbestände Sommer, Nichterfüllung, S. 198. 386 Vgl. BT-Drs. 12/5263, S. 10; Greiner, in: MHA, § 79, Rn. 5; so auch Griese, in: Küttner, Stichwort: Lohnersatzleistungen, Rn. 2, der den Sinn und Zweck von Lohnersatzleistungen in der Verhinderung von Existenznot des Arbeitnehmers in belastenden sozialen Situationen und der zumindest teilweisen Aufrechterhaltung des Lebensstandards sieht; hinsichtlich § 3 Abs. 1 EFZG auch explizit BAG, Urt. v. 26. 10. 2016 – 5 AZR 167/16, BAGE 157, 102 (109); Fornasier/Wilkens, Jura 2020, 549.
C. Konsequenzen aus Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld
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gehenden Arbeitsausfall) keine Nachteile befürchten soll.387 Diese Intention würde konterkariert, wenn der Arbeitnehmer den krankheitsbedingten Arbeitsausfall nacharbeiten müsste – denn dann würde er letztlich doch durch den Arbeitsausfall benachteiligt.388 Dabei ist die Interessenlage des § 3 EFZG durchaus mit der bei § 615 S. 1 a. E. BGB vergleichbar – in beiden Fällen soll ein durch den Arbeitnehmer unverschuldeter Arbeitsausfall nicht zu seinen Lasten gehen. Dass diese gesetzgeberische Intention nicht ausdrücklich in § 3 EFZG zum Ausdruck kommt, kann auch als planwidrige Regelungslücke gesehen werden. Denn bei Inkrafttreten des EFZG war das Dogma der absoluten Fixschuld noch stärker in der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur verankert als heutzutage, sodass gar keine Notwendigkeit bestand, sich mit Fragen der Nachholbarkeit der ausgefallenen Arbeitsleistung aufgrund der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers zu beschäftigen.389 Somit ist trotz Ermangelung einer ausdrücklichen Regelung in § 3 EFZG aufgrund der hinter dem EFZG stehenden Intention eine Nachleistungspflicht des Arbeitnehmers für aufgrund von Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers ausgefallene Arbeitsleistung analog § 615 S. 1 a. E. BGB ausgeschlossen.390 Dieser Gedankengang kann auch auf sonstige Fälle des unverschuldeten Arbeitsausfalls mit Entgeltfortzahlung übertragen werden – ohne Anspruch auf Vollständigkeit können hier als Beispiele die § 616 BGB, § 11 BUrlG, § 2 EFZG und § 18 MuSchG genannt werden.391 In all diesen Fällen würde die jeweils dahinter stehende gesetzliche Wertung, dass der Arbeitsausfall nicht zulasten des Arbeitnehmers gehen darf, durch eine Nacharbeitspflicht entwertet werden.392 Auch in den Fällen der Entgeltfortzahlung kommen wiederum konstitutive Nacharbeitsklauseln in Betracht, die zu einer Rückausnahme und damit letztlich 387
Latzel, AcP 2021, 881 (908). Ebd. 389 Ebd. 390 Greiner, in: MHA, § 79, Rn. 2; Latzel, AcP 2021, 881 (908); im Ergebnis auch Sommer, Nichterfüllung, S. 199, der hinsichtlich aller Entgeltfortzahlungstatbestände aufgrund der gesetzlichen Wertung den Ausschluss der Nacharbeitspflicht annimmt, das allerdings mit einer juristischen Unmöglichkeit begründet; auch BAG, Urt. v. 13. 02. 2002 – 5 AZR 470/00, BAGE 100, 256 (267 ff.) kann in diese Richtung verstanden werden – hier nahm das BAG an, dass ein auf Arbeitsunfähigkeit beruhender Arbeitsausfall aufgrund der „Regelung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall“ zu einer entsprechenden Zeitgutschrift auf dem Arbeitszeitkonto führen müsse, der Arbeitnehmer also gerade nicht zur Nachleistung verpflichtet sei. 391 Eine ausführlichere Darstellung von Fällen mit Entgeltfortzahlung findet sich bei Sommer, Nichterfüllung, S. 31 f. 392 Latzel, AcP 2021, 881 (908 f.); vgl. bezüglich § 616 BGB auch Tillmanns, in: MHA, § 77, Rn. 7, die es als selbstverständlich ansieht, dass die (Nach-)Leistungspflicht entfalle, da ansonsten die Norm ihren Regelungszweck nicht erreichen könne; auch Sommer, Nichterfüllung, S. 199 kann in diese Richtung verstanden werden – danach bringe das Gesetz durch die Anordnung der Entgeltfortzahlung „mit zureichender Klarheit zum Ausdruck“, dass die ausgefallene Arbeitszeit nicht mehr nachgeholt werden solle. 388
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Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
doch zur Nacharbeitspflicht führen. Diese müssen jedoch wiederum zulässig sein. Dabei ist insbesondere hinsichtlich der für die Zulässigkeit einer solchen Klausel zu fordernden Dispositivität bei jedem Entgeltfortzahlungstatbestand gesondert zu entscheiden.393 c) Lohnersatzleistungsfälle Zudem gibt es Fälle, in denen ein Arbeitnehmer im Falle des Arbeitsausfalls zwar keine Fortzahlung seines Entgelts erhält, er jedoch Lohnersatzleistungen einfordern kann – zu nennen sind hier insbesondere §§ 1, 2 BEEG, § 3 Abs. 1, 2 FPfZG (gegebenenfalls auch in i. V. m. § 3 PflegeZG), § 56 IfSG, § 19 MuSchG i. V. m. § 24i SGB V, §§ 44 ff. SGB V, § 44a SGB XI. Auch in diesen Fällen fehlt es an einem – mit § 615 S. 1 a. E. BGB vergleichbaren – ausdrücklichen Ausschluss der Nachleistungspflicht des Arbeitnehmers. Fraglich ist demnach wiederum, ob § 615 S. 1 a. E. BGB analog angewendet werden kann. Dazu müsste auch hier eine vergleichbare Interessenlage bestehen – es müsste also Sinn und Zweck der Lohnersatzleistungen sein, dass der Arbeitsausfall sich nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirkt. Das kann jedoch bei Lohnersatzleistungen gerade nicht angenommen werden. Anders als bei den Entgeltfortzahlungsfällen sehen die Vorschriften, die Ansprüche auf Lohnersatzleistungen normieren, ja gerade nicht die Aufrechterhaltung von Entgeltansprüchen vor, sondern lediglich Ersatzleistungen zum Entgelt, die zumeist auch nicht die volle Höhe des Entgelts erreichen, vgl. etwa § 2 BEEG, § 3 Abs. 2 FPfZG, § 47 SGB V. Insbesondere § 3, 4 EFZG einerseits und § 44 ff. SGB V andererseits eignen sich zur Veranschaulichung des Unterschieds zwischen Entgeltfortzahlung und Lohnersatzleistung: Ist ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt, erhält er für die ersten sechs Wochen seiner Erkrankung Entgeltfortzahlung gemäß § 3 EFZG. Die Höhe dieses Anspruchs auf Entgeltfortzahlung richtet sich nach § 4 EFZG, nach dessen Abs. 1 der Arbeitnehmer „das ihm bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehende Arbeitsentgelt“ erhält – das heißt der Arbeitnehmer erhält grundsätzlich die Fortzahlung seines Entgelts in voller Höhe.394 Bleibt der Arbeitnehmer nach diesen sechs Wochen weiterhin arbeitsunfähig erkrankt, erhält er nach 393
Vgl. hinsichtlich §§ 2, 3 EFZG LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 18. 01. 2018 – 5 Sa 305/17, BeckRS 2018, 4502, Rn. 22 f.; BeckOK-ArbR/Ricken, § 12 EFZG, Rn. 16; Schüren, in: MHA, § 47, Rn. 46, die wegen § 12 EFZG pauschal jegliche Nacharbeitspflichten für unzulässig halten und BAG, Urt. v. 26. 09. 2001 – 5 AZR 539/00, BAGE 99, 112 (116); Urt. v. 13. 02. 2002 – 5 AZR 470/00, BAGE 100, 256 (369); Harth, Entgeltfortzahlung, S. 104; Knorr, NZA 2018, 1449 (1450); Latzel, AcP 2021, 881 (902); Müller-Glöge, RdA 2006, 105 (112); ErfK/Reinhard, § 12 EFZG, Rn. 8, die jedenfalls Nacharbeitspflichten „ohne weiteres Entgelt“ als unzulässig ansehen; vgl. hinsichtlich § 616 BGB Latzel, AcP 2021, 881 (903); Staudinger/Oetker, § 616 BGB, Rn. 148 ff. m. w. N. 394 Vgl. genauer zur Höhe der Entgeltfortzahlung bei § 4 EFZG unten, Kapitel 4, A. III. 3. a) aa).
C. Konsequenzen aus Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld
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§ 44 SGB V für die weitere Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit sogenanntes Krankengeld als Lohnersatzleistung – dieses Krankengeld beträgt jedoch nach § 47 Abs. 1 SGB V nur noch 70 % seines regelmäßigen Arbeitsentgelts. Die Lohnersatzleistung des Krankengeldes führt also durch die Kürzung seines Anspruchs von 100 % auf 70 % durchaus zu Nachteilen für den Arbeitnehmer. Insofern kann sich der Arbeitsausfall in Lohnersatzleistungsfällen nachteilig für den Arbeitnehmer auswirken – eine Verhinderung solcher Nachteile für den Arbeitnehmer ist, anders als bei den Entgeltfortzahlungsregelungen, demnach nicht Sinn und Zweck der Regelungen über Lohnersatzleistungen.395 Eine analoge Anwendung von § 615 S. 1 a. E. BGB scheidet also mangels vergleichbarer Interessenlage aus. Somit entfällt die Pflicht des Arbeitnehmers zur Nachholung der ausgefallenen Arbeit mangels eines Ausschlusstatbestandes grundsätzlich nicht.396 Allerdings ist von diesem Grundsatz immer dann eine Ausnahme zu machen, wenn die arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflichten suspendiert sind – das ist etwa während der Elternzeit397 oder bei § 3 PflegeZG398 der Fall. Denn durch die Suspendierung der Leistungspflichten entsteht schon gar keine Pflicht zur Arbeitsleistung für den Arbeitnehmer. Folglich kann auch keine Pflicht zur Nachholung der Arbeitsleistung bestehen. d) Sonstige zeitweilige Erfüllungshindernisse Der Arbeitsleistung können aber auch andere zeitweilige Erfüllungshindernisse entgegenstehen, für die weder § 615 S. 1 BGB einschlägig ist noch Entgeltfortzahlungs- oder Lohnersatzleistungstatbestände greifen. So kann dem Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung für eine gewisse Zeit unmöglich im Sinne von § 275 Abs. 1 BGB oder unzumutbar im Sinne von § 275 Abs. 3 BGB sein.399 Wenn die Arbeitsleistung nach Ablauf dieser Zeit dann wieder möglich beziehungsweise zumutbar ist, stellt sich auch hier die Frage, ob die ausgefallene Arbeitsleistung nachgeholt werden muss. Dabei gilt, dass zeitweilige Erfüllungshindernisse nur dann der Nacharbeitspflicht entgegenstehen, wenn sie wie dauernde Erfüllungshindernisse zu behandeln 395
Explizit für § 3 FPfZG: BR-Drs. 463/14, S. 2, 24, wonach Ziel des Gesetzes vorrangig die bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf und lediglich nachrangig die bessere Bewältigung des Lebensunterhalts während der Freistellung ist; vgl. hierzu auch BeckOK-ArbR/ Joussen, § 3 FPfZG, Rn. 1, der in § 3 FPfZG lediglich eine Regelung zur Milderung des Verdienstausfalls, nicht jedoch zur Verhinderung jeglicher Lohnausfälle sieht. 396 So im Ergebnis auch Latzel, AcP 2021, 881 (910). 397 Vgl. hierzu BAG, Urt. v. 15. 04. 2008 – 9 AZR 380/07, BAGE 126, 276 (282); Urt. v. 19. 03. 2019 – 9 AZR 495/17, BAGE 166, 189 (191, 193); Linck, in: Schaub, § 172, Rn. 14. 398 Vgl. hierzu Langer/Pfeiffer, in: Grobys/Panzer-Heemeier, Stichwort: Pflegezeit, Rn. 21 399 Hierbei ist jedoch zu beachten, dass eine Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 BGB aufgrund der Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld wohl nur noch in Ausnahmefällen angenommen werden kann; vgl. Sommer, Nichterfüllung, S. 198.
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Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
sind. Das ist nach ständiger Rechtsprechung unter zwei Voraussetzungen der Fall: die Erreichung des Vertragszwecks ist durch das zeitweilige Erfüllungshindernis in Frage gestellt und der einen oder anderen Partei kann bei billiger Abwägung der beiderseitigen Belange nicht mehr zugemutet werden, die Leistung dann noch zu fordern oder zu erbringen.400 Der Vertragszweck ist bei einem zeitweiligen Erfüllungshindernis im Arbeitsverhältnis dann in Frage gestellt, wenn eine Nachholung nicht mehr in Betracht kommt401 – etwa weil das Hindernis voraussichtlich bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses oder zumindest so lange bestehen wird, dass eine negative Prognose für eine ordentliche Kündigung gemäß § 1 KSchG gerechtfertigt ist.402 In diesen Fällen eines voraussichtlich längerfristigen Wegfalls seiner Arbeitspflicht ist es dem Arbeitnehmer auch nicht zumutbar, die doch vorher wieder möglich werdende Nacharbeit zu leisten, da er „anderweitig über seine Arbeitskraft disponieren können muss“.403 e) Vertraglicher Ausschluss der Nacharbeitspflicht Zuletzt sind Fälle denkbar, in denen die Nacharbeitspflicht (individual- oder kollektiv-)vertraglich ausgeschlossen ist. Dabei ist allerdings zu beachten, dass bei einem ausdrücklichen Ausschluss der Nacharbeitspflicht für sämtliche Fälle aufgrund der dadurch vereinbarten absoluten Fixschuld schon gar keine Nacharbeitspflicht besteht.404 Es sind jedoch auch Fälle denkbar, bei denen in Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen oder im Arbeitsvertrag selbst Regelungen getroffen werden, die den Arbeitgeber in besonderen Fallgestaltungen – häufig zwecks Konkretisierung des § 616 BGB – zur Entgeltfortzahlung trotz Arbeitsausfalls verpflichten.405 Diese Fälle sind mit den gesetzlichen Bestimmungen zur Entgeltfortzahlung vergleichbar, sodass auch hier gilt, dass eine Nacharbeitspflicht mit der hinter diesen Regelungen stehenden Intention nicht vereinbar ist. Somit besteht auch in diesen Fällen dann keine Nacharbeitspflicht für den Arbeitnehmer.
400
BGH, Urt. v. 31. 01. 1967 – V ZR 125/65, BGHZ 47, 48 (50 f.); Urt. v. 11. 03. 1982 – VII ZR 357/80, BGHZ 83, 197 (200); Urt. v. 19. 10. 2007 – V ZR 211/06, BGHZ 174, 61 (67); Latzel, AcP 2021, 881 (906); vgl. allgemein zu vorübergehenden Leistungshindernissen Lobinger, Leistungspflichten, S. 308 ff.; hinsichtlich des Dienstvertrags zudem Tillmanns, Strukturfragen, S. 356 f. 401 Arnold, JZ 2002, 866 (868 ff.); Latzel, AcP 2021, 881 (907); Reichold, in: MHA, § 43, Rn. 14. 402 Vgl. Latzel, AcP 2021, 881 (907). 403 Ebd. 404 Vgl. oben, Kapitel 3, B. II. 5. 405 Sommer, Nichterfüllung, S. 200 f.
C. Konsequenzen aus Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld
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f) Zwischenergebnis Zusammenfassend ist festzuhalten, dass aufgrund der Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld grundsätzlich eine Nacharbeitspflicht des Arbeitnehmers für ausgefallene Arbeitsleistungen besteht. Von dieser Nacharbeitspflicht bestehen Ausnahmen in den Fällen des § 615 S. 1 BGB sowie in Entgeltfortzahlungsfällen, wenn nicht die Vertragsparteien eine zulässige konstitutive Nacharbeitsklausel vereinbart haben. Zudem besteht eine Ausnahme von der Nacharbeitspflicht bei einem vertraglichen Ausschluss und bei zeitweiligen Erfüllungshindernissen, die voraussichtlich bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses oder zumindest so lange bestehen werden, dass eine negative Prognose für eine ordentliche Kündigung gerechtfertigt ist. Hingegen bleibt es bei Lohnersatzleistungsfällen bei dem Grundsatz, dass eine Nachleistungspflicht besteht, solange nicht ohnehin die arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflichten suspendiert sind. 3. Nacharbeitsrecht des Arbeitnehmers Aufgrund des Beschäftigungsanspruchs des Arbeitnehmers, der als arbeitsvertragliche Nebenpflicht aus § 242 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitet wird,406 korrespondiert mit der Nacharbeitspflicht des Arbeitnehmers auch ein Nacharbeitsrecht des Arbeitnehmers.407 Das führt dazu, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Erfüllung seiner Nacharbeitspflicht ermöglichen muss, indem er ihm vertragsgemäße Arbeit zuweist. Falls der Arbeitgeber schon vor dem Arbeitsausfall erklärt hat, dass seine Weisung auch bei Arbeitsausfall weitergilt, kann der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung sogar ohne neue Weisung des Arbeitgebers autonom nachholen.408 Für den Fall, dass eine solche autonome Nachholung nicht in Betracht kommt, kann der Arbeitnehmer den Arbeitgeber auch durch ein vertragsgemäßes Leistungsangebot in Annahmeverzug setzen und so sein Nacharbeitsrecht geltend machen. Dazu muss er dem Arbeitgeber die Nacharbeit mit angemessener Vorankündigungsfrist im Sinne von § 299 BGB anbieten. Angemessen ist diese Frist dann, wenn sie dem Arbeitgeber die Möglichkeit gibt, eine „wohlüberlegte Entscheidung“ zu treffen, welche Nacharbeit er dem Arbeitnehmer zuweisen wird oder ob er auf die Nacharbeit verzichtet. Weist der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer bis zum Ende dieser
406 BAG, Urt. v. 10. 11. 1955 – 2 AZR 591/54, BAGE 2, 221 (224 f.); bestätigt durch den Großen Senat, BAG (GS), Beschl. v. 27. 02. 1985 – GS 1/84, BAGE 48, 122 (130 ff.); siehe auch BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB, Rn. 268; Latzel, AcP 2021, 881 (911); in der Herleitung übereinstimmend, aber die Beschäftigungspflicht als Hauptpflicht des Arbeitgebers ansehend ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 563 f. 407 Latzel, AcP 2021, 881 (911); a. A. Hellfeier, Leistungszeit, S. 126 f.; Sommer, Nichterfüllung, S. 265. 408 Latzel, AcP 2021, 881 (911).
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Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
Frist keine Nacharbeit zu, gerät er in Annahmeverzug. Dann entfällt gemäß § 615 S. 1 BGB die Nacharbeitspflicht vergütungspflichtig.409 4. Teilrücktritt Allerdings wird dieses Nacharbeitsrecht des Arbeitnehmers dadurch eingeschränkt, dass der Arbeitgeber durch Teilrücktritt auf die Nacharbeit verzichten kann, wenn er an dieser kein Interesse hat.410 Das wird oftmals aufgrund des relativen Fixschuldcharakters der Arbeitsleistung der Fall sein – der Arbeitgeber hat insoweit den Fortbestand seines Leistungsinteresses an die Rechtzeitigkeit der Leistung gebunden, sodass dieses mit dem Ausfall der Arbeitsleistung zum vereinbarten Zeitpunkt entfällt.411 Diesen Wegfall seines Leistungsinteresses macht der Arbeitgeber sodann mit einem Teilrücktritt deutlich.412 Das Verstreichen der Leistungszeit führt bei Vorliegen einer relativen Fixschuld zur Möglichkeit des Gläubigers, ohne vorherige Fristsetzung vom Vertrag zurückzutreten, vgl. § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB.413 Dieser Grundsatz gilt eingeschränkt auch in Dauerschuldverhältnissen. Zwar ist in vollzogenen Dauerschuldverhältnissen das Rücktrittsrecht aufgrund der damit verbundenen Rückabwicklungsschwierigkeiten grundsätzlich durch das Kündigungsrecht verdrängt.414 Allerdings gilt das nur hinsichtlich einer Loslösung vom gesamten Dauerschuldverhältnis, nicht jedoch bei der Nichterfüllung einzelner Leistungspflichten.415 Für diese gelten die allgemeinen Grundsätze – und damit § 323 Abs. 5 S. 1 BGB, der den Teilrücktritt als Reaktion auf Nichtleistungen in Dauerschuldverhältnissen inzwischen gesetzlich vorsieht.416 409
Vgl. zu diesem Abschnitt Latzel, AcP 2021, 881 (911 f.). Hellfeier, Leistungszeit, S. 114 ff.; Latzel, AcP 2021, 881 (913 f.); das ist auch insofern mit dem Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers zu vereinbaren, als dass dieser bereits die Gelegenheit gehabt hat, seine Persönlichkeit durch die Leistung von Arbeit zu entfalten und diese Möglichkeit durch die Nichtleistung der Arbeit hat verstreichen lassen, vgl. Latzel, AcP 2021, 881 (912); die Möglichkeit eines solchen Teilrücktritts wird auch durch das LAG Berlin, Urt. v. 16. 10. 1998 – 6 Sa 74/98, NZA-RR 1999, 388 (389) sowie von Gitter/Michalski/ Frotscher, ArbR, S. 73; Reichold, in: MHA, § 43, Rn. 10 und Waltermann, ArbR, S. 110 erwähnt beziehungsweise implizit vorausgesetzt. 411 Hellfeier, Leistungszeit, S. 113. 412 Latzel, AcP 2021, 881 (913). 413 Hierzu genauer oben, Kapitel 3, A. IV. 414 Vgl. BT-Drs. 14/6040, S. 177; Hartmann, FS Singer, S. 245 (255); Hellfeier, Leitungszeit, S. 115; Latzel, AcP 2021, 881 (914); Grüneberg/Weidenkaff, Vor § 620 BGB, Rn. 8; Zöllner/Loritz/Hergenröder, ArbR, S. 183 f. 415 Hellfeier, Leistungszeit, S. 26, 113; MüKo-BGB/Kramer, 5. Aufl. 2007, Vor § 241 BGB, Rn. 103. 416 Hellfeier, Leistungszeit, S. 27, 113; Latzel, AcP 2021, 881 (914); vgl. zur Rechtslage vor Einführung des § 323 Abs. 5 S. 1 BGB Hellfeier, Leistungszeit, S. 113, Fn. 447; zur Einführung dieser Norm vgl. auch BT-Drs. 14/6040, S. 186; kritisch hierzu in Bezug auf Arbeitsverhältnisse Hartmann, FS Singer, S. 245 (256), der ein „solchermaßen beschränktes Rücktrittsrecht“ als „bislang in der Dogmatik des Arbeitsvertrags nicht etabliert“ ansieht. 410
C. Konsequenzen aus Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld
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Die Möglichkeit zum Teilrücktritt gilt auch bei der teilweisen Nichterfüllung der Leistungspflichten des Arbeitnehmers. Durch einen solchen Teilrücktritt wird das Arbeitsverhältnis an sich nicht in Frage gestellt.417 Die personenrechtlichen Elemente des Arbeitsvertrags wie die gegenseitigen Treue- und Rücksichtnahmepflichten, die maßgeblich für die Verdrängung des Rücktrittsrechts durch das Kündigungsrecht bei Dauerschuldverhältnissen angeführt werden, sind bei einem Teilrücktritt wegen zeitweiser Nichtleistung des Arbeitnehmers nämlich gar nicht betroffen. Vielmehr umfasst der Teilrücktritt nur die für einen gewissen Zeitraum nicht erfüllte Arbeitspflicht und den mit dieser Arbeitspflicht korrespondierenden Entgeltanspruch für diese Zeit – das Arbeitsverhältnis als solches mit seinen arbeitsvertraglichen Nebenpflichten wird dadurch nicht berührt.418 Der Arbeitgeber kann also das Nacharbeitsrecht des Arbeitnehmers durch wirksam erklärten Teilrücktritt zum Erlöschen bringen. Dieser Teilrücktritt kann grundsätzlich frist- und formlos erklärt werden. Gemäß § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist die ansonsten erforderliche Setzung einer angemessenen Frist entbehrlich. § 349 BGB sieht keine bestimmte Form der Erklärung vor, sodass jede Form der ausdrücklichen oder konkludenten Erklärung durch den Arbeitgeber grundsätzlich ausreichend ist.419 Eine konkludente Erklärung des Teilrücktritts liegt allerdings nicht schon durch die Zuweisung der ausgefallenen Arbeitsleistung an einen Kollegen oder Dritten vor.420 Erst wenn zu dieser anderweitigen Zuweisung ein gegenüber dem säumigen Arbeitnehmer geäußerter Wille des Arbeitgebers hinzukommt, mit dieser Zuweisung die Leistungspflicht des Arbeitnehmers zum Erlöschen bringen zu wollen, kann eine solche konkludente Erklärung des Teilrücktritts angenommen werden.421 Auch die unverminderte Zahlung des Entgelts trotz Nichtleistung kann nicht in jedem Fall als konkludente Teilrücktrittserklärung ausgelegt werden.422 Hingegen ist das berechtigte423 Verlangen von Schadensersatz statt der ausgefallenen Arbeit gemäß § 281 Abs. 4 BGB als eine solche konkludente Erklärung anzusehen.424 Gemäß § 323 Abs. 4 BGB kann der Arbeitgeber den Rücktritt sogar vor Beginn der vereinbarten oder angewiesenen Tätigkeit erklären, wenn deren Ausfall absehbar ist.425 417
Latzel, AcP 2021, 881 (914). Hellfeier, Leistungszeit, S. 115 f. 419 So auch Latzel, AcP 2021, 881 (913); dieser weist zu Recht darauf hin, dass eine Form durch kollektiv- oder individualvertragliche Regeln gefordert sein kann. 420 Hellfeier, Leistungszeit, S. 114, 119; Latzel, AcP 2021, 881 (913); a. A. Reichold, in: MHA, § 43, Rn. 33. 421 Hellfeier, Leistungszeit, S. 117. 422 Hellfeier, Leistungszeit, S. 117 f., 125; Latzel, AcP 2021, 881 (913). 423 BT-Drs. 14/6857, S. 50; BGH, Urt. v. 14. 10. 2020 – VIII ZR 318/19, NJW 2921, 464 f. mit zustimmender Anmerkung von MüKo-BGB/Ernst, § 281 BGB, Rn. 111; BeckOK-BGB/ Lorenz, § 281 BGB, Rn. 54. 424 Latzel, AcP 2021, 881 (913). 425 Ebd. 418
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Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
Das Recht des Arbeitgebers zum Teilrücktritt kann jedoch ausgeschlossen sein. Das ist zum einen gemäß § 323 Abs. 6 Alt. 1 BGB der Fall, wenn der Arbeitgeber allein oder weit überwiegend für den Arbeitsausfall verantwortlich ist.426 Zum anderen kann der Teilrücktritt auch treuwidrig im Sinne von § 242 BGB sein. Eine solche Treuwidrigkeit liegt etwa vor, wenn der Arbeitgeber die Nacharbeit ohne erhebliche Anstrengungen ermöglichen kann und es sich entweder um einen lediglich geringfügigen Arbeitsausfall handelt427 oder der Arbeitnehmer auf die Nacharbeitsvergütung angewiesen ist, etwa weil er keine Lohnersatzleistungen in Anspruch nehmen kann.428 5. Nacharbeitszeitraum Besteht nach den oben erläuterten Grundsätzen eine Nacharbeitspflicht, ist zu fragen, für welchen Zeitraum diese Nacharbeitspflicht besteht – kann der Arbeitgeber also von seinem Arbeitnehmer unbegrenzt die Nachholung ausgefallener Arbeit verlangen oder erlischt die Nacharbeitspflicht innerhalb einer bestimmten Frist? Dabei ist zunächst festzustellen, dass es keine absolute gesetzliche Grenze für die Nacharbeitspflicht gibt.429 Insbesondere gibt es keine Regel, nach der der Arbeitgeber die Nacharbeit im selben Leistungsabschnitt der ausgefallenen Arbeit – zum Beispiel in demselben Kalendermonat – anweisen muss.430 Allerdings kommen durchaus verschiedene Grenzen für den Nacharbeitszeitraum in Betracht. Zum einen kann der Arbeitgeber nur bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses Nacharbeit verlangen.431 Zudem gelten auch hinsichtlich der Nacharbeitspflicht die gesetzlichen Regelungen über die Verjährung, vgl. §§ 195, 199 Abs. 1 BGB oder etwaige (kollektiv- oder individual-)vertragliche Verfallsklauseln.432 Zuletzt kann der Anspruch des Arbeitgebers auf Nacharbeit auch verwirkt sein, vgl. § 242 BGB.433 Für die Annahme einer Verwirkung bedarf es eines Zeit- und eines Umstandsmoments. Diese sind gegeben, wenn der Inhaber eines Rechts dieses über längere Zeit nicht geltend gemacht hat und der andere Teil sich nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten darauf einstellen durfte und sich auch tatsächlich darauf 426
Vgl. auch Latzel, AcP 2021, 881 (913 f.). Vgl. hierzu auch Hellfeier, Leistungszeit, S. 117; Sommer, Nichterfüllung, S. 265. 428 Latzel, AcP 2021, 881 (915). 429 Hellfeier, Leistungszeit, S. 112; Sommer, Nichterfüllung, S. 210. 430 Das wäre bei einem Arbeitsausfall am Ende des Leistungsabschnitts oftmals auch gar nicht mehr möglich, vgl. Latzel, AcP 2021, 881 (916). 431 Hellfeier, Leistungszeit, S. 112; Latzel, AcP 2021, 881 (916); Sommer, Nichterfüllung, S. 191 ff., 210; Nacharbeit nach Ende des Arbeitsverhältnisses ist zwar möglich, allerdings müssten die Vertragsparteien hierzu dann eine (befristete) Vertragsverlängerung vereinbaren, vgl. Latzel, AcP 2021, 881 (887, 905). 432 Hellfeier, Leistungszeit, S. 122 f.; Latzel, AcP 2021, 881 (916); Sommer, Nichterfüllung, S. 211. 433 Hellfeier, Leistungszeit, S. 124 f.; Latzel, AcP 2021, 881 (916). 427
C. Konsequenzen aus Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld
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eingerichtet hat, dass dieser das Recht in Zukunft nicht geltend macht.434 Der Arbeitnehmer müsste also aus dem Verhalten des Arbeitgebers berechtigt darauf schließen dürfen, dass dieser die Nacharbeit nicht mehr fordern wird.435 Wann das der Fall ist, muss im Einzelfall beurteilt werden – starre Grenzen können für diese Bewertung nicht genannt werden.436 Abzulehnen ist hingegen die Forderung von Sommer, ein Erlöschen der Nacharbeitspflicht analog § 626 Abs. 2 BGB bereits nach zwei Wochen anzunehmen.437 Für eine solche Analogie fehlt es bereits an einer vergleichbaren Interessenlage – bei der Anordnung von Nacharbeit geht es um eine im Vergleich zu einer fristlosen Kündigung viel weniger einschneidende Maßnahme für den Arbeitnehmer.438 6. Zwischenergebnis Versäumt ein Arbeitnehmer seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung, ist er grundsätzlich zur Nachholung dieser ausgefallenen Arbeitsleistung verpflichtet. Diese Nachholungspflicht besteht jedoch dann nicht, wenn ihr der Grund für den Arbeitsausfall entgegensteht. Davon ist in den Fällen des § 615 S. 1 BGB sowie in Entgeltfortzahlungsfällen auszugehen, wenn nicht die Vertragsparteien eine zulässige konstitutive Nacharbeitsklausel vereinbart haben. Zudem können die Parteien die Nachholungspflicht für bestimmte Fälle vertraglich ausschließen. Zuletzt besteht eine Ausnahme von der Nachholungspflicht bei zeitweiligen Erfüllungshindernissen, die voraussichtlich bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses oder zumindest so lange bestehen werden, dass eine negative Prognose für eine ordentliche Kündigung gerechtfertigt ist. Hingegen bleibt es bei Lohnersatzleistungsfällen bei der Nachholungspflicht. Korrespondierend zu der grundsätzlichen Nachholungspflicht des Arbeitnehmers besteht für ihn auch ein Nacharbeitsrecht. Dieses Nacharbeitsrecht wird allerdings dadurch eingeschränkt, dass der Arbeitgeber durch Teilrücktritt auf die Nacharbeit verzichten kann, solange dieser nicht gemäß § 323 Abs. 6 Alt. 1 BGB ausgeschlossen ist oder gegen § 242 BGB verstößt.
434 BGH, Urt. v. 27. 06. 1957 – II ZR 15/56, BGHZ 25, 47 (52); Beschl. v. 25. 03. 1965 – V BLw 25/64, BGHZ 43, 289 (292); Urt. v. 20. 10. 1988 – VII ZR 302/87, BGHZ 105, 290 (298); BeckOK-BGB/Sutschet, § 242 BGB, Rn. 140. 435 Latzel, AcP 2021, 881 (916). 436 A. A. Hellfeier, Leistungszeit, S. 125, der aufgrund der besonderen Schutzwürdigkeit des Arbeitnehmers, der durch eine Nachleistung besonders in seinem privaten Lebensbereich berührt sei, bereits nach zwei Monaten eine Verwirkung annimmt. 437 Vgl. Sommer, Nichterfüllung, S. 212 ff.; das begründet er insb. mit der Schnelllebigkeit des Arbeitsrechts. 438 Hellfeier, Leistungszeit, S. 123; auch Blomeyer, in: MHA 2000, § 57, Rn. 29, Fn. 97 spricht von einer „gewagten Analogie“.
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Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
Die Nachholungspflicht des Arbeitnehmers ist zeitlich durch verschiedene Grenzen eingeschränkt. So ist die Nacharbeit nur bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses möglich. Zudem gelten die gesetzlichen Regelungen über die Verjährung sowie etwaige vertragliche Verfallsklauseln. Zuletzt kann der Anspruch des Arbeitgebers auf Nacharbeit gemäß § 242 BGB verwirkt sein.
III. Auswirkungen auf die Lage der Arbeitszeit Nach dem bisher geltenden Dogma der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht, das die Arbeitszeit als Identitätsmerkmal der Arbeitsleistung ansieht, kann die geschuldete Arbeitsleistung nur zu der vereinbarten Arbeitszeit oder gar nicht erfüllt werden. Jede frühere oder spätere Leistung als vertraglich vereinbart ist als aliud und damit nicht als die geschuldete Arbeitsleistung anzusehen. Die Lage der Arbeitszeit ist mithin fix und kann nicht verändert werden.439 Das ist bei einer Einordnung der Arbeitsleistung als relative Fixschuld anders zu sehen – geschuldete Arbeitsleistungen können daher nicht mehr nur an dem ursprünglich vereinbarten Termin erbracht werden, sodass die Lage der Arbeitszeit variabel ist. Unklar ist dabei, wie weit diese Variabilität der Lage der Arbeitszeit geht. Unbestritten ist, dass die dem Arbeitsverhältnis zugrundeliegende Arbeitszeitdogmatik Auswirkungen auf die Frage nach der Nachholbarkeit einer ursprünglich zu einem bestimmten Zeitpunkt geschuldeten, dann aber ausgefallenen Arbeitsleistung hat. Auf dieser Fallgestaltung liegt nämlich der Fokus der Diskussion um die dem Arbeitsverhältnis zugrundeliegende Arbeitszeitdogmatik. Die Vertreter des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht beantworten die Frage nach der Nachholbarkeit der Arbeitsleistung bekanntlich dahingehend, dass sie die Möglichkeit einer solchen Nachholung der Arbeitsleistung nicht zulassen. Hingegen ist die spätere Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung zu einem späteren Zeitpunkt möglich, wenn man die Arbeitsleistung richtigerweise als relative Fixschuld charakterisiert. Über die Frage nach der Nachholbarkeit der Arbeitsleistung hinaus kann die Lage der Arbeitszeit aber auch noch in weiteren Konstellationen durch die Arbeitszeitdogmatik betroffen sein. Zum einen kommt die Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung anstatt zu einem späteren Zeitpunkt auch zu einem früheren Zeitpunkt als vertraglich geschuldet in Betracht. Zum anderen spielt die Lage der Arbeitszeit auch in den Fällen eine Rolle, in denen der Arbeitnehmer zusätzlich zu der geschuldeten Arbeitsleistung weitere Arbeitsleistungen erbringt. Diese Konstellationen haben bisher noch keinen Eingang in die Diskussion um die dem Arbeitsverhältnis zugrundeliegende Arbeitszeitdogmatik gefunden. Wird die geschuldete Arbeitsleistung zu einem früheren Zeitpunkt als vertraglich geschuldet erbracht, liegt eine Vorholung der Arbeitsleistung vor. Eine solche 439
Vgl. bereits oben, Kapitel 3, B. I.
