168 73 2MB
German Pages 370 [385] Year 2018
Praktische Theologie in Geschichte und Gegenwart Herausgegeben von
Christian Albrecht und Bernd Schröder
29
Florian Dinger
Religion inszenieren Ansätze und Perspektiven performativer Religionsdidaktik
Mohr Siebeck
Florian Dinger, geboren 1983; 2005–10 Studium der Ev. Theologie und Germanistik; 2010– 12 Referendariat in Hann. Münden; 2012–15 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Prof. Dr. Bernd Schröder in Göttingen; seit 2015 Lehrer für Evangelische Religion und Deutsch an der Geschwister-Scholl-Gesamtschule Göttingen; seit 2018 Lehrbeauftragter für Religionspädagogik an der Georg-August-Universität Göttingen; 2018 Promotion. orcid.org/0000-0002-3730-9779
ISBN 978-3-16-156324-9 / eISBN 978-3-16-156548-9 DOI 10.1628/978-3-16-156548-9 ISSN 1862-8958 / eISSN 2569-4219 (Praktische Theologie in Geschichte und Gegenwart) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von epline in Böblingen aus der Times gesetzt, von Laupp & Göbel in Gomaringen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden. Printed in Germany.
Für Anja
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2017/18 von der EvangelischTheologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen als Dissertationsschrift angenommen.1 Ihre Entstehung wurde von Beginn an durch Anregung, Rat und Zuspruch meiner akademischen Lehrerinnen und Lehrer, meiner Ausbilderinnen und Ausbilder in der Unterrichtspraxis und anderer Weggefährten in Schule und Universität unterstützt. Ihnen gilt es im Folgenden für ihre Anteile an diesem Buch zu danken. An erster Stelle danke ich meinem Doktorvater, Prof. Dr. Bernd Schröder. Unter seiner Anleitung durfte ich von 2012 bis 2015 als wissenschaftlicher Mitarbeiter das Geschäft religionspädagogischer Forschung und Lehre kennenlernen. Er hat diese Untersuchung zu jeder Zeit umsichtig, hinterfragend und ermutigend betreut. Seiner Begleitung verdanke ich wesentliche Anregungen im Prozess ihrer Entstehung, zudem vielfältige Impulse, die mir die Religionspädagogik in neuer Weite und Tiefe aufgeschlossen haben. Prof. Schröder hat hierbei stets die Ausbildung eigener, nicht selten unterschiedlicher Positionen und Forschungsschwerpunkte ermöglicht und sie mit wohlwollendem Interesse gefördert. Eine wesentliche These dieser Arbeit wird lauten, dass sich performative Religionsdidaktik immer wieder auch als biblische Didaktik entfaltet. Diese Einsicht habe ich vor allem in Gesprächen mit und Lehrveranstaltungen von zwei Göttinger Dozierenden gewinnen können: So danke ich Prof. Dr. Karin Schöpflin, die das Zweitgutachten angefertigt hat, für vielfältige Denkanstöße und für ihre stetige Begleitung während meiner Studien- und Promotionszeit. Prof. Dr. Reinhard Feldmeier, drittes Mitglied der Prüfungskommission, hat dieser Studie bereits indirekt den Weg bereitet, als ich noch gar nicht an ein derartiges Vorhaben dachte. In vier überaus lehrreichen Jahren als seine studentische Hilfskraft hat er mir aus exegetischer Perspektive deutlich gemacht, welche didaktischen Potentiale den biblischen Texten innewohnen. Der Forschungsgegenstand dieser Studie war während ihrer Entstehungszeit fortlaufend im Fluss, insofern er sich immer wieder durch neue Publikationen erweiterte, veränderte und fortentwickelte. Deshalb hat es mir sehr geholfen, in dieser Zeit auch mit Protagonistinnen und Protagonisten der dazugehörigen 1
Für die Publikation wurden geringfügige Änderungen am Manuskript vorgenommen.
VIII
Vorwort
Debatte im Gespräch zu sein. Vor allem danke ich PD Dr. Silke Leonhard, die mir im Zuge gemeinsamer Projekte viele hilfreiche Einblicke in die Struktur und Genese der performativen Ansätze gewährt hat. Auch Dr. Bärbel Husmann, Prof. Dr. Thomas Klie, Prof. Dr. Hans Mendl sowie Prof. Dr. David Käbisch danke ich für ihre Gesprächsbereitschaft und wichtige Anregungen. Performative Religionsdidaktik ist nach meiner Einschätzung bisher vor allem auf den schulischen Religionsunterricht des Gymnasiums hin entwickelt worden. Dies dürfte u. a. auch darauf zurückzuführen sein, dass die entsprechenden Innovationsbemühungen an den für diese Schulform ausbildenden Studienseminaren besonders intensiv diskutiert wurden. Ich selbst verdanke jedenfalls jener zweiten Ausbildungsphase die entscheidende Anregung zu meiner D oktorarbeit, namentlich durch meinen damaligen Fachleiter und heutigen Freund Rudolf Tammeus. Ich kenne niemanden, der den Wert, die Chancen, besonders aber den kritischen Anspruch eines zeitgemäßen Religionsunterrichts klarer und überzeugender artikulieren kann. Ergebnisse unserer Gespräche sind besonders in die handlungsorientierenden Abschnitte meiner Untersuchung eingeflossen. Außer den Impulsen des Fachleiters haben auch mancherlei Anregungen meiner Ausbildungslehrerinnen am Grotefend-Gymnasium Münden auf diese Studie eingewirkt. Aus diesem Kreis hervorheben möchte ich meine Kolleginnen Susanne Büthe, Sarah Jacobi, Heide Ruthenberg-Wesseler und Inge WitzigTemme. Ihre didaktische Expertise und ihr Mut, neue (religions-)didaktische Räume zu begehen, haben immer wieder dazu motiviert, auch eigene religionsdidaktische Vorstellungen und Ideen zu konturieren. Vergleichbar mit meinen eigenen Arbeitsschwerpunkten in den vergangenen Jahren bewegt sich auch diese Arbeit auf einer Schnittfläche zwischen universitärer Theoriebildung einerseits und schulischer Praxis andererseits. Glücklicherweise bin ich in beiden Tätigkeitsfeldern auf Interessierte getroffen, denen auf ihre je eigene Weise Anteile an der Fertigstellung dieses Buches gebühren. Aus der Göttinger Geschwister-Scholl-Gesamtschule möchte ich Barbara Braune, Kristin Seidemann, Cornelia Schmidthals sowie Heike Anhalt-Brüggemann nennen; aus dem Kreis der universitären Wegbegleiter und der Göttinger Religionspädagogischen Sozietät Christhard Löber, Franziska Krause, Ricarda Schnelle und Christoph Schönau. Zudem haben sich meine lieben Freunde und religionspädagogischen Gesprächspartner Moritz Emmelmann und Marlene Sinhuber in überaus sorgfältiger Weise als Korrektor bzw. Korrektorin um diese Arbeit verdient gemacht. Für die Aufnahme meiner Arbeit in diese Reihe danke ich Prof. Dr. Christian Albrecht und meinem Doktorvater sowie dem Verlag Mohr Siebeck und dessen Lektorin Katharina Gutekunst. Die „Vereinigte Ev.-Luth. Kirche Deutschlands (VELKD)“ sowie der „Verein zur Förderung der Praktischen Theologie und der
Vorwort
IX
Religionspädagogik in Göttingen e. V.“ haben diese Publikation durch großzügige Druckkostenzuschüsse unterstützt. Schließlich danke ich meiner Familie für mancherlei Zuspruch: meiner Mutter Monika, meinen drei Schwestern Ulrike, Dörte und Angelica sowie insbesondere meinem Vater und Mitbewohner Rainer. Er hat die Entstehung dieses Buches mit Hingabe begleitet: als interessierter Zuhörer mit theologischem Kompass, als sorgfältiger Korrektor – und nicht zuletzt als engagierter Großvater, der meine Frau und mich in der Betreuung unserer beiden Kinder Helene und Manuel auf vielfältige Weise entlastet hat. Den Anteil, den meine Frau Anja am Abschluss dieser Studie hat, kann ich hier nur andeuten. Jedenfalls verdanke ich ihrer liebevollen Begleitung den Mut, die Freude und Kraft, ohne die mir diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Ihr widme ich dieses Buch. Göttingen, im Juni 2018
Florian Dinger
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
§ 1 Theoretische Fundierung performativer Religionsdidaktik – die systematische Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1
Erkenntnisinteresse der systematischen Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . 7
2
Vorklärungen zum Begriff des Performativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2
3
Begriffsgeschichte und Bedeutungsspektren des Performativen . . Sprachphilosophische Wurzeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Performative in der Theaterwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . Der ‚performative turn‘ in den Kulturwissenschaften . . . . . . . . . . Impulse des ‚performative turn‘ für die Erziehungswissenschaft . .
11 11 13 16 19
Spielarten Performativer Religionsdidaktik. Vertreter, Konzepte und Schwerpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3.1 Semiotisch begründete Performanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Bernhard Dressler und die Zeichendidaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1.1 Die semiotische Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1.2 Reagieren auf den Traditionsabbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1.3 Religiöse Bildung als Unterscheidungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1.4 Die Herausforderung der Übergänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Thomas Klie und die Theatralität des Religionsunterrichts . . . . . . 3.1.2.1 Religion und ihre Außenseiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.2 Religionsunterricht als theatrales Geschehen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.3 Prozedurale Regeln im didaktischen Spiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Gestaltpädagogisch begründete Performanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Religion beim Wort nehmen. Christoph Bizer und die Gestaltwerdung von Religion im Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1.1 Zur Ausgangslage: Bizers Kritik an den Bildungsinstitutionen . . . 3.2.1.2 Die authentische Selbstdarstellung von Religion im Unterricht . . . 3.2.1.3 Lernen als Gestaltbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1.4 Didaktische Konkretion: Religion zum Anfassen . . . . . . . . . . . . . .
24 27 27 29 33 36 38 39 41 43 48 52 53 56 59 61
XII
Inhaltsverzeichnis
3.2.2 Silke Leonhard und das leibliche Lernen und Lehren . . . . . . . . . . 3.2.2.1 Der Körper als Lernort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.2 Rituelle (Re‑)Präsentation zwischen Didaktik und Methodik . . . . 3.3 Poststrukturalistisch begründete Performanz . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Dietrich Zilleßen und die Suche nach dem Unbekannten im Profanen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.1 Philosophische und theologische Begründungen . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.2 Performative Spiele mit dem Fremden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.3 Das Unterrichtskonzept „Religion elementar“ . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Harald Schroeter-Wittke und das unterrichtliche Entstehen von Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2.1 Die Brisanz des performative turn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2.2 Religion aufs Spiel setzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Performative Didaktik in katholischer Auslegung . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Konstruktivistisch begründete Performanz bei Hans Mendl . . . . . 3.4.1.1 Die konstruktivistische Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1.2 Mendls Problemanzeige und didaktische Schlussfolgerung . . . . . . 3.4.1.3 Praxisfelder religiösen Erlebens in der Schule . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Mirjam Schambeck und das mystagogische Lernen . . . . . . . . . . . . 3.4.2.1 Religionsunterricht und Gotteserfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2.2 Mystagogisches Lernen als Konkretion performativer Religionsdidaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65 66 70 72 76 77 81 84 88 89 91 94 97 98 104 110 114 114 117
4 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
§ 2 Performative Aufbrüche in der Didaktik benachbarter Fächer – die vergleichende Perspektive . . . . . . . . . . 133 1
Erkenntnisinteresse der vergleichenden Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . 133
2
Beispiel A: Der „handlungs- und produktionsorientierte Literaturunterricht“ in der Fachdidaktik Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 2.1
Kaspar H. Spinner und das literarische Lernen als Fremdverstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Fachdidaktische Intentionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Methodik und Unterrichtsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Ingo Scheller und die Szenische Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Szenische Interpretation im Porträt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Performative Religionsdidaktik und handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht im Vergleich . . . . . . . .
141 141 145 149 150 154 157
3
Inhaltsverzeichnis
XIII
Beispiel B: Kreativität und Performance im Schulfach Darstellendes Spiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.3
Zielsetzung und Etablierungsstand des Darstellenden Spiels als Schulfach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Didaktik und Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Leitkategorie „Raum“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Leitkategorie „Körper“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Leitkategorie „Rolle“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methodische Konkretionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Performative Religionsdidaktik und die Fachdidaktik des Darstellenden Spiels im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
164 171 171 174 177 180 184
4 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
§ 3 Performative Elemente in der Geschichte der Religionsdidaktik – die historische Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . 195 1
Erkenntnisinteresse der historischen Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 1.1 1.2
2
Zur Schwerpunktsetzung dieses Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Zur Vorgeschichte: Performative Elemente in der christlich-religiösen Erziehung vor der Aufklärung . . . . . . . . . . . . 198
Performative Elemente in der Religionsdidaktik seit der Aufklärung – dargestellt anhand ausgewählter Beispiele . . . . . . . . . . . 209 2.1 2.2
Kriterien der historischen Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 C. G. Salzmann (1744–1811): Die Suche nach den „wirksamsten Mittel[n], Kindern Religion beizubringen“ . . . . . . . 212 2.2.1 Religionsdidaktisches Profil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 2.2.2 Vergleichsmomente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Exkurs: Friedrich Schleiermacher (1768–1834): Religion darstellen und mitteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 2.3 Richard Kabisch (1868–1914): Der Religionsunterricht und das Erlebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 2.3.1 Religionsdidaktisches Profil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 2.3.2 Vergleichsmomente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 2.4 Otto Eberhard (1875–1966): Religionsunterricht als „lebendige Berührung mit Gott“ . . . . . . . . 237 2.4.1 Religionsdidaktisches Profil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 2.4.2 Vergleichsmomente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 2.5 Gerhard Bohne (1895–1977): Das Wort Gottes zu Gehör bringen . 246 2.5.1 Religionsdidaktisches Profil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 2.5.2 Vergleichsmomente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252
XIV
Inhaltsverzeichnis
2.6
Peter Biehl (1931–2006): Die Vermittlungsproblematik und das Symbol . . . . . . . . . . . . . . . . 254 2.6.1 Religionsdidaktisches Profil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 2.6.2 Vergleichsmomente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
3 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
§ 4 Tragweite und Tragfähigkeit performativer Ansätze für den Religionsunterricht von morgen – die handlungsorientierende Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 1
Erkenntnisinteresse der handlungsorientierenden Perspektive . . . . . . . 273
2
Interpretation der Untersuchungsergebnisse mit Blick auf zukünftigen Religionsunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8 2.9 2.10
Probleme und Chancen des Performanzbegriffes . . . . . . . . . . . . . . Erschließung religiöser Praxis als Ansatzpunkt für eine Begründung performativer Didaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Performative Spielarten in der Spannung zwischen Missionierungsverdacht und Profanisierungsgefahr . . . . . . . . . . . . Gelebter christlicher Glaube im Verhältnis zur „Unterrichtsreligion“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Differenzierung der These vom Traditionsabbruch . . . . . . . . . . . . Performative Lernsettings und die Erweiterung des religionsdidaktischen Methodenspektrums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Performative Bibeldidaktik und die Unterscheidung vom liturgischen Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anfragen zu Praktikabilität und Lehrerrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . Performative Religionsdidaktik und interreligiöses Lernen . . . . . . Performative Spielarten im Lichte konfessioneller Kooperation . .
275 281 284 290 295 300 306 314 320 324
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359
Einleitung „Wie lehren wir Religion?“1 So fragte Richard Kabisch 1910 in seinem programmatischen religionspädagogischen Hauptwerk. Bereits damals wurde eine Krise des schulischen Religionsunterrichts beklagt. Das Diktat der geistlichen Schulaufsicht, methodische Uniformität des Unterrichts, Einfallslosigkeit der Unterrichtenden sowie wachsende Unbeliebtheit bei den Schülerinnen und Schülern stellten die besonderen Herausforderungen jener Zeit dar. K abisch selbst versuchte seine Frage optimistisch zu beantworten. Sein Grundsatz für die Neuorientierung des Religionsunterrichts im Sinne liberaler Religionspädagogik lautete: „Der Unterricht schaffe Erlebnisse!“2 Entsprechend diesem Imperativ sollte der Religionsunterricht zu einem Ort werden, an dem religiöse „Stoffe mit Gefühlsbewegung erlebt werden“3. Er sollte „objektive Religion vermitteln, um subjektive zu erzeugen.“4 Kabisch schwebte dabei eine Unterrichtsveranstaltung in der Schule vor, in der Religion wahrnehmbar, spürbar, ja, als „subjektive Erfahrungsreligion“5 erlebbar werden würde. Möglicherweise wirkte sich von Anfang an verhängnisvoll aus, dass Kabisch mit seiner Leitfrage „Wie lehren wir Religion?“ die Möglichkeit der Lehrbarkeit von Religion in der Schule stillschweigend vorausgesetzt hatte. Weil er gar nicht nach den Bedingungen dieser Möglichkeit in der Schule fragte, konnte er auch nicht wahrnehmen, dass seine religionspädagogischen Vorstellungen einen entsprechenden Unterricht am Lernort Schule grundsätzlich überfordern mussten. Aus heutiger Sicht führen sie deshalb eher die Grenzen des schulisch Machbaren vor Augen. Gleichwohl verweist seine Frage auf noch immer wesentliche Herausforderungen, mit denen sich die Bemühung um religiöse Bildung am Lernort Schule konfrontiert sieht. Die Frage selbst hat deshalb auch im Jahr 2018 nichts 1
R ichard K abisch: Wie lehren wir Religion? Versuch einer Methodik des evangelischen Religionsunterrichts für alle Schulstufen auf psychologischer Grundlage, Göttingen 31913. Die religionspädagogischen Entwürfe von Kabisch werden in dieser Studie im Rahmen der historischen Analyse eigens auf performative Elemente hin untersucht. Vgl. § 3, Kap. 2.3 „Richard Kabisch (1868–1914): Der Religionsunterricht und das Erlebnis“. 2 K abisch , Religion, S. 120. 3 Ebd., S. 123. 4 Ebd., S. 106. 5 Gabriele O bst: Religion zeigen – eine Aufgabe des evangelischen Religionsunterrichts? Zwischenruf zu einem aktuellen religionspädagogischen Paradigma, in: Theo-Web 6/2 (2007), S. 104–123, 104.
2
Einleitung
von ihrer Aktualität eingebüßt. Sie stellt sich womöglich im Angesicht tiefgreifender religionssoziologischer Veränderungen heute in besonderem Maße. Darunter stellen die Konfessionslosigkeit einer wachsenden Zahl von Schülerinnen und Schülern sowie eine immer weniger vorauszusetzende religiöse Bildungssozialisation auch der sich als evangelisch verstehenden und getauften Schülerschaft nur die auffälligsten dar. Die hier vorgelegte Untersuchung möchte sich einem viel diskutierten religionsdidaktischen Neuansatz widmen, der ebenso wie Kabisch die Frage nach dem „Wie“ der Lehrbarkeit von Religion im religiösen Bildungsprozess stellt. Dabei versteht dieser neue Ansatz die Frage nach dem „Wie“ im Unterschied zu den religionspädagogischen Konzeptionen nach 1945 nicht als eine der gegenüber der didaktischen Frage nach dem inhaltlichen „Was“ des Unterrichts nachgeordnete, „bloß“ methodische Folgefrage. Vielmehr zeigt sich nunmehr bereits in der Antwort auf die Frage nach dem „Wie“ eine didaktische Grundentscheidung über das Verständnis von religiöser Bildung. Dieser Versuch einer Antwort, oder genauer dieses Bündels entsprechender Versuche, hat den fachdidaktischen Diskurs innerhalb der wissenschaftlichen Religionspädagogik in jüngerer Zeit intensiv beschäftigt. Vor 16 Jahren erschien in der Fachzeitschrift „Religionsunterricht an höheren Schulen“ ein Themenheft,6 in dem eine Gruppe von Autorinnen und Autoren erste Konturen einer Didaktik skizzierten, die heute weithin als „performative Religionsdidaktik“ bezeichnet wird. An dieser Stelle mit Kabischs Aufbruch vergleichbar, fordern auch die performativen Didaktiker, den Modus der Präsentation von Religion am Lernort Schule grundsätzlich zu überdenken.7 Gerade weil die selbstverständliche Vertrautheit von Kindern und Jugendlichen mit der christlichen Religion als Praxis wegbricht, so die These des evangelischen Religionspädagogen Bernhard Dressler, kann es didaktisch nicht länger gelingen, diese Praxis im Religionsunterricht allein „reflexiv-nachdenkend“8 zu durchdringen. Eine zeitgemäße Didaktik habe stattdessen „Religion allererst zu zeigen und dabei Religion als eine eigenartige Kultur symbolischer Kommunikation zu erschließen, die in ihren Vollzügen, d. h. in ihren narrativen und liturgischen Gestalten, nicht aber […] in ihren lehr6 Das Thema des Heftes rhs 45 (2002) lautet: „Performativer Religionsunterricht!?“. Diese Formulierung wird im Vorwort zu selbigem Heft von dem katholischen Religionspädagogen Rudolf Englert vorgeschlagen. Vgl. Rudolf Englert: Religionsunterricht als Realisation. Einführung in das Thema dieses Heftes, in: rhs 45 (2002), S. 1. In dieser Arbeit wird jedoch die Bezeichnung „performative Religionsdidaktik“ bevorzugt, weil diese im heutigen Fachdiskurs die häufigste Verwendung findet. 7 Dieses Vorhaben erkennt Englert, der schon in demselben Heft erste begleitende „Anmerkungen“ zu den dort formulierten Ansätzen performativer Religionsdidaktik formuliert, bereits dort prägnant als einendes Anliegen der sonst in vielerlei Hinsicht unterschiedlichen Ansätze. Vgl. Rudolf Englert: ‚Performativer Religionsunterricht!?‘ Anmerkungen zu den Ansätzen von Schmid, Dressler und Schoberth, in: rhs 45 (2002), S. 32–36, 33. 8 Bernhard D ressler : Darstellung und Mitteilung. Religionsdidaktik nach dem Traditionsabbruch, in: rhs 45 (2002), S. 11–19, 12.
Einleitung
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mäßigen Reflexionsgestalten erkennbar wird.“9 Als wesentliche Programmformel performativer Religionsdidaktik fügt im gleichen Heft Hans Schmid von katholischer Seite hinzu, der Religionsunterricht müsse deshalb „mehr sein als Reden über Religion“10. Seit jenem Sonderheft sind die frühen Thesen, Appelle und Ideen der Vertreterinnen und Vertreter11 performativer Religionsdidaktik vielerorts aufgenommen, in unterschiedliche Spielarten ausdifferenziert und in vielgestaltigen Unterrichtsentwürfen schulpraktisch konkretisiert worden. Längst liegt eine Fülle von Veröffentlichungen zur performativen Religionsdidaktik vor. Häufig erschienen diese in Form von Aufsätzen, die entweder einzelne Aspekte des „neuen“ Ansatzes fachdidaktisch-konzeptionell zu präzisieren suchen, oder diesen als ganzen kritisch in Frage stellen. Das große religionspädagogische Interesse am Thema erstaunt nicht. Performative Religionsdidaktik rührt sowohl in der fachdidaktischen Theorie als auch im Hinblick auf ihre methodische Konkretion an grundsätzliche Fragen christlich-religiöser Bildungsbemühungen. Umso mehr erstaunt beim Blick auf den engagiert geführten Fachdiskurs, wie viele Aspekte und Zusammenhänge performativer Religionsdidaktik in der religionspädagogisch-wissenschaftlichen Bearbeitung bisher unerforscht geblieben sind. So wurde bislang die ganze Breite der heute vorliegenden, teilweise sehr unterschiedlichen Theorien performativer Religionsdidaktik nicht systematisch dargestellt, d. h. so, dass auch die je unterschiedlichen Begründungszusammenhänge sowie deren konfessionell verschiedene Ausprägungen untersucht, aufgearbeitet und kontrastierend miteinander verglichen werden. Ferner wurden die religionsdidaktisch-performativen Ansätze nicht zu den vielgestaltigen performativen Aufbrüchen in benachbarten Fachdidaktiken in Beziehung gesetzt, obwohl sich dort an mehreren Stellen vergleichbare Tendenzen erkennen ließen. Auch fehlt bis heute eine religionspädagogisch-historische Einordnung der Innovationen performativer Religionsdidaktik vor dem weiten Horizont der Geschichte christlicher Bildungsbemühungen. An solcher Stelle wäre auch die wichtige Frage nach dem „Wo“ religiöser und insbesondere christ9 Ebd., S. 13 (Hervorhebung FD). Die „kommunikative Verfasstheit der Religionspraxis“ hebt auch Ulrike Wagner-Rau hervor, die im Anschluss an ein solches Religionsverständnis „Praktische Theologie als Theorie der christlichen Religionspraxis“ konturiert. Der Gegenstandsbereich Praktischer Theologie insgesamt umschließt folglich die „vielfältigen Weisen religiöser Kommunikation.“ Ulrike Wagner-R au: Praktische Theologie als Theorie der christlichen Religionspraxis, in: Praktische Theologie. Ein Lehrbuch, hg. v. K ristian Fechtner , Jan H ermelink u. a., Stuttgart 2017, S. 19–28, 25–27. 10 H ans S chmid: Mehr als Reden über Religion, in: rhs 45 (2002), S. 2–10, 2. 11 Im Rahmen dieser Arbeit werden lediglich die Personengruppen der „Schülerinnen und Schüler“, „Lehrerinnen und Lehrer“ sowie „Autorinnen und Autoren“ konsequent geschlechtergerecht ausgeschrieben. Bezeichnungen wie „Vertreter“, „Didaktiker“ oder „Befürworter“ werden dagegen im Folgenden lediglich in männlicher Form angeführt. Dieses Vorgehen soll nicht exklusiv verstanden werden, sondern dient ausschließlich der besseren Lesbarkeit der vorliegenden Arbeit.
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licher Bildung zu stellen, also nach den religiösen Lernorten zu fragen.12 Es könnte nämlich sein, dass die Frage nach dem „Wie“ des Lehrens von Religion am Lernort Schule ganz anders zu beantworten sein wird als etwa im evangelischen Gemeindehaus im Rahmen des Konfirmandenunterrichts oder im Kirchenraum im Rahmen einer kirchenpädagogischen Begehung. Schließlich liegen bisher kaum empirische Daten vor, die Erfahrungen mit performativen Lernarrangements kritisch in den Blick nehmen oder gar solche Bedingungen beschreiben, die deren praktische Relevanz für zukünftigen Religionsunterricht befördern könnten. Kurz gesagt: Im Dickicht der Beiträge zur performativen Religionsdidaktik ist eine kritische Erarbeitung möglichst der ganzen Breite performativ-didaktischer Ansätze überfällig, die auch deren interdisziplinäre wie historische Interdependenzen berücksichtigt. Besonders wichtig erscheint die Frage nach dem handlungsorientierenden Impuls dieser „neuen“ Didaktik, also ihrem Beitrag zur möglichen Beförderung religiöser Bildungspraxis an den verschiedenen Lernorten. Wenn die so umrissenen Anliegen in der hier vorliegenden Untersuchung nunmehr zu bearbeiten sind, dann nehmen sie mehrere der oben formulierten Desiderate auf.13 Folglich liegt es nahe, die Untersuchung entlang dieser Desiderate in vier Teile zu strukturieren. Als methodische Grundlage dienen hierbei die von Bernd Schröder vorgeschlagenen Perspektiven religionspädagogischer Forschung, die wiederum in den Desideraten selbst bereits anklingen.14 Zuerst erfolgt eine theoretische Fundierung performativer Religionsdidaktik in religionspädagogisch-systematischer Perspektive (§ 1). In diesem Teil der Untersuchung werden zuerst einige grundsätzliche Vorklärungen zum Begriff des „Performativen“ vorgenommen. Daraufhin wird eine repräsentative Auswahl performativ-didaktischer Einzelentwürfe als unterschiedliche „Spielarten performativer Religionsdidaktik“ dargestellt. Ausgewählt wurden acht performative Ansätze, die sich entweder aus heutiger Sicht im entsprechenden Fachdiskurs als besonders einflussreich erwiesen haben, und/oder besondere Dif12
Zur Unterscheidung religionspädagogisch-relevanter Lernorte vgl. grundlegend C hris-
tian G rethlein: Religionspädagogik, Berlin / New York 1998. 13 Das einzige der oben formulierten Forschungsdesiderate,
das diese Untersuchung nicht eigens aufnehmen kann, obwohl es gemäß der von Schröder vorgeschlagenen „fünf Dimensionen religionspädagogischer Reflexion“ (Schröder , Religionspädagogik, S. 13 f.) nahe läge, ist die empirisch-kritische Auswertung konkreter Unterrichtsbeispiele. Ein solches Analysekapitel hätte – sofern dieses dem Anspruch religionspädagogisch-empirischer Forschung genügen sollte – den Rahmen dieser Arbeit als Dissertationsschrift deutlich gesprengt. Die weithin fehlende empirische Fundierung performativ-didaktischer Ansätze ist dennoch zu kritisieren, vgl. hierzu besonders § 4, Kap. 2.8 „Anfragen zu Praktikabilität und Lehrerrolle“. 14 Eine ausführliche Präzisierung des „Erkenntnisinteresses“ sämtlicher Untersuchungsteile erfolgt im Rahmen dieser Untersuchung jeweils im ersten Kapitel des entsprechenden Paragraphen.
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ferenzierungen performativer Didaktik erkennen lassen. Hierbei wird jeder der eigens untersuchten Ansätze wiederum mithilfe von vier Kategorien untersucht, die das Verständnis von performativer Religionsdidaktik präzisieren helfen. Dies sind (1) die jeweils zugrunde gelegte Situationsanalyse, (2) die zentral berücksichtigten Begründungstraditionen, (3) die entwickelten didaktischen Theoriegebäude sowie (4) die darin konkret angestrebten methodischen Konsequenzen. An dieser Stelle wird angestrebt, die Vielzahl an vorliegenden Veröffentlichungen möglichst umfassend zu berücksichtigen. Dabei werden teilweise sehr unterschiedliche Vorstellungen performativer Religionsdidaktik Kontur gewinnen. Deshalb wird die systematische Analyse den umfangreichsten Teil dieser Untersuchung ausmachen. Der zweite Untersuchungsschritt setzt in religionspädagogisch-vergleichender Perspektive die in § 1 dargestellten Entwürfe zu vergleichbaren performativen Aufbrüchen in der Didaktik benachbarter Fächer in Beziehung (§ 2). Das die Untersuchung in diesem Abschnitt leitende Forschungsanliegen besteht darin, interdisziplinäre und fächerübergreifende Überschneidungen, Interdependenzen und nicht zuletzt Differenzen aufzuzeigen, welche die inzwischen entstandenen Konturen performativer Religionsdidaktik mit geprägt haben könnten. Hierfür wird die Arbeit insbesondere auf zwei Beispiele gesondert eingehen, nämlich erstens auf den „handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht“, der ein Bündel von didaktischen Ansätzen aus der Deutschdidaktik umfasst, und zweitens auf die Didaktik des Schulfaches „Darstellendes Spiel“. Dieses (weithin) neue Schulfach folgt in bisher einzigartiger Weise einer performativen Grundstruktur. Anhand beider Beispiele wird geprüft, inwieweit didaktische Intentionen und methodische Innovationen performativer Religionsdidaktik mit teilweise entsprechenden Entwicklungen auch außerhalb der Religionspädagogik verknüpft sind. Der dritte Teil der Untersuchung fragt in religionspädagogisch-historischer Perspektive nach der Eigenart bzw. dem Proprium performativer Religionsdidaktik vor dem Horizont der religionsdidaktischen Geschichte (§ 3). Angestrebt wird hier zunächst, performative Elemente in historisch relevanten Konzepten christlich-religiöser Bildung (wieder) zu entdecken, um so schließlich das spezifisch Neue der hier untersuchten performativ-didaktischen Innovationen deutlicher identifizieren zu können. Zuerst wird dieser Untersuchungsteil anhand einiger Schlaglichter nachzuweisen suchen, dass solche performativen Elemente die Geschichte christlicher Bildungsbemühungen schon seit ihren Ursprüngen prägen, ja, im Grunde sogar auf Wirken und Auftreten Jesu selbst gemäß seiner Darstellung in den Evangelien zurückgehen. Der Schwerpunkt der historischen Analyse liegt dann aber auf solchen Konzepten, die Möglichkeiten und Grenzen religiöser Bildung mit Blick auf den schulischen Religionsunterricht ausloten. Die entscheidenden Herausforderungen, mit denen performative Religionsdidaktik am öffentlichen Lernort Schule heute konfrontiert ist,
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erscheinen aus historischer Perspektive erst nach der Etablierung des Religionsunterrichts als Schulfach im Zuge der Aufklärung fachdidaktisch vergleichbar. Im Einzelnen werden hierfür fünf religionsdidaktische Konzepte in den Blick genommen, die in je unterschiedlicher Ausprägung Vergleichshorizonte zu performativer Religionsdidaktik erkennen lassen. Die der historischen Analyse zugrunde gelegten Kriterien ergeben sich aus den Ergebnissen der theoretischen Fundierung performativer Religionsdidaktik (§ 1) und sind deshalb erst an späterer Stelle vorzustellen.15 Die Ergebnisse der drei ersten Untersuchungsteile bilden die Grundlage des Auswertungskapitels. Dieses wägt in religionspädagogisch-handlungsorientierender Perspektive die Tragweite und Tragfähigkeit performativer Ansätze für die Gestaltung zukünftigen Religionsunterrichts ab (§ 4). Den Analysen in systematischer, vergleichender und historischer Perspektive kommt im Rahmen dieser Arbeit also dienende Funktion zu, insofern sie die kritische Beurteilung im handlungsorientierenden Teil vorbereiten und fundieren sollen. Entsprechend des handlungsorientierenden Interesses werden dort allerdings bewusst nur in Ausnahmefällen Ergebnisse als abschließende Thesen zur Eignung oder Nichteignung der noch zu untersuchenden Spielarten performativer Religionsdidaktik formuliert, sondern zumeist in Form von handlungsorientierenden Impulsen dargestellt. Dies soll schon auf der Darstellungsebene des Auswertungskapitels hervorheben, dass die Ergebnisse der Untersuchung als kritischkonstruktive Anregungen zur weiteren Präzisierung und Weiterentwicklung der Didaktik selbst verstanden werden wollen. In jenem Schlusskapitel kommt auf diese Weise in besonderem Maße das Grundanliegen der vorliegenden Arbeit insgesamt zum Ausdruck. Vor allen anderen Zielen möchte sie einen Beitrag zur Beförderung religionsunterrichtlicher Praxis aus religionspädagogisch-theoretischer Perspektive leisten. Dem gegenwärtigen Arbeitsbereich des Verfassers als Religionslehrer an einer öffentlichen Schule entspricht das ausgesprochene Eigeninteresse an diesem besonderen Lernort. Die im oben beschriebenen Sinne multiperspektivisch angelegte Untersuchung der fachdidaktischen Grundlagen, Konkretionen, Interdependenzen und Innovationen performativer Religionsdidaktik erfolgt also „im Interesse einer theoriegeleiteten, rechenschaftsfähigen Erziehungs- und Unterrichtspraxis.“16 Wenn es gelingen sollte, die Praxis des Religionsunterrichts in der Schule mithilfe dieser Arbeit nicht nur für den künftigen Unterricht des Verfassers selbst, sondern auch für andere Kolleginnen und Kollegen sowie Schülerinnen und Schüler zu befördern, wäre die Arbeit zu ihrem eigentlichen Ziel gelangt.
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Vgl. § 3, Kap. 2.1 „Kriterien der historischen Analyse“. Schröder , Religionspädagogik, S. 427.
§ 1 Theoretische Fundierung performativer Religionsdidaktik – die systematische Perspektive 1 Erkenntnisinteresse der systematischen Perspektive Das erste und umfangreichste Kapitel dieser Untersuchung widmet sich der Beantwortung einer vermeintlich schlichten Leitfrage. Was nämlich, so soll hier grundsätzlich geklärt werden, ist eigentlich damit gemeint, wenn in der Religionspädagogik von „performativer Religionsdidaktik“ gesprochen wird? Die theoretische Fundierung dieses viel diskutierten Ansatzes, oder genauer: dieses Bündels von durchaus unterschiedlichen Ansätzen, die sich unter dem Begriff der performativen Religionsdidaktik versammeln, stellt bis heute ein Desiderat religionspädagogischer Forschung dar. Die hier vorgelegte Studie wird deshalb zuallererst den Begriff des Performativen insoweit zu klären suchen, dass zumindest das Spektrum seiner Bedeutung für den hier zu betrachtenden Forschungsgegenstand deutlich wird. In der Einleitung wurde bereits erwähnt, dass performative Religionsdidaktik sowohl in der fachdidaktischen Theorie als auch im Hinblick auf ihre methodische Konkretion an grundsätzliche Fragen christlich-religiöser Bildungsbemühungen rührt. Mehr noch: Sie stellt in bestimmter Hinsicht das Ganze des traditionellen Verständnisses von christlicher Bildung, insbesondere in deren schulisch institutionalisierter Form, in Frage. Schon deshalb erfordert die angestrebte Klärung das umzusetzen, was Bernd Schröder als wesentlichen Bestandteil religionspädagogischer Forschung in systematischer Perspektive kennzeichnet, nämlich „das Augenmerk auf fundamentale Sachverhalte und Prinzipienfragen zu legen, die der Reflexion aller konkreten Handlungsfelder zu Grunde liegen“1. Diese Maßgabe umfasst im Falle dieser Studie die Erläuterung wesentlicher religionspädagogischer und fachdidaktischer Grundannahmen ebenso wie deren Kontextualisierung. Konkret geht es in diesem Kapitel zuerst um eine Annäherung an den Bezugsbegriff des Performativen. Dieser muss in dem größeren geisteswissenschaftlichen Kontext beschrieben werden, von dem aus er in die religionspädagogische Debatte eingeführt wurde (§ 1, Kap. 2). Anschließend erfolgt eine systematische Darstellung unterschiedlicher Weisen performativer Religions1
Schröder , Religionspädagogik, S. 167.
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§ 1 Theoretische Fundierung performativer Religionsdidaktik
didaktik, die hier „Spielarten“ genannt werden, um den ausgesprochen kreativen, oft auch spielerischen Umgang der jeweiligen Darstellungsformen mit den dargestellten „Inhalten“ zu unterstreichen.2 Die Darstellung verläuft entlang der diesbezüglich relevanten Schriften ausgewählter Vertreter performativer Ansätze (§ 1, Kap. 3). Im Einzelnen werden die Entwürfe von acht religionspädagogischen Autorinnen und Autoren vorgestellt. Diese haben zum einen nach meiner Wahrnehmung den fachdidaktischen Diskurs in nachhaltiger Weise beeinflusst; zum anderen wird in jeder einzelnen der beschriebenen Positionen exemplarisch eine unterschiedliche religionsdidaktische Rezeption des Performanzbegriffes in ihrer besonderen Kontur darstellbar. Der Fokus dieses ersten Kapitels liegt dabei ganz auf der möglichst präzisen Darstellung jener Spielarten performativer Religionsdidaktik. Eine Beurteilung ihrer argumentativen Tragfähigkeit, ihrer theologischen Berechtigung und ihrer praxisbezogenen Tragweite erfolgt im späteren Verlauf dieser Studie in einem dezidiert handlungsorientierenden Auswertungsteil (§ 4). Erst dort kann auch auf die Ergebnisse der weiteren Kapitel rekurriert werden, um einerseits resümierend und andererseits mit Blick auf zukünftigen Religionsunterricht Chancen und Grenzen der fachdidaktischen Anliegen performativer Religionsdidaktik abzuwägen. Die innerhalb dieses Kapitels vorgestellten Ansätze werden mithilfe von vier Kategorien untersucht. Diese gewähren aus verschiedenen fachdidaktisch relevanten Perspektiven Aufschluss darüber, was die untersuchten Vertreter unter performativer Religionsdidaktik verstehen: 1) Zunächst wird die jeweils vorgelegte Situationsanalyse in den Blick genommen. Die unterschiedlichen Diagnosen des zeitgenössischen Religionsunterrichts und seiner gesellschaftlichen wie pädagogischen Bedingungen, von denen ausgehend eine performative Umorientierung erfolgen soll, prägen in vielerlei Hinsicht die Gestalt der darauf reagierenden Didaktik. Darüber hinaus gewähren sie mit den daraus häufig abgeleiteten Abgrenzungsbemühungen nicht selten bereits Aufschluss über das jeweils profilierte Idealbild eines zukunftsfähigen Religionsunterrichts und damit indirekt auch über die erwartete, befürchtete oder erhoffte zukünftige Situation der Kinder und Jugendlichen, die heute unterrichtet werden. 2) Des Weiteren wird die vorliegende Studie schlaglichtartig diejenigen Begründungstraditionen skizzieren, die von den Autoren schwerpunktmäßig 2 Grundlegende Unterscheidungen einzelner Spielarten performativer Religionsdidaktik sind im religionsdidaktischen Diskurs bereits vorgelegt worden, etwa von C laudia Gärtner : Performative Religionspädagogik im Horizont kunstdidaktischer Performancearbeit, in: IJPT 13 (2009), S. 258–274, 259–267; M ichael D omsgen: Der performative Religionsunterricht – eine neue religionsdidaktische Konzeption?, in: RpB 54 (2005), S. 31–49, 37–40; Rudolf Englert: Performativer Religionsunterricht – eine Zwischenbilanz, in: ZPT 60 (2008), S. 3–16, 5–14; Bernhard Grümme: Mystagogische Performanz. Der Religionsunterricht als Raum religiöser Praxis, in: ThG 50 (2007), S. 291–300, 293–298.
2 Vorklärungen zum Begriff des Performativen
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rezipiert werden. Die Auseinandersetzung mit Denkansätzen etwa aus den philosophischen, psychologischen, kulturwissenschaftlichen und pädagogischen Nachbardisziplinen hat sich in den hier vorgestellten Einzelfällen in mitunter recht unterschiedlichen Richtungen als produktiv erwiesen. Dies gilt gerade im Hinblick auf das Generieren von Folgerungen für eine performative Religionsdidaktik. 3) Ein besonderer Fokus richtet sich drittens auf die Umrisse der didaktischen Theoriegebäude, die den einzelnen Spielarten zugrunde liegen. Hier ist jede Konzeption daraufhin zu befragen, was genau den Kern ihres Verständnisses von performativem Religionsunterricht ausmacht, welche Ziele ein solcher Unterricht intendiert und was gerade das performative Moment der jeweiligen Didaktik zum Erreichen dieser Ziele beiträgt. 4) Schließlich wird diese Studie methodische Konkretionen bzw. Konsequenzen betrachten, die in den einzelnen Entwürfen aus den jeweiligen Einsichten abgeleitet werden. Hier werden sowohl Unterrichtsmaterialien und erarbeitete Lernarrangements in den Blick genommen als auch programmatische methodische Folgerungen, die sich aus der zugrunde gelegten Fachdidaktik ergeben. Diese vier Kategorien stellen die zentralen Deutungsfolien dar, vor deren Hintergrund in diesem Kapitel die eingangs gestellte Leitfrage beantwortet wird. Dabei wird sich jedoch die folgende Darstellung in ihrem Aufbau zuerst an der argumentativen Struktur der jeweils referierten Schriften und Ansätze orientieren, ohne immer explizit die Kategorien in gleichförmigem Nacheinander an die Texte heranzutragen. So ist auf die Eigenheiten der Texte und ihre Argumentationsstrukturen einzugehen, ohne diese durch einen abstrakten Formalismus zu verzeichnen. Wenn beispielsweise Bernhard Dressler in besonderem Maße situationsbezogene Überlegungen in seine Schriften einbezieht (§ 1, Kap. 3.1.1), erfährt die Analysekategorie der Situationsanalyse in der Darstellung seines Ansatzes eine entsprechend ausführlichere Berücksichtigung als etwa bei Dietrich Zilleßen, der seine Didaktik stärker im Gespräch mit philosophischen Begründungstraditionen profiliert (§ 1, Kap. 3.3.1). Bevor allerdings die einzelnen Vertreter und Schwerpunkte performativer Religionsdidaktik in den Blick rücken können, sind einige grundsätzliche Vorklärungen zum Begriff des Performativen unabdingbar.
2 Vorklärungen zum Begriff des Performativen Performative Religionsdidaktik verwendet mit dem Attribut „performativ“ einen Begriff, der in den vergangenen 25 Jahren in verschiedenen Disziplinen der Geistes- und Kulturwissenschaften eine Schlüsselfunktion übernommen
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§ 1 Theoretische Fundierung performativer Religionsdidaktik
hat. Vielfach ist gar von einem performative turn die Rede, der einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel geisteswissenschaftlicher Forschung anzeigen soll.3 Bei genauerem Hinsehen fällt jedoch auf, dass sich innerhalb der einzelnen Disziplinen durchaus unterschiedliche Theorien des Performativen entwickelt haben. Diese lassen sich weder zu einer übergeordneten Metatheorie zusammenfassen, noch weisen sie einen trennscharf benennbaren Leitgedanken auf, der allen Einzelansätzen zugrunde liegt. Längst fungiert der Begriff des Performativen als umbrella term, unter dem sich ansonsten kaum aufeinander bezogene Forschungsperspektiven aus solch unterschiedlichen Feldern wie der Sprach-, Geschlechter-, Ritual-, Unterrichts- oder Theaterforschung zusammengefunden haben. Obwohl der Begriff selbst auf differente Aufbruchsbewegungen aus ebenso differenten Forschungsfeldern verweist, lassen sich doch einige übergreifende Akzentverschiebungen und gewisse Impulse benennen, die mit dem Begriff des Performativen und einer damit verbundenen Sichtweise in Beziehung stehen. Auch die performative Religionsdidaktik hat sich in ihrer Rezeption des Begriffes weniger auf exklusiv eine Theorie des Performativen bezogen, als vielmehr ein Bündel von Impulsen aufgenommen, die eher locker in der hier performative turn genannten Entwicklung zusammengefügt wurden. Schon in dieser Weise der Bezugnahme auf verschiedene Diskurszusammenhänge unter Berufung auf einen Einzelbegriff lässt sich eine Ursache für die vielen Differenzierungen performativer Religionsdidaktik, die im Folgenden als „Spielarten“ bezeichnet werden, erkennen. Bevor aber die Entwürfe performativer Religionsdidaktik selbst in den Fokus der Untersuchung rücken können, müssen zunächst die unterschiedlichen Bedeutungsspektren des Begriffes mitsamt der damit verbundenen Impulse für die pädagogische Praxis erläutert werden. Zuerst erfolgt ein Blick auf die Begriffsgeschichte. Dabei werden bereits unterschiedliche Verwendungszusammenhänge des Performativen zwischen „Performance“4 und „Performativität“ deutlich (§ 1, Kap. 2.1). Im Anschluss daran werden Impulse des performative turn benannt, die sich besonders in den Erziehungswissenschaften und – teilweise durch sie vermittelt – später auch in der Religionspädagogik und Religionsdidaktik als wirkmächtig erwiesen haben (§ 1, Kap. 2.2). Erst im 3 Vgl.
D oris Bachmann-M edick: Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek 2006, S. 104; Bernd H äsner / H enning S. Hufnagel u. a.: Text und Performativität, in: Theorien des Performativen. Sprache – Wissen – Praxis. Eine kritische Bestandsaufnahme, hg. v. K laus W. H empfer und Jörg Volbers, Bielefeld 2011, S. 69–96, 69; Ursula R ao / K laus-P eter Köpping: Die ‚performative Wende‘: Leben – Ritual – Theater, in: Im Rausch des Rituals. Gestaltung und Transformation der Wirklichkeit in körperlicher Performanz, hg. v. dens., Hamburg 2000, S. 1–31. 4 Obwohl der Begriff „Performance“ aus dem Englischen stammt und dort als Substantiv kleingeschrieben werden müsste, bevorzugt diese Studie die Großschreibung des inzwischen in deutschen Fachdiskursen gängigen Fachwortes. Lediglich im Zusammenhang englischer Originalzitate wird „Performance“ im Folgenden kleingeschrieben.
2 Vorklärungen zum Begriff des Performativen
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weiteren Verlauf dieses ersten Hauptteils kann dann, an jene Vorklärungen anschließend, differenziert werden, inwiefern Unterschiede zwischen den einzelnen Spielarten performativer Religionsdidaktik schon in deren Rezeption des Performanzbegriffes angelegt sind (§ 1, Kap. 3).
2.1 Begriffsgeschichte und Bedeutungsspektren des Performativen Die unterschiedliche Weise, in der sich performative Religionsdidaktiker auf den Begriff „Performanz“ und das entsprechende Adjektiv „performativ“ beziehen, hat im Kern schon mit diesem Begriff selbst zu tun. Das deutsche Wort „Performanz“ kann sowohl im Sinne des (englischen) „Performance“ als auch im Sinne von „Performativität“ gebraucht werden – und damit etwas jeweils anderes bezeichnen sowie auf unterschiedliche Theoriediskurse verweisen.5 M. E. lassen sich mindestens drei solcher Diskurse unterscheiden: der sprachphilosophische (1), der theater- (2) und der kulturwissenschaftliche (3). Im Vollzug dieser Diskurse wurden weitgehend unabhängig voneinander Theorien des Performativen entwickelt. Auch aufgrund der wissenschaftsgeschichtlichen Chronologie ist hierbei zuerst auf die grundlegenden Überlegungen der Sprachphilosophie einzugehen.
2.1.1 Sprachphilosophische Wurzeln Der Begriff „performativ“ findet sich als Neologismus erstmals in den postum veröffentlichten Vorlesungen „How to Do Things with Words“ des britischen Sprachphilosophen John L. Austin.6 Die „Theorie der Sprechakte“7, die Austin in seinen Vorlesungen vorstellt, begreift in ihrem Kern jedes Sprechen, jede Äußerung als eine Art des Handelns.8 Er unterscheidet darin zunächst solche 5
Diese Unterscheidung wurde bereits vielfach vorgenommen. Vgl. z. B. K laus W. H empPerformance, Performanz, Performativität. Einige Unterscheidung zur Ausdifferenzierung eines Theoriefeldes, in: Theorien des Performativen. Sprache – Wissen – Praxis. Eine kritische Bestandsaufnahme, hg. v. dems. und Jörg Volbers, Bielefeld 2011, S. 13–41. Dezidiert auf die performative Religionsdidaktik bezieht die begriffliche Problematik H anna Roose: Performativer Religionsunterricht zwischen ‚Performance‘ und ‚Performativität‘, in: Loccumer Pelikan 3 (2006), S. 110–115. 6 John L. Austin: How to Do Things with Words. The William James Lectures Delivered at Harvard University in 1955, hg. v. James Opie Urmson und M arina Sbisà , Oxford 21975; dt. Ausgabe: John L. Austin: Zur Theorie der Sprechakte, übers. v. Eike von Savigny, Stuttgart 1972; vgl. Ekkehard König: Bausteine einer allgemeinen Theorie des Performativen aus linguistischer Perspektive, in: Theorien des Performativen. Sprache – Wissen – Praxis. Eine kritische Bestandsaufnahme, hg. v. K laus W. H empfer und Jörg Volbers, Bielefeld 2011, S. 43–68, 45. 7 Austin, Theorie der Sprechakte, Titelformulierung. 8 Die Handlungsdimension, die Austin in seinen späteren Vorlesungen als „Illokution“ bezeichnet, markiert für ihn neben der „Lokution“ (dem Bezug zur Welt) einen Aspekt jeder Äußerung. Vgl. König, Theorie des Performativen, S. 46. fer :
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§ 1 Theoretische Fundierung performativer Religionsdidaktik
Sprechakte, die einen „konstativen“9 Charakter aufweisen, indem sie feststellende Aussagen über die Welt formulieren, die als wahr oder falsch beurteilt werden können (z. B. „Die Früchte des Baumes schmecken gut“; „Gestern gingen wir gemeinsam über die Straße“), und solche, die einen „performativen“10 Charakter aufweisen, indem sie die Welt, in die hinein sie geäußert werden, aktiv verändern (z. B. „Ich erkläre euch zu Mann und Frau“; „Ich taufe das Schiff auf den Namen Franziska“). Der Begriff „performativ“ bezeichnet in diesem Sinne eine Eigenschaft bestimmter Äußerungen, das in ihnen zur Sprache Kommende tatsächlich herbeizuführen. Solche Äußerungen können nicht entweder wahr oder falsch sein, sie können nur entweder gelingen oder nicht gelingen. Austin leitet den Begriff vom englischen Verb „to perform“ ab, das etwa mit „aufführen“, „leisten“, hier aber besonders treffend mit „ausführen“ übersetzt werden kann. Im Zentrum des Begriffs steht bei Austin das praktische Vollziehen einer Sprachäußerung, die potentiell eine neue Wirklichkeit zu konstituieren vermag.11 Nach Austin kann nur eine kleine Gruppe von Äußerungen in dieser Hinsicht als performativ bezeichnet werden. Solche Äußerungen müssen eine Vielzahl an sprachlichen und kommunikationsbezogenen Kriterien erfüllen. Auch in seinen späteren Vorlesungen, in denen Austin die Dichotomie „konstativ“ vs. „performativ“ mangels grammatischer Unterscheidungskriterien bereits aufgegeben und in eine allgemeinere Theorie der Sprechakte überführt hat,12 hält er gleichwohl an einem Sonderstatus der jetzt als „explizit performativ“13 bezeichneten Äußerungen fest. Nach Klaus W. Hempfer müssen die „explizit performativen“ Äußerungen im Sinne Austins über vier Attribute verfügen, um distinktiv zu sein: Sie müssen in einer Sprechsituation mit „ich-hier-jetzt-Deixis“14 geäußert werden (1); es muss eine Verbindung zwischen einer sprachlichen und einer weiteren Handlung bestehen, wobei die weitere Handlung durch die sprachliche Handlung konstituiert werden kann (2); es muss eine Simultaneität zwischen diesen beiden Handlungen auf Grundlage der Identität von Sprechendem und Handelndem gegeben sein (3); die Äußerung muss eine autoreflexive Semantik aufweisen, bei der das Gesprochene zugleich den Akt konstituiert, den es be-
9 Austin,
Theorie der Sprechakte, S. 25.
10 Ebd., S. 27. 11 M ichael G öhlich:
Performative Äußerungen. John L. Austins Begriff als Instrument erziehungswissenschaftlicher Forschung, in: Grundlagen des Performativen. Eine Einführung in die Zusammenhänge von Sprache, Macht und Handeln, hg. v. C hristoph Wulf u. a., Weinheim / München 2001, S. 25–46, 27. 12 Stattdessen unterschied Austin in der Folge lokutionäre, illokutionäre und perlokutionäre Sprechakte. Vgl. Austin, Theorie der Sprechakte, S. 110–122; König, Theorie des Performativen, S. 46; H empfer , Performance, S. 19. 13 Austin, Theorie der Sprechakte, S. 149. 14 H empfer , Performance, S. 23.
2 Vorklärungen zum Begriff des Performativen
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deutet (4).15 Sind sämtliche dieser vier Bedingungen erfüllt, ergibt sich daraus eine Art „Prototyp der performativen Äußerung“16, der sich trennscharf von anderen Sprachhandlungen (Performances) abgrenzen lässt. Der folgende Satz des amerikanischen Philosophen John R. Searle, der Austins Sprechakttheorie ab 1968 systematisch fundierte und ausbaute, führt diese Unterscheidung zwischen dem Begriff Performance, mit dem Sprache grundsätzlich als Form des Handelns bezeichnet wird, und Performativität, die als besondere Ausdrucksqualität einer bestimmten Sondergruppe von Äußerungen („performatives“) verstanden wird, pointiert vor Augen: „[…] though every utterance is indeed a performance, only a very restricted class are ‚performatives‘.“17 Der Ertrag der sprachphilosophischen Grundlegung des Begriffes des Performativen lässt sich im Hinblick auf das Untersuchungsinteresse dieser Studie wie folgt zusammenfassen: Es gibt Formen des sprachlichen Handelns, die nicht darauf beschränkt sind, über die Welt, von der sie sprechen, lediglich zu berichten oder sie zu repräsentieren, sondern die selbst im Vollzug des Sprechens in diese Welt eingreifen und sie verändern. Indem sich bestimmte Sprechakte als Wirklichkeit allererst konstituierende und als diese Wirklichkeit verändernde Kräfte erweisen, erweisen sie sich als performativ.
2.1.2 Das Performative in der Theaterwissenschaft Vom sprachphilosophischen Verständnis des Performativen sind die Überlegungen zur „Ästhetik des Performativen“18 zu unterscheiden. In der Theaterwissenschaft wird der Begriff „Performance“ als Stammbegriff zur Bezeichnung theatraler Aufführungen verwendet – und zwar schon lange bevor das Adjektiv „performativ“ bei Austin als Wortneuschöpfung begegnet. Erst in jüngerer Zeit wird die theatrale Performance auch auf ihre Performativität hin systematisch untersucht. Eine Schlüsselrolle kommt hier der Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte zu. Seit 1999 hat sie eine entsprechende Theorie für ihre Teildisziplin erarbeitet. Dies geschah vornehmlich im Rahmen eines DFG Sonderforschungsbereichs an der FU Berlin zu „Kulturen des Performativen“. Zwar bezieht sich Fischer-Lichte wiederholt auf Austin (s. o.) sowie Judith Butler und Victor Turner (s. u.), jedoch setzt ihre Theorie des Performativen als Theorie der 15 Vgl. ebd.,
S. 23 f. Hempfer bezieht sich hier nicht ausschließlich auf die Bedingungen Austins, sondern nimmt auch Weiterentwicklungen seiner Sprechakttheorie auf, etwa die wohl berühmteste des amerikanischen Philosophen John R. Searle. Vgl. John R. Searle: Sprechakte. Ein sprachphilosophischer Essay, übers. v. R. u. R. Wiggershaus, Frankfurt a. M. 1971, v. a. S. 78–113. 16 H empfer , Performance, S. 24. 17 John R. Searle: How Performatives Work, in: Linguistics and Philosophy 12 (1989), S. 535–558, 536. Ich zitiere hier auf Englisch, um Searles verwendete Begriffe „performance“ und „performatives“ in ihrer Relation vor Augen zu führen. Vgl. H empfer , Performances, S. 14; König, Theorie des Performativen, S. 46 f. 18 Erika Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen, Frankfurt a. M. 2004.
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§ 1 Theoretische Fundierung performativer Religionsdidaktik
„Aufführung“ bzw. „Performance“19 Schwerpunkte, die deutlich von den dargestellten oder noch darzustellenden Ansätzen zu unterscheiden sind. Die theatrale Aufführung versteht Fischer-Lichte als „Inbegriff des Performativen“20, denn „Aufführungen sind immer performativ, während nicht alles, was wir als performativ begreifen, in einer Aufführung in Erscheinung treten muss.“21 Im Hinblick auf das Untersuchungsinteresse dieser Studie ist hierbei besonders relevant, dass die bei Fischer-Lichte implizierte Konzentration auf die Performance eine grundsätzliche Aufwertung der theatralen Inszenierung gegenüber der zu inszenierenden Textvorlage einschließt. Mehr noch: Im Verhältnis zwischen dem Werk und seiner Aufführung wird die Gewichtung umgekehrt. Wurde die textliche Grundlage in traditionellen Sichtweisen als zeitlos, bedeutungstragend und somit der Aufführung vorgeordnet angesehen, so wird in der neuen Perspektive die ereignishafte Konkretion in Form einer Performance als der wichtigere Pol angesehen. Die theaterwissenschaftliche Theorie des Performativen „rückt all das in den Mittelpunkt, was nicht in einer Partitur festgeschrieben ist.“22 Insofern kann Ekkehard König den wesentlichen Beitrag der Theaterwissenschaft zur Theorie der Performativität pointiert als „Rehabilitierung der Oberfläche“ gegenüber der „essenzialistischen [Annahme einer] Tiefenstruktur“23 bezeichnen. Die konkrete Performativität der Aufführung/Performance hängt nach Fischer-Lichte von mehreren Bedingungen ab, von denen drei mit Blick auf die performative Religionsdidaktik von besonderem Interesse sind: Zuerst und besonders ausführlich hebt sie die „leibliche Ko-Präsenz“24 als Voraussetzung für die Performativität jeder Performance hervor (1). Die Aufführung vollzieht sich als „Spiel“25, an dem Akteure und Zuschauer aktiv handelnd beteiligt sind: „Was immer die Akteure tun, hat Auswirkungen auf die Zuschauer, und was immer die Zuschauer tun, hat Auswirkungen auf die Akteure und andere Zuschauer.“26 Dieser Prozess erfolgt ko-präsentisch, denn die Aufführung erzeugt sich durch die nicht vorhersehbare Aktivität aller Beteiligten im Prozess ihres Entstehens selbst.27 19 Erika Fischer-Lichte: Performativität. Eine Einführung, Bielefeld 2012, S. 45 (Hervorhebung FD). Beide Begriffe werden von Fischer-Lichte synonym verwendet. 20 Erika Fischer-Lichte: Einleitende Thesen zum Aufführungsbegriff, in: Kunst der Aufführung – Aufführung der Kunst, hg. v. ders. u. a., Berlin, S. 11–26, 11. Vgl. H äsner / Huf nagel u. a., Text und Performativität, S. 79. 21 Fischer-Lichte , Performativität, S. 53. 22 König, Theorie des Performativen, S. 52. 23 Ebd., S. 53. 24 Fischer-Lichte , Performativität, S. 54. 25 Ebd. 26 Vgl. ebd., S. 54 ff. Fischer-Lichte bezieht sich in ihren Ausführungen zur Ko-Präsenz auf einen Gedanken des Theaterwissenschaftlers Max Hermann. 27 Vgl. ebd., S. 55.
2 Vorklärungen zum Begriff des Performativen
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Das zweite konstitutive Merkmal der theatralen Performativität sieht Fischer-Lichte in der Ereignishaftigkeit der Performance (2). Die Aufführung, so der zentrale Gedanke, ist nicht als fertiges „Werk“ oder „Produkt“ dauerhaft vorhanden, sondern nur als flüchtiges, einmaliges, unwiederholbares „Ereignis“28 zu beschreiben. Weil Aufführungen in einem „autopoietischen Prozess“29 sich selbst erzeugen, führen sie nicht zu einem Ergebnis, das außerhalb dieses Prozesses fassbar wäre: „Es gibt sie nur als und im Prozess der Aufführung; es gibt sie nur als Ereignis.“30 Das hic et nunc, in das hinein und aus dem heraus die Aufführung Gestalt gewinnt, wird auf diese Weise zur entscheidenden Bezugsgröße. Schließlich erweist sich die Aufführung darin als performativ, dass sie neue Bedeutung hervorbringt, die außerhalb ihrer selbst nirgends vorgegeben ist (3).31 Auch hier zeigt sich die oben angesprochene „Rehabilitation der Oberfläche“ (König): die ereignishafte Performance ist die bedeutungskonstituierende Größe schlechthin. Ihr gegenüber tritt das Skript, die materiell vorhandene Vorlage, auf die sich die Aufführung in welcher Weise auch immer bezieht, deutlich zurück: „Das Textuelle erscheint gegenüber dem Performativen als das Fixierte gegenüber dem Fluiden, das Geschlossene gegenüber dem Offenen, das Festgefügte gegenüber dem Prozess.“32 Fischer-Lichtes Aufführungsbegriff tendiert also dazu, den Text als Vorlage einer Bühnenrealisation nahezu auszublenden. In dieser Hinsicht konvergiert ihr Ansatz mit poststrukturalistischen Tendenzen der gegenwärtigen Literaturwissenschaft, die ihrerseits den Text selbst dynamisieren, seine prinzipielle Offenheit betonen und die Textbedeutung vornehmlich als Resultat ereignishafter Leser-Text-Interaktion verstehen.33 Aus Sicht der performativen Religionsdidaktik besteht der Ertrag der theaterwissenschaftlichen Theorie des Performativen in dieser Umkehrung der Gewichtung von Tiefen- und Oberflächenstruktur. Alle Aufmerksamkeit richtet sich auf die Performance, die konkrete Realisierung als ko-präsentische, ereignishafte und bedeutungskonstituierende Aufführung. Nur die Oberfläche, nämlich das, was sich in der Gestaltung auf einer Bühne im Zusammenspiel von Akteuren und Zuschauern aktuell darstellt, ist von Bedeutung und bringt die Bedeutung selbst hervor. In dieser Hinsicht erweist sich die Performance, von der hier synonym zur Aufführung gesprochen wird, als performativ.
28 29
Ebd., S. 67. Ebd. 30 Ebd. 31 Vgl. König, Theorie des Performativen, S. 52. 32 H äsner / Hufnagel u. a., Text und Performativität, S. 69. 33 Vgl. ebd., S. 70; 79.
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§ 1 Theoretische Fundierung performativer Religionsdidaktik
2.1.3 Der ‚performative turn‘ in den Kulturwissenschaften Der oben bereits eingeführte Begriff des performative turn bezeichnet einen forschungsgeschichtlichen Paradigmenwechsel, der sich in unterschiedlichen geisteswissenschaftlichen Disziplinen seit den 1970er Jahren vollzogen hat. Entscheidende Impulse dieser Wende gingen neben der Sprachphilosophie und der Theaterforschung von einer Vielzahl weiterer Disziplinen aus, die sich unter dem Begriff der Kulturwissenschaften vereinen lassen. Gemeint sind insbesondere die Ethnologie, Anthropologie, Soziologie sowie die Geschlechterforschung, die sich im Zuge dieser Wende erst etablierte. Im Sinne der kulturwissenschaftlichen Deutung steht der performative turn im Kern für die Einsicht, dass nicht in erster Linie monumentale Darstellungen, Produkte der bildenden Kunst, Texte oder andere dauerhaft-materiale Bedeutungsträger Auskunft über das Leben von Kulturen geben, sondern Rituale, Inszenierungen, soziale Verhaltensweisen, also Vorgänge, die sich in veränderbaren Prozessen ereignen, statt auf vorhandene, fixierte Strukturen Bezug zu nehmen.34 Kultur insgesamt ist demnach „nicht als Gewebe distinkter, decodierbarer Einzelelemente, sondern als performance zu verstehen“35. Im Folgenden sollen mit Victor Turners Ritualtheorie sowie Judith Butlers Genderstudies exemplarisch zwei besonders einflussreiche kulturwissenschaftliche Ansätze auf ihren Ertrag bezüglich des Performanzbegriffes hin befragt werden. Beide haben sich jeweils auch auf die Begriffsrezeption performativer Religionsdidaktiker ausgewirkt. Die Ritualanalyse des schottischen Ethnologen Victor Turner hat die kulturwissenschaftliche Erforschung des Performativen in besonderem Maße vorangetrieben. J. Lowell Lewis entdeckt in Turners Werk gar eine „Unified Theory of Cultural Performance.“36 Turner untersuchte anhand von mehreren Feldstudien, insbesondere an dem Volksstamm der Ndembu im nordwestlichen Sambia, die idealtypische Verlaufsstruktur von Ritualen.37 Nach Turner „regeln [Rituale] mit individuellen Statusänderungen und gesellschaftlichen Übergängen ver34 Vgl. Bachmann -M edick , Cultural Turns, S. 104 f.; zur Rezeption „kulturwissenschaftlicher Grundkategorien“ aus Sicht performativer Religionsdidaktik vgl. ferner Ursula Roth: Von der Inszenierung bis zur Performativität. Der Religionsunterricht im Lichte kulturwissenschaftlicher Grundkategorien, in: Performative Religionsdidaktik. Religionsästhetik – Lernorte – Unterrichtspraxis, hg. v. Thomas K lie und Silke Leonhard, PTHe 97, Stuttgart 2008, S. 38–50. 35 H äsner / Hufnagel u. a., Text und Performativität, S. 70. 36 J. L owell Lewis: Toward a Unified Theory of Cultural Performance. A Reconstructive Introduction to Victor Turner, in: Victor Turner and Contemporary Cultural Performance, hg. v. Graham St John, New York 2008, S. 41–58, 41. 37 Vgl. Bachmann -M edick , Cultural Turns, S. 11 ff. Turner bezieht sich in seiner Ritualanalyse auf Arnold van Gennep, dessen dreiphasiges Schema er übernimmt und seinen Feldstudien zugrunde legt. Turners Analyse kann als Neuinterpretation der Vorarbeiten v. G enneps angesehen werden. Für eine sorgfältige Auflistung und Erläuterung der Phasen vgl. ebd., S. 115.
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bundene Gefährdungen oder Bedrohungen der sozialen Ordnung.“38 Der Bezug von Ritualen als performativen Handlungen zur sozialen Einbindung von Menschen in Gemeinschaften ist für Turner wesentlich.39 Performativ sind Rituale in diesem Sinne, weil sie die Wirklichkeit, in der sie stattfinden, in ihrem Vollzug verändern. Rituale sind nicht bloß (z. B. zeremoniale) Abbildung oder Repräsentation von Wirklichkeit, sondern ein im Vollzug kreatives, die Wirklichkeit veränderndes Geschehen: „Eine Zeremonie ist indikativisch, ein Ritual transformativ.“40 Die durch Rituale evozierten Transformationsprozesse können sowohl das Individuum betreffen, etwa in Bezug auf dessen sozialen Status oder dessen Zugehörigkeit zu einer Gruppe, als auch die Gemeinschaft, etwa in Bezug auf die Bewältigung von Krisen und Konflikten.41 In der Struktur der Rituale entdeckt Turner zudem eine Nähe zu theatralen Inszenierungen. Diese zeigt sich für ihn daran, dass Rituale alle Sinne einbeziehen und dass ihnen eine Dramaturgie zugrunde liegt, in der bestimmte Regeln gelten.42 Insgesamt begegnet in Turners Ritualtheorie erstmals eine Vorstellung von Kultur als einer Gemeinschaft, die sich selbst fortwährend in performativen Veränderungsprozessen neu definiert.43 Als Wirklichkeit transformierende Größe spielen die Rituale in diesem Prozess eine entscheidende Rolle. Turners auch methodisch reflektierte Vorgehensweise kann als Frühform einer Analysestrategie bezeichnet werden, die konsequent „cultural performances“44 entlang ihrer Wirkungsstruktur in den Blick nimmt. Seine Grundlegung einer „Performativitätsforschung“45 erweist sich im 38
König, Theorie des Performativen, S. 55. 39 Vgl. Monika Wagner-Willi: Liminalität
und soziales Drama. Die Ritualtheorie von Victor Turner, in: Grundlagen des Performativen. Eine Einführung in die Zusammenhänge von Sprache, Macht und Handeln, hg. v. C hristoph Wulf u. a., Weinheim / München 2001, S. 227–252, 227. 40 Victor Turner : Vom Ritual zum Theater. Der Ernst des menschlichen Spiels, übers. v. Sylvia M. Schomburg -Scherff, Frankfurt a. M. / New York 1989, S. 128. 41 Gerade der gemeinschaftliche Umgang mit Konflikten interessierte Turner. In diesem Zusammenhang prägte er den Begriff des „sozialen Dramas“. Vgl. Turner , Vom Ritual zum Theater, S. 95 ff.; Vgl. hierzu ferner ausführlich Wagner-Willi, Liminalität und soziales Drama, S. 227. 42 Vgl. Turner , Vom Ritual zum Theater, S. 161–195; Wagner-Willi , Liminalität und soziales Drama, S. 227. 43 Vgl. Bachmann -M edick , Cultural Turns, S. 107. 44 Dieser Begriff wird inzwischen innerhalb des kulturwissenschaftlichen Fachdiskurses vielfach verwendet, um „menschliches Handeln als aufführendes kulturelles Handeln“ (Wulf u. a., Sprache, Macht und Handeln, S. 9) zu bezeichnen. Erstmals verwendet wird der Begriff von M ilton Singer: Traditional India. Structure and Change, Philadelphia 1959, z. B. S. 71. 45 Von einem solchen Forschungszweig lässt sich angesichts der Fülle an jüngst veröffentlichten Untersuchungen, die sich mit Theorien des Performativen auseinandersetzen, durchaus sprechen. Der Sonderforschungsbereich „Kulturen des Performativen“, der von 1999 bis 2010 an der FU Berlin eingerichtet war, hat eine Professionalisierung dieser Forschungsperspektive weiter vorangetrieben. Den Begriff verwenden z. B. H äsner / Hufnagel u. a., Text und Performativität, S. 79.
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Hinblick auf diese Untersuchung auch deshalb als bedeutsam, weil sie das praktische Moment im Vorgang der kulturellen Errichtung von Bedeutung hervorhebt. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Genderstudies der amerikanischen Philosophin und Philologin Judith Butler zu verweisen. Sie bezieht sich ausdrücklich auf Turners Ritualtheorie und betont insbesondere die Performativität sozialer Handlungen. Im Zentrum ihrer Theorie des Performativen steht die Infragestellung des Geschlechts als biologischer Kategorie.46 Die geschlechtliche Identität sei nicht natürlich gegeben, sondern konstituiere sich über das Medium Körper vermittelt durch die „stilisierte Wiederholung von Akten“47 in einem performativen Vollzug. Der Körper wird von Butler auf diese Weise „entbiologisiert“48 und als Resultat des fortwährenden und weitgehend unbewussten gesellschaftlichen Zitierens von Geschlechternormen definiert. Die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht wird so zu einem Effekt normierender Zuschreibungen, die nicht auf einen inneren Kern verweisen, sondern lediglich die diskursiv vermittelten Normen widerspiegeln. Das Performative versteht Butler in diesem Prozess als „die Macht des Diskurses, durch ständige Wiederholungen Wirkungen zu produzieren.“49 Indem konventionelle Zuschreibungen, die nach Butler in westlichen Gesellschaften auf dem kulturellen Konstrukt heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit fußen, im Diskurs fortwährend weitervermittelt werden, reproduziert die Diskursgemeinschaft lediglich ihre eigenen Konstruktionen. Diese sind in keiner Weise substantiell, sondern werden einzig durch die Performativität der Zuschreibungen anerkannt: „Die Performanz der Geschlechtszugehörigkeit erzeugt rückwirkend den Effekt eines irgendwie wahren oder bleibenden Wesens.“50 Hierbei geht Butler nicht mehr von einem Subjekt aus, das sich in Handlungen, Auftreten und Haltungen selbst inszeniert und darin seine Identität zum Ausdruck bringt. Im Gegenteil wird das Subjekt überhaupt nur insofern real, als es sich aufführt.51 Die Konstitution des 46 Vgl. Judith
Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, übers. v. K atharina M enke , Frankfurt a. M. 1991; Bachmann-M edick , Cultural Turns, S. 127 f. 47 Judith Butler : Performative Akte und Geschlechterkonstitution. Phänomenologie und feministische Theorie, in: Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften, hg. v. Uwe Wirth, Frankfurt a. M. 2007, S. 301–320, 302 (im Original hervorgehoben). 48 Bachmann -M edick , Cultural Turns, S. 127. 49 H annelore Bublitz: Judith Butler. Zur Einführung, Dresden 32010, S. 71. 50 Judith Butler : Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung, Frankfurt a. M. 2001 (Hervorhebung FD). 51 Vgl. A nja Tervooren: Körper, Inszenierung und Geschlecht. Judith Butlers Konzept der Performativität, in: Grundlagen des Performativen. Eine Einführung in die Zusammenhänge von Sprache, Macht und Handeln, hg. v. C hristoph Wulf u. a., Weinheim / München 2001, S. 157–180, 158 f. In dieser Vorstellung zeigt sich nicht zuletzt Butlers Nähe zum Poststrukturalismus, die sie insbesondere in Auseinandersetzungen mit der Diskurstheorie Michel Foucaults, aber auch den grundlegenden Arbeiten Jacques Derridas entwickelt. Vgl. Butler , Unbehagen der Geschlechter, S. 142–165.
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Subjekts erfolgt allererst innerhalb der Aufführung selbst. Gerade deshalb sind die geschlechterkonstituierenden Akte in hohem Maße performativ. Butlers Geschlechtertheorie steht in dieser Hinsicht exemplarisch für die Kernimpulse des performative turn. Hier wird die Vorstellung von einer essenzialistischen Wesensbestimmung einer in sich geschlossenen und eindeutigen Identität verabschiedet.52 Stattdessen führt Butler sämtliche kulturelle Geschlechtervorstellungen auf performative Konstruktionsprozesse zurück. Der Ertrag der Ansätze Turners und Butlers hinsichtlich des Bedeutungsspektrums des Performativen lässt sich wie folgt zusammenfassen: In seinem kulturwissenschaftlichen Gebrauch kann der Begriff des Performativen auch den konstitutiven, wirklichkeitstransformierenden Charakter sozialer Handlungen und Aufführungen hervorheben. Menschliches Verhalten wird als „cultural performance“53 verstanden, nämlich als aufführendes, kulturelles Handeln, dessen körperlichen und verkörperten Vollzügen zentrale Rollen im Prozess der Entstehung kultureller Bedeutung zukommen. Auch in den kulturwissenschaftlichen Theorien des Performativen treten die Vorstellungen eines substantiellen Bedeutungsgehaltes, der den „cultural performances“ zugrunde liegen könnte, zugunsten der Konzentration auf die inszenierten Oberflächen in den Hintergrund.
2.2 Impulse des ‚performative turn‘ für die Erziehungswissenschaft Auch im erziehungswissenschaftlichen Fachdiskurs ist der Begriff des Performativen in jüngerer Zeit zunehmend rezipiert worden.54 Obwohl der oben skizzierte Paradigmenwechsel, wie gesehen, auf differenten Theorien des Performativen beruht, die schwerlich auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind, zeichnen sich doch zumindest drei wesentliche Impulse ab, mit denen der performative turn auf die Erziehungswissenschaft eingewirkt hat. Im Folgenden können entlang dieser Impulse auch jeweils Schärfungen des Performanzbegriffes in pädagogischer Lesart erfolgen, die zusammenfassend vor Augen führen, worauf eine „performative Pädagogik“ bzw. „performative Bildungstheorien“55 ihr zentrales Interesse richten.
52 Vgl. Butler , Unbehagen der Geschlechter, S. 27; Bachmann -M edick , Cultural Turns, S. 127. 53 Singer , Traditional India, S. 71. 54 Vgl. z. B. M artina Koch: Performative Pädagogik. Über die welterzeugende Wirksamkeit pädagogischer Reflexivität, Münster 1996; C hristoph Wulf / Jörg Zirfas (Hg.): Pädagogik des Performativen. Theorien – Methoden – Perspektiven, Weinheim / Basel 2007. 55 C hristoph Wulf / Jörg Z irfas: Performative Pädagogik und performative Bildungstheorien. Ein neuer Fokus erziehungswissenschaftlicher Forschung, in: Pädagogik des Performativen. Theorien – Methoden – Perspektiven, hg. v. dens., Weinheim / Basel 2007, S. 7–40.
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Der erste Impuls betrifft das Primat der „Oberflächen-“ gegenüber der „Tiefenstruktur“56, die vor allem in der theaterwissenschaftlichen Theorie als Kern des Performativen identifiziert worden ist (1). Die Performativität der theatralen Aufführung entsteht nach Fischer-Lichte vor allem in der ko-präsentischen, ereignishaften Performance als flüchtiger und einmaliger Realisierung. Die Bedeutung der Performance ist also nicht schon außerhalb ihrer selbst fixiert, etwa in einer textlichen Vorlage. Eine performative Erziehungswissenschaft hat Erziehungs- und Bildungsprozesse in diesem Sinne als Durchführung von Aufführungen (Performances) zu beschreiben und als Abfolge von Inszenierungen zu entwerfen.57 Diese Blickrichtung impliziert eine Akzentverschiebung weg von der Ebene des essenzialistischen „Was“ hin zur Ebene des prozesshaften „Wie“58. Diesbezüglich erweisen sich auch die ritualtheoretischen Einsichten als grundlegend. Diese zeigen auf, wie „cultural performances“59 etwa in familiären, gesellschaftlichen oder auch schulischen Zusammenhängen als Aufführungen betrachtet werden können, deren Wirkungszusammenhänge sich sowohl beschreiben (vgl. Turner) als auch kritisieren (vgl. Butler) lassen. Das Primat der Oberflächenstruktur betrifft sowohl die erziehungswissenschaftliche Forschungsmethodik als auch die Gestaltung pädagogischer Praxis.60 Beide Bereiche haben stärker die performativen Einflussfaktoren der zu gestaltenden oder zu analysierenden Inszenierungsprozesse zu beachten: deren zeitliche und räumliche Rahmung, die Dramaturgie der Interaktionen und Rituale, die Aktivierung der Wahrnehmungskanäle und nicht zuletzt die Körperlichkeit. Der performative turn fordert die Pädagogik insofern auf, pädagogische Wirklichkeiten nicht nur wie einen Text zu lesen, sondern den Blickwinkel von dem „in der Repräsentation Repräsentierte[n]“ auf „den Umgang mit der Repräsentation bzw. mit den Praktiken des Repräsentierens“61 zu verlagern. Dieser Impuls verlangt, das Verhältnis von Inhalt und Darstellungsform in pädagogischen Vollzügen neu zu justieren. Der zweite Impuls erwächst aus der wirklichkeitsverändernden und Wirklichkeit konstituierenden Eigenschaft sprachlicher Äußerungen und sozialer Handlungen (2). Austin bezeichnet ausschließlich solche Sprechakte als explizit-performativ, die im Vollzug ihres Geäußert-Werdens die Veränderung, von der sie sprechen, selbst herbeiführen. Butler überträgt eine vergleichbare Per56
König, Theorie des Performativen, S. 52. Wulf / Zirfas, Performative Pädagogik, S. 18. 58 Ebd., S. 11. 59 Singer , Traditional India, S. 71; vgl. § 1, Kap. 2.1.3 „Der performative turn in den Kulturwissenschaften“. 60 Vgl. M ichael G öhlich: Kindliche Mimesis und pädagogische Muster. Zum Performativen als Ebene der Praxis pädagogischer Institutionen, in: Pädagogik des Performativen. Theorien – Methoden – Perspektiven, hg. v. C hristoph Wulf und Jörg Zirfas, Weinheim / Basel 2007, S. 137–148, 138. 61 Wulf / Z irfas , Performative Pädagogik, S. 9. 57
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formativität auch auf solche Sprachhandlungen und Verhaltensweisen, die zitathaft und wiederholend gesellschaftliche Normen zuschreiben und diese darin immer wieder neu bestätigen. Für die Pädagogik folgt daraus zunächst die Einsicht, dass auch in Erziehungs- und Bildungsprozessen Realität potentiell neu konstituiert wird – und zwar in Abhängigkeit zu den performativen Handlungen der am Aufführungsprozess beteiligten Akteure. „Performatives Handeln schafft soziale Konstruktionen, Institutionen und je nach kultureller Praxis unterschiedliches praktisches Wissen“62, betonen die Erziehungswissenschaftler Christoph Wulf, Michael Göhlich und Jörg Zirfas in diesem Zusammenhang. Aus der Perspektive des Performativen muss die Pädagogik neu reflektieren und verantworten, in welcher Art und Weise pädagogisches Handeln, etwa in der Bildungsinstitution Schule, an der Herstellung von Wirklichkeit beteiligt ist. Dies betrifft insbesondere die schulischen Vermittlungsformen, in denen pädagogische Praxis selbst performative Prozesse auslöst und gestaltet. Die Veränderbarkeit tradierter Erziehungs- und Bildungsmuster wird grundsätzlich unterstrichen. Der Blickwinkel des Performativen impliziert die Möglichkeit für die einzelnen Menschen, „dass sie an ihren Erziehungs- und Bildungsbedingungen, mithin an ihren Selbst- und Weltverhältnissen, selbst mitwirken, d. h. in der Lage sind, sich selbst eine Form geben zu können.“63 Dieses performative Potential wird in den kulturwissenschaftlichen und theaterwissenschaftlichen Theorien des Performativen auch dort angenommen, wo Inszenierungshandlungen sich an überlieferten Ritualen oder dramatischen Textvorlagen orientieren. Im Modus der mimetischen Ingebrauchnahme ereignen sich Transformationsprozesse, in deren Vollzug verwendete Formen aktualisiert werden und auf diese Weise neue Realität entsteht.64 Die Ergebnisse der Prozesse, die in dieser Hinsicht wirklichkeitsverändernd wirken, werden innerhalb der Performativitätsforschung als weitgehend unvorhersehbar eingeschätzt.65 Somit wohnt diesem Impuls auch eine Anfrage an die Intentionalität pädagogischer Bildungsbemühungen inne. Insbesondere deren Interesse an messbaren und vergleichbaren Ergebnissen lässt sich ausgehend von dieser Einschätzung in Frage stellen.
62 C hristoph Wulf / M ichael G öhlich / Jörg Z irfas: Sprache, Macht und Handeln – Aspekte des Performativen, in: Grundlagen des Performativen. Eine Einführung in die Zusammenhänge von Sprache, Macht und Handeln, hg. v. dens., S. 9–24, 13. 63 Vgl. Wulf / Z irfas , Performative Pädagogik, S. 11. 64 Zur Relation der Begriffe Mimesis und Performativität vgl. C hristoph Wulf: Mimesis und Performatives Handeln. Gunter Gebauers und Christoph Wulfs Konzeption mimetischen Handelns in der sozialen Welt, in: Grundlagen des Performativen. Eine Einführung in die Zusammenhänge von Sprache, Macht und Handeln, hg. v. dems. u. a., Weinheim / München 2001, S. 253–272; C hristoph Wulf: Ästhetische Erziehung. Aisthesis – Mimesis – Performativität. Eine Fallstudie, in: Pädagogik des Performativen. Theorien, Methoden, Perspektiven, hg. v. dems. und Jörg Z irfas , Weinheim / Basel 2007, S. 42–48. 65 Vgl. z. B. Fischer-Lichte , Performativität, S. 75.
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Schließlich wirken sich die Theorien des Performativen in einem dritten Impuls aus. Pädagogisches Handeln in seiner praktischen Dimension ist nämlich zu den Bedingungsfaktoren von Erziehungs- und Bildungsprozessen als Performance neu in Beziehung zu setzen (3). Vor allem die theaterwissenschaftliche Theorie des Performativen hebt die „Plurimedialität“66 der Aufführungen hervor, die Aspekte wie leibliche Ko-Präsenz, Räumlichkeit, Lautlichkeit, Körperlichkeit und nicht zuletzt die Ereignishaftigkeit zu Kriterien von deren Performativität aufwertet.67 Wenn diese Kategorien als wesentliche Wirkungsbedingungen performativer Inszenierungen betrachtet werden, muss eine Pädagogik des Performativen deren Rolle und Funktion auch hinsichtlich der pädagogischen Praxis reflektieren. Konkret könnte dies zunächst bedeuten, einzelne Aspekte wie die Räumlichkeit oder Körperlichkeit stärker auf ihre Beteiligung an Lernprozessen hin zu untersuchen. Des Weiteren könnte solche Reflexion einschließen, Handlungsmodelle für ganzheitliche Lernsettings mit Instrumenten erziehungswissenschaftlicher Praxisforschung zu gestalten und zu erproben. Nach Wulf und Zirfas eröffnet der Blick des Performativen in Bezug auf pädagogisches Handeln insgesamt neue Perspektiven der erziehungswissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung: „Was bis in handlungstheoretische Entwürfe der 90er Jahre hinein […] nur negativ als nicht-intentional oder mystifizierend als kreativ gefasst werden konnte, erhält mit dem Begriff des Performativen, der auf Körperlichkeit, Habitualität, Dramaturgie, spielerischen Freiraum, Mimesis und durchdringende Macht des Handelns gleichermaßen verweist, eine theoretische Form, die bestimmte Wege qualitativ-empirischer Forschung nahe legt und eröffnet.“68 Aus Sicht der Pädagogik erweisen sich die hier als prozessual wesentliche Kriterien der Performativität eingeführten Kategorien wie Lautlichkeit, Körperlichkeit etc. nicht nur als relevant, um pädagogisches Handeln zielführender zu gestalten, sondern auch, um Dimensionen des pädagogischen Handelns empirisch präziser wahrnehmen und auswerten zu können. Die zentralen und teilweise differenten Bedeutungsspektren des Performanzbegriffes sind nun ebenso konturiert worden wie die wichtigsten Akzentverschiebungen, die der performative turn auch in der allgemeinen Pädagogik nach sich gezogen hat. Im Folgenden kann die spezifisch religionspädagogische Rezeption des Performativen in den Blick rücken.
66 M anfred P fister : Das Drama. Theorie und Analyse, München 112001, S. 24 f. Pfister sieht in der Plurimedialität das Unterscheidungsmerkmal zwischen dramatisch aufgeführten und nicht-dramatisch aufgeführten literarischen Texten: „Der dramatische Text als ein aufgeführter Text bedient sich, im Gegensatz zu rein literarischen Texten, nicht nur sprachlicher, sondern auch außersprachlich-akustischer und optischer Codes; er ist ein synästhetischer Text.“ 67 Vgl. Fischer-Lichte , Performativität, S. 53–72. 68 Wulf / Z irfas , Performative Pädagogik, S. 11.
3 Spielarten Performativer Religionsdidaktik
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3 Spielarten Performativer Religionsdidaktik. Vertreter, Konzepte und Schwerpunkte Wenn in der Forschungsliteratur von „der Performativen Religionsdidaktik“69 gesprochen wird, dann suggerieren der bestimmte Artikel und die Großschreibung des Attributs „performativ“ ein sich hinter dieser Bezeichnung verbergendes, einheitliches und didaktisch klar konturiertes Konzept für den Religionsunterricht. Bei genauer Lektüre der entsprechenden Schriften fällt jedoch schnell auf, dass im Spektrum performativer Entwürfe eine Vielzahl unterschiedlicher Programme voneinander abgegrenzt werden müssen. Diese unterscheiden sich erheblich nicht nur, wie bereits mehrfach gesehen, argumentativ hinsichtlich der ihnen jeweils zugrunde liegenden philosophischen bzw. kulturwissenschaftlichen Einflüsse und Begründungstraditionen.70 Darüber hinaus geht es auch um zum Teil weitreichende Unterschiede in den didaktischen Zielsetzungen.71 Aus diesem Grund empfiehlt es sich, im Folgenden zunächst die didaktischen Eckpunkte der verschiedenen Spielarten performativer Didaktik zu erarbeiten, namentlich der semiotisch, gestaltpädagogisch sowie poststrukturalistisch begründeten Ansätze sowie zweier wiederum differenter Entwürfe aus der katholischen Religionspädagogik. Gerade die performativen Ansätze in katholischer Lesart sind bisher innerhalb der evangelischen Religionspädagogik vernachlässigt worden.72 69 Formulierungen wie „die Performative Religionsdidaktik“ oder „der Performative Religionsunterricht“ finden sich häufig in dem 2008 veröffentlichten programmatischen Aufsatzband „Performative Religionsdidaktik“. Vgl. darin z. B.: Silke Leonhard / Thomas K lie: Ästhetik – Bildung – Performanz. Grundlinien performativer Religionsdidaktik, in: Performative Religionsdidaktik. Religionsästhetik – Lernorte – Unterrichtspraxis, hg. v. dens., PTHe 97, Stuttgart 2008, S. 9–25, 19 (Hervorhebung FD). 70 So weisen etwa Silke Leonhard und Thomas Klie bereits im Jahre 2003 in ihrem Aufsatzband „Schauplatz Religion“ – dem ersten zusammenhängenden Band zu performativer Religionsdidaktik – darauf hin, dass sich der „Inszenierungsgedanke […] aus mehreren Quellen [speist].“ Silke Leonhard / Thomas K lie: Performative Religionspädagogik. Religion leiblich und räumlich in Szene setzen, in: Schauplatz Religion. Grundzüge einer Performativen Religionspädagogik, hg. v. dens., Leipzig 2003, S. 1–17, 17; vgl. ferner D omsgen, Performativer Religionsunterricht, S. 37–40. 71 Vgl. H arald S chroeter-Wittke: Simsalabimbambasaladusaladim. Zwischenbilanz einer Performativen Religionspädagogik, in: ZPT 4 (2011), S. 371–385, 375 f. Schroeter-Wittke betont, dass es zwischen den von ihm zuvor vorgestellten Richtungen performativer Didaktik „viele Überschneidungen und Zusammenhänge [gebe], aber auch manche Differenzen und Kontroversen.“ 72 Dies bemängelt mit einigem Recht auch der katholische Religionspädagoge Hans Mendl in seiner jüngsten Publikation zum Thema. Vgl. H ans M endl: Religion zeigen – Religion erleben – Religion verstehen. Studienbuch zum Performativen Religionsunterricht, Religionspädagogik innovativ 16, Stuttgart 2016, S. 7. Zu Möglichkeiten konfessioneller Kooperation im Bereich der Fortentwicklung performativer Religionsdidaktik vgl. § 4, Kap. 2.10 „Performative Religionsdidaktik im Lichte konfessioneller Kooperation“.
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Bezüglich der folgenden Kategorisierung ist einschränkend zu bemerken, dass sich selbstverständlich keine dieser Spielarten ausschließlich auf eine der oben erwähnten Traditionen bezieht und dass die Übergänge zwischen den Spielarten insgesamt fließend verlaufen. Dennoch wird die Unterscheidung verschiedene Schwerpunktsetzungen akzentuieren, die in den folgenden Abschnitten bei der Präzisierung dessen hilfreich sein können, was eigentlich mit der Performanz religiöser Bildung im Kern gemeint ist.
3.1 Semiotisch begründete Performanz Die Profilierung performativ orientierter religionsdidaktischer Ansätze erfolgt in allen hier vorgestellten Fällen unter Bezugnahme auf allgemein zu beobachtende Entwicklungen in den Diskursen der angrenzenden Wissenschaften wie Pädagogik, Psychologie, Philosophie, Soziologie und in Ansätzen der benachbarten Fachdidaktiken. In den Begründungen der im Folgenden beschriebenen und wohl einflussreichsten Konzepte performativer Religionsdidaktik, die in den späten 1990er Jahren im Loccumer und später Marburger Umfeld des Religionspädagogen Bernhard Dressler formuliert wurden, ist diesbezüglich zuerst auf Anregungen aus der Semiotik zu verweisen: Die Semiotik wurde in der Zeit der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert etabliert,73 vornehmlich durch die Arbeiten des Logikers und Mathematikers Charles Sanders Peirce sowie später des Sprachwissenschaftlers Ferdinand de Saussure.74 Semiotik bezeichnet im Wortsinn die Lehre von den Zeichen (altgr. σημεῖον: Zeichen; Signal). Als solche befasst sie sich mit dem Wesen, der Entstehung und – für didaktische Forschung besonders interessant – mit dem Gebrauch von Zeichen. Diese, den Prozess der Zeichenverwendung betonende Komponente hebt schon Peirce hervor, der die Semiotik auch als „the science of representations“75 bezeichnete. Zunächst ist Michael Meyer-Blanck zuzustimmen, der angesichts einer aktuell kaum zu überblickenden Fülle von semiotischen Theorien, die zudem von der Literatur-, Theater- und Sprachwissenschaft bis zu grundlegen73 Vgl.
Umberto E co: Semiotik und Philosophie der Sprache, München 1985, S. 30. vollständige Einführung in die semiotischen Theorien, die aus Sicht der Praktischen Theologie und Religionspädagogik prägenden Einfluss erlangten, kann hier nicht geleistet werden. Stattdessen sei auf das kompakte und viel beachtete Einführungswerk von Michael Meyer-Blanck verwiesen, das Grundgedanken des semiotischen Zeichenbegriffs im Kontrast zum Symbolverständnis v. a. von Peter Biehl entfaltet. Vgl. M ichael M eyer-Blanck: Vom Symbol zum Zeichen. Symboldidaktik und Semiotik, Hannover 1995. Darin zeichnet MeyerBlanck auch eine knappe „Skizze semiotischer Ansätze“ (S. 49–84). 75 C harles Sanders P eirce: Teleological Logic (1865), in: Writings of Charles S. Peirce. A Chronological Edition, hg. v. Nathan Houser u. a., Bd. 1, Bloomington u. a., S. 303–305, 303. Kloesel und Pape übersetzen Peirces Definition der Semiotik als „Wissenschaft von den Darstellungen“: C harles Sanders P eirce: Teleologische Logik (1865), in: Semiotische Schriften, Bd. 1, hg. v. C hristian K loesel und H elmut Pape , übers. v. dens., Frankfurt a. M. 1986, S. 105–106, 105. 74 Eine
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den erkenntnistheoretischen Entwürfen reichen, feststellt, dass kaum übergreifend bestimmt werden könne, „was denn die Semiotik genau“76 sei. Dennoch lässt sich ein religionspädagogisch relevanter Ertrag formulieren, der einem dezidiert semiotischen Diskurs entstammt: Sämtliche Zeichen, so die zentrale Annahme der modernen Semiotik nach Umberto Eco, sind als „allgemein bedeutungsoffen“77 zu verstehen, wobei sich die Bedeutung, die Zeichen durch ihre Rezipienten zugesprochen wird, nicht zufällig ergibt.78 Stattdessen rückt durch diese prinzipielle Offenheit aller, auch religiöser Zeichen das Zeichen selbst als substantielle Größe eher in den Hintergrund. Das sich ereignende Generieren von Bedeutung, in semiotischen Ansätzen mit dem Begriff der „Semiose“79 bezeichnet, hängt bei Peirce von verschiedenen Variablen ab: Semiose sei „an action, or influence, which is, or involves, a cooperation of ‚three‘ subjects, such as a sign, its object and its interpretant.“80 Dieses triadische Modell, das „semiotische Dreieck“81, fokussiert die pragmatisch-kommunikative Prozesshaftigkeit von Bedeutungszuschreibungen, die im Sinne eines radikalen „Kontextualitätsprinzips“82 nie abgelöst von den drei Variablen an ein objekti76 M ichael M eyer-Blanck : Der Ertrag semiotischer Theorien für die praktische Theologie, in: Religion zeigen. Religionspädagogik und Semiotik, hg. v. Bernhard Dressler und dems., Münster 1998, S. 241–277, 241. Die Vielfältigkeit der semiotischen Modelle zeigt sich nicht zuletzt in den unterschiedlichen Zeichenbegriffen, die in gängigen Handbüchern der Semiotik vorgestellt werden. Vgl. E co, Semiotik, S. 30 f. Eco spricht an dieser Stelle angesichts der Unklarheit des Bedeutungsspektrums sogar von einer „Krise“ des Zeichenbegriffs. 77 M eyer-Blanck , Ertrag semiotischer Theorien, S. 244. 78 Eco betont wider der Beliebigkeit des Interpretationsprozesses in Bezug auf die Lektüre von Texten sogar: „Viele Texte haben zweifellos vielfachen möglichen Sinn, aber es ist immer noch möglich zu entscheiden, ‚welcher‘ gewählt werden muss, wenn man im Lichte eines vorgegebenen Themas an den Text herangeht.“ E co, Semiotik, S. 13. 79 Vgl. z. B. Umberto E co: Die Grenzen der Interpretation, München 32004, S. 284 f. Eco beschreibt an dieser Stelle das Verhältnis von Semiose zu Semiotik so, dass die Semiose das „Phänomen“ darstellt, zu dem die Semiotik einen „theoretischen Diskurs“ führt. 80 C harles Sanders P eirce: Collected Papers, Bd. 5, Pragmatism and Pragmaticism, hg. v. C harles H artshorne und Paul Weiss, Cambridge 1934, S. 332. 81 Die einzelnen Komponenten des „semiotischen Dreiecks“ sowie deren jeweilige Relationen zueinander werden ihrerseits in den semiotischen Theorien unterschiedlich verwendet. Eine prägnante Einführung in die Geschichte triadischer Zeichenmodelle liefert das Heft „Metamorphosen des semiotischen Dreiecks“, das 1988 in der „Zeitschrift für Semiotik“ erschien. Darin zeichnen einflussreiche Semiotiker wie Klaus Robering, Umberto Eco, Roland Posner und andere eine Entwicklung solcher Zeichenmodelle beginnend bei der Philosophie der griechischen Antike bis zu den modernen Diskursen nach. Eco weist beispielsweise darauf hin, dass bereits Aristoteles „implizit, aber durchaus klar erkennbar, ein semiotisches Dreieck [entwickelt]“. Aristoteles unterscheidet jedoch anders als Peirce nicht zwischen Zeichenmittel, Objekt und Interpretanten, sondern zwischen „Wort“, „Ding“ und „Seelenregung“. Vgl. Umberto E co: Wer ist schuld an der Konfusion von Denotation und Bedeutung? Versuch einer Spurensicherung, in: Zeitschrift für Semiotik 10/3 (1988), S. 189–207, 192. Unübersehbar ist zudem die Analogie zum „didaktischen Dreieck“, das in Anlehnung an das „semiotische Dreieck“ modellhaft die Relation von Schülerinnen und Schülern, Lehrerinnen und Lehrern sowie dem Lerngegenstand darstellt. 82 E co, Grenzen der Interpretation, S. 435.
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vierbares Ende kommen können. Entsprechend muss auch eine religionspädagogische Lesart der Semiotik die Prozesshaftigkeit der Sinnkonstruktion sowie die daran beteiligten Personen und Handlungen in den Mittelpunkt der Didaktik rücken: „Das semiotische Denken nötigt in besonderer Weise dazu, Inhalte und Personen nicht isoliert voneinander zu sehen, sondern in ihrer unterrichtlichen Relationalität“83. Das Spektrum der Interpretationen dessen, was ein Zeichen bedeuten kann, ist potentiell unbegrenzt. Als wahrheitsgemäß kann etwas lediglich „innerhalb der Grenzen eines bestimmten Diskurs-Universums und in einer bestimmten Hinsicht [ausgesagt werden], aber diese Aussage erschöpft nicht die ganzen anderen, potentiell unendlichen Determinierungen dieses Objekts.“84 Für den Religionsunterricht folgt daraus die didaktisch folgenreiche Konsequenz, dass alle Versuche der Annäherung an religiöse Wahrheitsfragen prinzipiell strittig bleiben müssen. Sämtliche Lehren und jedes Ethos bleiben stets kulturell mit einer Diskurs-Realität verwoben und sind schlechthin nicht von deren Gesetzen und Vorannahmen zu trennen. Umgekehrt geht die semiotische Theorie Ecos aber auch davon aus, dass innerhalb der beschreibbaren DiskursRealitäten von „Gemeinschaften von Interpreten“85 gesprochen werden kann, deren Vorstellungsvoraussetzungen zwar nicht als deckungsgleich zu bezeichnen sind, die aber aufgrund von Konsens-Urteilen und Konventionen, die beide ihrerseits nicht als definitiv gültig, sondern potentiell fehlbar betrachtet werden, zu konventionellen Übereinstimmungen gelangen können. Hier zeigt sich ein Unterschied etwa zu den später untersuchten poststrukturalistischen Spielarten performativer Religionsdidaktik86: Die Vorstellung einer unbegrenzten Semiose ist nach Eco vom Gedanken der „Spielwiese […] einer freien Interpretation“87 abzugrenzen. Was einem Zeichen innerhalb einer Kommunikationsgemeinschaft als Bedeutung zugeschrieben wird, ergibt sich nicht zufällig und nötigt zu einer je neuen Betrachtung der Bedingungen der Kommunikation. „Richtige“ Lesarten, folgert daher Thomas Klie in Anknüpfung an Ecos Gedanken zur unendlichen Semiose, entstehen immer durch „Deklaration bzw. Konsensbildung.“88 Eco geht in seiner späteren semiotischen Theorie sogar so weit, die menschliche Kultur insgesamt „sub specie communicationis“89 zu untersuchen. 83 84
M eyer-Blanck , Ertrag semiotischer Theorien, S. 257. E co, Grenzen der Interpretation, S. 435. 85 Ebd., S. 440. 86 Vgl. § 1, Kap. 3.3 „Poststrukturalistisch begründete Performanz“. 87 E co, Grenzen der Interpretation, S. 440 f. 88 Vgl. Thomas K lie: Zeichen und Spiel. Semiotische und spieltheoretische Rekonstruktion der Pastoraltheologie, PThK 11, Gütersloh 2003, S. 441. 89 Umberto E co: Einführung in die Semiotik, München 61988, S. 36. Vgl. hierzu auch die Dissertationsschrift von Martina Kumlehn, die in ihrem Kapitel zur „Förderung der Deutungskompetenz im Umgang mit prinzipiell unabschließbaren Zeichenprozessen“ eine ver-
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Die Einschätzungen semiotischer Theoriebildung erwiesen sich im Kontext religionspädagogischer Diskurse besonders in den 1990er Jahren als folgenreich, indem sie grundsätzliche Annahmen symboldidaktischer Ansätze in Frage stellten. Im Gegensatz zu den in jener Zeit breitenwirksamen Symboldidaktiken90 muss in einer semiotisch begründeten performativen Didaktik „Religion als ein Ensemble grundsätzlich deutungsoffener Zeichen“91 verstanden werden. Gemäß der Prämisse „nihil extra usum“92 erhalten diese Zeichen erst durch ihren spezifischen Gebrauchszusammenhang eine konkrete Bedeutungszuschreibung.
3.1.1 Bernhard Dressler und die Zeichendidaktik 3.1.1.1 Die semiotische Begründung Der Marburger Religionspädagoge Bernhard Dressler, dessen Schriften in der religionspädagogischen Diskussion vor allem in Bezug auf die konzeptuellen Überlegungen zu einer performativen Didaktik besondere Beachtung gefunden haben,93 profiliert seine Religionsdidaktik dezidiert als „Zeichendidaktik“94. Überhaupt jeder didaktische Vorgang generiert nach Dressler jeweils neue „Zeiblüffende Ähnlichkeit dieser semiotischen Einsichten zu Aussprüchen Friedrich Schleiermachers feststellt, der gerade für Bernhard Dresslers theoretische Schriften eine wichtige Rolle einnimmt (s. u.). M artina Kumlehn: Symbolisierendes Handeln. Schleiermachers Theorie religiöser Kommunikation und ihre Bedeutung für die gegenwärtige Religionspädagogik, Gütersloh 1999. 90 Das Verhältnis der religionsdidaktisch-performativen Ansätze zu den symboldidaktischen Entwürfen und insbesondere zu der „kritischen Symbolkunde“ Peter Biehls ist in der religionspädagogischen Diskussion viel diskutiert und unterschiedlich bewertet worden. Trotz der von Meyer-Blanck vorgelegten „semiotische[n] Kritik der Symboldidaktik“ (s. o.), in der er dem von Biehl vertretenen Symbolverständnis vorwirft, den Symbolen eine Repräsenta tionsfunktion zuzuschreiben, kann der performative Impuls in mehrfacher Hinsicht als Fortentwicklung der Symboldidaktik verstanden werden. Biehls „kritische Symbolkunde“ wird im Rahmen dieser Studie in § 3, Kap. 2.6.2 „Vergleichsmomente“ ausführlich mit den Ansätzen performativer Religionsdidaktik verglichen. 91 D omsgen, Performativer Religionsunterricht, S. 37. 92 M eyer-Blanck , Vom Symbol zum Zeichen, S. 85. 93 So hebt Christian Grethlein die Überlegungen Dresslers „auf Grund ihres theoretischen Gehalts, der Differenziertheit der Argumentation und gleichzeitigen Praxisnähe“ aus den Veröffentlichungen zu performativer Religionsdidaktik hervor. Vgl. C hristian Grethlein: Fachdidaktik Religion. Evangelischer Religionsunterricht in Studium und Praxis, Göttingen 2005, S. 262–264. Auch im Diskurs der katholischen Religionspädagogik zur performativen Religionsdidaktik wird Dressler weithin als Beispiel für die „evangelischen Varianten“ performativer Religionsdidaktik angeführt. Exemplarisch sei hierfür auf Hans Mendls „Studienbuch zum Performativen Religionsunterricht“ verwiesen, das bemüht ist, die Entstehungsgeschichte der entsprechenden Ansätze zumindest ansatzweise nachzuzeichnen: M endl , Religion zeigen, v. a. S. 10–49. 94 Bernhard D ressler : Blickwechsel. Religionspädagogische Einwürfe, Leipzig 2007, S. 318.
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chenwelten“95, in denen sich Schülerinnen und Schüler nicht von vornherein kompetent bewegen können, jedenfalls nicht mit der nötigen Orientierungssicherheit. Daher hat der Religionsunterricht allererst die Fähigkeit zur „Verständigung“, zur „Kommunikation“96 über diese Zeichen auszubilden. Dressler sieht den Ertrag der Semiotik für die religionspädagogische Reflexion sowie die Planung von Unterricht gerade nicht darin, den Zeichenwelten des Religionsunterrichts einen potentiellen „Hintersinn“ zuzusprechen, sondern zunächst in der bewussten Wahrnehmung des Sachverhalts, „dass Verstehen immer nur in bestimmten Verbindungen und Zuordnungen möglich ist und in der Fähigkeit besteht, Signifikanten auf Signifikate zu beziehen, was zugleich die Fähigkeit ist, Zeichen zu bilden.“97 Semiotisch fundiert ist Dresslers Ansatz insofern, als sich bei ihm der unterrichtliche Fokus weg von der Frage nach der Bedeutung der Zeichen hin zu der Frage nach der Zuschreibung von Bedeutung verschiebt. Es geht im Unterricht nicht darum, einen vorgegeben Sinngehalt zu reproduzieren, sondern darum, jeweils unterschiedliche Lesarten zu generieren. Lerngegenstände existieren nämlich nicht zuerst an sich, sind nicht losgelöst von relationalen Verständigungsprozessen darstellbar. Sie ergeben sich stattdessen im Religionsunterricht immer wieder neu, und zwar in einem dramaturgisch beschreibbaren Inszenierungsgeschehen, das den an der Kommunikation Beteiligten als ein konkreter Gebrauchskontext eines Zeichensystems begegnet.98 Deshalb geht es in diesem Unterricht nicht mehr darum, „die Wahrheitsfrage […] an Abbildungsqualitäten zu koppeln, sondern [darum,] die Bewahrheitungs- und Evidenzerfahrung auf der Deutungsebene zu verhandeln.“99 Diese dezidiert semiotisch begründete Grundannahme wird für Dressler zum Fundament seiner Argumentation, die in der Fülle seiner religionsdidaktischen Veröffentlichungen letztlich auf die eigentliche Aufgabenstellung des Religionsunterrichts zuläuft: „Die Erschließung von Religion als einer Praxis, einer Kommunikation mittels Zeichen, die, weil diese Zeichen die verbale Dimension aufsprengen, nicht nur mittels Texten bzw. des diskursiven Redens über Texte gelingen kann“100. Erforderlich sei eine grundlegende didaktische Wendung hin zu den Vollzügen, den narrativen und liturgischen Gestalten als ästhetische Dar-
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Ebd., S. 324. Ebd., S. 325. Ebd., S. 324. 98 Vgl. ebd., S. 318 f. Dressler weist an dieser Stelle weiter auf die „analoge Struktur des traditionellen ‚didaktischen Dreiecks‘ und der ‚semiotischen Triade‘“ hin. Auch in dieser Parallele zeigt sich m. E. Dresslers semiotischer Zentralgedanke, die Verständigung über die Bedeutung des potentiell mehrdeutigen Zeichensystems, das im Religionsunterricht je neu generiert wird, in den Mittelpunkt zu rücken. 99 Bernhard D ressler / Thomas K lie: Zeichenspiele inszenieren. Umrisse einer semiotischen Religionspädagogik, in: JRP 18 (2002), S. 90–99, 95. 100 D ressler , Blickwechsel, S. 321. 96 97
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stellungen von Religion101 – oder in Dresslers eigenen Worten formuliert: hin zur „Performanz religiöser Praxis“102.
3.1.1.2 Reagieren auf den Traditionsabbruch Wie bereits in der Einleitung im Hinblick auf die Entstehung performativer Ansätze insgesamt angedeutet, geht Dresslers Didaktik neben der semiotisch fundierten theoretischen Begründung auf eine kritische Situationsanalyse des Religionsunterrichts zurück. Am Anfang steht die Wahrnehmung eines Defizits. Noch deutlicher als die anderen der hier vorgestellten performativen Entwürfe beschreiben Dresslers konzeptuelle Schriften die Marginalisierung der christlichen Religion in der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler. Diesbezüglich hatte Wilfried Bergau-Braune bereits 1987 in einer viel zitierten Formulierung vom „Traditionsabbruch bei Jugendlichen“103 gesprochen. Aufgrund der Wandlung des Christentums hin zur „Fremdreligion im Wahrnehmungsfeld des heutigen Schülers“104 könne im modernen Religionsunterricht nicht mehr wie bisher davon ausgegangen werden, dass den Kindern und Jugendlichen selbst elementare Formen und Gestalten gelebten christlichen Glaubens als Lernvoraussetzung bereits vertraut sind. Genau diese Formen und Gestalten verkörpern nach Dressler aber das Wesen der christlichen Religion als „Kultur symbolischer Kommunikation“105. Nicht die theologische Lehre oder die geistige Auseinandersetzung mit Glaubensinhalten steht an deren Anfang, sondern das Christusereignis als geschichtliche Begebenheit, dessen „erinnernde Vergegenwärtigung“106 in Form von religiöser Praxis erfolgt, die wiederum die Kontinuität des Überlieferungszusammenhangs gewährleistet. Die Art und Weise, die „Gestalt“, in der sich diese „erinnernde Vergegenwärtigung“ in der Praxis des gelebten Glaubens vollzieht, hat dabei selbst semantische Bedeutung und kann nicht umgekehrt aus dem „Gehalt“ religiöser Kommunikation im Sinne einer Lehre oder eines Ethos abstrahiert werden.107 Dressler spricht daher vom „Eigensinn religiöser Praxis“108. Dieses religionstheoretische Argument leitet Dressler aus Schleiermachers Ver101 Vgl. D omsgen, Performativer Religionsunterricht, S. 37; D ressler , Darstellung und Mitteilung, S. 13. 102 D ressler , Darstellung und Mitteilung, S. 13. 103 Wilfried Bergau -Braune: Der Traditionsabbruch bei Jugendlichen – Ursachen und Folgen, in: Arbeitsbuch Religionsunterricht. Überblicke – Impulse – Beispiele, hg. v. H artmut L enhard, Gütersloh ²1992, S. 41–52. 104 Ebd., S. 43. 105 D ressler , Blickwechsel, S. 268. 106 D ressler , Darstellung und Mitteilung, S. 11 (im Original kursiv). 107 Vgl. ebd., S. 19. 108 Bernhard D ressler : Performative Religionsdidaktik. Theologisch reflektierte Erschließung von Religion, in: Unterrichtsdramaturgien. Fallstudien zur Performanz religiöser Bildung, hg. v. dems., Thomas K lie und M artina Kumlehn, Stuttgart 2012, S. 15–42, 20.
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schränkung von „Darstellung“ und „Mitteilung“ ab,109 ohne deren „Zusammenwirken […] die Absicht des Religionsunterrichts nicht […] erreicht werden“110 könne. Schleiermachers Einschätzung fundiert Dresslers zentrale These, dass „die christliche Religion nicht mitgeteilt werden kann, ohne immer auch zugleich dargestellt zu werden“111. Die Einsicht in diesen Sachverhalt verbiete eine Konzentration der Didaktik auf rein reflexiv-interpretierende Sichtweisen auf Religion. Wenn aber gilt, dass religiöse Phänomene nicht ohne entscheidende didaktische Verluste in einer primär diskursiven Sprache gelernt werden können, dann folgt daraus nach Dressler die Notwendigkeit, Religion als Lerngegenstand eben „nicht nur textlich und sprachlich, sondern auch gestisch, szenisch, audio-visuell“ und mit Bezügen zu den religiösen Vollzügen „bearbeitbar und explikationsfähig“112 zu machen. Auch diese Sichtweise begründet Dressler mit Bezügen zu Schleiermacher. Als Gegner eines schulischen Religionsunterrichts hält Schleiermacher in seiner „Praktischen Theologie“ mit Blick auf den von der Kirche verantworteten, katechetischen Unterricht fest: „Im Unterricht selbst [muss] die darstellende Mittheilung und die mittheilende Darstellung sein […], die im Cultus ist, aber auf eine auf die Beschaffenheit der Kinder sich beziehende Weise und keineswegs unter der Form des Cultus.“113 Der letzte Halbsatz in Schleiermachers Zitat deutet eine Unterscheidung an, die Dresslers Veröffentlichungen geradezu vehement hervorheben: Es handle sich bei performativen Lernarrangements nicht um ein Einüben christlicher oder gar kirchlicher Formen im Lernort Schule, sondern um ein von den Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler ausgehendes Erschließungskonzept angesichts des Lernfeldes „Religion“. Dessen potentiell relevante Lernchancen könnten ohne Kompetenzen im Umgang mit religiösen Ausdrucksgestalten schlechthin nicht erfasst werden. Auf diese Weise repräsentiere der performative Ansatz einen sachgemäßen Zugang zu Religion jenseits des in traditionellen Lehrformen anzutreffenden „Missverstehens von Religion als eines sachverhaltsförmigen Wissens.“114 Gegenüber dem Vorwurf, performative Religionsdidaktik verzichte auf die im Religionsunterricht am öffentlichen Lernort Schule gebotene kritische Distanz zu den religiösen 109 Schleiermachers Bedeutung für die performative Religionsdidaktik wird in § 3 dieser Studie im Rahmen eines Exkurses ausführlich untersucht. Vgl. § 3, „Exkurs: Friedrich Schleiermacher (1768–1834): Religion darstellen und mitteilen.“ 110 Friedrich S chleiermacher : Die praktische Theologie nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, hg. v. Jacob Frerichs, Berlin 1850, S. 358. 111 D ressler , Darstellung und Mitteilung, S. 13. 112 Ebd., S. 14. 113 S chleiermacher , Praktische Theologie, S. 358. Mit dem Begriff des „Cultus“ bezeichnet Schleiermacher die folgenden Eckpfeiler christlich-religiöser Praxis: „Was sind die wesentlichen Bestandtheile des Cultus: […] religiöse Rede, Gesang und Gebet“. Ebd., S. 75. 114 D ressler , Theologisch reflektierte Erschließung, S. 23.
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Lerninhalten und intendiere eine Affirmation christlicher Glaubensaussagen,115 macht Dressler die unterrichtliche Wahrnehmung der christlichen Religion als einer in Kommunikationsprozesse eingebundenen Praxis stark. Die Semantik, Syntaktik und Pragmatik von Religion gehören didaktisch zusammen. „So verstanden wird Religion nicht dadurch erschlossen, dass man auf eine bestimmte Gesinnung verpflichtet wird“116, vielmehr soll der spezifische Modus eben religiöser Kommunikationsprozesse aus einem Spektrum verschiedener „Modi der Weltbegegnung“117 selbst zum Thema werden. Anders sei „der Gehalt religiöser Wahrheits- und Geltungsansprüche nicht zu verstehen“118. Dabei ist es nach Dressler als grundlegende Lernvoraussetzung geboten, Religion als „eigenartige Kultur symbolischer Kommunikation“ den damit nicht vertrauten Schülerinnen und Schülern „allererst zu zeigen“119. In der didaktischen Abfolge kann erst im Anschluss daran der spezifisch religiöse Kommunikationsmodus zum Thema werden. Der Erziehungswissenschaftler Klaus Prange, dessen Arbeiten zur „Zeigestruktur der Erziehung“120 Dressler in seinen Erläuterungen zur „Darstellung“ und „Mitteilung“ von Religion vielfach anführt, definiert das pädagogische Zeigen als die „Grundform des Erziehens“, die in Anlehnung an den Terminus der Didaktik des Barock auf eine „Darstellung der Welt (repraesentatio mundi)“121 zielt. In seinen Bezügen zu Prange wird Dresslers didaktische Verflechtung von „Gestalt und Gehalt“ erneut deutlich. Sie kennzeichnet kein Alleinstellungsmerkmal religiöser Lernprozesse, sondern wird als konstitutiv für alle Formen des Lernens auch in anderen Fächern angenommen. So verstanden wird Didak115 Vgl. etwa G odwin L ämmermann: Reli auf der Show-Bühne. Eine polemische Kritik der sich ‚performativ‘ nennenden ‚Religionsdidaktik‘, in: Theo-Web 7/2 (2008), S. 107–123. Eine ausführliche Diskussion der Anfragen an die Konzepte performativer Religionsdidaktik erfolgt in § 4 im Rahmen des Auswertungskapitels: „Tragweite und Tragfähigkeit performativer Ansätze für den Religionsunterricht von morgen – die handlungsorientierende Perspektive“. 116 D ressler , Theologisch reflektierte Erschließung, S. 23. 117 Die viel beachtete Unterscheidung der „Modi der Weltbegegnung“, auf die sich Dressler in seinen Ausführungen zum „Eigensinn“ eines religiösen Weltzugangs wiederholt bezieht, stammt von dem Erziehungswissenschaftler Jürgen Baumert und fand später auch in der „Klieme-Expertise“ Verwendung, die eine Festlegung nationaler Bildungsstandards forderte. Vgl. Jürgen Baumert: Deutschland im internationalen Bildungsvergleich, in: Die Zukunft der Bildung, hg. v. Nelson K illius, Jürgen K luge und Linda R eisch, Frankfurt a. M. 2002, S. 100– 150, 113. Neben den „Problemen konstitutiver Rationalität“, die Baumert dem Bereich von Religion und Philosophie zuordnet, unterscheidet er die „kognitiv-instrumentelle Modellierung der Welt“, die „ästhetisch-expressive Begegnung und Gestaltung“ sowie die „normativevaluative Auseinandersetzung mit Wirtschaft und Gesellschaft“. 118 D ressler , Theologisch reflektierte Erschließung, S. 23. 119 D ressler , Blickwechsel, S. 268. 120 K laus P range: Zeigen – Lernen – Erziehen, in: Zeigen – Lernen – Erziehen, hg. v. K arsten K enklies, Pädagogische Reform 13, Jena 2011, S. 21–47. 121 Ebd. Repraesentatio mundi meint an dieser Stelle genauer die im Zeigen sichtbar werdende Repräsentanz des Allgemeinen im Einzelnen.
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§ 1 Theoretische Fundierung performativer Religionsdidaktik
tik insgesamt zur „Formenlehre des Erziehens“122. Allerdings impliziert Dresslers Forderung nach einem Zeigen von Religion im Unterricht hier nicht, dass bestimmte Lerninhalte, die zuvor von der zeigenden Lehrperson als „richtig“ erkannt worden sind, nun vorgemacht und von den Lernenden im Sinne einer „überholten Vorbildpädagogik“123 nachgeahmt oder gar übernommen werden sollen. Die zeigende Person muss sich stets darüber im Klaren bleiben, dass sie über die Bedeutung dessen, was sie zeigt, selbst nicht letztgültig verfügt. Auch diejenigen Religionspädagogen, die sich mit den Zeichen der Religion vertraut wähnen, können die religiöse Formensprache nicht in objektive Sachverhalte übersetzen. Meyer-Blancks Vorschlag einer „didaktisch-inszenatorisch gebrochenen Authentizität“124 deutet den Mittelweg an, den Dressler hier zu gehen versucht: Religion soll möglichst in ihren authentischen Formen und Vollzügen im Modus des Zeigens dargestellt und mitgeteilt werden. Gleichzeitig sollen dabei immer auch Distanzierungsspielräume und transparente Hinweise auf die Differenz zwischen der Inszenierung und der inszenierten Praxis mitgestaltet werden.125 Dresslers Didaktik reagiert damit auf die von ihm und anderen wahrgenommene „Überforderung der Subjekte nach dem Verlust des Rückhalts leitender Traditionen“126. Im Kern antwortet sein Ansatz auf die so analysierte Zeitsituation mit einer Aufwertung der Vollzüge des gelebten Christentums evangelischer Prägung insbesondere in deren narrativen und liturgischen Formen. Diese rückt sein Konzept performativer Religionsdidaktik nicht bloß als zentrale Themen des Religionsunterrichts sozusagen gegenständlich in den Fokus. Vielmehr sollen christliche Ausdrucksgestalten als eine spezifische Art und Weise der Ingebrauchnahme religiöser Zeichen selbst zum bearbeitbaren Lerngegenstand werden. Der Traditionsabbruch wird auf diese Weise auch als Chance verstan122 K laus P range: Die Zeigestruktur der Erziehung. Grundriss der operativen Pädagogik, Paderborn 2005, S. 126. Vgl. ferner auch Dressler , Theologisch reflektierte Erschließung, S. 23. Dressler zitiert hier Prange bezüglich des „Modus des Darstellens“ weiter: „Es gibt das Erziehen im Modus des Darstellens nicht, weil es Schulen gibt, sondern es gibt Schulen, weil sie die Form sind, in der das Darstellen explizit als Aufgabe thematisiert werden kann.“ 123 Bernhard D ressler : Unterscheidungen. Religion und Bildung, ThLZ.F 18/19, Leipzig 2006, S. 203. 124 M ichael M eyer-Blanck , zit. nach: Bernhard D ressler : Religionslehrerinnen und Religionslehrer, in: Religion in der Sekundarstufe II. Ein Kompendium, hg. v. M ichael Wermke u. a., Göttingen 2006, S. 97–118, 116. Dieser Gedanke findet sich ausgeführt in: M ichael M eyer-Blanck : Religion und Reflexion – zur Frage liturgischer Elemente und religiöser Praxis im Klassenzimmer, in: Rituale und Inszenierungen in Schule und Unterricht, hg. v. M ichael Wermke , Münster 22000, S. 60–74, v. a. S. 64–66. 125 Zur Artifizialität des Schulraums als „Probe-Realität“ (Thomas Ziehe) vgl. ausführlich das nächste Teilkapitel: „Religiöse Bildung als Unterscheidungsfähigkeit“. 126 D ressler : Blickwechsel, S. 83. In Auseinandersetzung mit Jürgen Habermas’ Theorien zu kommunikativen Interaktionen zeichnet Dressler hier ein Gegenbild, das „Pluralität“ und die „Nötigung zur Subjektivität“ als Probleme unserer Zeit profiliert.
3 Spielarten Performativer Religionsdidaktik
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den, um neue Formen solcher Ausdrucksgestalten zu entwickeln und wachsen zu lassen.
3.1.1.3 Religiöse Bildung als Unterscheidungsfähigkeit Aus der Verschränkung von „Darstellung“ und „Mitteilung“ in den unterrichtlichen Begegnungen mit religiöser Praxis ergibt sich nach Dressler für den Religionsunterricht die Aufgabe, der Mehrdimensionalität religiöser Ausdruckskultur in den didaktischen Konkretionen des Unterrichts gerecht zu werden. Dies soll mithilfe einer möglichst variablen, kreativen und vornehmlich handlungsorientierten Methodik geschehen. Besonders in diesem Bereich würdigen auch Kritiker die Errungenschaften der performativen Ansätze.127 Darüber hinaus kommt es vor allem auf einen probierenden, spielerischen und experimentierenden Umgang mit religiösen Kommunikationsformen an.128 Es geht also nicht um religiöses Erleben im Sinne eines Einübens oder gar eines authentischen Nachvollzugs von religiösen Verhaltensweisen, sondern um artifizielle „Probeaufenthalte in religiösen Welten“129, die bewusst didaktisch inszeniert werden. Der zentrale Unterschied zu herkömmlichen Lernformen liegt darin, dass so gestaltete „Probe-Realitäten“130, sofern deren experimenteller Charakter für Schülerinnen und Schüler transparent wird, auch die Möglichkeit zu „Probedenken“ und „Probehandeln“131 eröffnen. Dabei wird ausdrücklich keine Zustimmung zu christlicher Glaubenspraxis vorausgesetzt oder intendiert. Die darin angenommene Artifizialität des Lernorts Schule identifiziert der Erziehungswissenschaftler Thomas Ziehe auch für alle anderen Fächer als grundlegende Lernvoraussetzung. Die Schule sei „glücklicherweise nicht identisch mit der Realität [und soll] selbstbewusst ihre notwendige ‚Künstlichkeit‘ konzipieren.“132 Speziell im Religionsunterricht sollen die Kinder und Jugendlichen in einem offensichtlich von ihrer Lebenswelt unterscheidbaren Umfeld lernen, zwischen variablen Perspektiven hin- und her zu wechseln. Sie sollen befähigt werden, sich im „Modus des ‚als-ob‘, des Gedankenexperiments“133 in den inszenierten Realitäten zurechtzufinden. Die Artifizialität der „Probe-Reali127 So bescheinigt zum Beispiel Gabriele Obst den performativen Lernarrangements trotz einiger Kritik die Verwendung einer „Vielzahl interaktiver und kreativer Unterrichtsmethoden“. Vgl. Obst, Religion zeigen, S. 108. 128 Vgl. D ressler , Theologisch reflektierte Erschließung, S. 34; D ressler , Unterscheidungen, S. 144–150; Dressler , Blickwechsel, S. 305 f. Dressler spricht an letztgenannter Stelle in einer zuspitzenden Formulierung von der „Nutzlosigkeit von Belehrungen“ im Unterschied zu den oben angesprochenen, selbsttätigen, erprobenden Zugängen. 129 D ressler , Darstellung und Mitteilung, S. 14. 130 Thomas Z iehe: Zeitvergleiche. Jugend in kulturellen Modernisierungen, Weinheim / München 1991, S. 96. 131 D ressler , Darstellung und Mitteilung, S. 14. 132 Z iehe , Zeitvergleiche, S. 96. 133 D ressler , Theologisch reflektierte Erschließung, S. 36.
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§ 1 Theoretische Fundierung performativer Religionsdidaktik
täten“ in der Schule sieht Dressler dabei nicht als Manko performativ inszenierter Lernarrangements, sondern als Kennzeichen jeden Unterrichts.134 Der Begriff des Probehandelns ist in der Debatte um einen performativen Neuansatz besonders kontrovers diskutiert worden.135 Hanna Roose fasst den doppelten Verdacht, der in den kritischen Stimmen wiederholt auftaucht, prägnant zusammen: „Performativer Religionsunterricht scheint […] vor einem Dilemma zu stehen, das sich am Begriff des ‚Probehandelns‘ aufzeigen lässt. ‚Probe‘ impliziert mangelnde Ernsthaftigkeit und damit – religiös gesprochen – die Gefahr der Profanisierung, ‚Handeln‘ impliziert Ernsthaftigkeit und damit die Gefahr der Missionierung.“136 Für Dressler hingegen meint unterrichtliches Denken und Handeln „auf Probe“ weder das eine – also Ernsthaftigkeit im Sinne von authentischer religiöser Praxis – noch das andere – also einen Mangel an Ernst. Stattdessen verwendet er den Begriff als „didaktische Metapher“137, in der sich das Kernmoment seines Theoriegerüsts verdichtet: Im generell artifiziellen Lernort Schule erleben die Schülerinnen und Schüler die Fremdreligion Christentum als unbekannte Welt, deren Sprache und Handlungen überhaupt nur durch die experimentierende Übernahme der ihrerseits als fremd empfundenen Binnenperspektive gelingen kann. Der „Modus des Als-ob“ ist für die Darstellungs- und Mitteilungsprozesse im Religionsunterricht somit auch aus dem Grund geboten, dass darin didaktisch in einen Zugang zur Wirklichkeit eingeführt wird, in dem die Welt den Schülerinnen und Schülern „als eine andere Welt“138 begegnet. In dieser gelten unterschiedliche, oft herausfordernde Regeln und Konventionen, was sich schon daran zeigt, dass sich ihre Symbole und Geheimnisse schlechthin nicht in objektivierbare Fakten auflösen lassen. Um einen solch spezifischen Beitrag des religiösen „Deutemodus der Weltwahrnehmung“, der sich von den Beiträgen der anderen Blickwinkel im Fächerkanon unterscheidet, zu erfassen, müssen die „Perspektivenwechsel in der Weltdeutung“139 selber gelernt werden. Diese Fähigkeit zum eigenen Vollzug von Per134 In Anlehnung an das prominente Diktum Paul Watzlawicks, man könne nicht nicht kommunizieren, äußert Husmann in Bezug auf die Inszenierung von Unterricht, man könne „nicht ‚nicht‘ inszenieren“. Bärbel Husmann: Inszenierung und Unterricht. Oder: Man kann nicht ‚nicht‘ inszenieren, in: Performative Religionsdidaktik. Religionsästhetik – Lernorte – Unterrichtspraxis, hg. v. Silke Leonhard und Thomas K lie , PTHe 97, Stuttgart 2008, S. 26– 37, 26. 135 Vgl. L ämmermann, Show-Bühne, S. 119; O bst, Religion zeigen, S. 110; G rethlein, Fachdidaktik Religion, S. 266 f. Zur diesbezüglichen Kritik vgl. ausführlich § 4, Kap. 2.1 „Probleme und Chancen des Performanzbegriffes“ sowie Kap. 2.3 „Performative Spielarten in der Spannung zwischen Missionierungsverdacht und Profanisierungsgefahr“. Dort werden die fraglichen Punkte einer möglichen Überwältigung der Schülerinnen und Schüler durch mangelnde Distanzmöglichkeiten ebenso diskutiert wie denkbare Gefahren der Profanisierung religiöser Formen. 136 Roose , ‚Performance‘ und ‚Performativität‘, S. 112. 137 D ressler , Theologisch reflektierte Erschließung, S. 42. 138 Ebd., S. 42. 139 Ebd., S. 29 f. Vgl. hierzu auch grundlegend: Bernhard D ressler : Performanz und
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spektivenwechseln, etwa als Wechsel zwischen der Sichtweise einer religiösen und naturwissenschaftlichen Weltwahrnehmung oder zwischen der Binnenperspektive einer Religion und der Außenperspektive, aus der heraus man über Religion reflektieren kann,140 geht m. E. aus Dresslers Überlegungen als die Quintessenz religiöser Bildung überhaupt hervor.141 Dresslers Begriff des Perspektivenwechsels ist demnach von den Vorstellungen einer temporären Perspektivübernahme als eines Fremdverstehens durch einfühlendes sich Hineinversetzen abzugrenzen. Der zentrale Unterschied liegt darin, dass die identifikatorische Rollenübernahme nicht zwingend eine Reflexion der Rollenerfahrung voraussetzt. Damit fehlt das distanzierende Moment als Voraussetzung für die bildungsrelevante Unterscheidung, Gegenüberstellung und Verbindung der beiden Perspektiven. Nur dort, stellt David Käbisch mit Bezug zu Dressler fest, wo der Perspektivenwechsel selbst zum Thema wird, kann von religiöser Bildung im Sinne „eines reflektierten Selbstverhältnisses“142 gesprochen werden. Dies soll sich nach Dressler unterrichtlich in drei didaktisch zu unterscheidenden Formen ereignen. Zunächst bezeichnen „interpersonelle Perspektivenwechsel“143 den Wechsel zwischen der eigenen und der fremden Perspektive einer anderen Person. Derartige PerspektivenwechKompetenz. Thesen zu einer Didaktik des Perspektivenwechsels, in: Theo-Web 6/2 (2007), S. 27–31, 28. Dressler erläutert in diesem Aufsatz in Thesenform, inwiefern unterschiedliche Weltzugänge je unterschiedliche Horizonte des Weltverstehens eröffnen: „Religion kann nicht an die Stelle von Politik treten, Naturwissenschaft nicht an die Stelle von Kunst. Entscheidend ist, dass jedem Welterschließungsmodus […] eine eigene literacy, eine spezifische Lesekompetenz zuzuschreiben ist, zu deren voller Ausbildung am Ende des schulischen Curriculums ein Bewusstsein des Zusammenhangs zwischen literacy und Weltmodellierung gehören soll“. 140 In Anlehnung an Dresslers oben dargestelltes Verständnis von religiöser Bildung nennen Thomas Klie, Ulrike Wagner-Rau und Dietrich Korsch gar einen Aufsatzband „DifferenzKompetenz“. Vgl. Thomas K lie / Dietrich Korsch / Ulrike Wagner-R au (Hg.): DifferenzKompetenz. Religiöse Bildung in der Zeit, Leipzig 2012. 141 Eine grundlegende Klärung des Zusammenhangs von „Bildung“ und „Religion“ im Gesamtwerk Dresslers kann hier nicht geleistet werden. Seine Überlegungen zur religiösen Bildung als Befähigung zum Perspektivenwechsel sind mit Blick auf die Erträge hinsichtlich performativer Religionsdidaktik oben skizzenhaft dargestellt worden. Ausführlich ausgeführt wurden sie bei Dressler , Unterscheidungen, v. a. S. 59–160. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der überragende Stellenwert, den Dressler Perspektivenwechseln im Kontext allgemeiner Bildung, also Bildungsprozessen jenseits einer spezifisch religiösen Bildung zuspricht: „Nur wenn gewusst wird, welche Perspektive und welcher damit verbundene Geltungsanspruch in einem Fach gilt, werden die Lernergebnisse valide und nachhaltig sein – und zur allgemeinen Bildung sinnvoll beitragen“. Dressler: Performanz und Kompetenz, S. 27. 142 Vgl. David K äbisch: Didaktik des Perspektivenwechsels – Einheitsmoment religiöser Bildung in unterschiedlichen Schulformen?, in: Religionsdidaktik zwischen Schulformspezifik und Inklusion, hg. v. Bernd Schröder und M ichael Wermke , Leipzig 2013, S. 347–375, 358. 143 Bernhard D ressler : ‚Religiös reden‘ und ‚über Religion reden‘ lernen – Religionsdidaktik als Didaktik des Perspektivenwechsels, in: Religionsunterricht neu denken. Innovative Ansätze und Perspektiven der Religionsdidaktik, hg. v. Bernhard Grümme u. a., Stuttgart 2012, S. 68–78, 74.
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sel eröffnen Lernchancen im Bereich des Nachvollzugs von Unterschieden und Gemeinsamkeiten in den Gefühlswelten und Beweggründen etwa von literarischen Figuren oder real existierenden Personen. Demgegenüber zielen „intradisziplinäre Perspektivenwechsel“144 auf das wechselnde Einnehmen einer Teilnehmer- und einer Beobachtungsperspektive. Diese Form des Perspektivenwechsels kann den Schülerinnen und Schülern ermöglichen, die Frage zu beantworten, „was sich beispielsweise bei der Beurteilung eines Rituals wie dem Weihnachtsfest oder dem Fastenbrechen im Ramadan ändert, wenn man an ihm (via religiöser Sozialisation und Erziehung) teilnimmt oder es in einer Fernsehreportage kennenlernt.“145 Schließlich beziehen sich „interdisziplinäre Perspektivenwechsel“146 auf die Perspektiven der unterschiedlichen Fächer, was eine Reflexion der bereits erwähnten Binnenlogik der unterschiedlichen „Modi der Weltbegegnung“ einschließt.147 „Probehandeln“ bedeutet demnach bei Dressler mehr als „Ausprobieren“. In seiner didaktischen Theorie vollziehen sich im bewusst inszenierten Modus des Probehandelns Perspektivenwechsel, die zum Aufbau einer religiösen „Lesekompetenz“148 beitragen. Diese spezifische „literacy“149 bezieht sich sowohl auf die Fähigkeit, religiöse Zeichen in den ästhetischen Darstellungen von Religion wahrnehmen und deuten zu können, als auch auf das Bewusstsein, dass diese Zeichen als religiöse einem bestimmten Modus der Weltmodellierung entstammen, der sich von anderen schulischen Wahrnehmungsweisen unterscheidet.
3.1.1.4 Die Herausforderung der Übergänge Der Zusammenhang von Teilnahme und Beobachtung, von Partizipation und Reflexion, ist bereits als Grundpfeiler des didaktischen Theoriegebäudes von Dressler identifiziert worden. Mit Blick auf die konkrete Gestaltung des Religionsunterrichts können nun methodische Konsequenzen formuliert werden. Nutzung und Gebrauch des religiösen Zeichenrepertoires als Zugangsmöglichkeit in die Binnenperspektive einer Religion sind als innovatives Element der performativen Ansätze wahrgenommen worden. Darüber hinaus beinhaltet der Perspektivenwechsel zwischen Binnen- und Außenperspektive noch ein zweites didaktisch zentrales Element, dessen Voraussetzungen und mögliches Gelingen deutlich weniger diskutiert worden sind: die Distanznahme zum Binnenleben der Religion einschließlich der Reflexion aus der externen Beobachterperspektive. Diese möchte Dressler mit didaktisch-methodischen Mitteln systematisie144 145
K äbisch, Perspektivenwechsel, S. 358 (im Original hervorgehoben). Ebd. 146 Ebd. 147 Vgl. D ressler , Religiös reden, S. 74 f. 148 D ressler , Performanz und Kompetenz, S. 28. 149 Ebd. (Hervorhebung FD).
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ren. Religionsunterricht hat seiner Auffassung zufolge im inszenierten Wechsel zwischen probeweiser Teilnahme an religiösen Vollzügen in der Binnenperspektive und der Beobachtung dieser Teilnahme aus der Außenperspektive zu geschehen. Solcher Perspektivenwechsel ist mit dem Wechsel von einem symbolisch-metaphorischen zu einem diskursiv-propositionalen Sprachgebrauch verbunden.150 Auf diese Weise will der Ansatz die Dimensionen der Erfahrung und Reflexion in einer aufeinander wechselseitig bezogenen Weise zusammenführen. Die Erfahrungsdimension ordnet Dressler dabei den experimentierenden Aufenthalten in den didaktisch inszenierten Welten zu, in denen das Probehandeln sich ereignet. Die Reflexionsdimension hingegen gewinnt dort Gestalt, wo das im Probehandeln Erlebte mit Distanz thematisiert wird. Mit Blick auf die unterrichtliche Umsetzung bergen die Gestaltungen der Wechsel zwischen den Perspektiven im performativen Ansatz Dresslers die womöglich größten Herausforderungen an die Lehrkräfte. Das Gelingen der performativen Lernarrangements entscheidet sich nicht etwa an der Authentizität der Einfühlungsprozesse in Rollenspielen oder der Reflexionstiefe in Diskussionen, sondern an den „Übergängen, an dem Grad der Bewusstheit ihrer Gestaltung.“151 Erst hier „wird der Erfolg oder der Misserfolg religiöser Lernprozesse […] sichtbar.“152 Um die Übergänge angemessen zu inszenieren, soll der jeweilige perspektivische Modus stets für die Lernenden markiert werden, ohne dabei der Kommunikation allzu starre Grenzen zu setzen.153 So könnten beispielsweise in einem diskursiven Unterrichtsgespräch auch aus einer zuvor übernommenen Binnenperspektive heraus Beiträge artikuliert werden, sofern deutlich wird, dass „gewusst“154 wird, aus welcher Perspektive heraus jeweils gesprochen wird. Die Schülerinnen und Schüler können auf diese Weise im Unterrichtsgeschehen die religionsdidaktisch zentrale Fähigkeit unter Beweis stellen, in mehreren Bezugssystemen nacheinander oder sogar gleichzeitig zu agieren. Im Falle des Gelingens solcher Übergänge und des damit verbundenen sich Einstellens einer „gewussten Perspektivität“155, reichen die religiösen Lernprozesse weiter als auf die Ebenen bloßer Befähigung zur Teilnahme an religiösen Vollzügen einerseits oder des Wissens über religiös-kulturelle Praktiken andererseits. Denn im Wissen um die jeweilige Perspektivität wird die „spezifische Differenz eines religiösen Weltverhältnisses“156 mit Bezügen zur eigenen Erfahrung reflektiert. Die Schülerinnen und Schüler sollen auf diese Weise lernen, für sich selbst zu beurteilen, worin Unterschiede zum Beispiel zwischen den 150 Vgl. D ressler , Unterscheidungen, 151 D ressler , Theologisch reflektierte 152 Ebd. 153 Dressler
S. 32. Erschließung, S. 32.
spricht von einer „gleichsam oszillierende[n] Bewegung zwischen einer beobachtend-analytischen und einer teilnehmend-handlungsorientierten Perspektive“. Ebd. 154 D ressler , Performanz und Kompetenz, S. 27. 155 Ebd., S. 29; vgl. D ressler , Unterscheidungen, S. 144–150. 156 D ressler , Theologisch reflektierte Erschließung, S. 30 (Im Original hervorgehoben).
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religiösen Glaubensaussagen der Schöpfungsberichte und naturwissenschaftlichen Theorien zur Weltentstehung bestehen – oder mit Blick auf die Bibeldidaktik konkretisiert: Was gewonnen wird und was verloren geht, wenn aus einem Gleichnis, einer Wundergeschichte oder einem Psalm ein theologischer Begriff deduziert wird.157 Der Begriff der „Partizipationskompetenz“ meint bei Dressler daher nicht eine durch Einüben von Formen zu vermittelnde Fähigkeit zum Mitmachen, sondern die „Fähigkeit, sich zur christlichen Religionspraxis […] ins Verhältnis zu setzen“158. Diese Kompetenz entsteht zwar im Sinne der oben dargestellten Verschränkung der Perspektiven „auch durch Einübung, aber im Anspruch von Bildungsgängen eben nicht nur durch Einübung.“159 Dresslers konzeptuelle Überlegungen zeigen m. E. deutlich auf, dass in seinem Entwurf einer performativen Religionsdidaktik weit mehr angelegt ist als die Erweiterung des religionsdidaktischen Methodenspektrums um handlungsorientierte Zugänge, die Religion im Unterricht erfahrbar machen sollen. Stattdessen lässt sich ein Theoriegerüst religiöser Bildung darin ausmachen, das schon für sich genommen wesentliche fachdidaktische Grundfragen des Religionsunterrichts in den Blick nimmt und diese performative Spielart auf ein entsprechend reflektiertes Fundament stellt.
3.1.2 Thomas Klie und die Theatralität des Religionsunterrichts Der Rostocker Praktische Theologe Thomas Klie zählt zu den Mitbegründern performativer Religionsdidaktik. Zusammen mit Silke Leonhard gab er 2003 den ersten programmatischen Sammelband zum Thema heraus.160 In seiner Habilitationsschrift „Zeichen und Spiel“161 bezieht sich Klie ähnlich wie Dressler auf semiotische Begründungstheorien. Unter Berufung auf die Zeichentheorie Umberto Ecos weitet er den Blick in semiotischer Perspektive nicht nur auf die praktisch-theologischen Handlungsfelder Liturgik, Homiletik und Poimenik aus, sondern besonders ausführlich auch auf die Religionspädagogik.162 Stärker als Dressler konzentriert sich das didaktische Konzept von Klie auf die Präsentation der „gestaltbaren ‚Außenseiten‘“163 von Religion, die er vor allem in 157 Vgl. ebd., S. 32. 158 Ebd., S. 31.
159 Ebd. 160 Vgl. Leonhard / K lie
(Hg.), Schauplatz Religion. K lie , Zeichen und Spiel, Titelformulierung. 162 Vgl. ebd. Obwohl es seit Schleiermachers Begründung der Pastoraltheologie als Lehre vom Wesen und der Rolle des Pfarrers/der Pfarrerin fraglich erscheinen könnte, ob die Religionspädagogik in einer „semiotische[n] und spieltheoretische[n] Rekonstruktion der Pastoraltheologie“ überhaupt einen Ort hat, behandelt Klie in Kapitel 4 keine der Teildisziplinen praktisch-theologischer Forschung in vergleichbarem Umfang (57 Druckseiten zur Religionspädagogik). 163 Thomas K lie: Performativer Religionsunterricht. Von der Notwendigkeit des Gestaltens und Handelns im Religionsunterricht, in: Loccumer Pelikan 4 (2003), S. 171–177, 173. 161
3 Spielarten Performativer Religionsdidaktik
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den liturgischen Vollzügen christlicher Frömmigkeitspraxis identifiziert. Diese sollen im Rahmen einer insgesamt geforderten „szenische[n] Ausdehnung des Religionsunterrichts“164 in Form von performativen Ausdruckshandlungen für die Lernenden und Lehrenden erfahrbar werden. Im Anschluss an seine theoretische Begründung einer Integration von semiotischen und spieltheoretischen religionsdidaktischen Ansätzen gelangt Klie schließlich zu einem dramaturgisch-kommunikativen Verständnis der Vermittlung von Religion. Demzufolge wird der Religionsunterricht als „theatrales Geschehen“ sowie als „didaktische Aufführung“165 verstanden. Innerhalb des Inszenierungsgeschehens Religionsunterricht treten die beteiligten Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer als darstellende Figuren auf.
3.1.2.1 Religion und ihre Außenseiten Die Schriften zur performativen Religionsdidaktik von Klie fordern im Kern eine bewusst vollzogene Hinwendung zu den wahrnehmbaren Formen und Vollzugselementen evangelischer Religion. Diese Forderung gründet sich auf ein Verständnis des evangelischen Christentums als „Inszenierungsreligion“166. Christliche Botschaft könne nicht ohne Wahrnehmung der entsprechenden Gestaltungsformen gedacht werden. Daher haben evangelische Christen nach Klie „keine Religion des Buches, sondern eine Religion der Aufführung.“167 Die performative „Außenseite“168 der religiösen Inhalte begegnet ihnen in den Gebrauchszusammenhängen religiöser Praxis wie etwa in liturgischen Formen der Gottesdienste, Anordnungen und Ausstattungselementen kirchlicher Räume, symbolhaften Hinweisen auf die Grundereignisse des Kirchenjahres etwa in liturgischen Farben, Paramenten sowie Gesten und Gebärden. Indem sich die am Unterricht Teilnehmenden auf diese nach außen hin sichtbaren Erscheinungsformen religiöser Praxis einlassen, wird deren Außenseite selbst zum wesentlichen Bestandteil von Religion. Das „leib-räumliche Formenspiel“169, als das Klie Religion versteht, kann sich überhaupt nur in der aktiven Ingebrauchnahme von Zeichen aktualisieren. Daher würde es nicht dem Lerngehalt evangelischer Religion entsprechen, wollte man nach einem hinter den Darstellungen der Zeichen liegenden „tieferen“170 Sinn suchen, der außerhalb bzw. unabhän164 165
Ebd., S. 177. Ebd., S. 172. 166 Thomas K lie: Religion zu lernen geben: Das Wort in Form bringen, in: Loccumer Pelikan 3 (2006), S. 103–109, 107; K lie , Gestalten und Handeln, S. 175. 167 K lie , Wort, S. 107. 168 Ebd., S. 106; K lie , Gestalten und Handeln, S. 173. 169 K lie , Zeichen und Spiel, S. 403. 170 Ebd., S. 406. Eine solche Herangehensweise identifiziert Klie in den Entwürfen von Hubertus Halbfas und Peter Biehl, deren „ontologisierenden Symboldidaktiken“ er „theologische Aporien“ bescheinigt (S. 403). Obwohl in beiden symboldidaktischen Entwürfen bereits Religion als „leib-räumliches Formenspiel“ (s. o.) in den didaktischen Blick rücke, blieben
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§ 1 Theoretische Fundierung performativer Religionsdidaktik
gig von der jeweils aktuellen Darstellung und Wahrnehmung gegeben wäre. Religion zeichne sich im Gegenteil gerade dadurch aus, dass sie Alltägliches, wie „Wasser“, „Wein“ oder „Essen“, aus ihren jeweiligen semantischen Konventionen löst, um es in einem anderen, unkonventionellen Kontext zum Zeichen werden zu lassen.171 Die religionstheoretische Abkehr von der Auffassung des Christentums als „Buchreligion“ hin zur „Religion der Aufführung“ entwickelt Klie mithilfe von Martin Luthers Gedanken zum Zusammenhang von Verheißung und Leiblichkeit. Luther formuliert hierzu: „Denn Gott hat allezeit also gethan, das er auff Erden gegeben hat ein leiblich zeichen […], da er gewislich hat wollen gefunden werden, denn wo wir nicht durch ein leiblich eusserlich zeichen gebunden und gefangen werden, so wird ein iglicher Gott suchen, wo es in geluestet. […] dergleichen hat er uns uns Christen auch ein Tempel gebauet, da er wonen wil, nemlich das muendliche Wort, die Tauffe und das Abendmal, welches da sind leibliche ding.“172
Diese in Luthers Sakramentstheologie fundamental wirksame Anschauung verweist nach Klie auf die hohe Relevanz der religiösen Außenseiten, die hier als Medien die Voraussetzung bilden, um „gebunden und gefangen“ zu werden.173 Auch das wirkmächtige „Wort“ begegnet in dem oben genannten Zitat, wie oft bei Luther, nicht als abstrakter Begriff. Luther ist das mündliche Wort wichtig, also die aktuelle, von Luther als viva vox evangelii verstandene Verkündigung. Sie geschieht in einer konkreten Ausdruckshandlung,174 einem Sprech-Akt, also einer sprachlich vollzogenen Performance. Solche Ausdruckshandlungen können erst im Ohr eines Hörers eine Aktivität und bestenfalls einen religiösen Lernprozess anstoßen. Diese Aktivität muss aufgrund der generellen jene Ansätze letztlich einem Symbolverständnis verpflichtet, das die Symbole als „teil-autonome“ Medien betrachte, die bestimmte Botschaften aufgrund der Beschaffenheit ihrer signifikanten Merkmale kommunizieren könnten (vgl. S. 406). Zum Verhältnis der Symboldidaktik zu den performativen Entwürfen vgl. § 3, Kap. 2.6.2 „Vergleichsmomente“. 171 Vgl. K lie , Wort, S. 104. 172 M artin Luther : D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Bd. 16, Weimar 1899, S. 209. Im Folgenden wird die „Weimarer Ausgabe“ der Werke Martin Luthers mit „WA“ abgekürzt. Der Ausspruch Luthers findet sich ausführlicher zitiert und auf die „performative[n] Außenseiten“ der Religion hin interpretiert auch bei Thomas K lie: Erst der Rahmen macht das Bild. Warum kirchenpädagogische Übungen unterrichtlich bedacht sein sollten, in: Kirchenpädagogik und Religionsunterricht. 12 Unterrichtseinheiten für alle Schulformen, hg. v. dems., Rehburg-Loccum 2001, S. 5–8. 173 Vgl. K lie , Rahmen, S. 6. 174 Klie bezieht sich an dieser Stelle auf Luthers Entdeckung des „äußeren Wortes“ (lat. verbum externum), ohne das es für den Menschen keine Gewissheit der Gottesgegenwart gibt. Diesen Zusammenhang hat zuerst der Lutherforscher Oswald Bayer in seinen berühmten Arbeiten zu Luthers Wort- und Verheißungstheologie beschrieben. Vgl. Oswald Bayer: Promissio. Geschichte der reformatorischen Wende in Luthers Theologie, Göttingen 1971. Klie folgert daraus, dass das Bibelwort so lange kein Evangelium werden könne, „bis es verlautet, gehört und als solches von den Hörern (und Ausführenden) realisiert wird.“ K lie , Wort, S. 107.
3 Spielarten Performativer Religionsdidaktik
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Unbestimmtheit der Zeichen sowie der wechselnden Kontexte und Hörer im Sinne der semiotischen Triade je unterschiedlich ausfallen: „Religion ist ein permanentes […] Anders-in-Gebrauch-Nehmen“, das „immer nur im deutenden Vollzug, im aktiven Umgebrauchen, in gestaltender Lektüre“175 Gestalt gewinnt. Auf diese Weise kann religiöses Lernen in diesem Entwurf mit Rudolf Englert als „Begegnung mit unterschiedlichen Formen Gestalt gewordener, in Szene gesetzter Botschaft“176 verstanden werden. Für Klie ist im Religionsunterricht ein In-Kontakt-Treten mit den „leiblichen Dingen“, den Außenseiten von Religion notwendig. Nur so kann sich aus den Zeichen das „leib-räumliche Formenspiel“ ergeben, das er in den Mittelpunkt des didaktischen Interesses gerückt sehen möchte.
3.1.2.2 Religionsunterricht als theatrales Geschehen Klie fordert, performativer Religionsunterricht müsse Kontakt mit den Außenseiten von Religion aufnehmen. Daraus ergibt sich als unmittelbare Folge die Frage nach geeigneten Lernwegen, um eine solche Kontaktaufnahme unterrichtspraktisch zu ermöglichen. Gerade im Hinblick auf methodische Konkretionen performativer Lernarrangements haben die Arbeiten von Klie die performative Neuorientierung innerhalb der Religionspädagogik beeinflusst und vorangetrieben.177 Ähnlich wie Dressler entfaltet auch Klie seine Vorstellungen eines zeitgemäßen Religionsunterrichts von einer Defizitanzeige her. Im Unterschied zu Dressler beklagt die Situationsanalyse bei Klie jedoch weniger das Fehlen entsprechender Vertrautheit mit den praktischen Vollzügen von Religion bei Schülerinnen und Schülern als vielmehr die Art und Weise, in der Religion heute in den Schulen ihre Darstellung findet. Die traditionelle Gestalt des Religionsunterrichts und besonders die darin praktizierte Methodik kritisiert Klie wiederholt scharf.178 Gerade das methodische Defizit im Religionsunterricht, das seinerseits in einer praxisfernen Didaktik gründe, ist nach Klie für dessen Mangel an Anziehungskraft mitverantwortlich. Dabei richtet sich seine Kritik vor allem gegen kognitive Engführungen, in deren Zusammenhang die religiösen Inhalte in Papierform im Modus der Information präsentiert werden. Zugespitzt 175 176
K lie , Wort, S. 105. Englert, Zwischenbilanz, S. 7 (Hervorhebung FD). 177 Dies gilt insbesondere für die praxisorientierten Texte, die sich der Aufwertung von liturgischen Vollzügen widmen. Allen voran ist hier auf das Praxisbuch zu schulischen und gemeindlichen Formen des „Liturgischen Lernens“ zu verweisen, das Klie gemeinsam mit Bärbel Husmann veröffentlicht hat: Bärbel Husmann / Thomas K lie: Gestalteter Glaube. Liturgisches Lernen in Schule und Gemeinde, Göttingen 2005. 178 Vgl. z. B. K lie , Wort, S. 105. Klie konstatiert an dieser Stelle, dass im Religionsunterricht den Schülerinnen und Schülern vornehmlich eine „Form strukturierter Religionsvermittlung“ begegne, die lediglich mit den Kategorien „richtig“ und „falsch“, keineswegs aber als „vorzeigbar und schön“ beschrieben werden könne.
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§ 1 Theoretische Fundierung performativer Religionsdidaktik
formuliert Klie im Blick auf die Grundüberzeugung der Unterrichtenden, „ein nicht-Kopierpapier-gestützter Unterricht in Sachen Religion [sei seinerzeit] empirisch weder denk- noch machbar.“179 Statt der Konzentration auf Informationsvermittlung empfiehlt Klie hingegen in Anknüpfung an seine semiotischen und theatertheoretischen Überlegungen einen Rückblick auf die Didaktik Gottfried Hausmanns. Hausmanns versteht die „Didaktik als Dramaturgie des Unterrichts“180 und profiliert die „Produktion und Rezeption“181 im Unterrichtsvollzug als didaktische Leitbegriffe. Unter ausdrücklicher Berufung auf Hausmann fordert Klie, Unterricht müsse analog zu der Struktur eines Theaterstückes gestaltet werden, um ein entsprechend prozesshaft-fortlaufendes Neben- und Nacheinander von individueller Wahrnehmung und eigener Gestaltung zu inszenieren.182 Damit rückt Klie die Grundsätze der Schüleraktivität und Handlungsorientierung in den unterrichtlichen Fokus. Im Modus der Selbsttätigkeit sollen sich die Schülerinnen und Schüler den inszenierten Gestaltwerdungen von Religion annähern, und zwar in möglichst ganzheitlicher Weise unter Betätigung aller Sinne: spielend, hörend, riechend, schmeckend, tastend und im Vollzug körperlicher Bewegung. Die im Religionsunterricht eröffneten Lernräume sollen in Offenheit für sinnliche Wahrnehmung und mit eigener sinnlicher Betätigung begangen werden können.183 Für die Organisation derartiger Begehungen hält Klie zuerst solche kreativen Methoden für funktional, die der geforderten „Notwendigkeit des Gestaltens und Handelns“184 besonders entsprechen. Im Idealfall sollen die Lehrkräfte in kreativen Lernarrangements ein „faßbares Stück Religion […] im Rahmen eines unterrichtlichen Probehandelns […] re-inszenieren“, sodass es „als Gestaltungsofferte die Lerngruppe zum deutenden Nachund Weiterspielen motiviert.“185 Dem Vermittlungsgeschehen kommt in dieser Sichtweise schon selbst gesteigerte Bedeutung zu, weil es zuvor in Abhängigkeit von den Lerngegenständen seine konkrete Form erhalten hat. Deshalb for179
K lie , Wort, S. 105. Dieses Bild eines einseitig kognitiven Religionsunterrichts wurde in der Fachdiskussion vielfach kritisiert. So nennt beispielsweise Obst die Darstellung eines „text- und kognitionslastigen Religionsunterrichts“ im Sinne einer folienhaften Vereinfachung „fast schon karikierend“. Obst, Religion zeigen, S. 108. So auch Burkard Porzelt: Performativer Religionsunterricht. Fluch oder Segen für die Zukunft religiöser Bildung an der Schule?, in: Religiöse Bildung. Optionen, Diskurse, Ziele, hg. v. Stefan A ltmeyer u. a., PTHe 132, Stuttgart 2013, S. 181–194, 191 f. 180 G ottfried H ausmann: Didaktik als Dramaturgie des Unterrichts, Heidelberg 1959, Titelformulierung. 181 K lie , Zeichen und Spiel, S. 427. 182 Vgl. ebd. Gottfried Hausmanns Vorstellungen einer „Dramaturgie des Unterrichtens“, die er bereits in den späten 1950er Jahren veröffentlichte, prägen den Ansatz von Klie in besonderem Maße. 183 Vgl. K lie , Gestalten und Handeln, S. 175. 184 Ebd., Titelformulierung. 185 K lie , Zeichen und Spiel, S. 429.
3 Spielarten Performativer Religionsdidaktik
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dert Klie innerhalb des religionsdidaktischen Nachdenkens eine Aufwertung der Methodik. Aus sachlich untergeordneten, lediglich „variablen Applikationen vorab ermittelter Inhalte“ werden die Methoden in ihrem didaktischen Status deutlich aufgewertet zu „für die individuelle wie kommunikative Gestaltund Zeichenbildung […] notwendigen signifikanten Oberflächen.“186 Für die Lehrerinnen und Lehrer wird mit diesem Statuswechsel der Methodik ihre je eigene Antwort auf die Frage, wie sie im Theaterstück des täglichen Unterrichts möglichst fruchtbare Lernwege inszenieren, zum zentralen Kriterium ihrer didaktischen Expertise.
3.1.2.3 Prozedurale Regeln im didaktischen Spiel Im Spektrum der performativen Entwürfe zeichnen sich die Arbeiten von Klie vor allem durch ihre Reflexion der Praxis von Lernprozessen in Schule und Gemeinde aus. Besonders ausführlich bedenkt er so die Frage nach konkreten „prozeduralen Regeln“187 der Erschließung von Religion im Unterricht. Um die methodische Gestaltung religionsunterrichtlicher Lernarrangements, das Schaffen eines künstlichen Lernraums sowie die Auswahl eines geeigneten „Stückes Religion“ zu gewährleisten, bedarf es nach Klie klarer Kriterien, mit deren Hilfe die Strukturierung des Unterrichtsgeschehens sowohl didaktisch begründet als auch theologisch verantwortet werden kann. Die planerische Herausforderung besteht nun darin, dass derartige Regeln in einer semiotischen Didaktik nicht die Selbsttätigkeit und Offenheit im Prozess der Sinnkonstruktion einschränken dürfen. Klie versteht diesen Prozess als „tendenziell unendlich“ und nur „bedingt steuerbar“188. Zwischen der kriteriengeleitet-strukturierten Gestaltung eines Lernprozesses einerseits und dem darin möglichst zu inszenierenden „freien Zugriff“189 auf die Lerngegenstände andererseits besteht eine mit der Unterrichtsabsicht gegebene Spannung. Um diese zu minimieren, verweist Klie auf die didaktischen Überlegungen des Pädagogen Lothar Klingberg. Klingberg mahnt in der Unterrichtsplanung zum Austarieren einer „maßvollen Mitte von didaktischer Rationalität und Ästhetik“190, die das pädagogisch-intentio186 Leonhard / K lie , Ästhetik, S. 19. Zur Aufwertung der Methodik in performativer Didaktik im Sinne eines „intensivere[n] Nachdenken[s] über die dem Religiösen entsprechenden Lernwege [und] Lehrformen“ siehe ferner K lie , Zeichen und Spiel, S. 405. Vgl. hierzu kritisch abwägend § 4, Kap. 2.6 „Performative Lernsettings und die Erweiterung des religionsdidaktischen Methodenspektrums“. 187 K lie , Zeichen und Spiel, S. 443. 188 Ebd., S. 442. Vgl. hierzu auch Klies semiotisch geprägtes Verständnis von Religion als „Ensemble grundsätzlich deutungsoffener Zeichen“. K lie , Gestalten und Handeln, S. 173. 189 K lie , Zeichen und Spiel, S. 443. 190 L othar K lingberg: Lehren und Lernen – Inhalt und Methode. Zur Systematik und Problemgeschichte didaktischer Kategorien, Oldenburg 1995, S. 110. Die Kategorie des Maßes verkörpert in Klingbergs didaktischem Entwurf den Indikator für die Beurteilung der Methoden im Unterrichtsprozess.
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§ 1 Theoretische Fundierung performativer Religionsdidaktik
nale Handeln mit der prinzipiellen Verhandelbarkeit der Zeichenbedeutungen je neu in Beziehung zu setzen versucht.191 Nach Klie bedarf es zwar gerade in einem semiotisch begründeten performativen Religionsunterricht einer regelhaften Strukturierung des Lernprozesses, jedoch müssen die Regeln das zeichendidaktische Leitziel unterstützen, die „semiosische Eigenbewegung [von Religion] unterrichtlich freizusetzen“192. Als Beispiel für einen derart strukturierten Umgang mit einem bedeutungsoffenen Lerngegenstand führt Klie die Empfehlung Martin Luthers an dessen Freund Peter Beskendorf an. In seiner Schrift „Eine einfältige Weise zu beten für einen guten Freund“193 rät Luther, der Freund solle zusätzlich zum Vaterunser auch die Zehn Gebote in seine persönlichen Gebete einschließen. Für diese „Ingebrauchnahme“ entwirft er folgende planvolle Zugangsweise: „Ich neme ein iglich Gebot an zum ersten als eine lere, wie es denn an im selber ist, Und dencke, was unser Herr Gott darinn so ernstlich von mir fordert, Zum andern mache ich eine dancksagung draus, Zum dritten eine beicht, Zum vierden ein gebet.“194
Klie sieht in Luthers Empfehlung nicht nur ein Exempel für eine bewusste Produktion von unterschiedlichen Lesarten, sondern auch eine „Spielregel“, die an einem Beispiel didaktisch „durchdekliniert“195 werde. In Anlehnung an dieses berühmte „vierfach gedrehte Kränzlein“196 Luthers formuliert Klie dann ebenfalls vier regelhafte Gesichtspunkte, die er in der unterrichtlichen Erschließung eines religiösen Lerngegenstands zu berücksichtigen empfiehlt. Zunächst soll beachtet werden, dass das semiosische Erzeugen von Lesarten im Religionsunterricht „immer exemplarisch“197 (1.) geschehen muss. Das Lesen eines Textes kommt im Unterrichtsverlauf nicht an ein Ende und muss notwendigerweise für jeden Rezipienten zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Dennoch entstehen in der konkreten Unterrichtssituation eine begrenzte Anzahl von beispielhaften Deutungen, die im zeichendidaktischen Sinne „die Semiose […] auf ein (unterrichtlich) operationalisierbares Maß reduzieren“198 können. Weiterhin ist strikt darauf zu achten, die Perspektivenwechsel im Unterrichtsverlauf „regelkonform“199 (2.) zu gestalten. Die klare Einhaltung der vorher festzulegenden Verhaltensweisen bei der Übernahme von Rollen bezeichnet 191 Vgl.
K lie , Zeichen und Spiel, S. 443. Ebd., S. 442. 193 Luther , WA 38, S. 351–375. 194 Ebd., S. 365. 195 K lie , Zeichen und Spiel, S. 444. 196 Im Originaltext nennt Luther seine Konstruktion ein „gevierdes [vervierfachtes] oder ein vierfaches gedrehetes krentzlin“. Luther , WA 38, S. 364. 197 K lie , Zeichen und Spiel, S. 444. 198 Ebd. 199 Ebd., S. 445. 192
3 Spielarten Performativer Religionsdidaktik
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Klie als konstitutiv für das Gelingen des Spiels, da nur die Observanz der im Spielraum relevanten Regeln die „notwendige ästhetische Differenz zum nichtspielerischen Umraum“ markiert und darüber hinaus den jeweiligen Spielern „Verhaltenssicherheit“200 in den eröffneten Lernarrangements vermittelt. Ferner – und im Hinblick auf die religionspädagogische Fundierung des Ansatzes m. E. besonders beachtenswert – fordert Klie eine Ableitung der Strukturierung des Unterrichtsgeschehens aus der inneren Logik der Lerngegenstände. Die Regeln des religionsdidaktischen Zeichenspiels sollen selbst „theologisch codiert“ (3.) sein. Keinesfalls dürfen sich demnach Spielregeln willkürlich oder bloß assoziativ im Unterrichtsprozess ergeben, sondern sie müssen den Schülerinnen und Schülern in ihrem jeweiligen Wechselverhältnis zum religiösen Lerninhalt transparent gemacht werden. Für die Planung des Unterrichts folgt aus dieser Forderung die anspruchsvolle Aufgabe, das inszenierte Spiel und die zugrunde gelegten Spielregeln je neu aufeinander zu beziehen. Als letzten Teilaspekt, den es in der Strukturierung religiöser Lernprozesse zu berücksichtigen gilt, verweist Klie auf die Grundfrage nach der „Auswahl des Unterrichtsgegenstands“201 (4.). Die Angemessenheit der Lerngegenstände müsse sich an dem zentralen Kriterium messen lassen, ob die Schülerinnen und Schüler in Auseinandersetzung mit ihnen Exemplarisches über die christliche Religion lernen können.202 Derartige Lerngegenstände können von „explizit biblisch oder religiös codierten Unterrichtsmedien“ über „Texturen, die mit gewisser Wahrscheinlichkeit religiös relevante Lesarten“ eröffnen bis hin zu der „ganze[n] Palette popkultureller Phänomene“203 reichen. Dabei geht es nicht um die Übernahme oder das Einüben religiöser Tradita, sondern um eine subjektive, ergebnisoffene Auseinandersetzung mit den religiösen Dokumenten und Vollzügen.204 Was jedoch nach dieser Forderung im evangelischen Religi-
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Ebd. Ebd., S. 446. In Anlehnung an P eirce , Collected Papers (s. o.), stellt sich Klie den Prozess des religiösen Lernens „abduktiv“ vor. K lie , Zeichen und Spiel, S. 443. Die unterrichtliche Auseinandersetzung mit einem Lerngegenstand wird demnach nicht als beispielhafte Veranschaulichung eines schon vorab bestimmten Lernziels verstanden – der Begriff „exemplarisch“ kann daher an dieser Stelle in die Irre führen – sondern der Gegenstand soll die Schülerinnen und Schüler motivieren, selbst Hypothesen aufzustellen. Peirce beschreibt den Prozess der Abduktion wie folgt: „The surprising fact, C, is observed; But if A were true, C would be a matter of course, hence, there is a reason to suspect that A is true“. P eirce , Collected Papers, S. 117. Im Unterschied zu deduktiven und induktiven Ansätzen steht hier das Neue, das Verwirrung stiftende Moment am Anfang. Von diesem ausgehend kann sich Klies „tentative[s] Spiel mit Wahrscheinlichkeitsprognosen“ (s. o.) erst ergeben. Hierzu erneut Peirce: „Deduction proves that something ‚must‘ be; Induction shows that something ‚actually‘ is operative; Abduction merely suggests that something ‚may‘ be.“ P eirce , Collected Papers, S. 106. 203 K lie , Zeichen und Spiel, S. 446. 204 Vgl. Englert, Zwischenbilanz, S. 7. 201 202
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onsunterricht in jedem Fall zur Regel werden soll, ist die Auswahl von Inhalten, die schon äußerlich als religiös relevant erkennbar und identifizierbar sind.205 Klie formuliert diese vier Leitlinien, um die semiotisch begründete performative Religionsdidaktik in der Strukturierung von religiösen Lernprozessen zu orientieren. Dies verdeutlicht erneut die Beobachtung, dass Klies Arbeiten vornehmlich der konkreten Fortentwicklung religionsunterrichtlicher Praxis dienen wollen.206 Aus der Vielzahl an unterrichtspraktischen Entwürfen, die Klie neben seinen religionsdidaktischen Grundsatztexten veröffentlicht hat, sei im Folgenden auf einen Unterrichtsvorschlag zum Thema „Segen“ verwiesen. Dieser veranschaulicht exemplarisch, wie Klie sich performativen Religionsunterricht vorstellt. Er entstammt dem Praxisband „Gestalteter Glaube“207, den Klie gemeinsam mit Bärbel Husmann im Jahr 2005 vorgelegt hat. Darin finden sich insgesamt zwölf „Konkretionen“, die „Liturgische Stücke“, „Sakramente“ und „Kasualien“208 religionsunterrichtlich in Szene setzen. Die Sequenz zum Segen wird von den Autoren in drei Bausteine unterteilt: Zuerst sollen sich die Schülerinnen und Schüler mit Sprüchen der Alltagssprache, Grußformeln und Glückwünschen auseinandersetzen, die in unterschiedlicher Weise Bezüge zum Thema „Segen“ eröffnen (z. B. „Da liegt kein Segen drauf!“; „Der Haussegen hängt schief.“; „Viel Glück und viel Segen…“209). In einer Partnerarbeit werden die Texte auf Spruchkarten zufällig ausgeteilt und bearbeitet. Zuerst soll jedes Tandem spontane Assoziationen zu den zugeordneten Spruchkarten besprechen und sich im Anschluss „eine passende Situation [überlegen], in der dieser Spruch oder dieses Wort Verwendung findet oder finden könnte.“210 Auf die Partnerarbeit folgt eine Auswertungsphase im Plenumsgespräch. Hier werden zunächst Bezüge zum Segenshandeln der Kirche eröffnet (z. B. „Auf welche Weise kommt bei einzelnen Sprüchen Gott ins Spiel?“; „welche kommen im Gottesdienst vor?“211). Zudem soll zu einer subjektiven Auseinandersetzung mit einzelnen Spruchkarten eingeladen werden (z. B. „Welche Segensformulierungen gefallen euch gut, welche nicht?“212). Im zweiten Schritt rückt das Experimentieren mit eigenen Segensformulierungen in den Fokus. Zuerst wird die Lerngruppe in Dreiergruppen auf205 Vgl. K lie , Zeichen und Spiel, S. 446. 206 Diese Beobachtung stützt die Vielzahl
an unterrichtspraktischen Beiträgen, die Klie neben seinen religionspädagogischen Grundsatztexten veröffentlich hat. Vgl. hierzu z. B.: Thomas K lie (Hg.): Kirchenpädagogik und Religionsunterricht. 12 Unterrichtseinheiten für alle Schulformen, Rehburg-Loccum 2001; Husmann / K lie , Gestalteter Glaube. 207 Husmann / K lie , Gestalteter Glaube. 208 Ebd., S. 5. 209 Ebd., S. 121 f. 210 Ebd., S. 121. 211 Ebd., S. 123. 212 Ebd.
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geteilt. Dann entscheidet sich per Losverfahren, welchen drei weiteren Mitschülerinnen und Mitschülern je ein Mitglied der Kleingruppe Segen zuspricht. Die persönlichen Segenswünsche sollen konkret an die zufällig ausgewählten Adressaten gerichtet sein und gemäß der folgenden Vorgaben selbst formuliert werden: „Diese Wünsche müssen formal beginnen mit ‚Der Herr‘ oder ‚Gott‘, das Verb muss in der Wunschform stehen (behüte dich/euch oder möge dich behüten). Die Wünsche sollten so kurz sein, dass ihr sie nachher auswendig zusprechen könnt.“213 Es folgt die Präsentationsphase, in der alle Segenswünsche als Sprechakte vor der Klasse inszeniert werden. Hierfür stehen die Sprechenden sowie die Angesprochenen von ihren Plätzen auf und begeben sich an eine exponierte Stelle des Klassenraumes, die zuvor als Bühne eingerichtet wurde. Dort werden die Segenswünsche laut, auswendig und mit Blickkontakt zu den Angesprochenen vorgetragen. Weder die Lehrkraft noch die übrigen Schülerinnen und Schüler dürfen während dieser Phase die einzelnen Sprechakte kommentieren. Erst im abschließenden Auswertungsgespräch erfolgt die Reflexion der individuellen Erfahrungen während der Experimente. Im Gesprächsverlauf sollen eine Reihe insbesondere persönlicher Fragen zur Sprache kommen, um das Erlebte auszuwerten (z. B. „Wie war das für euch, einen Segen zugesprochen zu bekommen?“; „Hättet ihr gern neben dem Sprechakt auch eine Geste der Zuwendung erhalten? Welche?“ etc.). Auffällig ist in diesem Lernsetting, dass Husmann/Klie darin auf die Inszenierung eines Rollenschutzes weitgehend verzichten. So wird das Probehandeln nicht durch einen expliziten Perspektivenwechsel markiert, indem etwa veränderte Namen in den Segenswünschen verwendet werden müssen. Das Fehlen einer solchen perspektivischen Brechung der persönlichen Anrede wird an späterer Stelle kritisch zu diskutieren sein.214 Im dritten Baustein werden schließlich verschiedene Vorstellungen vom Segen in der Bibel anhand exemplarischer Textstellen erarbeitet. Während einer ausführlichen Erarbeitungsphase setzt sich die Lerngruppe vor allem mit der Unterschiedlichkeit und teilweisen Widersprüchlichkeit der biblischen Segensauffassungen auseinander. Die Einsicht in diese Uneindeutigkeit fundiert dann ein Gespräch über ein Beispiel aktueller Segenspraxis innerhalb der Kirche, in dem sich die Schülerinnen und Schüler kritisch und diskursiv z. B. zur Segnung von Gegenständen in der katholischen Kirche äußern können. Am Schluss der Sequenz schreiben die Schülerinnen und Schüler einen kurzen Text, in dem sie rückblickend ihren persönlichen Lernertrag zusammenfassen. Der Text soll 213 214
Ebd., S. 124. Vgl. § 4, Kap. 2.3 „Performative Spielarten in der Spannung zwischen Missionierungsverdacht und Profanisierungsgefahr“ sowie bezüglich der Einführung einer Unterscheidung zwischen performativ-bibeldidaktischen Lernarrangements und Konkretionen „liturgischen Lernens“ Kap. 2.7 „Performative Bibeldidaktik und die Unterscheidung vom liturgischen Lernen“.
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§ 1 Theoretische Fundierung performativer Religionsdidaktik
keine Lernkontrolle darstellen. Er soll die Lerngruppe darauf aufmerksam machen, wo genau für jeden Einzelnen „persönlich bedeutsames Lernen“215 stattgefunden hat. Die Sequenz verdeutlicht exemplarisch das Anliegen der semiotisch begründeten Entwürfe von Klie. Es geht der Sequenz im Kern darum, „den eigenen Horizont in Bezug auf Segen und Segnen zu erweitern“216, indem Segensworte spielerisch selbst in den Mund genommen und mit Bezug zu diesem eigenen Ausprobieren kritisch reflektiert werden. Dabei interessiert nur am Rande, ob die Schülerinnen und Schüler am Ende Wissen ansammeln, etwa über die Genese oder theologische Relevanz des Segens.217 Sie sollen stattdessen lernen, den Segen als Teil der liturgischen Praxis gelebter christlicher Religion, als mehrdeutige religiöse Ausdrucksgestalt wahrzunehmen und zu deuten.
3.2 Gestaltpädagogisch begründete Performanz Die zweite Spielart performativer Religionsdidaktik verdankt sich einer religionspädagogischen Rezeption gestaltpädagogischer Anregungen im Umfeld des Göttinger Religionspädagogen Christoph Bizer. Schon in den frühen 1990er Jahren – also mehr als zehn Jahre bevor die ersten Konzepte zum performativen Religionsunterricht veröffentlicht wurden218 – forderte Bizer unter Bezugnahme auf die Gestaltpädagogik eine Aufwertung des experimentellen Umgangs mit Formen des gelebten Christentums im Religionsunterricht.219 Den Begriff „Gestaltpädagogik“ etablierte der Psychologe und Therapeut Hilarion G. Petzold 1977 durch die Veröffentlichung eines gleichnamigen Aufsatzbandes im deutschsprachigen Raum.220 Dahinter verbirgt sich im Wesentlichen eine Übertragung zentraler Annahmen des psychotherapeutischen Ansat215 216
Husmann / K lie , Gestalteter Glaube, S 127. Ebd., S. 120. 217 Diese Beobachtung stützt auch, dass Husmann / Klie ihren ausführlichen Anweisungen zur Gestaltung der abschließenden Reflexionsrunde in Baustein 2 geradezu beiläufig den folgenden Schlusssatz hinzufügen: „In dieses Unterrichtsgespräch könnte die Lehrkraft entsprechendes liturgisches Hintergrundwissen eintragen.“ Ebd. S. 125 (Hervorhebung FD). 218 Als die ersten breitenwirksamen Veröffentlichungen zum performativen Neuansatz in der Religionsdidaktik wurden oben bereits ein Themenheft aus dem Jahre 2002 (rhs 45 [2002],) sowie der von Thomas Klie und Silke Leonhard herausgegebene Sammelband „Schauplatz Religion“, der im Jahre 2003 in erster Auflage erschien, benannt. 219 Vgl. C hristoph Bizer : Die Gesellschaft auf dem Dachboden und von einem biblischen Kobold. Ein religionspädagogischer Versuch zur Gestaltpädagogik, in: JRP 7 (1990), S. 161–178, 164 f. 220 H ilarion G. P etzold / George I. Brown (Hg.): Gestaltpädagogik. Konzepte der Integrativen Erziehung, München 1977. Petzold weist in seiner Definition der „Gestaltpädagogik“ darauf hin, dass unter diesem Begriff „eine Reihe von Ansätzen zusammengefasst werden, die auf dem Hintergrund der Humanistischen Psychologie, des Existentialismus und Experimentalismus entstanden sind“ (S. 7).
3 Spielarten Performativer Religionsdidaktik
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zes der „Gestalttherapie“ von Fritz Perls und Paul Goodman auf die schulische Erziehung von Kindern und Jugendlichen.221 Im Kern richtet die Gestalttherapie ihr Augenmerk auf „ein ganzheitliches Erfassen der Wirklichkeit“222. Perls’ Konzept von „Gestalt“ nimmt an, „dass Fakten, Sinneswahrnehmungen, Verhaltensweisen und Phänomene erst durch ihre Organisation, nicht schon durch ihre einzelnen Bestandteile definiert werden und ihre eigenständige und besondere Bedeutung erlangen.“223 „Gestalt“ meint demnach subjektiv zusammengefügte Struktur, „organisiertes Ganzes“224. Perls hebt besonders hervor, dass „Gestalt“ in dieser Hinsicht der menschlichen Natur entspricht, die nach seiner Meinung ihrerseits in solchen „Ganzheiten“225 organisiert ist. Dabei wird der Mensch nicht als abgeschlossenes, von seinem speziellen Kontext losgelöstes Ganzes verstanden. Perls geht stattessen von einer ursprünglichen Zusammengehörigkeit des Organismus und der ihn umschließenden Umwelt aus: „Die Kontaktgrenze aber, wo die Erfahrung sich ereignet, steht nicht trennend zwischen Organismus und Umwelt; vielmehr begrenzt sie den Organismus, umfängt und schützt ihn und berührt zu gleicher Zeit die Umwelt.“226 Um also „Gestalt“ als subjektive Struktur zu formen, ist ein In-Kontakt-Treten mit der Umwelt notwendig. „Kontakt“ verweist als weiterer Leitbegriff der Gestalttherapie auf ein aktiv-kreatives Moment des bewussten, aufmerksamen und alle Sinne betreffenden Wahrnehmens eines Teiles der Welt.227 Dieser Kontakt kann sich gestalttheoretisch stets nur im hic et 221 In den vielfältigen gestaltpädagogischen Überlegungen zur Erziehung spielen auch noch eine Vielzahl weiterer Begründungstraditionen eine Rolle, wie etwa die Humanistische Psychologie, die Reformpädagogik und die Gestaltpsychologie, um nur eine Auswahl zu nennen. Eine vollständige Darstellung der Entstehungs- und Begründungsgeschichte der Gestaltpädagogik ist an dieser Stelle nicht zu leisten. Eine informative Übersicht liefert Wiltrud K rauẞ: Entstehungsgeschichte der Gestaltpädagogik, in: Gestaltpädagogik. Theorie, Politik und Selbsterkenntnis in der Schule, hg. v. A nnedore P rengel , Weinheim / Basel 1983, S. 40– 62. 222 H ilarion G. P etzold: Gestaltpädagogik, in: Gestaltpädagogik. Konzepte der Integrativen Erziehung, hg. v. dems. und George I. Brown, München 1977, S. 7–13, 7. 223 Frederick S. P erls: Grundlagen der Gestalt-Therapie. Einführung und Sitzungsprotokolle, Stuttgart 91996, S. 20. 224 P etra S chulz: Sich etwas von sich selbst her zeigen lassen. Ein Beitrag zur didaktischen Theorie phänomenologisch orientierter Religionspädagogik, RThSt 17, Münster 2005, S. 64. 225 Ebd., S. 64 f. 226 Frederick S. P erls / R alph F. H efferline / Paul G oodman: Gestalt-Therapie. Lebensfreude und Persönlichkeitsentfaltung, Stuttgart 41988, S. 11. 227 Im Zusammenhang mit den Begriffen „Gestalt“ und „Kontakt“ spielt Perls’ Begriff der „awareness“ eine zentrale Rolle. Schulz übersetzt das englische Wort m. E. treffend mit „Gewahrsein“, um damit auszudrücken, dass es sich nach Perls bei diesem Begriff um „ein fast absichtsloses Gegenwärtigsein [handelt], das die Situation intuitiv wahrnimmt, oder auch ein freies Erspüren, was im Innern auftaucht.“ Schulz , Phänomenologisch orientierte Religionspädagogik, S. 70.
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nunc, in der unmittelbar erlebbaren Gegenwart eines Augenblicks, ereignen – und nie anhand von zurückblickend-deutenden Rekonstruktionen. Von diesen Grundannahmen der Gestalttheorie Perls’ ausgehend, tragen die frühen gestaltpädagogischen Veröffentlichungen ihre grundsätzliche Kritik an der Realität in den Schulen der 1970er Jahre vor. Die Organisation der Lehrund Lernprozesse im konventionellen Bildungssystem berücksichtige nicht ausreichend die ganze Person der Schülerinnen und Schüler und fördere zu wenig deren heterogene Wachstumspotentiale.228 Eine angemessene Pädagogik müsse stattdessen der Leibgebundenheit aller Wahrnehmung und Erfahrung Rechnung tragen,229 indem sie unterrichtlich das Lernen mit allen Sinnen sowie die Momente der Selbsterfahrung und -reflexion in den Mittelpunkt rückt. An dieser Stelle überschneiden sich die gestaltpädagogischen Anliegen mit der reformpädagogischen Formel des Lernens mit „Kopf, Herz und Hand“ (Pestalozzi). Nach gestaltpädagogischer Überzeugung bedarf es grundlegender Reform des Schulwesens, das sich nicht länger auf kognitive Lernprozesse und Lernerfolge konzentrieren könne. In der zeitgemäßen Schule sollen stattdessen Lernprozesse ermöglicht werden, die Lerngegenstände so organisieren und strukturieren, dass sie sich für den individuellen Reifungsprozess des einzelnen Kindes als relevant erweisen. Das Kriterium für die Einschätzung von Unterrichtsqualität wird nicht länger darin gesehen, ob die Lerngruppenteilnehmer curricular begründete Wissensbestände aufbauen. Stattdessen steht im Mittelpunkt, inwieweit Formen des aktiv-konstruktiven Umgangs mit sich selbst, den anderen Lerngruppenteilnehmern und den Unterrichtshemen umgesetzt werden. Jörg Bürmann unterscheidet in diesem Zusammenhang vier Arten „persönlich bedeutsamen Lernens“, die es zur Förderung der „Persönlichkeitskonstitution- und Integration“230 im Unterricht zu implementieren gelte. Diese reichen von so unterschiedlichen 228 Vgl. P etzold, Gestaltpädagogik, S. 7; A nnedore P rengel: Gestaltpädagogik, Politik und Selbsterkenntnis im Schulsystem, in: Gestaltpädagogik. Theorie, Politik und Selbsterkenntnis in der Schule, hg. v. ders., Weinheim / Basel 1983, S. 17–39, 19. Prengel kritisiert an dieser Stelle die Situation an den Schulen besonders scharf, wenn sie von einer „schulsystemimmanenten Verhinderung des Lernens“ spricht. Insgesamt sei hier darauf hingewiesen, dass schwerlich nachgezeichnet werden kann, welches Leitziel die Gestaltpädagogik in all ihren Facetten vereint. Ebenso wie die Begriffe der Gestaltpsychologie und der Gestalttherapie je Sammelbegriffe für unterschiedliche Vertreter mit je unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen sind, gibt es auch eine Vielzahl unterschiedlicher gestaltpädagogischer Spielarten. Auffallend ist, dass sich diese alle auf die grundlegenden Arbeiten von Perls beziehen. Als Beispiele verdienen hier so unterschiedliche Ansätze wie George Browns „Confluent Education“, Petzolds „Integrative Pädagogik“ sowie Ruth Cohns „Themenzentrierte Interaktion“ (TZI) Erwähnung. Eine Zusammenschau einschließlich sorgfältiger Betonung der jeweiligen Eigenheiten liefert P etzold, Gestaltpädagogik, S. 11 f. 229 Vgl. S chulz , Phänomenologisch orientierte Religionspädagogik, S. 62. 230 Jörg Bürmann: Gestaltpädagogik und Persönlichkeitsentwicklung. Theoretische Grundlagen und praktische Ansätze eines persönlich bedeutsamen Lernens, Bad Heilbrunn 1992, S. 115.
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Lernaspekten wie dem „ganzheitlichen, lebendigen Lernen“ bis zur „unmittelbaren Reflexion der Dimension der Bezogenheit des einzelnen zum engeren (Familie, Gruppe) und weiteren Kontext (politisches, soziales und ökologisches System).“231 In der Rezeption der Gestaltpädagogik durch die in diesem Teilkapitel darzustellenden performativen Ansätze erweist sich zudem die intensive Reflexion der Lehrerrolle innerhalb der gestaltpädagogischen Überlegungen als einflussreich. Olaf-Axel Burow bezeichnet die Gestaltpädagogik sogar als „Pädagogik vom Lehrer aus“232, die in besonderem Maße die Bedürfnisse und Wahrnehmungsvoraussetzungen der Lehrpersonen in ihr Modell eines gelungenen Umgangs im Klassenzimmer einbezieht. Des Weiteren deutet diese Bezeichnung auf die Vielzahl an konkreten, veränderten Anforderungsprofilen für Lehrkräfte hin,233 die sich cum grano salis in drei Teilbereiche kategorisieren lassen: Zuerst und besonders wichtig soll die Lehrperson eine Haltung entwickeln, die das „In-Kontakt-Treten“ innerhalb der Lerngruppe, in der die Lehrerinnen und Lehrer als integraler Teil verstanden werden, befördert. Als Merkmale dieser Haltung beschreibt Petra Schulz unter Bezugnahme auf Burow die auffallend vielfältigen Bereiche „Gewahrsein, Fähigkeit zur Akzeptanz des Eigenen wie des Fremden, Kongruenz (Echtheit), Empathie sowie die Fähigkeit zur Integration.“234 Die Aneignung derartiger Haltung gelingt in gestaltpädagogischer Perspektive nicht durch das reproduktive Einüben von konkreten, vorgegebenen Verhaltensweisen. Wichtiger ist das konstruktive Entwickeln eines subjektiven Modus der Lehrerprofessionalität, der die je eigenen Fähigkeiten und Grenzen in einen authentischen Stil integriert.235 Zweitens wächst im gestaltpädagogischen Lehrerbild die Anforderung an die Diagnosekompetenz der Lehrenden. Wer „individuelle und kollektive Bedürfnisse person- und situationsgemäß“236 berücksichtigen will, der muss diese zunächst sorgfältig wahrnehmen und zutreffend einschätzen können. 231 Ebd., S. 116 f. Neben den oben genannten Arten persönlich bedeutsamen Lernens nennt Bürmann ferner „die Beschäftigung der Schüler mit ihrem eigenen Leben als Ganzem, in seiner Begrenztheit durch Geburt und Tod“. Diesen Aspekt teilt Bürmann in einen Bereich der Reflexion des lebensgeschichtlichen Gewordenseins des einzelnen und einen Bereich der Reflexion der Zukunftsdimension im Sinne der Gestaltung eines sinnerfüllten Lebens. 232 O laf-A xel Burow: Was ist Gestaltpädagogik?, in: Gestaltpädagogik in der Schule, hg. v. dems. und H erbert Gudjons, Hamburg 1994, S. 9–22, 18. 233 Zu den veränderten Anforderungen an die Lehrkräfte und der darauf bezogenen Notwendigkeit zur Implementierung entsprechender Schulungsangebote vgl. ferner das ausführliche Kapitel zum „Lehrertraining“ bei Olaf-A xel Burow: Grundlagen der Gestaltpädagogik, Dortmund 1988, S. 126–157. 234 S chulz , Phänomenologisch orientierte Religionspädagogik, S. 73. 235 Vgl. Burow, Gestaltpädagogik in der Schule, S. 18 f. Burow bezeichnet an dieser Stelle die veränderte Rolle des Lehrers mit dem Begriff des „wachen Begleiters“, in dessen Lehrkonzept die gestaltpädagogischen Auffassungen zur Intersubjektivität, dem Strukturmodell der TZI sowie zur hauptsächlichen Anwendung kreativer Methoden integriert sind. 236 S chulz , Phänomenologisch orientierte Religionspädagogik, S. 73.
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§ 1 Theoretische Fundierung performativer Religionsdidaktik
Schließlich ergibt sich aus der veränderten Lehrerrolle ein dritter Anforderungsbereich auf der Beziehungsebene: Nach Thijs Besems bedarf es eines „bewußten Schrittes“ von Seiten der Lehrerinnen und Lehrer, um die „sachliche Beziehung“ zwischen Lehrenden und Lernenden in einen „direkten Kontakt von Subjekt zu Subjekt“237 zu transformieren. Das gestaltpädagogische Verständnis der Lehrkräfte entwirft auf diese Weise einen Gegenentwurf zum Bild des Experten, der seine bereits erlernten Wissensbestände weitergibt. Stattdessen entsteht ein Bild der Lehrkraft als einer Person, die sich mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam auf die Suche begibt, sich als Teil der im Wachstum begriffenen Gemeinschaft des Klassenraums in die Lernprozesse der Gruppe aktiv einbringt und davon auch im eigenen Lern- und Reifeprozess profitiert.238 An dieser Stelle zeigt sich auch bezüglich der Lehrerrolle, dass dem individuellen Prozesses der Identitätskonstituierung in gestaltpädagogischer Perspektive eine herausragende Bedeutung zukommt. Aus den oben skizzenhaft dargestellten Kernmomenten der Gestaltpädagogik haben insbesondere die Konzepte der kreativen Kontaktaufnahme, der Leibgebundenheit von Lernprozessen und die Reflexion der Lehrerrolle die gestaltpädagogisch begründete Spielart performativer Didaktik beeinflusst. Zudem ist bereits angeklungen, dass im Bemühen um eine gestaltpädagogische Neuorientierung der Schule eine erziehungsbezogene Kritik an dem leistungsorientierten Bildungssystem immer mitgedacht wird.
3.2.1 Religion beim Wort nehmen. Christoph Bizer und die Gestaltwerdung von Religion im Unterricht Schon eine unbefangene, erste Sichtung der Schriften des Religionspädagogen Christoph Bizer offenbart, wie sehr sich Bizers Ansatz von den anderen untersuchten Beispielen performativer Religionsdidaktik unterscheidet.239 So fällt schnell ins Auge, dass der zentrale Leitbegriff der „Performanz“ in Bizers Werk keine Rolle spielt. Weiterhin zeigt sich, dass seine kritische Situationsanalyse nicht hinreichend mit der in performativen Ansätzen gängigen These des Traditionsabbruches beschrieben werden kann. Dennoch wäre die Entwicklung nicht nur der gestaltpädagogisch begründeten Spielarten performativer Religionsdidaktik ohne Bizers Wirken und seine 237 Thijs Besems: Überlegungen zu intersubjektivem Unterricht in der Integrativen Pädagogik, in: Gestaltpädagogik. Konzepte der Integrativen Erziehung, hg. v. H ilarion G. P etzold und G eorge I. Brown, München 1977, S. 45–77, 62. Nach Besems verlangt der Kontaktprozess den oben angesprochenen „bewußten Schritt“ gleichermaßen von den Schülerinnen und Schülern. 238 Besems spricht diesbezüglich sogar von einer „gleichwertigen Weise“, in der die Lehrerinnen und Lehrer einerseits und die Schülerinnen und Schüler andererseits „an einem Lehrund Lernprozeß beteiligt sind“. Besems, Überlegungen, S. 63. 239 Vgl. D omsgen, Performativer Religionsunterricht, S. 39.
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(Vor‑)Überlegungen kaum denkbar. Seine langjährige Assistentin und religionspädagogische Schülerin Silke Leonhard urteilt deshalb treffend, dass die Religionspädagogik Bizer „die Inspiration“240 für die performative Didaktik verdanke. Das folgende Teilkapitel will jedoch nicht in erster Linie die vielfältigen Einflüsse dieses „Altmeister[s] performativer Religionspädagogik“241 auf seine Nachfolgerinnen und Nachfolger herausarbeiten. Hier soll es vielmehr um die Begründung der These gehen, dass Bizers Arbeiten bereits lange vor den kontroversen Diskussionen der 2000er Jahre eine eigene didaktische Spielart darstellten, die rückblickend durchaus als „performativ“ bezeichnet werden kann.
3.2.1.1 Zur Ausgangslage: Bizers Kritik an den Bildungsinstitutionen Eine Annäherung an Bizers didaktische Entwürfe hat zunächst dessen kritische Analyse der religiösen Bildungsvoraussetzungen in Schule und Kirche zu bedenken.242 Wie kein zweiter der hier vorgestellten Autoren wendet sich Bizers scharfe Kritik gegen diese beiden Institutionen, die Religionsunterricht an öffentlichen Schulen verantworten.243 Im auffälligen Unterschied zu den anderen hier vorgestellten Spielarten performativer Religionsdidaktik verzichtet Bizer jedoch auf eine Anzeige von Defiziten religiöser Bildung und Sozialisation von 240 Silke Leonhard: Wahrnehmen und gestalten. Ein Nachruf auf Christoph Bizer, in: Loccumer Pelikan 3 (2008), S. 140–141, 141. Ähnlich äußert sich auch Bizers Göttinger Nachfolger Martin Rothgangel, der in der inspirierenden Wirkung Bizers auf die Entwicklung der performativen Ansätze eine „theoretische Frucht seiner Tätigkeit“ identifiziert. M artin Rothgangel: Im Kontext von Lehrerbildung und Praktischer Theologie. Die Etablierung der Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät Göttingen, in: Institutionalisierung und Profil der Religionspädagogik. Historisch-systematische Studien zu ihrer Genese als Wissenschaft, hg. v. Bernd Schröder , PThGG 8, Tübingen 2009, S. 317–339, 337. 241 Englert, Zwischenbilanz, S. 12. 242 Vgl. hierzu ausführlich Florian D inger : ‚Religion beim eigenen Wort […] nehmen.‘ Christoph Bizer und die Gestaltwerdung von Religion im Unterricht, in: Göttinger Religionspädagogik. Eine Studie zur institutionellen Genese und programmatischen Entfaltung von Katechetik und Religionspädagogik am Beispiel Göttingen, hg. v. Bernd Schröder , PThGG 25, Tübingen 2018, S. 335–351; Florian Dinger: Christoph Bizer (1935–2008) – christliche Religion wahrnehmen und gestalten, in: Stiftsgeschichte(n). 250 Jahre Theologisches Stift der Universität Göttingen (1765–2015), hg. v. Bernd Schröder und H eiko Wojtkowiak , Göttingen 2015, S. 315–325, 320 f. 243 Bizer distanzierte sich nicht nur von den seinerzeit vorfindlichen Religionsdidaktiken an den Institutionen Schule und Kirche, sondern kritisierte auch die Vermittlung von Religion im Hochschulbereich an den Theologischen Fakultäten. Diesbezüglich schreibt Hans-Martin Gutmann, Bizer traue der Institution Theologische Fakultät nicht mehr zu, die christliche Religion in einer lebensförderlichen Weise zu präsentieren, in der die Studierenden dazu angeleitet werden, ihre Gehalte in eigenen Lernprozessen zu einer guten Gestalt zu bringen. Vgl. H ansM artin Gutmann: Die Gestalt der Verheißung. Laudatio für Christoph Bizer zum Abschluß seiner Lehrtätigkeit an der Theologischen Fakultät in Göttingen am 9. Juli 2000, in: Wahrnehmung der christlichen Religion, hg. v. I ngrid Schoberth, Heidelberger Studien zur Praktischen Theologie 11, Berlin 2006, S. 18–26, 21.
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§ 1 Theoretische Fundierung performativer Religionsdidaktik
Kindern und Jugendlichen in der sich zunehmend säkularisierenden Gesellschaft. Insbesondere Bizers Kritik an der Kirche ist gerade deshalb auffällig, weil sich in Bizers Lehr- und Forschungstätigkeit gleichzeitig eine besondere Nähe zu Kirche und Gemeinde zeigt. So war zum Beispiel die Göttinger St. Marien Kirche der bevorzugte Ort seiner eigenen religionspädagogischen Hochschulseminare, so hielt er regelmäßig Gottesdienste mit viel beachteten Universitätspredigten244 und so zeigte er ein ausgesprochenes Forschungsinteresse an „Kirchgängen im Unterricht und anderswo“245. Die persönliche Frömmigkeit prägt in hervorzuhebender Weise die eigene Didaktik des Religionspädagogen Bizer.246 Er äußert sich geradezu enttäuscht über den „großen Unwillen“247 seiner Kirche, die sich verändernden Lebenswelten von Schülerinnen und Schülern wahrzunehmen, ernstzunehmen und ihnen attraktive Lernräume zu eröffnen. Die seiner Ansicht nach fehlende Kommunikationsfähigkeit der Kirche in Bezug auf die konkrete Lebenssituation der Heranwachsenden sowie ihr „dogmatisches und institutionelles Gehabe“248 betrachtet Bizer als wesentliche Faktoren, die zur Marginalisierung von Kirche in der Alltagswelt beigetragen haben: „Jugendliche Stimmen, die resigniert klagen, die Kirche habe nichts mit Ihnen im Sinn, sind ein Echo auf Verweigerungen der Kirche.“249 Auch der Schule der 1990er Jahre begegnet Bizer mit erheblicher Kritik: Die Schule sei zu einer „verknechteten Institution“ geworden, die das Leben ihrer Schüler und Lehrer immer weniger auffange und daher insgesamt „schlecht“250 funktioniere. Dies treffe ganz besonders auf die Situation religiöser Bildung zu. Ernüchtert stellt Bizer fest: „Die Religion im Umfeld der Schule ist sehr schlimm dran!“251 Diesbezüglich sieht er die zentrale Problematik des evangelischen Religionsunterrichts in der didaktischen Engführung religiöser Lern244 Eine Sammlung von Bizers Universitätspredigten ist im Mai 2008 erschienen – einen Monat nach seinem plötzlichen Tod. C hristoph Bizer: Christuspredigten entlang der Heiligen Schrift, Predigt heute 15, Waltrop 2008. 245 Der so betitelte Sammelband Bizers, der sich m. E. aufgrund der darin aufgenommenen, teilweise repräsentativen Texte gut als Einführungslektüre in dessen didaktische Überlegungen eignet, umfasst elf Aufsätze, die alle mit seiner religionspädagogischen „Blickrichtung auf Kirche“ in Verbindung stehen: „Wenn sie [die Religionspädagogik] christliche Religion zu unterrichten lehrt, bewegt sie sich auch auf die christliche Kirche zu.“ C hristoph Bizer [Hg.]: Kirchgänge im Unterricht und anderswo. Zur Gestaltwerdung von Religion, Göttingen 1995, S. 7. 246 Vgl. etwa das unten ausführlich beschriebene Lernarrangement „auf dem Dachboden“. 247 C hristoph Bizer : Ulis Tanz, in: Kirchgänge im Unterricht und anderswo. Zur Gestaltwerdung von Religion, hg. v. dems., Göttingen 1995, S. 11–30, 20. 248 Ebd. 249 Ebd., S. 21. 250 C hristoph Bizer : Die Schule hier – die Bibel dort. Gestaltpädagogische Elemente in der Religionspädagogik, in: Arbeitshilfe für den evangelischen Religionsunterricht an Gymnasien, Bd. 49, hg. v. Wilfried Bergau-Braune u. a., Hannover 1992, S. 7–22, 7. 251 Ebd., S. 14.
3 Spielarten Performativer Religionsdidaktik
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inhalte auf deren kognitive Gehalte. Am Beispiel des reformatorischen Kernlehrstücks von der Rechtfertigung allein aus Gnaden zeigt Bizer auf, wie in Schule und Religionsunterricht aus Worten des befreienden Zuspruchs in der Schulrealität theoretische Lerngebäude und Formeln werden, die Schülerinnen und Schüler gar nicht mehr erreichen.252 Das Verstehen der auf den ersten Blick abständigen christlichen Antworten auf die drängenden Lebensfragen von Jugendlichen sei „von so gewaltigen Voraussetzungen abhängig, daß Schüler und Schülerinnen nicht im Stande sind, diese überhaupt zu vernehmen.“253 Die Problematik liegt jedoch nach Bizer nicht in der fehlenden religiösen Vorbildung oder Sozialisation der Kinder und Jugendlichen begründet, sondern in der unterrichtlichen Präsentation von Religion anhand abstrakter Theoriekonstruktionen. Das Spezifische von Religion komme gar nicht erst in den Blick, wenn die didaktische Erschließung von Religion nur mittels rekonstruierender Erarbeitung ihrer Lehren erfolge.254 Im Kontext einer vergleichenden Sichtung der Schriften zur performativen Religionsdidaktik sind die oben aufgeführten Kritikpunkte neben ihren didaktischen Implikationen auch insofern interessant, als Bizer nicht nur das Defizit religiöser Bildung nicht beklagt, sondern auch den Einfluss des allseits festgestellten Traditionsabbruches relativiert. So wehrt er sich wiederholt gegen das Beklagen eines zunehmenden „religiösen Analphabetismus“255 in der Schule. Im Gegenteil benötige der Religionsunterricht „keine vorgängige familiale Sozialisation, […] keine Erfahrung mit dem Unbedingten und kein Verständnis für Metapher und Symbol“256, um seine Ziele zu erreichen. Mehr noch: Die Klage mancher Religionspädagogen, „dass die Jugendlichen nichts mehr an religiöser Vorbildung in den Unterricht mitbrächten, ist […] dummes Zeug“257. Bizer ist überzeugt, dass der Religionsunterricht selbst den Lern-Raum eröffnen kann und muss, in dem sich das Aneignen von Religion im kreativen Umgang mit deren vorgegebenen Formen ereignet. 252 Vgl. Bizer , 253 Ebd., S. 20.
Ulis Tanz, S. 20. Vgl. ferner C hristoph Bizer: Kirchliches. Wahrnehmungen – sprachlich gestaltet – zum Wahrnehmen, in: Schauplatz Religion. Grundzüge einer performativen Religionspädagogik, hg. v. Silke Leonhard und Thomas K lie , Leipzig 2003, S. 23–46, 25. Bizer arbeitet an dieser Stelle heraus, dass Schule insgesamt „mit einem Konstrukt von Religion [arbeitet], das den Bildungsprogrammen intellektueller Reflexivität entspricht“, aber keine Hinweise auf „gelebte und lebbare Religion“ zu geben im Stande ist. 254 Bizer weist in diesem Zusammenhang gar darauf hin, dass „der schulmäßigen kritischen Analyse von Bibeltexten“ kein „Sitz im Leben“ entspräche. C hristoph Bizer: Liturgik und Didaktik, in: JRP 5 (1988), S. 83–111, 89. 255 Dies beklagt z. B. Bernhard D ressler : Religion im Vollzug erschließen! Performanz und religiöse Bildung in der Gemeinde, in: Performative Religionsdidaktik. Religionsästhetik – Lernorte – Unterrichtspraxis, hg. v. Thomas K lie und Silke Leonhard, PTHe 97, Stuttgart 2008, S. 88–97, 91. 256 Bizer , Liturgik, S. 84. 257 Bizer , Gestaltpädagogische Elemente, S. 17.
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§ 1 Theoretische Fundierung performativer Religionsdidaktik
3.2.1.2 Die authentische Selbstdarstellung von Religion im Unterricht Die Leitidee des didaktischen Ansatzes von Christoph Bizer lässt sich anhand einer programmatischen Formulierung erläutern, die er in seinem viel beachteten Aufsatz „Liturgik und Didaktik“ veröffentlichte: „Ich habe vor, Religion beim eigenen Wort zu nehmen, mit dem sie sich authentisch und öffentlich selbst darstellt und vollzieht.“258 In Anlehnung an dieses Zitat ist zunächst auf das für Bizer zentrale Defizit des Religionsunterrichts zu verweisen, nämlich auf die fehlende Repräsentation des „eigenen Wortes“ der Religion in der unterrichtlichen Praxis. Stattdessen konzentriere sich schulische Bemühung um Religion auf eine „erklärende Redeweise“259, die Bizer jedoch von authentischreligiöser Rede zu unterscheiden sucht. Die rekonstruierende Rede über Religion, etwa im Bereich der Textinterpretation oder der Diskussion von ethischen Konflikten260, sei „der Religion so fern […] wie der Sexualkundeunterricht der Erotik.“261 Bizer identifiziert hingegen das authentische Wort der evangelisch-christlichen Religion vor allem im Bibelwort und in der Liturgie des Gottesdienstes.262 Die aus der Bibel und der Liturgie zu entwickelnden Lerngegenstände sind im Unterricht zu Gehör zu bringen, damit sie im „Raum“ des unterrichtlichen Settings – und hier kommt der im oben angeführten Zitat mit dem reflexiven Verb „sich vollziehen“ angedeutete Bereich hinzu – in der ihnen angemessenen Weise „verlauten“263 können. Im Prozess dieses Verlautens des „eigenen Wortes“ der Religion vollzieht sich in Bizers didaktischem Ansatz etwas, das Englert mit dem Begriff der „Selbstwirksamkeit“264 zu beschreiben versucht: „Indem das Wort verlautet, schafft es einen dynamischen, atmosphärischen Raum, der den Sprechenden […] mit den Zuhörenden umschließt“265 und darin dem verlauteten Wort die Möglichkeit eröffnet, selbst wahr zu machen, 258
Bizer , Liturgik, S. 83 f. 259 Ebd., S. 84. 260 Vgl. Englert, Zwischenbilanz, 261 Bizer , Liturgik, S. 84. 262 Vgl. Bizer , Kirchliches,
S. 3.
S. 31–34; Bizer , Gestaltpädagogische Elemente, S. 10–12; Bizer , Liturgik, S. 84–86. Bizer nennt mitunter noch weitere Formen, in denen sich Religion authentisch darstellen lässt, z. B. seelsorgerliche Gespräche, Gespräche zum Thema Religion in der Familie, persönliche Gebete, Kirchenmusik, die Gestaltung von Kirchenräumen usf. Vgl. hierzu die Auflistung bei Englert, Zwischenbilanz, S. 3 f. Die didaktische Aufwertung der Liturgie des sonntäglichen Gottesdienstes würdigt v. a. Gutmann ausführlich: „In dieser [Bizers, FD] Perspektive kommt der christliche Gottesdienst als religiöser Lebensvollzug in den Blick: hier – und nicht z. B. in diakonischen Aktivitäten, in vereinsähnlichen Gemeindekreisen oder in öffentlichkeitswirksamen publizistischen Stellungnahmen von Kirchenkammern – hat der Lebensvollzug von Religion seinen Ort.“ H ans M artin Gutmann: Symbole zwischen Macht und Spiel. Religionspädagogische und liturgische Untersuchungen zum ‚Opfer‘, ARPäd 12, Göttingen 1996, S. 335. 263 Bizer , Kirchliches, S. 26. 264 Englert, Zwischenbilanz, S. 4. 265 Bizer , Kirchliches, S. 26.
3 Spielarten Performativer Religionsdidaktik
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wovon es spricht.266 Oder in den Worten Bizers: „Das Wort der Religion, mündlich gesprochen, konstituiert das Gesprochene als Wirklichkeit; es bringt durch das Sprechen das zustande, was es sagt.“267 Die darin verdichtete These von der selbständigen Wirksamkeit des „eigenen Wortes“ der christlichen Religion unterscheidet Bizers Ansatz erkennbar von den semiotisch und poststrukturalistisch begründeten Spielarten performativer Religionsdidaktik. Bizer spricht darin den liturgischen Formen und dem Bibelwort eine besondere Eigenqualität zu.268 Deren wirksame Entfaltung habe der Religionsunterricht zu unterstützen. Demzufolge kann hier von einer Performativität der Lerngegenstände in einem der Sprechakttheorie Austins ähnlichen Sinne gesprochen werden:269 Das Verlauten des Wortes soll nach Bizer im Religionsunterricht eine Wirkung erzeugen, die ihrerseits eine neue Realität konstituiert.270 Finden die Wesenseigenschaften der „religiösen Worte“, die Bizer mit dem Attribut der „Heiligkeit“271 zusammenfasst, im Lernprozess nicht ausreichend Berücksichtigung, etwa weil man sich einem Bibeltext ausschließlich analysierend und interpretierend annähert, bleibt ein seiner religiösen Bedeutung beraubtes Textkonstrukt zurück.272 Dies bedeutet für einen Religionsunterricht, der sich vornehmlich der „weltlich-profanen Seite“273 der Bibel zuwendet, dass das in ihr Wesentliche, nämlich die potentiell wirkmächtige Heiligkeit, im Lernprozess gar nicht mehr bemerkt wird. Dieser Verlust ist nach Bizer irreversibel: „Ist der Text einmal Text, bleibt er Text, und es führt kein Weg vom Text zum Heiligen.“274 Was aber „vollzieht“ sich nach Bizers Konzept bei den Schülerinnen und Schülern, wenn sich das „eigene Wort“ der Religion für sie wahrnehmbar selbst 266 Vgl. ebd.;
Bizer , Liturgik, S. 84 f. Diese Denkfigur Bizers erinnert stark an die Ausführungen Martin Luthers zum „Tätelwort“. Vgl. hierzu § 3, Kap. 1.2 „Zur Vorgeschichte: Performative Elemente in der christlich-religiösen Erziehung vor der Aufklärung“. 267 Bizer , Liturgik, S. 84. 268 Diese These wird durch die Beobachtung bestätigt, dass Bizer die Bibel vornehmlich als „Heilige Schrift“ bezeichnet – und sie auch als solche im Unterricht behandelt sehen möchte. Im Unterschied zu solchen Lernarrangements, die sich mit einzelnen Texten aus der Bibel im Modus rein diskursiv-kognitiver Auseinandersetzung beschäftigen, sei „das Thema ‚Heilige Schrift‘ […] religionsdidaktisch, speziell mit Blick auf den Religionsunterricht der öffentlichen Schule, dran.“ C hristoph Bizer: Die Heilige Schrift der Kirche und der Religionsunterricht in der öffentlichen Schule. Ein religionspädagogischer Gedankengang, in: JRP 8 (1991), S. 115–138, 115. 269 Vgl. § 1, Kap. 2.1.1 „Sprachphilosophische Wurzeln“. 270 Vgl. D inger , Religion beim eigenen Wort nehmen, S. 343 f. 271 Bizer , Gestaltpädagogische Elemente, S. 10. Zu Bizers Auffassung von der besonderen Wesenseigenschaft der Bibel als „Heiliger Schrift“ vgl. ferner D omsgen, Performativer Religionsunterricht, S. 39. 272 Vgl. Bizer , Gestaltpädagogische Elemente, S. 10. Bizer bringt diese Annahme in der angegebenen Textstelle auf die Formel: „Heilige Schrift minus Heiligkeit ergibt Text“. 273 Ebd. 274 Ebd.
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§ 1 Theoretische Fundierung performativer Religionsdidaktik
darstellt? In der Fachdiskussion ist diese Frage unterschiedlich beantwortet worden.275 Unzweifelhaft ist jedoch, dass hier zumindest stärker als in den semiotischen oder poststrukturalistischen Konzepten die Perspektive einer Hinführung zum christlichen Glauben eröffnet wird. So schreibt Bizer in einem seiner späten Aufsätze, „Lehre [sei] in Sachen Religion unterrichtlich widersinnig, wenn der Vorgang, der zu dem führt, was die Lehre abbildet, nicht mit unterrichtet werden kann.“276 Ob hier tatsächlich von einer „kühne[n] These zur Lehrbarkeit des Glaubens“277 gesprochen werden kann, wie Englert meint, hängt m. E. von der Einschätzung ab, ob bzw. in welchem Sinn Bizer den oder das, „was die Lehre abbildet“, mit einem im Unterricht zu vermittelnden Glauben identifiziert. Dies erscheint insofern unwahrscheinlich, als Bizer die Unverfügbarkeit des Glaubens im späteren Verlauf des gleichen Aufsatzes selbst ausdrücklich auf die Frage der Lehrbarkeit bezieht und folgert, das Wirken des Heiligen Geistes lasse sich nicht instrumentalisieren.278 Besser wird Bizers Didaktik m. E. von jener Kritik getroffen, die in seinem Konzept eine Funktionalisierung des Religionsunterrichts erblickt, nämlich dann, wenn dessen zentrale Aufgabe darin bestehen soll, „handwerklich“279 einen (Lern‑)Raum herzustellen, in dem die Verheißung verlauten und der Geist Gottes wirksam werden können.280 Eng verwoben mit dieser Akzentverschiebung ist zudem eine Tendenz zur nachlassenden Differenzierung zwischen kirchlich und schulisch verantwortetem Religionsunterricht in Bizers Überlegungen erkennbar. Nach Bizer gilt es, die „historische Arbeitsteilung zwischen Schule und Kirche“281, die ih275 So stellt Bizers Ansatz Gabriele Obst zufolge einen Versuch dar, der vermeintlich „misslichen Situation“ zu entkommen, dass nämlich Religionsunterricht keine religiösen Erfahrungen ermöglichen und daher nicht das unterrichten könne, was christliche Religion im Kern ausmache. Obst, Religion zeigen, S. 107 f. Dietrich Zilleßen hingegen kritisiert, dass Bizer die „gegenwärtige Erfahrung“ nicht theologisch präzisiere, sondern lediglich aus dem Wunsch nach „Selbstverwirklichung“ danach strebe, „im Menschen Angelegtes zur ‚guten Gestalt‘ zu bringen“. Dietrich Zille ẞen: Gestaltpädagogik, Integrative Pädagogik: Verheißung oder Versuchung, in: EvErz 49 (1997), S. 427–439, 430. Englert hingegen meint sogar ausmachen zu können – wie oben ausgeführt –, dass in Bizers Ansatz eine „kühne These zur Lehrbarkeit des Glaubens“ angelegt sei. Englert, Zwischenbilanz, S. 13. 276 Bizer , Kirchliches, S. 25. In eine ähnliche Richtung weist die Formulierung auf derselben Seite: „Christliche Religion evangelischer Spielart hat ihr sie selbst begründendes reformatorisches Zentrum darin, dass sie zeigen kann, wie Hans und Grete unter ausgewiesenen Prämissen den ‚allein‘ selig machenden Glauben erlangen können, wenn sie denn wollten.“ 277 Englert, Zwischenbilanz, S. 13. 278 Vgl. Bizer , Kirchliches, S. 29–31: „Die Frage ist jedoch, was der gegebene Geist tut und nicht tut. Ob der Heilige Geist Glauben wirkt, das ist allein seine Sache.“ Vgl. zur Frage der Glaubensvermittlung ausführlich C hristoph Bizer: Religionsdidaktische Etuden. Von der Vermittlung des Glaubens, in: Kirchgänge im Unterricht und anderswo, hg. v. Christoph Bizer, Göttingen 1995, S. 91–105. 279 Bizer , Kirchliches, S. 30. 280 Vgl. hierzu kritisch § 4, Kap. 2.3 „Performative Spielarten in der Spannung zwischen Missionierungsverdacht und Profanisierungsgefahr“. 281 Bizer , Liturgik, S. 90. Im Einzelnen habe diese Arbeitsteilung der schulischen Reli-
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rerseits der Religionspädagogik die Zugänge zu einem produktiven und gestaltenden Umgang mit ihren Gegenständen verwehrt, kritisch zu betrachten: „Hier [im kirchlichen Unterricht, FD] wie dort [im schulischen Religionsunterricht, FD] muß es für dieselben Menschen um gelebte Religion in gesellschaftlich zugänglichen konkreten Formen gehen, die sich dem gestaltend-lernenden Zugriff anbieten.“282 Inwieweit die Unterrichtenden und Unterrichteten hierbei selbst an der Generierung der Lernergebnisse beteiligt sind, zeigt die folgende Untersuchung der gestaltpädagogischen Begründung von Bizers didaktischen Ansätzen.
3.2.1.3 Lernen als Gestaltbildung Sowohl die religionspädagogischen Grundannahmen als auch die didaktischen Konkretionen in Bizers Schriften sind von einer intensiven Rezeption der Gestaltpädagogik geprägt.283 Dies fällt bereits in seiner programmatischen Definition des Lernbegriffs auf: „Lernen heißt: Gestalt hervorbringen.“284 Dieses Hervorbringen meint einen kreativen, individuellen und sinnstiftenden Akt. Er bedeutet für Bizer „das Gegenteil von Reproduzieren, Kombinieren und Transferieren von vorgegeben-Angeeignetem.“285 Bizer legt diesem Lernbegriff ein Verständnis des Menschen zugrunde, in dem jedes einzelne Individuum zur „guten Gestalt“286 als Begriff für die Erfahrung von Sinn tendiert. Allen Schülerinnen und Schülern stehen diesem Verständnis zufolge auch die notwendigen Fähigkeiten zur Verfügung, um die Anforderungen der individuellen Biographie zu bewältigen. Jeder Mensch besitze das Potential, den „Teileinheiten ihren Platz im Ganzen“287 zuzuordnen und somit selbständig zu einer sinnstiftenden Betrachtung des eigenen Lebens zu gelangen.
gionspädagogik die Aufgabe entzogen, „den Umgang mit dem Heiligen […] zu erschließen, christliche Religionspädagogik zu demokratisieren und mithin ihrer aufklärenden Aufgabe gerecht zu werden.“ Ebd. Vgl. auch Englert, Zwischenbilanz, S. 3 f. 282 Bizer , Heilige Schrift, S. 116. Schon Bizers Habilitationsschrift „Unterricht und Predigt“ setzt sich kritisch mit der Repräsentation kirchlicher Lernstoffe sowohl im schulischen als auch kirchlichen Unterricht auseinander. Am Schluss seiner Analyse hält Bizer dementsprechend zusammenfassend fest, „daß eine grundsätzlich-inhaltliche Unterscheidung zwischen Religionsunterricht und z. B. Konfirmandenunterricht nicht in Sicht gekommen ist.“ C hristoph Bizer: Unterricht und Predigt. Analysen und Skizzen zum Ansatz katechetischer Theologie, Gütersloh 1972, S. 145. 283 Vgl. S chulz , Phänomenologisch orientierte Religionspädagogik, S. 78. Schulz resümiert an gleicher Stelle, dass in Bizers gesamtem Werk „gestaltpädagogische Kategorien wie die Bedeutung des „Hier und Jetzt“, Kontakt und vor allem Gestalt […] durchgängig eine Rolle [spielen]“. 284 Bizer , Gestaltpädagogische Elemente, S. 12. 285 Ebd. 286 Bizer , Gesellschaft auf dem Dachboden, S. 171. 287 Ebd.
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§ 1 Theoretische Fundierung performativer Religionsdidaktik
Mit Blick auf die spätere Profilierung der hier untersuchten performativen Ansätze ist zudem folgenreich, dass Bizer den Begriff der „Form“ mit dem Gestaltbegriff in Beziehung setzt und beide parallelisiert. Wenn beispielsweise eine Perikope aus dem Gesamtkorpus der Bibel herausgelöst wird, entsteht eine neue Form, die im Auge eines jeden Betrachters eine veränderte und zunächst vollständige Bedeutung erhält, in der die einzelnen Elemente des Textes in einem übergreifenden Ganzen ihren Platz finden:288 „Eine einheitliche Kraft hat die Form ausgeprägt und läßt sich wiederum an ihr erfassen.“289 In diesem Zitat ist bereits die Doppelfunktion des Formbegriffs im Sinne Bizers als pädagogische und liturgische Kategorie angelegt. Eine Form hat einerseits – wiederum analog zur „Gestalt“ – ihre je eigene Struktur, ein unverkennbares und unverwechselbares Wesen. Die gleiche Form wird aber andererseits in jeder ereignishaften Wahrnehmung zu einer neuen Form modifiziert. In diesem gestaltaktiven Prozess verändert sich die Konstitution des Wahrnehmenden, der das Wahrgenommene in sein Vorwissen integrieren muss, wodurch sich im Vorgang der Integration das aktuell Wahrgenommene und das bisher Gewusste in einem reziproken Prozess anverwandeln. Insofern kommt es „im Unterrichtsprozess […] zu einer wechselseitigen Erschließung zwischen gestalteter und zu gestaltender Form sowie dem ‚Entdecker‘ dieser Form.“290 Mit Blick auf die überlieferten Formen der christlichen Tradition begrüßt Bizer die Folge, dass sich die Formen im Zuge ihrer gestaltaktiven Erschließung verändern müssen, sofern in den neuen Formen weiterhin die eine, vorher angelegte Wesensstruktur der Ausgangsform erkennbar bleibt.291 Diese Einschränkung unterscheidet Bizers Konzept in einem entscheidenden Punkt von den grundsätzlich ergebnisoffenen Ansätzen der semiotischen und poststrukturalistischen Spielarten performativer Religionsdidaktik. Bizer geht hier von einem Bedeutungskern der religiösen „Außenseiten“ aus, der außerhalb ihrer zeichenhaften Darstellungen schon vorgegeben ist. Ein weiterer gestalttheoretischer Leitbegriff, den Bizer in seine religionsdidaktischen Entwürfe einbezieht, geht auf Perls’ Kategorie des „Kontaktes“ zurück. Die Schülerinnen und Schüler sollen mit den Formen von Religion in Kontakt treten, und zwar durch „Berührung, sinnlich, über Haut, Nase, Ohr, Auge, Mund, über die Organe des menschlichen Körpers zur Aufnahme von Vorhandenem.“292 Eine entscheidende Größe im Prozess der ganzheitlichen 288 Vgl. D inger , Christoph Bizer, S. 322. 289 Bizer , Gesellschaft auf dem Dachboden,
S. 166. Schulz , Phänomenologisch orientierte Religionspädagogik, S. 78. Vgl. des Weiteren Bizer , Liturgik, S. 108 f. 291 Bizer schreibt zu diesem Zusammenhang: „Jede Form hat nur ihr eigene Strukturen, die das Subjekt, das auf sie zugreift, respektieren [sic!] und die sich im respektierenden Zugreifen herausarbeiten. Die Form entdeckt sich im Arbeitsprozeß dem Entdecker in ihrer Unverwechselbarkeit und macht ihre Entdeckungen zum Ereignis“. Bizer , Liturgik, S. 108. 292 Bizer , Ulis Tanz, S. 18. 290
3 Spielarten Performativer Religionsdidaktik
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Kontaktaufnahme verkörpert für Bizer die Lerngruppe. In der „Gesellungsform der Gruppe“293 kommen die Wahrnehmungen des Einzelnen produktiv zur Sprache, verändern sich in Auseinandersetzung mit den Wahrnehmungen der anderen und stellen so in den neu entstehenden und je unterschiedlichen Sichtweisen immer neu Gestalt her. Verzichtet der Religionsunterricht jedoch auf das Inszenieren von so gedachtem Kontakt zwischen der Lerngruppe und den religiösen Lerngegenständen, wird es didaktisch unmöglich, aus gewonnenen Erfahrungen Lernergebnisse zu abstrahieren, die für den religiösen Wachstumsprozess der Schülerinnen und Schüler bedeutsam werden können. Nach Bizer führt eine solche Abstraktionsdidaktik, die „auf bereits Abstrahiertes weitere Abstraktionen türmt […], unmittelbar in scholastische Systeme, die nur noch für sich selber da sind“294. Didaktik führt sich nach Bizers Auffassung auf diese Weise letztlich selbst ad absurdum. Die durchaus polemisch vorgetragene Kritik entwickelt Bizer in Abgrenzung zum „verkopften“ Religionsunterricht der hermeneutischen und problemorientierten Konzeptionen der 1960er und 1970er Jahre. In deutlichem Gegensatz zu jenen didaktischen Konzepten nennt Bizer das Ausbilden der Fähigkeit, im gestaltpädagogischen Sinne „Kontakt“ zu einem Lerngegenstand herstellen zu können, einen entscheidenden „Grundvorgang“295 subjektiver Bildung.
3.2.1.4 Didaktische Konkretion: Religion zum Anfassen Christoph Bizers oben dargestellte Theorie einer gestaltpädagogisch begründeten performativen Religionsdidaktik bildet das Fundament einer Vielzahl von methodisch-didaktischen Konsequenzen für die Organisation von Lernprozessen im schulischen Unterricht. Pointiert fasst Ingrid Schoberth diese Konsequenzen zusammen: „Die Entdeckungen mit Christoph Bizer führen zum religionspädagogischen Handeln, das auf Wegen der Wahrnehmung der christlichen Religion Gestalt gewinnt, einer Gestalt, die nicht ohne die tradierten und gegenwärtigen Formen christlicher Religion auskommt, sondern mit ihnen, mit biblischen Texten, den Liedern der christlichen Tradition, ihren Gebeten und liturgischen Texten in die Wahrnehmung der christlichen Religion führt.“296 Die Angemessenheit eines jeden religionsunterrichtlichen Lernarrangements auf diesem Weg zur Wahrnehmung der christlichen Religion entscheidet sich nach Bizer an der Frage, ob darin methodisch die Möglichkeit besteht, „das authentische Wort der Religion selber zu formen, in den Mund zu nehmen – und in 293 Vgl. Bizer , Gesellschaft auf dem Dachboden, S. 166 (im Original ist „Gruppe“ hervorgehoben). 294 Bizer , Gestaltpädagogische Elemente, S. 18. 295 Ebd. 296 I ngrid S choberth: Mit Christoph Bizer auf der Suche nach der Wahrnehmung der christlichen Religion, in: Wahrnehmung der christlichen Religion, hg. v. I ngrid Schoberth, Heidelberger Studien zur Praktischen Theologie 11, Berlin 2006, S. 13–17, 17.
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§ 1 Theoretische Fundierung performativer Religionsdidaktik
Handlung zu übersetzen.“297 In diesem Zitat ist die hervorgehobene Bedeutung von methodischen Maximen der Selbsttätigkeit, Ganzheitlichkeit und Produktivität für Bizers Didaktik prägnant zusammengefasst. Um ein genaueres Bild davon zeichnen zu können, wie sich Bizer eine gelungene religionsunterrichtliche Lernsequenz konkret vorstellt, lohnt ein Blick in seine autobiographischen Schilderungen zur eigenen Lehrtätigkeit. In seinem Aufsatz „Die Gesellschaft auf dem Dachboden und von einem biblischen Kobold“298 beschreibt Bizer im Rekurs auf ein religionspädagogisches Hochschulseminar die im Folgenden dargestellte, von ihm selbst durchgeführte gruppendynamische Erschließung eines Bibelwortes.299 Er versammelt seine Lerngruppe an einem Wochenende auf dem ausgebauten Dachboden eines dörflichen Pfarrhauses. Dort teilt er je eine Scheibe formbaren Ton an die Teilnehmer aus. Er lässt allen ausreichend Zeit, den Ton in der Hand zu bewegen und sich an das ungewöhnliche Gefühl der formbaren Masse in den Händen zu gewöhnen. Als Aufträge für die weitere Arbeit formuliert Bizer lediglich Hinweise für die Lerngruppe, wie die, dem bald darauf folgenden Bibelwort aufmerksam zu lauschen und die Hände einfach „machen“300 zu lassen. Nachdem eine „köstliche lockere Ruhe“301 entstanden ist, spricht Bizer zwei Verse des 30. Psalms.302 Unterbrochen lediglich von zwei Wiederholungen der Lesung, widmet sich Bizer daraufhin seinem eigenen Tonklumpen, aus dem in seinen Händen die Form eines Kobolds entsteht.303 Dieses Lernarrangement verweist exemplarisch auf die Kernmomente methodischer Konkretionen im Sinne Bizers: Zunächst fällt darin auf, dass dem (Lern)Raum eine gewichtige Rolle zukommt. Bizer wählt bewusst einen außeruniversitären Ort für sein Seminar und betont dessen anregenden Charakter,304 297
Bizer , Liturgik, S. 95. Bizer , Gesellschaft auf dem Dachboden, S. 161–178. 299 Das Setting des schulisch institutionalisierten Religionsunterrichts unterscheidet sich selbstverständlich in vielerlei Hinsicht von dem eines Hochschulseminars. Dieser Unterscheidung ist sich Bizer in seinen Beschreibungen durchgängig bewusst. Dennoch leistet dieses Beispiel hier einen Einblick in Bizers Vorstellungen auch von schulischem Unterricht, denn er weist selbst auf potentielle Übertragungen hin, die angehende Lehrerinnen und Lehrer durch seine Seminare vornehmen werden: „Meine Unterrichtspraxis im Seminar wird, ob ich will oder nicht, zu einem Modell für das zukünftige eigene Unterrichten der Studierenden“. Bizer , Gestaltpädagogische Elemente, S. 163. 300 Bizer , Gesellschaft auf dem Dachboden, S. 162. 301 Ebd. 302 Genauer die Verse Ps 30,12 und 13: „[…] da hast du mir meine Klage in Reigen verwandelt, mein Trauergewand gelöst, mich mit Freude gegürtet, auf dass meine Seele dir lobsinge und nicht schweige. Herr, mein Gott, in Ewigkeit will ich dich preisen.“ Zit. nach: Bizer , Gesellschaft auf dem Dachboden, S. 162. 303 Für eine detaillierte Nacherzählung des Lernarrangements „auf dem Dachboden“ vgl. ebd., S. 173–177. Bizer deutet an dieser Stelle auch die Geschehnisse und leitet daraus zentrale didaktische Grundgedanken ab. 304 Vgl. die Formulierung: „Wir nahmen einander wahr, wir hörten einander viel besser zu 298
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der zum Gelingen des Arrangements beiträgt. Weil Kontakt mit Religion sich nur im hic et nunc ereignen kann,305 bedarf es einer „handwerklich“306 höchst sorgsamen Gestaltung des potentiellen Erfahrungsraumes: „So wie Raum nach außen hin entworfen wird – so bildet er sich nach innen.“307 Die Kategorie des Raumes bezeichnet demnach nicht etwas statisch Vorgegebenes, wie z. B. die physische Beschaffenheit eines Klassenzimmers, sondern selbst einen dynamischen Bestandteil der Gestaltbildung. „Raum“ entsteht in jedem Lernarrangement neu – und muss entsprechend immer wieder neu im Modus der „Begehung“308 erkundet werden. Des Weiteren nötigt die Handarbeit an der Tonscheibe zu näherer Betrachtung. Bizer beschreibt hier eine gestaltaktive, im buchstäblichen Sinne „formende“ Tätigkeit, die ein höchst individuelles Produkt, aber kein vorher definiertes Ergebnis zur Folge hat.309 In der Berührung des Tons mit der Haut, im Wärmeaustausch von Material und Hand, in der Veränderung der Struktur des Tons ereignen sich Momente des Kontaktes, mit deren Eintreten der Prozess des Gestaltens bereits beginnt. Im Religionsunterricht sollen demnach Gegenstände eine stärkere Rolle spielen, die „in die Hand“ genommen, berührt und in Abhängigkeit zu ihrer Beschaffenheit auch verändert werden können. Denn, so resümiert Bizer, „wo wenig anzufassen ist, wird wenig greifbar und folglich wenig begriffen“310. Dass Bizer darüber hinaus die handwerkliche Tätigkeit des Knetens mit einer mehrmaligen Präsentation eines Bibelwortes hinterlegt, kann ebenso als charakteristisch für sein Verständnis der potentiellen Performativität biblischer Sprache gelten. Dem „authentischen Wort“ der Religion wird zugetraut, ganz von selbst auf den Gestalt-Prozess zu wirken und schließlich „zur Auslegung als in den genormten Räumen der Universität“. Bizer , Gestaltpädagogische Elemente, S. 161. Auch die Hinweise auf die alten Holzdielen und die dörfliche Umgebung zeigen an, dass der Umgebung eine hohe Bedeutung zugemessen wird. 305 Überhaupt liege der „springende Punkt von Religion […] immer im Hic et Nunc“. C hristoph Bizer: Das Wort Gottes und der Unterricht, in: EvErz 5 (1994), S. 391–399, 395. 306 Ganz generell geht Bizer von der Annahme aus, dass „die Räume der Religion grundsätzlich ‚handwerklich‘- experimentell herstellbar sind.“ Bizer , Kirchliches, S. 32. 307 Bizer , Gestaltpädagogische Elemente, S. 15. 308 C hristoph Bizer : Begehung als eine religionspädagogische Kategorie für den schulischen Religionsunterricht, in: Kirchgänge im Unterricht und anderswo. Zur Gestaltwerdung von Religion, hg. v. dems., Göttingen 1995, S. 167–184. Bizer widmet in diesem Aufsatz dem Begriff der „Begehung“ eine eigene religionspädagogische Reflexion. „Begehung“ rückt nach Bizer als religionspädagogische Kategorie „das christlich-Konkrete ins Äußerliche, in den Bereich des Gemachten“. Insgesamt, so die zentrale These des Aufsatzes, wird „die christliche Religion […] heute primär über ‚Begehung‘ gelernt“ (S. 183). 309 Dementsprechend äußert Bizer bereits vor der Präsentation der Bibelverse zu der Lerngruppe den die Offenheit markierenden Satz: „Mal sehen, was sich ergibt.“ Bizer , Gesellschaft auf dem Dachboden, S. 162. 310 Ebd., S. 164.
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ihrer selbst in den Raum hinein“311 zu werden. In seiner Reflexion des Lernarrangements stellt Bizer dann bezogen auf den konkreten Fall auch tatsächlich fest, dass der Psalmvers die Ruhe des Raumes „erfüllt“312 und die produktive Tätigkeit der Gruppenteilnehmer befruchtet habe. Dabei bleiben die individuellen Gestalt-Ergebnisse in Form der neu entstandenen Tonfiguren in einem reziproken Bezugsverhältnis zu der traditionell überlieferten Form des Psalms. Als Auslegungen „formen“ sie das „authentische Wort“ neu und bleiben doch stets darauf bezogen: „Was alle einzelnen als ihre Form des Psalms gestalten, stimmt […] virtuell ein in die Polyphonie der Stimmen, die Gott – in aller Gebrochenheit – in Ewigkeit preisen.“313 In diesem Sinne gewinnt nach Bizer die Liturgik Relevanz für die Didaktik. Wer religionsunterrichtliche Lernprozesse plant, soll den Formen des evangelischen Christentums den Raum eröffnen, sich als relevant zu erweisen und das individuelle Modifizieren der Formen im Unterricht unterstützen.314 Die Produkte solcher Form-Prozesse im Religionsunterricht sind nach Bizers theologischem Verständnis in ihrer Aussagekraft kaum zu überschätzen. Von ihrem kirchlichen Rang her stellt er schulische Arbeitsergebnisse den Arbeitsergebnissen einer professionellen liturgischen Kommission gleich.315 Abschließend verdeutlicht dieses Unterrichtsbeispiel auch die veränderte Rolle der Lehrperson in Bizers Konzept am konkreten Fall. Lehrerinnen und Lehrer stehen nicht länger als „Experten“, „Moderatoren“ oder „Zeugen“ außerhalb der Lernprozesse, sondern sind selbst aktiv in die Gestaltung der Gruppe eingebunden. Bizer nimmt auf dem Dachboden sogar derart intensiv am Kneten des Tons teil, dass er sich regelrecht von seinem Ton „in Anspruch nehmen“316 lässt, darüber auf eine weitere Beobachtung der Lerngruppe verzichtet und sich stattdessen einem ekstatischen Zustand eigener Kreativität hingibt.317 Das Entscheidende an dieser Beschreibung für die Organisation von Religionsunterricht liegt nun nicht im Zelebrieren eines neuen „Egotismus“318 der Lehrkräfte, sondern ganz im Gegenteil in deren Integration in die gestaltaktive Gemeinschaft der Gruppe. Zwar mögen die Lehrerinnen und Lehrer für die 311
Bizer , Ulis Tanz, S. 12. Bizer , Gesellschaft auf dem Dachboden, S. 162. 313 Ebd., S. 177. 314 Vgl. Bizer , Liturgik, S. 92 f. 315 Vgl. ebd., S. 111. 316 Bizer , Gesellschaft auf dem Dachboden, S. 162. 317 Bizer spricht an dieser Stelle von „rauschhaften Momenten“, an deren Schluss er nicht mehr hätte rekonstruieren können, was mit ihm während des Knetvorgangs vorgegangen sei. Vgl. Bizer , Gesellschaft auf dem Dachboden, S. 162. 318 Diesen Begriff verwendet Burow im Gegensatz zur diagnostischen Bezeichnung eines „neurotischen Störungstyps des unterbrochenen Kontaktprozesses“, der das gewünschte Herstellen von Kontakt verhindern kann. Vgl. Burow, Grundlagen der Gestaltpädagogik, S. 58; vgl. auch Bizer , Gestaltpädagogische Elemente, S. 174. 312
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Herstellung der Räume einerseits Qualitäten eines „Zeremonienmeisters“319 benötigen; andererseits legt Bizer aber viel Wert auf die Gleichberechtigung aller, die am Deutungsprozess des Unterrichts beteiligt sind. Die Konsequenz für die Gestaltung konkreter Lernarrangements liegt daher in der gesteigerten Präsenz der je individuellen Subjekte der Lehrkräfte im hic et nunc des religionsunterrichtlichen Raumes.
3.2.2 Silke Leonhard und das leibliche Lernen und Lehren Die religionsdidaktischen Entwürfe Bizers haben im Kontext der Etablierung performativer Konzepte auf vielfältige Weiterentwicklungen seiner akademischen Nachfolger eingewirkt.320 So hat sich insbesondere die langjährige Weggefährtin Silke Leonhard321 in ihrer Dissertationsschrift wie in weiteren Veröffentlichungen vielfach von Bizers Überlegungen zu einer Fortführung und Vertiefung von dessen gestaltpädagogisch begründetem Ansatz anregen lassen. Vor allem das Moment der Leiblichkeit religiöser Lernprozesse, das bereits bei Bizer immer wieder zur Sprache kommt,322 wird in Leonhards Arbeiten theologisch vertieft und zu einer Leitkategorie performativer Religionsdidaktik fortentwickelt. Zudem zeichnet Leonhards Ansatz im Unterschied zu Bizer die klare Fokussierung auf den evangelischen Religionsunterricht in der Bildungsinstitution Schule aus. Die Schule ist für Leonhard unter den bildungspolitischen und religionssoziologischen Bedingungen unserer Zeit der „vorrangige Ort religiöser Bildung“.323 Als Mitherausgeberin der Sammelbände „Schauplatz Religion“ (2003) und „Performative Religionsdidaktik“ (2008) hat Leonhard den programmatischen Diskurs um die performative Neuausrichtung des Religionsunterrichts vorangetrieben und mitgeprägt. Darüber hinaus hat sie in Auseinandersetzung mit unterschiedlichen gestaltpädagogisch und phänomenologisch orientierten Begründungstraditionen eine eigene didaktische Spielart profiliert. 319 Bizer , 320 Neben
Begehung, S. 183. Silke Leonhard ist hier v. a. auf die Heidelberger Religionspädagogin Ingrid Schoberth zu verweisen, deren didaktischer Ansatz des „Glauben-Lernens“ sich ebenfalls in vielerlei Hinsicht der Auseinandersetzung mit und Prägung durch Christoph Bizer verdankt. Vgl. exemplarisch: Schoberth, Mit Christoph Bizer auf der Suche, S. 13–17; Für eine grundlegende Darstellung ihres Ansatzes vgl. ferner: I ngrid Schoberth: Glauben lernen. Grundlegung einer katechetischen Theologie, Stuttgart 1998. 321 So war Leonhard beispielsweise Teil der oben zitierten „Dachbodengesellschaft“, nahm an einer Vielzahl von Bizers Schulexkursionen teil und organisierte – oft gemeinsam mit Hans-Martin Gutmann – zahlreiche Seminare im Göttinger Vorort Sattenhausen, die sich in ihrer Organisation und Struktur am Vorbild Bizers orientierten. 322 Besonders eindrücklich etwa in der oben vorgestellten Beschreibung des Lernerlebnisses der „Gesellschaft auf dem Dachboden“, vgl. Bizer , Gesellschaft auf dem Dachboden, 173–177. 323 Silke Leonhard: Das Spiel mit der Form – Dreh- und Angelpunkt performativer Religionsdidaktik?, in: ZPT 60 (2008), S. 17–30, 17 (Hervorhebung FD).
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§ 1 Theoretische Fundierung performativer Religionsdidaktik
3.2.2.1 Der Körper als Lernort In Leonhards performativem Ansatz bildet die Kategorie der Leiblichkeit den zentralen religionspädagogischen Schlüsselbegriff. Sie entfaltet ihre pädagogischen und didaktischen Gedanken zu Performanzen religiöser Bildung ausgehend von einer phänomenologisch orientierten Leibtheorie. Die Leiblichkeit von Lernprozessen, so eine Kernthese ihrer Dissertationsschrift, sei als „elementare pädagogische Dimension“, als „unhintergehbare“324 Grundkonstituente von Bildung innerhalb und außerhalb der Schule zu betrachten. Die Reflexion der Leiblichkeit gehöre daher in die Mitte religionsdidaktischer Theoriebildung. Ihr religionspädagogisches Verständnis der Leiblichkeit entwickelt Leonhard in Auseinandersetzung mit den philosophischen Diskursen vornehmlich innerhalb der Phänomenologie des 20. Jahrhunderts.325 Darin rezipiert sie insbesondere Maurice Merleau-Pontys „phénoménologie de la perception“326, in deren Zentrum die menschliche Existenz als leibliche Existenz definiert wird. Die Kategorie des „Leibes“ („le corps propre“)327 verweist in Merleau-Pontys Phänomenologie auf die unaufhebbare Verankerung des Menschen in der Welt. Eine Gleichsetzung der Begriffe „Leib“ und „Körper“ lehnt Merleau-Ponty strikt ab.328 Im Gegenteil betrachtet seine Phänomenologie die Leiblichkeit des Menschen als „Zwischenreich“329 zwischen Geist und Körper. Leiblichkeit ist demzufolge „weder intellektuell-idealistisch als reines Bewusstsein, noch empirisch-realistisch als bloße Sache“330 beschreibbar. Nach Merleau-Ponty „verankert [der Leib] uns im jeweiligen Hier, von dem aus sich Spielräume der Be324 Silke Leonhard: Leiblich lernen und lehren. Ein religionsdidaktischer Diskurs, PTHe 79, Stuttgart 2006, S. 16. 325 Für eine ausführliche Darstellung der theoretischen Ansätze zur Leiblichkeit im Kontext der phänomenologischen Philosophie vgl. das Teilkapitel „Im Gespräch mit den Ahnen“: ebd, S. 45–54. Neben einer ausführlichen Erarbeitung der phänomenologischen Gedanken zum „Leib“ bei Merleau-Ponty sichtet Leonhard auch weitere „philosophische Ansätze zu Leib und Raum“, etwa die phänomenologischen Grundlagen Edmund Husserls („Der Leib als Umschlagstelle von Natur und Geist“, S. 46–48) sowie die existenzialistischen Annahmen Gabriel Marcels („Körper-Haben und Leib-Sein in Bezogenheit“, S. 48–50). 326 M aurice M erleau -Ponty: Phénoménologie de la perception, Paris 111952. 327 Ebd., S. 114. Vgl. Bernhard Waldenfels: Das Problem der Leiblichkeit bei Merleau-Ponty, in: Leiblichkeit. Philosophische, gesellschaftliche und therapeutische Perspektiven, hg. v. H ilarion G. P etzold, Paderborn 21986, S. 149–172, 156 f. Waldenfels erläutert an dieser Stelle die zweifache Bedeutung der Leiblichkeit, die in den deutschen Übersetzungen meist mit den Begriffen „Körper“ („corps objectif“ oder „physical“) und „Leib“ („corps propre“, s. o.) angezeigt wird. Diese Begriffe unterscheiden bei Merleau-Ponty zwischen dem „fungierenden Leib“ und dem „Körperding“. 328 Vgl. M aurice M erleau -Ponty: Phänomenologie der Wahrnehmung, hg. v. C. F. Graumann und Johannes Linschoten, Berlin 1966. Vgl. darin insbesondere die Kapitel „Die Räumlichkeit des eigenen Leibes und die Motorik“ (S. 123–177) sowie „Die Synthese des Eigenleibes“ (S. 178–184). 329 S chulz , Phänomenologisch orientierte Religionspädagogik, S. 54. 330 Ebd.
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wegung auftun. Empfindend steht er in unmittelbarem Einklang oder Mißklang mit den Rhythmen des weltlichen Geschehens, wahrnehmend erkundet er die Vielfalt der Dinge.“331 Der Mensch ist demnach immer als leibliches Wesen in einer konkret wahrnehmbaren Welt verfasst, während sich seine Leiblichkeit im Verlauf einer fragmentarischen und fortdauernden Entwicklung durch den Kontakt zur Welt und zu seinem Körper fortlaufend verändert.332 Dieser Prozess verläuft unter ständiger Spannung zwischen Körperlichkeit und Geistigkeit und zielt auf die Konstituierung eines bewussten „Verhältnisses zwischen Leib und Welt“333. Auf diese Weise führt Merleau-Ponty in seiner Leibtheorie die Kategorien „Sinn [vom geistigen Bewusstsein her] und Sinnlichkeit [vom fühlenden Körper her]“334 zusammen. Die individuelle Ausgestaltung der je eigenen Leiblichkeit wird als der zentrale Wachstumsprozess des menschlichen Lebens verstanden.335 In Anknüpfung an diese leibtheoretische Grundannahme fordert Leonhard von zeitgemäßer Pädagogik, sie habe die Leiblichkeit „bei aller Bildung und Menschwerdung zu berücksichtigen.“336 Leibliches Lernen heißt demnach bei Leonhard mehr als Ganzheitlichkeit im Sinne der reformpädagogischen Formel des Lernens mit „Kopf, Herz und Hand“. Der Leib als „vorläufiger Entwurf meines Seins“337 impliziert die Notwendigkeit zur individuellen Ausgestaltung der Leiblichkeit im Verlauf des eigenen Lebens und wird so selbst zum Zielpunkt pädagogischer Bemühung. In ihrer Situationsanalyse, in der Leonhard auch die zeitliche und räumliche Organisation von Bildung am Lernort Schule berücksichtigt, diagnostiziert sie eine grundsätzliche Vernachlässigung der leiblichen Lernprozesse bei Lernenden und Lehrenden. Die Wahrnehmung der eigenen Körperlichkeit im Kontakt zur Umwelt sei aber notwendige Voraussetzung für die gelingende Gestaltung der Leiblichkeit. Deshalb bedürfe es einer pädagogischen Reflexion eben dieser Körperwahrnehmung, um die leibliche Entwicklung von Schülerinnen und Schülern fördern zu können. In der Normalität von Schule komme jedoch die „Körperlichkeit von Jugendlichen […] häufig erst in den Pausen und insgesamt recht wenig zum Zuge.“338 Leonhard stellt eine „Entkörperung der 331 Bernhard Waldenfels: Einführung in die Phänomenologie, München 1992, S. 60. Vgl. Leonhard, Leiblich lernen, S. 52. 332 Vgl. M erleau -Ponty, Phänomenologie, S. 176: „Der Leib ist unser Mittel überhaupt, eine Welt zu haben. Bald beschränkt er sich auf die zur Erhaltung des Lebens erforderlichen Gesten und setzt korrelativ um uns herum eine biologische Welt; bald spielt er auf diesen ersten Gesten und geht von ihrem unmittelbaren zu einem übertragenen Sinne ihrer über, durch sie hindurch einen neuen Bedeutungskern bekundend“. 333 Leonhard, Leiblich lernen, S. 51. 334 S chulz , Phänomenologisch orientierte Religionspädagogik, S. 54. 335 Vgl. Waldenfels , Leiblichkeit bei Merleau-Ponty, S. 159–169. 336 Leonhard, Leiblich lernen, S. 54. 337 M erleau -Ponty, Phänomenologie, S. 234. Vgl. ferner Waldenfels , Leiblichkeit bei Merleau-Ponty, S. 168 f. 338 Silke Leonhard: Bei Leibe: Religion zu Wort kommen lassen. Körperlichkeit in reli-
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Schule“339 fest und moniert insbesondere die darin vielfach „übergangene Sinnlichkeit“340. Weil sich ihrer Überzeugung nach aber Religion nur in der leibräumlichen Dimension wahrnehmen und vollziehen lässt,341 fällt das Urteil über die Repräsentation von Religion im schulischen Unterricht eindeutig negativ aus: „Es ist typisch, dass Religion keinen Raum in dieser Herberge hat.“342 Aus dieser Einschätzung leitet Leonhard ihre didaktische Leitfrage ab: Wie lassen sich religiöse Bildungsprozesse so konzipieren, dass die körperlichsinnlichen Erscheinungsformen von Religion im Modus leiblichen Lernens für den personalen Prozess (religiöser) Bildung fruchtbar werden können?343 Performative Religionsdidaktik im Sinne Leonhards lässt sich auch als Suche nach hierfür geeigneten Wegen der Tradierung und Überlieferung christlicher Erscheinungsformen bezeichnen. Es geht ihr um einen „Traditionsaufbruch“344. Erste Antwortmöglichkeiten auf ihre Leitfrage entdeckt Leonhard in Eugene T. Gendlins Methode des Focusing. Diese schlägt sie als heuristische Methode für die religionsdidaktische Forschung, als hilfreiches Mittel für die Steigerung der Berufskompetenz in der Lehrerbildung und schließlich als Paradigma für die leibräumliche Wahrnehmung von Religion im Unterricht vor.345 Focusing meint zunächst ein Instrument zur vertieften Wahrnehmung des Körpers. Dabei werden phänomenologisch-philosophische Einsichten mit gestaltpsychologischen und psychoanalytischen Ansätzen verbunden. In seiner ursprünglichen Form zielt Focusing auf die therapeutische Bewältigung psychischer Probleme und Krisen von Patienten. Gendlin geht davon aus, dass der Mensch eine Art inneres, körperliches Bewusstsein, einen „Felt Sense“346, besitzt, mit dessen Hilfe er die Aufmerksamkeit auf Prozesse innerhalb seines Körpers richten und komplexen Situationen Bedeutung zuschreiben kann. „Der Felt Sense ist das menschliche Gespür, ein körperliches Empfinden und Ausgangspunkt für gions-pädagogischer Wahrnehmung, in: Schauplatz Religion. Grundzüge einer Performativen Religionspädagogik, hg. v. ders. und Thomas K lie , Leipzig 2003, S. 166–191, 167. 339 Silke Leonhard: Mit dem Körper Religion lernen? Ein Plädoyer für leiborientierte Wahrnehmung, in: WzM 55/6 (2003), S. 353–360, 353. 340 Leonhard, Leiblich lernen, S. 22. 341 An dieser Stelle argumentiert Leonhard bis in die verwendete Begrifflichkeit hinein analog zu Bizer: Wenn Religion eben nicht leiblich wahrgenommen und vollzogen wird, „bleibt sie intellektualisierte Abstraktion und kommt in ihrer ereignishaften und vorgängigen Dimension nicht zur Geltung.“ Ebd., S. 88. 342 Ebd., S. 25; vgl. ferner Leonhard, Körperlichkeit, S. 167. 343 Vgl. Leonhard, Leiblich lernen, S. 15. 344 Silke Leonhard: ‚Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?‘ Performativer Religionsunterricht – eine Stilfrage, in: WzM 59/1 (2007), S. 53–59, 55. 345 Vgl. Leonhard, Leiborientierte Wahrnehmung, S. 357–359; Leonhard, Leiblich lernen, S. 93; 176–207; 483–485; 491. Auch Christoph Bizer hatte bereits Erfahrungen mit der Focusing-Methode gesammelt. Bizer hat jedoch hierzu keine unterrichtsbezogenen Veröffentlichungen vorgelegt. 346 Vgl. Eugene T. Gendlin: Focusing. Technik der Selbsthilfe bei der Lösung persönlicher Probleme, Salzburg 21982, S. 21 (Hervorhebung FD).
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die Wahrnehmung und Situation von Dingen, mit denen man sich gerade beschäftigt.“347 In diesem Gespür begegnet somit die Grundlage für alles weitere Wahrnehmen, Denken, Gestalten und insbesondere Lernen.348 Den eigenen Körper im Sinne des Felt Sense wahrzunehmen kann jedoch nur gelingen, wenn der je individuellen Körperlichkeit selbst Aufmerksamkeit zukommt. Erst in der selbsttätigen und bewussten Wahrnehmung der eigenen körperlichen Prozesse erlebt das Subjekt das Fokussierte auch „am eigenen Körper“349 und steht dann in einem leiblich-gestaltaktiven Kontakt mit der Umwelt. Aus diesen Grundeinsichten des Focusing leitet Leonhard die Kategorien der „Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und Gestaltung“350 als Voraussetzungen für eine Didaktik ab, die der Leiblichkeit des Menschen Rechnung trägt. Bezogen auf spezifisch religiöse Bildungsprozesse folgt daraus, dass Religion im Unterricht erst dann in leiblichen Lernprozessen erschlossen werden kann, wenn sich die Lernenden mit ihr unter Berücksichtigung dieser drei Kategorien körperlich auseinandersetzen. Dem Lerngegenstand Religion kommt diese Notwendigkeit didaktisch entgegen, da Religion nach Leonhards phänomenologisch-hermeneutischem Religionsbegriff selbst als „leibräumliches Geschehen“, als „räumliche und sinnliche Erscheinung“351 zu verstehen ist. Als solche lädt Religion dazu ein, ihren Bildungsgehalten durch den experimentellen Umgang mit leiblichem Lernen und Lehren in unterrichtlichen Lernarrangements nachzuspüren. Gerade weil religiöse Erscheinungen immer situiert sind, also an konkrete Zeiten, Orte und Körper gebunden bleiben, eröffnen sie den Schülerinnen und Schülern „leiblichen Raum“ sowie „performative Kontaktwege zum Anderen“352. Diese womöglich für viele Lernende fremden Welten gilt es im Modus mimetisch-körperlicher Begehung zunächst selbst aufmerksam wahrzunehmen, sich darin handelnd und gestaltend zu bewegen, um so schließlich mit Religion in leibliche Interaktion zu treten. An dieser Stelle berührt L eonhards Ansatz erneut Bizers gestaltpädagogische Begründung. Nur wenn Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer mit Religion leiblich in Kontakt treten, eröffnen sich Räume, in denen Religion angemessen zur Darstellung kommen kann. Umgekehrt können Lehrende und Lernende in so verstandenen leiblichen Lernprozessen der Religion je neu eine Form geben.353 347 Leonhard, 348 Vgl. Silke
Leiblich lernen, S. 91 (Hervorhebung FD). Leonhard: Zur Leibräumlichkeit religiösen Lernens und Lehrens, in: Theo-Web 5/2 (2006), S. 29–43, 35. 349 Leonhard, Leiborientierte Wahrnehmung, S. 358. 350 Leonhard, Bei Leibe, S. 191; vgl. Leonhard, Leiblich lernen, S. 93. 351 Leonhard, Leiblich lernen, S. 93. 352 Silke Leonhard: Gesagt – getan? Körper, Sprache und Performanz im Religionsunterricht, in: Performative Religionsdidaktik. Religionsästhetik – Lernorte – Unterrichtspraxis, hg. v. Thomas K lie und ders., PTHe 97, Stuttgart 2008, S. 114–129. 353 Vgl. Leonhard, Leibräumlichkeit, S. 34.
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Einerseits wird so in Leonhards Konzept der Lerngegenstand Religion schulisch im buchstäblichen Sinne „handhabbar“354. Andererseits wird der Körper der Lernenden und Lehrenden zum „Lernort“355 religiöser Bildung.
3.2.2.2 Rituelle (Re‑)Präsentation zwischen Didaktik und Methodik Das Ziel unterrichtlicher Auseinandersetzung mit Religion besteht in L eonhards leiblich-performativem Ansatz darin, die fremde Wirklichkeit der christlichen Religion als gelebte Erfahrung leiblich wahrnehmbar zu gestalten. Dieses Ziel impliziert im Hinblick auf die Methodik und Didaktik des Religionsunterrichts eine Hinwendung zum Körper sowie eine Verschränkung der Kategorien Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und Handlung. Um einem derart komplexen Anforderungsprofil gerecht werden zu können, müssen im Unterricht anspruchsvolle, wechselnde und tendenziell handlungs- und erfahrungsorientierte Lernwege begangen werden, die sich in Bezug auf die gewünschten leiblichen Aneignungsprozesse als förderlich erweisen. In der Gestaltung dieser Lernwege verschwimmen nach Ansicht Leonhards die Grenzen zwischen den Fragen nach dem „Was“ und dem „Wie“ des Lernens. Die religionspädagogisch zu reflektierenden Bereiche der Didaktik und Methodik gehen ineinander über. Methodische Zugänge können dieser Auffassung folgend nicht auf ihre handwerkliche Funktion reduziert werden, sie verkörpern vielmehr „tätige Formen“, die bereits den „Rahmen“ verkörpern, „in dem aus einem Gegenstand ein Inhalt, aus der Partitur eine Performance, aus dem Text ein Lehrstück wird.“356 Diese Einschätzung unterstreicht Leonhards Beobachtung, dass viele Methoden bereits in ihrer Struktur körperlich-sinnliche Zugänge zu den behandelten Lerngegenständen zur Folge haben. Leonhard denkt hierbei insbesondere an szenisch-ästhetische Verfahren wie etwa das Rollenspiel, Standbilder, verschiedene bibliodramatische Zugänge, Pantomime und Tanz, aber auch an vergleichsweise traditionelle Lernvollzüge wie das Singen, Erzählen und Zuhören.357 Hinsichtlich dieser für den Einsatz in performativen Arrangements potentiell geeigneten Unterrichtsmethoden würdigt Leonhard die Innovationen der vergangenen Jahre sowohl in der Religionsdidaktik als auch in den benachbarten Fachdidaktiken.358 Das breite Repertoire an methodischen Möglichkei354 Leonhard, Leiblich lernen, S. 93. 355 „Der Körperraum fungiert als zwischenleiblicher
Lernort, der Gestaltung und Fülle, aber auch Phasen der Leere (mit doppeltem e!) braucht, um sich zu Religion ins Verhältnis zu setzen.“ Leonhard, Leibräumlichkeit, S. 37. 356 K lie / Leonhard, in Szene setzen, S. 11; vgl. Leonhard, Leiblich lernen, S. 454–459. 357 Vgl. Leonhard, Leiblich lernen, S. 459–473. 358 Vgl. ebd., S. 22. Neben den oben angeführten Beispielen für eine sich pluralisierende Methodik verweist Leonhard auf die zunehmende Berücksichtigung von Elementen aus Psychodrama, Kinesiologie, Begehung usf. Zudem bezieht sie sich an dieser Stelle dezidiert auf die Innovationen aus der Deutschdidaktik, die z. B. von Ingo Scheller, Gerhard Haas u. a. im Kontext des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts vorgestellt wurden.
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ten ist von den Lehrenden mit dem eigenen Stil des Unterrichtens in Beziehung zu setzen. Entscheidendes Kriterium ist an dieser Stelle wiederum, inwieweit die gewählte Methode im hic et nunc des Unterrichts das leiblich-personale Lernen im Zusammenspiel von Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und Handlung fördert. Ihre Vorschläge zur Anwendung der oben genannten Methoden versteht Leonhard als „Belebungsversuche für die Unterrichts-Kultur“359, die auch mit Herausforderungen für Lehrende und Lernende einhergehen. So erfordert die produktive Erschließung der leibräumlichen Präsenz von Religion neben einem hohen Maß an Sensibilität und Aktivität auf Seiten der Akteure des Religionsunterrichts auch eine Steigerung der Bereitschaft, die Grenzen zu den potentiell unbekannten Orten der Religion zu überschreiten: „Man muss sich schon ein wenig hineinbegeben, der Perspektive, den Proportionen, der Atmosphäre, den sinnlichen und körperlichen Eindrücken nachspüren und die Resonanz des Raumes im Nachhall präsentisch erspüren, wenn man draußen ist.“360 Die aus Sicht der Lernenden didaktisch angemessene Haltung während der konkreten leiblichen Begehungen von religiös-inszenierten Räumen bringt L eonhard in enger Anknüpfung an Bizer auf die Formel des „sehr wohl spielerischen und zugleich an die Form gebundenen Probierverhaltens.“361 Im Vergleich zu Dressler und Klie betont Leonhard im Prozess des probeweisen Sich-Einfühlens weniger die heuristische Funktion der Perspektivübernahme als Medium zum Verstehen, als vielmehr die „Faktizität der leiblichen Situation“362. Diese konstituiert sich als neue und wiederum wahrnehmbare Realität immer dann, wenn liturgische Worte „in den Mund und in die Hand“363 genommen werden. Religionsunterricht hat seine Lerngegenstände demzufolge so zu inszenieren, dass diese in den Körpern der Lernenden und Lehrenden etwas bewegen, auf Resonanz stoßen und dadurch zur Ausgestaltung der individuellen Leiblichkeit beitragen können. Zwar betonen alle evangelischen und katholischen Spielarten performativer Religionsdidaktik die Notwendigkeit, handlungsorientiertes und ästhetisches Lernen zu fördern. Nirgends wird aber in vergleichbarer Deutlichkeit die Relevanz der gestaltaktiven Körperwahrnehmung hervorgehoben, die in Leonhards Zu den handlungsorientierten Diskursen in der Deutschdidaktik sowie den anderen Fachdidaktiken vgl. ausführlich § 2, Kap. 2 „Beispiel A: „Der ‚handlungs- und produktionsorientierte Literaturunterricht‘ in der Fachdidaktik Deutsch“. 359 Leonhard, Leiblich lernen, S. 483. 360 Silke Leonhard: Religion zum Anfassen. Gedanken zum Liturgischen Lernen in der Schule, in: PrTh 38/1 (2003), S. 53–64, 59. 361 Ebd. (Hervorhebung FD). Vgl. Bizer , Liturgik und Didaktik, S. 92. Bizer schreibt an dieser Stelle in ähnlichem Wortlaut: „Der Potentialität, in der geerbte liturgische Formen sich als tragend erweisen, entspricht didaktisch ein Probierverhalten, das nicht nur eine Teilnahme am liturgischen Vollzug, sondern zugleich Modifikationen der Form selbst ausprobieren muss.“ 362 Leonhard, Gesagt – getan?, S. 125. 363 Ebd.
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§ 1 Theoretische Fundierung performativer Religionsdidaktik
Spielart performativer Didaktik durch die Rezeption des Focusing-Ansatzes hinzukommt. Leonhard richtet ihre Aufmerksamkeit zuerst und im buchstäblichen Sinne auf die leibräumlichen Erfahrungen, die sich in der Wahrnehmung der kultischen und kulturellen Formen von Religion ereignen. Der Körper selbst ist in einem solchen Religionsunterricht „Ausgangspunkt des Denkens“364 und gleichsam Zielpunkt religiöser Bildungsbemühung.
3.3 Poststrukturalistisch begründete Performanz Die dritte religionsdidaktische Spielart, die im Diskurs der evangelischen Religionspädagogik das Verständnis performativer Didaktik geprägt hat, bezieht sich in ihrer Begründung auf den Begriff des „Poststrukturalismus“. Rudolf Englert bezeichnet diese Richtung auch als „Kölner Religionspädagogik“365 und unterstreicht damit ihren Bezug zum Lehrstuhl des heute emeritierten Religionspädagogen Dietrich Zilleßen an der Universität Köln. Insgesamt weisen die poststrukturalistisch begründeten Entwürfe performativer Religionsdidaktik sowohl in Bezug auf ihre philosophisch-kulturwissenschaftlichen Begründungen als auch auf die didaktischen Konkretionen erkennbare Differenzen zu den semiotisch und gestaltpädagogisch begründeten Ansätzen auf. Als wichtige Vertreter dieser Spielart sind neben Zilleßen auch Bernd Beuscher, Uwe Gerber und Harald Schroeter-Wittke zu nennen. Im Kern geht es ihnen um die „Wahrnehmung und Reflexion religiöser Strukturen in profanen Phänomenen und Prozessen.“366 Aus diesem Grund bezeichnen Zilleßen und sein „Gefolge“367 ihren Ansatz auch als „profane Religionspädagogik“368 und sprechen in ihren Veröffentlichungen häufig auch von einem „experimentellen“369 statt einem „performativen“ didaktischen Neuansatz für den Religionsunterricht. Dennoch wird die folgende Analyse zeigen, dass gerade die Beiträge Zilleßens und Schroeter-Wittkes nicht nur einige Ähnlichkeiten und Überschneidungen zu den bisher skizzierten Konzepten performativer Religionsdidaktik aufweisen, sondern schon in der Verwendung des zentralen Bezugsbegriffes 364
Leonhard, Leiblich lernen, S. 484. Englert, Zwischenbilanz, S. 12. Schroeter-Wittke , Simsalabimbambasaladusaladim, S. 375. 367 Ebd. 368 Bernd Beuscher / D ietrich Z ille ẞen: Religion und Profanität. Entwurf einer profanen Religionspädagogik, Weinheim 1998. 369 Vgl. z. B. Bernd Beuscher / D ietrich Z ille ẞen: Religionsunterricht. Ein experimenteller Ansatz, in: Religionsunterricht neu denken. Innovative Ansätze und Perspektiven der Religionsdidaktik, hg. v. Bernhard Grümme , H artmut Lenhard und M anfred L. P irner , Religionspädagogik innovativ 1, Stuttgart 2012, S. 79–89. In diesem Band fällt auf, dass Beuscher und Zilleßen ihren dort als „experimentell“ bezeichneten Ansatz neben dem darin ebenfalls vorgestellten performativen Ansatz profilieren. 365 366
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deutlich als eigenständige Spielart erkennbar werden. Das experimentelle Moment dieser Spielart performativer Religionsdidaktik ergibt sich hierbei besonders augenscheinlich aus den Bezügen zur poststrukturalistischen Begründungstradition. Stärker als die zuvor betrachteten Spielarten betonen die poststrukturalistisch begründeten Ansätze den fragmentarischen Charakter aller Deutungen von Wirklichkeit. Ein Religionsunterricht, der sich auf die Deutung christlicher und religiöser Zeichen mit dem Ziel eines präziseren Verständnisses von deren Bedeutung konzentriere, suggeriere die trügerische Möglichkeit, grundsätzlich unergründliche Gegenstände begreifen und damit deren Sinnhorizonte festschreiben zu können.370 Darum müsse die Fragmentarität von Deutungen stets als religionsdidaktische Prämisse mitgeführt werden. Diese Vorbedingung leiten die „Kölner Religionspädagogen“ aus einer intensiven Rezeption der Entwürfe des französischen Poststrukturalismus der späten 1960er Jahre ab – insbesondere unter Bezugnahme auf Jacques Derrida, Michel Foucault sowie auf eine poststrukturalistische Lesart der Grundgedanken des Psychoanalytikers Jacques Lacan. Zunächst ist „Poststrukturalismus“ ein philosophie- bzw. geistesgeschichtlicher Sammelbegriff. Er umfasst eine Vielzahl unterschiedlicher Denkansätze, Theorien und Methoden. Poststrukturalistische Ansätze eint auf den ersten Blick vor allem das breite Forschungsfeld, das man als kritische Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Sprache und Realität umreißen könnte. Obwohl sich schon die beiden oben genannten Vertreter Derrida und Foucault in vielen methodischen und inhaltlichen Fragen unterscheiden,371 soll im Folgenden versucht werden, gewisse Gemeinsamkeiten aufzuzeigen. Auffällig sind zunächst die gemeinsamen Abgrenzungsbemühungen, einerseits von den klassischen Strukturalisten wie Ferdinand de Saussure, Claude Lèvi-Strauss oder Roman Jakobson, andererseits von philosophisch-objektivistischen Weltsichten, die empirische Tatsachen jenseits einer vorbehaltlichen Relationalität zu beschreiben versuchen.372 Kein Wahrheits- und Bedeutungskonzept von Objekten, so die entgegen gesetzte Annahme Derridas und Foucaults, konstitu370 Vgl. D omsgen, Performativer Religionsunterricht, S. 38. Domsgen weist an dieser Stelle weiter darauf hin, dass die Strittigkeit aller Deutungen, die auch schon die semiotischen Entwürfe Dresslers auszeichnete (vgl. § 1, Kap. 3.1.1.1 „Die semiotische Begründung“), sich in der „profanen Religionspädagogik“ auch aus der Unverfügbarkeit der religiösen Zeichen selbst begründe. Den ästhetischen Formen von Religion wohnt mit Domsgen eine „Differenz“ inne, „die dazu führt, dass jede Deutung vage, vorläufig und brüchig bleibt.“ 371 Für eine vergleichende Kritik der poststrukturalistischen Ansätze Foucaults, Derridas und in Ansätzen auch Lacans vgl. die Vorlesungen des Genfer Philosophen M anfred Frank: Was ist Neostrukturalismus?, Frankfurt a. M. 1984. 372 Brown nennt beispielsweise Derridas Theorien, in denen er die „profilierteste Form von Postmoderne“ entdeckt, einen „Angriff auf alle Theorien des Wissens“. David Brown: Art. Postmoderne II. systematisch-theologisch, in: TRE 27 (1997), S. 87–89, 88.
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iert sich allein aufgrund von Eigenschaften der zu bezeichnenden Gegenstände. Stattdessen erfolgt jede Form der Modellierung von Sinn in Abhängigkeit von externen Größen. Als solche Größen gelten das wahrnehmende Subjekt selbst (besonders bei Derrida), dessen zeitgeschichtlich-biographisches Umfeld (besonders bei Lacan), die gesellschaftlichen Gegebenheiten sowie die Regeln des spezifischen Diskurses (besonders bei Foucault). Ein gemeinsamer Nenner der poststrukturalistischen Ansätze ließe sich mit Zilleßen und Beuscher so zusammenfassen: „Wirklichkeit ist Verlauf, Vergehen, Prozess, Geschichte.“373 Dieser relativistische Gedanke ist zu unterscheiden von einer radikalkonstruktivistischen Beliebigkeit der Weltdeutungen und erinnert vielmehr an die zeichentheoretischen Abhängigkeiten in der Semiotik. Besonders Foucault führt diesbezüglich an, dass die spezifischen Realitäten, die Kommunikationsprozesse umgeben, diese auch entscheidend bedingen.374 Der Diskurs selbst ruft konkrete konventionelle Rahmenbedingungen hervor, die ihrerseits als Begrenzungen der individuellen Handlungsspielräume fungieren. Auch Lacan unterstreicht im Verlauf seiner Re-Lektüre der psychoanalytischen Schriften Sigmund Freuds diese Einschränkung, indem er Konventionen, gesellschaftliche Normen und biographisch bedingte Verdrängungsprozesse als weitere Faktoren anführt, die das Subjekt in seinen Konstruktionen von Wirklichkeit beeinflussen.375 Im Anschluss an diese Gedanken formuliert Manfred Frank eine Frage, die auf das entscheidende Alleinstellungsmerkmal der poststrukturalistisch begründeten Religionsdidaktik hinweist: „Was wäre, wenn sich nachweisen ließe, daß Strukturen in Wahrheit kein organisierendes Zentrum besitzen?“376 Im Anschluss an Derrida könnte die Religionspädagogik 373
Beuscher / Zille ẞen, Religion und Profanität, S. 108. Foucault verweist bereits in seiner berühmten Antrittsvorlesung „L’ordre du discours“, die er 1970 am Collège de France in Paris hielt, programmatisch auf Einflussfaktoren des Diskurses: „Ich setze voraus, daß in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird – und zwar durch gewisse Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Kräfte und die Gefahren des Diskurses zu bändigen, sein unberechenbar Ereignishaftes zu bannen, seine schwere und bedrohliche Materialität zu umgehen.“ M ichel Foucault: Die Ordnung des Diskurses, übers. v. Walter Seitter , Frankfurt a. M. 61992, S. 10. Konkreter benennt er derartige Einflussfaktoren in seinen Werken zum Thema „Macht“, vgl. M ichel Foucault: Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit, übers. v. Jutta K ranz , Berlin 1978. Dort entfaltet Foucault das Spektrum der Einflussfaktoren, die den Diskurs bedingen, als ein „entschieden heterogenes Ensemble, das […] Institutionen, architektonische Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebensowohl wie Ungesagtes umfasst“ (S. 119 f.). 375 Lacan widmet sich in diesem Zusammenhang ausführlich der aktiven Beteiligung des Subjektes am multifaktoriell bedingten Prozess des „Sprechens“: „Denn das, was im Menschen spricht, geht so weit über das Sprechen hinaus, daß es seine Träume, sein Sein und sogar seinen Organismus durchdringt.“ Jacques Lacan: Das Seminar, Bd. 1, Freuds technische Schriften, hg. v. Norbert H aas, Olten 1978, S. 326. 376 Frank , Neostrukturalismus, S. 76. Vgl. ferner Bernd Beuscher : Art. Postmoderne III. Praktisch-theologisch, in: TRE 27 (1997), S. 89–95, 92. 374
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unter diesen Voraussetzungen jenseits von sprachlicher und struktureller Differentialität keinen zeitgeschichtlich unabhängigen Orientierungsrahmen in Anspruch nehmen. Stattdessen würden „Systeme ohne innere Einheit und ohne absolutes Zentrum […] zur unhintergehbaren Bedingung“ – und zwar sowohl „unseres Daseins und unserer Weltorientierung“377 als auch unseres religionspädagogischen Urteilens und Handelns. In dieser Fluchtlinie liegt ein Beispiel poststrukturalistischen Denkens, das didaktisch wirkmächtig geworden ist. Gemeint ist Derridas Annahme der „resultatslosen Prozessualität ästhetischer Erfahrung“378. Jedes Subjekt ist demnach im Wahrnehmen ästhetischer Objekte selbst in die Bedeutungsbildung verwickelt und produziert darin notwendigerweise unterschiedliche Konstruktionen von Sinn. Darum dekonstruiert die ästhetische Erfahrung an dieser Stelle die Idee, es gäbe eine einheitsstiftende Vernunft, die der Zielpunkt (religiöser) Bildungsbemühungen sein könnte. Nach Derrida und ganz im Sinne der poststrukturalistischen Spielart performativer Religionsdidaktik lässt sich die Rede von „Vernunft, die nur eine ist, […] buchstabieren als das Produkt oder Konstrukt herrschaftlicher Ordnungen, denen zufolge die Vernunft nur eine sein soll.“379 Im Gegensatz dazu muss eine Religionsdidaktik, die sich vom Poststrukturalismus herleitet, dessen Merkmal der radikalen Pluralität bedenken. Beuscher zufolge ist diese Pluralität insofern radikal, als sie nicht bloß eine „schiedlich-friedliche Weise des Pluralismus“380 im Sinne der Bejahung von Vielfalt meint, sondern „eine grundsätzliche Pluralität von Sprachen, Modellen, Verfahrensweisen“, die in der Welt vorfindlich ist – „und zwar nicht bloß nebeneinander, sondern in ein und demselben Werk […], also interreferentiell.“381 377
Frank , Neostrukturalismus, S. 116. Beuscher / Zille ẞen, Religion und Profanität, S. 108. Derrida leitet in seinem Essay „La voix et le phénomène“ im Gespräch mit den phänomenologischen Entwürfen v. a. Husserls (vgl. vorheriges Kapitel) ausführlich her, dass keine Form der Wahrnehmung von Ästhetik zu einem durchdringenden Begreifen der wahrgenommenen Zeichen führen kann. Im Gegenteil betont Derrida im letzten Satz der Abhandlung mit Nachdruck, dass aller phänomenologischer Überzeugung zum Trotz „der Blick nicht zu dauern vermöge“. Jacques Derrida: Die Stimme und das Phänomen, übers. v. Jochen Hörrisch, Frankfurt a. M. 1979, S. 165. 379 Uwe D reisholtkamp: Jacques Derrida, München 1999, S. 122. 380 Beuscher , Art. Postmoderne, S. 90. 381 A lbrecht Wellmer : Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne. Vernunftkritik nach Adorno, Frankfurt a. M. 21986, S. 16 f. (Hervorhebung FD). Vgl. ferner Beuscher , Art. Postmoderne, S. 90. Beuscher nennt die „radikale Pluralität“ bzw. den hier synonym verwendeten programmatischen Begriff „agonale Komplexität“ als Kriterium zur Präzisierung des Begriffes „postmodern“. Aufgrund der engen geistesgeschichtlichen Verwandtschaft der Strömungen des „Poststrukturalismus“ und der „Postmoderne“ und der in beiden Diskursen häufig angeführten Bezüge zu Derrida kann m. E. eine so verstandene „radikale Pluralität“ durchaus auch als Merkmal des „Poststrukturalismus“ aufgefasst werden. Obwohl der Begriff „Postmodernde“ im Anschluss an Lyotards berühmtes Diktum vom „Ende der großen Erzählungen“ den weiter gefassten Begriff zur Beschreibung von gegenwarts- und gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen darstellt, empfiehlt sich insbesondere aufgrund der sprachkritischen Fokus378
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§ 1 Theoretische Fundierung performativer Religionsdidaktik
Die oben dargestellten poststrukturalistischen Annahmen, dass Deutungsprozesse zum einen vorläufig und brüchig sind und dass zum anderen Pluralität radikal zu denken ist, haben weitreichende Konsequenzen für die Durchführung von Religionsunterricht im Sinne dieser performativ-didaktischen Spielart. Ein so begründeter performativer Religionsunterricht ist in besonderem Maße als „zögerlich, suchend, probierend, vor allem streitend-partnerschaftlich [und] experimentell“382 zu gestalten. Diese Attribute beschreiben insbesondere die Entwürfe des Religionspädagogen Dietrich Zilleßen.
3.3.1 Dietrich Zilleßen und die Suche nach dem Unbekannten im Profanen Die religionsdidaktischen Entwürfe von Zilleßen sind sowohl in der Forschungsliteratur als auch in seinen eigenen Schriften mit sehr unterschiedlichen Begriffen charakterisiert und beschrieben worden. Dort ist von einer „profanen Religionspädagogik“, einer „experimentellen Didaktik“383, „elementare[m] Lernen“384 und nicht zuletzt auch, zumindest zögerlich, von „performativer Didaktik“385 die Rede. Schon diese Vielzahl an Zuschreibungen verweist auf zwei Charakteristika, die seine Beiträge im Diskurs zum Performativen auszeichnen: Zunächst verstehen sich Zilleßens Gedankengänge nicht von vornherein als ausdrückliche Impulse zur performativen Neuorientierung der Religionsdidaktik. Im Unterschied vor allem zu Klie, Leonhard und dem katholischen Religionspädagogen Hans Mendl386 steht er einer Etikettierung des Religionsunterrichts als „performativ“ eher kritisch gegenüber. Zilleßen spricht stattdessen geradezu zurückhaltend von „performativen Dimensionen“387 des Religionsunterrichts, die neben anderen Dimensionen im schulischen Unterricht eine Rolle spielen. Darüber hinaus lassen die Vielzahl der Bezeichnungen die generelle Bemühung um Selbstrelativierung und sprachkritische Offenheit erkennen, die Zilleßens „Gedankengängen im unsicheren Gelände“388 performativer Religionsdidaktik stets zu eigen sind. Seine mehrfach vorgetragene Mahnung, der religionspädagogischen Wahrheit sei schwerlich durch grundlegende Labels sierung der Begriff des „Poststrukturalismus“ zur genaueren Beschreibung der Ansätze von Zilleßen und Schroeter-Wittke. 382 Beuscher / Z ille ẞen, Religion und Profanität, S. 152. Vgl. Beuscher / Z ille ẞen, Experimenteller Ansatz, S. 82. 383 Vgl. D ietrich Z ille ẞen: Gegenreligion. Über religiöse Bildung und experimentelle Didaktik, Profane Religionspädagogik 1, Münster 2004 (Hervorhebungen FD); Beuscher / Zille ẞen, Experimenteller Ansatz, S. 79. 384 Beuscher / Z ille ẞen, Experimenteller Ansatz, S. 89. 385 D ietrich Z ille ẞen: Performative Didaktik. Religionspädagogische Showgeschäfte, in: Theo-Web 8/1 (2009), S. 118–129 (Hervorhebungen FD). 386 Vgl. § 1, Kap. 3.4.1 „Konstruktivistisch begründete Performanz bei Hans Mendl“. 387 D ietrich Z ille ẞen: Performativer Religionsunterricht? Gedankengänge im unsicheren Gelände, in: ZPT 60 (2008), S. 31–39, 39. 388 Ebd.
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und Etikettierungen näher zu kommen,389 kann gegenüber anderen Ansätzen als charakteristisch bezeichnet werden. Schon in dieser sprachkritischen, skeptischen Tendenz deutet sich Zilleßens Bezogenheit auf die Ideen des Poststrukturalismus an.
3.3.1.1 Philosophische und theologische Begründungen Bei der vergleichenden Lektüre von Zilleßens umfangreichem Korpus religionsdidaktischer Veröffentlichungen wird zunächst deutlich, dass er sein Plädoyer für eine Aufwertung der performativen Dimensionen des Religionsunterrichts im Unterschied zu allen bisher betrachteten Ansätzen kaum anhand situationsbezogener Analysen der schulischen oder gesellschaftlichen Gegenwart begründet. Ausgangspunkt seiner Überlegungen sind weder der Traditionsabbruch noch die defizitäre Gestalt des Religionsunterrichts in den Schulen, sondern kritisch-interpretierende Auseinandersetzungen mit ausgewählten philosophischen und systematisch-theologischen Strömungen des 20. Jahrhunderts. Dabei lassen sich in Zilleßens Didaktik vornehmlich zwei besonders auffallende Begründungstraditionen hervorheben. An erster Stelle bezieht sich Zilleßen auf die oben bereits knapp skizzierten relativistisch-sprachkritischen Thesen der französischen Poststrukturalisten, und darin insbesondere auf Jacques Derrida.390 Die Lektüre Derridas führt ihn zu seinem religionspädagogischen Stil der Vorsicht, der sich didaktisch in einem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber allem sprachlich und körperlich Fixierten, allen sichtbaren Darstellungsweisen (Performances) des Religionsunterrichts zeigt. „Grenzen und Voraussetzungen des ‚Selbstverständlichen‘ aufzuzeigen“, war nach Zilleßen „Derridas besonderes Anliegen.“391 Im Anschluss an dieses zentrale „Anliegen“ mahnt Zilleßen, stets zu berücksichtigen, dass Subjekte nicht ohne eigene Verstrickung in Kommunikationsprozesse wahrnehmen können. Ferner müsse stets bedacht werden, dass es keine objektive Bedeutung von Aussagen jenseits von individueller Wahrnehmung gebe. Die Konsequenz dieser Einsicht für die verbale Kommunikation im Allgemeinen und die Rede im Religionsunterricht im Besonderen formuliert Z illeßen wie folgt: „Wenn wir sprechen, sprechen wir auf der Ebene einer unpräzisen, vagen Verständigung, 389 Vgl. ebd. Auch
die folgenden Hinweise Zilleßens könnten als vergleichbare Mahnungen verstanden werden: „Religionspädagogik bedarf der Bescheidenheit; sie vermag weniger, als wir meinen. Sie bedarf der Gelassenheit; es ereignet sich mehr und Anderes, als wir erwarten.“ Dietrich Zille ẞen: Eigenheiten: Religionspädagogische Selbstinszenierung, in: TheoWeb 4/2 (2005), S. 20–26, 25. 390 Vgl. D ietrich Z ille ẞen: Über Religion sprechen. Einwurf mit Jacques Derrida, in: Religion – Leben, Lernen, Lehren, hg. v. Bernhard Dressler u. a., Münster 2004, S. 92–105; Dietrich Zille ẞen: Religionspädagogik zwischen Ästhetik und Ethik. Diskussionspunkte, in: Ästhetik und Ethik. Die öffentliche Bedeutung der Praktischen Theologie, hg. v. Thomas Schlag u. a., Zürich 2007, S. 81–94. 391 Z ille ẞen, Eigenheiten, S. 22.
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in der wir nicht sagen, was wirklich ist, sondern was wir als wirklich bezeichnen.“392 Infolgedessen verlagert sich bei Zilleßen die Kernaufgabe der Religionslehrerinnen und Religionslehrer weg von der Anbahnung individueller Deutungen der religiösen Zeichen – wie beispielsweise in den Ansätzen von Dressler und Klie – hin zu einem prinzipiellen Offenhalten aller Deutungsergebnisse, die stets als unfertig und ungenau markiert werden müssen. Weil religiöses Lernen in der Schule häufig dazu tendiere, Bedeutungen vorschnell zu vereinheitlichen, betont er immer wieder „die Gefahr einer Manipulation bei einer funktional-instrumentellen Ausrichtung des Religionsunterrichts.“393 An dieser Stelle klingt auch bei Zilleßen eine kritische Analyse der Bedingungen des Religionsunterrichts an, indem er sich nämlich gegen die Instrumentalisierung christlicher Religion zur Befriedigung der Sehnsüchte nach letztgültiger Einheit und Halt in einer pluralen Gesellschaft ausspricht. Das Christentum stehe in der Gefahr, zu einer „Bedürfnisreligion“ zu verkommen, wenn etwa „die Globalisierung ökonomischer Ordnung langfristig dazu [dränge], auch die differenzierten kulturellen, religiösen, sozialen Traditionen zu vereinheitlichen.“394 Statt sich auf definierbare Erträge des religionspädagogischen Handelns zu fokussieren, sei mit Blick auf das Verhältnis von Performance, als der Gestaltung der didaktischen Arrangements, und Performativität, als deren tatsächlich erzielte Wirkung, stets die didaktische Unverfügbarkeit der letzteren Größe als konstitutiv zu betrachten. Was sich also tatsächlich im Religionsunterricht performativ Geltung verschafft, bleibt stets in der didaktischen Schwebe.395 „Sinn“, hält Domsgen treffend fest, werde in Zilleßens Ansatz gemäß der poststrukturalistischen Begründung bewusst „im Fluss gehalten“396. Alle Bedeutungskonstruktion bedürfe einer zusätzlichen und letztgültigen Verifizierung, die das Subjekt selbst nicht zu leisten im Stande ist. Dieses Andere aber, die „unverfügbare, immer kommende Wahrheit“397, die subjektiven (Glaubens‑)Annahmen und didaktischen Performances unverfügbar ist, gilt es in den profanen Lernarrangements des Religionsunterrichts zu suchen. Hier392
Zille ẞen, Gedankengänge, S. 35 (Hervorhebungen FD). D omsgen, Performativer Religionsunterricht, S. 38. Zille ẞen, Gegenreligion, S. 14; 125 f. Vgl. zum Begriff der „Bedürfnisreligion“ ferner: Dietrich Zille ẞen: Raumbeschreitungen. Wie Didaktik der Religion bei Sinnen ist, in: Schauplatz Religion. Grundzüge einer Performativen Religionspädagogik, hg. v. Thomas K lie und Silke Leonhard, Leipzig 2003, S. 67–91, 83 f. Die Bedürfnisreligion bezeichnet „eine Sicherheits- und Versicherungseinstellung. Sie ist Projektion; Methode und Weg, zu sich selbst zu kommen, seinen Bedürfnissen nachzukommen […]. Die Nachhaltigkeit dieser Religion liegt an ihrem Scheitern.“ 395 Vgl. Z ille ẞen, Gedankengänge, S. 35. Zilleßen beschreibt diese Wirkung hier genauer als „ein sprachloses, unklares Widerfahrnis“. 396 D omsgen, Performativer Religionsunterricht, S. 38. Vgl. Beuscher / Z ille ẞen, Experimenteller Ansatz, S. 82. 397 D ietrich Z ille ẞen: Die Freiheit religiöser Didaktik, in: JRP 18 (2002), S. 216–229, 224. 393 394
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bei ist die Prämisse zugrunde zu legen, dass auch die Ergebnisse einer solchen Suche fragil und vorläufig bleiben. Die Annahme, dass in den profanen Prozessen des Religionsunterrichts und den darin zur Sprache zu bringenden „alltäglichen Bedeutungsgeschichten“398 den Spuren des Unverfügbaren nachzugehen sei, führt unmittelbar zu den Kerngehalten der theologischen Arbeiten Paul Tillichs.399 Diese bilden den zweiten tragenden Begründungsstrang der poststrukturalistischen Spielart performativer Religionsdidaktik. Nach Tillich verwendet die systematische Theologie die Methode der „Korrelation“, um „die Inhalte des christlichen Glaubens durch existentielles Fragen und theologisches Antworten in wechselseitiger Abhängigkeit“400 zu erklären. Der Korrelationsbegriff ist in der Religionspädagogik breit rezipiert und während der 1970er und 1980er Jahre insbesondere in der katholischen Religionspädagogik als Fundament der entsprechend so benannten „Korrelationsdidaktik“ verwendet worden.401 Er wirkt sich in besonderer Weise auch auf den performativen Ansatz von Zilleßen aus: Bei Zilleßen geht es im Kern um eine Vermittlung bzw. ein korrelatives In-Beziehung-Setzen der Tradition des Glaubens an den christlichen Gott mit der sich fortwährend verändernden Lebenswelt. Dieser Vermittlungsprozess als Korrelation kennzeichnet nach Tillich insgesamt die Beziehung zwischen Gott und Mensch: „Gott antwortet auf die Fragen des Menschen, und unter dem Eindruck von Gottes Antworten stellt der Mensch seine Fragen.“402 In diesem Sinne spielt Korrelation schon innerhalb der religiösen Tradition eine Rolle. Sie liefert so in Zilleßens Lesart die 398 399
Leonhard, Leiblich lernen, S. 241. Beuscher und Zilleßen identifizieren insgesamt drei „Pointen“ in Tillichs theologischen Arbeiten, die sie alle als „theologische Orientierungsmuster [ihrer] religionspädagogischen Versuche“ verstehen: die „Gelassenheit eines ‚Protestantischen Prinzips‘“, die „Getrostheit des ‚Positiven Paradoxes‘“ und den „gebrochenen Mythos“. Vgl. Beuscher / Zille ẞen, Religion und Profanität, S. 61. 400 Paul Tillich: Systematische Theologie, Bd. 1, Berlin u. a. 81984, S. 74. Die didaktischen Anknüpfungspunkte an die Methode der Korrelation präzisiert Tillich selbst in seinen weiteren Erläuterungen zur Vorgehensweise der Methode im systematisch-theologischen Arbeiten: „Sie [die Methode der Korrelation] gibt eine Analyse der menschlichen Situation, aus der die existentiellen Fragen hervorgehen, und sie zeigt, daß die Symbole der christlichen Botschaft die Antworten auf diese Fragen sind“ (S. 76). Vgl. hierzu ausführlich Beuscher / Zillesẞen, Religion und Profanität, S. 44 ff. 401 Eine sorgfältige Analyse der Rezeption Tillichs in der Religionspädagogik sowie seiner religionspädagogischen Arbeiten liefert Johannes Kubik: Paul Tillich und die Religionspädagogik. Religion, Korrelation, Symbol und Protestantisches Prinzip, ARPäd 49, Göttingen 2011. 402 Tillich , Systematische Theologie 1, S. 75. Systematisch-theologisch findet die gegenseitige Beziehung von Gott und Mensch mit Joachim Track „ihren Ausdruck in der realen gegenseitigen Beziehung zwischen der ewigen Wahrheit und der Zeitsituation.“ Joachim Track: Der theologische Ansatz Paul Tillichs. Eine wissenschaftstheoretische Untersuchung seiner ‚Systematischen Theologie‘, FSÖTh 31, Göttingen 1975, S. 272. Diese Bereiche zueinander in Beziehung zu setzen ist das, was Tillich mithilfe der Korrelationsmethode zu erreichen sucht.
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Basis für eine kreative, weiterführende unterrichtliche Arbeit an und mit lebensweltlichen und christlich-religiösen Erfahrungen.403 Auch Tillichs Annahme, schlechterdings „alles [sei] profan“, während gleichzeitig aber „alles Profane […] potentiell religiös“404 sein könne, sofern es den Menschen unbedingt angehe,405 wird von Zilleßen aufgenommen. Tillich versteht Profanität nicht als „irreligiös oder atheistisch“, sondern definiert „profane Gestalten [als] die Gestalten, in denen eine endliche Struktur der Wirklichkeit zum Ausdruck kommt – dichterisch, wissenschaftlich, ethisch, politisch – und in denen die Beziehung jedes Endlichen zum Unendlichen nur mittelbar zum Ausdruck kommt.“406 Weil das Unbedingte, das nur im Bedingten, Profanen gesucht werden kann, dort aber im Sinne des Poststrukturalismus als Gesprochenes stets vorläufig und mehrdeutig bleiben muss, kann der Religionsunterricht nach Zilleßen nicht umhin, sich gerade diesen Uneindeutigkeiten zuzuwenden.407 Im Verfolgen der profan-religiösen Spuren ergeben sich dann potentiell produktive Prozesse der Verunsicherung und Irritation, welche auf die performativen Dimensionen des Religionsunterrichts verweisen. Ausgehend von Fremdheitserfahrungen sollen die Schülerinnen und Schüler gestaltend Voraussetzungen und Möglichkeiten dafür erforschen, wie das Neue und Fremde modifizierend, womöglich auch korrigierend in das individuelle Selbstund Glaubensbild integriert werden kann.408 Analog zu Tillich beschreibt Zilleßen die Verhältnisbestimmung zwischen dem Eigenen und dem Fremden als Prozess „zwischen Assimilation und Akkomodation.“409 In diesem Prozess wird Gott nicht als Größe gedacht, die Normen setzt und aus Sicht des Individuums schließlich alles ins rechte Licht rückt,410 sondern gerade die „Demontage des dominanten-normativen […] Paradigmas“411 ist Zilleßens Pointe. Obwohl also im Sinne Tillichs das Unbedingte nur im Bedingten, das Religiöse nur im Profanen gesucht werden kann, bleibt eine didaktische Differenz zwischen den wahrnehmbaren Formen und Gestal403 Vgl.