C. Konsequenzen aus Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld
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Vorholung der Arbeitsleistung kann im Rahmen der Arbeitszeitdogmatik nicht anders behandelt werden als ein Nachholen der Arbeitsleistung. Bei beiden handelt es sich um die geschuldete Arbeitsleistung, die zu anderen Zeitpunkten als vertraglich vereinbart erbracht wird – bei der Nachholung zu einem späteren Zeitpunkt, bei der Vorholung zu einem früheren Zeitpunkt. Daher steht das Dogma der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht ebenso wie einem Nachholen der geschuldeten Arbeitsleistung auch einem Vorholen ebendieser Arbeitsleistung entgegen. Erst durch die Abkehr von diesem Dogma der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht und die stattdessen erfolgende Einordnung der Arbeitsleistung als relative Fixschuld wird die Vorholung von Arbeitsleistungen möglich. Anders als bei der Vor- oder Nachholung von Arbeitsleistungen, bei denen es um die Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung zu vertraglich nicht vorgesehenen Zeitpunkten geht, kann ein Arbeitnehmer aber auch Arbeitsleistungen erbringen, die über die geschuldete Arbeitsleistung hinausgehen. Diese Arbeitsleistungen werden dann zusätzlich zur geschuldeten Arbeitsleistung erbracht und stellen gerade nicht die geschuldete Arbeitsleistung dar. Auch in dieser Konstellation könnte die veränderte Arbeitszeitdogmatik eine Rolle spielen. Das ist der Fall, wenn das Dogma der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht nicht nur eine frühere oder spätere Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung verbietet, indem eine solche als aliud angesehen wird, sondern es generell früheren oder späteren Arbeitsleistungen entgegensteht, auch wenn diese ursprünglich nicht geschuldet waren. Zur Beantwortung dieser Frage sind noch einmal die allgemeinen Grundsätze zu absoluten Fixgeschäften zu erinnern. Bei der absoluten Fixschuld besteht eine so enge Verbindung von Leistungszeit und Leistungspflicht, dass das Schicksal der Leistungspflicht als mit der Leistungszeit verbunden anzusehen ist. Es ist daher nahezu ausgeschlossen, dass der Gläubiger mit der Leistung des Schuldners nach dem vereinbarten Leistungszeitpunkt noch etwas anfangen kann. Vielmehr ist eine spätere Leistungserbringung für den Gläubiger sinnlos. Der Leistungszeitpunkt wird also von den Vertragsparteien als unabänderlich vorausgesetzt.440 Diese Unabänderlichkeit des Leistungszeitpunkts führt dazu, dass unter Geltung des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht nicht nur die geschuldete Arbeitsleistung, sondern auch darüberhinausgehende Arbeitsleistungen von Arbeitnehmern weder früher noch später als vertraglich vereinbart erbracht werden können. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass das Arbeitsverhältnis als unvollständiges Rechtsverhältnis anzusehen ist.441 Mit diesem Begriff des unvollständigen Rechtsverhältnisses kommt zum Ausdruck, dass bei Abschluss des Arbeitsvertrags die im 440
Siehe hierzu oben, Kapitel 3, A. II. Siehe zu dem Begriff des unvollständigen Rechtsverhältnisses eingehend BeckOKArbR/Joussen, § 611a BGB, Rn. 344 ff.; HWK/Thüsing, § 611a BGB, Rn. 435. 441
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Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
Rahmen des Vertrags zu erbringende Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers noch nicht eindeutig bestimmt ist. Vielmehr wird die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers im Arbeitsvertrag in der Regel nur rahmenmäßig umschrieben. Die Ausfüllung mit einzelnen Arbeitsleistungen erfolgt dann während der Dauer des Arbeitsvertrags über das Weisungsrecht des Arbeitgebers gemäß § 106 GewO.442 Anders als zum Beispiel bei einem Kaufvertrag, in dem die Kaufsache als geschuldete Leistung des Verkäufers in der Regel im Vertrag genau beschrieben ist, sodass sich die Unabänderlichkeit des Leistungszeitpunkts bei Vereinbarung einer absoluten Fixschuld nur auf diese konkret umschriebene Sache bezieht, ist die geschuldete Arbeitsleistung daher im Arbeitsvertrag in der Regel nicht sehr konkret umschrieben. Zwar müssen Arbeitsverträge gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 5 NachwG eine schriftliche „Charakterisierung oder Beschreibung der vom Arbeitnehmer zu leistenden Tätigkeit“ enthalten. Hierunter ist aber keine umfassende Beschreibung der Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers zu verstehen.443 In der Praxis finden sich in Arbeitsverträgen üblicherweise Tätigkeits- oder Stellenbeschreibungen, das heißt, die Tätigkeiten der Arbeitnehmer sind ihrer Art nach oder einem Berufsbild nach beschrieben.444 Eine solche Tätigkeits- oder Stellenbeschreibung bezieht sich dann aber auf die Tätigkeiten des Arbeitnehmers im Allgemeinen und nicht auf konkrete Tätigkeiten für bestimmte Zeiträume.445 Stattdessen ordnet der Arbeitgeber im Rahmen seines Weisungsrechts gemäß § 106 GewO diese konkreten Tätigkeiten, die sich dann innerhalb der vereinbarten Tätigkeits- oder Stellenbeschreibung im Arbeitsvertrag halten müssen, im Einzelfall für konkrete Zeitabschnitte an. Geht man nun mit dem Dogma der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht von einer Unabänderlichkeit des Leistungszeitpunkts aus, bezieht sich diese Unabänderlichkeit nach dem vorher Gesagten mangels Konkretisierung der Leistungspflichten des Arbeitnehmers im Arbeitsvertrag nicht nur auf eine konkrete Arbeitsleistung des Arbeitnehmers, sondern generell auf die im Arbeitsvertrag eher unbestimmt vereinbarte Arbeitsleistung. Daher unterscheiden sich Arbeitsleistungen zu den vertraglich vereinbarten Zeitpunkten einerseits und solche zu früheren oder späteren Zeitpunkten andererseits hinsichtlich der Unabänderlichkeit ihres Leistungszeitpunkts nicht. Nach dem Dogma der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht sind also 442 BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB, Rn. 344 ff.; BeckOGK/Maties, § 611a BGB, Rn. 744; ArbR-BGB/Schliemann, § 611BGB, Rn. 556, 568; HWK/Thüsing, § 611a BGB, Rn. 435. 443 BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB, Rn. 351. 444 BeckOGK/Maties, § 611a BGB, Rn. 744. 445 In diese Richtung auch Söllner, AuR 1967, 353 (357), der feststellt, dass Arbeitnehmer nicht die Erbringung von einzelnen Tätigkeiten oder sogar ein Arbeitsergebnis schulden, und Sommer, Nichterfüllung, S. 196, nach dem niemand „auf die Idee“ käme, „im Arbeitsvertrag festzulegen, welche konkreten Tätigkeiten morgen, in einer Woche, im nächsten Monat oder am 30.6. des kommenden Jahres zu erledigen“ seien.
D. Ergebnis
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alle Arbeitsleistungen, die nicht zu dem vereinbarten Leistungszeitpunkt erbracht werden, als für den Gläubiger sinnlos anzusehen. Daher muss das Dogma der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht so interpretiert werden, dass es jeder Erbringung einer Arbeitsleistung zu von der vertraglich vereinbarten Leistungszeit abweichenden Zeiten – das heißt auch einer zusätzlich zur vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung erbrachten Arbeitsleistung – entgegensteht. Hingegen können bei Einordnung der Arbeitsleistung als relative Fixschuld sogar geschuldete Arbeitsleistungen früher oder später als vertraglich vorgesehen erbracht werden. Insofern steht der Erbringung zusätzlicher Arbeitsleistungen zu früheren oder späteren Zeitpunkten erst recht nichts entgegen. Durch die Abkehr vom Dogma der absoluten Fixschuld hin zu einer Einordnung der Arbeitsleistung als relative Fixschuld wird also nicht nur die Nachholung der Arbeitsleistung ermöglicht, sondern auch die Vorholung derselben und die Erbringung von zusätzlichen Arbeitsleistungen zu früheren oder späteren Zeitpunkten.
D. Ergebnis Anders als die herrschende Ansicht mit ihrem Dogma der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht suggeriert, ist die Arbeitsleistung in der Regel keine absolute Fixschuld. In Ausnahmefällen kann das anders zu bewerten sein. Hierunter fallen Vertragsgestaltungen, in denen der Zeitpunkt der Erbringung der Arbeitsleistung Bestandteil des Leistungsinhalts selbst ist, sowie Fälle, in denen die Arbeitsvertragsparteien die Nachleistungspflicht des Arbeitnehmers vertraglich abbedungen haben. Mangels Nachholbarkeit ist die Arbeitsleistung in diesen Fällen als absolute Fixschuld einzuordnen. Aufgrund der hohen Bedeutung der Leistungszeit im Arbeitsverhältnis ist die Arbeitsleistung im Regelfall jedoch als relative Fixschuld anzusehen. Das gilt auch bei der Vereinbarung von Gleitzeit und Vertrauensarbeitszeit. Die bei diesen flexiblen Arbeitszeitmodellen in gewissen Grenzen eingeräumte Arbeitszeitsouveränität für den Arbeitnehmer ändert nichts an der Einordnung der Arbeitsleistung als relative Fixschuld. Folge der Einordnung der Arbeitsleistung als relative Fixschuld ist eine grundsätzlich bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses bestehende Pflicht des Arbeitnehmers zur Nachholung der versäumten Arbeitsleistung. Eine solche Nachholungspflicht ist jedoch ausgeschlossen, wenn ihr der Grund des Arbeitsausfalls entgegensteht. Zudem besteht die Nachholungspflicht nicht unbegrenzt, sondern unterliegt verschiedenen zeitlichen Grenzen wie der Verjährung, der Verwirkung und vertraglichen Verfallsklauseln. Zudem hat die veränderte Arbeitszeitdogmatik Auswirkungen auf die Lage der Arbeitszeit, das heißt auf den Zeitpunkt, zu dem ein Arbeitnehmer seine Arbeits-
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Kap. 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
leistungen erbringen darf. Dabei ist festzustellen, dass die veränderte Arbeitszeitdogmatik nicht nur eine Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung zu späteren Zeitpunkten als vertraglich vorgesehen ermöglicht, sondern dazu korrespondierend auch die Vorholung der Arbeitsleistung. Zuletzt ist auch die Erbringung zusätzlicher Arbeitsleistungen zu vertraglich nicht vorgesehenen Zeitpunkten erst durch die Veränderung der Arbeitszeitdogmatik möglich.
Kapitel 4
Die Überstunde Bei der Überstunde handelt es sich um ein praktisch sehr bedeutsames Phänomen – so wurden im Jahr 2020 in Deutschland insgesamt 1,66 Milliarden Überstunden geleistet, was einen Anteil von 3,2 % des gesamten Arbeitsvolumens ausmacht.1 Das kann auch darauf zurückgeführt werden, dass das Ableisten von Überstunden für beide Arbeitsvertragsparteien Vorteile bietet. Für den Arbeitgeber sind Überstunden ein geeignetes Instrument, um schnell und flexibel auf Nachfrageschwankungen oder personelle Engpässe reagieren zu können, ohne neue Arbeitsplätze schaffen zu müssen. Für Arbeitnehmer stellen Überstunden in vielen Fällen eine willkommene Gelegenheit zur Aufbesserung ihres Einkommens dar.2 Allerdings sind Überstunden nicht immer nur vorteilhaft für die Arbeitnehmer. Zum Teil werden sie auch nur deswegen geleistet, weil die Arbeitsmenge ansonsten nicht zu bewältigen ist.3 Dieser Aspekt der Überstunde wurde in der Coronapandemie noch einmal verstärkt deutlich. Zwar waren viele Beschäftigte in Kultur und Gastronomie von Kurzarbeit betroffen. In anderen Bereichen, insbesondere im Gesundheitssektor, kam es hingegen zu einer deutlich spürbaren Erhöhung der Arbeitsbelastung, die sich unter anderem auch in Überstunden bemerkbar gemacht hat.4 Anhand dieses praktisch relevanten Beispiels werden die bisherigen Ergebnisse zu den Veränderungen in der Arbeitszeitdogmatik auf ihre Praxistauglichkeit geprüft. Dazu wird zunächst dargestellt, wie der Begriff der Überstunde definiert wird (A.). Sodann wird aufgezeigt, dass die Auswirkungen der Veränderung der Arbeitszeitdogmatik weg vom Dogma der absoluten Fixschuld und hin zu einer Einordnung der Arbeitsleistung als relative Fixschuld auf den Komplex der Überstunde so stark sind, dass die Überstunde einen Anwendungsfall dieser veränderten Arbeitszeitdogmatik darstellt (B.).
1 Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit, Durchschnittliche Arbeitszeit und ihre Komponenten in Deutschland, https://doku.iab.de/arbeits marktdaten/tab-az2020.pdf (zuletzt abgerufen am 25. 02. 2022). 2 Hamm, Flexible Arbeitszeiten, S. 111; Heumann, PflR 2001, 422; Hülsemann, ArbRAktuell 2016, 1; Klocke, RdA 2014, 223; Raif/Nann, ArbRAktuell 2016, 204. 3 BT-Drs. 19/5174, S. 1. 4 BT-Drs. 19/29581, S. 1.
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Kap. 4: Die Überstunde
A. Der Begriff der Überstunde Der Begriff der Überstunde wird sowohl im allgemeinen Sprachgebrauch als auch im juristischen Kontext – so zum Beispiel in arbeitsrechtlichen Normen, Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen und in Arbeitsverträgen oder auch in der juristischen Literatur und Rechtsprechung – häufig verwendet. Dabei ist davon auszugehen, dass jede Person, die den Überstundenbegriff gebraucht, eine ungefähre Vorstellung davon hat, worum es dabei geht.5 Jedoch drängt sich gerade aufgrund der unterschiedlichen Kontexte, in denen der Begriff verwendet wird, die Vermutung auf, dass nicht jeder Verwender des Überstundenbegriffs auch dasselbe Begriffsverständnis hat. Diese Vermutung wird dadurch verstärkt, dass neben dem Begriff der Überstunde auch immer wieder die Begriffe der Überarbeit und der Mehrarbeit gebraucht werden. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff der Überstunde in der Regel verwendet, um Arbeitsstunden zu bezeichnen, die zusätzlich, das heißt über das eigentlich geschuldete Maß hinaus, geleistet werden.6 Im Folgenden wird untersucht, ob der Begriff der Überstunde im juristischen Sinne diesem Verständnis im allgemeinen Sprachgebrauch entspricht oder ob und gegebenenfalls wie das juristische Verständnis des Überstundenbegriffs hiervon abweicht. Ausgehend von den rechtlichen Grundlagen, die bei der Bestimmung eines Begriffs der Überstunde zu beachten sind (I.), sowie von der Erkenntnis, dass es in der juristischen Literatur und Rechtsprechung keinen einheitlichen Begriff der Überstunde gibt (II.), wird dabei ein eigener Überstundenbegriff erarbeitet (III.). Zuletzt wird der Begriff der Überstunde von den Begriffen der Überarbeit und der Mehrarbeit abgegrenzt (IV.).
I. Rechtliche Grundlagen Das Recht der Überstunde ist ein kleines Teilgebiet des Arbeitsrechts. Daher können grundsätzlich alle Rechtsquellen, die Regelungen für das allgemeine Arbeitsrecht enthalten, auch für den Bereich der Überstunde relevant sein.7 Das sind vor allem gesetzliche Regelungen – hier insbesondere das ArbZG und die §§ 611a ff. BGB –, kollektivrechtliche Regelungen in Form von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, individualrechtliche Vereinbarungen im Arbeitsvertrag und gegebenenfalls das Richterrecht.8 Im Folgenden wird untersucht, ob diese Rechts5
Hamm, AiB 2006, 678. Engelhardt, AiB 2001, 451 (452). 7 Bregnard-Lustenberger, Überstunden- und Überzeitarbeit, S. 11; siehe allgemein zu den Rechtsquellen des Arbeitsrechts Brox/Rüthers/Henssler, ArbR, S. 31 ff.; Kamanabrou, ArbR, S. 69 ff.; BeckOGK/Maties, § 611a BGB, Rn. 217 ff.; Preis/Temming, Rn. 377 ff.; MüKoBGB/Spinner, § 611a BGB, Rn. 177 ff.; Zöllner/Loritz/Hergenröder, ArbR, S. 68 ff. 8 Ob das Richterrecht tatsächlich eine Rechtsquelle darstellt, ist umstritten; bejahend: HWK/Thüsing, Vor § 611a BGB, Rn. 29; verneinend: ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 234. 6
A. Der Begriff der Überstunde
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quellen den Begriff der Überstunde definieren oder sonstige Vorgaben für die Begriffsbestimmung setzen. Dabei wird zunächst auf gesetzliche Regelungen eingegangen (1.), danach auf kollektivrechtliche (2.) und individualrechtliche Regelungen (3.) und zuletzt auf das Richterrecht (4.). 1. Keine Legaldefinition Der Überstundenbegriff wurde in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts in einige arbeitsrechtliche Normen aufgenommen, jedoch ohne dass er an diesen Stellen definiert würde.9 So wurde mit Wirkung zum 01. 01. 1999 § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AEntG eingeführt (jetzt § 5 S. 1 Nr. 1 AEntG10), der Überstunden lediglich insoweit erwähnte, dass „Überstundensätze“ Gegenstand eines Tarifvertrags nach § 3 AEntG sein können. § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG in der ebenfalls seit dem 01. 01. 1999 geltenden Fassung und § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG in der seit dem 01. 10. 1996 geltenden Fassung bestimmen, dass bei der Bemessung des fortzuzahlenden Entgelts bei Krankheit beziehungsweise Urlaub des Arbeitnehmers das zusätzlich für „Überstunden“ gezahlte Arbeitsentgelt außer Betracht bleibt. § 75 BPersVG regelt die Mitbestimmung des Personalrates bei der Anordnung von „Überstunden“. Auch in der ArbZ-RL findet die Überstunde Erwähnung. In Art. 6 lit. b) der ArbZ-RL findet sich eine Bestimmung, nach der die Mitgliedstaaten verhindern sollen, dass „die durchschnittliche Arbeitszeit pro Siebentageszeitraum 48 Stunden einschließlich der Überstunden“ überschreitet. Trotz der Erwähnung der Überstunde in diesen Normen ist allerdings festzuhalten, dass keine arbeitsrechtliche Norm eine Legaldefinition für den Überstundenbegriff enthält.11 2. Kollektivrechtliche Vereinbarungen Auch in kollektivrechtlichen Vereinbarungen finden sich oft Regelungen zur Überstunde. Die Verwendung des Überstundenbegriffs in diesen Regelungen erfolgt allerdings sehr uneinheitlich. Vergleichbare Regelungssachverhalte werden oft unterschiedlich bezeichnet,12 teilweise sogar innerhalb desselben Kollektivvertrags. Zur Verdeutlichung dieser Uneinheitlichkeit einige Beispiele:13 9
Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 29 f. Eingeführt durch das „Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen“ vom 20. 04. 2009, BGBl. I, S. 799 ff. 11 Zu diesem Ergebnis kommen auch Rath, Pauschale Abgeltung, S. 44 und Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 29 f. 12 Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 31. 13 Die Beispiele sind im Wesentlichen Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 30 f. entnommen; weitere Beispiele finden sich bei Rath, Pauschale Abgeltung, S. 45, Fn. 113. 10
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Kap. 4: Die Überstunde
– In den „Allgemeinen Geschäftsbedingungen für die ver.di Beschäftigten“ werden Überstunden in § 10 Abs. 1 als „auf Anordnung geleistete Arbeitsstunden, die über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit […] hinausgehen“ definiert. § 10 Abs. 3 und 4 greifen den Begriff der Überstunde auf, wohingegen § 10 Abs. 5 von Mehrarbeit spricht, ohne wiederum zu erklären, was hierunter zu verstehen ist, insbesondere, ob unter Mehrarbeit etwas anderes zu verstehen ist als unter Überstunden.14 – § 3 Nr. 5.1 des Bundesrahmentarifvertrags Bau bezeichnet die „über die regelmäßige werktägliche Arbeitszeit hinaus geleisteten Arbeitsstunden“ als „Überstunden (Mehrarbeit)“, verwendet also den Begriff der Überstunde synonym zu dem Begriff der Mehrarbeit.15 – In § 7a Nr. 1 des Manteltarifvertrags für den Niedersächsischen Einzelhandel wird „über die im § 5 festgelegte regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistete Arbeitszeit“ als Mehrarbeit bezeichnet. Damit knüpft diese Norm an die tariflich festgelegte regelmäßige Arbeitszeit an. – § 5 des Manteltarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Druckindustrie wiederum bezeichnet die „Arbeitsstunden, die über die […] vereinbarte tägliche Arbeitszeit“ hinausgehen, als Überstunden. – Zuletzt ist noch § 7 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (im Folgenden: TVöD) zu nennen, wonach Mehrarbeit gemäß § 7 Abs. 6 TVöD nur von Teilzeitbeschäftigten geleistet werden kann, indem diese Arbeitsstunden leisten, die „über die vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit hinaus bis zur regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von Vollbeschäftigen“ gehen. Hingegen können gemäß § 7 Abs. 7 TVöD Überstunden nur von Vollbeschäftigten geleistet werden. Nach § 7 Abs. 7 TVöD sind Überstunden „die auf Anordnung des Arbeitgebers geleisteten Arbeitsstunden, die über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit von Vollbeschäftigten […] für die Woche […] festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen und nicht bis zum Ende der folgenden Kalenderwoche ausgeglichen werden können.16 Bereits aufgrund dieser wenigen Beispiele ist festzuhalten, dass eine deutliche Divergenz verschiedener Tarifverträge hinsichtlich des Überstundenbegriffs besteht. Auch in Betriebsvereinbarungen wird der Überstundenbegriff nicht einheitlich gebraucht.17 Aufgrund dieser Uneinheitlichkeit der kollektivrechtlichen Regelungen zu dem Bereich der Überstunde werden diese im Folgenden außer Betracht gelassen, das heißt den folgenden Ausführungen liegt eine Situation zugrunde, in der es keine
14 Vgl. hierzu BAG, Urt. v. 26. 06. 2019 – 5 AZR 452/18, BAGE 167, 158 (163 f.); Bettinghausen, BB 2019, 2740. 15 Zum Begriff der Mehrarbeit siehe unten, Kapitel 4, A. IV. 1. 16 Vgl. hierzu auch Reichold, in: MHA, § 40, Rn. 72. 17 Rath, Pauschale Abgeltung, S. 45.
A. Der Begriff der Überstunde
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kollektivrechtlichen Regelungen gibt, in denen definiert wird, was unter einer Überstunde zu verstehen ist. 3. Arbeitsvertrag Nicht nur kollektivrechtliche Regelungen, sondern auch Individualarbeitsverträge enthalten häufig Regelungen zu Überstunden. Jedoch liegt auch diesen kein einheitliches Begriffsverständnis der Überstunde zugrunde, sodass der Begriff der Überstunde in Arbeitsverträgen sehr uneinheitlich gebraucht wird.18 Dadurch ist letztlich für jeden Arbeitsvertrag gesondert zu untersuchen, welches Begriffsverständnis diesem zugrunde liegt. Aufgrund dieser Uneinheitlichkeit der individuellen Arbeitsverträge werden diese im Folgenden ebenfalls außer Betracht gelassen. 4. Richterrecht Der Bereich der Überstunde ist Gegenstand zahlreicher Rechtsstreitigkeiten. Dabei geht es zumeist um die Fragen, ob ein Arbeitnehmer verpflichtet war, Überstunden zu erbringen oder ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für geleistete Überstunden eine Gegenleistung zu zahlen hat.19 Der Begriff der Überstunde wird im Rahmen dieser Rechtsstreitigkeiten eher selten eingehend thematisiert. Lediglich im Bereich der Entgeltfortzahlungsregelungen – genauer bei § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG – gab es bereits relevante Entscheidungen zum Begriffsverständnis der Überstunde.20
II. Uneinheitliche Begriffsbildung in Literatur und Rechtsprechung Aufgrund der praktischen Relevanz der Überstunde gibt es auch in der juristischen Literatur sehr viele Beiträge, die Bezug auf die Überstunde nehmen. Dabei wird zwar oftmals ausführlich auf die Rechtsfolgen der Überstunde oder den Überstundenprozess eingegangen.21 Hinsichtlich des Begriffs der Überstunde fehlt es jedoch an eingehenden Ausführungen in der juristischen Literatur. 18
Rath, Pauschale Abgeltung, S. 45. Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 29; genauer Hunold, DB 2014, 361, der als Themen der Rechtsprechung im Bereich der Überstunde u. a. die Anordnungsbefugnis, die Voraussetzungen für einen Vergütungsanspruch, die Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess und die AGB-Kontrolle von Überstundenklauseln ansieht. 20 Siehe hierzu genauer Kapitel 4, A. III. 3. a) aa). 21 Hülsemann, ArbRAktuell 2016, 1 (2 ff.); Hümmerich/Rech, NZA 1999, 1132 ff.; Hunold, DB 2014, 361 ff.; Klocke, RdA 2014, 223 ff.; Lakies, ArbRAktuell 2013, 541 ff.; Raif/ Nann, ArbRAktuell 2016, 204 (205 ff.); Salamon/Groffy, NZA 2020, 159 ff.; Salamon/Hoppe/ Rogge, BB 2013, 1720 (1721 ff.); Seel, DB 2005, 1330 (1331). 19
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Kap. 4: Die Überstunde
Werden Ausführungen zum Überstundenbegriff gemacht, ist die juristische Terminologie bei der Begriffsbildung sehr uneinheitlich.22 Einigkeit besteht lediglich darin, dass bei einer Überstunde eine Arbeitsleistung vorliegt, die über das eigentliche Maß hinausgeht.23 Allerdings halten dabei manche Stimmen die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit für maßgeblich,24 zum Teil wird auf die betriebliche25 oder eine tarifvertragliche26 Arbeitszeit abgestellt. Manche Autoren treffen diesbezüglich gar keine konkrete Aussage, indem sie – in sich widersprüchlich – auf mehrere Arbeitszeiten Bezug nehmen.27 Zudem fordern manche Stimmen, dass Überstunden auf Anordnung oder mit Billigung des Arbeitgebers geleistet werden müssen.28 Wieder andere fordern das Merkmal der Unregelmäßigkeit für das Vorliegen von
22
Vgl. auch Gragert, in: MAHA, § 14, Rn. 45. Vgl. BAG, Urt. v. 08. 11. 1989 – 5 AZR 642/88, BAGE 63, 221 (224); Urt. v. 11. 11. 1997 – 9 AZR 566/96, NZA 1998, 1011 (1012); Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 49; Gragert, in: MAHA, § 14, Rn. 45; Heumann, PflR 2001, 422; Hülsemann, ArbRAktuell 2016, 1; Hümmerich/Rech, NZA 1999, 1132; Hunold, DB 2014, 361; Klocke, RdA 2014, 223; Lakies, ArbRAktuell 2013, 541; Linck, in: Schaub, § 69, Rn. 7; Pletke/Schrader/Siebert u. a., Flexible Arbeit, B., Rn. 464; Poeche, in: Küttner, Stichwort: Überstunden, Rn. 1; Pötters/Stiebert, NJW 2012, 1034 (1036); ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 663; Preis/Temming, Rn. 1136; Raif/ Nann, ArbRAktuell 2016, 204; Salamon/Groffy, NZA 2020, 159; Salamon/Hoppe/Rogge, BB 2013, 1720; Schneider, in: Preis, Der Arbeitsvertrag, Teil II, A 90, Rn. 98; Schwerdtner, Brennpunkte des Arbeitsrechts 2003, 305 (306); Seel, DB 2005, 1330 (1331); Studt, AuA 2003, 14; Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 28. 24 BAG, Urt. v. 08. 11. 1989 – 5 AZR 642/88, BAGE 63, 221 (224); Urt. v. 11. 11. 1997 – 9 AZR 566/96, NZA 1998, 1011 (1012); Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 49; Gragert, in: MAHA, § 14, Rn. 45; Hülsemann, ArbRAktuell 2016, 1; Hümmerich/Rech, NZA 1999, 1132; Klocke, RdA 2014, 223; Lakies, ArbRAktuell 2013, 541; Pletke/Schrader/Siebert u. a., Flexible Arbeit, B., Rn. 464; Poeche, in: Küttner, Stichwort: Überstunden, Rn. 1; Pötters/Stiebert, NJW 2012, 1034 (1036); ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 663; Preis/Temming, Rn. 1136; Raif/Nann, ArbRAktuell 2016, 204; Salamon/Hoppe/Rogge, BB 2013, 1720; Schneider, in: Preis, Der Arbeitsvertrag, Teil II, A 90, Rn. 98; Schwerdtner, Brennpunkte des Arbeitsrechts 2003, 305 (306); Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 28; in diese Richtung geht auch der Diskussionsentwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes, den Henssler und Preis 2006 vorgelegt haben und der in § 28 Abs. 2 ArbVG-E Überstunden definiert als „die über die vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit hinausgehenden Zeiten der Beschäftigung“, vgl. Henssler/Preis, Arbeitsvertragsgesetz, S. 25. In der neuesten Fassung von November 2007 ist die wortgleiche Regelung in § 29 Abs. 2 ArbVG-E enthalten, vgl. Henssler/Preis, NZA-Beil. 2007, 6 (12). 25 Heumann, PflR 2001, 422; Studt, AuA 2003, 14. 26 Linck, in: Schaub, § 69, Rn. 7. 27 Vgl. Hunold, DB 2014, 361: „über die von ihm geschuldete regelmäßige bzw. betriebsübliche Arbeitszeit hinaus“; Salamon/Groffy, NZA 2020, 159: „über die vertraglich oder tariflich festgelegte Arbeitszeit hinaus“; Seel, DB 2005, 1330 (1331): „Überschreitung der regelmäßigen tariflichen, betrieblichen oder einzelvertraglichen Arbeitszeit“. 28 Klagges, in: ArbRFV-HdB, A. Individualarbeitsrecht, Rn. 130; Linck, in: Schaub, § 69, Rn. 7, 17 ff.; Poeche, in: Küttner, Stichwort: Überstunden, Rn. 4; Raif/Nann, ArbRAktuell 2016, 204; auch der Diskussionsentwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes von Henssler/Preis sieht in § 29 Abs. 1 ArbVG-E vor, dass Überstunden „auf Verlangen des Arbeitgebers“ zu leisten sind; vgl. hierzu genauer unten, Kapitel 4, A. III. 2. 23
A. Der Begriff der Überstunde
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Überstunden, indem sie die Deckung eines unvorhergesehenen und vorübergehend erhöhten Arbeitsbedarfs fordern.29 Dazu kommt, dass oftmals im Kontext der Überstunde die Begriffe der Mehrarbeit und der Überarbeit synonym zum Begriff der Überstunde verwendet werden30 oder zumindest unklar bleibt, worin sich diese Begriffe unterscheiden.31
III. Eigene Bestimmung des Begriffs der Überstunde Aufgrund der aufgezeigten Uneinheitlichkeiten in der juristischen Terminologie hinsichtlich des Begriffs der Überstunde ist eine eingehendere Befassung mit diesem Begriff erforderlich, im Rahmen derer eine eigene Bestimmung des Überstundenbegriffs erfolgt. 1. Überobligatorische Arbeitsleistung Zunächst muss eine Arbeitsleistung des Arbeitnehmers vorliegen, die über das eigentlich geschuldete Maß hinausgeht. Eine solche überobligatorische Arbeitsleistung fängt also dort an, wo ein Arbeitnehmer das eigentlich geschuldete Maß an Arbeitsleistung erfüllt hat und darüber hinaus weiterarbeitet. Dieses Erfordernis einer überobligatorischen Arbeitsleistung lässt sich schon aus dem Wortlaut des Wortes „Überstunde“ ableiten. Der Begriff der Überstunde lässt sich in die Wortteile „Über“ und „Stunde“ teilen. Für das Merkmal der überobligatorischen Arbeitsleistung ist der erste Wortteil („Über“) entscheidend. Mit dem Wort „Über“ verbindet sich ein Überschreiten einer bestimmten Grenze.32 Es wird also durch den Wortteil „Über“ eine Arbeitsleistung beschrieben, die „über“ die Grenze des üblichen oder eigentlich vorgesehenen Maßes hinausgeht33 – mithin eine überobligatorische Arbeitsleistung. 29
BAG, Urt. v. 07. 12. 2005 – 5 AZR 535/04, BAGE 116, 267; Bauer/Günther, DB 2006, 950; Lindemann, AP TzBfG § 12 Nr. 4; dies., Schuldrechtsreform, S. 266; Meinel/Heyn/ Herms, § 12, Rn. 47; Reichold, in: MHA, § 40, Rn. 70; Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 28; vgl. hierzu genauer unten, Kapitel 4, A. III. 3. 30 Vgl. BAG, Urt. v. 16. 05. 1962 – 4 AZR 277/61, AP BGB § 611 Mehrarbeitsvergütung Nr. 7; Urt. v. 12. 01. 1988 – 1 ABR 54/86, NZA 1988, 517 (518); Urt. v. 08. 11. 1989 – 5 AZR 642/88, BAGE 63, 221 (224 f.); Frey, DB 1966, Beilage Nr. 2, 1; Hamm, Flexible Arbeitszeiten, S. 108; Necati, in: Preis, Innovative Arbeitsformen, S. 226; Preis/Temming, Rn. 1136; Reinfelder, AuR 2018, 335; Sladowsky, Gesetzeswidrige Mehrarbeit, S. 1; Vogelsang, in: Schaub, § 160, Rn. 33. 31 Eine Abgrenzung des Überstundenbegriffs von den Begriffen der Mehrarbeit und Überarbeit wird in Kapitel 4, A. IV. vorgenommen. 32 https://www.duden.de/rechtschreibung/ueber_auf_darueber_darauf (zuletzt abgerufen am 25. 02. 2022). 33 Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 29.
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Kap. 4: Die Überstunde
Diese überobligatorische Arbeitsleistung wird quantitativ bestimmt, das heißt über die vom Arbeitnehmer erbrachte Arbeitszeit. Insofern ist die quantitative überobligatorische Leistung von der qualitativen überobligatorischen Leistung abzugrenzen. Zudem ist zu untersuchen, was das vom Arbeitnehmer geschuldete Maß an Arbeitszeit ist, das er mit seiner überobligatorischen Arbeitsleistung überschreitet. a) Quantitative Bestimmung der überobligatorischen Arbeitsleistung Es kann zwischen qualitativen und quantitativen überobligatorischen Leistungen unterschieden werden. Eine qualitative überobligatorische Leistung (auch qualitative Mehrleistung genannt)34 erbringt ein Arbeitnehmer, wenn er höherwertige Leistungen erbringt als die laut Arbeitsvertrag geschuldeten Leistungen.35 Die qualitative überobligatorische Leistung wird demnach über die im Arbeitsvertrag enthaltene Tätigkeitsbeschreibung bestimmt. Eine qualitative überobligatorische Leistung liegt zum Beispiel vor, wenn ein Arbeitnehmer für einfache Schreib- und Hilfsarbeiten bei der Fertigstellung eines Buchmanuskripts eingestellt ist, tatsächlich aber darüber hinaus einen wesentlichen schöpferischen Beitrag zum Manuskript erbringt.36 Demgegenüber versteht man unter einer quantitativen überobligatorischen Leistung (auch quantitative Mehrleistung genannt)37 eine Arbeitsleistung, die umfangreicher ist als vertraglich geschuldet.38 Da das Maß für die Arbeitsleistung die Arbeitszeit ist, wird die quantitative überobligatorische Leistung demnach über die Arbeitszeit bestimmt, das heißt sie liegt vor, wenn der Arbeitnehmer über die Arbeitszeit, die er eigentlich schuldet, hinaus Arbeitszeit ableistet. Die Überstunde ist als quantitative überobligatorische Arbeitsleistung einzuordnen.39 Auch das kann mit dem Wortlaut des Wortes „Überstunde“ begründet
34
MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 612 BGB, Rn. 19; ErfK/Preis, § 612 BGB, Rn. 16. BAG, Urt. v. 25. 03. 2015 – 5 AZR 874/12, AP BGB § 612 Nr. 78 (Rn. 24); Urt. v. 23. 09. 2015 – 5 AZR 626/13, AP BGB § 612 Nr. 79 (Rn. 19 f.); Benecke, in: MHA, § 37, Rn. 15; MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 612 BGB, Rn. 20; ErfK/Preis, § 612 BGB, Rn. 16; Preis/Temming, Rn. 1289; Vogelsang, in: Schaub, § 67, Rn. 23. 36 BGH, Urt. v. 11. 11. 1977 – I ZR 56/75, AP BGB § 612 Nr. 30 (unter III. 4. der Gründe); MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 612 BGB, Rn. 20. 37 MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 612 BGB, Rn. 19; ErfK/Preis, § 612 BGB, Rn. 18; Vogelsang, in: Schaub, § 67, Rn. 23. 38 Benecke, in: MHA, § 37, Rn. 15; ErfK/Preis, § 612 BGB, Rn. 18. 39 So auch Benecke, in: MHA, § 37, Rn. 16; MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 612 BGB, Rn. 21; ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 488; Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 29; ders., in: Schaub, § 67, Rn. 23; so können auch Hümmerich/Rech, NZA 1999, 1332 (1133) verstanden werden, nach denen es gedanklich ausgeschlossen ist, dass ein Arbeitnehmer Überstunden leistet, wenn seine Arbeitszeit nicht im Arbeitsvertrag quantifiziert wurde; zudem ist nach 35
A. Der Begriff der Überstunde
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werden. Diesmal ist der zweite Wortteil „Stunde“ entscheidend. Durch die Verbindung mit dem zweiten Wortteil „Stunde“ lässt sich schließen, dass das eigentlich geschuldete Maß der Arbeitsleistung quantitativ – das heißt in Form von geleisteter Arbeitszeit – und nicht qualitativ – das heißt in Form von Arbeitsergebnissen – bestimmt werden soll.40 Zudem spricht für eine quantitative Bestimmung der überobligatorischen Arbeitsleistung auch die Tatsache, dass die Arbeitszeit der klassische Faktor ist, um die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers zu bestimmen. Die Arbeitszeit ist grundsätzlich der Anknüpfungspunkt für die Beurteilung, ob der Arbeitnehmer seine Hauptleistungspflicht erfüllt hat.41 Insofern ist es sinnvoll, auch bei der überobligatorischen Arbeitsleistung, also einer Arbeitsleistung, die über die eigentliche Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers hinausgeht, an die Arbeitszeit anzuknüpfen und die überobligatorische Arbeitsleistung damit quantitativ zu bestimmen. Das bedeutet, dass eine Überstunde gegeben ist, wenn ein Arbeitnehmer Arbeitszeit ableistet, die über die Arbeitszeit, die er eigentlich schuldet, hinausgeht. b) Maßgebliche Arbeitszeit für die Bestimmung der überobligatorischen Arbeitsleistung Mit der Feststellung, dass die überobligatorische Arbeitsleistung bei Überstunden quantitativ zu bestimmen ist, stellt sich die Frage, ab welcher Arbeitszeit der Arbeitnehmer seine eigentlich geschuldete Arbeitszeit überschreitet, mit der Folge, dass die Arbeitsleistungen ab diesem Zeitpunkt als überobligatorisch anzusehen sind. Es ist also zu untersuchen, welche Arbeitszeit als Anknüpfungspunkt für die Ermittlung der geschuldeten Arbeitszeit und damit gleichzeitig für die Festlegung, wo die überobligatorische Arbeitsleistung beginnt, heranzuziehen ist. aa) Mögliche Anknüpfungspunkte Mögliche Anknüpfungspunkte für die Frage nach der maßgeblichen Arbeitszeit sind die gesetzliche Arbeitszeit, eine kollektiv geltende Arbeitszeit oder die individuelle Arbeitszeit des betreffenden Arbeitnehmers. (1) Gesetzliche Arbeitszeit Mit der gesetzlichen Arbeitszeit ist nicht etwa eine Regelarbeitszeit von Gesetzes wegen, das heißt eine durch den Gesetzgeber festgelegte Regelarbeitszeit, gemeint. Eine solche Regelarbeitszeit galt unter der Arbeitszeiordnung (im Folgenden:
Hülsemann, ArbRAktuell 2016, 1 der Überstundenbegriff Ausdruck für eine „überoe Anzahl an Arbeitsstunden“ und nicht für eine „überobligatorisch bewältigte Menge an Arbeit“. 40 Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 29. 41 Günther/Böglmüller, NZA-Beil. 2019, 95 (97); Heinrich, Jura 1996, 235 (236); Söllner, AuR 1967, 353 (357).
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Kap. 4: Die Überstunde
AZO),42 dem Vorgängergesetz zum heutigen ArbZG.43 Im Unterschied hierzu legt das ArbZG eine solche Regelarbeitszeit von Gesetzes wegen nicht mehr fest. Vielmehr meint „gesetzliche Arbeitszeit“ die im öffentlichen Arbeitszeitrecht festgelegte Höchstarbeitszeit. Diese ergibt sich aus den §§ 3 ff. ArbZG. Gemäß § 3 S. 1 ArbZG – der Kernvorschrift des ArbZG –44 darf die werktägliche Arbeitszeit eines Arbeitnehmers acht Stunden nicht überschreiten. Unter Werktag ist dabei – entsprechend der Definition in § 3 Abs. 2 BUrlG –45 jeder Tag zu verstehen, der nicht Sonn- oder gesetzlicher Feiertag ist.46 Die werktägliche Arbeitszeit kann jedoch gemäß § 3 S. 2 ArbZG auf bis zu zehn Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Monaten beziehungsweise 24 Wochen die Arbeitszeit im Durchschnitt acht Stunden werktäglich beträgt. Ein Arbeitnehmer kann also gemäß § 3 S. 2 ArbZG im Einzelfall bis zu 60 Stunden wöchentlich arbeiten (6 Werktage á 10 Stunden). Darin ist die absolute zeitliche Grenze für die wöchentliche Höchstarbeitszeit zu sehen – und zwar gemäß § 11 Abs. 2 ArbZG auch in den Fällen, in denen zusätzlich an Sonn- oder Feiertagen gearbeitet wird.47 Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit über sechs Monate beziehungsweise 24 Wochen hinweg darf hingegen keine 60 Stunden betragen. Vielmehr ist die durchschnittliche wöchentliche Höchstarbeitszeit aufgrund des durch § 3 S. 2 ArbZG geforderten Ausgleichs begrenzt. Dabei gehen manche Stimmen in der juristischen Literatur davon aus, dass unabhängig von der konkreten Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses hinsichtlich der Wochenarbeitstage die wöchentliche Höchstarbeitszeit im Rahmen von § 3 S. 2 ArbZG stets auf 48 Stunden begrenzt ist.48 Richtigerweise ist jedoch danach zu differenzieren, welche Vereinbarungen die Arbeitsvertragsparteien hinsichtlich der zu leistenden Wochenarbeitstage getroffen haben: Ist eine 6-Tage-Woche vereinbart, beträgt die wöchentliche Höchstarbeitszeit tatsächlich 48 Stunden. Bei Vereinbarungen mit weniger als sechs Arbeitstagen pro Woche ist die wöchentliche Arbeitszeit insofern nach unten zu korrigieren, als dass sich insgesamt maximal eine durchschnittliche werktägliche Arbeitszeit von acht Stunden ergeben darf. So ergibt 42
Arbeitszeitordnung vom 30. 04. 1938, RGBl. I, S. 447 ff. Hümmerich/Rech, NZA 1999, 1332 (1333); Zmarzlik, DB 1994, 1082 (1083). 44 ErfK/Roloff, § 3 ArbZG, Rn. 1. 45 LAG Saarland, Urt. v. 09. 04. 2014 – 2 Sa 145/13, BeckRS 2014, 69776 (unter II. 2. a) der Gründe). 46 LAG Saarland, Urt. v. 09. 04. 2014 – 2 Sa 145/13, BeckRS 2014, 69776 (unter II. 2. a) der Gründe); ErfK/Roloff, § 3 ArbZG, Rn. 2; im Ergebnis auch BeckOK-ArbR/Kock, § 3 ArbZG, Rn. 1, der unter Werktagen die Tage von Montag bis Samstag mit Ausnahme der gesetzlichen Feiertage versteht. 47 Anzinger/Koberski, § 3, Rn. 24; Rath, Pauschale Abgeltung, S. 31. 48 LAG Saarland, Urt. v. 09. 04. 2014 – 2 Sa 145/13, BeckRS 2014, 69776 (unter II. 2. a) der Gründe); Baeck/Deutsch/Winzer, § 3, Rn. 22; Erasmy, NZA 1994, 1105; Rath, Pauschale Abgeltung, S. 31; Zmarzlik, DB 1994, 1082 (1083). 43
A. Der Begriff der Überstunde
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sich zum Beispiel bei einer 5-Tage-Woche eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 40 Stunden.49 Das ist vor allem mit dem gesetzgeberischen Willen bei Schaffung des ArbZG zu begründen. Ausweislich der Gesetzesbegründung wollte der Gesetzgeber auch unter Geltung des ArbZG den 8-Stunden-Tag beibehalten.50 Bei Geltung des 8-StundenTages soll der Arbeitnehmer also durchschnittlich maximal acht Stunden pro Arbeitstag arbeiten. Eine pauschale wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden stünde diesem Ziel entgegen, da diese 48 Stunden bei Vereinbarungen, die weniger als sechs Arbeitstage die Woche vorsehen, eine höhere werktägliche Arbeitszeit als acht Stunden erlauben würden. So ergäben sich zum Beispiel in einer 5-Tage-Woche durchschnittliche werktägliche Höchstarbeitszeiten von 9,6 Stunden (48:5). Die gesetzgeberische Intention zur Beibehaltung des 8-Stunden-Tages wird durch die Aufzeichnungspflicht des § 16 Abs. 2 ArbZG untermauert. Diese bezieht sich nämlich lediglich auf § 3 S. 1 ArbZG und nicht auf § 3 S. 2 ArbZG,51 sodass bereits die acht Stunden überschreitende werktägliche Arbeitszeit aufgezeichnet werden muss. Zudem ist es gesetzessystematisch einleuchtend, im Rahmen des ArbZG ebenso wie im BUrlG eine Umrechnung der sich auf die 6-Tage-Woche beziehenden Regelungen vorzunehmen. So entspricht es im Rahmen von § 3 Abs. 1 BUrlG der einhelligen Meinung, dass die dort genannten 24 Werktage, die ein Arbeitnehmer als Urlaub beanspruchen kann, sich ausschließlich auf eine 6-Tage-Woche beziehen und daher bei hiervon abweichenden Vereinbarungen über die Wochenarbeitstage umzurechnen sind.52 Aufgrund der ähnlichen Schutzzwecke von Urlaubsrecht einerseits und Arbeitszeitrecht andererseits – nämlich die Gewährung und Verbesserung des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer nach § 1 Nr. 1 ArbZG und gemäß den Erwägungsgründen 2, 4, 5, 11 der ArbZ-RL – ist es überzeugend, die im BUrlG anerkannte Umrechnung auch auf den Bereich der Höchstarbeitszeit im Sinne von § 3 S. 2 ArbZG anzuwenden.53 Ausnahmen von dieser gesetzlichen Höchstarbeitszeit in § 3 ArbZG können gemäß §§ 7, 14, 15 ArbZG festgesetzt werden. Zudem gibt es Sonderregelungen für Jugendliche und schwangere beziehungsweise stillende Frauen. § 7 ArbZG ermöglicht es den Tarifvertragsparteien, von den Vorgaben des § 3 ArbZG abzuweichen, indem die werktägliche Arbeitszeit durch Tarifvertrag oder 49 So auch ArbG Herford, Urt. v. 18. 06. 2013 – 1 Ca 1445/12, BeckRS 2013, 72115 (unter A. 4. b) bb) (1) der Gründe); Bauer/Krieger, BB 2004, 549, Fn. 11; Lützen, NZA 2021, 682 ff. 50 Vgl. BT-Drs. 12/5888, S. 20. 51 Lützen, NZA 2021, 682 (683). 52 BAG, Urt. v. 27. 01. 1987 – 8 AZR 579/84, BAGE 54, 141 (143 f.); Urt. v. 08. 09. 1998 – 9 AZR 161/97, BAGE 89, 362 (364 f.); Urt. v. 12. 12. 2001 – 5 AZR 257/00, AP BGB § 612 Nr. 65 (unter II. 1. a) der Gründe); ErfK/Gallner, § 3 BUrlG, Rn. 6 ff.; BeckOK-ArbR/Lampe, § 3 BUrlG, Rn. 5. 53 Lützen, NZA 2021, 682 (683).
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Kap. 4: Die Überstunde
aufgrund eines solchen in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung geregelt und damit über die Grenzen des § 3 ArbZG verlängert werden kann. Allerdings müssen diese Arbeitszeitverlängerungen gemäß § 7 Abs. 8 ArbZG innerhalb von zwölf Kalendermonaten derart wieder ausgeglichen werden, dass die Höchstgrenze von durchschnittlich 48 Wochenstunden nicht überschritten wird.54 Zudem lässt § 14 ArbZG eine Überschreitung der Grenzen des § 3 ArbZG in besonderen Situationen zu, um Schäden im Betrieb zu verhindern.55 Gemäß § 14 Abs. 3 ArbZG muss aber auch bei Inanspruchnahme dieser Abweichungsmöglichkeit die Arbeitszeit später wieder ausgeglichen werden. Die Arbeitszeit darf nämlich 48 Stunden wöchentlich im Durschnitt von sechs Kalendermonaten oder 24 Wochen nicht überschreiten.56 Zuletzt sind gemäß § 15 ArbZG behördliche Ausnahmen von § 3 ArbZG möglich. Als Behörden kommen die Aufsichtsbehörde nach § 15 Abs. 1, 2 ArbZG, die Bundesregierung nach § 15 Abs. 2a ArbZG und das Bundesministerium der Verteidigung nach § 15 Abs. 3, 3a ArbZG in Betracht. Bei Ausnahmen nach § 15 Abs. 1 und 2 ArbZG muss gemäß § 15 Abs. 4 ArbZG wiederum ein Ausgleich der verlängerten Arbeitszeit erfolgen, sodass die Arbeitszeit 48 Stunden wöchentlich im Durchschnitt von sechs Kalendermonaten oder 24 Wochen nicht überschreitet.57 Für Jugendliche und schwangere beziehungsweise stillende Frauen gibt es eigene arbeitszeitrechtliche Regelungen. Diese finden sich in §§ 8, 21 JArbSchG und § 4 Abs. 1 MuSchG. Die §§ 8, 21 JArbSchG enthalten besondere Schutzvorschriften für Jugendliche. Unter Jugendlichen im Sinne des JArbSchG sind gemäß § 2 Abs. 2 JArbSchG Personen zu verstehen, die älter als 15, aber noch nicht 18 Jahre alt sind. § 8 JArbSchG enthält Grenzen für den noch zulässigen Umfang der Beschäftigung von Jugendlichen. Gemäß § 8 Abs. 1 JArbSchG dürfen Jugendliche nicht mehr als acht Stunden täglich und 40 Stunden wöchentlich beschäftigt werden. In Ausnahmefällen dürfen Jugendliche bis zu achteinhalb Stunden täglich beschäftigt werden. Diese Ausnahmefälle werden in § 8 Abs. 1, 21 JArbSchG genauer definiert. Zudem dürfen Jugendliche über 16 Jahre in der Landwirtschaft während der Erntezeit bis zu neun Stunden täglich und bis zu 85 Stunden in der Doppelwoche beschäftigt werden. Von diesen Grenzen des § 8 JArbSchG für den noch zulässigen Umfang der Beschäftigung von Jugendlichen darf jedoch gemäß § 21 Abs. 1 JArbSchG bei 54
Da § 7 Abs. 8 ArbZG lediglich von 48 Stunden wöchentlich spricht, ohne eine Beschränkung auf eine werktäglich einzuhaltende Arbeitszeit zu enthalten, ist hier – anders als bei § 3 S. 2 ArbZG – keine Unterscheidung zwischen einer 6-Tage-Woche und einer 5-TageWoche zu machen. 55 Rath, Pauschale Abgeltung, S. 32. 56 Auch hier ist – wie bei § 7 Abs. 8 ArbZG – keine Unterscheidung hinsichtlich der vereinbarten Wochenarbeitstage zu machen. 57 Auch hier muss nicht in Bezug auf die vereinbarten Wochenarbeitstage unterschieden werden.
A. Der Begriff der Überstunde
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vorübergehenden und unaufschiebbaren Arbeiten in Notfällen abgewichen werden, soweit erwachsene Beschäftigte nicht zur Verfügung stehen. Arbeitet ein Jugendlicher in einem solchen Notfall im Sinne von § 21 Abs. 1 JArbSchG, sind die über die Grenzen der zulässigen Arbeitszeit im Sinne von § 8 JArbSchG hinausgehenden Stunden gemäß § 21 Abs. 2 JArbSchG innerhalb der folgenden drei Wochen durch entsprechende Verkürzung der Arbeitszeit auszugleichen. Für schwangere beziehungsweise stillende Frauen enthält § 4 Abs. 1 MuSchG eine Sonderregelung für die Höchstarbeitszeit. Dabei werden drei Grenzen für den noch zulässigen Umfang der Beschäftigung unterschieden: § 4 Abs. 1 S. 1 MuSchG betrifft schwangere oder stillende Frauen, die über 18 Jahre alt sind. Diese dürfen nicht mehr als achteinhalb Stunden täglich oder 90 Stunden in der Doppelwoche arbeiten. Gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 MuSchG dürfen schwangere und stillende Frauen, die unter 18 Jahre alt sind, nicht über acht Stunden täglich oder 80 Stunden in der Doppelwoche arbeiten. Zuletzt regelt § 4 Abs. 1 S. 4 MuSchG unabhängig vom Alter der schwangeren oder stillenden Frauen, dass diese nicht in einem Umfang arbeiten dürfen, der die vertraglich vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit im monatlichen Durchschnitt übersteigt.58 (2) Kollektiv geltende Arbeitszeit Unter der kollektiv geltenden Arbeitszeit ist die Arbeitszeit zu verstehen, die kollektivrechtlich, das heißt in einem Tarifvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung, vereinbart worden ist. (3) Individuelle Arbeitszeit Unter der individuellen Arbeitszeit ist die Arbeitszeit zu verstehen, die im Verhältnis des Arbeitgebers zum konkreten Arbeitnehmer gilt, das heißt die für das konkrete Beschäftigungsverhältnis geltende Arbeitszeit. Dabei ist im Grundsatz auf die zwischen den Arbeitsvertragsparteien vereinbarte Arbeitszeit abzustellen.59 Diese kann sich aus einem Tarifvertrag, aus einer Betriebsvereinbarung, einer betrieblichen Übung oder aus dem Einzelvertrag ergeben.60 Im Rahmen des Individualarbeitsvertrags wiederum sind ausdrückliche oder konkludente Regelungen möglich.61 Fehlt es also an einer ausdrücklichen Festlegung der Arbeitszeit im Arbeitsvertrag, ist der Vertrag dahingehend auszulegen, welche Arbeitszeit die Vertragsparteien vereinbart haben.62 58
BeckOK-ArbR/Dahm, § 4 MuSchG, Rn. 1a. Zu der Ausnahme siehe unten, Kapitel 4, A. III. 3. a). 60 Heumann, PflR 2001, 422; Müller-Glöge, RdA 2006, 105 (110); Schmitt, FS 50 Jahre BAG, S. 197 (199); Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 79. 61 HWK/Vogelsang, § 4 EFZG, Rn. 6; ders., Vergütungsschutz, S. 79. 62 BAG, Urt. v. 25. 03. 2015 – 5 AZR 602/13, BAGE 151, 180 (184); Hülsemann, ArbRAktuell 2016, 1; Richter/Schreynemackers, ArbRB 2019, 288 (290). 59
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Kap. 4: Die Überstunde
(4) Betriebsübliche Arbeitszeit Als betriebsübliche Arbeitszeit – auch als regelmäßige betriebliche Arbeitszeit bezeichnet63 – gilt die Arbeitszeit, die in dem jeweiligen Beschäftigungsbetrieb regelmäßig geleistet wird.64 Die betriebsübliche Arbeitszeit muss allerdings nicht für alle Arbeitnehmer einheitlich sein, etwa in Gestalt der im Betrieb am häufigsten anzutreffenden Arbeitszeit. Vielmehr kann es in einem Betrieb mehrere betriebsübliche Arbeitszeiten geben, und zwar im Hinblick auf unterschiedliche Arbeitsplätze und verschiedene Arbeitnehmergruppen.65 Insofern ist der Tatbestand der Betriebsüblichkeit nicht nur in den Fällen gegeben, in denen es sich um die regelmäßige Arbeitszeit aller Arbeitnehmer handelt. Vielmehr sind auch alle Arbeitszeiten als betriebsüblich anzusehen, die lediglich ein einzelner Arbeitnehmer dem Arbeitgeber schuldet.66 Im Ergebnis unterscheidet sich die betriebsübliche Arbeitszeit also nicht von der individuellen Arbeitszeit. bb) Relevanz der Frage nach dem maßgeblichen Anknüpfungspunkt Es gibt Fälle, in denen die individuelle Arbeitszeit der gesetzlichen oder der kollektiv geltenden Arbeitszeit entspricht: – So muss zum Beispiel die Arbeitszeit nicht explizit im Arbeitsvertrag aufgeführt sein; sie kann sich auch aus einem Verweis im Arbeitsvertrag auf einen bestimmten die Arbeitszeit regelnden Tarifvertrag oder aus einer Bezugnahme auf eine Betriebsvereinbarung ergeben. In diesen Fällen entsprechen sich dann die kollektiv geltende Arbeitszeit und die individuelle Arbeitszeit.67 – Die Arbeitsvertragsparteien können auch im Arbeitsvertrag festlegen, dass die gesetzliche Arbeitszeit gelten solle. In einem solchen Fall entsprechen sich dann die individuelle und die gesetzliche Arbeitszeit. In diesen Fällen, in denen die individuelle Arbeitszeit der gesetzlichen oder der kollektiv geltenden Arbeitszeit entspricht, ist die Frage nach dem maßgeblichen Anknüpfungspunkt für die überobligatorische Leistung irrelevant, da sich die Er63 BAG, Beschl. v. 21. 11. 1978 – 1 ABR 67/76, AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 2 (unter III. 2. der Gründe); Necati, Arbeitszeitkonten, S. 208. 64 BAG, Beschl. v. 13. 06. 1989 – 1 ABR 15/88, AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 36 (unter B. II. 1. a) der Gründe); Urt. v. 26. 10. 2004, NZA 2005, 538 (540); Fitting, § 87, Rn. 132; ErfK/Kania, § 87 BetrVG, Rn. 32; Poeche, in: Küttner, Stichwort: Arbeitszeit, Rn. 28; Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 36; BeckOK-ArbR/Werner, § 87 BetrVG, Rn. 57. 65 BAG, Beschl. v. 13. 06. 1989 – 1 ABR 15/88, AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 36 (unter B. II. 1. a) der Gründe); Fitting, § 87, Rn. 132; ErfK/Kania, § 87 BetrVG, Rn. 32; Reinfelder, AuR 2018, 335 (336); Salamon, in: MHA, § 322, Rn. 10; BeckOK-ArbR/Werner, § 87 BetrVG, Rn. 57. 66 BAG, Beschl. v. 16. 07. 1991 – 1 ABR 69/90, AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 44 (unter B. II. 1 a) bb) der Gründe); Richardi/Richardi/Maschmann, § 87, Rn. 350. 67 Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 79.
A. Der Begriff der Überstunde
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gebnisse bei Zugrundelegung der einen oder der anderen Arbeitszeit nicht unterscheiden. Es gibt jedoch umgekehrt auch Fälle, in denen die individuelle Arbeitszeit von der gesetzlichen oder kollektiv geltenden Arbeitszeit abweicht. In diesen Fällen ist die Frage nach dem maßgeblichen Anknüpfungspunkt entscheidend. Das verdeutlicht folgendes Beispiel: Arbeitnehmer A und Arbeitnehmer B arbeiten in einem Betrieb, für den die kollektiv geltende Arbeitszeit 35 Stunden in der Woche beträgt. Arbeitnehmer A ist dabei aufgrund seines Arbeitsvertrags zu einer wöchentlichen Arbeitsleistung von 20 Stunden verpflichtet, Arbeitnehmer B zu 35 Stunden. Stellt man jeweils auf die individuelle Arbeitszeit von A beziehungsweise von B ab, so würde A bei Arbeitsleistung, die die vertraglich vereinbarten 20 Stunden überschreitet, Überstunden leisten, B bei Überschreiten seiner vertraglich vereinbarten 35 Stunden. Stellt man jedoch auf die kollektiv geltende Arbeitszeit von 35 Stunden als Anknüpfungspunkt für die Festlegung der geschuldeten Arbeitszeit ab, könnte A eine überobligatorische Arbeitsleistung erst leisten, wenn er seine individuelle Arbeitszeit von 20 Stunden um mehr als 15 Stunden überschreitet und würde damit wohl kaum jemals Überstunden leisten. Hingegen würde B bei jeder Stunde, die er über seiner individuellen Arbeitszeit leistet, Überstunden leisten, da er damit automatisch auch über die kollektiv geltende Arbeitszeit hinaus arbeitet. cc) Individuelle Arbeitszeit als maßgeblicher Anknüpfungspunkt An welche dieser Arbeitszeiten bei der Bestimmung der Überstunde angeknüpft wird, hat der Gesetzgeber nicht festgelegt.68 Wenig hilfreich sind auch diejenigen Stimmen in der Literatur, die bei einer Erhöhung der „regelmäßigen“ Arbeitszeit von einer Überstunde ausgehen, ohne jedoch zu erläutern, ob für diese „regelmäßige“ Arbeitszeit die gesetzliche, kollektiv geltende oder individuelle Arbeitszeit maßgeblich sein soll.69 In der Literatur stellen die meisten Stimmen zu Recht auf die individuelle Arbeitszeit ab – allerdings erfolgt dabei zumeist weder eine Auseinandersetzung mit den anderen möglichen Anknüpfungspunkten noch wird begründet, warum die individuelle Arbeitszeit maßgeblich sein soll.70 68 In diese Richtung gehend auch Reichold, in: MHA, § 40, Rn. 71, der feststellt, dass arbeitszeitrechtlich nicht geregelt ist, ab welcher Stunde Arbeit als Überstunde gelten soll. 69 Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 75; Hunold, DB 2014, 361; Klagges, in: ArbRFV-HdB, A. Individualarbeitsrecht, Rn. 130; ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 486; Reichold, in: MHA, § 40, Rn. 70; siehe auch Gumpert, DB 1961, 487, der von einer Überschreitung der „normalen“ Arbeitszeit spricht. 70 BAG, Urt. v. 08. 11. 1989 – 5 AZR 642/88, BAGE 63, 221 (224); BSG, Urt. v. 25. 06. 1999 – B 7 AL 16/98 R, BeckRS 1999, 30064762; Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 49;
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Kap. 4: Die Überstunde
Lediglich im Rahmen von § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG erfolgen genauere Ausführungen zu dem maßgeblichen Anknüpfungspunkt. Hier hat sich mittlerweile zu Recht die Ansicht durchgesetzt, die auf die individuelle Arbeitszeit des Arbeitnehmers abstellt.71 § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG enthält eine Regelung, dass Überstunden nicht zu dem im Falle einer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers fortzuzahlenden Arbeitsentgelt nach § 4 Abs. 1 EFZG gehören. Es wird jedoch in § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG keine ausdrückliche Aussage darüber getroffen, was der Anknüpfungspunkt für die Bestimmung einer überobligatorischen Arbeitsleistung ist. Allerdings spricht die Systematik des Gesetzes – genauer der Zusammenhang zwischen § 4 Abs. 1 EFZG und § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG – dafür, dass die individuelle Arbeitszeit des Arbeitnehmers maßgeblicher Anknüpfungspunkt ist. So verweist § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG ausdrücklich auf § 4 Abs. 1 EFZG („Zum Arbeitsentgelt nach Abs. 1“). § 4 Abs. 1 EFZG wiederum knüpft an die individuelle Arbeitszeit an.72 Zwar gibt auch § 4 Abs. 1 EFZG nicht explizit vor, an welche Arbeitszeit anzuknüpfen ist – nach dem Wortlaut von § 4 Abs. 1 EFZG ist Anknüpfungspunkt die „für ihn [den Arbeitnehmer] maßgebende regelmäßige Arbeitszeit“, ohne dass auf eine bestimmte Norm verwiesen wird, anhand derer diese „maßgebende regelmäßige Arbeitszeit“ ermittelt werden könnte, wie zum Beispiel das ArbZG, ein Tarifvertrag, eine Betriebsvereinbarung oder der jeweilige Arbeitsvertrag.73 Durch die Wendung „für ihn“ in § 4 Abs. 1 EFZG kommt jedoch zum Ausdruck, dass es darum geht, welche Arbeitszeit im konkreten Arbeitsverhältnis gilt. Bei der gesetzlichen oder einer kollektiv geltenden Arbeitszeit handelt es sich nämlich nicht um Arbeitszeiten, die Gragert, in: MAHA, § 14, Rn. 45; Hromadka/Maschmann, ArbR I, S. 122; Hümmerich/Rech, NJW 1999, 1132; Koch, in: Schaub/Koch, Stichwort: Arbeitszeit; Kreßel, in: MHA 2000, § 67, Rn. 195; Lindemann, Schuldrechtsreform, S. 264; Pletke/Schrader/Siebert u. a., Flexible Arbeit, B., Rn. 464; Poeche, in: Küttner, Stichwort: Überstunden, Rn. 3 f.; Preis/Temming, Rn. 1136; Raif/Nann, ArbRAktuell 2016, 204; Rath, Pauschale Abgeltung, S. 46; Rölz, Freizeitausgleich, S. 17; Schneider, in: Preis, Der Arbeitsvertrag, Teil II A 90, Rn. 98; Schwerdtner, Brennpunkte des Arbeitsrechts 2003, 305 (306); Witschen, Flexibilisierungsspielräume, S. 58; Salamon/Hoppe/Rogge, BB 2013, 1720 (1721); Zöllner/Loritz/Hergenröder, ArbR, S. 201. 71 Vgl. zur Gegenansicht KDHK/Hold, § 4, Rn. 33; Kunz/Wedde, § 4, Rn. 20, 29; Müller/ Berenz, § 4, Rn. 7; Vossen, Entgeltfortzahlung, S. 216; ders., in: KassHdb Bd. 1, Kap. 2.2, Rn. 347; diese hielten die „betriebsübliche“ Arbeitszeit für maßgeblich, ohne zu erklären, was hierunter zu verstehen ist; da die betriebsübliche und die individuelle Arbeitszeit sich letztlich entsprechen (vgl. oben, Kapitel 4, A. III. 1. b) aa) (4)), ist der Verweis dieser Ansicht auf die „betriebsübliche“ Arbeitszeit wohl eher als Verweis auf eine generelle Arbeitszeit im Sinne der im Betrieb regelmäßig geleisteten Arbeit zu verstehen. 72 BAG, Urt. v. 21. 11. 2001 – 5 AZR 296/00, BAGE 100, 25 (30); Urt. v. 26. 06. 2002 – 5 AZR 592/00, AP EntgeltFG § 4 Nr. 61 (unter II. 2. c) bb) der Gründe); MüKo-BGB/MüllerGlöge, § 4 EZFG, Rn. 4; BeckOK-ArbR/Ricken, § 4 EFZG, Rn. 17; Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 80. 73 Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 79.
A. Der Begriff der Überstunde
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nur für den einzelnen Arbeitnehmer („für ihn“) maßgeblich sind, sondern um für alle Arbeitnehmer geltende Obergrenzen.74 Hingegen ist die individuelle Arbeitszeit diejenige, die im Verhältnis vom jeweiligen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gilt. Hätte der Gesetzgeber diesen Zusammenhang der ersten beiden Absätze nicht gewollt, hätte er ihn auflösen können, indem er eine andere Formulierung gewählt hätte. So hätte er beispielsweise „für über die gesetzliche Arbeitszeit hinaus“ formulieren können, anstatt auf das „zusätzlich für Überstunden“ gezahlte Entgelt abzustellen, um zum Ausdruck zu bringen, dass die gesetzliche Arbeitszeit maßgeblich sein soll.75 Aber auch außerhalb von § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG ist auf die individuelle Arbeitszeit des Arbeitnehmers abzustellen. Gegen die Maßgeblichkeit der gesetzlichen Arbeitszeit ist wiederum § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG als Argument anzuführen. Denn bei einem Abstellen auf die gesetzliche Arbeitszeit hätte der Arbeitgeber wegen § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG einen Anreiz, die gesetzliche Höchstarbeitszeit durch den Arbeitnehmer überschreiten zu lassen. Er würde nämlich bei Überschreitung der gesetzlichen Höchstarbeitszeit dadurch „belohnt“, dass er an den Arbeitnehmer im Falle der Arbeitsunfähigkeit ein geringeres Entgelt zahlen müsste.76 Die die gesetzliche Höchstarbeitszeit überschreitenden Arbeitsleistungen wären als Überstunden anzusehen und damit bei dem im Falle der Arbeitsunfähigkeit zu zahlenden Entgelt nicht mehr zu berücksichtigen. Diese „Belohnung“ des Arbeitgebers entspräche jedoch nicht dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Höchstarbeitszeiten. Diese dienen dem Schutz der Arbeitnehmer77 und nicht dazu, den Arbeitgeber vor der Verpflichtung zu bewahren, über die gesetzliche Höchstarbeitszeit hinausgehende Arbeitszeiten zu vergüten.78 Bei einer Maßgeblichkeit der kollektiv geltenden Arbeitszeit wiederum droht eine Ungleichbehandlung von Vollzeit- und Teilzeitarbeitnehmern. Wäre (nur) bei Überschreiten der kollektiv geltenden Arbeitszeit eine Überstunde gegeben, würde das zu Unbilligkeiten gegenüber Teilzeitbeschäftigten führen. Denn die individuelle Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten liegt in der Regel deutlich unter der kollektiv geltenden Arbeitszeit. Stellt man nun für das Vorliegen einer Überstunde auf ein Überschreiten der kollektiv geltenden Arbeitszeit ab, könnte ein Teilzeitbeschäf74
So gegen ein Abstellen auf die gesetzliche Arbeitszeit: Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 79. 75 Siehe hierzu BAG, Urt. v. 21. 11. 2001 – 5 AZR 296/00, BAGE 100, 25 (30), das aber – ebenso wie die Stimmen aus Fn. 71 – auf die „betriebsübliche“ Arbeitszeit verweist („für über die betriebsübliche Arbeitszeit hinaus“); das erklärt sich wiederum damit, dass das BAG „betriebsüblich“ i. S. e. generellen Arbeitszeit versteht, vgl. II. 3. b) der Gründe. 76 Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 79. 77 BAG, Urt. v. 21. 11. 2001 – 5 AZR 296/00, BAGE 100, 25 (29); Urt. v. 26. 06. 2002 – 5 AZR 592/00, AP EntgeltFG § 4 Nr. 61 (unter II. 1. b) der Gründe); Schmitt/Schmitt/KüffnerSchmitt, § 4 EFZG, Rn. 36. 78 BAG, Urt. v. 21. 11. 2001 – 5 AZR 296/00, BAGE 100, 25 (29); Urt. v. 26. 06. 2002 – 5 AZR 592/00, AP EntgeltFG § 4 Nr. 61 (unter II. 1. b) der Gründe).
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Kap. 4: Die Überstunde
tigter kaum Überstunden leisten.79 Zudem wären Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte in unterschiedlichem Ausmaß von der Herausnahme der Überstundenentgelte gemäß § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG betroffen. Das wird an folgendem Beispiel deutlich: Arbeitnehmer A und Arbeitnehmer B arbeiten in einem Betrieb, für den die kollektiv geltende Arbeitszeit 40 Stunden in der Woche beträgt. Arbeitnehmer A ist dabei aufgrund seines Arbeitsvertrags zu einer wöchentlichen Arbeitsleistung von 20 Stunden verpflichtet, Arbeitnehmer B zu 40 Stunden. In den letzten drei Monaten hat A pro Woche 25 Stunden gearbeitet, B wöchentlich 45 Stunden. Beide erkranken arbeitsunfähig für jeweils eine Woche. Stellt man in diesem Beispiel nun auf die kollektiv geltende Arbeitszeit für das Vorliegen von Überstunden ab, so wären die von A zusätzlich geleisteten fünf Stunden bei der Entgeltfortzahlung zu berücksichtigen, da A mit seinen insgesamt 25 geleisteten Stunden die kollektiv geltende Arbeitszeit von 40 Stunden nicht überschritten hat, mithin keine Überstunden vorlägen, die gemäß § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG bei der Entgeltfortzahlung nicht zu berücksichtigen wären. Hingegen wären die von B zusätzlich geleisteten fünf Stunden im Rahmen der Entgeltfortzahlung gemäß § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG nicht zu berücksichtigen, da seine insgesamt 45 geleisteten Stunden die kollektiv geltende Arbeitszeit überschritten haben und somit Überstunden vorlägen. B erhielte also für seine fünf zusätzlich geleisteten keine Entgeltfortzahlung, A hingegen schon. Dadurch würde letztlich durch ein Abstellen auf die kollektiv geltende Arbeitszeit eine „privilegierte Vergütung von Teilzeitarbeitnehmern“80 eingeführt. Die hiermit einhergehende relative Verteuerung von Teilzeitarbeit entspricht jedoch nicht dem in § 1 TzBfG festgehaltenen Ziel einer Förderung von Teilzeitarbeit. Eine solche Privilegierung von Teilzeitarbeitnehmern ist auch nicht durch das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten im Sinne von § 4 Abs. 1 TzBfG geboten.81 Zudem spricht gegen eine Maßgeblichkeit einer kollektiv geltenden Arbeitszeit auch die Uneinheitlichkeit der Begriffsbezeichnungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, aus der sich kein einheitliches Begriffsverständnis ziehen lässt.82 Durch diese Uneinheitlichkeit der Begriffsbestimmungen in unterschiedlichen Kollektivvereinbarungen bestünde eine sehr uneinheitliche Rechtsanwendung. Zuletzt spricht auch § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG nicht gegen die Annahme der individuellen Arbeitszeit als maßgeblichen Anknüpfungspunkt. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG spricht nicht ausdrücklich von Überstunden, die Vorschrift wird aber so
79
Vgl. hierzu bereits das Beispiel in Kapitel 4, A. III. 1. b) bb). Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 81. 81 Ebd. 82 BAG, Urt. v. 21. 11. 2001 – 5 AZR 296/00, BAGE 100, 25 (30); Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 81; vgl. zu der Uneinheitlichkeit der Kollektivverträge hinsichtlich des Begriffs der Überstunde bereits oben, Kapitel 4, A. I. 2. 80
A. Der Begriff der Überstunde
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gelesen, dass mit der „Verlängerung der Arbeitszeit“ Überstunden gemeint sind.83 Hinsichtlich dieser Überstunden in Form der Verlängerung der Arbeitszeit stellt § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG explizit auf die betriebsübliche Arbeitszeit – und nicht etwa auf die individuelle Arbeitszeit – ab. Allerdings ist die betriebsübliche Arbeitszeit nicht im Sinne der im Betrieb am häufigsten vorliegenden Arbeitszeit zu verstehen, sondern sie kann auch in der Arbeitszeit liegen, die ein einzelner Arbeitnehmer jeweils individualrechtlich schuldet, sodass sich die betriebsübliche und die individuelle Arbeitszeit entsprechen.84 Gegen die Maßgeblichkeit der individuellen Arbeitszeit auch bei § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG spricht auch nicht die Tatsache, dass für das Vorliegen eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ein kollektiver Tatbestand vorliegen muss und individuelle Regelungen ohne kollektiven Bezug nicht erfasst sind.85 Denn bei der Frage, ob und in welchem Umfang Überstunden zu leisten sind, geht es immer auch um die Frage, ob nicht stattdessen die Neueinstellung eines Arbeitnehmers zweckmäßiger wäre. Diese Frage besteht aber unabhängig von der Person und den individuellen Wünschen eines einzelnen Arbeitnehmers, sodass ein kollektiver Tatbestand bejaht werden kann.86 Damit kann also im Rahmen der betriebsüblichen Arbeitszeit im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG auf die individuelle Arbeitszeit des Arbeitnehmers abgestellt werden, sodass § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG einer Anknüpfung an die individuelle Arbeitszeit nicht entgegensteht. 2. Veranlassung durch den Arbeitgeber Nach einigen Stimmen in der Literatur ist die bloße überobligatorische Leistung des Arbeitnehmers – das heißt die bloße Anwesenheit des Arbeitnehmers im Betrieb außerhalb der für ihn geltenden Arbeitszeit – für das Vorliegen von Überstunden noch nicht ausreichend. Vielmehr müsse der Arbeitnehmer die überobligatorische Leistung auf Anordnung oder mit Billigung des Arbeitgebers – oder anders ausgedrückt
83 Fitting, § 87, Rn. 130; ErfK/Kania, § 87 BetrVG, Rn. 34; Salamon, in: MHA, § 322, Rn. 1, 13 ff.; Richardi/Richardi/Maschmann, § 87, Rn. 360; BeckOK-ArbR/Werner, § 87 BetrVG, Rn. 65 ff. 84 Siehe bereits oben, Kapitel 4. A. III. 1. b) aa) (4). 85 BAG, Beschl. v. 11. 11. 1986 – 1 ABR 17/85, AP BetrVG 1972 § 87 Nr. 21 (unter B. II. 1. der Gründe); Beschl. v. 19. 06. 2001 – 1 ABR 43/00, BAGE 98, 60 (69); Beschl. v. 24. 04. 2007 – 1 ABR 47/06, BAGE 122, 127 (132); Fitting, § 87, Rn. 134; Richardi/Richardi/ Maschmann, § 87, Rn. 349; BeckOK-ArbR/Werner, § 87 BetrVG, Rn. 59. 86 BAG, Beschl. v. 10. 06. 1986 – 1 ABR 61/84, BAGE 52, 160 (169); Beschl. v. 11. 11. 1986 – 1 ABR 17/85, AP BetrVG 1972 § 87 Nr. 21 (unter B. II. 1. der Gründe); Beschl. v. 16. 07. 1991 – 1 ABR 69/90, AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 44 (unter B. II. 1. b) der Gründe); Richardi/Richardi/Maschmann, § 87, Rn. 350.
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Kap. 4: Die Überstunde
auf Veranlassung des Arbeitgebers –87 erbringen.88 Dadurch soll verhindert werden, dass der Arbeitnehmer seinen Vergütungsanspruch durch überobligatorische Leistungen selbst bestimmen kann. Ein Arbeitgeber muss sich nämlich die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers und die damit im Regelfall einhergehende Vergütung nicht aufdrängen lassen.89 Durch das Erfordernis der Veranlassung durch den Arbeitgeber muss die überobligatorische Leistung des Arbeitnehmers dem Arbeitgeber in irgendeiner Art und Weise zurechenbar sein. Das ist dann der Fall, wenn der Arbeitgeber die überobligatorische Leistung (ausdrücklich oder konkludent) angeordnet, gebilligt oder geduldet hat. a) Anordnung Eine ausdrückliche Anordnung überobligatorischer Arbeitsleistungen liegt vor, wenn ein Arbeitgeber von seinem Arbeitnehmer ausdrücklich verlangt, dass dieser Arbeit über das eigentlich geschuldete Maß leistet, zum Beispiel, wenn er den Arbeitnehmer dazu auffordert, noch eine Stunde länger zu bleiben als eigentlich vereinbart. Eine solche ausdrückliche Anordnung ist allerdings in der Praxis – insbesondere bei hochqualifizierten Arbeitnehmern – eher die Ausnahme.90 Vielmehr liegt meistens eine konkludente Anordnung von Überstunden durch den Arbeitgeber vor. Eine solche konkludente Anordnung ist gegeben, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Arbeit in einem Umfang zuweist, der „unter Ausschöpfung der persönlichen Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers nur durch die Leistung von Überstunden zu bewältigen ist“,91 das heißt wenn er ihm Arbeit in einem Maß zuweist, das eine überobligatorische Leistung des Arbeitnehmers not87
Manche Stimmen sprechen auch von einem „Wissen und Wollen“ des Arbeitgebers, vgl. Holighaus, öAT 2013, 92; Hülsemann, ArbRAktuell 2016, 1 (2); Poeche, in: Küttner, Stichwort: Überstunden, Rn. 4; Raif/Nann, ArbRAktuell 2016, 204; Studt, AuA 2003, 14 (16). 88 Klagges, in: ArbRFV-HdB, A. Individualarbeitsrecht, Rn. 130; Linck, in: Schaub, § 69, Rn. 7, 17 ff.; Poeche, in: Küttner, Stichwort: Überstunden, Rn. 4; Raif/Nann, ArbRAktuell 2016, 204; auch der Diskussionsentwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes von Henssler/Preis sieht in § 29 Abs. 1 ArbVG-E vor, dass Überstunden „auf Verlangen des Arbeitgebers“ zu leisten sind. 89 BAG, Urt. v. 10. 04. 2013 – 5 AZR 122/12, AP BGB § 611 Mehrarbeitsvergütung Nr. 54 (Rn. 13); Urt. v. 23. 09. 2015 – 5 AZR 767/13, BAGE 152, 315 (325); Gragert, in: MAHA, § 14, Rn. 49; zu dem Risiko, dass sich ein Arbeitnehmer missbräuchlich verhält, indem er Tätigkeiten außerhalb der eigentlichen Arbeitszeit leistet, um so eine zusätzliche Vergütung zu erhalten: Witschen, Rahmenvorgaben, S. 79. 90 In diese Richtung gehend BAG, Urt. v. 28. 11. 1973 – 4 AZR 62/73, AP BAG § 17 Nr. 2 (unter 1. der Gründe); Rath, Pauschale Abgeltung, S. 59, wonach „eine im Voraus getroffene Festlegung der Zahl und Lage der Überstunden“ bei qualifizierten Arbeitnehmern in der Praxis die Ausnahme darstelle. 91 BAG, Urt. v. 10. 04. 2013 – 5 AZR 122/12, AP BGB § 611 Mehrarbeitsvergütung Nr. 54 (Rn. 17); Gragert, in: MAHA, § 14, Rn. 48; Lakies, ArbRAktuell 2013, 541 (544); ErfK/ Preis, § 611a BGB, Rn. 492.