Beuscher / Zille ẞen, Experimenteller Ansatz, S. 79. Tillich: Gesammelte Werke, hg. v. R enate A lbrecht, Bd. 7: Der Protestantismus als Kritik und Gestaltung, Stuttgart 1962, S. 97. Dieser prominente Satz Tillichs pointiert in seinen Ausführungen zum „protestantischen Prinzip“ die zentrale „Überwindung des Gegensatzes von sakraler und profaner Sphäre, […] die Verneinung einer religiösen Sondersphäre im Handeln und Denken.“ Ebd. 405 Vgl. R einhard D ross: Art. Profane Religionspädagogik, in: LexRP 2 (2001), Sp. 1565–1568, 1566; vgl. ferner Beuscher / Zille ẞen, Religion und Profanität, S. 38. 406 Paul Tillich , zit. nach: Beuscher / Z ille ẞen, Religion und Profanität, S. 38. 407 Vgl. D ross , Art. Profane Religionspädagogik, Sp. 1565 f.; vgl. D omsgen, Performativer Religionsunterricht, S. 38 f. 408 Vgl. D ietrich Z ille ẞen / Uwe Gerber : Und der König stieg herab von seinem Thron. Das Konzept religion elementar, Frankfurt 1997; Leonhard, Leiblich Lernen, S. 241. 409 Beuscher / Z ille ẞen, Religion und Profanität, S. 54. 410 Vgl. Leonhard, Leiblich Lernen, S. 240. 411 Horst Siebert, zit. nach: Z ille ẞen, Freiheit religiöser Didaktik, S. 217. Vgl. ferner D omsgen, Performativer Religionsunterricht, S. 38. 404 Paul
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ten von Religion und dem unverfügbar „Anderen“412, auf das sie verweisen. Auch im Religionsunterricht können die subjektiven Systematisierungen von Lehrenden und Lernenden nicht die „Qualität menschlichen Entwerfens und Imaginierens“413 überschreiten, die Beuscher und Zilleßen mit Bezug zu Lacan für sämtliche Ordnungsversuche als konstitutiv beschreiben. An dieser Stelle grenzt sich Zilleßen deutlich von Bizers gestaltpädagogischintegrativen Begründungen ab. Zilleßen wirft Bizer vor, in seinen Bezügen auf Perls und die Gestalttheorie an einer fatalen „Idee von Ordnung, Ordentlichkeit, Sauberkeit und Klarheit“ festzuhalten, die „Fremdheit und Ungeordnetheit grundsätzlich als Hindernis und Störung zu beseitigen trachtet.“414 Während Bizer versuche, Irritierendes in fiktive Ganzheiten zu integrieren,415 gelte es stattdessen in Anlehnung an die Dekonstruktionsmethode Derridas, didaktisch gerade die Störelemente des Religionsunterrichts zu thematisieren und für eine religiöse Spurensuche fruchtbar zu machen.
3.3.1.2 Performative Spiele mit dem Fremden Im Zentrum von Zilleßens didaktischem Theoriegebäude steht die diskursiv-experimentelle Begegnung und Auseinandersetzung mit Erfahrungen von Fremdheit. Die Begriffe des „Spiels“416 und des „Experiments“417 sind die Leitkategorien seines performativen Konzeptes. Im Unterschied zu Klie, der ebenfalls das spielerische Moment performativer Religionsdidaktik als konstitutiv beschreibt, steht für Zilleßen statt des probeweisen Umgangs mit religiösen Formen die streitende, argumentierende Teilnahme am Diskurs um die Auslegung von Wirklichkeit im Fokus. Die Didaktik von Zilleßen ist weniger an authentischer Inszenierung überlieferter christlich-religiöser Handlungsvollzüge in412 Lacan nennt den „Anderen“ den „Ort der Wahrheit“ und damit den „einzige[n] Platz, wenn auch irreduzibel, den wir dem Ausdruck göttliches Sein geben könnten, Gott, um ihn bei seinem Namen zu nennen.“ Jacques Lacan, zit. nach: Beuscher / Zille ẞen, Religion und Profanität, S. 60. 413 Beuscher / Z ille ẞen, Religion und Profanität, S. 35. 414 Z ille ẞen, Gestaltpädagogik, Integrative Pädagogik, S. 430. Eine prägnante Zusammenfassung von Zilleßens kritischer Auseinandersetzung mit Bizers gestaltpädagogischem Ansatz bietet ferner Schulz , Phänomenologisch orientierte Religionspädagogik, S. 81 f. 415 Vgl. Z ille ẞen, Gestaltpädagogik, S. 439. 416 Dross bezeichnet „Spielen“ als „die das ganze Konzept imprägnierende Vokabel“ und zählt sogar deren Verwendungen in Beuschers und Zilleßens Buch „Religion und Profanität“ zusammen. Insgesamt findet er allein im kurzen Abschnitt „Schauspiel: Spielplan“ über fünfzig Belege und insgesamt – bei Berücksichtigung der Ableitungen und Komposita – mehrere hundert Verwendungen von „Spielen.“ Vgl. Dross, Art. Profane Religionspädagogik, Sp. 1566. 417 Z ille ẞen, Gegenreligion, Titelformulierung. Zilleßen bezeichnet sein Konzept schon im Titel als „experimentelle Didaktik“. M. E. ist Domsgen zuzustimmen, der in beiden Begriffen „die prägenden Vokabeln dieses Konzepts“ entdeckt. D omsgen, Performativer Religionsunterricht, S. 38.
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teressiert, als an einer perspektivischen Erschließung lebensrelevanter Handlungs- und Haltungsoptionen.418 Zwar gibt es auch in solchen Prozessen subjektiv zu arrangierende unterrichtliche Inszenierungen, etwa von liturgischen Elementen und biblischen Texten, die durchaus körperliches und sinnliches Erproben beinhalten können. Dies geschieht jedoch bei Zilleßen viel deutlicher in kritischer Distanz zu den überlieferten Gestaltwerdungen der christlichen Tradition. Folglich geht es Zilleßen didaktisch nicht so sehr um ein Kennenlernen der vielfältigen vorfindlichen Formen gelebter Religion, sondern vornehmlich um Prozesse produktiver Transformation. Unterrichtliche Bezugnahme auf Tradition habe sich stets neu an dem Kriterium zu orientieren, ob und inwieweit der Unterricht „Spielräume […] für Begegnung und Auseinandersetzung, […] für zeit- und ortsgemäße Weiterentwicklungen, für Wegkorrekturen, für Renovation, Umbau und Neubau“419 der Tradition eröffnet. Gelingen solche Bezüge, so können sie nach Zilleßen eine didaktische Spannung erzeugen, die in den subjektiv arrangierten Unterrichtssituationen als irritierende Größe zur Sprache kommt und damit für die Schülerinnen und Schüler bedeutsam werden kann. Konkret soll der Religionsunterricht im Modus eines spielerischen „Schwankens“420 Alltägliches aus dem Sinnhorizont der Lernenden mit dem Fremden, Anderen und Verunsichernden in ein neues Verhältnis setzen, um so vor allem „die vertrauten Erfahrungen, die feste Moral frag-würdig zu machen.“421 Der Zielpunkt einer solchen Didaktik liegt darin, die Lernenden zu unterstützen, eine eigene, differenzierte Position zu religiösen Fragen auszubilden. Sie sollen eine kritische und streitende Auseinandersetzung mit religiösen Deutungsangeboten führen, um einen eigenen Standpunkt zu entwickeln. In so geschärfter Urteilsfähigkeit sollen sie schließlich eine individuelle Lebenshaltung einnehmen, die um ihre eigene Fragilität weiß und diese selbst zu thematisieren sucht. Dabei wird Religion im Unterricht vornehmlich in ihren ästhetischen „Formulierungen“ präsentiert, um einen erspürenden Zugang zu einer „sinnenhaften Religion“422 zu arrangieren. Insofern läuft auch die poststrukturalistisch begründete Spielart auf eine performative „Didaktik des Theatralischen“423 zu. Besonders ist darin jedoch die Zielsetzung, im Verlauf der Inszenierungen von 418 Vgl.
Zille ẞen, Religionspädagogische Showgeschäfte, S. 127; Leonhard, Leiblich lernen, S. 242. 419 Z ille ẞen / Gerber , König, S. 35. 420 Ebd., S. 19 f. Der Begriff des „Schwankens“ ist für Zilleßens Didaktik insofern als zentral zu bezeichnen, als dass sich darin seine Ablehnung einer „Aufrichtung (Inthronisierung) der Bedeutung“ programmatisch zeigt: „Es ist unumgänglich, Schwanken als Metapher des Lebens zu verstehen, sonst unterliegt das Leben rigiden Normen, absoluten Sicherheiten (Bescheidwissen) und unbeweglichen Haltungen. […] Gott schwankt.“ 421 Beuscher / Z ille ẞen, Religion und Profanität, S. 129. 422 Ebd., S. 136. 423 Ebd.
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Lernprozessen insbesondere die Korrelationen von unterschiedlichen Wahrnehmungen, die „Spuren des Normabweichenden“424 aufzudecken. Sie sollen didaktisch als Fundament für kritische Diskussionen fungieren. Das theatralische Moment seiner Didaktik bezieht sich demnach auf die expressive Darstellung von didaktisch reflektierten Gestaltungen, die ganzheitlich wahrnehmbare Performances mit einschließen, um unterschiedliche, irritierende Blickweisen auf Religion anzuregen. In diesem Zusammenhang spielt auch die Leiblichkeit der Wahrnehmung, die besonders in Leonhards Ansatz und ihren phänomenologischen Begründungen dargestellt wurde, bei Zilleßen eine gewichtige Rolle. Indem die Lernenden auch körperlich Positionen und Lebenshaltungen spielerisch ausprobieren, richten sie ihre leibliche Aufmerksamkeit auf Religion in den Zwischenräumen des Lebens. Der Körper wird zu einem Hilfswerkzeug auf dem Weg zur Entwicklung eines kritischen Bewusstseins.425 In Bezug auf die Gestaltung der Dramaturgie von performativen Lernarrangements weist Zilleßen die Vorwürfe einer religionsunterrichtlichen „Show-Bühne“426 vehement zurück. Es gehe seiner Didaktik nicht „um theatralische Schaustücke einzelner ‚Spieler‘, um glamouröse Performances, sondern um eher karge Inszenierungen, um gestalterische Reduktionen, die das aufnehmen können, was Schüler an Erfahrungen, Wissen, Begehren hineinlegen.“427 Auch diese Abgrenzungsbemühung unterstreicht Zilleßens Anliegen, die ästhetische Präsentation von Religion nicht auf besonders anregende, identifikationsfördernde oder gar erbauliche Weise zu organisieren. Christliche Religion soll gerade nicht als unmittelbar plausibel vorgestellt werden. Stattdessen schlägt Zilleßen vor, Rollenangebote sollten in einem Höchstmaß an Selbstbescheidung bereits auf ihre eigene Veränderbarkeit und Flüchtigkeit verweisen. Stets müsse im Religionsunterricht erkennbar bleiben, dass jedes Verstehen einen bloß temporären Versuch der Annäherung an letztlich unergründliche Sinnhorizonte darstellen kann. Denn „jedes Verstehen Gottes“, so halten Zilleßen und Beuscher in Anlehnung an Lacan programmatisch fest, „ist Mißverstehen.“428 Nicht zuletzt wegen solcher Distanzierung von dramaturgisch aufwendigen Inszenierungen erscheint es als strittig, ob Zilleßens Didaktik überhaupt als „performativ“ bezeichnet werden sollte. Zilleßen selbst schlägt wie erwähnt 424
Leonhard, Leiblich lernen, S. 241. 425 Vgl. das Kapitel „Inkarnation. Inszenierte
Körpergeschichten“ in Zille ẞen, Gegenreligion, S. 132–144. Zilleßen bezeichnet darin die Inszenierungen des Körpers als „religionspädagogisches Übungsfeld“, das ein „Experimentieren nicht einfach mit dem Körper, sondern mit den Beziehungen, die sich im Körper verkörpern, mit den Wünschen und Ängsten, die sich in Körperlichkeit, in Sinnlichkeit artikulieren“, ermöglicht (S. 139). Vgl. hierzu auch Leonhard, Leiblich lernen, S. 245 f. 426 L ämmermann, Show-Bühne, S. 107. 427 Z ille ẞen, Religionspädagogische Showgeschäfte, S. 121. 428 Beuscher / Z ille ẞen, Religion und Profanität, S. 35.
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nicht nur die Attribute „experimentell“, „elementar“ und „profan“ zur Beschreibung seiner Didaktik vor, sondern setzt sich darüber hinaus auch kritisch mit der Leitkategorie des Performativen auseinander. Diesbezüglich knüpft er an die eingangs bereits dargestellte Unterscheidung der Begriffe Performativität und Performance an, die Hanna Roose im Hinblick auf performative Religionsdidaktik profiliert hat.429 Performance versteht er als die materiale, sinnenhafte Darstellung; deren Performativität wiederum bezeichnet die Wirkung dieser Gestaltungen auf die Wahrnehmenden.430 An diese Unterscheidung anknüpfend mahnt Zilleßens Ansatz zu kritischer Vorsicht – womöglich nicht zuletzt aufgrund seiner poststrukturalistisch-sprachkritischen Begründung –, wenn die Performativität einer Performance in die Sphäre didaktischer Plan- und Operationalisierbarkeit gerückt wird. Dasjenige, das tatsächlich im Unterricht zur Sprache kommt, lässt sich seiner Überzeugung zufolge nicht strategisch herbeiführen und entzieht sich der Verfügbarkeit aller am Lernprozess Beteiligten.431 Trotz dieser beharrlichen Betonung der Unverfügbarkeit von Lernerträgen erweist sich Zilleßens experimenteller Ansatz m. E. darin als performativ, dass er religiöse Lernprozesse konsequent von ihrer Wirksamkeit her betrachtet. Obwohl didaktisch bewusst in der Schwebe bleiben soll, was als mehrdeutig, fremd und herausfordernd identifiziert worden ist, zielt der Ansatz auf einen kritisch reflektierenden Umgang mit den Wahrnehmungen der Schülerinnen und Schüler. Im Verlauf des Wahrnehmungs- und Erkenntnisprozesses sollen sich gerade die Spannungen in der religiösen Spurensuche sowie die Achtung vor dem als fremd Wahrgenommenen performativ Geltung verschaffen. Religion kann und soll sich bei Zilleßen als performativ erweisen, und zwar im Vollzug von Performances, die sich vorrangig auf Phänomene der Lebenswelt beziehen und die „unruhige Beweglichkeit im ‚Dazwischen‘“432 von Religion und Profanität veranschaulichen. Über diese grundsätzliche Zuordnung anhand der zentralen Begrifflichkeiten hinaus spricht auch der Grundcharakter der methodischen Konkretionen bei Zilleßen dafür, diese Entwürfe innerhalb des Spektrums performativer Religionsdidaktik zu betrachten. Sie sind erprobend angelegt, beziehen die sinnliche Wahrnehmung ein und setzen nahezu durchgängig auf kreative Methoden.
3.3.1.3 Das Unterrichtskonzept „Religion elementar“ Der so skizzierte Ansatz von Dietrich Zilleßen wurde stärker als jede andere evangelische Spielart performativer Religionsdidaktik auch auf die tatsächliche 429 Vgl.
Roose , ‚Performance‘ und ‚Performativität‘, S. 110. Zu dieser Unterscheidung und ihrer Konsequenz hinsichtlich der Gestaltung zukünftigen Religionsunterrichts vgl. § 4, Kap. 2.1 „Probleme und Chancen des Performanzbegriffes“. 430 Vgl. Z ille ẞen, Religionspädagogische Showgeschäfte, S. 119. 431 Vgl. ebd., S. 120; Beuscher / Z ille ẞen, Experimenteller Ansatz, S. 82. 432 Leonhard, Leiblich Lernen, S. 246.
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religionsunterrichtliche Anwendung hin ausgearbeitet.433 Neben einer Vielzahl von Veröffentlichungen, die als Werk- oder Schulbücher methodische Konkretionen entfalten,434 hat Zilleßen vor allem in dem Praxisband „Und der König stieg herab von seinem Thron“435 seine Vorstellung einer Didaktik und Methodik des Religionsunterrichts veranschaulicht. Dieses „Buch für die Schule“436 veröffentlichte Zilleßen gemeinsam mit Uwe Gerber bereits 1997, also fünf Jahre bevor der Performanzbegriff in der Religionsdidaktik allgemeine Verbreitung fand. Der Praxisband beinhaltet sowohl eine didaktische Orientierung für die Gestaltung von Lernarrangements als auch eine Vielzahl von unterrichtsbezogenen Beispielen, an denen die Autoren ihr religionsunterrichtliches Konzept vorstellen. Der oben dargestellten didaktischen Theorie entsprechend entwirft Zilleßen in seinem Konzept das elementare religionsunterrichtliche Lernen als experimentellen Dialog zwischen Schülerinnen und Schülern einerseits und religiöser Tradition bzw. sinnenhaft erfahrener Religion andererseits. Das Adjektiv „elementar“ bezeichnet darin nicht exemplarische, als zentral und wichtig angesehene Lerninhalte, sondern markiert das didaktische Ansetzen an den elementaren Wahrnehmungen der Lebenswelt, die sich Zilleßen als körperlichsinnliche Prozesse vorstellt. Der Körperbezug ist insofern „elementar“, als über die Sinne, über den Geist und nicht zuletzt über die Haltungen alle Vorstellungen von der Welt, den anderen Menschen und dem eigenen Sein entscheidend bestimmt werden: „Was ich erlebe, […] ist von der Position des Körpers, von meinem Standpunkt, meinem Zustand, […] von meiner Haltung abhängig, auch von meiner Bewegung, […] Starrheit, meiner Vergänglichkeit, Hinfälligkeit, meinem Taumeln oder Schwanken, von meiner Sehweise, von dem, was ich hören und nicht hören kann, was ich rieche […], was mir schmeckt und nicht schmeckt, was ich berühren und tasten kann.“437 Diese Ausführungen verdeutlichen den bei Zilleßen zentralen Zusammenhang zwischen den Körper433 Im
Spektrum der Spielarten performativer Religionsdidaktik scheinen nur die methodischen Konkretionen des katholischen Religionspädagogen Hans Mendl diesbezüglich vergleichbar. Vgl. § 1, Kap. 3.4.1.3 „Praxisfelder religiösen Erlebens in der Schule“. 434 Neben dem Praxisbuch „Und der König stieg herab von seinem Thron“ könnten eine Fülle von weiteren schulpraktischen Texten angeführt werden, die Zilleßens besonderes Interesse an der Praxisentwicklung des Religionsunterrichts unterstreichen, obwohl sie als ältere Arbeiten noch andere religionsdidaktische Ansätze konkretisieren. Beispielhaft sei hier auf die Schulbuchreihe „Religion“ des Diesterweg Verlages sowie auf ein „Werkbuch“ verwiesen, das Zilleßen 1972 und in zweiter Auflage 1979 herausgegeben hat. In diesem Werkbuch hat Zilleßen selbst mehrere Artikel, z. B. zu „Unterrichtsmodellen“, „Lernziele[n] als Ausdruck gesellschaftlicher Bedürfnisse und Interessen“ sowie zur „Orientierung an Jesus von Nazareth als Lernprozeß“ verfasst. Vgl. Dietrich Zille ẞen (Hg.): Religionspädagogisches Werkbuch, Frankfurt a. M. 21979. 435 Z ille ẞen / Gerber , König, Titelformulierung. 436 Ebd., S. 7. 437 Ebd., S. 10.
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bewegungen bzw. Körperhaltungen und der alltäglichen, in sinnenhaften Konkretionen erfahrbaren Lebenswelt. Weil die Lebenswelt keine objektiv wahre Größe, sondern „Wahrnehmungswelt“ ist, muss der Religionsunterricht methodisch den ganzen Körper einbeziehen. Nur so können die Schülerinnen und Schüler „grundlegend fragen lernen“438, d. h. lernen, sich selbst und anderen elementare Fragen zu stellen. Für die Dramaturgie des Unterrichtsablaufes ergibt sich aus Zilleßens und Gerbers Unterrichtsvorschlägen ein Dreischritt. Diese Form der didaktisch-methodischen Strukturierung lässt sich auf unterschiedlichste Themen und Lernarrangements anwenden. Sie wird an der Lerneinheit „stehen, sitzen, liegen“439, die Zilleßen und Gerber zu Beginn ihres Praxiskapitels vorstellen, beispielhaft veranschaulicht. Im Kern zielt die gesamte Unterrichtssequenz auf die Anbahnung sinnenhafter Erfahrungen mit denjenigen elementaren Positionen, Haltungen und Bewegungen, die sich in den Verben „sitzen“, „stehen“ und „liegen“ verdichten. In Auseinandersetzung mit christlichen Überlieferungen und Symboltraditionen soll die Einheit als Erfahrungsunterricht mit Zilleßens und Gerbers Worten „in stehen sitzen liegen Sinn versinnlichen.“440 Die Ausgangspunkte dieses Dreischritts bilden stets das Erkennen, Ausdrücken und Wahrnehmen von alltäglichen Bedeutungsgeschichten. Im Beispiel „stehen sitzen liegen“ sollen die Jugendlichen ihre eigene Stellung in ihrer Lebenswelt, ihre Beziehungsverhältnisse und ihre gewünschten Positionen erspüren. Hierzu präsentieren die Autoren Materialien,441 wie etwa alltägliche Fotos von Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen, die zu einer Selbstpositionierung innerhalb der Situationen einladen. Arbeitsaufträge wie die Fragen „Wo ist dein Platz in diesem Bild?“ oder „Kennst du Situationen, in denen jemand so steht?“ unterstreichen die Notwendigkeit, in diesem Lernschritt das eigene Selbstbild mit den Materialien ins Gespräch zu bringen. Es geht den Autoren didaktisch buchstäblich darum, eine Position zu definieren und auch zu veröffentlichen, die sie als je konkretisierende Ausdrucksformen elementarer menschlicher Haltungen verstehen und wertschätzen. Insofern gilt es in diesem ersten Schritt, methodische Zugänge zu wählen, die einerseits hohe Identifikationspotentiale aufweisen und andererseits Formen des eigenen Selbstausdrucks unterstützen.442 Im Vergleich zu Dresslers Didaktik des Perspektivenwechsels, die 438
Ebd., S. 9 f. Ebd., S. 82–107. 440 Ebd., S. 63 (Hervorhebung FD). Eine prägnante Erläuterung des didaktischen Dreischritts, den Zilleßen in Anlehnung an den „Dreischritt sozialer Erfahrungsprozesse (Definition des Eigenen/Abgrenzung des Fremden; Krise/Irritation durch Fremdes/Marginales; Neuorganisation als Integration oder Separation)“ entwickelt, bietet Leonhard, Leiblich Lernen, S. 241. 441 Das Material und denkbare Arbeitsaufträge zu dieser Lerneinheit finden sich in Z ille ẞen / G erber , König, S. 82–107. 442 Dross stellt insgesamt fest, dass die Unterrichtsvorschläge in „religion elementar“ me439
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Wert darauf legt, perspektivische Brechungen transparent zu gestalten und Distanzierungsangebote einschließlich Rollenschutzes bereit zu stellen, wird das personale Ich der Schülerinnen und Schüler an dieser Stelle auffallend direkt angesprochen. Sobald die Jugendlichen ihren eigenen „Stand“ vorläufig definiert haben, folgt im zweiten Lernschritt eine Verunsicherung der subjektiven Konzepte durch Konfrontation mit anderen Möglichkeiten des Stehens sowie der Haltung des Liegens. Indem gefragt wird, wie man selbst zu anderen stehe bzw. ob nicht andere Positionen vorzuziehen seien, entstehen Konkurrenzsituationen zwischen den unterschiedlichen Haltungsoptionen. Diese zielen darauf, die eigenen Konzepte zu „verdrehen, verfremden, verstellen [und zu] verändern“443 sowie die eigenen Lebensentwürfe kritisch zu reflektieren. Im Neuen können Spuren des Abweichenden, Anderen gesucht werden, die sich im Sinne einer Aufweichung der eigenen Selbst- und Weltvorstellung produktiv auf den eigenen Positionsentwurf auswirken sollen.444 Methodisch erweisen sich demnach in diesem Lernschritt vor allem interaktive Zugänge als funktional, die Diskussionen und gegenseitiges Zuhören einschließen oder gar Stellungen und Beziehungen in Abhängigkeit zu anderen explizit thematisieren. Der dritte Lernschritt richtet die Aufmerksamkeit auf das konstruktive Erweitern der eigenen Alltags- und Bedeutungskonzepte. Ausgehend von der Formulierung des Eigenen und der Konfrontation mit dem Anderen kann nun eine Neuorientierung erfolgen. An dieser Stelle sind vor allem verändernde, korrigierende und modifizierende Bewegungen angedacht, die das elementare Hinterfragen von Sinnkonzeptionen gewissermaßen am eigenen Leib erfahrbar werden lassen. Ganz im Sinne der poststrukturalistischen Begründung macht dieser methodische Ablauf das Schwanken zwischen Dekonstruktion und Konstruktion transparent, das Zilleßen für die Prozesse der Positionsfindung und der Gestaltung von Lebensentwürfen insgesamt als konstitutiv erachtet. Im Beispiel der Lerneinheit „stehen sitzen liegen“ überschreibt Zilleßen das entsprechende Teilkapitel mit der Aufforderung „Steh auf, hebe dein Bett auf“ und lenkt damit den Blick auf die zukunftsorientierte Möglichkeit zur „Überschreitung“445 der thodisch „durchsetzt [seien] mit Angeboten für Rollenspiele u. -entwürfe, Körpersprache, Vorstellungen, Phantasien u. Gestaltungen“. Dross, Art. Profane Religionspädagogik, Sp. 1568. 443 Z ille ẞen / Gerber , König, S. 63. Beuscher und Zilleßen beschreiben diesbezüglich gar die „Offenheit und Fähigkeit zur Revision“ als Kennzeichen des christlichen Glaubens. Vgl. Beuscher / Zille ẞen, Experimenteller Ansatz, S. 81. 444 Die Autoren überschreiben die beiden Kapitel, die sich m. E. beide auf den zweiten Schritt des Dreischritts beziehen, mit den Überschriften „Du sitzt auf meinem Platz“, die v. a. die Konkurrenzsituation zwischen Schülerinnen und Schülern betont, und „In der Kiste liegen“. Letztere thematisiert sowohl das Bedürfnis, nicht immer stehen bleiben zu müssen, als auch die Ängste und Ohnmachtsgefühle, die mit dem Liegen verbunden sein können. Vgl. Zille ẞen / G erber , König, S. 64 f.; 90–98. 445 Z ille ẞen, Raumbeschreitungen, S. 77.
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eigenen, bekannten Räume. Methodisch schlagen Zilleßen und Gerber in diesem Beispiel insbesondere Rollenspiele vor, die derartige Überschreitungsprozesse experimentierend unterstützen können. Sogar die Haltung des Schwankens selbst, die ihrerseits als elementares Sinnbild menschlicher Lebensbilder auf ein Lernziel dieser Einheit verweist, soll im Spiel dargestellt und performativ nachempfunden werden. Was allerdings jenseits der überschrittenen Grenzen für den Einzelnen wartet, soll religionsdidaktisch bewusst „im Fluss“ bleiben. Kein einzelner Entwurf soll ergebnissichernd fixiert werden, sofern die Fixierung eine höhere Wertschätzung eines einzelnen subjektiven Zugangs anzeigen würde. Im Grundsatz der Achtung des Anderen besteht bis zum Schluss ein zentrales Kriterium der methodischen Gestaltung von Lernwegen im Sinne dieser Spielart performativer Religionsdidaktik.
3.3.2 Harald Schroeter-Wittke und das unterrichtliche Entstehen von Religion Der Paderborner Religionspädagoge Harald Schroeter-Wittke orientiert sich in seinen Thesen zum Religionsunterricht in vielerlei Hinsicht an den oben dargestellten Entwürfen einer poststrukturalistisch begründeten, experimentellperformativen Didaktik. Auch sein religionsdidaktischer Ansatz richtet das zentrale Augenmerk auf die Wahrnehmung und Reflexion von Religion in profanen Phänomenen und Prozessen. An zwei didaktisch relevanten Stellen, die jeweils zentrale Kategorien dieser Untersuchung berühren, unterscheidet sich Schroeter-Wittke jedoch von Zilleßen. Dabei setzt er auch in Abgrenzung zu den übrigen bisher vorgestellten Ansätzen eigene Schwerpunkte. Der erste wesentliche Unterschied von Zilleßens Ansatz betrifft SchroeterWittkes Herleitung des Performanzbegriffes aus theater- und kulturwissenschaftlichen Zusammenhängen. Diese erweist sich besonders mit Blick auf die Begründungs- und Begriffstradition als aufschlussreich. Des Weiteren liefert Schroeter-Wittke eine pointierte Darstellung didaktischer Konsequenzen speziell in Bezug auf den Lerngegenstand Religion, die sich aus der grundsätzlichen Unbestimmtheit von Lernprozessen in seiner Spielart eines performativen Religionsunterrichts ergeben. Auf diese beiden Punkte wird sich die folgende Analyse vorwiegend konzentrieren. Dieses Vorgehen empfiehlt sich nicht zuletzt, weil Schroeter-Wittke in seinen Veröffentlichungen bisher weder eine klar konturierte Analyse der Situation des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen,446 noch konkrete Vorschläge zu unterrichtspraktischen Realisierungsmöglichkeiten seines Ansatzes für den Lernort Schule vorgelegt hat.447 446
Nach Domsgen fehlt in Schroeter-Wittkes Werk „jegliche aktuelle Situationsanalyse“, weil der Autor seine Entwürfe „primär vom Gegenstand Religion her sowie von den menschlichen Grundbefindlichkeiten aus“ begründet. D omsgen, Performativer Religionsunterricht, S. 36. 447 Dieses Fehlen von unterrichtspraktischen Innovationen kritisiert insbesondere Englert scharf. Schroeter-Wittke verweise lediglich schon ausgearbeitete Konkretionen anderer Auto-
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3.3.2.1 Die Brisanz des performative turn Schroeter-Wittke entfaltet sein Plädoyer für eine Aufwertung der Performance als religionsdidaktischer Leitkategorie vor dem erweiterten Horizont eines generell zu beobachtenden Paradigmenwechsels in den Geistes- und Kulturwissenschaften. Der eingangs bereits vorgestellte Begriff des performative turn448 bezeichnet in Schroeter-Wittkes Deutung eine Erfolgsgeschichte der (geistes‑) wissenschaftlichen Erkenntnis, dass nämlich Inhalte und Bedeutungen erst in konkreten praktischen Vollzügen generiert werden.449 In den Kulturwissenschaften und zunehmend auch in der Pädagogik setze sich fortdauernd die auch für den Religionsunterricht zentrale Einsicht durch, „dass es nicht in erster Linie Texte oder Monumente sind, die uns Auskunft geben über das Leben von Kulturen, sondern Aufführungen, Rituale, bewegliche Darstellungen, also etwas, was mit Prozessen, mit Dramaturgie und Inszenierung zu tun hat.“450 Klarer als etwa im Diskurs der Zeichendidaktik betont Schroeter-Wittke an dieser Stelle die Ablösung der „bisher üblichen Symbolkunde“ durch „Prozessanalysen“451, deren Gegenstand die Betrachtung desjenigen darstellt, was sich im Unterricht tatsächlich zeigt. Als zentrale Kategorien innerhalb der zu betrachtenden Prozesse nennt Schroeter-Wittke in Anknüpfung an Fischer-Lichte die theatralisch grundlegenden Aspekte der Performance, Inszenierung, Korporalität und Wahrnehmung.452 Seine Konzentration auf die Ausdrucksformen und deren Reflexion begründet Schroeter-Wittke im Rückgriff auf das Performanzkonzept von Judith Butler. Butler weist in ihrer kritischen Analyse des Entstehens von Geschlechterrollen darauf hin, dass ein Subjekt nicht losgelöst von einer entsprechenden (Selbst‑)Inszenierung existiert, sondern sich in seinen nach außen sichtbaren, nicht-intentionalen Handlungen, den performativen Akten, allererst selbst konstituiert: „Diese im allgemeinen konstruierten Akte, Gesten und Inszenierungen erweisen sich insofern als performativ, als das Wesen oder die Identität, die sie angeblich zum Ausdruck bringen, vielmehr durch leibliche Zeichen und anren und lege jenseits eines hochschuldidaktischen Praxisbeispiels keinerlei schultaugliche Entwürfe vor, die nicht „auch ohne ‚performative turn‘ jederzeit plausibel“ erscheinen würden. Englert, Zwischenbilanz, S. 12. 448 Vgl. § 1, Kap. 2.1.3 „Der performative turn in den Kulturwissenschaften.“ 449 Vgl. S chroeter-Wittke , Simsalabimbambasaladusaladim, S. 377 f. 450 H arald S chroeter-Wittke: Performance als religionsdidaktische Kategorie, in: Schauplatz Religion. Grundzüge einer Performativen Religionspädagogik, hg. v. Thomas K lie und Silke Leonhard, Leipzig 2003, S. 47–66, 48. 451 Ebd., S. 49. 452 Vgl. Erika Fischer-Lichte: Theatralität und Inszenierung, in: Inszenierung von Authentizität. Theatralität 1, hg. v. ders. und Isabel P flug, Tübingen / Basel 2000, S. 11–27, 12. Dieser Aufsatz dient als Einleitung in eine vierbändige Reihe zum Thema „Theatralität“, die sämtliche der oben angesprochenen Reflexionshorizonte aufarbeitet und einzeln vertieft. Vgl. ferner Schroeter-Wittke , Performance, S. 48. Zu Fischer-Lichtes Einfluss auf den performative turn vgl. ferner § 1, Kap. 2.1.2 „Das Performative in der Theaterwissenschaft“.
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dere diskursive Mittel hergestellte und aufrechterhaltene Fabrikationen/Erfindungen sind.“453 Die am Religionsunterricht teilnehmenden Subjekte werden demnach – in Schroeter-Wittkes pädagogischer Lesart – überhaupt nur insofern real, als sie sich aufführen.454 Diese Position, die davon ausgeht, dass etwas nur existiert, wenn es sich auch zeigt, kann im Spektrum der hier vorgestellten Ansätze als radikal-performativer Ansatz bezeichnet werden.455 Englert fasst die Sprengkraft dieser These, die er scharf kritisiert, treffend zusammen: „Substantiell, im Sinne von ‚wesentlich‘, wird dadurch das, was herkömmlicherweise eben als eher akzidentiell betrachtet wurde: das situative Sich-Zeigen, die spezifische soziale Präsenz, die Erscheinung.“456 Schroeter-Wittke präzisiert seine Vorstellung einer Realität stiftenden Wirksamkeit performativer Vollzüge anhand von Derridas Begriff der Iteration. Dieser bezeichnet das Phänomen der „sich ändernde[n] Wiederholung“457. Weil jede Wiederholung, z. B. jede Rede von Gott oder jede Lektüre eines biblischen Textes, immer wieder zu neuen Ergebnissen, zum „Nicht-Identischen“458 führt, reicht es nach Schroeter-Wittkes Überzeugung in einem sich performativ nennenden Unterricht nicht aus, lediglich Vorgegebenes aus der christlichen Tradition möglichst angemessen in Szene zu setzen. Ein solcher Ansatz, den Schroeter-Wittke etwa in Schoberths Konzept des „Glauben-Lernens“ identifiziert,459 stagniere auf dem Niveau der „Expressivität“ und verfehle die „Per453 Butler , Unbehagen der Geschlechter, S. 200. Zu Butlers Einfluss auf den performative turn vgl. ferner § 1, Kap. 2.1.2 „Der performative turn in den Kulturwissenschaften“. 454 Vgl. S chroeter-Wittke , Performance, S. 55; Englert, Zwischenbilanz, S. 11. 455 Domsgen spricht etwas vorsichtiger von einem „performativen Religionsunterricht im engeren Sinne“. D omsgen, Performativer Religionsunterricht, S. 33. 456 Englert, Zwischenbilanz, S. 11. Englert kritisiert an dieser Stelle vor allem die grundsätzliche Abkehr von „theologisch grundlegenden Konzepten wie etwa denen der Personalität oder der Identität“, die dem Gedanken innewohne, dass „der Mensch eben genau die Realität ist, als die er sich aufführt.“ Die Folgefrage, „wie plausibel […] eine derartige Sichtweise denen erscheinen [mag], deren Möglichkeiten sich ‚aufzuführen‘ und in Szene zu setzen durch massive materielle, soziale, physische oder psychische Restriktionen eingeschränkt sind“, wird im Rahmen der kritischen Auseinandersetzung mit den hier vorgetragenen Thesen zu reflektieren sein. Vgl. § 4, v. a. Kap. 2.3 „Performative Spielarten in der Spannung zwischen Missionierungsverdacht und Profanisierungsgefahr“ sowie Kap 2.8 „Anfragen zu Praktikabilität und Lehrerrolle“. 457 S chroeter-Wittke , Performance, S. 54. Vgl. grundlegend zum performativen Charakter der Philosophie Derridas Jörg Zirfas: Dem Anderen gerecht werden. Das Performative und die Dekonstruktion bei Jacques Derrida, in: Grundlagen des Performativen. Eine Einführung in die Zusammenhänge von Sprache, Macht und Handeln, hg. v. C hristoph Wulf, M ichael G öhlich und dems., Weinheim / München 2001, S. 75–100. 458 S chroeter-Wittke , Performance, S. 54. 459 Vgl. ebd., S. 61. Nach Schroeter-Wittke „stößt [Schoberths Ansatz] nicht bis zur Performance vor“, weil darin „die Unbestimmtheit der Sehnsüchte von Schülerinnen und Schüler das religionspädagogische Hauptproblem“ bilden und die prinzipielle Offenheit religiösen Lernens nicht ausreichend in den Blick rückt (Performance im Original nicht hervorgehoben). Vgl. I ngrid Schoberth: Glauben-lernen heißt eine Sprache lernen. Exemplarisch durchgeführt an einer Performance zu Psalm 120, in: rhs 45 (2002), S. 20–31.
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formance“460, deren konstitutive Unbestimmtheit in jeder Inszenierung neue Realität erlange. Wenn es im Anschluss an die zentralen Paradigmenwechsel im Zuge des performative turn als Prämisse gelten soll, dass „kein Mitglied einer Gesellschaft die ‚Ideen‘ einer kulturellen Ordnung als Konzepte im Kopf auf Abruf deponiert hat, daß vielmehr Wissen […] durch Handlungen performativer Natur […] angeeignet und dargestellt wird, und daß Bedeutungen erst in der Praxis selbst und in ihrer nachträglichen reflexiven Aneignung entstehen“461, dann impliziert dies auch für die Bildungsprozesse im Religionsunterricht eine erhebliche Akzentverschiebung. Ein Konzept religiöser Bildung kann demnach erst dann das Attribut „performativ“ in Anspruch nehmen, wenn darin der Einsicht Rechnung getragen wird, dass „die Performance die Religion der daran beteiligten Subjekte allererst entstehen und zur Darstellung kommen lässt.“462 Dieses Verständnis des Performativen geht einen bedeutenden Schritt weiter als sämtliche der bisher vorgestellten Ansätze.463 Es impliziert nicht weniger als eine grundsätzliche Neuausrichtung des Religionsunterrichts auf die darin sichtbaren Inszenierungen und Handlungsvollzügen.
3.3.2.2 Religion aufs Spiel setzen Das didaktische Zentrum in Schroeter-Wittkes performativem Konzept verdichtet sich in seinem Bild einer „Zumutung der Unbestimmtheit“464. Diese gelte es im Religionsunterricht dauerhaft zu inszenieren. In Anlehnung an Zilleßen und Beuscher betont auch Schroeter-Wittke den „grundsätzlich experimentellen“465 Charakters religiöser Lernprozesse. Dabei avanciert die Unklarheit sowohl über den unterrichtlichen Verlauf und dessen Ausgang als auch über die Lernerträge zum konstitutiven Merkmal, ja zum zentralen Anliegen gelungener religionsdidaktischer Inszenierungen. Religionsunterricht, so die Kernthese, ist grundsätzlich „weder plan- noch kontrollierbar.“466 Einerseits folgt Schroeter-Wittke an dieser Stelle der „Kölner Religionspädagogik“. Auch bei ihm bilden „Spiel“ 460 Schroeter-Wittke verwendet hier die Worte Butlers. S chroeter-Wittke , Performance, S. 61. 461 K laus -P eter Köpping / Ursula R ao: Macht und Ohnmacht des Mediums. Transformationen individueller und kollektiver Wahrnehmung durch religiöse Performanz, in: Wahrnehmung und Medialität. Theatralität 3, hg. v. Erika Fischer-Lichte u. a., Tübingen / Basel 2001, S. 197–211, 197. Diese Einsicht betrachtet Schroeter-Wittke als die wissenschaftliche Grundlage der Wende hin zur performativen Ethnologie. Vgl. Schroeter-Wittke , Performance, S. 51. 462 S chroeter-Wittke , Performance, S. 62 (Hervorhebung FD). 463 Vgl. D omsgen, Performativer Religionsunterricht, S. 33. 464 S chroeter-Wittke , Performance, S. 64. 465 Z ille ẞen / Beuscher , Religion und Profanität, S. 123; Beuscher / Z ille ẞen, Experimenteller Ansatz, S. 79. 466 S chroeter-Wittke , Performance, S. 51. Vgl. D omsgen, Performativer Religionsunterricht, S. 33.
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und „Experiment“ die zentralen Leitkategorien. Andererseits geht SchroeterWittke auch hier einen Schritt weiter. Das Lernmaterial wird den Schülerinnen und Schülern für ihre Gestaltungs- und Verkörperungsprozesse anvertraut und preisgegeben, um so die Möglichkeit zu eröffnen, dass sie daraus selbst in autonomer Tätigkeit eine neue Form von Religion entstehen lassen.467 In solchem Unterricht sieht er realisiert, dass der einzelne Schüler als „modern verstandenes Subjekt [und somit] als Akteur und Regisseur seiner Handlungen“468 didaktisch berzücksichtigt wird. Im Kern betont Schroeter-Wittke hier das Moment der Selbstauslegung des Einzelnen im Handeln. In der „Radikalität des SichZeigens“469 wird die einzige Grundlage hergestellt, auf der sich verantwortet (auch über Religion) sprechen lässt. Dieser Ansatz führt zunächst zu einem veränderten Verständnis der Lehrerrolle, was sich am Kontrast zu Dresslers performativem Ansatz zeigen lässt. Dressler beschreibt die Rolle der Religionspädagogen mithilfe der Metapher eines „Fremdenführers“, der sich in einem bestimmten Bereich „naturgemäß besser auskennt als die Touristengruppen.“470 Fremdenführer können von ihren Kenntnissen und Erfahrungen erzählen, jedoch „zwingen [sie] niemanden zu Daueraufenthalten in dem Gelände, durch das sie führen.“471 Eine solche Lehrperson will den Schülerinnen und Schülern nicht ihre Sicht der Dinge aufzwängen, ist aber auf etwaige Nachfragen hin selbstverständlich in der Lage, ihre Ausführungen aufgrund eines reflektierten Erfahrungsschatzes detailliert und personenbezogen zu vertiefen. Bei Schroeter-Wittke hingegen soll die Rolle des Lehrers bewusst „unklar“472 bleiben. Die Aufgaben der Lehrerinnen und Lehrer werden auf das Bereitstellen von Material sowie die „Rhythmisierung innerhalb der Unterrichtsdramaturgie“473 festgelegt und reduziert. Dies hält er für didaktisch notwendig, weil Lehrkräfte zum einen nicht mehr über den unverfügbaren Lerngegenstand Religion wissen können als die Schülerinnen und Schüler, und weil er zum anderen den religiösen Lernerfolg außerhalb der Kontroll- und Wahrnehmungsmöglichkeiten intentionaler Planungsprozesse ansiedelt. Die Freiheit der evangelischen Religionsdidaktik, so fasst S chroeter-Wittke diesen Gedanken zusammen, „liegt in dem Glauben, den didaktischen Prozess niemals beherrschen zu können und ihn als solchen zu verantworten.“474 Im Unterschied zu Zilleßen fällt in Bezug auf diese „Zumutung der Unbestimmtheit“ 467
Schroeter-Wittke , Performance, S. 64. Schroeter-Wittke , Simsalabimbambasaladusaladim, S. 376. Ebd. 470 Bernhard D ressler : Religion unterrichten – als Beruf. Persönliche Religiosität und religionspädagogische Professionalität, in: Lernort Gemeinde 21/4 (2003), S. 39–42, 42. 471 Ebd. 472 S chroeter-Wittke , Performance, S. 64. 473 Ebd. 474 H arald S chroeter-Wittke: Nihil est sine sono (1 Kor 14,10). Vorspiel einer musikalischen Religionspädagogik, in: ZPT 57 (2005), S. 347–357, 349. 468 469
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und die hohe Wertschätzung der Selbstauslegung im Handeln bei SchroeterWittke zudem auf, dass in seinem Konzept Verweise auf das Andere, das auf die Möglichkeit einer Wahrheit hinter den sichtbaren Inszenierungen hindeutet, didaktisch kaum eine Rolle spielen. Explizite Bezugnahmen auf „ein von seinen je aktuellen Ausdrucksformen unterscheidbares Substrat“, auf eine „Realität, die in dem Sinne substantiell wäre, dass sie die verschiedenen Modi ihres Sich-Zeigens überdauerte“475, bezeichnet Schroeter-Wittke als „materiales Religionsverständnis“476 und bestreitet deren fachdidaktische Relevanz für den Religionsunterricht. Pädagogisch markiert dieses Verständnis religiöser Bildungsprozesse eine erhebliche Aufwertung der Autonomie von Schülerinnen und Schülern. Ganz im Sinne der Erziehungswissenschaftler Wulf und Zirfas wird den Lernenden im Religionsunterricht zugetraut, dass sie „an ihren Selbst- und Weltverhältnissen […] selbst mitwirken – d. h. in der Lage sind, sich selbst eine Form geben zu können.“477 Sich selbst eine Form zu geben bedeutet im Religionsunterricht Schroeter-Wittkes auch, durch Performances Religion allererst entstehen zu lassen. Die wesentlichen Aufgaben der Didaktik dieses Unterrichts sieht er dann in der Organisation und prozessanalytischen Reflexion der sich im Unterricht immer neu ereignenden Iteration. Obwohl in der Planung die tatsächliche Dramaturgie von Lernsequenzen nicht vorhergesagt werden kann, will nach Schroeter-Wittke dennoch methodisch durchdacht sein, was solcher Unterricht eigentlich genau „aufs Spiel“ setzt und was darin konkret zur religionsstiftenden Aufführung kommt. Dennoch hat Schroeter-Wittke zu konkreten Realisierungsmöglichkeiten eines solchen Konzeptes bisher keine eigenen Vorschläge, wie etwa exemplifizierende Unterrichtsentwürfe oder Anleitungen für die religionsunterrichtliche Praxis vorgelegt.478 Stattdessen verweisen seine Ausführungen auf Zilleßens und Gerbers Entwurf „religion elementar“, in dessen Praxisbeispielen er das religionsunterrichtlich zentrale Anbahnen von performativ-mimetischen Wiederholungsprozessen zur Inszenierung neuer Formen von Religion verwirklicht sieht.479 Weil Wissen und Können sich „körperlich, ludisch, rituell und zugleich historisch, kulturell“ vermitteln, weil sie „imagi475
Englert, Zwischenbilanz, S. 11. Schroeter-Wittke , Simsalabimbambasaladusaladim, S. 376 f. 477 Wulf / Z irfas , Performative Pädagogik, S. 29. Vgl. S chroeter-Wittke , Simsalabimbambasaladusaladim, S. 373. 478 Das hochschuldidaktische Beispiel zu „Kirchengeschichte(n) am Wohnort“, das Schroeter-Wittke in „Schauplatz Religion“ als Beispiel für eine „Vorführung aus [seiner] eigenen religionspädagogischen Praxis“ anführt, auf das auch Englert verweist, richtet sich an Studierende eines kirchengeschichtlichen Proseminars und kann m. E. nicht ohne weitere Präzisierung auf den Religionsunterricht übertragen werden. Vgl. Schroeter-Wittke , Performance, S. 65 f. Zur Kritik an diesem Fehlen religionsunterrichtlicher Präzisierung vgl. Eng lert, Zwischenbilanz, S. 12. 479 Vgl. S chroeter-Wittke , Performance, S. 49; 62 f. 476
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näre Komponenten“ sowie „Bedeutungsüberschüsse“ enthalten und sich „nicht auf Intentionalität reduzieren“480 lassen, müssen Lehrerinnen und Lehrer ihre religionspädagogische Expertise an diesen Prämissen (neu) ausrichten. Das Gelingen von Lernarrangements hängt in dieser performativ-didaktischen Spielart davon ab, inwieweit die Akteure des Religionsunterrichts bereit sind, Religion und sich selbst dieser „Zumutung“ auszusetzen.
3.4 Performative Didaktik in katholischer Auslegung Die Diskussion um Performanzen religiöser Bildung hat sowohl die katholische als auch die evangelische Religionsdidaktik in der jüngeren Vergangenheit intensiv beschäftigt.481 Neben den oben dargestellten, semiotisch, gestaltpädagogisch sowie poststrukturalistisch begründeten Spielarten, die alle im Kontext evangelischer Religionspädagogik entstanden sind, haben sich auch unterschiedliche Entwürfe aus der katholischen Religionsdidaktik als einflussreich erwiesen. Zuerst ist in diesem Zusammenhang auf den Passauer Religionspädagogen Hans Mendl zu verweisen, der seine Spielart performativer Didaktik aus den Einsichten des Konstruktivismus ableitet. Mendls Entwürfe wurden in der katholischen Diskussion der letzten Jahre breit rezipiert. Hinzu kommt Mirjam Schambecks Ansatz des „mystagogischen Lernens“482, dessen didaktische Zielsetzungen und methodische Realisierungsformen ebenfalls die Einordnung als Spielart einer performativen Religionsdidaktik nahelegen. Beide Stimmen eröffnen auf je eigene Weise eine weitere Perspektive auf performativ gestalteten Religionsunterricht483 – und beide unterscheiden sich zugleich erheblich von den bereits vorgestellten evangelischen Spielarten. Bezüglich der hier ausgeführten Darstellungslogik bildet erstmals nicht eine außertheologische Begründungstradition bzw. eine daraus hervorgehende fachdidaktische Ähnlichkeit, sondern die konfessionelle Verwurzelung zweier Ansätze den Anlass zur Subsumierung in ein Teilkapitel. Die Entwürfe Mendls und Schambecks sind entsprechend nicht als eine weitere performativ-didaktische Spielart aufzufassen, sondern als zwei unterschiedliche Ansätze innerhalb der katholischen Religionspädagogik. Die Kennzeichnung der beiden Ansätze als „katholische Auslegungen“ performativer Didaktik wurde in dieser Studie vor 480 Alle Zitate dieses Satzes sind entnommen aus: Wulf / G öhlich / Z irfas , Sprache, Macht und Handeln, S. 13. Vgl. Schroeter-Wittke , Performance, S. 48. 481 Vgl. Florian Dinger : Religion in Form bringen! – Aber wie? Performative Religionsdidaktik in katholischer und evangelischer Auslegung, in: Theo-Web 13/2 (2014), S. 170–177. 482 M irjam S chambeck : Mystagogisches Lernen(1). Zu einer Perspektive religiöser Bildung, STPS 62, Würzburg 2006. 483 Vgl. Patrik C. Höring: Rückkehr zur Materialkerygmatik? Mystagogische und performative Konzepte als Anfrage an den schulischen Religionsunterricht, in: Religiöse Bildung. Optionen, Diskurse, Ziele, hg. v. Stefan A ltmeyer u. a., PTHe 132, Stuttgart 2013, S. 195– 205, 205.
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allem deshalb vorgenommen, weil eine grundlegend verschiedene Voraussetzung deutlich zu markieren ist, unter welcher der katholische Performanzdiskurs stattfand. Diese Voraussetzung hat ihrerseits die Wahrnehmung der Ansätze von Mendl und Schambeck aus evangelisch-religionspädagogischer Perspektive entscheidend mitbestimmt.484 Gemeint ist die eindringliche Betonung der Relevanz des unterrichtlichen Erschließens gelebter Religion von kirchlicher Seite. In diesem Zusammenhang ist auf eine Verlautbarung der Deutschen Bischofskonferenz hinzuweisen, die jene Besonderheit der Performanzdiskussion in der katholischen Fachdidaktik auslöste. Im Jahr 2005, also relativ zu Beginn der religionspädagogischen „Begriffskarriere“485 des Performativen, nahmen die deutschen Bischöfe Stellung zu „Aufgaben“ und „Herausforderungen“ des katholischen Religionsunterrichts unter den veränderten Bedingungen des beginnenden 21. Jahrhunderts. Dort heißt es unter anderem: „Einem Religionsunterricht in der Teilnehmerperspektive liegt die Einsicht zugrunde, dass die Vermittlung des gelehrten Glaubens nicht ohne Bezug zum gelebten Glauben gelingen kann. […] Ein Religionsunterricht, der Schülerinnen und Schülern einen verstehenden Zugang zum Glauben eröffnen will, kann sich nicht mit der Vermittlung von Glaubenswissen begnügen. Er wird vielmehr die Schülerinnen und Schüler auch mit Formen gelebten Glaubens bekannt machen und ihnen eigene Erfahrungen mit Glaube und Kirche ermöglichen. Ohne ein zumindest ansatzweises Vertrautmachen mit Vollzugsformen des Glaubens wird die unterrichtliche Einführung in die Wissensformen des Glaubens ohne nachhaltige Wirkung bleiben. […] Da ist natürlich zunächst die Sprache der Bibel zu nennen, die auch die erste Sprache der Kirche ist, die großen und kleinen Erzählungen, die Psalmen und Gebote. Sodann die Sprache der Gebete und der liturgischen Feiern, Gebetsgesten wie das Kreuzzeichen, die geöffneten oder gefalteten Hände, die Kniebeuge und anderes mehr. Auch gemeinsames Singen, die szenische Darstellung von biblischen Geschichten oder Meditieren sind hier zu nennen. […] Wichtig ist, dass die Bedeutung der Sprach- und Ausdrucksformen des Glaubens sich nicht hauptsächlich in distanzierter Betrachtung, sondern in ihrem Vollzug, im Probieren erschließt.“486
In diesem Ausschnitt formulieren die katholischen Bischöfe wesentliche Aspekte einer didaktischen Begründung performativen Lernens im Religionsunterricht. Zunächst wird dieser als Unterricht „in der Teilnehmerperspektive“ vorgestellt, dessen Didaktik auf die Verbindung von „gelehrtem“ und „gelebten Glauben“ angewiesen sei. Ohne das Ermöglichen von „eigenen religiösen Erfahrungen“ könne demnach der Gegenstand dieses Unterrichts nicht angemes484 M. E. sind diese Wahrnehmungen ihrerseits für z. T. unsachgemäße Verkürzungen zu kritisieren. Vgl. hierzu ausführlich § 4, Kap. 2.10 „Performative Spielarten im Lichte konfessioneller Kooperation“. 485 Thomas K lie / Bernhard D ressler : Performative Religionspädagogik – Rezeption und Diskussion 2002–2008, in: Performative Religionsdidaktik. Religionsästhetik – Lernorte – Unterrichtspraxis, hg. v. Thomas K lie und Silke Leonhard, PTHe 97, Stuttgart 2008, S. 225–236, 234. 486 Sekretariat der D eutschen Bischofskonferenz (Hg.): Der Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen, Bonn 2005, S. 24 f.
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sen erschlossen werden. Des Weiteren wird der Erfahrungsbegriff hier dezidiert mit Formen der kirchlichen Partizipation verbunden. Religionsunterricht soll mit „Ausdrucksformen kirchlich institutionalisierter Religion“487 „bekannt machen“ – und zwar im Modus des „Probierens“. Nur so könne es schließlich gelingen, eine wie auch immer geartete „nachhaltige Wirkung“ bei den Schülerinnen und Schülern zu erreichen. Auffallend ist hier nicht nur die didaktische Sprengkraft der These, dass nämlich eigene Erfahrungen mit Formen des kirchlich gelebten Glaubens als konstitutiv für das unterrichtliche Erschließen von Religion benannt werden, sondern darüber hinaus, dass diese Feststellung von den Bischöfen als den maßgeblichen Autoritäten der katholischen Kirche in die religionspädagogische Diskussion eingebracht wird. Insofern verweist die Verlautbarung nicht bloß auf „die wesentlichen Charakteristika des Begründungszusammenhangs […], in den der performative Religionsunterricht im katholischen Bereich häufig hineingestellt wird“488, wie Englert zutreffend feststellt, sondern fungiert auch als Grundlage zur Legitimation für dessen didaktische Intentionen. Die Diskussion selbst war in der Folge im katholischen Bereich geradezu unumgänglich, wurden zentrale Eckpfeiler eines Religionsunterrichts, der „mehr“ sein sollte „als Reden über Religion“489 doch bereits vom Leitungsgremium der katholischen Kirche in Deutschland als konstitutive „Aufgaben des katholischen Religionsunterrichts“ festgestellt. Auf eine vergleichbar programmatische Bescheinigung, dass es nötig sei, Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht mit christlich religiösen Formen in Kontakt treten zu lassen, was auf Seiten der Schwesterkonfession etwa in Form einer Denkschrift der EKD möglich gewesen wäre, konnten sich die evangelischen Befürworter performativer Religionsdidaktik nicht beziehen. Obwohl die „performative Wende“490 in der Fachdidaktik beider Konfessionen intensiv diskutiert wurde, fällt gleichzeitig auf, dass vergleichende Studien zu den je unterschiedlichen Entwürfen und deren etwaigen Verbindungen bisher nicht vorgelegt wurden.491 Auch die Autoren selbst verweisen, insbesondere im evangelischen Kontext, eher selten auf diejenigen Spielarten, die in der Religionspädagogik der jeweils anderen Konfession entstanden sind. Stattdes487 488
Englert, Zwischenbilanz, S. 5. Ebd. 489 So die in der Einleitung bereits zitierte programmatische Forderung des katholischen Religionspädagogen Hans Schmid, die er bereits 2002 im Titel eines viel beachteten Aufsatzes verwendete und die später zur Programmformel der Befürworter einer performativen Neuorientierung in der Religionsdidaktik wurde. Schmid, Mehr als Reden über Religion, S. 2. 490 Thomas K lie: ‚Daß Religion schön werde‘. Die performative Wende in der Religionspädagogik, in: Ästhetik und Ethik. Die öffentliche Bedeutung der Praktischen Theologie, hg. v. Thomas Schlag, Zürich 2007, S. 49–63. 491 Dies kritisiert auch Mendl in einer jüngeren Veröffentlichung zum Thema, die selbst zumindest einen ersten Schritt in diese Richtung markiert. Vgl. H ans M endl (Hg.): Religion zeigen – Religion erleben – Religion verstehen. Ein Studienbuch zum Performativen Religionsunterricht, Stuttgart 2016.
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sen führt die vergleichende Sichtung zu dem ersten Ergebnis, dass die Autoren sich in ihren Texten zur performativen Didaktik erkennbar häufiger auf aktuelle Veröffentlichungen beziehen, die im Rahmen des eigenen konfessionellen Forschungsmilieus erscheinen. Die jeweiligen Diskurse verlaufen trotz ihrer thematischen Nähe geradezu abgekoppelt voneinander. Seltene Ausnahme bilden die Aufsätze Englerts,492 der die Entwicklung performativer Religionsdidaktik seit ihrer Entstehung begleitet hat, sowie die Beiträge Mendls, die im Rahmen dieses Teilkapitels in den Blick genommen werden. Der folgende Abschnitt wird den bisher dargestellten Ansätzen die beiden oben genannten, katholischen Spielarten performativer Religionsdidaktik hinzufügen. Dies soll ermöglichen, die katholischen und evangelischen Ansätze zueinander in Beziehung zu setzen, um nicht zuletzt den Performanzdiskurs selbst näher zu charakterisieren. Auf diese Weise können sowohl differente Sichtweisen als auch didaktische Überschneidungen aufgezeigt werden, um zukünftig einen diesbezüglich stärker interkonfessionell ausgerichteten Fachdiskurs zu unterstützen.
3.4.1 Konstruktivistisch begründete Performanz bei Hans Mendl Die konstruktivistisch begründete Spielart performativer Religionsdidaktik weist einige signifikante Unterschiede zu den bisher dargestellten Ansätzen auf. Diese lassen sich besonders anschaulich an drei Besonderheiten nachweisen, die Mendls Ansatz prägen. An diesen orientiert sich daher die Gliederung des folgenden Teilkapitels: Zunächst fundiert Mendl sein didaktisches Konzept mit ausführlichen, theoriegestützten Begründungen (1), die sich insbesondere auf seine pädagogische Lesart der erkenntnistheoretischen Annahmen des Konstruktivismus beziehen. Des Weiteren setzt Mendl sich kritisch mit der These des Traditionsabbruchs auseinander (2), auf die er in seinen Analysen zur aktuellen Situation des Religionsunterrichts vielfach verweist und die er konstruktiv mit weiteren Thesen zur Religiosität von Kindern und Jugendlichen ins Gespräch bringt. Mendls Arbeiten versuchen, den Traditionsabbruch phänomenologisch zu differenzieren, um die einzelnen didaktischen Schlussfolgerungen mit aktuellen Problemanzeigen in Beziehung zu setzen. Schließlich verknüpft Mendl seine theoretischdidaktischen Überlegungen mit einer Vielzahl methodischer Konkretionen (3), die weit über liturgische und bibeldidaktische Lernarrangements hinausgehen und etwa interreligiös ausgelegte Entwürfe einbeziehen. 492
Vgl. v. a. Englert, Zwischenbilanz, S. 6–8. Englert formuliert hier die These, dass in den katholischen Entwürfen eine „Kompensations-“ und in den evangelischen eine „Transformationsstrategie“ verfolgt werde. Ähnlich auch I ris M andl-Schmidt: Performativer Religionsunterricht – eine dauerhafte Perspektive?, in: RpB 67 (2012), S. 45–55, 48. Vgl. hierzu Dinger , Religion in Form, S. 170–177 sowie die Tragfähigkeit der These kritisch abwägend § 4, Kap. 2.10 „Performative Spielarten im Lichte konfessioneller Kooperation“.
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Diese drei Besonderheiten zeigen bereits an, dass Mendls Arbeiten in ihrem Zusammenhang ein vergleichsweise umfangreiches und didaktisch reflektiertes Gesamtkonzept bilden. Im Kontrast etwa zu den Vorarbeiten Bizers oder den programmatischen Einwürfen Schroeter-Wittkes berücksichtigt Mendl in auffälliger Sorgfalt die einzelnen Faktoren, die Religionsunterricht am Lernort Schule bedingen. Für diese Einschätzung spricht auch, dass die konstruktivistische Spielart performativer Religionsdidaktik in einer umfangreichen Monographie493 ausgearbeitet wurde und nicht, wie in den meisten evangelischen Diskussionsbeiträgen, in Form einzelner Zeitschriftenartikel und Buchbeiträge vorliegt.
3.4.1.1 Die konstruktivistische Begründung Der Konstruktivismus ist die zentrale erkenntnis- und lerntheoretische Begründungstradition für Mendls Konzept performativen Religionsunterrichts. Mendl selbst weist jedoch wiederholt darauf hin, dass der Konstruktivismus ebenso wenig existiert wie die eine zentrale Erkenntnis, die sich aus konstruktivistischen Theorien für eine daraus abgeleitete Religionsdidaktik ergibt.494 Der Begriff des Konstruktivismus findet längst als umbrella term Verwendung, unter dem heterogene Theorien und Positionen aus unterschiedlichen Geistes- und Naturwissenschaften subsumiert werden.495 Ob in neurobiologischen, kognitionspsychologischen, pädagogischen, kommunikationswissenschaftlichen, erkenntnisphilosophischen oder soziologischen Diskussionen, der Begriff wird aktuell geradezu „ubiquitär“496 verwendet – und dabei sehr kontrovers diskutiert. Konstruktivismus kann dabei sowohl eine „erkenntnistheoretische Grundüberzeugung“497 als auch eine „Philosophie des Lehrens und Lernens“498 493 Vgl. H ans M endl: Religion erleben. Ein Arbeitsbuch für den Religionsunterricht, München 2008. 494 Vgl. z. B. grundlegend H ans M endl: Konstruktivismus, pädagogischer Konstruktivismus, konstruktivistische Religionspädagogik. Eine Einführung, in: Konstruktivistische Religionspädagogik. Ein Arbeitsbuch, hg. v. dems., Münster 2005, S. 9–28. Mendl bezeichnet darin den Konstruktivismus als „Theorienbündel“ (S. 14). Die darin verbundenen, mitunter sehr verschiedenen Positionen wiesen vor allem die Gemeinsamkeit „einer Skepsis gegenüber ontologischen Wahrheitsansprüchen“ (ebd.) auf. 495 Die Pluralität konstruktivistischer Ansätze verdeutlicht exemplarisch eine Sammlung von Beiträgen zum Konstruktivismus, die Paul Watzlawick erstmals im Jahr 1981 herausgab: Paul Watzlawick (Hg.): Die erfundene Wirklichkeit. Wie wissen wir, was wir zu wissen glauben?, München 112006; Vgl. ferner die ausführliche Übersicht über konstruktivistische Denkansätze von Kant bis Luhmann bei Falko von A meln: Konstruktivismus. Die Grundlagen systemischer Therapie, Beratung und Bildungsarbeit, Tübingen / Basel 2004, insbesondere S. 9–186. 496 Johanna M eixner / K laus Müller : Konstruktivismus in der Praxis. Pädagogik und Erwachsenenbildung, in: Konstruktivismus. Die Grundlagen systemischer Therapie, Beratung und Bildungsarbeit, hg. v. Falko von A meln, Tübingen / Basel 2004, S. 245–268, 245. 497 von A meln, Konstruktivismus, S. 3 (im Original hervorgehoben). 498 M eixner / Müller , Konstruktivismus in der Praxis, S. 245.
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bezeichnen, es kann damit ganz allgemein die „Wirklichkeitsforschung“499 gemeint sein oder gar eine „pädagogische Weltanschauung“500, um nur einige Beispiele für das breite Bedeutungsspektrum des Begriffs zu erwähnen. Als besonders kontrovers gelten die erkenntnistheoretischen Annahmen des sogenannten „radikalen Konstruktivismus“, der vor allem auf die Arbeiten des österreichischen Biophysikers Heinz von Foerster sowie des amerikanischen Philosophen Ernst von Glasersfeld zurückgeht. Von Glasersfeld entwickelte eine konstruktivistische Theorie des Erwerbs von Wissen, in deren zentraler These er das Verhältnis der individuell erlebten Wirklichkeit und der objektiven Realität zu beschreiben versucht. Ihr zufolge bezieht sich die Erkenntnis wahrnehmender Subjekte nicht auf eine „ontologische Wirklichkeit, sondern ausschließlich [auf] die Ordnung und Organisation von Erfahrungen in der Welt unseres Erlebens.“501 Mit dieser Feststellung habe „der radikale Konstruktivismus […] ein für allemal dem ‚metaphysischen Realismus‘ abgeschworen.“502 Das, was Menschen als ihre Wirklichkeit erleben, ist eine individuelle Konstruktion, das Ergebnis einer subjektiven Erkenntnisleistung: „Alle Verständigung, alles Lernen und Verstehen“, so Glasersfeld, ist „stets Bau und Interpretation des erlebenden Subjekts.“503 Außerhalb der eigenen Erkenntnismöglichkeiten verfügt der Mensch demnach über kein zuverlässiges Instrument, um die Gültigkeit seiner subjektiven Annahmen zu überprüfen. Aus diesem Grund können prinzipiell auch keine gesicherten Aussagen darüber getroffen werden, ob und inwiefern die subjektive Wirklichkeit und die objektive Realität übereinstimmen.504 Die erkenntnistheoretische Leitfrage, ob und in welcher Form eine objektive, also von der Erfahrung des Menschen unabhängige Welt überhaupt existiert, sei mithilfe von dessen eigenen Möglichkeiten der Weltwahrnehmung schlechterdings nicht zu beantworten. Bezüglich des Verhältnisses des Menschen zu seiner Umgebung lässt sich nach von Foerster lediglich die eine Aussage gesichert festhalten: „Die Umwelt, so wie wir sie wahrnehmen, ist unsere Erfindung.“505 Entscheidende Grundlagen für die erkenntnistheoretische Skepsis, die konstruktivistische Theorien in unterschiedlicher Radikalität insgesamt auszeich499 500
Watzlawick , Erfundene Wirklichkeit, S. 11 (im Original hervorgehoben). Horst Siebert: Der Konstruktivismus als pädagogische Weltanschauung. Entwurf einer konstruktivistischen Didaktik, Frankfurt a. M. 2002. 501 Ernst von Glasersfeld: Einführung in den radikalen Konstruktivismus, in: Die erfundene Wirklichkeit. Wie wissen wir, was wir zu wissen glauben?, hg. v. Paul Watzlawick , München 112006, S. 16–38, 23 (Hinzufügung FD). 502 Ebd. 503 Ebd., S. 17. 504 Vgl. ebd., S. 24–37 sowie von A meln, Konstruktivismus, S. 3. 505 H einz von Foerster : Das Konstruieren einer Wirklichkeit, in: Die erfundene Wirklichkeit. Wie wissen wir, was wir zu wissen glauben?, hg. v. Paul Watzlawick , München 112006, S. 39–60, 40 (Hervorhebung FD); vgl. Watzlawick , Erfundene Wirklichkeit, S. 10; von G lasersfeld, Radikaler Konstruktivismus, S. 23.
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net,506 bilden neben Auseinandersetzungen mit philosophiegeschichtlichen Vorarbeiten507 auch die Rezeption von Ergebnissen aus der naturwissenschaftlichen Wahrnehmungsforschung. Insbesondere die neurophysiologischen Arbeiten der Chilenen Humberto Maturana und Francisco Varela zu den „biologischen Wurzeln menschlichen Erkennens“508 erlangten für konstruktivistische Theorien – und später auch in Mendls religionsdidaktischer Rezeption – grundlegende Bedeutung. Maturana und Varela beschreiben in ihren Untersuchungen „die Entwicklung des Lebens […] nicht primär als Anpassung an Umweltbedingungen, sondern als relativ eigenständigen, operational geschlossenen, selbstreferenziellen Prozeß.“509 Leitbegriff für diese entwicklungsbezogene Selbstreferentialität ist die „Autopoiesis“510, die Eigen- bzw. Selbsttätigkeit. Auch der menschliche Erkenntnisapparat, den Maturana und Varela biologisch im Nervensystem verankern, ist als in diesem Sinne operational geschlossenes System zu verstehen, das nicht eine objektiv gegebene Welt abbildet, sondern autopoetisch seine eigene Wirklichkeit hervorbringt.511 Aus naturwissenschaftlicher Sicht wird hier die erkenntnistheoretische Einschätzung bestätigt, dass das, was als Wirklichkeit erlebt wird, vom erlebenden Subjekt selbst geschaffen worden ist. Obwohl bereits betont wurde, dass der Konstruktivismus sich bei genauerem Hinsehen als umbrella term für heterogene Forschungszweige und -ergebnisse entpuppt, lassen sich aus den oben formulierten Annahmen einige Tendenzen formulieren, die für die allgemeine Pädagogik und später für Mendls Religionsdidaktik grundlegend geworden sind. So beschreibt etwa der Erziehungswissenschaftler Horst Siebert einen wirkmächtigen Ertrag der Konstruktivismusdebatte für die Pädagogik in dem Fazit, „daß uns die Wirklichkeit, wie sie ‚wirklich‘ ist, verschlossen bleibt, daß unser Gehirn die Welt nicht ‚abbildet‘, ‚widerspiegelt‘, ‚aneignet‘, so wie sie objektiv ist, sondern daß wir uns unsere eigenen Wirklichkeiten konstruieren, daß unsere Welt aus unseren Bildern besteht – aus Selbst-, Fremd- und Weltbildern.“512 Aus Sicht des Pädagogen ist 506 Eine übersichtliche Darstellung „radikaler“ und „gemäßigter“ Formen des Konstruktivismus bietet z. B. Finn Collin: Konstruktivismus für Einsteiger, Paderborn 2008, S. 9 ff.; vgl. auch von A meln, Konstruktivismus, S. 187–200. 507 Vgl. hierzu die prägnante „geistesgeschichtliche Einordnung des Konstruktivismus“ bei von A meln, Konstruktivismus, S. 9–20. Von Ameln arbeitet die Essentials des „erkenntnistheoretischen Widerstreits zwischen Idealismus und Realismus“ heraus und bezeichnet insbesondere Immanuel Kants Arbeiten zur menschlichen Erkenntnistätigkeit als „Vorwegnahme explizit konstruktivistischer Positionen“ (S. 13). 508 Humberto R. M aturana / Francisco J. Varela: Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln menschlichen Erkennens, Bern / München 121984. 509 Siebert, Pädagogische Weltanschauung, S. 21. 510 Ebd. 511 Vgl. M aturana / Varela , Baum der Erkenntnis, S. 262: „Erkennen hat es nicht mit Objekten zu tun, denn Erkennen ist effektives Handeln; und indem wir erkennen, wie wir erkennen, bringen wir uns selbst hervor.“; vgl. ferner Siebert, Pädagogische Weltanschauung, S. 21. 512 Siebert, Pädagogische Weltanschauung, S. 11.
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demnach überhaupt nicht relevant, ob den Konstruktionen der Subjekte eine objektiv existierende Wirklichkeit entspricht oder nicht; wichtig ist für ihn vielmehr, Lernen und Verstehen als aktiv-konstruktive Interpretationsleistungen der erlebenden Subjekte zu würdigen. Auf diese Weise wertet die pädagogische Rezeption des Konstruktivismus vor allem die Individualität der am Unterricht beteiligten Lernenden auf. Deren selbständige und eigenwillige Konstruktionsaktivität sei in den Mittelpunkt aller pädagogischen Bemühung zu rücken. Alle Lernenden, so die Überzeugung, bringen eigene Konstruktionen von Wirklichkeit in den Lernprozess ein. Die Struktur der neu zu erlernenden Wissenselemente kann gar nicht anders als unterschiedlich wahrgenommen werden. Insofern muss sich guter Unterricht im konstruktivistischen Sinne und an dieser Stelle durchaus „radikal“ an den individuellen Verstehensvoraussetzungen und subjektiven Interpretationsprozessen der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler ausrichten, die ihn besuchen. Auch die Lernergebnisse sollen infolgedessen als prinzipiell heterogen und nicht vorhersagbar verstanden werden.513 Doch konzentriert sich konstruktivistische Didaktik zumeist nicht ausschließlich auf die Wertschätzung individuellen Lernens. Stattdessen bevorzugt sie gemeinsames Lernen, z. B. in den Sozialformen von Partner- und Gruppenarbeit. Individuelle Konstruktionen sollen im Rahmen arrangierter Interaktionen mit den Konstruktionen anderer Lernender in einen sozialen Austausch eingebracht werden, um wiederum neue Konstruktionen aushandeln zu können (Ko-Konstruktion).514 Kooperative Lernarrangements eröffnen die Möglichkeit, selbst konstruktive Prozesse zu generieren und so die Strukturen der individuellen Konstruktionen zu verunsichern oder auch zu bestätigen. Schon Paul Watzlawick wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass eine Konsequenz aus den Ideen des Konstruktivismus in der „Toleranz für die Wirklichkeiten anderer“515 zu sehen sei. Wenn alle individuellen Konstruktionen die prinzipiell gleiche Berechtigung für sich in Anspruch nehmen dürften, dann könne die an513 Vgl.
M eixner / Müller , Konstruktivismus in der Praxis, S. 245 f. M arcus H asselhorn / A ndreas G old: Pädagogische Psychologie. Erfolgreiches Lernen und Lehren, Stuttgart 2006, S. 272–299. In diesem Zusammenhang ist zudem auf den so genannten „sozialen Konstruktivismus“ zu verweisen, dessen Kernaussage darin liegt, die „Wirklichkeit nicht als jeweils individuelle Konstruktion eines operational geschlossenen kognitiven Systems, sondern als soziale Konstruktion zu verstehen.“ Von A meln, Konstruktivismus, S. 179. Als zentraler Vordenker ist Lev S. Wygotski hervorzuheben, der als Erster ausführlich den Zusammenhang von Kognition und Sozialisation begründete. Vgl. Lew S. Wygotski: Denken und Sprechen, Frankfurt a. M. 51974. Auch innerhalb des „sozialen Konstruktivismus“ lassen sich weitere Unterformen unterscheiden, wie etwa der „interaktionistische Konstruktivismus“, der seit den späten 1990er Jahren den Diskursbegriff mit dem Konstruktivismus in Verbindung bringt. Eine präzise Darstellung unterschiedlicher „sozialkulturtheoretisch begründeter Konstruktivismen“ findet sich bei K ersten R eich: Konstruktivistische Didaktik. Lehr- und Studienbuch mit Methodenpool, Weinheim / Basel 32006, S. 87 f. 515 Paul Watzlawick / Franz K reuzer : Die Unsicherheit unserer Wirklichkeit. Ein Gespräch über den Konstruktivismus, München 92003, S. 31. 514 Vgl.
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gebrachte Form der Kommunikation nur das didaktisch inszenierte Gespräch zwischen gleichberechtigten Teilnehmenden sein. Siebert bezeichnet aus Sicht der Pädagogik entsprechend „die Fähigkeit und Bereitschaft, die Perspektiven anderer wahrzunehmen und zu akzeptieren“ als zentrale „konstruktivistische Schlüsselqualifikationen.“516 Über diese wissens- und lerntheoretischen Adaptionen konstruktivistischer Paradigmen hinaus richten die einzelnen Fachdidaktiken ihr Augenmerk auch auf das Gestalten von Lernarrangements, die diese Paradigmen unterrichtspraktisch widerspiegeln. Wenn Lernen stets in einem aktiven, sozialen und konstruktiven Prozess erfolgt und das schließlich erworbene Wissen als Produkt einer je eigenen, individuellen Konstruktionsleistung anzusehen ist, dann muss jede Lernumgebung den Lernenden Situationen anbieten, in denen der so verstandene Akt des Konstruierens unterstützt wird.517 Dies gelingt im Sinne konstruktivistischer Didaktik vor allem in solchen Lernumgebungen, die „situiert“518 gestaltet sind, also kontextgebunden sind und an die inhaltlichen sowie sozialen Erfahrungen der Lernsituation angepasst werden. Dieser Aufwertung der Kontextualität von Lernprozessen als bestimmende Größe des Unterrichts wohnen zwei didaktische Herausforderungen inne: Erstens gilt es, die konkrete Situation bzw. die Kontextmerkmale der Schülerinnen und Schüler einer Lerngruppe zunächst genau zu kennen. Dies erfordert ein hohes Maß an Wahrnehmungs- und Diagnosekompetenz von Seiten der Lehrkräfte. Zweitens müssen daran anknüpfend in der Unterrichtsplanung die Lerngegenstände so ausgewählt und aufbereitet werden, dass sie lebensnahe Anwendungssituationen generieren sowie individuelle Lernwege und Problemlösestrategien zulassen. Lehrende sollen im Sinne konstruktivistischer Didaktik die lernenden Subjekte darin fördern, selbst zu entscheiden, wann welche Denk- und Lösungsstrategien sich für sie als zielführend erweisen können.519 Die religionsdidaktische Rezeption Hans Mendls bezieht sich auf sämtliche der oben dargestellten Merkmale einer konstruktivistisch begründeten Didaktik. Mendl setzt sich in mehreren Veröffentlichungen ausführlich sowohl mit den unterschiedlichen Strömungen des Konstruktivismus als auch mit deren pädagogisch-didaktischen Erträgen auseinander,520 um schließlich sieben eigene 516 Siebert, Pädagogische Weltanschauung, S. 51 f. 517 Vgl. Gabi R einmann / H einz M andl: Unterrichten
und Lernumgebungen gestalten, in: Pädagogische Psychologie. Ein Lehrbuch, hg. v. A ndreas K rapp und Bernd Weidemann, Weinheim / Basel 52006, S. 613–658, 627. 518 Ebd., S. 626 f. Vgl. H asselhorn / G old, Pädagogische Psychologie, S. 273 f. 519 Vgl. Siebert, Pädagogische Weltanschauung, S. 52. Dieser Bereich, den Siebert „Kontextsensibilität“ nennt, stellt in seiner pädagogischen Rezeption konstruktivistischer Theorien ebenfalls eine „konstruktivistische Schlüsselqualifikation“ dar. 520 Vgl. z. B. H ans M endl: Religiöses Lernen als Konstruktionsprozess. Schülerinnen und Schüler begegnen der Bibel, in: Empirische Religionspädagogik. Grundlagen – Zugänge – Aktuelle Projekte, hg. v. Burkhard Porzelt und R alph Güth, Empirische Theologie 7,
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religionsdidaktisch relevante „Postulate“521 aufzustellen. Die darin formulierten Forderungen beinhalten zugleich didaktische Ansprüche, die Mendl übrigens nicht nur an seine eigene Spielart performativer Religionsdidaktik stellt, sondern die nach seiner Überzeugung für „jegliche Formen sinnvollen Lernens“522 zu gelten haben. Lernen ist nach Mendl zunächst als „aktiver Prozess des lernenden Subjekts“ (1) zu bestimmen, der entscheidend durch die Lernenden und insbesondere durch deren „Vorwissen und Einstellungen zu [den] Lerngegenständen“523 (2) geprägt wird. Wissen setzt demnach eine konstruktive Aktivität der Schülerinnen und Schüler voraus; es entsteht nur in Auseinandersetzung mit deren unverwechselbarer Identität. Daran anknüpfend sind Lernprozesse grundsätzlich „nicht völlig vorhersagbar“ (3), weil sich „Lernen als individueller Prozess [und] in der Auseinandersetzung mit den Konstruktionen anderer“524 vollzieht. An dieser Stelle zeigt Mendls Didaktik die typisch konstruktivistische Verzahnung von Individualität und Gruppendynamik. Demgegenüber haben religiöse Lerninhalte in diesem Ansatz lediglich „den Rang von ‚Perturbationen‘“525 (4). Lerngegenstände sind als Angebote für eigenständige Konstruktionen einzuspielen, die für unterschiedliche Lernende auf je unterschiedliche Weise relevant werden können. Die Voraussetzungen für gelingendes Lernen schätzt Mendl insbesondere dann als förderlich ein, „wenn die Lerngegenstände in bedeutsamen Kontexten und Situationen dargeboten und von den Lernenden als lebensbedeutsam erkannt werden“526 (5). Mit diesem Postulat betont Mendl das situative Moment konstruktivistischer Didaktik, die der Kontextualität von Lernarrangements ein hohes didaktisches Gewicht zuspricht. Auch auf die naturwissenschaftlich-biologischen Begründungen des Konstruktivismus nimmt er Bezug.527 Die Nachhaltigkeit des Lernens werde „von Münster 2000, S. 139–152; M endl , pädagogischer Konstruktivismus, S. 9–28; H ans M endl: Konstruktivistische Religionspädagogik, in: Religionsunterricht neu denken. Innovative Ansätze und Perspektiven der Religionsdidaktik. Ein Arbeitsbuch, hg. v. Bernhard Grümme , H artmut Lenhard und M anfred L. P irner , Religionspädagogik innovativ 1, Stuttgart 2012, S. 105–118. 521 H ans M endl: Religionsdidaktik kompakt. Für Studium, Prüfung und Beruf, München 2011, S. 174 f. Die Anzahl der „Postulate“ variiert in den einzelnen Veröffentlichungen Mendls. Vgl. M endl , Konstruktionsprozess, S. 150; M endl , Konstruktivismus, S. 16 f. 522 M endl , Religionsdidaktik, S. 174. 523 Ebd. 524 Ebd. 525 Ebd.; ausführlicher beschrieben bei M endl , Konstruktivismus, S. 17. Mendl beschäftigt sich umfangreich mit dem Verhältnis der einzelnen Lernenden zu den Inhalten der christlichen Tradition sowie mit den Spannungsfeldern von christlichen Wahrheitsansprüchen und konstruktivistischen Relativitätsthesen. Vgl. hierzu H ans M endl: Ein Zwischenruf: Konstruktivismus, Theologie und Wahrheit, in: Konstruktivistische Religionspädagogik. Ein Arbeitsbuch, hg. v. dems., Münster 2005, S. 177–190. 526 M endl , Religionsdidaktik, S. 174. 527 Mendl geht sogar so weit, die Ergebnisse der Neurobiologie und insbesondere der For-
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einer gehirnphysiologischen Warte aus“ gerade dann gefördert, wenn durch „aktive Vernetzung, Vertiefung und mehrmalige Wiederholung eines Konstrukts in neuen Kontexten […] der Prozess der Synapsenbildung angeregt“528 wird (6). Schließlich begegne in der „Ausbildung individueller Lernlandschaften“529 (7) das Ziel für die Gesamtheit der Lernprozesse, die den ersten sechs Postulaten entsprechen. Auffällig ist an dieser Stelle wiederum der Individualitätsbezug: Lernlandschaften werden den subjektiven Bedürfnissen des Einzelnen angepasst, damit sich jeder Lernende auf einem unterschiedlichen, nämlich dem eigenen Weg zu dem jeweiligen Lerngegenstand verhalten kann. Mendl entwickelt im Gespräch mit konstruktivistischen Lerntheorien und deren „erkenntnistheoretischer Irritation“530, wie gesehen, ein konkretes Tableau von Merkmalen für gelingenden Religionsunterricht. Die oben skizzierten Postulate bilden die lerntheoretische Grundlage, auf der seine konstruktivistisch begründete Spielart performativer Religionsdidaktik aufbaut.
3.4.1.2 Mendls Problemanzeige und didaktische Schlussfolgerung Mendls 2008 erschienene Monographie „Religion erleben“ stellt die Bündelung seines Konzeptes eines performativen Religionsunterrichts dar. Er äußert sich darin ausführlich zu sämtlichen Kategorien, die eingangs als Untersuchungsgegenstände für diesen Abschnitt der Studie beschrieben wurden.531 Sein Buch setzt sich mit der Begründungstradition v. a. des Konstruktivismus auseinander, liefert eine Situationsanalyse insbesondere der gegenwärtigen Herausforderungen eines zeitgemäßen Religionsunterrichts und entwickelt von diesen Voraussetzungen ausgehend ein eigenes didaktisches Theoriegebäude, aus dem er schließlich methodische Konsequenzen für insgesamt 20 Praxisfelder entwickelt. Nachdem Mendls „konstruktivistische Begründung“ im vorherigen Teilkapitel bereits dargestellt wurde, sollen im Folgenden seine Problemanzeigen und die daraus abgeleiteten didaktischen Schlussfolgerungen analysiert werden. Als zentrale Ausgangsfrage seines religionspädagogischen Nachdenkens formuliert Mendl: „Wie kann objektive Religion heute überhaupt noch verständlich werden angesichts einer Schülergeneration, die mehrheitlich dazu keine intensiven Bezüge hat?“532 In dieser Frage klingt die bereits vielfach erwähnte These vom Traditionsabbruch an, die insbesondere für Dresslers Didaktik den entscheidenden Ausgangspunkt darstellt. Mendl setzt sich in seinem schungen von Maturana und Varela als „Grundlagen für alle verschiedenen Ausprägungen“ des Konstruktivismus zu bezeichnen. M endl , Konstruktionsprozess, S. 144. 528 M endl , Religionsdidaktik, S. 175. 529 Ebd. 530 M endl , Pädagogischer Konstruktivismus, S. 12. Mendl identifiziert diese Irritation in Watzlawicks Frage: „Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“ 531 Vgl. § 1, Kap. 1 „Erkenntnisinteresse der systematischen Perspektive“. 532 M endl , Religion erleben, S. 7.
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Eingangskapitel „Problemanzeige und aktuelle Herausforderungen“533 durchaus auch zustimmend mit dieser These auseinander, bemüht sich jedoch darüber hinaus, den Traditionsabbruch „phänomenologisch differenziert“534 zu betrachten – d. h. für Mendl, ihn mit weiteren, insbesondere religionssoziologischen Erkenntnissen ins Gespräch zu bringen. Im Sinne dieser Differenzierung meint Mendl vier präzisierende Adjektive erkennen zu können, die allesamt das „Auseinanderdriften von subjektiver und objektiver Religion“535 näher bestimmen. Einerseits stellt Mendl ernüchtert fest, „dass kirchliche [!] Religion in der Wahrnehmung heutiger Menschen verglichen mit früheren Zeiten verdunstet“536; andererseits beobachtet er eine Aufwertung individualisierter Formen von Religiosität. Die religionssoziologische These vom „Wandel der Religionen“537 betont die Transformation von Frömmigkeitsformen, die sich zunehmend auch in kirchendistanzierter Religiosität äußern kann. Wer also ausschließlich den Wegfall traditionell-konfessioneller Formen des gelebten Christentums beklage, verfehle die wichtige didaktische Ressource der „unsichtbaren Religion“538 (1) vieler Schülerinnen und Schüler. Weiterhin diagnostiziert Mendl, dass sich im Zuge der Individualisierung religiöser Ausdrucksformen eine Tendenz zur „unverständlichen Religion“539 (2) abzeichne. Diese Unverständlichkeit betreffe sowohl einen zunehmend zu beobachtenden religiösen Analphabetismus von Kindern und Jugendlichen, die religiöse Sprache und Rituale gar nicht mehr kennen und infolgedessen auch nicht zu deuten vermögen, als auch die fehlende Deutungskompetenz auf Seite der Kirchen und anderer Vermittlungsinstanzen religiöser Bildung, die subjektive Ausdrucksweisen und Relevanzsysteme der heranwachsenden Generation nicht zur Kenntnis nehmen und/oder verstehen. Nach Mendl führt das „wechselseitige Nicht-Wahrnehmen auf der Subjektseite“540 in eine didaktische Sackgasse, wenn sich weder die konfessionelle, „kirchliche“ Religion noch die „Religions-Äquivalente“541 vieler Heranwachsender in den ihnen jeweils zugrundeliegenden Tiefendimensionen als deutbar erweisen. 533 Vgl. ebd., S. 12–20. 534 Ebd., S. 16. 535 Ebd.; vgl. H ans M endl:
Mehr als Reden über Religion. Religionsunterricht inszenieren und reflektieren, in: Religion unterrichten. Informationen für Religionslehrerinnen und -lehrer im Bistum Hildesheim 1 (2007), S. 6–13, 8. Dieses „Auseinanderdriften“ bedeutet für Mendl, dass sich „der garstige Graben zwischen dem Erfahrungswissen [der subjektiven Seite, FD] und dem Glaubenswissen, dem Depositum fidei [der objektiven Seite, FD], […] im Laufe der letzten Jahrzehnte massiv verbreitert [hat].“ 536 M endl , Religion erleben, S. 17. 537 Ebd., S. 16. 538 Ebd., S. 17 („Religion“ im Original ebenfalls hervorgehoben). 539 Ebd. („Religion“ im Original ebenfalls hervorgehoben). 540 Ebd. 541 Ebd., S. 16.
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Mit Blick auf die Stellung der Kirche in der Gesellschaft verweist Mendl auf verschiedene empirische Studien, die einen „massiven Vertrauensverlust“ sowie einen „Bedeutungsschwund“542 feststellen. Obwohl seiner Beobachtung zufolge viele gesamtgesellschaftliche Phänomene die Tendenz zur „Marginalisierung institutionalisierter Religion“ begünstigen, habe dies „auch viel mit der mangelhaften Fähigkeit von Kirche [zu tun], sich ästhetisch ansprechend in der Welt zu präsentieren.“543 Konfessioneller Glaube werde daher zunehmend als „unansehnliche Religion“544 (3) bewertet, der stets attraktivere Alternativen gegenüberstünden: „Um diese These zu veranschaulichen, möge man den durchschnittlichen Schaukasten einer Pfarrei mit einer durchschnittlichen Werbetafel oder ein Pfarrblatt mit einer Speisekarte vergleichen.“545 Im Kontrast zu der ästhetischen Krise des kirchlichen Auftretens in der öffentlichen Wahrnehmung betont Mendl aber auch die wesentlich ansprechendere Darstellung von Glauben und Religion, die der schulische Religionsunterricht weiterhin biete. Im Kontext Schule habe dieser Unterricht weithin einen guten Stand. Religionsunterricht repräsentiert nach Mendls Einschätzung das „Flaggschiff eines gesellschaftsoffenen Christentums.“546 Von einer lernortbezogenen Kritik wie etwa bei Zilleßen oder gar Bizer, aus dessen Sicht die Religion in der Schule der 1990er Jahre „sehr schlimm dran“547 war, ist in der Situationsanalyse Mendls wenig zu finden. Aus Sicht der Schülerinnen und Schülern stellt Mendl schließlich fest, dass konfessioneller Glaube in der modernen Gesellschaft immer schwieriger wahrzunehmen sei. Während kulturelle Einrichtungen, Einkaufszentren und große Sportstätten zunehmend Aufmerksamkeit beanspruchen, so die These, treten die Außenseiten des evangelischen und katholischen Christentums immer mehr in den Hintergrund. Konfessionelle Religion sei deshalb schon heute aus der Perspektive vieler Kinder und Jugendlichen zu einer „verstellten Religion“548 geworden. Dennoch zeichnet Mendl auch diesbezüglich kein ausschließlich defizitorientiertes Bild: Viel zu häufig werde übersehen, dass die eine oder andere
542 Ebd., S. 17. Vgl. hierzu ausführlich die Einschätzungen bei H ans M endl: Im Mittelpunkt der Mensch. Prinzipien, Möglichkeiten und Grenzen eines schülerorientierten Religionsunterrichts, Winzer 2004, S. 17 f. 543 M endl , Religion erleben, S. 17 f. 544 Ebd., S. 17 („Religion“ im Original ebenfalls hervorgehoben). 545 Ebd. Ein weiteres Indiz für die „Unansehnlichkeit“ katholisch inszenierter Religionsformen sieht Mendl in den Ergebnissen der Sinus Milieu-Studie, nach denen die Kirche lediglich eine geringe Anzahl von gesellschaftlichen Milieus erreicht. Vgl. hierzu ausführlich Carsten Wippermann: Religiöse und kirchliche Orientierungen in den Sinus-Milieus, München 2005. 546 M endl , Religion erleben, S. 17. 547 Bizer , Gestaltpädagogische Elemente, S. 7.14; vgl. § 1, Kap. 3.2.1.1 „Zur Ausgangslage: Bizers Kritik an den Bildungsinstitutionen“. 548 M endl , Religion erleben, S. 16 („Religion“ im Original ebenfalls hervorgehoben).
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Spur konfessioneller Religion auch heute noch „in reichhaltigem Ausmaß zu entdecken ist, wenn man nur genau hinschaut!“549 Die Erscheinungsweisen unsichtbarer, unverständlicher, unansehnlicher und verstellter Religion prägen aus Mendls Sicht die Ausgangssituation des heutigen Religionsunterrichts. Sie stellen Symptome des Auseinanderdriftens von subjektiver und objektiver Religion dar. Diese zunehmende Differenz ist nach Mendl die zentrale Herausforderung religionspädagogischen Denkens und Handelns in der Gegenwart. Mendls Didaktik stellt in erster Linie einen Versuch dar, diesem Prozess des Auseinanderdriftens im Modus eines konstruktivistisch-performativen Lehrens und Lernens entgegen zu wirken. Der Religionsunterricht am Lernort Schule erweist sich darin als außerordentlich bedeutsam. Unter den oben beschriebenen Bedingungen verkörpere er „die zentrale Kontaktzone zur objektiven Religion schlechthin.“550 Mendl traut dem schulischen Religionsunterricht als „Flaggschiff eines gesellschaftsoffenen Christentums“551 viel zu. Es soll darin nicht weniger erreicht werden, als religiöse Kommunikationsformen verstehen, beurteilen und selbst praktizieren zu lernen. Er entwickelt in diesem Zusammenhang eine eigene „Kompetenz-Formel“, die als Zielbestimmung deutliche Konturen seines performativen Ansatzes offenbart: „Lernende werden ‚in Sachen Religion‘ kompetent, wenn sie in Auseinandersetzung mit den religiösen Konstruktionen anderer und unterstützt mit dem Deutungsangebot christlicher Tradition ein selbständiges und vor der Vernunft verantwortbares Urteil in Fragen der Religion sowie je eigene religiöse Spuren entwickeln (Deutungs- und Partizipationskompetenz).“552 Das Entwickeln von „religiösen Spuren“ setzt hierbei eigene Erfahrungen im Umgang mit Religion voraus. Solche Erfahrungen könnten nicht ausschließlich im Modus kognitiver Auseinandersetzung mit religiösen Wissensbeständen angebahnt werden. Gemäß der Programmformel des katholischen Religionspädagogen Hans Schmid, Religionsunterricht sei „mehr als Reden über Religion“, spricht sich Mendl für die zusätzliche Integration von „thematisch fokussierten Erlebnisdimensionen“553 aus. Ob Segensspruch, Lob-Psalm, Gebet oder Abendmahl, alle diese Formen religiöser Sprache eint, dass Schülerinnen und Schüler ihre Aussagekraft, ihre spezifisch religiöse Bedeutung nur durchdringen können, wenn sie die damit verbundene (Sprach‑)Handlung auch schon einmal selbst vollzogen haben. An dieser Stelle grenzt sich Mendls Ansatz deutlich von den 549
Ebd., S. 16. Ebd., S. 19. Ebd., S. 17 (s. o.). 552 M endl , Mehr als Reden, S. 12. 553 H ans M endl: Religion erleben, in: Performative Religionsdidaktik und biblische Textwelten, hg. v. Thomas K lie , R ainer M erkel und Dietmar P eter , Loccumer Impulse 3, Rehburg-Loccum 2012, S. 16–25, 23. 550 551
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semiotischen und poststrukturalistischen Spielarten performativer Didaktik ab. Während insbesondere Dressler und Klie großen Wert darauf legen, ihren performativen Religionsunterricht im „Modus des Als-ob“ zu gestalten, in dessen inszenierten Realitäten die Schülerinnen und Schüler bewusst probierend zwischen unterschiedlichen Perspektiven hin- und herwechseln, hält Mendl für fraglich, ob ein solcher Zugriff den Wert und Ernst des Gegenstands Religion ausreichend berücksichtigt.554 Stattdessen möchte seine Didaktik des religiösen Erlebens ganz bewusst „zu einem Handeln in aller Ernsthaftigkeit“555 anregen und die Heranwachsenden darin mit Formen christlich gelebter Religion vertraut machen. Hier kommt Mendl den oben zitierten Formulierungen der deutschen Bischofskonferenz sehr nahe. Die konkreten Lernarrangements sind ganz im Sinne einer konstruktivistischen Lerntheorie so zu gestalten, dass sie individuelle Lösungswege zulassen und insgesamt die Möglichkeit eröffnen, die performativen Angebote auf unterschiedliche Weise aufzunehmen und auszudeuten. Insofern laden performative Unterrichtsformen nach Mendl „zu einem echten religiösen Handeln ein, das aber geprägt ist von subjektiven Bedeutungszuweisungen und das nicht auf eine verbindliche Nachhaltigkeit zielt.“556 Die beiden abschließenden Präzisierungen zeugen von konstruktivistischer Wertschätzung der individuellen Konstruktionsleistung des wahrnehmenden Subjekts, die Mendls Konzept insgesamt prägt. Seinem Ansatz zufolge ist keineswegs vorhersehbar, ob Lernende die eingebrachten religiösen Formen als relevant einschätzen oder nicht. Mendl erachtet es jedoch als zwingend erforderlich, auf eigene Erfahrungen zurückgreifen zu können, um überhaupt ein begründetes, subjektiv zu verantwortendes Urteil fällen zu können. Weil es ihm um diese Fundierung einer eigenen Positionierung geht, sieht Mendl seinen Ansatz auch nicht dadurch gefährdet, dass er im Sinne einer katechetisch-missionarischen Absicht missverstanden werden könnte. Seine performative Didaktik ziele weder auf Initiation in das Christentum noch auf dessen Einübung. Das „Vertrautmachen“ mit religiösen Formen sowie die Kompetenz, christliche Sprachformen zu verwenden, sind für Mendl lediglich Voraussetzungen für ein tieferes Verstehen des eigenen und fremden Handelns vor einem religiösen Deutungshorizont.557 554 Vgl. M endl , Religion erleben, S. 68. 555 Ebd., S. 67. An anderer Stelle setzt sich
Mendl ausführlich mit der vielfach befürchteten „Verlusterfahrung“ auseinander, dass Religion an Ernsthaftigkeit verliere, wenn sie in der Schule wahrgenommen werde. Er kommt zu dem Schluss, dass „der nicht vorhandene Zwang, eine erlebte Praxis auch zu internalisieren“, keineswegs der Möglichkeit zum „Ausprobieren der Schätze christlicher und katholischer Tradition“ (im Original hervorgehoben) im Wege stehe. H ans M endl: Was geschieht, wenn Religion in die Schule geht?, in: KatBl 130 (2005), S. 376–382, 377, 379. Zu dem hier angesprochenen Problem vgl. kritisch abwägend § 4, Kap. 2.4 „Gelebter christlicher Glaube im Verhältnis zur ‚Unterrichtsreligion‘“. 556 M endl , Religion erleben, S. 86 (Hervorhebung FD). 557 Zum Verhältnis von Gemeindekatechese und schulischem Religionsunterricht vgl.
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Trotz dieser Einschränkung ist Mendls Ansatz in der fachdidaktischen Diskussion vielfach kritisiert worden. Im Kern wurde ihm vorgeworfen, eine „Kompensationsstrategie“ zu verfolgen, indem er versuche, „die auf Schülerseite in den letzten Jahrzehnten eingetretene Distanz gegenüber […] kirchlich gelebter Religion wenigstens ein kleines Stück weit reduzieren [zu] helfen.“558 Es gehe Mendl weniger darum, überlieferte Formen des christlich gelebten Glaubens im Modus des experimentierenden Probehandelns zu transformieren – wie dies vor allem die evangelischen Entwürfe präge559 – sondern um das unmittelbare und möglichst authentische Erleben der performativen Wirkung, die religiös-rituelle Vollzüge zu entfalten vermögen. An Mendls Arbeiten, die sich im Spektrum der performativen Entwürfe insbesondere durch ihre vielen unterrichtlichen Konkretionen auszeichnen (s. u.), lässt sich m. E. besonders anschaulich „die Herausforderung der Übergänge“560 verdeutlichen, die auch Dressler hervorhebt: Wenn Mendl beispielsweise vorschlägt, die Schülerinnen und Schüler könnten sich im Unterricht mit Weihwasser gegenseitig bekreuzigen, einen Rosenkranz beten oder eine „Anbetung vor dem Marienaltar“561 halten, tritt die zwingende Notwendigkeit vor Augen, diese Vollzüge ausschließlich im Schutz didaktisch etablierter Rollen zu begehen und stets unmittelbar im Anschluss kritisch zu reflektieren. Das Zusammenspiel von Reflexion und Inszenierung äußert sich in Mendls performativer Religionsdidaktik auch in der vergleichsweise hohen Wertschätzung dezidiert kognitiv anzueignender Wissensbestände, die gerade im Vergleich zu den poststrukturalistischen Entwürfen von Zilleßen und SchroeterWittke auffällt. „Religiöses Orientierungswissen der Tradition“, so Mendl, sei „als materialer Grund“562 auch dann notwendige Voraussetzung für nachhaltiH ans M endl: Wie viel Annäherung ist gefragt?, in: KatBl 132 (2007), S. 92–94. Obwohl Mendl in diesem Artikel eine grundlegende Unterscheidung beider Lernorte entwickelt, die insbesondere die jeweils unterschiedlichen Zielbestimmungen profiliert, wünscht er sich gleichzeitig eine stärkere Vernetzung zwischen beiden Bereichen. Gerade der Religionslehrer solle intensiver einer „Rolle als Brückenbauer zwischen Kirche und Schule nachkommen“ (S. 94). Vgl. ferner M endl , Religion erleben, S. 85. 558 Englert, Zwischenbilanz, S. 6. Englert meint an dieser Stelle die katholischen Entwürfe insgesamt, denen er Mendls Ansatz erst im späteren Verlauf des Aufsatzes zuordnet (vgl. S. 10). Kritisch zu Mendl äußert sich ferner auch der katholische Religionspädagoge K laus König: Reden über Religion. Eine Stellungnahme zu Hans Mendls Plädoyer für einen performativen Religionsunterricht, in: RU heute 3 (2006), S. 22–30. König kritisiert bei Mendl v. a. die mangelnde fachdidaktische Inszenierung von Distanzierungsangeboten für alle Schülerinnen und Schüler. 559 Vgl. Englert, Zwischenbilanz, S. 6 f. 560 Vgl. § 1, Kap. 3.1.1.4 „Die Herausforderung der Übergänge“. 561 H ans M endl: Religionsunterricht inszenieren und reflektieren. Plädoyer für einen Religionsunterricht, der mehr ist als ‚reden über Religion‘, in: Mehr als reden über Religion. 1. Arbeitsforum für Religionspädagogik 21. bis 23. März 2006. Dokumentation, hg. v. Ludwig R endle , Donauwörth 2006, S. 10–41, 40. 562 M endl , Mehr als Reden über Religion, S. 10.
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ge religiöse Bildung, wenn ein konstruktivistisches Lernverständnis einen offenen Umgang mit den überlieferten Formen des christlichen Glaubens nahelege: „Bildung funktioniert auch als konstruktivistische Selbstbildung nicht ohne Inhalt.“563 Das Aufbauen von „Orientierungswissen“ bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, Lehr- und Glaubenssätze auswendig zu lernen oder gar „nachplappern“564 zu können. In Mendls Spielart performativer Religionsdidaktik werden demgegenüber exemplarische Elemente des christlichen Glaubens „in ihrer perturbierenden Kraft“565, also mit ihrem beunruhigenden, verunsichernden Potential präsentiert, um bei den Schülerinnen und Schülern aktiv-konstruktive Auseinandersetzungen anzuregen. Hierbei sollten vielgestaltige Methoden berücksichtigt und möglichst alle Sinne angesprochen werden, um so der Individualität aller Lernenden gerecht zu werden. Im Kern versucht Mendls Didaktik, den Subjekten des Religionsunterrichts eigene Zugänge zur potentiell vorhandenen „objektiven“ Relevanz von Religion jenseits ihrer Unsichtbarkeit, Unverständlichkeit, Unansehnlichkeit und Verstelltheit zu eröffnen – und dabei zu helfen, diese Zugänge kritisch zu durchdenken.
3.4.1.3 Praxisfelder religiösen Erlebens in der Schule Ein besonderes Merkmal von Mendls konstruktivistisch-performativem Ansatz ist in der Reichweite seiner praktischen Anwendungsfelder zu sehen. Mendl bezieht das Performative auf nahezu alle Themen und Kompetenzbereiche, die in den curricularen Vorgaben des Religionsunterrichts eine Rolle spielen. Er nimmt dabei auch Bereiche in den Blick, die in evangelischen Arbeiten zur performativen Didaktik entweder nur am Rande vorkommen oder überhaupt keine Rolle spielen. Während die semiotisch sowie gestaltpädagogisch begründeten Ansätze von Dressler bis Bizer sich vor allem auf liturgisches Lernen und Bibeldidaktik konzentrieren, reichen Mendls Vorschläge zur Umsetzung performativen Lernens weit darüber hinaus. Seine Monographie „Religion erleben“ beschreibt 20 (!) unterschiedliche „Praxisfelder“, die auch selten berücksichtigte Themen wie das religiöse Lernen mit Computern und neuen Medien oder auch das ethische Lernen in Auseinandersetzung mit sozialen Konflikten der globalen Gesellschaft einbeziehen. Jedes dieser Praxisfelder wird zunächst auf darin vorfindliche fachdidaktische Potentiale hin analysiert sowie mit dezidiert performativen Lernchancen in Beziehung gesetzt. Besonders fallen darüber hinaus die exemplarischen „Praxisprojekte“566 ins Auge, die jedes Praxisfeld mit Möglichkeiten zur methodischen Umsetzung im Religionsunterricht verbinden. 563 564
M endl , Religionsunterricht inszenieren, S. 10. M endl , Religion erleben, S. 60. Ein besonderes Anliegen konstruktivistischer Religionsdidaktik sieht Mendl im Gegenteil darin, „die Grenzen einer ‚Postulatstheologie‘ zu überwinden […], die nicht auch zur intellektuellen Auseinandersetzung anregt.“ 565 Ebd. 566 Ebd., S. 8.
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Diese Struktur macht „Religion erleben“ zu einem echten „Arbeitsbuch für den Religionsunterricht.“567 Im Unterschied zu allen bisher zitierten Grundsatztexten zur performativen Religionsdidaktik wurde es primär für Lehrerinnen und Lehrer geschrieben.568 Ihnen werden Innovationen für ihr unterrichtliches Handeln angeboten, die insgesamt alle darauf zielen, die Praxis des katholischen Religionsunterrichts zu verbessern. Exemplarisch soll dies im Folgenden für den Bereich des interreligiösen Lernens gezeigt werden. Dieser findet in evangelischen Entwürfen kaum Beachtung, stellt bei Mendl aber ein eigenes Praxisfeld des performativ-religiösen Lernens dar. Performative Religionsdidaktik bedeutet im Sinne Mendls nicht nur, Ausdrucksgestalten christlich gelebter Religion zu inszenieren, sondern darüber hinaus auch Menschen und Riten anderer Religionen zu erleben.569 Die zentrale Kategorie in seinem interreligiös-performativen Ansatz verkörpert die Begegnung: Man könne Kindern und Jugendlichen keinen verstehenden Zugang zur Fremdheit einer anderen Religion oder zu den Menschen, die diese Religion leben, eröffnen, wenn dies methodisch lediglich im Modus eines distanzierten Informierens, etwa anhand von Texten oder anderen Medien geschehe.570 Stattdessen, so Mendl, gilt auch im Bereich des interreligiösen Lernens die performative Grundeinsicht, dass Elemente einer Glaubenslehre nur dann nachhaltig verstanden werden können, „wenn sie als gelebter Glaube veranschaulicht werden und sich Kinder und Jugendliche aktiv, dialogisch und durchaus kritisch damit auseinandersetzen.“571 Interreligiöse Didaktik soll also einerseits die Grundsätze einer Religion nicht isoliert, sondern in die jeweils damit verbundenen Lebensvollzüge eingebettet betrachten. Andererseits soll sie die Lernenden zur kritischen Betrachtung ermutigen. Als performativ erweisen sich Mendls Ideen zum interreligiösenLernen insofern, als darin erlebnisorientierte Erfahrungsdimensionen den diskursiven Zugang ermöglichen sollen. Indem Religionsunterricht beispielhafte und möglichst charakteristische Voll567 Vgl. ebd., S. 88–413. Obwohl „Religion erleben“, wie in den vorherigen Teilkapiteln bereits mehrfach angesprochen, ausführlich aktuelle Problemanzeigen, Begründungsmomente und konzeptuelle Grundsatzfragen erörtert, untermauert ein Blick auf die Gliederung des Buches die oben formulierte These: Während der Theorieteil in der hier zitierten Ausgabe insgesamt 74 Druckseiten umfasst, widmet Mendl seinen Ausführungen zu konkreten Realisierungsformen im schulischen Unterricht mehr als den vierfachen Raum (326 Seiten). „Performative Elemente“, so die Begründung Mendls, manifestieren sich eben „vor allem auf der Ebene der Lernwege“ (S. 7). 568 Als einzige Ausnahme könnte ggf. das oben zitierte Lehrwerk „Und der König stieg herab von seinem Thron“ gelten, das Zilleßen und Gerber explizit als Praxisbuch für den Religionsunterricht kennzeichnen. M. E. stellt dies aber gleichzeitig ein brauchbares Arbeitsbuch für Schülerinnen und Schüler dar und eignet sich weniger für die umfassende Praxisreflexion aus Sicht der Lehrerinnen und Lehrer, die ihren Unterricht auch fachdidaktisch verantworten müssen. 569 Vgl. M endl , Religion erleben, S. 271. 570 Vgl. ebd. 571 Ebd., S. 270; vgl. M endl , Religionsdidaktik, S. 130–138.
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§ 1 Theoretische Fundierung performativer Religionsdidaktik
züge unterschiedlicher Religionen konkret werden lässt, können Schülerinnen und Schüler exemplarisch daran teilhaben. Sie können Eigenheiten der jeweiligen Religion mit allen Sinnen wahrnehmen und so die wesentliche Voraussetzung für interreligiöse Lernprozesse anbahnen: „Einen verstehenden Zugang zur bleibenden Fremdheit einer anderen Religion.“572 Die Quelle für Mendls performative Didaktik des interreligiösen Lernens stellen die Arbeiten der englischen Religionspädagogen Michael Grimmitt und John Hull dar. Vor dem Hintergrund des multireligiösen Religionsunterrichts in England entwickelten sie das Konzept „A Gift to the Child“573, in dessen Zentrum die gleichermaßen erfahrungsbasierte und reflexive Annäherung an repräsentative Lerngegenstände aus unterschiedlichen Religionen steht. Ein „Numen“, das als zentrales Element einer Religionsgemeinschaft auf das jeweils Heilige verweist, wird in einem „Wechselspiel von persönlicher Annäherung und sachorientierter Kontextualisierung“574 in den Unterricht eingeführt und eröffnet so eigene Berührungsmöglichkeiten mit Religion im geschützten Raum der didaktischen Inszenierung. Nach Hull kann das „Numen“ in einem Begriff dargestellt werden, einer Figur, einem liturgischen Vollzug, einem Musikstück, einem Bild oder einem Text, mit dem die Lernenden im Verlauf der Begegnung „bekannt gemacht werden.“575 Wichtig ist vor allem, dass sich darin – ganz im Sinne performativer Religionsdidaktik – ein „Stück Religion“576 zeigt, das auf den Vollzugssinn verweist, für den es steht. Mendl sieht darin „selbstsprechende Elemente einer Religionsgemeinschaft, mit denen über narrative und präsentative Phasen die performative Kraft der Religion verdeutlich werden kann.“577 Solche „Kraft“ gilt es nach Mendl im schulischen Unterricht so unmittelbar und persönlich erlebbar zu gestalten, wie dies unter den Prämissen des Überwältigungsverbots und dem achtsamen Umgang mit fremden Ritualen, Gebräuchen und Artefakten überhaupt denkbar ist.578 572 M endl , Religion erleben, S. 271. 573 John M. Hull: A Gift to the Child. A New
Pedagogy for Teaching Religion to Young Children, in: RelEd 91 (1996), S. 172–188. 574 Ebd., S. 273; vgl. John M. Hull: Religious Education as Encounter. From Body Worlds to Religious Worlds, in: Religious Education as Encounter. A Tribute to John M. Hull, hg. v. Siebren M iedema , Religious Diversity and Education in Europe 14, Münster 2009, S. 21–34. Mendls Ausführungen zum Ansatz „A Gift to the Child“ beziehen sich u. a. auf ein Praxisbuch zu christlich-muslimischen Begegnungen, in dem Karlo Meyer den Ansatz der englischen Religionsdidaktiker auf die deutsche Grundschule überträgt. Vgl. K arlo M eyer: Lea fragt Kazim nach Gott. Christlich-muslimische Begegnungen in den Klassen 2 bis 6, Göttingen 2006. Vgl. ferner aus katholischer Perspektive C lauẞ P eter Sajak: ‚Das Fremde als Gabe entdecken‘. Anregungen aus England für eine Didaktik der Religionen im katholischen Religionsunterricht, in: rhs 49 (2006), S. 223–238. 575 John M. Hull: Glaube und Bildung. Ausgewählte Schriften Bd. 1, Berg am Irchel 2000, S. 144 (Hervorhebungen FD). 576 Ebd., S. 144. 577 M endl , Religion erleben, S. 273. 578 Der Frage nach „Grenzen und Gratwanderungen des Performativen“ widmet sich
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Als methodische Konkretionen entfaltet Mendl vor allem solche Zugänge, die direkte Begegnungen mit Gläubigen fremder Religionen sowie deren heiligen Räumen und Gegenständen eröffnen. Die konkret vorgestellten Ideen reichen von Exkursionen in die örtliche Moschee oder das buddhistische Zentrum über das Basteln von Synagogen-Modellen mitsamt den dazugehörigen Einrichtungsgegenständen bis hin zu sorgfältig vorbereiteten Befragungen von Vertretern fremder Religionsgemeinschaften. Darüber hinaus empfiehlt Mendl aber auch eigene Gestaltungsaufgaben, die alle ein hohes Maß an Handlungsorientierung erkennen lassen. So Mendl schlägt vor, interreligiöse Feste auszurichten, ein Planspiel zum Bau einer neuen Moschee durchzuführen oder Tänze, Lieder und Kochkünste aus anderen religiösen Kulturkreisen auszuprobieren.579 Gerade das gemeinsame Feiern von Festen würdigt Mendl als „besondere performative Handlungsform“580, die es in interreligiöse Lernarrangements einzuflechten gelte. Unabhängig davon, ob in diesen Feiern Vertreter einer Religion die Angehörigen einer anderen Religion zu einem Fest einladen, oder ob Menschen verschiedener Religionen in einem multireligiösen Fest zu Wort kommen: Stets seien die beiden Prämissen zu berücksichtigen, dass erstens synkretistische Tendenzen vermieden werden müssen und zweitens gegenseitige Missionierungsversuche ausgeschlossen bleiben.581 Das interreligiöse Praxisfeld zeigt exemplarisch, dass Mendls Konzept performativer Religionsdidaktik weit über die Bereiche Liturgiedidaktik und Bibeldidaktik hinausragt. Religion erleben zu können bildet in diesem Unterrichtskonzept die für alle religionspädagogischen Praxisfelder entscheidende Maßgabe für die Gestaltung und den Vollzug gelingender Lernprozesse. Die Verschränkung von kognitiven und affektiven Lernzielen stellt dabei in sämtlichen Zugängen zum Lerngegenstand Religion das einende Moment dar. Mendl anhand der unterrichtlichen Behandlung von muslimischen Gebetshaltungen. Während einerseits Religionsunterricht nicht darauf abzielen dürfe, „so zu tun, als ob man ein Muslim wäre“, könne man durchaus versuchen, „sich in eine bestimmte Körperhaltung der Gebetssequenz der Muslime zu begeben und ihre Wirkung zu erspüren“, denn ein solches Setting ziele zuerst auf „die Erarbeitung von Bedeutungsfeldern“ – und damit weder auf Profanisierung noch auf Missionierung. M endl , Religion erleben, S. 276 f. 579 Vgl. ebd., S. 288; M endl , Religionsdidaktik, S. 133. 580 Hartmut Rupp und Christoph Scheilke unterscheiden sogar vier Modelle des interreligiösen Feierns und Betens: Die „liturgische Gastfreundschaft“, in der eine Religion die andere z. B. zu einem Gottesdienst einlädt; die „multireligiöse Feier“, in der Menschen verschiedener Religionen nebeneinander zu Wort kommen; die „interreligiöse Feier“, in der etwas Verbindendes in gemeinsamen Gebeten, Lesungen usw. zum Ausdruck gebracht wird; die „religiöse Feier für alle“, in der Menschen unterschiedlicher Weltanschauungen und Religionen in einem allgemeinen religiösen Rahmen zusammenkommen und dort Fragen, Hoffnungen etc. zum Ausdruck bringen. Diese vier Modelle finden sich aufgelistet bei M endl , Religion erleben, S. 279. 581 Mendl formuliert diese beiden Prämissen in Anlehnung an die Regeln für interreligiöse Feiern, die Stephan Leimgruber in seiner Didaktik des interreligiösen Lernens ausgearbeitet hat: vgl. Stephan Leimgruber: Interreligiöses Lernen, München 2007; vgl. M endl , Religion erleben, S. 279.
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3.4.2 Mirjam Schambeck und das mystagogische Lernen Im Vergleich zu den bisher dargestellten Entwürfen zum performativen Religionsunterricht nimmt Mirjam Schambecks Ansatz in mehrfacher Hinsicht eine Sonderstellung ein. Innerhalb der evangelischen Fachdiskussion fanden ihre Arbeiten bisher vergleichsweise wenig Beachtung.582 Dies erstaunt schon deshalb, weil ihrer Spielart eine sehr eigene Auffassung performativer Religionsdidaktik zugrunde liegt. Zuerst fällt auf, dass Schambeck ihr Konzept terminologisch abgrenzt. Sie spricht bevorzugt von „mystagogische[m] Lernen“583 statt von „performativem Religionsunterricht“. Erst in einem zweiten Schritt bezeichnet sie diesen Ansatz als „Konkretion“584 einer performativen Religionsdidaktik. Darüber hinaus bilden für Schambeck nicht die Ausdrucksgestalten des gelebten Christentums den Ausgangspunkt ihrer Überlegungen, sondern die Gotteserfahrung als Grundimpuls des christlichen Glaubens. Diese gelte es im Religionsunterricht zu ermöglichen. Und schließlich verzichten Schambecks Lernarrangements im Unterschied zu den evangelischen Entwürfen performativer Religionsdidaktik auf das Inszenieren von „Probehandeln“ im Sinne eines experimentierenden und im Schutz einer Rolle auszuführenden Handelns im „Modus des Als-ob“. Mit Blick auf die in diesem Teilkapitel angestrebte Konturierung des breiten Spektrums als „performativ“ zu bezeichnender Entwürfe erfordern gerade diese Unterscheidungen eine genauere Untersuchung.
3.4.2.1 Religionsunterricht und Gotteserfahrung Schambeck geht von der Einsicht aus, dass christliche Religion und christlicher Glaube für viele Menschen zu etwas Fremden geworden sind. Dies gilt für sie sowohl für den „Gehalt“ wie auch für die „Gestalt“585 von Glaube und Religion. Schambeck entwickelt ihren religionsdidaktischen Ansatz von dieser Fremdheitsprämisse aus. Während ihre Situationsanalyse in der Feststellung 582
So gehen weder D omsgen, Performativer Religionsunterricht, S. 37–40, noch GrethFachdidaktik Religion, S. 234–264 in ihren Zusammenfassungen der Anliegen einer performativen Religionsdidaktik auf Schambecks Ansätze ein. Auffallend ist zudem, dass sich auch die evangelischen performativen Didaktiker kaum mit Schambecks Ansatz auseinander setzen. Eine Ausnahme bilden hier Klie und Dressler, die zumindest auf Schambeck eingehen, sie aber verkürzend „der katholischen Rezeption des Performanzgedankens“ zuordnen, die ihrer Ansicht nach insgesamt die Grenze des schulisch Machbaren überschreite, indem sie einen Unterricht im Blick habe, „der sich seinem Gegenstand unvermittelt ausliefert“. K lie / Dressler , Rezeption und Diskussion, S. 235 f. (Hervorhebung FD) Diese Ausnahme kann m. E. eher als Beispiel für die stark generalisierende Wahrnehmung der katholischen Ansätze performativer Religionsdidaktik aus Sicht der evangelischen Didaktiker gelten, die weiterer Präzisierung bedarf. Vgl. hierzu kritisch Stellung beziehend § 4, Kap. 2.10 „Performative Religionsdidaktik im Lichte konfessioneller Kooperation“. 583 S chambeck , Mystagogisches Lernen(1), Titelformulierung. 584 M irjam S chambeck : Religion zeigen und Glauben lernen in der Schule? Zu den Chancen und Grenzen eines performativen Religionsunterrichts, in: RpB 58 (2007), S. 61–80, 72. 585 S chambeck , Glauben lernen, S. 61. lein,
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des Traditionsabbruchs noch Ähnlichkeiten mit den Entwürfen von Dressler, Klie und anderen evangelischen Religionspädagogen aufweist, unterscheidet sie sich von ihnen hinsichtlich der daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen. Ihr geht es weniger darum, das Ende der Selbstverständlichkeit einer christlichen Bildungssozialisation als Chance aufzunehmen, um neue Formen religiöser Ausdrucksgestalten in einem ergebnisoffenen „Spiel mit den Zeichen“ (Klie) zu entwickeln.586 Vielmehr möchte Schambeck dem Religionsunterricht ganz neue Wege eröffnen, damit dieser auch unter den veränderten Bedingungen „das Essentielle des Christlichen […] wieder einholen“587 kann. Dieses „Essentielle“, das jegliches unterrichtliches „Reden über Religion“ begründet, nimmt in Schambecks didaktischem Theoriegebäude die Frage nach Gott bzw. die individuelle „Gotteserfahrung“ ein, die diese Frage existentiell fundiert.588 „Gotteserfahrung“, so stellt Schambeck in Anlehnung an Karl R ahners Gedanken zur Selbstmitteilung Gottes fest, geht jeder „Glaubensreflexion schon immer voraus“589. Auffällig ist hierbei auch im Hinblick auf Schambecks Begründungstradition, dass sie die Grundzüge hinsichtlich ihres Verständnisses von „Mystagogie“ in einer ausführlichen Auseinandersetzung mit Rahners Gnadentheologie entwickelt, die einen wesentlichen Teil ihrer Habilitationsschrift umfasst.590 Als einzige der hier vorgestellten Religionsdidak586 Dieser Gedanke findet sich v. a. bei Dressler, vgl. § 1, Kap. 3.1.1.2 „Reagieren auf den Traditionsabbruch“. Englert spricht in diesem Zusammenhang, wie oben bereits erwähnt, von einer „Transformationsstrategie“ der evangelischen Entwürfe. Vgl. Englert, Zwischenbilanz, S. 8. 587 M irjam S chambeck : Religion lernen – Überlegungen zum mystagogischen Lernen angesichts des Fremdwerdens des christlichen Glaubens, in: Mehr als reden über Religion. 1. Arbeitsforum für Religionspädagogik 21. bis 23. März 2006. Dokumentation, hg. v. Ludwig R endle , Donauwörth 2006, S. 49–66, 49. Dies bemängelt z. B. auch Englert, Zwischenbilanz, S. 6. M. E. verfehlt Englert an dieser Stelle allerdings den Kern des Anliegens, wenn er Schambeck auf eine „Kompensationsstrategie“ festlegt. Auch in ihrem Konzept sind deutlich Prozesse der Transformation im Blick, die zwar stärker als bei den evangelischen Vertretern auf die Begegnung mit dem christlichen Gott beschränkt bleiben, aber keineswegs eine bloße Reduzierung der Kirchendistanz intendieren. So soll Religionsunterricht ihrem Ansatz nach – wie oben ausgeführt – „einen Suchprozess auslösen, damit eine Performation, ein ‚DurchBilden‘ auf Gott hin seinen Anfang nehmen kann.“ Schambeck , Religion zeigen, S. 70. Diesen Prozess versteht sie dezidiert auch als „Transformationsprozess“ (ebd.). 588 S chambeck , Religion lernen, S. 49. 589 Ebd. 590 Vgl. S chambeck , Mystagogisches Lernen(1), v. a. S. 109–212. Im Kern verweist Rahners Theologie auf die Gnade Gottes, die er als Selbstmitteilung Gottes an den Menschen versteht: „Wir kommen nun aber in die innerste Mitte des christlichen Daseinsverständnisses, wenn wir sagen: Der Mensch ist das Ereignis einer freien, ungeschuldeten und vergebenden, absoluten Selbstmitteilung Gottes.“ K arl R ahner: Sämtliche Werke, Bd. 26, Grundkurs des Glaubens. Studien zum Begriff des Christentums, hg. v. der K arl R ahner Stiftung, Düsseldorf / Freiburg 1999, S. 116. Demgegenüber verweisen sowohl die semiotisch, gestaltpädagogisch, poststrukturalistisch als auch konstruktivistisch begründeten Spielarten auf außertheologische Diskurszusammenhänge. Darin unterscheiden sich die Entwürfe performativer Religionsdidaktik im Übrigen auch von den Großkonzeptionen des 20. Jahrhunderts.
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tiker begründet Schambeck ihren Ansatz also nicht primär durch Verweise auf solche Impulse, die außerhalb theologischer Fachdiskurse erstmals formuliert wurden. Schambeck zufolge muss Religionsunterricht nach dem Traditionsabbruch neue Wege beschreiten, um die Frage nach Gott auch mit Bezügen zu eigenen Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler thematisieren zu können. Das mystagogische Lernen soll unter den aktuellen Bedingungen eine neue Möglichkeit darstellen, die Gottesfrage unterrichtlich so einzuführen, dass die Subjekte des Lernens mit der Mitte des christlichen Glaubens, nämlich der Frage nach Gott, in Kontakt kommen und darin ein eigenes Repertoire an Erfahrungen ausbilden. Entsprechend bezeichnet Schambeck ihren Ansatz auch als Spielart eines „erfahrungseröffnende[n] religiöse[n] Lernen[s].“591 Das mystagogische Lernen versteht sie demzufolge „als Weise religiösen Lernens, [die] Schülerinnen und Schüler sensibilisiert, für den Grund des christlichen Glaubens aufmerksam zu werden, sie aber auch befähigen will, den Grund des christlichen Glaubens ‚sprachfähig‘ zu machen mittels der Reflexion, mittels des Handelns und Verhaltens und mittels ästhetischer Wege.“592 In Schambecks Rückgriff auf den Begriff „Mystagogie“, der ursprünglich aus den Mysterienreligionen stammt und dort die Einweihung von Menschen in die heiligen Geheimnisse der jeweiligen Religion bezeichnet,593 deutet sich bereits an, wie dieses Unterfangen unterrichtlich in Szene gesetzt werden soll: Schambeck sieht in den beiden Teilbegriffen der Wortkomposition Mystagogie, nämlich „μύειν“ (dt.: „einweisen, unterrichten“) und „ἄγειν“ (dt.: „führen“, 591 M irjam S chambeck : Erfahrungseröffnendes religiöses Lernen. Klärungen zum performativen Religionsunterricht, in: Mitteilungen. Zeitschrift der Religionslehrerinnen und -lehrer der Erzdiözese Salzburg 1 (2013), S. 3–5, 3. 592 M irjam S chambeck : Mystagogisches Lernen(2), in: Religionsdidaktik. Ein Leitfaden für Studium, Ausbildung und Beruf, hg. v. Georg H ilger u. a., München 22012, S. 400–415, 400. 593 Vgl. Werner Simon: Art. Mystagogie. II. Religionspädagogisch und praktisch-theologisch, in: LThK3 7 (1998), Sp. 571 f.; ausführlich auch Schambeck , Mystagogisches Lernen(1), S. 7–9; Schambeck , Mystagogisches Lernen(2), S. 402. Gerade der Mystagogiebegriff hat m. E. dazu beigetragen, dass Schambecks Ansatz denjenigen Spielarten performativer Didaktik zugerechnet wurde, denen hinsichtlich des Umgangs mit dem Traditionsabbruch eine „Kompensationsstrategie“ vorgeworfen wird (so Englert, Zwischenbilanz, S. 6). Der Begriff erweckt den Eindruck, man könne unterrichtlich in die Geheimnisse einer Religion einführen und so die Distanz zur (in diesem Fall katholischen) Kirche reduzieren helfen. Besonders der ehemalige Schuldezernent des Bistums Limburg, Eckhard Nordhofen, hat diesen Eindruck mit einem Einblick in sein mystagogisches Konzept, das allerdings von Schambecks Ansatz zu unterscheiden ist, bestätigt: „Mystagogie kann ganz einfach sein. Wir lehren die Kinder, wie Weihwasser zu nehmen sei, wie eine Kirche zu betreten sei, wie und warum eine Kniebeuge zu machen sei […]. Wir lehren sie, mit Orten und Zeiten der Stille umzugehen, zu gehen, zu stehen, zu beten und zu singen. Wir verhelfen ihnen zum Erlebnis einer singenden und betenden Gemeinschaft.“ E ckhard Nordhofen: Diskursive und performative Mystagogie. Über das, was im Religionsunterricht gesagt und das, was nicht gesagt werden kann, in: Info 36/1–2 (2007), S. 7–14, 14.
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„leiten“) einen dynamischen Prozess angedeutet. In dessen Verlauf spürt der Mensch, der eingeweiht werden soll (der „Myste“, die „Mystin“), sowie der Einweisende (der „Mystagoge“, die „Mystagogin“) dem Geheimnis nach, das es im Glauben bzw. in der Religion zu entdecken und auf den eigenen Lebenskontext zu beziehen gilt.594 Das Geheimnis, nach dem sich der katholische Religionsunterricht auszurichten habe, verkörpert hierbei Gott selbst.595 Entsprechend zielen Schambecks Entwürfe in ihrem Kern darauf, „Suchprozesse auf den lebendigen Gott hin auszulösen“596, indem das biblisch bezeugte Handeln Gottes am Menschen auf die Erfahrungshorizonte der Schülerinnen und Schüler bezogen wird oder Ausdrucksgestalten des christlichen Glaubens an Gott mit der eigenen Lebensgeschichte in ein Verhältnis gesetzt werden. Religionsunterricht bekommt hier die Aufgabe zugeschrieben, Räume zu gestalten, in denen die Begegnung der Lernenden mit Gott möglich wird.597 Wo dies gelingt, ohne die Unterscheidungen zum katechetischen Unterricht in der Gemeinde aufzukündigen und die Grenzen des Lernorts Schule zu verletzen, könne mystagogisches Lernen die Schülerinnen und Schüler darin unterstützen, „über die eigene Tiefen- und Welterfahrung zu staunen, sie als Ort der Gotteserfahrung verstehen und deuten zu lernen.“598 Zwar bleibt für Schambeck unverfügbar, ob Gott sich innerhalb der religionsunterrichtlichen Settings selbst mitteilt, allerdings soll dieser Unterricht dazu beitragen, die Lernenden für die Gotteserfahrung zu „disponieren.“599 Im Hinblick auf diese potentielle Wirksamkeit der unterrichtlich inszenierten Begegnung mit der Frage nach Gott erweist sich Schambecks mystagogisches Lernen als performativ.
3.4.2.2 Mystagogisches Lernen als Konkretion performativer Religionsdidaktik Wie oben bereits verdeutlicht, zielt mystagogisches Lernen im Kern auf das Anbahnen von individuellen Erfahrungen mit dem Gott, von dem die christliche Überlieferung redet. Es geht Schambeck darum, im Religionsunterricht „einen Suchprozess aus[zu]lösen, damit eine Performation, ein ‚Durch-Bilden‘ auf Gott hin einen Anfang nehmen kann.“600 Im Unterschied zu den meisten 594 Vgl.
Schambeck , 595 Vgl. S chambeck , 596 Ebd.
Religion lernen, S. 52. Mystagogisches Lernen(2), S. 401 f.
597 Vgl.
Schambeck , Religion zeigen und Glauben lernen, S. 68. 598 S chambeck , Mystagogisches Lernen(2), S. 403. 599 Diesen religionsdidaktisch sensiblen Prozess des Beitragens
zu einem „Glaubenlernen“ beschreibt Schambeck wie folgt: „Glaubenlernen […] bedeutet, Räume zu beschreiten, die es ermöglichen, Gott zu begegnen. Für religiöse Bildungsprozesse heißt das, Dispositionen zu ermöglichen, damit der einzelne Mensch in seiner Unverwechselbarkeit sich auftun kann für den lebendigen Gott.“ Schambeck , Religion zeigen, S. 68; vgl. Schambeck , Mystagogisches Lernen(2), S. 401; ausführlich auch Schambeck , Mystagogisches Lernen(1), S. 224–250. 600 S chambeck , Religion zeigen, S. 70. Das hier anklingende „aufmerksam Werden“ für
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der bisher dargestellten evangelischen Ansätze performativer Religionsdidaktik legt sie dabei nicht den Schwerpunkt auf ein Verständnis des Christentums als „Inszenierungsreligion“601, sondern sieht gerade in diesem Moment der Erfahrungseröffnung dessen potentielle Wirkmächtigkeit begründet. Mystagogisches Lernen „eröffnet über die Reflexion des Glaubens Möglichkeiten, in denen sich die Wirklichkeit des Glaubens ereignet und von den Subjekten des Glaubens erfahren, gestiftet, gesetzt wird“602. Er erweist sich in eben dieser Hinsicht als Konkretion eines performativen Religionsunterrichts. Die Funktion der Ausdrucksgestalten christlichen Glaubens ist folglich in Schambecks Ansatz unterschiedlich zu bewerten: Während diese Gestalten etwa bei Schroeter-Wittke als zentrale Konstituenten der äußerlich wahrnehmbaren Performance des Christentums angesehen werden, hinter deren äußerlicher Inszenierung keine von der Ausdrucksform unabhängige „Wahrheit“ angenommen werden könne, die diese Inszenierung überdauere,603 fungieren die christlichen Ausdrucksgestalten bei Schambeck vor allem als Mittel, mit deren Hilfe unterrichtlich für eigene Gotteserfahrung sensibilisiert wird. Die Beschäftigung mit Liturgie, Narration und insgesamt den Praxisformen christlich-gelebten Glaubens lohne sich, weil darin stets das Geheimnis Gottes anklinge: „In ihnen [den Ausdrucksgestalten des christlichen Glaubens] zeigt sich der lebendige Gott, wird deutbar, identifizierbar und erhält ein Gesicht.“604 In Schambecks methodischen Konkretionen fällt auf, dass sie neben gottesdienstlicher Liturgie, Ritualen und biblischen Texten605 insbesondere auch künstlerische Darstellungen berücksichtigt, wie das folgende Unterrichtsbeispiel verdeutlicht. Schambeck zeigt darin anhand von Rembrandts Bild „Die Rückkehr des verlorenen Sohnes“, wie es ihrer Ansicht nach in der Arbeit mit Schülerinnen und Schülern gelingen kann, dass sich diese einerseits des Handelns Gottes an den Menschen bewusst werden und andererseits potentiell aufmerksam werden für Gottes Handeln in ihrem eigenen Leben.606 individuelle Gotteserfahrungen bezeichnet Schambeck in ihrer Habilitationsschrift als das „Proprium mystagogischen Lernens“. Schambeck , Mystagogisches Lernen(1), S. 284 f. 601 K lie , Wort, S. 175. Vgl. § 1, Kap. 3.1.2.1 „Religion und ihre Außenseiten“. 602 S chambeck , Religion zeigen, S. 72. 603 Vgl. § 1, Kap. 3.3.2.1 „Die Brisanz des performative turn“. 604 S chambeck , Religion zeigen, S. 68. Vgl. Höring, Rückkehr zur Materialkerygmatik, S. 199. 605 Gerade der Bibeldidaktik widmet sich Schambeck ausführlich. Auch ihre viel beachtete „bibeltheologische Didaktik“ kann als Konkretion eines performativen Religionsunterrichts verstanden werden. Vgl. M irjam Schambeck: Bibeltheologische Didaktik. Biblisches Lernen im Religionsunterricht, Göttingen 2009. Diese Einschätzung stützt nicht zuletzt die Beobachtung, dass sie diesen bibeldidaktischen Ansatz in einem Band vorstellt, der performative Religionsdidaktik und Bibeldidaktik aufeinander zu beziehen sucht. Vgl. M irjam Schambeck: Wenn Leben sich in Texte webt … Der Ansatz der bibeltheologischen Didaktik, in: Performative Religionsdidaktik und biblische Textwelten, hg. v. Thomas K lie , R ainer M erkel und Dietmar P eter , Rehburg-Loccum 2012, S. 79–87. 606 Vgl. S chambeck , Religion lernen, S. 59.
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In einem ersten Schritt wird das Bild nur in dem Ausschnitt präsentiert, der die Hände des Vaters zeigt, die auf den Schultern des vor ihm knienden Sohnes liegen. Zunächst sollen die Schülerinnen und Schüler die Hände in Ruhe betrachten bzw. „bei ihnen […] verweilen“607, bevor in Gruppen ein Cluster mit Assoziationen sowie Beschreibungen der Hände angefertigt wird. Schon in dieser Phase können die Schülerinnen und Schüler feststellen, dass die „Hände eines Menschen ‚sprechen‘ können“, dass sie also Deutungsmöglichkeiten hinsichtlich der „Weltbegegnung und der Weltgestaltung“608 eröffnen. Im Anschluss an die Gruppenarbeit wird das gesamte Bild präsentiert. Während in der Betrachtung für die Schülerinnen und Schüler der Bezug zu Lk 15,20 ff. transparent wird, können sie nun die Hände des Vaters als die Hände Gottes „verstehen“ und auch die Ergebnisse ihres Clusters entsprechend übertragen. Das Ergebnis dieser Phase könnte nach Schambeck lauten: „So wie der Vater seinen Sohn empfängt, wie er ihn tröstet, ihn zärtlich berührt, ihn aufrichtet und stärkt, so will Gott für uns sein.“609 Dies soll aus Schülersicht gleichsam „irritieren, aufschrecken, Ablehnung hervorrufen“, aber auch „wohltuende Überraschung, Staunen, Freude und Dankbarkeit“610 herbeiführen. In jedem Fall erwartet Schambeck aber schon hier eine Übertragung der Einsicht vom Handeln Gottes am Menschen auf die Lebenssituation der Schülerinnen und Schüler. Der dritte Lernschritt führt daraufhin weitere markante Bibelstellen ein, in denen Aspekte des Handelns Gottes am Menschen erkennbar werden. Sämtliche dieser Bibelstellen werden mit weiteren Bildern Rembrandts in Beziehung gesetzt (z. B. „Jakob ringt mit dem Engel“ zu Gen 32,23–33; „Opferung Isaaks“ zu Gen 22,1–19 u. a.).611 In Auseinandersetzung mit dem Material sollen die Lernenden einerseits zu der Einsicht kommen, dass es „ganz unterschiedliche ‚Bilder‘ von Gott gibt“612, diese aber anderseits Einblicke in sein Handeln am Menschen erlauben. Sie können also verdeutlichen, „dass Gott in der Geschichte der Menschen anwesend ist, […] dass ihm die Menschen teuer und wertvoll sind und dass diese Zusage schließlich für jeden gilt, auch für mich.“613 In diesem letzten Halbsatz zeigt sich erneut, dass Schambecks Ansatz eine Übertragung der im Religionsunterricht gewonnenen Einsichten auf die Ebene der persönlichen Erfahrung stets im Blick hat. Diese Beobachtung bestätigt der letzte in ihrem Unterrichtsbeispiel vorgeschlagene Lernschritt. Darin sollen die Schülerinnen und Schüler im An607
Ebd. Ebd. Ebd., S. 60. 610 Ebd. 611 Eine Auflistung der verwendeten Bilder und Textstellen findet sich ebd., S. 60 f. 612 Ebd., S. 61. 613 Ebd. 608 609
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§ 1 Theoretische Fundierung performativer Religionsdidaktik
schluss an das Gelernte ein Gedicht verfassen, indem sie beschreiben, „wer Gott für sie ist, ob und wie sie ihn in ihrer Welt und ihrem Leben ‚am Werk‘ sehen.“614 Der kreative Schreibimpuls ermöglicht den Lernenden hier, sich zu den gewonnenen Einblicken zu verhalten. Dies gilt für alle Lernenden, dezidiert einschließlich derer, die nicht glauben, dass Gott in ihrem Leben „am Werk“ ist. Gleichwohl deutet sie anschließend die Schülerprodukte entsprechend ihrer oben formulierten Erwartungen an das mystagogische Lernen als Ausdrucksformen einer Begegnung der Schülerinnen und Schüler mit Gott: In den Gedichten „wurde Gottes Handeln am Menschen […] vernehmbar: als Anrühren des Menschen, den Gott als sein DU will und erschafft“615. Auffällig ist, dass in Schambecks Entwurf an keiner Stelle vom Angebot eines Rollenschutzes die Rede ist, was für die meisten evangelisch-performativen Entwürfe in vergleichbaren Lernarrangements elementar wäre. Wer in diesem Setting ein Gedicht vorträgt, äußerst sich ungebrochen zur ganz persönlichen Gottesbeziehung, die damit auch für die sich selbst als nicht gläubig bezeichnenden Mitschülerinnen und Mitschüler in Anspruch genommen wird. Insofern inszeniert Schambeck hier kein „Probehandeln“ im Sinne eines unverbindlichen und von den subjektiven Einstellungen zu Religion unabhängigen Probierverhaltens. Gerade die oben zitierte Interpretation der Lernergebnisse verdichtet noch einmal die Zielsetzung des mystagogischen Lernens nach Schambeck. Es wird versucht, mittels unterschiedlicher Ausdrucksformen christlich gelebten Glaubens die Gottesfrage in den Unterricht einzuführen, um schließlich eigene Gotteserfahrungen der Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht zu ermöglichen und zur Sprache zu bringen.
4 Zwischenfazit Die systematische Untersuchung der vorliegenden Ansätze performativer Religionsdidaktik hat zunächst zu einem negativen Ergebnis geführt: Bis heute ist die religionspädagogische Rezeption des Performanzbegriffes nicht in ein zusammenhängendes oder gar einheitliches Konzept für den Religionsunterricht eingemündet. Von der performativen Religionsdidaktik lässt sich daher auch nur insofern sprechen, als verschiedene Entwürfe der Religionsdidaktik verschiedene Bedeutungsspektren des Performativen in unterschiedlicher Weise in Anspruch nehmen. Schon das Attribut „performativ“ selbst, so wurde in den „Vorklärungen zum Begriff des Performativen“616 deutlich, ist als umbrella 614
Ebd. 615 Ebd., S. 62. 616 Vgl. § 1, Kap. 2
„Vorklärungen zum Begriff des Performativen“. Im Rahmen dieses Zwischenfazits muss vermehrt auf einzelne Gedanken, Aussagen und Ergebnisse aus den vorherigen Teilkapiteln rekurriert werden. Deshalb werden im folgenden Teilkapitel einige bereits
4 Zwischenfazit
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term zu betrachten, der etwa auf sprachphilosophische, theater- oder kulturwissenschaftliche, aber auch erziehungswissenschaftliche Theoriediskurse verweist. Aus den jeweiligen Bezugsgrößen ergeben sich unter dem gemeinsamen Oberbegriff differente Impulse für die Religionsdidaktik. Als eine Ursache für derartige Differenzierungen wurde festgestellt, dass die hier vorgestellten Ansätze zumeist selektiv, keinesfalls aber einheitlich auf die verschiedenen Diskurszusammenhänge zum Performanzbegriff eingehen bzw. sich damit auseinandersetzen. Statt der performativen Religionsdidaktik wurden hier sowohl evangelische als auch katholische Ansätze vorgestellt, die in je unterschiedlicher Weise als „performativ“ bezeichnet werden müssen und die untereinander erhebliche fachdidaktische Differenzen aufweisen. Im Folgenden sollen solche Unterschiede, die sich in der bisherigen Darstellung schon abgezeichnet haben, zugespitzt dargestellt werden. Dies erfolgt zusammenfassend entlang der eingangs aufgestellten Untersuchungskategorien (1. Situationsanalysen, 2. Begründungstraditionen, 3. didaktische Theoriegebäude, 4. methodische Konsequenzen). Der Zielsetzung dieses ersten Kapitels entsprechend liegt der Fokus auch in dessen abschließendem Zwischenfazit auf der präzisierenden Darstellung der performativen Ansätze und ihrer unterschiedlichen Schwerpunkte. Erst im abschließenden, handlungsorientierenden Kapitel dieser Arbeit sollen die argumentative Tragfähigkeit, die theologische Berechtigung und die praxisbezogene Reichweite der verschiedenen Entwürfe kritisch beurteilt werden (§ 4). Auch die Frage, ob die in der Verwendung des Performanzbegriffes mancherorts bereits postulierte „performative Wende“617 tatsächlich einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel in der Religionsdidaktik herbeigeführt hat oder noch herbeizuführen vermag, kann erst dort und unter Berücksichtigung der weiteren Untersuchungsteile fundiert beantwortet werden. In diesem Zwischenfazit geht es vorerst darum, mithilfe der oben genannten Untersuchungskategorien herauszuarbeiten und festzuhalten, was das Etikett „performative Religionsdidaktik“ in Bezug auf die Theorie und Praxis des schulischen Religionsunterrichts bezeichnen, implizieren und beanspruchen kann. Die Situationsanalysen (1) des zeitgenössischen Religionsunterrichts, die den hier untersuchten „Spielarten“ performativer Religionsdidaktik zugrundeliegen, lassen sich in unterschiedlichen Gewichtungen auf zwei wesentliche Defizitanzeigen hin zuspitzen. Die erste bezieht sich auf die religionssoziologische These des Traditionsabbruchs. Ihr zufolge ist eine christlich geprägte Bildungssozialisation der Schülerinnen und Schüler längst nicht mehr selbstverständlich vorauszusetzen. Christliche Religion sei in der Lebenswelt der Heranwachsenden an den Rand gerückt, wenn sie überhaupt noch darin vorkomme. Die Einangeführte Zitate wiederholt. In solchen Fällen, in denen diese an anderer Stelle ausführlich erläutert wurden oder programmatisch die Positionen der jeweiligen Didaktiker veranschaulichen, sind zudem Rückverweise auf die entsprechenden Teilkapitel angeführt. 617 So z. B. von K lie , performative Wende, S. 49.