A. Der Begriff der Überstunde
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wendig macht, da die Arbeit nur durch das geschuldete Maß an Arbeitsleistung nicht zu schaffen ist. aa) Anordnungsbefugnis Für die (ausdrückliche oder konkludente) Anordnung überobligatorischer Arbeitsleistungen bedarf es einer Befugnis des Arbeitgebers. Allein aufgrund seines Weisungsrechts gemäß § 106 S. 1 GewO ist der Arbeitgeber nämlich nicht befugt, Überstunden anzuordnen.92 § 106 S. 1 GewO ermächtigt den Arbeitgeber lediglich zur Anordnung der konkreten Lage der Arbeitszeit innerhalb eines vertraglich vereinbarten Umfangs, nicht jedoch zur Anordnung von Arbeit über diesen vertraglich vereinbarten Umfang hinaus.93 Denn § 106 S. 1 GewO spricht nur davon, dass der Arbeitgeber „Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung“ näher bestimmen kann, nicht aber den Umfang der Arbeitsleistung.94 Der Umfang der Arbeitsleistung ist als „Kernbereich des arbeitsvertraglichen Austauschverhältnisses“95 nicht vom Weisungsrecht des § 106 S. 1 GewO umfasst. Eine solche Rechtsgrundlage für die Anordnungsbefugnis des Arbeitgebers hinsichtlich überobligatorischer Arbeitsleistungen kann in einer individual- oder kollektivrechtlichen Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehen. Eine solche Vereinbarung muss sich an die arbeitsschutzrechtlichen Grenzen des ArbZG halten.96 Eine Klausel, die dem ArbZG entgegensteht, das heißt die Befugnis des Arbeitgebers enthält, überobligatorische Arbeitsleistungen über den Arbeitszeitrahmen des ArbZG anzuordnen, ist gemäß § 134 BGB nichtig.97 Zudem darf eine Anordnungsbefugnis nicht sittenwidrig im Sinne von § 138 BGB sein. Eine solche Sittenwidrigkeit kann sich zum Beispiel aus dem Zusammenspiel mit einer Klausel ergeben, in der eine pauschale Abgeltung der zu leistenden Überstunden vereinbart wird. Eine solche pauschale Abgeltungsklausel ist als sittenwidrig anzusehen, wenn
92 BAG, Urt. v. 25. 03. 1987 – 5 AZR 691/85, BeckRS 1987, 05361 (unter III. der Gründe), Urt. v. 03. 06. 2003 – 1 AZR 349/02, BAGE 106, 204 (216); Gragert, in: MAHA, § 14, Rn. 46; Hromadka, DB 1995, 2601 (2604); Hunold, BB 2014, 361; Linck, in: Schaub, § 45, Rn. 43; Pletke/Schrader/Siebert u. a., Flexible Arbeit, B., Rn. 468; Poeche, in: Küttner, Stichwort: Überstunden, Rn. 5; Rath, Pauschale Abgeltung, S. 49; Reichold, in: MHA, § 40, Rn. 70, 95; Salamon/Hoppe/Rogge, BB 2013, 1720 (1721); Seel, DB 2005, 1330. 93 Rath, Pauschale Abgeltung, S. 49. 94 Hunold, BB 2014, 361. 95 Linck, in: Schaub, § 45, Rn. 43. 96 Zu den Grenzen, die durch das ArbZG gesetzt werden, siehe bereits Kapitel 4, A. III. 1. b) aa) (1). 97 Poeche, in: Küttner, Stichwort: Arbeitszeit, Rn. 2; Stichwort: Überstunden, Rn. 2; Seel, DB 2005, 1330.
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sie eine „unsittliche Ausbeutung der Arbeitskraft des Arbeitnehmers“ enthält,98 wenn also die Pauschalvergütung der Überstunden im Verhältnis zu der zu leistenden Arbeitszeit so niedrig ist, dass ein krasses Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht.99 Ist die Anordnungsbefugnis durch Allgemeine Geschäftsbedingungen geregelt, sind die Anforderungen der §§ 305 ff. BGB bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Anordnungsbefugnis zu beachten.100 Dabei unterfällt die Anordnungsbefugnis grundsätzlich nicht der Inhaltskontrolle nach § 308 Nr. 4 BGB. Durch die Anordnungsbefugnis an sich behält sich der Arbeitgeber nämlich nicht das Recht vor, die von ihm versprochene Leistung – also die Zahlung des vereinbarten Lohnes – abzuändern oder von ihr abzuweichen.101 Problematisch im Hinblick auf § 308 Nr. 4 BGB kann eine Anordnungsbefugnis lediglich sein, wenn gleichzeitig auch eine Pauschalabgeltungsklausel im Arbeitsvertrag vereinbart wird.102 Bei Fehlen einer ausdrücklichen Anordnungsbefugnis kann sich eine solche auch konkludent aus dem Arbeitsvertrag ergeben.103 Dazu muss durch Auslegung des Arbeitsvertrags anhand der Gesamtumstände ermittelt werden, dass der Arbeitnehmer zur Leistung von Überstunden in besonderen Fällen verpflichtet sein soll.104 Im Rahmen der Auslegung zu beachtende Anhaltspunkte sind die Betriebsüblichkeit, die beim Eintritt des Arbeitnehmers in den Betrieb bestanden hat, und die Art der übernommenen Arbeitsaufgaben.105
98 BAG, Urt. v. 26. 01. 1956 – 2 AZR 98/54, BAGE 2, 277 (279); Hümmerich/Rech, NZA 1999, 1332 (1134). 99 ArbG Berlin, Urt. v. 31. 10. 1988 – 30 Ca 214/88, EzA § 15 AZO Nr. 12; Hümmerich/ Rech, NZA 1999, 1332 (1134); Seel, DB 2005, 1330; dabei handelt es sich aber letztlich um die Frage, wann eine pauschale Abgeltungsklausel sittenwidrig i. S. v. § 138 BGB ist, was dann wiederum Auswirkungen auf eine Anordnungsklausel haben kann; zur Frage, wann eine pauschale Abgeltungsklausel als sittenwidrig angesehen werden kann; vgl. weiterführend: Hümmerich/Rech, NZA 1999, 1132 (1133 ff.); Preis, Vertragsgestaltung, S. 439 f.; Rath, Pauschale Abgeltung, S. 198 ff. 100 Bauer/Arnold/Willemsen, DB 2012, 1986 (1989); zur AGB-rechtlichen (Un-)Wirksamkeit konkreter Anordnungsregelungen im Arbeitsvertrag siehe Worzalla, NZA-Beil. 2006, 122 (128 f.). 101 Bauer/Arnold/Willemsen, DB 2012, 1986 (1989); Worzalla, NZA-Beil. 2006, 122 (128). 102 Worzalla, NZA-Beil. 2006, 122 (128); zu der AGB-rechtlichen (Un-)Wirksamkeit von Pauschalabgeltungsklauseln siehe insb. Rath, Pauschale Abgeltung. 103 Gragert, in: MAHA, § 14, Rn. 47; Hueck/Nipperdey, ArbR I, S. 208 f., 210 f.; Hümmerich/Rech, NZA 1999, 1132; Pletke/Schrader/Siebert u. a., Flexible Arbeit, B., Rn. 472; Rath, Pauschale Abgeltung, S. 51; Reichold, in: MHA, § 40, Rn. 70; Zöllner/Loritz/Hergenröder, ArbR, S. 213; im Ergebnis auch Klocke, RdA 2014, 223, der davon ausgeht, dass sich eine Verpflichtung zur Überstundenleistung auch aus einer konkludenten Vereinbarung ergeben könne. 104 Gragert, in: MAHA, § 14, Rn. 47; Pletke/Schrader/Siebert u. a., Flexible Arbeit, B., Rn. 472. 105 Gragert, in: MAHA, § 14, Rn. 47; Rath, Pauschale Abgeltung, S. 51.
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So ist zum Beispiel bei Führungskräften, die leitende Angestellte sind, aufgrund der Art ihrer übernommenen Arbeitsaufgaben davon auszugehen, dass sie sich konkludent zu Überstunden verpflichten, auch wenn das vertraglich nicht ausdrücklich vorgesehen ist.106 Leitende Angestellte üben in der Regel hochqualifizierte Tätigkeiten aus,107 denen sie teilweise nur durch die Leistung von Überstunden gerecht werden können. Zudem ist gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG das ArbZG auf leitende Angestellte nicht anzuwenden; demnach gelten insbesondere auch die Höchstarbeitszeiten des § 3 ArbZG nicht für leitende Angestellte. Daraus wird ersichtlich, dass eine strenge Beschränkung und Kontrolle der Arbeitszeit mit den Aufgaben eines leitenden Angestellten nicht vereinbar ist.108 Bei leitenden Angestellten ist demnach die im Arbeitsvertrag vereinbarte Arbeitszeit nicht so festgeschrieben wie bei einfachen Angestellten. Vielmehr kann von ihnen ein besonders hohes Maß an Arbeit verlangt werden.109 Leitende Angestellte arbeiten also über ihre vertraglich geschuldete Arbeitszeit und sogar über die gesetzliche Höchstarbeitszeit hinaus. Demnach sind bei leitenden Angestellten Überstunden schon nach dem Berufsbild geschuldet,110 sodass eine konkludente Anordnungsbefugnis im Arbeitsvertrag hinsichtlich überobligatorischer Leistungen angenommen werden kann. Hingegen ist bei Teilzeitbeschäftigten eine konkludente Befugnis des Arbeitgebers zur Anordnung von Überstunden in der Regel zu verneinen, da sie durch die Vereinbarung eines Teilzeitarbeitsvertrags zum Ausdruck bringen, dass sie die Arbeitsleistung nur in diesem vertraglich vereinbarten Umfang erbringen können und möchten.111 Fraglich ist jedoch, ob eine Anordnungsbefugnis des Arbeitgebers auch konkludent vereinbart ist, wenn es an einer expliziten Anordnungsbefugnis fehlt, der Arbeitsvertrag aber eine Regelung über die Vergütung von Überstunden enthält, zum Beispiel eine Abgeltungsklausel, nach der die Leistung von Überstunden durch eine Pauschale abgegolten wird. Hiergegen wird vorgebracht, dass Anordnungsbefugnis einerseits und Vergütungsregelungen andererseits streng voneinander zu unterscheiden seien.112 Allerdings sind Willenserklärungen gemäß §§ 133, 157 BGB unter Berücksichtigung des wirklichen Willens so auszulegen, wie sie der Erklärungsempfänger 106
Gragert, in: MAHA, § 14, Rn. 47; Pletke/Schrader/Siebert u. a., Flexible Arbeit, B., Rn. 472. 107 BAG, Urt. v. 17. 11. 1966 – 5 AZR 225/66, BAGE 19, 126 (128); Hueck/Nipperdey, ArbR I, S. 78. 108 So hat auch das BAG in seinem Urteil vom 17. 11. 1966 – 5 AZR 225/66, BAGE 19, 126 (129) entschieden, dass „eine strenge Beschränkung und Kontrolle der Arbeitszeit […] mit den Aufgaben eines leitenden Angestellten unvereinbar“ ist. 109 BAG, Urt. v. 13. 03. 1967 – 2 AZR 133/66, BAGE 19, 288 (295). 110 Reichold, in: MHA, § 40, Rn. 70. 111 Necati, in: Preis, Innovative Arbeitsformen, S. 233; Pletke/Schrader/Siebert u. a., Flexible Arbeit, B., Rn. 480. 112 BAG, Urt. v. 16. 05. 2012 – 5 AZR 331/11, BAGE 141, 324; Seel, DB 2005, 1330.
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nach Treu und Glauben verstehen kann.113 Es ist dabei davon auszugehen, dass ein verständiger Arbeitnehmer eine Regelung im Arbeitsvertrag zur Vergütung von Überstunden so verstehen wird, dass damit zugleich auch eine Verpflichtung zur Überstundenleistung – beziehungsweise damit korrespondierend eine Befugnis zur Überstundenanordnung – geregelt wird.114 Ohne eine solche implizite Anordnungsbefugnis beziehungsweise Verpflichtung zur Ableistung wäre die Vergütungsregelung nämlich gegenstandslos und würde ins Leere gehen.115 Daher können Regelungen über die Vergütung von Überstunden in einem Arbeitsvertrag dahingehend ausgelegt werden, dass sie auch gleichzeitig eine Anordnungsbefugnis des Arbeitgebers normieren.116 Besteht weder eine einzelvertragliche noch eine kollektivrechtliche Rechtsgrundlage, die eine Befugnis des Arbeitgebers zur Anordnung von Überstunden enthält, kann sich dennoch eine Anordnungsbefugnis ergeben. Es ist nämlich anerkannt, dass in außergewöhnlichen Notfällen eine Pflicht des Arbeitnehmers zur Leistung von Überstunden bestehen kann.117 Korrespondierend zur dieser Pflicht des Arbeitnehmers besteht dann eine auf das allgemeine Weisungsrecht gestützte Anordnungsbefugnis des Arbeitgebers.118 Dabei wird zwar zur Begründung dieser Anordnungsbefugnis uneinheitlich auf verschiedene Normen abgestellt – § 242 BGB,119 §§ 611a, 241 Abs. 2 BGB120 oder § 14 ArbZG121. Einigkeit besteht jedoch darin, dass sich aus diesen Normen eine Treue- beziehungsweise Schadensabwendungspflicht des Arbeitnehmers ergibt, die ihn in außergewöhnlichen Notfällen dazu verpflichtet, Überstunden zu leisten, um so Schaden vom Arbeitgeber fernzuhalten.122 113
Rath, Pauschale Abgeltung, S. 65. So explizit für die Auslegung einer Abgeltungsklausel Bauer/Arnold/Willemsen, DB 2012, 1986 (1988). 115 Bauer/Arnold/Willemsen, DB 2012, 1986 (1988); Rath, Pauschale Abgeltung, S. 65; beide jedoch nur explizit für die Auslegung von Abgeltungsklauseln. 116 Bauer/Arnold/Willemsen, DB 2012, 1986 (1988); Hümmerich/Rech, NZA 1999, 1132; Kock, DB 2012, 1328 (1329); Rath, Pauschale Abgeltung, S. 65. 117 RAG, Urt. v. 19. 06. 1929 – 552/28; ARS 6, 253; LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 18. 12. 2014 – 5 TaBV 7/14, BeckRS 2015, 67335 (unter II. 2. a) der Gründe); Bauer/ Arnold/Willemsen, DB 2012, 1986 (1989); Hümmerich/Rech, NZA 1999, 1132; Hunold, BB 2014, 361; Pletke/Schrader/Siebert u. a., Flexible Arbeit, B., Rn. 468; Poeche, in: Küttner, Stichwort: Überstunden, Rn. 5; ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 663; Preis/Temming, Rn. 1139; Rath, Pauschale Abgeltung, S. 51; Seel, DB 2005, 1330; Zöllner/Loritz/Hergenröder, ArbR, S. 201. 118 Bauer/Arnold/Willemsen, DB 2012, 1986 (1989). 119 ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 663; Preis/Temming, Rn. 1139. 120 Bauer/Arnold/Willemsen, DB 2012, 1986 (1989); Hunold, BB 2014, 361; Seel, DB 2005, 1330. 121 Pletke/Schrader/Siebert u. a., Flexible Arbeit, B., Rn. 468. 122 Preis/Temming, Rn. 1139; Rath, Pauschale Abgeltung, S. 51; Seel, DB 2005, 1330. 114
A. Der Begriff der Überstunde
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Die Frage, wann ein solcher außergewöhnlicher Notfall vorliegt, in dem eine Befugnis des Arbeitgebers zur Anordnung von Überstunden besteht, wird nicht einheitlich beurteilt.123 So bejahte das RAG früher bereits bei einer gestiegenen Auftragslage die Pflicht des Arbeitnehmers zur Ableistung von Überstunden,124 was heute allerdings so nicht mehr vertreten wird.125 Zum Teil wird gefordert, dass der Betrieb bei Nichtleistung der Überstunden einen nicht unerheblichen Schaden erleiden würde126 beziehungsweise erhebliche betriebliche Interessen durch die Überstundenleistung geschützt werden sollen.127 Andere Stimmen fordern eine Notlage des Arbeitgebers, der anders als durch die Überstundenleistung nicht begegnet werden kann.128 Gemein ist diesen Ansichten jedoch, dass eine gewisse Gefahr für den Betrieb des Arbeitgebers drohen muss, die durch die Überstundenleistung abgewehrt werden soll.129 bb) Grenzen einer Anordnung im Einzelfall Liegt eine grundsätzliche Befugnis des Arbeitgebers zur Anordnung von Überstunden vor, kann der Arbeitgeber dennoch nicht unbegrenzt Überstunden anordnen. Vielmehr muss auch die Ausübung der Anordnungsbefugnis im Einzelfall kontrolliert werden.130 Dabei gibt es Grenzen, die der Arbeitgeber bei der Anordnung von Überstunden im Einzelfall zu beachten hat. 123
Rath, Pauschale Abgeltung, S. 51. RAG, Urt. v. 12. 12. 1928 – 221/28, ARS 4, 381 (385); in diesem Fall ging es um eine durch eine Kältewelle verursachte verstärkte Nachfrage nach Kohlen, woraufhin der Arbeitgeber, der Betreiber eines Braunkohlewerkes war, Überstunden anordnete, um dieser erhöhten Nachfrage gerecht zu werden. 125 Rath, Pauschale Abgeltung, S. 51; so auch Preis, Vertragsgestaltung, S. 439; Zöllner/ Loritz/Hergenröder, ArbR, S. 213, die eine Pflicht des Arbeitnehmers zur Leistung von Überstunden, nur, weil der Arbeitgeber sonst seinen übernommenen Aufträgen nicht nachkommen kann, ablehnen. 126 Preis/Temming, Rn. 1139. 127 Necati, in: Preis, Innovative Arbeitsformen, S. 229. 128 LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 18. 12. 2014 – 5 TaBV 7/14, BeckRS 2015, 67335 (unter II. 2. a) der Gründe); Poeche, in: Küttner, Stichwort: Überstunden, Rn. 5. 129 Dabei ist zu beachten, dass es nach einem Urteil des ArbG Leipzig, 7 Ca 6866/02, NZARR 2003, 365 ff. nicht ausreicht, wenn die Gefahr bereits eingetreten ist, da eine Notsituation nur vorliege, wenn der Eintritt einer Gefahr drohe, das heißt unmittelbar bevorstehe, nicht jedoch, wenn die Gefahr bereits eingetreten sei. Das Urteil beruht auf einem Fall, in dem der Arbeitgeber von der „Jahrhundertflut“ betroffen war. Um die Betriebsräume von Schlamm und Schmutz zu befreien, ordnete der Arbeitgeber Überstunden an, die er auf die vorliegende Notlage stützte. Das Gericht verneinte das Vorliegen einer solchen Notlage mit der Begründung, dass die Gefahr bereits eingetreten war, und nicht mehr drohe. Vgl. hierzu auch Rath, Pauschale Abgeltung, S. 52, Fn. 150. 130 Rath, Pauschale Abgeltung, S. 50; Seel, DB 2005, 1330 (1333); allgemein zu der von der Frage, ob ein Weisungsrecht des Arbeitgebers besteht, zu trennenden Kontrolle der Ausübung dieses Weisungsrechts: Hromadka, BB 1995, 2601 (2605); Reinecke, NZA-RR 2013, 393 (397). 124
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Kap. 4: Die Überstunde
Zunächst muss der Arbeitgeber – wie bei der Anordnungsbefugnis an sich –131 auch bei der Anordnung von Überstunden im Einzelfall die arbeitsschutzrechtlichen Grenzen einhalten.132 Dabei muss er vor allem die Vorgaben des ArbZG, das heißt die gesetzliche Höchstarbeitszeit nach § 3 ArbZG, beachten.133 Neben dieser gesetzlichen Höchstarbeitszeit bestehen für bestimmte Arbeitnehmergruppen Sonderregelungen, die die Anordnung von Überstunden begrenzen beziehungsweise ausschließen.134 Sonderregelungen, die die Anordnung begrenzen, bestehen für Jugendliche gemäß § 8 Abs. 1 JArbSchG sowie für schwangere und stillende Frauen gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 und 2 MuSchG.135 Zudem existiert mit § 207 SGB IX eine Sonderregelung für schwerbehinderte Arbeitnehmer, die der Anordnung überobligatorischer Arbeitsleistungen entgegenstehen kann, und zwar, wenn der schwerbehinderte Arbeitnehmer verlangt, von der Leistung von Mehrarbeit freigestellt zu werden. Bei der Norm des § 207 SGB IX handelt es sich nicht um ein generelles Verbot von Mehrarbeit,136 sondern nur um einen Anspruch auf Befreiung von der durch den Arbeitgeber angeordneten Mehrarbeit.137 Verlangt ein Arbeitnehmer diese Befreiung von Mehrarbeit, schließt dieses Verlangen die wirksame Anordnung von Mehrarbeit aus.138 Mehrarbeit im Sinne von § 207 SGB IX fängt nach dem überwiegenden Begriffsverständnis dort an, wo die gesetzliche Höchstarbeitszeit des § 3 S. 1 ArbZG, das heißt acht Stunden täglich, überschritten wird.139
131
Siehe hierzu genauer Kapitel 4, A. III. 2. a) aa). Necati, in: Preis, Innovative Arbeitsformen, S. 230; Schneider, in: Preis, Der Arbeitsvertrag, Teil II, A 90, Rn. 101; zu den Grenzen des ArbZG siehe bereits Kapitel 4, A. III. 1. b) aa) (1). 133 Necati, in: Preis, Innovative Arbeitsformen, S. 230; Pletke/Schrader/Siebert u. a., Flexible Arbeit, B., Rn. 474. 134 Pletke/Schrader/Siebert u. a., Flexible Arbeit, B., Rn. 477. 135 Zu den genauen arbeitsschutzrechtlichen Grenzen, die für diese bestimmten Arbeitnehmergruppen gezogen werden, siehe Kapitel 4, A. III. 1. b) aa) (1). 136 BAG, Urt. v. 08. 11. 1989 – 5 AZR 642/88, BAGE 63, 221 (225) (zur Vorgängervorschrift des § 46 SchwbG); LPK-SGB IX/Düwell, § 207 SGB IX, Rn. 3; ErfK/Rolfs, § 207 SGB IX, Rn. 1. 137 LPK-SGB IX/Düwell, § 207 SGB IX, Rn. 3; ErfK/Rolfs, § 207 SGB IX, Rn. 1. 138 BAG, Urt. v. 03. 12. 2002 – 9 AZR 462/01, BAGE 104, 73 (81); in diese Richtung gehend BeckOK-SozR/Brose, § 207 SGB IX, Rn. 6, wonach das Verlangen der Freistellung durch den schwerbehinderten Arbeitnehmer dazu führe, dass er nicht mehr zur Mehrarbeit verpflichtet sei. 139 BAG, Urt. v. 08. 11. 1989 – 5 AZR 642/88, BAGE 63, 221 (224) (zur Vorgängernorm des § 46 SchwbG); Urt. v. 03. 12. 2002 – 9 AZR 462/01, BAGE 104, 73 (79); Urt. v. 27. 07. 2021 – 9 AZR 448/20, AP SGB IX 2018 § 164 Nr. 5 (Rn. 24); BeckOK-SozR/Brose, § 207 SGB IX, Rn. 3; LPK-SGB IX/Düwell, § 207 SGB IX, Rn. 4; ErfK/Rolfs, § 207 SGB IX, Rn. 1. 132
A. Der Begriff der Überstunde
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Fordert der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer auf, Arbeit über die (allgemeinen oder besonderen) arbeitsschutzrechtlichen Grenzen hinaus zu leisten, ist diese Anordnung unzulässig.140 Auf jede Weisung des Arbeitgebers ist zudem § 106 GewO anwendbar, das heißt jede Weisung des Arbeitgebers muss nach billigem Ermessen erfolgen.141 Hierzu gehört auch die Weisung eines Arbeitgebers, mit der er für einen Arbeitnehmer die Erbringung überobligatorischer Arbeitsleistungen anordnet. § 106 GewO stellt zwar keine Rechtsgrundlage für die Überstundenanordnung dar.142 Gleichwohl hat der Arbeitgeber die Anordnung von Überstunden nach billigem Ermessen im Sinne von § 106 GewO auszuüben.143 Bei der Beurteilung, ob eine Anordnung von Überstunden den im Rahmen von § 106 GewO geforderten Grundsätzen der Billigkeit entspricht, ist auf Seiten des Arbeitgebers zu fragen, ob tatsächlich ein Anordnungsgrund im Sinne eines überdurchschnittlichen Arbeitsanfalls oder Ähnlichem vorliegt.144 Ist das der Fall, kann das als Interesse des Arbeitgebers berücksichtigt werden. Hinsichtlich der Interessen des Arbeitnehmers ist zu beachten, dass diese bei einem Arbeitnehmer, der in seinem Arbeitsvertrag dem Arbeitgeber wirksam eine Befugnis zur Anordnung überobligatorischer Arbeitsleistung eingeräumt hat, nicht mehr in vollem Umfang geltend gemacht werden können, sondern vielmehr bereits abgewertet sind. Daher darf der Arbeitgeber den Arbeitnehmer grundsätzlich zu überobligatorischer Leistung in dem vereinbarten Umfang heranziehen, sodass nur in Ausnahmefällen das Interesse des Arbeitnehmers an der Nichtleistung der Überstunden überwiegen kann.145 Allerdings darf trotz bestehender Abwertung der Interessen des Arbeitnehmers dessen Gesundheit durch die Anordnung des Arbeitgebers zu überobligatorischer Leistung nicht gefährdet werden. Ein Arbeitgeber darf nämlich weder dulden noch verlangen, dass ein Arbeitnehmer seine Gesundheit gefährdet.146 Zudem hat der Arbeitnehmer ein Interesse daran, möglichst zeitnah über abzuleistende Überstunden Bescheid zu wissen. Daraus folgt die Pflicht des Arbeitgebers, 140 Ausdrücklich nur für die Anordnung von Arbeit, die über die Grenzen des MuSchG und des JArbSchG hinausgeht: Raif/Nann, ArbRAktuell 2016, 204. 141 Griese, in: Küttner, Stichwort: Weisungsrecht, Rn. 17; Reichold, in: MHA, § 40, Rn. 28. 142 Siehe bereits oben, Kapitel 4, A. III. 2. a) aa). 143 ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 663; Preis/Temming, Rn. 1138; Raif/Nann, ArbRAktuell 2016, 204; Rath, Pauschale Abgeltung, S. 50; im Ergebnis so auch Linck, in: Schaub, § 45, Rn. 43, der für die Billigkeitskontrolle neben § 106 GewO auch § 315 BGB anwendet, Rath, Pauschale Abgeltung, S. 50, allerdings ohne eine Norm zu nennen und Seel, DB 2005, 1330 (1333), der die Billigkeitskontrolle allein auf § 315 Abs. 3 BGB stützt. 144 Rath, Pauschale Abgeltung, S. 50. 145 Seel, DB 2005, 1330 (1333). 146 BAG, Urt. v. 13. 03. 1967 – 2 AZR 133/66, BAGE 19, 288 (295).
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Kap. 4: Die Überstunde
dem Arbeitnehmer „drohende“ Überstunden anzukündigen, indem er auf die Möglichkeit ihres Anfalls hinweist, sobald sich die Notwendigkeit abzeichnet.147 Zuletzt muss der Arbeitgeber grundsätzlich die Zustimmung des Betriebsrates vor der Anordnung von Überstunden einholen, wenn in dem betreffenden Betrieb ein Betriebsrat besteht. Denn gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG dürfen Überstunden nur mit Zustimmung des Betriebsrates angeordnet werden.148 Allerdings kann in einer Rahmenvereinbarung mit dem Betriebsrat festgelegt werden, dass der Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen im Einzelfall Überstunden ohne nochmalige Beteiligung des Betriebsrates anordnen darf.149 cc) Rechtsfolgen einer unzulässigen oder unwirksamen Anordnung Besteht keine (wirksame) Rechtsgrundlage für die Anordnung überobligatorischer Leistungen des Arbeitnehmers, ist die Anordnung von Überstunden im Einzelfall unzulässig.150 Hält der Arbeitgeber bei der Anordnung von Überstunden im Einzelfall die aufgezeigten Grenzen nicht ein, ist die Anordnung unwirksam. In diesen beiden Fällen – Unzulässigkeit oder Unwirksamkeit der Anordnung im Einzelfall – darf der Arbeitnehmer die Leistung der überobligatorischen Leistung verweigern.151 Das entspricht hinsichtlich einer Anordnung von Überstunden, bei der der Arbeitgeber nicht die im Rahmen von § 106 GewO geforderten Grundsätze der Billigkeit einhält, auch der Rechtsprechung des BAG. Zwar hatte der 5. Senat 2012 in einer umstrittenen Entscheidung152 zunächst festgestellt, eine unbillige Weisung des 147 Seel, DB 2005, 1330 (1333); generell eine Ankündigungsfrist bejahend: ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 663. 148 Raif/Nann, ArbRAktuell 2016, 204; Schwerdtner, Brennpunkte des Arbeitsrechts 2003, 305 (310 f., 321); BeckOK-ArbR/Werner, § 87 BetrVG, Rn. 65 ff. 149 BAG, Urt. v. 10. 03. 1992 – 1 ABR 31/91, AP BetrVG 1972 § 77 Regelungsabrede Nr. 1 (unter B. I. 2. a) der Gründe); Urt. v. 03. 06. 2003 – 1 AZR 349/02, AP BetrVG 1972 § 77 Tarifvorbehalt Nr. 19 (unter II. 2. der Gründe); BeckOK-ArbR/Werner, § 87 BetrVG, Rn. 67. 150 In diese Richtung können auch Bauer/Arnold/Willemsen, DB 2012, 1986 (1989) verstanden werden, wonach ein Arbeitnehmer „die unzulässig angeordneten“ Überstunden verweigern kann, wenn der Arbeitgeber keine Anordnungsbefugnis hatte; anders jedoch Schwerdtner, Brennpunkte des Arbeitsrechts 2003, 308 (324), nach dem die Anordnung unwirksam ist, wenn der Arbeitgeber einseitig – das heißt ohne wirksame Rechtsgrundlage – Überstunden einführt. 151 Poeche, in: Küttner, Stichwort: Überstunden, Rn. 2; Schwerdtner, Brennpunkte des Arbeitsrechts 2003, 305 (324); Seel, DB 2005, 1330 (1333); so auch Bauer/Arnold/Willemsen, DB 2012, 1986 (1989) bei Fehlen einer Anordnungsbefugnis. 152 Vgl. zu der anschließenden Diskussion in Rspr. und Lit. v. a. LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 17. 03. 2014 – 3 Sa 535/13, BeckRS 2014, 69512 (unter II. der Gründe); LAG Köln, Urt. v. 13. 01. 2014 – 2 Sa 614/13, BeckRS 2014, 68432; Hromadka, FS v. Hoyningen-Huene, S. 145 (152 ff.); ders., NZA 2017, 601 ff. (jeweils zustimmend); LAG Köln, Urt. v. 28. 08. 2014 – 6 Sa 423/14, BeckRS 2014, 73805 (unter II. 2. der Gründe); LAG Düsseldorf, Urt. v. 06. 04. 2016 – 12 Sa 1153/15, BeckRS 2016, 6949, Rn. 48; Boemke, NZA 2013, 6 ff.; ErfK/Preis,
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Arbeitgebers sei nicht nichtig, sondern nur unverbindlich. Daher dürfe ein Arbeitnehmer sich über eine unbillige Ausübung des Weisungsrechts durch den Arbeitgeber nicht einfach hinwegsetzen, sondern müsse entsprechend § 315 Abs. 3 S. 2 BGB die Gerichte für Arbeitssachen anrufen. Bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Verbindlichkeit der Weisung sei der Arbeitnehmer dann an die Weisung des Arbeitgebers gebunden.153 An dieser Auffassung hält der 5. Senat jedoch nach einer Anfrage des 10. Senats aus dem Jahr 2017154 nicht mehr fest, sodass für Arbeitnehmer keine – auch keine vorläufige – Bindung an unbillige Weisungen des Arbeitgebers besteht.155 Demnach trifft den Arbeitnehmer im Falle der Unzulässigkeit beziehungsweise Unwirksamkeit der Anordnung von Überstunden keine Pflicht zur Erbringung der geforderten überobligatorischen Leistung. Erbringt er die überobligatorische Leistung trotzdem, so ist sie dennoch vom Arbeitgeber veranlasst, das heißt, er leistet die zusätzliche Arbeit dennoch „mit Wissen und Wollen“ des Arbeitgebers.156 b) Billigung Der Arbeitgeber kann vom Arbeitnehmer geleistete überobligatorische Arbeitsleistungen auch im Nachhinein billigen, indem er zu erkennen gibt, mit der bereits erfolgten Leistung einverstanden zu sein.157 Diese Billigung ersetzt dann – vergleichbar mit einer nachträglichen Genehmigung158 – die fehlende vorherige Anordnung schon geleisteter überobligatorischer Arbeitsleistungen.159 Eine solche Billigung muss nicht ausdrücklich, sondern kann auch konkludent erfolgen. Dabei muss jedoch hinreichend deutlich zum Ausdruck kommen, dass der Arbeitgeber die überobligatorischen Arbeitsleistungen anerkennt.160 Eine Billigung überobligatorischer Arbeitsleistungen kann zum Beispiel darin liegen, dass der Arbeitgeber beziehungsweise ein für ihn handelnder Vorgesetzter des § 106 GewO, Rn. 13; Thüsing, jM 2014, 20 ff.; BeckOK-ArbR/Tillmanns, § 106 GewO, Rn. 57 (jeweils ablehnend). 153 BAG, Urt. v. 22. 02. 2012 – 5 AZR 249/11, BAGE 141, 34 (39 f.). 154 BAG, Beschl. v. 14. 06. 2017 – 10 AZR 330/16, AP GewO § 106 Nr. 36. 155 Vgl. BAG, Urt. v. 18. 10. 2017 – 10 AZR 330/16, BAGE 160, 296 (316); Urt. v. 28. 11. 2019 – 8 AZR 125/18, AP GewO § 106 Nr. 42 (Rn. 26). 156 In diese Richtung geht auch BAG, Urt. v. 16. 05. 2012 – 5 AZR 331/11, BAGE 141, 324, wonach Überstunden unabhängig davon, ob sie angeordnet werden durften, vergütet werden müssen. 157 BAG, Urt. v. 10. 04. 2013 – 5 AZR 122/12, AP BGB § 611 Mehrarbeitsvergütung Nr. 54 (Rn. 19); Gragert, in: MAHA, § 14, Rn. 48; Lakies, ArbRAktuell 2013, 541 (544); Reinfelder, AuR 2018, 335 (339). 158 ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 492. 159 Lakies, ArbRAktuell 2013, 541 (544). 160 BAG, Urt. v. 25. 05. 2005 – 5 AZR 319/04, AP TVG § 1 Tarifverträge: Gebäudereinigung Nr. 17 (unter II. 1. c) der Gründe).
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Kap. 4: Die Überstunde
Arbeitnehmers eine bestimmte Anzahl von Stunden abzeichnet.161 Denn hierdurch gibt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zu erkennen, dass er mit der erfolgten Arbeitsleistung – und damit auch mit der Leistung etwaiger überobligatorischer Arbeitsleistung – einverstanden ist.162 Die widerspruchslose Entgegennahme der vom Arbeitnehmer gefertigten Arbeitsaufzeichnungen hingegen reicht zu einer Billigung der überobligatorischen Arbeitsleistung noch nicht aus.163 Hier kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass der Arbeitgeber durch einfache Entgegennahme der Arbeitszeitaufzeichnungen die überobligatorischen Arbeitsleistungen erkannt hat. Vielmehr müsste hierzu wohl noch ein Hinweis des Arbeitnehmers auf die in den Arbeitszeitaufzeichnungen enthaltenen überobligatorischen Arbeitsleistungen erfolgen. c) Duldung Zuletzt kann der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer geleistete überobligatorische Arbeitsleistungen auch dulden, indem er sich stillschweigend mit ihnen einverstanden erklärt. Ein solches Einverständnis kann angenommen werden, wenn der Arbeitgeber eine überobligatorische Arbeitsleistung des Arbeitnehmers erkennt, diese hinnimmt und nicht dagegen einschreitet, zum Beispiel, indem er Vorkehrungen trifft, die Leistung überobligatorischer Arbeitsleistungen in Zukunft zu unterbinden.164 Dann kann er sich nämlich nicht mehr darauf berufen, unverhofften Vergütungsansprüchen für überobligatorische Arbeitsleistungen ausgesetzt zu sein.165 Zur Annahme einer Kenntnis des Arbeitgebers von überobligatorischen Arbeitsleistungen reicht wiederum die Entgegennahme von Aufschrieben der Anwesenheitszeiten durch die Arbeitnehmer noch nicht aus. Vielmehr muss der Arbeitnehmer seine Aufzeichnung mit einem Hinweis auf die überobligatorischen Arbeitsleistungen verbinden. Erst dann ist nämlich der Arbeitgeber gehalten, dem
161 BAG, Urt. v. 10. 04. 2013 – 5 AZR 122/12, AP BGB § 611 Mehrarbeitsvergütung Nr. 54 (Rn. 19); Urt. v. 26. 06. 2019 – 5 AZR 452/18, BAGE 167, 158 (169); Gragert, in: MAHA, § 14, Rn. 48; Lakies, ArbRAktuell 2013, 541 (544); ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 492; Reinfelder, AuR 2018, 335 (339). 162 BAG, Urt. v. 26. 06. 2019 – 5 AZR 452/18, BAGE 167, 158 (169). 163 BAG, Urt. v. 25. 05. 2005 – 5 AZR 319/04, AP TVG § 1 Tarifverträge: Gebäudereinigung Nr. 17 (Rn. 22); Urt. v. 10. 04. 2013 – 5 AZR 122/12, AP BGB § 611 Mehrarbeitsvergütung Nr. 54 (Rn. 19); Gragert, in: MAHA, § 14, Rn. 48; Lakies, ArbRAktuell 2013, 541 (544); Reinfelder, AuR 2018, 335 (339). 164 BAG, Urt. v. 10. 04. 2013 – 5 AZR 122/12, AP BGB § 611 Mehrarbeitsvergütung Nr. 54 (Rn. 21); Gragert, in: MAHA, § 14, Rn. 48; Lakies, ArbRAktuell 2013, 541 (544); ErfK/ Preis, § 611a BGB, Rn. 492. 165 BAG, Urt. v. 06. 05. 1981 – 5 AZR 73/79, BeckRS 1981, 4542 (unter II. 2. der Gründe).