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§ 1 Theoretische Fundierung performativer Religionsdidaktik
sicht in diesen Sachverhalt wurde für viele performativ denkende Didaktiker zum entscheidenden Anlass, sich allererst einer performativen Didaktik zuzuwenden und diesen Schritt als notwendig zu beschreiben.618 Allen voran präzisiert Bernhard Dressler die Folgen der Transformation des Christentums zur „Fremdreligion“619 im Hinblick auf den evangelischen Religionsunterricht. Weil die „erinnernde Vergegenwärtigung“620 des Christusereignisses in Form von religiöser Praxis erfolge, sei der „Gehalt“ der christlichen Religion unmöglich losgelöst von deren äußerlich wahrnehmbaren Außenseiten, ihrer „Gestalt“, zu erschließen. „Die christliche Religion“, so die zentrale These Dresslers in Anlehnung an Schleiermacher, könne „nicht mitgeteilt werden […], ohne immer auch zugleich dargestellt zu werden.“621 Eine religionssoziologische Differenzierung der These vom Traditionsabbruch bietet die Situationsanalyse Hans Mendls, dort besonders in der würdigenden Berücksichtigung zunehmender Tendenzen individualisierter und kirchenferner Formen von Religiosität. Mendl sieht entsprechend im „Auseinanderdriften von subjektiver und objektiver Religion“622 die wesentliche Herausforderung des katholischen Religionsunterrichts. Ein diesbezüglich gemeinsamer Nenner der performativen Ansätze lässt sich in der Einsicht zusammenfassen, dass im zeitgenössischen Religionsunterricht selbst die grundlegenden Formen und Gestalten gelebten christlichen Glaubens nicht mehr als bekannt vorausgesetzt werden können.623 Darin ist nach dieser Sichtweise die Notwendigkeit begründet, potentielle Erstkontakte mit Formen des gelebten christlichen Glaubens im Unterricht zu inszenieren. Neben der religionssoziologischen These vom Traditionsabbruch ist als weitere Begründung für die Ausbildung performativer Ansätze in der Religionsdidaktik zu nennen, dass erhebliche didaktische Defizite in der zeitgenössischen Praxis des Religionsunterrichts festgestellt werden. Dieser spezifisch fachdidaktischen Kritik zufolge wird christliche Religion im Religionsunterricht nicht angemessen repräsentiert, weil schulische Lernsettings einseitig diskursiv und 618 Von den hier untersuchten Autoren gilt diese Beobachtung insbesondere für Dressler und Klie, aber auch für Leonhard, Schroeter-Wittke, Mendl (dort v. a. als „Wandel der Religionen“ bezeichnet, s. o.) und Schambeck. Sie ist weniger ausschlaggebend für Zilleßen und Bizer. Während Bizer vor allem regelmäßig auf seine Unzufriedenheit mit den Lernbedingungen und der Gestalt des Religionsunterrichts in der Schule verweist, führt Zilleßen insbesondere Impulse einiger philosophischer und systematisch-theologischer Strömungen des 20. Jahrhunderts an, die s. E. ein Umdenken in der Religionsdidaktik implizieren. 619 Bergau -Braune , Traditionsabbruch, S. 43. 620 D ressler , Darstellung und Mitteilung, S. 11; vgl. § 1, Kap. 3.1.1.2 „Reagieren auf den Traditionsabbruch“. 621 Ebd., S. 13; vgl. § 1, Kap. 3.1.1.2 „Reagieren auf den Traditionsabbruch“. 622 M endl , Religion erleben, S. 16; vgl. § 1, Kap. 3.4.1.2 „Mendls Problemanzeige und didaktische Schlussfolgerung“. 623 Lediglich Bizer und Zilleßen unterscheiden sich in dieser Hinsicht von den anderen Vertretern performativer Religionsdidaktik. Vgl. § 1, Kap. 3.2.1.1 „Zur Ausgangslage: Bizers Kritik an den Bildungsinstitutionen“ und 3.3.1.1 „Philosophische und theologische Begründungen“.
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kognitiv ausgerichtete Lernmuster und Methoden bevorzugen. Einige Entwürfe heben diese These sogar noch nachdrücklicher als jene von der Herausforderung des Traditionsabbruchs hervor.624 So bezeichnet Thomas Klie zwar in polemischer Zuspitzung, aber im Kern übereinstimmend mit anderen performativ denkenden Didaktikern den traditionellen Religionsunterricht als „Kopierpapier-gestützte[n] Unterricht“625, dessen Lernwege auf Kosten des ganzheitlichen Verstehens von Religion weithin auf sinnliche Elemente wie Tasten, Schmecken, Hören, Sehen, Riechen und die Entfaltung kreativ-spielerischer Potentiale verzichten. Damit wird Religion nach Einschätzung von Klie wenig ansprechend und letztlich kaum zur Auseinandersetzung einladend im Unterricht dargestellt. Hier klingt bereits jene scharfe Kritik an den Formen schulisch-religiöser Bildung an, wie sie vor allem Christoph Bizer in seinen Entwürfen formuliert. Dort werden die Vorwürfe zu einer grundsätzlichen Kritik an der Bildungsinstitution Schule ausgeweitet. Während Bizer, wie oben gesehen, die These vom Fehlen einer religiösen Vorbildung bei den Schülerinnen und Schülern für „dummes Zeug“ hält, verkörpert die Schule für ihn eine „verknechtete Institution“, in deren Kontext besonders die religiöse Bildung „sehr schlimm dran“626 sei. Die Ursache für dieses vernichtende Urteil sieht Bizer in der sowohl didaktischen als auch methodischen Engführung aller religiösen Lerngegenstände auf deren inhaltlich bestimmbare „Gehalte“. Anknüpfend an Bizer beklagt auch Leonhard eine „Entkörperung der Schule“627 sowie eine dort zumeist „übergangene Sinnlichkeit“628, die grundsätzlich dazu führt, dass Religion im schulischen Unterricht nicht ihrer Sache entsprechend angemessen zur Darstellung kommt. In weithin übereinstimmender Diagnose des herkömmlichen Religionsunterrichts beklagen die Vertreterinnen und Vertreter performativer Religionsdidaktik die Dominanz kognitiv-analytischer Lernstrukturen und Methoden. Zeitgenössischer Religionsunterricht, so könnte man diesbezüglich als gemeinsamen Aufruf performativer Religionsdidaktik festhalten, darf sich nicht im „Reden über Religion“629 erschöpfen. 624 Dies gilt insbesondere für die gestaltpädagogisch begründeten Spielarten von Bizer und Leonhard, durchaus aber auch für die Ansätze von Klie und Zilleßen. Von den hier untersuchten Spielarten zeichnet einzig Mendl ein weitgehend positives Bild des Religionsunterrichts, den er in seiner aktuellen Form als „Flaggschiff eines gesellschaftsoffenen Christentums“ (M endl , Religion erleben, S. 17) versteht. 625 K lie , Wort, S. 105; vgl. § 1, Kap. 3.1.2.2 „Religionsunterricht als theatrales Geschehen“. 626 Bizer , Gestaltpädagogische Elemente, S. 7.14; vgl. § 1, Kap. 3.2.1.1 „Zur Ausgangslage: Bizers Kritik an den Bildungsinstitutionen“. 627 Leonhard, Leiborientierte Wahrnehmung, S. 353, vgl. § 1, Kap. 3.2.2.1 „Der Körper als Lernort“. 628 Leonhard, Leiblich lernen, S. 22. 629 S chmid, Mehr als Reden, S. 2; vgl. § 1, Kap. 3.4 „Performative Didaktik in katholischer Auslegung“.
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§ 1 Theoretische Fundierung performativer Religionsdidaktik
Mit Blick auf die zweite Untersuchungskategorie hat diese Studie auf eine bemerkenswerte Vielfalt an philosophischen, pädagogischen und kulturwissenschaftlichen Begründungstraditionen (2) hinweisen können, die von den hier vorgestellten Religionsdidaktikern schwerpunktmäßig rezipiert werden. Die Begründungstraditionen unterscheiden sich nicht nur erheblich hinsichtlich ihrer religionspädagogischen Implikationen, sondern stützen in den Einzelentwürfen auch je verschiedene Verständnisse von Performanz und Performativität. Im Verlauf der Analyse wurden sie deshalb ebenfalls als wesentliche Ursache für die differenten didaktischen Theoriegebäude beschrieben. Zuerst lässt sich in vielen der hier betrachteten Fälle eine Tendenz hin zu philosophisch- oder sprachwissenschaftlich-relativistischen Theorien erkennen. Insbesondere der Poststrukturalismus, aber auch der Konstruktivismus und die Semiotik können hierfür als Beispiele gelten. In Anlehnung etwa an Derrida, Foucault und Lacan betont vor allem Dietrich Zilleßens Didaktik die grundsätzliche Uneindeutigkeit religionspädagogischer Bedeutungskonstruktion. Jenseits von individueller Wahrnehmung und diskursiver Verstrickung sei schlechterdings keine objektive Bedeutung von Aussagen über die Welt belegbar, argumentiert Zilleßen im Anschluss an Derrida und Foucault. In der Sprache des gemäßigten Konstruktivismus Mendls hat dieser Gedanke für Schülerinnen und Schüler des Religionsunterrichts zur Folge, dass ihr Lernen als subjektive Konstruktion von Sinn verstanden und aufgewertet wird: Lernprozesse sind aktive Interpretationsleistungen in Auseinandersetzung mit mehrdeutigen Lernangeboten, „Perturbationen“630 der subjektiven Weltwahrnehmung. Mendls Konstruktivismus erscheint insofern gemäßigt, als er vornehmlich solche Ansätze rezipiert, die bewusst offenlassen, ob den subjektiven Konstruktionen auch eine objektive Wirklichkeit entspricht oder nicht. Im Gegensatz dazu spitzt Harald Schroeter-Wittke unter Rückgriff auf Fischer-Lichtes Performativitätstheorie und Butlers Genderkonzept die poststrukturalistischen Leitgedanken weiter zu: Weil außerhalb von subjektiver Wahrnehmung und individueller Bedeutungskonstruktion nichts von objektiver Bedeutung sei, könne nur das als real angenommen werden, was sich in konkreter Performance zeige. Dieser radikal-performative Ansatz speist sich, so wurde deutlich, aus einem primär theaterwissenschaftlich verankerten Performanzbegriff. Ihm zufolge verweist die Bedeutung performativer Vollzüge auf nichts, das außerhalb ihrer situativen und flüchtigen Darstellung bereits gegeben wäre. In dieser Hinsicht führt der Rückgriff von Klie und Dressler auf die Semiotik zu einem anderen Ergebnis. Zwar betont auch die Semiotik die kommunikative Prozesshaftigkeit und damit die Unverfügbarkeit von Bedeutungszuschreibungen; andererseits hebt
630 M endl , Konstruktivismus, S. 16; vgl. § 1, Kap. 3.4.1.1 „Die konstruktivistische Begründung“.
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ihr „Kontextualitätsprinzip“631 aber auch deutlich den nicht-zufälligen Rahmen hervor, in dem Kommunikation über Zeichen stattfindet. Peirce verweist wie oben beschrieben auf das semiotische Dreieck, nämlich „a sign, its object and its interpretant“632, als diejenigen Variablen, die im Prozess der Semiose Bedeutungszuschreibungen generieren und aufeinander bezogen werden. Im Unterschied zu radikal-poststrukturalistischen Begründungen führt deshalb nach Eco ein semiotisch fundierter Lernbegriff nicht notwendig zu einer Inszenierung der „Spielwiese […] einer freien Interpretation“633. Eine Sonderrolle nimmt in diesem Zusammenhang die gestaltpädagogisch begründete performative Religionsdidaktik Bizers ein. Gestaltpädagogik versteht Lernen nicht als Bedeutungskonstruktion im Sinne eines – mehr oder weniger – ergebnisoffenen Spiels mit prinzipiell mehrdeutigen Zeichen, sondern vielmehr als Erfassen und Organisieren der Wirklichkeit in „Ganzheiten“634. Solche Ganzheiten formt das wahrnehmende Subjekt im leib-räumlichen „Kontakt“635 mit der Umwelt. Bizer geht von der gestaltpädagogischen These aus, dass Lernen stets ganzheitliche Kontaktaufnahme mit den Lerngegenständen einschließt. Daraus leitet er sein Plädoyer für Vollzüge der „Begehung“636 von religiösen Ausdrucksgestalten im Religionsunterricht ab. Im Unterschied zu den konstruktivistisch, poststrukturalistisch oder semiotisch begründeten Spielarten steht für Bizer dabei außer Frage, dass jede Form gelebten Glaubens über eine eigene Wesensstruktur verfügt, die „sich im Arbeitsprozeß dem Entdecker in ihrer Unverwechselbarkeit [entdeckt]“637 – und deren Gehalt keinesfalls allein vom jeweils deutenden Subjekt abhängt. In Bezug auf die Begründungstraditionen fällt zudem in nahezu allen performativen Spielarten auf, dass primär solche Impulse herangezogen werden, die außertheologischen Diskursen entstammen. Der Ansatz Mirjam Schambecks, der auf einer Rezeption der Gnadentheologie Karl Rahners fußt, bildet hier eine Ausnahme. Dieser Befund unterscheidet die Spielarten performativer Religionsdidaktik deutlich von den einflussreichen Großkonzeptionen des 20. Jahrhunderts, die erheblich stärker auf innertheologische Entwicklungen bezogen waren.638 631 632
E co, Grenzen der Interpretation. S. 435. P eirce , Collected Papers, S. 332; vgl. § 1, Kap. 3.1 „Semiotisch begründete Perfor-
manz“. 633 E co, Grenzen der Interpretation, S. 440 f. 634 S chulz , Phänomenologisch orientierte Religionspädagogik, S. 64; vgl. § 1, Kap. 3.2 „Gestaltpädagogisch begründete Performanz“. 635 P erls / H efferline / G oodman, Gestalt-Therapie, S. 11. 636 Bizer , Begehung, S. 167; vgl. § 1, Kap. 3.2.1.4 „Didaktische Konkretion: Religion zum Anfassen“. 637 Bizer , Liturgik, S. 108; vgl. § 1, Kap. 3.2.1.3 „Lernen als Gestaltbildung“. 638 Dies zeigen bereits beispielhaft die Bezüge der je unterschiedlichen Konzepte „Evangelischer Unterweisung“ auf Karl Barths Dialektische Theologie sowie diejenigen der Kon-
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§ 1 Theoretische Fundierung performativer Religionsdidaktik
Im Zentrum der didaktischen Theoriegebäude (3) aller performativen Entwürfe steht die Zielsetzung, in Auseinandersetzung mit gelebten Formen des fremd gewordenen christlichen Glaubens religiöse Bildungsprozesse zu initiieren. Performative Religionsdidaktik rückt die Außenseiten von Religion, ihre liturgischen Vollzüge, Rituale und Narrationen in den Fokus der Didaktik. Demgegenüber lehnt sie es ab, christliche Religion vorrangig im Modus der diskursiv-rekonstruierenden Vermittlung einer religiösen Lehre zu erschließen. Allerdings hat die Untersuchung aufzeigen können, dass die auf diese gemeinsame Zielsetzung hin gestalteten Didaktiken sehr unterschiedlich aussehen. So gibt es ganz verschiedene Antworten auf die fachdidaktischen Leitfragen nach der Art und Weise, wie die Begegnung mit jenen Außenseiten von Religion im Unterricht zu erfolgen habe und zu welchem Unterrichtsziel solche Begegnung führen soll. Exemplarisch lässt sich dieses Ergebnis anhand der verschiedenen Akzentuierungen des Begriffs „Probehandeln“ belegen, der insbesondere in Dresslers Ansatz einer „Didaktik des Perspektivenwechsels“639 als Schlüsselbegriff fungiert. Die semiotische Spielart performativer Religionsdidaktik zielt ausdrücklich nicht auf authentisches Nachvollziehen oder gar Einüben von religiösen Vollzügen. Stattdessen lässt sie artifizielle Probeaufenthalte in didaktisch bewusst gestalteten Settings inszenieren und macht nicht zuletzt die Artifizialität der Lernumgebungen selbst zum Thema. Lernarrangements sollen die Möglichkeit eröffnen, sich in Form von Gedankenexperimenten der Fremdreligion Christentum als unbekannter Welt zu nähern, sich in dieser Welt auszuprobieren und die entsprechenden Erfahrungen anschließend zu reflektieren. Die Unterscheidungen zwischen den unterschiedlichen Bezugssystemen sollen durch Perspektivenwechsel nachvollzogen und besprochen werden. Aus Schülersicht müssen die sorgfältig inszenierten Perspektivenwechsel zwischen Binnen- und Außenperspektive einerseits zur Erschließung eines religiösen „Modus der Weltbegegnung“640 beitragen, andererseits sollen sie einen verlässlichen Rollenschutz für die Schülerinnen und Schüler während ihrer Probeaufenthalte in den Begegnungswelten gewährleisten. Gerade die erklärte Absicht vor allem der evangelischen Spielarten performativer Didaktik, Schülerinnen und Schülern die Differenz zwischen authentischen religiösen Vollzügen und unterrichtlich inszenierter Proberealitäten durchgehend deutlich zu machen, schafft offensichtlich eine didaktische Herausforderung.
zepte „Hermeneutischen Religionsunterrichts“ auf Rudolf Bultmanns Existenziale Interpretation. Vgl. u. a. Schröder , Religionspädagogik, S. 134–147. 639 D ressler , Performanz und Kompetenz, S. 30, 27; vgl. § 1, Kap. 3.1.1 „Bernhard Dressler und Zeichendidaktik“. 640 Baumert, Deutschland im internationalen Bildungsvergleich, S. 113; vgl. § 1, Kap. 3.1.1.2 „Reagieren auf den Traditionsabbruch“.
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Diesbezüglich wurden in den hier untersuchten Spielarten unterschiedliche Stufen des Problembewusstseins erkennbar: Klie stellt zum Beispiel die fachdidaktischen Metaphern des Probehandelns und Perspektivenwechsels als Eckpfeiler seines Konzepts vor. In seinem hier untersuchten Stundenbeispiel aber sollen sich Schülerinnen und Schüler gegenseitig beim Namen nennen, während sie sich Segen zusprechen. Sie müssen sich also mit ihrer Rolle identifizieren, was mit der Maßgabe des Rollenschutzes schwerlich zu vereinbaren sein dürfte. Die Stunde lässt aus Schülersicht keine didaktische Brechung der inszenierten Teilnehmerperspektive erkennen. Ähnliches gilt für Leonhards religionsdidaktische Adaption von Gendlins „Focusing-Methode“, die sie als Paradigma für eine Didaktik der leibräumlichen Wahrnehmung von Religion im Unterricht vorschlägt. Auch das „Focusing“ eröffnet kaum erkennbare Möglichkeiten zur Selbstdistanzierung von Seiten der Lernenden. Noch weniger lassen die beiden hier untersuchten Ansätze aus der katholischen Religionspädagogik ein entsprechendes Problembewusstsein erkennen. Dies erscheint insofern folgerichtig, als sie von vornherein Dresslers Vorstellungen eines performativen Religionsunterrichts im „Modus des Als-ob“ grundsätzlich kritisieren. Während Mirjam Schambeck ganz auf den Begriff des Probehandelns verzichtet, um potentielle authentisch-individuelle Erfahrungen mit Gott im Unterricht nicht aus dem Auge zu verlieren, befürchtet Mendl, dass ein stets unverbindlich-ausprobierendes Hin- und Herwechseln zwischen Binnen- und Außenperspektive den Wert und die Würde des Gegenstands Religion antaste. Nur dort, wo Religionsunterricht auch „zu einem Handeln in aller Ernsthaftigkeit“641 anrege und nicht zuletzt mit Formen christlich gelebter Religion auch vertraut mache, könne er dem „Auseinanderdriften von subjektiver und objektiver Religion“642 entgegenwirken. Auch Schambecks Vorstellungen vom Religionsunterricht als einem Ort, an dem „eine Performation, ein ‚Durch-Bilden‘ auf Gott hin“643 angebahnt werden soll, kommen ohne durchgehende Inszenierung einer perspektivischen Brechung aus. In diesen beiden Fällen stellt sich weniger die Frage, ob Schülerinnen und Schüler die bewusst als artifiziell inszenierten Proberäume als solche erkennen können, sondern vielmehr, ob die Lehrerinnen und Lehrer ihre performativen Lernsettings überhaupt als artifizielle Proberäume des unverbindlichen Experimentierens mit Formen gelebten Glaubens inszenieren sollen. Zwar grenzen sich beide katholischen Vertreter, wie oben erläutert, von der fachdidaktischen Zielsetzung ab, in christliche Glaubenspraxis einführen zu wollen, jedoch zeigen ihre theoretischen Arbeiten, dass performative Religionsdidaktik nicht 641 M endl , Religion erleben, S. 67; vgl. § 1, Kap. 3.4.1.2 „Mendls Problemanzeige und didaktische Schlussfolgerung“. 642 Ebd., S. 16. 643 S chambeck , Religion zeigen, S. 70; vgl. § 1, Kap. 3.4.2.2 „Mystagogisches Lernen als Konkretion performativer Religionsdidaktik“.
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§ 1 Theoretische Fundierung performativer Religionsdidaktik
zwingend bedeuten muss, den Schülerinnen und Schülern die religiösen Ausdrucksgestalten in einem unverbindlichen, ausprobierenden oder gar profanisierenden Formenspiel anzubieten. Eng verwoben mit den Differenzen, die hinsichtlich des Probehandelns und der Perspektivenwechsel deutlich wurden, zeigen die didaktischen Theoriegebäude auch Unterschiede in Bezug darauf, was jeweils unter dem Begriff des Performativen verstanden wird. Um dies zu verdeutlichen, sei im Folgenden vereinfachend und exemplarisch auf zwei Bedeutungsaspekte verwiesen, die m. E. entscheidend für die nicht eindeutige Integration dieses Leitbegriffs in die performativ-didaktischen Theoriegebäude verantwortlich sind. Zum einen kann „performativ“, wie gesehen, im Sinne Austins einen Sprechakt bezeichnen, der die Realität, in die hinein er geäußert wird, selbst verändert. Mit Blick auf die unterrichtliche Auseinandersetzung mit religiösen Ausdrucksgestalten hebt Performativität dann die potentielle Wirksamkeit eben dieser Ausdrucksgestalten hervor, die im Prozess ihrer Verwendung bzw. ihres Verlautens die in ihnen angesprochene Wirklichkeit selbst hervorrufen. Ein solches Zutrauen in die Performanz der christlichen Formen ließ sich am stärksten in Bizers Ansatz beobachten, obwohl gerade er den Begriff des Performativen nicht explizit verwendet. Bizer beschreibt diese performative Wirksamkeit der religiösen Ausdrucksgestalten wie folgt: „Das Wort der Religion […] konstituiert das Gesprochene als Wirklichkeit; es bringt durch das Sprechen das zustande, was es sagt.“644 Zum anderen kann „performativ“ aber auch im theaterwissenschaftlichen Sinne verwendet werden – und so den Darstellungscharakter des religionsunterrichtlichen Lernsettings als theatrale Performance hervorheben. Die Pointe entsprechender Didaktik läge dann in der Umkehrung der Gewichtung von Tiefen- und Oberflächenstruktur, der Verlagerung des didaktischen Augenmerks hin zu den unterrichtlich sichtbaren Ausdrucksgestalten und Handlungsvollzügen. Ein solcher Performanzbegriff, so wurde deutlich, prägt insbesondere Schroeter-Wittkes poststrukturalistisch begründeten Ansatz. Schroeter-Wittke kritisiert im Kern die traditionelle religionsdidaktische Orientierung an materiell bestimmbaren christlichen Lehrsätzen, an dogmatischen Gegenständen, die es im Unterricht zu vermitteln gelte. Stattdessen fordert er eine Konzentration des Religionsunterrichts auf die Erschließung von Religion als stets flüchtiger Aufführungspraxis. Christentum ist nach dieser Auffassung als „Inszenierungsreligion“645 zu verstehen – und dementsprechend die Selbstauslegung des Einzelnen im konkreten Handeln ins Zentrum des fachdidaktischen Interesses zu rücken. Im Sinne einer performativen Religions644 Bizer , Liturgik, S. 84; vgl. § 1, Kap. 3.2.1.2 „Die authentische Selbstdarstellung von Religion im Unterricht“. 645 K lie , Wort, S. 107; vgl. § 1, Kap. 3.1.2.1 „Religion und ihre Außenseiten“.
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didaktik gelte es dann, die religiösen Ausdrucksgestalten den ergebnisoffenen Verkörperungen durch Schülerinnen und Schüler zu überlassen und sich damit auf „die Zumutung der Unbestimmtheit“646 einzulassen. Diese beiden Verständnismöglichkeiten markieren in den hier untersuchten Ansätzen zwei Pole, zwischen denen sich die einzelnen Spielarten bewegen. Die aufgezeigte Unschärfe des Bezugsbegriffs „performativ“ sowie dessen auffallend heterogene Verwendung können als weitere Ursachen für die differenten Schwerpunktsetzungen der einzelnen performativen Spielarten angesehen werden. Bezüglich der methodischen Konsequenzen (4), die mit den jeweiligen didaktischen Einsichten in Beziehung stehen, ist zuerst eine grundsätzliche Tendenz in allen performativen Entwürfen festzustellen: Methodische Fragestellungen werden insgesamt aufgewertet und dem Bereich der fachdidaktischen Grundsatzfragen zugeordnet. Performative Religionsdidaktik entdeckt in Unterrichtsmethoden selbst „tätige Formen“647, deren Strukturen bereits religionsdidaktische Schwerpunktsetzungen implizieren. Die religionspädagogisch zu reflektierenden Bereiche des „Was“ und des „Wie“ des Lernens werden als zusammengehörig gedacht und gehen ineinander über. Dies bedeutet eine erhebliche Veränderung der lange Zeit vorherrschenden pädagogischen Verhältnisbestimmung, die im Anschluss an die didaktische Theorie Wolfgang Klafkis methodische Fragen grundsätzlich von didaktischen unterschied und die Methodik der Didaktik nachordnete.648 Ferner zeigt der Blick auf die nunmehr zu didaktischen Grundprinzipien erhobenen Methoden gemeinsame Tendenzen der einzelnen Spielarten auf. So favorisieren alle hier untersuchten Ansätze solche Lernwege, die ganzheitliches Lernen mit allen Sinnen ermöglichen und gestaltende, handlungs- und schülerorientierte Arbeitsformen eröffnen. Religionsunterricht soll nach Klie „ein faßbares Stück Religion im Rahmen eines unterrichtlichen Probehandelns reinszenieren“649. Dies soll so geschehen, dass sich die Schülerinnen und Schüler tastend, spielend, hörend, riechend, schmeckend, betrachtend sowie in eigener Bewegung und Aktion mit diesem „Stück Religion“ handfest beschäftigen. Eine solche Zielvorgabe sperrt sich einer Engführung der Methodik auf diskursiv-kognitive Zugänge. Auch in dieser Überzeugung stimmen die performativen Entwürfe weitgehend überein. So ließe sich der methodische Leitgedan646 S chroeter-Wittke , Performance, S. 64; vgl. § 1, Kap. 3.3.2.2 „Religion aufs Spiel setzen“. 647 Leonhard / K lie , in Szene setzen, S. 11 (im Original hervorgehoben). 648 Vgl. Wolfgang K lafki: Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Zeitgemäße Allgemeinbildung und kritisch-konstruktive Didaktik, Weinheim / Basel 51996, v. a. S. 258– 265. Klafki begründet an dieser Stelle ausführlich und von heute aus betrachtet äußerst wirkmächtig sein Verständnis „vom Primat der Didaktik im engeren Sinne im Verhältnis zur Methodik“ (S. 259). 649 K lie , Zeichen und Spiel, S. 429.
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§ 1 Theoretische Fundierung performativer Religionsdidaktik
ke performativer Religionsdidaktik mit Bizer wie folgt zusammenfassen: „Wo wenig anzufassen ist, wird wenig greifbar und folglich wenig begriffen.“650 Exemplarische Methoden für performative Inszenierungen sind Rollenspiele, Standbilder, verschiedene bibliodramatische Zugänge, Pantomime, Tanz, kreatives Schreiben, vielfältige Einfühlungsverfahren und Meditationsübungen, aber auch vergleichsweise traditionelle Unterrichtsvollzüge wie Singen, Erzählen und Zuhören. Die vorliegende Untersuchung hat anhand konkreter Beispiele zu jeder vorgestellten Spielart aufzeigen können, dass performative Religionsdidaktik gerade hinsichtlich der adaptierten Methoden innovative Impulse für die praktische Gestaltung des Religionsunterrichts vermittelt. Performative Lernwege werden dort in vielen Fällen nicht nur theoretisch reflektiert, sondern in praktische Unterrichtshilfen, Unterrichtsentwürfe und Lehrwerke überführt. Stellvertretend für eine Vielzahl unterrichtspraktischer Veröffentlichungen sind das Schulbuch „und der König stieg herab von seinem Thron“ (Zilleßen/Gerber), der Praxisband „Gestalteter Glaube“ (Husmann/Klie) sowie die praxisbezogenen Kapitel in Mendls „Religion erleben“ als Beispiele zu betrachten. Sie veranschaulichen zudem die oben festgestellte, innere Vernetzung und Zusammengehörigkeit von performativer Didaktik und Methodik. Während innerhalb des Spektrums performativer Entwürfe weitgehend Einigkeit herrscht über die Hochschätzung der Methodik im Allgemeinen und die Bevorzugung ganzheitlicher Methoden im Besonderen, machen die konkreten Praxisbeispiele dennoch auf Differenzen zwischen den verschiedenen fachdidaktischen Theoriegebäuden aufmerksam. Exemplarisch sei hierzu auf die methodischen Unterschiede zwischen Dresslers „Didaktik des Perspektivenwechsels“ und Schambecks Konzept „mystagogischen Lernens“ verwiesen: Für Dressler stellen die Übergänge zwischen Binnen- und Außenperspektive die zentrale methodische Herausforderung dar. Nur wenn die probeweise Ingebrauchnahme religiöser Zeichen mit einem systematisch inszenierten Perspektivenwechsel verbunden und nachträglich aus der Beobachtersicht reflektiert werde, könne die alles entscheidende Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen den Bezugssystemen angebahnt werden. Die systematische Gestaltung perspektivischer Übergänge spielt in der Methodik des „mystagogischen Lernens“ nach Schambeck hingegen kaum eine Rolle. Ganz im Gegenteil offenbart ihr oben untersuchter Unterrichtsvorschlag zu Rembrandts Gemälde „Die Rückkehr des verlorenen Sohnes“651 gerade in der perspektivisch nicht gebrochenen Übertragung der gewonnenen Einsichten auf die Ebene der persönlichen Erfahrung seine didaktische Pointe. 650 Bizer , Gesellschaft auf dem Dachboden, S. 164; vgl. § 1, Kap. 3.2.1.4 „Didaktische Konkretion: Religion zum Anfassen“. 651 S chambeck , Religion lernen, S. 59; vgl. § 1, Kap. 3.4.2.2 „Mystagogisches Lernen als Konkretion performativer Religionsdidaktik“.
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Bezogen auf die methodischen Konsequenzen nimmt schließlich Mendl eine Sonderrolle im Spektrum der performativen Spielarten ein. Kein anderer performativer Ansatz der Religionsdidaktik nimmt in vergleichbarer Breite sämtliche curricular relevanten Felder religiöser Bildung in den Blick. Mendl konzentriert sich nicht nur auf christlich-religiöse Ausdrucksgestalten wie Liturgien, Rituale, künstlerische Darstellungen und biblische Texte, sondern wendet sich auch den neuen Medien, ethischen Fragestellungen sowie dem interreligiösen Lernen zu. Warum diese religionsdidaktisch besonders brisanten Bereiche nur in Mendls Ansatz performativ-methodisch reflektiert werden, wird im späteren Verlauf dieser Studie kritisch zu diskutieren sein.652 Entlang der vier Untersuchungskategorien hat der erste Hauptteil dieser Untersuchung die wesentlichen religionspädagogischen sowie fachdidaktischen Grundannahmen und Leitbegriffe performativer Religionsdidaktik systematisch erarbeitet, erläutert und kontextualisiert. Dabei ließen sich vielfach gemeinsame Anliegen, verwandte Methoden und sich überschneidende Argumentationslinien feststellen. Performative Religionsdidaktik wurde als Aufbruchsbewegung innerhalb der Religionsdidaktik erkennbar, die auf ähnlich gedeutete gesellschaftliche Entwicklungen sowie ähnlich kritisch beobachtete Defizite der zeitgenössischen Praxis des Religionsunterrichts reagiert. Dabei wird ein gemeinsamer, aber mehrdeutiger Bezugsbegriff rezipiert, um mit seiner Hilfe die Gestalt des Religionsunterrichts grundsätzlich zu verändern. Allerdings konnte trotz einiger Übereinstimmungen kein einheitliches Konzept performativer Religionsdidaktik festgestellt werden, das sämtliche Ansätze in einem fachdidaktischen Kern verbinden würde. Stattdessen wurden Spielarten des performativen Lernens und Lehrens konturiert, deren heterogene Verständnisse eines performativen Religionsunterrichts unterschiedliche Möglichkeiten und Herausforderungen für christlich-religiöse Bildungsbemühungen am Lernort Schule implizieren. An dieser Stelle steht eine kritische Beurteilung der erzielten Ergebnisse noch aus. Weil die handlungsorientierende Perspektive in Bezug auf performative Entwürfe hier als besonders relevant eingeschätzt wird, erfolgt die Abwägung ihrer Chancen und Grenzen in einem eigens dieser Forschungsperspektive vorbehaltenen Auswertungskapitel (vgl. § 4). Erst dort können auch die Ergebnisse der weiteren Kapitel dieser Untersuchung einbezogen werden, um schließlich fundierte Aussagen über die fachdidaktische Tragweite sowie über die theologische und religionspädagogische Schlüssigkeit der einzelnen Impulse formulieren zu können. 652 Vgl. hierzu die beiden Auswertungskapitel § 4, Kap. 2.6 „Performative Lernsettings und die Erweiterung des religionsdidaktischen Methodenspektrums“ sowie Kap. 2.9 „Performative Religionsdidaktik und interreligiöses Lernen“.
§ 2 Performative Aufbrüche in der Didaktik benachbarter Fächer – die vergleichende Perspektive 1 Erkenntnisinteresse der vergleichenden Perspektive Seit dem Jahr 2002 haben die Entwürfe performativer Religionsdidaktik die Fachdiskussion innerhalb der Religionspädagogik intensiv beschäftigt. Diesbezügliche didaktische Intentionen und methodische Innovationen sind nicht losgelöst von entsprechenden Tendenzen in der Didaktik benachbarter Fächer zu betrachten. So weist Harald Schroeter-Wittke, wie in § 1 beschrieben, auf einen performative turn hin, der sich in den Kulturwissenschaften bereits seit den 1970er Jahren vollzogen hat. Dabei sollte beachtet werden, dass performative Tendenzen auch in der Didaktik anderer Fächer produktiv aufgenommen wurden und teilweise bereits früher in die Entwicklung von Unterrichtskonzepten einflossen, als dies in der Religionsdidaktik geschah. In diesem vergleichenden Kapitel sollen einige ausgewählte, auf performativ-didaktische Leitideen eingehende Diskurse benachbarter Fächer skizziert und zur religionspädagogischen Debatte in Beziehung gesetzt werden. Dies könnte sich im Hinblick auf die eingangs angeführten Ziele dieser Untersuchung als fruchtbar erweisen; nämlich dann, wenn interdisziplinäre bzw. fächerübergreifende Gemeinsamkeiten, Interdependenzen, aber auch Differenzen sichtbar werden sollten, die das inzwischen entstandene Gesamtbild einer performativen Religionsdidaktik mitgestaltet haben. Insofern zielen die folgenden Ausführungen – den leitenden Erkenntnisinteressen komparativer Forschung innerhalb der Religionspädagogik entsprechend1 – in erster Linie darauf, die „Relativität des Vertrauten“2 sorgfältig wahrzunehmen, um schließlich Übereinstimmungen, Abhängigkeiten sowie eigene Besonderheiten schärfer hervorheben zu können. Bernd Schröder beschreibt in diesem Zusammenhang „sechs Funktionen vergleichender Religionspädagogik“3, die sämtlich in der hier vorgelegten Untersuchung berücksichtigt werden sollen:
1 Vgl. S chröder , Religionspädagogik, S. 363 f. 2 Bernd S chröder : Vergleichende historische
Religionspädagogik – methodologische Überlegungen, in: ZPT 68/2 (2016), S. 238–251, 240. 3 Ebd.
134
§ 2 Performative Aufbrüche in der Didaktik benachbarter Fächer
Zunächst dient die Betrachtung performativer Aufbrüche in anderen Fachdidaktiken dazu, „Vielfalt und Kontextualität […] wahrzunehmen (‚pluralitätssensibilisierende‘ Funktion)“4. Dazu werden außerhalb der Religionsdidaktik entwickelte Konzepte mit ähnlichen didaktischen Implikationen näher betrachtet. Die darstellende Skizze entsprechender Entwürfe und Konzepte ermöglicht ferner, „Verbindungslinien zwischen [diesen] verschiedenen Phänomenen und Systemen […] (verallgemeinernde Funktion)“5 zu beschreiben. Darauf gegründet lassen sich „Eigenarten der je eigenen Tradition bzw. Situation schärfer […] sehen (ideografische Funktion)“6. In der abschließenden Zusammenführung der Untersuchungsergebnisse soll darüber hinaus deutlich werden, dass der hier vollzogene „Blick über den Tellerrand“ auch dazu verhelfen kann, „auf argumentative Schwächen und Baustellen der je ‚eigenen‘ Formen religiöser Bildung aufmerksam zu werden (selbstkritische Funktion)“7, um so zur Weiterentwicklung der fachinternen Konzepte beizutragen.8 Im Idealfall eröffnen sich mit Blick auf die Verantwortung zukünftigen Religionsunterrichts dann sogar Möglichkeiten, einerseits „Kommunikation zwischen Anwälten verschiedener Formen religiöser Bildung resp. Religionspädagogik zu initiieren (kommunikationsstiftende Funktion)“9, und andererseits – mit Blick auf die religionsunterrichtliche Praxis – „methodische, didaktische [und/oder] systemische Innovationen anzuregen (innovativ-inspirierende Funktion).“10 Konkret wird in der Folge auf zwei fachdidaktische Diskurse verwiesen, die sich im Zusammenhang der Performanzdebatte besonders für eine vergleichende Betrachtung eignen, weil sie einerseits die fachdidaktische Vielfalt vor Augen führen und andererseits den Kontext der spezifisch religionspädagogischen Variante verdeutlichen. Zunächst bietet sich die Fachdidaktik Deutsch als Beispiel an: mit dem inzwischen breit rezipierten „handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht“ liegt ein Bündel von Konzepten vor, die sowohl in den Bereichen der Didaktik und Methodik als auch in Bezug auf die Situationsanalyse große Schnittflächen mit den performativen Ansätzen erkennen lassen. Zusätzliche Bedeutung gewinnen die Parallelen, weil der Begriff bereits in den 1980er Jah-
4 5
Ebd., S. 241. Ebd. 6 Ebd. 7 Ebd. 8 Dies erfolgt im Rahmen der Auswertung vor allem in den Teilkapiteln § 4, Kap. 2.4 „Gelebter christlicher Glaube im Verhältnis zur ‚Unterrichtsreligion‘“ und Kap. 2.8 „Anfragen zu Praktikabilität und Lehrerrolle“. 9 S chröder , Vergleichende historische Religionspädagogik, S. 241. Denkbar wäre etwa, dass aus den Vergleichsergebnissen Gesprächsanlässe oder bleibende Herausforderungen abstrahiert werden. 10 Ebd.
1 Erkenntnisinteresse der vergleichenden Perspektive
135
ren erstmals eingeführt und in den 1990er Jahren etabliert wurde,11 also deutlich bevor die Performanzdebatte in der Religionsdidaktik aufkam. In der Deutschdidaktik entstand während dieser Zeit ein umfangreiches Repertoire von unterrichtstauglichen und inzwischen vielfach erprobten Methoden, das in mancherlei Hinsicht Anregungen auch für den Religionsunterricht bereitstellte. Schließlich wird innerhalb der Lehrerschaft wohl kein Fach häufiger mit Evangelischer Religion kombiniert als Deutsch. Dies führt dazu, dass die Unterrichtenden didaktische Innovationen im Fach Deutsch konsequenterweise auch auf die Didaktik des Religionsunterrichts übertragen. Insgesamt dürfte kein anderer fachdidaktischer Diskurs beständiger von Religionspädagogen und Religionspädagoginnen rezipiert werden als der des Faches Deutsch. Diese Einschätzung wird durch den oben bereits mehrfach erwähnten Sammelband „Performative Religionsdidaktik“ von Silke Leonhard und Thomas Klie mit direktem Bezug zum Gegenstand dieser Untersuchung bestätigt: In der Rubrik „Unterrichtspraxis“12 publizieren sechs Lehrerinnen und Lehrer eigene performativ-didaktische Unterrichtsversuche. Vier dieser Lehrenden unterrichten die Fächer Religion und Deutsch, eine von ihnen sogar als Fachleiterin für Deutsch.13 Besonders lohnt auch der vergleichende Blick auf die Didaktik der musischkünstlerischen Fächer. Lernarrangements in Kunst, Musik und insbesondere in dem relativ jungen, inzwischen immer häufiger angebotenen Schulfach Darstellendes Spiel14 fallen innerhalb des Gesamtkanons der Unterrichtsfächer schon durch die Häufigkeit performativ inszenierter Zugänge auf. Diese Fächer werden von performativen Religionsdidaktikern gerne als Kontrast zu einem einseitig 11 Der Begriff „handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht“ geht zurück auf den Deutschdidaktiker Gerhard Haas. Vgl. Gerhard H aas: Handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht in der Sekundarstufe 1, Hannover 1984. Inzwischen ist der einflussreiche Band häufig überarbeitet worden und bei Klett / Kallmeyer unter neuem Titel in 10. Auflage erschienen: Gerhard H aas: Handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht. Theorie und Praxis eines ‚anderen‘ Literaturunterrichts für die Primar- und Sekundarstufe, Seelze 102013. 12 K lie / Leonhard (Hg.), Performative Religionsdidaktik, S. 157–208. 13 Dies sind: Nadja Yekrang-Haghpanah, ehemals Lehrbeauftragte in der Fachdidaktik Deutsch an der Universität Göttingen und heute Ausbilderin am Studienseminar Göttingen für das Fach Deutsch, Miriam Hänig, Stine Würtz und Jan von Busch. Hinzu kommt, dass die Herausgeberin des Bandes, Silke Leonhard, derzeit Rektorin am Religionspädagogischen Institut Loccum, selbst viele Jahre das Fach Deutsch unterrichtete und mit dem „handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht“ bestens vertraut ist. 14 In Niedersachsen ist Darstellendes Spiel seit 1997 reguläres Unterrichtsfach, kann als mündliches Abiturprüfungsfach gewählt werden (seit 2011) und ist bereits an über 120 Schulen eingeführt. Im Bundesgebiet haben inzwischen neun Bundesländer (Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz) „DS“ als Unterrichtsfach eingeführt. Vgl. Niedersächsisches Landesinstitut für schulische Q ualitätsentwicklung: Seite „Darstellendes Spiel“, auf: Niedersächsischer Bildungsserver , url: http://www.nibis.de/nibis.php?menid=701 (zuletzt eingesehen am 05. Mai 2018).
136
§ 2 Performative Aufbrüche in der Didaktik benachbarter Fächer
kognitiv orientierten Religionsunterricht in den Blick genommen.15 Niemand zweifle schließlich daran, so etwa Hans Mendl, dass man im Musikunterricht auch musizieren muss. Entsprechend ist auch der Kunstunterricht ohne aktives Zeichnen, Malen und Gestalten der Schülerinnen und Schüler kaum vorstellbar. Für den Vergleich mit der performativen Religionsdidaktik erweist sich aus der musisch-künstlerischen Fächergruppe die Didaktik des Faches Darstellendes Spiel als besonders ertragreich. In keiner anderen Fachdidaktik zeigen sich schon beim ersten Hinsehen solche auffälligen Parallelen. Insbesondere das gemeinsame Bemühen um die Inszenierung performativer Spielräume stellt eine unübersehbare Entsprechung dar. Das Fach Darstellendes Spiel wird deshalb in dieser Untersuchung als zweites Beispiel verwendet.16 Doch lassen sich bei näherem Hinsehen auch gewichtige Unterschiede im Hinblick auf das jeweilige Verständnis von Performanz feststellen, die im Folgenden dargestellt werden sollen. Der Vergleich mit den bereits dargestellten Positionen wird anhand der fachdidaktischen Leitkategorien „Raum“, „Körper“ und „Rolle“ sowie ausgewählter curricularer Vorgaben für das Fach Darstellendes Spiel zu zeigen versuchen, dass performative Didaktik nicht ausschließlich die Frucht einer internen religionsdidaktisch-konzeptuellen Innovationsbewegung darstellt, sondern auch außerhalb und unabhängig von religionsbezogenen Unterrichtszusammenhängen das Leitbild einer gelungenen Lehr- und Lernkultur bestimmt.
2 Beispiel A: Der „handlungs- und produktionsorientierte Literaturunterricht“ in der Fachdidaktik Deutsch 1984 veröffentlichte der Heidelberger Professor für Deutsche Literatur und ihre Didaktik Gerhard Haas ein knapp 150 Druckseiten umfassendes Praxisbändchen mit dem Titel „Handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht in der Sekundarstufe 1“17. Damals war nicht zu erwarten, dass er einen Begriff geprägt hatte, dessen bloße Nennung vielerorts bis heute die Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer von der Grundschule bis zum Gymnasium in zwei Lager spalten würde. Während die Befürworter Haas’ Veröffentlichung als Geburts15 Vgl. M endl , Religionsunterricht inszenieren, S. 11. 16 Aufgrund der oben angeführten Argumente liegt die Auswahl
des Faches Darstellendes Spiel als Vergleichsobjekt zwar einerseits nahe, andererseits steht jedoch außer Frage, dass die beiden weiteren Fächer des musisch-künstlerischen Bereichs, Musik und Kunst, ihrerseits ertragreich hinsichtlich ihrer performativen Elemente untersucht werden könnten. Weil diese Untersuchung jedoch nicht die ganze Breite möglicher Interdependenzen zwischen performativen Aufbrüchen innerhalb der Religionsdidaktik und der Didaktik aller benachbarten Fächer aufzeigen kann, soll hier zumindest markiert werden, dass auch ein Vergleich der performativen Religionsdidaktik mit der Didaktik der Fächer Kunst und Musik ein Desiderat künftiger religionspädagogischer Forschung darstellt. 17 H aas , Literaturunterricht, Titel der Erstausgabe.
2 Beispiel A: Der „handlungs- und produktionsorientierte Literaturunterricht“ 137
stunde eines paradigmatischen Wechsels feiern,18 kritisieren andere die handlungs- und produktionsorientierten Verfahren als „Prothesen für ausbleibendes Textverstehen“19 und sehen die Autonomie des literarischen Kunstwerks in Gefahr. Kaum eine wissenschaftliche Veröffentlichung hat in der Deutschdidaktik der vergangenen 30 Jahre eine vergleichbar kontrovers geführte Debatte ausgelöst wie Haas’ „Darstellung eines produktiv-aktiven Umgangs mit lyrischen und epischen Texten im Literaturunterricht“20. Haas entwickelt die Kernthese seines Werkes unter Berufung auf Novalis’ Diktum vom „Lesen als freie Operation“21. Danach ist Lesen ein individueller und stets aktiver Prozess. Dementsprechend muss der Leseprozess im schulischen Unterricht so organisiert werden, dass er in hohem Maße selbstgesteuert und produktiv erfolgen kann, will er seinem Gegenstand, der Literatur, gerecht werden. Deshalb sollen alle Rezipienten selbst darüber entscheiden können, auf welche Weise sie sich handelnd mit einem literarischen Text beschäftigen möchten. Dabei setzt Haas den Bezugsmodus des Handelns für alle Leserinnen und Leser voraus, die sich einem literarischen Text nähern. Bereits 1984 fasst Haas die didaktisch-methodischen Konsequenzen seiner These anschaulich und praxisbezogen so zusammen: Man muss „Texte in andere Medien, Aussageformen und Situationen hinein übersetzen; sie variieren, modifizieren, ergänzen, verändern; ihnen widersprechen, sie spielen, aktualisieren, verfremden – alles in allem: sie ohne falsche Ehrfurcht, aber mit wachsender Sensibilität als etwas Gemachtes und damit auch – zumindest versuchs- und probeweise – Veränderbares verstehen, produktiv und aktiv mit ihnen umgehen“22. Dieses Programm wurde in den darauf folgenden Jahren in einer eindrucksvollen Fülle von Unterrichtsmaterialien konkretisiert. Es wurde schnell auch von bedeutenden Fachdidaktikern zustimmend aufgenommen und ihrerseits produktiv weiterentwickelt.23 Haas hatte offenbar einen Nerv getroffen. Betrachtet man zudem die Situationsanalysen der Deutschdidaktiker jener Zeit genauer, dann fallen vor allem Entsprechungen zu den später auch von performativen Religionsdidaktikern konstatierten Defiziten auf:24 Kritisiert werden besonders kognitive Engführungen in der Textdidaktik, die Vernach18 Vgl. z. B. C hristiane Hochstadt / A ndreas K rafft / R alph O lsen: Deutschdidaktik. Konzeptionen für die Praxis, Tübingen 2013, S. 140. 19 H ans Kügler : Die bevormundete Literatur. Zur Entwicklung und Kritik der Literaturdidaktik, in: Literarisches Verstehen – Literarisches Schreiben. Positionen und Modelle zur Literaturdidaktik, hg. v. Jürgen Belgrad und H artmut M elenk , Baltmannsweiler 1996, S. 10–24, 20. 20 H aas , Literaturunterricht, S. 6. 21 Novalis , zit. nach: ebd., S. 7. 22 Ebd. 23 Z. B. von den beiden Deutschdidaktikern Günter Waldmann und Kaspar H. Spinner, deren unterschiedliche Ansätze handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts unten ausführlich in den Blick genommen werden. 24 Vgl. z. B. § 1, Kap. 3.1.1.2 „Reagieren auf den Traditionsabbruch“.
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§ 2 Performative Aufbrüche in der Didaktik benachbarter Fächer
lässigung der sinnlich-affektiven Dimensionen des Lernens, ein unangemessener Umgang mit Ästhetik, der Primat des fragend-entwickelnden Unterrichtsgesprächs und nicht zuletzt der Mangel an Schülerorientierung.25 Die meisten der hier aufgeführten Kritikpunkte finden sich in jeweils unterschiedlicher Gewichtung auch in den einschlägigen Situationsanalysen der performativen Religionsdidaktiker von Dressler bis Schambeck. Die wachsende Unzufriedenheit vieler Lehrkräfte mit der traditionellen, nahezu ausschließlich analytischen Ausrichtung des Literaturunterrichts erwies sich rückblickend als fruchtbarer Nährboden für die Verbreitung der handlungs- und produktionsorientierten Bemühungen zur Neugestaltung des Deutschunterrichts.26 Im Ensemble der einflussreichen Konzepte eines handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts betonen die praxisorientierten Beiträge von Haas im Anschluss an dessen oben dargestellte, grundsätzliche Einsichten die besondere Gewichtung der Schülerorientierung. Die Schülerinnen und Schüler mit ihren individuellen Bedürfnissen und Begabungen gilt es im gestaltenden Umgang mit Literatur gemäß ihren Fähigkeiten wahrzunehmen und unterstützend zu begleiten. Haas möchte insbesondere all jene ansprechen, die im traditionellanalytisch angelegten Deutschunterricht zu kurz kommen. Er will „den weniger kognitiv begabten Schülern durch das eigene aktive und produktive Handeln mit Literatur eine Chance geben, in affektiven und emotionalen Kontakt mit einem Text zu kommen und sich selbst in den Leseprozess mit ihm einzubringen.“27 Einen anderen Schwerpunkt setzt der Deutschdidaktiker Günter Waldmann, der bis zu seiner Emeritierung an der Pädagogischen Hochschule Freiburg lehrte. Waldmanns Ansatz der „produktive[n] Erfahrung von Literatur im Unterricht“28 kreist vor allem um das selbsttätige Moment literarischen Lernens, das er in kreativen Schreibprozessen unterrichtlich zu gestalten versucht. Der Hauptakzent liegt dabei weniger auf der Selbsterfahrung durch literarische Anregung als „auf der schülerseitigen Erschließung literarischer Strukturen durch Eigenproduktion.“29 Der Begriff des Handelns schließt auch für Waldmann ein selbstständiges und aktives Lesen ein. Darüber hinaus bedeutet Handeln ein ei25 Vgl.
Hochstadt / K rafft / Olsen, Deutschdidaktik, S. 134–140. Die Konzentration auf kognitive Lernwege tritt v. a. in Hermann Helmers „Didaktik der deutschen Sprache“ anschaulich vor Augen, deren Erstauflage bereits Mitte der 1950er Jahre erschien und die seit den 1980er Jahren als Mittel handlungs- und produktionsorientierter Abgrenzungsbemühungen diente. Helmers begründet darin einen „formalästhetischen Literaturunterricht“, der im Kern auf die sorgfältige Analyse sprachlicher Figuren setzt, um Fähigkeiten zu vermitteln, die nach seiner Überzeugung für das Verstehen von literarischen Texten zwingend erforderlich sind. Vgl. H ermann H elmers: Didaktik der deutschen Sprache. Einführung in die Theorie der muttersprachlichen und literarischen Bildung, Stuttgart 101979. 27 Günter Waldmann: Produktiver Umgang mit Literatur im Unterricht. Grundriss einer produktiven Hermeneutik. Theorie – Didaktik – Verfahren – Modelle, Baltmannsweiler 82013, S. 53. 28 Ebd., S. 56. 29 Hochstadt / K rafft / O lsen, Deutschdidaktik, S. 139. 26
2 Beispiel A: Der „handlungs- und produktionsorientierte Literaturunterricht“ 139
genes handwerkliches Produzieren. Dies kann zum Beispiel im Schreiben eines eigenen literarischen Textes in Auseinandersetzung mit einer Vorlage erfolgen. Daneben bemüht sich Waldmann, der seine Dissertation und Habilitation zu philosophischen Themen verfasste,30 um eine theoretische Begründung der produktiven Arbeit mit Literatur. Seine Überlegungen lassen Waldmanns Prägung durch die Literaturtheorie der „Rezeptionsästhetik“31 erkennen. Nach diesem Denkansatz wird ein literarischer Text erst im Zuge der Rezeption durch seine Leserinnen und Leser literarisch konkret. Die Rezipienten werden zu „Koproduzent[en] des literarischen Textes“32, indem sie ihre eigenen Vorerfahrungen, Wünsche und Ängste, ihre eigenen Lebenswirklichkeiten in den Leseprozess einbringen und damit eine neue „Fantasiewirklichkeit“33 entwerfen, die konkrete Lesarten des literarischen Textes darstellen. Literatur ist nach rezeptionsästhetischer Überzeugung darauf angewiesen, dass Leserinnen und Leser ihre mehrdeutigen Potentiale aufnehmen und mithilfe der je individuellen Imagination zu konkreten, eindeutigen Wirklichkeiten zusammenfügen. Ganz im Sinne der literaturtheoretischen Arbeiten Wolfgang Isers, der die „Unbestimmtheit als Wirkungsbedingung literarischer Prosa“34 bezeichnet, geht auch Waldmann davon aus, dass der Sinn eines Gedichts, Romans oder Dramas nicht außerhalb der stets unterschiedlichen Fantasierealisationen durch die jeweiligen Adressatinnen und Adressaten existiert. Ähnlich der semiotischen Begründung der performativen Religionsdidaktik schränkt Waldmann jedoch mit Verweisen auf die Rezeptionsästhetiker Hans Robert Jauß und Iser ein: Zwar können potentiell unendlich viele Lesarten produziert werden, von denen keine der anderen gleicht; diese entstehen aber nicht beliebig, sondern notwendig innerhalb eines durch den Text vorgegeben Rahmens. Das literarische Werk selbst, so Waldmann, „stellt ein rezeptionelles Bezugssystem dar, das die Fantasievorgänge des Lesers leitet.“35 Trotz dieser Einschränkung liegt die Sprengkraft dieser literaturtheoretischen Annahme in der darin implizierten didaktischen Absage an die Möglichkeit, einen objektivierbaren Textsinn im Unterricht zu erschließen. Stattdessen werden alle subjektiven Leseeindrücke der Schülerinnen und Schüler wahrgenommen, ernstgenommen und als aus den literarischen Vorlagen erwachsene Auswirkungen begriffen. 30
Bei der Dissertation handelte es sich um eine geschichtsphilosophische Arbeit, die Habilitationsschrift verfasste Waldmann zu einem religionsphilosophischen Thema. Vgl. Wald mann, Produktiver Umgang, S. 56. 31 Vgl. R ainer Warning (Hg.): Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis, München 41994. Für Waldmanns Überlegungen dienen insbesondere die folgenden der darin veröffentlichten Aufsätze als Grundlagen: H ans Robert Jauẞ: Literaturgeschichte als Provokation der Literaturgeschichte, S. 126–162; Wolfgang Iser: Die Appellstruktur der Texte, S. 228–252. 32 Waldmann, Produktiver Umgang, S. 17. 33 Ebd. 34 I ser , Appellstruktur, S. 228. 35 Waldmann, Produktiver Umgang, S. 18.
140
§ 2 Performative Aufbrüche in der Didaktik benachbarter Fächer
Eine weitere Spielart des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts wurde in Göttingen von dem Literatur- und Kulturdidaktiker Wolfgang Wangerin entwickelt. Wangerins Konzept „kreativer Rezeption“36 weist vor allem methodisch viele Gemeinsamkeiten zu Haas’ und insbesondere Waldmanns Ansätzen auf.37 Es unterscheidet sich jedoch im Bereich der didaktischen Zielsetzung. Standen bei Haas die Handlungs- bzw. Schülerorientierung und bei Waldmann die Produktionsorientierung zur Erschließung literarischer Strukturen im Mittelpunkt, so geht es Wangerin vor allem um die Selbsterfahrung im Prozess der Auseinandersetzung mit ästhetischen Impulsen. „Kunsterfahrung und Selbsterfahrung“38 sollen zusammenkommen, wenn sich Schülerinnen und Schüler in unterschiedlichen Gruppenprozessen des Deutschunterrichts mit Literatur, Malerei und Musik beschäftigen. Diesem Grundanliegen entsprechend spielt die Individualität der Lernenden für Wangerin eine zentrale Rolle. Daraus folgt für ihn die besondere Betonung der Freiwilligkeit: Schülerinnen und Schüler sollen sich ohne äußere Nötigung frei entscheiden können, ob sie sich auf literarische Welten einlassen und in diese einfühlen wollen. Nur wenn Literaturunterricht diese Prämisse achtet, dürfen kreative Arbeitsaufträge darauf zielen, individuelle Wahrnehmungen in ein Produkt zu überführen und somit kommunizierbar zu machen.39 Ähnlich wie die performativen Ansätze Bizers und Leonhards in der Religionspädagogik orientieren sich auch Wangerins didaktische Vorstellungen an Kategorien aus der Gestaltpsychologie und Gestaltpädagogik. So versteht er den Leseprozess insgesamt als Gestaltbildung: Konfrontiert mit der Unbestimmtheit literarischer Texte beginnt jede Leserschaft unabhängig von der literarischen Vorbildung gleichsam automatisch damit, zu „imaginieren, [zu] transformieren, das Gelesene […] im Kopf [zu] inszenieren, Sinnzusammenhänge her[zu]stellen“40 und somit die literarisch uneindeutigen „Teile zu einer plausiblen Ganzheit“41 zusammenzufügen. Wangerin bezieht sich zudem – ebenso wie Haas und Waldmann – auf die lerntheoretischen Folgerungen der konstruktivistischen Erkenntnistheorie. Wenn jedes Erkennen ein Akt des aktiven Konstruierens ist, dann kann Lernen nur durch eigene kognitive Tätigkeit, situativ, sozial und hochgradig indivi36 Wolfgang Wangerin: Kunsterfahrung und Selbsterfahrung. Entwicklung eines Konzepts kreativer Rezeption für die pädagogische Kulturarbeit, Göttingen 1996. 37 Diese Beobachtung verdeutlicht die gemeinsame Hochschätzung der vielfältigen Methoden kreativen Schreibens sowie der szenischen Verfahren. 38 Ebd., Titelformulierung. 39 Vgl. C hristine M ann / Erhart S chröter / Wolfgang Wangerin: Selbsterfahrung durch Kunst. Methodik für die kreative Gruppenarbeit mit Literatur, Malerei und Musik, Weinheim u. a. 1995. 40 Wolfgang Wangerin: Der Leser ‚macht eigentlich aus einem Buche, was er will‘ (Novalis). Konstruktivistische Begründungen produktiven Literaturunterrichts, in: Neue Wege zu und mit literarischen Texten, hg. v. C hristiane Fäcke und dems., Baltmannsweiler 2007, S. 63–88, 74. 41 Ebd., S. 75.
2 Beispiel A: Der „handlungs- und produktionsorientierte Literaturunterricht“ 141
duell erfolgen.42 An dieser Stelle erinnern Wangerins lerntheoretische Ausführungen hinsichtlich der zitierten Gewährsleute (Maturana, Piaget, vorsichtiger auch v. Glasersfeld) und der insgesamt zugrunde gelegten Begrifflichkeit an Mendls Begründungen eines performativen Religionsunterrichts.43 Die oben dargestellten drei Spielarten eines handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts lassen bereits eine Vielzahl von Parallelen zu religionsdidaktisch-performativen Ansätzen anklingen. Dies gilt für ihre didaktischen Zielsetzungen, die favorisierten Unterrichtsverfahren und nicht zuletzt für die jeweiligen Begründungszusammenhänge. Im Folgenden sollen mit Kaspar H. Spinners Entwurf des „literarischen Lernens“ sowie Ingo Schellers „Szenischer Interpretation“ nun zwei weitere Konzepte ausführlicher vorgestellt werden. Beide Beispiele entfalten auffallend viele Anknüpfungspunkte für den Vergleich mit den Spielarten performativer Religionsdidaktik. Spinners Ansatz bietet sich für diese exemplarische Vertiefung auch deshalb an, weil er eine in besonderem Maße praxistaugliche und didaktisch differenzierte Spielart des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts entwickelt hat. Zudem werden in Spinners Konzept stärker als bei Haas, Waldmann und Wangerin die curricularen Gegebenheiten des Faches Deutsch berücksichtigt. Schellers Ansatz hingegen interessiert hier vor allem aufgrund der wegweisenden methodischen Überlegungen, die sein Konzept als Konkretisierung einer szenischen Ausdehnung des Unterrichts erkennbar werden lassen. Im Rückgriff auf diese beiden Beispiele können später die Parallelen zur performativen Religionsdidaktik präziser beschrieben sowie die fachspezifischen Unterschiede der performativen Aufbrüche in Deutsch und Religion klarer konturiert werden.44
2.1 Kaspar H. Spinner und das literarische Lernen als Fremdverstehen 2.1.1 Fachdidaktische Intentionen Kaspar H. Spinner, 1941 in Biel (Schweiz) geboren und bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2006 als Ordinarius am Lehrstuhl für die Didaktik der Deutschen Sprache und Literatur an der Universität Augsburg tätig, hat den handlungsund produktionsorientierten Ansatz des Literaturunterrichts seit den 1980er Jahren mitbegründet und im Zuge der Kompetenzorientierung entscheidend
42 43
Ebd., S. 79; vgl. Hochstadt / K rafft / Olsen, Deutschdidaktik, S. 136. Vgl. § 1, Kap. 3.4.1 „Konstruktivistisch begründete Performanz bei Hans Mendl“. 44 Vgl. § 2, Kap. 2.3 „Performative Religionsdidaktik und handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht im Vergleich“.
142
§ 2 Performative Aufbrüche in der Didaktik benachbarter Fächer
fortentwickelt.45 Im Kern zielt sein literaturdidaktisches Konzept auf die Fähigkeit von Heranwachsenden, sich im Umgang mit literarischen Texten eigene Vorstellungen zu bilden und fremde Sichtweisen nachzuvollziehen.46 Im Gegensatz zum traditionellen Aufsatzunterricht interessiert Spinner weniger, wie ein Text formal aufgebaut ist und welche Funktionen einzelne Strukturmerkmale erfüllen. Er fragt vielmehr danach, was die Auseinandersetzung mit Literatur auf der mentalen Ebene beim jeweils einzelnen Rezipienten auslöst. Eine zeitgemäße Deutschdidaktik müsse „der Kopflastigkeit und Entsinnlichung des Unterrichts“47 entgegenwirken und stattdessen „Empathie und Perspektivenübernahme heute mehr denn je als grundlegendes Bildungsziel“48 begreifen. Mentale Wirkungen, so betont Spinner, erzielt ein Text vor allem dann, wenn Schülerinnen und Schüler sich in Figuren hineinversetzen, deren Empfindungen und Gedanken nachspüren und diese mit ihrer eigenen subjektiven Weltsicht in Beziehung setzen.49 Dem Literaturunterricht kommt insofern die vorrangige Aufgabe zu, Angebote zur Übernahme von Perspektiven bereit zu stellen. Dies soll auf eine Art und Weise geschehen, die die Vorstellungsbildung der Leserschaft anregt und das „Fremdverstehen“50 unterstützt. Um diesem veränderten Auftrag zu entsprechen, bedürfe es der kreativ-produktiven Verfahren. Deren Mehrwert liegt nach Spinner darin, Imaginationsprozesse anzuregen und die Identifikationspotentiale literarischer Texte mit den Wahrnehmungen der Rezipienten zu verknüpfen. Spinner verbindet das Ziel der Förderung des Fremdverstehens mit der Aufforderung, „subjektive Involviertheit und genaue Wahrnehmung miteinander 45 Christine Köppert und Klaus Metzger weisen im Vorwort der Festschrift zum 60. Geburtstag ihres Lehrers mit Recht darauf hin, dass Spinner der Sammelbezeichnung „handlungsund produktionsorientierter Literaturunterricht“ stets auch kritisch gegenüberstand, indem er sich insbesondere um eine Schärfung der verwendeten Begriffe, etwa des „letztlich diffusen, unterschiedlich besetzten Handlungsbegriff[es]“ bemühte. C hristine Köppert / K laus M etzger: Vorwort, in: ‚Entfaltung innerer Kräfte‘. Blickpunkte einer Deutschdidaktik, FS Kaspar H. Spinner, hg. v. dens., Velber 2001, S. 5–8, 5. Zur historischen Entwicklung des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts vgl. ferner Spinners Rückblick auf dessen Entfaltung in den 80er Jahren: K aspar H. Spinner: Handlungs- und produktionsorientierter Umgang mit Kinder- und Jugendliteratur (2000), in: Erziehung oder Lust am Ausleben von Fantasien? Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur und ihrer Didaktik, hg. v. dems., Frankfurt a. M. 2013, S. 305–318. 46 Diesen Schwerpunkt benennt Spinner selbst als zentrales Unterscheidungsmerkmal seines Ansatzes im Vergleich zu anderen handlungs- und produktionsorientierten Entwürfen. Vgl. Gerhard H aas / Wolfgang M enzel / K aspar H. Spinner: Handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht, in: Praxis Deutsch 123 (1994), S. 17–25, 25. 47 K aspar H. Spinner : Literaturdidaktik der 90er Jahre, in: Handlungsfeld Deutschunterricht im Kontext, hg. v. A lbert Bremerich-Vos, Frankfurt a. M. 1993, S. 23–36, 27. 48 K aspar H. Spinner : Fremdes Verstehen – ein Hauptziel des Literaturunterrichts (1994), in: Kreativer Deutschunterricht. Identität – Imagination – Kognition, hg. v. dems., Seelze-Velber 32008, S. 126–130, 127 f. 49 Vgl. ebd., S. 126 f.; Waldmann, Produktiver Umgang, S. 55. 50 Spinner , Fremdes Verstehen, S. 126.
2 Beispiel A: Der „handlungs- und produktionsorientierte Literaturunterricht“ 143
ins Spiel [zu] bringen.“51 Literaturunterricht und Lesen generell müssen Leserinnen und Leser demnach auf einer persönlichen Ebene ansprechen, um subjektiv relevante Lernprozesse auslösen zu können. Gelingt es, die Rezipienten in den Text und seine Welt zu verwickeln, wird der Text nach Spinners Überzeugung in aller Regel auch sorgfältiger wahrgenommen. „Persönliches Angesprochensein“ und „Aufmerksamkeit für den Text“52 korrelieren: „So kann zum Beispiel ein Kinderbuch mit einer Hauptfigur, die unter Minderwertigkeitsgefühl leidet […], zur Projektionsfläche eigener entsprechender Gefühle werden und gerade durch solche Betroffenheit eine intensiv mitvollziehende, genaue Lektüre bewirken.“53 Genaues Lesen bedeutet für Spinner dezidiert auch, die zugrunde gelegten Texte in ihrer sprachlichen und stilistischen Gestaltung zu analysieren. Hier zeigt sich eine weitere Besonderheit seines Ansatzes: Im Spektrum der Gestaltungsmöglichkeiten eines handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts verweist Spinner mit besonderem Nachdruck auf die Notwendigkeit sorgfältiger Textanalyse für das Verstehen literarischer Texte. Wenn Gestaltungsmerkmale und Stilmittel nicht abgekoppelt von der subjektiven Lesererfahrung, sondern in ihrer Funktion für die ästhetische Wirkung des Werks betrachtet werden, dann bereichert deren genaue Bestimmung den Leseprozess und öffnet den Blick auf weitere Deutungspotentiale. Spinner wendet sich auf diese Weise gegen eine Verbannung der sprachlichen Analyse aus dem handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht.54 So erweist sich sein Ansatz als anschlussfähig an den kompetenzorientierten Deutschunterricht und dessen curriculare Vorgaben. Die Lehrpläne verstehen ebenfalls zunehmend „analytische und produktive Annäherungen“55 an literarische Texte als einander ergänzende Zugänge. Auch den Umgang mit metaphorischer und symbolischer Sprache möchte Spinner mithilfe einer ausgewogenen Zusammenstellung unterschiedlicher Lernwege üben. Dabei verbindet er assoziativ ausgerichtete Methoden, die 51
K aspar H. Spinner: Literarisches Lernen, in: Praxis Deutsch 200 (2006), S. 6–16, 8; K aspar H. Spinner: Ich und Welt im Unterricht. Schülertexte als Paradigma, in: Identität und Deutschunterricht, hg. v. dems., Göttingen 1980, S. 7–14. 52 Spinner , Literarisches Lernen, S. 8. 53 Ebd. 54 Vgl. Waldmann, Produktiver Umgang, S. 54. 55 Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.): Deutsch. Kerncurriculum für das Gymnasium. Schuljahrgänge 5–10, Hannover 2006, S. 8. Das niedersächsische Kerncurriculum für die Sekundarstufe 1 verdeutlicht das Nebeneinander von analytischen sowie handlungs- und produktionsorientierten Zugängen. Dies wird beispielsweise offensichtlich, wenn darin der „Lesekompetenz“ jeweils „Lesetechniken und Lesestrategien“ zugeordnet werden, die beide Bereiche eigens berücksichtigen. So finden sich im Teilbereich „Umgang mit literarischen Texten“ z. B. die folgenden Techniken und Strategien untereinander: Die Schülerinnen und Schüler „untersuchen Texte und stellen dabei Zusammenhänge zwischen Inhalt, Form und Sprache her“ und „wenden handlungs- und produktionsorientierte Verfahren zur Erschließung der Texte an“ (S. 26 f.).
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§ 2 Performative Aufbrüche in der Didaktik benachbarter Fächer
sich zuerst am jeweiligen intuitiven Verständnis der Schülerinnen und Schüler orientieren, mit klassischen Instrumenten der Analyse, mit deren Hilfe die Textvorlagen präzise untersucht werden sollen.56 Insofern ist Spinners Konzept des literarischen Lernens m. E. gerade aufgrund der Integration vielfältiger Aspekte literarischer Bildung und deren Übersetzung in kumulativ zu erwerbende Kompetenzen als Weiterführung des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts zu verstehen. Es gelingt Spinner sowohl nachvollziehbare Bezüge zu den geltenden Bildungsstandards des Faches Deutsch herzustellen als auch die Realisierbarkeit dieses didaktischen Paradigmas im schulischen Alltag weiter voranzutreiben.57 Vergleichbar konkrete Integrationsversuche performativer Lernwege mit primär analytisch ausgerichteten Methoden sind in der religionsdidaktischen Debatte m. W. bisher nicht vorgelegt worden. Schließlich hält Spinner es für ein unablässiges Fernziel des Deutschunterrichts, den Schülerinnen und Schülern die prinzipielle Mehrdeutigkeit von Literatur vor Augen zu führen. Literarische Texte regen Deutungsprozesse an, die weder ein definitives Ende noch ein bündiges Ergebnis für die Sicherungsphase versprechen.58 Im Gegenteil: Spinner möchte die Leserinnen und Leser darin schulen, „sich auf die Unabschließbarkeit des Sinnbildungsprozesses ein[zu] lassen.“59 In diesem Zusammenhang eignen sich nach Spinner kreativ-produktive Verfahren wie etwa das kreative Schreiben oder das szenische Interpretieren in doppelter Hinsicht. Einerseits eröffnen sie Möglichkeitsräume, die von unterschiedlichen Lerngruppenteilnehmern je unterschiedlich aufgenommen werden; andererseits entstehen im Verlauf der Produktionsphasen zumeist sinnlich wahrnehmbare Arbeitsergebnisse als Konkretionen individueller Texterfahrungen. So dienen aus dem Unterricht erwachsene Eigenproduktionen im weiteren Unterrichtsverlauf als Anlässe für literarische Gespräche. Ihr subjektiver Charakter legt dabei implizit genau diejenige „reflektierende Vorsicht“60 nahe, die nach Spinners Auffassung für Deutungsprozesse insgesamt angebracht ist. Ähnlich wie die performativ-didaktischen Ansätze von Dressler und Klie fußen auch Spinners Überlegungen zur Mehrdeutigkeit von Zeichen auf Grundannahmen der Semiotik.61 Seine „semiotische Grundlegung des Literatur56 Vgl. K aspar H. Spinner : Zielsetzungen des Literaturunterrichts (1999), in: Kreativer Deutschunterricht. Identität – Imagination – Kognition, hg. v. dems., Seelze-Velber 32008, S. 168–172, 169; Spinner , Literarisches Lernen, S. 11 f. 57 Vgl. hierzu beispielsweise Spinners einleitende Überlegungen zum Begriff des „literarischen Lernens“ in Abgrenzung zum Begriff der „Lesekompetenz“: Spinner , Literarisches Lernen, S. 6 f. 58 Vgl. ebd., S. 12. 59 Ebd. 60 Ebd. 61 Spinner bezieht sich vor allem auf die Arbeiten zur Semiotik von Charles Sanders Peirce, die bereits in § 1, Kap. 3.1.1.1 „Die semiotische Begründung“ dargestellt wurden. Besonders das „semiotische Dreieck“ dient Spinner als Grundlage für die Definition einer dreistelligen Aufgabenbeschreibung des Literaturunterrichts. Dieser zeichne sich aus durch „die
2 Beispiel A: Der „handlungs- und produktionsorientierte Literaturunterricht“ 145
unterrichts“62 betont gleichzeitig die „Multivalenz“63 sprachlicher Codes, die von jedem Subjekt anders aufgenommen werden muss, und den Bezug jeder Interpretation auf die konkrete und insofern nicht beliebige Ausprägung dieser Codes. Spinners Ansatz literarischen Lernens legt mit dieser Einsicht den Grund für seine übergeordneten Ziele der Vorstellungsbildung, der Förderung des Fremdverstehens sowie der subjektiven Involvierung von Schülerinnen und Schüler in den Deutungsprozess. Aus derselben Einsicht heraus leitet er auch die Forderung nach sorgfältiger Wahrnehmung der sprachlichen Gestalt literarischer Texte ab. Unabhängig davon, ob man Spinners fachdidaktisch-konzeptionellen Texte, seine ausgearbeiteten Unterrichtsideen oder seine theoretisch-fundierenden Arbeiten betrachtet: Stets begegnet die „Entfaltung der inneren Vorstellungskraft“64 als zentraler Zielpunkt eines so gedachten Literaturunterrichts.
2.1.2 Methodik und Unterrichtsbeispiele Spinners Konzept des literarischen Lernens hebt insgesamt die Bedeutung handlungs- und produktionsorientierter Verfahren für die Gestaltung zeitgemäßer Lernarrangements hervor. Gemeint sind damit eine Fülle von kreativen Methoden, die allesamt ein hohes Maß an Eigenaktivität sowie Gestaltungsfreiheit auszeichnet: „Produktive Formen des Unterrichts sind gegen das passive Hinnehmen gerichtet, [sie] sollen deshalb mehr als nur eine angenehme Verschönerung an den Rändern des Unterrichts sein, sie sollten den Kern von Lernprozessen bestimmen.“65 Solche Verfahren reichen vom Malen zu literarischen Impulsen über das Collagieren, Assoziieren, szenische Interpretieren und musikalische Umsetzen bis hin zu unterschiedlichsten Formen des kreativen Schreibens. In Spinners Spielart des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts kommt vor allem den kreativen Schreibverfahren eine entscheidende Rolle zu. Mit seinem Grundsatzartikel „Kreatives Schreiben“66, 1993 in der Tätigkeit, mit Hilfe von Kontexten Textsinn zu konstituieren.“ K aspar H. Spinner: Semiotische Grundlegung des Literaturunterrichts, in: Zeichen, Text, Sinn. Zur Semiotik des literarischen Verstehens, hg. v. dems., Göttingen 1977, S. 125–164, 134. Neben der Semiotik rekurriert Spinner auch immer wieder auf Denkfiguren aus der Rezeptionsästhetik sowie des (De‑) Konstruktivismus. Vgl. K aspar H. Spinner: Das vergällte Lesevergnügen (1976), in: Kreativer Deutschunterricht. Identität – Imagination – Kognition, hg. v. dems., Seelze-Velber 32008, S. 6–17, 6; Spinner , Literarisches Lernen, S. 12. 62 Spinner , Semiotische Grundlegung, S. 125. 63 Ebd. 64 Spinner , Literarisches Lernen, S. 8; vgl. Spinner , Fremdverstehen, S. 130. 65 K aspar H. Spinner : Von der Notwendigkeit produktiver Verfahren im Literaturunterricht (1993), in: Kreativer Deutschunterricht. Identität – Imagination – Kognition, hg. v. dems., Seelze-Velber 32008, S. 96–107, 99. 66 K aspar H. Spinner : Kreatives Schreiben (1993), in: Kreativer Deutschunterricht. Identität – Imagination – Kognition, hg. v. dems., Seelze-Velber 32008, S. 108–125. Ursprünglich erschien der Text in: Praxis Deutsch 119 (1993), S. 17–23.
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§ 2 Performative Aufbrüche in der Didaktik benachbarter Fächer
Fachzeitschrift „Praxis Deutsch“ veröffentlicht, etablierte sich Spinner als führender Verfechter der Aufwertung kreativer Schreibprozesse im Deutschunterricht. Bereits in den frühen 1980er Jahren führte er eigene „Schreibwerkstätten“ durch und gründete in Aachen sein Projekt „Kreatives Schreiben“67, das die schuldidaktische Tauglichkeit unterschiedlicher Schreibinitiativen untersuchte und hierfür anerkannte Schreibdidaktiker versammelte.68 Den oben dargestellten fachdidaktischen Intentionen entsprechend sollen sich auch die Methoden des kreativen Schreibens zuerst in Bezug auf Vorstellungsbildung und Fremdverstehen als funktional erweisen. Spinner sieht ihren Ertrag darin, „die Entfaltung neuer Einfälle […], die Ausgestaltung von Fantasien und ein Sich-Hineindenken in andere Welten und menschliche Erfahrungsweisen“69 zu fördern. Ob ein kreativer Schreibauftrag also als zielführend betrachtet werden kann, entscheidet sich an der Frage, inwieweit er dazu anregt, „dass sich die SchülerInnen in Figuren hineinversetzen, Empfindungen und Gedanken nachvollziehen“ und dabei „Projektionen eigener Befindlichkeiten stattfinden.“70 Die nachfolgend aufgelisteten „textproduktiven Verfahren“ schlägt Spinner in einem Aufsatz zu „Methoden des Literaturunterrichts“71 als exemplarisch vor: – – – – – – – – – – – –
eine Fortsetzung schreiben nach dem Muster eines vorgegebenen Textes einen neuen Text schreiben einen Text in eine andere Textsorte umschreiben einen Text stilistisch verändern einen Text mit einer inhaltlichen Änderung umschreiben oder in eine andere Zeit umsetzen zu einem oder mehreren Stichwörtern aus einem literarischen Text einen eigenen Text schreiben Figuren in Ich-Form vorstellen (sog. Rollenbiografien) Interviews mit Figuren verfassen Briefe von und an Figuren schreiben Tagebucheinträge von Figuren schreiben einen (inneren) Monolog einer Figur schreiben Träume von Figuren erfinden 67 68
Spinner , Kreatives Schreiben, 108. In diesem Projekt wurden insbesondere Impulse aus der außerschulischen Schreibpädagogik aufgenommen und auf den Lernort Schule bezogen. Das Projekt „Kreatives Schreiben“ wurde nach Spinners Berufung auf den Lehrstuhl für Didaktik der Deutschen Sprache und Literatur an der Universität Augsburg von Ingrid Böttcher, heute selbst eine bedeutende Schreibdidaktikerin, weitergeführt. Vgl. Spinner , Kreatives Schreiben, S. 108. 69 Ebd. 70 Spinner , Fremdes Verstehen, S. 129. 71 K aspar H. Spinner : Methoden des Literaturunterrichts, in: Deutschunterricht in Theorie und Praxis. Handbuch zur Didaktik der deutschen Sprache und Literatur 11/2, hg. v. infried Ulrich, Baltmannsweiler 2010, S. 190–242, 222 ff. W
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– Textstellen in die Perspektive einer Figur oder eines Gegenstandes umschreiben – eine im Text nur angedeutete Handlung ausfabulieren72 Die Vielfalt der in zahlreichen Lernsettings erprobten kreativen Schreibverfahren wird bereits an dieser Auswahl offensichtlich. Im Folgenden soll Spinners facettenreiche Methodik anhand eines unterrichtspraktischen Beispiels konkretisiert werden, das Spinner 1989 ebenfalls in der Fachzeitschrift „Praxis Deutsch“ veröffentlichte. Er bezieht sich darin auf eigene Erfahrungen mit einem Deutsch-Grundkurs der Jahrgangsstufe 11, in dem er gemeinsam mit einem Fachlehrer und Studierenden den antifaschistischen Roman „Das siebte Kreuz“ von Anna Seghers unterrichtete.73 Er stellt darin drei „Produktionsaufgaben zur Vergegenwärtigung innerer Konfliktsituationen“74 vor. In allen drei Fällen handelt es sich um kreative Schreibaufträge. Der Inhalt des Romans, in dem die nationalsozialistische Gewaltherrschaft angeklagt und an die politische und moralische Verantwortung des Einzelnen appelliert wird, wurde im Vorhinein mit der Lerngruppe erarbeitet. Die kreative Annäherung beginnt mit einem Schreibimpuls, den Spinner als „Weitererzählen unter Veränderung eines Handlungsmerkmals“75 bezeichnet. Die Lehrkraft nennt dabei eine prägnante Stelle im Romanverlauf, von der ausgehend eine Entscheidungssituation geschaffen werden kann. Der Text wird durch ein prägnantes Merkmal verändert. Anders als in der Vorlage erfährt die Figur Liesel Röder nunmehr von der Flucht des Protagonisten Georg Heisler, als sich dieser noch in ihrer Wohnung aufhält. Abweichend von der Logik der Erzählung ergeben sich dadurch plötzlich neue Handlungsoptionen für die Figur Liesel. Die Lehrkraft projiziert in diesem Beispiel die Änderung des Textes als vorgegebenen Anfang an eine Leinwand und notiert darunter den schlichten Arbeitsauftrag: „Wir schreiben, wie die Geschichte nun weitergehen könnte (Dauer der Schreibphase ca. 20 Minuten).“76 Dieses Beispiel steht exemplarisch für kreative Schreibprozesse, in denen unterschiedliche Lösungen erarbeitet werden können, je nachdem, wie die Schülerinnen und Schüler die (Ein‑) Stellungen der fokussierten Figuren zueinander und zu den zentralen Konflikten einer Vorlage einschätzen. Obwohl sich auch in Spinners Unterrichtsversuch die kreativ erarbeiteten Produkte mitunter erheblich unterschieden, konnten dennoch verschiedene Interpretationen nebeneinander stehen bleiben und 72 Sämtliche der hier aufgelisteten kreativen Schreibverfahren entstammen – unter wenigen Auslassungen – der Aufzählung im oben zitierten Aufsatz: vgl. ebd., S. 224–227. 73 Vgl. K aspar H. Spinner : Produktionsaufgaben bei der Romanbehandlung von A. Seghers ‚Das siebte Kreuz‘ (1989), in: Kreativer Deutschunterricht. Identität – Imagination – Kognition, hg. v. dems., Seelze-Velber 32008, S. 89–98. 74 Ebd., S. 91. 75 Ebd. 76 Ebd., S. 92.
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jeweils erhellende Aspekte berücksichtigt werden. Wiederum zeigt sich hier die Ähnlichkeit von Spinners literaturdidaktischem und Dresslers religionsdidaktischem Ansatz. Beiden geht es zentral um das Moment der Perspektivübernahme bzw. die Intensität der Aufnahme von Identifikationspotentialen: „Wichtig ist nicht“, so Spinner, „ein abschließendes Ergebnis, sondern dass sich die Schüler vorstellungsmäßig und gedanklich intensiv mit der Figur Liesels auseinander setzen.“77 Als zweiten kreativen Zugang formuliert Spinner einen Arbeitsauftrag zur „Gestaltung aus veränderter Perspektive.“78 In diesem Beispiel bleibt das erzählte Geschehen innerhalb der Vorlage unverändert, wird aber aus der Sicht einer weiteren Figur (Leni) produktiv gestaltet. Wiederum können sich die Schülerinnen und Schüler so im Schreibprozess zu den Konfliktsituationen innerhalb des Romans verhalten, sich in die Perspektive einer Figur einfühlen und schließlich die Stellung dieser Figur zur erzählten Welt ihrem Verständnis entsprechend thematisieren. Gerade weil sich dieser Zugang durch ein hohes Maß an Nähe zum Originaltext auszeichnet – einzig die Sichtweise wechselt – lohnt in Auseinandersetzung mit den Schreibprodukten hier auch eine Betrachtung der erzählerischen Gestaltung der Vorlage. Wenn sich produktive Arbeitsaufträge an ein ästhetisches Werk anlehnen, dann eignen sich nach Spinner die Schülerprodukte besonders, um von ihnen ausgehend auf die stilistischen Eigenheiten des behandelten Werkes zurück zu blicken. Die subjektiven Arbeitsergebnisse werden zur „Folie […] für die Analyse der erzählerischen Gestaltung des Originaltextes“79 – und zwar auch dann, wenn der Stil im kreativen Schreibprozess bewusst verändert wird. Spinners Unterrichtsbeispiel endet mit einer Produktionsaufgabe, die im Rahmen der Klassenarbeit zu „Das siebte Kreuz“ gestellt wurde. Es handelt sich dabei um einen inneren Monolog, den die Schülerinnen und Schüler aus der Perspektive einer Figur (Bachmann) hinzufügen sollen. Während Seghers den ausgewählten Abschnitt aus Sicht einer anderen Perspektive erzählt, fokussiert der Schreibauftrag Bachmanns Innenwelt, seine Gedanken und Gefühle während der entsprechenden Episode. Der Auftrag ist insofern anspruchsvoll, als die Schreibenden neben der Einfühlung auch die Umgestaltung in eine andere Gattung leisten müssen. Im inneren Monolog können sie sich nicht an den narrativen Strukturen der Vorlage orientieren, sondern müssen die Merkmale dieser Textgattung (Ich-Perspektive, direkte Rede, Präsens, Vermittlung von Gedankenvorgängen, häufige Gedankenstriche, Sprunghaftigkeit etc.) berücksichtigen, um ein angemessenes Produkt zu gestalten. Das Verfassen innerer Monologe kann als Beispiel für ein kreatives Schreibverfahren dienen, das 77
Ebd. Ebd., S. 93. 79 Ebd. 78
2 Beispiel A: Der „handlungs- und produktionsorientierte Literaturunterricht“ 149
inzwischen häufig auch in der performativen Religionsdidaktik Verwendung findet.80 Auffällig ist in Spinners Beispiel zudem, dass die kreative Gestaltungsaufgabe in der abschließenden Klassenarbeit vorkommt, also als Teil einer Bewertungssituation begegnet. Ob kreative Schreibprodukte benotet werden können, ist in der Deutschdidaktik ebenso umstritten wie die Beurteilung von Leistungen im performativen Religionsunterricht. Spinner selbst spricht sich für eine Benotung der Schülerprodukte aus. Als Kriterien der Bewertung schlägt er die Passung zwischen Vorlage und Produkt, die Tiefe der Einfühlungsprozesse sowie die inhaltliche Differenziertheit und sprachliche Wirkungsstärke vor.81 Diese drei Unterrichtsversuche veranschaulichen die wesentlichen Eigenheiten in Spinners didaktischem Konzept des literarischen Lernens. Sie stehen gleichzeitig exemplarisch für die dazu empfohlene Methodik. Alle drei Beispiele dienen der Produktion eigener Lesarten sowie der Anregung von Vorstellungsbildung und Fremdverstehen in einem „Wechselspiel zwischen genauer Textwahrnehmung und subjektiver Verarbeitung.“82
2.2 Ingo Scheller und die Szenische Interpretation Ingo Scheller entwickelte sein Konzept der „Szenischen Interpretation“83 seit Mitte der 1980er Jahre etwa zeitgleich mit der handlungs- und produktions80 Vgl. z. B. M iriam H änig: Die biblische Erzählung vom Vater und seinen beiden Söhnen (Lk 15,11–32). Eine Erlebnisreise (7. Kl./Gym), in: Performative Religionsdidaktik. Religionsästhetik – Lernorte – Unterrichtspraxis, hg. v. Thomas K lie und Silke Leonhard, PTHe 97, Stuttgart 2008, S. 176–184. In Hänigs Unterrichtsbeispiel werden die Schülerinnen und Schüler dazu aufgefordert, im Verlauf einer performativ-bibeldidaktischen Stunde zu Lk 15,11–32 innere Monologe aus Sicht der beiden Söhne zu verfassen. Auch im Verlauf der „Fallanalyse Hartmann“, die Bernhard Dressler kritisch bespricht, formuliert eine nicht namentlich genannte Deutsch- und Religionslehrerin die Aufgabe zum Verfassen eines inneren Monologs aus Sicht von Jona: vgl. Bernhard Dressler: ‚Da möchte Gott was ganz Bestimmtes Jona mit zeigen – Versuchst du das mal in einem Adjektiv zu fassen?‘ Eine Studie zwischen performativer Offenheit und hermeneutischer Bestimmtheit – Fallanalyse ‚Hartmann‘, in: Unterrichtsdramaturgien. Fallstudien zur Performanz religiöser Bildung, hg. v. Bernhard Dressler , Thomas K lie und M artina Kumlehn, Stuttgart 2012, S. 51–82. 81 Vgl. Spinner , Produktionsaufgaben, S. 94. 82 Ebd., S. 89. 83 I ngo S cheller : Szenische Interpretation. Theorie und Praxis eines handlungs- und erfahrungsbezogenen Literaturunterrichts in Sekundarstufe I und II, Seelze 32010. Der Begriff „Szenische Interpretation“ wurde an der Universität Oldenburg entwickelt, wo Scheller seit 1974 als „Hochschullehrer für Curriculumentwicklung im Bereich Kommunikation und Ästhetik“ tätig war. (Seite: „Beruflicher Werdegang“, auf: Homepage I ngo Scheller , URL: www.ingo-scheller.de/wissenschaftliches/wissenschaftlicher-werdegang/ (zuletzt eingesehen am 05. Mai 2018). Neben Schellers Konzept für den Literaturunterricht bezeichnet der Begriff auch verwandte musik- und sozialpädagogische Konzepte, die in Schellers Oldenburger Umfeld entwickelt wurden, z. B. durch den Musikwissenschaftler Wolfgang Martin Stroh. In dieser Untersuchung ist mit „Szenischer Interpretation“ jeweils ausschließlich Schellers Konzept eines „handlungs- und erfahrungsbezogenen Literaturunterrichts“ gemeint. Aus diesem Grund wird der Begriff gemäß der Verwendung Schellers großgeschrieben.
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§ 2 Performative Aufbrüche in der Didaktik benachbarter Fächer
orientierten Umorientierung innerhalb der Literaturdidaktik. Obwohl Scheller die theoretischen Überlegungen von Haas, Waldmann, Wangerin, Spinner und anderen rezipiert und in weiten Teilen befürwortet, nimmt sein Ansatz im Spektrum dieser didaktischen Strömung eine Sonderrolle ein. Als einziger konzentriert sich Scheller mit der Szenischen Interpretation ausschließlich auf ein methodisches Konzept, das er ausführlich didaktisch herleitet, handlungsorientierend konkretisiert und in unterschiedlichen Schulformen erprobt.84 Schellers Ausführungen zielen insofern nicht in erster Linie auf die fachdidaktische Theoriebildung. Ihm geht es primär um die praktische Realisierung szenischer Spiele in unterrichtlichen Lernarrangements. Für diese stellen seine Veröffentlichungen eine Vielzahl von konkreten Handreichungen, Verlaufsplänen und Materialien bereit. Aus der vergleichenden Perspektive, die in diesem Kapitel vorrangig eingenommen wird, ist Schellers Ansatz aufschlussreich. Denn bei näherem Hinsehen auf die Szenische Interpretation fallen die begrifflichen Übereinstimmungen zu den religionsdidaktisch-performativen Arbeiten besonders auf. Diese Beobachtung wird von Schellers Einschätzungen zur Funktion und Bedeutung von Literatur im Deutschunterricht bestätigt: Literarische Texte sind demnach „als Spielmaterial für Inszenierungen im Kopf und im Klassenraum, für die Einfühlung, die Identifikation, das Handeln in vorgestellten Rollen und Szenen und damit für das Erproben und Reflektieren fremder und eigener Haltungen und Verhaltensmöglichkeiten“85 zu verstehen. Ähnlich der performativen Religionsdidaktik – und in besonders deutlicher Übereinstimmung mit deren poststrukturalistisch begründeter Spielart86 – möchte auch Schellers Didaktik „das Lernmaterial den Schülerinnen und Schülern an[vertrauen], indem sie es ihren Verkörperungen preisgibt.“87 Kein anderer fachdidaktischer Ansatz für den Deutschunterricht rückt die performativen Potentiale literarischer Texte so klar in den Fokus.
2.2.1 Szenische Interpretation im Porträt Die Szenische Interpretation bezeichnet ein methodisches Konzept zur erfahrungs- und handlungsbezogenen Erschließung literarischer Texte im Deutsch84 Zur Umsetzung der Szenischen Interpretation liegen inzwischen eine Reihe von reflektierenden bzw. empirischen Veröffentlichungen vor. Diese evaluieren die praxisbezogene Tauglichkeit des Konzepts an Grundschulen, Hauptschulen, Sonderschulen, Realschulen, Gymnasien und Berufsschulen. Scheller selbst hat an einigen dieser Studien mitgearbeitet oder entsprechende Forschungsarbeiten betreut. Für eine Auflistung der entsprechenden Publikationen vgl. Scheller , Szenische Interpretation, S. 17 f. 85 I ngo S cheller : Szenische Interpretation von Dramentexten. Materialien für die Einfühlung in Rollen und Szenen, Deutschdidaktik aktuell 29, Baltmannsweiler 2008, S. 1. 86 Vgl. § 1, Kap. 3.3 „Poststrukturalistisch begründete Performanz“. 87 S chroeter-Wittke , Performance, S. 64.
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unterricht. Die entsprechenden szenischen Verfahren wurden ursprünglich entwickelt, um Dramentexte im Unterricht zu interpretieren. Später wurde dies auch auf epische Texte übertragen, vor allem auf Kurzgeschichten und Romane.88 Im Kern möchte die Szenische Interpretation „Erfahrungspotentiale literarischer Texte zugänglich machen.“89 Dies soll im unterrichtlichen Kontext gelingen, indem Schülerinnen und Schüler „probeweise mit allen Sinnen in der vorgestellten Welt […] agieren“90, sich in die vorgegebenen Rollen und Situationen hineinversetzen und diese selbständig inszenieren. Gerade die Gattung des Dramas legt nach Scheller eine solche Zugangsweise nahe. Dramentexte sind für die Bühnendarstellung verfasst und darauf angewiesen, dass „die in Dialogen, Handlungs- und Regieanweisungen entworfenen bzw. angedeuteten Orte, Figuren, Szenen und Handlungsverläufe“91 in Inszenierungen Gestalt gewinnen. Der Text selbst ist lediglich „Partitur“92, „Spielmaterial“ für Szenen. Es gilt, sich diese Szenen in individuellen Deutungen vorzustellen und sie in „Performances“93 zum Ausdruck zu bringen. Das Ziel der Szenischen Interpretation liegt aber gerade nicht im theatralischen Produkt selbst. Im Unterschied zum Schultheater oder zu den Lernergebnissen im Fach Darstellendes Spiel ist die Entscheidung darüber, ob den Interpretierenden eine kunstfertige Aufführung gelingt oder nicht, kein Kriterium für den Erfolg des Lernarrangements. Stattdessen geht es „um den szenischen Deutungsprozess und die Handlungen, über die sich die Schüler und Schülerinnen im Schutze von Rollen und Szenen den Text und eigene Haltungen bewusst machen.“94 In diesem Zitat klingt bereits die Wechselbeziehung zwischen Text und Rezipient an, die Scheller für didaktisch wesentlich hält. Einerseits wird der literarische Text durch Inszenierungen aktualisiert und erlangt so immer wieder neue Bedeutung; andererseits fungieren die darin entworfenen Szenen auch als Projektionsfläche für eigene „Denk-, Erlebnis- und Verhaltensweisen“95. Auf diese Weise bringt das inszenierte Geschehen auch das innere Erleben der Darsteller zur Erscheinung; denn indem das Deuten im szenischen Spiel stets auf Vorstellungen und Einstellungen der Darsteller zurückgreifen muss, wird in den unterschiedlichen Inszenierungen andererseits auch 88 Mit den fachdidaktischen Besonderheiten bei der Szenischen Interpretation der nichtdramatischen Textgattungen Roman und Kurzgeschichte setzt sich Scheller in seinem Lehrbuch in jeweils eigenen Unterkapiteln auseinander. Vgl. Scheller , Szenische Interpretation, S. 190–221; 224–249. 89 Ebd., S. 48. 90 Ebd. 91 S cheller , Dramentexte, S. 1. 92 I ngo S cheller : Wir machen unsere Inszenierungen selber (I). Szenische Interpretation von Dramentexten. Theorie und Verfahren zum erfahrungsbezogenen Umgang mit Literatur und Alltagsgeschichte(n), Oldenburg 1989, S. 12; Scheller , Szenische Interpretation, S. 48. 93 S cheller , Szenische Interpretation, S. 48 (Hervorhebung FD). 94 S cheller , Dramentexte, S. 1. 95 S cheller , Inszenierungen (I), S. 24.
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§ 2 Performative Aufbrüche in der Didaktik benachbarter Fächer
deren Individualität sichtbar und insofern kommunizierbar. Darin sieht Scheller ein hohes Maß an Schülerorientierung realisiert. Durch den freien und subjektiven Zugang zur Literatur, den Szenische Interpretation eröffnet, können die Rezipienten selbst entscheiden, welche Identifikationspotentiale sie aufnehmen wollen und welche Konfliktsituationen sie für sich als relevant erachten. So erhofft sich Scheller, die Lebenssituation der Heranwachsenden stärker in den Leseprozess einzubeziehen und neue Begeisterung für literarische Texte wecken zu können.96 Im Literaturunterricht könnten auf diese Weise „nicht nur der Text, sondern auch die Vorstellungen und Inszenierungen der Jugendlichen ausgehandelt und gedeutet werden.“97 Mit seinen Vorstellungen von der Wechselwirkung zwischen der Partitur des Textes und der Individualität der Spielenden bezieht sich Scheller ausdrücklich auf Bertolt Brechts Theorie der Lehrstücke sowie deren Aufarbeitung durch den Theaterpädagogen und Konfliktforscher Reiner Steinweg.98 In Brechts Lehrstücken sollen gesellschaftliche Widersprüche, zugespitzte Situationen und Konflikte auf der Bühne so inszeniert werden, dass in der Aufführung auch die Haltungen und Verhaltensweisen der Aufführenden zum Thema werden.99 Zu der im Text beschriebenen Handlung treten die inneren und äußeren Haltungen der Spielerinnen und Spieler hinzu, die den Text in ihrer Inszenierung interpretieren und aktualisieren. Ferner geht Brecht von der performativen Grundeinsicht aus, dass nicht nur innere Zustände, Gefühle und Vorstellungen bestimmte Ausdrucksgestalten, Handlungen und Gesten hervorrufen, sondern dass „umgekehrt auch Haltungen und Gesten Stimmungen und Gedanken logisch hervorbringen.“100 So könne sich im Modus des erprobenden Nachahmens von charakteristischen Handlungen und Haltungen ein Zugang zu den darin abgebildeten Vorstellungen sowie Empfindungen eröffnen und letztlich das eigene Verhaltensrepertoire erweitern. 96 Das übergeordnete Ziel, „Jugendlichen die Erfahrungspotenziale literarischer Texte zugänglich zu machen“, prägt Schellers Konzept m. E. insgesamt. Vgl. hierzu ausführlich S cheller , Szenische Interpretation, S. 31–39, 37. 97 Ebd., S. 32. 98 Vgl. R einer Steinweg (Hg.): Brechts Modell der Lehrstücke. Zeugnisse, Diskussion, Erfahrungen, Frankfurt a. M. 1976. Steinweg stellt in diesem Band stellt nicht nur Brechts Theorie der Lehrstücke dar, sondern führt auch wesentliche Äußerungen und Texte Brechts zum Thema an. Besonders auf das Kapitel „Äußerungen zu den Lehrstücken, chronologisch geordnet“ (S. 31–221) sei an dieser Stelle verwiesen, um Brechts eigene Gedanken zum Thema nachzuvollziehen. Vgl. ferner Scheller , Szenische Interpretation, S. 17; Scheller , Inszenierungen (I), S. 31–45. 99 Vgl. S cheller , Szenische Interpretation, S. 17. Dies ergibt sich aus der zentralen Zielsetzung des Lehrstücks, die Haarmann und Walach prägnant als „Selbsterfahrung beim und im Spiel“ umreißen. H ermann H aarmann / Dagmar Walach: Brechts Theater – Theater als Wissenschaft, in: Brechts Modell der Lehrstücke. Zeugnisse, Diskussion, Erfahrungen, hg. v. R einer Steinweg, Frankfurt a. M. 1976, S. 255–282, 262. 100 So interpretiert Scheller prägnant Brechts Lehrstücktheorie. Vgl. S cheller , Inszenierungen (I), S. 31.
2 Beispiel A: Der „handlungs- und produktionsorientierte Literaturunterricht“ 153
Brecht pointiert diesen im engeren Sinne didaktischen Grundgedanken seiner Lehrstücktheorie wie folgt: „Es sind theatralische Vorgänge, die […] Charaktere bilden. Der Mensch kopiert Gesten, Mimik, Tonfälle. Und das Weinen entsteht durch Trauer, aber es entsteht auch Trauer durch das Weinen.“101 Verhalten, so folgert Scheller, wird nicht zuletzt theatralisch gelernt.102 Die Szenische Interpretation soll folgerichtig auch subjektive Bildungsprozesse unterstützen, die weit über das Verstehen vorgegebener literarischer Texte hinausgehen. Demgegenüber sieht Scheller im traditionellen Literaturunterricht und insbesondere in dessen Aufsatz- und Gesprächsdidaktik entscheidende Potentiale literarischer Texte nicht hinreichend aufgenommen. Schulisches Lernen am Gegenstand Literatur zeichne sich zu häufig dadurch aus, Uneindeutigkeiten in „glatte Begriffe“ zu überführen und die Lernenden „vor dem Diffusen, Chaotischen, Unerlaubten, vor dem Lustvollen, Asozialen, Obszönen und Kitschigen“103 der literarischen Kunstwerke schützen zu wollen. Zurück blieben dann aber lediglich „zeichenhaft entleerte literaturwissenschaftliche Gespräche“ sowie „affektneutrale Stoffe“104. Diese werden dem Reichtum an Wirklichkeitswahrnehmung in den Texten und dem in ihnen enthaltenen Potential zur Änderung der Verhältnisse nach Schellers Überzeugung überhaupt nicht gerecht. Aus Sicht performativer Religionsdidaktik und mit besonderem Blick auf deren Hochschätzung ästhetischen Lernens ist in diesem Zusammenhang Schellers Rezeption des Begriffes „soziales Drama“105 interessant, der auf den Ethnologen Victor Turner zurückgeht.106 Das soziale Drama bezeichnet bei Turner eine Folge von Szenen im gesellschaftlichen Zusammenleben. Innerhalb dieser Szenen entstehen Krisen zwischen Menschen, die in unterschiedlicher Weise bewältigt werden und darin soziale Veränderungsprozesse bewirken.107 Literaturdidaktisch relevant wird dieser Ansatz, insofern Turner darin der Kultur und ihren wahrnehmbaren Objektivationen – gemeint sind Rituale, Medien, Theater, Musik, bildende Kunst und Literatur – die gesellschaftliche Aufgabe zuschreibt, solche sozialen Dramen zu inszenieren. Kulturelle Darstellungen fungieren dann als „Metakommentare und Deutungsangebote zu Situa101
Bertolt Brecht zit. nach: Steinweg, Lehrstücke, 102 Vgl. S cheller , Inszenierungen (I), S. 32. 103 S cheller , Szenische Interpretation, S. 16.
S. 176.
104
Ebd., S. 17. 105 Turner , Vom Ritual zum Theater, S. 103. 106 Zu Turners Beitrag zum fächerübergreifenden
performative turn vgl. § 1, Kap. 2.1.3 „Der performative turn in den Kulturwissenschaften“. 107 Turner beschreibt vier Phasen, die das soziale Drama stets aufweise: „Bruch, Krise, Bewältigung und entweder Reintegration oder Anerkennung der Spaltung“. Turner , Vom Ritual zum Theater, S. 108. Dieser Ablauf des sozialen Dramas entspricht, so ist sich Turner bewusst, „ziemlich genau Aristoteles’ Beschreibung der Tragödie in der Poetik“. Ebd., S. 114. Vgl. Scheller , Szenische Interpretation, S. 23 f.
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§ 2 Performative Aufbrüche in der Didaktik benachbarter Fächer
tionen und Konflikten“108, mit denen Menschen in der Gesellschaft konfrontiert sind. Nach Turner lässt sich „die Gesamtheit performativer und narrativer Gattungen, aktiver und agierender Formen der Ausdruckskultur […] als ein Spiegelsaal auffassen“109, in dem sich menschliche Erfahrungen, potentielle Krisen, Konflikte und Herausforderungen, aber auch Chancen des sozialen Miteinanders abbilden. Aus dieser Aufgabenzuschreibung leitet Scheller sein Verständnis von Ästhetik, speziell der Literatur und ihrer Didaktik ab. Dieses legt er dem Konzept der Szenischen Interpretation zugrunde: „Werden literarische Texte in diesem Sinne als Metakommentare zu sozialen Dramen gelesen und verstanden, können sie Lesenden helfen, sich selbst und das eigene Verhalten in sozialen Situationen zu reflektieren und gegebenenfalls zu verändern.“110 Wenn die Schülerinnen und Schüler den Figuren, den entworfenen Szenen und Konflikten eine konkrete Gestalt verleihen, dann werden sie selbst in die Situation respektive das soziale Drama der Vorlage verwickelt. So wird es ihnen möglich, Bezugspunkte zum eigenen Leben und Umfeld zu entdecken. Um derart erfahrungs- und erlebnisbezogenes Lernen mit Literatur im Alltag des schulischen Deutschunterrichts didaktisch zielführend organisieren zu können, beschreiben Schellers Arbeiten einen umfangreichen Katalog unterrichtlicher Konkretionen.
2.2.2 Methodik Schellers Szenische Interpretation unterscheidet sich von gängigen Rollen- und Improvisationsspielen vor allem durch ihren strukturierten methodischen Ablauf. In mehreren aufeinander aufbauenden Phasen eröffnet sie den Schülerinnen und Schülerinnen die Möglichkeit, sich einer Textvorlage schrittweise anzunähern, sich mit dargebotenen Rollen zu identifizieren, diese im szenischen Spiel zu verkörpern und schließlich die entstandenen Produkte aus reflexiver Distanz kooperativ auszuwerten. Das Wechselspiel von Identifikation und distanzierter Reflexion erinnert unverkennbar an die Didaktik des Perspektivenwechsels, die insbesondere Dresslers Spielart performativer Religionsdidaktik auszeichnet.111 In beiden Fällen lernen die Heranwachsenden, zwischen mehreren Perspektiven hin- und herzuwechseln, aus Sicht der jeweiligen Perspektive schlüssig zu agieren und die Perspektivität selbst zu reflektieren. Eine Szenische Interpretation verläuft im Idealfall in acht Einzelschritten:112 108 109
Scheller , Szenische Interpretation, S. 24. Turner , Vom Ritual zum Theater, S. 165. 110 S cheller , Szenische Interpretation, S. 24; vgl. S cheller , Dramentexte, S. 2. 111 Vgl. § 1, Kap. 3.1.1.3 „Religiöse Bildung als Unterscheidungsfähigkeit“. 112 In Ausnahmefällen können aufgrund von äußeren Notwendigkeiten im Schulalltag Abweichungen von diesem Ablauf begründet werden, etwa durch Zeitnot im Zusammenhang mit Einzelstunden, die Notwendigkeit zum Raumwechsel usf. Die drei Kernprinzipien „Einfühlung, Verfremdung und szenische Reflexion“ empfiehlt Scheller aber auch im Falle von verkürzten Lernarrangements zu Grunde zu legen, um das didaktisch zentrale Wechselspiel von
2 Beispiel A: Der „handlungs- und produktionsorientierte Literaturunterricht“ 155
Auf die Präsentation eines Textes (1) folgen spontane Reaktionen der Lerngruppe, die in Form von Assoziationen, intuitiven Vorstellungen und Bildern artikuliert werden (2). Anschließend erkunden die Schülerinnen und Schüler den Lebenszusammenhang der im Text auftretenden Figuren, etwa mithilfe von Fantasiereisen, historischen Dokumenten, Ortsbeschreibungen oder Bildern (3). Erst jetzt übernehmen alle113 eine Rolle und beginnen, sich Schritt für Schritt in die inneren und äußeren Haltungen ihrer Figur einzufühlen (4). Die Einfühlung erfolgt individuell und meist in Stille: Die Spielerinnen und Spieler lesen Rollentexte, wichtige Szenen, in denen die Figur auftritt, schreiben Selbstvorstellungen und erproben Körperhaltungen, Verhaltens- und Denkweisen sowie eine angemessene Art des Stimmgebrauchs. Ist die Identifikation mit der neuen Rolle weit fortgeschritten, können die Figuren untereinander in Interaktion treten. Dabei werden in Kleingruppen kurze szenische Spiele zu meist unterschiedlichen Szenen erarbeitet und eingeübt (5). Im Anschluss daran präsentieren möglichst viele Gruppen ihre Ergebnisse im Plenum (6). Dazu nehmen die Lernenden ihre Haltungen auf einer selbst improvisierten Bühne ein, woraufhin der Spielleiter oder die Spielleiterin (meist die Lehrperson) einen oder mehrere Spielerinnen und Spieler auffordert, den Handlungsort detailliert zu beschreiben, noch bevor das Spiel beginnt. Während der Präsentation besteht für die Spielleitung und das Publikum die Möglichkeit, das Spiel durch „Stopp-Rufe“ zu unterbrechen, um einzelne Figuren direkt anzusprechen und sich nach ihren Befindlichkeiten zu erkundigen („Was denkst du?“; „Was fühlst du?“). Sobald das Spiel beendet ist, kommen die Spielerinnen und Spieler über das im Spiel Erlebte und Akzentuierte aus der Rollenperspektive ins Gespräch (7), etwa in Form von Erlebnisgesprächen oder Rolleninterviews. Am Schluss wird das szenische Spiel im literarischen Gespräch aus der Außenperspektive kritisch reflektiert (8).114 Scheller benennt und erläutert für jede dieser Phasen unterschiedliche Methoden zur praktischen Umsetzung. Die Szenische Interpretation stellt deshalb Identifikation und Reflexion zu realisieren. Vgl. Scheller , Szenische Interpretation, S. 31 f.; Wangerin, Selbsterfahrung, S. 134. 113 Die Beteiligung sämtlicher Schülerinnen und Schüler ist Scheller ein besonderes Anliegen. Selbst wenn die Textvorlage nicht genügend Figuren zur Identifikation bereitstellt, ist nach seinen Vorstellungen an dem Grundsatz hoher Schüleraktivierung festzuhalten. In solchen Fällen kann die literarische Vorlage sogar wie folgt erweitert werden: „Stehen nicht genügend Figuren zur Verfügung, werden zusätzliche Rollen geschaffen und zentrale mehrfach besetzt“. Scheller , Dramentexte, S. 3. 114 Vgl. Ebd., S. 3 f.; S cheller , Szenische Interpretation, S. 49; S cheller , Inszenierungen (I), S. 23–25; Wangerin, Selbsterfahrung, S. 134 f. Ausführliche methodische Überlegungen und eine Vielzahl von beispielhaften Drameninterpretationen inklusive entsprechender Verlaufspläne und Unterrichtsmaterialien finden sich in dem folgenden Praxisband: I ngo Scheller: Wir machen unsere Inszenierungen selber (II). Szenische Interpretation von Dramentexten. Verlaufspläne und Materialien für einen erfahrungsbezogenen Umgang mit Literatur und Alltagsgeschichte(n), Oldenburg 1989.
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§ 2 Performative Aufbrüche in der Didaktik benachbarter Fächer
insgesamt „ein Füllhorn methodischer Möglichkeiten“115 bereit, wie Wangerin wertschätzend feststellt. Die folgende Auswahl benennt exemplarisch wichtige szenische Interpretationsverfahren: – Rollentexte (Informationen zur Unterstützung der Einfühlung, meist in 2. Person) – Selbstdarstellung / Rollenbiografie (Aus Sicht der Figur/Rolle, 1. Person) – Habitus und Haltungsübungen (z. B. Erkundung von Stand, Gang, Gestik einer Figur) – Szenisches Lesen (Erarbeitung von Sprechhaltungen einer Figur) – Raumbeschreibung (Entwicklung von Raum-, Gegenstands- und Milieuvorstellungen) – Rollengespräche yy Rolleninterview (Figuren antworten auf Fragen von Beobachtern oder anderen Figuren) yy Einfühlungsgespräch (Spielleiter agiert als Dialogpartner, unterstützt die Einfühlung) yy Gedanken-Stopp (Einfrieren von Haltungen und Artikulation von Gedanken/Gefühlen) yy Rollenmonolog (öffentlich hörbares Selbstgespräch einer Figur) yy Situationsbezogene Rollenbefragung (Fragen zu momentanen Situationen und Befindlichkeiten bei unterbrochenem Handlungsverlauf) yy Erlebnisgespräch (Spielleiter animiert die Figuren zu Reflexionen über die Erlebnisse) – Szenisches Spiel (Darstellerinnen handeln anstelle ihrer Figuren in vorgegeben Situationen/Szenen) – Situationsbezogene Standbilder (zugespitzt auf einen bestimmten Moment des Textes) – Statuen (Abstraktionen von konkreten Szenen, zeigen generelle Haltungen der Figuren) – Stimmenskulptur (gruppenteilige Artikulation von ambivalenten Gedanken/ Gefühlen aus Sicht von Figuren)116 Bei genauer Betrachtung von Schellers Verfahren zur Szenischen Interpretation fallen – neben den bereits erwähnten Übereinstimmungen zu Dresslers Didaktik des Perspektivenwechsels – eine Fülle von Analogien zu bevorzugten Methoden performativer Religionsdidaktik auf. So überwiegen solche Zugänge, die Körper und Sinne in den Lernprozess einbeziehen und die der Leiblichkeit des Lernens Rechnung tragen. Insbesondere die Habitus- und Haltungsübun115 116
Wangerin, Selbsterfahrung, S. 135. Die aufgeführten Methoden entsprechen – bei einigen Auslassungen – der Auflistung „Szenische Interpretationstechniken“, in: Scheller , Szenische Interpretation, S. 60–75; vgl. ferner Scheller , Inszenierungen (I), S. 46–78.
2 Beispiel A: Der „handlungs- und produktionsorientierte Literaturunterricht“ 157
gen, aber auch Standbilder, Statuen und szenische Spiele fordern dazu auf, mit den angebotenen Rollen in Kontakt zu treten, und zwar bis hin zur tatsächlichen Nachahmung einer entsprechenden Körperhaltung. Nicht zufällig verweist Silke Leonhard, deren performativ-didaktischer Ansatz besonders die Leiblichkeit des Lernens akzentuiert,117 explizit auf die Methoden Schellers, um innerhalb des religionsdidaktischen Diskurses auf die Chancen szenisch-ästhetischer Verfahren aufmerksam zu machen.118 Des Weiteren realisieren Schellers Methoden im Sinne Bizers und Leonhards eine Kultur des „Probierverhalten[s]“119, die den Schülerinnen und Schülern erlaubt, literarische Stoffe experimentell und ihren subjektiven Vorstellungen entsprechend aus- und umzugestalten. Dies gilt in Ansätzen für sämtliche der oben dargestellten Verfahren, findet aber besonders in der Stimmenskulptur einen für alle Lernenden hörbaren Ausdruck: Alle Rezipienten legen darin zunächst einer Figur Gedanken und Gefühle in den Mund. Dann kann diese Figur die geäußerten Sätze ausprobieren, gewichten und spielerisch zueinander in Beziehung setzen. Die Ausdruckshandlung wird zur Probehandlung. So führt die Stimmenskulptur ihrerseits beispielhaft vor Augen, wie sehr die Interpretation jeder literarischen Vorlage von den Perspektiven ihrer Leserinnen und Leser abhängt.
2.3 Performative Religionsdidaktik und handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht im Vergleich Bereits in der Darstellung der ausgewählten Konzepte handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts wurden methodische Übereinstimmungen und gemeinsame Zielsetzungen mit den Spielarten performativer Religionsdidaktik angesprochen. Auch auf vergleichbare fachdidaktische Herausforderungen wurde hingewiesen. Im Folgenden sollen diese vorläufigen Hinweise gebündelt und im Hinblick auf eine etwaige Vergleichbarkeit der beiden Konzeptbündel interpretiert werden. Auffallend ist zunächst die weitgehende Übereinstimmung zwischen sämtlichen hier vorgestellten Ansätzen in einem Teilbereich der jeweils zugrunde gelegten, generellen Situationsanalyse des Unterrichts: Gemeinsam kritisieren die angeführten Deutsch- und Religionsdidaktiker die „Kopflastigkeit und Entsinnlichung des Unterrichts“120, und damit die Bevorzugung von und Konzentration auf kognitiv-analytisch ausgerichtete Lernwege. Die Vertreter der Handlungsund Produktionsorientierung sehen einen derart eindimensionalen Unterricht vor allem im traditionellen Aufsatzunterricht realisiert. In gewisser Entspre117
Vgl. § 1, Kap. 3.2.2.1 „Der Körper als Lernort“. Leonhard, Leiblich lernen, S. 22. 119 Bizer , Liturgik und Didaktik, S. 92; vgl. hierzu ausführlich § 1, Kap. 3.2.2.2 „Rituelle (Re‑)Präsentation zwischen Didaktik und Methodik“. 120 Spinner , Literaturdidaktik, S. 27. 118 Vgl.
158
§ 2 Performative Aufbrüche in der Didaktik benachbarter Fächer
chung dazu grenzen sich die Religionsdidaktiker insbesondere gegen das vermeintlich objektive „Reden über Religion“121 im „Kopierpapier-gestützte[n] Unterricht“122 ab. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang allerdings der frühere Zeitpunkt, zu dem Deutschdidaktiker wie Haas, Waldmann und S pinner die entsprechende Umorientierung bereits einforderten und breitenwirksam in die Lehrerbildung einbrachten. Zwar gab es selbstverständlich auch vor der Ausbildung performativer Ansätze vergleichbare Kritiken innerhalb der Religionsdidaktik, wofür die symboldidaktischen Entwürfe von Peter Biehl und Hubertus Halbfas als Beispiele gelten können.123 Dennoch sahen die Vertreterinnen und Vertreter performativer Religionsdidaktik noch zu Beginn der 2000er Jahre die einseitig kognitive Ausrichtung als Kernproblem des zu jener Zeit erteilten Unterrichts. Ob das Bild des einseitig kopflastig-diskursiven Unterrichts die Realität in den Klassenräumen des Religionsunterrichts dieser Zeit tatsächlich abbildete, erscheint zumindest fraglich und wird im späteren Verlauf dieser Untersuchung kritisch zu prüfen sein.124 Auch bezüglich der zugrunde gelegten Begründungstraditionen lassen sich Übereinstimmungen zwischen beiden performativen Aufbrüchen erkennen. Vor allem konstruktivistische,125 semiotische126 und gestaltpädagogische127 Denkansätze fundieren die didaktischen Theoriegebäude. Diese Beobachtung ist nicht überraschend. Es klingt darin ein allgemeindidaktischer und allgemeinpädagogischer Zeitgeist an,128 der pädagogische Handlungsfelder in den vergangenen drei Jahrzehnten stark beeinflusst hat. Vor allem die erkenntnistheoretischen Annahmen des Konstruktivismus haben sich längst zu einer Art „pädagogische[r] Weltanschauung“129 entwickelt, wie Horst Siebert zutreffend bemerkt. Sämtliche handlungs- und produktionsorientierten Ansätze beziehen sich zusätzlich auf die Literaturtheorie der Rezeptionsästhetik. Diese beschäf121
Schmid, Mehr als Reden über Religion, S. 2. K lie , Wort, S. 105; vgl. hierzu auch § 1, Kap. 3.1.2.2 „Religionsunterricht als theatrales Geschehen“. 123 Die Symboldidaktik, insbesondere ihre evangelische Ausprägung als „kritische Symbolkunde“ im Anschluss an Peter Biehl, wird im Rahmen dieser Untersuchung eigens zu den Ansätzen performativer Religionsdidaktik in Beziehung gesetzt. Vgl. § 3, Kap. 2.6 „Peter Biehl (1931–2006): Die Vermittlungsproblematik und das Symbol“. 124 Vgl. § 4, Kap. 2.6 „Performative Lernsettings und die Erweiterung des religionsdidaktischen Methodenspektrums“. 125 Im Spektrum der religionsdidaktisch-performativen Ansätze gilt dies v. a. für Mendl; in der Deutschdidaktik für Waldmann und Wangerin. 126 Im Spektrum der religionsdidaktisch-performativen Ansätze gilt dies v. a. für Dressler und Klie; in der Deutschdidaktik für Spinner. 127 Im Spektrum der religionsdidaktisch-performativen Ansätze gilt dies v. a. für Bizer und Leonhard; in der Deutschdidaktik für Wangerin. 128 Vgl. M arcus H asselhorn / A ndreas G old: Pädagogische Psychologie. Erfolgreiches Lernen und Lehren, Stuttgart 32013, darin v. a. das Kapitel „Lernen als Konstruktion von Wissen“, S. 62–67. 129 Siebert, Pädagogische Weltanschauung, Titelformulierung. 122
2 Beispiel A: Der „handlungs- und produktionsorientierte Literaturunterricht“ 159
tigt sich speziell mit dem Leseprozess und begründet die Mehrdeutigkeit literarischer Texte mithilfe darin angelegter Uneindeutigkeiten und Leerstellen. Der unterrichtliche Umgang mit Mehrdeutigkeit zeigt zudem ein einendes Moment in den fachdidaktischen Theoriegebäude und speziell den fachdidaktischen Intentionen an. Unabhängig davon, ob Schülerinnen und Schüler liturgischen Vollzügen, biblischer Überlieferung oder literarischen Texten begegnen: Stets geschieht die Auseinandersetzung mit den Lerngegenständen auf das Ziel hin, dass sie „sich auf die Unabschließbarkeit des Sinnbildungsprozesses einlassen.“130 Anstatt eindeutige Antworten zu versprechen, möchte performative Didaktik Möglichkeitsräume eröffnen, Deutungspotentiale aufnehmen und in ergebnisoffene Kommunikation mit den am Unterricht beteiligten Individuen treten. Deren notwendigerweise unterschiedliche Sichtweisen sind als subjektive Interpretationsleistungen wertzuschätzen. Die Lerngegenstände selbst werden als „Partitur“131 verstanden, die es im Unterricht abhängig von den individuellen Lerngruppen in unterschiedliche Formen von Performances umzusetzen bzw. zu inszenieren gilt. Ob der Eigenwert der behandelten Lerngegenstände in dieser am lernenden Subjekt orientierten Didaktik ausreichend zur Geltung kommt, kann umgekehrt an beide Konzeptbündel kritisch zurückgefragt werden.132 Die Wahrnehmung von Wirklichkeit ist im Anschluss an die relativistischen Grundannahmen stets vom Auge des Betrachters abhängig. Dementsprechend wird das Einnehmen von wechselnden Perspektiven in vielen der hier vorgestellten Ansätze im unterrichtlichen Vollzug außerordentlich bedeutsam. So nennt Dressler seine performative Spielart auch „Didaktik des Perspektivenwechsels“, während Spinners Ansatz um den Begriff des „Fremdverstehen[s]“133 kreist. Beide heben die Fähigkeit zur Perspektivübernahme als entscheidendes Bildungsziel des jeweiligen Fachunterrichts hervor. Die bisher dargestellten konkreten Lernarrangements zeigen vornehmlich solche Aufgabenstellungen, in denen Schülerinnen und Schüler unterschiedliche Rollen übernehmen und der veränderten Sichtweise entsprechende Handlungen und Haltungen ausführen. In der Deutschdidaktik zielen derartige Perspektivenwechsel zuerst auf das Einfühlen in literarische Figuren und die Fähigkeit zur Imagination fiktionaler Welten. Performative Religionsdidaktiker gehen hier einen Schritt weiter. Nach Klie inszeniert performativer Religionsunterricht die „performative[n] Außen130
Spinner , Literarisches Lernen, S. 12. K lie / Leonhard, in Szene setzen, S. 11; Nadja Yekrang -H aghpanah: Von der Partitur eines Textes zur Performance und Reflexion. Oder: ‚Sturm in die Stille!‘ Mt 8,23 ff. (5. Kl./Gym), in: Performative Religionsdidaktik. Religionsästhetik – Lernorte – Unterrichtspraxis, hg. v. Silke Leonhard und Thomas K lie , PTHe 97, Stuttgart 2008, S. 167–175, 167; Scheller , Inszenierungen (I), S. 12. 132 Vgl. hierzu § 4, Kap. 2.4 „Gelebter christlicher Glaube im Verhältnis zur „Unterrichtsreligion“. 133 Spinner , Fremdes Verstehen, S. 126. 131
160
§ 2 Performative Aufbrüche in der Didaktik benachbarter Fächer
seiten“134 des Christentums als „Inszenierungsreligion“135. Er lädt zu „Probeaufenthalte[n]“ in den didaktisch aufbereiteten „religiösen Welten“136 ein und möchte so die Spezifika religiöser Kommunikation und Praxis vor Augen führen. Durch Perspektivenwechsel sollen die Heranwachsenden im Vollzug erfahren und reflektieren, inwiefern ein spezifisch religiöser Modus der Weltbegegnung einen anderen Wahrheitsanspruch zur Geltung bringt als etwa ein naturwissenschaftlicher oder philosophischer Zugang. Dazu ist kritisch zu fragen, inwieweit zwischen den religiösen Probewelten und authentischen religiösen Vollzügen aus Schülersicht angemessen unterschieden werden kann. Auch erscheint fraglich, ob der spielerische Umgang mit literarischen Deutungsangeboten nicht kategorial vom ergebnisoffenen Spiel mit religiösen Vollzugselementen zu unterscheiden ist.137 Spinners Didaktik des „Fremdverstehens“ ist wohl auch deshalb weniger umstritten, weil darin fortwährend der literarische Text als Deutungsfolie erkennbar ist und einen transparent als fiktional gekennzeichneten Möglichkeitsraum für unterschiedliche Interpretationen eröffnet. Religionsdidaktische Lernarrangements, die etwa eine Abendmahlszeremonie oder einen Segensspruch inszenieren, erinnern erheblich stärker an authentische Vollzüge, die Heranwachsende mitunter bereits selbst erlebt oder in Medien kennengelernt haben. Dressler selbst bezeichnet in diesem Zusammenhang das Anbahnen einer Fähigkeit zur Unterscheidung, beispielsweise zwischen der Binnenperspektive von Religion und der reflektierenden Außenperspektive, als wichtigste Herausforderung eines performativen Religionsunterrichts.138 Schließlich teilen die vorgestellten Ansätze die Hochschätzung der Wahrnehmung als didaktischem Leitbegriff. „Wahrnehmung der christlichen Religion“139 lautet der Titel der Festschrift zu Christoph Bizers 70. Geburtstag. Der Titel könnte ein zweifaches Verhältnis zur christlichen Religion ausdrücken: Einerseits könnte er ein verstehendes Anerkennen meinen, ein An-nehmen der als christliche Religion begegnenden Wahrheit, wie sie sich unter Umständen beim Einstimmen in das Glaubensbekenntnis vollzieht. Andererseits könnte es um das Erkennen der in christlicher Religion begegnenden Lebensvollzüge aus einer Außenperspektive gehen. Dieser letztere Sinn ist wahrscheinlicher. Der Buchtitel würde so nämlich ein Kernanliegen der performativen Religions134
K lie , Rahmen, S. 6. K lie , Wort, S. 107; K lie , Gestalten und Handeln, S. 175. 136 D ressler , Darstellung und Mitteilung, S. 14. Vgl. § 1, Kap. 3.1.1.3 „Religiöse Bildung als Unterscheidungsfähigkeit“. 137 Vgl. hierzu kritisch Stellung beziehend § 4, Kap. 2.7 „Performative Bibeldidaktik und die Unterscheidung vom liturgischen Lernen“. 138 Vgl. hierzu ausführlich § 1, Kap. 3.1.1.3 „Religiöse Bildung als Unterscheidungsfähigkeit“. 139 I ngrid S choberth (Hg.): Wahrnehmung der christlichen Religion, FS C hristoph Bizer , Heidelberger Studien zur Praktischen Theologie 11, Berlin 2006. 135
2 Beispiel A: Der „handlungs- und produktionsorientierte Literaturunterricht“ 161
didaktik bezeichnen, und zwar nicht nur in ihrer gestaltpädagogisch begründeten Ausprägung. Gerade Bizer und Leonhard geht es zunächst und primär um die sinnliche Wahrnehmung der Religion in ihren sichtbaren, spürbaren, hörbaren Erscheinungsformen. Ihnen liegt daran, zu beobachten, zu begehen, zu fühlen, der Religion in ihren Ausdrucksgestalten und Lebensvollzügen bewusst zu begegnen. Auch im handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht fungiert Wahrnehmung als didaktische Leitkategorie. Primär versprechen sich die Vertreter eine Sensibilisierung der ästhetischen Wahrnehmung durch die produktiv-kreativen Zugänge. Indem „subjektive Involviertheit und genaue Wahrnehmung miteinander ins Spiel“140 kommen, können sich die Rezipienten nach Meinung der hier vorgestellten Deutschdidaktiker gleichzeitig die fiktionalen Welten der literarischen Texte klarer vorstellen und die darin verdichteten Erfahrungen zielführender mit Eigenerfahrungen in Beziehung setzen. Der Wunsch, subjektive Wahrnehmungsprozesse zu unterstützen, prägt darüber hinaus die methodischen Konsequenzen in performativen Entwürfen. Kreativ, experimentell, handlungsorientiert, variabel, situiert und spielerisch sollen die Verfahren ausgerichtet sein. Ihre Aufgabe wird darin gesehen, individuelle und unter Einbeziehung aller Sinne möglichst ganzheitliche Lernprozesse zu ermöglichen. Auffällig ist im Bereich der Methodik aber weniger die weitgehende Einigkeit als der zeitliche und qualitative Vorsprung, den die Deutschdidaktik hier aufweist. Performative Religionsdidaktiker beziehen sich explizit auf die in der Deutschdidaktik ausgereiften Verfahren,141 verwenden die Methoden Spinners, Schellers142 oder Wangerins143 in performativen Lernarrangements für den Religionsunterricht und laden Deutschdidaktiker zu religionsdidaktischen Lehrveranstaltungen oder auch Methodenworkshops ein.144 Diese Beispiele belegen, dass die Religionsdidaktik insbesondere in Bezug auf die Methodik vom handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht beeinflusst wurde und bis heute von diesem profitiert. Sie konnte beson140 141
Spinner , Literaturdidaktik, S. 27. Vgl. z. B. Leonhard, Leiblich lernen, S. 22. 142 Vgl. z. B. Florian D inger : Hören – Lesen – Studieren. Wege kreativer Bibellektüre im 9./10. Jahrgang, in: Themenhefte Religion 11 (2013), S. 40–51; Daniel Ruf: Licht für einen Blinden – Hoffnung für alle. Ein Unterrichtsentwurf zu Joh 9,1–11, in: Performative Religionsdidaktik und biblische Textwelten, hg. v. Thomas K lie , R ainer M erkel und Dietmar P eter , Loccumer Impulse 3, Loccum 2012, S. 106–111. Ruf leitet an einer Göttinger Gesamtschule den Fachbereich Deutsch. 143 Vgl. z. B. Yekrang -H aghpanah , Partitur, S. 171. Neben der Aufnahme von Wangerins Vorschlag zum Ablauf einer Höreinfühlung verweist Yekrang-Haghpanah auch auf die Ausführungen zu „Haltungen“ und „Habitus“ von Ingo Scheller. Ebd., S. 169. 144 So etwa Wolfgang Wangerin zum „Göttinger Tag der Religionspädagogik“ am 5. März 2013. Wangerin stellte dort Ingo Schellers Szenische Interpretation anhand eines biblischen Textbeispiels vor. Auch Nadja Yekrang-Haghpanah, die den Vf. als Fachleiterin im Fach Deutsch in dessen Referendariat ausbildete, trat mehrfach am Studienseminar Göttingen im Fachseminar Religion auf, um in Schellers Konzept einzuführen.
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§ 2 Performative Aufbrüche in der Didaktik benachbarter Fächer
ders in Bereichen, in denen performative Didaktik mit Texten arbeitet, auf ein fundiertes, vielfach erprobtes und stets auf die oben genannten methodischen Konsequenzen hin ausgelegtes Repertoire an Verfahren zurückgreifen, was das methodische Niveau des Religionsunterrichts insbesondere hinsichtlich kreativer Schreibverfahren und szenischer Spiele erheblich angehoben hat. Dennoch stellt sich angesichts dieser Wirksamkeit im methodischen Bereich die Frage, ob die fachdidaktische Einbettung und Zielsetzung der ursprünglich für den Umgang mit fiktionalen Texten entwickelten Verfahren ohne weiteres auch auf den Religionsunterricht und speziell das liturgische Lernen übertragen werden können. Ob fachdidaktisch etwa zwischen der kreativen Einfühlung in fiktive Romanfiguren und einer Annäherung an betende Christen unterschieden werden kann und soll, muss im Anschluss an die Erkenntnisse dieses Teilkapitels kritisch geprüft werden.145 Vorläufig lässt sich jedoch anhand der hier dargestellten Übereinstimmungen feststellen, dass die Religionsdidaktik von den methodischen Impulsen des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts erheblich beeinflusst wurde.146 Schließlich eint beide „performativen Aufbrüche“, dass sie unmittelbar nach ihrem Aufkommen kontrovers geführte Diskussionen in der jeweils zugehörigen Fachdidaktik hervorgerufen haben. Innerhalb der Deutschdidaktik wurden vor allem die Vorschläge zur Bewertung kreativer Leistungen, die ausgedehnte Dauer der produktiven Verfahren sowie der spielerisch-freie Umgang mit Literatur vehement kritisiert.147 Inzwischen werden allerdings handlungs- und produktionsorientierte Verfahren weitgehend anerkannt und zumindest als Ergänzung des Deutschunterrichts auch angewandt. Sie werden an Hochschulen und 145
Hierzu wird in § 4, Kap. 2.7 „Performative Bibeldidaktik und die Unterscheidung vom liturgischen Lernen“ eine stärkere Differenzierung zwischen den beiden im Titel des Kapitels angesprochenen Bereichen vorschlagen. 146 Diese Einflussnahme bestätigen vielfältige unterrichtspraktisch ausgerichtete Publikationen, die z. T. gar nicht explizit der performativen Religionsdidaktik zuzuordnen sind. Zur Veranschaulichung dieser These empfiehlt der Vf., die entsprechenden Jahrgänge der Zeitschrift „entwurf“ des Friedrich-Verlags durchzublättern, deren Praxisvorschläge an vielen weiterführenden Schulen rezipiert werden. Die darin veröffentlichten „Konzepte, Ideen und Materialien für den Religionsunterricht“ haben sich in den vergangenen Jahren deutlich verändert. Seit 2002 nehmen die kreativen Lernarrangements, die z. B. Rollenspiele, kreative Schreibprozesse, Höreinfühlungen usw. integrieren, deutlich zu. 147 Stellvertretend für die Kritiker kann hier auf Hans Kügler verwiesen werden, der die handlungs- und produktionsorientierte Umorientierung vehement kritisierte und damit gleich mehrere Reaktionen der Vertreter hervorrief (z. B. durch Haas, Waldmann, Gerhard Rupp). Küglers zentraler Kritikpunkt ist der folgende: „Die pathetische Ausrufung des Schülers zum Koproduzenten des Autors durch die Didaktik führt […] durch den dadurch ausgelösten Aktivitäts- und Eingreifkult […] zur Zerstörung des Textes als autonomem Werk.“ H ans Kügler: Erkundung der Praxis. Literaturdidaktische Trends der 80er Jahre zwischen Handlungsorientierung und Empirie (Teil 1), in: Praxis Deutsch 90 (1988), S. 4–9, 6; vgl. ferner H ans Küg ler : Brief an zwei Leser. Zum produktions- und handlungsorientierten Literaturunterricht, in: Praxis Deutsch (Sonderheft/2000), S. 32–34.
3 Beispiel B: Im Schulfach Darstellendes Spiel
163
Studienseminaren gelehrt, in neueren Lehr- und Schulbüchern berücksichtigt und durch curriculare Vorgaben als verbindliche Zugangsweisen festgeschrieben. In der Religionsdidaktik hingegen sind die performativen Ansätze noch immer umstritten. Ob performativer Religionsdidaktik eine vergleichbare Verankerung als unumgängliche didaktische Struktur des Religionsunterrichts der Zukunft bevorsteht, ist derzeit noch nicht abzusehen.
3 Beispiel B: Kreativität und Performance im Schulfach Darstellendes Spiel Als drittes künstlerisches Schulfach neben Kunst und Musik hat sich seit Beginn der 1980er Jahre zunehmend „Darstellendes Spiel“148 etabliert. Inzwischen wird es in der Mehrzahl aller Bundesländer auch als Abiturfach angeboten.149 Längst können Schülerinnen und Schüler von der Grundschule bis zum Gymnasium nicht mehr ausschließlich in AG‑Angeboten und Projekten Theater spielen, sondern immer häufiger auch in einem schulisch verankerten Fach „die besondere künstlerische Sichtweise des Theaters auf die Welt erleben.“150 Das jüngste der musisch-künstlerischen Schulfächer verspricht nicht weniger, als „integrative Prozesse von Wahrnehmung, ästhetischem Handeln und Reflexion“ auszulösen, „ein ‚Begreifen‘ im kognitiven wie körperlichen Sinne“, und darin „Neues, Fremdes und Unverhofftes erfahrbar zu machen.“151 Schon diese programmatischen Ankündigungen des Hamburger Theaterpädagogen Wulf Schlünzen zeigen Analogien zur performativen Religionsdidaktik an, die nahezu sämtliche der darin als zentral herausgearbeiteten allgemeindidaktischen Kategorien berühren: Den Zusammenhang von Wahrnehmen, Teilnehmen und Reflektieren, die Leiblichkeit des Lernens, den Widerspruch gegen kognitive Engführungen, das Einlassen auf Fremdheitserfahrungen, die Deutungsoffenheit der Lerngegenstände, um nur einige Beispiele zu nennen. Inwiefern diese 148 Die Bezeichnungen für das Schulfach unterscheiden sich in einzelnen Bundesländern. In dieser Untersuchung wird der Begriff „Darstellendes Spiel“ aufgrund der weitesten Verbreitung im Bundesgebiet gewählt. Die anders bezeichneten Fächer werden dabei ebenfalls berücksichtigt. Obwohl beispielsweise Hamburg das entsprechende Unterrichtsfach „Theater“ nennt und Bayern „Dramatisches Gestalten“ anbietet, sind hier mit „Darstellendem Spiel“ sämtliche dieser auf theatrale Ausdrucksweisen hin ausgerichteten schulischen Fächerangebote angesprochen. 149 Der Implementierungsprozess des Darstellenden Spiels als Schulfach ist bis heute nicht abgeschlossen. Vgl. hierzu ausführlich auch mit Bezügen zu bundesweiten Tendenzen: Niedersächsisches Landesinstitut für schulische Q ualitätsentwicklung: Seite „DS in Niedersachsen“, auf: Niedersächsischer Bildungsserver , url: www.nibis.de/nibis. php?menid=3737 (zuletzt eingesehen am 30. Mai 2018). 150 Wulf S chlünzen: Werkstatt Schultheater. DS 1. Zur Didaktik und Methodik, Hamburg 22005, S. 8. 151 Ebd., S. 9.
164
§ 2 Performative Aufbrüche in der Didaktik benachbarter Fächer
und weitere Grundannahmen jedoch tatsächlich unter dem Begriff des Performativen zueinander in Beziehung gesetzt werden können, wo spezifische Unterschiede erkennbar werden und ob sich schließlich aus den vielfältigen Übereinstimmungen eine den religionspädagogischen Ansätzen vergleichbare performative Didaktik beschreiben lässt, wird das folgende Teilkapitel untersuchen. Hierzu wird ein Kurzporträt des Darstellenden Spiels entworfen, das insbesondere die vielfach propagierte „Eigengesetzlichkeit“152 des Faches konturiert. Zunächst wird über den Stand der Einrichtung des Faches als ordentliches Schulfach berichtet. Sodann werden die fachdidaktischen Zielsetzungen dargestellt, die anhand von exemplarischen Lehrplänen und curricularen Vorgaben erarbeitet werden. Daraufhin widmet sich der Hauptteil dieses Teilkapitels einer Analyse ausgewählter fachdidaktischer Leitkategorien („Raum“, „Körper“, „Rolle“), um zentrale didaktische Schwerpunkte kritisch mit den performativen Spielarten in Beziehung setzen zu können. Der abschließende Blick auf methodische Konkretionen führt exemplarische Lernwege im Darstellenden Spiel vor Augen und eröffnet so die Möglichkeit, die jeweiligen Lernarrangements und ihre fachdidaktischen Implikationen zu vergleichen.
3.1 Zielsetzung und Etablierungsstand des Darstellenden Spiels als Schulfach Darstellendes Spiel ist ein relativ junges Schulfach. Im Jahr 1979 wurde es zum ersten Mal als Wahlpflichtfach in Hamburg eingerichtet. Die Implementierung des Faches in den Kanon des schulischen Bildungsangebotes ist seither vorangeschritten, wenngleich sie noch nicht in allen Bundesländern abgeschlossen ist.153 Das Niedersächsische Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung vermeldete bereits, dass Darstellendes Spiel „nunmehr [in] neun Bundesländern (Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz) als Unterrichtsfach in der Schule 152
Wilfried Steinl: 11 Thesen zum Schultheater, in: Spiel und Theater 157 (1996), S. 43. 153 Das schnelle Voranschreiten der Implementierung belegt ein Blick auf die Ergebnis-
se eines Forschungsprojektes der damals noch so genannten „Gesellschaft für Theater-, Film-, und Fernsehwissenschaft“. Dort wird noch im Jahr 1994 hervorgehoben, dass lediglich Hamburg fachbezogene Richtlinien entwickelt habe, Darstellendes Spiel ausschließlich in Berlin, Bremen und Hamburg im Abitur berücksichtigt und überhaupt in den meisten Bundesländern nur als AG angeboten werde. Vgl. H eribert Schälzy: Die Diskriminierung des darstellenden Spiels in der Schule. Aus dem Fundus eines Forschungsprojektes, in: Spiel und Theater 150 (1992), S. 19–23, 20. Diese Situation hat sich in den vergangenen zehn Jahren erheblich verändert, wie allein die 2006 beschlossenen „EPA Darstellendes Spiel“ sowie die oben bereits zitierte Abiturrelevanz des Faches in neun Bundesländern belegt. Vgl. Niedersächsischer Bildungsserver , Seite: DS in Niedersachsen (s. o.); vgl. Kultusministerkonferenz (Hg.): Einheitliche Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung (EPA) im Fach Darstellendes Spiel (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16. 11. 2006), Berlin 2006.
3 Beispiel B: Im Schulfach Darstellendes Spiel
165
eingeführt“ worden sei, in allen genannten Fällen (auch) als „drittes künstlerisches Fach der gymnasialen Oberstufe neben Musik und Kunst.“154 In Niedersachsen boten im Jahr 2018 bereits über 120 weiterführende Schulen das Fach an. Auch Schleswig-Holstein und Thüringen haben inzwischen Darstellendes Spiel in der Schule eingeführt. Außerhalb der Großstädte findet Darstellendes Spiel jedoch an vielen weiterführenden Schulen bisher noch nicht als reguläres Unterrichtsfach statt, trotz mitunter großer Nachfrage.155 Neben Hamburg gelten vor allem Berlin und Bremen als Pioniere im Prozess der Etablierung. Alle drei Stadtstaaten gehörten zu den ersten, die Darstellendes Spiel auch in das Kurssystem der Oberstufe integriert und damit entscheidend zu dessen Aufwertung beigetragen haben. Mit Blick auf das ganze Bundesgebiet lassen sich allerdings weiterhin Mängel im Bereich der unterrichtlichen Rahmenbedingungen feststellen: Es fehlt bis heute vielerorts an angemessenen Räumlichkeiten, bühnentechnischer Ausstattung und vor allem an ausgebildetem Lehrpersonal. Obwohl bereits mehrere Universitäten lehramtsspezifische Studiengänge für das Darstellende Spiel anbieten,156 werden im Bereich der Unter- und Mittelstufen der Gymnasien noch die Mehrzahl der Stunden von Lehrerinnen und Lehrern ohne entsprechende Lehrbefähigung erteilt. Auch die fachdidaktische Theoriebildung steckt „noch in den Kinderschuhen“157. Aus diesem Grund verlaufen die Entwicklung von Lehrplänen und die Einigung auf grundsätzliche Aufgaben und Zielsetzungen des Faches zuweilen mit erheblichen Differenzen.158 Obwohl bisher keine grundlegende Fachdidaktik des Darstellenden Spiels als Schulfach vorgelegt wurde,159 ist schon heute ein Prozess der Institutionalisierung wissenschaftli154
Niedersächsischer Bildungsserver , Seite: DS in Niedersachsen (s. o.). 155 Gerade Hamburg, Berlin und Bremen gelten als Vorreiter im Prozess der
Etablierung des Darstellenden Spiels als festes Unterrichtsfach. Alle drei Stadtstaaten gehörten zu den ersten, die das Fach in das Kurssystem der Oberstufe integrierten. Vgl. Schälzy, Darstellendes Spiel in der Schule, S. 20. In Hamburg kann zudem seit Beginn des Schuljahres 2011/12 Darstellendes Spiel von der ersten Klasse bis zum Abitur durchgehend belegt werden. 156 Vgl. D ieter Linck : Ausbildungssituation Darstellendes Spiel / Schultheater, in: Schultheater 9 (2012), S. 44–45. Linck stellt an dieser Stelle die seinerzeit sechs Universitäten/ Hochschulen vor, die einen Studiengang in Darstellendem Spiel anbieten. Die Ausbildungsmöglichkeiten schreiten jedoch weiter voran. So ist inzwischen die Universität Koblenz-Landau hinzugekommen, an der seit dem Wintersemester 2014/15 der lehramtsbezogene Zertifikatsstudiengang „Darstellendes Spiel/Theater“ absolviert werden kann. 157 S chlünzen, Werkstatt Schultheater 1, S. 1. 158 Stellvertretend kann hier auf zwei Berichte von einer Expertentagung zur Zukunft des Darstellenden Spiels im Jahr 1991 in Travemünde verwiesen werden, die je unterschiedliche Situationsbeschreibungen und daraus abzuleitende Handlungsmotivationen beschreiben. Vgl. Elinor Lippert: Zur Situation des Darstellenden Spiels in der Schule. Expertentagung in Travemünde November 1991, in: Spiel und Theater 150 (1992), S. 14–18; Schälzky, Darstellendes Spiel in der Schule, S. 19–23. 159 Auch die umfangreichen Handreichungen der für den Prozess der Hamburger Etablierung des Darstellenden Spiels prägenden pädagogischen Gestalt, Wulf Schlünzen, erfül-
166
§ 2 Performative Aufbrüche in der Didaktik benachbarter Fächer
cher Reflexion in Bezug auf die Didaktik dieses jungen Faches auszumachen. Auf diese Entwicklung weisen einige Beobachtungen hin: So wurden Studiengänge eingerichtet,160 neue wissenschaftliche Publikationsorgane ins Leben gerufen161 und zunehmend auch theoretisch ausgerichtete Einzelbeiträge zu methodischen und didaktischen Grundfragen des Darstellenden Spiels in der Schule vorgelegt.162 Bei genauer Betrachtung dieser Beiträge fällt neben der zunehmenden fachdidaktischen Professionalisierung des Diskurses auf, dass die Verankerung als Fach auch erhebliche Veränderungen des theatralen Gestaltens am Lernort Schule mit sich bringt. Die Entwicklung von der freiwilligen „Theater-AG“ am Nachmittag hin zum Abiturfach erfordert eine prinzipielle Orientierung an den Bildungszielen der Institution Schule sowie eine kompetenz- und inhaltsbezogene Rechtfertigung über den Beitrag des Faches zum Erreichen dieser Ziele. Damit ist eine erhebliche Einschränkung des zuvor typischen Freiraums des Schultheaters verbunden, das sich mit dem „Anspruch auf Aufnahme in den Fächerkanon“ gleichzeitig einem „eindeutig schulpädagogischen Auftrag“163 verschreibt. Das bis heute vielfach verbreitete Selbstverständnis des Schultheaters als „‚normensprengende[r]‘ Kraft“164 innerhalb der Schule, dessen ganz eigene Lernformen die starren „Grenzen der Schule“165 (Stundentakt, Notengebung, Autorität der Lehrkraft etc.) aufheben, steht zu dieser Entwicklung in grundsätzlicher Spannung. Einen Meilenstein in der Etablierungsgeschichte des Faches markieren die „Einheitlichen Prüfungsanforderungen […] im Fach Darstellendes Spiel“166, die im Jahr 2006 vorgelegt wurden. Darin legte die Kultusministerkonferenz erstmals überregional gültige Bildungsstandards für die Abiturprüfung fest. Gerade im Hinblick auf dieses umstrittene und im Bundesgebiet mitunter sehr unlen m. E. nur in Ansätzen die Kriterien einer wissenschaftlich fundierten Didaktik als Theorie eines Schulfaches. Vgl. Schlünzen, Werkstatt Schultheater 1. 160 Vgl. Linck , Ausbildungssituation Darstellendes Spiel, S. 44 f. 161 Die jüngste Fachzeitschrift „Schultheater“ wird z. B. erst seit 2010 vom Friedrich Verlag herausgegeben. 162 Vgl. z. B. S chlünzen, Werkstatt Schultheater 1; M aike P lath: Biografisches Theater in der Schule. Mit Jugendlichen inszenieren. Darstellendes Spiel in der Sekundarstufe, Weinheim u. a. 2009. 163 C hristiane M angold: 10 Thesen zu einer Didaktik für das Fach Darstellendes Spiel, in: Spiel und Theater 157 (1996), S. 42. 164 Ute -Ena L aconis / C hristina D ieterle: Thesen zu Theorie und Didaktik des Darstellenden Spiels, in: Spiel und Theater 157 (1996), S. 44. 165 Steinl , 11 Thesen, S. 43. Die Ausführungen von Steinl betonen engagiert den „eigene[n] Stellenwert“ des Darstellenden Spiels im Fächerkanon. Sein Blick auf das Schultheater in Bayern exemplifiziert die regionalen Unterschiede, die bezüglich der Vorstellungen über den Auftrag und das Ziel des theatralen Arbeitens am Lernort Schule bestehen. Selbst zu den Nachbarfächern Musik und Kunst setzt Steinl den Bildungsauftrag des Darstellenden Spiels nicht fachdidaktisch in Beziehung. 166 Kultusministerkonferenz , EPA DS.
3 Beispiel B: Im Schulfach Darstellendes Spiel
167
terschiedlich ausgestaltete Fach erwies sich dieser Schritt als wegweisend hin zu einer höheren Vergleichbarkeit und Anerkennung. Neben den beiden zuvor weitgehend maßgeblichen Rahmenlehrplänen der Stadtstaaten Hamburg und Berlin liegt mit den „EPA“ nun ein drittes Dokument vor, das über den Bildungsbeitrag des Faches Auskunft gibt. Von diesen drei Vorlagen ausgehend soll im Folgenden dargestellt werden, welche Ziele Darstellendes Spiel als Unterrichtsfach in der Schule zu erreichen versucht. Zunächst verorten die EPA das Fach gemeinsam mit Kunst und Musik in dem Bereich der Fächer, die einen „ästhetisch-expressiven Modus der Weltbegegnung“167 ermöglichen wollen. Innerhalb dieses Fächerspektrums schreiben sie dem Darstellenden Spiel „den besonderen Auftrag der theaterästhetischen Bildung [zu] und zwar sowohl produktionsästhetisch – in eigenen theatralen Gestaltungsprozessen – als auch rezeptionsästhetisch – in der Auseinandersetzung mit Werken der Theaterkunst.“168 An dieser Stelle wird deutlich, dass es im schulischen Theaterunterricht der Oberstufe zumindest nicht ausschließlich auf das expressive Handeln ankommen soll. Auch das Nachdenken über dramatische Vorlagen und dramentheoretische Texte ist wichtiger Teil des Unterrichts. Die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit theatralen Gestaltungsformen betonen in ähnlichem Wortlaut auch die curricularen Vorgaben in Hamburg und Berlin.169 Dort lässt sich zudem im jeweiligen Vergleich zu den Lehrplänen für die Sekundarstufe 1 feststellen, dass die Reflexion über theatrale Ausdrucksformen in der Oberstufe erheblich an Bedeutung gewinnt.170 Während der Unterund Mittelstufe des Gymnasiums setzen sowohl Hamburg als auch Berlin ihre Schwerpunkte deutlicher auf die praktische Erprobung theatraler Ausdrucksmöglichkeiten sowie die unmittelbare Reflexion von deren Wirkung auf ein Publikum.171 Es komme in diesen Jahrgangsstufen besonders darauf an, „die sinnliche Wahrnehmung, das ästhetische Empfinden und Verstehen“ zu fördern, und zwar vorrangig im Modus der experimentierenden, aktiv-gestaltenden Auseinandersetzung mit „performative[n] Akte[n].“172 167 E ckhard K lieme u. a.: Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards. Eine Expertise, hg. v. BMBF, Bonn 2003, S. 68; vgl. Kultusministerkonferenz , EPA DS, S. 5. 168 Ebd. 169 Vgl. Freie und H ansestadt H amburg. Behörde für S chule und Berufsbildung (Hg.): Bildungsplan gymnasiale Oberstufe. Darstellendes Spiel, Hamburg 2009, S. 10; Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport Berlin (Hg.): Rahmenlehrplan für die gymnasiale Oberstufe. Darstellendes Spiel, Berlin 2006, S. 10. 170 Vgl. Freie und H ansestadt H amburg. Behörde für S chule und Berufsbildung (Hg.): Bildungsplan Gymnasium. Sekundarstufe 1. Theater, Hamburg 2011, v. a. S. 11–24; Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport Berlin (Hg.): Rahmenlehrplan für die Sekundarstufe 1. Jahrgangsstufe 7–10. Darstellendes Spiel, Berlin 2006, v. a. S. 9–12. 171 Vgl. H amburg, Bildungsplan Theater Sek. 1, S. 11–17; vgl. Berlin, Rahmenlehrplan DS Sek.1, S. 9–13. 172 H amburg, Bildungsplan Theater Sek. 1, S. 11.
168
§ 2 Performative Aufbrüche in der Didaktik benachbarter Fächer
Um das übergeordnete Ziel der Vermittlung theaterästhetischer Bildung zu erreichen, sucht der Unterricht im Darstellenden Spiel der Oberstufe Kompetenzen in vier Bereichen zu fördern. Diese finden sich in vergleichbarer Form sowohl in den EPA, als auch in den Curricula aus Hamburg und Berlin:173 Die „Sachkompetenz“ (1) zielt auf grundlegende Kenntnisse und Fertigkeiten bezüglich theatraler Bedeutungskonstituenten, dramatischer Strukturen und performativer Handlungen.174 Dieser Bereich umfasst sowohl das Wissen über elementare theaterspezifische Techniken und Gestaltungsmittel als auch die Fähigkeit zur „ästhetische[n] Wahrnehmung als Voraussetzung für theatrales Handeln und Reflektieren.“175 In Analogie zur performativen Religionsdidaktik und zum handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht begegnet hier der Wahrnehmungsbegriff erneut als zentrale fachdidaktische Kategorie. Mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand dieser Studie ist der zweite Kompetenzbereich von besonderem Interesse: Die „Gestaltungskompetenz“ (2) bezeichnet die Fähigkeit, theatrale Mittel selbständig, reflektiert und erprobend zu verwenden.176 Diesem Bereich sind eine Vielzahl weiterer prozessbezogener Kompetenzen zugeordnet, die erkennbar über das angemessene Verwenden eines Repertoires bestimmter szenischer Ausdrucksformen oder die Umsetzung dramatischer Vorlagen hinausgehen. So kommt etwa die Kompetenz zur „Inszenierung eigener biographischer Bezüge und Erlebnisse“ in den Blick wie auch „die Bereitschaft, Ideen zu explorieren […] und auszuprobieren.“177 Die subjektive Involvierung der Schülerinnen und Schüler in das Spiel – eines der Spannungsfelder in der Diskussion um den performativen Religionsunterricht178 – wird hier als bewertbarer Bestandteil der verbindlich zu vermittelnden Kompetenzen festgeschrieben. Noch einen Schritt weiter geht in diesem Zusammenhang der Hamburger Bildungsplan. Dieser schreibt vor: „Die Schülerinnen und Schüler experimentieren theatral und entfalten dabei ihre kreativen Potenziale.“179 Um diese Kompetenz fördern und die Kompetenzförderung 173 Die
Hamburger und Berliner Bezeichnungen der Kompetenzbereiche stimmen nahezu vollständig bis in den Wortlaut überein. Lediglich der in den EPA und dem Hamburger Bildungsplan als „soziokulturelle Kompetenz“ bezeichnete Bereich heißt im Berliner Rahmenplan leicht abweichend „kulturelle Kompetenz“ (s. u.). Vgl. Berlin, Rahmenlehrplan DS Oberstufe, S. 12. Vgl. anders H amburg, Bildungsplan DS Oberstufe, S. 11. 174 Vgl. Kultusministerkonferenz , EPA DS, S. 7. 175 Ebd. 176 Vgl. ebd. 177 Ebd., S. 8. 178 Die Frage, inwieweit die Schülerinnen und Schüler selbst in das performative „Spiel mit der Form“ (Leonhard, Spiel mit der Form, S. 17) involviert werden, ist eng verknüpft mit der didaktischen Leitfrage, wie ernst das Spiel mit den religiösen Ausdrucksgestalten zu nehmen ist. Hierzu liefern die einzelnen Spielarten unterschiedliche Antworten, wie in § 1 gesehen. Vgl. hierzu kritisch § 4, Kap. 2.4 „Gelebter christlicher Glaube und das Verhältnis zur ‚Unterrichtsreligion‘“. 179 H amburg, Bildungsplan DS Oberstufe, S. 11 (Hervorhebungen FD).
3 Beispiel B: Im Schulfach Darstellendes Spiel
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beurteilen zu können, muss die Lehrkraft im Darstellenden Spiel mehr leisten als praktische Anleitung zum Theaterspielen. Sie muss einerseits die gestalterischen Möglichkeiten der einzelnen Lernenden kennen und abschätzen können, inwieweit die individuell-persönliche Beteiligung im Spiel ein Ausprobieren noch unentdeckter Potentiale darstellt. Dabei muss die Lehrkraft die Ergebnisse im Prozess des Experimentierens zu den künstlerischen Lern- und Leistungsvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler in Beziehung setzen. Hier klingt bereits eine zentrale Unterscheidung zwischen performativer Religionsdidaktik und der Didaktik des Darstellenden Spiels an: Es wäre in hohem Maße problematisch, wenn Religionsdidaktiker analog die Entfaltung der religiösen Potentiale von Schülerinnen und Schülern fordern würden. Die Frage, wie sehr schulischer Unterricht seine Subjekte persönlich ansprechen und in seine Lernsettings verstricken kann und darf, stellt sich offensichtlich in der Religionsdidaktik in besonderem Maße.180 Des Weiteren soll Unterricht im Darstellenden Spiel die „kommunikative Kompetenz“ (3) fördern. Dieser Kompetenzbereich umfasst das Begreifen, Deuten, Reflektieren und Evaluieren von theaterästhetischen Prozessen als kommunikative Akte.181 Darüber hinaus gehört zu diesem Bereich auch das Übertragen von „Erfahrungen mit theatralen Kommunikationsformen auf [das] Kommunikationsverhalten im Alltag.“182 Diese Teilkompetenz lässt sich mit der von Dressler in Bezug auf den performativen Religionsunterricht beschriebenen Unterscheidungskompetenz vergleichen.183 Sie befähigt Schülerinnen und Schüler im Kern dazu, den spezifischen Eigenwert eines religiösen Modus der Weltbegegnung von anderen Referenzsystemen abzugrenzen. Entsprechend geht es auch im Darstellenden Spiel um die Wahrnehmung des Theaters als eigener Form der symbolischen Repräsentation von Welt. Die Schülerinnen und Schüler sollen unterscheiden lernen, „dass für die Dauer der Aufführung eine eigene autonome Wirklichkeit entsteht [Als-ob-Wirklichkeit], die vom Zuschauer als solche akzeptiert wird“ und die als „autonome fiktive Wirklichkeit die ‚reale‘ Wirklichkeit aus einer spezifischen Perspektive sowohl abbildet als auch zur Reflexion anbietet.“184 Spielvorlagen eröffnen demnach Möglichkeitsräume, die im Spiel probeweise ausgestaltet werden können, um die Ge180 Vgl.
hierzu ausführlich § 4, Kap. 2.3 „Performative Spielarten in der Spannung zwischen Missionierungsverdacht und Profanisierungsgefahr“. 181 Vgl. Kultusministerkonferenz , EPA DS, S. 8 f.; H amburg, Bildungsplan DS Oberstufe, S. 11; Berlin, Rahmenlehrplan DS Oberstufe, S. 11 f. 182 H amburg, Bildungsplan DS Oberstufe, S. 11. Wiederum formuliert der Hamburger Bildungsplan hierzu in besonderer Klarheit, inwieweit der Unterricht im Darstellenden Spiel das Moment der persönlichen Erfahrungen und der Involviertheit berücksichtigt und sich auch auf die subjektiven Fähigkeiten außerhalb der fachspezifischen Kompetenzen auswirkt. 183 Ausführlich erläutert in § 1, Kap. 3.1.1.3 „Religiöse Bildung als Unterscheidungsfähigkeit“. 184 Kultusministerkonferenz , EPA DS, S. 8.
170
§ 2 Performative Aufbrüche in der Didaktik benachbarter Fächer
staltungen schließlich auf neue Perspektiven in Bezug auf die erlebte Wirklichkeit hin zu befragen. Die Frage, ob religiöse Ausdrucksgestalten wie etwa Gebete oder Segenshandlungen analog zu fiktionalen Textvorlagen im Modus des Probehandelns begangen und später aus der Außensicht reflektiert werden können, kann dabei kritisch hinterfragt werden.185 In Bezug auf die Zielsetzung des Faches Darstellendes Spiel ist in sämtlichen der hier betrachteten Lernpläne unstrittig, dass reflektiertes Handeln im „Modus des Als-ob“ zu den zentralen Kompetenzen zählt. Über die Unterscheidungsfähigkeit zwischen den spielerisch gestalteten und im Alltag erlebten Welten hinaus wird davon ausgegangen, dass die hiermit verbundenen erweiterten Kommunikationsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler auch deren Kommunikationsspektrum außerhalb des Unterrichts erweitern. Schließlich profilieren die EPA mit der „soziokulturellen Kompetenz“ (4.) einen Kompetenzbereich, der insbesondere die Fähigkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Leben als übergeordnetes Bildungsziel in den Blick nimmt.186 Theatralität mit ihren Bezügen zu unterschiedlichen Inszenierungs-, Darstellungs- und Aufführungsformen im Alltag wird als „essentielles Merkmal kultureller Praxis“187 verstanden. Der Unterricht im Darstellenden Spiel habe die strukturierte Auseinandersetzung mit dem Theater und seinen Funktionen zu fördern. Er könne so dazu beitragen, die Lebenswelt kritischer wahrzunehmen und das eigene Agieren innerhalb dieser Lebenswelt differenzierter zu deuten und zu gestalten.188 Insgesamt verdeutlichen diese exemplarischen Beobachtungen zu den Bildungszielen des Darstellenden Spiels dessen Schwerpunkt im Bereich des Wechselspiels von experimentierendem und reflektierendem Handeln. In dieser Hinsicht vergleichbar mit den Zielsetzungen der performativen Ansätze richtet die Fachdidaktik dieses Schulfaches ihr Augenmerk mehr auf den Prozess des Entstehens von Bedeutung in theatralen Inszenierungen, hingegen weniger auf objektivierbare Bedeutungsgehalte zu vermittelnder Inhalte. Es geht um die „Dimension des Sich-Zeigens“189 innerhalb der performativen Praxis selbst. Im Kern möchte Darstellendes Spiel also für die Wirkungen und 185 Vgl. Kap. 3.3 „Performative Religionsdidaktik und die Fachdidaktik des Darstellenden Spiels im Vergleich“. 186 Vgl. Kultusministerkonferenz , EPA DS, S. 9–11; Berlin, Rahmenlehrplan DS Oberstufe, S. 12; H amburg, Bildungsplan DS Oberstufe, S. 11. 187 Kultusministerkonferenz , EPA DS, S. 11. 188 Vgl. Berlin, Rahmenlehrplan DS Oberstufe, S. 12. Noch weiter geht der Hamburger Rahmenplan, der das individuelle Erschließen neuer Handlungsspielräume im Alltag als zu evaluierende prozessbezogene Kompetenz festschreibt: „Sie [die Schülerinnen und Schüler] nehmen Wirklichkeit in unterschiedlichen Perspektiven wahr und erschließen sich damit neue Handlungsspielräume.“ H amburg, Bildungsplan DS Oberstufe, S. 11. 189 K ristin Westphal: Lernen als Ereignis: Schultheater als performative Praxis. Zur Aufführungspraxis von Theater, in: Pädagogik des Performativen. Theorien, Methoden, Perspektiven, hg. v. C hristoph Wulf und Jörg Zirfas, Weinheim / Basel 2007, S. 49–58, 53.
3 Beispiel B: Im Schulfach Darstellendes Spiel
171
eigenen Gestaltungsmöglichkeiten des dramatischen Ausdrucks sensibilisieren und so zu einem Verstehen der damit verbundenen Wirkungsmechanismen anleiten.190
3.2 Didaktik und Methodik Im Darstellenden Spiel weisen sowohl die Didaktik als auch die Methodik wie in keinem zweiten Schulfach einen performativen Grundcharakter auf. Die theatrale Performance und deren performative Wirkung sind gleichsam Gegenstand und Ziel der schulischen Lernsettings. Entsprechend wird der Performanzbegriff innerhalb des Fachdiskurses unumstritten als zentraler didaktischer Leitbegriff anerkannt. Ob das Performative im Darstellenden Spiel allerdings dasselbe bezeichnet wie in den Entwürfen zum performativen Religionsunterricht, soll in diesem Teilkapitel geprüft werden. Hierzu empfiehlt sich eine Fokussierung der Analyse auf solche didaktische Kategorien, die sowohl den Fachdiskurs zum Darstellenden Spiel prägen als auch im Diskurs um die performative Religionsdidaktik eine Rolle spielen.191 Zudem ist es mit Blick auf das Untersuchungsinteresse dieses Vergleiches zwingend erforderlich, auch ausgewählte methodische Ausgestaltungen zu betrachten, um konkrete Lernarrangements und ihre fachdidaktischen Implikationen zueinander in Beziehung setzen zu können.192
3.2.1 Die Leitkategorie „Raum“ Die Kategorie des Raumes ist ein „grundlegend ästhetisches Thema der Kunstform Theater“193. Als solches ist sie wesentlicher Lerngegenstand des Schulfaches Darstellendes Spiel. Performative Akte finden als Ereignisse in gestalteten Räumen statt und gestalten gleichzeitig neue Räume. Der Raum bezeichnet demnach sowohl den Ort, an dem eine Inszenierung stattfindet bzw. in den hinein inszeniert wird, als auch den „imaginären Raum“194, der im Spiel selbst entsteht. Beiden Arten von Räumen kommt im Darstellenden Spiel fachdidaktische Relevanz zu. Schülerinnen und Schüler sollen lernen, Räume wahrzuneh190 Vgl. Rudolf D enk / Thomas Möbius: Dramen- und Theaterdidaktik. Eine Einführung, Berlin 2008, S. 87 f. 191 Vgl. im Einzelnen § 2, Kap. 3.2.1 „Die Leitkategorie ‚Raum‘“, Kap. 3.2.2 „Die Leitkategorie ‚Körper‘“ und Kap. 3.2.3 „Die Leitkategorie ‚Rolle‘“. 192 Vgl. § 2, Kap. 3.2.4 „Methodische Konkretionen“. 193 Wulf S chlünzen: Schultheater und Raum, in: Schultheater 5 (2011), S. 4–6, 4. 194 Volke Jurké: Spieler und Raum im Kontext einer künstlerischen Bewegungslehre, in: Spiel und Theater 160 (1997), S. 12–17, 12. Innerhalb der inszenatorisch etablierten Räume können weitere Unterarten definiert werden. So spricht etwa Sabine Kündiger nur dann von einem „imaginären Raum“ im engeren Sinne, wenn sämtliche Raumbeziehungen pantomimisch etabliert wurden. Sabine Kündiger: Welten schaffen und sichtbar machen, in: Schultheater 5 (2011), S. 7–12, 8.
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men, sie in ihren Wirkungen zu deuten und im eigenen Spiel produktiv zu gestalten. Der reale Raum, in dem der Unterricht stattfindet, bestimmt im Darstellenden Spiel in hohem Maße die Lernprozesse mit. Weil sich alle Beteiligten in performativen Lernsituationen zu den vorgefundenen Spielräumen in Beziehung setzen, sich also zu dem Raum selbst verhalten müssen, ist dessen Gestalt didaktisch besonders zu berücksichtigen. Schon für die Planung des Unterrichts ist von Bedeutung, ob eine Bühne vorhanden ist, wie diese genau aussieht, wo das Publikum positioniert ist, welche technischen Hilfsmittel verwendet werden können (z. B. Lichtanlage, Ton, Vorhang) und nicht zuletzt, welche atmosphärischen Merkmale den Raum auszeichnen (z. B. Geräuschkulisse, Lichteinfall, allgemeine Raumaufteilung, Farbgebung). Der schulisch nutzbare theatrale Raum, so die didaktische Grundeinsicht, ist nicht nur ein beliebiger, mehr oder weniger leerer Ort, „in den man etwas hineintut“195, sondern stets ein durch multiple Einflussfaktoren von der Architektur bis zur Ausstattung vorstrukturierter Lernort. Seine Beschaffenheit beeinflusst das Lernen, er wirkt in gewisser Weise durch sich selbst. Zugleich gilt es, seine Möglichkeiten produktiv aufzunehmen. Die Rahmenbedingungen bezüglich der Räume, die in Schulen für das Darstellende Spiel genutzt werden, unterscheiden sich im Bundesgebiet erheblich. Zwar findet der Unterricht inzwischen nur noch in Ausnahmefällen in regulären Klassenräumen statt, allerdings mangelt es noch immer an angemessen eingerichteten und ausgestatteten schulischen Theaterräumen.196 Gerade weil sich Schülerinnen und Schüler im performativen Agieren konstruktiv mit dem realen Raum auseinandersetzen, indem sie diesen „bespielen“, gilt der „bewusste und selbstverständliche Umgang mit dem konkreten Raum“197 als wichtiges Lernziel. Der Raum wird somit nicht ausschließlich als vorgegebene Größe, sondern auch als „Handlungsfeld“198 verstanden, das im Spiel erkundet, begangen, genutzt und umgestaltet werden kann und will. Die hier erkennbare Sensibilität für den Lernort, an dem Unterricht stattfindet, und auch der produktive Umgang mit den vorgefundenen räumlichen Gegeben195
Westphal , Schultheater als performative Praxis, S. 53. 196 Vgl. S chlünzen, Schultheater und Raum, S. 5. Schlünzen
bezeichnet an gleicher Stelle die Theaterausstattung vieler Schulen als „Ärgernis“, das auch auf die „armselige Grundausstattung der Schule“ verweise. Diese emotionale Kritik verdeutlicht implizit auch die hervorgehobene Relevanz, die den Räumlichkeiten und der Ausstattung im Darstellenden Spiel grundsätzlich zukommen. 197 Jurké , Spieler und Raum, S. 12. Jurké bezieht sich hier u. a. auch auf die Thesen zur Raumwahrnehmung des jüdischen Judo-Lehrers Moshé Feldenkrais: Die Entdeckung des Selbstverständlichen, übers. v. Franz Wurm, Frankfurt a. M. 21985. 198 H amburg, Bildungsplan Theater Sek. 1, S. 20. Das Handlungsfeld Raum wird im Hamburger Bildungsplan auf alle vier der oben dargestellten Kompetenzbereiche des Faches Darstellendes Spiel/Theater bezogen (vgl. § 2, Kap. 3.1 „Zielsetzung und Etablierungsstand des Darstellenden Spiels als Schulfach“) und zeigt sich auch darin als zentrale Leitkategorie der dazugehörigen Fachdidaktik. Vgl. H amburg, Bildungsplan DS Oberstufe, S. 15.
3 Beispiel B: Im Schulfach Darstellendes Spiel
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heiten erinnern an Forderungen aus dem Kreis der performativen Religionsdidaktiker. Insbesondere Bizers gestaltpädagogisch begründeter Ansatz betont die Bedeutsamkeit der räumlichen Bedingungen religiöser Lernprozesse und kritisiert die in seinen Augen hierfür unsensible zeitgenössische Fachdidaktik. Dass Bizer seine eigenen Hochschulseminare vorzugsweise an außeruniversitären Lernorten stattfinden ließ,199 führt exemplarisch vor Augen, wie sehr die geforderte szenische Ausdehnung des religiösen Lernens für ihn in Spannung zum Lernen im klassischen Setting des Klassen- oder Seminarraumes stand. Trotz dieser gemeinsamen Hochschätzung der Kategorie Raum in der Fachdidaktik des Darstellenden Spiels und in der performativen Religionsdidaktik muss in Bezug auf den realen Raum zwischen den Bedeutungen der Kategorie differenziert werden. Die theatrale Performance ist ihrem Wesen nach abhängig von dem Raum, in dem sie inszeniert wird. Sie benötigt zwingend genügend Platz, um gespielt und von einem Publikum wahrgenommen werden zu können. Auch in der Analyse von performativen Handlungen kommt den Einschätzungen zur Nutzung des Raumes, zur Wirkung von Figuren im Raum, zum Einsatz von licht- und tontechnischen Mitteln etc.200 eine erheblich gewichtigere Rolle zu, als dies in den Forderungen der performativen Religionsdidaktiker, die gleichwohl die Relevanz des Raumes auch für den religiösen Lernprozess zumindest anmahnen, festzustellen ist. Wie oben bereits angeführt, bezeichnet die Kategorie Raum allerdings nicht nur den realen Raum, in dem gespielt wird, sondern auch den theatral inszenierten Raum, der im Spiel allererst entsteht. Im Unterschied zum realen Raum werden die Eigenschaften dieses Raumes nicht durch die tatsächliche Beschaffenheit des Spielraumes bestimmt, sondern im Spiel selbst definiert. So kann man durch eine flache Hand eine Wand pantomimisch definieren, durch Hinknien, Händefalten und entsprechende Gebetssprache von Figuren einen Kirchenraum suggerieren oder durch Motorengeräusche eine Straße etablieren.201 Der so entstehende Raum verfügt über eigene Atmosphären und Bedingungen, die zu erleben und aktiv zu gestalten ein weiteres Lernziel des Darstellenden Spiels ausmacht. Die Schülerinnen und Schüler sollen lernen, die Räume als inszeniert und deutungsbedürftig zu verstehen, und sich dementsprechend selbst in ihnen zu bewegen. Im experimentierenden Spiel werden die Inszenierungen zu Möglichkeitsräumen, in denen die Spielenden als Figuren probeweise Haltungen einnehmen, etwa zur Darstellung von Nähe und Distanz. Die Wirkung der Raumdarstellung kann dann in einem Folgeschritt von der Gruppe und vom spielenden Subjekt reflektiert werden. Auf die so angebahnte Vertrautheit mit 199 Zu Bizers Wirken als Hochschullehrer in Göttingen vgl. ausführlich D inger , Religion beim eigenen Wort nehmen, S. 347–350; Dinger , Christoph Bizer, v. a. S. 317–319; § 1, Kap. 3.2.1.1 „Zur Ausgangslage: Bizers Kritik an den Bildungsinstitutionen“. 200 Vgl. H amburg, Bildungsplan Theater Sek. 1, S. 20. 201 Kündiger , Welten schaffen, S. 8.
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dem Handlungsfeld Raum lässt sich, so die fachdidaktische Überzeugung, auch außerhalb des Unterrichts im Darstellenden Spiel zurückgreifen: „Was räumliche Konstellationen zwischen Personen ausdrücken können, wie sich Räume auf die in ihnen lebenden Personen auswirken können, all das geht weit über die theatrale Verwendung hinaus.“202 Vor allem in der gestaltpädagogisch begründeten Spielart performativer Religionsunterricht kommt der Kategorie Raum eine zumindest ansatzweise vergleichbare Bedeutung zu. Auch hier geht es zentral um das Eröffnen von Räumen, die sich im Modus des Probehandelns begehen lassen und die gleichzeitig als inszeniert und künstlich markiert sein sollen. Indem die Schülerinnen und Schüler „Welten schaffen und sichtbar machen“203 gestalten sie wie im Darstellenden Spiel potentielle Erfahrungsräume, in denen sie verschiedene Spieltechniken oder religiöse Vollzüge kennenlernen und sich zudem selbst ausprobieren.
3.2.2 Die Leitkategorie „Körper“ Schulischer Unterricht im Darstellenden Spiel hat aus Sicht der jungen Fachdidaktik zwingend einen „körperlichen Bildungsprozess“204 anzustoßen. Wenn Theater insgesamt als „Relation von Körpern in Raum und Zeit“205 verstanden wird, erscheint folgerichtig, dass Körperlichkeit auch in schulförmigen Lernprozessen eine wesentliche Bedingung des theatralen Handelns darstellt. Die Körper der Darstellerinnen und Darsteller bilden „den Mittelpunkt der Aufführung“, von ihnen „gehen Rhythmen, Schwingungen, Energien und Atmosphären aus“206. Diese gilt es im Unterrichtsprozess des Darstellenden Spiels, des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts und des performativen Religionsunterrichts gemäß der jeweiligen Fachdidaktik in dem stets zugrunde gelegten Dreischritt aus Wahrnehmung, Deutung und Gestaltung zu erschließen. Lernen im Darstellenden Spiel ist seinem Wesen nach mit „Körperarbeit“207 verbunden. Diese vollzieht sich auf mehreren didaktisch voneinander unterscheidbaren Ebenen. Für die aktive Teilnahme an performativen Lernsettings ist zunächst die Ebene der Erweiterung individueller körperlicher Ausdrucksmöglichkeiten durch gezielte szenische Übungen grundlegend. Die Schülerinnen und Schüler sollen lernen, ihre Körpersprache, also „die Gesamtheit von Gesten, Gebärden, Mimik, Art der Bewegung, Blickverhalten, Körperausdruck, Körper202
Schlünzen, Schultheater und Raum, S. 6. Kündiger , Welten schaffen, S. 7. E ckart Liebau: Bitte ‚Haltung‘ einnehmen, in: Schultheater 1 (2010), S. 40–41, 41. 205 M atthias Warstat: Körper im Theater, in: Schultheater 1 (2010), S. 42–44, 42. 206 Ebd. 207 Gunter M ieruch: Etwas verkörpern, in: Schultheater 1 (2010), S. 18–21, 19; vgl. H amburg, Bildungsplan Theater Sek. 1, S. 19. 203 204
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haltung […], aber auch z. B. […] Atem, Stimme und Sprechweise“208 als Mittel der theatralen Gestaltung bewusst im Hinblick auf ihre theatrale Wirkung einzusetzen.209 Der Unterricht führt sie in Techniken des Theaterspielens ein, die ihnen dabei helfen, Präsenz in ihr körperliches Auftreten zu bringen und das eigene Bewegungsrepertoire auf der Bühne zu erweitern.210 Insofern kann dieser Unterricht weithin als „Training expressiver Körperbewegungen“211 bezeichnet werden, in dem die Schülerinnen und Schüler üben, den eigenen Körper performativ einzusetzen. So kann die eigene Körpersprache auf ein Publikum wirken und von ihm verstanden werden. Auf dieser Ebene der „Körperarbeit“ als Erweiterung des Ausdrucksvermögens auf der Bühne ruht das Hauptaugenmerk des fachdidaktischen Interesses.212 Damit entspricht es dem spezifischen Charakter des auf Darstellung und Inszenierung ausgerichteten Schulfaches. Auf einer zweiten Ebene zielt „Körperarbeit“ im Darstellenden Spiel auch auf den Bereich der körperlichen Selbsterfahrung von Schülerinnen und Schülern.213 Das Einüben von Techniken des theatralen Ausdrucks führt auch dazu, dass die am Spiel Beteiligten ihre Körper besser kennenlernen und sich der eigenen Ausdrucksmöglichkeiten bewusst werden.214 Darstellendes Spiel soll also nicht ausschließlich zum zielgerichteten performativen Agieren auf der Bühne anleiten, sondern „dient [auch] der Erforschung des Körpers“215, der „Selbstwahrnehmung“216 im Hinblick auf die Performanz der eigenen Physis. Analog zu Leonhards performativem Ansatz217 wird diesbezüglich in der Fachdidaktik des Darstellenden Spiels vom „Leib“ gesprochen, weil im Begriff des Leibes die mentale und körperliche Dimension verbunden wird und die sensible Selbstwahrnehmung eingeschlossen ist.218 Während der Performance probieren die Spielenden körperliche Haltungen aus und spüren dabei deren Wirkun208 M ieruch , 209 Vgl. Rudi
Etwas verkörpern, S. 18. Stangl: Körper – Spannung – Präsenz, in: Schultheater 1 (2010), S. 30–31, 30; H amburg, Bildungsplan Theater Sek. 1, S. 19. 210 Vgl. H amburg, Bildungsplan Theater Sek. 1, S. 19; H amburg, Bildungsplan DS Oberstufe, S. 19. 211 M ieruch , Etwas verkörpern, S. 19. 212 Diese Beobachtung stützen die oben bereits angeführten curricularen Vorgaben. Insbesondere der Hamburger Bildungsplan für die Sekundarstufe 1 benennt im Abschnitt „Handlungsfeld ‚Körper‘“ viel zahlreichere zu fördernde Kompetenzen, die auf das Einbringen des Körpers ins Theaterspiel zielen (z. B. „Die Schülerinnen und Schüler nutzen körpersprachliche Mittel wie Mimik, Gestik und Körperhaltungen […] zur Gestaltung ihres Spiels“), als solche, die auf die Deutung von Körperlichkeit im Theater bezogen sind (z. B. „Die Schülerinnen und Schüler erkennen alltägliche körpersprachliche Elemente und kommunizieren mit Fachbegriffen über ihre Wirkung“). H amburg, Bildungsplan Theater Sek. 1, S. 19–21. 213 Vgl. v. a. Stangl , Körper, S. 30. 214 Vgl. Liebau, Haltung, S. 40. 215 M ieruch , Etwas verkörpern, S. 19. 216 Liebau, Haltung, S. 40. 217 Vgl. § 1, Kap. 3.2.2.1 „Der Körper als Lernort“. 218 Vgl. Liebau, Haltung, S. 40; Warstat, Körper im Theater, S. 43.
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gen auf sich und andere innerlich nach. Sie setzen dabei mentale und körperliche Dimensionen zueinander in Beziehung. Ganz im Sinne Leonhards werden hier die individuelle Gestaltung und Erfahrung der je eigenen Leiblichkeit als Ziele schulischer Bildung begriffen. „Körperarbeit“ im Darstellenden Spiel soll hierzu einen Beitrag leisten. Der Lernertrag bleibt nach diesem Ansatz nicht auf die fachspezifischen Qualifikationen beschränkt. Er erweitert das Bewegungsrepertoire auch außerhalb des Unterrichts, steigert das Körperbewusstsein und fördert die Selbstartikulation insbesondere im Bereich der nonverbalen Kommunikation.219 Schließlich bezieht sich die dritte Ebene der „Körperarbeit“ im Darstellenden Spiel auf die Anleitung zur Deutung des körperlichen Ausdrucksverhaltens als Zeichensystem. Der Körper als „der Bereich, wo etwas sichtbar wird“220, stellt in den Inszenierungen konkrete Anknüpfungspunkte bereit, von denen ausgehend theatrale Kommunikation reflektiert werden kann. Gerade die nonverbalen Wege des performativen Ausdrucks (Haltung, Gestik, Mimik etc.) gilt es im Unterricht als prinzipiell deutungsbedürftig zu erkennen und anhand von theatralen Kriterien zu interpretieren. Hierzu ist eine beobachtende Distanz zu den Inszenierungen nötig. Sie soll in Lernsettings durch klare Unterscheidungen zwischen theatralen und nicht-theatralen Ausdruckssituationen einerseits sowie das konsequente Einbeziehen von szenischen Fachbegriffen andererseits etabliert werden. Der Körper ist dabei nicht als „leeres Blatt“ zu verstehen, das erst im Ausdruckshandeln mit Bedeutung versehen wird, sondern ist selbst „Vollzugssinn in theatralen Inszenierungen und aktiv am Geschehen mitwirkend.“221 Die Schülerinnen und Schüler sind in ihre performative Inszenierung leiblich verstrickt. Gerade deshalb rechnet die Fachdidaktik des Darstellenden Spiels damit, Differenzen zwischen privaten und im Unterricht gestalteten Situationen der Deutung zugänglich machen zu können. Das Theater inszeniert performative Spiele mit den „körperlichen Zeichen der Kultur“222. In diese Spiele werden Schülerinnen und Schüler immer dort einbezogen, wo sie zunächst selbst fiktive Wirklichkeiten verkörpern, darüber hinaus aber diese als Manifestationen autonomer „Als-ob-Wirklichkeiten“223 zu rezipieren lernen. Diese bieten Perspektiven und Deutungsangebote für ihre eigene Lebenswirklichkeit an. 219 Vgl. M ieruch , Etwas verkörpern, S. 19 f. Stangl spricht in Bezug auf diese im Zuge der „Körperarbeit“ zusätzlich vermittelten Fähigkeiten gar von einer „Fähigkeit zur SelbstPerformance im Alltag“, die Unterricht im Darstellenden Spiel „sehr unmittelbar“ vermittle. Stangl , Körper, S. 30. 220 M ieruch , Etwas verkörpern, S. 18. 221 Westphal , Schultheater als performative Praxis, S. 56. 222 H anne Seitz: Art. Körpersprache, in: Wörterbuch der Theaterpädagogik, hg. v. Gerd Koch und M arianne Streisand, Berlin u. a. 2003, S. 162–164, 163; vgl. M ieruch, Etwas verkörpern, S. 18. 223 Kultusministerkonferenz , EPA DS, S. 9.
3 Beispiel B: Im Schulfach Darstellendes Spiel
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Auch im Hinblick auf die Leitkategorie Körper zeigt sich also eine Analogie zu einigen Spielarten performativer Religionsdidaktik. Besonders in den poststrukturalistisch und semiotisch begründeten Spielarten werden religiöse Ausdrucksgestalten als deutungsoffene Zeichen verstanden, die im Modus von Verkörperungen nicht nur für die Lernenden spürbar-, sondern auch für die ganze Lerngruppe sichtbar werden sollen.224 Beide Prozesse, das eigene körperliche Einfühlen in religiöse Formen wie auch das verkörpernde Zeigen dieser Formen, gelten aus der Sicht performativer Religionsdidaktik als Voraussetzungen für die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Bedeutungsspektren der religiösen Zeichen selbst. Dabei fällt jedoch ein Unterschied auf: In den religionsdidaktisch-performativen Lernsettings geht es eher darum, sich mithilfe leiblicher Lernprozesse einem vorab schon bestimmten, religiösen Zugang zur Deutung der Wirklichkeit zu nähern. Die christlichen Ausdrucksgestalten werden primär eingespielt, um Kontaktmöglichkeiten mit dem spezifisch religiösen Modus der Weltbegegnung zu eröffnen. Demgegenüber geht es den Inszenierungen des Schulfachs Darstellendes Spiel primär um die Performanz der Körpersprache an sich. Der körperliche Bildungsprozess lässt sich im Darstellenden Spiel zusammenfassend als ein Zusammenspiel mehrerer Teilprozesse beschreiben: Zunächst üben Schülerinnen und Schüler die eigene Verwendung der körpersprachlichen Mittel im performativen Handeln ein. Darüber hinaus sammeln sie eigene Erfahrungen im Bereich der subjektiven Körperwahrnehmung in- und außerhalb des Unterrichts. Schließlich lernen sie, die mit dem Handlungsfeld Körper verbundenen theatralen Erscheinungsformen aus der Distanz zu reflektieren.
3.2.3 Die Leitkategorie „Rolle“ Im Darstellenden Spiel gehört das Experimentieren mit Rollen zu den Grundlagen allen unterrichtlichen Handelns. Die Rolle als fachdidaktische Kategorie bezeichnet im Fachdiskurs weniger „die Verwandlung des Darstellers in eine literarische Figur“225 als vielmehr die sichtbare Gestalt der Darstellung von Akteuren in konkreten Inszenierungen. Sie ist die zentrale „darstellerische Herausforderung des Spielers“226 – und zwar in jeder performativen Handlung. Der hier zugrunde gelegte Rollenbegriff geht davon aus, dass performatives Handeln im theatralen Raum überhaupt nur in Rollen möglich ist: „Die Akteure sind nicht nur sie selbst, sondern stellen schon wegen der Grundvereinbarung 224 Vgl.
v. a. § 1, Kap. 3.3.2.2 „Religion aufs Spiel setzen“ sowie Kap. 3.1.2.2 „Religionsunterricht als theatrales Geschehen“. 225 A ndré Studt: (K)eine Rolle spielen. Chancen und Probleme des Rollenbegriffs im Schultheater, in: Schultheater 12 (2013), S. 4–7, 4. 226 Norma Köhler : Verselbstständigungen auf der Bühne. ‚Eigene Rollen‘ erarbeiten und inszenieren, in: Schultheater 12 (2013), S. 25–29, 25.
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§ 2 Performative Aufbrüche in der Didaktik benachbarter Fächer
der Kunstform Theater etwas Anderes dar als nur sich selbst.“227 Die gezielte Heranführung an und die Erarbeitung von Rollen sind demnach wesentliche Voraussetzungen für gelingende Lernprozesse im Schulfach Darstellendes Spiel.228 Solche „Rollenarbeit“229 zeigt sich bei genauem Hinsehen als komplexer Anforderungsbereich, der auf mindestens drei Ebenen Lernchancen und didaktische Herausforderungen bereitstellt. Zunächst bedarf die Übernahme einer Rolle der fachdidaktischen Inszenierung (1). Im Prozess des Einfühlens in Rollen müssen die Schülerinnen und Schüler ihr eigenes Ich zu der Rolle, die sie auf der Bühne darstellen, in ein Verhältnis setzen, um diese glaubwürdig verkörpern zu können. Dies gilt sowohl für solche Rollen, die sich an einer literarischen Vorlage orientieren und deren spezifische Verhaltensmuster bereits mit Vorgaben verbunden sind, als auch für selbst entworfene Rollen, deren Profile noch freier durch die einzelnen Spielerinnen und Spieler gestaltet werden. In jedem Fall bedeutet Rollenarbeit auch, „sich mit den körper- und leiblichen Voraussetzungen des gestaltenden Spielens einer Rolle vertraut zu machen.“230 Diese gilt es zu den eigenen Darstellungsmöglichkeiten, aber auch Wünschen und Zielen bezüglich der Selbstpräsentation auf der Bühne in Beziehung zu setzen. Schlünzen bezeichnet diesen komplexen Prozess als das „Anverwandeln einer Rolle“231. Schlünzen zufolge wird nur dann „ein glaubwürdiger theatraler Ausdruck erreicht“, wenn „die Kinder und Jugendlichen ihre Persönlichkeit einbringen.“232 Diese Prämisse deutet einen wesentlichen Unterschied zu den hierzu vorgelegten Grundsätzen performativer Religionsdidaktik an. Dort sollen angebotene Rollen auch dann gewinnbringend „begangen“ werden können, wenn die Schülerinnen und Schüler sich schon innerhalb der performativen Settings von den inszenierten religiösen Welten distanzieren.233 Demgegenüber geht es im Darstellenden Spiel darum, die dargestellten „Motive und Emotionen am eigenen 227 Wulf S chlünzen: Meine Rolle und ich. Rollenentwicklung im Schultheater, in: Schultheater 12 (2013), S. 8–9, 8. 228 Im Fachdiskurs wurde die Frage nach Chancen und Problemen des Rollenbegriffs kontrovers diskutiert. Hierbei erwies sich jedoch eher als fraglich, ob Verkörperungen von Rollen im Sinne der oben zitierten „Verwandlung“ der Schülerinnen und Schüler in literarisch vorgezeichnete Figuren in diesem Schulfach eine tragende Rolle spielen sollten. Wo die Rolle als fachdidaktische Leitkategorie im oben ausgeführten Sinne verstanden wird, erweist sich die Kernfrage der Diskussion als obsolet. Einen rollenkritischen Ansatz vertritt z. B. Friedhelm Roth-Lange: ‚Und wann kriegen wir unsere Rollen?‘ Performatives Theater mit Grundschulkindern, in: Zeitschrift für Theaterpädagogik 62 (2013), S. 36–39; jene Chancen und Grenzen des Rollenbegriffs stellt z. B. Studt, (K)eine Rolle spielen, v. a. S. 4 f., differenziert dar. 229 Studt, (K)eine Rolle spielen, S. 4. 230 Ebd., S. 6. 231 S chlünzen, Meine Rolle, S. 8. 232 Ebd. 233 Dies betont v. a. Dressler, vgl. § 1, Kap. 3.1.1.3 „Religiöse Bildung als Unterscheidungsfähigkeit“.
3 Beispiel B: Im Schulfach Darstellendes Spiel
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Leib [zu] erfahren.“234 Das darstellende Ich muss sich in jedem Fall auch persönlich-experimentell mit dem darzustellenden Ich in Beziehung setzen, um einen für die spezifische Rolle überzeugenden Ausdruck, der hier immer auch als „Selbstausdruck“235 verstanden wird, einnehmen zu können. Die Möglichkeit, sich kritisch ablehnend zum Dargestellten zu verhalten, wird hier selten schon in den Gestaltungen selbst inszeniert. Distanzierungsmöglichkeiten werden vor allem auf die reflexiven Phasen der Lernarrangements konzentriert (Auswertung, Feedback, Rollengespräche etc.). Die zweite herausfordernde Ebene der Rollenarbeit begegnet im unumgänglichen Kontakt mit dem Fremden (2). Während Schülerinnen und Schüler sich Rollen aneignen und diese gestalterisch umsetzen, stoßen sie notwendig auf Diskrepanzen zwischen performativem Ausdrucksverhalten auf der Bühne und ihrem alltäglichen Auftreten. Diese Diskrepanz ist im Unterricht zu thematisieren und didaktisch fruchtbar zu machen. Der spielerische Umgang mit dem Fremden stellt einerseits Gelegenheiten bereit, sich innerhalb von fiktiven und unbekannten Welten expressiv auszuprobieren. Gleichzeitig werden dabei die im Fremden aufscheinenden „Möglichkeiten eines sich noch entwerfenden Lebenskonzepts“236 in den Blick genommen und in der Gruppe thematisiert. Auf diese Weise profitieren die Schülerinnen und Schüler über den Unterricht hinaus von ihren Erfahrungen im Darstellenden Spiel. Sie reflektieren „in der spielerischen Begegnung und inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem historisch, kulturell oder sozial Fremden […] auch den Hintergrund ihres eigenen Agierens.“237 Die Rollenarbeit inszeniert so eine didaktisch produktive Spannung zwischen dem Ich der Spielenden und deren imaginierten Rollenkonzepten. Damit wird gleichzeitig das „Selbst-Bewusstsein“ aktiviert und der Umgang mit dem „Andere[n], das […] außerhalb von mir steht“238, kultiviert. Die Annahme einer insofern produktiven Auseinandersetzung mit Fremdheit prägt auch die Entwürfe eines performativen Religionsunterrichts, insbesondere den poststrukturalistisch begründeten Ansatz Dietrich Zilleßens.239 Schließlich zeichnet sich Rollenarbeit stets durch subjektive Interpretations- und Inszenierungsspielräume aus (3). Die Fachdidaktik des Darstellenden Spiels versteht Figuren aus dramatischen Textvorlagen primär als Angebote zur Gestaltung von Rollen. Diese fordern zu einer subjektiv-reflektierenden Aus234 235
Schlünzen, Meine Rolle, S. 7. Studt, (K)eine Rolle spielen, S. 5. Auch Ströbel-Langer ist davon überzeugt, dass sich Kinder, sobald sie „in die Rolle“ schlüpfen, auch „mit eigenen Bedürfnissen, Wünschen und Lebensthemen“ beschäftigen. M ichaela Ströbel-Langer: Das Eigene im Schutz des Fremden zeigen. Biografieorientierung im Theater mit Kindern an der Grundschule, in: Zeitschrift für Theaterpädagogik 61 (2012), S. 12–15, 12. 236 S chlünzen, Meine Rolle, S. 9. 237 Ebd. 238 Studt, (K)eine Rolle, S. 6. 239 Vgl. § 1, Kap. 3.3.1.2 „Performative Spiele mit dem Fremden“.
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einandersetzung mit der Textgrundlage auf. Rollen sind „in ihrer darstellerischen Ausprägung nie vollständig vorgegeben.“240 Ihre Unbestimmtheit impliziert eine wesentliche Lernchance. Schülerinnen und Schüler müssen sich reflektierend mit den figurenspezifischen Deutungsoptionen auseinandersetzen, um überhaupt ein eigenes Rollenkonzept erarbeiten und später selbst verkörpern zu können.241 Der Interpretationsvorgang verläuft diesem didaktischen Verständnis folgend trotz der Offenheit seines Ausgangs nicht beliebig, da jede Arbeit an ästhetischen Rollen auf „fixierte Bestandteile“242 zurückgreift. Die Darstellenden der Rolle haben sich an bestimmte Vorgaben zu halten, etwa an die literarischen Vorlagen, an genrespezifische Konventionen, an Klischees und bühnenspezifische Gegebenheiten. Rollenarbeit wird so zu einem Prozess der „Transformation eines fiktionalen Konstrukts in – immer auch ganz anders mögliche – szenische/performative Aktionen“243. Dieser Grundpfeiler der Fachdidaktik des Darstellenden Spiels erinnert an Ausführungen performativer Religionsdidaktiker zur prinzipiellen Deutungsbedürftigkeit sämtlicher religiöser Zeichen, die wiederum besonders in den poststrukturalistisch und semiotisch begründeten Ansätzen von Zilleßen, Schroeter-Wittke, Dressler und Klie eine entscheidende Rolle einnehmen. Hier wie dort wird angenommen, dass Schülerinnen und Schüler im Modus der Aneignung und Verkörperung von Rollen lernen, darüber zu reflektieren, dass Einstellungen zu einer Wirklichkeit entscheidend von der jeweils zugrunde gelegten Perspektive abhängen.
3.2.4 Methodische Konkretionen Die Fachdidaktik des Darstellenden Spiels als Unterrichtsfach steckt, wie gesehen, noch „in den Kinderschuhen.“244 Dennoch liegen bereits heute vielfältige Unterrichtsmaterialien vor. Entlang der oben vorgestellten Leitkategorien „Raum“, „Körper“ und „Rolle“, die alle auch auf Handlungsfelder der unterrichtlichen Arbeit verweisen, sollen im Folgenden exemplarische Methoden in den Blick genommen werden. Die ausgewählten Lernarrangements eröffnen die Möglichkeit, im abschließenden Fazit dieses Teilkapitels auch die im Unterrichtsfach Darstellendes Spiel erkennbare Arbeitsweise mit den Methoden des performativen Religionsunterrichts zu vergleichen. Das Wahrnehmen und Ausgestalten von Räumen wird im Darstellenden Spiel systematisch geschult. Übungen zum Raum spielen auf unterschiedlichen Komplexitätsgraden von den frühesten Unterrichtseinheiten bis zum Abitur 240 S chlünzen, Meine Rolle, S. 9. 241 Vgl. Ströbel-L anger : Das Eigene,
S. 12; Studt, (K)eine Rolle, S. 4; Schlünzen, Meine Rolle, S. 9; vgl. Kultusministerkonferenz , EPA DS, S. 9. 242 Studt, (K)eine Rolle, S. 4. 243 Ebd. 244 S chlünzen, Werkstatt Schultheater 1, S. 1.
3 Beispiel B: Im Schulfach Darstellendes Spiel
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eine wesentliche Rolle.245 Ob in der Aula, auf dem Schulhof, im Klassenraum oder auf dem Flur gespielt wird, ist für die Auswahl und Passung der Methoden folgenreich. In jedem Fall gilt es den Raum zuerst aufmerksam zu entdecken.246 Hierfür stehen unterschiedliche Methoden zur Verfügung.247 Die Übung „Zug um Zug“248 etwa verdeutlicht exemplarisch die spielerisch-erprobende Handlungsweise, die für das Arbeiten im Darstellenden Spiel typisch ist. In einem Raum werden hierbei neun Punkte markiert und auf die gesamte bespielbare Fläche verteilt: „Ohne jede Absprache soll sich nacheinander zu zweit eine Szene entwickeln. Text: Die Zahlen 1–10. Agieren (inklusive Sprechen) und Beobachten wechseln sich ab. Während A agiert, beobachtet B, agiert dann passend zu dem, was er zuvor wahrgenommen hat. Dies beobachtet wiederum B usw. Bei jedem Agieren soll ein anderer markierter Punkt im Raum avisiert werden. Bei 10 soll die Szene zu einem Abschluss kommen.“249
Diese Methode soll vor allem die Anbahnung einer Vertrautheit mit dem realen Spielraum sowie die Nutzung der gesamten zur Verfügung stehenden Fläche ermöglichen. Die Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler wird innerhalb des Gestaltungsprozesses auf zuvor festgelegte Punkte innerhalb des Raumes fokussiert, während die Punkte selbst schon in den szenischen Miniaturen vorkommen. Eine abschließende Reflexion jeder Inszenierung thematisiert schließlich Besonderheiten der gezeigten Raumnutzung.250 Im Unterschied zu typischen Methoden performativer Religionsdidaktik, die ebenfalls das Erkunden von Räumen anstreben, konzentriert „Zug um Zug“ die Aufmerksamkeit auf den realen Raum, in dem das Spiel stattfindet. Es geht hierbei nicht darum, einen künstlichen Raum zu gestalten, indem beispielsweise religiöse Ausdrucksgestalten probierend in Gebrauch genommen werden, sondern um das Vertrautwerden mit dem Raum als zu bespielender Fläche. Diese ist für das wirksame, eigene Ausdruckshandeln zu nutzen. Auch Methoden zur Inszenierung gezielter „Körperarbeit“ finden sich in den Unterrichtsmaterialien zum Darstellenden Spiel in großer Zahl.251 Der Körper 245 Vgl. M alte P feiffer / Volker List: Kursbuch Darstellendes Spiel, Stuttgart 2009; Volker List: Kursbuch Theater machen, Stuttgart 2014. 246 Vgl. Sabine Kündiger / C hristiane M angold u. a.: Grundkurs Darstellendes Spiel 1. Sekundarstufe 2, Braunschweig 2008, S. 10. 247 Vgl. z. B. ebd., S. 11; P feiffer / List, Kursbuch, S. 17–19; Kündiger , Welten schaffen, S. 11. 248 Wulf S chlünzen: Werkstattübungen ‚Darstellendes Spiel‘, in: Spiel und Theater 152 (1993), S. 14–20, 19. 249 Ebd. 250 Über diese Übung zur Raumerkundung und -nutzung mit Blick auf den realen Spielraum hinaus gibt es eine Vielzahl von Methoden zur Darstellung des imaginären Raums. Vgl. hierzu Kündiger , Welten schaffen, S. 11. Dort stellt Kündiger die Übung „gezieltes Installieren“ vor, in der die Schülerinnen und Schüler lernen, Räume allein durch die spielerische Handlung sichtbar werden zu lassen. 251 Vgl. z. B. K arlheinz Frankl: Interaktion fördern, in: Schultheater 1 (2010), S. 12–
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§ 2 Performative Aufbrüche in der Didaktik benachbarter Fächer
als „wichtigste[s] Instrument beim Theaterspielen“252 bedarf gerade in den Bereichen Haltung, Gestik und Mimik eines methodisch aufeinander aufbauenden Trainings. Die hervorgehobene Bedeutung der „Körperarbeit“ in der Methodik des Unterrichtsfaches verdeutlicht schon ein Blick auf deren fortdauernde Berücksichtigung in der Gestaltung von Lernarrangements: In der Regel beginnt jede Stunde im Darstellenden Spiel mit einem „Warm-Up“, das die körperliche Konzentration der Schülerinnen und Schüler aktivieren soll. Diese Aufwärmphase steht thematisch häufig nicht in direkter Verbindung mit dem größeren Unterrichtszusammenhang,253 sondern zielt auf das körperliche „Ankommen“ in der Stunde sowie die kontinuierliche Steigerung der individuellen Bewegungskontrolle.254 Eine Methode, die exemplarisch zur Übung der Verfeinerung des Körperausdrucks angeführt werden kann, bezeichnet Schlünzen als „Emotionszonen“255: Hierbei unterteilen Markierungen den Spielraum in vier verschiedene Bereiche, beispielsweise mithilfe von Klebestreifen. Jede so entstandene Zone wird daraufhin einer der vier Emotionen Freude, Angst, Trauer und Wut zugeordnet.256 Im Verlauf der Übung wird den Gefühlen wie folgt körperlich Ausdruck verliehen und nachgespürt: „Im Kreislauf bewegen sich die Personen durch die Emotionszonen. Jede Zone bestimmt vollkommen Haltung, Bewegung, Stimme. Beim Überschreiten der Markierung zur nächsten Zone wird abrupt die neue Emotion übernommen. Dann entwickeln jeweils zwei Personen zusammen eine Szene, in der alle vier Zonen von beiden betreten und die jeweiligen Emotionen gespielt werden müssen. Es soll einen sinnvollen Ablauf geben.“257
Am Schluss der Übung bietet sich eine Phase der Reflexion über Wirkungen der einzelnen Inszenierungen an. Diese Methode der „Körperarbeit“ verfolgt eine doppelte Lernabsicht: Zum einen zielt sie auf die Erweiterung des individuellen Repertoires zur theatralen Selbstartikulation (1). Indem Schülerinnen und Schüler ihr körperliches Auftreten (Haltung, Bewegung, Stimme) nacheinander den vorgegebenen Emotionen anpassen, üben sie, ein breites Spektrum mensch17, 17; Stangl , Körper, S. 30 f.; Schlünzen, Werkstattübungen, S. 15–19; P feiffer / List, Kursbuch, S. 14–16 und 28–30; Wulf Schlünzen: Werkstatt Schultheater. DS 4. Beobachten – Feedback – Bewerten, Hamburg 22005, S. 11–13. 252 Kündiger / M angold, Grundkurs DS, S. 8. 253 So wird beispielsweise auch während der Pflichteinheit zum Thema „Licht“, die vor allem auf eine theatergerechte Nutzung des technischen Hilfsmittels und ein Kennenlernen seiner Gestaltungsmöglichkeiten abzielt, die Stunde mit einer solchen Körperübung begonnen. Gleiches gilt für die Erarbeitung von Aufführungen oder Installationen. 254 Vgl. Stangl , Körper, S. 31. 255 S chlünzen, Werkstatt Schultheater 4, S. 12. 256 Als Variation werden zudem die Emotionen Neugier, Langeweile, Ekel und Begeisterung vorgeschlagen; vgl. ebd., S. 12. 257 Ebd.
3 Beispiel B: Im Schulfach Darstellendes Spiel
183
licher Ausdrucksmöglichkeiten gezielt mit Blick auf deren Wirkung auf ein Publikum zu verwenden. Hierbei können sie auch neue Formen der Artikulation ausprobieren. Die abschließende Gruppenreflexion bietet zudem Gelegenheit, Rückmeldungen zu den Wirkungen des körperlichen Ausdrucksverhaltens zu erhalten. Zum anderen dient die Methode der Schulung des individuellen Körperbewusstseins (2). Das „Übernehmen“ von Emotionen eröffnet die Chance, dem eigenen körperlichen Umgang mit Gefühlen im spielerischen Gestalten nachzuspüren. Somit impliziert diese Methode auch eine Auseinandersetzung mit Gemütszuständen „am eigenen Leib.“258 Wenngleich die „Körperarbeit“ zur Unterstützung der artikulatorischen Fähigkeiten im performativen Religionsunterricht keine unmittelbare Parallele aufweist, so erinnert das Verständnis des körperlichen Gestaltens als leiblicher Lernprozess doch an Leonhards gestaltpädagogisch begründeten Ansatz. Hier wie dort wird der Leib als „Lernort“ verstanden, an dem „Sinn [vom geistigen Bewusstsein her] und Sinnlichkeit [vom fühlenden Körper her]“259 zusammenkommen. Die letzte hier vorzustellende Methode zielt auf das „Anverwandeln einer Rolle“260, das oben als eine wesentliche Herausforderung der „Rollenarbeit“ im Darstellenden Spiel charakterisiert wurde.261 Schülerinnen und Schüler nähern sich dabei in einem sorgsam inszenierten Prozess Rollen an, die sie sich selbst ausgedacht haben oder die an literarischen Figuren orientiert sind. Auch für diese Heranführung liegen bereits zahlreiche Vorschläge zur methodischen Umsetzung vor.262 Die Methode „Rollenbegegnung“263 stellt innerhalb dieses breiten Spektrums einen komplexen Zugang dar, der eher für fortgeschrittene Spielerinnen und Spieler in Frage kommt: „Zwei Rollen improvisieren (10–15 min) im Kontext der epischen oder dramatischen Textvorlage in Bezug auf das Thema eines bestimmten (selbst gewählten) Handlungsschritts eine fiktive Begegnung. […] Jede Rolle schreibt eine kurze Story auf, die sich aus der Sicht dieser Rolle von dieser Begegnung her formulieren lässt […] Diese Stories werden weiter für die Erfindung von Szenen genutzt. In dieser Improvisation werden spielerisch die Dimensionen der Rolle erweitert und Entscheidungen zur Konkretisierung der Rolle getroffen.“264
258 Das
„leibliche Spüren“ meint hier einen ganzheitlichen Wahrnehmungsprozess, der nicht ausschließlich auf die kognitive Ebene beschränkt ist, sondern Gefühle und körperliches Wohlbefinden einschließt. Vgl. Warstat, Körper im Theater, S. 43. 259 S chulz , Phänomenologisch orientierte Religionspädagogik, S. 54. Vgl. § 1, Kap. 3.2.2.1 „Der Körper als Lernort“. 260 S chlünzen, Meine Rolle, S. 8. 261 Vgl. § 2, Kap. 3.2.3 „Die Leitkategorie ‚Rolle‘“. 262 Vgl. z. B. Köhler , Verselbstständigungen, S. 28 f.; P feiffer / List, Kursbuch, S. 75– 89; Schlünzen, Werkstatt Schultheater 1, S. 85–87. 263 S chlünzen, Werkstatt Schultheater 1, S. 87. 264 S chlünzen, Werkstatt Schultheater 4, S. 12.
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§ 2 Performative Aufbrüche in der Didaktik benachbarter Fächer
Die Rollenarbeit erfordert in diesem Beispiel zunächst, sich gestaltend mit dem Verhalten einer literarischen Figur auseinander zu setzen. Zusätzlich muss das bisher nur in der Vorstellung existierende Auftreten in selbst erdachten Szenen improvisiert werden. Wie die Figuren, denen sich die Schülerinnen und Schüler hierbei annähern, in potentiellen Begegnungen, über die in der Vorlage nichts berichtet wird, untereinander agieren würden, bleibt zunächst offen. Das Zusammenspiel kann nur dann glaubwürdig wirken, wenn die Rollenkonzepte auf stimmigen Deutungen der Textgrundlage fußen.265 Die „Rollenbegegnung“ mündet schließlich in eine kritische Prüfung der Rollenkonzepte ein. Hierzu wird auch unter das Publikum einbezogen. Die abschließende Gruppenreflexion bietet die Möglichkeit, Widersprüche, Unstimmigkeiten oder unterschiedliche Deutungen zu thematisieren und so die Arbeit an der Rolle zu unterstützen. Die „Rollenbegegnung“ erweist sich auch deshalb als exemplarisch für die Methodik des Faches, weil die hier angebahnte Performance ein bloßes Abbilden literarischer Vorlagen überschreitet. Das spielerische, sich einfühlende und improvisierende Experimentieren mit theatralen Ausdrucksmitteln bestimmt stattdessen die Wege und Ziele des Schulfaches Darstellendes Spiel.
3.3 Performative Religionsdidaktik und die Fachdidaktik des Darstellenden Spiels im Vergleich Die erarbeiteten Einblicke in Zielsetzungen, Leitkategorien und Lernwege des Darstellenden Spiels bestätigen die Erwartung, dass Didaktik und Methodik dieses Faches wie kein anderes im Fächerkanon der Schule einen performativen Grundcharakter aufweisen. In deutlichem Gegensatz zum religionsdidaktischen Diskurs, der bis heute von einer engagiert geführten Debatte über die Berechtigung und Notwendigkeit einer performativen Neuorientierung geprägt ist, begegnet der Performanzbegriff in den fachdidaktischen Publikationen und sogar den curricularen Vorgaben des Darstellenden Spiels als unumstrittener Leitbegriff. Dieser Unterschied lässt vermuten, dass performatives Lehren und Lernen im Religionsunterricht mit fachdidaktischen Implikationen verbunden ist, die im Darstellenden Spiel weniger problematisch erscheinen. Die Didaktiker des Darstellenden Spiels und des performativen Religionsunterrichts verbindet eine gemeinsame Hochschätzung des Performanzbegriffes und damit eine Fülle vergleichbarer didaktischer Zielsetzungen und Lernwege. Sowohl die in der Analyse festgestellten Ähnlichkeiten als auch die charakteristischen Unterschiede sollen im Folgenden mit Blick auf das eingangs formulierte Vergleichsinteresse zugespitzt werden. Zunächst empfiehlt sich hierfür ein kurzer Rückblick auf die Bedeutungsspektren des Performanzbegriffes in den Spielarten performativer Religions265 Vgl. ebd.
3 Beispiel B: Im Schulfach Darstellendes Spiel
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didaktik. Wie beschrieben kann Performanz in der Religionsdidaktik einerseits eher Performativität im Sinne der sprachwissenschaftlichen Verwendung nach John Austin meinen – und damit auf die wirklichkeitsverändernde Kraft bestimmter Aussagen und Handlungen verweisen; andererseits kann der Begriff im religionsdidaktischen Zusammenhang den aktuellen Vollzug theatraler Performance betonen, in Anwendung auf den christlichen Religionsunterricht also die Aufführung der „Inszenierungsreligion“266 Christentum. Didaktisch ist damit die Notwendigkeit unterrichtlicher Darstellung von Religion impliziert.267 In der Fachdidaktik des Darstellenden Spiels hingegen bezieht sich performatives Lehren und Lernen vornehmlich auf diesen letzteren Bereich des aktuell-darstellenden Vollzugs einer Performance. Die insofern nicht so weit gefasste Verwendung des Begriffes entspricht dem Grundcharakter des von vornherein auf theatrales Handeln bezogenen Faches Darstellendes Spiel. Die Entwürfe zum performativen Religionsunterricht inszenieren ihre Probewelten nicht zuletzt als Möglichkeitsräume, in denen religiöse Zeichen, Formen und Vollzüge potentiell wirksam werden können. Dabei ist weniger bedeutsam, ob sich die Schülerinnen und Schüler innerhalb der Inszenierungen angemessen ausdrücken und ob die übernommenen Rollen überzeugend und für ein Publikum nachvollziehbar dargestellt werden. Viel wichtiger ist hier die Anbahnung des Kontakts mit den Ausdrucksgestalten der christlichen Religion. Performativ sollen nicht nur die Akte des Darstellens, sondern auch die religiösen Formen selbst wirken.268 Der bedeutsame Lernprozess ereignet sich, indem die Schülerinnen und Schüler im Unterrichtsverlauf mit Religion in Kontakt treten. Zwar schließen auch Didaktiker des Darstellenden Spiels nicht aus, dass im Spiel gemachte Erfahrungen außerhalb der Inszenierung einen Nutzen entwickeln können. Jedoch legitimieren derartige Übertragungsprozesse nicht in vergleichbarer Weise die entsprechende Didaktik, wie die obige Analyse der Leitkategorien „Raum“ und „Körper“ gezeigt hat. Stattdessen gilt das primäre Interesse der unterrichtlichen Bemühungen im Darstellenden Spiel der Erweiterung des theatralen Ausdrucksvermögens der Schülerinnen und Schüler. Anders als im performativen Religionsunterricht und 266
K lie , Wort, S. 107; K lie , Gestalten und Handeln, S. 175. 267 Vgl. zum Bedeutungsspektrum des Begriffes ausführlich
§ 1, Kap. 2 „Vorklärungen zum Begriff des Performativen“ sowie mit Blick auf die Rezeption des Begriffes in den Spielarten performativer Religionsdidaktik kritisch abwägend § 4, Kap. 2.1 „Probleme und Chancen des Performanzbegriffes“. Auf die z. T. unterschiedlichen und widersprüchlichen Verwendungen des Performanzbegriffes wurde in der Darstellung der unterschiedlichen Spielarten performativer Religionsdidaktik jeweils mit Bezug zu den entsprechenden Autoren ausführlich hingewiesen. Dies wird an dieser Stelle nicht wiederholt. 268 Dies gilt innerhalb der Spielarten performativer Religionsdidaktik in unterschiedlicher Gewichtung. In besonderem Maße betont – wie gesehen – der Ansatz von Bizer die Performativität der christlich-religiösen Ausdrucksgestalten. Vgl. § 1, Kap. 3.2.1 „Religion beim Wort nehmen. Christoph Bizer und die Gestaltwerdung von Religion im Unterricht“.
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§ 2 Performative Aufbrüche in der Didaktik benachbarter Fächer
auch im handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht führen die Lernarrangements im Darstellenden Spiel systematisch in Techniken des Theaterspielens ein und widmen sich einem intensiven „Training expressiver Körperbewegungen“269. Die Handlungsfelder „Raum“ und „Körper“ sind im Hinblick auf deren expressive Potentiale zu erforschen. Es wird also nicht in erster Linie inszeniert, um eine Textgrundlage besser zu verstehen oder um mit den inszenierten Lerngegenständen in Kontakt zu treten, sondern um das Inszenieren selbst zu lernen. Die „Vermittlung ‚handwerklicher‘ Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten ([…] Körpersprache, Spiel mit dem Requisit, Gruppierung […])“270 ist im Unterricht des Darstellenden Spiels der Reflexion ihrer Wirkung und erst Recht ihrer Übertragung auf die Lebenswelt vorangestellt. Die Spielvorlagen fungieren folgerichtig als austauschbare Anregungen, von denen ausgehend sich dasjenige ereignen soll, um das es fachdidaktisch im Kern geht: die ganzheitliche Auseinandersetzung mit den Ausdruckspotentialen der Kunstform Theater.271 Demgegenüber verhalten sich die religionsdidaktisch-performativen Entwürfe geradezu entgegengesetzt zu den Gegenständen, die im Unterricht inszeniert werden. Hier sind die „Spielstoffe“, mit denen sich die Schülerinnen und Schüler gestaltend beschäftigen, als Ausdruckgestalten christlicher Religion vorgegeben. Eher erscheinen die dramatischen Inszenierungen als austauschbare Hilfsmittel. Diesem Religionsunterricht geht es nach dem Traditionsabbruch darum, Erstbegegnungen mit christlicher Religion als „Kultur symbolischer Kommunikation“272 zu inszenieren, weil Schülerinnen und Schüler heute mit deren Erscheinungsformen nicht mehr vertraut sind.273 Die innerhalb der Religionsdidaktik viel diskutierte Frage, ob authentische (religiöse) Vollzüge im Unterricht dar- bzw. nachgestellt werden können und dürfen, stellt sich im Darstellenden Spiel schon deshalb nicht mit vergleichbarer Dringlichkeit, weil dieses Unterrichtsfach gerade in der Wahrnehmung, Verwendung und Reflexion theatraler Ausdrucksgestaltung auch seine inhaltliche Pointe hat. Zudem erleichtert der Bezug des Darstellenden Spiels auf zumeist fiktionale Textvorlagen wie schon im handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht die Identifikation der im Spiel gestalteten Räume als Proberealitäten. Das Unterscheiden verschiedener Vollzugssysteme und Modi der Weltbegegnung, das Dressler als zentralen Gegenstand religiöser Bildung ausmacht,274 dürfte durch 269
M ieruch, Etwas verkörpern, S. 19. M angold, Thesen, S. 42. 271 Vgl. Berlin, Rahmenplan DS Sek. 1, S. 9. 272 D ressler , Blickwechsel, S. 268. 273 Einschränkend ist hier auf die Ansätze von Schambeck und Mendl zurück zu verweisen, die beide den Begriff des „Probehandelns“ ablehnen. Vgl. § 1, Kap. 3.4 „Performative Didaktik in katholischer Auslegung“. 274 Vgl. § 1, Kap. 3.1.1.4 „Die Herausforderung der Übergänge“. 270
4 Zwischenfazit
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die hervorgehobene Sichtbarkeit der Artifizialität des theatralen Agierens im Darstellenden Spiel keine Schwierigkeiten bereiten. Indes hat die Betrachtung exemplarischer Lernarrangements eine weitreichende Gemeinsamkeit aufgezeigt. Die Methodik des Darstellenden Spiels setzt wie diejenige der performativen Spielarten das Prinzip der Handlungsorientierung in ihren unterrichtlichen Konkretionen um. Hier wie dort überwiegen Unterrichtsformen, in denen Schülerinnen und Schüler aktiv tätig werden, sich auch physisch in Situationen hineinbegeben, darin Haltungen einnehmen und neue Ausdrucksformen im körperlichen Tun ausprobieren. Handlungsorientierung wird als Gegenmodell zum primär kognitiv ausgerichteten Unterricht verstanden. „Gestaltungskompetenz“ zu fördern ist dementsprechend ein gemeinsames, wesentliches Anliegen der Didaktik des Darstellenden Spiels und der Spielarten performativer Religionsdidaktik. Weitere auffällige Überschneidungen sind im Zuge der Untersuchung angesprochen worden: die Betonung der Leiblichkeit allen Lernens, die bewusste Auswahl und achtsame Wahrnehmung der Lernorte als bespielbare Räume, der konstitutive Zusammenhang von Wahrnehmen, Gestalten und Reflektieren und die Einsicht in die prinzipielle Deutungsoffenheit aller Darstellungen. Schließlich wird die große fachdidaktische Schnittfläche durch eine gemeinsame Zielperspektive deutlich: Schülerinnen und Schüler sollen nach der Überzeugung beider didaktischer Strömungen im experimentierenden Spiel an Erfahrungen mit dem Fremden herangeführt werden. Auch die Didaktik des Darstellenden Spiels könnte daher als Spielart einer „Didaktik des Perspektivenwechsels“275 bezeichnet werden. Mehr noch: Im inzwischen vielerorts etablierten Schulfach Darstellendes Spiel ist manches bereits zur unterrichtlichen Realität geworden, was performative Religionsdidaktiker bis heute noch allererst fordern.
4 Zwischenfazit Die vergleichende Untersuchung hat nachweisen können, dass die Spielarten performativer Religionsdidaktik in vielerlei Hinsicht zu Entwicklungen innerhalb der hier exemplarisch betrachteten jeweiligen Didaktik der Nachbarfächer in enger Beziehung stehen. Als erstes Ergebnis kann daher die eingangs formulierte Vermutung bestätigt werden: Performativ-didaktische Tendenzen lassen sich am Ausgang des 20. Jahrhunderts auch außerhalb der Religionsdidaktik feststellen. Die Analyse des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts und der Fachdidaktik des Darstellenden Spiels hat allerdings neben fächerübergreifenden Gemeinsamkeiten und Interdependenzen auch spezi275 D ressler , Performanz und Kompetenz, S. 27. Vgl. § 1, Kap. 3.1.1.3 „Religiöse Bildung als Unterscheidungsfähigkeit“.
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§ 2 Performative Aufbrüche in der Didaktik benachbarter Fächer
fische Unterschiede offenbart, die ihrerseits Charakteristika der religionsdidaktisch-performativen Entwürfe konturieren. Im Folgenden werden zentrale Erträge des Vergleichs aus sechs Perspektiven beleuchtet und gedeutet. Diese Perspektiven werden in Entsprechung zu den „sechs Funktionen vergleichender Religionspädagogik“ nach Bernd Schröder entfaltet, die in der Einleitung bereits vorgestellt wurden.276 Schröders Funktionen lassen sich an dieser Stelle in Perspektiven überführen, insofern jede Funktion bereits einen eigenen Blickwinkel impliziert, der im hier durchgeführten Vergleich berücksichtigt wird. Der so strukturierte Blick auf die gewonnenen Ergebnisse soll dazu beitragen, die oben untersuchten performativen Impulse in ihrer Tragweite für die religionsdidaktische Theoriebildung und darüber hinaus klarer zu erfassen. Die erste Perspektive richtet den Blick zunächst auf die Ebene der synchronen Wahrnehmung der vielgestaltigen Formen performativer Ansätze auch außerhalb der Religionsdidaktik (1).277 Anhand der hier angeführten Beispiele wird ersichtlich, dass sich der performative turn, der in verschiedenen soziologischen, allgemeinpädagogischen und kulturwissenschaftlichen Arbeiten schon in den 1970er Jahren eingeleitet wurde, auf die didaktischen Entwicklungen anderer Fächer ausgewirkt hat, ehe er Eingang in die Religionsdidaktik fand. Dies gilt in besonderer Weise für die Konzepte eines handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts. Ihre Bemühungen um experimentelle Inszenierungen von literarischen Texten und ihr Blick auf deren Wirkungen in kreativen Begegnungen von Text und Rezipient rücken genuin performative Zielsetzungen ins Zentrum des fachdidaktischen Interesses. Die Forderung, literarische Texte als „Partituren“278 zu verstehen, die es im Unterricht methodisch variabel in Szene zu setzen gilt, verweist auf eine wesentliche Gemeinsamkeit der jeweiligen Didaktik der unterschiedlichen Fächer. Zugleich verdeutlicht jene Forderung auch die Schnittfläche mit der allgemeinpädagogischen Idee, „Prozesse der Interaktion und dramaturgische Handlungsvollzüge sowie Körperlichkeit und Materialität“279 aus lerntheoretischer Perspektive stärker zu bedenken. Hierbei fällt auf, dass die Konzepte handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts für das Unterrichtsfach Deutsch schon in den 1980er Jahren fachintern eine kritische Diskussion auslösten, die in mancher Hinsicht dem aktuellen Ringen um die performative Neuorientierung in der Religionsdidaktik ähnelt. Innerhalb der Deutschdidaktik scheint diese Auseinandersetzung inzwischen aber insofern entschieden, als handlungs- und produktionsorientierte Zu276 Vgl. 277 Vgl.
§ 2, Kap. 1 „Erkenntnisinteresse der vergleichenden Perspektive“. die „‚pluralitätssensibilisierende‘ Funktion“. Schröder , Vergleichende historische Religionspädagogik, S. 241. 278 K lie / Leonhard, in Szene setzen, S. 11; Yekrang -H aghpanah , Partitur, S. 167; Scheller , Inszenierungen (I), S. 12. 279 Wulf / Z irfas , Performative Pädagogik, S. 9.
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gänge längst auch in Schulbüchern, curricularen Vorgaben und nicht zuletzt der Lehrerbildung zum verbindlichen Kanon zählen.280 Ob die religionsdidaktisch-performativen Entwürfe zukünftig entsprechende Anerkennung finden und eine vergleichbare Breitenwirkung erzeugen, ist zum Zeitpunkt dieser Untersuchung noch nicht abzusehen. Auch die Geschichte der Einführung des Darstellenden Spiels als reguläres Unterrichtsfach kann als Indiz für einen performative turn innerhalb der Schulkultur interpretiert werden. In keinem Schulfach steht in vergleichbarer Klarheit vor Augen, dass Dimensionen der Inszenierung und Aufführung wesentliche Faktoren im Prozess der Bedeutungskonstruktion darstellen. Die Wahrnehmung der vielgestaltigen fachdidaktischen Aufbrüche, die den Kontext der performativen Religionsdidaktiker mitbestimmen, eröffnet in dieser Studie die zweite Perspektive der Auswertung: die Zuspitzung spezifischer Verbindungslinien und Gemeinsamkeiten zwischen den betrachteten Ansätzen (2).281 Hierfür ist zuerst auf die Absage an einseitig kognitiv ausgerichtete Unterrichtsverfahren hinzuweisen, die alle performativen Entwürfe verbindet. Der Unterricht soll sich von der einseitigen Bevorzugung jener Lernformen verabschieden, die versuchen, Bedeutungsträgern wie literarischen Texten, Spielvorlagen und (religiösen) Zeichen mithilfe traditionell-analytischer Verfahren Informationen zu entnehmen und so das „Verstehen“ auf die rein kognitive Dimension der Erkenntnis von Unterrichtsgegenständen reduzieren. Vielmehr soll sich Unterrichten nunmehr in Prozessen des „Sich-Zeigens“282 von Bedeutung im Vollzug ihrer Darstellung vollziehen. Wenn die Schülerinnen und Schüler in diesen Prozess gestaltend eingebunden werden, so die gemeinsame Überzeugung, dann wirken sie zugleich an der Aktualisierung der inszenierten Lerngegenstände mit. Sie produzieren eigene Lesarten und setzen sich darin individuell zu den dargestellten Zeichen in Beziehung. Mit dem hier intendierten Unterricht ist dessen Verständnis als Möglichkeitsraum eng verknüpft. Dieser Raum wird entscheidend durch die Darstellungshandlungen der in ihm Agierenden konstituiert. Nahezu alle hier besprochenen Entwürfe betrachten die experimentierende Erprobung als geeigneten Verhaltensmodus innerhalb dieses als Spielraum vorzustellenden Vollzuges von Unterricht.283 Probehandeln soll die Möglichkeit eröffnen, Figurenperspektiven einzunehmen, Konflikten und Konstellationen innerhalb der inszenierten Welten nachzuspüren und sich, sofern gewünscht, kritisch von diesen zu distanzieren. Auf diese Weise soll das In280 Vgl.
Hochstadt / K rafft / Olsen, Deutschdidaktik, S. 142. die „verallgemeinernde Funktion“. Schröder , Vergleichende historische Religionspädagogik, S. 241. 282 Westphal , Lernen als Ereignis, S. 53. 283 Kritisch steht dem so verstandenen Experimentieren im Modus des Perspektivenwechsels vor allem Schambeck gegenüber; vgl. § 1, Kap. 3.4.2.2 „Mystagogisches Lernen als Konkretion performativer Religionsdidaktik“. 281 Vgl.
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szenieren die Schülerinnen und Schüler an eigene Erfahrungen mit fremden Perspektiven und deren Deutungsoptionen heranführen, ohne dass die Lernenden davon „überwältigt“ werden. Vor allem der handlungs- und produktionsorientierte Literaturunterricht und die evangelischen Spielarten performativer Religionsdidaktik leben vom Experimentieren in inszenierten Möglichkeitsräumen.284 „Fremdverstehen“285 im Sinne Spinners bedeutet nicht nur, sich auf Probeaufenthalte in fiktiven Welten einzulassen, sondern auch, deren Reflexion aus kritischer Distanz einzuüben. Diesem Hauptakzent entsprechend wird die Fähigkeit zur Perspektivübernahme, sofern sie auch das Unterscheiden zwischen verschiedenen Perspektiven einschließt, zu einem wesentlichen Bildungsziel. Die angesprochene Notwendigkeit, inszenierte Welten aus Schülersicht als solche identifizieren zu können, leitet zu einer wesentlichen Unterscheidung und damit zur dritten Perspektive der Auswertung über: Diese fokussiert die Eigenarten performativer Religionsdidaktik im Kontrast zu den Ansätzen, mit denen sie verglichen wurde (3).286 Sowohl die Didaktik des Unterrichtsfaches Darstellendes Spiel als auch die auf den handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht ausgerichtete Fachdidaktik Deutsch beziehen sich in ihren Inszenierungsprozessen zumeist auf fiktionale Textvorlagen, die als Partituren für die Gestaltung eigener Proberealitäten funktionalisiert werden. Im Darstellenden Spiel kann zwar auch gänzlich ohne Bezüge zu dramatischen Texten inszeniert werden, allerdings gestalten die Schülerinnen und Schüler auch in diesem Fall ihre Performances auf das Ziel des Darstellungshandelns hin. Performative Religionsdidaktik möchte demgegenüber religiöse Zeichen und Vollzüge in Szene setzen, um diese im eigenen Gebrauch zu aktualisieren oder kennenzulernen.287 Somit bezieht sie sich auf eine reale Praxis, die von Christinnen und Christen tatsächlich ausgeübt wird und mit der vermutlich auch einige Schülerinnen und Schülern vertraut sind. Dass weder die Fachdidaktik des Darstellenden Spiels noch die Deutschdidaktik eine Schwierigkeit darin sehen, imaginative Prozesse des „Fremdverstehens“ durch Begehen von Proberealitäten zu ermöglichen, hängt m. E. im Kern mit diesem unterschiedlichen Bezug 284 Obwohl sowohl die EPA als auch die oben zitierten Fachdidaktiker des Darstellenden Spiels durchaus vergleichbare Zielsetzungen ansprechen, gilt der Hauptakzent hier eher der theaterästhetischen Bildung und darin besonders der Schulung des theatralen Ausdrucksverhaltens. 285 Spinner , Fremdes Verstehen, S. 126; vgl. § 2, Kap. 2.1.1 „Fachdidaktische Intentionen“. 286 Vgl. die „ideografische Funktion“. S chröder , Vergleichende historische Religionspädagogik, S. 241. 287 Die aktualisierende Transformation der christlichen Ausdrucksgestalten wird in der Fachdiskussion v. a. als Ziel der evangelischen Entwürfe bezeichnet, während den katholischen Entwürfen unterstellt wird, eine „Kompensationsstrategie“ zu verfolgen. So Englert, Zwischenbilanz, S. 6. Vgl. hierzu ausführlich und Stellung beziehend § 4, Kap. 2.10 „Performative Spielarten im Lichte konfessioneller Kooperation“.
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zum Inszenierungsgegenstand zusammen. Im Religionsunterricht probeweise zu beten, sich im Rollenschutz gegenseitig zu segnen oder Gemeinschaft mit Christus im Abendmahl zu spielen, impliziert didaktische Herausforderungen, die offensichtlich über das Sich-Hineinversetzen in die Figur eines literarischen Textes hinausgehen. Der fiktionale Text selbst steht auch aus Schülersicht schon für eine fremde, artifizielle Welt, in der zumeist andere Gesetze gelten und die von der eigenen Lebenswelt somit einfacher abgegrenzt und mit ihr in ein Verhältnis gesetzt werden kann. Ähnliche Voraussetzungen gelten innerhalb der Religionsdidaktik für performative Lernarrangements mit biblischen Texten. Auch dort stellt der Text ein Zwischenmedium dar, das in eine aus Schülersicht fremde Welt einführt und Perspektiven von Figuren vorgibt, die nicht von vornherein der eigenen entsprechen. Im liturgischen Lernen der performativen Entwürfe sind die Grenzen zwischen der Lebenswelt und der Als-ob-Realität dagegen – trotz Traditionsabbruch und probeweiser Inszenierung – weniger transparent. Die Frage nach einer möglichen Überwältigung der Schülerinnen und Schüler stellt sich daher weder im Darstellenden Spiel noch im kreativen Deutschunterricht mit vergleichbarer Dringlichkeit.288 Die vierte Perspektive dieser Auswertung nimmt „argumentative Schwächen und Baustellen“289 performativer Religionsdidaktik in den Blick, die während des Vergleichs zu Tage getreten sind (4). Im Unterschied zum handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht und zur Didaktik des Darstellenden Spiels muss eine „Baustelle“ im Bereich der fachdidaktischen Zielsetzungen festgestellt werden. Die Didaktik des Darstellenden Spiels lässt keinen Zweifel daran, dass „theaterästhetische Bildung“ auf die Wahrnehmung, Gestaltung und Reflexion von theatraler Performance angewiesen ist. Auch steht außer Frage, dass hierbei dem eigenen Ausdruckshandeln in inszenierten Proberäumen das zentrale Augenmerk des Unterrichts gebührt. Im handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht soll demgegenüber das performative Handeln Zugänge zu literarischen Texten eröffnen. Sämtliche Spielarten gehen trotz ihrer verschiedenen Schwerpunkte in Bezug auf die Gestaltung solcher Lernprozesse im Kern davon aus, dass kreative Auseinandersetzung zu einem tieferen Verstehen im Literaturunterricht führt. Eindeutig steht hierbei die Förderung der Kompetenz zur Deutung von Literatur im Mittelpunkt. Eine vergleichbare Klarheit bezüglich der Zielsetzungen ist in den religionsdidaktisch-performativen Entwürfen bis heute nicht erkennbar. Die Unklarheit hängt schon mit der selektiven, mehrdeutigen Rezeption des Leitbegriffs 288 Vgl.
§ 4, Kap. 2.7 „Performative Bibeldidaktik und die Unterscheidung vom liturgischen Lernen“. In diesem Teil des Auswertungskapitels wird entsprechend der oben dargestellten Unterschiede eine stärkere Differenzierung zwischen performativer Liturgiedidaktik und performativer Bibeldidaktik vorgeschlagen. 289 Vgl. die „selbstkritische Funktion“. S chröder , Vergleichende historische Religionspädagogik, S. 241.
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§ 2 Performative Aufbrüche in der Didaktik benachbarter Fächer
der Performanz zusammen. Dieser wird in den Spielarten von Dressler über Bizer und Schroeter-Wittke bis hin zu Mendl sehr unterschiedlich verwendet, wie in § 1 dargelegt wurde. Beispielsweise akzentuiert Schroeter-Wittkes poststrukturalistischer Ansatz insbesondere den Begriff der Performance, indem er davon ausgeht, dass etwas nur existiert, sofern es sich auch zeigt.290 Hingegen möchte Bizer im Unterricht Räume eröffnen, in denen die „eigenen Wort[e]“291 der christlichen Religion verlauten und darin performativ wirksam werden können. Inwieweit also den religiösen Ausdrucksgestalten eine eigene Performativität innewohnt, die Subjekte im Religionsunterricht persönlich involviert, und inwieweit man sich von dieser Performativität auch kritisch distanzieren kann, lässt sich in den vorgestellten Spielarten nicht einheitlich beantworten. In Bezug auf die Klarheit, was sich im unterrichtlichen Kontakt mit religiösen Formen genau ereignen soll, wäre zudem hilfreich, eine Unterrichtsmethodik auszuarbeiten, die passgenau auf die Eigenheiten dieser Formen zugeschnitten ist. Gerade im Bereich der methodischen Konkretionen hat der Vergleich zahlreiche Interdependenzen aufzeigen können, die den Schluss zulassen, dass performative Ansätze für den Religionsunterricht in hohem Maße durch die Entwicklungen im Darstellenden Spiel und vor allem im handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht beeinflusst wurden und von diesen profitiert haben. Dass in der vielleicht wichtigsten Programmschrift der performativen Religionsdidaktik zwei Drittel der vorgestellten Stundenentwürfe von Lehrerinnen und Lehrern des Faches Deutsch stammen, die teilweise sogar als Experten eines handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts ausgewiesen sind,292 bekräftigt diese Einschätzung. Mit Blick auf die oben benannten Unterschiede in der Inszenierung von fiktionalen Texten und religiösen Ausdrucksgestalten ist allerdings zu fragen, ob es nicht auch eigener Lernwege bedarf, die dieser Eigenart der religionsdidaktischen Lerngegenstände insbesondere in Bezug auf den Modus des Inszenierens gerecht werden. Das „Anverwandeln einer Rolle“293, das im Darstellenden Spiel die bewusste Reflexion der Perspektivität der Rolle einschließt und konstitutiv zu jeder Darstellungshandlung gehört, könnte hierfür eine Schlüsselkategorie darstellen. Eine performative Methodik für den Religionsunterricht möchte konkrete Lernwege formulieren, die religiöse Möglichkeitsräume eröffnen und Religion in ihren äußeren Erscheinungsformen präsentieren. Dabei muss sie sensibel dafür bleiben, dass religiöse Rituale und Vollzüge nicht zwingend an sich als fremde Welten erkennbar sind.294 290 291
Vgl. § 1, Kap. 3.3.2.1 „Die Brisanz des performative turn“. Bizer , Liturgik, S. 83; vgl. § 1, Kap. 3.2.1.2 „Die authentische Selbstdarstellung von Religion im Unterricht“. 292 Vgl. Leonhard / K lie (Hg.), Performative Religionsdidaktik, S. 157–208. 293 S chlünzen, Meine Rolle, S. 8. 294 Vgl. hierzu kritisch § 4, Kap. 2.5 „Differenzierung der These vom Traditionsabbruch“.
4 Zwischenfazit
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Schließlich richten die fünfte und sechste Perspektive den Blick in die Richtung religionspädagogischer Handlungsorientierung. Es werden Anlässe zur zukünftigen Kommunikation vorgeschlagen, die sowohl zwischen „Anwälten verschiedener Formen religiöser Bildung“ als auch zwischen Anwälten unterschiedlicher Fachrichtungen einen weiteren Austausch über performative Aufbrüche konturieren könnten (5).295 Ferner wird im Folgenden schon angedeutet, inwiefern diese Kommunikation methodische und didaktische Innovationen anregen könnte (6).296 Diese sechste Perspektive wird dann im handlungsorientierenden Auswertungskapitel am Schluss der vorliegenden Studie weiter ausgeführt (§ 4). Zuerst sollte auch über die Grenzen der Religionsdidaktik hinaus ein Austausch darüber stattfinden, welche Bedeutungsspektren dem Performanzbegriff in pädagogischen Prozessen zugesprochen werden. Gerade die unterschiedlichen Verwendungen, die im Rahmen dieses Vergleichs zwischen der Religionsdidaktik und der Fachdidaktik des Darstellenden Spiels aufgezeigt werden konnten, verweisen auf die Dringlichkeit einer entsprechenden Klärung. Performance und performative Wirkungen von theatralen Handlungen prägen im Theaterunterricht ganz selbstverständlich die Lehr- und Lernkultur, doch dürfen diese Begriffe schon aufgrund der spezifischen Zielperspektive des Unterrichtsfaches nicht ohne kritische Differenzierung mit den Performanzen einer performativen Religionsdidaktik verwechselt werden. Es wäre wünschenswert, wenn es zu fächerübergreifender didaktischer Kommunikation jener Fächer käme, in denen Performativität oder Diskussionen um performative Aufbrüche eine Rolle spielen. Ziel eines solchen Austauschs könnte die Verständigung über eine gemeinsame Sprachregelung unter Berücksichtigung entsprechender Differenzierungen im Verständnis von Performativität und Performance sein. Neben Religion, Deutsch und dem Darstellenden Spiel wäre hier etwa an Sport, Kunst und Musik, aber durchaus auch an die alten und neuen Fremdsprachen zu denken. Die Fachdidaktiker sollten im Rahmen des Austauschs erörtern, welche Bedeutungsaspekte des Performativen möglicherweise fachspezifische Herausforderungen implizieren. Dies könnte nicht zuletzt auch innerhalb der Religionsdidaktik zu einer Versachlichung der Debatte beitragen. Über diese begriffliche Schärfung hinaus könnte vor allem der Religionsunterricht von den Erfahrungen derjenigen profitieren, die performatives Lehren und Lernen bereits seit langem erfolgreich praktizieren. Die handlungs- und produktionsorientierten Verfahren der Deutschdidaktik sind hierfür die vielleicht ergiebigste Quelle. Es sollte allerdings nicht ausschließlich darum gehen, methodische Anregungen zu übernehmen und auf erprobte Beispiele aus der 295 Vgl. die „kommunikationsstiftende Funktion“. S chröder , Vergleichende historische Religionspädagogik, S. 241. 296 Vgl. die „innovativ-inspirierende Funktion“. Ebd.
194
§ 2 Performative Aufbrüche in der Didaktik benachbarter Fächer
Unterrichtspraxis zuzugreifen. Besonders im Gespräch mit der Fachdidaktik Deutsch könnte ein solcher Austausch auch spezifische Problemfelder und Lösungsansätze präzisieren, die sich vornehmlich in jenen Lernarrangements ergeben, welche in vergleichbarer Weise auf praktisches, experimentierendes und kreatives Tun ausgerichtet sind. Die Bewertungsproblematik, das Verhältnis zu den analytischen Verfahren sowie der Umgang mit vielfältigen subjektiven Deutungsansätzen können als Beispiele für solche Problemfelder gelten. Hierbei käme unweigerlich auch der Eigencharakter performativer Settings in der Liturgiedidaktik in den Blick. Schließlich deuten einerseits die Unsicherheiten der Religionslehrkräfte im Umgang mit performativen Lernsettings und andererseits die auffällige Unzufriedenheit performativer Religionsdidaktiker mit den Umsetzungen dieser Settings in konkreten Unterrichtssituationen297 darauf hin, dass performatives Unterrichten Kompetenzen erfordert, die nicht flächendeckend in Studium oder Referendariat erlernt werden.298 Auch diesbezüglich könnte Kommunikation mit solchen Didaktikern weiterhelfen, die bereits performative Lernarrangements in der Lehrerbildung gestalten und reflektieren. Entsprechende Kriterien des professionellen Handelns in performativen Lernsettings könnten gemeinsam erarbeitet und nicht zuletzt mithilfe von empirischen Befunden, wie sie etwa bezüglich der Wirksamkeit des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts bereits vorliegen,299 überprüft und gefestigt werden. Auch im Musik-, Theater- und Deutschunterricht stellt performativer Unterricht die Lehrkräfte vor Herausforderungen, die sich auch auf die Lehrerrolle auswirken. Fächerübergreifende Kommunikation würde hier Wege eröffnen, auf diesbezügliche Erfahrungswerte und Know-how zurückzugreifen, die jeweiligen fachspezifischen Besonderheiten zu bedenken und nicht zuletzt die eigene fachdidaktische Theorie kritisch an den Ergebnissen auszurichten. Zu einem solchen „Blick über den Tellerrand“ möchte die hier vorgelegte Untersuchung ausdrücklich ermutigen.
297 Vgl. die auffallend kritischen Besprechungen der performativen Lernarrangements in Dressler / K lie / Kumlehn, Unterrichtsdramaturgien sowie hierzu ausführlich § 4, Kap. 2.8 „Anfragen zu Praktikabilität und Lehrerrolle“. 298 Zur Umsetzungsproblematik sowie den veränderten Anforderungen an die Rolle der Religionslehrerinnen und Religionslehrer vgl. ebenfalls § 4, Kap. 2.8 „Anfragen zu Praktikabilität und Lehrerrolle“. 299 Vgl. z. B. D unja Walter : Produktive Verfahren und kooperative Lernformen im Literaturunterricht. Entwicklung, Implementierung und empirische Erforschung eines Lernarrangements im Deutschunterricht der Sekundarstufe I, Dissertation PH Weingarten, Weingarten 2011.
§ 3 Performative Elemente in der Geschichte der Religionsdidaktik – die historische Perspektive 1 Erkenntnisinteresse der historischen Perspektive Das dritte Kapitel betrachtet die fachdidaktischen Ansätze performativer Religionsdidaktik im Hinblick auf deren Originalität im Gesamtzusammenhang der Geschichte religionsdidaktischer Bemühungen. Wenn dieses Kapitel also danach fragt, was an performativer Religionsdidaktik „neu“ ist, dann kommt zunächst die Vergangenheit in den Blick. Dies mag angesichts der Notwendigkeit verwundern, sich mit aller Kraft den spezifisch drängenden Herausforderungen des Religionsunterrichts in der Gegenwart zuzuwenden. Aber das, was heute um der Zukunft der Erziehung und Bildung „unter Inanspruchnahme des Christlichen“1 willen notwendig ist, lässt sich nur ermitteln, wenn auch die Geschichte christlicher Bildungsbemühungen berücksichtigt wird. Im Falle der speziellen Frage nach der Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung performativer Religionsdidaktik geht es in diesem Abschnitt der Untersuchung deshalb darum, in der Vergangenheit nach Analogien dessen zu suchen, was die Religionspädagogik heute unter dieser Überschrift verhandelt. Neue fachdidaktische Konzepte sind nicht ausschließlich im Hinblick auf ihre aktuelle Bedeutung hin zu befragen. Die notwendige Analyse etwa ihrer faktischen Relevanz und Realisierbarkeit im schulischen Religionsunterricht der Gegenwart, das wichtige Anliegen möglicher Unterrichtshilfe für heute tätige Lehrkräfte bei deren Suche nach ihrer Lehrsituation und der Lebenssituation heutiger Schülerinnen und Schüler gemäßen individuellen Schwerpunktsetzungen, auch das Interesse an Variablen methodischer Umsetzung im Unterricht, all dies soll nicht das einzige Anliegen dieser Arbeit sein. Es ist also nicht ausschließlich nach der aktuellen Verwertbarkeit für gegenwärtigen Unterricht zu fragen, sondern dezidiert auch die Tragweite und Bedeutung für die zukünftige Entwicklung des Faches Evangelische Religion insgesamt in den Blick zu nehmen. Gerade diese Zukunft ist aber in bewusster Wahrnehmung auch der Vergangenheit gedanklich vorzustellen und entsprechend zu gestalten. Insofern erweist sich re1 A lbrecht Beutel: Vom Nutzen und Nachteil der Kirchengeschichte. Begriff und Funktion einer theologischen Kerndisziplin, in: ZThK 94 (1997), S. 84–110, 88; vgl. Schröder , Religionspädagogik, S. 17.
196
§ 3 Performative Elemente in der Geschichte der Religionsdidaktik
ligionspädagogische Forschung in historischer Perspektive als unverzichtbar. Performative Religionsdidaktik ist eine religionspädagogische „Neuheit“, die sich auch selbst als moderne Erscheinung präsentiert. Wer aber zu einer solchen „Neuheit“ fundierte Einschätzungen gewinnen möchte, der darf nicht versäumen, die untersuchten Konzepte einschließlich der dazugehörigen Bildungsund Entwicklungsziele, Schülerbilder, der jeweiligen Rollenvorstellungen von Unterrichtenden samt der von ihnen angewandten Methoden zu der langen und wechselhaften Geschichte christlicher Bildungsbemühungen in Beziehung zu setzen und vor deren Hintergrund zu interpretieren. Zunächst ist festzustellen, dass sich in der christlichen Kirchen- und Frömmigkeitsgeschichte eine Fülle an historischen Vorformen dessen finden lässt, was heute „performative Religionsdidaktik“ genannt wird. Schon anhand der spärlichen Überlieferungen zu Lernprozessen in frühchristlichen Gemeinden kann aufgezeigt werden, dass viele der aktuell vorgetragenen Anliegen performativer Religionsdidaktik bereits dort begegnen, wo gerade begonnen wurde, über christliche Bildung und Erziehung für soeben entstehende Lerngemeinschaften nachzudenken. So bemüht sich gegenwärtige performative Religionsdidaktik darum, den christlichen Glauben anhand seiner Formen und Rituale, seiner Liturgien und Narrationen, seiner wahrnehmbaren „Außenseiten“2 zu erschließen. Dabei zeigt der Blick zurück auf die Frühformen des christlich-religiösen Lernens in neutestamentlicher und altkirchlicher Zeit, dass „Liturgiedidaktik“ der Sache nach schon seit den Anfängen des Christentums praktiziert wurde. Neu ist zwar das Anliegen, das Christentum anhand seiner wahrnehmbaren Außenseiten im Religionsunterricht der öffentlichen Schule nach dem Traditionsabbruch erschließen zu wollen. Dieses Anliegen sowie die damit verbundenen Praxismodelle können aber an bereits dagewesene christlich-pädagogische und -didaktische Grundüberzeugungen anknüpfen. Die Vermittlung christlicher Bildung am Lernort Schule führte schon seit Einrichtung des Religionsunterrichts zu Schwierigkeiten, die zum Teil denen heutiger performativer Religionsdidaktik ähneln. Die Frage nach der Originalität des Ansatzes wird hier allerdings nicht aufgeworfen, um innovative Momente performativer Impulse als bloße Wiederkehr von bereits Dagewesenem bzw. Vorgedachtem in ihrer Bedeutung für die Gegenwart zu mindern. Die Frage soll es vielmehr gestatten, vor dem Hintergrund der „orientierenden Kraft“3 der religionspädagogischen Vergangenheit klarer zu beurteilen, was möglicherweise mit heutiger performativer Religionsdidaktik auch gänzlich Neues in Erscheinung tritt.
2 3
K lie , Gestalten und Handeln, S. 173. Schröder , Religionspädagogik, S. 17.
1 Erkenntnisinteresse der historischen Perspektive
197
1.1 Zur Schwerpunktsetzung dieses Kapitels Angesichts der zweitausendjährigen Geschichte christlichen Lehrens und Lernens ist es für das oben formulierte Anliegen unumgänglich, Schwerpunkte der historischen Analyse festzulegen, die an den Erkenntnisinteressen ausgerichtet sind. M. E. besteht die entscheidende Herausforderung, der sich die verschiedenen Spielarten performativer Religionsdidaktik heute zu stellen versuchen, in der „Ingebrauchnahme“4 christlicher Formen am öffentlichen Lernort Schule bzw. in der Erschließung solcher Formen für diesen Lernort. Dies legt eine Konzentration auf die Zeit nach der Etablierung des schulischen Religionsunterrichts nahe. Mit der Einführung dieses Unterrichts als öffentliches Schulfach im Zuge der Aufklärung wird die religionsdidaktische Kernfrage evident, wie Religion in einer nichtkirchlichen Bildungslandschaft vermittelt werden kann. Diese Frage beschäftigt bereits Christian Gotthilf Salzmann im späten 18. Jahrhundert. Die Konzentration auf die Zeit nach der Aufklärung erscheint auch insofern sinnvoll, als sich anhand weniger ausgewählter Beispiele plausibilisieren lässt, dass Bildungsmomente, die in der heutigen Diskussion als „performativ“ bezeichnet werden, bereits in ähnlicher Weise in vorhergegangenen Epochen zu finden sind. Um diese Beobachtung zu belegen, ist der ausführlichen Analyse ausgewählter fachdidaktischer Entwürfe für den Religionsunterricht ein Unterkapitel zur „Vorgeschichte“ vorgeschaltet: Darin sollen schlaglichtartig performative Elemente in der Darstellung neutestamentlicher Evangelien vom Wirken und Auftreten Jesu von Nazareth, in Hippolyts Darstellung des Taufkatechumenats der Alten Kirche zu Rom und in den Bildungsansätzen von Reformation und Gegenreformation bei Martin Luther und Ignatius von Loyola nachgewiesen werden (§ 3, Kap. 1.2). Im Hauptteil der historischen Betrachtung (§ 3, Kap. 2) werden zunächst unter Rückgriff auf die Ergebnisse der theoretischen Grundlegung performativer Religionsdidaktik (vgl. § 1) Analysekriterien vorgestellt, die wesentliche Anliegen und Merkmale der Spielarten performativen Religionsdidaktik zusammenfassen (§ 3, Kap. 2.1). Die dort thetisch benannten Zuspitzungen performativer Religionsdidaktik eignen sich insofern als Kriterien für die historisch-vergleichende Analyse, als entlang dieser Prüfsteine die vorherigen Entwürfe daraufhin untersucht werden können, ob und inwiefern sich in ihnen ähnliche Anliegen zeigen bzw. inwiefern sich im Einzelnen Unterschiede abzeichnen. Beginnend bei Salzmanns Suche nach „den wirksamsten Mittel[n] Kindern Religion beyzubringen“ und fortschreitend bis hin zu Peter Biehls „kritischer Symbolkunde“ am Ende des 20. Jahrhunderts nimmt dieser Abschnitt insgesamt fünf religionsdidaktische Entwürfe in den Blick. Am Schluss des Kapitels widmet sich ein 4
Leonhard / K lie , Ästhetik, S. 11.
198
§ 3 Performative Elemente in der Geschichte der Religionsdidaktik
Zwischenfazit der Antwort auf die oben aufgeworfene Frage nach der möglichen Originalität einer performativen Religionsdidaktik vor dem Hintergrund der religionsdidaktischen Geschichte (§ 3, Kap. 3).
1.2 Zur Vorgeschichte: Performative Elemente in der christlich-religiösen Erziehung vor der Aufklärung Performative Elemente prägen die Geschichte christlicher Bildungsbemühungen seit ihren Ursprüngen. Dieser These sind allerdings zwei relativierende Einschränkungen hinzuzufügen. Erstens: Als „performativ“ erweisen sich die hier anzusprechenden Bildungselemente erst aus der Perspektive heutiger Betrachter. Jesus und die in den Schriften des Neuen Testaments zu Wort kommenden Christen, denen sich das erste „Schlaglicht“ dieses Teilkapitels widmet, lassen sich nicht direkt für heutige didaktische Entwürfe in Anspruch nehmen. Erst nachträglich lassen sich, wie unten zu zeigen sein wird, der performativen Didaktik vergleichbare Elemente schon dort entdecken, wo christlich-religiöse Bildung allererst beginnt. Zweitens: Performative Elemente in kirchlichen Bildungsbemühungen des hier zu betrachtenden Zeitraums begegnen noch nirgends am Lernort Schule, stattdessen vor allem an den Lernorten Familie und christlicher Gemeinde, teilweise noch im Raum der jüdischen Synagoge mit ihrer besonderen Lehrtradition. Der für diese Untersuchung entscheidenden Frage nach der performativen Erschließung von Glauben und Religion für den Unterricht im Raum der öffentlichen Schule kann sich daher erst Kapitel 2 zuwenden. Erste Hinweise auf performative Elemente in der christlichen Bildungsgeschichte liefert schon ein Blick auf die neutestamentliche Darstellung des Auftretens Jesu. In der Forschung besteht zu Recht „Einigkeit darüber, dass es nicht einmal in Ansätzen eine neutestamentliche Theorie christlicher Erziehung gibt“5, ja, es verbietet sich schlechterdings, aus der Bibel ein „religionspädagogisches Programm“6 ableiten zu wollen. Gleichwohl erweist sich aus der Retrospektive die Beschäftigung mit Jesu Worten und Wirken in religionspädagogischer Absicht als fruchtbar.7 Ohne hier den Nachweis der Zurückführung einzelner Jesusworte und Erzählungen von Jesu Tätigkeit auf den historischen Jesus erbringen zu können, lässt schon die unbefangene Lektüre aller Evan5
Schröder , Religionspädagogik, S. 27. 6 Ebd., S. 32. 7 Trotz der oben angeführten Einschränkungen
lassen sich Merkmale des Auftretens bzw. Lehrens Jesu im Neuen Testament erkennen. Jens Schröter fasst prägnant zusammen: „Dass Jesus als Lehrer aufgetreten ist, gehört zu den zentralen Aspekten seiner Wirksamkeit, wie sie in den Evangelien geschildert ist. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass in diesem einhelligen Zeugnis Erinnerungen an sein tatsächliches Auftreten bewahrt wurden.“ Jens Schröter: Jesus als Lehrer nach dem Zeugnis des Neuen Testaments, in: ZPT 53 (2001), S. 107–115, 107. Vgl. Schröder , Religionspädagogik, S. 25.
1 Erkenntnisinteresse der historischen Perspektive
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gelien viele als performativ zu bezeichnende Elemente im Auftreten und Wirken des dort dargestellten Jesus Christus erkennen. So kann zunächst als unzweifelhaft gelten, dass der Lehrer Jesus Lehr- und Lernprozesse eng mit (individuellen und sozialen) Erfahrungen (z. B. Tischgemeinschaft mit Zöllnern, Zeichenhandlungen) sowie rituellen Vollzügen (z. B. Taufe, Abendmahl) verknüpft.8 In diesem Zusammenhang erweist sich als bedeutsam, dass Jesus von seinen Zeitgenossen immer wieder als „Rabbi“ angeredet und verstanden wird. Dies dürfte in erster Linie von der jüdischen Lehrtradition der Toraauslegung veranlasst sein, weshalb Theißen/Merz diesen Aspekt der Person Jesu im Zusammenhang mit seiner Ethik erörtern.9 Tatsächlich fällt aber auf, dass in den Evangelien häufig Jesu Tätigkeit im Ganzen als „Lehren“ (διδάσκειν) beschrieben wird. Beim ersten Evangelisten findet sich diese Bezeichnung oft in den redaktionellen Einleitungen des von Markus aufgenommenen Traditionsgutes der Überlieferung von Jesus.10 Matthäus fasst das Ganze des Auftretens Jesu in Galiläa summarisch so zusammen: „Und er zog umher in ganz Galiläa, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium von dem Reich und heilte alle Krankheiten“11 (Mt 4,23). Wenig später führt Matthäus die Bergpredigt Jesu mit den Worten ein: „Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach“12 (Mt 5,2). Hier, wie auch bei der Einleitung der Komposition von Jesu Rede über Johannes den Täufer (Mt 11,1.7), bezeichnet „Lehren“ die Predigt Jesu. Offenbar hatte Jesu Predigen ausgesprochen lehrhaften Charakter, und zwar noch nicht im späteren abwertenden Sinn schulmeisterlichen Auftretens als vielmehr im Sinne einer besonderen Hervorhebung der wirksamen Rede: „[…] er lehrte sie mit Vollmacht und nicht wie ihre Schriftgelehrten.“13 (Mt 7,29) In der Gesamtkomposition des Matthäusevangeliums wird diese auf das Ganze der Tätigkeit Jesu bezogene Wirksamkeit seiner Lehre noch unterstrichen durch die bewusste Zusammenstellung der worthaften Verkündigung Jesu in der Bergpredigt (Mt 5–7) und der anschließend von Matthäus zusammengestellten Sammlung von Wundergeschichten (Mt 8–9). Aufgrund dieser umfassenden Vorstellung Jesu als des „Messias des Wortes und der Tat“14 kann nun die Aussendung der Jünger zu eigenverantwortlicher Mission erfolgen (Mt 10)15 bzw. die Frage 8 Vgl. 9 Vgl.
Schröder , Religionspädagogik, S. 33. Gerd Thei ẞen / A nnette M erz: Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen 42011, S. 311–358. 10 Z. B. Mk 1,21; 2,13; 4,1 f.; 6,2.6; 8,31; 9,31; 10,1;12,35. 11 Die Bibel wird im Folgenden nach der revidierten Lutherbibel von 2017 zitiert (Hervorhebungen FD). 12 Hervorhebung FD. 13 Hervorhebung FD. 14 Eduard S chweizer : Das Evangelium nach Matthäus, NTD 2, Göttingen 1973, S. 38. Die Formulierung wurde erstmals verwendet von Julius Schniewind: Das Evangelium nach Matthäus, NTD 2, Göttingen 121964, S. 8. 15 Vgl. Ulrich Luz: Das Evangelium nach Matthäus, EKK I/2, Zürich u. a. 1990, S. 87 f. Luz benennt hier einen Zielpunkt der Aussendung der Jünger wie folgt: „Die Befehle Jesu er-
200
§ 3 Performative Elemente in der Geschichte der Religionsdidaktik
des Täufers Johannes aus dem Gefängnis heraus beantwortet werden, ob Jesus der erwartete Messias sei: Wer sich so wirksam als Prediger und Täter des Wortes vorgestellt hatte, konnte kein anderer sein (Mt 11,5 f.). Bei Lukas heißt es in einem möglicherweise auf Jesus selbst zurückgehenden, zumindest aber in eine der ältesten Traditionen von Jesus zurückreichenden Spruch: „Wenn ich aber durch den Finger Gottes die Dämonen austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen.“ (Lk 11,20) Jesus predigt vom nahen Gottesreich. Seine Taten zeigen, was die Worte sagen. Umgekehrt werden die Taten oft erst durch die Worte Jesu aufschlussreich. In beidem zusammen wird das Gottesreich bereits als nahe herbeigekommen erfahrbar. Besonders anschaulich wird das Verhältnis von (performativer) Inszenierung und in ihr vorgetragener Rede Jesu in dem für den dritten Evangelisten zentralen fünfzehnten Kapitel: Die Szene spielt wie so häufig im gastfreundlichen Haus eines Pharisäers bei Tisch.16 Außer Jesus haben sich offenbar Menschen eingefunden, die ihn „belauern“, aber auch Sympathisanten aus dem Milieu von Zöllnern und Sündern. Die Gegner äußern ihren Unmut: „Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.“ (Lk 15,2) In diesem Rahmen erzählt Jesus die Gleichnisse vom verlorenen Schaf, vom verlorenen Groschen und vom verlorenen Sohn.17 Alle drei Gleichnisse habe ihre Pointe darin, dass die Freude im Himmel über die Umkehr eines Sünders größer ist als die über die Gerechtigkeit der Vielzahl anderer, die der Buße nicht bedürfen (oder nicht zu bedürfen meinen). Die Worte Jesu interpretieren sein Verhalten, sein Verhalten veranschaulicht das in den Worten Gesagte. In beidem zusammen wird gegenwärtig, worum es Jesus insgesamt geht: „Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen“ (Mk 1,15 par.), es ist „mitten unter euch“ (Luk 17,21), so dass jetzt die Zeit gekommen ist, zu Gott hin umzukehren und ihm zu vertrauen. Noch deutlicher wird die „performative“ Weise der Darstellung Jesu im Johannesevangelium. Hier tritt zum Beispiel die Fußwaschung in Johannes 13 an die Stelle, an der die synoptischen Evangelien die Einsetzung des Abendmahles durch Jesus erzählen. In der exemplarischen Liebeshandlung Jesu an seinen Jüngern wird in der Stunde des Abschieds deutlich, wofür Jesu Sendung im Ganzen steht.18 Die anschließenden Deutungsworte19 halten dies noch eininnern zunächst an sein eigenes Wirken: […] Seine Verkündigung […] sollen sie weitertragen […] und seine Taten […] ausführen.“ 16 Vgl. Lk 14,1. 17 Vgl. Lk 15,4–7; 8–10; 11–32. 18 Auch Samuel Byrskog stellt den „pädagogischen Charakter“ (S. 203) vieler Handlungen Jesu fest und betont zu Recht, dass Lernen im Neuen Testament „nicht passives Lernen [ist], sondern eine aktive Internalisierung der Geschichte Jesu“ (S. 207). Diese wird aufgrund der Handlungen Jesu ermöglicht. Samuel Byrskog: Das Lernen der Jesusgeschichte nach den synoptischen Evangelien, in: Religiöses Lernen in der biblischen, frühjüdischen und frühchristlichen Überlieferung, hg. v. Beate E go und H elmut M erkel , WUNT 180, Tübingen 2005, S. 191–209.
1 Erkenntnisinteresse der historischen Perspektive
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mal als Verheißung und Gebot fest. Die meisten der vorher erzählten Wunder Jesu sind im Johannesevangelium auf ein gleichnishaftes Wort oder eine entsprechende Rede bezogen. So erfährt etwa das Brotwunder seine Deutung in dem Offenbarungswort Jesu „Ich bin das Brot des Lebens“ (Joh 6,35), die Blindenheilung (Joh 9,1 ff.) ist auf die Lichtrede bezogen („Ich bin das Licht der Welt“, Joh 8,12) und die Auferweckung des Lazarus auf die entsprechenden Worte Jesu „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ (Joh 11,25). Überall veranschaulichen die Taten Jesu, was die Worte sagen. Die Worte teilen umgekehrt mit, was die Taten zeigen und was in ihnen bewirkt wurde. In beidem zusammen nimmt das Wort Gottes (Joh 1,14) bzw. die in ihm inhaltlich mitgeteilte Liebe Gottes (Joh 3,16; 13,1b; 13,33 f.) Gestalt an. Nach Jesu Tod wurde in der Urgemeinde in Jerusalem – in Anknüpfung an die von Jesus selbst geübte Praxis der Tischgemeinschaft und an das von Jesus mit seinen Jüngern gefeierte letzte Abendmahl – in der urchristlichen Mahlgemeinschaft die Gegenwart des von den Toten auferweckten Christus gefeiert. In didaktischer Hinsicht handelt es sich um eine performative Lernsituation besonderer Art. Die verbale Mitteilung der Einsetzungsworte20 erinnert an Jesu Tod („in der Nacht, da er verraten ward […]“), spricht seine Gegenwart über den Tod hinaus („das ist […]“) in seiner Heilsbedeutung („für euch […]“) zu und lässt in der Austeilung von Brot und Wein („nehmet […]“) die Gemeinschaft der Christen untereinander und mit Christus im Hören, Sehen, Schmecken und Berühren (im Friedensgruß der gottesdienstlich-liturgischen Praxis) erfahren. Im sakramentalen Miteinander von Mitteilung, Zuteilung und Austeilung wird das Abendmahl zur Kommunikationsform und in gewisser Weise auch zur Lernform eigener Art. Hier können die Christen wie einst die Jünger Jesu immer neu erfahren, „dass Gott trotz all ihrer Schuld allein auf Grund von Jesu Lebenshingabe seinen Bund mit ihnen bestätigt bzw. den neuen Bund aufrichtet.“21 Die wohl früheste institutionalisierte Form einer Bemühung um geistliche Bildung innerhalb der christlichen Gemeinde begegnet ab dem Ende des zweiten Jahrhunderts22 im Taufkatechumenat, der zweiten schlaglichtartig beleuch19 20
Vgl. Joh 13,31–34. In der einen Form bei Mk 14,22–25 und Mt 26,26–29 und in der anderen Form bei Paulus in 1. Kor 11,23–26 und Lk 22,15–20. 21 R einhard Feldmeier / H ermann Spieckermann: Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre, Topoi Biblischer Theologie / Topics of Biblical Theology 1, Tübingen 2011, S. 458. 22 Beginn und Abschluss der „Institutionalisierung“ des Taufkatechumenats sind in der Forschung strittig und unterscheiden sich zudem je nach betrachtetem Ort. Bezogen auf Karthago (bezeugt durch Tertullian) und Rom (bezeugt durch Hippolyts Traditio Apostolica) stellt Dietmar Wyrwa fest, dass „im letzten Drittel des 2. Jahrhunderts […] die volle Institutionalisierung des Katechumenats“ einsetzte. Dietmar Wyrwa: Religiöses Lernen im zweiten Jahrhundert und die Anfänge der alexandrinischen Katechetenschule, in: Religiöses Lernen in der biblischen, frühjüdischen und frühchristlichen Überlieferung, hg. v. Beate E go und H elmut
202
§ 3 Performative Elemente in der Geschichte der Religionsdidaktik
teten Station dieser „Vorgeschichte“. Als eine der ältesten Kirchenordnungen und frühes Zeugnis gemeindlicher Lebensführung gewährt die Traditio Aposto lica, wahrscheinlich von dem römischen Presbyter Hippolyt um 210 n. Chr. verfasst,23 Einblicke in Formen christlicher Unterweisung in der Alten Kirche zu Rom. Aus religionspädagogischer Perspektive fällt besonders auf, wie angesichts der Vielzahl drängender kirchenorganisatorischer Herausforderungen, mit denen sich die frühen Gemeinden konfrontiert sahen, dem (Lern‑)Prozess der Vorbereitung auf die Taufe solch außerordentliche Beachtung geschenkt wird. Sehr detailliert und vor allem methodisch konkret wird hier beschrieben,24 wie die drei Jahre währende Zeit der Einweisung zu gestalten bzw. woran festzustellen ist, dass die Katechumenen nunmehr die für die Taufe nötige Reife erreicht haben. Überspitzt formuliert: Die Taufe wird auf diese Weise nach der Darstellung von Hippolyt zu einem frühkirchlichen „Christenabitur“. Dabei zeigt sich bei genauem Hinsehen, dass hier vor allem solche Bildungsmomente Erwähnung finden, die didaktisch als liturgische Einübung in Formen gottesdienstlicher Praxis der jungen Gemeinden beschrieben werden können. „Über den Inhalt dieser Unterweisung“, stellt Eugen Paul treffend fest, „wird gar nichts gesagt.“25 Die Katechumenen sollen unter anderem „drei Jahre lang das Wort hören“26, beten lernen,27 an Gottesdiensten teilnehmen sowie, vermehrt in der späteren Phase kurz vor Abschluss des Katechumenats, durch Fasten und tägliche Exorzismen die vorbereitende, innere Reinigung abschließen.28 Entsprechend dieser Schwerpunktsetzung entscheidet nicht etwa Kenntnis eines Lernstoffkanons oder die Gelehrsamkeit der Taufanwärter über die Zulassung zur Gemeinde, sondern deren Lebensführung im privaten und gemeindlichen Kontext. Die Traditio Apostolica stellt also den Katechumenat „nicht primär als an Wissensaufbau und Verstehen orientierte[n] Unterricht dar, sondern als InitiatiM erkel , WUNT 180, Tübingen 2005, S. 271–305, 278. Eugen Paul geht mit weiterem Blick auch auf Alexandria und Syrien-Palästina davon aus, dass spätestens am „Beginn des 3. Jh. […] ein mehr oder minder institutionalisiertes Katechumenat bezeugt“ sei. Eugen Paul: Geschichte der christlichen Erziehung, Bd. 1, Antike und Mittelalter, Freiburg u. a. 1993, S. 45. 23 Vgl. S chröder , Religionspädagogik, S. 36; Wyrwa , Religiöses Lernen, S. 278. 24 Für Geerlings erweist sich Hippolyt aufgrund dieser Konkretionen in der Traditio Apostolica als „der beste Zeuge für diese Entwicklung der vornizänischen Kirche.“ W ilhelm Geerlings: Einleitung zur Traditio Apostolica, in: Traditio Apostolica – Apostolische Überlieferung, FC 1, übersetzt und eingeleitet von Wilhelm Geerlings, Freiburg u. a. 1991, S. 143– 210, 180. 25 Paul , Geschichte, S. 50. 26 Traditio Apostolica – Apostolische Überlieferung. FC 1, übers. v. Wilhelm Geerlings , Freiburg u. a. 1991, S. 211–313, 251. 27 Während des Gebetes sollen „die Frauen […] an einem eigenen Platz getrennt von der übrigen Gemeinde stehen.“ Traditio Apostolica, S. 251. 28 Vgl. Geerlings , Einleitung, S. 185. Der letzte Exorzismus wird in der Regel vom Bischof persönlich durchgeführt und endet nur dann in der Zulassung zur Taufe, wenn die Reinheit des Taufanwärters abschließend festgestellt ist.
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on in einen Lebensstil.“29 Erziehung in christlicher Religion, so könnte man zusammenfassend aus der Perspektive performativer Didaktik festhalten, beinhaltet hier weniger „Reden über Religion“30, als vielmehr Ingebrauchnahme ihrer wesentlichen Elemente im praktischen Vollzug. Indem die Katechumenen aktiv am religiösen Leben der Gemeinde teilnehmen und teilhaben, indem sie deren Riten und liturgische Elemente verwenden lernen – so die didaktische Logik – erschließt sich ihnen das, was es für Christen zu verstehen gilt. Nach diesem schlaglichtartigen Blick auf die Anfangszeit des Christentums erfolgt im Rahmen dieser „Vorgeschichte“ nun ein Sprung in das 16. Jahrhundert in die Epochen von Reformation und Gegenreformation zu zwei Theologen, deren bildungsbezogene Ausführungen sich einerseits grundsätzlich unterscheiden, andererseits aber auf jeweils eigene Weise unübersehbar performative Elemente erkennen lassen: Martin Luther (1483–1546) und Ignatius von Loyola (1491–1556). In Luthers umfangreichem Werk kommen Ausführungen zu Bildungs- und Erziehungsfragen eine gewichtige Rolle zu.31 „Rechte Bildung“, so kann Markus Wriedt mit Blick auf Luthers reformatorische Kernanliegen konstatieren, „ist für ihn schlechterdings der Schlüssel zum Erhalt und zur Fortentwicklung des gesamten Gemeinwesens.“32 Aus religionspädagogischer Sicht bemerkenswert ist dabei, dass Luther seine pädagogischen Gedanken, seine durchaus konkreten Vorschläge zur Reform des christlichen Unterrichtens sowie die zu vermittelnden Bildungsinhalte konsequent theologisch herleitet.33 So dienen alle Wissenschaften, insbesondere die Philologie und Grammatik, „dem einen Ziel der Auslegung der Heiligen Schrift im Blick auf die Orientierung aller Lebensvollzüge nach dem Willen und dem Gebot Gottes.“34 Greifbar wird Luthers theologisch begründeter Bildungsanspruch in der zentralen Denkfigur des Priestertums aller Getauften. Jenseits des darin verabschiedeten Auslegungs- und Bildungsmonopols der kirchlichen Obrigkeit wird jeder Getaufte zur eigenen Auskunftsfähigkeit in geistlichen Dingen in die Pflicht genommen. In Luthers Worten: „Darümb hat ein iglicher Christ sein Leben lang gnug zu lernen und zu uben an der Taufe“35. 29
Schröder , Religionspädagogik, S. 37. 30 S chmid, Mehr als Reden über Religion, S. 2. 31 Vgl. S chröder , Religionspädagogik, S. 70. Zur Relevanz Werk vgl. die kundige Darstellung von Ivar A sheim: Glaube und
der Pädagogik in Luthers Erziehung bei Luther. Ein Beitrag zur Geschichte des Verhältnisses von Theologie und Pädagogik, Heidelberg 1961. 32 M arkus Wriedt: Art. Bildung, in: Das Luther-Lexikon, hg. v. Volker Leppin und Gury Schneider-Ludorff, Regensburg 2014, S. 115–117, 115. 33 Vgl. ebd.; S chröder , Religionspädagogik, S. 70. 34 Wriedt, Bildung, S. 115. 35 M artin Luther : Der große Katechismus, in: Die Bekenntnisschriften der evangelischlutherischen Kirche, hg. v. der Evangelischen K irche in Deutschland, Göttingen 71976, S. 543–733, 699. Dieses Zitat findet sich auch bei Schröder , Religionspädagogik, S. 70.
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§ 3 Performative Elemente in der Geschichte der Religionsdidaktik
Aus der Perspektive performativer Didaktik deutet dieses Zitat bereits die herausragende Bedeutung an, die in Luthers Didaktik der lebenslangen Auseinandersetzung mit den „leiblich eusserlich zeichen“36, den wahrnehmbaren Außenseiten des Christentums zukommt. Namentlich die Taufe, das Abendmahl und allen voran die Bibel verkörpern hier die Orte, an denen Gott selbst für den einzelnen Lernenden anzutreffen ist bzw. sich von diesem in wünschenswerter Weise „gebunden und gefangen“37 nehmen lässt. Es sind diese drei Zeichen, anhand derer die christliche Glaubenslehre immer wieder neu vergegenwärtigt werden kann. Obwohl Luther wiederholt auch den Erwerb von Fachwissen als unverzichtbare Voraussetzung allen christlichen Lernens hervorhebt,38 meint Vergegenwärtigung an dieser Stelle mehr als lediglich Kenntnisse über die biblischen Schriften, zentrale Gebetsinhalte oder den Ablauf des Gottesdienstes anzusammeln. Didaktisch geht es Luther um nicht weniger als ein ganzheitlich gedachtes Ineinander von Verstehen und persönlicher Aneignung. Zu Recht konstatiert daher Wolfgang Langer, dass Luthers didaktische Konkretionen in den Katechismen „nicht allein auf den Kopf, sondern auf Herz und Gemüt, auf Leib und Seele, auf die ganze innere und äußere Gestalt des Lebens“39 abzielen. Diese didaktische Zielsetzung spiegelt sich in Luthers Methodik, die einerseits durch das Memorieren und intensives Textstudium geprägt ist, andererseits aber auch das Singen und das laute Sprechen biblischer Sätze,40 kurz, die Ingebrauchnahme religiöser Ausdrucksformen mit einschließt. Es geht ihm sowohl darum, die zehn Gebote, das Vaterunser, die Sakramente etc. zu kennen, darüber hinaus aber auch darum, sich von deren Inhalt in der eigenen Glaubensbiographie und Lebensführung bewegen zu lassen. Aus der Retrospektive begegnet bei Luther zusammenfassend ein (durchaus in diesem Sinne als performativ zu bezeichnender) Ansatz, der Ingebrauchnahme und Reflexion der sinnlich wahrnehmbaren Außenseiten christlicher Religion didaktisch zu integrieren versucht. Als weiteres performatives Element sei an dieser Stelle insbesondere auf Luthers Schriftverständnis verwiesen, das als Fundament für die These zur 36 Luther , WA 16, S. 209. Für einen ausführlicheren Ausschnitt dieses Zitat vgl. § 1, Kap. 3.1.2.1 „Religion und ihre Außenseiten“. 37 Ebd. 38 Die Pflicht zum eigenen Wissenserwerb hebt Meyer-Blanck als besondere Pointe des Bildungsanliegens Luthers hervor. Er betont, Wissen sei „in Analogie zur Rechtfertigungslehre als ein gutes Werk anzusehen, das nicht rechtfertigt, das aber von dem Gerechtfertigten zu erwarten ist, das bei ihm zu fördern und damit auch von ihm zu fordern ist“. M ichael M eyerBlanck: Kleine Geschichte der evangelischen Religionspädagogik. Dargestellt anhand ihrer Klassiker, Gütersloh 2003, S. 22. 39 Wolfgang L anger , zit. nach: H ans Bernhard K aufmann: Martin Luther (1483– 1546), in: Klassiker der Religionspädagogik, hg. v. H enning Schröer und Dietrich Zille ẞen, Frankfurt a. M. 1989, S. 7–23, 14. 40 Vgl. S chröder , Religionspädagogik, S. 72.
1 Erkenntnisinteresse der historischen Perspektive
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„Selbstwirksamkeit“41 der Bibel in Christoph Bizers oben bereits dargestelltem gestaltpädagogisch begründeten Ansatz fungiert.42 Der Reformator spricht dem biblischen Wort grundsätzlich die Fähigkeit zu, im Prozess des Verlautens selbst wahr zu machen, wovon es spricht. Christoph Markschies beschreibt das Verhältnis des bezeichnenden Wortes und der damit bezeichneten Wirklichkeit bei Luther wie folgt: „Luther begriff den biblischen Text […] als ein ‚Tätelwort‘, als eine kraftvolle Botschaft, die das Gesagte so mit sich bringt wie ein fröhlicher Gruß: ‚Guten Morgen‘, der zugleich mit den Worten den angekündigten guten Morgen bringt.“43 Dort, wo die Bibel verlautet bzw. sich selbst Gehör verschafft, geht es Luther didaktisch weniger darum, abrufbares Wissen zu vermitteln, als vielmehr um die Wirkung der Schrift auf die mit ihr umgehenden Subjekte.44 Als Beispiel für Luthers pädagogischen Ansatz in Analogie zu heutiger performativer Religionsdidaktik könnte Luthers geistliche Dichtung dienen. Pars pro toto sei hier auf das Weihnachtslied „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ (EG 24) verwiesen. Das ursprünglich einmal als szenische Darstellung des Weihnachtsgeschehens für Kinder und Hausgemeinden konzipierte Lied lässt den Engel mitteilen, worum es Luther in „evangelischer“, und das bedeutet hier: in der Engelsbotschaft gemäßer Verkündigung des Evangeliums geht: „ich bring euch gute neue Mär, der guten Mär bring ich so viel, davon ich singn und sagen will.“ (24,1) Solches Singen und Sagen vergegenwärtigt im Erklingen der Botschaft, wovon diese kündet. Da kehren „Freud und Wonne“ (24,2), das Ende aller Not (24,3) und eine weihnachtliche Glückseligkeit (24,4) ein, die schließlich die weihnachtliche Gemeinde hier auf Erden in den Gesang der Engel mit einstimmen lässt, sie frei macht und also befähigt, zu springen, zu singen, und zwar „schön“, „mit Herzenslust“ und begabt genug, den „süßen Ton“ zu treffen (V. 14). Als Zeitgenosse Luthers gründet45 Ignatius von Loyola, nicht zuletzt in Reaktion auf die umstürzenden Ereignisse der Reformation in Deutschland sowie 41 Englert, Zwischenbilanz, S. 4. Vgl. zu dieser Einschätzung ausführlich § 1, Kap. 3.2.1.2 „Die authentische Darstellung von Religion im Unterricht“ sowie mit Blick auf zukünftigen Religionsunterricht kritisch abwägend § 4, Kap. 2.3 „Performative Spielarten in der Spannung zwischen Missionierungsverdacht und Profanisierungsgefahr“. 42 Vgl. § 1, Kap. 3.2.1.2 „Die authentische Selbstdarstellung von Religion im Unterricht“. 43 C hristoph M arkschies: Es gilt das gesprochene Wort. Die Bedeutung einer guten Predigt, in: Rotary Magazin 5 (2011), S. 48–50, 49. Wegweisend interpretiert wurde die Denkfigur vom „Tätelwort“ bereits durch Ernst Bizer: Fides ex auditu. Eine Untersuchung über die Gerechtigkeit Gottes durch Martin Luther, Moers 1958. 44 Prägnant beschreibt diesen didaktischen Gedanken Luthers auch M eyer-Blanck , Geschichte, S. 14. 45 Obwohl Ignatius nachweislich nicht alleine an der Entstehung der Jesuiten beteiligt war, ging doch der zentrale Gründungsimpuls auf ihn zurück. Deshalb kann er m. E. mit Helmut Feld treffend als „Gründer des Jesuitenordens“ bezeichnet werden. H elmut Feld: Ignatius von Loyola. Gründer des Jesuitenordens, Köln 2006.
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§ 3 Performative Elemente in der Geschichte der Religionsdidaktik
der wachsenden Breitenwirksamkeit humanistischen Gedankenguts in Süd- und Westeuropa, im Jahre 1534 eine wie der Humanismus und die Reformation auf religiöse Bildung hin orientierte innerkatholische Reformbewegung: Die „Gesellschaft Jesu“ (Societas Iesu). Auf der einen Seite lässt sich die Reformation aus heutiger Sicht zugespitzt als „theologische Reformbewegung mit pädagogischen Implikationen“46 verstehen, die in ihrer Breiten- und Tiefenwirkung kaum zu überschätzende Anstöße zur Fundierung einer Allgemeinbildung für jedermann auslöste.47 Andererseits darf aus protestantischer Sicht nicht übersehen werden, dass auch die Gegenreformation „Unterricht und Erziehung […] einen im Vergleich zur mittelalterlichen Kirche außerordentlich hohen Stellenwert“48 beimaß. Die „Gesellschaft Jesu“, später als „Jesuitenorden“ bezeichnet, etabliert noch innerhalb des 16. Jahrhunderts das Jesuitengymnasium als einen der Leuchttürme höherer Bildung innerhalb der deutschen Schullandschaft und wird zum „bedeutendsten Erziehungsorden […] der Neuzeit“49. In deutlichem Kontrast zu den Bildungszielen Luthers konzentriert sich das jesuitische Interesse allerdings auf die (Aus‑)Bildung einer kleinen Gruppe von Schülern, die als akademische Elite bei dem zentralen Anliegen helfen sollten, den in den Wirren der Neuzeit verunsicherten Menschen im rechten Glauben an Gott zu unterstützen oder durch Mission an diesen heranzuführen. Die vornehmlich an Kriterien der Effizienz orientierte Organisationsstruktur und die Pragmatik der Jesuiten unterscheiden die bildungsbezogene Aktivität des Jesuitenordens zwar grundlegend von den Bildungsbemühungen der Reformation. Dennoch ist nicht zu übersehen, dass auch die Didaktik und Methodik der Jesuiten unverkennbar performative Elemente aufweisen. Paul sieht darin gar ein „ganzheitliches Bildungskonzept“50. Um das Charakteristische innerhalb der vielfältigen Formen jesuitisch-religiöser Unterweisung exemplarisch zu veranschaulichen, eignet sich der Blick auf zwei darin besonders wirkmächtige didaktische Eckpfeiler: die ignatianischen Exerzitien und das Jesuitentheater. 46 47
Schröder , Religionspädagogik, S. 65. Das Bildungsanliegen der Reformation exemplifizieren nicht nur Luthers Schulschriften sowie die Katechismen, sondern auch Melanchthons „katechetische Schriften“ (P hilipp M elanchthon: Schriften zur Praktischen Theologie, Teil I: Katechetische Schriften [Supplementa Melanchthoniana Abt. 5/Teil 1], hg. v. Ferdinand Cohrs, Leipzig 1915) und Calvins Werk „Unterricht in der christlichen Religion“ (Johannes Calvin: Unterricht in der christlichen Religion / Institutio Christianae religionis [1561], übers. v. O tto Weber , NeukirchenVluyn 1955). 48 S chröder , Religionspädagogik, S. 65. 49 K arl Erlinghagen: Katholische Bildung im Barock, Hannover 1972, S. 48; vgl. Schröder , Religionspädagogik, S. 77. Neben dem Jesuitengymnasium benennt Schröder hier die „protestantische Gelehrtenschule“, deren Konzeption maßgeblich auf Philipp Melanchthon zurückgeht, als zweite zentrale Säule des gelehrten Unterrichtswesens in Deutschland. 50 Eugen Paul: Geschichte der christlichen Erziehung, Bd. 2, Barock und Aufklärung, Freiburg 1995, S. 15.
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Nur ein Jahr nach einer schweren Verwundung und dem darauf folgenden Bekehrungserlebnis im Jahr 152151, beginnt Ignatius von Loyola, der zuvor Offizier gewesen war, mit der Niederschrift seiner „geistlichen Übungen“52 (exercitia spiritualia). Im Kern formulieren die ignatianischen Exerzitien „nichts anderes als eine Anleitung zu geistlichen Übungen, durch welche die Schülerin oder der Schüler (Exerzitant) über den von Ignatius erprobten Weg zu einer Gewißheit über den Willen Gottes und daraus folgend zu einer Entscheidung bezüglich seines Lebens kommen soll.“53 Während eines vierwöchigen Übungszeitraums, in dessen Verlauf die Exerzitanten abgeschieden von ihrem sozialen Umfeld leben, lernen sie vor allem unterschiedliche Formen des Gebets zu gebrauchen, Meditations- und Konzentrationstechniken zu verwenden und sich mit vorgegebenen Bibeltexten auseinanderzusetzen. Alle Unterweisung läuft dabei auf das Ziel zu, durch „Erkenntnis“54 der eigenen Verantwortung vor Gott das eigene Leben gemäß den Anforderungen der Nachfolge Jesu umzugestalten. Obwohl die „geistlichen Übungen“ in vielerlei Hinsicht – nicht zuletzt in Bezug auf die darin ausgeführte Methodik zur Einübung christlicher Haltungen und Rituale – performative Elemente aufweisen, sei hier nur auf einen besonders anschaulichen Teilaspekt verwiesen: Als performativ-didaktisch aufschlussreich erweisen sich die Exerzitien vor allem dort, wo sie schematisch zu Perspektivenwechseln im Sinne von Einfühlungsprozessen in Ereignisse der biblischen Geschichte anleiten. Zunächst führt der „Weg zu den Wahrheiten der Heiligen Schrift, auf den Ignatius seine Schüler mittels der Exerzitien bringen wollte, […] über Bilder und Vorstellungen“55, die jene Schüler selbst entwickeln und in einem späteren Schritt zu ihrer eigenen Person in Beziehung setzen. Einen solchen Einfühlungsprozess beschreibt Ignatius in der folgenden Anleitung aus dem Exerzitienbuch: „Anschauliche Vorstellung des Ortes; hier soll ich mit den Augen der Einbildungskraft den Weg von Nazareth nach Bethlehem sehen und dabei die Länge und Breite betrachten, und ob dieser Weg eben ist […]. Desgleichen soll ich den Ort oder die Höhle der Geburt schauen, wie groß, wie klein, wie niedrig, wie hoch und wie sie eingerichtet war. […] Ich schaue die Personen, ich erblicke also U. L. Frau und Joseph und die Magd sowie das Jesuskind, nachdem es geboren ist. Dabei mache ich mich zu einem kleinen, armen und unwürdigen Diener, indem ich auf sie schaue, sie betrachte und ihnen bei ihrer Hilfsbedürf51 Auf
die biographischen Einzelheiten, die Ignatius’ Weg hin zur Gründung der Societas Iesu beeinflusst haben mögen, kann im Rahmen dieser Vorgeschichte nicht eingegangen werden. Zur Biographie des Ignatius vgl. die umfangreiche Studie von Hans Feld sowie die zwar auffällig durch eine jesuitische Binnenperspektive geprägte, aber dennoch historisch aufschlussreiche Einführung von Stefan Kiechle. Feld, Ignatius von Loyola; Stefan K iechle: Ignatius von Loyola. Leben – Werk – Spiritualität, Würzburg 2010. 52 Ignatius von L oyola: Geistliche Übungen, hg. v. Emmerich R aitz v. Frentz , übers. A lfred Feder , Freiburg 91940. 53 Feld, Ignatius, S. 40. 54 Ebd. 55 Ebd., S. 193 („Exerzitien“ im Original hervorgehoben).
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§ 3 Performative Elemente in der Geschichte der Religionsdidaktik
tigkeit Dienste leiste, gleich als wäre ich zugegen […]; und dann richte ich die Gedanken auf mich selbst, um irgend einen Nutzen daraus zu ziehen.“56
Im Verlauf dieses Übungsausschnitts stellen sich die Lernenden in einem ersten Lernschritt die Situation der Geburt Jesu vor. Auffallend sind die sehr konkreten Anregungen der Imaginationskraft (z. B. „Länge und Breite“; „wie niedrig, wie hoch“…). In einem zweiten Schritt begeben sich die Exerzitanten aktiv in die Situation hinein. Sie partizipieren am Ereignis der Jesusgeburt, indem sie Maria, Joseph und der Magd in ihrer Lage durch Hilfestellungen beistehen. Drittens folgt schließlich die ansatzweise Reflexion des Erlebten. Indem die Gedanken wieder auf die Lernenden konzentriert werden, verbunden mit dem Auftrag, aus der erlebten Situation einen „Nutzen“ zu ziehen, wird der Ertrag der Übung noch innerhalb ihrer selbst zum Thema. Betrachtet man diese Beispielübung aus der Perspektive moderner Fachdidaktik, so liegt nahe, darin mit Heike Radeck „ein regelrechtes Verfahren einer imaginativen Textrezeption“57 zu erkennen, das in dieser Hinsicht mit performativen Lernsettings deutlich vergleichbar erscheint. Ganz in deren Sinne erfordern Ignatius’ Exerzitien von den Lernenden, die fremden biblischen Situationen in der eigenen Vorstellung in Szene zu setzen, sich darüber hinaus in die so entstandenen Inszenierungen selbst hineinzubegeben und deren potentiellem religiösen Gehalt unter Einbeziehung aller Sinne nachzuspüren. Die Lernenden werden in Form einer leiblichen Identifikation mit einem konkret zu inszenierenden Ereignis in die Welt der Bibel involviert. Indem auch das Nachdenken über das auf diese Weise Wahrgenommene eingefordert wird, begegnet hier die Frühform einer didaktischen Anleitung zu strukturierter Imagination und Reflexion. Aus Sicht der Jesuiten erweisen sich außer den „geistlichen Übungen“ auch die vielfältigen Darstellungsformen des Theaters als geeignete Mittel der religiösen und moralischen Erziehung.58 Zwischen der ersten erwähnten Aufführung eines jesuitischen Theaterstücks im Jahre 1555 bis zur Aufhebung des Jesuitenordens 1773 durch Papst Clemens XIV. – also einem Zeitraum von über 200 Jahren – „charakterisiert sich die theatralische Aktivität der Patres durch eine Regelmäßigkeit und Massivität, die in der ganzen Literaturgeschichte ihresgleichen suchen.“59 Unzweifelhaft handelt es sich beim Jesuitentheater im Kern weniger um dramatische Inszenierungen im Sinne künstlerisch-freier Ausdrucksformen, als vielmehr um eine didaktische Form funktional durchdachter Veranschaulichung zum Zweck der Vermittlung religiöser Botschaft: „Als ein privilegiertes Medium eines missionarischen Aufgaben verpflichteten 56 Ignatius , Übungen, S. 70 f. 57 H eike R adeck : Ignatianische
Exerzitien und Bibliodrama. Ein hermeneutischer Strukturvergleich, Stuttgart 1998, S. 48. 58 Vgl. Jean -M arie Valentin: Theatrum Catholicum. Les jésuites et la scène en Allemagne au XVIe et au XVIIe siècles, Nancy 1990, S. 77 f. 59 Ebd., S. 77.