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Sachverhalt nachzugehen und gegebenenfalls gegen nicht gewollte überobligatorische Arbeitsleistungen einzuschreiten.166 d) Bezug zum Arbeitszeitbegriff Das Erfordernis einer arbeitgeberseitigen Veranlassung der überobligatorischen Arbeitsleistung ergibt sich letztlich schon aus dem Erfordernis der Fremdnützigkeit beziehungsweise der Fremdbestimmtheit im Rahmen der Definition der Arbeit(szeit).167 Erfolgt nämlich eine Leistung des Arbeitnehmers ohne Anordnung, Billigung oder Duldung des Arbeitgebers, ist der Arbeitnehmer nicht an Weisungen seines Arbeitgebers gebunden, sodass keine Fremdbestimmung durch diesen vorliegt. Zudem richtet sich die Leistung des Arbeitnehmers ohne Veranlassung des Arbeitgebers nicht auf die Erreichung von arbeitgeberseitig vorgegebenen Zwecken und dient damit nicht der Befriedigung der Bedürfnisse des Arbeitgebers, sodass auch eine Fremdnützigkeit abzulehnen ist. Die Leistung des Arbeitnehmers stellt also mangels Fremdnützigkeit und Fremdbestimmung keine Arbeit dar, sodass auch keine Arbeitszeit vorliegt. Es kann daher schon gar nicht von einer überobligatorischen Arbeitsleistung des Arbeitnehmers gesprochen werden. Es ist also richtig, eine Veranlassung der Leistung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber zu fordern – allerdings handelt es sich dabei streng genommen nicht um ein eigenständiges Merkmal des Überstundenbegriffs, sondern die Veranlassung ist bereits vom ersten Tatbestandsmerkmal der überobligatorischen Arbeitsleistung umfasst. Dieses Verständnis des Überstundenbegriffs hat weitgehende Auswirkungen auf den sogenannten Überstundenprozess, in dem ein Arbeitnehmer die Vergütung für geleistete Überstunden einklagt. Im Rahmen eines solchen Überstundenprozesses entspricht es der ständigen Rechtsprechung des BAG und der ihr folgenden herrschenden Meinung in der juristischen Literatur, dass die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers zweigeteilt ist. Auf der ersten Stufe muss der Arbeitnehmer darlegen und gegebenenfalls – im Falle substantiierten Bestreitens – beweisen, dass er eine überobligatorische Arbeitsleistung erbracht hat. Dazu muss er vortragen, an welchen Tagen und zu welchen Tageszeiten er gearbeitet hat.168 Auf der zweiten
166 BAG, Urt. v. 10. 04. 2013 – 5 AZR 122/12, AP BGB § 611 Mehrarbeitsvergütung Nr. 54 (Rn. 22). 167 Vgl. genauer hierzu oben, Kapitel 2, A. II. 3. und Kapitel 2, A. III. 1. b) cc). 168 BAG, Urt. v. 16. 05. 2012 – 5 AZR 347/11, BAGE 141, 330 (338); Urt. v. 10. 04. 2013 – 5 AZR 122/12, AP BGB § 611 Mehrarbeitsvergütung Nr. 54 (Rn. 9); Urt. v. 26. 06. 2019 – 5 AZR 452/18, BAGE 167, 158 (167 f.); Gragert, in: MAHA, § 14, Rn. 54; Lakies, ArbRAktuell 2013, 541 (543); Linck, in: Schaub, § 69, Rn. 14; Pletke/Schrader/Siebert u. a., Flexible Arbeit, B., Rn. 493; ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 492; Temming, NZA 2021, 1433 (1437).
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Kap. 4: Die Überstunde
Stufe muss er darüber hinaus darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass der Arbeitgeber die überobligatorische Arbeitsleistung veranlasst hat.169 Durch das Erfordernis dieser zweiten Stufe unterscheidet sich der Überstundenprozess vom regulären Vergütungsprozess, in dem der Arbeitnehmer im Rahmen einer „normalen“ Leistungsklage von seinem Arbeitgeber die Zahlung von Lohn verlangt. In diesem regulären Vergütungsprozess ist es ausreichend, wenn der Arbeitnehmer darlegen und gegebenenfalls beweisen kann, dass er tatsächlich Arbeit verrichtet hat.170 Geht man allerdings von einem einheitlichen Begriff der Arbeitszeit für das gesamte Arbeitsrecht aus, wonach (überobligatorische) Arbeitszeit bei jedem Leisten von Arbeit im Sinne von § 611a BGB vorliegt,171 löst sich diese zweite Stufe des Überstundenprozesses auf. Es wird dann nämlich schon auf der ersten Stufe im Rahmen der Prüfung, ob eine überobligatorische Arbeitsleistung vorliegt, durch das Erfordernis des Vorliegens von Arbeit im Sinne von § 611a BGB geprüft, ob die Leistung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber veranlasst war.172 Daran zeigt sich, dass eine erneute Prüfung der Veranlassung auf der zweiten Stufe entbehrlich ist.173 Mithin ist der Überstundenprozess genau wie der reguläre Vergütungsprozess einstufig auszugestalten, sodass der Überstundenprozess letztlich in der regulären Vergütungsklage „aufgeht“.174 Gelegenheit, das zu erkennen und für die Zukunft umzusetzen, erhält das BAG durch im Rahmen der Entscheidungen des ArbG Emden175 und des LAG Niedersachsen176 geführte Diskussion über die Auswirkungen der Rechtssache CCOO des EuGH177 auf die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers im Überstunden169 BAG, Urt. v. 17. 04. 2002 – 5 AZR 644/00, AP BGB § 611 Mehrarbeitsvergütung Nr. 40 (unter II. 3. der Gründe); Urt. v. 03. 11. 2004 – 5 AZR 648/03, AP BGB § 611 Mehrarbeitsvergütung Nr. 49 (unter III. 1 der Gründe); Urt. v. 10. 04. 2013 – 5 AZR 122/12, AP BGB § 611 Mehrarbeitsvergütung Nr. 54 (Rn. 14 ff.); Gragert, in: MAHA, § 14, Rn. 54; Lakies, ArbRAktuell 2013, 541 (544); Linck, in: Schaub, § 69, Rn. 17; Pletke/Schrader/Siebert u. a., Flexible Arbeit, B., Rn. 493; ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 492; Temming, NZA 2021, 1433 (1437). 170 BAG, Urt. v. 16. 05. 2012 – 5 AZR 347/11, BAGE 141, 330 (337 f.); Lakies, ArbRAktuell 2013, 541 (543). 171 Vgl. oben, Kapitel 2, A. III. 1. b) cc) und Kapitel 2, A. IV. 172 Das verkennt das LAG Niedersachsen, Urt. v. 06. 05. 2021 – 5 Sa 1292/20, BeckRS 2021, 10275, Rn. 29, indem es feststellt: „Selbst wenn man zugunsten des Klägers unterstellt, er habe die von ihm behauptete Arbeitszeit tatsächlich geleistet, fehlt es jedoch an einer Anordnung, betrieblicher Notwendigkeit, Billigung oder Duldung.“. 173 Klueß, AuR 2012, 408 (411); Temming, NZA 2021, 1433 (1439). 174 Temming, NZA 2021, 1433 (1439). 175 ArbG Emden, Urt. v. 20. 02. 2020 – 2 Ca 94/19, ZIP 2020, 1094; Urt. v. 24. 09. 2020 – 2 Ca 144/20, BeckRS 2020, 28054; Urt. v. 09. 11. 2020 – 2 Ca 399/18, BeckRS 2020, 48508. 176 LAG Niedersachsen, Urt. v. 06. 05. 2021 – 5 Sa 1292/20, BeckRS 2021, 10275. 177 EuGH, Urt. v. 14. 05. 2019, C-55/18 (CCOO), ECLI:EU:C:2019:402, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 30.
A. Der Begriff der Überstunde
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prozess.178 Gegen das Urteil des LAG Niedersachsen hat der Kläger nämlich Revision eingelegt.179 3. Merkmal der Unregelmäßigkeit? Manche Stimmen in der Literatur und Rechtsprechung fordern, dass überobligatorische Arbeitsleistungen nur dann als Überstunden angesehen werden dürfen, wenn sie zur Deckung eines unvorhergesehenen und vorübergehend erhöhten Arbeitsbedarfs angeordnet werden. Hingegen sollen bei der Befriedigung eines regelmäßig erhöhten Arbeitsbedarfs keine Überstunden vorliegen.180 Das könnte so verstanden werden, dass nur unregelmäßige überobligatorische Arbeitsleistungen als Überstunden anzusehen seien. Auch die Stimmen, die bei der Frage des richtigen Anknüpfungspunktes für das geschuldete Maß an Arbeitsleistung auf die vertragliche vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit abstellen,181 könnten in diese Richtung verstanden werden. 178 Vgl. hierzu LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 19. 02. 2021 – 8 Sa 169/20, BeckRS 2021, 11684; Bayer, GWR 2021, 410; Benkert, NJW-Spezial 2021, 690 ff.; Fink, NZA-RR 2021, 631; ders., SAE 2021, 68; Hördt, ArbRAktuell 2021, 567 (568); Riegel, RdA 2021, 152 (154 f.); Schiefer, DB 2021, 2491 (2495); Stück, ArbRAktuell 2021, 477; Temming, NZA 2021, 1433 ff.; Winzer, ArbRAktuell 2020, 634. 179 Diese ist unter dem Aktenzeichen 5 AZR 359/21 bei dem BAG anhängig. 180 Bauer/Günther, DB 2006, 950; Meinel/Heyn/Herms/Herms, § 12, Rn. 47; Annuß/Thüsing/Jacobs, § 12, Rn. 11; Lindemann, AP TzBfG § 12 Nr. 4; dies., Schuldrechtsreform, S. 266; Rath, Pauschale Abgeltung, S. 50; Reichold, in: MHA, § 40, Rn. 70; Schüren, in: MHA 2009, § 41, Rn. 24; Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 28. So auch BAG, Urt. v. 07. 12. 2005 – 5 AZR 535/04, BAGE 116, 267 mit Verweis auf BAG, Urt. v. 21. 11. 2001 – 5 AZR 296/00, BAGE 100, 25 (31) und Pletke/Schrader/Siebert u. a., Flexible Arbeit, B., Rn. 464 mit Verweis auf BAG, Urt. v. 09. 07. 2003 – 5 AZR 610/01, ohne allerdings jeweils zu beachten, dass sich die zitierten Urteile auf den Überstundenbegriff bei § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG beziehen. In diese Richtung kann auch das Urteil des EuGH vom 13. 12. 2018, C-385/17 (Hein), ECLI: EU:C:2018:1018, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 28 verstanden werden, in dem der EuGH die Überstundenvergütung aufgrund ihres Ausnahmecharakters und ihrer Unvorhersehbarkeit nicht als Teil der gewöhnlichen Vergütung, die als Urlaubsentgelt weiter zu zahlen ist, ansieht (Rn. 46). Zudem stellte auch das BSG in seinem Urteil vom 09. 12. 1981 – 12 RK 20/81, SozR 2200 § 165 Nr. 65 fest, dass Überstunden „typischerweise unregelmäßig“ anfielen und daher „keinen mit hinreichender Sicherheit einplanbaren Anspruch“ darstellten, da die Ableistung von Überstunden unter anderem von der wirtschaftlichen Situation des Betriebes abhänge. 181 BSG, Urt. v. 25. 06. 1999 – B 7 AL 16/98 R, BeckRS 1999, 30064762; Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 49; Hromadka/Maschmann, ArbR I, S. 122; Hümmerich/Rech, NJW 1999, 1132; Kreßel, in: MHA 2000, § 67, Rn. 195; Pletke/Schrader/Siebert u. a., Flexible Arbeit, B., Rn. 464; Poeche, in: Küttner, Stichwort: Überstunden, Rn. 3 f.; Raif/Nann, ArbRAktuell 2016, 204; Rath, Pauschale Abgeltung, S. 46; Schwerdtner, Brennpunkte des Arbeitsrechts 2003, 305 (306); so auch der von Henssler/Preis vorgeschlagene Entwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes, der in § 28 Abs. 2 ArbVG-E (§ 29 Abs. 2 S. 1 ArbVG-E von November 2007) an die vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit anknüpft; diese entspricht gemäß § 29 Abs. 1 S. 2 ArbVG-E (§ 27 Abs. 2 ArbVG-E von November 2007) im Zweifel dem im Betrieb oder in der Betriebsabteilung Üblichen.
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Kap. 4: Die Überstunde
Es geht dabei um die Frage, ob überobligatorische Arbeitsleistungen ab einem gewissen Maß an Stetigkeit beziehungsweise Regelmäßigkeit nicht als Überstunden gelten, sondern als Teil der individuellen Arbeitszeit des Arbeitnehmers anzusehen sind, indem die individuelle Arbeitszeit des Arbeitnehmers – die ja der maßgebliche Anknüpfungspunkt für die Bestimmung einer überobligatorischen Arbeitsleistung ist –182 anhand der tatsächlich im Arbeitsverhältnis praktizierten Arbeitszeit und nicht anhand der zwischen den Arbeitsvertragsparteien vereinbarten Arbeitszeit bestimmt wird. Letztlich ist also der Anknüpfungspunkt für die Bestimmung der individuellen Arbeitszeit des Arbeitnehmers umstritten – hierfür kommen einerseits die vereinbarte Arbeitszeit und andererseits die tatsächlich praktizierte Arbeitszeit in Betracht. Dabei ergibt sich die zwischen den Arbeitsvertragsparteien vereinbarte Arbeitszeit je nach Fallkonstellation aus einem Tarifvertrag, aus einer Betriebsvereinbarung, einer betrieblichen Übung oder aus dem Einzelvertrag. Die tatsächlich im Arbeitsverhältnis praktizierte Arbeitszeit ist hingegen schwieriger zu bestimmen. Es geht dabei um die tatsächlich gelebte Praxis zwischen den Arbeitsvertragsparteien hinsichtlich der Arbeitszeit, die sich anders darstellen kann als vereinbart. So kann ein Arbeitnehmer zum Beispiel ständig Arbeitszeit leisten, die über die vereinbarte Arbeitszeit hinausgeht. Diese Arbeitszeit wird von der tatsächlich praktizierten Arbeitszeit umfasst. Zur Bestimmung dieser tatsächlich praktizierten Arbeitszeit wird grundsätzlich auf einen Vergleichszeitraum von zwölf Monaten zurückgegriffen.183 Durch diesen Zeitraum ist sichergestellt, dass das Arbeitsverhältnis mit seinen Besonderheiten „möglichst umfassend in den Blick“ kommt und „Zufallsergebnisse vermieden“ werden.184 Beträgt die Dauer des Arbeitsverhältnisses bei der Bestimmung der tatsächlich praktizierten Arbeitszeit weniger als zwölf Monate, so ist dessen gesamter bisheriger Zeitraum maßgeblich.185 Der Streit um die Bestimmung der individuellen Arbeitszeit ist solange nicht relevant, wie die vereinbarte und die tatsächlich praktizierte Arbeitszeit übereinstimmen. Das ist nicht nur der Fall, wenn ein Arbeitnehmer ständig die vereinbarte Arbeitszeit ableistet, sondern auch, wenn er zwar von der ursprünglich vereinbarten Arbeitszeit abweicht, die Arbeitsvertragsparteien diese vereinbarte Arbeitszeit aber rechtsgeschäftlich geändert haben. Eine solche Änderung kann nicht nur ausdrücklich zwischen den Arbeitsvertragsparteien vereinbart werden, sondern auch konkludent. An eine konkludente rechtsgeschäftliche Änderung sind allerdings relativ hohe Anforderungen zu stellen. 182
Vgl. oben, Kapitel 4, A. III. 1. b) cc). BAG, Urt. v. 21. 11. 2001 – 5 AZR 296/00, BAGE 100, 25 (33); BeckOK-ArbR/Ricken, § 4 EZFG, Rn. 18; Schmitt/Schmitt/Küffner-Schmitt, § 4 EFZG, Rn. 33; Wedde/Kunz, § 4 EFZG, Rn. 38, 42. 184 BAG, Urt. v. 21. 11. 2001 – 5 AZR 296/00, BAGE 100, 25 (33). 185 BAG, Urt. v. 21. 11. 2001 – 5 AZR 296/00, BAGE 100, 25 (33); Schmitt/Schmitt/Küffner-Schmitt, § 4 EFZG, Rn. 133. 183
A. Der Begriff der Überstunde
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Die konkludente Vertragsänderung ist ein Unterfall der einvernehmlichen Vertragsänderung.186 Daher ist für eine konkludente Änderung des Arbeitsvertrags die Feststellung entsprechender rechtsgeschäftlicher Erklärungen beider Arbeitsvertragsparteien erforderlich.187 Hierzu ist ein auf die Änderung gerichteter rechtsgeschäftlicher Wille der Arbeitsvertragsparteien festzustellen. Ob dieser vorliegt, kann jeweils nur anhand der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden.188 Erforderlich ist ein konkreter Geschehenszusammenhang, der unter Beachtung der Verkehrssitte und unter Berücksichtigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls einen Erklärungswert für die jeweilige Handlung ergibt.189 Ob eine Willenserklärung vorliegt und welchen Inhalt sie hat, richtet sich nach den Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB.190 Dabei ist der Horizont des Erklärungsempfängers maßgeblich, das heißt es ist entscheidend, wie der Erklärungsempfänger das Verhalten nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen durfte und musste.191 Im Zweifel ist derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben, die zu einem vernünftigen und widerspruchsfreien Ergebnis führt, das zudem den Interessen beider Vertragsparteien gerecht wird.192 Anhaltspunkte dafür, ob nach dem Horizont des Erklärungsempfängers aus dem Verhalten auf einen auf die Änderung der im Arbeitsvertrag vereinbarten Arbeitszeit gerichteten Willen geschlossen werden kann, ergeben sich aus der Art der Arbeit, der Art und Weise, wie die Arbeit in betriebliche Abläufe integriert ist und daraus, in welcher Weise die Arbeitszeit hinsichtlich Dauer und Lage geregelt ist.193 Für eine konkludente Änderung der Arbeitszeit bedarf es zunächst eines hierauf gerichteten konkludenten Angebots. Ein solches Angebot könnte darin zu sehen sein, dass ein Arbeitgeber vom Arbeitnehmer über einen längeren Zeitraum hinweg eine zeitlich erhöhte Arbeitsleistung fordert und entgegennimmt. Allerdings handelt es sich bei dem Erwarten und der Entgegennahme von erhöhter Arbeitsleistung um ein tatsächliches Verhalten. Als solches tatsächliches Verhalten 186
Schneider, NZA 2016, 590 (592). BAG, Urt. v. 25. 04. 2007 – 5 AZR 504/06, AP BGB § 615 Nr. 121 (Rn. 12); Urt. v. 22. 04. 2009 – 5 AZR 133/08 AP BGB § 611 Mehrarbeitsvergütung Nr. 51 (Rn. 13). 188 BAG, Urt. v. 08. 07. 1960 – 1 AZR 72/60, BB 1960, 942; Linck, in: Schaub, § 32, Rn. 14; Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 88. 189 BAG, Urt. v. 19. 06. 1986 – 2 AZR 565/85, AP KSchG 1969 § 2 Nr. 16 (unter B. V. 2. der Gründe); Linck, in: Schaub, § 32, Rn. 14; Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 88. 190 BAG, Urt. v. 18. 09. 2001 – 9 AZR 307/00, NZA 2002, 268 (unter I. 2. c) bb) der Gründe); Grüneberg/Ellenberger, § 133 BGB, Rn. 3; Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 88. 191 BAG, Urt. v. 09. 03. 2005 – 5 AZR 231/04, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 70 (unter II. 2. b) aa) der Gründe); Grüneberg/Ellenberger, § 133 BGB, Rn. 9; Linck, in: Schaub, § 32, Rn. 14 f.; Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 88 f. 192 BAG, Urt. v. 15. 02. 2017 – 7 AZR 223/15, AP TzBfG § 14 Nr. 151 (Rn. 26); Linck, in: Schaub, § 32, Rn. 14. 193 BAG, Urt. v. 25. 04. 2007 – 5 AZR 504/06, AP BGB § 615 Nr. 121 (Rn. 12); Linck, in: Schaub, § 45, Rn. 44. 187
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Kap. 4: Die Überstunde
sagt das Erwarten und die Entgegennahme von erhöhter Arbeitsleistung allein noch nichts über einen etwaigen rechtsgeschäftlichen Willen des Arbeitgebers hinsichtlich einer Veränderung des Inhalts des Arbeitsverhältnisses in Form einer dauerhaften Verlängerung der Arbeitszeit aus.194 Selbst eine jahrelang durchgängig geübte, vom Arbeitsvertrag abweichende Praxis kann lediglich ein Indiz sein für einen Willen, der auf eine Änderung des Vertrags gerichtet ist. Hinzutreten müssen in der Regel noch weitere Umstände.195 Hierzu können betriebliche Anforderungen hinsichtlich der Erbringung von Arbeitsleistungen zählen, die vom Arbeitgeber gestellt und vom Arbeitnehmer akzeptiert werden – etwa die Anforderung, dass die Arbeitnehmer in jedem Falle die vollständige Erledigung des aktuellen Arbeitsanfalls gewährleisten müssen.196 Zudem muss beachtet werden, welche Folgen eine rechtsgeschäftliche Änderung der Arbeitszeitvereinbarung für den Arbeitgeber nach sich zieht: Die verlängerte Arbeitszeit wäre dauerhaft bindend, sodass der Arbeitnehmer einen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Beibehaltung der erhöhten Arbeitszeit und Zahlung des entsprechend erhöhten Entgelts hätte. Könnte der Arbeitgeber aus betrieblichen Gründen den Arbeitnehmer nicht mehr in diesem erhöhten Umfang beschäftigen, wäre er gleichwohl gemäß § 615 S. 1 BGB zur Zahlung des erhöhten Entgelts verpflichtet.197 Ausdrücklich gegen einen Willen des Arbeitgebers zur Vertragsänderung spricht es jedenfalls, wenn er den Betriebsrat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG beteiligt hat. Denn der Wortlaut des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG (vorübergehende Verlängerung) spricht dagegen, dass eine dauerhafte Änderung der Arbeitszeit beabsichtigt ist.198 Selbst wenn diese Hürden genommen sind und man von einem konkludenten Angebot des Arbeitgebers auf Erhöhung der vereinbarten Arbeitszeit ausgehen kann, müsste der Arbeitnehmer dieses Angebot auch annehmen. Das könnte er durch das Ableisten der überobligatorischen Arbeit tun. Auch hierbei handelt es sich jedoch lediglich um ein tatsächliches Verhalten, dass allein noch nichts über den rechtsgeschäftlichen Willen des Arbeitnehmers aussagt. Zudem ist problematisch, dass ein Arbeitnehmer, der ein Angebot seines Arbeitgebers auf Erhöhung der Arbeitszeit nicht ausdrücklich annimmt, auf dieses Angebot zunächst einmal mit Schweigen reagiert. Im Zivilrecht gilt jedoch der Grundsatz, dass ein bloßes Schweigen grundsätzlich nicht als Willenserklärung – erst
194 BAG, Urt. v. 25. 04. 2007 – 5 AZR 504/06, AP BGB § 615 Nr. 121 (Rn. 12); Urt. v. 22. 04. 2009 – 5 AZR 133/08, AP BGB § 611 Mehrarbeitsvergütung Nr. 51 (Rn. 13); Urt. v. 21. 06. 2011 – 9 AZR 236/10, BAGE 138, 148 (160 f.); Gragert, in: MAHA, § 14, Rn. 47; Worzalla, AP EntgeltFG § 4 Nr. 56. 195 Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 89. 196 BAG, Urt. v. 25. 04. 2007 – 5 AZR 504/06, AP BGB § 615 Nr. 121 (Rn. 14). 197 Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 89 f. 198 Ebd.
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recht nicht als zustimmende Willenserklärung – gewertet werden darf.199 Etwas anderes gilt, wenn das Schweigen durch den Gesetzgeber mit Rechtsfolgen verbunden worden ist, die Vertragsparteien Abweichendes vereinbart haben oder wenn weitere Anhaltspunkte hinzukommen, aufgrund derer der Anbietende das Schweigen nach Treu und Glauben als Annahme auffasst und auch so auffassen darf. Das wiederum ist der Fall, wenn er nach Treu und Glauben annehmen darf, dass der Angebotsempfänger der Vertragsänderung widersprechen würde, wenn er ihr nicht zustimmen wollte.200 Bezogen auf das Arbeitsverhältnis kann ein widerspruchsloses Weiterarbeiten durch den Arbeitnehmer nach einem durch den Arbeitgeber ausgesprochenen Änderungsangebot nach diesen Grundsätzen von Treu und Glauben als Annahme des Arbeitnehmers gewertet werden, wenn der Arbeitnehmer unmittelbar und sofort von der neuen Vertragsgestaltung betroffen ist.201 Liegen diese besonderen Umstände nicht vor, sind wiederum die Rechtsfolgen eines rechtsgeschäftlichen Einverständnisses des Arbeitnehmers mit der erhöhten Arbeitszeit in den Blick zu nehmen: Er hätte dann zwar einen aufgrund der erhöhten Arbeitszeit erhöhten Entgeltanspruch. Allerdings hätte der Arbeitgeber auch einen einklagbaren Anspruch gegen den Arbeitnehmer auf die Einhaltung dieser erhöhten Arbeitszeit. Das wird in aller Regel eher nicht dem Interesse des Arbeitnehmers entsprechen. Daher ist genau zu untersuchen, ob aus Sicht des Arbeitgebers erkennbar ist, dass sich der Arbeitnehmer dauerhaft zur Ableistung einer erhöhten Arbeitszeit verpflichten will und nicht nur eine aus seiner Sicht vorübergehende Ableistung von zusätzlichen Arbeitsstunden akzeptiert.202 Aufgrund dieser hohen Anforderungen an eine konkludente Änderung der Arbeitszeitvereinbarung ist in den meisten Fällen von einer solchen nicht auszugehen. In der Praxis wird es somit häufig Konstellationen geben, in denen ein Arbeitnehmer über längere Zeit hinweg ständig mehr als die vereinbarte Arbeitszeit leistet, ohne dass hierin eine (konkludente) Vereinbarung einer Arbeitszeitverlängerung gesehen werden kann. In diesen Konstellationen weichen dann die vereinbarte und die tatsächlich praktizierte Arbeitszeit voneinander ab, sodass der Streit um die Bestimmung der individuellen Arbeitszeit relevant wird.
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BAG, Urt. v. 02. 03. 1973 – 3 AZR 325/72, AP BGB § 133 Nr. 36 (unter I. 2. c) bb) der Gründe); Franzen, RdA 2002, 235 (238); Medicus/Petersen, BGB AT, S. 151; Schneider, NZA 2016, 590 (592). 200 BAG, Urt. v. 30. 07. 1985 – 3 AZR 405/83, AP HGB § 65 Nr. 13 (unter II. 2 c) (1) der Gründe); Urt. v. 14. 08. 1996 – 10 AZR 69/96, AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 47 (unter II. 2. der Gründe). 201 BAG, Urt. v. 08. 07. 1960 – 1 AZR 72/60, BB 1960, 942; Urt. v. 17. 07. 1965 – 3 AZR 302/64, AP BGB § 242 Unzulässige Rechtsausübung – Verwirkung Nr. 9 (Leitsatz Nr. 3). 202 Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 90.
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Kap. 4: Die Überstunde
a) Merkmal der Unregelmäßigkeit bei §§ 4 Abs. 1a S. 1 EFZG, 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG Der Streit um den richtigen Anknüpfungspunkt für die Bestimmung der individuellen Arbeitszeit wird vor allem im Rahmen von §§ 4 Abs. 1a S. 1 EFZG, 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG relevant. Bei diesen Normen handelt es sich um Regelungen zur Entgeltfortzahlung, die eine Ausnahme von dem Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ darstellen,203 indem sie bestimmen, dass das Arbeitsentgelt in gewissen Fällen auch ohne das Erbringen von Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer weiterhin zu gewähren ist. So hat zum Beispiel ein Arbeitnehmer, der unverschuldet arbeitsunfähig erkrankt ist und daher an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert ist, gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG einen Anspruch gegen seinen Arbeitgeber auf Entgeltfortzahlung für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zu einer maximalen Dauer von sechs Wochen. Gemäß § 11 BUrlG hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub, das heißt einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung während der Zeit des Urlaubs, in der er keinerlei Arbeitsleistung für seinen Arbeitgeber erbringen muss. aa) § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG Vor allem bei § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG herrscht Streit dahingehend, ob die individuelle Arbeitszeit des Arbeitnehmers anhand der vereinbarten Arbeitszeit oder anhand der tatsächlich praktizierten Arbeitszeit zu bestimmen ist. (1) Vereinbarte Arbeitszeit Wäre die vereinbarte Arbeitszeit für die Bestimmung der individuellen Arbeitszeit maßgeblich, wären alle Arbeitsleistungen, die über diese vereinbarte Arbeitszeit hinausgingen, als Überstunden einzuordnen mit der Folge, dass sie aus der Entgeltfortzahlung gemäß § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG herausfallen – unabhängig davon, ob es sich dabei um regelmäßige oder unregelmäßige über der vereinbarten Arbeitszeit liegende Arbeitsleistungen handelt.204 Für die Maßgeblichkeit der vereinbarten Arbeitszeit spricht der Aspekt der Rechtssicherheit. Denn die vereinbarte Arbeitszeit lässt sich leichter feststellen als die tatsächlich praktizierte Arbeitszeit.205 Zur Bestimmung der vereinbarten Arbeitszeit reicht ein Blick in die zwischen den Arbeitsvertragsparteien getroffene Vereinbarung, wohingegen zur Bestimmung der tatsächlich praktizierten Arbeitszeit Beobachtungen über die tatsächlich praktizierte Arbeitszeitpraxis in den vergangenen zwölf Monaten angestellt werden müssen. 203
Vgl. bereits oben, Kapitel 2, Fn. 367. So Löwisch, BB 1999, 102 (105); Worzalla, AP EntgeltFG § 4 Nr. 56. 205 So auch Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 92. 204
A. Der Begriff der Überstunde
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Zudem wird der Sinn und Zweck des EFZG zur Argumentation für die vereinbarte Arbeitszeit als Anknüpfungspunkt angeführt: Durch das EFZG solle das regelmäßige Einkommen für den Arbeitnehmer im Falle einer Arbeitsunfähigkeit gesichert werden und nicht zusätzliche Einkommensquellen, wie sie zum Beispiel aus der Leistung von Überstunden herrühren.206 Allerdings ist bei einem ständigen Ableisten einer die vereinbarte Arbeitszeit übersteigenden Arbeitszeit das Einkommen des Arbeitnehmers ständig erhöht, sodass man durchaus davon sprechen kann, dass es sich dabei um ein regelmäßiges – und damit durch das EFZG zu sicherndes – Einkommen handelt. Das gilt umso mehr, als dass manche Arbeitnehmer aufgrund ihrer ansonsten geringen Entlohnung überhaupt erst durch die ständige Leistung von Überstunden die Möglichkeit haben, einen ausreichenden Lebensunterhalt zu verdienen. In diese Richtung kann auch der EuGH verstanden werden, der in einem Urteil zum Urlaubsentgelt in einer Randbemerkung ausführt, dass die Vergütung für Überstunden, die weitgehend vorhersehbar und gewöhnlich sind und deren Entlohnung einen wesentlichen Teil des gesamten Arbeitsentgelts des Arbeitnehmers ausmacht, in das gewöhnliche Arbeitsentgelt einbezogen werden sollte.207 (2) Tatsächlich praktizierte Arbeitszeit Hingegen wären bei Maßgeblichkeit der tatsächlich praktizierten Arbeitszeit regelmäßige über der vereinbarten Arbeitszeit liegende Arbeitsleistungen als Teil der tatsächlich praktizierten Arbeitszeit auch Teil der individuellen Arbeitszeit und somit schon gar keine überobligatorischen Arbeitsleistungen. Überobligatorische Arbeitsleistungen könnten also nur noch bei unregelmäßiger Überschreitung der vereinbarten Arbeitszeit angenommen werden.208 (a) Wortlaut Dass an die tatsächlich praktizierte Arbeitszeit und nicht an die vereinbarte Arbeitszeit anzuknüpfen ist, lässt sich bereits mit dem Wortlaut von § 4 Abs. 1, Abs. 1a S. 1 EFZG begründen – und zwar in zweifacher Hinsicht: zum einen durch die Verwendung des Wortes „maßgebend“, zum anderen durch das Abstellen auf die „regelmäßige“ Arbeitszeit. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird „maßgebend“ verwendet, um zu beschreiben, dass etwas „entscheidend, bestimmend, richtunggebend, von entschei206
Worzalla, AP EntgeltFG § 4 Nr. 56. EuGH, Urt. v. 13. 12. 2018, C-385/17 (Hein), ECLI:EU:C:2018:1018, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 28 (Rn. 47); vgl. hierzu auch Marquardt, ArbRB 2019, 3 (4) und Zeh, ZESAR 2019, 301 (304 f.). 208 So BAG, Urt. v. 21. 11. 2001 – 5 AZR 296/00, BAGE 100, 25 (30 f.); Urt. v. 26. 06. 2002 – 5 AZR 592/00, AP EntgeltFG § 4 Nr. 61; Caspers, SAE 2003, 254 (255 ff.); Greiner, in: MHA, § 81, Rn. 18; Hamm, AiB 2006, 678 (681); Knorr/Krasney, F 405, Rn. 14; MüllerGlöge, RdA 2006, 105 (110); Schmitt, RdA 2003, 51 (53); ders., SAE 2003, 110 (111); ders., FS 50 Jahre BAG, S. 197 (208); HWK/Vogelsang, § 4 EFZG, Rn. 11. 207
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Kap. 4: Die Überstunde
dendem Einfluss“209 ist. Es handelt sich also bei etwas „Maßgebendem“ um eine Vorgabe, die weniger stark ist als eine Vereinbarung oder eine Verpflichtung. „Maßgebend“ ist also gerade kein Synonym für „vereinbart“, sondern etwas, nach dem man sich richtet, ohne dass es – anders als bei einer Vereinbarung – auch zwingend verbindlich sein muss.210 Hätte der Gesetzgeber die vereinbarte Arbeitszeit als Anknüpfungspunkt für § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG festlegen wollen, hätte er anstatt auf die „maßgebende“ Arbeitszeit abzustellen auch auf die „vereinbarte“ oder „festgelegte“ Arbeitszeit abstellen können. Dass er das – anders als etwa bei §§ 611 Abs. 1, 612 Abs. 2 BGB, in denen auf die „vereinbarte“ Vergütung abgestellt wird, oder bei § 6 Abs. 2 S. 1, 2 AltersteilzeitG, in dem an die „vereinbarte“ Arbeitszeit angeknüpft wird – nicht getan hat, muss bei der Frage des maßgeblichen Anknüpfungspunktes bei § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG Berücksichtigung finden.211 Auch die Verwendung des Wortes „regelmäßig“ spricht dagegen, an die vereinbarte Arbeitszeit anzuknüpfen. Nach dem Sprach- und Rechtsgebrauch handelt es sich hierbei um einen zeitlichen Begriff, der ein Geschehen bezeichnet, das „nach einer bestimmten festen Ordnung in gleichmäßigen Abständen und in gleichförmiger Aufeinanderfolge wiederkehrt“.212 Dabei muss das Geschehen aber nicht ständig gleichbleibend verlaufen; vielmehr sind auch Schwankungen und Ausnahmen möglich. Damit man dennoch eine Gleichförmigkeit des Geschehens ausmachen kann, muss das Geschehen über eine bestimmte Zeit von längerer Dauer hinweg beobachtet werden.213 Um eine „Regelmäßigkeit“ in der Arbeitszeit erkennen zu können, muss also die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers über eine längere Zeit beobachtet werden. Damit deutet die Formulierung „regelmäßig“ auf einen in der Vergangenheit liegenden Referenzzeitraum hin, in dem die tatsächliche Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses beobachtet werden soll, und nicht auf eine feststehende Vereinbarung im Sinne der vereinbarten Arbeitszeit.214 (b) Einzelfallgerechtigkeit Auch der Gedanke der Einzelfallgerechtigkeit spricht für eine Maßgeblichkeit der regelmäßigen Arbeitszeit. Bei einem Abstellen auf die vereinbarte Arbeitszeit könnten Arbeitgeber nämlich versuchen, das Entgeltfortzahlungsgesetz zu umgehen, 209
Wahrig, Deutsches Wörterbuch, S. 855. Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 92 f. 211 Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 94. 212 BAG, Urt. v. 07. 11. 1984 – 5 AZR 378/82, BAGE 47, 160 (163); Urt. v. 03. 05. 1989 – 5 AZR 249/88, NZA 1989, 885; so bestimmt auch der Duden die Bedeutung als „einer bestimmten festen Ordnung, Regelung (die besonders durch zeitlich stets gleiche Wiederkehr, gleichmäßige Aufeinanderfolge gekennzeichnet ist) entsprechend, ihr folgend; https://www.du den.de/rechtschreibung/regelmaeszig (zuletzt abgerufen am 25. 02. 2022). 213 BAG, Urt. v. 07. 11. 1984 – 5 AZR 378/82, BAGE 47, 160 (163); Urt. v. 03. 05. 1989 – 5 AZR 249/88, NZA 1989, 885. 214 Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 94. 210
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indem sie eine relativ geringe Arbeitszeit arbeitsvertraglich vereinbaren und tatsächlich ständig vom Arbeitnehmer eine höhere Arbeitszeit abrufen, die dann im Falle der Arbeitsunfähigkeit nicht weiter zu vergüten wären. Zur Verdeutlichung dieses Arguments ein Beispiel: Arbeitnehmer A ist aufgrund seines Arbeitsvertrags zu einer wöchentlichen Arbeitsleistung von 40 Stunden verpflichtet; das entspricht auch der tatsächlichen Handhabung der Arbeitsleistung. Arbeitnehmer B hat einen Arbeitsvertrag geschlossen, der eine Arbeitszeit von 32 Stunden pro Woche vorsieht. Tatsächlich hat B allerdings im Laufe des letzten Jahres durchschnittlich ebenfalls 40 Stunden pro Woche gearbeitet, die auch vergütet worden sind. A und B erkranken für jeweils eine Woche.215 Legt man nun bei B die vertraglich vereinbarte und nicht die übliche, tatsächlich praktizierte Arbeitszeit für die Entgeltfortzahlung zugrunde, so erhielte B nur eine Entgeltfortzahlung für 32 Stunden, wohingegen A eine Entgeltfortzahlung für 40 Stunden erhielte, obwohl A und B im letzten Jahr beide gleich lange gearbeitet haben.216 (c) Entstehungsgeschichte Zuletzt spricht für die Maßgeblichkeit der regelmäßigen Arbeitszeit bei § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG die Entstehungsgeschichte dieser Norm. Die explizite Herausnahme des für Überstunden gezahlten Arbeitsentgelts im Sinne von § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG wurde erst durch Art. 7 Nr. 1 lit. b) des „Gesetzes zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte“217 (im Folgenden: Korrektur-Gesetz) eingeführt, welches am 19. 12. 1998 durch den Bundestag verabschiedet wurde und am 01. 01. 1999 in Kraft getreten ist. Bis zu dieser Einführung war allein die Regelung des § 4 Abs. 1 EFZG beziehungsweise die fast wortgleiche Vorgängerregelung des § 2 Abs. 1 LFZG218 maßgeblich.219 Nach ständiger Rechtsprechung zu § 2 Abs. 1 LFZG beziehungsweise zu dessen Vorgängerregelung des § 2 Abs. 2 ArbKrankhG220 war die Leistung von Überstunden bei der Bemessung des gemäß § 3 Abs. 1 EFZG fortzuzahlenden Entgelts zu berücksichtigen, wenn die Überstunden im Entgeltfortzahlungszeitraum (regelmäßig) angefallen wären.221 Das wurde zum einen angenommen, wenn 215
Beispiel nach Schmitt, RdA 2003, 51 (53); ders., FS 50 Jahre BAG, S. 197 (207); Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 87. 216 Schmitt, RdA 2003, 51 (53). 217 BGBl. I 1998, S. 3843. 218 BGBl. I 1969, S. 946. 219 Schmitt, FS 50 Jahre BAG, S. 197 (199). 220 BGBl. I 1961, S. 913. 221 BAG, Urt. v. 24. 10. 1963 – 2 AZR 444/62, BAGE 15, 59 (61 f.); Urt. v. 08. 05. 1972 – 5 AZR 428/71, AP LohnFG § 2 Nr. 3 (unter 2. b) der Gründe); Urt. v. 15. 02. 1978 – 5 AZR 739/ 96, AP LohnFG § 2 Nr. 8 (unter 1. a) der Gründe).