2 Performative Elemente in der Religionsdidaktik seit der Aufklärung
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Ordens war dieses Theater unmißverständlich ein im Dienste der Erziehung des christlichen Volkes stehendes Instrument.“60 Als Stoffe werden nicht nur biblische Geschichten auf die Bühne gebracht, sondern auch Erzählungen aus dem Leben der Heiligen oder Missionserfahrungen und sogar Stoffe aus dem Katechismus.61 Aufgrund seiner Anschaulichkeit und Prägekraft wird das Theater im Jesuitenorden je nach Publikum und Darstellungsgegenstand in unterschiedlich komplexen Aufführungsformen verwendet und insbesondere in den jesuitischen Schulen, aber nicht nur dort, als „vollgültiger Bestandteil der pädagogischen Praxis“62 anerkannt. Aus der Retrospektive begegnen im Jesuitentheater ausdifferenzierte Formen didaktisch-demonstrativer Inszenierungen, die religiöse Texte sowie mündlich überlieferte Geschichten intentional in Szene setzen und so der Wahrnehmung ihrer Betrachter zugänglich machen. Zugespitzt formuliert: Die Performativität der Lerngegenstände, so die Überzeugung, steigert sich mit deren Greifbarkeit und Anschaulichkeit im Prozess der Vermittlung.
2 Performative Elemente in der Religionsdidaktik seit der Aufklärung – dargestellt anhand ausgewählter Beispiele 2.1 Kriterien der historischen Analyse Die fünf ausgewählten „Klassiker der Religionspädagogik“63, mit denen sich der Hauptteil dieses historischen Kapitels schwerpunktmäßig auseinandersetzt, werden im Folgenden statt im Hinblick auf deren allgemeinen Beitrag zur religionsdidaktischen Theoriebildung vor allem bezüglich der darin vorabgebildeten performativen Elemente betrachtet. Hierfür dienen sechs Merkmale performativer Religionsdidaktik als Analysekriterien, die sich im Zuge der „theoretischen Grundlegung“ (§ 1, v. a. Kap. 3) als konstitutiv für performativ-didaktische Entwürfe erwiesen haben. Entsprechend der teilweise sehr verschiedenen Schwerpunktsetzungen, die innerhalb der einzelnen Spielarten offenbar wurden, sind auch die folgenden Merkmale innerhalb der oben dargestellten performativen Ansätze mitunter verschieden repräsentiert. Jedes einzelne der sechs Merkmale eignet sich als Kriterium, mit dessen Hilfe historisch-fachdidaktische Entwürfe 60
Ebd., S. 79. 61 Vgl. S chröder , Religionspädagogik, S. 78. 62 Valentin, Theatrum Catholicum, S. 78. 63
So der Buchtitel der Festschrift zu Klaus Wegenasts 60. Geburtstag, die sich den Beiträgen zwanzig wichtiger „Klassiker der Religionspädagogik“ zur entsprechenden Fachgeschichte widmet. Von den in dieser Untersuchung betrachteten Autoren wird dort lediglich Peter Biehl nicht behandelt. Biehl hat jedoch seinerseits in diesem Band den Beitrag zu Jan Amos Comenius verfasst und erscheint insofern selbst als Autor. Vgl. H enning Schröer / Dietrich Zille ẞen (Hg.): Klassiker der Religionspädagogik, Frankfurt a. M. 1989.
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§ 3 Performative Elemente in der Geschichte der Religionsdidaktik
für den Religionsunterricht auf möglicherweise darin begegnende performative Elemente hin untersucht werden können.
Kriterium 1: Zuerst werden die fünf Religionspädagogen daraufhin befragt, inwiefern ihre didaktischen Konzepte Kontakt mit Formen gelebter Religion intendieren. Sämtliche Spielarten performativer Religionsdidaktik betonen die Notwendigkeit, den heutigen Schülerinnen und Schülern Religion anhand von deren sinnlich wahrnehmbaren Außenseiten (Liturgische Elemente, Rituale, Bibel, ästhetische Erscheinungsformen etc.) zu erschließen.
Kriterium 2: Alle performativen Spielarten stimmen in der Ablehnung primär kognitiv ausgerichteter Unterrichtsmethodik überein. Der „Kopierpapier-gestützte-Unterricht in Sachen Religion“64 wird durchweg abgelehnt. Daher erscheint die Abwehr dieser Präferenz des Kognitiven als zweites Kriterium der historischen Analyse geeignet. Im Zuge einer „szenische[n] Ausdehnung des Religionsunterrichts“65 sollen Lernarrangements möglichst ganzheitliche Zugänge zu den Lerninhalten eröffnen und insgesamt eine variable und abwechslungsreiche Methodik praktizieren.
Kriterium 3: Als drittes Kriterium soll gelten, inwieweit Probehandeln im Modus von Perspektivenwechseln in den zu betrachtenden Entwürfen als fachdidaktisch relevant angesehen wird. Im bewusst wahrgenommenen Wechsel der Perspektiven – dem Handeln im „Modus des Als-ob“ – identifizieren vor allem evangelische performative Religionsdidaktiker, allen voran Bernhard Dressler, die entscheidende Möglichkeit, probeweise an rituellen Vollzügen teilzuhaben.66 Die perspektivische Brechung dient dazu, im methodisch sorgsam durchgeführten Probehandeln das „Überwältigungsverbot“ am Lernort Schule zu respektieren. Perspektivenwechsel sollen zwar Angebote zur Einfühlung in religiöse Vollzüge eröffnen, müssen aber gleichzeitig aufgrund ihrer methodisch gewollten 64
hen“.
65
K lie , Wort, S. 105; vgl. § 1, Kap. 3.1.2.2 „Religionsunterricht als theatrales Gesche-
K lie , Gestalten und Handeln, S. 177. Dressler bezeichnet seinen performativ-didaktischen Ansatz entsprechend auch als „Didaktik des Perspektivenwechsels“. Dressler , Performanz und Kompetenz, S. 27; vgl. § 1, Kap. 3.1.1 „Bernhard Dressler und die Zeichendidaktik“. 66
2 Performative Elemente in der Religionsdidaktik seit der Aufklärung
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funktionalen Differenz zur Lebenswirklichkeit ausreichend Distanzierungsangebote für die Schülerinnen und Schüler bereitstellen.
Kriterium 4: Im vierten Kriterium geht es um die Inszenierung authentischer religiöser Erlebnisse. Vor allem der katholische Religionspädagoge Hans Mendl profiliert in seiner Monographie „Religion erleben“ einen Entwurf, der die „performative Kraft der Religion“67 in der Schule spür- und erfahrbar auszugestalten intendiert. Allerdings ist unter performativen Didaktikern, wie in § 1 gesehen, umstritten, ob der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen solche Authentizität religiöser Vollzüge überhaupt gestalten kann und soll.68
Kriterium 5: Das fünfte Kriterium fokussiert die Frage, inwieweit Schülerinnen und Schüler in den betrachteten Ansätzen religiöse Ausdrucksformen transformieren sollen. Sämtliche evangelischen Entwürfe performativer Religionsdidaktik, besonders nachdrücklich deren poststrukturalistisch begründete Spielart,69 fordern, im Religionsunterricht vermehrt christliche Traditionsstoffe (liturgische Elemente, biblische Texte etc.) einzuspielen und zu eigenen Formen des religiösen Selbstausdrucks umgestalten zu lassen. Auch das eigene Gestalten von „Religion im Schulleben“ kann in diesem Zusammenhang betrachtet werden, sofern sich Schülerinnen und Schülern darin in selbst entwickelten Formen religiös artikulieren.
Kriterium 6: Im letzten Kriterium geht es um das Vertrauen in die Performanz der Tradition. Vor allem in Bizers gestaltpädagogischer Spielart, aber nicht nur dort,70 findet 67 M endl , Religion erleben, S. 273; vgl. § 1, Kap. 3.4.1 „Konstruktivistisch begründete Performanz bei Hans Mendl“. 68 Dieses Kriterium ruft einen besonders umstrittenen Teilaspekt auf, der innerhalb der Performanzdiskussion vielfach diskutiert wurde. Gemeint ist die Frage nach dem Verhältnis von religiöser Praxis als Ernstfall zur didaktischen Inszenierung von Religion als Probehandeln. Abgesehen von der Einsicht, dass religiöse „Erlebnisse“ nicht als planmäßig initiierbar gelten können, könnte die Betrachtung früherer Ansätze unter dem Aspekt der Inszenierung von „Erlebnissen“ auch frühere Versuche entsprechender Verhältnisbestimmungen zutage fördern. 69 Vgl. § 1, Kap. 3.3 „Poststrukturalistisch begründete Performanz“. 70 Vgl. § 1, Kap. 3.2.1 „Religion beim Wort nehmen – Christoph Bizer und die Gestaltwerdung von Religion im Unterricht“. Vgl. den Abschnitt zu Luthers Schriftverständnis in § 3, Kap. 1.2 „Vorgeschichte […]“ sowie Klies Bezüge zu Luther § 1, Kap. 3.1.2.1 „Religion und ihre Außenseiten“.
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§ 3 Performative Elemente in der Geschichte der Religionsdidaktik
sich die Überzeugung einer „Selbstwirksamkeit“71 der „Worte der Religion“, allen voran der biblischen Überlieferung, die schon im mündlichen Sprechen „das Gesprochene als Wirklichkeit“72 konstituieren. Diese sechs Kriterien umfassen nicht alle Merkmale performativer Religionsdidaktik. Auch begegnen nicht alle sechs Merkmale in jeder der bisher analysierten Spielarten. So könnten etwa die Leiblichkeit des Lernens, die Handlungsorientierung, das ästhetische Lernen oder das umstrittene Ziel der Partizipationskompetenz zweifellos weitere Deutungshorizonte eröffnen, finden aber in der nachfolgenden Sichtung historischer Entwürfe aus Gründen der Operationalisierbarkeit nur am Rande Beachtung. Entlang der sechs oben benannten Kriterien wird jeder der ausgewählten „Klassiker“ mit den Grundpfeilern performativer Religionsdidaktik verglichen.
2.2 C. G. Salzmann (1744–1811): Die Suche nach den „wirksamsten Mittel[n], Kindern Religion beizubringen“73 Christian Gotthilf Salzmann (1744–1811) wirkt in einer Zeit, in der gesellschaftliche wie pädagogische Auf- und Umbrüche heraufziehen, deren Folgen bis heute die Bildungslandschaft in Deutschland prägen. Die Epoche der Aufklärung markiert in der Geschichte des Religionsunterrichts einen wesentlichen Einschnitt. Zum einen verändert sich die äußere Gestalt religiösen Lernens. Zum anderen werden grundlegend neue Ideen zum Verhältnis von allgemeiner und spezifisch religiöser Bildung sowie neue didaktische Vorstellungen zum religiösen Lernen entwickelt. 1794 werden durch das „preußische allgemeine Landrecht“ Schulen und Universitäten zu „Veranstaltungen des Staates“74 erklärt. In Bezug auf die Schule und den schulischen Religionsunterricht bedeutet diese Verankerung – trotz formal bis zum Ende des 1. Weltkriegs bestehender „geistlicher Schulaufsicht“ – faktisch eine erhebliche Einschränkung der kirchlichen Einflussnahme. 1762 hatte Jean-Jacques Rousseau in seinem „Émile“75 ein breitenwirksames Plädoyer für die wertschätzende Hinwendung zum Kind und zur sorgsamen Schulung seines kritischen Verstandes vorgetragen.76 Bis
71
Englert, Zwischenbilanz, S. 4. Bizer , Liturgik, S. 84; vgl. § 1, Kap. 3.2.1.2 „Die authentische Selbstdarstellung von Religion im Unterricht“. 73 C hristian G otthilf Salzmann: Über die wirksamsten Mittel, Kindern Religion beizubringen, abgedruckt in: Christian Gotthilf Salzmann, hg. v. Walther Vorbrodt, Leipzig 1909, S. 23–60. 74 H ans H attenhauer (Hg.): Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794. Textausgabe, Neuwied u. a. 21994, S. 590 (Zwölfter Titel, § 1). 75 Jean -Jacques Rousseau: Emil oder über die Erziehung, übers. v. Ludwig S chmidts , Paderborn u. a. 132001. 76 Vgl. S chröder , Religionspädagogik, S. 96. 72
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heute gilt es Vielen als „Manifest der ‚Pädagogik vom Kinde aus‘“77. Das wachsende Selbstbewusstsein des zunehmend gebildeten Bürgertums, eine kritische Haltung gegenüber der bevormundenden Art und Weise kirchlicher Einflussnahme auf die Bildung der Menschen sowie das optimistische Zutrauen in die Urteilsfähigkeit der Vernunft des Individuums prägen die pädagogischen Innovationsbemühungen der Aufklärung. Sämtliche dieser Motive beeinflussen auch Salzmanns religionsdidaktisches Werk, dessen Grundzüge im Folgenden dargestellt und entsprechend der oben erarbeiten Kriterien auf Ansätze performativ-didaktischer Elemente hin untersucht werden.
2.2.1 Religionsdidaktisches Profil Obwohl Salzmann Theologe und ordinierter Pfarrer war, werden seine Werke in erster Linie unter den Klassikern der Erziehungswissenschaft eingeordnet.78 Als Schulgründer, begeisterter Lehrer und Anhänger der pädagogischen Bewegung der „Philanthropen“ („Menschenfreunde“) gilt sein zentrales Interesse der Entwicklung eines allgemeinen Bildungs- und Erziehungskonzeptes, das er als Schulmeister der von ihm gegründeten Erziehungsanstalt in Schnepfenthal/ Thüringen auch praktisch umzusetzen versucht. Seine Pädagogik lebt ganz aus dem Geist der Bildungseuphorie der Aufklärung. Salzmann ist überzeugt, durch richtig verstandene Erziehung entscheidend an der Verbesserung des Menschen mitwirken zu können. Eine grundsätzlich vorhandene „Lernfähigkeit“79 der Kinder setzt er stets voraus. Umgekehrt ist nach seiner Überzeugung „die vorzüglichste Ursache von dem vielen Jammer und Elend in der Welt […] in der fehlerhaften Erziehung der Menschen zu suchen.“80 Salzmanns beruflicher Werdegang lässt sich als Weg zunehmender pädagogischer Selbstverwirklichung lesen. Nach seinem Theologiestudium in Jena und einer dreizehnjährigen Tätigkeit als Pfarrer zuerst in einer Dorfgemeinde in Thüringen und später in Erfurt, wechselt er im Jahr 1781 als Religionslehrer und Liturg an das Dessauer Philanthropin. Diese Veränderung bedeutet für Salzmann eine „Befreiung von kirchlich lehrhafter Gebundenheit und orthodoxer Bevormundung zur Unabhängigkeit philanthropischen Dienstes“81. Die 77
M eyer-Blanck , Geschichte, S. 43. Vgl. z. B. Dietrich Benner / Friedhelm Brüggen: Geschichte der Pädagogik. Vom Beginn der Neuzeit bis zur Gegenwart, Stuttgart 2011, S. 107–117. 79 R einhard Stach: Die Erziehung des Menschen als zentrales Thema in Salzmanns ‚erzählender Pädagogik‘, in: Menschenbild und Bildungsverständnis bei Christian Gotthilf Salzmann, hg. v. H erwart K emper und Ulrich Seidelmann, Weinheim 1995, S. 31–47, 45. Stach bringt den pädagogischen Optimismus Salzmanns an gleicher Stelle auf den Punkt: „Der Mensch vermag sich im Vertrauen auf Gott und mit Hilfe kompetenter Erzieher durch eigene Lebenserfahrung zu humanisieren.“ 80 C hristian G otthilf Salzmann: Noch etwas über die Erziehung nebst Ankündigung einer Erziehungsanstalt, hg. v. K arl R ichter , Leipzig 31875, S. 69. 81 R ainer L achmann: Der Religionsunterricht Christian Gotthilf Salzmanns. Ein Beitrag 78
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berühmte Dessauer Schule, damals die wichtigste Erziehungsanstalt des Philanthropismus, wurde zunächst durch die Gründerfigur Johann Bernhard Basedow und später durch andere Aufklärungspädagogen wie Heinrich Campe oder Ernst Christian Trapp geprägt. Salzmann arbeitet hier erstmals vornehmlich mit Kindern und Jugendlichen, wodurch sich sein Interesse an der Pädagogik weiter vertieft. In dieser Situation bemüht er sich nicht allein um die Fortentwicklung der erziehungswissenschaftlichen Theoriebildung, sondern immer auch um die ihrer praktischen Anwendung. 1784 gründet er schließlich eine eigene Erziehungsanstalt in Schnepfenthal am Thüringer Wald. Trotz Salzmanns Interesse an allgemeinpädagogischen Fragen verliert er weder in seinen Veröffentlichungen noch in seinem Wirken als Lehrer und Schulmeister die Religionsdidaktik aus den Augen. Rainer Lachmann stellt gar fest, dass Salzmanns Schriften zu einem Drittel „religiös oder religionspädagogisch thematisiert“82 sind. Das spezifisch Neue, das Salzmann der religionspädagogischen Theoriebildung hinzufügt, kann m. E. in seiner fachdidaktischen Differenzierung zwischen einem kirchlichen und einem schulischen Religionsunterricht gesehen werden. Ganz bewusst konzipiert er seinen – jetzt auch erstmals so bezeichneten – „Religionsunterricht“83 in Abgrenzung zur kirchlichen Unterweisung, den er mit den Unterrichtsplänen, pädagogischen Zielsetzungen und Methoden der Schnepfenthaler Schule verwebt. Salzmanns Nachdenken über das „Wozu, Wie und Was“84 des Lernens im Religionsunterricht lässt sich als Beginn einer genuin religionsunterrichtlichen Fachdidaktik begreifen.85 Um Umrisse dieser Didaktik in den Blick zu nehmen, empfiehlt es sich, zunächst dasjenige Gegenmodell zu konturieren, von dem sich Salzmann vehement abgrenzt. Salzmann erlebt während seiner Schulzeit im thüringischen Sömmerda eine lutherisch-orthodoxe Katechetik, die sich vornehmlich mit traditionellen Unterrichtsstoffen beschäftigt und diese mit den klassisch-rezeptizur Religionspädagogik der Aufklärung, Frankfurt a. M. 1974, S. 27. Die Studie Lachmanns erschien unter verändertem Titel und erweitert um eine kommentierte Übersetzung der „Disputationis Theologicae […]“ von Salzmann in überarbeiteter Fassung. R ainer Lachmann: Die Religions-Pädagogik Christin Gotthilf Salzmanns. Ein Beitrag zur Religionspädagogik der Aufklärung und Gegenwart […], AHRp 2, Jena 22004. 82 Vgl. R ainer L achmann: Christian Gotthilf Salzmann (1744–1811), in: Klassiker der Religionspädagogik, hg. v. H enning Schröer und Dietrich Zille ẞen, Frankfurt a. M. 1989 S. 98–114, 98. Ob Lachmanns zahlenmäßige Zuschreibung, die unzweifelhaft auf sorgfältiger Recherche fußt, vor dem Hintergrund der Vielschichtigkeit von Salzmanns Schrifttum plausibel erscheint, kann an dieser Stelle nicht hinreichend geprüft werden. Deutlich wird allerdings daran die hier relevante Beobachtung, dass Salzmanns Werk religionspädagogische Fragen – mit wenigen Ausnahmen (s. u.) – in Verbindung mit allgemeinpädagogischen Aufgaben behandelt, als deren Teil Salzmann erstere versteht. 83 Salzmann, Wirksamste Mittel, S. 26. 84 S chröder , Religionspädagogik, S. 98. 85 Vgl. L achmann, Salzmann, S. 108.
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ven Methoden des „Repetierens, Memorierens, Examinierens, Katechisierens und Explizierens“86 zu vermitteln sucht. Die Erinnerung an diesen Unterricht, die Salzmann rückblickend noch plastisch zu schildern in der Lage ist,87 fundiert eine tiefe „Abneigung gegen den gewöhnlichen Religionsunterricht“88 seiner Zeit. Besonders Luthers Katechismus wird programmatisch als Lernstoff abgelehnt. Die Schrift sei zwar „bey ihrem Entstehen ein sehr wohlthätiges Geschenk der Vorsehung“ gewesen, für die Salzmann vor Augen stehenden Unterrichtssituationen allerdings pädagogisch wie didaktisch als „ganz unschicklich“89 anzusehen. Seine religionsdidaktische Hauptschrift „Über die wirksamsten Mittel, Kindern Religion beizubringen“ (1780) hatte Salzmann bereits während seiner Zeit als Pfarrer in Erfurt vorgelegt und später in zwei Neuauflagen überarbeitet (1787 und 1809). Darin stellt er ein umfassendes Unterrichtskonzept zur „Verbesserung des Religionsunterrichts“90 in seinem Sinne vor. Anhand dieser Schrift, auf die Salzmann auch in Schnepfenthaler Zeiten noch verweist, um den Religionsunterricht der Erziehungsanstalt zu erläutern,91 sollen im Folgenden die Grundlinien seiner Religionsdidaktik aufgezeigt werden. Salzmann beginnt systematisch mit der Profilierung eines eigenen Religionsbegriffs: „Religion nenne ich eine solche Gesinnung, nach welcher wir Gott und andere Dinge, die auf uns eine nähere Beziehung haben, von der rechten Seite ansehen und ihren wahren Wert […] bestimmen.“92 „Gesinnung“ bezieht sich an dieser Stelle nicht primär auf eine moralisch-ethische Dimension, sondern meint eher eine Haltung oder Weltsicht, in der sich das „Selbst-, Welt- und Gottesverhältnis in umfassendem Sinne, einschließlich der ethischen Orien-
86 R ainer L achmann: Vom Westfälischen Frieden bis zur Napoleonischen Ära, in: Geschichte des evangelischen Religionsunterrichts in Deutschland. Ein Studienbuch, hg. v. dems. und Bernd Schröder , Neukirchen-Vluyn 2007, S 78–127, 88. 87 Vgl. z. B. C hristian G otthilf Salzmann: Der vom seligen Salzmann selbst aufgesetzte Anfang seiner Lebensgeschichte (1812), abgedruckt in: Pädagogische Welt – Salzmanns Schnepfenthal, hg. v. Leonhard Friedrich, Jena 22008, S. 410–426, 424: „Er [der Religionsunterricht] wurde z. E. oft in der Kirche, vor der ganzen christlichen Gemeinde gegeben, wo wir eine Stunde lang zur Schau stehen, und uns über Sachen befragen lassen mußten, wovon wir mehrenteils gar keine Vorstellung hatten. […] Wie wir da gezittert, getrippelt, das Ende der Lehrstunden herbeigewünscht haben, und wie wenig aufmerksam wir auf des Lehrers Vortrag gewesen sind […]. Noch jetzt schaudert mir die Haut, wenn ich daran denke.“ 88 Ebd. 89 C hristian G otthilf Salzmann, zit. nach: L achmann, Vom Westfälischen Frieden, S. 67. 90 Salzmann, Wirksamste Mittel, S. 23. 91 Vgl. Salzmann, Erziehung, S. 93: „Überhaupt verweise ich diejenigen, die sich einen näheren Begriff von meinem Religionsunterrichte machen wollen, auf mein Buch: über die wirksamsten Mittel, Kindern Religion beizubringen, wo ich meine Gedanken weitläufig auseinander gesetzt habe […].“ 92 Salzmann, Wirksamste Mittel, S. 23 (Hervorhebung FD).
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tierung“93 widerspiegelt. Diesem universalen Verständnis gemäß kann Gesinnungsbildung nach Salzmann nicht auf kognitive Lernprozesse beschränkt bleiben. Kenntnisse allein, etwa der biblischen Geschichten, sind für ihn lediglich „Hilfsmittel […], [um] diese gute Gesinnung zu befördern und zu befestigen.“94 Religion als Gesinnung hingegen umfasst neben dem Denken, Erkennen und Überzeugtsein ebenso die Bereiche Fühlen, Wahrnehmen sowie die Konkretion im eigenen Handeln. Indem Religionsunterricht die so verstandene Gesinnung selbst „beizubringen“95 vermag, wovon Salzmann überzeugt ist, trägt dieser Unterricht entscheidend zur „Verehrung Gottes durch Veredelung unserer selbst“96 bei. Salzmann konkretisiert sein religionsunterrichtliches Curriculum in vier Stufen. Während der ersten Stufe (8. bis 10. Lebensjahr97) stehen moralisch-ethische Fragen sowie die Methode des Erzählens im Zentrum. Als Medien nennt Salzmann Fabeln und außerbiblische Geschichten, die es entsprechend der Aufnahmefähigkeit der Kinder anschaulich zu erzählen gilt, um eine Identifikation mit den Figuren und deren Handlungsoptionen anzubahnen. Auch das sorgsame Betrachten und Begehen der Natur spielen darin schon eine Rolle. Auffällig ist an dieser Stufe, dass Salzmanns Unterrichtskonzept hier noch gänzlich ohne direkte Bezüge zu Gott oder der Bibel auskommt. Solche Bezüge kommen während der zweiten Stufe (10. bis 12. Lebensjahr) in den Blick. Hier kommen die Schüler, wiederum vornehmlich anhand von Erzählungen, mit dem Leben Jesu in Kontakt: „Wenn das Kind erst den wundertätigen Mann von der besten Seite kennen lernt, mit den vorzüglichsten seiner Handlungen, aus denen Menschenliebe, Uneigennützigkeit und Rechtschaffenheit hervorleuchtet, bekannt gemacht wird, so bekommt es Liebe und Zutrauen zu ihm, und es wird eher alles Wunderbare von ihm glauben“98. Dieses Zitat deutet an, wie Salzmann sich religionsunterrichtlichen Umgang mit der Tradition vorstellt. Es geht ihm darum, orientiert an der Entwicklung der Kinder stets diejenigen Teile aus der christlichen Überlieferung einzuspielen, die der Gewissensbildung als Ziel des Religionsunterrichts besonders zuträglich erscheinen. 93 94
M eyer-Blanck , Geschichte, S. 52. Salzmann, Wirksamste Mittel, S. 24. 95 Ebd.; zusätzlich auch S. 28. Vgl. ferner den vollständigen Titel des hier zitierten Werkes. 96 L achmann, Religionsunterricht, S. 62; vgl. S chröder , Religionspädagogik, S. 97. 97 Die Zuordnung bestimmter Altersstufen zu den einzelnen Graden des religiösen Unterrichtens wurde von Salzmann im Laufe der Zeit verändert. Die hier in Klammern angezeigten Altersstufen finden sich (noch) nicht in dem Band „Über die wirksamsten Mittel Religion beyzubringen“, sondern entstammen späteren Zuordnungen, die Salzmann in den Religionsbüchern konkretisiert. Auch die zu vermittelnden Inhalte der einzelnen Grade/Stufen wurden im Laufe der Jahre leicht abgewandelt. Vgl. z. B. Lachmann, Vom Westfälischen Frieden, S. 116 f. 98 Salzmann, Wirksamste Mittel, S. 45.
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In Bezug auf Jesus bedeutet das, „Liebe, Vertrauen und Gehorsam gegen ihn zu erregen“, was im Sinne des Aufklärers Salzmann gerade dann gelingt, wenn man ihn als „das höchste Muster moralischer Vollkommenheit“99 vorstellt. Auf der dritten Stufe (12. bis 14. Lebensjahr) vollzieht sich nun ein entscheidender methodischer Wechsel. Dem Schüler soll jetzt die Möglichkeit gegeben werden, „seine gesammelten Ideen, seine eigenen Urteile mit seinen eigenen Worten vorzutragen“100. Das primär zu verwendende Mittel zur Gesinnungsbildung ist nun nicht mehr die Erzählung, sondern die „sokratische Unterredung“101, die Salzmann als Gegenbegriff zu seinem Verständnis von Katechese verwendet. Mithilfe der Sokratik sucht er zu verhindern, Lerninhalte im lehrerzentrierten Wissensverhör abzuprüfen, sondern stattdessen im Gespräch „die wahre Meinung des Kindes zu erfahren, sie zu berichtigen, durch Aufsuchung neuer Gründe zu befestigen.“102 In heutiger didaktischer Begrifflichkeit ließe sich diese dritte Stufe – bei allen notwendigen Vorbehalten gegenüber der historischen sokratischen Methode – den Kompetenzbereichen „Reflektieren und Verstehen“103 zuordnen. Im Zuge der vierten Stufe (14. Lebensjahr), die Salzmann unmittelbar vor der Konfirmation ansiedelt, wird aus dem schulischen ein kirchlicher Unterricht. Erst jetzt, nachdem Religion als Gesinnung schon beigebracht worden ist, hält Salzmann es für geboten, die Schüler mit den „Vorstellungsarten, die die Kirche […] sich von den Geheimnissen des Christentums macht“104, bekannt zu machen. Dieser abschließende Unterricht findet auch räumlich nicht mehr in der Schule statt, sondern wird in die Kirchengemeinde ausgelagert.105 In der Logik des Curriculums von Salzmann ist das Zentrale der religiösen Bildung, nämlich die religiöse Gesinnung, hier bereits als Lernertrag vorausgesetzt. Die noch offenen „Geheimnisse“ – Salzmann nennt hier beispielhaft die Trinität und die Gottessohnschaft Jesu – sollen ihrerseits die erlernte Gesinnung nicht neu bestimmen, sondern lediglich vertiefend festigen.106 Salzmanns Stufenmodell ist aus der Retrospektive als Meilenstein des bewusst didaktischen Nachdenkens über religiöse Erziehung zu würdigen. Diese Didaktik begründet sich nicht länger allein vom Lerngegenstand her, sondern vom physischen und geistigen Entwicklungsstand der Lernenden. Die im Anschluss an Rousseau pädagogisch geforderte Hinwendung zum Kind wird 99
Ebd., S. 47. Ebd., S. 53 (Hervorhebung FD). 101 Ebd. 102 Ebd. 103 M eyer-Blanck , Geschichte, S. 53. An dieser Stelle bezeichnet Meyer-Blanck die Kompetenzen der ersten beiden Stufen mit den Begriffen „Vertrauen“ (1. Stufe) und „Glauben“ (2. Stufe). 104 Salzmann, Wirksamste Mittel, S. 59. 105 Vgl. L achmann, Vom Westfälischen Frieden, S. 117. 106 Vgl. Salzmann, Wirksamste Mittel, S. 59. 100
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hier in ein religionsdidaktisches Konzept für die unterrichtliche Praxis überführt.107 Zum Abschluss der Darstellung des religionsdidaktischen Profils Salzmanns empfiehlt sich der Blick in einen bisher selten eigens erforschten Teilbereich der religiösen Bildung in seiner Erziehungsanstalt: Die Gestaltwerdungen von Religion im Schnepfenthaler Schulleben. Das Zusammenleben in Salzmanns Schule ist insgesamt durch eine Vielzahl wiederkehrender Rituale und eine klare Struktur der Tagesabläufe geprägt. Religiösen Elementen kommt darin eine gewichtige Rolle zu, wie Salzmann in seiner Schrift „Noch etwas über die Erziehung“108 sehr konkret ausführt. Die frühmorgendliche „Ermahnung und Absingung einiger Verse“109, die noch vor dem gemeinsamen Frühstück stattfindet, fungiert zunächst als rituelle Eröffnung des neuen Tages. Im weiteren Tagesverlauf wird zudem „jede Mahlzeit […] mit Gebet genossen.“110 Bezüglich dieser beiden rituellen Elemente erweisen sich zwei Beobachtungen als religionsdidaktisch beachtenswert: Zunächst fällt ins Auge, wie sehr Salzmann hier ausdrücklich betont, beide Rituale aufgrund ihrer Wichtigkeit stets selbst zu verrichten. Der Schulgründer zeigt sich hier nicht nur als Spiritus Rector seiner Einrichtung, sondern mehr noch als deren Spiritual Leader. Er versteht sich gleichzeitig als Religionslehrer und erster Liturg, der seine Verantwortung für die Durchführung und Reflexion christlich-ritueller Elemente besonders ernst nimmt. Darüber hinaus offenbart seine nachfolgende Erläuterung zu beiden Ritualen, wie auch die Ingebrauchnahme der Formen gelebter Religion in Salzmanns Denken durch und durch didaktisch motiviert ist: „Bei diesen Uebungen nehme ich allezeit auf Zeit und Umstände Rücksicht, und suche die Zöglinge auf das Gute aufmerksam zu machen, was sie gerade itzo aus Gottes Hand empfangen.“111 Die oben beschriebene Gesinnungsbildung als Zielperspektive religiösen Lernens klingt hier erneut an. Diese Beobachtung bestätigt sich an zwei weiteren Bestandteilen des Schnepfenthaler Tagesablaufs, die allerdings nur für die jüngeren Schüler zum täglichen Pensum gehören: Dem gemeinsamen Lesen im moralischen Elementarbuch („um […] eine Menge Ideen zu entwickeln, die zu richtigen Einsichten in die Religionswahrheiten nöthig sind“) sowie dem lauten Vortragen biblischer Geschichten („immer in der Absicht, um die Zöglinge mit dem wahren Sinne der Lehre Jesu bekannt zu machen“112). Beide Elemente begegnen wiederum 107 Vgl. G ottfried A dam: Christian Gotthilf Salzmann und die moderne Religionspädagogik. Eine wirkungsgeschichtliche Analyse, in: Christian Gotthilf Salzmann interdisziplinär. Seine Werke und Wirkungen in Theologie, Pädagogik, Religionspädagogik und Kulturgeschichte, hg. v. R ainer Lachmann u. a., AHRp 10, Jena 2013, S. 205–223, 221. 108 Salzmann, Erziehung, Titelformulierung. 109 Ebd., S. 110. 110 Ebd. 111 Ebd. 112 Ebd.
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eingebettet in Salzmanns religionsdidaktische Zielsetzung, die Ausbildung der Religion als Gesinnung. Auch Salzmanns hohe Wertschätzung des regelmäßigen Singens von christlichem Liedgut kann als ritualisierte Ingebrauchnahme religiöser Formen verstanden werden. Nach seiner Überzeugung werden im Singen diejenigen Wahrheiten sinnlich spürbar, die im Liedtext Thema sind.113 Entsprechend sollen nur solche Lieder im Unterricht oder in den sonntäglichen Schnepfenthaler „Gottesverehrungen“ zur Geltung kommen, die in nachvollziehbarer Weise auf die didaktisch verfolgten Ziele der religiösen Unterweisung verweisen. Die Lieder selbst werden „als poetischer und musikalischer Ausdruck je behandelter Religionswahrheiten“114 verstanden, die sowohl erläuternde als auch vertiefende Funktionen im Lernprozess einnehmen. Keinesfalls, so stellt Salzmann in den „Beytraege[n] zur Verbesserung des oeffentlichen Gottesdienstes der Christen“115 klar, dürfen darin dogmatische „Speculationen“116 Berücksichtigung finden, die Schüler in ihrer Gesinnungsbildung verwirren könnten. Ähnlich der übrigen Elemente des religiösen Schullebens in Schnepfenthal ist auch das gemeinsame Singen sorgsam eingebettet in Salzmanns religionsdidaktisches Konzept. Zur Vervollständigung der religionsdidaktischen Profilierung Salzmanns muss noch auf ein besonderes Merkmal der Schnepfenthaler Pädagogik hingewiesen werden, das gewichtige religionsdidaktische Implikationen mit sich bringt: das Verständnis der Natur als Schule. In der „Entwicklung und Übung der jugendlichen Kräfte“117, nach Salzmanns „Ameisenbüchlein“ die Mitte der Erziehung überhaupt, nimmt das Lernen in und anhand der Natur eine fächerübergreifend hohe Bedeutung ein. Der Erziehungswissenschaftler Herwart Kemper bringt Salzmanns Vorstellung von der Natur als Schule wie folgt auf den Punkt: „Durch selbständige Beobachtung und selbsttätige Erprobung der Gesetzmäßigkeiten, die in der Natur als der eigentlichen Schule des Menschen erkennbar sind, soll der Heranwachsende nicht nur vom praktischen Nutzen solcher Naturerkenntnis überzeugt werden, sondern sie auch im Rahmen des Erziehungsinstituts zur Steigerung seiner Kräfte und Fähigkeiten gebrauchen lernen.“118 In Bezug auf den Religionsunterricht entdeckt Salzmann in der Natur das zentrale Medium, das noch vor der Bibel dazu geeignet ist, den Prozess der 113 Vgl. L achmann, 114 Ebd., S. 165.
Religionsunterricht, S. 164.
115 Johann August H ermes / G ottlob Nathanael Fischer / C hristian G otthilf Salzmann: Beytraege zur Verbesserung des oeffentlichen Gottesdienstes der Christen, Bd. 1/1, Leipzig 1786. 116 Ebd., S. 28. 117 C hristian G otthilf Salzmann: Ameisenbüchlein oder Anweisung zu einer vernünftigen Erziehung der Erzieher, abgedruckt in: Christian Gotthilf Salzmann, hg. v. Walther Vorbrodt, Leipzig 1909, S. 187–245, 203. 118 H erwart K emper : Die Natur als Schule: Salzmanns Konzept einer Öffnung von Schu-
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Aneignung von Religion als Gesinnung zu befruchten. Es gäbe schlechterdings kein „wirksamer Mittel“, so Salzmann, die Schüler „zur lebendigen Erkenntniß Gottes zu bringen, als dieses, daß man ihnen zeigt, wie Gott allenthalben wirke.“119 Die Natur bewusst wahrnehmen zu lernen impliziert in Salzmanns Religionsdidaktik, sie als Schöpfung Gottes erkennen zu lernen.
2.2.2 Vergleichsmomente In der Geschichte der Didaktik des deutschen Religionsunterrichts markieren Salzmanns religionspädagogische Arbeiten und sein Wirken als Lehrer einen entscheidenden Wendepunkt. Wie gesehen wird darin religiöse Bildung zuerst in der Schule verortet und auf diesen Lernort hin fachdidaktisch reflektiert. Die zentrale didaktische Frage nach der Vermittlung von Religion in der öffentlichen Schule, auf die auch performative Religionsdidaktik eine neue Antwort zu geben versucht, kommt damit bei Salzmann erstmals in den Blick. Im Folgenden werden die Eckpfeiler seiner Didaktik entlang der eingangs entworfenen Kriterien (vgl. Kap. 2.1) auf darin vorfindliche Elemente performativer Religionsdidaktik hin untersucht. Betrachtet man das oben skizzierte „religionsdidaktische Profil“ Salzmanns aus der Perspektive heutiger performativer Didaktik so fällt zunächst auf, dass auch Salzmanns religionsdidaktischer Lehrplan „Kontakt mit Formen gelebter Religion“ (Krit. 1) ausgestaltet. Die Verwendung bestimmter Rituale im Schnepfenthaler Tagesverlauf (z. B. Beten, Bibellesen, Singen) ist offenkundig in den Bildungsplan der Erziehungsanstalt didaktisch integriert. Ähnlich der performativen Grundidee geht es auch Salzmann darum, Schülerinnen und Schüler im Modus des Gebrauchens bestimmter religiöser Ausdrucksgestalten mit deren Gehalten „bekannt zu machen“ bzw. sie auf religiöse Zusammenhänge „aufmerksam zu machen“120. Salzmanns Zugang unterscheidet sich von heutiger performativer Religionsdidaktik jedoch darin, dass diese rituell-liturgischen Elemente selten innerhalb des Religionsunterrichts eine Rolle spielen, sondern eher das außerunterrichtliche Schulleben prägen. Eine Ausnahme bildet hier das gemeinsame Singen christlicher Lieder, das Salzmann auch im Rahmen seiner religionsunterrichtlichen Settings anwendet.121 Ferner verweist auch der angestrebte Modus der Partizipation in performativ-didaktischen Ansätzen auf einen gewichtigen Unterschied: Dort werden religiöse Ausdrucksle und Unterricht, in: Menschenbild und Bildungsverständnis bei Christian Gotthilf Salzmann, hg. v. dems. und Ulrich Seidelmann, Weinheim 1995, S. 48–63, 56 (Hervorhebungen FD). 119 Salzmann, Erziehung, S. 91. In Bezug auf diesen Lernprozess spricht Lachmann von einem „didaktischen Dreischritt […], der von der Bekanntmachung mit der Natur als Werken Gottes über die Erkenntnis Gottes nach seinen Eigenschaften und Gesinnungen zu Gott-gemäßer Gesinnungsbildung führt.“ Lachmann, Religionsunterricht, S. 121. 120 Salzmann, Erziehung, S. 110. 121 Vgl. L achmann, Religionsunterricht, S. 163 f.
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formen unterrichtlich in Szene gesetzt, um artifizielle Proberäume für Kinder und Jugendliche zu gestalten (vgl. Krit. 3), die nicht religiös sozialisiert worden sind und potentiell auch keine religiöse Bindung aufweisen. Das Mitmachen ist in den performativen Spielarten evangelischer Prägung immer auch ein Ausprobieren. Dies ist in Salzmanns verbindlichen schulischen Ritualen entschieden anders einzuschätzen. Seine Didaktik geht davon aus, den Zielpunkt religiösen Lernens, namentlich das Erzeugen einer „guten Gesinnung“, für alle Lernenden und unabhängig von der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen „Religionsparteien“122 planmäßig herbeiführen zu können. Dieser Zielpunkt ist dabei für alle Lernenden gleich zu bestimmen.123 Ansätze eines Probehandelns klingen bei Salzmann trotz dieser Unterscheidung durchaus an, und zwar immer dann, wenn von Erkundungen sowie vom eigenen Arbeiten in der Natur die Rede ist. Die „selbsttätige Erprobung“124 im Freien bildet wesentliches Element der Schnepfenthaler Didaktik und beginnt schon bei den jüngsten Zöglingen, die ein eigenes Stück Garten in ihrem Sinne bepflanzen dürfen. „Erprobung“ meint hier allerdings nicht den performativdidaktischen „Modus des Als-ob“, der Schülerinnen und Schülern unterschiedliche Perspektiven eröffnet, sondern betont eher das experimentelle Moment eines entdeckenden Lernens. Zwiespältig ist auch die Frage zu beantworten, inwiefern Salzmanns Didaktik vorsieht, „religiöse Ausdrucksformen zu transformieren“ (Krit. 5). Zunächst scheint diesbezüglich klar erkennbar, dass Salzmann selbst durchaus religiöse Formen und liturgische Elemente in didaktisch reflektierter Weise aufnimmt, verändert und zu neuen Elementen einer Art Schulreligion in Schnepfenthal ausgestaltet. Als anschauliche Beispiele können die „Ermahnung und Absingung einiger Verse“125 ebenso gelten wie die Skizzen der Schnepfenthaler „Gottesverehrungen“. Allerdings meinen Transformationsprozesse in der Logik performativer Religionsdidaktik, vor allem in deren poststrukturalistisch begründeter Lesart, dass Schülerinnen und Schüler in freier Auseinandersetzung mit christlichen Traditionsstoffen eigene Formen religiöser Selbstartikulation entwickeln. Die schulreligiösen Ausdruckformen in Schnepfenthal scheinen zur Zeit Salzmanns im Vergleich dazu erheblich stärker von den didaktischen Vorstellungen des Anstaltsleiters her motiviert und gestaltet. Abschließend begegnet schon in Salzmanns Religionsdidaktik eine Frühform der „Ablehnung primär kognitiv ausgerichteter Unterrichtsmethodik“ 122
Salzmann, Erziehung, S. 111. 123 Vgl. M eyer-Blanck , Geschichte,
S. 51. Meyer-Blanck weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Begriff des „Individuums“ bei Salzmann „vielleicht noch unangemessen“ sei, da der Mensch nicht „differenziert anhand seiner eigenen, ihm eigenen Lebensgeschichte“ in den Blick genommen wird. 124 K emper , Natur als Schule, S. 56. 125 Salzmann, Erziehung, S. 110.
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(Krit. 2). Dies zeigt sich zunächst fächerübergreifend an der Schnepfenthaler Tagesstruktur, die didaktisch bewusst gestaltet ist und täglich Lernen unter Einbeziehung aller Sinne vorsieht.126 Insbesondere die Kategorien Wahrnehmung und Selbsttätigkeit prägen dabei Salzmanns philanthropischen Ansatz. Beide Bereiche schließen „Denken, Fühlen […] und Handeln“127 stets mit ein. Indem die „Zöglinge“ zuerst sorgsam und kontinuierlich an die sie umgebende Thüringer Natur als „Naturalienkabinett“128 herangeführt werden, lernen sie deren wesentliche Lebensäußerungen wie Witterung, Jahreszeiten, Tier- und Pflanzenwelt kennen und sie lernen, sich darin versiert zu bewegen.129 Die „Wahrheiten“130 der einzelnen Schulfächer sowie die zu vermittelnden Fertigkeiten entwickelt Salzmann anhand des Anschauungsmaterials, das die Natur bereitstellt: „Unser Naturalienkabinett wird uns die Quelle, aus der wir alle unsere ersten Kenntnisse schöpfen, der Gegenstand, an dem wir alle unsere Kräfte üben.“131 Diese Einsicht gilt auch für den Religionsunterricht, der Begehungen der Landschaft einschließt und dazu anleitet, die Natur als „Gottes Buch“132 zu erkennen. Darin zu lesen bedeutet für Salzmann, Gottes schöpferisches Wirken an fassbaren Gegenständen zu begreifen. Insbesondere Salzmanns programmatische Antwort auf die Feststellung eines „Mangel[s] an Selbstthätigkeit“133 in der zeitgenössischen Unterrichtsmethodik erinnert stark an Spitzenformulierungen performativer Religionsdidaktiker: „Des Unterrichts soll so wenig, und des Gebrauchs eigener Kräfte soviel als möglich sein.“134 Obwohl bei Salzmann eine bemerkenswert frühe Forderung nach einer „Öffnung von Schule und Unterricht“135 anklingt, ist nicht zu übersehen, dass innerhalb seines Religionsunterrichts eher rezeptive Methoden überwiegen. Zwar mag das schematische Fragen und Antworten der Sokratik aus Salzmanns Sicht ein Fortschritt gegenüber primär abfragenden Formen des Katechismusunterrichts dargestellt haben und durchaus auf seine Hochschätzung des Kindes 126 Die Schärfung der sinnlichen Wahrnehmung versteht Salzmann als Teil der unerlässlichen „Übung des Empfindungsvermögens“, die als integrale Voraussetzung für die Gesinnungsbildung verstanden wird: „Da wir alle unsere Kenntnisse durch die Sinne bekommen, die den Stoff liefern, aus dem die Vernunft ihre Begriffe abzieht, so ist es wohl sehr nötig, dass zuerst die Sinne geübt werden.“ C hristian G otthilf Salzmann: Über die Erziehungsanstalt. Von ihrem gegenwärtigen Vorsteher C. G. Salzmann. Mit einem Grundrisse von dem Landgute Schnepfenthal (1808), abgedruckt in: Pädagogische Welt – Salzmanns Schnepfenthal, hg. von Leonhard Friedrich, Jena 22008, S. 114–162, 133. 127 M eyer-Blanck , Geschichte, S. 51. 128 Salzmann, Erziehung, S. 86. 129 Vgl. Frank Lindner : Salzmanns Schnepfenthal. Kulturgeschichte einer klassischen Schullandschaft, Jena 22009, S 24. 130 Salzmann, Erziehung, S. 92. 131 Ebd., S. 86. 132 Ebd., S. 14. Vgl. L achmann, Religionsunterricht, S. 121. 133 Salzmann, Erziehung, S. 93. 134 Ebd. 135 K emper , Natur als Schule, S. 59.
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sowie auf sein Ernstnehmen von dessen Verstehenshorizonten hindeuten.136 Dennoch steht dieses Unterrichtsschema für eine lehrerzentrierte und nur wenige Lernende gleichzeitig aktivierende Gesprächsform. Die von Salzmann intendierte Handlungsorientierung realisiert sich in Schnepfenthal in erster Linie außerhalb der regulären Unterrichtszeiten. Diskursiv ausgerichteter Unterricht und produktiv-erprobende Phasen wechseln sich im Schulalltag der Lernenden ab. Dass Salzmanns Religionsdidaktik in seiner Zeit dennoch auch unterrichtsmethodisch als innovativ angesehen werden muss, zeigt nicht zuletzt seine Wertschätzung des Erzählens, das als „bewusst gewählte Unterrichtsmethode“137 hier erstmals auftaucht. Erzählen meint nach Salzmanns Auffassung erheblich mehr, als moralisierende Deutung oder aus bloßer Erinnerung wiederholtes Nacherzählen bzw. gar mechanisches Vorlesen biblischer Geschichten. Als „das wirksamste Mittel, Kindern Religion beizubringen“138, erweist sich die Erzählung nur, wenn sie eine Reihe von Eigenschaften erfüllt, wie etwa die kindgemäße Formulierungsweise oder die anschauliche Form ihrer Präsentation. Jedoch geht Salzmann nicht davon aus, dass Geschichten ihre performative Wirkung schon im Verlauten aus sich selbst heraus entfalten können (vgl. Krit. 6). Sie bedürfen seiner Didaktik zufolge einer behutsamen, kindgerechten Aufarbeitung und gestaltenden Ausweitung.139 Wenn auch die methodische Variabilität in Salzmanns Religionsdidaktik noch nicht an diejenige der performativen Entwürfe heranreicht, zeichnet sich schon hier im Bereich der Methodik eine didaktische Parallele ab. Ähnlich der performativen Religionsdidaktik ist auch Salzmann daran gelegen, die ihm anvertrauten Schüler über deren Verstandeskräfte hinaus durch abwechslungsreichen Gebrauch von „Mitteln“ im Religionsunterricht anzusprechen. Die regelmäßig arrangierten Übergänge von Handeln und Denken, von Ausprobieren und Reflektieren im Schnepfenthaler Tagesablauf sowie die kindgerechten Inszenierungen von Geschichten als Erzählungen legen davon beredtes Zeugnis ab.
Exkurs: Friedrich Schleiermacher (1768–1834): Religion darstellen und mitteilen Das Hauptaugenmerk dieses Kapitels liegt, wie eingangs begründet, auf der Untersuchung solcher religionsdidaktischer Ansätze, die Wege der Vermittlung christlich-religiöser Bildung am öffentlichen Lernort Schule profilieren. Die di136 137
Lachmann, Salzmann, S. 106. G ottfried A dam: Art. Erzählen, in: Methodisches Kompendium für den Religionsunterricht, 1. Basisband, hg. v. dems. und R ainer Lachmann, Göttingen 42002, S. 137–162, 141. 138 Salzmann, Wirksamste Mittel, S. 31. 139 Vgl. A dam , Art. Erzählen, S. 142.
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daktische Kernfrage nach der Gestaltung von Lernprozessen „unter Inanspruchnahme des Christlichen“140 in einem dezidiert nichtkirchlichen Setting kommt nur dort in vergleichbarer Weise in den Blick. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher steht gerade aufgrund der Spannungen zwischen schulischer und christlich-religiöser Bildungsintentionen einem schulischen Religionsunterricht skeptisch gegenüber. Deshalb widmet diese Studie seinen religionspädagogischen Impulsen kein eigenes Kapitel. Weil Schleiermacher das Nachdenken über religiöse und nichtreligiöse Erziehung aber bis in die Entwürfe heutiger performativer Religionsdidaktik stark beeinflusst, sollen einige seiner religionsdidaktisch relevanten Grundgedanken im Rahmen dieses Exkurses nachgezeichnet und auf ihre Relevanz aus Sicht der performativen Entwürfe hin befragt werden. Das umfangreiche Gesamtwerk dieses bedeutenden Theologen,141 der innerhalb von Pädagogik, Religionsphilosophie, Systematischer und nicht zuletzt Praktischer Theologie einschließlich der Religionspädagogik als gleichermaßen herausragender Impulsgeber gilt,142 kann im Rahmen eines Exkurses keine auch nur annähernd gebührende Würdigung erfahren. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf jene Leitgedanken, die sich in den Ansätzen der performativen Religionsdidaktik als wirksam erwiesen haben. Der Ausgangspunkt für den hier darzustellenden Zusammenhang begegnet in Schleiermachers grundlegender Unterscheidung von Religion, Metaphysik und Moral. In seinen frühen Reden „Über die Religion“143 aus dem Jahr 1799 weist er der Religion „eine eigne Provinz im Gemüte“144 zu, die in ihrem Kern von dem Versuch bestimmt ist, „alle Begebenheiten in der Welt als Handlungen eines Gottes vor[zu]stellen“145. Entgegen den in der Spätphase der Aufklärung wirkmächtigen Bestrebungen, die Religion der Vernunft und Tugend beibzw. nachzuordnen, betont Schleiermacher deren spezifisches Eigenrecht: „Ihr Wesen ist weder Denken noch Handeln, sondern Anschauung und Gefühl.“146 Im Unterschied zu den metaphysischen und moralischen Bemühungen, einer140
Beutel , Nutzen und Nachteil, S. 88. Nicht wenige sehen in Schleiermacher den „nach Luther bedeutendsten evangelischen Theologen“. So z. B. M eyer-Blanck , Geschichte, S. 63. Christine Axt-Piscalar nennt ihn gar „de[n] überragenden Denker des Christentums“. C hristine A xt-P iscalar: Schleiermacher, in: Denker des Christentums, hg. v. ders. und Joachim R ingleben, Tübingen 2004, S. 145– 167, 146. Vgl. ferner die bis heute angesehene Biographie Schleiermachers von Wilhelm Dilthey: Leben Schleiermachers, Bd. 1, Berlin 1870. 142 Vgl. H enning S chröer : Art. Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst, in: LexRP 2 (2001), Sp. 1909–1912, 1909; Benner / Brüggen, Geschichte der Pädagogik, S. 212 ff. 143 Schleiermachers „Reden“ werden im Folgenden nach der von Rudolf Otto im Jahre 1899 erstmals herausgegeben Ausgabe zitiert: Friedrich Schleiermacher: Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, hg. v. Rudolf O tto, Göttingen 71991. 144 Ebd., S. 40. 145 Ebd., S. 54. 146 Ebd., S. 49. Vgl. S chröder , Religionspädagogik, S. 113. 141
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seits rational begründbare Aussagen über das Universum zu formulieren sowie andererseits Regeln und Pflichten des menschlichen Verhaltens zu entwickeln, betrifft Religion eine höchst subjektive und darin vielgestaltige Dimension des Menschseins. Sie ist „Sinn und Geschmack fürs Unendliche.“147 Aus diesem Religionsverständnis ergeben sich für Schleiermacher zwei fachgeschichtlich bedeutsame Konsequenzen: Erstens markiert sein Verständnis von Religion als „Anschauung und Gefühl“ die Ebene der individuellen religiösen Erfahrung als wichtigen Ansatzpunkt theologischer Reflexion. Im Verhältnis zur wissenschaftlichen Theologie ist Religion stets „das zeitlich wie sachlich Primäre“148. Sie verkörpert in ihrer subjektiven Ausprägung selbst den Gegenstand, von dem aus Theologie erst entwickelt werden kann. So erfahren die Bereiche der Erfassung, Begleitung und Reflexion religiöser Praxis eine Aufwertung und weisen darin implizit auch der Religionspädagogik und Katechetik ihre Orte innerhalb der wissenschaftlichen Theologie zu. Zweitens ergibt sich angesichts der konstitutiv-subjektiven Erfahrungsdimension von Religion die Konsequenz, dass es diesem Wesen entsprechender Formen zu ihrer Bildung bedarf. Dies kann nicht in einem Unterricht stattfinden, der religiöses Lernen im Vermitteln von Kenntnissen und sittlichen Verhaltensweisen aufgehen lässt. Sofern Religionsunterricht sich darauf beschränkt, „Meinungen und Lehrsätze“ zu entwickeln, konzentriert er sich nach Schleiermacher lediglich auf „die Schatten unserer Anschauungen und Gefühle“149. Ein solcher Unterricht verfehle grundsätzlich den Kern seines Gegenstands und sei daher als „abgeschmacktes und sinnleeres“150 Unterfangen abzulehnen. Obwohl Schleiermachers unterschiedliche Stellungnahmen zum schulischen Religionsunterricht nicht den einheitlichen Schluss zulassen, dass er diesen kategorisch ablehnt,151 zeigen sie durchgehend tiefe Bedenken gegenüber den Möglichkeiten schulförmig strukturierter Erschließung von Religion. Deshalb finden „Kri147 S chleiermacher , Über die Religion, S. 51. Vgl. H enning S chröer : Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768–1834), in: Klassiker der Religionspädagogik, hg. v. H enning Schröer und Dietrich Zille ẞen, Frankfurt a. M. 1989, S. 115–135, 122. 148 S chröder , Religionspädagogik, S. 114. 149 S chleiermacher , Über die Religion, S. 103. 150 Ebd. 151 Schleiermacher hat sich zum schulischen Religionsunterricht mehrfach und in unterschiedlichen Zusammenhängen geäußert. Die Spitzenformulierung zur Ablehnung des Religionsunterrichts formuliert er in den pädagogischen Vorlesungen von 1826: „Was nun den Religionsunterricht, der in öffentlichen Anstalten erteilt wird, betrifft, so bin ich der Meinung, daß dieser ganz erspart werden kann.“ Friedrich Schleiermacher: Pädagogische Schriften, Bd. 1. Die Vorlesungen aus dem Jahre 1826, hg. v. Erich Weniger , Düsseldorf / München 1957, S. 339. An anderer Stelle kann er aber auch beispielsweise für den Fall, dass die Familie und die Gemeinde ihrer Bildungsverantwortung nicht hinreichend nachkommen, eine „supplementäre Funktion“ des Religionsunterrichts anerkennen. Schröer , Schleiermacher, S. 129. Eine sorgfältige Darstellung zum „Problem des Religionsunterrichtes an Schulen“ bei Schleiermacher liefert Erwin Wi ẞmann: Religionspädagogik bei Schleiermacher, Gießen 1934, v. a. S. 243–267. Ein veranschaulichendes Schaubild mit unterschiedlichen Kategorien
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tiker am Religionsunterricht […] in Schleiermacher eine Stütze“152. Trotz der in dieser Hinsicht skeptischen Haltung ist Schleiermachers Werk durchzogen von Reflexionen zum Verhältnis von Religion und Bildung. Besonders die Suche nach angemessenen Wegen, Kinder und Jugendliche in ihrer religiösen Selbstentwicklung zu „unterstützen“153, und zwar so, dass deren individuelles religiöses Empfinden zur Entfaltung kommen kann, bestimmt sein religionsdidaktisches Interesse. Religion als „Sinn und Geschmack fürs Unendliche“ vermag zwar „weder wie irgendeine Fertigkeit vermittelt noch als eine denknotwendige Erkenntnis andemonstriert zu werden […], die religiöse Disposition jedes Menschen ist [hingegen] der Ausbildung fähig und der Pflege bedürftig“154. Schleiermacher befürchtet, der schulische Modus religiösen Lernens ziele zuerst auf Gesinnungsbildung und Wissensvermittlung und könne so das individuelle Ausbilden der bereits vorhandenen Veranlagung zur Religion noch behindern. Methodisch hat Schleiermacher hier sowohl die sokratische Methode der Philanthropen als auch das Memorieren des Katechismus vor Augen. Beide Zugänge lehnt er ab, da sie das Wesen der Religion nicht ausreichend berücksichtigten. Die zeitgenössische Schule sieht Schleiermacher insgesamt von der „Wut des Verstehens“ eines dogmatischen Rationalismus beherrscht, der „das Gedeihen der Religion“155 eher behindere als fördere. Die Kritik performativer Religionsdidaktik am schulischen „Reden über Religion“156 bezieht sich auf ein vergleichbares Problem. Christoph Bizer formuliert zugespitzt: Die rekonstruierende schulische Rede über Religion bleibt „der Religion so fern […] wie der Sexualkundeunterricht der Erotik.“157 Im Unterschied zur performativen Religionsdidaktik mündet Schleiermachers Skepsis gegenüber dem schulischen Religionsunterricht aber nicht in ein eigenes religionsdidaktisches Alternativkonzept, sondern in die Empfehlung, religiöse Bildungsprozesse vornehmlich an anderen Lernorten zu unterstützen. Statt der Schule hält er die Familie für den wertvollsten „Quellort der religiösen Erziehung.“158 Im häuslichen Leben und Kommunizieren sieht Schleiermacher die vier großen Gemeinschaften des Lebens vorgebildet (Staat, Wissenschaft, Gesellschaft, Kirche). Entsprechend findet er in ihr den pädagogisch entscheidenvon „Schule gar nicht religiös gesinnungsbildend“ bis „Schule und RU. religiös gesinnungsbildend“ findet sich auf S. 264. 152 S chröer , Schleiermacher, S. 129. 153 Vgl. K arl-Ernst Nipkow: Die Individualität als pädagogisches Problem bei Pestalozzi, Humboldt und Schleiermacher, Weinheim 1961, v. a. S. 102–108. Nipkow entfaltet hier das „Behüten, Gegenwirken und vor allem das Unterstützen“ als drei für Schleiermacher entscheidende Formen der „pädagogischen Einwirkungen“ (S. 102, Hervorhebungen FD). 154 Kumlehn, Symbolisierendes Handeln, S. 116. 155 S chleiermacher , Über die Religion. S. 106. 156 S chmid, Mehr als Reden über Religion, S. 2. 157 Bizer , Liturgik, S. 184. Vgl. § 1, Kap. 3.2.1.2 „Die authentische Selbstdarstellung von Religion im Unterricht“. 158 S chröer , Schleiermacher, S. 128.
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den Ort zur Weitergabe des kulturellen wie religiösen Erbes.159 Erst wenn die Familie ihren religiösen Erziehungsauftrag nicht hinreichend wahrnimmt, sind die Kinder und Jugendlichen auf Unterstützung von Seiten der Kirchengemeinde als zweitem bedeutenden Lernort angewiesen. Kirchliche Unterweisung soll die Individuen dann vor allem zur selbständigen Teilnahme am Gottesdienst befähigen und sie mit der Bibel vertraut machen.160 Der Konfirmandenunterricht, auf den Schleiermachers didaktische Ausführungen zum Großteil bezogen sind, verkörpert wie der Religionsunterricht lediglich ein nachgeordnetes „Supplement für die religiöse Erziehung in der Familie.“161 Aus der Perspektive performativer Religionsdidaktik erweisen sich besonders Schleiermachers Ausführungen zu den angemessenen Vollzugsformen religiösen Lernens im kirchlichen Unterricht als bedeutsam. Wie gesehen schließt er die Möglichkeit aus, Religion als „Anschauung und Gefühl“ im Modus des lediglich theoretisch-diskursiven Gesprächs zu erschließen und zu fördern. Er identifiziert die Aufgabe religiöser Unterweisung nicht im zergliedernden Gespräch über religiöse Glaubensaussagen, sondern in der „Anregung zu selbsttätiger Religionsausübung“162, wie Martina Kumlehn konstatiert. Schleier macher betont, „je mehr die Jugend die Vorstellung selber entwikkeln hilft, desto vollkommener wird der Unterricht sein.“163 In diesem Sinne anregend kann Religionsunterricht vor allem dann wirken, wenn er den Gegenstand seiner Darstellungsbemühung, nämlich Religion als „Sinn und Geschmack fürs Unendliche“, im Modus der „Mittheilung“164 in den Lernprozess einbringt. Für Schleiermacher steht fest, dass „im [kirchlichen] Unterricht selbst die darstellende Mittheilung und die mittheilende Darstellung sein muß, die im Cultus ist, aber auf eine auf die Beschaffenheit der Kinder sich beziehende Weise“165. Religion mitzuteilen meint hier nicht, eigene religiöse Erfahrungen als objektivierbare Tatsachen darzustellen oder diese gar auf die Lernenden übertragen zu wollen, sondern Religion als subjektiv-religiöse Erfahrung zur Unterstützung neuer subjektiv-religiöser Selbstbildungsprozesse in den Unterricht einzubringen. So verstanden zielt religiöse Mitteilung „auf das Zustandekommen des Vollzuges je eigener religiöser Selbstauslegung“166, bleibt sich dabei aber der 159 Vgl. S chleiermacher , Pädagogische Schriften I, S. 151 f.; S chröer , Schleiermacher, S. 128 f.; Nipkow, Individualität, S. 109 f. 160 Horst F. Rupp: Vom Reichsdeputationshauptschluss bis zur Reichsgründung, in: Geschichte des evangelischen Religionsunterrichts in Deutschland. Ein Studienbuch, hg. v. R ainer Lachmann und Bernd Schröder , Neukirchen-Vluyn 2007, S. 128–166, 151. 161 S chröer , Schleiermacher, S. 130. 162 Kumlehn, Symbolisierendes Handeln, S. 115. 163 S chleiermacher , Praktische Theologie, S. 366. 164 Ebd., S. 358. 165 Ebd.; vgl. § 1, Kap. 3.1.1.2 „Reagieren auf den Traditionsabbruch“. 166 Wilhelm G räb: Predigt als kommunikativer Akt. Einige Bemerkungen zu Schleiermachers Theorie religiöser Mitteilung, in: SchlAr 1,2 (1985), S. 643–660, 651.
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„Unübertragbarkeit des in seinem innersten Grund unaufklärbaren Gefühls“167 bewusst. Schleiermacher ist überzeugt, dass der individuell gedachte Prozess der religiösen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen besonders dort unterstützt wird, wo sie mit gelebter Religion in Kontakt treten.168 In der Zuspitzung, Religion ließe sich am ehesten durch Religion erschließen,169 verdichtet sich Schleiermachers Kritik an der zeitgenössischen Schule. Deren Konzentration auf die Vermittlung von Wissensbeständen ließen keine Möglichkeiten der Kontaktaufnahme mit Religion zu. Performative Religionsdidaktiker ziehen aus dieser Einsicht die didaktische Konsequenz, der Religionsunterricht habe die äußeren Erscheinungsformen, in denen Religion als subjektive Erfahrung Gestalt gewinnt, zu seinem zentralen Gegenstand zu erheben. Dresslers These, Religion ließe sich unterrichtlich gar nicht mitteilen, ohne immer auch zugleich dargestellt zu werden,170 pointiert in einem Satz den entsprechenden religionsdidaktischen Ertrag. Schleiermacher selbst verortet allerdings den genuinen Ort so verstandener Darstellung und Mitteilung von Religion zuerst in der Familie, namentlich im häuslichen Umgang der Mutter mit ihren Kindern. Den Müttern ist seiner Überzeugung nach „die Äußerung der eigenen Frömmigkeit so natürlich, daß sie ihr eigenes religiöses Leben und ihre religiösen Bewegungen in die Kinder übertragen.“171 Erst wenn die familiäre Unterstützung der kindlichen religiösen Entwicklung defizitär bleibt, werde der kirchliche Unterricht nötig. Schleiermacher traut der öffentlichen Schule und ihrem Religionsunterricht nicht zu, diese beiden Lernorte in ihrer Funktion für religiöse Bildung zu ersetzen.
2.3 Richard Kabisch (1868–1914): Der Religionsunterricht und das Erlebnis Richard Kabisch steht in der religionspädagogischen Fachgeschichte für einen gleichsam innovativen wie fragwürdigen Neuansatz. Die Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, in der Kabisch seinen religionsdidaktischen Entwurf vorlegt, ist durch eine tiefe Krise des inzwischen etablierten Religionsunterrichts gekennzeichnet. Die noch immer bestehende geistliche Schulaufsicht, 167 Kumlehn, Symbolisierendes Handeln, S. 115. 168 Vgl. Günter R. S chmidt: Friedrich Schleiermacher,
in: Klassiker der Pädagogik 1. Von Erasmus von Rotterdam bis Herbert Spencer, hg. v. H ans Scheuerl , München 1979, S. 217–233, 219. Auch Schmidt betont an dieser Stelle, die „Religion selbst könne durch die ‚Äußerungen‘ des religiösen Lebens anderer nur ‚aufgeregt‘ werden und sich dann spontan und individuell weiterbilden.“ 169 Vgl. M eyer-Blanck , Geschichte, S. 76. 170 Vgl. D ressler , Darstellung und Mitteilung, S. 13. Vgl. zur Funktion dieses Zusammenhangs in Dresslers Didaktik ausführlich § 1, Kap. 3.1.1.2 „Reagieren auf den Traditionsabbruch“. 171 S chleiermacher , Pädagogische Schriften 1, S. 223.
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das weitgehende Fehlen schulisch begründeter und an den Lernenden orientierter Unterrichtsgegenstände, die vorherrschende methodische Eintönigkeit sowie nicht zuletzt die wachsende Unbeliebtheit des Faches bei Schülerinnen und Schülern markieren die wichtigsten Problemfelder. Vor dem Hintergrund dieser Krise ist Kabischs Hauptwerk „Wie lehren wir Religion?“172 zu lesen und zu verstehen – ein Buch, das zweifellos „eines der strittigsten Werke der Fachgeschichte“173 darstellt. Kabisch formuliert darin einen außerordentlich optimistischen fachdidaktischen Ansatz. Er stützt sich auf zu seiner Zeit moderne psychologische Erkenntnisse und verspricht nicht weniger, als Religion im Unterricht erlebbar zu machen.174 Bei genauem Hinsehen entfalten sich darin einige der fachdidaktischen Konfliktpotentiale, die zu bewältigen performativer Religionsdidaktik auch heute aufgegeben ist.
2.3.1 Religionsdidaktisches Profil Kabisch gilt trotz seines umstrittenen Ansatzes weithin als „einer der Väter der deutschen Religionspädagogik.“175 Dies liegt wohl einerseits daran, dass er schon im Zuge der Etablierung der Religionspädagogik als eigenständiger theologischer Disziplin – Max Reischle verwendet den Begriff erstmals 1889 – intensiv darum bemüht ist, den neuen Wissenschaftszweig pädagogisch und besonders psychologisch zu fundieren. Andererseits zeigt schon ein Blick auf seine Berufsbiographie, dass Kabisch die der Religionspädagogik als Aufgabe von Anfang an aufgegebene Verzahnung theologisch-theoretischer Reflexion von Bildung mit der Analyse tatsächlicher Praxis religiöser Bildungsprozesse selbst vorlebt. Als Pfarrerssohn 1868 in Pommern geboren, studiert er zunächst Theologie, Geschichte und Germanistik in Greifswald und Bonn, wo er wenige 172 K abisch , Religion, S. 1. Kabischs religionspädagogisches Hauptwerk erlebte bis 1931 ganze sieben Auflagen, wobei Hermann Tögel nach Kabischs Tod an der Westfront im ersten Jahr des Ersten Weltkriegs (1914) dessen Werk ab der vierten Auflage bearbeitete und mitunter erheblich veränderte. Meyer-Blanck stellt in den nachträglichen Bearbeitungen eine „Tendenz zum Deutschtum“ fest, die in der siebten Auflage schließlich in Tögels eigenem Abschnitt „Deutscher Religionsunterricht“ einschließlich darin verhandelter Themen wie „Germanenglaube“ sowie „Rasse, Volk und Religion gipfelt. M eyer-Blanck , Geschichte, S. 85 f. Aus diesem Grund wird in dieser Untersuchung aus der dritten, von Kabisch selbst bearbeiteten Auflage zitiert. Eine Ausnahme bildet lediglich eine Einfügung aus der fünften Auflage (1920), in die Tögel einen Aufsatz von Kabisch zur Wunderdidaktik aufgenommen hatte: R ichard K abisch: Die Behandlung der Wunder im Religionsunterricht, in: Richard Kabisch: Wie lehren wir Religion? Versucht einer Methodik des evangelischen Religionsunterrichts für alle Schulen auf psychologischer Grundlage, bearbeitet von H ermann Tögel , Göttingen 51920, S. 306–310. 173 S chröder , Religionspädagogik, S. 121. 174 Vgl. Werner R itter : Richard Kabisch (1868–1914), in: Klassiker der Religionspädagogik, hg. v. H enning Schröer und Dietrich Zille ẞen, Frankfurt a. M. 1989, S. 181–196, 187 f. 175 Gerd B ockwoldt: Richard Kabisch. Religionspädagogik zwischen Revolution und Restauration, RPäH 10, Aachen 21982, S 7.
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Jahre später im Fach Altes Testament mit einer Arbeit zum 4. Buch Esra promoviert wird. Im Anschluss an ein Vikariat in Saarbrücken wechselt er 1890 vom kirchlichen in den staatlichen Dienst und wird Lehrer an einem Gymnasium. Ab 1892 ist Kabisch in der Lehrerausbildung tätig, zunächst als Seminarlehrer, dann als Seminaroberlehrer und ab 1903 als Seminardirektor.176 Während seines Wirkens als Ausbilder beteiligt er sich intensiv am Fachdiskurs und kritisiert öffentlichkeitswirksam den Zustand religiöser Bildung in Deutschland. 1902 erscheint sein viel beachteter Aufsatz „Ueber die Lernbarkeit der Religion“177 in der schon damals über die theologischen Fachgrenzen hinaus breit rezipierten „Zeitschrift für Theologie und Kirche“. Hier erweist er sich als engagierter Verfechter einer grundlegenden Reform des schulischen Religionsunterrichts. Um die wachsenden Zweifel an der „Daseinsberechtigung“178 des Faches zu zerstreuen, fordert Kabisch dessen fachdidaktische Profilierung, schulische Verankerung und Entklerikalisierung. Von 1910 bis 1914 wirkt K abisch als königlich-preußischer Regierungs- und Schulrat in Düsseldorf. Als er im Oktober des ersten Kriegsjahres 1914 im Alter von 46 Jahren an der Westfront fällt, hat Kabisch 86 Publikationen vorgelegt.179 Wie schon bei Salzmann, so empfiehlt es sich auch bei Kabisch, den fachdidaktischen Ansatz ausgehend von dem darin zugrunde gelegten Religionsbegriff zu erarbeiten. Kabisch sieht sich diesbezüglich selbst in der Nachfolge Schleiermachers. Er übernimmt dessen Verständnis von Religion als „schlechthinniges Abhängigkeitsgefühl“, das er aber „nicht mehr […] allein als ausreichend“180 ansieht. Das Abhängigkeitsgefühl meint nach Kabisch „nur die unerlässliche erste Hälfte“, aus der heraus „durch die religiöse Verbindung mit der oberen Welt das Erhebungsgefühl hervorgehen“181 muss. Bildete in Schleiermachers Arbeiten, wie gesehen, das Abhängigkeitsgefühl eine fundamentaltheologische Kategorie, eine „grundlegende Aussageform des Bewusstseins, das sich der Gegründetheit seiner selbst außerhalb seiner selbst bewusst wird“182, wandelt 176 Vgl.
R itter , Kabisch, S. 183. R ichard K abisch: Ueber die Lehrbarkeit der Religion, in: ZThK 12 (1902), S. 316– 344 (Titelformulierung). 178 Ebd., S. 316. 179 Kabischs Veröffentlichungen umfassen neben theologischen und speziell religionspädagogischen Arbeiten auch Werke über die Fachgrenzen der Theologie hinaus, so z. B. zur Didaktik der Geschichte und zu allgemeinpädagogischen Fragen. Vgl. R itter , Kabisch, S. 184. Aus diesen Werken hervorzuheben ist das späte „Erziehungsbuch“, das auch strittige Thesen zum Bildungsauftrag des Religionsunterrichts formuliert: R ichard K abisch, Das neue Geschlecht. Ein Erziehungsbuch, Göttingen 1913. 180 K abisch , Religion, S. 40. 181 Ebd. (Hervorhebung FD) Zum „Erhebungsgefühl“ bei Kabisch bzw. dem Verständnis von christlicher Religion als „Lebenssteigerung“ vgl. ausführlich M atthias H eesch: Lehrbare Religion? Studien über die szientistische Theorieüberlieferung und ihr Weiterwirken in den theologisch-religionspädagogischen Entwürfen Richard Kabischs und Friedrich Nie bergalls, TBT 80, Berlin / New York 1997, S. 171 f. 182 M eyer-Blanck , Geschichte, S. 95. 177
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Kabisch dieses zu einer Vorstufe des Erhebungsgefühls um. Aus dem Gefühl der Abhängigkeit erwächst ein Gefühl der eigenen Stärke, „eine freudige, befreiende, die körperliche Kraft befördernde Erregung“183, der sein eigentliches Interesse gilt. Bei Kabisch werden Abhängigkeit und Erhebung zu zwei Bestandteilen eines empirisch wahrnehmbaren, beschreibbaren und letztlich auch planbaren Erlebnisprozesses. Diese Veränderung gegenüber Schleiermachers Religionsverständnis geht auf Kabischs intensive Rezeption der amerikanischen, experimentellen Religionspsychologie zurück, und unter deren Vertretern insbesondere auf William James. James hatte an empirischen Studien zu Bekehrungserlebnissen die These entwickelt, Religion könne im Menschen durch religiöse Gefühlserlebnisse erzeugt werden.184 Auf diese Weise etablierte James das Verständnis von Religion als empirisch beschreibbarem Phänomen.185 Von dieser Einsicht herkommend wird Religion bei Kabisch zu einer psychologischen Kategorie, an der die „ganze Seele, fühlend, wollend und vorstellend“186 beteiligt ist. Sie ist eine „Kraftquelle“187, die in jedem Menschen a priori bereits angelegt ist, im Modus planvoller (auch pädagogischer) Einwirkung gepflegt und gefördert werden kann, und in der menschlichen Daseinsbewältigung für den Einzelnen und die Gesellschaft nützlich wird. Gerhard Bohne, dessen didaktischer Ansatz in einem Folgekapitel untersucht wird, kommentiert Kabischs Religionsverständnis knapp zwanzig Jahre nach dem Erscheinen von „Wie lehren wir Religion?“ im Rückblick: „Völliger kann man das Wesen des Christentums wohl nicht mißverstehen.“188 Vor diesem Hintergrund wird nun Kabischs Grundüberzeugung der Lehrund Lernbarkeit von Religion besser verständlich. Als psychologische Kategorie beschreibt Religion das Abhängigkeits- und Erhebungsgefühl des Menschen, die beide im Bereich des subjektiven Erlebens angesiedelt sind und dort durch anregende Impulse bewusst hervorgerufen werden können. Nach Kabisch bedeutet etwas zu lehren, „einen andern durch planmäßige Einwirkung in den Stand [zu] setzen, eine geistige oder körperliche Tätigkeit, die er bis dahin nicht oder nur unvollkommen beherrschte, ganz oder in vollkommenen Grade auszuüben“189. Genau in diesem Sinne sei Religion lehrbar. Religionsunterricht sei 183 K abisch , Religion, S. 31. 184 Vgl. William James: Die
religiöse Erfahrung in ihrer Mannigfaltigkeit. Materialien und Studien zu einer Psychologie und Pathologie des religiösen Lebens, übers. v. Georg Wobber m in, Leipzig 21914. Den Prozess des Erzeugens von Religion durch Gefühlserleben beschreibt James v. a. in seinem Kapitel über die „Bekehrung“, S. 157–210. 185 Vgl. ebd., S. 1. James macht es sich zur Aufgabe, „eine Übersicht über […] religiöse Neigungen und eine inhaltliche Beschreibung derselben zu geben.“ Zu Kabischs Rezeption der amerikanischen Religionspsychologie äußern sich ausführlich auch H ees, Lehrbare Religion, S. 175–200; M eyer-Blanck , Geschichte, S. 96–99. 186 K abisch , Religion, S. 42. 187 Ebd., S. 33. 188 Gerhard B ohne: Das Wort Gottes und der Unterricht, Berlin 1929, S. 81. 189 K abisch , Religion, S. 63.
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in der Lage, „durch planmäßige Einwirkung ein Subjekt dahin zu bringen, daß es die eigene Unzulänglichkeit im Gefühl erlebe und die Wirksamkeit der oberen Welt […] durch Steigerung der Lebenskraft als eine wirkliche erfahre.“190 Wenn Kabisch also euphorisch fordert: „Der Unterricht schaffe Erlebnisse!“191, dann verbirgt sich dahinter die implizite Forderung, Religion als im Menschen bereits angelegtes Vermögen unterrichtlich bewusst zur Entfaltung zu bringen. Reiner Preul kritisiert an dieser Stelle, dass Kabisch die freie Selbstbestimmung der Schülerinnen und Schüler übergeht. Kabisch scheint vom Grundansatz her gar nicht mit der Möglichkeit zu rechnen, „daß die Übernahme religiöser Vorstellungen auch bewußt verweigert werden könnte.“192 Das Schaffen von Erlebnissen bildet infolgedessen auch den Zielpunkt, auf den hin Kabisch seine Religionsdidaktik und -methodik entfaltet. Der Unterricht habe sich an der „Religion des Kindes“193 zu orientieren und diese durch didaktisch-planvoll erzeugte „Gefühlserregung“194 gezielt weiterzuentwickeln. Dies gelingt nur dort, wo Religionsunterricht mehr ist als Wissensvermittlung, wo Wissen mit „Erregung von Gefühlen“, „praktischer Stellungnahme“ und religiösem „Erfahren“195 kombiniert wird. Diese Kombination leistet nach Kabisch das Erlebnis. In seiner anregenden Kraft eröffnet es die Möglichkeit, „daß die Schüler in der Religionsstunde bewundern und verehren, hassen und lieben, sich entrüsten und begeistern, sich grauen und erheben“196. Die entscheidende Methode zur Erzeugung solcher Erlebnisse entdeckt Kabisch wie Salzmann in der Erzählung. Obwohl hierbei die Anschaulichkeit und kindgerechte Präsentation für beide wichtige Kriterien der Erzählung darstellen, setzt Kabisch didaktisch einen anderen Schwerpunkt. Bei Salzmann geht es vor allem darum, „Religionswahrheiten“197 mit dem Ziel der Gesinnungsbildung verständlich zu vermitteln. Demgegenüber richtet Kabisch alle Aufmerksamkeit im religionsdidaktischen Bemühen auf das Nacherleben der emotionalen Dimensionen innerhalb der erzählten Welten. Werden beispielsweise biblische Geschichten erzählt, sollen die Schülerinnen und Schüler im Unterricht zunächst die religiösen Gefühle der biblischen Gestalten nachempfinden, um diese später zu ihren gegenwärtigen Gefühlen in Beziehung zu setzen. Indem Erzählungen vergangene religiöse Erlebnisse vor der Fantasie der Lernenden nachgestalten, erwecken 190 191
Ebd. Ebd., S. 120. 192 R einer P reul: Richard Kabisch. Die These von der Lehrbarkeit der christlichen Religion, in: Vergessene Theologen des 19. und 20. Jahrhunderts. Studien zu Theologiegeschichte, hg. v. Eilert H erms und Joachim R ingleben, GTA 32, S. 167–180, 171. 193 K abisch , Religion, S. 69. 194 Ebd., S. 70. An gleicher Stelle bezeichnet Kabisch erneut die „Gefühlserregung“ als „Kern des religiösen Vorganges.“ 195 Ebd., S. 120 f. 196 Ebd., S. 123. 197 Salzmann, Erziehung, S. 110.
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sie die in den Stoffen verdichteten religiösen Gefühlswelten wieder zum Leben. Das Erzählen schafft so die Möglichkeit, in der konkreten Unterrichtssituation eigene religiöse Erfahrungen „kräftigen Eigenerlebens bzw. Wiedererlebens“198 zu generieren. Die erzählerische Inszenierung zielt deshalb auf die Identifikation der Lernenden mit den Gefühlszuständen der in den Erzählungen auftretenden religiösen Persönlichkeiten. Um solche Identifikationsprozesse ansprechend gestalten zu können, ist laut Kabisch wesentliche Voraussetzung, dass die Lehrperson mit den konkret anzusprechenden Schülerinnen und Schülern vertraut ist und deren Reaktionen auf das Erzählte während der Durchführung sensibel wahrzunehmen vermag. Bezüglich der Stoffauswahl empfiehlt Kabisch den Fokus auf solche Geschichten zu richten, bei denen potentiell die „bedeutsamsten Wirkungen“199 zu erzielen sind. Als solche kommen etwa biblische Geschichten in Frage, besonders Ausschnitte aus dem Leben Jesu, aber auch Erlebnisse religiöser Persönlichkeiten und sogar Kirchenlieder und Psalmen der liturgischen Tradition. Anhand der Empfehlung zum Einsatz von Psalmen lässt sich exemplarisch zeigen, worauf es Kabisch bei der Auswahl des Unterrichtsmaterials ankommt: „Die Psalmen! […] Dem Gefühl ihrer Kraft, Hoheit und Tiefe kann sich schon das Kind nicht entziehen.“200 Sich der ansprechenden, ja, religionserzeugenden Kraft religiöser Ausdrucksformen im Unterricht nicht entziehen zu können, verweist für Kabisch in positiver Weise auf deren wirkmächtigen, den Hörer oder Leser ansprechenden Charakter. Obwohl also durchaus liturgische Stoffe in Kabischs Ausführungen zum „Lehrstoff des Religionsunterrichts“201 vorkommen, lehnt er die Thematisierung gottesdienstlicher Formen programmatisch ab. Die „Belehrung über Sinn und Aufbau des evangelischen Gottesdienstes“, so ist Kabisch überzeugt, sei „wirklich nicht Sache der Schule.“202 Trotz aller gebotener Kritik an Kabischs Konzept der unterrichtlichen Religionserzeugung, das tatsächlich weder einen religionskritischen Vorbehalt erkennen lässt noch evangelisch-theologische Skrupel gegenüber dem Verdacht religiöser Werkgerechtigkeit zu empfinden scheint,203 sollte nicht dessen ernst198
R itter , Kabisch, S. 188. K abisch, Religion, S. 186. Ebd., S. 158. 201 Den „Lehrstoffen“ widmet Kabischs Hauptwerk viel Aufmerksamkeit. In vier Einzelkapiteln befassen sich mehr als 40 Druckseiten mit den Inhalten, die im Religionsunterricht behandelt oder nicht behandelt werden sollen. Vgl. K abisch, Religion, S 120–185. Gerade die an dieser Stelle abgedruckten „Lehrplanentwürfe“ (S. 168 ff.) veranschaulichen, wie Kabisch sie den Religionsunterricht – auch in seiner wachsenden Gestalt mit zunehmenden Alter der Schülerinnen und Schüler – vorstellt. 202 K abisch , Religion, S. 160. 203 Vgl. S chröder , Religionspädagogik, S. 121. Genau dieses Fehlen markiert die Achillesferse der Didaktik von Kabisch. Das folgende Zitat zeigt auf, dass Kabisch die Grenzen des schulisch Machbaren und Wünschenswerten nicht im Blick hat. Seiner Ansicht nach soll der Religionsunterricht dafür Sorge tragen, dass „die Kinder überhaupt niemals einen andern 199 200
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haftes Anliegen übersehen werden, den Religionsunterricht schülernäher, zeitgemäßer und insgesamt ansprechender zu gestalten. Seine Didaktik zeigt ein großes Interesse am subjektiven Lernprozess der Schülerinnen und Schüler und ist erkennbar bemüht, die Qualität und damit auch das Ansehen des Faches auf ein höheres Niveau zu heben. Vor dem Hintergrund des um die Jahrhundertwende weithin vorherrschenden Religionsunterrichts als „Instrument politisch-konservativer Gesinnungsbildung samt sozialer Disziplinierung“204 steht Kabischs Religionsdidaktik auch für einen innovativen Vorstoß, der die religionspädagogische wie -didaktische Diskussion um religiöse Bildung nachhaltig angeregt hat.
2.3.2 Vergleichsmomente Die oben zitierte Spitzenformulierung, „der Unterricht schaffe Erlebnisse!“, verweist auf eine entscheidende Grundlinie des religionsdidaktischen Profils von Richard Kabisch. Gleichzeitig eröffnet diese Formulierung eine erste Vergleichsmöglichkeit zur performativen Religionsdidaktik: Die Forderung, Religionsunterricht solle authentische „religiöse Erlebnisse gestalten“ (Krit. 4), teilt Kabisch mit einigen performativen Religionsdidaktikern. Besonders der konstruktivistisch begründete Ansatz Mendls zielt darauf ab, die „performative Kraft der Religion“205 in der Schule so zu inszenieren, dass sie für Schülerinnen und Schüler spürbar, erfahrbar, erlebbar wird. Während Mendl solche Erlebnisse nicht auf das Lernen an christlich-tradierten Ausdrucksgestalten beschränkt, sondern etwa auch interreligiöse Lernsettings in den Blick nimmt,206 versteht Kabisch „Religion […] im evangelisch-christlichen Religionsunterricht im evangelisch-christlichen Sinne.“207 Nicht zuletzt aufgrund seiner oben dargestellten Zielperspektive, durch Erlebnisse subjektive Religion zu „entzünde[n]“208, bleibt Kabischs Ansatz klar auf einen mono-konfessionellen Unterricht bezogen. Auch sollen dort im Gegensatz zu Mendls Spielart performativer Didaktik nur solche Lernstoffe Berücksichtigung finden, die sich durch ihre „Wirksamkeit […] in der Seele“209 letztlich für das Entstehen von Religion (gemeint ist wiederum evangelisch-christliche Religion) als förderlich erweisen. Die Frage nach der Wirksamkeit religiöser Ausdrucksgestalten spielt zwar auch Gott aufnehmen als den wahrhaftigen, lebendigen und gegenwärtigen.“ K abisch, Geschlecht, S. 234. 204 R itter , Kabisch, S. 184. 205 M endl , Religion erleben, S. 273. 206 Vgl. § 1, Kap. 3.4.1.3 „Praxisfelder religiösen Erlebens in der Schule“. „Erlebt“ werden kann Religion im interreligiösen Lernen nach Mendl beispielsweise durch „Begegnungen“ mit authentischen Vertretern anderer Religionen. 207 K abisch , Religion, S. 120. 208 Ebd. 209 Ebd., S. 131.
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in den performativen Entwürfen eine gewichtige Rolle, wird dort aber in erheblichem Unterschied zu Kabisch nicht mit Verweisen auf die grundsätzliche Lehr- und Lernbarkeit von Religion beantwortet. Trotz dieser Unterscheidung bleibt festzuhalten, dass innerhalb der performativen Religionsdidaktik der Erlebnisbegriff, der seinerzeit durch Kabisch in die religionspädagogische Diskussion eingebracht wurde, wieder prominente Verwendung findet.210 Eng verwoben mit Kabischs Forderung, Religion im Unterricht erlebbar zu machen, ist seine Feststellung zu verstehen, es gehe „im Religionsunterricht nie und nirgend (sic!) um bloßes Wissen.“211 Diese Feststellung unterstreicht die „Ablehnung primär kognitiv ausgerichteter Unterrichtsmethodik“ (Krit. 2), die Kabischs Ansatz mit allen Spielarten performativer Religionsdidaktik verbindet. Wenn Wissen bei Kabisch, wie beschrieben, stets mit „Erregung von Gefühlen“, „praktischer Stellungnahme“ und „Erfahren“ verknüpft wird, erinnert das an die performative Forderung nach ganzheitlich zu gestaltenden Lernwegen einerseits, sowie nach Einteilung des Unterrichts in partizipative und reflexive Phasen andererseits. Für Kabisch steht außer Frage, dass Religionsunterricht mehr sein muss als „Reden über Religion“212, denn „die sinnliche Wahrnehmung ist unendlich viel kräftiger, als die unsinnliche Vorstellung.“213 Bei genauerer Betrachtung der vorgeschlagenen Methodik zeigt sich wie schon bei Salzmann, dass diese noch keine mit den performativen Verfahren vergleichbare Variabilität aufweist. Dennoch weisen insbesondere seine Ausführungen zur Methode des Erzählens bereits klar in die Richtung einer szenischen Ausdehnung des Religionsunterrichts. Es geht seiner Methodik im Kern darum, „Vergangenes wieder lebendig zu machen“214, und zwar so, dass die darin verdichteten religiösen Gefühlswelten im Heute der Kinder und Jugendlichen nacherlebt werden können. Kabisch möchte mithilfe von Erzählungen Identifikationsprozesse anstoßen, in deren Verlauf die „historischen Gefühle“215 der in den erzählten Welten auftretenden religiösen Persönlichkeiten am eigenen Leib erfahrbar werden. Auf diese Weise kann die Erzählung nach seinem Verständnis helfen, das Abhängigkeits- und vor allem das Erhebungsgefühl zu erzeugen und damit schließlich den gewünschten Beitrag zum Lernen von Religion leisten. So ereignen sich in Kabischs Religionsunterricht zwar durchaus Perspektivenwechsel durch Identifikation, jedoch nicht im Modus des experimentellen und darin unverbindlichen Probehandelns der evangelischen Spielarten performativer Religionsdidaktik (vgl. Krit. 3). Während vor allem Dressler stets betont, 210 So trägt etwa Mendls wichtigste performativ-didaktisch ausgerichtete Monographie den Titel „Religion erleben“, s. o. 211 K abisch , Religion, S. 120. 212 S chmid, Mehr als Reden über Religion, S. 2. 213 K abisch , Ueber die Lehrbarkeit, S. 327. 214 B ockwoldt, Religionspädagogik zwischen Revolution und Restauration, S. 137. 215 M eyer-Blanck , Geschichte, S. 100.
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dass im unverbindlichen „Modus des Als-ob“ grundsätzlich die Möglichkeit zur individuellen Distanzierung mit eröffnet wird, bedeutet es für Kabisch im Gegenteil eine Stärke bestimmter Lerninhalte, wenn man sich deren Performativität gerade nicht entziehen kann. Bezüglich der Lerninhalte zeigt Kabischs Religionsdidaktik ein hohes Maß an „Vertrauen in die Performanz der Tradition“ (Krit. 6). Bizer geht in seinem gestaltpädagogisch begründeten Ansatz davon aus, dass den biblischen Schriften das grundsätzliche Potential innewohne, im Verlauten selbst wahr zu machen, wovon in ihnen die Rede ist.216 Ähnlich vertraut auch Kabisch auf die wirksame „Kraft“ bestimmter Traditionsstoffe, zu deren Entfaltung es lediglich einer angemessenen Inszenierung bedürfe. Allerdings beschränkt sich Kabisch in diesem Vertrauen nicht auf die biblische Überlieferung, sondern bezieht die Lebensgeschichten von „hervorragenden religiösen Persönlichkeiten“217 ebenso ein wie bestimmte liturgische Stoffe. Wirksam werden können nach Kabisch all diejenigen „Lehrstoffe“218, die sich für Schülerinnen und Schüler ansprechend in Szene setzen lassen und anhand derer religiöse Erfahrung im Modus von Erlebnissen vermittelt werden kann. Je gewaltiger sie wirken, desto eher rufen sie die erwünschten Abhängigkeits- und Erhebungsgefühle hervor und führen damit zum Unterrichtsziel des Erzeugens von subjektiver Religion. Auch in Bezug auf die Rolle der Lehrperson offenbart sich bei genauem Hinsehen ein gewichtiger Unterschied zu Bizers Ansatz. Während Bizer den Lehrerinnen und Lehrern lediglich instrumentelle Funktionen zuschreibt, nämlich durch biblische Inszenierungen einen Resonanzraum zu eröffnen, innerhalb dessen der dargestellte Gehalt der biblischen Tradition potentiell selbst wirksam werden kann, hängt bei Kabisch alles am Vollzug der Präsentation selbst. Die Lehrperson hat den Text kindgerecht aufzubereiten, auszuschmücken und ggf. zu kürzen, „um auf [die] Kinder Eindruck zu machen“219. Auf diese Weise sollen die Lehrkräfte den Lernenden das Nacherleben der in Szene gesetzten bzw. erzählend beschriebenen Gefühle erleichtern. Sie haben die biblischen Geschichten in schülernahe Sprache zu übersetzen, „damit wirklich der biblische Geist in ihrem Geist auflebe.“220 Insofern traut Kabisch eher den Lehrpersonen zu, die in der Tradition transportierten Botschaften und historischen Gefühle im Verlauf ihrer unterrichtlichen Darstellung religionserzeugend wirksam werden zu lassen, als die potentielle Wirksamkeit von den Traditionsstoffen selbst herzuleiten. 216 217
Vgl. § 1, Kap. 3.2.1.2 „Die authentische Selbstdarstellung von Religion im Unterricht“. Ebd., Geschichte, S. 99. 218 K abisch , Religion, S. 120–185. 219 Ebd., S. 186. 220 Ebd. Wie schwierig dieses Unterfangen mitunter sein kann, thematisiert Kabisch ausführlich in einem oben bereits erwähnten Aufsatz, den Tögel nach Kabischs Tod der fünften Auflage von „Wie lehren wir Religion?“ anfügt: vgl. K abisch, Behandlung der Wunder, S. 306–310.
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Schließlich sei abschließend auf ein weiteres Unterscheidungsmerkmal hingewiesen, das Kabischs Ansatz von sämtlichen performativen Ansätzen abgrenzt. Obwohl für Kabisch das Gelingen des Religionsunterrichts entscheidend von der erfolgreichen Vermittlung authentischer religiöser Erfahrungen abhängt, verzichtet sein Ansatz nahezu völlig darauf, aktuelle Gestaltwerdung von seinerzeit gelebtem evangelisch-christlichen Glauben in gottesdienstlichen Formen einzubeziehen (vgl. Krit. 1). Dies ist nach Kabisch Aufgabe des kirchlichen Unterrichts und gehört nicht an die öffentliche Schule.221 Die Einschätzung verwundert schon deshalb, weil gerade Kabisch – an dieser Stelle deutlich verwandt mit dem Grundinteresse performativer Religionsdidaktik – ansonsten für einen religionsdidaktischen Neuansatz steht, der „Berührung mit starkem religiösen Leben“222 als integralen Bestandteil religiöser Bildung in der Schule begreift.
2.4 Otto Eberhard (1875–1966): Religionsunterricht als „lebendige Berührung mit Gott“ Mit Otto Eberhard rückt ein Religionspädagoge ins Blickfeld, dessen konzeptionelles Schrifttum im Vergleich zu den übrigen hier vorgestellten „Klassikern“ viel weniger Beachtung in aktuellen religionsdidaktischen Studien findet.223 Trotzdem prägt Eberhard, ein „Verfechter des Arbeitsunterrichtsprinzips im Religionsunterricht“224, das didaktisch-methodische Gesicht religiöser Bildung in der Schule der 1920er Jahre entscheidend mit.225 Von einem konservativen Luthertum herkommend, versucht Eberhard den theologischen Hintergrund des Religionsunterrichts sowie dessen kirchlichen Bezug zu stärken und sich darin von der liberalen Religionspädagogik abzugrenzen. Zudem nimmt er An221 Vgl.
K abisch, Religion, S. 160. 222 Ebd., S. 144. 223 So ist Eberhard beispielsweise
der einzige der hier untersuchten „Klassiker“, dem eyer-Blancks „kleine Geschichte der Religionspädagogik“ kein eigenes Kapitel widmet. M Vermutlich liegt diese Zurückhaltung fachwissenschaftlicher Beschäftigung mit Eberhard nicht zuletzt darin begründet, dass „sein synthetischer Glaube und seine antiaufklärerische Haltung nur bedingt geeignet [erscheinen], einen Anknüpfungspunkt zu heutiger Praxis herzustellen.“ Susanne Beinlich: Art. Eberhard, Otto. Glaubrecht, in: LexRP 1 (2001), Sp. 361– 363, 363. Eine gewichtige Ausnahme bildet hingegen die intensive Rezeption der Schriften Eberhards im Zuge der Etablierung des thematisch-problemorientierten Religionsunterrichts der späten 1960er und 1970er Jahre. Vgl. hierzu ausführlich M arie-Luise K ling -de Lazzer : Thematisch-problemorientierter Religionsunterricht. Eine historisch-systematische Untersuchung zur Religionsdidaktik, Gütersloh 1982. 224 R ainer L achmann: Die Weimarer Republik, in: Geschichte des evangelischen Religionsunterrichts in Deutschland. Ein Studienbuch, hg. v. dems. und Bernd Schröder , Neukirchen-Vluyn 2007, S. 203–232, 225. 225 Vgl. K arl Ernst Nipkow / Friedrich S chweitzer : Religionspädagogik im 20. Jahrhundert. Einleitung, in: Religionspädagogik. Texte zur evangelischen Erziehungs- und Bildungsverantwortung seit der Reformation, Bd. 2/2, hg. v. dens., Gütersloh 1994, S. 19–56, 23.
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regungen der aufkommenden reformpädagogischen Bewegung auf und zeigt sich gerade in methodischer Hinsicht bemüht, den Religionsunterricht attraktiver zu gestalten. In seinem Versuch einer Synthese zwischen theologischer Fundierung und pädagogischer Profilierung entwickelt Eberhard ein religionsdidaktisches Konzept, dessen Ziel er selbst als die „lebendige Berührung mit Gott“226 bezeichnet. Dem engagierten Plädoyer für eine religiöse Erziehung auf ein „praktisch werdendes, sittlich wirksames Christentum“227 liegt eine Idee von Religionsunterricht zugrunde, die aus der Retrospektive mehrere Analogien zu heutiger performativer Religionsdidaktik aufweist.
2.4.1 Religionsdidaktisches Profil Otto Eberhard gilt als einer der produktivsten Religionspädagogen der Weimarer Jahre.228 Seine zwischen den Weltkriegen nahezu „Jahr für Jahr erscheinenden Publikationen“229, die vielfach mehrere Auflagen erleben, zeugen von großer Einflussnahme auf die religionsdidaktische Debattenlage seiner Zeit. Eberhard wird 1875 als Pfarrerssohn im mecklenburgischen Ludwigslust geboren. Nach dem Abitur studiert er in Erlangen, Greifswald und Rostock Theologie, Philosophie und Pädagogik, wobei er vor allem in Erlangen einem konservativen Luthertum begegnet, das ihn tief prägt.230 Nach dem Studium entscheidet er sich gegen Vikariat und nachfolgendes Pfarramt und für den staatlichen Vorbereitungsdienst. Zwischen 1898 und 1908 arbeitet er als Lehrer und steigt während dieser Zeit zum Rektor einer Volksschule und Leiter einer Fortbildungsschule auf.231 1909 wird er zum Seminardirektor des Lehrerseminars in Greiz ernannt, das er bis zu dessen Abbau (1927) leitet. Von 1927 bis 1930 bekleidet Eberhard eine Stelle als Dozent am Religionspädagogischen Institut Berlin, bevor er nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in den Ruhestand versetzt wird.232 Die Fülle an pädagogischen Ämtern 226 O tto Eberhard: Der Katechismus als pädagogisches Problem im Lichte des Arbeitsschulgedankens, Berlin 1912, S. 29. 227 K arl Ernst Nipkow: Otto Eberhard (1875–1966), in: Klassiker der Religionspädagogik, hg. v. H enning Schröer und Dietrich Zille ẞen, Frankfurt a. M. 1989, S. 210–222, 212. 228 Vgl. K ristian K ronhagel: Otto Eberhards Wirken in Thüringen 1920–1927: Ein Religionsdidaktiker als Bildungsreformer, in: Religionspädagogik und Reformpädagogik. Brüche, Kontinuitäten, Neuanfänge, hg. v. M ichael Wermke , AHRp 8, Jena 2010, S. 139–154, 139. 229 Nipkow / S chweitzer , Religionspädagogik, S. 23. 230 Vgl. Nipkow, Eberhard, S. 212. 231 Die Fortbildungsschule bezeichnet einen Vorläufer der heutigen Berufsschule. Das Rektorat und die Leitung der Fortbildungsschule übernimmt Eberhard im Jahr 1901. 232 Vgl. Nipkow, Eberhard, S. 212. Schon nach Abbau des Lehrerseminars in Greiz (1927) wird Eberhard in den „Wartestand“ versetzt. Trotz der Versetzung in den Ruhestand durch Gauleiter Fritz Sauckel kann Eberhards Verhältnis zum Nationalsozialismus wohlwollend gerade noch als „zwiespältig“ (Beinlich, Eberhard, Sp. 363) bezeichnet werden. Eberhard lobt Hitler als großen „Volkspsychologen“ und zeigt sich insgesamt – auch schon vor der
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in unterschiedlichen Bereichen des Schulsystems (Volksschule, Lehrerbildung, Fortbildungsschule) verschafft ihm profunde Erfahrungen in der pädagogischen Praxis. Daneben prägt sein wissenschaftliches Schaffen, das 1924 mit der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Leipzig ausgezeichnet wird, das Bild einer Berufsbiografie, die wie schon bei Kabisch eine religionspädagogisch charakteristische Verzahnung von Theorie und Praxis abbildet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wirkt Eberhard zwar erneut als Dozent (1945, Berlin) und Lehrer für Latein (1947–49) bzw. Religion (1951–52), greift aber zunehmend seltener durch eigene Veröffentlichungen in die religionsdidaktischen Debatten ein. Es sind im Wesentlichen die in der Zeit der Weimarer Republik erschienenen Schriften, die das religionsdidaktische Profil Eberhards in seinen Grundgedanken konturieren. Im Zentrum dieses Profils steht seine Theorie des Religionsunterrichts als „Lebensschule“233. Eberhard integriert darin einen aus dem Evangelium begründeten Ansatz, der einen seiner evangelischen Kirche im Glauben verbundenen Bildungsauftrag mit einer ganzheitlichen, an reformpädagogischen Idealen orientierten Pädagogik verbindet: „Eberhard betont das Kind und das Evangelium.“234 Die eine Seite offenbart sich in der Zielperspektive, die Schülerinnen und Schüler nach Maßgabe eines aus der Bibel abgeleiteten Bildungsauftrags in die Gemeinschaft der christlichen Gemeinde, ihren Gottesdienst und die christlichen Formen einzuführen, um sie so zur verständigen Teilnahme am christlichen „Leben“ zu befähigen.235 Religionsunterricht habe das „Einleben“ in den „religiösen […] Geist an sicheren, festen Lebensformen“236 zu erleichtern und letztlich „ein fröhliches Christentum in seinen Schülern […] zu erwecken.“237 Andererseits rezipiert er das damals aufkommende reformpädagogische Prinzip des Arbeitsunterrichts, indem er insbesondere Hugo Gaudigs Hervorhebung der Selbsttätigkeit im Bildungsprozess übernimmt. Danach stellt „freie geistige Tätigkeit“238 den Anfang allen Lernens dar. Den Arbeitsschulgedanken und dessen Betonung der Selbsttätigkeit spiegelt Eberhards didaktische Überzeugung, im Unterricht die auf Lebenspraxis ausgerichtete Seite der christlichen Religion zum Gegenstand zu machen. Machtergreifung der Nationalsozialisten – neben seinem konservativen Luthertum auch einem „deutschtümelnden nationalen Gedankengut“ (Lachmann, Weimarer Republik, S. 226) verpflichtet, das wohl keine klare Abgrenzung von den Nationalsozialisten zuließ. 233 O tto Eberhard: Von der Arbeitsschule zur Lebensschule, Berlin 1925. 234 Nipkow / S chweitzer , Religionspädagogik, S. 24. 235 Vgl. K ling -de L azzer , Religionsunterricht, S. 156; Nipkow, Eberhard, S. 212. 236 O tto Eberhard: Neuzeitlicher Religionsunterricht. Handreichung evangelischer Jugenderziehung, Berlin 21928, S. 147. 237 Ebd., S. 146. 238 O tto Eberhard: Evangelische Religion, in: Handbuch des Arbeitsunterrichts für höhere Schulen, hg. v. Franz A. Jungbluth, Bd. 3, Frankfurt a. M. 1925, S. 3–44, 10; vgl. ausführlich zur „Eigentätigkeit“ und zur „geistigen Tätigkeit“ Hugo Gaudig: Schulreform? Gedanken zur Reform des Reformierens, Leipzig 1920, S. 26.
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Vom „Wort- zum Tatchristentum“239 zu schreiten, lautet die entsprechende Programmformel. Die Selbsttätigkeit wird in Eberhards Konzept flankiert vom Begriff des religiösen Erlebnisses. Seinem Verständnis nach meint religiöses Erleben, „die tiefe Innerlichkeit und das Stillewerden des Gemüts“240 als konstitutive Bestandteile christlicher Religiosität nachzuempfinden. Erlebnisse eröffnen demnach einen Zugang zum religiösen „Leben“ und darin eine Möglichkeit für alle Schülerinnen und Schüler, durch Christus und das Evangelium persönlich angesprochen zu werden.241 Für Eberhard gehören „die Erlebnis- und die Arbeitsschule […] zusammen.“242 Gemeinsam bilden sie die „Lebensschule“, in der sich eine „Pädagogik der Tat“ mit einer „Pädagogik der Anschauung“243 verbindet. Mit seinem Erlebnisbegriff integriert Eberhard die Dimension der subjektiven Betroffenheit in sein didaktisches Konzept, die auch die Lehrpersonen auszeichnen soll: „Das ist es, was uns nottut: eine starke pädagogische Ergriffenheit, eine tiefe religiöse Innerlichkeit, die uns und die Dinge entmechanisieren hilft.“244 In diesem Satz klingt Eberhards zutiefst kritische Haltung gegenüber kognitiv-analytischer Unterrichtsmethodik an, die seinem Verständnis nach zur „Entleerung der christlichen Wahrheiten durch Bearbeitung des Verstandes nach dem Vorgang der Aufklärung“245 führt. Solche Methodik versperre den Blick auf die christliche Religion und das darin verdichtete Leben. Kategorisch lehnt er die Sokratik als Methode „des Rationalisierens und Dogmatisierens“246 ab. Stattdessen gelte es, anknüpfend an Pestalozzis Diktum vom Lernen mit „Kopf, Herz und Hand“, die „Tat- und Wortoffenbarung Gottes […] nicht bloß Sache des Verstandes und der Vernunft, sondern des Herzens und Gemütes“247 sein zu lassen, indem man die ganze Totalität der Seele in den Lernprozess aufnehme.248 Dieser Totalität gerecht zu werden, verlangt nach Eberhard die Berücksichtigung von vier Dimensionen des Lernens, die den reformpädagogischen Grundsatz der Ganzheitlichkeit aus Denken, Fühlen, Wollen und Handeln abbilden.249 Sie entspre239 O tto Eberhard: Innere Mission und Volksschule, in: Zeitfragen des christlichen Volkslebens, Band 30/7, Stuttgart 1905, S. 323–392, 353. 240 O tto Eberhard, zit. nach: Nipkow/S chweitzer , Religionspädagogik, S. 24. 241 Vgl. Beinlich , Eberhard, Sp. 361. 242 O tto Eberhard: Arbeitsschulmäßiger Religionsunterricht. Gesammelte Stundenbilder aus pädagogischer Werkstatt, Stuttgart 41925, S. 21. 243 O tto Eberhard: Arbeitsschule und Religionsunterricht. Ein Beitrag zur Tat- und Lebenserziehung, Berlin 1920, S. 43; 52. 244 Eberhard, Neuzeitlicher Religionsunterricht, S. 146. 245 Ebd., S. 148. 246 Ebd. 247 Ebd., S. 60; vgl. K ronhagel , Eberhards Wirken, S. 140. 248 Vgl. A ntje Roggenkamp -K aufmann: ‚Reformpädagogik‘ in religionspädagogischen Zeitschriften, in: Religionspädagogik und Reformpädagogik. Brüche, Kontinuitäten, Neuanfänge, hg. v. M ichael Wermke , AHRp 8, Jena 2010, S. 113–138, 129; Nipkow, Eberhard, S. 218. 249 Vgl. Nipkow, Eberhard, S. 218.
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chen zugleich Eberhards Verständnis des Religionsunterrichts als „Lebensschule“ mit dem Ziel der Partizipation an christlicher Gemeinschaft: Hierzu zählen neben der „freien geistigen Arbeit“ der „Erlebnisgrundsatz“ und die „Tatpädagogik“, die allesamt in die „Erziehung zur Gemeinschaft“250 einmünden. Aus ihnen ergibt sich in Eberhards Didaktik eine Abfolge, die es im Umgang mit den Lerngegenständen stets im Sinne eines aufbauenden, genetischen Lernens nacheinander zu fokussieren gelte. Zur unterrichtlichen Inszenierung dieser Abfolge greift Eberhard auf ein breites Tableau von Methoden zurück. Insbesondere für die ersten beiden Lernschritte hat er dieses detailliert ausgearbeitet.251 Der erste Lernschritt fokussiert die „freie geistige Tätigkeit“ der Schülerinnen und Schüler. Die Lernenden beschäftigen sich hierbei im Modus eines „freien Unterrichtsgespräches“252 mit eingespielten Lerngegenständen, indem sie spontane Einfälle, Vermutungen und Erinnerungen zunächst assoziativ vortragen. Nur „in weniger entwickelten Klassen [soll] auch der Lehrer durch Stichworte zur Aussprache und zum Gedankenfortschritt“253 verhelfen. Im Verlauf der „freien Aussprache“254 befruchten sich die Schüleräußerungen gegenseitig und führen schließlich zur selbständigen Formulierung von Problemstellungen, an deren Lösung die Lernenden aufgrund der eigenen Beteiligung am Entstehungsprozess nun selbst Interesse zeigen. Das handelnde Moment sieht Eberhard hierbei in der „Eigenbewegung“, die sich nicht aus Zwang oder dem gezielten Fragen der Lehrperson ergebe, sondern im eigenständigen und möglichst unkommentierten Umgang mit den eingespielten Stoffen „von selbst“255 entstehe. Auch die Wege zur Lösung der selbst erarbeiteten Problemstellungen sowie die etwaigen Arbeitsergebnisse werden im Modus „freier Aussprache“ thematisiert. Die Nähe seines Konzepts zum „thematisch-problemorientierten Religionsunterricht“ der 1970er Jahre, die bereits vielfach festgestellt wurde,256 gründet primär in seinen Ausführungen zu diesem ersten Lernschritt. Der zweite Lernschritt zielt auf die innere Beteiligung der Lernenden durch Gestaltung subjektiver Erlebnisse. Die Schülerinnen und Schüler sollen „vordringen zu dem Seelenleben ihrer Glaubenshelden und den großen Gottesmän250 Eberhard, Neuzeitlicher Religionsunterricht, Inhaltsverzeichnis. Die ausführliche Erläuterung der einzelnen Dimensionen erfolgt auf den Seiten 62–141. Vgl. Nipkow, Eberhard, S. 218. 251 Eine Übersicht über die „Methoden des Religionsunterrichts“ nach Eberhard ist abgedruckt in Nipkow / Schweitzer , Religionspädagogik, S. 75. 252 Eberhard, Arbeitsschulmäßiger Religionsunterricht, S. 13. 253 Ebd., S. 14. 254 Ebd., S. 15. 255 Ebd., S. 13. 256 Das Verhältnis von Eberhards Ansatz zum „thematisch-problemorientierten Religionsunterricht“ reflektiert ausführlich die als historisch-systematische Studie angelegte Dissertation von K ling -de-Lazzer , Religionsunterricht, darin v. a. Kap. 4 „Arbeitsschule und Religionsunterricht“, S. 132–160.
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nern den Puls fühlen, ins Herz schauen.“257 Hierzu plädiert Eberhard für produktive Inszenierungen der Lernstoffe, die sowohl durch Lehrkräfte als auch durch Schülerinnen und Schüler gestaltet werden können. In Frage kommen anschauliche Erzählungen und liturgische Miniaturen, Bildbetrachtungen, die Gestaltung von Andachten und Feiern, aber auch dramatische Darstellungen von biblischen Geschichten. Im darstellenden Spiel sieht Eberhard ein besonders wirksames „Mittel zur Entbindung geistiger Kraft“, das als „Vorstufe produktiver Arbeit“258 schon in den dritten Bereich, die Erziehung zum Handeln, hineinragt. Als Lerngegenstände empfiehlt Eberhard im Religionsunterricht das „Total der Lebensäußerungen der Gemeinde erziehungskräftig anzuwenden“259. Als erste und wichtigste aus dem Repertoire der christlichen „Lebensäußerungen“ erscheint die Bibel in seinem Konzept allen anderen Stoffen vorgeordnet. Daneben spielen aber auch Kirchengebäude, die Gottesdienststruktur und Liturgie, die Feste des Kirchenjahres, beispielhafte Biographien religiöser Persönlichkeiten und nicht zuletzt die „klassischen Zeugnisse deutscher Frömmigkeit“260 eine Rolle. Eberhard erwähnt beispielhaft „das Gesangbuch als Quelle des deutschen, evangelischen Glaubens, de[n] Katechismus als Bekenntnis normalchristlicher Frömmigkeit und Sittlichkeit [sowie] die deutsche Religionsund Frömmigkeitsgeschichte in Bildern von Walter von der Vogelweide bis Wichern“261. Ob Lerngegenstände für den Religionsunterricht geeignet sind, entscheidet sich laut Eberhard daran, inwiefern sie in zugänglicher Weise religiöses Leben sichtbar werden lassen, das potentiell neues religiöses Leben freizusetzen in der Lage ist. Sein Konzept möchte mit „einem Minimum von Stoff […] ein Maximum von Kraft und Wirkung […] erzielen.“262 „Kraft und Wirkung“ sollen die Lerngegenstände allerdings nicht zum Ziel der Ausprägung von individueller Religiosität oder des Erwirkens von Glauben entfalten. Eberhards Didaktik möchte bei den Schülerinnen und Schülern eine Änderung des Verhaltens hin zu aktiver Mitgestaltung der Gesellschaft und Partizipation am Leben des „evangelischen Volk[es]“263 bewirken und fördern.
257
Eberhard, Arbeitsschulmäßiger Religionsunterricht, S. 27 f. Eberhard, Arbeitsschule, S. 58 f. Eberhard, Evangelische Religion, 33. 260 Eberhard, Neuzeitlicher Religionsunterricht, S. 151. Die „Zeugnisse deutscher Frömmigkeit“ gewinnen in Eberhards Schriften zwischen 1933 und 45 erheblich an Bedeutung, vgl. hierzu exemplarisch: O tto Eberhard: Deutsches Volksgut in unserm Gesangbuch, Berlin 1935. Darin stellt Eberhard fest, euphorisiert von der „Aufrichtung des Dritten Reises“, dass im Gesangbuch „die Lieder, in denen die christliche Gemeinde sich zu Kampf und Sieg zusammenschließt“ (S. 4) bedauerlicherweise (noch) fehlen würden. 261 Eberhard, Neuzeitlicher Religionsunterricht, S. 151. 262 Eberhard, Arbeitsschule und Religionsunterricht, S. 63. 263 Eberhard, Neuzeitlicher Religionsunterricht, S. 149. 258 259
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2.4.2 Vergleichsmomente Otto Eberhard stellt in seinem Praxisband „Arbeitsschulmäßiger Religionsunterricht“ programmatisch fest: „Religion lebt man und erlebt man, und: Religion tut man!“264 Darin sind bereits drei Vergleichsmomente zu performativer Religionsdidaktik deutlich hörbar. Zuerst stellt Eberhard in dieser Formel klar, dass Religion nicht ausschließlich im Modus des Reflektierens bei sich selbst ist, sondern dort, wo sie im Leben von Menschen Gestalt gewinnt, wo sie erlebt und praktiziert wird. Folglich muss nach den Vorstellungen Eberhards ein Unterricht in Religion auch „religiöse Erlebnisse gestalten“ (Krit. 4), um seinem Gegenstand angemessen zu bleiben. Wie Kabisch verwendet auch Eberhard den Erlebnisbegriff als didaktischen Leitbegriff, allerdings unter veränderten Vorzeichen. Bei Kabisch verkörpert das Erlebnis den Zielpunkt der Didaktik schlechthin: Erlebnisse eröffnen die Möglichkeit, im Unterricht die subjektive Religion der Schülerinnen und Schüler allererst zu „entzünden“ und so das Entstehen von Religion durch planmäßiges religionsdidaktisches Handeln selbst zu erwirken. Von dieser Vorstellung grenzt sich Eberhard ab. Er vergleicht das Erlebnis mit Einfühlungsprozessen, die nicht zwingend zu „unmittelbare[m] Ergriffensein des Menschen in der Tiefe seiner Seele und seines Gemütes“265 führen müssen. Für Eberhard als Lutheraner bleibt in der Gestaltung von Erlebnissen, die aus seiner Sicht durchaus persönlich relevant und in der religiösen Entwicklung wirksam werden können und sollen,266 sehr präsent, dass sich Glaube menschlicher Verfügbarkeit entzieht und keinesfalls allein durch Lehrerhandeln herbeigeführt werden kann. Eberhards „Erlebnisprinzip“ ist nur in Verbindung mit seinem „Arbeitsschulprinzip“ zu verstehen. Um die Ebenen des Nacherlebens und Nachempfindens erweitert soll der religiöse Unterricht in der Arbeitsschule „nicht bloß Sache des Verstandes, sondern auch des Herzens sein, er soll nicht abgezogene religiöse Begriffe, sondern die lebensklaren, gefühlsbetonten Dinge und Anschauungen, die die Begriffe tragen, an die Kinder heranbringen.“267 Die Betonung der affektiven Seite von Religion, die in einfühlenden Verfahren neben der Beschäftigung mit abstrakten Begriffen eine Rolle spielen müsse, erinnert deutlich an zentrale Anliegen performativer Religionsdidaktik. Gerade Mendls Ansatz des religiösen Erlebens zielt hier in vergleichbarer Weise auf ein „Kennenlernen fremder Erfahrungen“268 im Modus des Erlebens. Zwar meinen beide, dass dieses einfühlende Erleben an biblischen Geschichten, Ritualen, Festen oder liturgischen Vollzügen durchaus „mancherlei Grade der Innerlich264 265
Eberhard, Arbeitsschulmäßiger Religionsunterricht, S. 38. Nipkow, Eberhard, S. 217. 266 Vgl. O tto Eberhard: Evangelischer Religionsunterricht an der Zeitenwende. Einblicke und Ausblicke, Tübingen 1932, v. a. S. 19 ff. 267 Eberhard, Arbeitsschule, S. 78. 268 Ebd.; vgl. K ling -D e -L azzer , Religionsunterricht, S. 153.
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keit und der Bewußtheit an sich“269 trage, jedoch betonen ebenfalls beide auch die Freiheit der Schülerinnen und Schüler zur Distanzierung. Zweitens belegt das Eingangszitat Eberhards Überzeugung, dass es ein konstitutives Merkmal von Religion ist, auch wirklich praktiziert zu werden. Entsprechend sieht sein religionsdidaktisches Konzept vor, dass Schülerinnen und Schüler in Form von Festen, dramatischen Inszenierungen und Andachten Religion im Schulleben selbst gestalten und darin „religiöse Ausdrucksformen transformieren“ (Krit. 5). Das Schulleben eröffnet nicht nur „Übungsfelder des sozial-religiösen Verhaltens“270, die Eberhard primär interessieren, sondern auch solche des „fromme[n] Gemeinschaftsleben[s].“271 Im Unterschied zu den performativ-didaktischen Spielarten von heute, denen es an dieser Stelle um freie Umgestaltungsprozesse mit nicht vorhersehbaren Resultaten geht,272 ist für Eberhard die Zielperspektive jedoch nicht verhandelbar. Religiöse Ausdrucksgestalten werden aufgenommen und in Form gebracht, um darin religiöses Leben spürbar zu machen und auf die selbsttätige Partizipation am Gemeindeleben vorzubereiten. Im Zuge dieses Veranschaulichens kann es sich nach Eberhard auch als zielführend erweisen, mit gegenwärtigen Formen gelebten Glaubens in Kontakt zu kommen (vgl. Krit. 1). Dennoch fällt auf, dass die Schülerinnen und Schüler in den Prozess der Formgebung eingebunden werden, sofern sie dies wünschen. So kann die schulische Andacht „in fester Form […] verlaufen“, aber auch „ganz frei und losgelöst von den Banden der Ueblichkeit.“273 So hält Eberhard es bezüglich des Morgengebets für denkbar, die Lehrenden selbst das Gebet gestalten zu lassen, diese Aufgabe einem geneigten Schüler zu übertragen oder eine Gruppe gemeinsam Betender mit der Gestaltungsaufgabe zu betrauen.274 Wichtig bleibt jedoch im Gegensatz zu den evangelischen Entwürfen performativer Religionsdidaktik, dass es Eberhard hierbei nicht um ergebnisoffene Formenspiele an prinzipiell mehrdeutigen Zeichen geht. Eberhards Ansatz versteht die schülernahe Gestaltung eines religiösen Schullebens als Teil der Erziehung zur Teilhabe am kirchlichen Leben. Drittens schließt die oben zitierte Feststellung, Religion werde gelebt, erlebt und getan, eine kategorische „Ablehnung primär kognitiv ausgerichteter Unterrichtsmethodik“ (Krit. 2) ein. Eberhards Rezeption der Reformpädagogik und insbesondere seine Wertschätzung für Pestalozzi, den er neben Schleiermacher, 269 Eberhard, Arbeitsschule, S. 78. Vgl. M endl , Religion erleben, darin z. B. das Kap. „Gott und das Leben feiern“, S. 161–250. 270 O tto Eberhard: Die Lebenskunde im evangelischen Religionsunterricht. Probleme und Tatsachen, Leipzig 1933. 271 Eberhard, Arbeitsschulmäßiger Religionsunterricht, S. 281. 272 Dies gilt vornehmlich für die evangelischen Spielarten performativer Religionsdidaktik, wie in § 1 dargestellt. 273 Eberhard, Arbeitsschule, S. 126. 274 Vgl. ebd., S. 126.
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Johann H. Wichern und Friedrich Fröbel als einen der „Ganzgroßen“275 verehrt, manifestieren sich in seinem Konzept einer ganzheitlich strukturierten Unterrichtsdramaturgie. Das „Denken“, „Fühlen“, „Wollen“ und „Handeln“ sind darin stets integrativ aufeinander bezogen. Methodisch zeigen seine Hochschätzung des darstellenden Spiels, seine didaktischen Bezüge auf religiöse Feiern und Andachten im gemeinschaftlichen Schulleben und nicht zuletzt die verwendeten Einfühlungsverfahren im Religionsunterricht deutlich an, dass Eberhard durchaus eine „szenische Ausdehnung des Unterrichts“276 im Sinne Klies im Blick hat. Auch die Polemik gegen einen Religionsunterricht des „Rationalisierens und Dogmatisierens“277 erinnert an die grundlegende Einsicht performativer Religionsdidaktik, „daß das Christliche, wenn es in den Bereich Schule eintritt, nicht an kirchlich dogmatischen Beständen festzumachen“278 ist und entsprechend nicht in vornehmlich diskursiv ausgerichteter Methodik erschlossen werden kann. Der Wunsch, die Methoden für den Religionsunterricht sensibler am Lerngegenstand und den Lernenden orientiert auszuwählen und insgesamt variabler einzusetzen, zeichnet Eberhards Konzept ebenso wie alle Spielarten performativer Religionsdidaktik aus. Eberhards bevorzugte Methoden, das Nacherzählen und Nachgestalten christlicher Stoffe und Geschichten sowie die unterschiedlichen darstellenden Verfahren, sollen sich auf das Ziel einer „sinnlich-seelische[n] Konzentration auf den Gegenstand“279 hin als funktional erweisen. Sie dienen in erster Linie der Veranschaulichung des darin vorfindlichen religiösen „Lebens“. Vergleicht man diese Zielsetzung mit den methodischen Kriterien der poststrukturalistisch begründeten Spielart performativer Didaktik nach Dietrich Zilleßen, so fällt auf, dass gerade die dort zentralen Momente der potentiellen „Irritation“ und „Verfremdung“280 bei Eberhard gänzlich fehlen. Dem gemeinsamen Wunsch, mithilfe variabler und ganzheitlicher Methodik den Schülerinnen und Schülern Tore für einfühlendes Verstehen zu öffnen, steht wiederum eine Unterscheidung hinsichtlich des Grades der Verbindlichkeit gegenüber, die religiösen Formen durch den Religionsunterricht zugewiesen wird. Geht es den performativ-didaktischen Entwürfen vielfach um produktive Verunsicherung der religiösen Vorstellungswelten von Kindern und Jugendlichen, zielt Eberhard im Gegenteil auf eine versichernde Vergegenwärtigung und Bestätigung der Bedeutung christlicher Ausdrucksgestalten. Diese Bedeutung steht in seiner Didaktik nicht zur Diskussion. 275 276
O tto Eberhard, zit. nach: Nipkow, Eberhard, S. 219. K lie , Gestalten und Handeln, S. 177. 277 Eberhard, Neuzeitlicher Religionsunterricht, S. 148. 278 C hristoph Bizer : Christentum und Schule. Vom Segen der christlichen Religion, in: Kirchgänge im Unterricht und anderswo. Zur Gestaltwerdung von Religion, hg. v. dems., Göttingen 1995, S. 185–203, 190. 279 Eberhard, Arbeitsschulmäßiger Religionsunterricht, S. 251. 280 Vgl. § 1, Kap. 3.3.1.2 „Performative Spiele mit dem Fremden“.
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§ 3 Performative Elemente in der Geschichte der Religionsdidaktik
2.5 Gerhard Bohne (1895–1977): Das Wort Gottes zu Gehör bringen In der Spätphase der Weimarer Republik setzt Gerhard Bohnes fundamentale Kritik am Religionsunterricht seiner Zeit eine folgenreiche religionsdidaktische Zäsur. Bohnes Hauptwerk „Das Wort Gottes und der Unterricht“281, 1929 in erster Auflage erschienen, wendet sich grundsätzlich gegen das liberal-theologische Verständnis von Religion als Bestandteil der Kultur sowie gegen das entsprechende Ideal eines Religionsunterrichts als Beitrag zur kulturellen Bildung und Persönlichkeitsentwicklung. Die erschütternden Erfahrungen des Ersten Weltkriegs führen ihn im Anschluss an die seit Karl Barths Kommentaren zum Römerbrief (1919) entwickelte Dialektische Theologie zu der Einsicht, dass der Glaube an die Kultur als tragende Grundlage menschlichen Lebens in den Schützengräben als Illusion entlarvt wurde. Seine Feststellung einer „Bildungskrisis von allerstärkstem Ausmaße“282 gründet in einem gesamtkulturellen Krisenbewusstsein: „Die Konstruktion Jerusalem – Athen – Weimar hat ihre innere Beweiskraft und damit ihre edel aneifernde Wirkung verloren“283. Bohnes religionsdidaktisches Konzept, das er dezidiert als Antwort auf diese Krise entfaltet, bildet den Grundstein der später nach Helmuth Kittels Programmschrift so genannten „Evangelischen Unterweisung“284. Diese setzt sich nach dem Zweiten Weltkrieg endgültig als weithin bestimmende Konzeption des evangelischen Unterrichts an öffentlichen Schulen durch. Das Konzept der Evangelischen Unterweisung dominiert bis in die 1960er Jahre hinein Lehrpläne, Schulbücher sowie Unterrichtsmaterialen und versteht sich dann auch terminologisch bewusst als Gegensatz zum Religions-Unterricht.285 Auf die „Evangelische Unterweisung“ wird in der heutigen Religionspädagogik zumeist als Negativfolie verwiesen. Anhand ihrer Merkmale wird vielfach erläutert, wie man religiöse Bildungsprozesse am Lernort Schule nicht gestalten sollte. In Bezug auf Bohnes Ansatz lohnt jedoch ein stärker differenzierender Blick. Insbesondere gegen die später formulierten zentralen Kritikpunkte der „Verleugnung des Kindes“286 einerseits und der dogmatischen Verengung des Re281
Gerhard Bohne: Das Wort Gottes und der Unterricht, Berlin 31964. Ebd., S. 9. Ebd., S. 12. 284 H elmuth K ittel: Vom Religionsunterricht zur Evangelischen Unterweisung, Hannover 31957. Die erste Auflage dieses programmatisch-kurz gehaltenen, aber religionsdidaktisch flächendeckend wirkmächtigen Bändchens erscheint bereits kurz nach Kriegsende im Jahr 1947. 285 Unterricht im Sinne der Evangelischen Unterweisung versteht sich nicht als „Religionsunterricht“ oder „religiöses Lernen“, weil nach dem darin zugrundegelegten Verständnis der Glaube an Gottes Offenbarung die Aufhebung und Überwindung von Religion darstellt. Dies verdeutlicht schon der Titel von Kittels Programmschrift: „Vom Religionsunterricht zur Evangelischen Unterweisung“. K ittel , Religionsunterricht, Titelformulierung (Hervorhebungen FD). 286 Werner L och , zit. nach: M eyer-Blanck , Geschichte, S. 111. 282 283
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ligionsunterrichts andererseits287 versucht sich sein Ansatz zu verwahren. Bohnes religionsdidaktisches Profil lässt sich stattdessen treffender durch dessen leitendes Ziel skizzieren: Nach Bohne muss es evangelischem Religionsunterricht vor allem anderen darum gehen, „daß er das ihm aufgetragene Wort Gottes dem jungen, werdenden Menschen in menschlicher Lebendigkeit und steter psychologischer Anknüpfung an seine Entwicklung sagt und ihn dadurch in die Entscheidung vor Gott stellt oder doch ruft.“288
2.5.1 Religionsdidaktisches Profil Bohnes Didaktik ist in besonderem Maße vom politisch-zeitgeschichtlichen Hintergrund der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt. Aus diesem Grund liegt methodisch nahe, erste Kennzeichen seines religionsdidaktischen Profils entlang der Berufsbiographie Bohnes zu beschreiben. Bohne wird im Jahr 1895 in Zeutsch/Thüringen geboren und wächst in der Spätphase des Kaiserreichs in einem evangelischen Pfarrhaus auf. Nach dem Abitur (1913) nimmt er das Studium der Evangelischen Theologie in Leipzig auf und wechselt im Jahr des Kriegsausbruchs nach Tübingen. Im Mai 1915 wird Bohne in ein Infanterieregiment eingezogen. Als Soldat erlebt er den Stellungskrieg an der Westfront mit. 1916 wird Bohne bei Verdun verwundet und in die Heimat zurückversetzt. Hier kann er sein Studium wieder aufnehmen und 1917 mit dem ersten theologischen (Not‑)Examen abschließen.289 Die Kriegserfahrung wird für den Religionspädagogen Bohne zum zentralen Schlüsselerlebnis, das er noch knapp vierzig Jahre nach der Kapitulation Deutschlands als entscheidenden Umbruch interpretiert: „Verdun beendete eine Epoche der deutschen Geistesgeschichte. Keiner, der dort mitkämpfte, konnte in die geistige Welt der Vorkriegszeit wie in eine Heimat zurückkehren. Diese Welt war ihm fremd, ja schlimmer: sie war unwahr geworden. […] Das höchste Erzeugnis des Geistes und der Kultur: eine Maschinerie der Vernichtung.“290 Auch die Religion, sofern diese gemäß der liberalen Religionspädagogik als integraler Bestandteil menschlicher Kultur gedacht wird, ist vom allgemeinen „Versagen von Kultur und deutschem Idealismus“291 grundlegend betroffen. Die existenziellen religiösen Fragen, die sich aus der Krisis ergeben, sind mithilfe kulturprotestantischer Deutungsansätze nicht mehr zu beantworten. Im Gegenteil: Wo 287 Vgl. S chröder , Religionspädagogik, 288 B ohne , Wort Gottes, S. 107. 289 Vgl.
S. 140.
Sigrid von den Steinen: Pädagogik und Theologie im Werk des Religionspädagogen Gerhard Bohne, Dissertation Münster 1974, S. 6. 290 Gerhard B ohne , zit. nach: M eyer-Blanck , Geschichte, S. 112; vgl. auch Bartho lomeus Vrijdaghs: Gerhard Bohne (1895–1975), in: Klassiker der Religionspädagogik, hg. v. H enning Schröer und Dietrich Zille ẞen, Frankfurt a. M. 1989, S. 223–235, 226. 291 Vrijdaghs , Bohne, S. 227.
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§ 3 Performative Elemente in der Geschichte der Religionsdidaktik
Religion und Kultur als zusammengehörige, dem Menschen zugängliche Größen verstanden werden, stehen beide für den Inbegriff der Krisis selbst. Noch während des Ersten Weltkriegs nimmt Bohne ein zusätzliches Studium der Pädagogik und Germanistik auf (ab 1917), das ihn mit dem damals führenden Erziehungswissenschaftler Eduard Spranger in Kontakt bringt. Nach Abschluss des Studiums (1919) und der Ernennung zum Studienrat (1920) arbeitet Bohne zehn Jahre lang als Deutsch- und Religionslehrer, während er gleichzeitig bei Spranger promoviert. Seine Dissertation „Die religiöse Entwicklung der Jugend in der Reifezeit“292, veröffentlicht 1922, zeigt bereits Bohnes fachdidaktisch charakteristisches Bemühen: Er möchte Glaubens- und Bildungsfragen mit der psychologischen Entwicklung der Schülerinnen und Schüler in Beziehung setzen. Auch die Erfahrungen im Schuldienst erweisen sich für Bohne als prägend. Die pädagogischen Begegnungen im Religionsunterricht der 1920er Jahre festigen seine kategorische Ablehnung der religionspädagogischen Ansätze, die auf religiöse Erlebnisse zielen. In „Das Wort Gottes und der Unterricht“ fragt Bohne diesbezüglich desillusioniert: „Wie viele tausend Schüler haben angeregt – sagen wir ruhig: belogen – durch den RU, die Gründe der Religion in sich selbst gesucht, gewartet auf jenes Gefühlserlebnis, jene Lebenssteigerung […], und haben sie nicht erlebt und sich darum enttäuscht abgewandt […]?“293 Neben dieser durch und durch kritischen Einschätzung der fachdidaktischen Situation des Religionsunterrichts weist Bohne an gleicher Stelle auch auf den verbreiteten Mangel einer später „christliche Sozialisation“ genannten kirchlichen oder christlichen Prägung der Schülerinnen und Schüler hin. Weil die Familien und Gemeinden nicht mehr die Fundamente religiöser Bildung legen, kann auf sie in der Schule ab sofort nicht mehr aufgebaut werden.294 Ein Jahr nach Erscheinen seines Hauptwerks wird Bohne 1930 zum Professor ernannt und wirkt in der Folge an Pädagogischen Akademien (Frankfurt/Oder, Elbing, Kiel), bevor er 1938 – trotz Mitgliedschaft in der SA und NSDAP – aufgrund regimekritischer Aussagen von seiner Tätigkeit als Hochschullehrer beurlaubt und mit einem Schreibverbot belegt wird. Von 1948 bis 1961 wirkt Bohne erneut an der Pädagogischen Akademie in Kiel, während der letzten beiden Berufsjahre als deren Rektor.295 292 Gerhard B ohne: Die religiöse Entwicklung der Jugend in der Reifezeit. Auf Grund autobiographischer Zeugnisse, Leipzig 1922. 293 B ohne , Wort Gottes, S. 82. 294 Ebd., S. 186–192. Bohne stellt in seinen Ausführungen über den „menschliche[n] Hintergrund des Religionsunterrichts“ ernüchtert fest, der RU habe „die Unterstützung von Elternhaus und Gemeinde nahezu verloren“, während gleichzeitig „das gesamte öffentliche Leben religiös nahezu völlig entleert“ (S. 190) sei. Vrijdaghs weist bezüglich dieser Passagen zu Recht darauf hin, dass Bohne hier nicht weniger als die These eines Traditionsabbruchs grundlegt. Vgl. Vrijdaghs, Bohne, S. 223. 295 Vgl. von den Steinen, Pädagogik und Theologie, S. 6 f.
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Die Mitte des religionsdidaktischen Konzepts Bohnes bildet die Konfrontation der Schülerinnen und Schüler mit dem Wort Gottes. Diese Begegnung stellt sie unausweichlich in die Entscheidung vor Gott. Daher steht der Unterricht nach Bohne in einer grundsätzlichen „Spannung“296: Religionsunterricht ist und bleibt einerseits in die öffentliche Bildungsinstitution Schule eingebettet und deren Erziehungsauftrag verpflichtet. Anderseits hat er – im Sinne Barths und der Dialektischen Theologie – auf Gott als den „ganz Anderen“ zu verweisen, dessen Tun in keiner Weise pädagogisch vorhersehbar oder irgendwie beeinflussbar ist.297 Will Religionsunterricht entgegen allen Machbarkeitsfantasien der liberalen Religionspädagogik seinem Gegenstand gerecht werden, so muss er aus theologischen Gründen „die große Störung der Entwicklung, das Ärgernis der Einheit“298 verkörpern. Diese Spannung ist konstitutives Merkmal des Religionsunterrichts und führt notwendig zu seiner Infragestellung durch beide Bedingungsfelder, die ihn bestimmen: „Ist es der Bildung gegenüber seine Not, daß er Träger des Evangeliums ist, welches als solches auf Gottes Autorität ruht, so ist es dem Evangelium gegenüber seine Not, daß er doch ein Glied innerhalb des Bildungsprozesses ist.“299 Bohnes Konzept zeigt sich hier einerseits beeinflusst von den seit Kriegsende aufkommenden Anfängen der Dialektischen Theologie,300 insbesondere von Barths kategorischer Betonung 296 B ohne , Wort Gottes, ausführlich erläutert im Kap. „Die Spannung“, S. 59–71. 297 Vgl. Frank Frühling: Streiten und Bewahren. Die religionspädagogische Rezeption
und Kritik der Dialektischen Theologie, Frankfurt a. M. 1997, S. 85 f. Frühling definiert die „Spannung“ hier prägnant wie folgt: „Als existenzielle Kategorie beschreibt sie die Situation des in der Entscheidung stehenden Individuums zwischen der Kultur als einer autonommenschlichen Wertverwirklichung und der Religion als dem Ergriffensein des Menschen von Gottes Anspruch.“ 298 B ohne , Wort Gottes, S. 66. 299 Ebd., S. 67. 300 Bohnes Rezeption der Dialektischen Theologie und insbesondere der Entscheidungsbegriffe von Barth und Bultmann analysiert ausführlich die Dissertation von Rudolf H eide mann: Religionspädagogik, Pädagogik und Entscheidung. Eine historisch-systematische Untersuchung zur Kategorie ‚Entscheidung‘ im Werk G. Bohnes, RPäH 14, Aachen 1988. Heidemann kommt u. a. zu dem beachtenswerten Schluss, dass Bohne sowohl in Bezug auf den Entscheidungsbegriff, als auch im Hinblick auf die Ziele und Inhalte des Religionsunterrichts stärker durch Bultmann als durch Barth geprägt worden sei. Ähnlich äußern sich auch von den Steinen, Pädagogik und Theologie, S. 71–78 und in jüngerer Vergangenheit M eyer-Blanck , Geschichte, S. 116 f. Insgesamt bleibt Bohnes Verhältnis zur Dialektischen Theologie ein ambivalentes. Während er einerseits dankbar deren Ablehnung der liberalen bzw. kulturprotestantischen Ansichten aufnimmt, zweifelt er andererseits an deren Nutzen für den Religionsunterricht: „Die dialektische Theologie konnte dem RU […] nicht viel helfen. Sie deckte nur die Not auf und formulierte, was wir auf Grund des Kriegserlebnisses und der neuen Gotteserfahrung selbst mit mehr oder weniger Klarheit erkannt hatten, aber einen Weg zeigte sie nicht; denn sie verstand nicht, daß der RU seinem ganzen Wesen nach notwendig in die Kultur hinein verflochten ist“. Bohne , Wort Gottes, S. 13. Zu Bohnes Rezeption der Dialektischen Theologie vgl. ferner Frühling, Streiten und Bewahren, v. a. S. 87–91; Fritz K rotz: Die religionspädagogische Neubesinnung. Zur Rezeption der Theologie K. Barths in den Jahren 1924–1933, GTA 23, Göttingen 1982, v. a. S. 136–154.
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§ 3 Performative Elemente in der Geschichte der Religionsdidaktik
der „ontologische[n] Geschiedenheit von Schöpfer und Geschöpf“301 sowie der Unmöglichkeit jeder Gottesannäherung ohne die vorherige, schlechterdings unverfügbare Offenbarung Gottes. Andererseits verliert er aber weder die Bedingungen des Lernorts Schule noch die psychologische Entwicklung der Schülerinnen und Schüler aus dem Auge. Bohnes didaktische Überzeugung, die so verstandene Spannung sei konstitutives Merkmal des Religionsunterrichts und nicht in eine Richtung aufzulösen, hebt seinen Ansatz von der später wirkmächtigeren Konzeption der „Evangelischen Unterweisung“ Kittels ab. Die zentrale religionsdidaktische Kategorie, die Bohnes theologische und pädagogische Intentionen gleichermaßen zusammenfasst, ist die „Entscheidung“302. Den Menschen „in die Entscheidung vor Gott“ zu stellen, bedeutet dezidiert nicht, dass Lernende sich im religionsunterrichtlichen Hören des Wortes für oder gegen dieses Wort entscheiden müssen, wie man Bohne „pietistisch missverstehen könnte“303. „Niemals“, so stellt Bohne klar, „habe ich zum Glauben oder gar zur Entscheidung aufgefordert. Ich würde das geradezu als Bankrott meines Unterrichts aufgefaßt haben.“304 Die Entscheidung impliziert also hier weder einen moralischen oder missionarischen Appell, sich für Gott zu entscheiden, noch überhaupt die Möglichkeit, sich „richtig“ oder „falsch“ zu entscheiden. Entscheidung meint in Bohnes Religionsdidaktik eine fundamentale Kategorie,305 die nicht unterrichtlich aufgelöst werden kann, sondern auf Gottes Zutun angewiesen bleibt. So verstanden kann religionsunterrichtliches Handeln in Bezug auf die Entscheidung nur dazu beitragen, dass den Schülerinnen und Schülern plausibel und spürbar wird, wie der lebendige Gott über sie entscheidet, indem sie die Begegnung mit ihm selbst notwendig in die Entscheidung zwingt.306 Theologisch fundiert Bohne den Religionsunterricht also, indem er dessen Angewiesenheit auf die Offenbarung Gottes stark macht. Auf Gottes Wort kann der Unterricht nur verweisen, nicht aber dessen Versprechen einlösen. Pädagogisch fundiert er ihn zusätzlich, indem er seine grundlegende Verankerung im kulturellen Bedingungsgefüge der öffentlichen Schule ebenso hervorhebt wie seine Verantwortung für die humane Entwicklung der teilnehmenden Schüle301 302
H eidemann, Entscheidung, S. 182. Bohne , Wort Gottes, ausführlich ab S. 131; vgl. H eidemann, Entscheidung, S. 179 ff. 303 M eyer-Blanck , Geschichte, S. 122. 304 Gerhard B ohne , zit. nach: H ans Bernhard K aufmann: Gerhard Bohne. Erziehung ohne Gott? Neukirchen-Vluyn 1995, S. 23. 305 Die Rezeption des Entscheidungsbegriffs von Rudolf Bultmann klingt gerade in dessen Verständnis als „fundamentaler Kategorie“ an. Vgl. hierzu u. a. Von den Steinen, Pädagogik und Theologie, S. 71–78; vgl. H eidemann, Entscheidung, S. 128. Heidemann meint an dieser Stelle bezüglich des Entscheidungsbegriffs sogar die „nahezu vollständige Übereinstimmung in der inhaltlichen Begründung wie auch im theologischen Begriffskontext“ zwischen Bohne und Bultmann feststellen zu können. 306 Vgl. Bartholomeus Vrijdaghs: Art. Gerhard Bohne, in: LexRP 1 (2001), Sp. 206– 209, 207; vgl. Bohne , Wort Gottes, S. 131–177.
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rinnen und Schüler. So ergibt sich aus Sicht der Lehrenden eine paradoxe Situation: „Wir müssen reden von Gott, ohne ihn selbst reden lassen zu können. Wir müssen Erkenntnisse, Werturteile zu erzeugen suchen, ohne die entscheidende innere Haltung damit erreichen zu können; wir müssen psychologisch und pädagogisch verfahren, ohne zu hoffen, daß das ein Weg zu Gott sei.“307 Genau diese Situation muss den Religionsunterricht „in der Spannung“ notwendig kennzeichnen. Indem er auf Gottes Offenbarung verweist und damit in die Entscheidung ruft, verweist er gleichzeitig auf die begrenzten Möglichkeiten des Menschen zur Selbst- und Persönlichkeitsbildung. Bohnes Religionsunterricht ist „Störung der Bildung von Gott her.“308 Zu Recht entdeckt Grethlein in Bohnes Ansatz „die Kritik an einer Funktionalisierung von Religion in der Schule“309. Das Hauptinteresse seiner Didaktik gilt der theologischen und pädagogischen Fundierung eines neuen Konzepts einer auf die Begegnung mit dem Wort Gottes fokussierten Bildung in der öffentlichen Schule. Zu konkret anwendbaren Unterrichtsmethoden und zur Auswahl der passenden Inhalte und Lernmaterialien äußert er sich allenfalls am Rande.310 Am ehesten mit Fragen konkreter Unterrichtsgestaltung beschäftigt sich noch die Schrift „Evangelische Religion“311, die Bohne an Religionslehrer der Volksschule richtet. Im zweiten Teil des Buches – auch hier der erheblich umfangreicheren Erläuterung konzeptioneller Grundfragen nachgeordnet – entfaltet Bohne zunächst praktische Hinweise zu seinem „Religionsunterricht als Verkündigung“, unterbreitet einen „Lehrplanvorschlag“ und formuliert schließlich „methodische Anmerkungen“312. Bohne stellt gleich zu Beginn der unterrichtspraktischen Kapitel fest, dass Unterricht keinesfalls als Predigt zu gestalten sei. „Der Lehrer soll im Gegenteil so schweigsam wie möglich sein.“313 Er soll Fragen der Lernenden bereitwillig beantworten, Hilfestellungen bei Missverständnissen anbieten und Meinungsäußerungen aufnehmen. Seine bedeutsamste Aufgabe sieht Bohne im angemessenen Einbringen biblischer Geschichten in den Unterricht. Hierzu ist es zu307
Bohne , Wort Gottes, S. 70 f.; vgl. Schröder , Religionspädagogik, S. 139. Bohne , Wort Gottes, S. 105; vgl. Nipkow / Schweitzer , Religionspädagogik, S. 30; Vrijdaghs, Art. Bohne, Sp. 207. 309 G rethlein, Religionspädagogik, S. 117. 310 Vgl. S chweitzer , Religion, S. 310 f. 311 Gerhard B ohne: Evangelische Religion. Gegenstand und Gestaltung, Leipzig 21936. Zum zeitgeschichtlichen Hintergrund dieses Buches und speziell der Frage, ob darin die Orientierung am Kind zugunsten einer Bindung dessen an das deutsche Volk stärker zurücktrete, vgl. Schweitzer , Religion, S. 341–349. 312 Vgl. ebd., S. 55; 72; 77 (Hervorhebung FD). Schweitzer ist entschieden recht zu geben, wenn er in Bohnes Bezeichnung des Methodenteils als „Anmerkungen“ ein Anzeichen für deren „untergeordnete Rolle“ in dessen religionsdidaktischem Nachdenken entdeckt. Vgl. Schweitzer , Religion, S. 311. 313 B ohne , Evangelische Religion, S. 57. Vgl. S chweitzer , Religion, S. 311. 308
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§ 3 Performative Elemente in der Geschichte der Religionsdidaktik
nächst erforderlich, diese sorgfältig und in entwicklungsbezogener Passung zur konkreten Lerngruppe auszuwählen. Des Weiteren müssen die ausgewählten Texte intensiv vorbereitet werden, um sie während der Religionsstunde ansprechend und vor allem verständlich erzählen zu können. Im Unterrichtsverlauf antworten die Schülerinnen und Schüler auf die Erzählung der Lehrkraft durch „Wiedererzählung“ und zeigen der Lehrkraft auf diese Weise, ob sie auch wirklich verstanden haben, was im biblischem Text „gemeint ist.“314 Das Erzählen und Wiedererzählen bildet die „hauptsächliche Form“315 der Gestaltung des Religionsunterrichts nach Bohne. Diese Schwerpunktsetzung zeigt bereits an, dass biblische Stoffe die bevorzugten Lerngegenstände darstellen. Mehr noch: „Der Stoff des Unterrichts ist […] in erster Linie die Bibel.“316 Nachgeordnet spielen auch kirchengeschichtliche Themen sowie „Tatsachen und Fragen der Gegenwart“317 eine Rolle. Die Mitte in Bohnes Unterrichtskonzept bleibt aber unverkennbar das Lernen im Hören auf das Wort Gottes.
2.5.2 Vergleichsmomente Bohnes religionsdidaktisches Konzept mit den neueren Entwürfen performativer Religionsdidaktik vergleichen zu wollen, mag nach dessen obiger Profilierung auf den ersten Blick verwundern. Bohne lehnt einen erlebnisbezogenen Religionsunterricht (vgl. Krit. 4) ebenso ab wie ein ergebnisoffenes Formenspiel mit christlich-religiösen Ausdrucksgestalten (vgl. Krit. 5). Auch das Gestalten von Perspektivenwechseln und die probeweise Aufnahme von Identifikationspotentialen (vgl. Krit. 3) kommen in seiner Religionsdidaktik nicht vor. Besonders auffallend verzichtet er sogar nahezu vollständig darauf, die reformpädagogischen Anregungen zu einer variableren und ganzheitlichen Unterrichtsmethodik konzeptuell aufzunehmen (vgl. Krit. 2), die noch bei Eberhard bereitwillig integriert wurden. So weit, so eindeutig. Doch trotz dieser klaren Unterscheidungen lohnt der Vergleich in Bezug auf ein besonders gewichtiges Merkmal von Bohnes religionsdidaktischem Profil: Die unterrichtliche Verwendung der Bibel. Die Bibel verkörpert in Bohnes Ansatz nicht nur den ersten und bedeutendsten Lerngegenstand, sondern vor allem einen der zentralen Orte, an denen das Wort Gottes gehört werden kann. Die Bibel, obwohl für Bohne nicht mit dem Wort Gottes identisch,318 verweist auf Gottes unverfügbare Offenbarung, von 314 315
Bohne , Evangelische Religion, S. 69; 72. Schweitzer , Religion, S. 311. 316 B ohne , Evangelische Religion, S. 77 (Hervorhebung FD). 317 B ohne , Wort Gottes, S. 262. 318 Vgl. Gerhard B ohne: Religionsunterricht und religiöse Entscheidung, in: ZEvRU 41 (1930), S. 1–11 (Teil 1) und 49–58 (Teil 2). Bohne stellt in diesem Aufsatz klar: „Ich verstehe unter dem Wort Gottes nicht nur die Bibel. Überall, wo Gott dem Menschen vernehmlich wird, spricht er sein Wort. […] Gott spricht sein Wort, wenn hinter den menschlichen Tatsachen und
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der letztlich alles Gelingen des Lernens in Bezug auf den Glauben abhängt. Der Religionsunterricht hat hier die primäre Aufgabe, das Wort Gottes mithilfe des Bibelwortes im Unterricht zu Gehör zu bringen, ihm einen konkreten Raum zu eröffnen, in dem es verlauten und die Hörenden „in die Entscheidung“ rufen kann. Indem das Bibelwort „als ein den Menschen innerhalb seines Lernens und seiner Entwicklung konfrontierendes“319 zu Gehör kommt, vermag es den Schülerinnen und Schülern zur produktiven „Störung“320 zu werden. In dieser Grundüberzeugung Bohnes klingt ein hohes Maß an „Vertrauen in die Performanz der Tradition“ (Krit. 6) an. Dies kommt einem Leitgedanken performativer Religionsdidaktik nahe. Wie Bohne, so ist aus dem vorgestellten Kreis der performativen Didaktiker vor allem auch Bizer daran gelegen,321 dem Wort Gottes in der Bibel im Religionsunterricht Geltung zu verschaffen. Neben weiteren religiösen Ausdrucksgestalten identifiziert Bizer im Bibelwort das authentische Wort, mit dem sich die christliche Religion „selbst darstellt und vollzieht.“322 Diesem Wort räumt Bizer wie Bohne eine Mittelpunktstellung im Religionsunterricht ein. Bizers performativer Ansatz geht im Kern davon aus, dass die Bibel im Prozess des Verlautens dynamische, atmosphärische Räume eröffnet, in denen das verlautete Wort selbst wahr machen kann, wovon es spricht.323 Dort, wo das Wort der Bibel angemessen ausgesprochen und gehört wird, „konstituiert [es] das Gesprochene als Wirklichkeit“324 und offenbart darin die ihm eigene Performativität. Bei Bohne lässt sich demgegenüber zwar nicht von einer „Selbstwirksamkeit“325 der Bibel sprechen, wohl aber von einer performativ wirksamen Vermittlungsfunktion für Gottes Wort, die dem Bibelwort im Unterrichtsprozess zukommen kann. Für Bohne verweist die Bibel gemäß der Annahmen der frühen Dialektischen Theologie zuerst auf die Offenbarung Gottes als des „ganz Anderen“. Sein Religionsunterricht kommt dort zum Ziel, wo das im Unterricht ge- und besprochene Bibelwort den einzelnen Schülerinnen und Schülern „in der Entscheidung“ zum Wort Gottes wird. Insofern kann die Bibel im Unterricht zwar performative Kraft entfalten, aber nicht aus sich selbst heraus. Diesen Prozess versteht Bohne kategorisch als nicht durch menschliches Zutun beeinflussbar. Weder methodisch versierte Inszenierungen der Bibeltexte noch ansprechend gestaltete religiöse Erfahrungsräume können darauf Einfluss nehmen, ob für die Lernenden im Religionsunterricht aus dem Bibelwort ihr Gotteswort wird. Zusammenhängen […] mit einem Male der göttliche Zusammenhang aufleuchtet und dem Menschen verständlich wird.“ Ebd., S. 49 (Hervorhebung FD). 319 M eyer-Blanck , Geschichte, S. 122 („innerhalb“ im Original hervorgehoben). 320 B ohne , Wort Gottes, S. 105. 321 Vgl. § 1, Kap. 3.2.1.2 „Die authentische Selbstdarstellung von Religion im Unterricht“. 322 Bizer , Liturgik, S. 83 f. (im Original hervorgehoben). 323 Vgl. Bizer , Kirchliches, S. 26. 324 Bizer , Liturgik, S. 84. 325 Englert, Zwischenbilanz, S. 4.
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§ 3 Performative Elemente in der Geschichte der Religionsdidaktik
Zu dieser theologischen Grundeinsicht steht für Bohne typischerweise in gewisser Spannung, dass er ähnlich wie die performative Religionsdidaktik sehr an dem kulturellen Bedingungsgefüge interessiert ist, in dem die Bibel schulisch zu Wort kommt. Die didaktische Orientierung an der Entwicklungssituation der Lernenden sowie die Eröffnung lebensweltlicher Bezüge hat auch Bohnes Konzept schon deutlich im Blick. Um „in die Entscheidung vor Gott“ zu rufen, soll das Wort Gottes den Schülern nicht in beliebiger Form, sondern „in menschlicher Lebendigkeit und steter psychologischer Anknüpfung“326 an deren Verstehensmöglichkeiten gesagt werden. Obwohl kategorisch unverfügbar vollzieht sich auch das Wirksamwerden des Wortes Gottes in Bohnes Religionsunterricht nicht losgelöst von dessen Bedingungsgefüge. So offenbart sich Gott dem Menschen nach Bohne „nicht magisch supranatural, indem er sein Wort spricht, sondern er spricht es in menschlichen, in kausalen Zusammenhängen, durch Menschen und Tatsachen.“327 Auf diese Weise lässt auch Bohnes „Bibeldidaktik“ die grundsätzliche Spannung erkennen, in die er religiöses Lernen im öffentlichen Schulraum gestellt sieht: Der Religionsunterricht hat zum primären Ziel, den Schülerinnen und Schülern das Bibelwort zu sagen, damit es sie in die Entscheidung ruft und ihnen zum Glauben schaffenden Wort Gottes werden kann. Genau dieses primäre Ziel kann Religionsunterricht aber nicht selbst herbeiführen. Er kann dies auch dann nicht, wenn er Bohnes Konzept gemäß die Verkündigung des Bibelwortes im Zutrauen auf dessen potentielle Wirksamkeit didaktisch und methodisch ins Zentrum stellt.
2.6 Peter Biehl (1931–2006): Die Vermittlungsproblematik und das Symbol Peter Biehls religionsdidaktisches Wirken eignet sich in besonderer Weise als letzter Gegenstand dieses historischen Überblicks. Dies gilt in dreierlei Hinsicht: Zunächst führen sowohl Biehls Schriften als auch seine Berufsbiographie exemplarisch die Professionalisierung und Verwissenschaftlichung der Religionspädagogik vor Augen, die sich zwischen den hier betrachteten aufklärerischen Anfängen bis zu ihrer weitgehenden Etablierung als eigenständiger theologischer Disziplin in den 1970er Jahren vollzogen hat (1). Biehls Werk entspricht in neuer Komplexität dem Anspruch moderner Religionspädagogik, konzeptionelle Impulse theologisch fundiert wie pädagogisch anschlussfähig und nicht zuletzt in fachdidaktisch reflektierter Konkretion auszugestalten. Darüber hinaus leistet Biehl aus fachgeschichtlicher Perspektive Besonderes. Einerseits entwickelt er mit der „kritischen Symbolkunde“ eine zu seiner 326 327
Bohne , Wort Gottes, S. 107. Bohne , Religiöse Entscheidung, S. 50.
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Zeit überaus einflussreiche eigene religionspädagogische Konzeption. Andererseits sucht er seinen Beitrag zur religionspädagogischen Fortentwicklung aber in bemerkenswerter Weise nicht als allein gültiges Paradigma für den Religionsunterricht zu profilieren (2). Indem Biehl die Überführung bestimmter Konzeptionen in sich wechselseitig ergänzende „didaktische Strukturen“328 anmahnt, trägt er mit seinem komplementären Denkmodell wesentlich zur Überwindung religionsdidaktisch irreführender Alternativen bei. Schließlich zeigt Biehls Konzept in der Reihe der bisher dargestellten Ansätze die umfangreichste und ihrem Gehalt nach bedeutendste fachdidaktische Schnittmenge mit den Spielarten performativer Religionsdidaktik (3). Im Blick auf die Fragestellung dieser Arbeit und auf die starken Impulse, mit denen Biehl die Religionspädagogik des ausgehenden 20. Jahrhunderts beeinflusst hat, erscheint es geboten, dieses Konzept im Folgenden näher zu betrachten.
2.6.1 Religionsdidaktisches Profil Biehl entwickelt seine „kritische Symbolkunde“ in einer Zeit, die religionssoziologisch durch erhebliche Relevanzverluste der verfassten Kirchen im öffentlichen Leben und einen Rückgang der Partizipation von Kindern und Jugendlichen an institutionalisierten Formen christlich gelebten Glaubens geprägt ist. Obwohl der evangelische Religionsunterricht in den späten 1970er und 1980er Jahren insbesondere mit einem deutlichen Rückgang der Abmeldezahlen und der zunehmenden Etablierung in der gymnasialen Oberstufe eine „Phase der Konsolidierung“329 erlebt, wachsen gleichzeitig die Plausibilisierungsnöte hinsichtlich seines spezifisch christlich-religiösen Bildungsbeitrags. Ähnlich wie die performative Religionsdidaktik stellt schon die Symboldidaktik in ihrem „Ursprungsimpuls“ einen Versuch dar, „dem religiösen Traditionsabbruch mit didaktischen Mitteln entgegenzuwirken.“330 Die entscheidende Aufgabe, die hierbei Biehls theologisches und fachdidaktisches Denken gleichermaßen beschäftigt, ist die Vermittlung von theologischen Aussagen mit gegenwärtigen Erfahrungen, oder, in einem übergeordneten hermeneutischen Rahmen formu328 Von großer Bedeutung ist hierbei Biehls grundlegender Aufsatz im „Jahrbuch der Religionspädagogik“, in dem er auf charakteristisch-handlungsorientierende Weise mit den „traditionserschließenden“, „problemorientierten“ und „symboldidaktischen“ Strukturen auch gleich ein eigenes Tableau vorschlägt: P eter Biehl: Didaktische Strukturen des Religionsunterrichts, in: JRP 12 (1996), S. 197–223. 329 C hristian G rethlein: Vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Wiedervereinigung: Bundesrepublik Deutschland, in: Geschichte des evangelischen Religionsunterrichts in Deutschland. Ein Studienbuch, hg. v. R ainer Lachmann und Bernd Schröder , NeukirchenVluyn 2007, S. 268–298, 286. 330 Bernd S chröder : Was wurde aus der Symboldidaktik? Festvortrag angesichts der Verabschiedung von Rudolf Tammeus in den Ruhestand, gehalten im Religionspädagogischen Institut Loccum am 13. 07. 2012 (Skript liegt dem Vf. vor).
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§ 3 Performative Elemente in der Geschichte der Religionsdidaktik
liert: die Vermittlung von „Tradition“ und „Situation“.331 Biehls hermeneutische Leitfrage, wie Menschen heute angemessen von Gott sprechen können und auf welche Weise Gott anderseits zum heutigen Menschen spricht, bestimmt seine Berufsbiographie vom Studium bis in die letzte signifikante Überarbeitung seines symboldidaktischen Ansatzes.332 Biehl wird 1931 in Hamburg geboren. In seinem Elternhaus spielt Religion trotz des elterlichen Engagements in einer Gruppe der Evangelischen Jugend eine nachgeordnete Rolle hinter einem ausgeprägten kulturellen Interesse. So stellt Ingrid Wiedenroth-Gabler fest: „Während das Interesse an Literatur, Kunst und Musik [bei Biehl] lebensgeschichtlich verwurzelt ist, resultiert das religiöse und dezidiert theologische Interesse aus Krisen und Verlusterfahrungen, die ab 1943 durch den 2. Weltkrieg ausgelöst werden“333. Nach dem Abitur in Stade (1951) verzichtet Biehl auf einen Studienplatz für Medizin in Hamburg und nimmt stattdessen sein Theologiestudium an der Kirchlichen Hochschule Bethel auf. Später studiert er nacheinander in Tübingen, Zürich, Basel, Göttingen und Marburg und damit an den wichtigsten Wirkungsorten der diskursbildenden Theologen seiner Zeit. Als erstem prägenden theologischen Lehrer begegnet Biehl in Tübingen Ernst Fuchs. Dessen Charakterisierung der Mitteilung des Gotteswortes als unverfügbares Sprachereignis regt Biehls oben skizzierte Leitfrage mit an.334 Innerhalb seines Studiums bringt aber vor allem das Wintersemester 1953/54 eine Schärfung seiner Fragestellung. Biehl pendelt in dieser Zeit zwischen Zürich, wo Rudolf Bultmann eine Vertretungsprofessur übernommen hatte, und Basel hin und her. So kann er zeitgleich an Seminaren und Vorlesungen bei Bultmann und Barth teilnehmen. Zu beiden ergeben sich persönliche Kontakte. Insbesondere Bultmanns Bemühen um Entmythologisierung der neutestamentlichen Texte prägt Biehls hermeneutischen Ansatz in dieser Zeit und darüber hinaus. Noch über 40 Jahre später kann Bizer in seiner „ungehaltenen Rede für einen Freund“ zu Biehl sagen: „Dein Weg zur Symboldidaktik und was Du daraus gemacht hast, ist für mich ohne Deine Anfänge im Seminar Bultmanns 331 Vgl. S chröder , Symboldidaktik (Vortrag 13. 07. 2012); M eyer-Blanck , Geschichte, S. 251. 332 Vgl. P eter Biehl: Festsymbole. Zum Beispiel: Ostern. Kreative Wahrnehmung als Ort der Symboldidaktik, Neukirchen-Vluyn 1999, v. a. S. 1–23. 333 I ngrid Wiedenroth-Gabler : Religionspädagogische Konzeptentwicklung zwischen Integration und Pluralität. Exemplarische Untersuchungen zu Peter Biehls Ansatz, Religionspädagogische Kontexte und Konzepte 8, Münster u. a. 2003, S. 51. 334 Vgl. ebd., S. 53; C hristoph Bizer : Peter Biehl – der Religionspädagoge, der ‚alte Marburger‘ und Loccumer. Eine ungehaltene Rede für einen Freund, schriftlich vorgelegt, in: Hermeneutik – Symbol – Bildung. Perspektiven der Religionspädagogik seit 1945, hg. v. Bernhard Dressler , Friedrich Johannsen und Rudolf Tammeus, Neukirchen-Vluyn 1999, S. 15–26, 19. Fuchs schätzt seinerseits bereits den jungen Studenten Biehl. Er fördert u. a. die Aufnahme Biehls in die „Studienstiftung des Deutschen Volkes“.
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nicht zu verstehen.“335 Drei Jahre später wechselt Biehl nach Marburg und wird dort Bultmanns Assistent. Einen wichtigen akademischen Impuls erhält Biehl in dieser Phase auch beim Studium der Predigtlehre des emeritierten Göttinger Systematikers Friedrich Gogarten, die zu einer stärkeren Wahrnehmung der realen Hörersituation auffordert.336 Für die Marburger Jahre schätzt Biehl zudem rückblickend seine sozialpädagogische Tätigkeit als Leiter eines Jugendwohnheims als besonders prägend ein.337 In den dort gestalteten Wochenschlussandachten versucht Biehl unterschiedliche Lebenssituationen und Lebensprobleme der Bewohner mit biblischen Texten in Beziehung. Dies geschieht bei ihm nicht in der bisher üblichen Weise, indem er Ergebnisse der Textauslegung auf die Lebenswelt der Jugendlichen überträgt oder „anwendet“, vielmehr verfährt Biehl umgekehrt: „Er schließt von der Wirklichkeit mit den Alltagserfahrungen auf die zentralen Grunderfahrungen, die aufgrund ihrer Analogie die ‚Brücke‘ zu den biblischen Texten bilden können.“338 Hier begegnet bereits eine frühe praktische Realisation des „Erfahrungsbezugs“339, der für Biehls Symbolverständnis und Religionsdidaktik konstitutiv bleibt. Der Begriff „Erfahrung“ wird ein gutes Jahrzehnt später zur zentralen Leitkategorie des religionspädagogischen Diskurses aufsteigen (ca. von 1975–1990)340 und einseitig problemorientierte Entwürfe mit den „alten Fragen der hermeneutischen Theologie“ konfrontieren.341 Nach Abschluss der theologischen Ausbildung mit dem 2. theologischen Examen (1962) erhält Biehl umgehend eine Stelle als Dozent am Religionspädagogischen Institut Loccum, die vor ihm Ingo Baldermann bekleidet hatte. Während seiner Loccumer Jahre erlebt Biehl das Aufkommen der Problemorientierung in unmittelbarer Nähe, beschäftigt sich aber auch mit den von Martin 335 Bizer , Peter Biehl, S. 18. Die oben bereits zitierte „Rede“ legt Bizer schriftlich vor, weil er aus gesundheitlichen Gründen eine angedachte Festrede anlässlich der Emeritierung Biehls (1997) nicht halten konnte. 336 Vgl. Wiedenroth-Gabler , Konzeptentwicklung, S. 54. 337 Vgl. P eter Biehl: Autobiographische Miniaturen: Ein Beitrag zur kommunikativen Religionspädagogik. Lebenswege – Denkwege – Leidenswege, AHRp 5, Jena 2006, S. 66–75. 338 Wiedenroth-Gabler , Konzeptentwicklung, S. 54. Solche „Alltagserfahrungen“ konnten unterrichtlichen Erlebnissen aus der Lebenswelt entspringen. Biehl benennt mit Bezug zu dieser Tätigkeit beispielhaft die Themen „Zeit/Freizeit, Macht/Geltung, Anerkennung, Kleidung, Freundschaft“ sowie „zuweilen […] eine konkrete Konfliktsituation“. P eter Biehl , zit. nach: M eyer-Blanck , Geschichte, S. 254. 339 Vgl. hierzu Biehls Grundlegung der „kritischen Symbolkunde“ in dem Aufsatz: P eter Biehl: Erfahrungsbezug und Symboldidaktik. Überlegungen zum Vermittlungsproblem in der Religionspädagogik, in: Erfahrung – Symbol – Glaube. Grundfragen des Religionsunterrichts, hg. v. dems. und Georg Baudler , Frankfurt a. M. 1980, S. 37–121. 340 Diesen Zeitraum schlägt M eyer-Blanck , Geschichte, S. 256 vor; vgl. auch S chrö der , Symboldidaktik (Vortrag 13. 07. 2012). 341 M eyer-Blanck , Geschichte, S. 256. Besonders präzise arbeitet Biehl selbst eine solche Konfrontation aus. Vgl. P eter Biehl: Erfahrung, Glaube und Bildung. Studien zu einer erfahrungsbezogenen Religionspädagogik, Gütersloh 1991, darin v. a. S. 15–52.
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Stallmann, Gert Otto und Hans Stock342 entwickelten Konzepten des hermeneutischen Unterrichts, vor allem mit dessen besonderer Ausprägung in Stallmanns „Hermeneutik des Daseins“.343 Hier kann Biehl auf wichtige Einsichten seiner theologischen Lehrer Bultmann und Fuchs zurückgreifen. Schon in Loccum deutet sich an, dass Biehl die konzeptionellen Entwürfe seiner Zeit nicht in einem sich ausschließenden Gegeneinander, sondern in einem komplementären Miteinander versteht. Dabei fragt er insbesondere nach dem jeweiligen produktiven Beitrag für den Religionsunterricht. So steht seine Religionsdidaktik auch für einen Versuch, Gräben im religionspädagogischen Diskurs zu überwinden. Im Jahr 1970 wird Biehl während der Hochphase der Studentenbewegung als Nachfolger Stallmanns an die Göttinger Pädagogische Hochschule berufen, wo er bis zu seiner Emeritierung 1996 als Professor lehrt. Bereits im Jahr 1980, also neun Jahre vor Erscheinen des ersten Bandes von Biehls Werksammlung „Symbole geben zu lernen“344, legt er einen wegweisenden, programmatischen Aufsatz zur Symboldidaktik vor. Darin beschreibt er bereits deren wesentliche fachdidaktische Grundlagen. In differenzierter Auseinandersetzung mit dem Symbolverständnis bei Paul Tillich und Paul Ricœur profiliert Biehl hier das Symbol als seine alles entscheidende, unterrichtlich zu nutzende Denkfigur und Vermittlungskategorie. Als „Hilfe zur Bewältigung und Deutung von Erfahrung“345 traut Biehl dem Symbol zu, die Brücke zwischen der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen und der Welt der Religion zu schlagen.346 Hierzu sind im Religionsunterricht die „dem Schüler aus der Alltagswelt geläufigen Symbole zur Geltung zu bringen, damit die provozierende, alternatives Denken auslösende Kraft der christlichen Symbole herausgearbeitet werden kann.“347 Dabei geht es Biehl nicht um eine „Alphabetisierung des Symbolsinns“348, wie der katholische Religionspädagoge Hubertus Halbfas das Ziel seiner zwei Jahre später entwickelten Symboldidaktik umreißt. Biehls Symboldidaktik intendiert stattdessen, dass in der Auseinandersetzung mit Symbolen „der Streit um die Auslegung der Wirklichkeit ausgelöst wird“349. Dieses Anliegen hat Biehl in den drei Bänden zur Symboldidaktik von 1989, 1993 und 1999 in Zusammenarbeit mit seiner Göttinger „Projektgruppe Sym342 Vgl.
Biehl , Autobiographische Miniaturen, S. 141 f. 343 Vgl. Wiedenroth-Gabler , Konzeptentwicklung, S. 55. 344 P eter Biehl: Symbole geben zu lernen I. Einführung in die Symboldidaktik der Symbole Hand, Haus und Weg, WdL 6, Neukirchen-Vluyn 32002. 345 Biehl , Erfahrungsbezug, S. 53. 346 Vgl. P eter Biehl / M artin Rothgangel:
anhand
Konzeptionen und Strukturen, in: Religion in der Sekundarstufe II. Ein Kompendium, hg. v. M ichael Wermke u. a., Göttingen 2006, S, 183–218, 200. 347 Biehl , Erfahrungsbezug, S. 97. 348 Hubertus H albfas: Das dritte Auge. Religionsdidaktische Anstöße, Düsseldorf 1982, S. 118. 349 Biehl , Symbole geben zu lernen I, S. 176.
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boldidaktik“350 umfangreich theoretisch vertieft und handlungsorientierend konkretisiert. Die hier dargelegte Didaktik identifiziert die „Symbole als in den Religionen verbreitete Deuteform für Erfahrung“351, mit deren Hilfe tradierte Religion und individuelle Erfahrung in ein kritisches Verhältnis zueinander gesetzt werden können. Symbole sind dabei auf ein geschichtliches Ereignis, authentische Sinneseindrücke oder auch ein persönliches Erlebnis bezogen und stellen hierzu Interpretationsmöglichkeiten bereit. Sie bieten keine beliebigen Interpretationen an, sondern solche, die zu dem zugrunde liegenden Sinneseindruck in nicht-arbiträrer Beziehung stehen, die also einerseits von einer Kommunikationsgemeinschaft geteilt werden und andererseits der Mehrdeutigkeit und Ambivalenz ihres Bezugspunktes Ausdruck verleihen.352 Zwischen der materialen Beschaffenheit von Symbolen und den ihr übertragenen Bedeutungen besteht ein nicht willkürlicher Zusammenhang, ein Verhältnis der Repräsentanz: „Es wird also nicht nur auf etwas verwiesen; sondern das, worauf verwiesen wird, wird zugleich verkörpert und verbürgt.“353 Gerade für diese nicht beliebige, repräsentierende Verbindung, die Biehl zwischen Symbol und Symbolisiertem, zwischen Zeichen und Objekt annimmt, ist die Symboldidaktik später vor allem unter Bezugnahme auf semiotische Theorien grundsätzlich kritisiert worden.354 Obwohl Biehl in seinen späteren Veröffentlichungen mehrfach auf die Kritik Bezug nimmt und sogar die veränderte Bezeichnung „Symbol-Zeichen“355 vorschlägt, zielt Biehls Didaktik ihrem Wesen nach darauf, die Symbole als „Zeichen besonderer Qualität“356 zu verstehen, von denen es nicht unendlich viele gibt und die nicht auf beliebige Bezugspunkte, sondern auf solche Ereignisse, Sinneseindrücke und Erlebnisse bezogen sind, die sich in sozialer, individueller und religiöser Sicht als wesentlich und bedeutsam erwiesen haben und noch erweisen. Gerade darin sieht auch Bernd Schröder ihr religionsdidaktisches Potential: „Diese Unterscheidbarkeit der ‚Symbole‘ [genauer: der ‚Symbole‘ genannten Zeichen] von der unendlichen Vielzahl weiterer Zeichen ist […] die conditio sine qua non einer Symboldidaktik.“357 Der „Streit um die Auslegung der Wirklichkeit“, den sie 350 Vgl. Biehl , Autobiographische Miniaturen, S. 87–89. Biehl stellt hier u. a. die unterschiedlichen personellen Zusammensetzungen und Aufgaben dar. 351 S chröder , Symboldidaktik (Vortrag 13. 07. 2012). 352 Vgl. ebd.; Biehl , Symbole geben zu lernen 1, S. 46 ff. 353 Biehl , Symbole geben zu lernen I, S. 47. 354 Die semiotische Kritik der Symboldidaktik wird grundgelegt in M eyer-Blanck , Vom Symbol zum Zeichen. Vgl. auch Bernhard Dressler / M ichael M eyer-Blanck (Hg.): Religion zeigen. Religionspädagogik und Semiotik, Münster 1998. 355 Vgl. z. B. Biehl , Festsymbole, S. 15. In einem Exkurs seiner Göttinger Dissertationsschrift erarbeitet Johannes Kubik eine umfangreiche „systematische Analyse der Kritikpunkte Meyer-Blancks“ inklusive einer engagierten Zurückweisung der semiotischen Kritik. Vgl. Kubik , Tillich und die Religionspädagogik, S. 164–176. 356 S chröder , Symboldidaktik (Vortrag 13. 07. 2012; Hervorhebung FD). 357 Ebd.
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§ 3 Performative Elemente in der Geschichte der Religionsdidaktik
auslösen können, lässt in Biehls Konzept neue kritisch zu prüfende Fragen in das Zentrum des Religionsunterrichts rücken: „Welchen Symbolen können wir wirklich vertrauen? Welche Symbole erweisen sich am Ende als wahr, die Symbole des ‚Habens‘, der Macht, der Herrschaft, des Konsumismus oder die Symbole des ‚Seins‘, der Liebe, der Hoffnung, des Glaubens?“358 In kritischer Auseinandersetzung mit solchen Fragen anhand von Symbolen erhofft sich Biehls Religionsdidaktik, letztlich den „Wahrnehmungshorizont für das Verständnis des Evangeliums“359 zu eröffnen und so die Vermittlung von „Tradition“ und „Situation“ unterrichtlich zu gestalten. In Bezug auf die methodischen Konkretionen hat Biehls „kritische Symbolkunde“ neue Maßstäbe gesetzt. Biehl fordert eine flexible, kreative und ganzheitliche Methodik für den Religionsunterricht und schlägt in Zusammenarbeit mit seiner Göttinger „Projektgruppe“ auch selbst eine bemerkenswerte Fülle entsprechender Lernarrangements vor.360 Bibliodrama, Pantomime, unterschiedliche Spielformen, Erzählformen, Meditation und sogar Tanz kann sich Biehl hierbei als zielführende Verfahren vorstellen. Im dritten und letzten Band zur „kritischen Symbolkunde“ beschreibt Biehl „idealtypisch die ‚Bauform‘ symboldidaktisch konzipierter Lernprozesse.“361 Hier stellt Biehl fünf Schritte vor, die es zwar nicht zwingend schematisch nacheinander abzuarbeiten gilt, die aber als orientierendes Grundmuster für symboldidaktische „Inszenierungen“362 von Religionsunterricht auf praktische Umsetzung hin angelegt sind. Am Beginn des symboldidaktischen Lernprozesses wird ein „überraschender, ganzheitlicher […] Zugang ermöglicht“363, um ein Phänomen aus der 358 359
Biehl , Symbole geben zu lernen I, S. 176. Ebd. 360 So sind alle drei Monographien zur Symboldidaktik mit jeweils umfangreichen Unterrichtsvorschlägen und Materialien versehen. Sämtliche Entwürfe sind dabei von Tammeus, Hinze, Tiedemann (s. o.) und anderen in unterschiedlichen Settings erprobt und auf ihre Praxistauglichkeit hin in der Gruppe besprochen worden. M. E. hat nicht zuletzt diese ungewöhnliche Nähe zur tatsächlichen Unterrichtswirklichkeit die Breitenwirksamkeit von Biehls Konzept erheblich befördert. Vgl. zur Arbeitsweise der „Projektgruppen“ und insbesondere zur Rolle des damaligen Göttinger Fachleiters Rudolf Tammeus Dinger , Florian / Schröder , Bernd: Religiöse Bildung entdecken, verstehen und gestalten – Rudolf Tammeus (*1948), in: Göttinger Religionspädagogik. Eine Studie zur institutionellen Genese und programmatischen Entfaltung von Katechetik und Religionspädagogik am Beispiel Göttingen, hg. v. Bernd Schröder , PThGG 25, Tübingen 2018, S. 353–369. 361 Biehl , Festsymbole, S. 106. Diese Auflistung findet sich annähernd im selben Wortlaut auch abgedruckt in Biehl / Rothgangel , Konzeptionen und Strukturen, S. 203 f. 362 Biehl , Festsymbole, S. 106. 363 Ebd. Das Moment der Wahrnehmungs- und damit Religionssensibilisierung bringt Gräb auf den Punkt: „Religionsunterricht als kritische Symbolkunde versucht Schüler und Schülerinnen für die kulturell und gesellschaftlich alltägliche Religion zu sensibilisieren und zu einem kritischen Verhältnis ihrer zeichenhaft vermittelten Sinnvorgaben und Deutungsgehalte anzuleiten.“ Wilhelm Gräb: Die Göttinger Religionspädagogik, in: Hermeneutik – Symbol – Bildung, hg. v. Bernhard Dressler , Friedrich Johannsen und Rudolf Tammeus, Neukirchen-Vluyn 1999, S. 27–42, 41.
2 Performative Elemente in der Religionsdidaktik seit der Aufklärung
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Alltagswelt oder ein religiöses Symbol allererst wahrzunehmen (1). Im zweiten Lernschritt kommt die Brückenfunktion des Symbols zum Tragen, wenn mit dessen Hilfe „die lebensweltlichen Erfahrungen und Wahrnehmungen auf menschliche Grunderfahrungen hin konzentriert“364 und von dort sogleich wieder zurückbezogen werden (2). Im anschließenden „selbsttätigen Umgang mit dem Symbol“ geht es um Zugänge zu „umfassenderen [religiösen] Dimensionen menschlicher Wahrnehmung und Erfahrung“365 sowie um die Selbstartikulation der Lernenden (3). Indem Schülerinnen und Schüler etwa ihr Leben als „Weg“ oder „Fluss“ darstellen, wird ihnen dabei das Leben selbst zu einem fragmentarisch gestalteten Gebilde.366 Viertens kann die erschlossene anthropologische oder religiöse Bedeutung von Symbolen auf einen theologischen Sinn hin transparent werden, etwa durch Herstellen von Bezügen zwischen selbst gestalteten Produkten und der biblischen Überlieferung (4). Am Schluss steht erneut ein kreativer Handlungsvollzug, wenn die im Lernprozess gewonnenen Erfahrungen „in einer Gestaltungsaufgabe oder in einem Handlungsvollzug ‚aufgehoben‘“367 werden (5). Obwohl diese Folge von fünf Schritten nicht statisch zu verstehen ist, zeigt sie doch sehr plastisch, wie Biehl sich symboldidaktische Lernprozesse im Religionsunterricht konkret vorstellt: „Charakteristisch für die symboldidaktische Struktur ist der Verlauf von der ganzheitlichen Erschließung des Symbolsinns zur kritischen Interpretation und von einem interaktiv-interpretierenden Umgang zurück zu einer Gestaltungsaufgabe oder einem Handlungsvollzug, in dem wieder der Körper mit allen Sinnen beansprucht wird.“368 Diese Bausteine verweisen exemplarisch auf die integrative Kraft von Biehls religionsdidaktischem Ansatz. Es geht Biehl um ein Neben- und nicht Gegeneinander von Gestalten und Reflektieren, von verantwortlicher theologischer Deutung und kreativ-offener Auseinandersetzung mit Bezügen zur Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler. Ein Nebeneinander von religiöser Subjektivität und religiöser Überlieferung. In seinem Bemühen um Vermittlung bringt Biehl entscheidende fachdidaktische Innovationen ein, an denen sich nicht zuletzt die Spielarten performativer Religionsdidaktik zu orientieren haben.
2.6.2 Vergleichsmomente Schon im Zuge der Darstellung von Biehls religionsdidaktischem Profil ist an mehreren Stellen die Nähe seines Ansatzes zur performativen Religionsdidaktik angeklungen. Im Folgenden gilt es, diese Übereinstimmungen, aber auch die 364
Biehl , Festsymbole, S. 106. 365 Ebd. 366 Vgl. ebd., S. 107. Biehl schreibt
an dieser Stelle: „Das Leben wird ihnen dabei selbst zum Problem“ (Hervorhebung FD). Er verweist damit auf die unmittelbar darauffolgende Verbindung zur problemorientierten Struktur. 367 Ebd., S. 107. 368 Ebd., S. 108 (bis auf den letzten Nebensatz im Original hervorgehoben).
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durchaus vorhandenen Unterschiede mithilfe der eingangs erarbeiteten Kriterien genauer in den Blick zu nehmen. Biehls „kritische Symbolkunde“ zeichnet zuerst ihr Bemühen um Vermittlung zwischen religiöser Subjektivität und religiöser Überlieferung aus. Um diese Vermittlung religionsdidaktisch zu inszenieren, sieht Biehls Konzept vor, die Schülerinnen und Schüler in „Kontakt mit Formen gelebter Religion“ (Krit. 1) treten zu lassen. Obwohl die performativen Entwürfe den Bereich der Wahrnehmung des Christentums anhand seiner liturgischen, biblischen und rituellen Ausdruckgestalten noch deutlicher in ihr Zentrum stellen, hat auch Biehls Symboldidaktik entsprechende Begegnungen im Blick. Gerade christliche Rituale, die Biehl als „darstellende Symbolhandlungen“369 versteht, gewinnen im Entwicklungsverlauf der „kritischen Symbolkunde“ zunehmend an Bedeutung. Diese Beobachtung stützt nicht zuletzt der Untertitel des 1993 erstmals erschienenen zweiten Bandes von „Symbole geben zu lernen“. Dort kündigt Biehl neben „Beiträgen zur Symboldidaktik“ auch solche zur „Sakramentaldidaktik“370 an. Unterrichtspraktisch realisiert Biehl dieses Nebeneinander, indem das Symbol „Brot“ zum Abendmahl sowie das Symbol „Wasser“ zur Taufe in Beziehung gesetzt werden. Ähnliches gilt für Biehls dritte Monographie zur Symboldidaktik. Dort werden die rituellen Dimensionen des Osterfestes mit dem Symbol der „Auferstehung“ didaktisch verschränkt. Die kreative Wahrnehmung gilt hierbei sowohl für Biehl als auch für sämtliche der performativen Ansätze als der geeignete Modus der unterrichtlichen Begegnung. Folglich stehen Biehls „kritische Symbolkunde“ und heutige performative Religionsdidaktik in deckungsgleicher Klarheit für die „Ablehnung primär kognitiv ausgerichteter Unterrichtsmethodik“ (Krit. 2). Unmissverständlich konstatiert Biehl die religionsdidaktische Notwendigkeit, sinnlich-assoziative Verfahren zur kreativen Auseinandersetzung mit Symbolen den analytisch-interpretierenden Phasen vorzuschalten: „Ein didaktisch angemessener Umgang mit Symbolen erfordert, daß die Erschließung des Symbolsinns durch Formen ganzheitlicher Kommunikation der Symbolinterpretation vorausgeht.“371 Bevor über theologische Sinngehalte der eingespielten religiösen Ausdrucksformen sachgemäß gesprochen werden kann, bedarf es demnach unbedingt einer kreativen Annäherung der Schülerinnen und Schüler an jene „eigenen Wort[e]“372 der Religion. In diesem Zusammenhang spielen auch die vergleichbaren religionsdidaktischen Ausgangslagen der beiden Ansätze eine Rolle. Der Traditionsabbruch stellt nicht nur für die Verfechter einer performativen Religi369
P eter Biehl: Symbole geben zu lernen II. Zum Beispiel: Brot, Wasser und Kreuz. Beiträge zur Symbol- und Sakramentaldidaktik, WdL 9, Neukirchen-Vluyn 1993, S. 227. 370 Ebd., v. a. S. 225–306. 371 Biehl , Symbole geben zu lernen I, S. 185 (im Original nur „-interpretation“ hervorgehoben). 372 Bizer , Liturgik, S. 83.
2 Performative Elemente in der Religionsdidaktik seit der Aufklärung
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onsdidaktik den entscheidenden Ausgangsimpuls dar, sondern steht schon Biehl deutlich vor Augen. Kreativen Methoden wird offenbar in besonderer Weise zugetraut, auch solchen Schülerinnen und Schülern religionsdidaktische Zugänge zu Formen religiöser Kommunikation zu eröffnen, denen ein solcher Umgang zunächst fremd ist. Aus fachgeschichtlicher Sicht ist die Etablierung der vielfältigen kreativen Methoden im Religionsunterricht reichlicher Anregung durch die Symboldidaktik zu verdanken. Obwohl die performativen Religionsdidaktiker im methodischen Bereich ebenfalls zu einer weiteren Diversifizierung beitragen – man denke nur an die aufwendigen Inszenierungstechniken von Klie oder die vielfältigen Einfühlungsverfahren von Zilleßen – wird Biehls „kritischer Symbolkunde“ mit ihrem charakteristischen Blick auf die Gestaltwerdung ihrer Vorgaben im Unterricht der entscheidende Impuls zu einer methodischen Wende in der Geschichte des Religionsunterrichts zugeschrieben.373 Biehls Vorschlag, im Zuge symboldidaktischer Lernarrangements „Probehandeln im Modus von Perspektivenwechseln“ (Krit. 3) zu ermöglichen, ist eng mit seinen methodischen Innovationen verknüpft. Zwar begegnen weder die Begriffe „Probehandeln“ noch „Perspektivenwechsel“ als didaktische Leitkategorien seines Konzeptes. Dennoch zeigt die „kritische Symbolkunde“ unübersehbare Ansätze in eine vergleichbare Richtung. Symbole geben nach Biehl „einen Erfahrungsraum vor, der dazu einlädt, ihn durch individuelle, soziale und mitkreatürliche Erfahrungen auszugestalten und dadurch wohnlich zu machen.“374 Indem sich Schülerinnen und Schüler darauf einlassen, diesen Raum probeweise aufzusuchen und sich darin selbst gestaltend einbringen, können sie die in Symbolen verdichteten Erfahrungen auf ihre gegenwärtige Relevanz hin befragen und so mit den individuell-gegenwärtigen Alltagserfahrungen in ein Spannungsverhältnis setzen. Symboldidaktische Lernarrangements eröffnen die Möglichkeit zur spielerischen Einfühlung in tradierte religiöse Erfahrungsräume. Dies impliziert den Wechsel von Perspektiven. Von einer Didaktik der „gewusste[n] Perspektivität“375, in der das sachgemäße Unterscheiden zwischen Perspektiven das zentrale Ziel religionsunterrichtlicher Lernprozesse darstellt, kann bei Biehl hingegen nicht gesprochen werden. Abschließend fällt ähnlich wie bei den evangelischen Entwürfen performativer Didaktik auch bei Biehl auf, dass Schülerinnen und Schüler dazu angeregt werden, „religiöse Ausdrucksformen zu transformieren“ (Krit. 5). Für Biehl fungiert das Prinzip wechselseitiger Erschließung von Subjekt und Objekt als integraler Faktor seiner „kritischen Symbolkunde“. Dazu gehört konstitutiv, 373
Vgl. z. B. Schröder , Symboldidaktik (Vortrag 13. 07. 2012); Wiedenroth-Gabler , Konzeptentwicklung, v. a. S. 129–131. Vgl. hierzu auch § 4, Kap. 2. „Performative Lernsettings und die Erweiterung des religionsdidaktischen Methodenspektrums“. 374 Biehl , Symbole geben zu lernen II, S. 225. 375 D ressler , Performanz und Kompetenz, S. 29; vgl. § 1, Kap. 3.1.1.4 „Die Herausforderung der Übergänge“.
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§ 3 Performative Elemente in der Geschichte der Religionsdidaktik
dass Schülerinnen und Schüler in kreativer Auseinandersetzung mit Symbolen und Ritualen auch selbst gestalterisch tätig werden und die tradierten Ausdrucksformen auf diese Weise überarbeiten. Für Biehl kann erst dann von „bildender Wirkung religiöser Symbole […] gesprochen werden, wenn Kinder und Jugendliche sich mit ihrer Hilfe verständigen und sie selbsttätig zur Deutung ihrer Lebensgeschichte und Lebenswelt in Anspruch nehmen.“376 Im Modus der Inanspruchnahme vorgegebener Ausdrucksformen entwickeln die Lernenden eigene Formen des religiösen Selbstausdrucks. Hierbei nehmen sie expressive Potentiale auf, die Symbolen von vornherein innewohnen.377 Als Beispiel für eine solche Transformation kann etwa eine selbst gestaltete Kreuzesdarstellung gelten, in der Schülerinnen und Schüler im Zuge einer symboldidaktischen Unterrichtsreihe zum Thema „Kreuz und Auferstehung“ ihre eigenen Wahrnehmungen und Erfahrungen zum Ausdruck bringen. Das eigene Gestalten religiöser Ausdrucksformen begründet Biehl mit den didaktischen Prinzipien der Handlungsorientierung und Selbsttätigkeit, die performative Entwürfe in vergleichbarer Weise prägen. Nicht zuletzt darin erweist sich die „kritische Symbolkunde“ Biehls, die Bizer wertschätzend als „legitime Frucht vom Baum der Marburger Hermeneutik“378 bezeichnet, gleichsam als konzeptionelle Wegbereiterin einer performativen Religionsdidaktik.
3 Zwischenfazit Die historische Analyse hat bereits in früheren religionsdidaktischen Entwürfen Analogien zu zentralen Intentionen, Forderungen und methodischen Anstößen performativer Religionsdidaktik aufgezeigt. Die wesentlichen Anliegen, christliche Religion anhand ihrer sinnlich wahrnehmbaren Außenseiten zu erschließen und Formen der individuellen Auseinandersetzung mit gelebter Religion zu gestalten, begegnen in der christlichen Bildungsgeschichte seit ihren Ursprüngen. Darüber hinaus hat die Untersuchung allerdings auch belegt, dass keiner der hier dargestellten Entwürfe sämtliche der oben herausgearbeiteten Elemente performativer Religionsdidaktik enthält: Stets waren auch gewichtige fachdidaktische Unterschiede zu bemerken. Insofern stellen die Spielarten performativer Religionsdidaktik durchaus einen innovativen Neuansatz religiösen Lehrens und Lernens dar; allerdings bleiben diese „neuen“ Ansätze mit wesentlichen Merkmalen der christlichen Bildungstradition aus zwei Jahrtausenden eng verbunden. Diese These soll im Folgenden entlang der eingangs entwickel376
Biehl , Festsymbole, S. 132. 377 Vgl. Biehl , Symbole geben
zu lernen I, S. 178. Auch religiöse Rituale zeichnen sich nach Biehl durch ihren „expressiven Charakter“ aus. Vgl. Biehl , Symbole geben zu lernen II, S. 230. 378 Bizer , Peter Biehl, S. 18.
3 Zwischenfazit
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ten und bereits in den Einzelanalysen angewandten Kriterien zusammenfassend präzisiert werden. Das performativ-didaktische Bestreben, Schülerinnen und Schülern im Religionsunterricht mit Formen gelebter Religion in Kontakt treten zu lassen (1. Kriterium), knüpft an eine lange Tradition christlicher Bildungsbemühungen an. Frühformen unterrichtlich organisierter Heranführung an die religiösen Ausdrucksgestalten zeigen sich schon in den liturgischen Einübungsverfahren der Traditio Apostolica, die insbesondere das Kennenlernen und eigene Verwenden der praktischen Vollzugselemente des christlichen Glaubens als wesentliches Bildungsziel hervorhebt. Auch für Martin Luther gehört die lebenslange Auseinandersetzung mit den „leiblich eusserlich zeichen“379, den wahrnehmbaren Außenseiten der christlichen Religion, zu den Kernmerkmalen der fortdauernden Bildung eines jeden mündigen Christen. Obwohl diese beiden Beispiele jeweils noch keinen schulförmigen Religionsunterricht an einer staatlichen Bildungseinrichtung vor Augen haben, unterstreichen sie exemplarisch die wesentliche Bedeutung, die dem Lernen an und mit den wahrnehmbaren Formen gelebten Glaubens in der christlichen Bildungsgeschichte zukommt. Christian Gotthilf Salzmann integriert die Ingebrauchnahme bestimmter religiöser Ausdrucksgestalten in das pädagogische Konzept einer allgemeinbildenden Schule. Dabei prägen rituell-liturgische Elemente weniger den Religionsunterricht in Salzmanns Einrichtung in Schnepfenthal als vielmehr das dortige außerunterrichtliche Schulleben. Hier begegnet ein frühes (religions‑) pädagogisches Konzept zur Heranführung an Erscheinungsformen eines praktisch gelebten Christentums außerhalb der Lernorte Gemeinde und Familie.380 Im Unterschied zu performativen Lernsettings setzt Salzmann den didaktischen Schwerpunkt nicht auf das unverbindliche Ausprobieren religiöser Ausdrucksformen, sondern auf die Performativität schulisch-religiöser Rituale, die im Dienst des allgemeinpädagogischen Ziels stehen, die Gesinnungsbildung der Lernenden zu fördern. In Bezug auf dieses erste Kriterium steht die „kritische Symbolkunde“ Peter Biehls den Spielarten performativer Religionsdidaktik näher: Hier wie dort markiert die kreative und vor allem unverbindliche Wahrnehmung des Christentums anhand seiner liturgischen, biblischen und rituellen Ausdrucksgestalten ein wesentliches fachdidaktisches Interesse. Das angesichts der Ergebnisse der historischen Analyse wohl am wenigsten innovative Merkmal performativer Religionsdidaktik ist die Ablehnung primär kognitiv ausgerichteter Unterrichtsmethodik (2. Kriterium). So versteht bereits 379 Luther , WA 16, S. 209. 380 Hier nicht eigens berücksichtigte
Sonderfälle stellen beispielsweise großkirchlich geschützte Lernorte wie Pilgerfahrten nach Jerusalem und Rom oder das Gemeinschaftsleben in Klöstern und auf Wallfahrten dar. Auch hier dürfte es außerordentliche bzw. „unordentliche“ Formen religiösen Lernens gegeben haben, wie sie ähnlich bis heute nicht zuletzt auch auf Kirchentagen zu finden sind. Vgl. Schröder , Religionspädagogik, S. 51–60 und 513–521.
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§ 3 Performative Elemente in der Geschichte der Religionsdidaktik
Ignatius von Loyola religiöse Bildung als ganzheitliches Unternehmen, das Formen des leiblichen Lernens wie auch szenisch veranschaulichende Verfahren als wesentliche Elemente einer entsprechenden Methodik berücksichtigt. In Ansätzen taucht die Kritik an ausschließlich kognitiv ausgerichteten Verfahren schon bei Salzmann auf, wird dann aber spätestens von Richard Kabisch, Otto Eberhard und Biehl vehement vorgetragen. Performative Religionsdidaktik nennt solche Verfahren abwertend „Reden über Religion“381. Angesichts dieser Beobachtung scheint der kritische Einwand von Gabriele Obst berechtigt, die performativ-didaktischen Ansätze zeichneten ein geradezu karikierendes Bild eines „text- und kognitionslastigen Religionsunterrichts“382, ohne entsprechende vorherige Bemühungen in der Geschichte der Religionsdidaktik hinreichend zu berücksichtigen. Für Kabisch etwa steht bereits knapp hundert Jahre früher außer Frage, dass es „im Religionsunterricht nie und nirgend (sic!) um bloßes Wissen“383 geht und gerade die Methodik dieses Unterrichts dazu beitragen muss, die performative Kraft religiöser Lerngegenstände am eigenen Leib erfahrbar zu gestalten. Während die von Kabisch konkret vorgeschlagene Methodik noch weitgehend auf anschauliche Erzählformen beschränkt bleibt, entwickelt vor allem Eberhard eine frühe Begründung und Konkretisierung religionsunterrichtlicher Methodenvielfalt. Angeregt durch reformpädagogische Impulse schlägt er eine Vielzahl von Verfahren vor, die Formen des Nacherzählens und Nachgestaltens religiöser Geschichten ebenso berücksichtigen wie Inszenierungen religiöser Feste, die entsprechende Gestaltung von Andachten und nicht zuletzt das darstellende Spiel. Methodisch noch weiter ausdifferenziert zeigt sich die Symboldidaktik Biehls. Ganz im Sinne performativer Religionsdidaktik betont auch Biehl die Notwendigkeit, jeder Interpretation und Reflexion religiöser Ausdrucksgestalten solche Verfahren vorzuschalten, die auf sinnlich-assoziative Weise die kreative Auseinandersetzung mit diesen Ausdrucksgestalten befördern. Die hierzu vorgeschlagene Bandbreite an Methoden (Bibliodrama, Tanz, Meditation, Pantomime, szenisches Spiel, Erzählung etc.) markiert zumindest auf der konzeptionellen Ebene schon Jahre vor Aufkommen der performativen Entwürfe die grundsätzliche Überwindung einer Vorstellung von Religionsunterricht, der sich auf textlich-analytische Unterrichtsverfahren beschränkt. Ein wirklich innovatives Element stellt die fachdidaktische Konstruktion des Probehandelns im Modus von Perspektivenwechseln dar (3. Kriterium). In keinem der analysierten Entwürfe begegnet ein Verfahren, das in ähnlicher Weise Teilhabe an rituellen Vollzügen im artifiziellen „Modus des Als-ob“ zu insze381
Schmid, Mehr als Reden über Religion, S. 2. Obst, Religion zeigen, S. 108. 383 K abisch , Religion, S. 120. 382
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nieren versucht. Verschiedene Verfahren zur Anleitung von Identifikationsprozessen tauchen hingegen schon früher auf. Als Beispiel hierfür kann Kabischs Erlebniskonzeption gelten, die mithilfe von Erzählungen das Einfühlen in „historische Gefühle“384 bei den Schülerinnen und Schülern anzuregen strebt. Zwar zielt Kabisch hierbei durchaus auf die temporäre Übernahme unterschiedlicher Perspektiven, jedoch nicht im Modus des experimentellen Probehandelns der evangelischen Ansätze performativer Religionsdidaktik. Gerade dort, wo Lernende sich der Performativität der erzählten Welten nicht entziehen können, kommt Religionsunterricht nach Kabisch seinem Ziel näher, ein religiöses „Erhebungsgefühl“385 in den Schülerinnen und Schülern zu erwecken. Dieses hohe Maß an unterrichtlicher Verbindlichkeit lehnt besonders Dresslers Entwurf einer „Didaktik des Perspektivenwechsels“386 entschieden ab. Vergleichbare Distanzierungsangebote berücksichtigt hingegen wiederum Biehls „kritische Symbolkunde“. Auch Biehls Symbol- und Sakramentaldidaktik sucht Erfahrungsräume zu eröffnen, die probeweise aufgesucht, individuell ausgestaltet und in subjektiver Auseinandersetzung auf die gegenwärtige Relevanz hin befragt werden können, aber nicht müssen. Gerade die vielfältigen Identifikationsangebote erinnern hierbei an die performativen Spielarten, besonders jene poststrukturalistisch begründeten von Zilleßen und SchroeterWittke.387 Dennoch legt Biehl weder auf das Gestalten und Reflektieren von Perspektivenwechseln noch auf das experimentelle Probehandeln den fachdidaktischen Schwerpunkt. Im Unterschied zur „kritischen Symbolkunde“ stellt das Lernen sachgemäßer Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Perspektiven in Dresslers Ansatz geradezu das vorrangige Ziel religionsunterrichtlichen Lernens dar. Der „Modus des Als-ob“ eröffnet darin jene entscheidende fachdidaktische Brechung, die spielerische Erfahrungen mit religiösen Ausdrucksgestalten ermöglicht, ohne zwingend eine subjektive Involvierung der Schülerinnen und Schüler vorauszusetzen. In keinem der analysierten Entwürfe begegnen Perspektivenwechsel und Probehandeln in vergleichbarer Deutlichkeit als fachdidaktische Leitkategorien. Als weiterer Prüfstein wurde die didaktische Bemühung genannt, im schulischen Unterricht authentische religiöse Erlebnisse zu gestalten (4. Kriterium). Diese Zielperspektive ist insbesondere für die konstruktivistisch begründete Spielart performativer Religionsdidaktik charakteristisch.388 Bereits Kabisch antwortet auf die selbst gestellte Frage, wie Religion in der Schule zu lehren sei, zuerst mithilfe des Erlebnisbegriffes. Seine Forderung, „der Unterricht schaffe 384 385
M eyer-Blanck , Geschichte, S. 100. K abisch, Religion, S. 40. 386 D ressler , Performanz und Kompetenz, S. 30.27; vgl. § 1, Kap. 3.1.1 „Bernhard Dressler und die Zeichendidaktik“. 387 Vgl. § 1, Kap. 3.3 „Poststrukturalistisch begründete Performanz“. 388 Vgl. § 1, Kap. 3.4.1.2 „Mendls Problemanzeige und didaktische Schlussfolgerung“.
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§ 3 Performative Elemente in der Geschichte der Religionsdidaktik
Erlebnisse!“389, pointiert die entscheidende Absicht seines umstrittenen Ansatzes. Objektive Religion soll nach Kabischs Religionsdidaktik im Modus individuellen Erlebens spür- und erfahrbar werden, damit sich subjektive Religion daran „entzünde“390. Das Erlebnis repräsentiert für ihn die religionsdidaktische Leitkategorie, mit deren Hilfe die Lernbarkeit von Religion im Unterricht operationalisiert werden kann. „Religion erleben“391 lautet auch der Titel von Mendls Monographie zur performativen Religionsdidaktik. Mendl legt darin im Unterschied zu Kabisch den Erlebnisbegriff weiter aus, insofern er auch interreligiöse Lernsettings in den Blick nimmt und Spielräume für Distanznahme im Prozess des Erlebens berücksichtigt. Daneben zielt sein Entwurf nicht wie der von Kabisch auf das unterrichtliche Erzeugen von Religion, sondern auf Plausibilisierung religiöser Ausdrucksgestalten im Modus erlebnisorientierter Ingebrauchnahme.392 Eberhard verwendet den Erlebnisbegriff weniger verbindlich, insofern er in seinem „Arbeitsschulunterricht“ deutlich nicht auf das subjektive Entstehen von Religion abzielt. Das Erlebnis steht bei Eberhard für die affektive Seite von Religion, die es vornehmlich durch Verfahren des subjektiven Nachempfindens religiöser Gefühle im Unterricht zu berücksichtigen gilt. Zwar begrüßt Eberhard gerade solche Lernsettings, die mittels erlebnisorientierter Methoden religiöse Erregung und Involviertheit in den Schülerinnen und Schülern befördern, allerdings betont er ausdrücklich auch die Unverfügbarkeit des Glaubens und die Unmöglichkeit, Religion durch Lehrerhandeln im Unterricht entstehen zu lassen. An dieser Stelle vergleichbar mit den performativen Entwürfen sieht Eberhard im unverbindlichen „Kennenlernen fremder Erfahrungen“393 die Pointe des Religionsunterrichts als Erlebnisunterricht. Besonders die evangelischen Spielarten performativer Religionsdidaktik setzen insgesamt weniger auf authentische religiöse Erlebnisse, als vielmehr auf das experimentelle Transformieren religiöser Ausdrucksformen (5. Kriterium). Sie versuchen den unterrichtlichen Kontakt mit christlichen Traditionsstoffen so zu gestalten, dass diese in freier Auseinandersetzung zu eigenen Formen des religiösen Selbstausdrucks umgestaltet werden können. Erste Ansätze einer vergleichbaren Förderung der religiösen Selbstartikulation von Schülerinnen und Schülern finden sich bereits in Salzmanns religionsdidaktischem Konzept. Salzmann bedient sich bestimmter liturgischer Elemente, die er gemeinsam mit seinen „Zöglingen“ im Schnepfenthaler Schulleben in Gebrauch nimmt und in 389 390
K abisch, Religion, S. 120. Ebd. 391 M endl , Religion erleben, Titelformulierung. 392 Mit diesen beiden hier entscheidenden Unterscheidungen sind die theologischen Implikationen der „Erlebnisorientierung“ bei Mendl und anderswo noch nicht hinreichend ausgelotet. Eine entsprechende gründliche Analyse wäre aus religionspädagogisch-systematischer Perspektive anzufertigen und kann im Rahmen dieser Arbeit nicht zusätzlich geleistet werden. 393 Eberhard, Arbeitsschule, S. 78.
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didaktisch reflektierter Weise verändert. Das tägliche Singen und Interpretieren meist biblischer Verse, die Tischgebete sowie die wöchentlichen „Gottesverehrungen“ können als Inszenierungen einer Schulreligion in Schnepfenthal gelten. Diese sind zwar an christlich-rituellen Traditionsstoffen orientiert, gestalten die Formen aber den fachdidaktischen Zielsetzungen der Erziehungsanstalt gemäß um. In Salzmanns Ansatz fehlt allerdings die Beteiligung der Schülerinnen und Schüler an diesem Transformationsprozess. Zwar nehmen die Lernenden aktiv an der Inszenierung rituell-liturgischer Elemente teil, jedoch ohne auf den vorab festgelegten Ablauf der Gestaltung selbst Einfluss zu nehmen. Demgegenüber wird es in Eberhards „Arbeitsschule“ wichtiger, die Lernenden in den Gestaltungsprozess einzubeziehen. Um Religion praktizieren zu lernen, sollen Kinder und Jugendliche darin selbst religiöse Feste, Andachten und dramatische Inszenierungen mitgestalten. Im Unterschied zur performativen Didaktik zielt Eberhards Ansatz hierbei primär auf die selbsttätige Verwendung religiöser Ausdrucksformen, um darin religiöses „Leben“ spürbar zu machen. Das freie Umgestalten der Formen selbst ist hierbei nicht im Blick. Erst in Biehls „kritischer Symbolkunde“ kann von experimenteller Anleitung zur Selbstartikulation gesprochen werden. Für Biehl gehört es zum Prinzip der wechselseitigen Erschließung von Subjekt und Objekt konstitutiv hinzu, dass die Lernenden in kreativer Auseinandersetzung vornehmlich mit Symbolen, aber auch mit Ritualen und Liturgien selbst gestalterisch tätig werden und die tradierten Ausdrucksformen produktiv und vor dem Hintergrund ihrer eigenen Lebenswelt aktualisieren. Besonders in Bezug auf dieses Kriterium erweist sich Biehls Spielart der Symboldidaktik als konzeptioneller Wegbereiter performativer Religionsdidaktik. Beide legen großen Wert darauf, im unterrichtlichen Umgang mit Ausdrucksformen der christlichen Tradition eigene Formen religiöser Artikulation bei den Lernenden zu entwickeln und zu fördern. Das sechste in der Analyse zugrunde gelegte Kriterium bezieht sich auf das Vertrauen in die Performanz der Tradition. Gemäß dem schon bei Luther begegnenden Verständnis der Bibel als „Tätelwort“, das im Prozess des Verlautens selbst wahr macht, wovon in ihm die Rede ist, rechnet auch Bizers Ansatz didaktisch mit der Performativität der Bibel als dem „authentische[n] Wort“ der christlichen Religion: „Das Wort der Religion, mündlich gesprochen, konstituiert das Gesprochene als Wirklichkeit; es bringt durch das Sprechen das zustande, was es sagt.“394 Aus den hier untersuchten Ansätzen vertraut zuerst Kabisch in vergleichbarer Weise auf die „Kraft“ bestimmter Traditionsstoffe. Zu deren Entfaltung bedarf es nach seiner Überzeugung lediglich einer angemessenen unterrichtlichen Inszenierung. Kabisch ist zuversichtlich, durch Erlebnisse die Performativität der Bibel sowie ausgewählter liturgischer Stoffe unterrichtlich 394 Bizer , Liturgik, S. 84; vgl. § 1, Kap. 3.2.1.2 „Die authentische Selbstdarstellung von Religion im Unterricht“.
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§ 3 Performative Elemente in der Geschichte der Religionsdidaktik
vermitteln zu können. Je gewaltiger das Material auf die Lernenden wirkt, desto eher ruft es Abhängigkeits- und Erhebungsgefühle hervor und erweist sich darin als funktional, Religion im Unterricht zu erzeugen. Gerhard Bohne vermutet in Kabischs Funktionalisierung der Performativität christlicher Traditionsstoffe ein grundlegendes Missverständnis evangelischen Christentums. Dennoch lässt auch sein Ansatz bezüglich dieses Kriteriums performative Elemente erkennen. Seine Überzeugung, Religionsunterricht müsse zuerst das Wort Gottes zu Gehör bringen, verweist auf eine mit Bizers Spielart performativer Didaktik vergleichbare Hochschätzung der Bibel. Für Bohne wird das Wort Gottes in der Bibel zur potentiell wirksamen Grundlage des religiösen Lernens in der Schule, allerdings im Vergleich zu Bizer unter geändertem Vorzeichen: Während bei Bizer die Bibel selbst im Prozess des unterrichtlichen Verlautens ihre Wirksamkeit entfaltet, verweist sie nach Bohne zuerst auf die Offenbarung Gottes, des „ganz Anderen“. Als solche soll sie im Unterricht zu Gehör gebracht werden, kann aber ihre Performativität nicht schon im Prozess des Verlautens aus sich selbst heraus erweisen. Erst wenn das im Unterricht gehörte und gesprochene Bibelwort die Schülerinnen und Schüler in die Entscheidung ruft, kann es den Zuhörenden zu Gottes Wort werden. Nicht die Tradition zeichnet sich bei Bohne durch performative Wirksamkeit aus, sondern die unverfügbare göttliche Offenbarung, die sich in ihr zu Wort meldet. Das Teilergebnis dieser Untersuchung, dass lediglich in Bezug auf dieses Kriterium eine teilweise Vergleichbarkeit zwischen Bohnes Konzept und performativen Ansätzen festgestellt werden kann, ist auch insofern bemerkenswert, als der performativen Religionsdidaktik vorgeworfen wurde, sie repräsentiere die „mit der Postmoderne wiedergetaufte Generation einer Dialektischen Religionspädagogik im Sinne der Evangelischen Unterweisung.“395 Mit Ausnahme der Übereinstimmung, dass Bohne ähnlich wie einigen performativen Religionsdidaktikern daran gelegen ist, der Bibel im Religionsunterricht größere Geltung zu verschaffen und die potentielle Wirksamkeit des Bibelwortes in Didaktik und Methodik zu bedenken, sperrt sich Bohnes Konzept in den übrigen hier untersuchten Gesichtspunkten gegen eine didaktische Inanspruchnahme durch die performative Religionsdidaktik. Nach Berücksichtigung dieser Ergebnisse der historischen Analyse ergibt sich bezüglich der Originalität einer performativen Religionsdidaktik ein differenziertes Bild. Zunächst kann ihre (Wieder‑)Entdeckung liturgischen Lernens im Prozess der religiösen Bildung an Grundüberzeugungen anknüpfen, die in der Geschichte des Christentums seit den frühen Vermittlungsbemühungen in den ersten Gemeinden prägend waren. Schon für Salzmann und insbesondere Biehl zielt das Lernen im schulischen Religionsunterricht darauf, dass sich Schülerinnen und Schüler mit den Ausdrucksgestalten gelebten Christentums 395
Lämmermann, Show-Bühne, S. 109.
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auseinandersetzen, dass sie dabei auch lernen, diese selbst zu verwenden und womöglich im kritischen Diskurs zu aktualisieren. Nicht zuletzt die performativ-didaktische Forderung, dass der Religionsunterricht vielfältige, variable und seinem Gegenstand angemessene Verfahren zu berücksichtigen habe und sich weniger mit dem „Reden über Religion“ beschäftigen solle, verweist auf ein Kernanliegen, das alle der hier betrachteten Entwürfe auszeichnet.396 Demgegenüber wurde in den fachdidaktischen Leitkategorien des Probehandelns sowie des Perspektivenwechsels in Bezug auf die unterrichtlich zu gestaltenden Lernwege eine gewichtige Unterscheidung zu allen vorherigen Ansätzen deutlich: Der Kontakt zu den religiösen Ausdrucksformen wird hier erstmals konsequent als artifizielle Inszenierung vorgenommen, die zwingend Distanzierungsangebote bereitstellen muss, freies Ausprobieren in den inszenierten Räumen ermöglicht und auf eine Reflexion der innerhalb der Inszenierungen gewonnenen perspektivischen Erfahrung zielt. Gemäß der eingangs formulierten These profilieren die Spielarten performativer Religionsdidaktik zusammenfassend insofern einen Neuansatz, als sie die Bewegung in und Begehung von inszenierten religiösen Welten unter Berücksichtigung eines Rollenschutzes organisieren. Zumindest die evangelischen Spielarten markieren den entworfenen Raum als artifiziellen Möglichkeitsraum. In ihm können und sollen die Schülerinnen und Schüler frei, experimentell und spielerisch ausprobieren. Performative Religionsdidaktik erweist sich also weniger in Bezug auf die verfolgten Bildungsziele, die berücksichtigten Lerngegenstände oder die vorgeschlagenen Methoden als „neu“; neu ist vielmehr der spezifische Modus, der ihrem Verständnis nach die religionsunterrichtliche Erschließung der christlichen Religion anhand ihrer Ausdruckgestalten am Lernort Schule zu kennzeichnen.
396 Sofern
„Reden über Religion“ nicht schon dort festgestellt wird, wo Religionsunterricht auf primär frontale, kognitiv-ausgerichtete Unterrichtsmethoden setzt, sperrt sich auch Bohnes Ansatz gegen eine solche Engführung. Seinem Verkündigungskonzept geht es, wie oben dargestellt, im Kern nicht um „Reden über Religion“, sondern um ein Redenlassen des Wortes selbst, das Gott in der biblischen Offenbarung gesprochen hat und dem auch heute noch die Kraft zum überzeugungsmächtigen Reden innewohnt.
§ 4 Tragweite und Tragfähigkeit performativer Ansätze für den Religionsunterricht von morgen – die handlungsorientierende Perspektive 1 Erkenntnisinteresse der handlungsorientierenden Perspektive Das vorrangige Interesse dieser Arbeit gilt der Gestaltung und Verantwortung zukünftigen Religionsunterrichts in der Schule. Daher werden nun die Ergebnisse der Untersuchung performativer Didaktik des Religionsunterrichts in ihren unterschiedlichen Ausprägungen nicht in rein theoretischer Absicht und insofern auch nicht „objektiv“ dargestellt. Der formal als Auswertungskapitel angelegte Abschluss der Arbeit erfolgt in konkret handlungsorientierendem Interesse. Gemäß der eingangs vorgestellten Zielperspektive kam den Analysen in systematischer, vergleichender und historischer Perspektive (vgl. § 1–3) eine dienende Funktion zu. Sie sollten nämlich die kritische Einschätzung der zukünftigen Tragweite und argumentativen Tragfähigkeit performativdidaktischer Ansätze vorbereiten und fundieren. Innerhalb der einzelnen Untersuchungsteile wurden zwar häufig schon vorläufige Einschätzungen benannt. Diese wurden aber zumeist noch nicht explizit auf das Grundanliegen bezogen, einen Beitrag zur Beförderung religionsunterrichtlicher Praxis aus religionspädagogisch-theoretischer Perspektive zu leisten. Gerade dieses Interesse leitet jedoch die hier vorgelegte Untersuchung insgesamt und rückt deshalb nun am Schluss in deren Zentrum. Handlungsorientierung als „traditionsreichste Reflexionsschiene der Religionspädagogik“1 stellt überall dort den Zielpunkt religionspädagogischer Forschung dar, wo spezifisch fachdidaktische Innovationen fachwissenschaftlich auf den Prüfstein gestellt werden. Dabei darf diese Perspektive nicht auf rein anwendungsbezogene Fragestellungen verengt werden. Theoretischer Handlungsorientierung geht es gerade nicht darum, „vorab fixierte Prinzipien anzuwenden […], sondern sie beansprucht […] die Summe aus methodisch wie inhaltlich differenzierten Reflexionen historischer und systematischer sowie empirischer und vergleichender Art zu ziehen.“2 Sie muss sich zudem des Vorrangs der Praxis, ihres konstitutiven „praxeologischen Vorbehalts“, stets be1 2
Schröder , Religionspädagogik, S. 425. Ebd. Aus den fünf Perspektiven religionspädagogischer Forschung, die Bernd Schröder
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§ 4 Tragweite und Tragfähigkeit performativer Ansätze
wusst bleiben: „Handlungsorientierung kann und will unter diesem Vorbehalt weder Anweisungen noch Erfolgsrezepte formulieren, sondern nicht mehr als Horizonte und Denkfiguren, Kriterien und Maximen.“3 In eben diesem Sinne möchte das folgende Kapitel Chancen und Grenzen der fachdidaktischen Anliegen einschließlich der methodischen Konkretionen performativer Religionsdidaktik diskutieren. In den vorangegangenen Teilen dieser Untersuchung ging es vornehmlich um die Darstellung einzelner Spielarten performativer Religionsdidaktik (§ 1), performativer Aufbrüche in benachbarten Fachdidaktiken (§ 2) sowie um die Erläuterung von deren Verhältnis zu früheren religionsdidaktischen Bildungsbemühungen (§ 3). Demgegenüber rückt nun die Ebene einer handlungsorientierenden Beurteilung in den Vordergrund. Dabei wollen die Urteile nicht als abschließende Entscheidungen über die grundsätzliche Eignung performativ-didaktischer Ansätze für zukünftigen Religionsunterricht verstanden werden. Vielmehr möchte die Beurteilung mit kritisch-konstruktiven Anregungen zur Präzisierung, Weiterentwicklung und gegebenenfalls Verstärkung der analysierten Ansätze als handlungsorientierender Theorie beitragen. Zu diesem Zweck werden nun auch vermehrt kritische Stimmen zu Wort kommen, die innerhalb der engagiert geführten religionspädagogischen Fachdiskussion Einwände gegen die performativen Entwürfe vorgebracht haben. Die handlungsorientierende Perspektive möchte vor dem Hintergrund der hier erarbeiteten Ergebnisse und solcher von außen kommenden kritischen Anfragen abwägen, welches Potential einem performative turn der Religionsdidaktik innewohnt. Dies umschließt auch jene Aspekte, an denen die Ansätze (noch) nicht überzeugen können oder weiterer Konkretisierung bedürfen, sowie grundsätzliche didaktische Herausforderungen, auf die performative Religionsdidaktik aufmerksam werden lässt. Die Erträge dieses Kapitels werden daher im Folgenden bewusst nur in Ausnahmefällen als Thesen formuliert, sondern häufiger als handlungsorientierende Impulse dargestellt, die zu weiterer religionspädagogischer Reflexion einladen möchten. Der spezifische Charakter der so angestoßenen Reflexionsprozesse wird und darf jedoch unterschiedlich ausfallen, je nachdem welche Adressatinnen und Adressaten sich mit den Impulsen auseinandersetzen: Für Religionslehrkräfte sollen diese zuerst Entscheidungshilfen bereitstellen, die „im Interesse einer theoriegeleiteten, rechenschaftsfähigen Erziehungs- und Unterrichtspraxis“4 den je eigenen praktischen Umgang mit performativen Lernarrangements deuten und begründen helfen. Darüber hinaus formulieren die Impulse aber auch vorschlägt, konnte nur die empirische in dieser Untersuchung nicht eigens berücksichtigt werden. Zur Begründung vgl. die der Untersuchung vorangestellte „Einleitung“. 3 Ebd., S. 426. Vgl. auch H ans -Georg Z iebertz: Gegenstandsbereich der Religionsdidaktik, in: Religionsdidaktik. Ein Leitfaden für Studium, Ausbildung und Beruf, hg. v. Georg H ilger u. a., München 22010, S. 17–28, 21. 4 S chröder , Religionspädagogik, S. 427.
2 Interpretation der Untersuchungsergebnisse
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Rückfragen an die Theorie, wodurch sie performativen Religionsdidaktikern zu Anstößen werden möchten, die eigenen Ansätze weiter zu schärfen. Für Studierende der Religionspädagogik stellen sie schließlich Lerngelegenheiten bereit, weil sich in ihnen Chancen und Grenzen der fachdidaktischen Anliegen performativer Didaktik verdichten – und zwar sowohl in Bezug auf Fragen zu ihrer faktischen Relevanz und Tragfähigkeit als auch zu ihrer Realisierbarkeit im konkreten Religionsunterricht. Die Auswertung wird im Folgenden anhand von ausgewählten Gesprächsanlässen in zehn Unterkapitel strukturiert. Diese schreiten von begrifflich-theoretischen Unklarheiten über Fragen der praktischen Realisierbarkeit hin zu Möglichkeiten der interreligiösen Horizonterweiterung und konfessionellen Kooperation. Die zehn Gesprächsanlässe ergeben sich aus den Ergebnissen der oben vorgetragenen Untersuchung. Es handelt sich um eine Auswahl ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Doch dürfte die Breite der hier berücksichtigten Aspekte vielfältige Blickwinkel eröffnen, von denen aus die Innovationen performativer Religionsdidaktik handlungsorientierend diskutiert werden können.
2 Interpretation der Untersuchungsergebnisse mit Blick auf zukünftigen Religionsunterricht 2.1 Probleme und Chancen des Performanzbegriffes Das unverfänglich scheinende Adjektiv „performativ“ hat eine religionspädagogische Kontroverse ausgelöst. Ihre Intensität und die Pluralität der Bedeutungszuschreibungen zu ihrem Zentralbegriff machen die Diskussion in der jüngeren Fachgeschichte nahezu einzigartig. Obwohl seit inzwischen mehr als 15 Jahren über Tragweite und Tragfähigkeit performativer Ansätze gestritten wird, ist weiterhin weder eine Einigung über die Funktion des zentralen Bezugsbegriffes im Spektrum performativer Ansätze noch über dessen konkrete religionspädagogische Implikationen in Sicht. So kann die katholische Religionspädagogin Claudia Gärtner 2017 in einer aktuellen Veröffentlichung gerade die Unschärfe der terminologischen Grundlage als Ursache der Kontroverse selbst markieren: „Am Begriff ‚performativ‘ scheiden sich die religionspädagogischen Geister.“5 In § 1 der vorliegenden Untersuchung ist in Bestätigung 5 C laudia Gärtner : Performanz oder Reflexion, Selbstinszenierung oder Differenzerfahrung? Aktuelle Herausforderungen performativen Lernens, in: RpB 76 (2017), S. 50–57, 51. Obwohl das Interesse dieser Untersuchung vornehmlich dem Begriff des Performativen und den damit verbundenen didaktischen Neuerungen gilt, ist an dieser Stelle zumindest darauf hinzuweisen, dass auch der Religionsbegriff, den „performative Religionsdidaktik“ im Namen führt, heute zunehmend problematisiert wird. Anknüpfend vor allem an Christian Grethlein halten ihn viele Religionspädagogen heute für problematisch, sofern er die Gegenstandsbereiche von Religionspädagogik und Praktischer Theologie beschreiben soll. Stattdessen wird vor-
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§ 4 Tragweite und Tragfähigkeit performativer Ansätze
dieser Einschätzung nachgewiesen worden, dass die vorgestellten Spielarten performativer Religionsdidaktik ihrerseits selektiv, keinesfalls aber einheitlich auf die verschiedenen Bedeutungszusammenhänge zum Performanzbegriff eingehen. Den Einzelentwürfen liegen entsprechend unterschiedliche Verständnisse des Performativen zugrunde.6 Mit Blick auf dieses erste Untersuchungsergebnis wird im Folgenden das Problem der Unklarheit des Performanzbegriffes auf bleibende Aufgaben hin zugespitzt. Zusammen mit den hier intendierten handlungsorientierenden Impulsen sollen zudem spezifische Chancen des Begriffes benannt werden, die sich nicht zuletzt aufgrund der Pluralität möglicher Bedeutungskonnotationen und den damit verbundenen Anschlussmöglichkeiten an andere Disziplinen ergeben. Zuerst und besonders naheliegend wurde in der Fachdiskussion wiederholt kritisch angemerkt, dass der umbrella term „performativ“ gleichzeitig auf „Performativität“ und „Performance“ verweisen und damit grundsätzlich unterschiedliche Diskurszusammenhänge aufrufen kann.7 Aufgrund der immer wieder konstatierten Unklarheit, in welcher Hinsicht die Religionsdidaktik zukünftig performativ ausgerichtet werden könnte und sollte, erscheint es unerlässlich, die beiden Weisen, den Begriff zu verstehen und zu verwenden, kritisch-produktiv zueinander in Beziehung zu setzen. Gleichzeitig eröffnet gerade die Vielschichtigkeit des Bezugsbegriffs die Chance, jüngere Entwicklungen in gleich mehreren fachdidaktisch relevanten Nachbardisziplinen wahrzunehmen und mithilfe der Folie des Performativen auf die Religionsdidaktik zu beziehen. Das Adjektiv selbst erinnert ursprünglich, wie oben beschrieben,8 an sprachphigeschlagen, den Gegenstandsbereich der Religionspädagogik aus evangelischer Perspektive anknüpfend an Ernst Lange als „Kommunikation des Evangeliums im Medium von Lernprozessen“ zu bestimmen. Vgl. Schröder , Religionspädagogik, S. 10. Die teilweise sehr unterschiedlichen Verständnisse von „Religion“, die im Rahmen der theoretischen Fundierung performativer Religionsdidaktik (§ 1) jeweils im Zuge der Konturierung der einzelnen Spielarten dargestellt wurden, deuten an, dass „performative Religionsdidaktik“ nicht nur hinsichtlich des Adjektivs „performativ“ begrifflicher Schärfung bedarf. Zur Problematisierung des Religionsbegriffs vgl. grundlegend C hristian Grethlein: Praktische Theologie, Berlin / Boston 2012, dort v. a. § 8 „Begriffliche Klärungen“. 6 Peter Kliemann bezeichnet den umbrella term „Performanz“ deshalb insgesamt als „relativ unscharfe[n], aber gerne und viel verwendete[n] Begriff mit einem sehr breiten, z. T. widersprüchlichen Bedeutungsspektrum.“ P eter K liemann: Performativer Religionsunterricht? Beobachtungen und Rückfragen aus der Perspektive eines südwestdeutschen Studienseminars, in: ZPT 4 (2014), S. 366–375, 367. 7 Im religionspädagogischen Forschungskontext hat zuerst Michael Domsgen auf diese beiden Verständnismöglichkeiten hingewiesen (D omsgen, Performativer Religionsunterricht, S. 31 f.), bevor, wie oben gesehen, Hanna Roose 2006 deren jeweilige religionspädagogische Implikationen ausführte. Vgl. Roose , ‚Performance‘ und ‚Performativität‘, S. 112–115; vgl. § 1, Kap. 2.1 „Begriffsgeschichte und Bedeutungsspektren des Performativen“. Auch Lämmermann kritisiert in seiner polemischen Abrechnung mit den performativen Ansätzen, dass Performativität und Performance als „ursprünglich völlig verschiedene Dinge jetzt zu einem Corpus permixtum“ zusammengefügt würden. Vgl. Lämmermann, Show-Bühne, S. 113. 8 Vgl. § 1, Kap. 2.1 „Begriffsgeschichte […]“.
2 Interpretation der Untersuchungsergebnisse
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losophische Zusammenhänge und insbesondere an John L. Austins Sprechakttheorie. Austin führt den Begriff „performativ“ als Neologismus ein, um eine Eigenqualität bestimmter Äußerungen zu bezeichnen, die eine autoreflexive Bedeutung aufweisen. Das Gesprochene konstituiert darin zugleich den Akt, den es bedeutet.9 In einem solchem Verwendungszusammenhang betont Performativität also die potentiell wirklichkeitsverändernde Eigenschaft sprachlicher Handlungen, die im Vollzug des Sprechens in die Welt eingreifen und das in ihnen Gesagte selbst herbeiführen. Daneben verweist das Adjektiv aber auch auf jüngere theaterwissenschaftliche Theorien, die den „Inbegriff des Performativen“10 in theatralen Aufführungen entdecken: Nicht die textliche Vorlage, sondern die Oberfläche der konkreten Performance, des inszenierten Ereignisses, sei demnach von Bedeutung und bringe Bedeutung selbst hervor. Eine Reinform eines solchen Verständnisses von Performanz wurde im Rahmen der vergleichenden Analyse als Proprium der Didaktik des Schulfaches Darstellendes Spiel vorgestellt.11 An diesen Verwendungszusammenhang anknüpfend würde Religionsunterricht als Abfolge von Aufführungen, als dramatisches Inszenierungsgeschehen verstanden. Die Didaktik eines solchen Unterrichts hätte primär deren Oberflächenstruktur zu reflektieren und zu verantworten. Schließlich findet der Begriff des Performativen auch zunehmend in jüngeren kulturwissenschaftlichen Diskursen Verwendung. Dort bezeichnet „performativ“ den wirklichkeitstransformierenden Charakter sozialer Handlungen und Haltungen, die als „cultural performances“12 Bedeutungen zuschreiben, welche außerhalb der inszenierten Oberflächen nicht an sich gegeben sind. Die Konstruktion kultureller Geschlechtervorstellungen kann nach Judith Butler als Beispiel für einen solchen Prozess performativer Bedeutungskonstruktion gelten. Auch in diesem Verwendungszusammenhang deutet sich eine Verschiebung an, die alle Aufmerksamkeit auf das äußerlich sichtbare Auftreten lenkt und die didaktische Relevanz einer hinter der Oberfläche liegenden Tiefenstruktur nicht in den Blick nimmt oder mancherorts sogar bestreitet. Diese Verständnismöglichkeiten deuten zunächst auf eine Vielzahl von Möglichkeiten hin, in denen sich der performative turn in der Religionsdidaktik als produktiv erweisen könnte und teilweise bereits erwiesen hat. So öffnet der Begriff, wie gesehen, durchaus neue Perspektiven, um wesentliche Bedingungsfaktoren des unterrichtlichen Handelns theoretisch zu reflektieren: „Was 9
Vgl. hierzu ausführlich § 1, Kap. 2.1.1 „Sprachphilosophische Wurzeln“. Fischer-Lichte , Thesen, S. 79; vgl. § 1, Kap. 2.1.2 „Das Performative in der Theaterwissenschaft“. 11 Vgl. § 2, Kap. 3 „Beispiel B: Kreativität und Performance im Schulfach Darstellendes Spiel“. 12 Singer , Traditional India, S. 71; vgl. § 1, Kap. 2.1.3 „Der performative turn in den Kulturwissenschaften.“ 10
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§ 4 Tragweite und Tragfähigkeit performativer Ansätze
bis in handlungstheoretische Entwürfe der 90er Jahre hinein […] nur negativ als nicht-intentional oder mystifizierend als kreativ gefasst werden konnte, erhält mit dem Begriff des Performativen, der auf Körperlichkeit, Habitualität, Dramaturgie, spielerischen Freiraum, Mimesis und durchdringende Macht des Handelns gleichermaßen verweist, eine theoretische Form“13. Die Stärke der Perspektive des Performativen kann demnach darin gesehen werden, die unterrichtlichen Inszenierungen einschließlich der in ihnen wirksamen Interaktionen und Rituale, die Aktivierung der Wahrnehmungskanäle und die leiblichen Dimensionen des Lernens neu und kritisch in den Blick nehmen zu können. Dies gilt zudem auch für die Art und Weise, wie (religions‑)pädagogisches Handeln selbst an der Gestaltung kultureller (und religiöser) Praxis zu beteiligen ist. Eine derartige Horizonterweiterung impliziert mithin Anschlussfähigkeit des Begriffs an allgemeinpädagogische Diskussionen sowie Ansatzpunkte für fächerübergreifende Kooperationen, und zwar gerade in der begriffsspezifischen Spannung zwischen Performance und Performativität,14 von denen die Religionsdidaktik bis heute zweifellos schon profitiert hat. Demgegenüber verweist die Pluralität der Bedeutungskonnotationen auch unverkennbar auf unterschiedliche religionsdidaktische Ausrichtungen – und wirft entsprechende Fragen auf: Zielt performative Religionsdidaktik primär auf die bloße Inszenierung religiöser Ausdrucksgestalten auf der Bühne des Religionsunterrichts? Oder sollen sich die Inszenierungen als religiöse Handlungen bzw. religiöse Handlungen als Inszenierungen vollziehen? Würden sich diese darin als performativ erweisen, dass sie die in ihnen zum Ausdruck gebrachte Wirklichkeit selbst herbeiführen? Sind es gar die Formen und die Sprache der christlichen Religion selbst, die im Modus der Ingebrauchnahme eine performative Wirksamkeit entfalten? Bestreitet performative Didaktik am Ende sogar die Existenz einer Wirklichkeit, die außerhalb der inszenierten Oberflächen religionsunterrichtlicher Lernsettings gegeben ist? Diese Fragehorizonte ergeben sich zwingend aus den sehr unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten des zentralen Bezugsbegriffes – und nötigen weiterhin zu entsprechend grundsätzlicher Klärung. Angesichts der Fülle programmatischer (und kritischer) Veröffentlichungen zum Thema erstaunt es, wie selten die beiden Begriffe Performance und Performativität gerade von Religionsdidaktikern, die selbst performative Spielarten entfalten, in ihren konkret-fachdidaktischen Anwendungen zueinander in Beziehung gesetzt werden. Eine Ausnahme bilden hier Thomas Klie und Bernhard Dressler, die sich mit den begrifflichen Anfragen zumindest insoweit auseinandersetzen, als sie festhalten, ihr Performanzbegriff ließe sich weder einseitig auf Performance noch auf Performativität festlegen. 13 Wulf / Z irfas , Performative Pädagogik, S. 11; vgl. § 1; Kap. 2.2 „Impulse des performative turn für die Erziehungswissenschaft“. 14 In dieser begrifflichen Spannung klingt nämlich auch die Spannung von Theorie und Praxis an, die der Religion selbst inhärent ist.
2 Interpretation der Untersuchungsergebnisse
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Allerdings kann ihr darauf folgender Vorschlag, Performanz meine „nicht mehr und nicht weniger als ein leib-räumliches Vorzeigen“15, die grundsätzliche Spannung nicht auflösen. Dies gilt aus mehreren Gründen: Zunächst leistet eine solche Beschreibung weder eine Integration der beiden Bezugsbegriffe noch eine Verortung zwischen den beiden Polen der begrifflichen Spannung. Zudem lassen sich auf diese Weise keine klaren Bezüge zu jenen geisteswissenschaftlichen Diskurszusammenhängen erkennen, in denen Performatives üblicherweise eine Rolle spielt. So wird undeutlich, weshalb es dann überhaupt des Adjektivs „performativ“ zur Bezeichnung dieser Didaktik bedarf – und nicht z. B. präziser von einer „zeigenden Religionsdidaktik“ gesprochen werden sollte.16 Schließlich könnte sich dieses Verständnis von Performanz zwar durchaus eignen, um die semiotische Spielart performativer Religionsdidaktik und insbesondere Dresslers Auseinandersetzung mit der „Zeigestruktur der Erziehung“17 zu beschreiben. Allerdings haben die Untersuchungsergebnisse vor Augen geführt, dass Performance und Performativität in den anderen Spielarten keineswegs auf ein „leib-räumliches Vorzeigen“ beschränkt bleiben. Vielmehr steht in Einzelfällen deutlich entweder das ausführende oder das aufführende Moment der Inszenierungen im Mittelpunkt des didaktischen Interesses. Hier klingen bereits die ungleichen didaktischen Schwerpunkte der einzelnen Spielarten an, aus denen im Anschluss an die Ergebnisse der systematischen Analyse die folgende begriffsbezogene Herausforderung performativer Religionsdidaktik abgeleitet werden soll: die Möglichkeit der Rede von einer performativen Religionsdidaktik. Um von der performativen Religionsdidaktik sprechen zu können, bedürfte es eines Konzeptentwurfs zumindest im Sinne gemeinsamer Zielvorstellungen oder vergleichbarer fachdidaktischer „Essentials“18 in einem wie auch immer gearteten Proprium des Performativen. Tragfähig wäre eine derartige einheitliche Grundlage nur, wenn es gelänge, sich auf bestimmte Bedeutungsgehalte des gemeinsamen Leitbegriffs zu verstän15 Bernhard D ressler / Thomas K lie: Strittige Performanz. Zur Diskussion um den performativen Religionsunterricht, in: Performative Religionsdidaktik. Religionsästhetik – Lernorte – Unterrichtspraxis, hg. v. Thomas K lie und Silke Leonhard, PTHe 97, Stuttgart 2008, S. 210–224, 218. 16 Die Problematik des Bezugsbegriffes wird z. B. von Dressler selbst erkannt. In seinen jüngeren Veröffentlichungen spricht er entsprechend vorsichtiger von einer „performanzorientierten“ statt einer „performativen“ Religionsdidaktik. Vgl. Bernhard Dressler: Art. Performativer Religionsunterricht, in: WiReLex, URL: https://www.bibelwissenschaft.de/ stichwort/100017/ (zuletzt eingesehen am 05. Mai 2018). So auch David K äbisch: Performanzorientierte Religionsdidaktik. Oder: Wie können Schülerinnen und Schüler über religiöse Handlungen ins Gespräch kommen, in: ZPT 66 (2014), S. 376–385. 17 P range , Zeigestruktur, Titelformulierung; vgl. hierzu ausführlich § 1, Kap. 3.1.1 „Bernhard Dressler und die Zeichendidaktik“, darin besonders 3.1.1.2 „Reagieren auf den Traditionsabbruch“. 18 Mit diesem Begriff bezeichnen Peter Biehl und Martin Rothgangel die fachdidaktischen Eckpfeiler der wesentlichen „religionsdidaktischen Strukturen“. Biehl / Rothgangel , Konzeptionen und Strukturen, S. 183–218.
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§ 4 Tragweite und Tragfähigkeit performativer Ansätze
digen und sich daran auch argumentativ zu halten. Die weithin selektive, zumeist sehr unterschiedliche Verwendung des Performanzbegriffes führt nicht zuletzt dazu, dass so ungleiche Ansätze wie Mirjam Schambecks „mystagogisches Lernen“19, Harald Schroeter-Wittkes „Prospekt einer performativen Religionspädagogik“20 und Christoph Bizers Ideen zur „Gestaltwerdung von Religion im Unterricht“21 unter dem umbrella des Performativen subsumiert werden können. Zwar deutet diese Möglichkeit auf die Integrationskraft des Performanzbegriffes selbst hin, die zweifellos von dessen vielfältigem religionspädagogischen Potential zeugt, jedoch sind im Verlauf der Untersuchung derart substantielle Unterschiede offenbar geworden, dass zukünftig die Frage aufkommen dürfte, ob statt von Spielarten einer performativen Religionsdidaktik um der Klarheit Willen nicht besser im Plural von performativen Religionsdidaktiken gesprochen werden sollte. Der folgende Rückverweis auf die Ansätze Schambecks und SchroeterWittkes führt exemplarisch die Schwierigkeit vor Augen, einen didaktischen Kern zu benennen, auf den sich alle performativen Entwürfen einigen könnten: Während Schroeter-Wittke die Ausdrucksgestalten christlich gelebter Religion als wesentliche Konstituenten der äußerlich wahrnehmbaren Performance des Christentums versteht, hinter deren ereignishafter Inszenierung keine von dem Ereignis des Ausdrucks unabhängig existierende Substanz angenommen werden könne, nehmen diese Ausdrucksgestalten bei Schambeck die Funktion von didaktischen Mitteln ein, mit deren Hilfe Religionsunterricht „einen Suchprozess auslösen [soll], damit eine Performation, ein ‚Durch-Bilden‘ auf Gott hin seinen Anfang nehmen kann.“22 Als performativ erweisen sich diese Ansätze also in sehr verschiedener Hinsicht. Bei Schroeter-Wittke, indem die Selbstauslegung des Einzelnen in der unterrichtlichen Performance hervorgehoben wird; bei Schambeck, indem den Praxisformen christlich-gelebten Glaubens ein Verweischarakter zugesprochen wird, dessen performative Wirksamkeit in der potentiellen Sensibilisierung für individuelle Gotteserfahrung begründet liegt. Schambeck schreibt dazu: „In ihnen zeigt sich der lebendige Gott, wird deutbar, identifizierbar und erhält ein Gesicht.“23 19 Vgl. 20 Vgl.
§ 1, Kap. 3.4.2 „Mirjam Schambeck und das mystagogische Lernen“. § 1, Kap. 3.3.2 „Harald Schroeter-Wittke und das unterrichtliche Entstehen von
Religion“. 21 Vgl. § 1, Kap. 3.2.1 „Religion beim Wort nehmen. Christoph Bizer und die Gestaltwerdung von Religion im Unterricht“. In Bezug auf Bizers Ansatz ist allerdings darauf hinzuweisen, dass er selbst seinen Ansatz nicht als „performativ“ bezeichnet. Die Einordnung erfolgt hier – in der Sache m. E. zutreffend – durch spätere Zuschreibungen. Vgl. z. B. Englert, Zwischenbilanz, S. 12 f.; D omsgen, Performativer Religionsunterricht, S. 39 f. 22 S chambeck , Religion zeigen, S. 70; vgl. die Interpretation dieses Zitats in § 1, Kap. 3.4.2.2 „Mystagogisches Lernen als Konkretion performativer Religionsdidaktik“; zu Schroeter-Wittke vgl. § 1, Kap. 3.3.2.2 „Religion aufs Spiel setzen“. 23 S chambeck , Religion zeigen, S. 68; vgl. § 1, Kap. 3.4.2.2 „Mystagogisches Lernen als Konkretion performativer Religionsdidaktik“.
2 Interpretation der Untersuchungsergebnisse
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Mit Blick auf zukünftigen Religionsunterricht möchte diese Studie also einerseits dazu ermutigen, fachdidaktisch konkreter auszuweisen, wer oder was genau sich in den jeweiligen Spielarten performativer Religionsdidaktik im Unterricht „performieren“24 soll. Andererseits soll dazu angeregt werden, die einzelnen Chancen und Grenzen der Spielarten religionspädagogisch produktiv miteinander in Beziehung zu setzen. So könnte ein gemeinsamer Performanzbegriff konturiert werden, der die Stärken der Bezugsbegriffe Performativität – wie sie z. B. in Bizers Wertschätzung der didaktischen Potentiale religiöser Sprache anklingen – und Performance – wie sie hier etwa in der experimentellen Didaktik des Darstellenden Spiels aufgezeigt wurden – zu integrieren versucht. Performative Religionsdidaktik kann nur dann dauerhaft den gewünschten Platz im „Ensemble religionsdidaktischer Strukturen“25 beanspruchen, wenn zukünftig neben die Chancen der Anschlussfähigkeit und der Bedeutungsvielfalt auch die Klarheit ihrer religionspädagogischen Implikationen tritt.
2.2 Erschließung religiöser Praxis als Ansatzpunkt für eine Begründung performativer Didaktik Nachdem nun bereits Probleme und Chancen des Performanzbegriffes im Interesse seiner zukünftigen Schärfung in den Blick genommen wurden, soll im Folgenden die Dringlichkeit eines Kernanliegens performativer Religionsdidaktik im Horizont der Geschichte christlicher Bildungsbemühungen herausgestellt werden. Ohne an dieser Stelle bereits kritisch auf konkrete performative Lernsettings einzugehen und nach detaillierten Bedingungen zu fragen, unter denen entsprechendes Lernen gelingen kann, wird dieses Unterkapitel im Rückblick auf die Ergebnisse des § 3 eine Prämisse des handlungsorientierenden Kapitels hervorheben: Die Debatte um eine Neuorientierung der Religionsdidaktik unter dem Begriff des Performativen hat eine Zielperspektive (wieder) als bedeutsam markiert, die wesentlich zum Lernen am Christentum dazugehört und auch zukünftig zwingend im Religionsunterricht berücksichtigt werden muss. Sie verbindet sämtliche performative Spielarten trotz deren oben beschriebenen Unterschiedlichkeit als „kleinster gemeinsamer Nenner“ und lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Christliche Religion ist (auch) anhand ihrer For24 In der oben angeführten Verwendung als reflexives Verb begegnet der Bezug zum Performanzbegriff im Leitartikel des bereits vielfach angeführten Sammelbandes „Performative Religionsdidaktik“ von Leonhard und Klie. Die beiden Herausgeber verwenden das Verb „performieren“ hier im Rahmen eines programmatischen handlungsorientierenden Impulses: „Man muss auf das schauen, was sich performiert, in Erscheinung tritt, sich zeigt.“ Leonhard / K lie , Ästhetik, S. 11 (Hervorhebung FD). 25 Bernhard D ressler / Thomas K lie / M artina Kumlehn: Einleitung, in: Unterrichtsdramaturgien. Fallstudien zur Performanz religiöser Bildung, hg. v. dens., Stuttgart 2012, S. 9–13, 9.
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§ 4 Tragweite und Tragfähigkeit performativer Ansätze
men und Rituale, ihrer Narrationen und Liturgien, also anhand ihrer gelebten Praxis unterrichtlich zu inszenieren. Eine solche Zielperspektive impliziert eine Hinwendung zu bibel- und liturgiedidaktischen Lernsettings, von denen vor allem letztere im Religionsunterricht um die Jahrtausendwende zu wenig Beachtung gefunden haben. Zwar mag die Situationsanalyse einiger performativer Didaktiker gelegentlich zu holzschnittartig erfolgt sein, wenn beispielsweise behauptet wurde, der Religionsunterricht sei noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine hauptsächlich „Kopierpapier-gestützte“26 und entsprechend ausschließlich verkopfte Veranstaltung gewesen. Solche verallgemeinernden Urteile sind mit gewissem Recht als „karikierend“27 kritisiert worden. Dennoch ist festzuhalten, dass insbesondere die liturgischen und rituellen Ausdrucksgestalten christlich gelebter Religion in der religionsunterrichtlichen Praxis jener Zeit zu selten vorkamen.28 Dressler setzt dem entgegen – hier stellvertretend für alle performativen Spielarten –, dass „handlungsorientiertes Verstehen von Religion als einer Praxis“29 einen integralen Bestandteil jeder theologisch reflektierten Erschließung von Religion darstellt. Besonders aus der religionspädagogisch-historischen Perspektive wurde diese Einsicht im Rahmen der vorliegenden Untersuchung verständlich. Der Blick in die Geschichte des Lernens und Lehrens „unter Inanspruchnahme des Christlichen“30 offenbart, wie sehr diese von performativen Elementen und teilweise auch deren didaktischer Reflexion durchzogen ist. So konnte insbesondere aufgezeigt werden, dass religiöse Bildung grundsätzlich und schon seit ihren Anfängen auch das Lernen an und mit den „leiblich eusserlich zeichen“31 (Martin Luther) einschloss. Selbst Jesu Reden und Wirken – etwa im Zusammenhang von Gleichniserzählung und gleichzeitiger Tischgemeinschaft mit Zöllnern und Sündern (Lk 15) oder von der Fußwaschung der Jünger mit den Abschiedsreden (Joh 13) – lässt Lernsituationen erkennen, die sich aus heutiger Sicht als performativ bezeichnen ließen.32 Die didaktische Annahme, das Wesen des Christentums erschließe sich didaktisch im Modus der Ingebrauch26 K lie , Wort, S. 105; vgl. § 1, Kap. 3.1.2.2 „Religionsunterricht als theatrales Geschehen“. Die „Kopflastigkeit“ des Religionsunterrichts sehen wie beschrieben alle Vertreterinnen und Vertreter der performativen Spielarten kritisch. Neben Klie betonen dies Bizer, Leonhard und Schroeter-Wittke besonders nachdrücklich. 27 O bst, Religion zeigen, S. 108. Vgl. Porzelt, Fluch oder Segen, S. 191 f. 28 An dieser Stelle sieht auch Grethlein einen wesentlichen „religionsdidaktische[n] Ertrag“ der performativen Ansätze: Weiterführend sei, „dass wesentliche Darstellungsformen von Religion, […] wieder Eingang in den Religionsunterricht finden.“ Grethlein, Fachdidaktik Religion, S. 265. So auch der ansonsten überaus kritische Blick auf die Erträge performativer Religionsdidaktik von Porzelt, Fluch oder Segen, S. 194. 29 D ressler , Darstellung und Mitteilung, S. 16. 30 Beutel , Nutzen und Nachteil, S. 88. 31 Luther , WA 16, S. 209. 32 Vgl. hierzu anhand von vier beispielhaften Schlaglichtern § 3, Kap. 1.1.2 „Zur Vorgeschichte: Performative Elemente in der christlich-religiösen Erziehung vor der Aufklärung“.
2 Interpretation der Untersuchungsergebnisse
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nahme seiner Zeichen, prägt als solche bereits den Taufkatechumenat als die wohl früheste institutionalisierte Form einer Bemühung um christlich-geistliche Bildung. Dies führt die Traditio Apostolica schon zu Anfang des dritten Jahrhunderts klar vor Augen.33 Der „kleinste gemeinsame Nenner“ performativdidaktischer Spielarten, Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht mit Formen gelebter Religion in Kontakt treten zu lassen, knüpft also an eine lange Tradition in der Geschichte christlicher Bildungsbemühungen an. Schon aus diesem Grund ist es unsachgemäß, die performativ-didaktischen Anliegen als bloße „Affirmation des bestehenden, exhibitionistischen und voyeuristischen postmodernen Geists“34 zu denunzieren. So unzweifelhaft das Lernen an und mit den Formen des christlich gelebten Glaubens religionspädagogisch als relevant einzuschätzen ist, so spannungsreich ist gleichzeitig die Suche nach geeigneten Inszenierungsformen solchen Lernens an der öffentlichen Schule. In § 3 sind deshalb insbesondere solche religionspädagogischen Ansätze in den Blick genommen worden, die sich mit schulisch institutionalisiertem Religionsunterricht auseinandersetzen und Unterrichtskonzepte profilieren, in denen gerade diese Spannung anklingt. Dies gilt schon für C. G. Salzmanns Didaktik der Schnepfenthaler Erziehungsanstalt, die Formen unterrichtlicher Ingebrauchnahme bestimmter religiöser Ausdrucksgestalten in das Konzept einer allgemeinbildenden Schule integriert.35 Das gemeinsame Singen, Beten und Lesen in der Bibel dient bei Salzmann weniger der Einführung in die Praxis der Religionsausübung im Sinne einer Kompetenz zur Teilnahme am Gemeindeleben, sondern soll stattdessen einen Beitrag zur Gesinnungsbildung leisten. Besonders Peter Biehls „kritische Symbolkunde“, die in dieser Hinsicht als konzeptionelle Wegbereiterin der evangelisch-performativen Ansätze zu bezeichnen ist, lässt ein entsprechendes Problembewusstsein erkennen.36 Das Wahrnehmen der christlichen Religion anhand ihrer liturgischen, rituellen und biblischen Außenseiten ist grundlegender Bestandteil des schulisch-religiösen Bildungsauftrags – und schließt stets die spezifisch-religionsdidaktische Vermittlungsproblematik ein. Die Ergebnisse der historischen Analysen brauchen hier zwar nicht im Einzelnen erneut dargestellt zu werden, wohl aber ist auf den daraus abzuleitenden Impuls für die zukünftige Gestaltung von Religionsunterricht hinzuweisen: Der Religionsdidaktik ist zwingend aufgegeben, christliche Religion, die trotz Traditionsabbruch und wachsender Konfessionslosigkeit auch heute an erster Stelle eine gelebte Religion ist, auch mit Bezug zu ihren Handlungsdimensionen 33 Vgl. ebd. 34 L ämmermann,
Show-Bühne, S. 109. § 3, Kap. 2.2 „C. G. Salzmann (1744–1811): Die Suche nach den „wirksamsten Mittel(n), Kindern Religion beizubringen“. 36 Vgl. § 3, Kap. 2.6 „Peter Biehl (1931–2006): Die Vermittlungsproblematik und das Symbol“. 35 Vgl.
284
§ 4 Tragweite und Tragfähigkeit performativer Ansätze
und den ihr eigenen Gestaltungsformen als konkrete Praxis zur Sprache zu bringen. Aus theologischer und religionspädagogischer Perspektive ist eine sachgemäße Erschließung christlicher Religion ohne diesen Bezug nicht möglich. Dies gilt in besonderem Maße im zunehmend religionsfernen Kontext des öffentlichen Lernorts Schule, wo Kenntnisse über jene Praxis vielfach nicht mehr vorausgesetzt werden können. Gerade deshalb verdankt die Religionsdidaktik diesem „kleinsten gemeinsamen Nenner“ der performativen Aufbrüche schon heute einen wirksamen Impuls, den es nun auch für die Praxis des Religionsunterrichts fruchtbar zu machen gilt. In der Folge muss allerdings die entscheidende handlungsorientierende Frage lauten, ob und inwiefern die unterschiedlichen didaktischen Theorien und konkreten Lernwege, die innerhalb der einzelnen Spielarten vorgeschlagen werden, zur Erreichung dieses Ziels unter den Bedingungen modernen Religionsunterrichts geeignet erscheinen.
2.3 Performative Spielarten in der Spannung zwischen Missionierungsverdacht und Profanisierungsgefahr Das didaktisch zentrale Spannungsfeld, in dem sich performative Entwürfe für den Religionsunterricht bewegen, wird virulent, sobald gefragt wird, wie ernst das inszenierte Spiel mit den religiösen Formen aus Sicht der Schülerinnen und Schüler zu nehmen sei. Innerhalb der Fachdiskussion baut sich dieses Spannungsfeld zwischen den beiden Polen auf, die performative Religionsdidaktik ständig begleiten: einerseits „unterschwellige Mission“, andererseits „banalisierende Folklorisierung von Religion“37. Wo die Praxis des christlichen Glaubens religionsunterrichtlich zum Thema wird, müssen zur Abwehr der einen Gefahr Distanzierungsangebote und die Möglichkeit zur Artikulation von Widerspruch durchgehend mit inszeniert werden, um das Überwältigungsverbot am öffentlichen Lernort Schule zu achten. Es steht außer Frage, dass Religionsunterricht nicht zur Ersatzveranstaltung für zunehmend weniger wirksamen, wenn nicht ganz ausbleibenden kirchlichen Unterricht im Kontext der Gemeinde werden kann und darf. Sobald performative Religionsdidaktik eine „Kompensationsstrategie“38 verfolgt, wie Rudolf Englert in Bezug auf die katholischen Entwürfe und besonders den von Hans Mendl m. E. zu pauschal kritisiert,39 überfordert sie den Lernort Schule und droht, sich in Richtung des 37 K äbisch , Performanzorientierte Religionsdidaktik, S. 376. Vgl. ähnlich auch Roose , ‚Performance‘ und ‚Performativität‘, S. 112; Englert, Zwischenbilanz, S. 9; Lämmermann, Show-Bühne, S. 109; 113 f.; Gärtner , Kunstdidaktische Performancearbeit, S. 261; A ntje Roggenkamp-K aufmann: Annäherungen an die Performative Religionspädagogik, in: PrTh 41 (2006), S. 214–219. 38 Englert, Zwischenbilanz, S. 6. 39 Englerts Kritik erscheint vor allem mit Blick auf das in § 1 ausführlich diskutierte Bi-
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längst verabschiedeten Paradigmas von „Kirche in der Schule“40 zu bewegen. Andererseits ergibt sich aber dort, wo religiöse Praxis „nur“ gespielt wird, stets die Gefahr fehlender „Ernsthaftigkeit und damit – religiös gesprochen – die Gefahr der Profanisierung“41. Ein Formenspiel, das Praxisvollzüge gelebter Religion außerhalb ihrer angestammten Verwendungskontexte auf einer schulisch inszenierten Bühne den experimentellen Verkörperungen der Schülerinnen und Schüler preisgibt, könnte schnell die spezifische Eigenart der Formen, mit denen sie spielt, aus dem Blick verlieren. Damit würde auch deren möglicher Wert für das Leben der Schülerinnen und Schüler verspielt. Die Spannung selbst ist dabei nicht Gegenstand der Kritik. Wie oben beschrieben erwächst sie didaktisch unausweichlich aus dem begründeten Vorhaben, Schülerinnen und Schüler auch im Religionsunterricht mit Formen gelebter Religion in Kontakt treten zu lassen. Jedoch ergibt sich aus diesem Spannungsfeld ein zentrales Kriterium, an dem sich die schulische Tragfähigkeit und die religionspädagogische Tragweite der performativen Spielarten entscheiden: Es muss darin transparent werden, wie die Einzelentwürfe es bewerkstelligen wollen, „den Unterricht zwischen den Klippen von ‚Missionierung‘ und ‚Profanisierung‘ zu navigieren.“42 Dies geschieht innerhalb der unterschiedlichen Spielarten auf verschiedene Weise und mit unterschiedlichem Erfolg. Im Folgenden soll anhand von drei zuvor bereits ausführlich dargestellten Ansätzen beispielhaft geprüft werden, ob bzw. inwiefern die verschiedenen didaktischen Theorien die Spannung zwischen Missionierungsverdacht und Profanisierungsgefahr gerade nicht auflösen, ihr vielmehr in überzeugender Weise Rechnung tragen. schofswort berechtigt. Vgl. Kap. 3.4 „Performative Didaktik in katholischer Auslegung“. Sie würdigt m. E. aber zu wenig Mendls gemäßigt-konstruktivistische Begründung und seine Auseinandersetzung mit der „Didaktik des Perspektivenwechsels“. Auch Mendls Versuch, nahezu sämtliche Bereiche religionsdidaktischen Handelns unter dem Begriff des Performativen zu reflektieren und entsprechende methodische Vorschläge zu formulieren, spricht gegen die Wertung seines Ansatzes als Engführung auf eine „Kompensationsstrategie“. 40 M artin R ang: Handbuch für den biblischen Unterricht. Theoretische Grundlegung und praktische Handreichung für die christliche Unterweisung der evangelischen Jugend, Bd. 1, Tübingen 31948, S. 106. Die vor allem zu Beginn der Fachdiskussion geäußerte Sorge, performative Spielarten würden schleichend einer neuen Form religionsunterrichtlicher Missionierung den Weg bereiten, wird m. E. schon insofern entkräftet, als diese Spannung innerhalb mehrerer performativer Entwürfe selbst thematisiert, als Gefahr identifiziert und durch Betonung der perspektivischen Brechung des Probehandelns v. a. bei Dressler, Klie und Leonhard ausgeschlossen wird. Vgl. Grethlein, Fachdidaktik Religion, S. 263. Unberechtigt ist auch Lämmermanns erneut vereinfachend-polemisierendes Urteil, gerade im Loccumer Umfeld sei eine „Wiederaufführung der Evangelischen Unterweisung“ zu beobachten. Lämmermann, Show-Bühne, S. 109. Sofern er sich hier auf Dressler, Klie und Leonhard bezieht, trifft dies aus oben genannten Gründen nicht zu. 41 Roose , ‚Performance‘ und ‚Performativität‘, S. 112. 42 Gärtner , Kunstdidaktische Performancearbeit, S. 261.
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§ 4 Tragweite und Tragfähigkeit performativer Ansätze
Dies gelingt besonders in Dresslers semiotisch begründetem Ansatz. Dressler schlägt im Kern eine performative „Didaktik des Perspektivenwechsels“43 vor, deren Pointe darin liegt, die Praxisformen der christlichen Religion im Unterricht so zu inszenieren, dass sie im „Modus des Als-ob“ probeweise begangen und dann sorgfältig reflektiert werden können.44 Gegenstand der Reflexion kann sowohl die individuelle Erfahrungsebene als auch die spezifische Eigenqualität der religiösen Zeichen bzw. deren subjektive Deutung sein. Zwar erkennen auch andere der hier untersuchten Ansätze die Notwendigkeit einer solchen Differenzierung zwischen den Perspektiven, etwa die von Klie und Leonhard,45 allerdings entwickelt nur Dressler eine diesbezüglich grundlegende Didaktik, die auch ausdrücklich Bedingungen für das Gelingen der Perspektivenwechsel benennt und an diesen orientierte religionspädagogische Zielsetzungen expliziert. Religionsunterricht hat nach Dressler vor allem anderen die Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen unterschiedlichen „Modi der Weltbegegnung“46 zu fördern. So soll den Schülerinnen und Schülern der religiöse Zugang zur Deutung der Wirklichkeit eröffnet werden. Beide Pole der oben formulierten Spannung sind hierbei stets im Blick: Einerseits muss die Artifizialität der unterrichtlichen Inszenierungen von den Lehrerinnen und Lehrern transparent gemacht und für die Schülerinnen und Schüler stets ersichtlich sein. So soll verhindert werden, dass schulische Lernsettings, die zum Ziele religiöser Bildung gestaltet werden, mit ungebrochener Ausübung authentischer religiöser Vollzüge verwechselt werden. Es geht also Dressler entschieden nicht um religiöses Erleben im Sinne eines Einübens in religiöse Verhaltensweisen, sondern um Probeaufenthalte in didaktisch bewusst inszenierten Settings, die ausdrücklich keine Zustimmung zu christlicher Glaubenspraxis voraussetzen oder anstreben. Entsprechend entscheidet sich das Gelingen performativer Lernarrangements bei Dressler nicht an der Tiefe der Einfühlungsprozesse in die Proberealitäten, sondern an den „Übergängen, an dem Grad der Bewusstheit ihrer Gestaltung.“47 Andererseits soll diese Bewusstheit, bei Dressler auch „gewusste Perspektivität“48 genannt, der Profanisierungsgefahr vor43
Dressler , Performanz und Kompetenz, S. 27; vgl. in Anlehnung an Dressler auch K ä-
bisch , Perspektivenwechsel, S. 378. 44 Vgl. hierzu erläuternd § 1, Kap. 3.1.1.3 „Religiöse Bildung als Unterscheidungsfähigkeit“.
45 In
Ansätzen könnte dies auch von Zilleßen und Schroeter-Wittke gesagt werden, allerdings stehen in den beiden Ansätzen „profaner Religionspädagogik“, wie gesehen, erheblich stärker die experimentierenden Verkörperungen selbst im Fokus. Vgl. § 1, Kap. 3.3 „Poststrukturalistisch begründete Performanz“. 46 Baumert, Deutschland im internationalen Bildungsvergleich, S. 113; vgl. § 1, Kap. 3.1.1.2 „Reagieren auf den Traditionsabbruch“. 47 D ressler , Theologisch reflektierte Erschließung, S. 32. Zu den Gelingensbedingungen performativer Lernarrangements bei Dressler vgl. § 1, Kap. 3.1.1.4 „Die Herausforderung der Übergänge“. 48 D ressler , Performanz und Kompetenz, S. 29. Vgl. § 1, Kap. 3.1.1.4 „Die Herausforderung der Übergänge“.
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beugen. Weil die Schülerinnen und Schüler der Theorie nach wissen, dass die Ingebrauchnahme religiöser Zeichen im Modus der Erprobung bleibt, und weil die darin eröffnete Perspektive in ihrer Perspektivität eigens zum Thema der unterrichtlichen Reflexion wird, bleibt die Differenz zwischen authentischer Religionsausübung und spielerischer Probedeutung transparent. Auf diese Weise achten Dresslers Lernarrangements auch die religiösen Formen selbst. Die darin arrangierte strukturelle Unterscheidung zwischen schulischer Inszenierung und religiöser Praxis anhand von Perspektivenwechseln kann hier – um in Gärtners Bild des Navigierens zwischen zwei Klippen zu bleiben – als derjenige Kurs bezeichnet werden, den Dressler seiner Didaktik vorgibt. In Bezug auf das hier besprochene Kriterium kann Dresslers didaktische Theorie also überzeugen. Auf die Frage nach der Praktikabilität entsprechender Lernarrangements im täglichen Geschäft des Religionsunterrichts ist an späterer Stelle dieses handlungsorientierenden Kapitels gesondert einzugehen.49 Als zweites Beispiel soll nun der Ansatz von Bizer hinsichtlich des darin vorfindlichen Umgangs mit der Spannung zwischen Missionierungsverdacht und Profanisierungsgefahr in den Blick rücken. Schon Bizers Imperativ für die Religionspädagogik, nämlich „Religion beim eigenen Wort zu nehmen, mit dem sie sich authentisch und öffentlich selbst darstellt und vollzieht“, lässt diesbezüglich eine Tendenz erkennen. Es geht in seinem gestaltpädagogisch begründeten Ansatz im Kern darum, Schülerinnen und Schüler mit christlicher Religion in Kontakt treten zu lassen. Hierbei sollen diese einerseits die Formen der Religion gestaltaktiv transformieren können, und andererseits sollen sich die Formen der Religion den Schülerinnen und Schülern selbst erschließen. Wie oben ausführlich dargestellt, misst Bizer den „eigenen Wort[en]“ der Religion eine spezifisch-performative Eigenqualität bei, die im Prozess ihres Verlautens im Unterricht selbst herbeiführen, wovon sie sprechen: „Das Wort der Religion, mündlich gesprochen, konstituiert das Gesprochene als Wirklichkeit; es bringt durch das Sprechen das zustande, was es sagt.“50 Religionsunterricht kommt dann vor allem die Aufgabe zu, Räume zu eröffnen, in denen christliche Liturgien und insbesondere das Bibelwort selbst so verlauten können, dass die in ihnen angesprochene Wahrheit herbeigeführt wird. Auch wenn hier nicht letztgültig geklärt werden kann, ob Bizer damit eine „kühne These zur Lehrbarkeit des Glaubens“51 aufstellt, droht an dieser Stelle die Gefahr einer Verletzung des Überwältigungsverbotes. Die Zitate führen deutlich vor Augen, 49 Dies erfolgt im Rahmen dieses Kapitels v. a. in Bezug auf die Herausforderungen für die Lehrkräfte. Vgl. Kap. 2.8 „Anfragen zu Praktikabilität und Lehrerrolle“. 50 Bizer , Liturgik, S. 84; vgl. § 1, Kap. 3.2.1.2 „Die authentische Selbstdarstellung von Religion im Unterricht“. 51 So deuten dies Englert, Zwischenbilanz, S. 13; sowie Wilhelm G räb: Die gestaltete Religion. Bizer’sche Konstruktionen zum Unterricht als homiletischer und liturgischer Übung, in: Religionsunterricht jenseits der Kirche? Wie lehren wir die christliche Religion?, hg. v. dems., S. 69–82, 73–78. Zur Auseinandersetzung mit dieser Frage, in die m. E. auch Bizers
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§ 4 Tragweite und Tragfähigkeit performativer Ansätze
dass Bizer von einer Performativität der christlichen Ausdrucksgestalten ausgeht, deren „Selbstwirksamkeit“52 nicht perspektivisch zu brechen, sondern im Modus angemessener Inszenierungen sogar allererst zu befördern sei. Distanzierungsangebote für Schülerinnen und Schüler, die sich dieser Wirksamkeit womöglich entziehen möchten, werden bei Bizer hingegen didaktisch nicht berücksichtigt. Dieser Beobachtung entspricht die Tendenz in Bizers Didaktik, nicht hinreichend zwischen kirchlich und schulisch verantwortetem Unterricht in Sachen Religion zu differenzieren.53 Damit soll der historische Beitrag Bizers für die Entstehung performativer Didaktik nicht gemindert werden. Der „Altmeister performativer Religionspädagogik“54 hat den Formen- und Methodenreichtum der performativen Spielarten zweifellos entscheidend mit angeregt und sein Einfluss als Impulsgeber ist kaum zu überschätzen. Vor allem sind seine Ernsthaftigkeit im Umgang mit religiösen Formen und seine Wertschätzung des gottesdienstlichen Raumes zu würdigen. Dennoch kann sein eigener religionsdidaktischer Ansatz nicht als tragfähiges Konzept zukünftigen Religionsunterrichts überzeugen, weil ihm eine lernortspezifische Konturierung des performativ-religionsunterrichtlichen Handelns fehlt und Möglichkeiten zur individuellen Distanznahme nicht konsequent berücksichtigt und didaktisch ausgewiesen werden. Mit Blick auf die oben genannte Spannung erweist sich der poststrukturalistisch begründete Ansatz von Schroeter-Wittke auf entgegengesetzte Weise als problematisch. Seine Didaktik ist, wie oben beschrieben,55 von einem theaterund kulturwissenschaftlich fundierten Performanzbegriff geprägt. Dieser geht davon aus, dass jede Bedeutung überhaupt erst in konkreter Performance entsteht. Demgemäß existiert nur, was sich auch zeigt, während es sich zeigt. Sein Ansatz, der innerhalb der Fachdiskussion insbesondere durch den katholischen Religionspädagogen Rudolf Englert scharf kritisiert worden ist, stellt wesentliche Prämissen des evangelischen wie katholischen Religionsunterrichts grundsätzlich in Frage: „Substantiell, im Sinne von ‚wesentlich‘, wird dadurch das, was herkömmlicherweise eben als eher akzidentiell betrachtet wurde: das situative Sich-Zeigen, die spezifische soziale Präsenz, die Erscheinung.“56 Redeutliche Hervorhebung der Unverfügbarkeit des Glaubens einbezogen werden muss, vgl. § 1, Kap. 3.2.1.2 „Die authentische Selbstdarstellung […]“, s. o. 52 Englert, Zwischenbilanz, S. 4. 53 Der Gedanke hin zu einer Lockerung der „historischen Arbeitsteilung zwischen Schule und Kirche“ findet sich v. a. in Bizer , Liturgik und Didaktik, S. 90–95; vgl. auch Dinger , Christoph Bizer, S. 321 f. 54 Englert, Zwischenbilanz, S. 12. 55 Vgl. § 1, Kap. 3.3.2 „Harald Schroeter-Wittke und das unterrichtliche Entstehen von Religion“. 56 So kritisiert Englert, Zwischenbilanz, S. 11; vgl. hierzu § 1, Kap. 3.3.2.1 „Die Brisanz des performative turn“.
2 Interpretation der Untersuchungsergebnisse
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ligionsunterricht hat nach Schroeter-Wittke ein grundsätzlich experimentelles und ergebnisoffenes Formenspiel zu inszenieren, in dem die Ausdrucksgestalten christlich gelebter Religion den Verkörperungen und Gestaltungsprozessen der Schülerinnen und Schülern anvertraut werden. Die Rolle der Lehrenden soll hierbei auf das Bereitstellen von Material und die „Rhythmisierung innerhalb der Unterrichtsdramaturgie“57 beschränkt bleiben, denn auch sie wissen nicht mehr über den unverfügbaren Lerngegenstand Religion als die ihnen anvertrauten Lernenden. Weil hier die „Radikalität des Sich-Zeigens“58 und die „Zumutung der Unbestimmtheit“59 auf die Spitze getrieben werden, wurde dieser Ansatz oben als „radikal-performativ“ bezeichnet. Während bei Bizer zuvor kritisiert wurde, dass seine Didaktik den „eigenen Worten der Religion“ sowie dem darin formulierten Wahrheitsanspruch ungebrochen Geltung verschaffen will, fehlt bei Schroeter-Wittke die Berücksichtigung schon der Möglichkeit einer Wahrheit jenseits der sichtbaren Inszenierungen. Wenn Religionsunterricht aber keinen Hinweis auf „ein von seinen je aktuellen Ausdrucksformen unterscheidbares Substrat“60 didaktisch reflektiert, dann steht er in der Gefahr, den Anspruch der in diesen Ausdrucksformen geäußerten Worte nicht ernst zu nehmen. Um den Vorwurf der Profanisierung christlicher Liturgien, Narrationen und Rituale abzuwenden, muss eine performative Religionsdidaktik erkennen lassen, an welcher Stelle sich die ereignishaften Transformationen der Performances auch von den Geltungs- und Wahrheitsansprüchen der Religion infrage stellen lassen. Die Transformationen sind kritisch in Beziehung zu setzen zu den Formen, mit denen sie experimentieren. Aus dem Umgang mit der Spannung zwischen Überwältigungsverbot und Profanisierungsgefahr, in der sich alle performativen Spielarten bewegen, erwachsen handlungsorientierende Impulse sowohl für Religionslehrkräfte (1) als auch für die religionsdidaktische Theoriebildung (2): Unterrichtende, die performative Lernarrangements gestalten, müssen im Sinne Gärtners zwischen den beiden „Klippen“ navigieren lernen (1). Dies bedeutet konkret, dass religiöse Formen weder so inszeniert werden dürfen, dass die Differenz zwischen ihrer unterrichtlichen Inszenierung und der authentischen Praxis, auf die sie bezogen sind, übersehen wird, noch dass der darin formulierte Geltungsanspruch didaktisch unberücksichtigt bleibt. Dresslers fun57 S chroeter-Wittke , Performance, S. 64; vgl. zur Lehrerrolle bei Schroeter-Wittke § 1, Kap. 3.3.2.2 „Religion aufs Spiel setzen“. An dieser Stelle unterscheidet sich Schroeter-Wittke deutlich von den semiotisch begründeten Ansätzen. Diese betonen zwar ebenfalls das Moment der Ergebnisoffenheit im Prozess der Deutung religiöser Zeichen, heben aber gleichzeitig auch die Relevanz der Kenntnisse und Erfahrungen der Lehrkräfte hervor. Deren Funktion erläutert Dressler anhand der Metapher des „Fremdenführers“. Vgl. Dressler , Religion unterrichten, S. 42. 58 S chroeter-Wittke , Simsalabimbambasaladusaladim, S. 376. 59 S chroeter-Wittke , Performance, S. 64. 60 Englert, Zwischenbilanz, S. 11.
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§ 4 Tragweite und Tragfähigkeit performativer Ansätze
diertes Konzept einer „Didaktik des Perspektivenwechsels“, das sowohl die Artifizialität der Inszenierungen als auch den Verweischarakter der darin verwendeten Formen thematisiert und reflektiert, bietet hierfür einen gangbaren Weg. Jedoch zeigen bereits erste empirische Untersuchungen, dass solches Navigieren ein anspruchsvolles Unterfangen bleibt.61 Die Spannung muss aber auch innerhalb der performativ-didaktischen Theoriebildung stärker reflektiert werden, und zwar mit dem Ziel, konkrete Empfehlungen und Richtlinien zu erarbeiten, an denen sich die Religionslehrkräfte in der Durchführung performativer Settings für ihre Unterrichtspraxis orientieren können (2). Dabei ist es kontraproduktiv, wenn Unterrichtsvorschläge der führenden performativen Didaktiker, wie oben in § 1 gezeigt, selbstgesteckte Grenzen verletzen und die Ebenen zwischen Teilhabe und Reflexion verwischen.62 Gerade exemplifizierende Lehrmaterialien werden von Lehrenden oft als musterhafte und daher sehr bedeutsame Orientierungsmarken genutzt, weshalb diese die jeweiligen didaktischen Grundlinien der einzelnen Spielarten verlässlich abbilden sollten. Perspektivenwechsel stellen als Strukturmodelle den didaktischen Schlüssel zur Möglichkeit performativ-didaktischer Arbeit am Lernort Schule dar. Insofern sind sie für eine zukunftsfähige performative Religionsdidaktik unverzichtbar und entsprechend den exemplarischen Inszenierungen zugrunde zu legen. Nur so können diese Beispiele performativer Didaktik auf tragfähige Weise wirksam werden.
2.4 Gelebter christlicher Glaube im Verhältnis zur „Unterrichtsreligion“ Mit der Spannung zwischen Missionierungsverbot und Profanisierungsgefahr ist auch die Frage eng verknüpft, wie in performativen Lernsettings das Verhältnis zwischen den Ausdrucksformen authentischer Religionspraxis und deren unterrichtlicher Ingebrauchnahme zu bestimmen ist. Vor allem die Sorge, performative Religionsdidaktik könnte mit ihren Inszenierungen einer „Folklorisierung und Banalisierung“63 von Religion den Weg bereiten, erwächst aus der Einsicht in die Differenz zwischen christlich-gelebtem Glauben einerseits und 61 Wie oben bereits angekündigt wird deshalb die Praktikabilität performativer Lernarrangements in einem späteren Kapitel dieses Auswertungsteils eigens in den Blick genommen. Vgl. hierzu den Unterabschnitt 2.8 „Anfragen zu Praktikabilität und Lehrerrolle“. 62 Besonders deutlich konnte auf eine solche Grenzverletzung im Praxisband „Gestalteter Glaube“ von Husmann / K lie hingewiesen werden. Dort sollen Schülerinnen und Schüler sich beim Namen nennen, während sie sich gegenseitig Segen spenden. Eine perspektivische Brechung auch innerhalb des Probehandelns ist dort nicht erkennbar. Vgl. § 1, Kap. 3.1.2.3 „Prozedurale Regeln im didaktischen Spiel“. Eine vergleichbare „Grenzverletzung“ stellt auch die hier untersuchte Stunde von Schambeck dar; vgl. § 1, Kap. 3.4.2.2 „Mystagogisches Lernen als Konkretion performativer Religionsdidaktik“. 63 M ichael D omsgen: Sensibilisieren, vor Augen führen und plausibilisieren. Lerntheoretische und schulpädagogische Perspektiven, in: ZPT 66 (2014), S. 243–252, 248.
2 Interpretation der Untersuchungsergebnisse
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unterrichtlich inszeniertem Probehandeln andererseits. Diese Differenz verweist auf eine Herausforderung und Bedingung jeder Spielart performativer Religionsdidaktik: Während Begehungen religiöser Ausdrucksgestalten mithilfe sorgsam inszenierter Perspektivenwechsel und Reflexionsphasen didaktisch davor schützen können, die Formen zu ernst (im Sinne einer Überwältigung der Schülerinnen und Schüler) oder nicht ernst genug zu nehmen (im Sinne einer Profanisierung der religiösen Ausdrucksgestalten), bleibt im öffentlichen Religionsunterricht ausgeschlossen, religiöse Handlungsvollzüge auf dieselbe Weise zu verwenden, wie dies ihren religiösen Kontexten entspräche.64 Anders gesagt: Das unterrichtliche Lernarrangement ist immer eine didaktisch bewusst inszenierte, artifizielle Lernsituation und muss als solche gerade in performativen Proberäumen auch markiert sein. Diese didaktische Künstlichkeit unterscheidet die Proberealität von der authentischen Praxis, auf die sie sich bezieht. Daher kann performative Religionsdidaktik genau genommen keine Kontaktaufnahme mit authentischen Ausdrucksformen christlich-gelebter Religion im engeren Sinne inszenieren, sondern immer „nur“ mit einer von diesen Ausdrucksformen abgeleiteten Version, die das Umfeld Schule widerspiegelt. Zwar geben performative Religionsdidaktiker zu Recht zu bedenken, dass künstliche Inszenierung und Didaktisierung das Lernen in sämtlichen Schulfächern kennzeichnet,65 dennoch verweist die Entkontextualisierung der religiösen Formen auf ein spezifisch religionsdidaktisches Problem. Besonders in § 2 ist nämlich deutlich geworden, dass schulisches Probehandeln etwa in den Fächern Deutsch und Darstellendes Spiel,66 aber auch in Musik, Kunst oder den Fremdsprachen anderen Voraussetzungen unterliegt.67 Wenn das Darstellende Spiel eine Performance einübt, der Deutschunterricht eine individuelle Leseerfahrung mit handlungs- und produktionsorientierten Verfahren anregt,68 der Englischunterricht in englischer Sprache stattfindet, im Musikunterricht musiziert oder im Sportunterricht Fußball gespielt wird, dann kann und soll die Differenz zwischen au64 Diese
Grundbedingung sehen auch die performativen Religionsdidaktiker selbst. Vgl. stellvertretend Dressler / K lie , Strittige Performanz, S. 211: „Unvermeidlich geht damit [dem Umstand, dass religiöses Lernen für die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler ausschließlich in der Schule stattfindet, FD] aber ein Gestaltwandel der christlichen Religion einher.“ 65 Vgl. z. B. Husmann / K lie , Gestalteter Glaube, S. 12 f. 66 Vgl. vor allem die abschließende Pointierung in § 2, Kap. 4 „Zwischenfazit“. 67 So auch M andl-S chmidt, Dauerhafte Perspektive?, S. 51. 68 Obwohl die Notwendigkeit zur Unterscheidung zwischen Probehandeln im „Modus des Als-ob“ und authentischer Praxis sich m. E. in Bezug auf den Leseprozess im Fach Deutsch nicht in vergleichbarer Dringlichkeit wie bezüglich performativer Lernarrangements stellt, wurde auch innerhalb der Deutschdidaktik eine intensive Diskussion über das Verhältnis der behandelten Literatur zu deren schulischer Inszenierung geführt. Auch hier wurde die Frage aufgeworfen, ob der Eigenwert der behandelten Lerngegenstände (hier v. a. der literarischen Texte) in den handlungs- und produktionsorientierten Lernarrangements genügend zur Geltung kommt. Vgl. § 2, Kap. 2.3 „Performative Religionsdidaktik und handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht im Vergleich“.
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§ 4 Tragweite und Tragfähigkeit performativer Ansätze
thentischer und inszenierter Praxis im „Modus des Als-ob“ verwischen. Phasenweise wird sie, wenn man etwa an die Performativität eines Fußballspiels zwischen Parallelklassen im Nachmittagsunterricht oder an Aufführungen der Theatergruppe, des Schulchores und Schulorchesters in der Aula denkt, sogar bewusst aufgehoben. Wenn aber gerade diese Differenz aus den oben genannten Gründen im performativen Religionsunterricht stets gewährleistet und transparent bleiben muss, dann wird die Religion, die im Religionsunterricht probeweise begangen werden kann, stets zur „Schulreligion“.69 Die Einsicht in diese strukturell bedingte und fachdidaktisch gebotene Entkontextualisierung der religiösen Ausdrucksgestalten im schulischen Unterricht bildet m. E. eine notwendige Voraussetzung für die Tragfähigkeit und Tragweite der performativen Spielarten. Sie führt zudem wichtige Grenzen des schulisch Machbaren vor Augen. Wenn hingegen die Deutsche Bischofskonferenz das Ziel ausgibt, Religionsunterricht solle „eigene Erfahrungen mit Glaube und Kirche ermöglichen“ sowie ein „Vertrautmachen mit Vollzugsformen des Glaubens“70 anstreben, dann muss entsprechend der oben formulierten Einsicht entgegnet werden, dass weder das eine noch das andere mithilfe einer schulisch verantwortbaren performativen Religionsdidaktik gelingen kann. Die Differenz zwischen unterrichtlich darstellbarer „Schulreligion“ und christlicher Religion in ihren pluriformen, beispielsweise gemeindlichen, familiären oder öffentlichen Gestaltwerdungen steht dem im Wege. Positiv gewendet entlastet diese Unterscheidung die performativen Ansätze von der Erwartung, die Liturgien und Rituale ihrem ursprünglichen Lebenszusammenhang in Kirche und anderen Orten der Religionsausübung entsprechend didaktisch inszenieren zu müssen. Wenn Lehrerinnen und Lehrer gemäß den Forderungen einer Didaktik des Perspektivenwechsels überzeugend erklären, begründen und zeigen, dass ihre unterrichtlichen Inszenierungen als Proberäume zu verstehen sind, die in einem zweiten Schritt zu bestimmten Konkretionen religiöser Praxis in Beziehung gesetzt werden, wird es didaktisch möglich, die Dignität der religiösen Formen selbst zu respektieren. Diese Differenz muss nicht zwingend als Mangel performativer Didaktik verstanden werden. Dennoch verweist sie auf eine zentrale Herausforderung für den Religionsunterricht der Zukunft: Ein wesentlicher Begründungsansatz vieler performativer Spielarten geht von der Beobachtung aus, dass Schülerinnen und Schüler heute immer seltener schon außerhalb der Schule religiös sozialisiert und alphabetisiert werden. Gerade deshalb sei christlich-religiöse Praxis 69 Einen
anderen Fall stellen die vielfältigen Gestaltungen von „Religion im Schulleben“ dar (s. u.). Wo religiöse Praxis beispielsweise in Form von Gottesdiensten, Andachten und Meditationen außerhalb des Unterrichts stattfindet, ist sie von diesem kategorial unterschieden. 70 D eutsche Bischofskonferenz , Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen, S. 24 f.; vgl. zu diesem Zitat und dessen Sprengkraft ausführlich § 1, Kap. 3.4 „Performative Didaktik in katholischer Auslegung“.
2 Interpretation der Untersuchungsergebnisse
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im schulischen Kontext zu thematisieren und die Begegnung mit ihr zu ermöglichen. Folgt man der Annahme des fortschreitenden Traditionsabbruchs,71 dann werden zunehmend die Erfahrungen des Religionsunterrichts für die Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler die einzigen Berührungspunkte mit Religion als Praxis bleiben. Wie Schröder mit Blick auf den Ist-Zustand religiöser Bildung feststellt, gehe schon heute „didaktisch arrangierte Religion […] immer häufiger der erlebten oder gar gelebten Religion voraus“72. Was aber im Religionsunterricht als christlich-religiöse Praxis eingespielt wird und dort Gestalt annehmen kann, ist, wie gesehen, nicht mit dieser Praxis identisch und darf es auch nicht werden. Didaktisierte „Schulreligion“ wird aus Schülersicht so zum zentralen Medium, um christliche Religion in ihren Gebrauchszusammenhängen zu verstehen. Die religionspädagogischen Implikationen, die einer derart weitreichenden Entkontextualisierung zugrunde liegen, sind in der Diskussion um den performative turn der Religionsdidaktik bisher kaum in den Blick genommen worden und bedürfen grundsätzlicher Klärung. Das jüngst erschienene niedersächsische Kerncurriculum für die Sekundarstufe 1 des Gymnasiums nennt unter den Zielen des evangelischen Religionsunterrichts auch, die Schülerinnen und Schüler sollten „Grundformen religiöser und biblischer Sprache sowie individueller und kirchlicher Praxis kennen und deuten“73 lernen. Hier wird dem oben so genannten „kleinsten gemeinsamen Nenner“ der performativen Spielarten, christliche Religion sei auch in ihren Liturgien, Narrationen und Ritualen unterrichtlich zu thematisieren, ein verbindlicher Ort im Religionsunterricht zugewiesen. Gleichzeitig wird aufgrund der Differenz zwischen „Schulreligion“ und authentischer Praxis gelebten Glaubens deutlich, dass Religionsunterricht auch dieses Teilziel religiöser Bildung nicht ausschließlich im Modus von performativer Inszenierung, probeweiser Begehung und anschließender Reflexion erreichen kann. Es fehlt die Kontakt71 Die Grundtendenz, das eine christlich-religiöse Bildungssozialisation in Deutschland rückläufig ist, ist unstrittig und durch eine Vielzahl von Studien auch empirisch hinreichend belegt. Dennoch empfiehlt die hier vorgelegte Arbeit in § 4, Kap. 2.5 („Differenzierung der These vom Traditionsabbruch“) einige grundsätzliche fachdidaktische Differenzierungen, die in nahezu allen performativen Ansätzen bisher zu wenig in den Blick genommen worden sind. Als Ausnahme wurde im Rahmen dieser Studie der Ansatz von Mendl benannt. 72 Bernd Schröder : Religionspädagogische Ansatzpunkte und Konsequenzen, in: Jugendliche und Religion. Analysen zur V. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD, hg. v. dems., Jan H ermelink und Silke Leonhard, Religionspädagogik innovativ 13, Stuttgart 2017, S. 287–296, 292. 73 Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.): Evangelische Religion. Kerncurriculum für das Gymnasium. Schuljahrgänge 5–10, Hannover 2016, S. 15. Auffällig ist, dass im aktuellen Kerncurriculum für das Fach Katholische Religion an entsprechender Stelle der Verweis auf die „kirchliche Praxis“ fehlt. Dort lautet der Wortlaut: „Grundformen religiöser Sprache (z. B. Gebet, Lied, Bekenntnis, Gleichnis, Mythos, Symbol) erkennen und als Ausdruck existenzieller Erfahrungen verstehen.“ Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.): Katholische Religion. Kerncurriculum für das Gymnasium. Schuljahrgänge 5–10, Hannover 2016, S. 15.
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§ 4 Tragweite und Tragfähigkeit performativer Ansätze
aufnahme zu authentischen Formulierungen „religiöser […] Sprache“ ebenso wie zu tatsächlichen Ausdrucksgestalten einer religiösen Praxis. Dieses Desiderat ist in einigen performativen Entwürfen bereits in den Blick genommen worden. So weiten etwa die Ansätze von Klie, Bizer, Leonhard und Mendl den Fokus performativ-didaktischer Aufmerksamkeit, indem sie empfehlen, etwa Begehungen von Kirchenräumen (v. a. Klie und Bizer)74, Besuche von kirchlichen Einrichtungen und gemeindlichen Festen im Modus teilnehmender Beobachtung (v. a. Leonhard und Mendl)75 sowie Gespräche mit authentischen Zeugen unterschiedlicher Religionen (v. a. Mendl)76 stärker im religiösen Bildungsprozess zu berücksichtigen. Auch die vielfältigen Ausdrucksformen von Religion im Schulleben eignen sich in besonderem Maße, religiöse Praxis kennen und vor allem selbst gestalten zu lernen.77 Alle diese Beispiele eint gegenüber performativen Inszenierungen von Proberäumen der Vorteil, dass die jeweils darin ansichtig werdende religiöse Praxis größere Authentizität besitzt. Gemeinsam ist ihnen aber auch der Nachteil geringerer Praktikabilität im täglichen Unterrichtsgeschehen. Authentische Vertreter sind in der Regel mit einigem Vorlauf einzuladen, Gottesdienste finden selten während der Unterrichtszeit statt, Kirchen befinden sich nicht auf dem Schulgelände und Religion im Schulleben hat für viele Schülerinnen und Schüler gerade darin ihren besonderen Reiz, dass sie „anders als Schule“, nämlich von unterrichtlicher Verbindlichkeit und Didaktisierung losgelöst ist. Dennoch bleibt festzuhalten: Performativdidaktische Inszenierungen sind nicht mit der religiösen Sprache und Praxis identisch, die sie inszenieren. Anders als in bestimmten Lernsettings der Fächer Sport, Musik oder Darstellendes Spiel muss die Differenz zwischen artifizieller und authentischer Performance durchgehend bewusst und sichtbar bleiben. Wenn Schülerinnen und Schüler aber zukünftig nicht ausschließlich mit schulisch-entkontextualisierten Formen und Vollzügen christlicher Praxis in Kontakt kommen sollen, darf performative Religionsdidaktik Begegnungslernen mit Formen und Manifestationen gelebten Glaubens auch außerhalb der Schule 74 Vgl. z. B. jeweils grundlegend K lie (Hg.), Kirchenpädagogik und Religionspädagogik; Bizer , Kirchgänge. 75 Vgl. M endl , Religion erleben, S. 107–120. Mendl lotet in diesem Praxiskapitel eine Vielzahl von Möglichkeiten aus, wie Religionsunterricht den „Lernort Gemeinde“ nicht nur thematisieren, sondern auch selbst besuchen kann. Leonhard hingegen richtet ihr Augenmerk vor allem auf Lernchancen in Bezug auf religiöse Feiern bzw. Gottesdienste am Lernort Schule sowie die Möglichkeiten des liturgischen Lernens im Binnenraum des Religionsunterrichts. Vgl. Jochen A rnold / Friedhelm K raft / Silke Leonhard / P eter Noẞ -Kolbe (Hg.): Gottesdienst und religiöse Feiern in der Schule, Hannover 2015; darin insbesondere Silke Leonhard / P eter Noẞ -Kolbe: Schulgottesdienste feiern – Theologische Herausforderung, pädagogische Handlung, spirituelle Chance, S. 21–34 sowie Silke Leonhard: Gottesdienst lernen? – Liturgiedidaktik im Religionsunterricht, S. 143–154. 76 Vgl. M endl , Religion erleben, S. 269–289. 77 Vgl. hierzu grundlegend Bernd S chröder (Hg.): Religion im Schulleben. Christliche Präsenz nicht allein im Religionsunterricht, Neukirchen-Vluyn 2006.