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Überstunden im Zeitpunkt des Eintretens der Arbeitsunfähigkeit bereits für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit für gewisse Dauer angeordnet waren.222 Zum anderen wurde davon ausgegangen, dass Überstunden im Entgeltfortzahlungszeitraum angefallen wären, wenn in den letzten drei Monaten – beziehungsweise bei stark schwankender Arbeitszeit in den letzten zwölf Monaten223 – vor der Erkrankung ständig Überstunden geleistet worden waren und zu erwarten war, dass sie auch während des Entgeltfortzahlungszeitraums geleistet worden wären, wäre der Arbeitnehmer nicht arbeitsunfähig erkrankt.224 Das regelmäßige Ableisten von Überstunden in den letzten drei Monaten wurde dabei als Indiz für den regelmäßigen Anfall von Überstunden auch im Entgeltfortzahlungszeitraum angesehen.225 Waren Überstunden nach diesen Grundsätzen regelmäßig angefallen, wurde das für diese gezahlte Arbeitsentgelt bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall berücksichtigt, und zwar einschließlich etwaiger Überstundenzuschläge.226 Zwar gab es zu § 4 Abs. 1 EFZG in der bis zum 31. 12. 1998 geltenden Fassung keine höchstrichterliche Rechtsprechung. Es kann aber aufgrund der fast wortgleichen Formulierungen in § 2 Abs. 1 LFZG einerseits und § 4 Abs. 1 S. 1 EFZG andererseits wohl davon ausgegangen werden, dass das BAG seine Rechtsprechung zu § 2 Abs. 1 LFZG kaum modifiziert hätte.227 Das bedeutet, auch bei § 4 Abs. 1 S. 1 EFZG waren wie bei § 2 Abs. 1 LFZG Überstunden zu berücksichtigen, wenn sie im Entgeltfortzahlungszeitraum (regelmäßig) angefallen wären. Durch Art. 3 Nr. 2 lit. a) des arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 25. 09. 1996228 wurde der in § 4 Abs. 1 EFZG enthaltene Entgeltfortzahlungsanspruch der Höhe nach reduziert. Die Höhe des vom Arbeitgeber während der Arbeitsunfähigkeit fortzuzahlenden Entgelts betrug nur noch 80 % statt wie bisher 100 % des für den Arbeitnehmer maßgebenden regelmäßigen Arbeitsentgelts. Die Behandlung von Überstunden bei der Berechnung des fortzuzahlenden Entgelts wurde hierdurch jedoch nicht geändert.229
222 BAG, Urt. v. 15. 02. 1978 – 5 AZR 739/76, AP LohnFG § 2 Nr. 8 (Leitsatz Nr. 2); Urt. v. 03. 05. 1989 – 5 AZR 249/88, AP LohnFG § 2 Nr. 19 (unter I. der Gründe); Worzalla, AP EntgeltFG § 4 Nr. 56. 223 BAG, Urt. v. 05. 11. 1964 – 2 AZR 494/63, AP ArbKrankhG § 2 Nr. 21 (Leitsatz Nr. 2). 224 BAG, Urt. v. 08. 05. 1972 – 5 AZR 425/71, AP LohnFG § 2 Nr. 3 (Leitsatz Nr. 2); Urt. v. 03. 05. 1989 – 5 AZR 249/88, AP LohnFG § 2 Nr. 19 (unter I. der Gründe). 225 BAG, Urt. v. 15. 02. 1978 – 5 AZR 739/96, AP LohnFG § 2 Nr. 8 (unter 1. b) der Gründe); Worzalla, AP EntgeltFG § 4 Nr. 56. 226 Schmitt/Schmitt/Küffner-Schmitt, § 4 EFZG, Rn. 128; Vossen, Entgeltfortzahlung, S. 216. 227 Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 83. 228 BGBl. I 1996, S. 1476. 229 Schmitt, RdA 2003, 51 (52); ders., FS 50 Jahre BAG, S. 197 (200); Schwedes, BBBeilage Nr. 17, 2 (4).
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Diese Reduzierung des fortzuzahlenden Entgelts auf 80 % wurde von den Gewerkschaften massiv kritisiert,230 was zum Abschluss zahlloser Tarifverträge führte, die weiterhin eine Entgeltfortzahlung in Höhe von 100 % vorsahen. Als Ausgleich für dieses Entgegenkommen bei der Höhe der Entgeltfortzahlung wurde jedoch in den meisten dieser Tarifverträge vereinbart, dass bei der Entgeltfortzahlung Überstunden unberücksichtigt bleiben.231 Im Dezember 1998 galt infolgedessen für etwa 80 % der Beschäftigten in Deutschland aufgrund bestehender oder neu abgeschlossener Tarifverträge eine Entgeltfortzahlung in Höhe von 100 % – anstatt der gesetzlich vorgesehenen 80 %.232 Dadurch bestand eine große Ungleichheit zwischen tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern. Während die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer im Krankheitsfall eine Entgeltfortzahlung in der gesetzlich vorgesehenen Höhe von 80 % des Arbeitsentgelts erhielten, hatten die meisten tarifgebundenen Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung in voller Höhe. Um diese Ungleichbehandlung von tarifgebundenen Arbeitnehmern einerseits und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern andererseits zu beseitigen, machte der Gesetzgeber durch Art. 7 Nr. 1 lit. a) des Korrektur-Gesetzes die Reduzierung der gesetzlichen Entgeltfortzahlung auf 80 % wieder rückgängig. Gleichzeitig nahm der Gesetzgeber durch Art. 7 Nr. 1 lit. b) des Korrektur-Gesetzes die Überstunden bei der Bemessung des fortzuzahlenden Entgelts heraus. Dadurch sollte eine zukünftige Schlechterstellung von nicht tarifgebundenen Arbeitgebern gegenüber tarifgebundenen Arbeitgebern verhindert werden.233 Zwar hätten sowohl tarifgebundene als auch nicht tarifgebundene Arbeitgeber aufgrund der durch Art. 7 Nr. 1 lit. a) des Korrektur-Gesetzes eingeführten Erhöhung des fortzuzahlenden Entgelts in § 4 Abs. 1 EFZG im Krankheitsfall das Entgelt in Höhe von 100 % fortzahlen müssen. Tarifgebundene Arbeitgeber hätten aber in der Regel aufgrund der nach Inkrafttreten des arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetz abgeschlossenen Tarifverträge bei der Entgeltfortzahlung Überstunden nicht berücksichtigen müssen, nicht tarifgebundene Arbeitgeber hingegen schon.234 Maßgebliche Intention des Gesetzgebers bei der Einführung von § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG war es also, die Entgeltfortzahlung in Höhe von 100 % wiederherzustellen.235 Wäre die vereinbarte Arbeitszeit maßgeblich für die Bestimmung der individuellen 230 Nielebock, AiB 1999, 5 (6) bezeichnet die Auseinandersetzung um die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sogar als „eine der größten zwischen den Gewerkschaften und der Regierung seit den Kämpfen um die Mitbestimmung“. 231 Schmitt, RdA 2003, 51 (52); ders., FS 50 Jahre BAG, S. 197 (201); zu dem genauen Ablauf der Arbeitskämpfe in den unterschiedlichen Branchen vgl. Bispinck, WSI-Mitteilungen 1997, 69 (85 ff.). 232 BT-Drs. 14/45, S. 17. 233 Ebd. 234 Schmitt, RdA 2003, 51 (52); ders., FS 50 Jahre BAG, S. 197 (201). 235 So auch Vogelsang, S. 92.
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Kap. 4: Die Überstunde
Arbeitszeit und damit für das Vorliegen von Überstunden, könnten Arbeitgeber durch Vereinbarung einer relativ geringen Arbeitszeit diese Intention des Gesetzgebers konterkarieren. Bei über der vereinbarten Arbeitszeit liegenden Arbeitsleistungen, die regelmäßig anfallen, würde der Arbeitgeber nämlich mangels Überstunden keine Lohnfortzahlung schulden. In Extremfällen wie dem Beispiel oben236 hätte ein solches Abstellen auf die vereinbarte Arbeitszeit für den Arbeitnehmer – hier der Arbeitnehmer B – wirtschaftlich eine Absenkung der Entgeltfortzahlung auf 80 % der ansonsten gewährten Vergütung zur Folge, sodass er gerade nicht die vom Gesetzgeber beabsichtigte Entgeltfortzahlung in Höhe von 100 % erhält. (3) Zwischenergebnis Im Rahmen von § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG ist es überzeugend, auf die tatsächlich praktizierte Arbeitszeit zur Bestimmung der individuellen Arbeitszeit abzustellen. Hier ist also das Merkmal der Unregelmäßigkeit für das Vorliegen von Überstunden zu fordern. Daher gelten hier nur solche die vereinbarte Arbeitszeit übersteigende Arbeitsleistungen als überobligatorische Arbeitsleistungen, die unregelmäßig anfallen. Hingegen sind regelmäßige, über der vereinbarten Arbeitszeit liegende Arbeitsleistungen als Teil der tatsächlich praktizierten Arbeitszeit auch Teil der individuellen Arbeitszeit und daher nicht als überobligatorische Arbeitsleistungen, mithin Überstunden, einzuordnen. bb) § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG Anders als bei § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG, bei dem die Frage, ob für das Vorliegen von Überstunden eine Unregelmäßigkeit der überobligatorischen Arbeitsleistungen zu verlangen ist, eingehend von Literatur und Rechtsprechung diskutiert wird, wird dieselbe Frage in der Literatur zu § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG lediglich vereinzelt angesprochen.237 Diese Stimmen sprechen sich jedoch zu Recht einhellig dafür aus, auch bei § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG das Merkmal der Unregelmäßigkeit zu verlangen, sodass regelmäßig über der vereinbarten Arbeitszeit liegende Arbeitsleistungen keine Überstunden im Sinne von § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG darstellen und folglich diese Arbeitsleistungen in die Berechnung des Urlaubsentgelts einbezogen werden müssen.238 236
Vgl. Kapitel 4, A. III. 3. a) aa) (2) (b). Vgl. aber Sprenger, ZTR 2020, 63 (71); Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 133 f.; Wirges, DB 2003, 1576 (1579). 238 Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 134; Wirges, DB 2003, 1576 (1579); so im Ergebnis auch Sprenger, ZTR 2020, 63 (71), der in seinem Vorschlag zur Änderung des § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG vorsieht, nur noch das „zusätzlich für unregelmäßig oder in unerheblichem Umfang anfallende“ Überstunden gezahlte Entgelt bei § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG herauszunehmen; vgl. in Bezug auf Art. 7 Abs. 1 der ArbZ-RL, der auf europäischer Ebene Regelungen zum Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers enthält, EuGH, Urt. v. 13. 12. 2018, C-385/17 (Hein), ECLI: EU:C:2018:1018, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 28 (Rn. 46 f.), der die Vergütung für weit237
A. Der Begriff der Überstunde
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Aufgrund der Ähnlichkeit der Formulierung in § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG einerseits und § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG andererseits ist ein dem Begriffsverständnis bei § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG entsprechendes Begriffsverständnis bei § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG geboten. Hierfür spricht auch die Intention des Gesetzgebers bei Einführung des Korrektur-Gesetzes,239 mit dem er einen Gleichlauf der Entgeltfortzahlung bei § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG und § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG erreichen wollte.240 Dem steht auch nicht entgegen, dass sich die Formulierungen in § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG einerseits und § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG andererseits nicht vollständig entsprechen, sondern durchaus Unterschiede enthalten. So stellt § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG anders als § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG nicht ausdrücklich auf die für den Arbeitnehmer „maßgebende regelmäßige“ Arbeitszeit ab. Allerdings ist im Urlaubsrecht zur Ermittlung der Höhe des fortzuzahlenden Entgelts ohnehin das Referenzprinzip anzulegen. Hiernach wird zur Ermittlung der Höhe des fortzuzahlenden Entgelts auf einen zurückliegenden Zeitraum abgestellt. Dabei wird daran angeknüpft, was ein Arbeitnehmer tatsächlich verdient hat, bevor er durch ein Ereignis an der Arbeitsleistung verhindert war. Im Urlaubsrecht ist also für die Entgeltfortzahlung die in einem Referenzzeitraum tatsächlich geleistete Arbeitszeit – mithin die tatsächliche Praxis – zugrunde zu legen.241 Dadurch soll das Entgelt verstetigt werden, indem es gleichbleibend und regelmäßig ausgestaltet wird.242 Mithin ist das Kriterium der Regelmäßigkeit dem § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG immanent.243 Zudem ist auch bei § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG der Gedanke der Einzelfallgerechtigkeit entscheidend. Auch hier könnte der Arbeitgeber bei Maßgeblichkeit der vereinbarten Arbeitszeit das BUrlG umgehen, indem er eine relativ geringe Arbeitszeit mit dem Arbeitnehmer vereinbart, tatsächlich aber höhere Arbeitszeiten abruft, die dann nicht in die Bemessung des Urlaubsentgelts einfließen könnten. cc) Zwischenergebnis Sowohl bei § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG als auch bei § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG ist der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung zu folgen und das Merkmal der Unregelmäßigkeit anzunehmen mit der Folge, dass über die vereinbarte Arbeitszeit hinausgehende Arbeitsleistungen, die regelmäßig anfallen, keine Überstunden darstellen.
gehend vorhersehbare und gewöhnliche Überstunden in das gewöhnliche Arbeitsentgelt, aufgrund dessen wiederum die Urlaubsvergütung berechnet wird, einbeziehen will. 239 BGBl. I 1998, S. 3843. 240 BT-Drs. 14/45, S. 17; Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 131. 241 Vgl. BeckOK-ArbR/Ricken, § 4 EFZG, Rn. 2; Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 50; ders., RdA 2018, 110 (112). 242 Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 52. 243 Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 133.
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b) Keine Allgemeingültigkeit des Merkmals der Unregelmäßigkeit Allerdings ist es nicht sinnvoll, das Merkmal der Unregelmäßigkeit auch außerhalb der §§ 4 Abs. 1a S. 1 EFZG, 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG für das Vorliegen von Überstunden zu fordern. Fraglich ist dabei bereits, ob diejenigen Stimmen, die bei der Frage des richtigen Anknüpfungspunktes für das geschuldete Maß an Arbeitsleistung auf die vertraglich vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit abstellen,244 tatsächlich bei Vorliegen von regelmäßigen überobligatorischen Arbeitsleistungen eine Überstunde ausschließen wollen. Es ist nämlich zu beachten, dass keiner der Autoren den Schluss, dass Überstunden nur bei unregelmäßigen überobligatorischen Arbeitsleistungen vorliegen können, ausdrücklich zieht. Dasselbe gilt für diejenigen Stimmen in der Literatur und Rechtsprechung, die fordern, dass überobligatorische Arbeitsleistungen nur dann als Überstunden angesehen werden dürfen, wenn sie zur Deckung eines unvorhergesehen und vorübergehend erhöhten Arbeitsbedarfs angeordnet werden.245 Hier ist zudem zu beachten, dass manche Autoren das Kriterium der Unregelmäßigkeit lediglich im Kontext der Abgrenzung zwischen Überstundenarbeit und der Arbeit auf Abruf erwähnen,246 sodass schon nicht klar ist, ob sie dieses Kriterium auch außerhalb dieser Abgrenzung fordern, es also als allgemeingültig ansehen. Unabhängig davon, ob das Merkmal der Unregelmäßigkeit außerhalb von §§ 4 Abs. 1a S. 1 EFZG, 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG überhaupt gefordert wird, wäre eine solche Forderung jedenfalls nicht überzeugend. Zum einen gibt der Wortlaut des Wortes „Überstunden“ für ein solches Merkmal der Unregelmäßigkeit keine Anhaltspunkte. Zudem ist es auch gesetzessystematisch nicht überzeugend, ein für die Normen der §§ 4 Abs. 1a S. 1 EFZG, 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG herausgearbeitetes Merkmal als verallgemeinerungsfähig anzusehen. Denn bei § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG handelt es sich um eine „eng zu interpretierende und damit grundsätzlich nicht der entsprechenden Anwendung zugängliche Sonderregelung“.247 So deutet auch das BAG an, dass das Überstundenverständnis bei § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG nicht zwingend in andere Bereiche zu übertragen ist.248 244
Vgl. oben, Fn. 181. Vgl. oben, Fn. 180. 246 Bauer/Günther, DB 2006, 950; Meinel/Heyn/Herms/Herms, § 12, Rn. 47; Annuß/Thüsing/Jacobs, § 12, Rn. 11; Lindemann, AP TzBfG § 12 Nr. 4; dies., Schuldrechtsreform, S. 266; Rath, Pauschale Abgeltung, S. 50; Schüren, in: MHA 2009, § 41, Rn. 24. 247 Greiner, in: MHA, § 81, Rn. 17. 248 BAG, Urt. v. 21. 11. 2001 – 5 AZR 296/00, BAGE 100, 25 (34): unabhängig von der Einordnung regelmäßiger über der vereinbarten Arbeitszeit liegenden Arbeitszeiten als Teil der individuellen Arbeitszeit bei § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG sei es „keineswegs ausgeschlossen, dass die individuelle regelmäßige Arbeitszeit des Arbeitnehmers teilweise Mehrarbeit i. S. des BZMTV“ darstelle. 245
A. Der Begriff der Überstunde
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Zudem ist zu beachten, dass §§ 4 Abs. 1a S. 1 EFZG, 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG letztlich nur Regelungen zur Vergütungspflicht bei Vorliegen einer Überstunde enthalten, indem sie diese aus dem fortzuzahlenden Entgelt im Falle von Krankheit oder Urlaub herausnehmen. Insofern betreffen diese Regelungen grundsätzlich lediglich die Rechtsfolgen bei Vorliegen einer Überstunde, nicht aber den Überstundenbegriff selbst. Diesbezüglich wäre es wünschenswert, wenn der Gesetzgeber hier tätig würde, indem er die Regelungen der §§ 4 Abs. 1a S. 1 EFZG, 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG durch eine Formulierung ergänzt, die die Rechtsprechung hierzu festschreibt, dass nur unregelmäßig geleistete überobligatorische Arbeitsleistungen aus der Entgeltfortzahlung herausfallen sollen, gleichzeitig aber klarstellt, dass es letztlich nur um die Rechtsfolgen bei Vorliegen von Überstunden geht und nicht um den Überstundenbegriff selbst. In Anlehnung an Sprenger könnten §§ 4 Abs. 1a S. 1 EFZG, 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG daher wie folgt ergänzt werden: § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG: „Zum Arbeitsentgelt nach Absatz 1 gehören nicht das zusätzlich für unregelmäßig geleistete Überstunden gezahlte Arbeitsentgelt […].“ § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG: „Das Urlaubsentgelt bemißt sich nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst, das der Arbeitnehmer in den letzten dreizehn Wochen vor dem Beginn des Urlaubs enthalten hat, mit Ausnahme des zusätzlich für unregelmäßig geleistete Überstunden gezahlten Arbeitsverdienstes. Lediglich der Sinn und Zweck von Überstunden könnte zu einer anderen Bewertung hinsichtlich der Verallgemeinerungsfähigkeit des Merkmals der Unregelmäßigkeit führen. Überstunden sollen einem Arbeitgeber vor allem eine schnelle und flexible Anpassung an die Veränderung des Bedarfs an Arbeitskräften ermöglichen, zum Beispiel, wenn er bei Auftragsspitzen einen vorübergehend erhöhten Bedarf an Arbeitskraft hat.249 Eine Veränderung des Bedarfs an Arbeitskräften fällt im Allgemeinen eher kurzfristig und damit unregelmäßig an, sodass dieser Gesichtspunkt für das Merkmal der Unregelmäßigkeit sprechen könnte. Allerdings sind durchaus auch Fälle denkbar, in denen ein erhöhter Arbeitskräftebedarf für eine gewisse Dauer besteht. Zum Beispiel werden in Krisenzeiten Stellen zum Teil wegrationalisiert mit der Folge, dass die noch verbliebenen Arbeitskräfte die bisher auf diese Stellen fallende Arbeit nunmehr zusätzlich zu ihrer normalen Arbeit zu bewältigen haben.250 In solchen Fällen kann nicht mehr von einem unregelmäßigen Bedarf an erhöhter Arbeitsleistung gesprochen werden. Zudem muss der Sinn und Zweck von Überstunden auch aus Arbeitnehmersicht beachtet werden. Diese wollen durch die Leistung von überobligatorischer Arbeit oftmals ihren Lohn aufbessern.251 In den in der Praxis häufig gegebenen Fällen, dass der Arbeitsvertrag für die Vergütung von Überstunden nicht nur den normalen 249
Hülsemann, ArbRAktuell 2016, 1; Pletke/Schrader/Siebert u. a., Flexible Arbeit, B., Rn. 467. 250 Bregnard-Lustenberger, Überstunden- und Überzeitarbeit, S. 8. 251 Hülsemann, ArbRAktuell 2016, 1; Pletke/Schrader/Siebert u. a., Flexible Arbeit, B., Rn. 467.
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Kap. 4: Die Überstunde
Stundenlohn vorsieht, sondern auch einen Überstundenzuschlag, wäre die Anwendung des Merkmals der Unregelmäßigkeit außerhalb der §§ 4 Abs. 1a S. 1 EFZG, 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG problematisch. Fordert man die Unregelmäßigkeit überobligatorischer Arbeitsleistungen für das Vorliegen von Überstunden, stellen alle über die vereinbarte Arbeitszeit hinausgehenden Arbeitsleistungen, die regelmäßig anfallen, keine Überstunden dar. Dann können für diese regelmäßigen, über die vereinbarte Arbeitszeit hinausgehende Arbeitsleistungen aber auch keine Überstundenzuschläge mehr anfallen, da diese an das Vorliegen einer Überstunde anknüpfen.252 Das entspricht nicht den von den Arbeitnehmern verfolgten Zielen, die diese bei der Ableistung von zusätzlicher Arbeitszeit verfolgen. Eine Unregelmäßigkeit der überobligatorischen Arbeitsleistung des Arbeitnehmers ist demnach nicht zu fordern. Vielmehr kann auch bei regelmäßigen überobligatorischen Arbeitsleistungen eine Überstunde gegeben sein. Die individuelle Arbeitszeit ist also anhand der diesbezüglichen Vereinbarung zwischen den Arbeitsvertragsparteien und nicht anhand der tatsächlich gelebten Vertragspraxis zu bestimmen. 4. Zusammenfassung Unter einer Überstunde ist demnach eine überobligatorische Arbeitsleistung des Arbeitnehmers – das heißt eine Arbeitsleistung des Arbeitnehmers, die über das eigentlich geschuldete Maß hinausgeht – zu verstehen. Dabei ist der maßgebliche Bezugspunkt für die Beurteilung, ab wann das eigentlich geschuldete Maß an Arbeitsleistung überschritten ist, die individuelle Arbeitszeit des Arbeitnehmers. Hierunter ist grundsätzlich die zwischen den Arbeitsvertragsparteien vereinbarte Arbeitszeit zu verstehen. Zudem ist eine Veranlassung der überobligatorischen Arbeitsleistung durch den Arbeitgeber in Form einer Anordnung, Billigung oder Duldung erforderlich. Da ohne eine solche Veranlassung allerdings mangels Fremdbestimmtheit und Fremdnützigkeit schon gar keine Arbeitsleistung des Arbeitnehmers vorläge, ist dieses Merkmal bereits denknotwendig im Überstundenbegriff enthalten. Zuletzt ist klarzustellen, dass nicht nur bei unregelmäßigen, sondern auch bei regelmäßigen überobligatorischen Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers eine Überstunde vorliegen kann. Etwas anders gilt im Rahmen von §§ 4 Abs. 1a EFZG, 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG – das hier geforderte Merkmal der Unregelmäßigkeit ist jedoch nicht als allgemeingültig anzusehen.
252
Andeutungsweise zu diesem Argument Worzalla, AP EntgeltFG § 4 Nr. 56.
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IV. Abgrenzung zu Überarbeit und Mehrarbeit Im Kontext des Überstundenbegriffes finden sich oftmals auch die Begriffe der Mehrarbeit und Überarbeit. Dabei werden diese Begriffe zum Teil synonym zum Begriff der Überstunde verwendet.253 Jedenfalls fehlt es an trennscharfen Begriffsdefinitionen, sodass eine Abgrenzung der verschiedenen Begriffe vorzunehmen ist. 1. Begriff der Mehrarbeit Der Gesetzgeber hat den Begriff der Mehrarbeit in unterschiedlichen Gesetzen mit zum Teil unterschiedlichen Bedeutungen verwendet.254 Dabei kann unterschieden werden zwischen Normen, die den Begriff der Mehrarbeit lediglich erwähnen und solchen, die den Begriff der Mehrarbeit definieren. § 37 Abs. 3 S. 3 BetrVG nennt den Begriff der Mehrarbeit im Zusammenhang mit dem Ausgleich von Betriebsratstätigkeit, die aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen ist, § 106 Abs. 1 S. 2 SGB III im Zusammenhang mit der Berechnung von Kurzarbeitergeld. In § 850a Nr. 1 ZPO wird die Hälfte des Arbeitseinkommens, das für die Leistung von Mehrarbeitsstunden gezahlt wird, für unpfändbar erklärt. Schwerbehinderte Menschen können gemäß § 207 SGB IX auf ihr Verlangen von Mehrarbeit freigestellt werden.255 Auch in § 5 Abs. 4 S. 1 Altersteilzeitgesetz wird die Mehrarbeit erwähnt und zwar dergestalt, dass der Anspruch auf Leistungen der Bundesagentur für Arbeit im Sinne von § 4 Altersteilzeitgesetz für die Zeit ruht, in der ein Arbeitnehmer über die Altersteilzeit hinaus Mehrarbeit in mehr als geringfügigem Umfang im Sinne des § 8 SGB IV leistet. In allen diesen Normen wird der Begriff der Mehrarbeit jedoch lediglich erwähnt und nicht definiert. Hingegen enthalten § 21 Abs. 2 JArbSchG und § 4 MuSchG gesetzliche Definitionen des Begriffs der Mehrarbeit. § 21 Abs. 2 JArbSchG und § 4 MuSchG verwenden den Begriff der Mehrarbeit jeweils im Kontext besonders schützenswerter Personengruppen – Jugendliche und schwangere beziehungsweise stillende Frauen. Für diese Personengruppen hat der Gesetzgeber jeweils festgehalten, was unter Mehrarbeit zu verstehen ist. § 4 Abs. 1 MuSchG enthält ein Verbot von Mehrarbeit für schwangere und stillende Frauen. Sinn und Zweck dieses Verbots ist der Schutz der schwangeren und stillenden Frauen vor Überbeanspruchung im Rahmen ihrer Erwerbsarbeit durch 253 Vgl. BAG, Urt. v. 16. 05. 1962 – 4 AZR 277/61, AP BGB § 611 Mehrarbeitsvergütung Nr. 7; Urt. v. 12. 01. 1988 – 1 ABR 54/86, NZA 1988, 517 (518); Urt. v. 08. 11. 1989 – 5 AZR 642/88, BAGE 63, 221 (224 f.); Frey, DB 1966, Beilage Nr. 2, 1; Hamm, Flexible Arbeitszeiten, S. 108; Hromadka/Maschmann, ArbR I, S. 122; Necati, in: Preis, Innovative Arbeitsformen, S. 226; Reinfelder, AuR 2018, 335; Sladowsky, Gesetzeswidrige Mehrarbeit, S. 1. 254 Hamm, AiB 2006, 678 (680). 255 Zu § 207 SGB IX sieh auch bereits die Ausführungen bei Kapitel 4, A. III. 1. b) aa) (1).
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Kap. 4: Die Überstunde
körperliche Überforderung, Erschöpfungserscheinungen und psychische Belastungen.256 Nach den Erwägungsgründen zur Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. 10. 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz müssen schwangere Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillende Arbeitnehmerinnen aufgrund ihrer im Vergleich zu anderen Personen erhöhten Empfindlichkeit in vielerlei Hinsicht als eine Gruppe mit besonderen Risiken betrachtet werden. Vor diesen Risiken soll auch das Verbot von Mehrarbeit in § 4 Abs. 1 MuSchG schützen. Im Gegensatz zu § 8 Abs. 2 S. 1 MuSchG a. F.257 enthält § 4 MuSchG zwar keine ausdrückliche Legaldefinition der Mehrarbeit mehr, bei der der Gesetzgeber ausdrücklich formulieren würde „Mehrarbeit ist …“. Jedoch kann aus den oben ausgeführten Grenzen für den noch zulässigen Umfang der Beschäftigung258 in Verbindung mit der Überschrift des § 4 MuSchG (Verbot der Mehrarbeit; Ruhezeit) eine konkludente gesetzliche Definition der Mehrarbeit gewonnen werden. Mehrarbeit im Sinne von § 4 Abs. 1 MuSchG ist demnach Arbeit, die über achteinhalb Stunden täglich oder 90 Stunden in der Doppelwoche (§ 4 Abs. 1 S. 1 MuSchG), über acht Stunden täglich oder 80 Stunden in der Doppelwoche (§ 4 Abs. 1 S. 2 MuSchG) oder über die vertraglich vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit im monatlichen Durchschnitt (§ 4 Abs. 1 S. 4 MuSchG) hinausgeht. Es handelt sich also auch bei Mehrarbeit um überobligatorische Arbeitsleistungen der Arbeitnehmerinnen. Allerdings ist der Anknüpfungspunkt für die Bestimmung der überobligatorischen Leistung nicht mehr die individuelle Arbeitszeit. Vielmehr sind die in § 4 Abs. 1 MuSchG festgelegten Grenzen heranzuziehen. Allerdings handelt es sich bei dieser Definition der Mehrarbeit in § 4 Abs. 1 MuSchG um eine eigenständige mutterschutzrechtliche Definition der Mehrarbeit, die nicht als allgemeingültig anzusehen ist.259 Das ist mit dem Schutzzweck des § 4 Abs. 1 MuSchG zu begründen. § 4 Abs. 1 MuSchG soll der besonderen Schutzbedürftigkeit und Empfindlichkeit schwangerer und stillender Frauen Rechnung tragen. Mutter und Kind sollen vor den Gefahren für Leben und Gesundheit geschützt werden, die ihnen von der Überbeanspruchung aus Erwerbsarbeit drohen können.260 Diese erhöhte Schutzbedürftigkeit bedingt besonders strenge Grenzen für den zu256 BT-Drs. 18/8963, S. 57; BeckOK-ArbR/Dahm, § 4 MuSchG, Rn. 1; ErfK/Schlachter, § 4 MuSchG, Rn. 1; Brose/Weth/Volk/Weth, § 4 MuSchG, Rn. 1. 257 § 8 Abs. 2 S. 1 MuSchG lautete: „Mehrarbeit im Sinne des Absatzes 1 ist jede Arbeit, die 1. von Frauen unter 18 Jahren über 8 Stunden täglich oder 80 Stunden in der Doppelwoche, 2. von sonstigen Frauen über 81/2 Stunden täglich oder 90 Stunden in der Doppelwoche hinaus geleistet wird.“ 258 Siehe hierzu bereits Kapitel 4, A. III. 1. b) aa) (1). 259 ErfK/Schlachter, § 4 MuSchG, Rn. 2; HWK/Thüsing, § 611a BGB, Rn. 468; Rath, Pauschale Abgeltung, S. 44. 260 Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 132; Zöllner/Loritz/Hergenröder, ArbR, S. 462.
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lässigen Umfang der Beschäftigung. Für Personen, die nicht schwanger oder stillend sind, gelten höhere Maßstäbe hinsichtlich ihrer Belastbarkeit; sie können als belastbarer angesehen werden als schwangere und stillende Frauen. Daher bedürfen Personen, die nicht schwanger oder stillend sind, nicht des besonderen Schutzes des § 4 Abs. 1 MuSchG. Die in § 4 Abs. 1 MuSchG enthaltenen Grenzen für den zulässigen Umfang an Beschäftigung sind daher nicht auf andere Personen als die in § 4 Abs. 1 MuSchG genannten zu übertragen. Die §§ 8, 21 JArbSchG enthalten besondere Schutzvorschriften für Jugendliche. Die über die oben dargestellten Grenzen261 des § 8 JArbSchG hinausgehende Arbeitszeit wird vom Gesetzgeber in § 21 Abs. 2 JArbSchG „Mehrarbeit“ genannt. Auch hier handelt es sich nicht um eine ausdrückliche Legaldefinition von Mehrarbeit. Allerdings kann § 21 Abs. 2 JArbSchG i. V. m. § 8 JArbSchG eine konkludente Legaldefinition entnommen werden, indem die beiden Vorschriften so gelesen werden, dass Mehrarbeit im Sinne des JArbSchG jede Arbeitszeit ist, die über die Grenzen des § 8 JArbSchG (acht, achteinhalb beziehungsweise neun Stunden) hinausgeht. Auch bei Mehrarbeit im Sinne des JArbSchG handelt es sich also um eine überobligatorische Arbeitsleistung des Arbeitnehmers. Der Anknüpfungspunkt für diese überobligatorische Leistung besteht allerdings hier in den Grenzen des § 8 JArbSchG. Auch diese gesetzliche Definition der Mehrarbeit ist jedoch vor dem Hintergrund des Schutzzwecks des JArbSchG rein jugendarbeitsschutzrechtlich zu verstehen. Der hinter den Regelungen des JArbSchG stehende Schutzzweck ist die Verhinderung von Überforderung und Überbeanspruchung von heranwachsenden Menschen.262 Diese stehen in einem körperlichen Entwicklungsprozess, durch den sie weniger belastbar sind als Erwachsene und daher längere Erholungsphasen benötigen.263 Durch die Regelungen des JArbSchG sollen Gefahren für die Gesundheit und Entwicklung von Jugendlichen, die von der Art oder der Dauer einer abhängigen Arbeit ausgehen können, verhindert werden.264 Die gesundheitlichen Gefahren durch eine Eingliederung in Arbeitsprozesse ist nämlich im Stadium der körperlichen und seelischen Entwicklung besonders groß.265 Daher soll die zur Entwicklung der Persönlichkeit erforderliche Freizeit für Jugendliche trotz einer Berufstätigkeit oder Ausbildung gewährleistet bleiben.266 Aufgrund der geringeren Belastbarkeit von Jugendlichen gelten für diese besonderen Grenzen für den zulässigen Umfang von Arbeitszeit, die nicht auf andere Personengruppen, auf die die besonderen Erwägungen des JArbSchG nicht 261
Siehe hierzu bereits Kapitel 4, A. III. 1. b) aa) (1). BT-Drs. 7/2305, S. 1; Nomos-BR/Weyand, Einleitung JArbSchG, Rn. 47. 263 BT-Drs. 7/2305, S. 28. 264 ErfK/Schlachter, § 1 JArbSchG, Rn. 1. 265 Zöllner/Loritz/Hergenröder, ArbR, S. 464. 266 BT-Drs. 7/2305, S. 28; ErfK/Schlachter, § 1 JArbSchG, Rn. 1; Nomos-BR/Weyand, § 8 JArbSchG, Rn. 1. 262
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Kap. 4: Die Überstunde
anwendbar sind, übertragen werden können. Die gesetzliche Definition der Mehrarbeit in § 21 Abs. 2 i. V. m. § 8 JArbSchG ist daher nicht als allgemeingültig anzusehen. Damit fehlt es an einer allgemeingültigen Legaldefinition des Begriffs der Mehrarbeit. Jedoch hat sich für den Begriff der Mehrarbeit in Rechtsprechung und Literatur ein weitgehend einheitliches Begriffsverständnis herausgebildet. Danach liegt Mehrarbeit vor, wenn die Arbeitsleistungen eines Arbeitnehmers über die gesetzliche Höchstarbeitszeit hinausgehen.267 Es handelt sich also auch um eine überobligatorische Arbeitsleistung, die jedoch anders als bei der Überstunde nicht die individuelle Arbeitszeit eines Arbeitsnehmers überschreitet, sondern die gesetzliche Arbeitszeit. Dieses Verständnis von Mehrarbeit beruht auf der AZO vom 30. 04. 1938,268 der Vorgängerin des heutigen ArbZG, die eine gesetzliche Definition der Mehrarbeit enthielt. § 15 Abs. 1 AZO regelte einen Anspruch der Arbeiter auf eine angemessene Vergütung für über die Grenzen der zulässigen Arbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit. Diese Grenzen der zulässigen Arbeitszeit waren in §§ 3, 4 AZO enthalten. Gemäß § 3 AZO betrug die regelmäßige werktägliche Arbeitszeit acht Stunden. Hiervon sah § 4 AZO gewisse Ausnahmen vor, bei denen die werktägliche Arbeitszeit jedoch jedenfalls zehn Stunden täglich nicht überschreiten durfte. Aus der Überschrift des § 15 AZO (Mehrarbeitsvergütung) in Verbindung mit den Arbeitszeitgrenzen der §§ 3, 4 AZO ergab sich dann eine gesetzliche Definition der Mehrarbeit. Danach war Mehrarbeit gegeben bei einer Überschreitung der gesetzlichen Höchstarbeitszeit von acht Stunden (§ 3 AZO) beziehungsweise zehn Stunden (§ 4 AZO). Zwar wurde die AZO mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Vereinheitlichung und Flexibilisierung des Arbeitszeitrechts vom 06. 06. 1994269 durch das ArbZG abgelöst, welches keine dem § 15 AZO vergleichbare Vorschrift enthält. Jedoch ist die in der AZO enthaltene Definition der Mehrarbeit als Arbeitsleistungen über die gesetzliche Höchstarbeitszeit hinaus immer noch in Literatur und Rechtsprechung anerkannt. Damit liegt grundsätzlich Mehrarbeit vor, wenn mehr als acht (§ 3 S. 1 ArbZG) beziehungsweise zehn Stunden (§ 3 S. 2 ArbZG) täglich gearbeitet wird. Abweichend hiervon liegt nach dem überwiegenden Begriffsverständnis Mehrarbeit im Sinne von § 207 SGB IX immer schon dann vor, wenn die Arbeitszeit die Grenze von acht Stunden täglich im Sinne von § 3 S. 1 ArbZG überschreitet.270 267 Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 49; Gragert, in: MAHA, § 14, Rn. 45; Heumann, PflR 2011, 422; Rath, Pauschale Abgeltung, S. 46; Schneider, in: Preis, Der Arbeitsvertrag, Teil II, A 90, Rn. 98; Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 28; Witschen, Rahmenvorgaben, S. 58. 268 Arbeitszeitordnung vom 30. 04. 1938, RGBl. I, S. 447 ff. 269 BGBl. I, S. 1170 ff. 270 BAG, Urt. v. 08. 11. 1989 – 5 AZR 642/88, BAGE 63, 221 (225) (zur Vorgängervorschrift des § 46 SchwbG); Urt. v. 03. 12. 2002 – 9 AZR 462/01, BAGE 104, 73 (78); BeckOK-
B. Überstunde als Anwendungsfall der veränderten Arbeitszeitdogmatik
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Nach diesem Begriffsverständnis können sich Mehrarbeit und Überstunden also entsprechen, wenn sowohl die individuelle Arbeitszeit des Arbeitnehmers als auch die gesetzliche Arbeitszeit überschritten werden.271 2. Begriff der Überarbeit Neben den Begriffen der Überstunde und der Mehrarbeit findet sich auch oft der Begriff der Überarbeit. Die Verwendung dieses Begriffs in der juristischen Literatur ist nicht ganz einheitlich. Zum Teil wird der Begriff der Überarbeit als Arbeitsleistung über die betriebsübliche Arbeitszeit hinaus verstanden,272 zum Teil wird er als Synonym für den Begriff der Überstunden verwendet.273 Überzeugend ist hingegen ein Begriffsverständnis, dass den Begriff der Überarbeit als Oberbegriff für Überstunden und Mehrarbeit ansieht.274 3. Zusammenfassung Sowohl der Begriff der Überstunde als auch die Begriffe der Mehrarbeit und der Überarbeit bezeichnen Situationen, in denen ein Arbeitnehmer überobligatorische Arbeitsleistungen erbringt. Dabei bildet Überarbeit den Oberbegriff für Überstunden und Mehrarbeit. Unter Überstunden versteht man die Überschreitung der individuellen, das heißt der zwischen den Arbeitsvertragsparteien vereinbarten, Arbeitszeit, wohingegen die Überschreitung der gesetzlichen Arbeitszeit als Mehrarbeit bezeichnet wird.
B. Die Überstunde als Anwendungsfall der veränderten Arbeitszeitdogmatik Wesentliches Merkmal des Überstundenbegriffs ist das Vorliegen einer überobligatorischen Arbeitsleistung des Arbeitnehmers, das heißt das Überschreiten der eigentlich geschuldeten Arbeitszeit. Durch die überobligatorische Arbeitsleistung wird die Arbeitszeit also über das vertraglich vorgesehene Maß hinaus verlängert. SozR/Brose, § 207 SGB IX, Rn. 3; LPK-SGB IX/Düwell, § 207 SGB IX, Rn. 4; ErfK/Rolfs, § 207 SGB IX, Rn. 1. 271 Gragert, in: MAHA, § 14, Rn. 45; anders sieht das Seel, DB 2005, 1330, nach dem Überstunden nur bei Wahrung der Grenzen des ArbZG vorliegen können. 272 Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 131; ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 486. 273 Preis/Temming, Rn. 1136; Vogelsang, in: Schaub, § 160, Rn. 33. 274 So zu Recht Frey, DB 1966, Beilage Nr. 2, 1; Gelberg, BB 1962, Beilage zu Heft 31, 1 (2), Fn. 3; Rath, Pauschale Abgeltung, S. 47; Sladowsky, Gesetzeswidrige Mehrarbeit, S. 1, Fn. 2; anders hingegen Friese, Urlaubsrecht, S. 149, die den Begriff der Überstunde als Oberbegriff für die Überarbeit und Mehrarbeit ansieht.
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Kap. 4: Die Überstunde
Aufgrund dieser Verlängerung der Arbeitszeit betrifft die Überstunde grundsätzlich die Dauer der Arbeitszeit. Hingegen steht die im Arbeitsverhältnis geltende Arbeitszeitdogmatik mit der Lage der Arbeitszeit in Zusammenhang. Hier geht es also um die Frage, zu welchen Zeitpunkten ein Arbeitnehmer seine Arbeit leisten kann – kann er seine Arbeitsleistung nur zum vertraglich vereinbarten Termin oder auch zu früheren oder späteren Zeitpunkten erbringen? Auf den ersten Blick betreffen das Phänomen der Überstunde und die Frage nach der dem Arbeitsverhältnis zugrundeliegenden Arbeitszeitdogmatik daher jeweils andere Bereiche. Allerdings kann hieraus nicht der Schluss gezogen werden, dass das Phänomen der Überstunde unabhängig von der zugrundeliegenden Arbeitszeitdogmatik ist. Denn jede Veränderung der Dauer der Arbeitszeit zieht zwangsläufig auch eine Veränderung der Lage der Arbeitszeit mit sich.275 Im Kontext der Überstunde bedeutet das, dass die durch die Überstunde vorliegende Verlängerung der Dauer der Arbeitszeit immer auch zur Folge hat, dass die überobligatorische Arbeitsleistung zu einem anderen Zeitpunkt erbracht wird als die Arbeitsvertragsparteien ursprünglich für die Erbringung der Arbeitsleistung vorgesehen haben. Denn zu den vertraglich vorgesehenen Zeitpunkten wird bereits die eigentlich geschuldete Arbeitszeit abgeleistet, sodass hierüber hinausgehende Arbeitszeit zwangsläufig zu anderen Zeitpunkten erbracht werden muss. Durch eine überobligatorische Arbeitsleistung wird also Arbeit zu eigentlich vertraglich nicht vorgesehenen Zeitpunkten geleistet, das heißt früher oder später als vertraglich vereinbart. Daher ist durch das Vorliegen von Überstunden immer auch die Lage der Arbeitszeit betroffen. Mithin ist die Frage nach der dem Arbeitsverhältnis zugrundeliegenden Arbeitszeitdogmatik durchaus bedeutsam für die Überstunde, sodass die oben herausgearbeitete Veränderung der geltenden Arbeitszeitdogmatik Auswirkungen auf die Überstunde hat. Diese sind sogar so stark, dass man die Überstunde als Anwendungsfall der veränderten Arbeitszeitdogmatik bezeichnen kann. Dabei sind entsprechend den oben herausgearbeiteten Auswirkungen der veränderten Arbeitszeitdogmatik auf die Lage der Arbeitszeit276 drei verschiedene Konstellationen zu unterscheiden: Die Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung zu einem früheren Zeitpunkt als vertraglich vorgesehen (Vorholung der Arbeitsleistung), die Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung zu einem späteren Zeitpunkt als vertraglich vorgesehen (Nachholung der Arbeitsleistung) sowie die Erbringung von über die vertraglich geschuldeten Arbeitsleistungen hinausgehenden, das heißt zusätzlichen, Arbeitsleistungen.
275 Vogelsang, Vergütungsschutz, S. 18 f.; vgl. auch Franzen, RdA 2014, 1 (3), nach dem die Lage der Arbeitszeit auf deren Dauer zurückkoppelt. 276 Siehe Kapitel 3, C. III.
B. Überstunde als Anwendungsfall der veränderten Arbeitszeitdogmatik
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Zunächst wird der Punkt der Vorholung der Arbeitsleistung anhand sogenannter transitorischer Überstunden – insbesondere in Abgrenzung zu sogenannten Plusstunden – dargestellt (I.). Sodann wird auf die Konstellation der sogenannten definitiven Überstunden eingegangen, bei denen die Arbeitsleistung weder vor- noch nachgeholt wird, sondern der Arbeitnehmer eine zusätzliche Arbeitsleistung erbringt (II.) Zuletzt wird aufgezeigt, warum auch der Punkt der Nachholung von Arbeitsleistungen im Kontext der Überstunde von Bedeutung ist (III.).
I. Transitorische Überstunden als Vorholung der Arbeitsleistung Durch die veränderte Arbeitszeitdogmatik kann eine geschuldete Arbeitsleistung früher als vertraglich vereinbart erbracht, mithin vorgeholt, werden.277 Diese Konstellation der Vorholung von Arbeitsleistungen wird im Kontext der Überstunde als sogenannte transitorische Überstunde bezeichnet. 1. Definition der transitorischen Überstunde Geleistete Überstunden werden in der Praxis oftmals durch die spätere Gewährung bezahlter Freizeit ausgeglichen. Dabei befreit der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Nachgang zur Leistung von Überstunden von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung im Umfang der überobligatorischen Arbeitsleistung. Letztlich wird damit die ursprünglich erbrachte überobligatorische Arbeitsleistung später wieder ausgeglichen, sodass die Überstunde im Ergebnis wieder wegfällt. Aufgrund dieses späteren Wegfalls werden die überobligatorischen Leistungen des Arbeitnehmers in dieser Konstellation in den Sozialwissenschaften als transitorische – das heißt später wieder wegfallende –278 Überstunden bezeichnet.279 Der Begriff der transitorischen Überstunde ist in der juristischen Literatur vereinzelt übernommen worden, allerdings ohne Erörterung, ob und warum eine solche Übertragung der Begrifflichkeiten möglich ist.280 Eine solche unreflektierte und 277
Vgl. hierzu genauer oben, Kapitel 3, C. III. Vgl. zur Wortbedeutung: https://www.duden.de/rechtschreibung/transitorisch (zuletzt abgerufen am 25. 02. 2022). 279 Bauer/Groß/Munz u. a., Arbeits- und Betriebszeiten 2001, S. 105; Bauer/Zimmermann, Wirtschaftsdienst 1999, 480; Bellmann/Gewiese, Arbeitszeitstrukturen, S. 66; Brauner/ Wöhrmann/Backhaus u. a., Sozialpolitik 2020, 1 (2); Kohler/Reyher, Arbeitszeit, S. 19 f.; Kohler/Spitznagel, IAB Werkstattbericht 1996, S. 1; Weber/Wanger/Weigand u. a., Verbreitung von Überstunden in Deutschland, S. 2, 6; Zapf, Arbeitszeitflexibilität, S. 61. 280 Vgl. Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 30; Hamm, Flexible Arbeitszeiten, S. 109; Necati, in: Preis, Innovative Arbeitsformen, S. 228; Pletke/Schrader/Siebert u. a., Flexible Arbeit, B., Rn. 465, wobei Necati, in: Preis, Innovative Arbeitsformen nicht explizit auf sozialwissenschaftliche Literatur verweist. 278
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Kap. 4: Die Überstunde
vollständige Übernahme des Begriffs der transitorischen Überstunden ist jedoch abzulehnen. Weder in den Sozialwissenschaften noch in den diesen folgenden juristischen Beiträgen wird danach differenziert, wann der Zeitausgleich für die zusätzliche Arbeitsleistung stattfindet.281 Eine solche Differenzierung ist allerdings vor dem Hintergrund solcher flexiblen Arbeitszeitmodelle, die den Arbeitsvertragsparteien die Möglichkeit einräumen, die Arbeitszeit über einen längeren Bemessungszeitraum als den jeweiligen Arbeitstag eines Arbeitnehmers zu verteilen, erforderlich. Denn eine Überstunde liegt nach der oben herausgearbeiteten Definition nur bei Erbringen einer überobligatorischen Arbeitsleistung vor – das muss auch für den Unterfall der transitorischen Überstunde gelten. Die Frage, ob eine solche überobligatorische Arbeitsleistung des Arbeitnehmers vorliegt, ist jedoch in flexiblen Arbeitszeitmodellen mit Bemessungszeiträumen, die vom regulären Arbeitstag eines Arbeitnehmers abweichen, nicht immer einfach zu beantworten. Vielmehr hängt das Vorliegen einer überobligatorischen Arbeitsleistung bei solchen flexiblen Arbeitszeitmodellen davon ab, zu welchem Zeitpunkt der Zeitausgleich erfolgt. In starren Arbeitszeitsystemen, in denen der jeweilige Arbeitstag eines Arbeitnehmers den Bemessungszeitraum für dessen Arbeitszeit darstellt, fällt die Beantwortung der Frage nach dem Vorliegen einer überobligatorischen Arbeitsleistung leicht. Hier muss lediglich am Ende jedes Arbeitstages die tatsächlich geleistete Arbeitszeit des Arbeitnehmers mit der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit abgeglichen werden. Übersteigt die tatsächlich geleistete Arbeitszeit die vertraglich vereinbarte, liegt eine überobligatorische Arbeitsleistung in Form einer Überstunde vor. Wird diese Überstunde an einem anderen Tag – und damit in einem anderen Bemessungszeitraum – wieder durch Freizeit ausgeglichen, handelt es sich um eine später wegfallende, das heißt transitorische, Überstunde. Hingegen ist in Arbeitsverhältnissen, in denen ein flexibles Arbeitszeitmodell mit längeren Bemessungszeiträumen gilt, ein solcher Vergleich von tatsächlich geleisteter Arbeitszeit und vertraglich geschuldeter Arbeitszeit am Ende jedes Arbeitstages nicht mehr ausreichend für die Beantwortung der Frage nach dem Vorliegen einer überobligatorischen Arbeitsleistung.282 Vielmehr kann dieser Vergleich erst am Ende 281 Wenn auf den Zeitraum, in dem der Zeitausgleich bei den transitorischen Überstunden stattzufinden hat, eingegangen wird, findet sich oftmals lediglich der Hinweis, dass dieser „später“, „innerhalb eines bestimmten Zeitraums“, „zu irgendeinem Zeitpunkt“ oder „zu einem späteren Zeitpunkt“ erfolgt, vgl. Bellmann/Gewiese, Arbeitszeitstrukturen, S. 66; Hamm, Flexible Arbeitszeiten, S. 109; Necati, in: Preis, Innovative Arbeitsformen, S. 228; Pletke/Schrader/Siebert u. a., Flexible Arbeit, B., Rn. 465; Weber/Wanger/Weigand u. a., Verbreitung von Überstunden in Deutschland, S. 2, 6; Zapf, Arbeitszeitflexibilität, S. 61. 282 Stöckel/Wulff, AiB 2011, 73 (732); in diese Richtung auch Bregnard-Lustenberger, Überstunden- und Überzeitarbeit, S. 341, nach der es nicht zwingend ist, jede vom Arbeitnehmer geleistete „Mehrarbeit“ als „Überstundenarbeit“ einzuordnen, und Hunold, DB 2014,
B. Überstunde als Anwendungsfall der veränderten Arbeitszeitdogmatik
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des jeweiligen Bemessungszeitraums – beziehungsweise am Ende des Arbeitsverhältnisses, sollte dieses vor dem Ende des Bemessungszeitraums liegen – stattfinden. In solchen Modellen kann nämlich die zusätzlich zur geschuldeten täglichen Arbeitszeit tatsächlich geleistete Arbeitszeit innerhalb des jeweiligen Bemessungszeitraums wieder ausgeglichen werden. Ein solcher Ausgleich der zusätzlichen Arbeitszeit innerhalb des Bemessungszeitraums hat zur Folge, dass am Ende des Bemessungszeitraums der Umfang der geleisteten Arbeit im Bemessungszeitraum den Umfang der geschuldeten Arbeitsleistung für diesen Bemessungszeitraum nicht übersteigt. Mithin liegt in diesen Konstellationen am Ende des Bemessungszeitraums aufgrund des vorher erfolgten Zeitausgleichs gar keine überobligatorische Arbeitsleistung mehr vor. Mangels überobligatorischer Arbeitsleistung ist dann auch keine Überstunde gegeben. Insofern ist die Bezeichnung transitorische Überstunde mangels Vorliegens einer Überstunde in diesen Fällen abzulehnen. Vielmehr handelt es sich lediglich um „umverteilte Arbeitszeit“283, das heißt Arbeitszeit, bei der die Lage und Verteilung, nicht aber die Dauer über den Bemessungszeitraum hinweg verändert wird. Vielmehr entspricht die Dauer der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit am Ende des Bemessungszeitraums der geschuldeten Arbeitszeitdauer. Diese „umverteilte Arbeitszeit“ wird im Folgenden in Abgrenzung zur Überstunde als Plusstunde bezeichnet. Solche Plusstunden haben für Arbeitgeber den Vorteil, dass sie zusätzliche Arbeitszeit eines Arbeitnehmers nicht mehr zwingend zusätzlich – das heißt mit einem der zusätzlichen Arbeitsleistung entsprechenden Anteil des Grundgehalts gegebenenfalls zuzüglich etwaiger Zuschläge – vergüten müssen.284 Eine solche Vergütungspflicht knüpft nämlich an eine entstandene Überstunde und nicht nur an eine Plusstunde an. Solange also der Arbeitnehmer seine Plusstunden innerhalb des jeweiligen Bemessungszeitraums selbstständig wieder ausgleicht, sodass keine Überstunde entsteht, entsteht auch keine Vergütungspflicht für den Arbeitgeber. Anders stellt sich die Situation dar, wenn bis zum Ende des jeweiligen Bemessungszeitraums kein Zeitausgleich erfolgt. In diesen Fällen liegt am Ende des Bemessungszeitraums hinsichtlich der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit eine Überschreitung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung für diesen Bemessungszeitraum vor. Mithin sind überobligatorische Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers in
361, der zu Recht feststellt, dass in diesen Fällen Überstunden nicht schon dann vorliegen, wenn eine auf den Tag bezogene Arbeitszeit überschritten wird. 283 Vgl. Bregnard-Lustenberger, Überstunden- und Überzeitarbeit, S. 344; siehe auch Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 29, 92, 180 f., der von „ungleichmäßig verteilter Arbeitszeit“ spricht. 284 In diese Richtung auch Grunewald, Vertrauensarbeitszeit, S. 30, der den Sinn von Überstundenkonten darin sieht, Überstunden nicht mehr finanziell zu vergüten, und Reichold, NZA 1998, 393 (397), nach dem flexible Arbeitszeitmodelle mit Möglichkeit des Zeitausgleichs die Überstundenproblematik „schlicht überflüssig“ machen.
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Form von Überstunden gegeben.285 Letztlich verwandeln sich also am Ende des Bemessungszeitraums die Plusstunden in Überstunden, wenn sie nicht vorher wieder ausgeglichen worden sind. Dasselbe gilt, wenn das Arbeitsverhältnis vor dem Ende des Bemessungszeitraums endet und bis zu diesem Zeitpunkt noch kein Zeitausgleich stattgefunden hat. Werden die am Ende des Bemessungszeitraums festgestellten Überstunden später – das heißt in einem der folgenden Bemessungszeiträume – durch die Gewährung bezahlter Freizeit wieder ausgeglichen, fallen sie letztlich wieder weg. Daher kann in diesen Konstellationen durchaus von transitorischen, das heißt später wieder wegfallenden, Überstunden gesprochen werden. Hingegen können am Ende des Arbeitsverhältnisses festgestellte überobligatorische Arbeitsleistungen mangels fortbestehenden Arbeitsverhältnisses nicht mehr in Freizeit ausgeglichen werden, sodass es sich hierbei nicht um transitorische Überstunden, sondern um sogenannte definitive Überstunden286 handelt. Die Tatsache, dass zusätzlich erbrachte Arbeitszeit später wieder wegfällt, kann demnach zum einen Auswirkungen auf das Entstehen einer Überstunde haben, zum anderen kann sie die Rechtsfolgen der Überstunde beeinflussen. Maßgeblich hierfür ist der Zeitpunkt des Wegfalls, das heißt des Zeitausgleichs: Erfolgt der Zeitausgleich innerhalb des jeweiligen Bemessungszeitraums, liegt lediglich eine Plusstunde vor. Mangels überobligatorischer Leistung am Ende des Bemessungszeitraums entsteht in diesen Fällen keine Überstunde. Erfolgt der Zeitausgleich nach dem Ende des jeweiligen Bemessungszeitraums, ist am Ende des Bemessungszeitraums eine Überstunde gegeben, die auf der Rechtsfolgenseite anstatt durch Vergütung durch die Gewährung von Freizeit für den Arbeitnehmer ausgeglichen wird. Der (sowohl in der sozialwissenschaftlichen als auch in der juristischen Literatur zu findenden) Aussage, dass transitorische Überstunden nur die Lage und Verteilung der Arbeitszeit im Bemessungszeitraum verändern, nicht aber deren Dauer erhöhen,287 ist daher nicht zuzustimmen. Das trifft lediglich auf die Plusstunden zu. Bei transitorischen Überstunden liegt vielmehr eine überobligatorische Arbeitsleistung vor, welche wiederum die Dauer der Arbeitszeit im Bemessungszeitraum erhöht. Ohne eine solche überobligatorische Arbeitsleistung würde nämlich keine Überstunde entstehen. Dass die transitorischen Überstunden in einem anderen Bemessungszeitraum wieder ausgeglichen werden, ändert aber nichts an der erhöhten Dauer der Arbeitszeit im maßgeblichen Bemessungszeitraum.
285 In diese Richtung auch Brauckhoff/Kreis, ArbRAktuell 2021, 126 (129); Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 75; Hunold, DB 2014, 361; Rath, Pauschale Abgeltung, S. 53; Studt, AuA 2003, 14. 286 Vgl. hierzu sogleich, Kapitel 4, B. II. 1. 287 Bauer/Groß/Lehmann u. a., Arbeitszeit 2003, S. 49; Brauner/Wöhrmann/Backhaus u. a., Sozialpolitik 2020, 1 (2); Hamm, Flexible Arbeitszeiten, S. 109; Pletke/Schrader/Siebert u. a., Flexible Arbeit, B., Rn. 465; Zapf, Arbeitszeitflexibilität, S. 61.
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Ebenso geht der oftmals im Rahmen von Erläuterungen zu transitorischen Überstunden zu findende Hinweis auf Arbeitszeitkonten288 fehl. Arbeitszeitkonten ermöglichen es, den maßgeblichen Bemessungszeitraum für die Bestimmung von überobligatorischen Arbeitsleistungen über den jeweiligen Arbeitstag eines Arbeitnehmers hinaus zu verlängern.289 Auf Arbeitszeitkonten eingestellte zusätzliche Arbeitszeit kann aufgrund der Ausgleichsmöglichkeiten des Arbeitnehmers bis zum Ablauf dieses verlängerten Bemessungszeitraums keine überobligatorische Arbeitsleistung darstellen. Mithin liegen bis zum Ablauf des Bemessungszeitraums beziehungsweise bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses bei zusätzlicher Arbeitsleistung keine (transitorischen) Überstunden, sondern Plusstunden vor. Ob eine transitorische Überstunde oder eine Plusstunde vorliegt, hängt mithin vom Zeitpunkt des Zeitausgleichs für die zusätzliche Arbeitszeit ab. Erfolgt der Zeitausgleich innerhalb des jeweiligen Bemessungszeitraums, liegt lediglich eine Plusstunde vor – erfolgt er erst nach dem Ende des jeweiligen Bemessungszeitraums, ist eine (transitorische) Überstunde gegeben. Bis zum erfolgten Zeitausgleich beziehungsweise bis zum Ende des jeweiligen Bemessungszeitraums sollte lediglich von Plusstunden gesprochen werden. Die Unterscheidung zwischen Plusstunden und (transitorischen) Überstunden verdeutlicht folgendes Beispiel: Arbeitnehmer A und Arbeitnehmer B sind bei demselben Arbeitgeber beschäftigt. Beide sind arbeitsvertraglich zur Leistung von 40 Stunden die Woche verpflichtet. A arbeitet im Modell der einfachen Gleitzeit. Er ist daher verpflichtet, täglich acht Stunden zu arbeiten und kann lediglich die Lage, nicht aber die Dauer dieser täglichen Arbeitszeit variieren. B hingegen arbeitet im Modell der qualifizierten Gleitzeit, wobei der Bemessungszeitraum für seine Arbeitszeit eine Woche beträgt. B darf also nicht nur die Lage, sondern auch die Dauer seiner täglichen Arbeitszeit variieren, solange er am Ende der Woche 40 Stunden gearbeitet hat. Aufgrund eines dringend zu erledigenden Auftrags arbeiten sowohl A als auch B an einem Montag zehn Stunden. Da A eine tägliche Arbeitszeit von acht Stunden zu erfüllen hat, der Bemessungszeitraum für die Erbringung seiner Arbeitszeit demnach nur den jeweiligen Arbeitstag umfasst, kann die Frage nach dem Vorliegen einer überobligatorischen Leistung für ihn bereits am Ende des Montags beantwortet werden: Am Ende des Montags ergibt der Vergleich der tatsächlich von A geleisteten Arbeitszeit von zehn Stunden mit seiner geschuldeten Arbeitszeit von acht Stunden eine überobligatorische Arbeitsleistung von zwei Stunden. Mithin können bereits am Ende dieses 288
Bauer/Groß/Munz u. a., Arbeits- und Betriebszeiten 2001, S. 105, 110; Bellmann/Gewiese, Arbeitszeitstrukturen, S. 66; Brauner/Wöhrmann/Backhaus u. a., Sozialpolitik 2020, 1 (2); Necati, in: Preis, Innovative Arbeitsformen, S. 228; Pletke/Schrader/Siebert u. a., Flexible Arbeit, B., Rn. 465; Weber/Wanger/Weigand u. a., Verbreitung von Überstunden in Deutschland, S. 2, 6; Zapf, Arbeitszeitflexibilität, S. 61. 289 Vgl. genauer zu Arbeitszeitkonten Kapitel 3, C. 2. b) aa).
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Kap. 4: Die Überstunde
Arbeitstages zwei Überstunden für A angenommen werden. Werden diese später durch Freizeit ausgeglichen, handelt es sich um transitorische Überstunden. Anders stellt es sich bei B dar. Bei diesem ist der maßgebliche Bemessungszeitraum für die Bestimmung von Überstunden nicht der jeweilige Arbeitstag, sondern die ganze Woche. Daher kann am Ende des Montags noch nicht abschließend bewertet werden, ob es sich um eine überobligatorische Arbeitsleistung, das heißt um Überstunden, handelt. Vielmehr liegen (erst einmal) bloße Plusstunden vor. Diese kann B aufgrund der vereinbarten qualifizierten Gleitzeit bis zum Ende der Woche selbstständig wieder ausgleichen. Arbeitet er etwa am Mittwoch lediglich sechs statt acht Stunden, hat er trotz der einzelnen Abweichungen von der grundsätzlichen täglichen Arbeitszeit am Montag und am Mittwoch am Ende der Woche die geschuldete Arbeitszeit von 40 Stunden erbracht. Aufgrund des vorgenommenen Zeitausgleichs liegt am Ende der Woche trotz der zusätzlichen Arbeitsleistung am Montag keine überobligatorische Arbeitsleistung in Form von Überstunden vor. Nur, wenn B die Plusstunden bis zum Ende der Woche nicht ausgleichen kann – zum Beispiel, weil an den anderen Tagen weitere dringend zu erledigende Aufträge anstehen, die es ihm nicht erlauben, kürzer zu arbeiten – und er daher am Ende der Woche mehr als 40 Stunden gearbeitet hat, liegen überobligatorische Leistungen in Form von Überstunden vor. Auch diese können dann als transitorisch eingeordnet werden, wenn sie später – also in einem der folgenden Bemessungszeiträume – durch Freizeit wieder ausgeglichen werden. 2. Transitorische Überstunden als Anwendungsfall der veränderten Arbeitszeitdogmatik Transitorische Überstunden fallen nach ihrer Definition später wieder weg, da der Arbeitnehmer in einem späteren Bemessungszeitraum unter Anrechnung der transitorischen Überstunden von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt wird. Letztlich erbringt der Arbeitnehmer durch die Leistung transitorischer Überstunden seine in einem späteren Bemessungszeitraum geschuldete Arbeitsleistung bereits in einem früher liegenden Bemessungszeitraum. Mithin geht es bei transitorischen Überstunden um eine Konstellation, in der die geschuldete Arbeitsleistung durch das Erbringen der Überstunde vorgeholt wird. Die Frage, ob eine solche Vorholung von Arbeitsleistungen in Form transitorischer Überstunden überhaupt möglich ist, hängt von der dem Arbeitsverhältnis zugrundeliegenden Arbeitszeitdogmatik ab. Unter Geltung des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht stellen solche Arbeitsleistungen zu früheren Zeitpunkten ein aliud und gerade nicht die geschuldete Arbeitsleistung dar. Daher ist die Möglichkeit der Vorholung von Arbeitsleistungen nach dem Dogma der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht abzulehnen. Hingegen kann die geschuldete Arbeits-
B. Überstunde als Anwendungsfall der veränderten Arbeitszeitdogmatik
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leistung bei einer Einordnung der Arbeitsleistung als relative Fixschuld auch zu einem früheren Zeitpunkt erbracht, das heißt vorgeholt, werden.290 Erst durch die Veränderung der Arbeitszeitdogmatik weg vom Dogma der absoluten Fixschuld und hin zu einer Einordnung der Arbeitsleistung als relative Fixschuld wird die Vorholung von Arbeitsleistungen in Form transitorischer Arbeitsleistungen ermöglicht, sodass transitorische Überstunden letztlich einen Anwendungsfall der veränderten Arbeitszeitdogmatik darstellen. Hingegen hat die durch die Veränderung der Arbeitszeitdogmatik mögliche Vorholung von Arbeitsleistungen auf die Möglichkeit des Erbringens von Plusstunden keine Auswirkungen. Bei Plusstunden liegt die tatsächlich geleistete Arbeitszeit am Ende des Bemessungszeitraums aufgrund des innerhalb des Bemessungszeitraums erfolgten Ausgleichs nicht über der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit. Daher liegt durch die Erbringung von Plusstunden keine Leistung von erst in einem späteren Bemessungszeitraum geschuldeten Arbeitsleistungen in einem früher liegenden Bemessungszeitraum in Form einer Vorholung der Arbeitsleistung vor. Mithin können Plusstunden unabhängig von der Einordnung der Arbeitsleistung als absolute oder relative Fixschuld erbracht werden.
II. Definitive Überstunden als zusätzliche Arbeitsleistungen Von den transitorischen Überstunden sind die sogenannten definitiven Überstunden zu unterscheiden. Bei diesen liegt keine Vorholung der Arbeitsleistung vor. Vielmehr erbringt ein Arbeitnehmer zusätzlich zu der geschuldeten Arbeitsleistung Arbeit zu vertraglich nicht vorgesehenen Zeitpunkten. 1. Definition der definitiven Überstunde Alternativ zur Gewährung bezahlter Freizeit werden Überstunden oftmals auch durch eine zusätzlich zur Grundvergütung gezahlte Vergütung ausgeglichen.291 Bei diesen Überstunden stellt sich mangels Zeitausgleichs die Frage nach einem späteren Wegfall nicht. Daher werden sie – in Abgrenzung zu den transitorischen Überstunden – als definitive Überstunden bezeichnet.292 290
Vgl. bereits Kapitel 3, C. III. Dabei kann zwischen der für die überobligatorischen Arbeitsleistungen gezahlten Grundvergütung und etwaigen Überstundenzuschlägen unterschieden werden, wobei für letztere anders als noch unter Geltung von § 15 Abs. 2 AZO keine gesetzliche Verpflichtung mehr besteht, vgl. eingehender zu der Vergütung von Überstunden Erbach, Vertrauensarbeitszeit, S. 50 f.; BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB, Rn. 214 f.; ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 486 ff.; MüKo-BGB/Spinner, § 611a BGB, Rn. 701 ff.; Rath, Pauschale Abgeltung, S. 54 ff., insb. S. 60 ff.; Salamon/Groffy, NZA 2020, 159 ff. 292 So auch Bauer/Groß/Munz u. a., Arbeits- und Betriebszeiten 2001, S. 105; Bauer/Zimmermann, Wirtschaftsdienst 1999, 480; Brauner/Wöhrmann/Backhaus u. a., Sozialpolitik 291
220
Kap. 4: Die Überstunde
Dieser Begriff umfasst zum einen zusätzliche Arbeitszeit, bei der von vornherein statt eines Zeitausgleichs ein finanzieller Ausgleich vorgesehen ist. Zum anderen sind aber auch Konstellationen erfasst, in denen vereinbart ist, dass bis zum Ende des jeweiligen Bemessungszeitraums ein Freizeitausgleich erfolgen kann, danach aber ein finanzieller Ausgleich vorgesehen ist, falls bis dahin noch kein Freizeitausgleich stattgefunden hat. Letztlich wandeln sich in diesen Fällen ursprünglich vorliegende Plusstunden mit dem Ende des Bemessungszeitraums in definitive Überstunden. Eine solche Wandelung von Plusstunden zu definitiven Überstunden ist ebenso bei einem vorzeitigen, das heißt vor dem Ende des jeweiligen Bemessungszeitraums liegenden, Ende des Arbeitsverhältnisses gegeben, falls bis dahin noch kein Zeitausgleich erfolgt ist. In einem beendeten Arbeitsverhältnis kann nämlich denknotwendig kein Zeitausgleich mehr erfolgen, sodass die Überstunden nicht später wieder wegfallen können. Unter den Begriff der definitiven Überstunden fallen zudem auch solche Überstunden, für die gar kein Ausgleich erfolgt, also weder finanzieller Art noch durch die Gewährung bezahlter Freizeit. Das ist zum einen der Fall, wenn die Arbeitsvertragsparteien in zulässiger Weise eine pauschale Abgeltung der Überstunden vereinbart haben.293 Zum anderen fallen hierunter Konstellationen, in denen die Vertragsparteien keine Abrede hinsichtlich der Vergütung geleisteter Überstunden getroffen haben und es an der dann gemäß § 612 Abs. 1 BGB zu fordernden objektiven Vergütungserwartung für geleistete Überstunden fehlt.294 2. Definitive Überstunden als Anwendungsfall der veränderten Arbeitszeitdogmatik Anders als bei transitorischen Überstunden liegt bei definitiven Überstunden mangels später erfolgenden Zeitausgleichs keine Leistung der geschuldeten Arbeitsleistung des Arbeitnehmers zu früheren Zeitpunkten im Sinne eines Vorholens der Arbeitsleistung vor. Es geht aber bei definitiven Überstunden auch nicht darum, 2020, 1 (2); Hamm, Flexible Arbeitszeiten, S. 109; Kohler/Spitznagel, IAB Werkstattbericht 1996, S. 1; Pletke/Schrader/Siebert u. a., Flexible Arbeit, B., Rn. 465; Weber/Wanger/Wiegand u. a., Verbreitung von Überstunden in Deutschland, S. 2; Zapf, Arbeitszeitflexibilität, S. 60. 293 Vgl. zur Zulässigkeit solcher Pauschalabgeltungsklauseln BAG, Urt. v. 26. 01. 1956 – 2 AZR 98/54, BAGE 2, 277 ff.; Urt. v. 01. 09. 2010 – 5 AZR 517/09, BAGE 135, 250 (252 f.); Urt. v. 18. 11. 2015 – 5 AZR 751/13, AP BGB § 138 Nr. 72 (Rn. 22 ff.); Bepler, FS Wank, S. 41 ff.; Hümmerich/Rech, NZA 1999, 1132 (1134 ff.); Klocke, RdA 2014, 223 (224 ff.); Preis, Vertragsgestaltung, S. 439 ff.; ders., VSSAR 2019, 267 (295 f.); Rath, Pauschale Abgeltung, S. 63 ff.; Salamon/Hoppe/Rogge, BB 2013, 1720 (1722 f.). 294 Vgl. hierzu BAG, Urt. v. 17. 03. 1982 – 5 AZR 1047/79, BAGE 38, 194 (197 ff.); Urt. v. 22. 02. 2012 – 5 AZR 765/10, AP BGB § 612 Nr. 75 (Rn. 20 ff.); Urt. v. 27. 06. 2012 – 5 AZR 530/11, AP BGB § 612 Nr. 76 (Rn. 18 ff.); Franzen, RdA 2014, 1 (2 f.); Klocke, RdA 2014, 223 (227); Preis, VSSAR 2019, 267 (297 ff.); Rath, Pauschale Abgeltung, S. 63 ff.; Salamon/ Groffy, NZA 2020, 159 ff.; Salamon/Hoppe/Rogge, BB 2013, 1720 (1723 ff.).
B. Überstunde als Anwendungsfall der veränderten Arbeitszeitdogmatik
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die ursprünglich geschuldete, aber ausgefallene Arbeitsleistung später nachzuholen. Definitive Überstunden stellen demnach weder eine Vorholung noch eine Nachholung der Arbeitsleistung dar. Vielmehr werden bei definitiven Überstunden zusätzlich zur vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung weitere Arbeitsleistungen erbracht – überobligatorische Arbeitsleistungen stellen nicht die geschuldete Arbeitsleistung dar, sondern gehen über diese hinaus. Diese überobligatorischen Arbeitsleistungen erfolgen dann früher oder später als vertraglich ursprünglich vorgesehen, da zu den vertraglich vorgesehenen Zeitpunkten bereits die eigentlich geschuldete Arbeitszeit abgeleistet wird und die überobligatorische Arbeitsleistung damit vor oder nach diesen Zeitpunkten erfolgt. Allerdings steht das Dogma der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht nicht nur der Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung zu früheren oder späteren Zeitpunkten entgegen, sondern generell früheren oder späteren Arbeitsleistungen, das heißt auch zusätzlichen Arbeitsleistungen in Form von definitiven Überstunden. Hingegen können Arbeitsleistungen allgemein – das heißt unabhängig davon, ob sie vertraglich geschuldet sind oder darüber hinausgehen – bei einer Einordnung der Arbeitsleistung als relative Fixschuld auch zu von der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit abweichenden Zeitpunkten erbracht werden.295 Insofern werden auch die definitiven Überstunden erst durch die Veränderung der Arbeitszeitdogmatik weg vom Dogma der absoluten Fixschuld und hin zu einer Einordnung der Arbeitsleistung als relative Fixschuld ermöglicht, sodass diese ebenso wie die transitorischen Überstunden einen Anwendungsfall der veränderten Arbeitszeitdogmatik darstellen.
III. Die Nachholung der Arbeitsleistung im Kontext der Überstunde Weder transitorische noch definitive Überstunden stellen eine Nachholung der Arbeitsleistung dar. Insofern hat die durch die veränderte Arbeitszeitdogmatik mögliche Nachholung von Arbeitsleistungen keine Auswirkungen auf die Überstunde selbst. Gleichwohl kann sie im Kontext der Überstunde durchaus eine Rolle spielen – nämlich bei Vorliegen sogenannter Unterstunden oder Minusstunden. Die Auswirkungen der durch die veränderte Arbeitszeitdogmatik ermöglichten Nachholung von Arbeitsleistungen auf diese im Kontext der Überstunde stehenden Begriffe verdeutlichen noch einmal die Bedeutung der veränderten Arbeitszeitdogmatik auf das Phänomen der Überstunde, sodass ein Blick hierauf dem tieferen Verständnis dient.
295
Vgl. bereits Kapitel 3, C. III.
222
Kap. 4: Die Überstunde
1. Unterstunden Im Kontext der Überstunde kann der Blick nicht nur auf den Begriff der Überstunde gerichtet werden, sondern auch auf dessen Gegenbegriff. Korrespondierend zum Begriff der Überstunde kann nämlich der Begriff der Unterstunde definiert werden. Eine solche Unterstunde liegt vor, wenn die Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung in einem bestimmten Bemessungszeitraum nicht über-, sondern unterschreiten. Bei der Unterstunde bleiben also die Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers hinter der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung zurück; die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung wird nur unzureichend erfüllt, und zwar in quantitativer Hinsicht. Letztlich handelt es sich bei der Unterstunde also um eine (teilweise) Nichtleistung des Arbeitnehmers. Auch bei der Unterstunde können sogenannte transitorische Unterstunden und sogenannte definitive Unterstunden unterschieden werden. Wird die geschuldete Arbeitsleistung statt im ursprünglichen Bemessungszeitraum in einem späteren Bemessungszeitraum erbracht, wird also die Nichtleistung in Form der Unterstunde später wieder ausgeglichen, kann man von einer transitorischen Unterstunde sprechen. Hingegen liegt eine definitive Unterstunde vor, wenn kein solcher Zeitausgleich erfolgt. Bei der Fallgestaltung der transitorischen Unterstunde handelt es sich wegen der Erbringung der Arbeitsleistung zu einem späteren Zeitpunkt als vertraglich vereinbart um eine Nachholung der Arbeitsleistung. Eine solche Nachholung der Arbeitsleistung in Form von transitorischen Unterstunden ist unter Geltung des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht nicht möglich. Vielmehr tritt bei Einordnung der Arbeitsleistung als absolute Fixschuld bei Vorliegen einer Unterstunde sofort die Unmöglichkeit der ausgefallenen Arbeitsleistung gemäß § 275 Abs. 1 Alt. 2 BGB ein. Mangels Nachholungsmöglichkeit liegen Nichtleistungen in Form von Unterstunden unter Geltung des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht also nur in Form definitiver Unterstunden vor – transitorische Unterstunden hingegen werden erst durch die Abkehr vom Dogma der absoluten Fixschuld und die stattdessen erfolgende Einordnung der Arbeitsleistung als relative Fixschuld, aufgrund derer ausgefallene Arbeitsleistungen durch eine Nachholung zu einem späteren Zeitpunkt ausgeglichen werden können, ermöglicht. Auch die transitorische Unterstunde ist damit als Anwendungsfall der veränderten Arbeitszeitdogmatik einzuordnen. 2. Minusstunden Von den Unterstunden sind die sogenannten Minusstunden zu unterscheiden. Auch bei diesen bleibt ein Arbeitnehmer zunächst in quantitativer Hinsicht hinter der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung zurück. Allerdings gleicht er diese unzureichende Arbeitsleistung bis zum Ende eines eingeräumten Bemessungszeitraums
B. Überstunde als Anwendungsfall der veränderten Arbeitszeitdogmatik
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durch spätere Arbeitsleistungen wieder aus. In dieser Konstellation kann korrespondierend zum Begriff der Plusstunde von Minusstunden gesprochen werden. Minusstunden unterscheiden sich von Unterstunden dadurch, dass aufgrund des Zeitausgleichs innerhalb des Bemessungszeitraums am Ende des Bemessungszeitraums keine Nichtleistung des Arbeitnehmers vorliegt. Am Ende des Bemessungszeitraums entspricht nämlich aufgrund des vorgenommenen Zeitausgleichs innerhalb des Bemessungszeitraums die tatsächlich geleistete Arbeitszeit der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit. Von einer Nichtleistung – in Form einer Unterstunde – kann daher erst ausgegangen werden, wenn am Ende des jeweiligen Bemessungszeitraums kein Zeitausgleich stattgefunden hat und damit die tatsächlich geleistete Arbeitszeit unter der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit liegt. Mangels Vorliegens einer Nichtleistung bis zum Ende des Bemessungszeitraums liegt dann aber auch in dem Ausgleich der ursprünglich unzureichenden Arbeitsleistung innerhalb des Bemessungszeitraums keine Nachholung der Arbeitsleistung vor. Das wird wiederum im Rahmen von flexiblen Arbeitszeitmodellen mit Zeitsouveränität für den Arbeitnehmer296 besonders deutlich. Eine Nichtleistung kann nämlich nur vorliegen, wenn der Schuldner zu einer Leistung verpflichtet war, die er nicht erbracht hat. Aufgrund der Tatsache, dass der Arbeitnehmer bei flexiblen Arbeitszeitmodellen mit Arbeitszeitsouveränität weitestgehend selbst entscheiden kann, wann er arbeitet, kann bei Nichterscheinen des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz nicht sofort auf eine solche Verletzung der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers geschlossen werden. Mangels verbindlicher Vorgaben über die Lage der Arbeitszeit zugunsten einer Zeitsouveränität des Arbeitnehmers besteht nämlich überhaupt keine zeitlich fixierte Arbeitspflicht des Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung, die dieser verletzen könnte. Die Frage, ob der Arbeitnehmer seine Pflicht zur Arbeitsleistung verletzt hat, kann daher erst am Ende des Bemessungszeitraums beantwortet werden. Bis dahin vorliegende unzureichende Arbeitsleistungen kann er nämlich noch innerhalb des Bemessungszeitraums selbstständig wieder ausgleichen, ohne dass darin eine Nachholung zu sehen ist.297 Diese Erkenntnis ist deswegen überraschend, weil kritische Stimmen hinsichtlich des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht erst im Rahmen von Arbeit 4.0 und der damit einhergehenden wachsenden Verbreitung von flexiblen Arbeitszeitmodellen, die einen Zeitausgleich innerhalb des Bemessungszeitraums vorsehen, vermehrt aufgekommen sind.298 Im Rahmen der Untersuchung der Zeitgemäßheit 296
Vgl. hierzu bereits Kapitel 3, C. I. 2. a). Vgl. zu diesem Aspekt auch Kapitel 3, C. I. 2. b) cc) (1) (b). 298 Vgl. Erman/Edenfeld, § 611 BGB, Rn. 333; Gerhartsreiter, Arbeitszeitkonten, S. 337; BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB, Rn. 408; HWK/Krause, § 615 BGB, Rn. 8; Linck, in: Schaub, § 49, Rn. 5; Lindemann, AuR 2002, 81 (82); ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 677; BeckOGK/Riehm, § 275 BGB, Rn. 108; MüKo-BGB/Spinner, § 611a BGB, Rn. 10; Stoffels, 297
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Kap. 4: Die Überstunde
des Dogmas der absoluten Fixschuld verweisen diese Stimmen zum Teil sogar explizit auf die Möglichkeit eines solchen Zeitausgleichs und nehmen in diesen Fällen eine Nachholbarkeit der Arbeitsleistung an, aufgrund derer sie dann eine relative Fixschuld anstatt einer absoluten Fixschuld begründen wollen.299 Den Stimmen, die das Dogma der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht aufgrund von Arbeit 4.0 kritisch hinterfragen, liegt demnach die Vorstellung zugrunde, dass durch den Zeitausgleich – genauer gesagt durch den Ausgleich ursprünglich zu wenig geleisteter Arbeitszeit – innerhalb des Bemessungszeitraums eine Nachholung von Arbeitsleistung vorliegt. Mangels Nachholung von Arbeitsleistungen bei einem Ausgleich von Minusstunden innerhalb des jeweiligen Bemessungszeitraums ist letztlich festzustellen, dass Minusstunden unabhängig von der Frage, ob die Arbeitsleistung eine (absolute oder relative) Fixschuld darstellt, erbracht werden können. Mithin hat die veränderte Arbeitszeitdogmatik im Bereich der Minusstunden keine Auswirkungen. Insbesondere stellen Minusstunden keinen Anwendungsfall der veränderten Arbeitszeitdogmatik dar.
C. Ergebnis Eine Überstunde liegt bei einer überobligatorischen Arbeitsleistung des Arbeitnehmers vor. Dabei ist der maßgebliche Bezugspunkt die individuelle Arbeitszeit des Arbeitnehmers. Hierunter ist grundsätzlich die zwischen den Arbeitsvertragsparteien vereinbarte Arbeitszeit zu verstehen. Aufgrund der für das Vorliegen einer Arbeitsleistung zu fordernden Fremdbestimmtheit und Fremdnützigkeit muss die überobligatorische Arbeitsleistung zudem durch den Arbeitgeber in Form einer Anordnung, Billigung oder Duldung veranlasst sein. Hingegen ist – außer im Rahmen von §§ 4 Abs. 1a EFZG, 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG – keine Unregelmäßigkeit der überobligatorischen Arbeitsleistungen zu fordern. Der Komplex der Überstunde betrifft zwar primär die Dauer der Arbeitszeit eines Arbeitnehmers. Da allerdings jede Veränderung der Dauer der Arbeitszeit auch eine Veränderung der Lage der Arbeitszeit bedeutet, ist bei Überstunden auch die Lage der Arbeitszeit betroffen. Ausgehend von dieser Feststellung besteht eine Verbindung zwischen der Frage nach der im Arbeitsrecht zugrunde zu legenden Arbeitszeitdogmatik, durch die die Lage der Arbeitszeit bestimmt wird, und dem Komplex der Überstunde, der grundsätzlich nur die Dauer der Arbeitszeit betrifft.
Vertragsbruch, S. 110; Wank, Arbeitnehmer und Selbstständige, S. 70; hierzu bereits oben, Kapitel 3, C. I. 2. 299 So explizit Erman/Edenfeld, § 611 BGB, Rn. 333; Gerhartsreiter, Arbeitszeitkonten, S. 337; andeutungsweise auch BeckOK-ArbR/Joussen, § 611a BGB, Rn. 408; HWK/Krause, § 615 BGB, Rn. 8; Linck, in: Schaub, § 49, Rn. 5; ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 677; Stoffels, Vertragsbruch, S. 110.
C. Ergebnis
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Dabei ist zunächst festzustellen, dass erst durch die Veränderung der Arbeitszeitdogmatik weg vom Dogma der absoluten Fixschuld und hin zu einer Einordnung der Arbeitsleistung als relative Fixschuld die Leistung von Überstunden ermöglicht wird. Das gilt insbesondere für transitorische Überstunden, die durch die Gewährung von Freizeit in einem späteren Bemessungszeitraum wieder ausgeglichen werden, aber auch für definitive Überstunden, bei denen entweder gar kein Ausgleich erfolgt oder die Überstunden finanziell abgegolten werden. Daher stellen sowohl transitorische als auch definitive Überstunden einen Anwendungsfall der veränderten Arbeitszeitdogmatik dar. Anders stellt sich die Situation bei Plusstunden dar, bei denen der Ausgleich zusätzlich erbrachter Arbeitsleistung bereits innerhalb des jeweiligen Bemessungszeitraums und nicht erst in einem späteren Bemessungszeitraum erfolgt und daher keine Vorholung von Arbeitsleistungen vorliegt. Auch die transitorische Unterstunde, die korrespondierend zur transitorischen Überstunde als eine in einem späteren Bemessungszeitraum durch eine Nachholung der Arbeitsleistungen wieder ausgeglichene Nichtleistung des Arbeitnehmers definiert wird, stellt aufgrund der mangelnden Nachholbarkeit der Arbeitsleistung unter Geltung des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht einen Anwendungsfall der veränderten Arbeitszeitdogmatik dar. Hingegen hat die veränderte Arbeitszeitdogmatik in Bezug auf Minusstunden, bei denen der Zeitausgleich innerhalb des Bemessungszeitraums keine Nachholung der Arbeitsleistung darstellt, keine Auswirkungen.
Kapitel 5
Zusammenfassung der Ergebnisse der Arbeit Kapitel 2: Die Arbeitszeit im Wandel
1.
Die Merkmale von Art. 2 Nr. 1 ArbZ-RL müssen kumulativ vorliegen, sodass Arbeitszeit im Sinne von Art. 2 Nr. 1 ArbZ-RL jede Zeitspanne ist, „während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten 1. arbeitet, 2. dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und 3. seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt.“
2.
Der EuGH stellt bei der Prüfung, ob Arbeitszeit vorliegt, maßgeblich auf das zweite Merkmal zur Verfügung steht ab, sodass der unionsrechtliche Arbeitszeitbegriff neben aktivem Tun des Arbeitnehmers auch alle Zeiten der Untätigkeit erfasst, in denen der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber zur Verfügung steht.
3.
Das deutsche Recht enthält zwar mit § 2 Abs. 1 ArbZG auch eine Bestimmung zum Begriff der Arbeitszeit. Diese erschöpft sich jedoch in einem Verweis auf den Begriff der Arbeit, ohne diesen Begriff selbst zu definieren.
4.
Unter Arbeit im arbeitsrechtlichen Sinne sind alle Tätigkeiten im Sinne von § 611a Abs. 1 BGB zu verstehen, das heißt jedes Tun oder Nichtstun eines Arbeitnehmers, das auf Basis einer arbeitgeberseitigen Weisung oder aufgrund des Arbeitsvertrags fremdbestimmt und fremdnützig erfolgt. Dieser Begriff der Arbeit umfasst damit nicht nur aktive Tätigkeiten des Arbeitnehmers; vielmehr kann Arbeit im arbeitsrechtlichen Sinne auch bei einer Untätigkeit des Arbeitnehmers vorliegen.
5.
Für das Vorliegen von Arbeit im arbeitsrechtlichen Sinne ist eine Untätigkeit in Form eines reinen Zur-Verfügung-Stellens der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer nicht ausreichend. Hierbei bietet der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die Nutzungsmöglichkeit seiner Dienste an, der Arbeitgeber weist diese aber ab. Es kommt zu keiner Arbeitsleistung, da die reine Nutzungsmöglichkeit der Arbeitskraft des Arbeitnehmers zur Erfüllung der Leistungspflicht des Arbeitnehmers nicht ausreicht. Zudem erfolgt das Zur-Verfügung-Stellen aufgrund der Abweisung durch den Arbeitgeber ohne eine Veranlassung seinerseits, sodass eine Fremdnützigkeit abzulehnen ist.
Kap. 5: Zusammenfassung der Ergebnisse der Arbeit
227
6.
Der Arbeitnehmer kann seine Leistungspflicht aus dem Arbeitsvertrag allerdings durch ein Zur-Verfügung-Stehen erbringen. Das ist dann der Fall, wenn er für den Arbeitgeber auf dessen Weisung bereitsteht, um gegebenenfalls die Arbeitstätigkeit aufzunehmen. Entscheidend für das Vorliegen von Arbeit in diesen Konstellationen ist dann das Kriterium der Fremdnützigkeit. Es ist danach zu fragen, ob der Arbeitnehmer die Zeit, in der er zur Verfügung steht, frei verwenden kann oder ob er aufgrund der Weisung des Arbeitgebers in der freien Nutzung seiner Zeit so stark beschränkt ist, dass nicht mehr von einer eigennützigen und selbstbestimmten Verwendung der Zeit ausgegangen werden kann.
7.
In Anlehnung an diesen Begriff der Arbeit im arbeitsrechtlichen Sinne ist Arbeitszeit im arbeitsrechtlichen Sinne die Zeit, in der ein Arbeitnehmer auf Basis einer arbeitgeberseitigen Weisung oder aufgrund des Arbeitsvertrags fremdbestimmt und fremdnützig handelt oder zur Verfügung steht. Freizeit hingegen liegt bei weisungsfreien, eigennützigen und selbstbestimmten Tätigkeiten vor.
8.
Dieser Begriff der Arbeitszeit ist für das gesamte Arbeitsrecht maßgeblich. Eine Aufspaltung des Arbeitszeitbegriffs für verschiedene Bereiche des Arbeitsrechts – namentlich für das Arbeitsschutzrecht, das Arbeitsvertragsrecht und das Vergütungsrecht –, wie sie die herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung vornimmt, ist abzulehnen. Eine solche Aufspaltung in verschiedene Arbeitszeitbegriffe ist zum einen methodisch abzulehnen, zum anderen auch gar nicht erforderlich, da die Begriffe auf einen einheitlichen Begriffskern zurückgeführt werden können.
9.
Die verschiedenen Schutzzwecke des Arbeitsschutzrechts, des Mitbestimmungsrechts und des Vergütungsrechts werden ausreichend dadurch berücksichtigt, dass an den einheitlichen Begriff der Arbeitszeit unterschiedliche Rechtfolgen anknüpfen können. Trotz einer Einordnung als Arbeitszeit kann von den – grundsätzlich zwingenden – Vorschriften der §§ 3 ff. ArbZG abgewichen werden oder ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG zu verneinen sein. Zudem führt das Bejahen von Arbeitszeit nicht zwingend dazu, dass diese Zeit auch zu vergüten ist. Vielmehr ist es den Arbeitsvertragsparteien unbenommen, unterschiedliche Formen der Inanspruchnahme des Arbeitnehmers während der Arbeitszeit auch unterschiedlich zu vergüten. Dabei müssen sie allerdings die gesetzlichen Grenzen, vor allem § 138 BGB, § 3 MiLoG beachten.
10. Die Belastungstheorie der herrschenden Meinung, nach der in Fällen wie Dienstreisen oder Bereitschaftszeiten zur Anerkennung von Arbeitszeit (im arbeitszeitrechtlichen Sinne) eine dem Umfang von Vollarbeit entsprechende Beanspruchung des Arbeitnehmers erforderlich ist, ist abzulehnen. Das ergibt sich schon aus der inkonsequenten Anwendung der Theorie durch Rechtsprechung und Literatur. Zudem verstößt das Fordern einer Belastung des Arbeitnehmers zur Bejahung von Arbeitszeit gegen das Unionsrecht. Die innere Belastung eines Arbeitnehmers wird stets subjektiv bewertet und stellt damit kein
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Kap. 5: Zusammenfassung der Ergebnisse der Arbeit
hinreichend objektives Kriterium zur Bestimmung des Arbeitszeitbegriffs dar. Zudem wird durch die Frage nach einer Belastung des Arbeitnehmers auf die Intensität der Tätigkeit abgestellt, was nach der Begriffsbestimmung des EuGH gerade kein Kriterium für die Frage nach der Arbeitszeit sein darf. 11. Die Faktoren, die die maßgeblichen Kriterien zur Abgrenzung zwischen Arbeitszeit und Ruhezeit beeinflussen, können in jedem konkreten Einzelfall anders gewichtet oder kombiniert sein. Daher ist stets anhand einer einzelfallbezogenen Subsumtion unter die oben dargestellten Merkmale von Arbeit(szeit) zu bestimmen, ob Arbeitszeit oder Ruhezeit vorliegt, anstatt aus dem Vorliegen bestimmter Begrifflichkeiten Folgerungen für das Vorliegen von Arbeitszeit zu ziehen. 12. Mit einer solchen konkreten Einzelfallsubsumtion lassen sich auch die in der Literatur und Rechtsprechung stark umstrittenen Fälle der Rufbereitschaft, bei der sich ein Arbeitnehmer unter ständiger Erreichbarkeit an einem von ihm gewählten Ort bereithält, um von dort aus erforderlichenfalls die Arbeit aufzunehmen, lösen. Während der inaktiven Zeiten einer solchen Rufbereitschaft liegt Arbeitszeit vor, wenn der Arbeitnehmer so starken Einschränkungen unterliegt, dass er dadurch nicht mehr frei über seine Zeit verfügen kann. Bei dieser Frage kommt der Rufzeit, der der Arbeitnehmer unterliegt, eine besondere Bedeutung zu. Es muss anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände im Einzelfall abgewogen werden, ob die Rufzeit zu einer Unmöglichkeit der freien Zeitgestaltung des Arbeitnehmers führt. Dabei steht die Rufzeit im Wechselspiel zu übrigen Einschränkungen und Erleichterungen für den Arbeitnehmer, die ebenfalls in die Bewertung einfließen müssen. Diese übrigen Einschränkungen und Erleichterungen hat der EuGH in verschiedenen Urteilen aus 2021 konkretisiert. Es gehören die konkreten Modalitäten des Einsatzes, die Unvorhersehbarkeit möglicher Unterbrechungen, die dem Arbeitnehmer eingeräumte Möglichkeit, während eines erheblichen Teils seiner Bereitschaftszeiten eine andere berufliche Tätigkeit auszuüben, die durchschnittliche Dauer und Häufigkeit der Einsätze und die zeitliche Festlegung und Dauer der Rufbereitschaft dazu. Hingegen sind organisatorische Schwierigkeiten, die sich nicht aus arbeitgeberseitigen Auflagen ergeben, sondern zum Beispiel die Folge natürlicher Gegebenheiten oder der freien Entscheidung des Arbeitnehmers sind, nicht zu berücksichtigen. 13. Ausgehend von der historischen Entwicklung der Arbeitswelt seit dem Beginn der Industriegesellschaft beschreibt der Begriff Arbeit 4.0 die Arbeitswelt von heute, aber auch von morgen und übermorgen, die maßgeblich durch die immer weiter zunehmende Digitalisierung und Globalisierung sowie durch die – vor allem durch den demografischen Wandel – veränderte Einstellung der Beschäftigten zur Erwerbsarbeit beeinflusst wird. 14. Eine konkrete Folge des Phänomens der Arbeit 4.0 ist die Flexibilisierung der Arbeitszeit. Unter diesen Begriff werden alle Arbeitszeitmodelle gefasst, bei
Kap. 5: Zusammenfassung der Ergebnisse der Arbeit
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denen die Dauer der Arbeitszeit und/oder die Lage der Arbeitszeit permanent veränderbar ist. Dabei ist es unerheblich, welche Arbeitsvertragspartei zu der Änderung befugt ist. Kapitel 3: Die Arbeitsleistung als relative Fixschuld
15. Das Dogma der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht ist abzulehnen. Weder allgemeine zivilrechtlich-dogmatische noch spezifisch arbeitsrechtliche Begründungsstrategien führen zu einer grundsätzlichen Einordnung der Arbeitsleistung als absolute Fixschuld. 16. Lediglich in Fällen, in denen der Zeitpunkt der Erbringung der Arbeitsleistung Bestandteil des Leistungsinhalts selbst ist, oder in denen die Arbeitsvertragsparteien die Nachholungspflicht des Arbeitnehmers abbedungen haben, stellt die Arbeitsleistung mangels Nachholbarkeit eine absolute Fixschuld dar. In allen anderen Fällen ist die Arbeitsleistung aufgrund der hohen Bedeutung der Leistungszeit im Arbeitsverhältnis als relative Fixschuld einzuordnen. 17. Bei der Frage nach den Auswirkungen von Gleitzeit und Vertrauensarbeitszeit als flexiblen Arbeitszeitmodellen, die dem Arbeitnehmer eine gewisse Zeitsouveränität einräumen, bei denen also der Arbeitnehmer Beginn und Ende seiner Arbeitszeit ganz oder teilweise eigenständig bestimmen kann, auf den Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung ist zu beachten, dass aufgrund der dem Arbeitnehmer eingeräumten Arbeitszeitsouveränität überhaupt keine zeitlich fixierte Pflicht des Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung besteht. Mangels zeitlich fixierter Verpflichtung des Arbeitnehmers liegt im Falle seiner Nichtarbeit zunächst keine Leistungsstörung in Form der Nichtleistung vor, sodass sich die Frage nach dem Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung gar nicht stellt. Eine Nichtleistung liegt erst vor, wenn das Arbeitszeitkonto am Ende des Ausgleichszeitraums beziehungsweise bei einem vorherigen Ausscheiden des Arbeitnehmers am Ende des Arbeitsverhältnisses einen negativen Saldo aufweist beziehungsweise wenn das maximal zulässige Defizit des Arbeitszeitkontos überschritten ist. In diesen Fällen ist lediglich am Ende des Arbeitsverhältnisses mangels Möglichkeit zur Nachholung der Arbeitsleistung von einer absoluten Fixschuld auszugehen. In den übrigen Fällen liegt weiterhin eine relative Fixschuld vor. 18. Aufgrund der Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht und der grundsätzlichen Einordnung der Arbeitsleistung als relative Fixschuld wird die Erfüllung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung bei Nichtleistung des Arbeitnehmers nicht unmöglich. Vielmehr behält der Arbeitgeber seinen Anspruch auf die Arbeitsleistung, sodass eine Pflicht des Arbeitnehmers zur Nachholung besteht, wenn nicht der Grund des Arbeitsausfalls einer solchen Nachholung der Arbeit entgegensteht. Davon ist in den Fällen des § 615 S. 1 BGB sowie in Entgeltfortzahlungsfällen auszugehen, wenn nicht die
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Vertragsparteien eine zulässige konstitutive Nacharbeitsklausel vereinbart haben. Zudem können die Parteien die Nachholungspflicht für bestimmte Fälle vertraglich ausschließen. Zuletzt besteht eine Ausnahme von der Nachholungspflicht bei zeitweiligen Erfüllungshindernissen, die voraussichtlich bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses oder zumindest so lange bestehen werden, dass eine negative Prognose für eine ordentliche Kündigung gerechtfertigt ist. Hingegen bleibt es bei Lohnersatzleistungsfällen bei der Nachholungspflicht, solange nicht ohnehin die arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflichten suspendiert sind. 19. Korrespondierend zu der grundsätzlichen Nachholungspflicht des Arbeitnehmers besteht für ihn auch ein Nacharbeitsrecht. Dieses Nacharbeitsrecht wird allerdings dadurch eingeschränkt, dass der Arbeitgeber durch Teilrücktritt auf die Nacharbeit verzichten kann, solange dieser nicht gemäß § 323 Abs. 6 Alt. 1 BGB ausgeschlossen ist oder gegen § 242 BGB verstößt. 20. Die Nachholungspflicht des Arbeitnehmers ist zeitlich durch verschiedene Grenzen eingeschränkt. So ist die Nacharbeit nur bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses möglich. Zudem gelten die gesetzlichen Regelungen über die Verjährung sowie etwaige vertragliche Verfallsklauseln. Zuletzt kann der Anspruch des Arbeitgebers auf Nacharbeit gemäß § 242 BGB verwirkt sein. 21. Durch die Veränderung der Arbeitszeitdogmatik weg vom Dogma der absoluten Fixschuld und hin zu einer Einordnung der Arbeitsleistung als relative Fixschuld wird nicht nur die Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung zu späteren Zeitpunkten als vertraglich vorgesehen ermöglicht, sondern dazu korrespondierend auch die Vorholung der Arbeitsleistung. Zudem wird auch die Erbringung zusätzlicher Arbeitsleistungen zu vertraglich nicht vorgesehenen Zeitpunkten erst durch die Veränderung der Arbeitszeitdogmatik möglich. Kapitel 4: Die Überstunde
22. Eine Überstunde liegt bei einer überobligatorischen Arbeitsleistung des Arbeitnehmers vor. Dabei ist der maßgebliche Bezugspunkt die individuelle Arbeitszeit des Arbeitnehmers. Hierunter ist grundsätzlich die zwischen den Arbeitsvertragsparteien vereinbarte Arbeitszeit zu verstehen. 23. Für das Vorliegen einer Überstunde ist zudem eine Veranlassung der überobligatorischen Arbeitsleistung durch den Arbeitgeber in Form einer Anordnung, Billigung oder Duldung erforderlich. Da ohne eine solche Veranlassung allerdings mangels Fremdbestimmtheit und Fremdnützigkeit schon gar keine überobligatorische Arbeitsleistung des Arbeitnehmers vorläge, ist dieses Merkmal jedoch bereits denknotwendig im Überstundenbegriff enthalten. Daher ist auch der sogenannte Überstundenprozess an den regulären Vergütungsprozess anzupassen und einstufig anstatt wie bisher zweistufig aufzubauen. Die bisher vorgenommene erneute Prüfung der Veranlassung des Ar-
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beitgebers auf der zweiten Stufe ist aufgrund des bereits auf der ersten Stufe geprüften Vorliegens einer überobligatorischen Arbeitsleistung entbehrlich. 24. Im Rahmen von §§ 4 Abs. 1a EFZG, 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG ist für die Bestimmung überobligatorischer Arbeitsleistungen anstatt auf die zwischen den Arbeitsvertragsparteien vereinbarte Arbeitszeit auf die tatsächlich im Arbeitsverhältnis praktizierte Arbeitszeit abzustellen. Dafür sprechen der Wortlaut der jeweiligen Normen, Aspekte der Einzelfallgerechtigkeit sowie die Entstehungsgeschichte von § 4 Abs. 1a EFZG. Das Abstellen auf die tatsächlich praktizierte Arbeitszeit hat zur Folge, dass nur bei unregelmäßigen überobligatorischen Arbeitsleistungen das Entgelt bei Arbeitsunfähigkeit oder Urlaub des Arbeitnehmers nicht fortzuzahlen ist. 25. Der Gesetzgeber sollte die Regelungen der §§ 4 Abs. 1a S. 1 EFZG, 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG jeweils durch eine Formulierung ergänzen, die das Merkmal der Unregelmäßigkeit festschreibt. Dabei sollte er darauf achten, dass gleichzeitig klargestellt wird, dass es im Rahmen von §§ 4 Abs. 1a EFZG, 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG letztlich nur um die Rechtsfolgen bei Vorliegen von Überstunden geht und nicht um den Überstundenbegriff selbst. Das könnte durch folgende Formulierungen geschehen: § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG: „Zum Arbeitsentgelt nach Absatz 1 gehören nicht das zusätzlich für unregelmäßig geleistete Überstunden gezahlte Arbeitsentgelt […].“ § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG: „Das Urlaubsentgelt bemißt sich nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst, das der Arbeitnehmer in den letzten dreizehn Wochen vor dem Beginn des Urlaubs enthalten hat, mit Ausnahme des zusätzlich für unregelmäßig geleistete Überstunden gezahlten Arbeitsverdienstes.“ 26. Das für die Normen der §§ 4 Abs. 1a S. 1 EFZG, 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG herausgearbeitete Merkmal der Unregelmäßigkeit ist nicht als allgemeingültig für das Vorliegen von Überstunden anzusehen. Hiergegen sprechen der Wortlaut des Wortes „Überstunden“ und die Gesetzessystematik. Auch der Sinn und Zweck von Überstunden macht ein solches Merkmal nicht erforderlich. 27. Mehrarbeit ist bei Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers, die die gesetzliche Höchstarbeitszeit gemäß § 3 ArbZG überschreiten, gegeben. Mehrarbeit und Überstunden können sich also entsprechen, wenn sowohl die individuelle Arbeitszeit des Arbeitnehmers als auch die gesetzliche Arbeitszeit überschritten werden. 28. Der Begriff der Überarbeit bildet den Oberbegriff für Überstunden und Mehrarbeit. 29. Es können transitorische und definitive Überstunden unterschieden werden. Bei transitorischen Überstunden handelt es sich um später wieder wegfallende
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Überstunden, die in einem anderen Bemessungszeitraum durch Freizeit ausgeglichen werden. Definitive Überstunden liegen vor, wenn entweder ein finanzieller oder gar kein Ausgleich für die überobligatorischen Arbeitsleistungen erfolgt. 30. In Abgrenzung zu Überstunden, bei denen die Dauer der Arbeitszeit im jeweiligen Bemessungszeitraum erhöht wird, handelt es sich bei Plusstunden, bei denen die zusätzlich zur geschuldeten täglichen Arbeitszeit tatsächlich geleistete Arbeitszeit innerhalb des jeweiligen Bemessungszeitraums wieder ausgeglichen wird, lediglich um umverteilte Arbeitszeit, bei der die Lage und Verteilung, nicht aber die Dauer der Arbeitszeit über den Bemessungszeitraum hinweg verändert wird. 31. Als Gegenbegriff zur Überstunde kann der Begriff der Unterstunde definiert werden. Dabei handelt es sich um Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers, die die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung in einem bestimmten Bemessungszeitraum nicht über-, sondern unterschreiten. 32. Jede Veränderung der Dauer der Arbeitszeit bedeutet auch eine Veränderung der Lage der Arbeitszeit. Dadurch besteht eine Verbindung zwischen der Frage nach der im Arbeitsrecht zugrunde zu legenden Arbeitszeitdogmatik, die die Lage der Arbeitszeit betrifft, und dem Komplex der Überstunde, der grundsätzlich nur die Dauer der Arbeitszeit betrifft. 33. Überstunden werden erst durch die Veränderung der Arbeitszeitdogmatik weg vom Dogma der absoluten Fixschuld und hin zu einer Einordnung der Arbeitsleistung als relative Fixschuld möglich. Das gilt insbesondere für transitorische, aber auch für definitive Überstunden. Beide stellen daher einen Anwendungsfall der veränderten Arbeitszeitdogmatik dar. 34. Demgegenüber hat die veränderte Arbeitszeitdogmatik keine Auswirkungen auf Plusstunden, bei denen mangels Zeitausgleichs in einem späteren Bemessungszeitraum keine Vorholung der Arbeitsleistung vorliegt. 35. Auch transitorische Unterstunden, bei denen der Arbeitnehmer die Nichtleistung durch eine Nachholung der Arbeitsleistungen in einem späteren Bemessungszeitraum wieder ausgleicht, stellen aufgrund der erst durch die Ablehnung des Dogmas der absoluten Fixschuld im Arbeitsrecht ermöglichten Nachholung der Arbeitsleistung einen Anwendungsfall der veränderten Arbeitszeitdogmatik dar. 36. Hingegen können Minusstunden, bei denen der Zeitausgleich innerhalb desselben Bemessungszeitraums erfolgt und daher am Ende des Bemessungszeitraums keine Nichtleistung des Arbeitnehmers vorliegt, unabhängig von der Einordnung der Arbeitsleistung als absolute oder relative Fixschuld erbracht werden, sodass die veränderte Arbeitszeitdogmatik auf diese keine Auswirkungen hat.
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Schlussantrag
vom
16. 12. 1999,
C-303/98
(SIMAP),
Salamon, Erwin/Groffy, Greta: Die Vergütung von Überstunden im Lichte der aktuellen Rechtsprechung. Zugleich Besprechung von BAG, Urt. v. 26. 6. 2019 – 5 AZR 452/18, NZA 2019, 1361, NZA 2020, 159 – 163. Salamon, Erwin/Hoppe, Christian/Rogge, Nico: Überstunden im Fokus der jüngeren Rechtsprechung, BB 2013, 1720 – 1725. Salamon, Erwin/Wessels, Nicolas: Vergütung von Reisezeiten? Die Leitlinien der jüngsten Rechtsprechung und ihre Auswirkungen im Überblick, ArbRB 2019, 19 – 22. Scharf, Günter: Geschichte der Arbeitszeitverkürzung. Der Kampf der deutschen Gewerkschaften um die Verkürzung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit, Köln 1987, zugl.: Habil., Bremen 1985 (zit.: Scharf, Arbeitszeitverkürzung). Schaub, Günter (Begr.): Arbeitsrechts-Handbuch. Systematische Darstellung und Nachschlagwerk für die Praxis, 19. Auflage, München 2021 (zit.: Bearbeiter, in: Schaub). Schaub, Günter (Begr.): Arbeitsrechtliches Formular- und Verfahrenshandbuch, 14. Auflage, München 2021 (zit.: Bearbeiter, in: ArbRFV-HdB). Schaub, Günter/Koch, Ulrich (Begr.): Arbeitsrecht von A – Z, 26. Auflage, München 2022 (zit.: Bearbeiter, in: Schaub/Koch). Schiefer, Bernd: Rechtsprechungsübersicht zum Individualarbeitsrecht (Teil 1), DB 2021, 2491 – 2497. Schildt, Bernd: Ein Fixgeschäft mit ungewissem Erfüllungszeitraum – Die Taxi-Fahrt zum Bahnhof –, Jura 1995, 66 – 71. Schlachter, Monika: Vertrauensarbeitszeit in Deutschland und Japan: kollektive Gestaltungsmöglichkeiten auf betrieblicher Ebene, in: Oetker, Hartmut/Preis, Ulrich/Rieble, Volker (Hrsg.): 50 Jahre Bundesarbeitsgericht, München 2004, S. 1253 – 1272 (zit.: Schlachter, FS 50 Jahre BAG). Schlegel, Rainer: Grenzenlose Arbeit, NZA-Beil. 2014, 16 – 22. Schlessmann, Karl: Zulässigkeit, Durchführung und Vergütung von Überstunden, DB 1958, 1253 – 1257. Schlessmann, Karl: Die Dienstreise – Vergütung und Arbeitszeitschutz, DB 1963, 1607 – 1609. Schliemann, Harald (Hrsg.): Das Arbeitsrecht im BGB, 2. Auflage, Berlin 2002 (zit.: ArbRBGB/Bearbeiter). Schliemann, Harald: ArbZG. Kommentar zum Arbeitszeitgesetz mit Nebengesetzen, 4. Auflage, Köln 2020 (zit.: Schliemann, ArbZG).
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Personen- und Sachverzeichnis Abstrahierungsformel 101 Annahmeverzug 101 f., 142 f., 149 f. Arbeit 4.0 75 ff., 117 ff., 224, 228 Arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz 110 ff. Arbeitszeit – Arbeitsschutzrechtlicher Arbeitszeitbegriff 48 – Betriebsübliche Arbeitszeit 172 – Einheitlicher Arbeitszeitbegriff 47 ff., 71 – Gesetzliche Arbeitszeit 167 ff. – Individuelle Arbeitszeit 171 – Kernlose Arbeitszeit 139 – Kollektiv geltende Arbeitszeit 171 – Mitbestimmungsrechtlicher Arbeitszeitbegriff 50 – Unionsrechtlicher Arbeitszeitbegriff 21 ff. – Vertrauensarbeitszeit 132 ff., 229 Arbeitszeitaufzeichnung 133 ff. Arbeitszeitdauer 49, 73 ff., 106, 121, 124, 129, 138, 212, 216, 224, 229, 232 Arbeitszeitdogmatik 81, 93 ff., 154 ff., 211 ff., 230, 232 Arbeitszeitflexibilisierung 72 ff., 79 ff., 117, 119 ff., 228 f. Arbeitszeitlage 73 ff., 106, 113, 118 ff., 121, 124 f., 128 ff., 133, 154 ff., 179, 212 f., 223 ff., 229, 232 Arbeitszeitsouveränität 117 ff., 121, 124 ff., 129, 132 f., 139, 223, 229
Bayreuther, Frank 137 Beanspruchungstheorie 58 ff. Belastungstheorie siehe Beanspruchungstheorie Bereitschaftszeiten – Arbeitsbereitschaft 64 f. – Bereitschaftsdienst 57, 64 ff.
– Rufbereitschaft 57, 59, 64 ff., 228 Beuthien, Volker 106 ff. Dauerschuldverhältnis 20, 44, 58 ff., 97 ff., 150 ff. Dienstreise 53 f., 58 ff., 227 Digitalisierung 76 ff., 79, 228 Fixschuld – Absolute Fixschuld 83, 85 ff., 91 ff., 115, 117, 122 ff., 157, 229 f. – Relative Fixschuld 83, 87 ff., 115 ff., 140, 154 ff., 219, 221, 230, 232 Fremdbestimmtheit 40 f., 189, 206, 230 Fremdnützigkeit 41 f., 46, 189, 206, 226 f., 230 Gewohnheitsrecht 114 Gleitzeit – Einfache Gleitzeit 121, 129, 137, 217 – Gleitzeitspanne 120, 125 ff., 130 – Kernlose Gleitzeit 121, 131, 133 – Qualifizierte Gleitzeit 121, 130 f., 137, 217 f. Globalisierung 77 ff., 228 Hromadka, Wolfgang Industrielle Revolution Leistungsbegriff
40 35 f., 76
83 f.
Mehrarbeit 162, 165, 184, 207 ff., 231 Mindestlohn 56 f. Minusstunde 222 ff., 232 Mommsen, Friedrich 93 ff. Nachholung – Nacharbeitspflicht 140 ff., 230 – Nacharbeitsrecht 149 f., 229 f.
Personen- und Sachverzeichnis – Nacharbeitszeitraum 152 f., 230 – Nachholbarkeit 89 ff. Papst Johannes Paul II. 33 Plusstunde 215 ff., 225, 232 Präsenzkultur 132, 137 f. Preis, Ulrich 40 f. Rahmenarbeitszeit 120 Richter, Lutz 36 f. Richterrecht 163 Ruhezeit 28 f., 62 f., 65, 228 Sommer, Hans-Eckhard 153 Sprenger, Markus 205 Teilrücktritt
150 ff.
Überarbeit 165, 211, 231 Überstunde – Anordnung 164, 178 ff. – Billigung 164, 187 f.
265
– Definitive Überstunden 216, 219 ff., 225, 232 – Duldung 188 f. – Transitorische Überstunden 218 f., 225, 231 f. – Überobligatorische Arbeitsleistung 165 ff., 197, 202, 204 ff., 208 ff., 213 ff., 221, 230 f. – Unregelmäßigkeit 164, 191 ff., 231 – Veranlassung 46, 177 ff., 206, 230 f. Umkleidezeit 64 Unmöglichkeit 81, 83, 86, 94, 96, 101, 106, 222 Unterstunde 222 f., 232 Waschzeit 64 Weisungsgebundenheit
40 f.
Zur-Verfügung-Stehen 24 ff., 42, 45 ff., 65, 227 f. Zur-Verfügung-Stellen 42 ff., 65, 226 Zweckgerichtetheit 38