2 Interpretation der Untersuchungsergebnisse
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nicht ersetzen. Diskussionen mit authentischen Vertretern möglichst vieler Religionen, Besuche lebendiger Gemeinden, christlicher Kirchen und geistlicher Orte anderer Religionen sowie nicht zuletzt die teilnehmende Beobachtung an religiösen Feiern sind nicht als Alternativen, sondern als Bestandteile einer zukunftsfähigen performativen Religionsdidaktik zu verstehen.
2.5 Differenzierung der These vom Traditionsabbruch Die vorliegende Studie hat in jeder der betrachteten Spielarten performativer Religionsdidaktik auch die jeweilige Analyse zur Situation des zeitgenössischen Religionsunterrichts und seiner gesellschaftlichen wie pädagogischen Bedingungen untersucht. Dabei wurde als wesentlicher Ausgangspunkt und Begründungsansatz für eine performative Neuorientierung der Religionsdidaktik eine Beobachtung hinsichtlich der Lernvoraussetzungen heutiger Schülerinnen und Schüler immer wieder hervorgehoben:78 Christlich geprägte Bildungssozialisation ist heute nicht mehr selbstverständlich vorauszusetzen, weshalb das Christentum für weite Teile der Schülerschaft zur „Fremdreligion“79 geworden ist. Die religionssoziologische These eines fortschreitenden „Traditionsabbruchs“80, die Wilfried Bergau-Braune schon in den 1980er Jahren formuliert hat, wurde in jüngerer Zeit durch eine Vielzahl empirischer Studien fundiert81 und wird weiterhin als eine der wesentlichen Herausforderungen gegenwärtiger Religionspädagogik interpretiert.82 Besonders die 2014 veröffentlichten Ergeb78 Mit Ausnahme von Bizer und Zilleßen, die zumindest primär andere Herausforderungen zeitgenössischer Religionsdidaktik betonen, gilt dies – in unterschiedlicher Gewichtung – für sämtliche der hier untersuchten Autoren. Vgl. hierzu die Zusammenfassung in § 1, Kap. 4 „Zwischenfazit“. 79 Bergau -Braune , Traditionsabbruch, S. 43; vgl. § 1, Kap. 3.1.1.2 „Reagieren auf den Traditionsabbruch“. 80 Bergau -Braune , Traditionsabbruch, S. 43. 81 Auf einzelne Ergebnisse, Studiendesigns und spezifische Unterschiede kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Eine Pointierung der einschlägigen Ergebnisse mehrerer schulbezogener empirischer Studien seit 2006 setzt Schröder mit Ergebnissen der V. KMU (s. u.) in Beziehung. Vgl. Bernd Schröder: Schülerinnen und Schüler und ihr Verhältnis zur (christlichen Religion). Die einschlägigen Ergebnisse der V. KMU im Vergleich zu Resultaten anderer schulbezogener empirischer Studien der Jahre 2006–2016, in: Jugendliche und Religion. Analysen zur V. Kirchenmitgliedschaftsstudie der EKD, hg. v. dems., Jan H ermelink und Silke Leonhard, Religionspädagogik innovativ 13, Stuttgart 2017, S. 203–234. 82 Vgl. Silke Leonhard: Warum eine jugendbezogene und religionspädagogische Lesart der V. KMU? Fragen zur Gegenwart im Interesse der Zukunft, in: Jugendliche und Religion. Analysen zur V. Kirchenmitgliedschaftsstudie der EKD, hg. v. Bernd Schröder , Jan H ermelink und ders., Religionspädagogik innovativ 13, Stuttgart 2017, S. 33–41. In Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der EKD‑Studie stellt Leonhard hier fest, dass das Phänomen „wachsende[r] Religionsferne“ die Religionspädagogik im Kern dazu auffordert, religiöse Bildung als Ganzes von veränderten Voraussetzungen her zu denken und zukünftig vermehrt solche Ausgangspunkte des Lernens in den Blick zu nehmen, „die in Bezug auf Wissen, defizitär formuliert, stärker voraussetzungslos sind.“ Ebd., S. 35.
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§ 4 Tragweite und Tragfähigkeit performativer Ansätze
nisse der fünften Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD haben in der Religionspädagogik „Furore gemacht“83, indem sie das konstante Wegbrechen religiöser Sozialisation und Zugehörigkeit, die „Stabilität des Abbruchs“84, vor allem in der Altersgruppe der 14–21 Jährigen, unmissverständlich vor Augen führten. 2017 konstatiert Schröder mit Bezug auf eine repräsentative Auswahl schulbezogener empirischer Studien eine „gravierende Übereinstimmung“85 aller Ergebnisse im Bereich der religiösen Sozialisation: „Einigkeit besteht in allen Studien darin, dass diese in muslimischen Familien intensiver und ‚erfolgreicher‘ verläuft als in christlichen, und dass die Religiosität von Eltern, ihr Wille zur Weitergabe religiöser Tradition und auch der tatsächlich erzielte religiöse Sozialisationseffekt generell, insbesondere aber im christlichen Kontext, rückläufig ist.“86 Rückblickend ist Dressler zuzustimmen, der schon im ersten Themenheft zum performativen Neuansatz (2002) einen „wachsenden Selbstverständlichkeitsverlust der christlichen Religion“87 sowie ihre zunehmende Fremdheit aus Sicht der Schülerinnen und Schüler als entscheidende Bedingung und Herausforderung zukünftiger Religionsdidaktik markierte. Der schon mehrfach herangezogene „kleinste gemeinsame Nenner“ aller performativen Spielarten, christliche Religion nicht bloß diskursiv, sondern mit Bezügen zu ihrer gelebten Praxis im Unterricht zu thematisieren, ist in den meisten Spielarten insgesamt als didaktische Reaktion auf diese Tendenz zu verstehen. Die grundsätzliche Bestätigung der Herausforderung und Relevanz des Traditionsabbruchs ist hier erforderlich, um die folgenden kritischen Anfragen an die Situationsanalysen der meisten performativen Spielarten nicht als Versuch der Relativierung der These vom Traditionsabbruch selbst misszuverstehen. Die Bestätigung soll es vielmehr ermöglichen, den mit den Anfragen intendierten handlungsorientierenden Impuls zu deren Differenzierung88 erkennen zu können. Die Tendenz hin zu einer Entfremdung von christlicher Religion besonders in ihrer kirchlich verfassten Form bleibt unstrittig und steht der Religi83 84
Schröder , Schülerinnen und Schüler, S. 3. Gert P ickel: Jugendliche und junge Erwachsene, in: Engagement und Indifferenz. Kirchenmitgliedschaft als soziale Praxis, hg. v. der Evangelischen K irche in Deutschland, Hannover 2014, S. 60–72, 63. 85 S chröder , Schülerinnen und Schüler, S. 229. 86 Ebd. 87 D ressler , Darstellung und Mitteilung, S. 11. Das Themenheft der Fachzeitschrift „Religionsunterricht an höheren Schulen“ (rhs) kann – wie in der Einleitung zu dieser Studie bereits angedeutet – als erste breitenwirksame Veröffentlichung verstanden werden, die sich dezidiert mit performativer Religionsdidaktik befasste. Erst im Folgejahr erschien die erste Auflage des Sammelbandes „Schauplatz Religion“, den Klie und Leonhard gemeinsam herausgaben, und der als erste Monographie zum Thema bezeichnet werden kann. 88 Ansätze einer solchen Differenzierung konnten in § 1 lediglich in der katholisch begründeten Spielart Mendls nachgewiesen werden, dort besonders in der Berücksichtigung zunehmender individualisierter und kirchenferner Formen von Religiosität. Vgl. § 1, Kap. 3.4.1.2 „Mendls Problemanzeige und didaktische Schlussfolgerung“.
2 Interpretation der Untersuchungsergebnisse
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onspädagogik heute womöglich sogar noch klarer vor Augen als zu Beginn der Debatte über eine „performative Wende“. Dennoch lässt sich die Situationsanalyse des Religionsunterrichts nicht allein auf diese zutreffende Einschätzung beschränken, ohne damit die Komplexität aktueller religionsdidaktischer Bedingungsgefüge zu verkennen. Gerade weil die meisten performativen Spielarten ihr didaktisches Theoriegebäude auf der Feststellung defizitärer Lernvoraussetzungen von Schülerinnen und Schülern aufbauen, muss zuerst kritisch gefragt werden, ob diese Voraussetzungen wirklich für alle Schülerinnen und Schüler gelten. Wenn dies nicht zutrifft, ist ferner zu untersuchen, was und wie diejenigen in performativen Lernarrangements lernen (können), für die andere Lernvoraussetzungen gelten. Tatsächlich gibt es nach wie vor nicht wenige Schülerinnen und Schüler, für die christliche Praxis keine fremde Welt ist; und es gibt eine wachsende Zahl von Schülerinnen und Schülern, die bereits eigene Erfahrungen mit der Praxis einer anderen Religion gesammelt haben. Dieselben empirischen Studien, die eine rückläufige christlich-religiöse Sozialisation nachweisen, zeigen auch die übereinstimmende Tendenz, dass Jugendliche in ihrem Verhältnis zu Religion nicht als homogene Gruppe betrachtet werden können. Dies gilt sowohl in Bezug auf „ihre Einstellungen zu Religion und Religiosität“ als auch hinsichtlich ihrer Vertrautheit mit der Verwendung religiöser „Praxen und Interpretamente“89. Es gilt darüber hinaus auch im Blick auf ihre Pflege „individuell-religiöse[r] Positionen und Praxen“90. Empirisch kann folglich auch heute keineswegs davon ausgegangen werden, dass unterrichtliche Inszenierungen von Gebetshaltungen, Abendmahlsfeiern, Taufhandlungen etc. für sämtliche Schülerinnen und Schüler den Erstkontakt mit diesen Formen darstellen. Zweifellos steht Religionsunterricht also vor der Frage, wie situationsgerechte Lernangebote für nicht religiös sozialisierte Schülerinnen und Schüler zu gestalten sind. Dies darf jedoch nicht zur einzigen Frage werden, die Religionsunterricht hinsichtlich seiner Situations- und Schülerorientierung zu beantworten hat. Kinder und Jugendliche, die sich in religiösen Praxisvollzügen nicht auskennen, dürfen entsprechend nicht allein diejenigen sein, auf die hin Religionsunterricht gestaltet wird und an denen sich seine Didaktik ausrichtet. Auch die vielschichtigen Herausforderungen zum Beispiel des Religionspluralismus, der Konfessionslosigkeit91 und der zunehmenden Ausprägungen unterschiedlicher Formen des Fundamentalismus gewinnen an Bedeutung und wollen religionsdidaktisch bedacht sein. 89 90
Schröder , Schülerinnen und Schüler, S. 230 f. Ebd., S. 231. 91 Mit Domsgen ist zwar einerseits zu bestätigen, dass „mehrheitliche Konfessionslosigkeit [zunehmend] als Normalfall“ angesehen werden muss, andererseits ist aber hervorzuheben, dass auch die Gruppe der Konfessionslosen keinesfalls homogen ist und nicht durchgehend als „areligiös“ oder nicht religiös sozialisiert zu bezeichnen ist. Vgl. M ichael D omsgen: RU in konfessionsloser Mehrheitsgesellschaft. Didaktische Herausforderungen und Ansätze, in: Theo-Web 12/1 (2013), S. 150–163, 150 f.
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§ 4 Tragweite und Tragfähigkeit performativer Ansätze
Eine performative Religionsdidaktik, die ausschließlich als Reaktion auf den Traditionsabbruch konzipiert ist, kann daher der gegenwärtigen, hochgradig heterogenen religiösen und weltanschaulichen Landschaft innerhalb der Schulen nicht gerecht werden.92 Die „religiöse Sprach- und Lebenswelt heutiger Schülerinnen und Schüler“, so lässt sich feststellen, ist „weitaus vielfältiger […], als es das Konstrukt der Fremdheit zu suggerieren scheint.“93 Wenn aber wachsende Heterogenität auch die religiösen Vorprägungen von Schülerinnen und Schülern betrifft und wenn ferner neben dem Traditionsabbruch aktuell weitere, vielförmige (religions‑)soziologische Transformationsprozesse an religionspädagogischer Relevanz gewinnen, dann muss diese Heterogenität auch in der Didaktik des performativen Religionsunterrichts wahrgenommen und berücksichtigt werden. Bisher aber ist eine in dieser Hinsicht „differenzsensible Erschließung von Inhalten religiöser Bildung“94 in performativ-didaktischen Ansätzen sowie den dazugehörigen Unterrichtsentwürfen kaum erkennbar. Aus der Konzentration vieler Situationsanalysen auf den Traditionsabbruch, die bereits in § 1 festgestellt wurde, erwächst m. E. ein Desiderat hinsichtlich der didaktischen Theorien. Die didaktische Argumentation, Religionsunterricht könne sich nicht länger auf das „Reden über Religion“95 beschränken, weil die Praxis, auf die dieses Reden sich bezieht, nicht mehr bekannt ist, erscheint nur dort schlüssig, wo diese Praxis auch wirklich unbekannt ist. Ein Konzept zur differenzsensiblen Unterrichtsgestaltung erfordert aber, unterschiedliche Voraussetzungen in heterogenen Lerngruppen fachdidaktisch zu berücksichtigen und zu bedenken. Dafür muss die performativ-didaktische Theoriebildung m. E. unter anderem die folgenden Fragen klären: – Sollen performative Proberäume auch dann inszeniert werden, wenn Schülerinnen und Schüler mit darin inszenierten Vollzugsformen christlich gelebten Glaubens bereits vertraut sind? – Inwieweit wären solche Proberäume anders zu inszenieren? – Bis zu welchem Grad sind auch Mitglieder anderer Religionen dazu aufgefordert, sich im unterrichtlichen „Modus des Als-ob“ auf christliche Praxisformen einzulassen? – Wäre es umgekehrt denkbar, Zugänge zu Praxiselementen anderer Religionen im katholischen, evangelischen oder konfessionell-kooperativen Religionsunterricht zu eröffnen? – Wie ist damit umzugehen, wenn tendenziell christlich sozialisierte Schülerinnen und Schüler die inszenierten Formen schon aus kirchlichen Kontex92 Vgl.
Gärtner , Performanz oder Reflexion, S. 56 f. Roggenkamp-K aufmann, Annäherungen, S. 218; vgl. Obst, Religion zeigen, S. 117 f.; Grethlein, Fachdidaktik Religion, S. 267. 94 S chröder , Religionspädagogische Ansatzpunkte, S. 290. 95 S chmid, Mehr als Reden über Religion, S. 2. 93
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ten kennen, aber gerade deshalb nicht in schulischen Spielräumen damit experimentieren möchten? – Sollen Schülerinnen und Schüler auch dann dazu aufgefordert werden, sich auf solche Vollzugsformen einzulassen, wenn sie schon im Vorfeld entsprechender Begegnungen bewusst eine Haltung von „Desinteresse, Widerstand oder Verweigerung“96 einnehmen? – Führen heterogene Vorprägungen und Erfahrungen überhaupt zu unterschiedlichen Anforderungen hinsichtlich der Inszenierung religiöser Proberäume? – Inwieweit sind religionssoziologisch relevante Unterscheidungen wie die Diskrepanzen zwischen Stadt- und Landschulen, Schulen in ost- oder westdeutschen Bundesländern, unterschiedlichen Schulformen,97 Lerngruppen mit vornehmlich männlichen oder weiblichen, älteren oder jüngeren Schülerinnen und Schülern,98 Kindern und Jugendlichen mit oder ohne sonderpädagogischem Förderbedarf99 etc. relevant für das Gestalten und Gelingen performativer Lernarrangements? Die Spielarten performativer Religionsdidaktik eint das Anliegen, Möglichkeiten unterrichtlicher Erschließung von christlicher Religion auch in Kontexten auszuloten, in denen religiöse Vorerfahrungen tendenziell die Ausnahme bilden. Die rückläufige Ausprägung christlicher Sozialisation, die wachsende Bereitschaft getaufter Jugendlicher, aus der Kirche auszutreten und nicht zuletzt die zunehmende Anzahl konfessionsloser Heranwachsender belegen die Dringlichkeit dieses Anliegens. Gleichzeitig erstaunt, wie wenig Heterogenität – eine Größe, die unterrichtliche Zusammenhänge in Zeiten postmoderner Pluralität konstitutiv mitbestimmt – in den fachdidaktischen und unterrichtspraktischen Veröffentlichungen zur performativen Neuorientierung der Religionsdidaktik bisher für die Gestaltung erfolgversprechender performativer Lern96
Obst, Religion zeigen, S. 110. In Bezug auf schulformspezifische Differenzierungen stellt David Käbisch zu Recht fest, dass performative Unterrichtsentwürfe oder Stundenbeispiele mit Ausnahme der Förderschule für alle Schulformen bereits ausgearbeitet wurden, während allerdings „die Theoretiker einer performativen Religionsdidaktik die Schulformthematik bislang nicht systematisch entfaltet“ hätten. K äbisch, Perspektivenwechsel, S. 351 f. 98 Die Fragen, für welche Altersstufen performative Lernsettings geeignet sein können und vor allem welche unterschiedlichen Implikationen religiöse Praxis als „Probewelt“ jeweils hervorruft, werden von Roose mit Blick auf die Grundschule kritisch in den Blick genommen. Sie stellt hierbei fest, dass gerade der kognitive Nachvollzug von Perspektivenwechseln, also das metareflexive Moment der „Unterscheidungsfähigkeit“, das Dressler zum Leitziel performativer (und aller anderen) Religionsdidaktik erklärt, als große Herausforderung zu bezeichnen ist. Vgl. H anna Roose: Religiöse Praxis in der Grundschule. Eine Standortbestimmung im Rahmen der Debatte zum performativen Ansatz, in: Loccumer Pelikan 3 (2008), S. 103–110. 99 Gärtner stellt insbesondere mit Blick auf Kinder mit Förderschwerpunkt „Lernen“ fest, dass „die stets betonte Notwendigkeit der unterrichtlichen Reflexion performativen Handelns“ dort als „äußerst prekär“ einzuschätzen ist. Vgl. Gärtner , Performanz oder Reflexion, S. 56. 97
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§ 4 Tragweite und Tragfähigkeit performativer Ansätze
settings berücksichtigt worden ist. Gerade weil der Appell zur „performativen Wende“ innerhalb der religionspädagogischen Fachdiskussion so eng mit der Beobachtung veränderter Lernvoraussetzungen verknüpft ist, dürfen die einzelnen Spielarten trotz aller Dringlichkeit, auf erkannte Defizite zu reagieren, nicht die Orientierung an den konkreten Lerngruppen aus den Augen verlieren. Die Klassenzimmer in Ost und West, von der Grundschule bis zum Gymnasium und über alle Schulformen hinweg verbindet nämlich nicht zuerst ein religiöser Traditionsabbruch, sondern vor allem die Heterogenität der darin vertretenen Schülerschaft. Diese Feststellung macht auch auf einen Vorteil der neuen Situation aufmerksam: Während die These vom Traditionsabbruch zunächst einmal einen Mangel benennt,100 ist das Merkmal der Vielfalt eine Chance für den Religionsunterricht. Diese gilt es im Religionsunterricht differenzsensibel wahrzunehmen. Dazu bedarf es zukünftig einer theoretisch-didaktischen Klärung der Fragen, wie unterschiedliche Erfahrungen, Einstellungen und Erwartungen von Seiten der Schülerinnen und Schüler performative Lernsettings bedingen und wie sie in deren Gestaltung angemessen zu berücksichtigen sind.
2.6 Performative Lernsettings und die Erweiterung des religionsdidaktischen Methodenspektrums Die unterschiedlichen performativen Ansätze fordern, wie oben beschrieben, wesentliche Grundannahmen der Didaktik für den schulischen Religionsunterricht in vielfacher Hinsicht heraus. Dies gilt in besonderem Maße für die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Didaktik und Methodik. Während diese Verhältnisbestimmung selbst zwar innerhalb der Fachdiskussion umstritten ist (s. u.), steht m. E. außer Frage, dass die Religionsdidaktik gerade im Bereich der Methodik schon heute von den vielgestaltigen Beiträgen der performativen Spielarten erheblich profitiert hat. Martin Rothgangel sieht gar den „entscheidende[n] Gewinn dieses Ansatzes […] auf methodischem Gebiet“101. Aufgrund der zweifellos herausragenden Bedeutung, die methodischen Grund100 Auch in Bezug auf Unterrichtssituationen, in denen sich tatsächlich eine Dominanz (ihrerseits heterogener) konfessionsloser Schülerinnen und Schüler abzeichnet, ist erneut und gerade vor dem Hintergrund der in Teilkapitel 2.4 aufgezeigten Unterscheidung zwischen gelebtem christlichen Glauben einerseits und schulisch inszenierten Proberäumen andererseits nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass performativ-didaktische Lernarrangements keinesfalls unmittelbar als Remedium gegen zuvor versäumte christliche Sozialisation angesehen werden können und sollten. 101 M artin Rothgangel: Religionspädagogische Konzeptionen und didaktische Strukturen, in: Religionspädagogisches Kompendium, hg. v. M artin Rothgangel u. a., Göttingen 72012, S. 73–91, 88. Vgl. ähnlich Biehl / Rothgangel , Konzeptionen und Strukturen, S. 213. Biehl und Rothgangel sehen nicht den „entscheidende[n] Gewinn“, sondern den „entscheidende[n] Akzent auf methodischem Gebiet“ (Hervorhebungen FD). Nach Iris Mandl-Schmid implizieren die vielgestaltigen Konkretionen performativer Religionsdidaktik gar einen „me-
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fragen in vielen performativen Spielarten zugesprochen wird,102 wurde dieser Bereich in sämtlichen Untersuchungsteilen ausführlich in den Blick genommen. Entsprechend sind die vielgestaltigen methodischen Innovationen und Adaptionen bereits anhand konkreter Beispiele gewürdigt worden und müssen in diesem handlungsorientierenden Kapitel nicht mehr im Einzelnen angeführt werden. Im Folgenden soll stattdessen abwägend eingeschätzt werden, inwiefern die performativen Spielarten das religionsdidaktische Methodenspektrum nicht nur erweitert, sondern womöglich der Methodik insgesamt einen veränderten Ort eingeräumt und einen anderen Stellenwert zuerkannt haben könnten. Aus religionspädagogisch-systematischer Perspektive ist zunächst festgestellt worden, dass performative Religionsdidaktik jedweder Spielart eine grundsätzliche Aufwertung der Methodik vorschlägt. Methodische Fragestellungen werden dem Bereich der fachdidaktischen Grundsatzfragen zugeordnet. Leonhard und Klie sehen in den Methoden selbst „tätige Formen“103, deren eigene Strukturen bereits religionsdidaktische Schwerpunktsetzungen implizieren. Diese charakteristische Betonung des „Implikations- oder Interdependenzzusammenhangs von Inhalt und Methode“104 führt zu der handlungsorientierenden Konsequenz, dass die religionspädagogisch zu reflektierenden Fragen des „Was“ und „Wie“ des Lernens in performativen Entwürfen tendenziell miteinander verschmelzen bzw. ineinander übergehen. Klassischerweise waren sie im Anschluss an die didaktische Theorie zumindest seit Wolfgang Klafki stets nacheinander beantwortet worden. Vor allem aus religionspädagogisch-vergleichender Perspektive konnte aufgezeigt werden, dass performative Entwürfe in dieser Hinsicht einem fächerübergreifenden Trend folgen105 – und dass sie nicht zuletzt eine Vielzahl „performativer“ Methoden in benachbarten Fachdidaktiken bereits vorgefunden und auf den Religionsunterricht übertragen haben. Insbesondere dem handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht der Deutschdidaktik kommt in diesem Prozess eine Schlüsselrolle zu: Vor allem in Bereichen, in denen performative Spielarten mit biblischen und anderen Texten arbeiten, konnten sie auf ein dort längst zusammengestelltes, vielfach erprobthodische[r] Weckruf“, der die Dringlichkeit „zum Methodenwechsel besonders in der Sekundarstufe“ aufzeige. M andl-Schmidt, dauerhafte Perspektive?, S. 55. 102 Dies gilt, wie in § 1 hervorgehoben, besonders für die Ansätze von Klie, Leonhard, Zilleßen und Mendl. 103 Leonhard / K lie , In Szene setzen, S. 11; vgl. § 1, Kap. 3.2.2.2 „Rituelle (Re‑)Präsentation zwischen Didaktik und Methodik“ (zu Leonhard); § 1, Kap. 3.1.2.3 „Prozedurale Regeln im didaktischen Spiel“ (zu Klie); § 1, Kap. 4 „Zwischenfazit“ (zur Relevanz der Methodik in performativen Ansätzen insgesamt). 104 Rothgangel , Konzeptionen und didaktische Strukturen, S. 88. 105 Dies führen die vielgestaltigen methodischen Konkretionen insbesondere bei Kaspar H. Spinner (vgl. § 2, Kap. 2.1.2 „Methodik und Unterrichtsbeispiele“) und Ingo Scheller (vgl. § 2, Kap. 2.2.2 „Methodik“) hinsichtlich der Deutschdidaktik sowie die insgesamt performativ ausgerichtete Methodik des jungen Schulfaches Darstellendes Spiel (vgl. § 2, Kap. 3.2.4 „Methodische Konkretionen“) anschaulich und exemplarisch vor Augen.
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§ 4 Tragweite und Tragfähigkeit performativer Ansätze
tes Repertoire an Verfahren zurückgreifen, das in entsprechender Übertragung viele performative Unterrichtsentwürfe für das Fach Religion prägt.106 Die so veränderte Verhältnisbestimmung zwischen Didaktik und Methodik hängt m. E. auch mit der zunehmend komplexen und voraussetzungsreichen didaktischen Struktur der favorisierten Methoden selbst zusammen. So bevorzugen die hier untersuchten Ansätze solche Lernwege, die eine „szenische Ausdehnung des Unterrichts“107 unterstützen, indem sie Räume für ganzheitliches Lernen mit allen Sinnen und gestaltende, handlungs- und schülerorientierte Zugänge eröffnen. Unter den Methoden, die in performativen Spielarten zu dieser „szenische[n] Ausdehnung des Religionsunterrichts“ als geeignet angeführt werden, finden sich neben traditionellen Unterrichtsvollzügen wie Singen, Erzählen und Zuhören auch viele anspruchsvolle Verfahren, deren Formen ihrerseits schon Ansätze einer den Methoden innewohnenden Didaktik erkennen lassen. Auch in dieser Hinsicht ähneln sie den Verfahren des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts. Genannt werden etwa die Szenische Interpretation, Standbilder, bibliodramatische Zugänge, Pantomime, kreatives Schreiben, verschiedene Einfühlungsverfahren und Meditationsübungen. Leonhard und Klie entdecken in solchen Lernwegen „den Rahmen, in dem aus dem Gegenstand ein Inhalt, aus der Partitur eine Performance, aus dem Text ein Lehrstück wird.“108 So kann sich ein Bibliolog zum Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1–16) nicht darauf beschränken, denkbare Handlungsmotivationen des Weinbergbesitzers rein kognitiv nachzuvollziehen. Eine solche Engführung könnte nur im Widerspruch zu den selbst erklärten Zielen des Bibliologs erfolgen, die unterschiedliche Ebenen der Wahrnehmung biblischer Texte ansprechen wollen.109 Die Methode erfüllt hier nicht bloß eine bibeldidaktische „Vehikel-Funktion“110, sondern zeichnet in sich schon den körperlich-sinnlichen Prozess der Auseinandersetzung mit den Deutungspotentialen des Gleichnisses vor. Methoden wie der Bibliolog oder die in § 2 ausführlich betrachtete Szenische Interpretation fordern selbst dazu auf, im Zentrum einer 106 Vgl. hierzu § 2, Kap. 2.3 „Performative Religionsdidaktik und handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht im Vergleich“ sowie unten § 4, Kap. 4.7 „Performative Bibeldidaktik und die Unterscheidung vom liturgischen Lernen“. 107 K lie , Gestalten und Handeln, S. 177. Als Ausnahme wurde hier lediglich Schambecks Ansatz „mystagogischen Lernens“ genannt, der weniger die Inszenierung und probeweise Ingebrauchnahme religiöser Ausdrucksgestalten im „Modus des Als-ob“ intendiert, als vielmehr Möglichkeiten zur „Reflexion des Glaubens“ auslotet. Vgl. § 1, Kap. 3.4.2.2 „Mystagogisches Lernen als Konkretion performativer Religionsdidaktik“. 108 Leonhard / K lie , in Szene setzen, S. 11; vgl. § 1, Kap. 3.2.2.2 „Rituelle (Re-)Präsentation zwischen Didaktik und Methodik“. 109 Vgl. D inger , Hören – Lesen – Studieren, S. 46 f.; zur Didaktik des Bibliologs vgl. grundlegend P eter P itzele: Scripture Windows. Toward a Practice of Bibliodrama, Los Angeles 1998; Uta Pohl-Patalong: Bibliolog. Gemeinsam die Bibel entdecken im Gottesdienst – in der Gemeinde – in der Schule, Stuttgart 22007. 110 Leonhard, Leiblich lernen, S. 458.
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didaktischen Analyse auf die ausgewählten Lerngegenstände bezogen zu werden. Kriterien methodischer Funktionalität reichen in diesen Fällen nicht aus, um Chancen und Grenzen der Lernwege didaktisch angemessen zu beschreiben. Die wiederholt geäußerte kritische Anfrage, ob performative Entwürfe nicht Gefahr liefen, aufgrund ihrer Hochschätzung der Methodik die didaktische Legitimation der zu vermittelnden Inhalte aus dem Blick zu verlieren,111 ist m. E. nur dort berechtigt, wo das Verhältnis zwischen Didaktik und Methodik zugunsten der Methodik umgekehrt würde. Dies ist in den hier untersuchten performativen Spielarten aber nicht der Fall. Dort wird gerade im Kern der theoretischen Überlegungen begründet, weshalb sich die Schülerinnen und Schüler tastend, spielend, hörend, riechend, schmeckend, betrachtend sowie in eigener Bewegung und Aktion mit Religion beschäftigen sollen. Es ist die Beschaffenheit des Lerngegenstands Religion selbst, die eine exklusive methodische Konzentration auf diskursiv-kognitive Zugänge nicht zulässt. „Religion, auch evangelische Religion, erschöpft sich nicht im Diskursiven. Sie ist als symbolische Kommunikation […] immer eingelagert in Gebrauchszusammenhänge.“112 Wichtig bleibt dennoch, die charakteristische Methodenvielfalt nicht um der Inszenierungen selbst willen zu inszenieren, wie ästhetisch ansprechend sie auch gestaltet sein mögen. Bei der Planung performativer Lernsettings gilt es also besonders zu bedenken, dass methodische zwar nicht den didaktischen Fragestellungen nachgeordnet, aber auch nicht von diesen losgelöst zu beantworten sind. Wenn das Ineinander von Didaktik und Methodik zugunsten der Methodik aufgelöst würde, dann liefe der Religionsunterricht tatsächlich Gefahr, zur „Show-Bühne“ zu verkommen. Eine solche Tendenz lässt sich allerdings weder in der fachdidaktischen Theorie noch in den methodischen Konkretionen der hier untersuchten Ansätze feststellen. Das Ausmaß der zweifellos feststellbaren Erweiterung des Methodenspektrums ist allerdings aus religionspädagogisch-historischer Perspektive zumindest etwas einzuschränken. In § 3 wurde gezeigt, dass die bloße Ablehnung einer primär kognitiv ausgerichteten Unterrichtsmethodik dasjenige Merkmal performativer Religionsdidaktik ist, das am wenigsten als im engeren Sinne innovativ gelten kann.113 Schon bei Ignatius von Loyola konnten sowohl Formen des leiblichen Lernens als auch szenisch veranschaulichende Verfahren 111 Diesen Einwand formuliert wiederholt M artin Rothgangel: Rez. Thomas K lie / Silke Leonhard (Hg.): Schauplatz Religion. Grundzüge einer Performativen Religionspädagogik, Leipzig 2003, in: ThLZ 129/5 (2004), Sp. 577–579, 579: „In der Regel werden die Inhalte ‚gesetzt‘ […], nicht aber mit didaktischen Kriterien wie ‚Exemplarität, Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung‘ begründet.“ Vgl. auch Rothgangel , Konzeptionen und didaktische Strukturen, S. 88. Der Einwand findet sich in je unterschiedlichen Akzentuierungen auch bei D omsgen, Performativer Religionsunterricht, S. 43 f.; Lämmermann, Show-Bühne, S. 120 und Grethlein, Praktische Theologie, S. 364 f. 112 D ressler / K lie , Strittige Performanz, S. 213. 113 Vgl. § 3, Kap. 3 „Zwischenfazit“.
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§ 4 Tragweite und Tragfähigkeit performativer Ansätze
als methodische Elemente nachgewiesen werden.114 In Bezug auf schulischen Religionsunterricht stand auch für C. G. Salzmann, Richard Kabisch und Otto Eberhard außer Frage, dass dieser sich nicht auf das „Reden über Religion“ beschränken darf.115 Die in methodischer Hinsicht reflektierte und ausgearbeitete „kritische Symbolkunde“ Peter Biehls kann als Wegbereiterin der performativen Konzepte verstanden werden.116 In weitreichender Analogie zu den performativ-didaktischen Entwürfen werden auch bei Biehl sinnlich-assoziative Verfahren zur kreativen Auseinandersetzung mit Symbolen tendenziell den analytisch-interpretierenden Phasen vorgeschaltet. Aus fachgeschichtlicher Sicht ist der entscheidende Impuls hin zu einer Etablierung solcher Methoden im religionsdidaktischen Handlungsrepertoire also eher Biehl zuzuschreiben. Dennoch haben die sehr vielfältigen methodischen Anregungen, die von Seiten der performativen Religionsdidaktiker in den meisten Fällen auch durch Unterrichtsvorschläge konkretisiert wurden,117 zweifellos zu einer weiteren Diversifizierung beigetragen. Dies belegen vor allem die aufwendigen Inszenierungstechniken in den Entwürfen von Klie,118 die vielgestaltigen Einfühlungsverfahren bei Zilleßen119 sowie Mendls umfangreiche Praxiskapitel. Abschließend ist mit Blick auf die Aufwertung der Methodik auf den augenfälligen Befund hinzuweisen, dass einige curricular zwingend relevante Handlungsfelder schulisch-religiöser Bildung in den Unterrichtsentwürfen performativer Didaktiker kaum oder gar nicht in den Blick genommen werden. Nur der konstruktivistisch begründete Ansatz Mendls bildet im Spektrum der hier untersuchten Spielarten diesbezüglich eine Ausnahme. Mendl konzentriert sich nicht auf christlich-religiöse Ausdrucksgestalten wie Liturgien, Narrationen und Rituale, sondern lotet auch Chancen performativer Didaktik im Lernen mit neuen
114 Vgl. § 3, Kap. 1.2 „Zur Vorgeschichte. Performative Elemente in der christlich-religiösen Erziehung vor der Aufklärung“. 115 Vgl. § 3, Kap. 3 „Zwischenfazit“ bzw. ausführlich und jeweils am Einzelfall nachgewiesen in den Teilkapiteln § 3, Kap. 2.2–2.4. 116 Dies trifft in dieser Deutlichkeit auf die Spielarten performativer Religionsdidaktik in evangelischer Auslegung zu. Der Einfluss paralleler symboldidaktischer Innovationen auf die katholischen Spielarten – man denke zuerst an die Symboldidaktik von Hubertus Halbfas (vgl. H albfas, Drittes Auge) – konnte im Rahmen dieser Untersuchung nicht eigens geprüft werden. Grethlein sieht neben den methodischen Anregungen insgesamt „das ästhetische Anliegen der Symboldidaktik“ als Indiz, die performativen Ansätze als deren Weiterentwicklung zu verstehen. Grethlein, Fachdidaktik Religion, S. 261. 117 Als einziger der hier betrachteten Vertreter performativer Religionsdidaktik hat, wie oben gesehen, bisher nur Schroeter-Wittke keine Konkretionen seines Ansatzes für den Religionsunterricht der Schule vorgelegt. Vgl. § 1, Kap. 3.3.2.2 „Religion aufs Spiel setzen“. 118 Vgl. z. B. die vielgestaltigen Beispiele in den Praxisbänden K lie / M erkel / P eter (Hg.), Biblische Textwelten; Husmann / K lie , Gestalteter Glaube; K lie (Hg.), Kirchenpädagogik und Religionsunterricht. 119 Vgl. Z ille ẞen / Gerber , König.
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Medien,120 ethischen Fragestellungen („Erprobte Nächstenliebe“)121 und sogar interreligiösen Lernarrangements („Erlebte Fremdheit“)122 aus. Eine solche Übertragung performativer Verfahren auf nahezu sämtliche Themen und Aspekte des Religionsunterrichts birgt jedoch auch Gefahren. Sie trägt zwar zur Ausdehnung der Tragweite einer „performativen Wende“ bei, führt aber auch zu neuen didaktischen Grundsatzproblemen.123 Hierzu ein veranschaulichendes Beispiel: Mendl schlägt konkrete Möglichkeiten zur performativen „Wahrnehmung von virtuellen Welten und ihrer religiösen Valenzen“124 im Modus probeweiser Ingebrauchnahme vor. Damit meint er unter anderem auch das experimentelle Surfen im Internet, das in dem Beispiel zuerst zur „Anerkennung und Entdeckung der eigentümlichen Wirklichkeitsstruktur des Internets und des Verhaltens seiner Benutzer“125 beitragen soll. Mendl nennt diesen Lernweg „virtuelles Flanieren“, das stets „kritisches Reflektieren“126 einschließe. Obwohl außer Frage steht, dass religionsunterrichtliche Methodik auch Formen des Lernens am Computer integrieren sollte, erscheint es hier problematisch, diesen Vorschlag als Konkretion performativer Religionsdidaktik zu verstehen. Der oben so genannte „kleinste gemeinsame Nenner“ performativer Entwürfe, christliche Religion als Praxis unterrichtlich zur Sprache kommen zu lassen, scheint hier eher aus dem Blickfeld geraten zu sein. Mendls Versuch führt dennoch die in Zukunft dringlichen Fragen vor Augen, in welchen curricular relevanten Handlungsfeldern performative Methodik zu berücksichtigen ist und ob bzw. wo der Tragweite der vielfältigen Lernfelder auch innerhalb des religionsunterrichtlichen Methodenspektrums Grenzen zu setzen sind. Schon heute lässt sich jedoch feststellen, dass die performativen Entwürfe das Repertoire religionsunterrichtlicher Inszenierungsmöglichkeiten in produktiver Weise erweitert haben. Sie haben damit nicht nur neue Methoden eingeführt, sondern die Religionsdidaktik auch in fächerübergreifender Perspektive anschlussfähig an jüngere Entwicklungen in benachbarten Fachdidaktiken gehalten. Ob in den vielgestaltigen Adaptionsprozessen allerdings die 120 Vgl. M endl , Religion erleben, S. 384–399; 400–413. 121 Vgl. ebd., S. 289–308. 122 Vgl. ebd., S. 269–288. Mit der umstrittenen Frage, ob
performative Lernarrangements auch Proberäume zur Begehung von Handlungsvollzügen nichtchristlicher religiöser Praxis gestalten können und sollten, setzt sich § 4, Kap. 2.9 „Performative Religionsdidaktik und interreligiöses Lernen“ gesondert auseinander. 123 So ist z. B. mit neuen Konflikten hinsichtlich der Frage nach der Spannung zwischen Missionierung und Profanisierung zu rechnen, wenn performative Religionsdidaktik zusätzlich zur probeweisen Ingebrauchnahme religiöser Ausdrucksgestalten zukünftig den Anspruch erhebt, die „Sozialgestalt des Christentums“ in performativen Probewelten im Modus eigenen Nacherlebens und Reflektierens zu erschließen. Vgl. M endl , Religion erleben, S. 289. Erneut sei zudem auf das Problem interreligiösen Lernens verwiesen, vgl. § 4, Kap. 2.9. 124 M endl , Religion erleben, S. 404. 125 Ebd. 126 Ebd.
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§ 4 Tragweite und Tragfähigkeit performativer Ansätze
fachspezifischen Eigenheiten des Religionsunterrichts hinreichend berücksichtigt wurden, soll im Zuge der beiden folgenden Unterkapitel kritisch beleuchtet werden.
2.7 Performative Bibeldidaktik und die Unterscheidung vom liturgischen Lernen Die untersuchten Spielarten Performativer Religionsdidaktik eint trotz aller Verschiedenheit das Anliegen, Religion in ihren praktischen Vollzügen als Lerngegenstand des Religionsunterrichts wiederzuentdecken. Dieses Unterfangen eröffnet weite Horizonte, allein schon deshalb, weil religiöse Praxis viele Gesichter hat. Sie gewinnt in vielfältiger, oft subjektiver Weise Gestalt, verweist auf einen reichen Fundus an Tradition und ist meist in Kontexten außerhalb von Schule und Religionsunterricht beheimatet. Der Reichtum potentieller Konkretionen religiöser Praxis, auf die unterrichtlich Bezug genommen werden könnte, scheint unermesslich. Auch deshalb sind die Ausdrucksgestalten gelebter Religion innerhalb der einzelnen Ansätze und Entwürfe performativer Regionsdidaktik jeweils unterschiedlich repräsentiert. „Religiöse Praxis“ kann faktisch alle Ausdrucksformen bezeichnen, in denen (vornehmlich christliche)127 gelebte Religion äußerlich wahrnehmbar und damit „ansichtig“128 wird.129 Obwohl die Liste potentieller Lerngegenstände performativer Religionsdidaktik also lang ist und diese nur teilweise systematisierbar erscheinen, lassen Veröffentlichungen zur Unterrichtspraxis dennoch eine Schwerpunktsetzung erkennen: Die Unterrichtsentwürfe beziehen sich besonders häufig entweder auf den Bereich der Liturgie christlicher Gottesdienste oder auf christliche Narrationen, vornehmlich auf biblische Texte. Anknüpfend an diese Beobachtung wird hier vorgeschlagen, künftig stärker zwischen diesen beiden Lehr- und Lernbereichen performativer Religionsdidaktik zu differenzieren. Zwar weisen die Bereiche einige Überschneidungen auf und lassen sich nicht überall trennscharf voneinander abgrenzen. So entstammen beispielsweise die Psalmen des Alten Testaments verschiedenen kultischen Zusammenhängen Israels. Bekennt127 Wiederum ist hier auf Mendls Ansatz als diejenige Ausnahme hinzuweisen, die auch methodische Ansätze zur performativen Erschließung der religiösen Praxis anderer Religion („Erlebte Fremdheit“) vorstellt. Vgl. M endl , Religion erleben, S. 269–289. 128 Silke Leonhard / Florian D inger : Religionsdidaktische Konzepte und ihre hochschuldidaktische Umsetzung: Performative Didaktik am Lernort Universität, in: TheoWeb 14/2 (2015), S. 31–40, 36. 129 Neben den unten ausgeführten Konkretionen können solche Ausdrucksformen in den einzelnen Ansätzen sehr viel und teilweise auch Unterschiedliches bedeuten. Tendenziell ließe sich aber die ganze Breite religiöser Darstellungsformen performativ in den Unterricht einspielen, also auch alternative Gebetsformen, Rituale, christlich geprägte Lebensgeschichten, poetische Texte und die ganze Fülle (pop‑)kultureller Darstellungsformen in bildender Kunst, Musik und Theater.
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nisse, Hymnen, Tauf- und Abendmahlstexte, kerygmatische und andere geprägte Formeln des Neuen Testaments gehen auf gottesdienstliche Praxis in der frühen Christenheit zurück. Umgekehrt verweisen auch die geprägten liturgischen Formen der späteren christlichen Kirche bis hin zu aktuellen Gestaltungen von Gottesdiensten „in anderer Gestalt“ auf biblische Sprache zurück. Dennoch legen verschiedene Ergebnisse dieser Untersuchung eine Unterscheidung zwischen der Bibel- und Liturgiedidaktik nahe. So können spezifische Probleme und Chancen performativer Lernsettings in Bezug auf deren fachdidaktisches Fundament sichtbar werden, die sich ihrerseits in handlungsorientierende Konsequenzen für deren zukünftige Durchführung überführen lassen. Hierfür ist zunächst aufzuzeigen, inwiefern „liturgisches Lernen“ und „performative Bibeldidaktik“ – stärker als bisher gesehen – unterschiedliche Konkretionen eines performativen Religionsunterrichts darstellen.130 Liturgisches Lernen ist derjenige Bereich, der innerhalb der Fachdiskussion als die zentrale Neuerung performativer Religionsdidaktik verstanden worden ist und der am meisten Anstoß erregt hat.131 Die liturgiedidaktischen Entwürfe sind in der Fachdiskussion am stärksten wahrgenommen, besonders vehement kritisiert und m. E. vielfach sogar mit performativer Religionsdidaktik gleichgesetzt worden.132 Liturgisches Lernen nimmt auf die ganze Breite der Zeremonien, Rituale und Handlungsvollzüge des (hier zumeist evangelischen oder katholischen) Gottesdienstes Bezug und inszeniert diese zur probeweisen Begehung im Unterricht.133 Es knüpft daher im engeren Sinne an Vollzüge gelebter Religion an, die in den vielfältigen Formen christlicher Frömmigkeits130 Die Unterscheidung ist an dieser Stelle bewusst als Dichotomie zugespitzt, um zwei unterschiedliche Weisen performativen Lehrens und Lernens voneinander abzugrenzen. Die Unterscheidung ist allerdings nicht an jeder Stelle trennscharf: So gibt es bspw. solche Lernarrangements, die biblische Texte nicht mithilfe imaginativer Verfahren interpretieren, sondern die Bibel als Teil der Liturgie thematisieren. Als Beispiele für solche bibeldidaktischen Settings, die gleichzeitig dem liturgischen Lernen zuzuordnen sind, könnte etwa ein Introitus gelten, bei dem die Bibel feierlich in den Raum getragen wird, sowie „das Ausprobieren der Kanzel“ durch Vorlesen biblischer Texte (vgl. H ermann H einrich: Altar – der Festtisch der Gemeinde, in: Kirchenpädagogik und Religionsunterricht. 12 Unterrichtseinheiten für alle Schulformen, hg. v. Thomas K lie , Loccum 2001, S. 27–44, 28) oder das Kennenlernen der Bibel als Bestandteil des Inventars eines Altars (vgl. ebd., S. 44). 131 Auch Mendl stellt in einer jüngeren Veröffentlichung zum Thema den „Fokus“ vieler kritischer Anfragen auf die Bereiche „Gebet und Liturgie“ fest. M endl , Studienbuch, S. 24. 132 Nahezu alle bisher in § 4 angeführten kritischen Anfragen konzentrieren sich auf diesen Bereich performativer Religionsdidaktik. Die Gefahren der Profanisierung/Banalisierung und Missionierung/Überwältigung, der unzureichende Umgang mit Fremdheit und religiöser Pluralität sowie der Appell zur Differenzierung zwischen der „Schulreligion“ und authentischer christlicher Praxis als zentrale Kritikpunkte betreffen sämtlich zuerst und in besonderem Maße diejenigen Bereiche, in denen performative Religionsdidaktik als Liturgiedidaktik Gestalt gewinnt. 133 Vgl. jeweils grundsätzlich Bärbel Husmann: Liturgisches Lernen, in: Theo-Web 5/2 (2006), S. 108–111, 109; Leonhard, Liturgiedidaktik, v. a. S. 151–154; M ichael M eyerBlanck: Liturgik und Didaktik – die Religion in Form. Zur Frage liturgischer Elemente im
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praxis – vornehmlich in der Gemeinde, aber auch im privaten Raum, z. B. der Familie – eine reale Entsprechung haben.134 Typische Beispiele für liturgisches Lernen sind unterrichtliche Inszenierungen von Abendmahls- bzw. Eucharistiefeiern, das probeweise Formulieren von Gebeten und die Einnahme von Gebetshaltungen oder das Experimentieren mit Segenssprüchen. Als „kirchlichinstitutionalisierte Darstellungsform der Christentumspraxis“135 umschließt Liturgie selbstverständlich auch Kontaktaufnahmen mit biblischen Texten, in diesem Zusammenhang jedoch stärker mit dem Akzent auf deren „kultische Performanz“136 und weniger auf deren mimetisch-imaginative Deutung. Genau solche Deutungsprozesse möchten hingegen die vielfältigen Konkretionen performativer Bibeldidaktik anregen. Ihre Pointe liegt in der Inszenierung biblisch-narrativer Textwelten, in die sich Schülerinnen und Schüler vermittelt durch Perspektivenwechsel einfühlen sollen. Dort geht es weniger darum, mit Vollzugselementen heute vorfindlicher Religionspraxis experimentierend in Kontakt zu treten, als darum, Identifikationspotentiale der Texte selbst aufzunehmen und narrativ offen gebliebene Leerstellen subjektiv zu füllen. Performative Bibeldidaktik möchte Imaginationsprozesse auslösen, damit sich die Schülerinnen und Schüler als Rezipienten in Figuren und Situationen hineinversetzen, deren Empfindungen, Gedanken und Stimmungen nachspüren und sie zu ihrer eigenen Weltsicht in Beziehung setzen.137 Typische Beispiele sind hier die Szenische Interpretation erzählender Bibeltexte, der Bibliolog und andere bibliodramatische Zugänge (häufig zu Gleichnissen Jesu und Wundergeschichten) sowie die vielfältigen Formen kreativen Schreibens (oft zu poetischen Texten, insbesondere aus dem Psalter).138 Auch in diesen Unterschulischen Religionsunterricht, in: Religionsunterricht jenseits der Kirche? Wie lehren wir die christliche Religion?, hg. v. Wilhelm Gräb, Neukirchen-Vluyn 1996, S. 83–93. 134 Mit Blick auf Bizers Ansatz nennt Englert „solche Formen, in denen sich evangelische Religion authentisch darstellen lässt, […] ohne Anspruch auf Vollständigkeit, den Sonntagsgottesdienst, die Kasualien, seelsorgerliche Gespräche, religiöse Gespräche in Familie, Kindergarten oder Jugendgruppe, das Gebet von Eltern mit ihren Kindern, Veranstaltungen des Kirchentags, Kirchenmusik, moderne religiöse Kunst, die Architektur eines Kirchenraums.“ Dabei sei das „eigentliche Paradigma“, das Bizer vorschwebe, mit der Liturgie des evangelischen Gottesdienstes gleichzusetzen. Englert, Zwischenbilanz, S. 3 f. 135 Leonhard / K lie , Ästhetik, S. 21 f. 136 Ebd. 137 Vgl. Spinner , Fremdes Verstehen, S. 126 f.; Waldmann, Produktiver Umgang, S. 55. Vgl. hierzu ausführlich § 2, Kap. 2.1 „Kaspar H. Spinner und das literarische Lernen als Fremdverstehen“. 138 Vgl. D inger , Hören – lesen – studieren, S. 43–49 (u. a. Bibliolog zum Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg Mt 20,1–16; Szenische Interpretation zur Blindenheilung Mk 10,46–52, Vertonungen von Psalmen); Ruf, Licht für einen Blinden, S. 110 f. (Szenische Interpretation zur Blindenheilung Joh 9,1–11); K atharina Opalka: ‚Siehe, sehr gut: Und Gott wird abwischen alle Tränen.‘ Unterrichtsentwurf für die neunte Klasse unter dem Thema ‚Anfang und Ende – Schöpfung und Apokalypse‘, in: Performative Religionsdidaktik und biblische Textwelten, hg. v. Thomas K lie , R ainer M erkel und Dietmar P eter , Loccumer Impulse 3, Loccum 2012, S. 96–105 (Dank-, Bitt-, und Lobpsalmen); H änig, Erlebnisreise,
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richtsvorschlägen wird Religion im Sinne Dresslers „als eine eigenartige Kultur symbolischer Kommunikation“139 gezeigt. Dabei werden jedoch nicht ihre liturgischen, sondern ihre narrativen Ausdrucksformen inszeniert und zur probeweisen Ingebrauchnahme angeboten. Obwohl also beide Bereiche in einem weiteren Sinne auf Formen religiöser Rede Bezug nehmen, weisen die narrativperformativen Settings wenigstens drei fachdidaktisch relevante Unterscheidungsmerkmale gegenüber den liturgisch-performativen auf: Das erste und didaktisch zentrale Unterscheidungsmerkmal betrifft die Unterstützung perspektivischer Brechungen durch die in biblischen Texten bereits angelegte Erzählperspektive (1). Eine wesentliche Herausforderung performativer Religionsdidaktik wurde oben mit Gärtners Metapher des Navigierens zwischen den Klippen von Profanisierung und Missionierung beschrieben, das nur mithilfe klarer Unterscheidungen zwischen den jeweils zugrunde gelegten Referenzrahmen gelingen kann. Gerade die performativ-didaktische Kernaufgabe, Probehandeln durchgehend im Modus „gewusste[r] Perspektivität“140 zu inszenieren, wird durch die Identifikationspotentiale der Bibel, insbesondere der biblischen Erzählungen, wesentlich erleichtert. Insofern vergleichbar mit literarischen Vorlagen geben auch die biblischen Texte immer schon andere, fremde Lebenswelten vor, in die sich Schülerinnen und Schüler durch Perspektivenwechsel hineinversetzen können ohne die Fremdheit und Andersartigkeit jener Welten aufzuheben. Von den Betern der Psalmen, der Botschaft der Propheten über die Erzählinstanzen bis zu den Protagonisten der in den Evangelien erzählten Geschichte oder in der erzählten alltäglichen Umwelt von Jesu Gleichnissen:141 Die Bibel und ihre Figuren stellen eine Vielzahl an Deutungsangeboten bereit, die „Fremdverstehen“142 fördern und „zum imaginären Bewohnen der vorgeschlagenen Welt“143 einladen.144 Gleichzeitig manifestiert sich durch die S. 180 (Innere Monologe zum Gleichnis vom verlorenen Sohn); Yekrang -H aghpanah, Partitur, S. 174 (Szenische Interpretation der Sturmstillung Mt 8,23–27). 139 D ressler , Blickwechsel, S. 268. 140 Ebd., S. 29. Vgl. § 4, Kap. 2.3 „Performative Spielarten in der Spannung zwischen Missionierungsverdacht und Profanisierungsgefahr“ sowie ausführlich § 1, Kap. 3.1.1.4 „Die Herausforderung der Übergänge“. 141 Die didaktischen Potentiale der sehr unterschiedlichen Textgattungen und Erzählformen der Bibel wurden in jüngerer Vergangenheit entlang der biblischen Bücher analysiert. Vgl. Bernhard Dressler / H arald Schroeter-Wittke (Hg.): Religionspädagogischer Kommentar zur Bibel, Leipzig 2012. 142 Spinner , Fremdes Verstehen, S. 126. 143 M artina Kumlehn: Mimesis – Performanz – Narrative Identität. Religiöse Textwelten ‚bewohnen‘ und darstellen, in: Performative Religionsdidaktik. Religionsästhetik – Lernorte – Unterrichtspraxis, hg. v. Thomas K lie und Silke Leonhard, PTHe 97, Stuttgart 2008, S. 102–113, 107. 144 Den besonderen Anredecharakter der Gleichnisse Jesu stellt vor allem die Parabeldefinition Zimmermanns deutlich heraus. Vgl. Ruben Zimmermann: Parabeln – sonst nichts! Gattungsbestimmung jenseits der Klassifikation in ‚Bildwort‘, ‚Gleichnis‘, ‚Parabel‘ und ‚Beispielerzählung‘, in: Hermeneutik der Gleichnisse Jesu. Methodische Neuansätze zum Verste-
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textlich verankerten Vorgaben von Perspektiven eine Distanz zwischen den Rezipienten und der Textwelt, die vor Überwältigung und Profanisierung gleichermaßen schützen kann. Es macht hinsichtlich dieser Spannung nämlich einen Unterschied, ob Schülerinnen und Schüler sich gegenseitig beim Namen nennen, während sie mit Segenssprüchen experimentieren – wie in dem oben untersuchten Beispiel von Klie und Husmann gezeigt – oder ob beispielsweise innere Monologe aus Sicht des ausgezogenen Sohnes aus Lk 15,11–32 formuliert werden sollen, um sich dessen Gefühlslage in der Fremde nach dem Verbrauch des väterlichen Vermögens vorzustellen. Die Identifikationspotentiale der biblischen Narration vereinfachen die performative Ingebrauchnahme, indem sie selbst zu Perspektivenwechseln auffordern und diese so auch nachzuvollziehen helfen. Hiermit eng verknüpft unterscheiden sich performative Inszenierungen narrativer und liturgischer Ausdrucksformen auch in der Qualität der jeweils inszenierten „Differenzerfahrung“145 (2). Während im Zuge des Appells zur differenzsensiblen Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler bereits kritisiert wurde, dass den Schülerinnen und Schülern nicht durchgehend jedwede Erfahrung mit Vollzügen christlich-gelebten Glaubens fehlen wird,146 liegt zwischen den biblischen Textwelten und der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler ein ungleich weiterer Abstand. Auch dies hat zuerst mit den biblischen Texten selbst zu tun. Als Narrationen entwerfen sie fiktionale Welten, die auf Ereignisse, Orte, Personen, Überzeugungen etc. Bezug nehmen. Dabei werden Vorstellungshorizonte eröffnet, die heutigen Rezipienten nicht unmittelbar vertraut sein können. Auch religiös sozialisierte Schülerinnen und Schüler, die womöglich bereits eigene Erfahrungen mit der Lektüre biblischer Texte gesammelt haben, werden die Textwelten zuerst als „fiktiven Möglichkeitsraum“147 wahrnehmen. In ihm werden Sichtweisen auf die Welt eröffnet, die nicht mit den in der eigenen Umwelt dominanten übereinstimmen. Insofern relativiert sich an dieser Stelle der Unterschied zwischen denjenigen Schülerinnen und Schülern, die aus Familien und Gemeinden mit christlicher Tradition vertraut sind und hen urchristlicher Parabeltexte, hg. v. dems., WUNT 231, Tübingen 2008, S. 383–419, 409; vgl. ferner R einhard Feldmeier: Gleichnisse, in: Elementare Bibeltexte. Exegetisch – systematisch – didaktisch, hg. v. R ainer Lachmann u. a., TLL 2, Göttingen 2001, S. 302–335. Karin Schöpflin verdeutlicht den Anredecharakter dieser Textsorte zudem anhand von literarischen Adaptionen, die sich mit den Motiven der Gleichnisse umgestaltend auseinandersetzen. Vgl. K arin Schöpflin: Die Bibel in der Weltliteratur, Tübingen 2011, v. a. S. 250–268 und 301–306. Stefanie Schulte bedenkt Konsequenzen dieses Anredecharakters für die Berücksichtigung desselben in der Religionsdidaktik. Vgl. Stefanie Schulte: Gleichnisse erleben. Entwurf einer wirkungsästhetischen Hermeneutik und Didaktik, PTHe 91, Stuttgart 2008. 145 Thomas K lie: Fiktion im Spiel, in: Performative Religionsdidaktik und biblische Textwelten, hg. v. dems., R ainer M erkel und Dietmar P eter , Loccumer Impulse 3, RehburgLoccum 2012, S. 26–32, 29. 146 Vgl. § 4, Kap. 4.5 „Differenzierung der These vom Traditionsabbruch“. 147 Kumlehn, Mimesis, S. 111.
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denjenigen, die christlicher Überlieferung und Lebenspraxis bisher wenig oder gar nicht begegnet sind. Der Abstand zwischen den Lebenswelten der Texte und denen der heutigen Schülerschaft vereinfacht hier das unterrichtliche Inszenieren von Probehandeln im Modus „gewusste[r] Perspektivität“148. Aus Schülersicht inszeniert performative Ingebrauchnahme biblischer Texte weithin „unbekannte Welten“149, die sich gerade aufgrund ihrer strukturellen Fremdheit leichter von der eigenen Lebenswelt unterscheiden lassen. Im Vergleich zu liturgischen Elementen ist der biblische Textraum offensichtlicher und somit einfacher als „Möglichkeitsraum von Selbst- und Weltdeutung jenseits des schon Vertrauten“150 auszumachen. Schließlich hat vor allem die vergleichende Untersuchung dieser Studie aufzeigen können, dass performative Bibeldidaktik sowohl in didaktischer als auch personaler Hinsicht von früheren Entwicklungen innerhalb der Deutschdidaktik beeinflusst ist (3). Anders als die Entwürfe liturgischen Lernens konnten die performativen Texterschließungsmodelle auf vielfach erprobte, theoretisch fundierte und äußerst variantenreiche Verfahren des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts zurückgreifen und haben dies auch getan: Dass in der vielleicht wichtigsten Programmschrift zur performativen Religionsdidaktik vier der sechs vorgestellten Konkretionen von Lehrerinnen und Lehrern des Faches Deutsch stammen, die zum Teil sogar als Experten eines handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts ausgewiesen sind, unterstreicht diese Einschätzung.151 Die Anlehnung performativer Textdidaktik für den Religionsunterricht an Konzepte des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts zeigt sich jedoch nicht nur an expliziten Verweisen und der Verwendung entsprechender Methoden, sie macht sich auch in den jeweils zugrunde gelegten Begründungstraditionen bemerkbar. Beide lassen zum einen eine Tendenz zu relativistischen, insbesondere konstruktivistischen Sichtweisen erkennen und sind zum anderen besonders bezüglich ihres Text148 D ressler , Blickwechsel, S. 29. Vgl. ausführlich § 1, Kap. 3.1.1.4 „Die Herausforderung der Übergänge“. 149 C hristina K alloch: Bibeldidaktik zwischen Performation und ästhetischer Bildung – Versuch einer Standortbestimmung, in: Performative Religionsdidaktik und biblische Textwelten, hg. v. Thomas K lie , R ainer M erkel und Dietmar P eter , Loccumer Impulse 3, Rehburg-Loccum 2012, S. 50–58, 50. 150 M artina Kumlehn: ‚Ihr seid Eva – ihr seid Adam – ich bin Gott‘: Dramaturgische Performanz und das reflexive Ringen um die Hermeneutik biblischer Texte am Beispiel der Paradieserzählung (Gen 3) – Fallanalyse ‚Richter‘, in: Unterrichtsdramaturgien. Fallstudien zur Performanz religiöser Bildung, hg. v. Bernhard Dressler , Thomas K lie und ders., Stuttgart 2012, S. 119–147, 147. 151 Vgl. Leonhard / K lie (Hg.), Performative Religionsdidaktik, v. a. S. 159–208. Vgl. hierzu ausführlich § 2, Kap. 4 „Zwischenfazit“. Als weitere Beispiele wurden in § 2 auch die Unterrichtsvorschläge von Daniel Ruf (vgl. Ruf, Licht für einen Blinden, S. 106–114) und dem Vf. (Dinger , Hören Lesen – Studieren, S. 47–49) angeführt, die jeweils eine Szenische Interpretation nach Ingo Scheller zu einer Blindenheilung (Ruf zu Joh 9,1–11; Dinger zu Mk 10,46–52) vorstellen.
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begriffs von der Rezeptionsästhetik des Literaturwissenschaftlers Wolfgang Iser geprägt.152 Entsprechend Isers Ausführungen zur „Appellstruktur“153 literarischer Texte sieht Klie auch die besondere „Qualität des Bibelwortes darin […], bei einem Adressaten ankommen zu wollen.“154 Ferner offenbaren sich m. E. die Vorarbeiten der Deutschdidaktik auch implizit in den entsprechenden performativ-didaktischen Stundenentwürfen, etwa in deren methodischer Klarheit insbesondere hinsichtlich der zu inszenierenden Übergänge zwischen Binnen- und Außenperspektive.155 Didaktisch eint die handlungs- und produktionsorientierten Lernwege des Literaturunterrichts und diejenigen performativer Bibeldidaktik ihr konstitutiver Bezug auf Narrationen, welche einerseits Identifikationspotentiale anbieten und andererseits perspektivische Distanzierung schon in sich selbst bereitstellen. Diese drei Unterscheidungsmerkmale führen vor Augen, weshalb die performativen Texterschließungsverfahren erheblich weniger als liturgisches Lernen in religionsdidaktisch „unsicheres Gelände“156 führen, wie es Zilleßen hinsichtlich der performativen Innovationen befürchtet. Im Kern ist in den bibeldidaktischen Lernarrangements der zu inszenierende Text leichter als Deutungsfolie erkennbar. Er macht Möglichkeitsraum, der als von der Lebenswelt unterschiedlich markiert ist, durchsichtig für individuelle Interpretationen und Gestaltungen. Liturgische Lernsettings, in denen etwa Abendmahlszeremonien oder Segenssprüche inszeniert werden, erinnern erheblich stärker an authentische Vollzüge, die Heranwachsende mitunter bereits selbst erlebt oder in Medien kennengelernt haben. Die hier stets präsente Gefahr, Vollzüge zu ernst oder nicht ernst genug zu nehmen, unterstreicht die Komplexität der praktischen Durchführung performativer Inszenierungen gerade in diesem Bereich. Demgegenüber erweisen sich performativ-bibeldidaktische Lernsettings, die nahezu 152 Vgl. hierzu hinsichtlich der handlungs- und produktionsorientierten Ansätze schon die Einleitung zu § 2, Kap. 2 „Der ‚handlungs- und produktionsorientierte Literaturunterricht‘ in der Fachdidaktik Deutsch“ sowie hinsichtlich der performativen Spielarten K lie , Fiktion im Spiel, S. 30; Kumlehn, Mimesis, S. 108; Schambeck , Wenn Leben sich in Texte webt, S. 80. Die Mehrdeutigkeit und die Appellstruktur der Bibel, die mit Verweisen auf die Rezeptionsästhetik fundiert werden, sind aber nicht die einzigen Merkmale, die den Textbegriff der performativen Spielarten prägen. So formulieren Leonhard und Klie stellvertretend, die performativen Ansätze interessierten sich für den „Ereignischarakter des Bibelwortes (Wortgeschehen, Leiblichkeit bzw. Äußerlichkeit biblischer Verheißungen)“. Leonhard / K lie , Schauplatz, S. 149. Hier könnte insbesondere eine Nähe zum Text-Performance-Verhältnis der Didaktik des Darstellenden Spiels gesehen werden. Vgl. insbesondere den aufgezeigten „Primat des Praktischen“; § 2, Kap. 3.3 „Performative Religionsdidaktik und die Fachdidaktik des Darstellenden Spiels im Vergleich“. 153 I ser , Appellstruktur, S. 228. 154 K lie , Wort, S. 107. 155 Vgl. exemplarisch die Skizze des Stundenaufbaus sowie die Impulssetzung in Ye krang -H aghpanah , Partitur, S. 170–174 sowie die Etablierung perspektivischer Brechungen in H änig, Erlebnisreise, S. 178–184. 156 Z ille ẞen, Gedankengänge, S. 31.
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alle auf „Fremdverstehen“ im Sinne Kaspar H. Spinners zielen, als weniger problematisch hinsichtlich des Gefahrenfelds zwischen Profanisierung und Missionierung. Vermutlich ist gerade deshalb die auffallend häufige Inszenierung bibeldidaktischer Lernwege in performativen Unterrichtsentwürfen im Fachdiskurs bemerkenswert selten besprochen oder eigens kritisiert worden.157 Mit Blick auf die zukünftige Verantwortung performativer Lernarrangements ist hierbei erneut auf die herausragende Bedeutung der Unterscheidungsfähigkeit zwischen Binnen- und Außenperspektive sowie auf die Gestaltung der entsprechenden Übergänge zwischen den Perspektiven hinzuweisen. Die bibeldidaktischen Konkretionen führen anschaulich vor Augen, wie perspektivische Brechungen, erkennbare und verständliche Unterscheidungsstützen sowie erprobte Methoden und Verfremdungstechniken performative Inszenierungen praktikabler gestalten. Eine zentrale Aufgabe performativer Religionsdidaktik muss darin liegen, Schülerinnen und Schülern die Differenzen zwischen religiösen und anderen Modi der Welterschließung auch schon während der unterrichtlichen Probehandlungen deutlich zu machen. Diese Untersuchung hat aufgezeigt, dass mehrere Konkretionen liturgischen Lernens dieses Ziel verfehlen, meist aufgrund unzureichender Inszenierung von Distanzierungsangeboten durch perspektivische Brechungen. Performative Religionsdidaktik kann aber nur dort als „theologisch reflektierte Erschließung von Religion“158 überzeugen, wo ihre unterschiedlichen Spielarten dem Anspruch gerecht werden, der in der folgenden Absichtserklärung anklingt: „[…] das Imaginieren und Inszenieren von religiösen Vollzügen im Unterricht verfolgt das bildungstheoretisch begründete Ziel, dass die Schülerinnen und Schüler die Perspektive anderer Menschen probeweise übernehmen, den damit einhergehenden Wechsel zwischen einer Teilnehmer- und Beobachterperspektive reflektieren und darüber hinaus die Eigenlogik einer religiösen Welterschließungsperspektive von anderen Perspektiven unterscheiden lernen.“159 In dieser Hinsicht scheinen die bisher ausgearbeiteten performativ-liturgischen Lernarrangements weniger geeignet, die Unterschiedlichkeit der Perspektiven darzustellen. Dagegen erweist es sich sowohl im handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht als auch in performativer Bibeldidaktik als weniger problematisch, Prozesse des „Fremdverstehens“ durch das Begehen von Proberealitäten zu inszenieren. Im Kern hängt dies mit dem Text selbst zusammen, der den anspruchsvollen Prozess des Durchführens und Nachvollziehens von Perspektivenwechseln als Medium un157 Eine Ausnahme bildet der kritische Einwurf Thomas Meurers, der sich zwar nicht grundsätzlich zur Hochschätzung der Bibel in performativen Lernsettings äußert, allerdings die Art und Weise des Umgangs mit der Bibel in solchen Settings hinterfragt. Vor allem ein Verständnis der Bibeltexte als „Spielwiese“ einer freien Interpretation beurteilt Meurer kritisch. Vgl. Thomas M eurer: Performative Religionspädagogik. Größe und Grenze eines Trends, in: HerKorr 63/7 (2009), S. 375–377. 158 D ressler , Theologisch reflektierte Erschließung, S. 15. 159 K äbisch , Perspektivenwechsel, S. 351 (Hervorhebungen FD).
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terstützt. Dagegen bringen liturgische Vollzüge wie probeweises Beten, Segnen und gottesdienstliches Feiern didaktische Herausforderungen mit sich, die offensichtlich über das Sich-Hineinversetzen in die Figur einer literarischen Vorlage hinausgehen. Die Frage, ob fachdidaktisch zwischen der kreativen Einfühlung in Perspektiven biblischer Figuren und einem Hineinversetzen in betende oder feiernde Christinnen und Christen differenziert werden sollte, bleibt in den programmatischen Texten der performativen Spielarten trotzdem bis heute weitgehend unbeantwortet.
2.8 Anfragen zu Praktikabilität und Lehrerrolle Die Verantwortung performativer Lernsequenzen ist mit hohen Anforderungen an die Lehrkräfte verbunden. Dies haben die hier untersuchten Stundenentwürfe und die bisher aufgezeigten Desiderate an die fachdidaktischen Theorien bereits erkennen lassen. Peter Kliemann formuliert aus der Sicht eines Fachleiters für Evangelische Religion die Beobachtung, dass in den „bisher vorliegenden Unterrichtsbeispielen […] von einer hohen religionsdidaktischen Virtuosität ausgegangen wird“160. Verfolgt man ein handlungsorientierendes Interesse, so sind hier zwei wesentliche Herausforderungen zu nennen: Zum einen haben die Lehrerinnen und Lehrer performative Inszenierungen am Lernort Schule in angemessener Weise zu realisieren (1); zum anderen gilt es für sie, ihre eigene Rolle als Lehrende neu zu bedenken und auszufüllen (2). Zuerst ist die grundsätzliche Schwierigkeit der Durchführung performativer Entwürfe im schulischen Religionsunterricht in den Blick zu nehmen (1). Schröder bezeichnet „gute[n] Religionsunterricht als Bewährungsprobe von Religionsdidaktik“161. Er zeigt damit an, dass nur solche religionsdidaktischen Konzepte und Theorien tragfähige Handlungsorientierung für zukunftsträchtige Lehr- und Lernprozesse bereitstellen, die qualitativ hochwertigen Unterricht ermöglichen und befördern.162 Unabhängige empirische Untersuchungen, die etwa einen spezifischen Mehrwert, besondere Lernerträge oder potentielle Schwierigkeiten performativer Lernarrangements aufzeigen, liegen bislang noch nicht vor. Einen ersten Schritt in die Richtung einer Evaluation der Praktikabilität performativen Religionsunterrichts stellt der Band „Unterrichtsdramaturgien“163 dar. Darin analysieren die performativen Didaktiker Dressler, Klie und Kumlehn religionsunterrichtliche Inszenierungen anhand von Fallstudien. Insgesamt werden hier sieben performative Unterrichtsbeispiele untersucht, von denen drei im Konfirmandenunterricht und vier im schulischen Religions160
K liemann, Performativer Religionsunterricht?, S. 374. 161 S chröder , Religionspädagogik, S. 559. 162 An gleicher Stelle stellt Schröder auch „Qualitätsdimensionen
und Kriterien guten Religionsunterrichts“ zur Diskussion. Ebd., S. 560. 163 D ressler / K lie / Kumlehn (Hg.), Unterrichtsdramaturgien, Titelformulierung.
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unterricht auf Gymnasialniveau stattfinden.164 Mit Blick auf die Praktikabilität performativer Lernarrangements fällt besonders auf, dass keine der vier Unterrichtsstunden, die am Lernort Schule stattfinden, von den Autoren als positives Beispiel performativen Lehrens und Lernens dargestellt wird. Vielmehr werden die beschriebenen unterrichtlichen Inszenierungen scharf kritisiert. Die erste Lehrerin lasse den Schülerinnen und Schülern in ihrer bibeldidaktischen Stunde zu wenig Raum und steuere auf eine „Moral von der Geschichte“165 zu. Die zweite berücksichtige in einem methodisch anspruchsvollen Setting zu wenig „die kreative Lesartenbildung“166. Die dritte Lehrerin lasse die Schülerinnen und Schüler in der „Überkomplexität der Aufgabenstellung“167 verloren gehen und die „eigene Sachlogik“168 der Stunde durcheinander geraten. In der vierten Inszenierung gerate „die Interdependenz von Lernweg, Sujet und Lernsubjekten […] aus den Fugen“169, wodurch „die strikte Regie [der Lehrerin] ins Leere“170 laufe. Bereits diese ersten empirischen Eindrücke – die immerhin aus den Federn performativer Programmatiker selbst stammen – lassen auf didaktische Schwierigkeiten schließen, die dem Unterrichtsvollzug vorausliegen. Die ersten empirischen Hinweise bestätigen die oben geäußerte Vermutung, dass die Praktikabilität der Stundenentwürfe ein besonderes Problem der performativ-didaktischen Ansätze darstellt. Empirisch gestützte, religionsunterrichtlich erprobte Kriterien, die das Gelingen solcher Lernsettings bzw. das Anbahnen „gewusster Perspektivität“171 unterstützen, fehlen in der Fachliteratur bis heute. Im Gegenteil vermittelt der Band „Unterrichtsdramaturgien“ eher den Eindruck, dass performative Lernarrangements außergewöhnlich viele methodisch-didaktische Fehlerquellen bereitstellen und aus entsprechend vielgestaltigen Gründen nicht gelingen können. Dies betrifft in den dort besprochenen Beispielen vor allem die Verlockung, das Unterrichtsgeschehen vollständig selbst lenken oder Lernerträge begrifflich eindeutig fixieren zu wollen. Um aber nicht bloß eine anregende didaktische Theorie zu entwickeln, sondern auch die religionsunterricht164
Drei der vier Stunden finden an Gymnasien statt, eine in der gymnasialen Oberstufe einer integrierten Gesamtschule. 165 D ressler , ‚Da möchte Gott‘, S. 78. 166 M artina Kumlehn: ‚Ihr seid meine Instrumente‘ – Die Stillung des Sturmes: Theatral-ästhetische Inszenierung und symboldidaktisch-allegorische Fokussierung – Fallanalyse ‚Neumöller‘, in: Unterrichtsdramaturgien. Fallstudien zur Performanz religiöser Bildung, hg. v. Bernhard Dressler , Thomas K lie und ders., Stuttgart 2012, S. 83–117, 99. 167 Kumlehn, ‚Ihr seid Eva‘, S. 129. 168 Ebd., S. 141. 169 Thomas K lie: ‚In der Kirche klappt’s irgendwie immer‘: Der liturgische Gruß am anderen Ort – Fallanalyse ‚Brunnenberg‘, in: Unterrichtsdramaturgien. Fallstudien zur Performanz religiöser Bildung, hg. v. Bernhard Dressler , dems. und M artina Kumlehn, Stuttgart 2012, S. 149–174, 159. 170 Ebd., S. 174. 171 D ressler , Blickwechsel, S. 29. Vgl. § 1, Kap. 3.1.1.4 „Die Herausforderung der Übergänge“.
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liche Tauglichkeit unter Beweis zu stellen, bedarf es offenkundig besonderer Hilfe und Unterstützung für die Praxis. Zunächst müssten unbedingt positive Beispiele beschrieben werden, anhand derer sich Indikatoren „guten performativen Religionsunterrichts“ entwickeln lassen. Zudem fehlt es an konkreten methodischen Handreichungen, die nicht nur Unterrichtsideen entfalten, sondern auch den Umgang mit potentiellen Schwierigkeiten gerade der performativen Zugangsweise reflektieren; wie zum Beispiel die Spannung zwischen Profanisierungsgefahr und Missionierungsverbot ausgehalten werden kann; oder wie differenzsensibel auf Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher religiöser Sozialisation eingegangen werden soll. Um die Praxistauglichkeit der performativen Ansätze zu fördern, könnte sich eine engere Zusammenarbeit der performativen Didaktiker mit erfahrenen Praktikern aus der Schule als hilfreich erweisen. Dies würde zu verhindern helfen, dass für sich genommen gut durchdachte performativ-didaktische Konzepte in unzureichend reflektierte Unterrichtsideen münden, wie dies Christina Kalloch aus katholischer Perspektive bemängelt.172 Hierfür könnten etwa Peter Biehls Göttinger „Projektgruppen“ als Vorbild dienen, die er seinerzeit im Zuge der Entwicklung seiner „kritischen Symbolkunde“ etablierte. Gerade das kooperative Entwickeln, praktische Erproben und theoretische Reflektieren, das Biehl in den Gruppen mit kundigen Lehrerinnen und Lehrern institutionalisierte, trug m. E. entscheidend zur unterrichtspraktischen Profilierung und damit auch zur Breitenwirksamkeit seiner Symboldidaktik bei.173 Auch die in § 2 vorgeschlagene Intensivierung der Rezeption performativer Aufbrüche in den benachbarten Fachdidaktiken könnte sich zur Steigerung der Praktikabilität als hilfreich erweisen.174 Die dort erhobenen, erheblich umfassenderen empirischen Daten und die in deren Auswertung gewonnenen Einschätzungen zu Chancen und Schwierigkeiten im Unterrichtsvollzug sind etwa in der Deutschdidaktik längst in Handlungsorientierungen übersetzt worden.175 172 Vgl.
K alloch, Performation, S. 52. § 3, Kap. 2.6 „Peter Biehl (1931–2006): Die Vermittlungsproblematik und das Symbol“, v. a. Kap. 2.6.1 „Religionsdidaktisches Profil“. Mit Blick auf die Entwicklung, Anwendung und Erprobung symboldidaktischer Konzepte für den zeitgenössischen Religionsunterricht kam dem ehemaligen Göttinger Fachleiter Rudolf Tammeus in diesen „Projektgruppen“ eine hervorgehobene Rolle zu. Die Kooperation zwischen Biehl und Tammeus betrachten eigens Dinger / Schröder , Rudolf Tammeus, S. 359–365. Auch Biehl selbst äußert sich hierzu. Vgl. Biehl , Autobiographische Miniaturen, S. 87–90. 174 Kliemann fordert in diesem Zusammenhang gar eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit Fachdidaktikern anderer Schulfächer. Gemeinsam sei „eine sorgfältige Analyse sog. Handlungsorientierter Unterrichtssequenzen“ anzustreben, um die „Schnittmenge zwischen Handlungsorientierung und Performativer Religionsdidaktik“ genauer zu beschreiben bzw. einzugrenzen. K liemann, Performativer Religionsunterricht, S. 373. 175 Insbesondere kann dies für die Szenische Interpretation Ingo Schellers veranschlagt werden. Nicht nur wurden hierzu bereits zahlreiche empirische Forschungsarbeiten vorgelegt, sondern Scheller nahm diese auch selbst zur Kenntnis und überführte ihre Ergebnisse in hand173 Vgl.
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Viele der im Deutschunterricht praktizierten Verfahren haben vor allem als performativ-bibeldidaktische Settings bereits Eingang in die Praxis des Religionsunterrichts gefunden. Nun gilt es, diese hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit auf religionsdidaktische Handlungsfelder kritisch zu überprüfen und zu den Bildungszielen des Faches in Beziehung zu setzen. Die hohen Anforderungen an die angemessene Durchführung performativer Lernsettings hängen auch mit ungenauen Beschreibungen der veränderten Rolle der Lehrenden zusammen (2). Vor allem der religionspädagogisch-systematische Teil dieser Untersuchung hat aufgezeigt, dass die performativen Spielarten kein einheitliches Bild der Religionslehrkraft skizzieren, sondern stattdessen unterschiedliche Anforderungsprofile beschreiben. So sieht Leonhard die Lehrerinnen und Lehrer in erster Linie als „Spielleiter des Unterrichts“, die dafür Sorge tragen, „dass Religion präsent und repräsentiert wird“176. Hier liegt der Akzent auf der rituellen (Re‑)Präsentation von Religion im Unterricht, die von Seiten der Lehrenden zu inszenieren sei.177 Einen anderen Schwerpunkt setzt Dressler, der die Religionslehrkraft als „Fremdenführer“178 versteht. Diese Metapher hebt das Standortbewusstsein und die Orientierungssicherheit hervor, die den Lehrpersonen durch ihre theologische Bildung zukommt. Hier wird vorausgesetzt, dass der Fremdenführer sich in seinem Metier „naturgemäß besser auskennt als die Touristengruppen“179 und in der Lage ist, diesbezüglich von eigenen Erfahrungen, Kenntnissen und Einblicken zu berichten. Innerhalb der poststrukturalistisch begründeten Spielart, insbesondere bei Schroeter-Wittke, soll hingegen die Rolle des Lehrers bewusst „unklar“180 bleiben. Die Aufgabe besteht vor allem darin, nicht den Eindruck zu erwecken, mehr über den Gegenstand Religion zu wissen als die Schülerinnen und Schüler. Hier zeigt sich religionspädagogische Professionalität darin, dass sich die Lehrenden selbst zurücknehmen und die eigene Rolle auf das Bereitstellen von Material sowie die „Rhythmisierung innerhalb der Unterrichtsdramaturgie“181 beschränken. In scharfem Gegensatz zu dieser Rollenvorstellung steht vor allem Mendls Verständnis der Lehrperson als Vertreter eines „gesellschaftsoffenen Christentums“182 in konfessioneller Ausprägung: „Für die spezielle Gestalt eines perforlungsorientierende Impulse. Vgl. Scheller , Szenische Interpretation, S. 17 f.; vgl. ferner § 2, Kap. 2.2.1 „‚Szenische Interpretation‘ im Porträt“. 176 Leonhard, Spiel mit der Form, S. 27. 177 Vgl. § 1, Kap. 3.2.2.2 „Rituelle (Re‑)Präsentation zwischen Didaktik und Methodik“. 178 D ressler , Religion unterrichten, S. 42. Vgl. hierzu ausführlich § 1, Kap. 3.3.2.2 „Religion aufs Spiel setzen“. 179 D ressler , Religion unterrichten, S. 42. 180 S chroeter-Wittke , Performance, S. 64. Vgl. hierzu § 1, Kap. 3.3.2.2 „Religion aufs Spiel setzen“. 181 Ebd. 182 M endl , Religion erleben, S. 17. Vgl. Kap. 3.4.1.2 „Mendls Problemanzeige und didaktische Schlussfolgerung“.
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mativen Religionsunterrichts brauchen Religionslehrerinnen und -lehrer […] eine klar erkennbare konfessionelle Identität, weil Lehrende […] als authentische Zeugen gelebten Christentums bei aller Individualität und Kritikfähigkeit […] gleichsam als personale Medien veranschaulichen, inwiefern Form und Inhalt von Religion für sie zusammengehören.“183 Mendl unterscheidet sich hier insofern deutlich von Schroeter-Wittke, als der eigene „Stil im Umgang mit Religion“ schon im unterrichtlichen Auftreten der Lehrkräfte zu erkennen sein soll, und zwar als individuelle Ausprägung einer „konfessionelle[n] Identität“. Diese schließt dezidiert auch die „Vertrautheit mit Praxisfeldern der eigenen Religion“184, also eine Art liturgisches Know-how, mit ein. Während S chroeter-Wittke einen qualitativen Vorsprung der Lehrkräfte in Bezug auf die christlichen Praxisvollzüge negiert, nennt Mendl eine „deutlich ausgeprägte Spiritualität“ als Voraussetzung für die nötige „Rollensicherheit und […] spirituelle Sensibilität“185 in performativen Inszenierungen. In diesem Anforderungsprofil klingt eine Nähe zu der (vielfach kritisierten) Vorstellung der Religionslehrerinnen und -lehrer als Spiritual Leader186 an. Mendl selbst weist diese an späterer Stelle zwar zurück.187 Gleichwohl geht er m. E. einen Schritt zu weit, wenn er die individuelle Ausprägung einer konfessionellen Frömmigkeitspraxis als Bedingung für das Gelingen performativen Unterrichts ausgibt. Zu deutlich lassen die Formulierungen des „authentischen Zeugen“ und „personalen Mediums“ Vorstellungen von der Religionslehrkraft als einem Vorbild im Glauben oder gar als Mittler desselben anklingen. Glaubensvermittlung gehört jedoch aus religionspädagogisch-historischer Perspektive vergangenen Epochen an und ist für den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen von heute und morgen keine akzeptable Zielvorstellung.188 An dieser Stelle gilt es mit Dressler und Klie zu betonen, dass die Religionslehrkräfte innerhalb der Proberealitäten „Mitteiler und Darsteller von Religion“, aber „nicht von sich selbst“189 sind. Allerdings führen auch die oben 183
M endl , Religion erleben, S. 83. Ebd. 185 Ebd., S. 84. 186 So kritisiert u. a. Lämmermann mit Blick auf die evangelischen Spielarten performativer Religionsdidaktik polemisch: „Der Religionsunterricht mutiert zum frommen Turnen und Probebeten unter der Regie von gottesgewissen Vorturnern und kirchentreuen Betschwestern.“ Lämmermann, Show-Bühne, S. 108. Auch Obst weist darauf hin, dass Lehrkräfte dort zu ungebrochen als „Repräsentanten der christlichen Religion protestantischer Prägung“ verstanden würden. Obst, Religion zeigen, S. 109. Die Problematik eines solchen Lehrerbildes wurde in dieser Studie auch aus religionspädagogisch-historischer Perspektive aufgezeigt, etwa anhand der herausragenden Bedeutung von C. G. Salzmann als Spiritual Leader in der Schnepfenthaler Erziehungsanstalt. Vgl. § 3, Kap. 2.2.1 „Religionsdidaktisches Profil“. 187 M endl , Religion erleben, S. 121 f. 188 Diese Einschätzung wurde im Rahmen dieser Studie auch aus religionspädagogischhistorischer Perspektive deutlich, beispielsweise an den problematischen Implikationen des Ansatzes von Richard Kabisch (vgl. § 3, Kap. 2.3.2 „Vergleichsmomente“). 189 D ressler / K lie , Strittige Performanz, S. 223. 184
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dargestellten Vorstellungen zur Lehrerrolle von Schroeter-Wittke nicht weiter, wie Rothgangel treffend kritisiert: „So berechtigt der Verweis auf das Unplanbare und die Prozesshaftigkeit des Unterrichtsgeschehens ist – die ‚dramatische Vorlage‘ will didaktisch verantwortet sein und nicht einfach als ‚vorgegebener Stoff‘ methodisch eingespielt werden.“190 Diese didaktische Verantwortung, die auch mit fachwissenschaftlichen Entscheidungen verbunden und auf entsprechendes theologisches Vorwissen angewiesen ist, gilt es nicht zu leugnen, sondern inhaltlich klarer zu bestimmen. Die Unterschiede insbesondere zwischen den Vorstellungen Mendls und Schroeter-Wittkes führen erneut den Klärungsbedarf vor Augen, der bereits in Kap. 2.1 hinsichtlich der begrifflichen Uneindeutigkeiten der einzelnen performativen Spielarten festgestellt wurde. Aus Sicht der Lehrerinnen und Lehrer, die zukünftigen Religionsunterricht zu verantworten haben, stellt sich demzufolge vor allem die Frage nach dem Verhältnis des Regisseurs der Inszenierungen zu den inszenierten Gegenständen. Diese Frage wird – wie in § 1 beschrieben – innerhalb der Spielarten unterschiedlich beantwortet. Als unstrittig kann aber gelten, dass Lehrende besonders in liturgisch-performativen Settings mit Erscheinungsformen christlich gelebten Glaubens vertraut sein müssen, jedenfalls in höherem Maße, als dies bisher im Religionsunterricht vorausgesetzt wurde. Deshalb ist vor allem Dresslers Metapher des Fremdenführers zur Konturierung der Lehrerrolle hilfreich. Sie verweist einerseits auf den Wissensvorsprung der Lehrkräfte in Bezug auf die Lerngegenstände, andererseits macht sie deutlich, dass die Probeaufenthalte lediglich als „Besuche“ verstanden werden. Diese erfolgen ohne Zwang, enthalten keine Verpflichtung zur Identifizierung mit festgelegten Rollen und können auf Wunsch auch im Verlauf der Inszenierung abgebrochen werden. Die Inszenierung religiöser Vollzüge im Religionsunterricht hat einerseits die Dignität der Ausdrucksformen religiöser Praxis und andererseits die Grenzen des Lernorts Schule zu achten. Deshalb erfordern performative Settings ein hohes Maß an Lehrerkompetenz im Umgang mit diesen Ausdrucksformen. Dies gilt hinsichtlich der hermeneutisch-theologischen Reflexion, also den „Fragen nach dem bedeutsamen Gehalt in den spezifischen Formen religiöser Kommunikation“191. Dies gilt zudem auch in Bezug auf das Kennenlernen der Erscheinungsformen selbst. Von hier aus ergibt sich ein weiteres Desiderat insbesondere in Bezug auf die Konkretionen liturgischen Lernens in performativen Ansätzen: Während Grundlagen der Bibelwissenschaften einen wesentlichen Bestandteil des religionspädagogischen Studiums darstellen und entsprechend in performativ-bibeldidaktischen Entwürfen in gewissem Umfang 190
Rothgangel , Rez. Schauplatz Religion, Sp. 579. Bernhard Dressler / Thomas K lie / M artina Kumlehn: Der Umgang mit Performanz will gelernt sein, in: Unterrichtsdramaturgien. Fallstudien zur Performanz religiöser Bildung, hg. v. dens., Stuttgart 2012, S. 317–320, 318. 191
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§ 4 Tragweite und Tragfähigkeit performativer Ansätze
vorausgesetzt werden können, zählt liturgische Kompetenz nicht zu den Qualifikationen, die angehenden Lehrerinnen und Lehrern üblicherweise in Studium, Referendariat oder Lehrerfortbildung vermittelt werden. Weil sie aber die Gestalt der Inszenierungen didaktisch zu verantworten haben, in weiten Teilen gar „als Urheber des szenischen Arrangements“192 insgesamt betrachtet werden können, sind sie auf Fähigkeiten im Umgang mit liturgischen Formen angewiesen. Es bedarf also der Anbahnung spezieller performativ-didaktischer Kompetenzen, die bisher nicht Teil des Kanons religionspädagogischer Ausbildung sind. Es muss im Interesse der performativen Religionsdidaktiker unterschiedlicher Spielarten liegen, die Qualität der unterrichtlichen Konkretionen zu verbessern: durch konsequentes Achten der selbst gesteckten Grenzen in den eigenen Unterrichtsentwürfen,193 durch kritische Rezeption der performativen Aufbrüche in benachbarten Fachdidaktiken, durch Formulieren konkreter Praxishilfen, durch sorgfältiges Ausweisen der Unterrichtsziele und nicht zuletzt durch gewissenhaftes Erproben, Evaluieren und Verbessern der eigenen Unterrichtsideen im Gespräch mit erfahrenen Praktikern. In jedem Fall aber nötigt die offensichtliche Komplexität der Gestaltung von performativen Inszenierungen und die Herausforderung, kompetent in ihnen zu agieren, zur Etablierung entsprechender Schulungsangebote für Lehrerinnen und Lehrer in der religionspädagogischen Aus-, Fort- und Weiterbildung. Als wollten Dressler, Klie und Kumlehn unterstreichen, dass bei performativen Lernarrangements im täglichen Geschäft des Religionsunterrichts eine Umsetzungsproblematik vorliegt, überschreiben sie ihr Fazit zu den Fallstudien mit dem Satz: „Der Umgang mit Performanz will gelernt sein.“194 Um dies zu ermöglichen, sollte ein angemessener Umgang mit Performanz zukünftig auch gelehrt werden.
2.9 Performative Religionsdidaktik und interreligiöses Lernen In dieser Arbeit wurde gezeigt, wie bei erheblicher Diversität innerhalb der performativen Religionsdidaktik ein „kleinster gemeinsame Nenner“ deren verschiedene Spielarten verbindet: Es ist die Absicht, Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht mit Formen gelebter Religion in Kontakt treten zu lassen. Dieses Ziel bezieht sich fast überall195 auf die Kontaktaufnahme mit Ausdrucksgestalten ausschließlich christlicher Religionspraxis. Während sich die 192 Leonhard / K lie , In Szene setzen, S. 15. 193 Anders als beispielsweise in den oben untersuchten
Konkretionen von Husmann / Klie (vgl. § 1, Kap. 3.1.2.3 „Prozedurale Regeln im didaktischen Spiel“) und Schambeck (vgl. § 1, Kap. 3.4.2.2 „Mystagogisches Lernen als Konkretion performativer Religionsdidaktik“). 194 D ressler / K lie / Kumlehn, Umgang, S. 317 (Hervorhebung FD). 195 Die einzige Ausnahme bilden hier die Entwürfe Mendls, die, wie gesehen, dezidiert auch interreligiös-performative Zugänge vorschlagen. Vgl. M endl , Religion erleben, S. 269– 288; vgl. § 1, Kap. 3.4.2.3 „Praxisfelder religiösen Erlebens in der Schule“.
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Religionsdidaktik gegenwärtig mit zahlreichen neueren Ansätzen, Entwürfe und Intentionen zum interreligiösen Lernen beschäftigt, und entsprechende Konzepte viel diskutiert werden,196 liegen performativ-didaktische Unterrichtsvorschläge zum interreligiösen Lernen bisher kaum vor.197 Ein Grund für diese Zurückhaltung könnte in dem „unauflösbaren Paradox“198 gesehen werden, das nach Gärtner performatives Lernen in interreligiösen Settings kennzeichnet. Demnach lässt sich eine fremde Religion einerseits nicht ohne Annäherung an deren gelebte Gestalt verstehen, andererseits ist die lebendige Teilnahme und Teilhabe an der fremden Religion für Andersgläubige nicht – oder nur sehr eingeschränkt – möglich.199 Bis heute ist das Verhältnis zwischen performativer Religionsdidaktik und interreligiösem Lernen selten fachdidaktisch reflektiert worden.200 Kann aber in der gegenwärtigen kulturellen und gesellschaftlichen Situation, in der sich Menschen unterschiedlicher Religion in Deutschland und in vielen anderen Ländern nahezu ständig begegnen, ein Ansatz christlicher Religionsdidaktik die anderen Religionen einfach ignorieren? Wenn diese Frage verneint wird, dann ist im besonderen Fall der christlich-performativen Religionsdidaktik unbedingt auf zwei weitere Fragen einzugehen. 1. Können auch Praxisvollzüge anderer Religionen in performativen Lernsettings inszeniert und probeweise begangen werden? 2. Können und sollen Schülerinnen und Schüler anderer Religionsgemeinschaften an inszenierten christlichen Praxisvollzügen probeweise teilnehmen? Zu 1.: Performative Didaktik geht davon aus, dass Religion nur dort verstanden werden kann, wo sie (auch) als Praxis unterrichtlich inszeniert wird. Dann aber darf auch eine Didaktik der Religionen nicht auf rein kognitiv und religionskundlich ausgerichtete Zugänge beschränkt bleiben. An dieser Stelle mahnt jedoch Dressler stellvertretend für die Mehrzahl performativer Religionsdidak196
Vgl. hierzu exemplarisch die pointierte Darstellung aktueller fachdidaktischer Ansätze zum interreligiösen Lernen von K arlo M eyer / Monika Tautz: Art. Interreligiöses Lernen, in: WiReLex, URL: https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/100068/ (zuletzt eingesehen am 05. Mai 2018). 197 Die einzige Ausnahme bilden wiederum die Entwürfe Mendls. Vgl. M endl , Religion erleben, S. 269–288. 198 Gärtner , Performanz oder Reflexion, S. 53. 199 Gärtner formuliert dies prägnant folgendermaßen: „[Es] wird didaktisch die Problematik hervorgehoben, dass eine fremde Religion ohne Einblicke in deren gelebte Gestalt nicht verstanden werden kann, dass zugleich aber auch eine direkte Teilnahme an und Aneignung von einer fremden Religion als Andersgläubiger nicht möglich ist.“ Ebd. 200 Entsprechend vermutet Kliemann u. a. im Bereich der Thematisierung von „andere[n] Religionen und Weltanschauungen […] Grenzen eines ausschließlich performativen Ansatzes.“ K liemann, Performativer Religionsunterricht?, S. 370. Ausnahmen bilden wiederum Mendl, der hierzu eigene Konkretionen entwickelt, und Gärtner, die sich im oben zitierten Aufsatz um eine entsprechende Verhältnisbestimmung bemüht. Vgl. ebd.
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tiker vor „Grenzverletzungen“201. Zweifellos begeben sich Religionslehrkräfte als Christinnen und Christen in besonders „unsicheres Gelände“202, wenn sie beispielsweise muslimische Gebetshaltungen inszenieren, einen jüdischen Sederabend nachstellen oder eine hinduistische Puja durchführen.203 Andererseits könnte performative Religionsdidaktik zumindest theoretisch entsprechende Begegnungen zu anders glaubenden Menschen eröffnen; dann nämlich, wenn es ihr gelänge, gemäß ihrem eigenen Ansatz im Perspektivenwechsel die Unterscheidung unterrichtlicher Inszenierung und authentischer Religionspraxis deutlich zu machen. So könnten zum Beispiel Besuche von Synagogen, Moscheen und Tempeln, die längst zum religionsdidaktischen Handlungsrepertoire gehören, auch als Begehungen in einem performativ-didaktischen Sinne durchgeführt werden. In der Vorbereitung und Nacharbeit solcher außerschulischer Lernaktivitäten wären auch im schulischen Raum und im (christlichen) Religionsunterricht gelebte Aspekte anderer Religionen unterrichtlich in Szene zu setzen. Ob derartige Übertragungen von Seiten performativer Religionsdidaktik als wünschenswert angesehen werden oder nicht, nötigt zu fachdidaktischer Klärung. Mendl entfaltet zudem Exkursionen an Orte, an denen Menschen ihre Religion leben, als Beispiele performativer Religionsdidaktik. Dies läge nahe, weil sich die besuchte und fremde Religion dort in dem ihr eigenen Handlungszusammenhang selbst darstellt und sich so der Wahrnehmung zugänglich macht.204 Ähnliches gelte für unterrichtliche Inszenierungen von Gesprächen mit Vertretern anderer Religionsgemeinschaften. Solche Gespräche, die unbestritten wichtige Ergänzungen des Religionsunterrichts darstellen, versteht Mendl ebenfalls als Konkretionen performativen Lehrens und Lernens. Es bleibt jedoch an dieser Stelle zweifelhaft, ob solche Lernarrangements nicht auch ohne den performative turn der Religionsdidaktik denkbar sind. Zudem bleibt dort die zentrale Frage letztlich unbeantwortet, ob religiöse Praxisvollzüge anderer Religionen auch von Christinnen und Christen unterrichtlich inszeniert und zur probeweisen Ingebrauchnahme angeboten werden dürfen. Zu 2.: Doch nicht nur die Frage nach dem Recht performativ-religiöser Inszenierung von Riten, Bräuchen und Traditionen anderer Religionen im christlichen Religionsunterricht bleibt klärungsbedürftig. Es stellt sich auch die um201 202
Dressler , Darstellung und Mitteilung, S. 16. Zille ẞen, Gedankengänge, S. 31. 203 Jürgen Heumann kritisiert insbesondere das unterrichtliche Einnehmen von Gebetshaltungen – speziell mit Blick auf den islamischen Religionsunterricht. Vgl. Jürgen H eumann: Religionsunterricht darf kein Gebetsunterricht sein! Anmerkungen zum Problem einer Gebetspraxis im evangelischen und islamischen Religionsunterricht, in: Theo-Web 8/2 (2009), S. 75– 85. Vgl. dazu kritisch C hristian Grethlein: Schülerorientierung, nicht ideologische Distanznahme! Eine Antwort an Jürgen Heumann, in: Theo-Web 9/1 (2010), S. 240–248. 204 Vgl. M endl , Religion erleben, S. 275. Auch Gärtner weist m. E. zu Recht darauf hin, dass auch schon „Moscheen- oder Synagogenführungen durchaus performative didaktische Inszenierungen der gelebten Religion“ umfassen. Gärtner , Performanz oder Reflexion, S. 53.
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gekehrte Frage, ob und gegebenenfalls auf welche Weise Schülerinnen und Schüler anderer Religionsgemeinschaften an inszenierten christlichen Praxisvollzügen probeweise teilnehmen können und sollen. Die Rolle der Andersgläubigen in performativen Lernsettings erscheint gerade dann problematisch, wenn es umgekehrt als „Grenzverletzung“ verstanden wird, christliche Schülerinnen und Schüler an performativen Inszenierungen fremder Rituale probehalber teilnehmen zu lassen. Einerseits stellt die Positionalität der Lehrkraft im konfessionellen bzw. konfessionell-kooperativen Religionsunterricht ein Unterscheidungsmerkmal gegenüber der Inszenierung der Überlieferung und Praxis anderer Religionen dar, weil Lehrkräfte die Inszenierung von Vollzügen der eigenen Religion sicherlich theologisch fundierter selbst verantworten können.205 Andererseits erscheinen viele Ziele der performativen Spielarten, wie etwa die Transformation religiöser Ausdrucksgestalten zum Zwecke ihrer Aktualisierung206 oder das Anbahnen einer Partizipationskompetenz in Bezug auf eine bestimmte christliche Praxis,207 in Bezug auf andersgläubige Schülerinnen und Schüler unangebracht. Falls die Dignität der nichtchristlichen religiösen Vollzüge und der gebotene Respekt vor ihnen deren unterrichtliche Inszenierung verbietet (vgl. Frage 1), wird umgekehrt auch fraglich, ob andersgläubigen Schülerinnen und Schülern der „leibliche“ Umgang mit Formen gelebter christlicher Religion zuzumuten ist und ob im Vollzuge eines solchen spielerischen Umgangs auch die Dignität der christlichen Formen respektiert wird. Gerade die katholischen Spielarten legen viel Wert darauf, innerhalb der Probeaufenthalte „zu einem Handeln in aller Ernsthaftigkeit“208 anzuregen, um die Würde der inszenierten Formen nicht zu gefährden. Positiv gewendet ist nicht unwahrscheinlich und bleibt jedenfalls zu hoffen, dass außerchristliche Perspektiven die Prozesse der performativen Begehungen im Unterricht bereichern werden. Aber noch werden die vielgestaltigen Potentiale des Religionsunterrichts in einer „religionsplurale[n] Landschaft“209 innerhalb der performativen 205 Dies
wird aber schon innerhalb der performativen Spielarten selbst bezweifelt, etwa durch Schroeter-Wittke, der gerade den diesbezüglichen Wissensvorsprung der Lehrkräfte programmatisch in Frage stellt. Vgl. § 1, Kap. 3.3.2.2 „Religion aufs Spiel setzen“. 206 So besonders in den poststrukturalistisch begründeten Spielarten vorfindlich. Vgl. auch Englerts These, die evangelischen Spielarten performativer Didaktik verfolgten insgesamt eine „Transformationsstrategie“; Englert, Zwischenbilanz, S. 8. Vgl. hierzu kritisch abwägend § 4, Kap. 2.10 „Performative Didaktik im Lichte konfessioneller Kooperation“. 207 So besonders in der konstruktivistisch begründeten Spielart Mendls vorfindlich. Vgl. § 1, Kap. 3.4.1.2 „Mendls Problemanzeige und didaktische Schlussfolgerung.“ Interessant wäre auch die Frage, wie Grethleins Vorschlag, die „Befähigung zum Christsein als Ziel des Religionsunterrichts“ zu etablieren, in diesem Zusammenhang zu beurteilen wäre. Grethlein, Fachdidaktik Religion, S. 271. 208 M endl , Religion erleben, S. 67; vgl. § 1, Kap. 3.4.1.2 „Mendls Problemanzeige und didaktische Schlussfolgerung“. 209 Bernd S chröder : Religionspädagogische Aufgaben angesichts des Wandels institutionellen Christentums, in: JRP 30 (2014), S. 110–121, 110.
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Spielarten kaum fachdidaktisch abgerufen. Eine differenzsensible Präzisierung der performativen Didaktik und Methodik ist im Hinblick auf ihren Umgang mit Andersgläubigen dringend erforderlich. Es ist unstrittig, dass der respektvolle, kundige, gesprächssichere und urteilsfähige Umgang mit anderen Religionen heute eines der zentralen Bildungsziele des Religionsunterrichts darstellt.210 Noch ist aber nicht hinreichend deutlich, inwiefern performative Religionsdidaktik hierzu einen Beitrag leistet.
2.10 Performative Spielarten im Lichte konfessioneller Kooperation Aus religionspädagogisch-systematischer Perspektive sind in dieser Untersuchung sowohl von evangelischen als auch katholischen Religionspädagoginnen und Religionspädagogen entwickelte Spielarten performativer Didaktik in den Blick genommen worden. Dabei zeigten die Konturen der einzelnen Spielarten auf, dass die Unterschiede nicht einfach entlang konfessioneller Grenzen verlaufen, sondern sich vielmehr unterschiedliche Ausprägungen performativer Religionsdidaktik in beiden Konfessionen feststellen lassen. Deshalb ist der „Diskurs des Performativen“211 jedenfalls nicht in binnenkonfessioneller Isolierung zu führen.212 Leider vermittelt ein Überblick über die Gesamtdiskussion den Eindruck, dass insbesondere auf evangelischer Seite die Beiträge der anderen Konfession nicht mit der ihnen gebührenden Aufmerksamkeit wahrgenommen werden. M. E. bemerkt Mendl mit Recht, dass sich die evangelischen Religionspädagogen meist gar nicht oder bestenfalls am Rande mit den katholischen Spielarten auseinandersetzen.213 Obwohl mit Dressler und Klie festgestellt werden kann, dass die Karriere des Performanzbegriffs „nahezu zeitgleich in der katholischen wie in der evangelischen Religionspädagogik verläuft“214, besteht hinsicht210 Diesbezüglich besteht sowohl innerhalb der katholischen als auch der evangelischen Religionspädagogik Einigkeit – wenn auch die Konzepte differieren. Entsprechende Ziele sind längst in den schulischen Lehrplänen festgehalten. 211 M endl , Studienbuch, S. 20. 212 Einen Schritt in Richtung konfessioneller Kooperation in diesem Forschungsgebiet sollte ein Workshop im Jahre 2014 darstellen, den der Vf. auf der gemeinsamen Jahrestagung des AKRK und der GWR zum Ziel der Anbahnung eines Austauschs angeboten hat. Dessen Aufriss, Konzept und Ergebnis ist dargestellt in dem Beitrag Dinger , Religion in Form, S. 170–177. 213 Vgl. ebd., S. 23. Dies nennt Mendl an gleicher Stelle – aus der evangelischen Perspektive des Vf. ebenfalls zu Recht – „bedauerlich“. So gehen beispielsweise Klie und Dressler in ihrer Zwischenbilanz zum Performativen aus dem Jahr 2008 nur nebenbei auf die katholischen Entwürfe ein, indem sie zum einen Schambecks Ansatz kritisieren und zum anderen Englerts verkürzende These der katholischen „Kompensationsstrategie“ aufgreifen. Vgl. K lie / Dressler , Rezeption und Diskussion, S. 234–236. 214 K lie / D ressler , Rezeption und Diskussion, S. 234. Vgl. D inger , Religion in Form, S. 170 f. Mendl weist demgegenüber zutreffend darauf hin, dass die theoretisch-konzeptionelle
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lich der gegenseitigen Wahrnehmung, Gesprächs- und Lernbereitschaft Verbesserungsbedarf, und zwar insbesondere von Seiten der evangelischen Religionspädagogik. Deshalb urteilt Mendl in einer jüngeren Veröffentlichung durchaus im Sinne einer Aufforderung zum handlungsorientierenden Gespräch: „Was noch aussteht ist ein deutlicher konzeptioneller Diskurs zwischen den evangelischen und katholischen Protagonisten.“215 Gerade weil der umbrella term des Performativen „sowohl die katholische als auch die evangelische Religionsdidaktik in der jüngeren Vergangenheit intensiv beschäftigt“216 hat, könnten unter diesem begrifflichen Schirm gemeinsame Formen einer „didaktischen Profilierung der Kooperation“217 möglich werden. Eine solche Kooperation erscheint aus den fachdidaktischen Gemeinsamkeiten heraus folgerichtig. Darüber hinaus ist sie auch vor dem Hintergrund der schulischen Situation notwendig, in der sich konfessionell-kooperativer Religionsunterricht nicht etwa zufällig mehr und mehr zu institutionalisieren beginnt, sondern vielmehr um der Zukunft des Religionsunterrichts willen unerlässlich ist. In zunehmendem Konsens führender Fachdidaktiker beider Konfessionen ist „eine Fortsetzung des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts unbedingt empfehlenswert.“218 Perspektivisch ist zu erwarten, dass dieser „zum Regelfall“219 wird. Deshalb bedarf es zwingend einer intensiveren Verständigung auch über die konzeptionellen Leitfragen. Dies sollte mit Blick auf zukünftigen Religionsunterricht nicht nur dazu beitragen, auf verbesserungswürdige Zustände im jeweils eigenen Bereich („Baustellen“) aufmerksam zu werden. Auch sollte die Kooperation nicht vornehmlich dazu genutzt werden, kontroverstheologische Standpunkte in den unterrichtlichen Konkretionen zu profilieren. Vielmehr sollKonturierung performativer Religionsdidaktik zuerst in der evangelischen Religionsdidaktik erfolgte. Vgl. M endl , Studienbuch, v. a. S. 20–24. 215 M endl , Studienbuch, S. 23. 216 D inger , Religion in Form, S. 170 (Hervorhebung FD). 217 Bernd S chröder / Rudolf Tammeus: Wünschenswerte Schritte zur Weiterentwicklung des Religionsunterrichts – Thesen, in: Religionsunterricht – wohin? Modelle seiner Organisation und didaktischen Struktur, hg. v. Bernd Schröder , Neukirchen-Vluyn 2014, S. 193– 194, 194. 218 Friedrich S chweitzer / A lbert Biesinger / Jörg C onrad / M atthias G ronover : Dialogischer Religionsunterricht. Analyse und Praxis konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts im Jugendalter, Freiburg 2006, S. 205. Vgl. auch Rudolf Tammeus: Ökumenische Perspektiven. Zur Fortschreibung des Religionsunterrichts aus der Sicht eines Fachleiters Evangelische Religion an Gymnasien, in: Religionsunterricht – wohin? Modelle seiner Organisation und didaktischen Struktur, hg. v. Bernd Schröder , Neukirchen-Vluyn 2014, S. 135– 140, 137. 219 S chröder / Tammeus , Wünschenswerte Schritte, S. 194. Zudem weisen Ergebnisse empirischer Unterrichtsbeobachtung nach, dass schon im gegenwärtigen (hier katholischen) Religionsunterricht immer seltener eine konfessionell-profilierte Teilnehmerperspektive eingenommen wird. Vgl. Rudolf Englert / Elisabeth H ennecke / M arkus K ämmerling: Innenansichten des Religionsunterrichts. Fallbeispiele – Analysen – Konsequenzen, München 2014, S. 110–113. Die Autoren stellen insgesamt fest, „der Typus konfessorischer Rede“ sei aus dem gegenwärtigen Religionsunterricht „weitgehend verschwunden“ (S. 111).
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te Kooperation dazu führen, auch im positiven Sinne gangbare Wege für einen Unterricht aufzuzeigen, in dem die Schülerinnen und Schüler die christliche Ausprägung von Religion in ökumenischer Vielfalt und Weite kennenlernen.220 Im Rückblick auf die Untersuchungsergebnisse zeichnen sich in den evangelischen und katholischen Ausprägungen performativer Religionsdidaktik jeweils weiterführende und problematische Implikationen hinsichtlich der Gestaltung zukünftigen Religionsunterrichts ab. Exemplarisch ist hier erneut auf die Kontrastierung des katholischen Religionspädagogen Englert hinzuweisen. Er attestiert den evangelischen Entwürfen pauschal eine „Transformations-“, den katholischen hingegen eine „Kompensationsstrategie“221. Wie gesehen bildet diese vereinfachende Konturierung nicht jede einzelne evangelische oder katholische Spielart performativer Religionsdidaktik angemessen ab. Weder laufen alle evangelischen Ansätze auf die Transformation der Praxisgestalten christlich gelebten Glaubens hinaus, noch werden die katholischen Ansätze von Mendl und Schambeck hinreichend durch das Ziel der Kompensation verloren gegangener christlicher oder kirchlicher Sozialisation beschrieben. Dennoch macht die bewusst „sehr holzschnittartig[e]“222 Kontrastierung auf fachdidaktisch relevante Tendenzen aufmerksam, die im Diskurs mit den Didaktikern der jeweiligen Schwesterkonfession ökumenisch fruchtbar zu machen bzw. zu kritisieren sind. So zeichnen sich – wie gesehen – einige der evangelischen Spielarten in der Tat durch performative Lernarrangements aus, die geeignet sind, im nicht planbaren Formenspiel „religiöse Zeugnisse durch deren Inszenierung den Schüler/innen zur freien Anverwandlung anzubieten.“223 Evangelische Ansätze, die weniger das Kennenlernen christlicher Formen versprechen als vielmehr die Möglichkeit zu deren spielerischer Umgestaltung, betonen das experimentelle, unverbindliche Moment des performativen Vollzugs. Die Differenz zwischen authentischer Religionsausübung und unterrichtlichem Probehandeln wird eindringlich hervorgehoben und stets kenntlich gemacht, was insbesondere der Überwältigungsgefahr didaktisch vorbeugt. Gleichzeitig ergibt sich daraus stets die kritische Anfrage, ob das Formenspiel der unterrichtlichen Performances jenem Anspruch performativer Didaktik gerecht wird, Schülerinnen und Schüler tatsächlich mit Ausdrucksgestalten religiöser Praxis in Kontakt treten zu lassen. Wie genau die schulischen Inszenierungen zu authentischen Formen gelebten Christentums und deren vielfältigen, zweifellos mehrdeutigen, keines220 Diesen Aspekt betont mit Blick auf zukünftigen Religionsunterricht insbesondere T ammeus, Ökumenische Perspektiven, S. 137 f. Tammeus stellt dort sogar fest, dass schon heute „das theologisch Trennende […] religionsunterrichtlich häufig nur eine geringe Rolle“ spiele. 221 Englert, Zwischenbilanz, S. 6–8. 222 So Englert selbst. Ebd., S. 6. Vgl. hierzu kritisch M endl , Studienbuch, S. 22. 223 Englert, Zwischenbilanz, S. 8. Vgl. insbesondere die Spielarten von Zilleßen und Schroeter-Wittke, § 1, Kap. 3.3 „poststrukturalistisch begründete Performanz“.
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falls aber beliebig sich ergebenden Bedeutungsgehalten in Beziehung zu setzen sind, erscheint dort als besondere didaktische Herausforderung. Insofern lassen die evangelischen Spielarten tendenziell die Stärke erkennen, performative Lernsettings so zu inszenieren, dass die Grenzen des Lernorts Schule geachtet werden und die Probehandlungen als bedeutsame Prozesse der Aktualisierung „in-Szene-gesetzter-Botschaft“224 markiert sind. Andererseits droht im Vollzug solcher Inszenierung die Gefahr, im Angesicht der mehrdeutigen und auf das Hier und Jetzt der jeweiligen Situation fixierten Verkörperungen der Schülerinnen und Schüler die darin transformierten Formen selbst nicht mehr erkennen zu können und diesen so nicht gerecht zu werden. Spiegelbildlich lassen auch die katholischen Ansätze performativer Religionsdidaktik Stärken und Schwächen erkennen, von denen die evangelische Seite im Verlauf einer „didaktischen Profilierung der Kooperation“ lernen kann und muss. Zuerst ist allerdings nicht nur mit Englert, sondern auch entsprechend den Darlegungen von Mendl und Schambeck selbst zu bekräftigen, dass ein Religionsunterricht strikt abzulehnen ist, der im Kern eine „Kompensationsstrategie“ verfolgt: „Es wäre illusorisch, sich von performativen Lernformen eine Kompensation des in Familie und Gemeinde nicht mehr Erworbenen zu erwarten, und es würde auch die Akzeptanz des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen gefährden, eine solche Kompensation anzustreben“225. Zwar wurde eine solche Erwartung von der oben erwähnten Verlautbarung der deutschen Bischöfe befördert. Doch setzen sich beide der hier untersuchten katholischen Spielarten damit kritisch auseinander. Die Verlautbarungen der Bischöfe, Religionsunterricht sei „in der Teilnehmerperspektive“ zu erteilen, intendiere das „Vertrautmachen mit Vollzugsformen des Glaubens“ und solle Schülerinnen und Schülern „eigene Erfahrungen mit Glaube und Kirche ermöglichen“226, sind kirchenamtliche Wunschvorstellungen, die nicht ohne Weiteres mit den Vorstellungen der katholischen performativen Didaktiker und schon gar nicht flächendeckend mit der realen Praxis des katholischen Religionsunterrichts gleichgesetzt werden dürfen. Insofern trifft die Kritik der evangelischen Didaktiker eher ein Phantom als die Wirklichkeit.227 Dass der Re224 225
Englert, Zwischenbilanz, S. 7. M endl , Studienbuch, S. 23. 226 D eutsche Bischofskonferenz , Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen, S. 24 f. Vgl. hierzu ausführlich § 1, Kap. 3.4 „Performative Didaktik in katholischer Auslegung“. 227 Eine Tendenz zu einer solchen Vereinfachung zeigt auch die Auseinandersetzung mit den katholischen Entwürfen bei K lie / Dressler , Rezeption und Diskussion, S. 234–236. Schon die Überschrift „Mystagogie – die katholische Rezeption“ suggeriert (fälschlicherweise!), dass sämtliche katholische Entwürfe performativer Religionsdidaktik diesen Begriff verwenden. Ebenfalls vereinfachend-kontrastierend sind bewusst auch die beispielhaften Zitate gewählt, anhand derer mein „konfessionell-kooperativer Workshop“ (s. o.) Unterscheidungen zwischen katholischen und evangelischen Ansätzen aufzuzeigen suchte. Vgl. Dinger , Religion in Form, v. a. S. 173 f.
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§ 4 Tragweite und Tragfähigkeit performativer Ansätze
ligionsunterricht am Lernort Schule strukturell und grundsätzlich ungeeignet erscheint, weitreichende religionssoziologische Veränderungen im kompensatorischen Sinne wieder rückgängig zu machen, ist auch innerhalb der hier betrachteten katholischen Entwürfe unstrittig. Dennoch suchen die Ansätze von Schambeck und Mendl mit besonderem Interesse nach Formen der Inszenierung, die christliche Ausdrucksgestalten in einer Weise zu behandeln, die deren elementaren Bedeutungsgehalten Raum zur Entfaltung lässt. Deutlicher als in den meisten evangelischen Entwürfen wird hier die religionsdidaktisch zentrale Frage aufgegriffen, wie „das Auseinanderdriften von subjektiver und objektiver Religion“228 im Modus performativer Inszenierungen unterrichtlich bearbeitbar werden kann. Der performative Rückgriff auf die christlichen Liturgien und Narrationen soll dort auch „die subjektive Religion vor Geschichtslosigkeit, Gedankenlosigkeit und sozialer Folgenlosigkeit“229 bewahren, wie Mendl in Anlehnung an Englert formuliert. Unterrichtliche Inszenierungen werden hier deutlicher nicht als beliebiges Formenspiel verstanden, sondern „als Weise religiösen Lernens, [die] Schülerinnen und Schüler sensibilisiert, für den Grund des christlichen Glaubens aufmerksam zu werden, sie aber auch befähigen will, den Grund des christlichen Glaubens ‚sprachfähig‘ zu machen mittels der Reflexion, mittels des Handelns und Verhaltens und mittels ästhetischer Wege.“230 Obwohl also sowohl der Ansatz Mendls als auch derjenige Schambecks wie bereits geschehen mancherorts kritisiert werden muss, drückt sich m. E. in beiden auch eine religionspädagogisch gebotene, (gesellschafts‑)kritische Haltung gegenüber einem Zeitgeist aus, der suggeriert, die Deutungsangebote der christlichen Tradition hätten ihre Relevanz verloren. Wenn Mendl also betont, performativer Religionsunterricht inszeniere zwar stets Distanzierungsspielräume, rege aber deshalb nicht weniger „zu einem Handeln in aller Ernsthaftigkeit“231 an, dann drückt er damit auch eine hohe Achtung gegenüber den religiösen Ausdrucksgestalten und ihrem kritischen Potential aus. Diese Haltung ist geeignet, der Gefahr didaktischer Profanisierung effektiv vorzubeugen.232 228 M endl , Religion erleben, S. 16. Vgl. § 1, Kap. 3.4.1.2 „Mendls Problemanzeige und didaktische Schlussfolgerung“. 229 M endl , Religion erleben, S. 18; vgl. Rudolf Englert: Der Religionsunterricht nach der Emigration des Glauben-Lernens. Tradition, Konfession und Institution in einem lebensweltlich orientierten Religionsunterricht, in: KatBl 123 (1998), S. 4–12, 10 f. 230 S chambeck , Mystagogisches Lernen(2), S. 400. Vgl. § 1, Kap. 3.4.2.1 „Religionsunterricht und Gotteserfahrung“. 231 M endl , Religion erleben, S. 67. Vgl. § 1, Kap. 3.4.1.2 „Mendls Problemanzeige und didaktische Schlussfolgerung“. 232 Trotz der begrüßenswerten Ernsthaftigkeit, mit der sich die katholischen Entwürfe mit den religiösen Tradita auseinandersetzen, bleibt m. E. (besonders aus evangelischer Perspektive) kritisch zu prüfen, ob sich die Begrifflichkeiten innerhalb der entsprechenden didaktischen Ansätze für eine konfessionell-kooperative Religionsdidaktik als tragfähig erweisen. So erinnert etwa Mendls Leitbegriff des religiösen Erlebnisses an Aporien der liberalen Religionspädagogik von Richard Kabisch, die in seine programmatische Forderung „Der Unterricht
2 Interpretation der Untersuchungsergebnisse
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Mit Blick auf zukünftigen Religionsunterricht, der nach derzeitiger Voraussicht zunehmend in konfessioneller Kooperation zu gestalten ist, möchte diese Untersuchung dazu ermutigen, die performativen Aufbrüche in der katholischen und evangelischen Religionspädagogik stärker zueinander in Beziehung zu setzen. Hierzu sollten insbesondere die an der Diskussion beteiligten Fachdidaktiker beider Konfessionen miteinander ins Gespräch kommen. Gerade weil der Performanzbegriff die evangelischen und katholischen fachdidaktischen Diskurse der vergangenen Jahre so intensiv beschäftigt hat, bietet er für die insgesamt gebotene „didaktische Profilierung der Kooperation“ einen geeigneten Anknüpfungspunkt. Wie die obigen, zugespitzten Unterscheidungen exemplarisch aufzeigen, könnte aus einer solchen Kooperation womöglich sogar die eine performative Religionsdidaktik der Zukunft entstehen.
schaffe Erlebnisse“ (K abisch, Religion, S. 120) gipfelten und den öffentlichen Religionsunterricht überforderten. Vgl. § 3, Kap. 2.3 „Richard Kabisch (1868–1914): Der Religionsunterricht und das Erlebnis“. Auch für Kliemann „überschreitet der Buchtitel ‚Religion erleben‘ […] die Grenzen dessen, was in einem Klassenzimmer aus theologischen und pädagogischen Gründen sinnvollerweise angestrebt werden sollte“, gleichwohl er die inhaltlichen Ausführungen Mendls als „differenziert“ würdigt. K liemann, Performativer Religionsunterricht?, S. 372. Obwohl Schambecks Leitbegriff der Mystagogie demgegenüber zwar nicht an überwundene Phasen schulisch-evangelischer Religionsdidaktik erinnert, suggeriert er – gerade in Schambecks Konturierung des Begriffs nach Karl Rahner – schon im Wortlaut eine Nähe zur Katechese, die ein zukunfstfähiger Religionsunterricht ebenfalls vermeiden sollte.
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Sachregister Abendmahl 107, 160, 191, 199–201, 204, 262, 297, 307 f., 312 Abhängigkeitsgefühl 224–226, 230–236, 270 Affekt siehe Emotion A Gift to the Child 112 Alte Kirche 197, 202 Ambivalenz 156, 259 Andacht 242–245, 257, 266, 269, 292 Anthropologie 16, 261 Antike 25 Arbeitsschule, arbeitsschulmäßiger Religionsunterricht 237–245, 268 f. „Areligiosität“ 297 Ästhetik 13, 22, 28, 31, 36, 43, 45, 70 f., 73, 75, 77, 82 f., 96, 106, 116, 138– 140, 143, 145, 148, 153 f., 157 f., 161, 163, 167–171, 180, 190 f., 210, 212, 303 f., 310–312, 315, 328 Atheismus 80 Auferstehung 201, 262, 264 Aufführung siehe Inszenierung Aufklärung 6, 197 f., 209, 213 f., 217, 237, 240 Ausbildung siehe Bildung Außenperspektive siehe Perspektive Außenseite 38–41, 60, 106, 122, 126, 159, 196, 204, 210, 264 f., 283 Authentizität 32, 34, 37, 51, 56, 61, 63 f., 81, 109, 126–128, 160, 186, 211, 234, 237, 253, 267–269, 286–295, 307 f., 312, 318, 322, 326 Autoreflexivität 12, 277 Bayern siehe Bundesland Begegnung 248, 294 – „Modi der Weltbegegnung“ 31, 34–36, 119, 126, 160, 167, 169, 177, 188, 286, 313
– mit anderen Religionen 112 f., 234, 321 – mit dem Fremden / Fremdheit 81 f., 179, 321 – mit Gott 115, 117, 120, 249–251 – mit (christlich) religiöser Praxis 33, 41, 82, 126, 160 f., 186, 262, 293 f., 299 – Rollenbegegnung 183 f. – Text-Rezipienten-Begegnung 188 Beichte 44 Bekehrung 207, 231 Bergpredigt 199 f. Berufsschule siehe Schule Beruf, Berufskompetenz 68, 146, 213, 229, 239, 247 f., 254., 256, 258 Beten siehe Gebet Beziehung – zwischen Begriffen / Ansätzen des Performativen / performativer Didaktik 10, 22, 97, 164, 276–281 – zwischen Didaktiken unterschiedlicher Schulfächer 3, 5, 133, 166, 186, 317 – zwischen Gott und Mensch 79, 120, 215 – zwischen Personen 52, 86 – zwischen Rollen und ihren Darstellern 175 f., 178–180 – zwischen „Tradition und Situation“ 79 f., 142, 151, 161, 207, 232, 257, 262, 289, 292, 308 – zwischen Zeichen bzw. Bedeutungskonnotationen 44, 151, 189, 259, 289, 327, 242 Bibel 40, 47, 57, 60, 95, 198 f., 204–208, 210, 216, 219, 227, 239, 252–254, 269 f., 283, 306–314 – Bibeldidaktik 38, 97, 118, 149, 252– 254, 282, 302, 306–315, 317, 320
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Sachregister
– Bibellektüre 220 – Bibelwort, Bibeltext 55–57, 62, 64, 119, 270, 287 Bibliodrama 70, 130, 260, 266, 302, 308 f. Bibliolog 302 f., 308 Bildbetrachtung 242 Bildung, religiöse Bildung (in Auswahl) 1–5, 24, 33–36, 38, 54, 67, 91, 110, 131, 193, 196, 203, 206, 212, 216–218, 226–228, 237, 248, 251, 266, 282, 293 – Ausbildung 104, 219, 226, 320 – Bildungsforschung / Theoriebildung 27, 66, 150, 165, 188, 209, 214, 289 f., 298 – Bildungsinstitution 53–55, 65–67, 123, 164, 166, 197, 224 – Bildungsprozess 20–22, 68 f., 91–93, 126, 153, 174, 246 – Bildungssozialisation und Vorbildung 53, 121–123, 140 – Bildungsstandard (siehe auch Curriculum) 31, 144 – Bildungssystem 50, 52, 239 – Lehrerbildung 158, 189, 194, 230, 239, 320 Binnenperspektive siehe Perspektive Bitte 308 Biographie 62, 74, 168, 204, 207, 224, 229, 242, 247, 248, 254, 256 Bildungsplan siehe Curriculum Brandenburg siehe Bundesland Bremen siehe Bundesland Buddhismus 113 Bundesland – Bayern 135, 163 f., 166 – Berlin 13, 17, 135, 164 f., 167 f., 238 f. – Brandenburg 164 – Bremen 135, 164 f. – Hamburg 135, 163–165, 167–170, 172, 175, 256 – Hessen 135, 164 – Mecklenburg-Vorpommern 135, 164, 238 – Niedersachsen 135, 163 f. – Rheinland-Pfalz 135, 164 – Schleswig-Holstein 165 – Thüringen 165, 213 f., 247
Buße 200 Chor 292 Christologie siehe Jesus Christus Curriculum / Kerncurriculum 35, 50, 110, 131, 136, 141, 143, 149, 163 f., 167 f., 175, 184, 189, 216 f., 293, 304 f. Dankbarkeit siehe Emotion Danksagung 44 Darstellendes Spiel siehe Schulfach Defizit – in Bezug auf religiöse (Vor-)Bildung 29, 41, 55, 228, 295, 297, 300 – in Bezug auf die Praxis des Religionsunterrichts 41, 56, 77, 122, 131, 137 Deixis 12 Dekalog siehe Gebot, Zehn Gebote Dekonstruktion 75, 81, 87, 90, 145 Demokratie 59 Determinierung 26 Deutsch siehe Schulfach Deutschdidaktik 70 f., 135, 137 f., 142, 149, 158–162, 188, 190, 193, 291, 301, 312, 316 Deutsche Bischofskonferenz 95 f., 292, 327 Deutung 9, 16, 27–30, 65, 73–76, 82, 89, 107, 119, 143–145, 151, 160, 174, 180, 184, 191, 200 f., 223, 247, 258, 286 f., 308 f., 311, 328 (Deutungskompetenz siehe auch Kompetenz) – Deutungsoffenheit 15, 25, 27, 44f, 60, 78, 90, 115, 124 f., 129, 159 f., 163, 177 f., 187, 244, 252, 289, 308, Diakonie 56 Dialektische Theologie 246, 249, 253, 270 Dialog 85, 111, 151, 156 – Dialogkompetenz siehe Kompetenz Differenzsensibilität 134, 172, 192, 298– 300, 310, 316, 324 Dilemma 34 Diskursanalyse, Macht des Diskurses 10, 18, 25–27, 74 Distanz 35–37, 82 f., 95, 105, 109, 111, 115 f., 154, 173–179, 310, 312 – Distanzierungsspielräume 32, 34, 127,
Sachregister
179, 189–192, 211, 236, 244, 267 f., 284, 288, 313, 328 Dogma, Dogmatisierung 54, 128, 219, 226, 240, 245 f. – Dogmatik siehe Systematische Theologie Drama, Dramaturgie siehe Theater EKD – Denkschriften 96 – Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung 293, 295–300 Ekklesiologie siehe Kirche Elementarisierung 76, 84–88, 93, 120, 168, 328 Eltern 228, 248, 256, 296, 308 (siehe auch Lernorte, Familie) Empirie siehe Perspektiven religionspädagogischer Forschung Emotion, Gefühl 1, 36, 62, 87, 143, 148, 152, 156 f., 182 f., 224–228, 230–236, 243, 248, 267–270, 310 – Angst 83, 87, 139, 182 – Dankbarkeit 119, 249 – Freude 62, 119, 182, 200 – Staunen 117, 119 – Trauer 62, 153, 182 – Wut 182, 226 Englisch siehe Schulfach Entscheidung 137, 140, 147, 152, 274, 319 – als theologische Kategorie 247–254, 270 Entwicklung, Entwicklungspsychologie 9, 24, 49, 98, 229, 247–251, 254 EPA 164, 167 f., 170, 190 Ereignis, Ereignishaftigkeit 14 f., 22, 29, 60, 68, 74, 115, 122, 171, 207 f., 256, 259, 277, 280, 289, 312 Erfahrung (in Auswahl) 37, 58 f., 95 f., 259, 261, 263 – und Fremdheit 80–82, 86, 92, 163, 310 – und Reflexion 47, 112, 126, 267 f. – und Religion 70, 72, 80, 107, 225– 228, 237, 253, 263, 292 – Gotteserfahrung 114–120, 280 – Rollenerfahrung 35, 151, 161
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– Selbsterfahrung 50, 130, 138–140, 175, 177 Erhebungsgefühl 230 f., 235 f., 267, 270 Erlebnis 1, 33, 99, 104–113, 116, 151, 154–156, 168, 207, 211, 228–237, 240–243, 247–249, 252, 259, 267–269, 328 Erotik 56, 226 Erkenntnistheorie 25, 97–100, 104, 140 Erzählung, Erzählen 70, 75, 92, 130, 147 f., 198–201, 209, 213, 216 f., 223, 232–236, 242, 245, 252, 260, 266 f., 308 f. Ethik siehe Theologie Experiment, experimentelle Didaktik 33 f., 37, 46–48, 63, 69, 72 f., 76, 80– 93, 109, 114, 126, 157, 161, 167–170, 173, 177, 179, 184, 187–190, 194, 221, 231, 235, 267–269, 281, 285 f., 289, 310, 326 Exkursion 65, 113, 322 Expression, Expressivität 31, 83, 90, 167, 175, 179, 186, 264 Eucharistie 308 (siehe auch Abendmahl) Evangelische Unterweisung 125, 246 f., 250, 270, 285 Evangelium 40, 199–201, 205, 239 f., 249, 260, 276 Exerzitien, geistliche Übungen 206–208 Existenziale Interpretation 126 Fachdidaktik siehe Religionsdidaktik, Deutschdidaktik usf. Fächerübergriff 5, 153, 187, 193 f., 222, 301, 305 Feier 95, 113, 137, 201, 242, 245, 294 f., 297, 307 f., 314 Felt Sense 68–70 Feminismus 18 Fest siehe Feier Figur (literarisch) 36, 39, 112, 142 f., 146–159, 162, 173, 177–180, 183 f., 191, 214–216, 308 f., 314 Focusing 68–70, 72, 127 Förderbedarf (sonderpädagogisch) 299 Form (in Auswahl) 21, 29–33, 39–43, 59–64, 70 f., 82, 89–94, 96, 105, 108 f., 122, 126–128, 169, 210, 218 f.,
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Sachregister
233, 255, 260, 264, 275–295, 306–314, 323, 326–328 – Formenspiel siehe Spiel Formalästhetischer Literaturunterricht 138 Fragend- entwickelndes Unterrichtsgespräch 138 Fremdheit, Fremde 69 f., 80 f., 92, 108, 111–114, 137, 142, 150, 163, 179, 187, 190–192, 208, 243, 268, 296–298, 305–311, 317–323 – „Fremdverstehen“ 35, 141–145, 149, 159 f., 190, 309, 313 Freude siehe Emotion Frömmigkeit 39, 54, 105, 228, 242, 244, 307, 318 Fühlen siehe Emotion Funktionalisierung 58, 190, 251, 270, 303 Fußball 291 f. Ganzheitlichkeit 22, 42, 49, 51, 60–62, 67, 81, 93, 123, 125, 129 f., 140, 161, 183, 186, 204, 206, 210, 235, 239 f., 245, 252, 260–262, 266, 302 Gebet, Beten 30, 44, 56, 61, 95, 107, 109, 113, 116, 162, 170, 173, 191, 202, 204, 207, 218, 220, 244, 269, 283, 293, 297, 306–308, 314, 318, 322 Gebot 44, 95, 201, 203, 323 – zehn Gebote, Dekalog 44, 204 Gefühl siehe Emotion Gegenreformation 197, 203, 206–209 Gelebte Religion siehe Religion Gemeinde siehe Lernort Gender, Genderstudies, Geschlechtertheorie 3, 10, 16, 18 f., 89 f., 124, 277 Gesamtschule siehe Schule Gesinnungsbildung 30, 215–221, 226, 232, 234, 265, 283 Gestalt (in Auswahl) 28 f., 31, 41, 60 f., 69, 80, 114, 118, 122, 204, 293 f., 306 – Ausdrucksgestalten siehe Außenseiten – Gestaltbildung 41–43, 62–65, 118, 154, 236 f., 243–246, 287 f., 307 – Gestaltpädagogik 23, 48–52, 59, 65, 68–72, 125, 161, 236, 287 – Gestalttheorie 48–50, 60, 68, 81
– Gestalttherapie bzw. -psychologie 49, 68 f., 125, 140 – Gestaltungskompetenz siehe Kompetenz Gewalt 147 Glaube (in Auswahl) – als abstrakte Größe 58, 80, 87, 248, 250, 253 f., 260, 268, 287 f., 302, 318, 328 – gelebter Glaube / Glaubenspraxis 29, 33, 95 f., 106, 109–111, 116–120, 122, 127, 134, 196, 237, 244, 255, 265, 280, 283 f., 286, 290, 294, 298, 300, 310, 319, 326 f. – Glaubensaussage bzw. -annahme 31, 38, 78 f., 105, 110 f., 204, 227 – Glaubensbekenntnis 160 – Glaubensgemeinschaft 112, 191, 239– 241, 323 Gleichnis 38, 200, 201, 282, 293, 302, 308–310 Globalisierung 78, 110 Gnade 55, 115, 125 Gott 40, 44, 46 f., 58, 64, 79, 82 f., 90, 117–120, 127, 200, 203 f., 206 f., 213, 218, 220 f., 222, 224, 238, 270, 280, 318 – Gottesbild, Gottesbegriff 80, 81, 119, 215, 249 – Gottesdienst, Gottesdienstordnung 39, 46, 54, 56, 113, 201 f., 203, 219, 227, 233, 237, 239, 242, 288, 292, 294, 306–308, 314 – Gotteserfahrung siehe Erfahrung – Gottesfrage 115–117, 120 – Reich Gottes 200 – Wort Gottes 201, 240, 246–254, 270 f. Grundschule siehe Schule Gymnasium siehe Schule Habitus 156, 161 Hamburg siehe Bundesland Handlungsorientierung (didaktisch) 38, 42, 70 f., 113, 129, 140, 187, 193, 212, 223, 255, 264 (siehe auch Perspektiven religionspädagogischer Forschung) Handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht 5, 134–144, 149 f.,
Sachregister
157–163, 168, 174, 186, 188–194, 301, 311–313 Heiliges, Heiligkeit 57–59, 112, 116, 203, 207, 209 Heiliger Geist 58 Hermeneutik 255–258, 264, 319 – hermeneutischer Religionsunterricht 61, 126 Hessen siehe Bundesland Heterogenität 50, 74, 98, 100 f., 129, 131, 298–300 Hic et nunc 15, 49 f., 63, 65, 71 Himmel 200, 205 Hinduismus 322 Hochschule, Universität 53, 62 f., 72, 89, 93, 135, 141, 146, 149, 162, 165, 173, 212, 239, 256 – Pädagogische Hochschule 138, 258 – Religionspädagogische Institute 135, 255, 257 f. Hören 42, 56, 70, 85, 87, 123, 129 f., 201 f., 250, 252 f., 270, 302 f. Homiletik 38, 287 Hymnus 307 Identität 12, 18 f., 52, 89 f., 103, 318 Illusion 246, 248, 327 Imagination 81, 93, 139 f., 142, 159, 171, 179, 181, 190, 208, 307–309, 313 Indifferenz 296 Individualisierung, Individualität 101, 104 f., 110, 122, 140, 152, 296, 318 Innerer Monolog 146, 148 f., 156, 310 Institution 7, 21, 53 f., 62, 65, 74, 96, 106, 123, 166 f., 201 f., 249, 255, 283, 308, 316, 325 Inszenierung 14, 16–23, 28, 32, 34, 39, 77, 81–83, 89, 91, 93, 109, 112, 118, 127, 130, 136, 150 f., 168–182, 185– 192, 200, 208–211, 233, 236, 241 f., 242, 253, 263, 266, 269, 271, 277–280, 283, 286–294, 297, 299, 302–305, 308, 310–315, 318–328 – Christentum als „Inszenierungs religion“ 39, 118, 128, 160, 185 Integration 39, 51, 60, 64, 80, 86, 107, 128, 144, 153, 162 f., 165, 204, 220,
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222, 239 f., 245, 252, 261, 265, 279– 283, 305, 315 – integrative Pädagogik 49–52, 81, 261 Interaktion 15, 20, 32 f., 50, 69, 87, 101, 155, 188, 261, 278, 283, 318 Internat, Erziehungsanstalt 213–215, 218, 220, 222, 269 Interreligiosität, interreligiöses Lernen 97, 111–113, 131, 234, 275, 305, 320– 324 Intersubjektivität 51 f. Introitus 307 Islam 112 f., 296, 322 Israel 306 Jesuitenorden, „Gesellschaft Jesu“ 205– 209, 266, 303 f. Jesus Christus 5, 29, 85, 122, 191, 197– 201, 207 f., 216–218, 233, 240, 282, 308 f. Judentum 172, 198–201, 306, 322 Jugendarbeit 308 Kaiserreich 290 Kanon 189, 202, 320 – Fächerkanon (Schule) 34, 135, 164, 166, 184 Kasualien 46, 308 Katechetik 30, 108, 117, 202, 206, 214 f., 225 Katechismus 206, 215, 222, 226, 242 Katechumene 202 f. (Katechumenat siehe Taufkatechumenat) Katholizismus, Katholizität 2 f., 23, 27, 47, 71, 76, 85, 94–123, 127, 190, 206, 211, 258, 275, 285, 288, 293, 296, 298, 304, 307, 316, 323–329 Kerncurriculum siehe Curriculum Kirche 30, 39, 46 f., 53 f., 58, 95 f., 105 f., 109, 115 f., 122, 197, 202, 215, 217, 226 f., 230, 239, 242, 255, 285, 288, 292, 296, 299, 307 – Kirchengeschichte 93, 196 f., 252, 318, 327 (siehe auch Theologie) – Kirchenmusik 56, 61, 233, 242 – Kirchenraum, Kirchraumbegehung 4, 40, 56, 242, 294 f. (siehe auch Raum) Klage 62
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Klasse (Schule) 47, 148 f., 165, 241, 292 (siehe auch Lerngruppe) – Klassenraum 47, 51 f., 112, 150, 158, 172 f., 181, 300, 329 „Kommunikation des Evangeliums“ 276 Kompetenz 28, 30, 35, 38, 68, 102, 108, 110, 168–170, 172, 175, 194, 213, 217, 319 f. – Deutungskompetenz 26, 105, 107, 175, 191, 217 – „Differenzkompetenz“, Kompetenz zur Unterscheidung 34–37, 126, 169 f., 266 f., 285–292, 308–310, 322 – Diagnosekompetenz 51, 102 – Dialogkompetenz 85 – Gestaltungskompetenz 108, 168, 175, 187, 320 – inhaltsbezogene Kompetenzen 166 – Kompetenzorientierung 141, 143, 168 – Lesekompetenz 36, 144 – Partizipationskompetenz 38, 102, 212, 283, 323 – prozessbezogene Kompetenzen 110, 166, 170 – Urteilskompetenz 102 Komplementarität 255 Konfession 3, 94, 96 f., 105–107, 234, 317 f., 323–328 – konfessionelle Kooperation 23, 275, 298, 323–329 – Konfessionslosigkeit 2, 283, 297, 299 f. Konfirmation, Konfirmandenunterricht 4, 59, 217, 227, 314 Konflikt 17, 56, 110, 147 f., 152–154, 189, 229, 257, 305 Konstruktivismus 18, 97–104, 107–110, 115, 124 f., 140 f., 145, 158, 234, 267, 285, 304, 311, 323 – radikaler Konstruktivismus 74, 99 f. Kontakt 41, 47, 49–52, 59–64, 67, 69, 96, 107, 116, 122, 125, 138, 157, 177, 179, 185 f., 192, 210, 216, 220, 228, 244, 248, 256, 262, 265, 268, 271, 283, 285, 287, 291–293, 297, 308, 320, 326 Konvention 18, 26, 34, 40, 50, 74, 180 Ko-Präsenz siehe Präsenz Korrelation 67, 79 f., 84, 143
Körper 18–22, 60, 66–72, 77, 82–87, 92 f., 113, 129, 136, 150, 154–157, 163, 174–188, 204, 231, 259, 261, 278, 285 f., 289, 302, 327 Krise 1, 17, 25, 68, 86, 106, 153 f., 228 f., 246–248 f. Kritische Symbolkunde siehe Symboldidaktik Kultur 2, 13, 16, 26, 29, 31, 33, 37, 45, 71 f., 78, 91, 93, 101, 106, 113, 136, 140, 153 f., 168, 170, 176, 179, 186, 189, 193, 246, 256, 260, 278, 321 – Cultural Performance 16–21, 278 – Kulturprotestantismus 246–250 – Kulturwissenschaft 9, 11, 16–19, 21, 88–90, 121, 124, 133, 188, 277, 288 – Popkultur 45, 306 Kunst 8, 16, 35, 140, 151, 171, 178, 186, 256, 306, 308 (siehe auch Ästhetik) – Kunstwerk 137, 153, 167 – Kunst (Schule) siehe Schulfach Lebenswelt 29, 33, 54, 79, 84–86, 121, 139, 170, 176, 186, 191, 211, 254, 257 f., 264, 269, 298, 309–314 Leerstelle 159, 308 (siehe auch Unbestimmtheit, Uneindeutigkeit) Lehrbarkeit von Religion bzw. Glaube 1–3, 58 f., 90 f., 230–236 Lehrerinnen und Lehrer 3, 25, 39, 64, 68 f., 78, 111, 127, 134–136, 142, 147, 149, 165, 172 f., 213–220, 223, 230, 236, 238–243, 248, 251, 256, 258, 268, 286, 292, 311 – Jesus als Lehrer 198–200 – Lehrerbildung siehe Bildung – Lehrer als Spielleiter 43, 155 f., 317 – Lehrerrolle 51–54, 64, 92–94, 194, 314–320, 314–320 Lehrstück 55, 70 – Lehrstücktheorie (Brecht) 153 f. Leistung 52, 99, 101 f., 108, 124, 159, 169 – Leistungsbeurteilung 149, 162, 168, 194 Leib, Leiblichkeit 14, 22, 40 f., 50–52, 65–72, 83, 87, 89, 156 f., 163, 175– 179, 183, 187, 204, 208, 212, 235, 265 f., 278, 282, 303, 312, 323
Sachregister
– „Leibräumlichkeit“ 39, 41, 68–72, 125, 127, 279 Lernen (in Auswahl) 31–33, 41, 48, 50, 59–61, 85 f., 90, 114–117, 122, 125, 141–145, 173 f., 184–187, 200, 213–220, 255–262, 306–314, 320 f., 325 – Lerngruppe 42, 46–51, 61–64, 102, 144, 147, 159, 177, 252, 298–300 (siehe auch Klasse) – Lernort 1–6, 66–70, 106, 172 f., 183, 187, 288 – Familie 198, 226–228, 248, 265, 296, 308, 310, 327 – Gemeinde 4, 41, 43, 54–56, 107 f., 117, 196, 198, 201–203, 205, 213, 215, 217, 225, 227, 239, 242, 248, 265, 270, 283 f., 294 f., 308, 310, 327 – Medien 45, 110 f., 131, 153, 160, 216, 305, 318 – Schule 1–6, 30, 33 f., 88, 98, 107 f., 117, 146, 166, 196–198, 210, 220, 223, 246, 250, 271, 284, 290, 294, 314 f. 319, 327 f. – Lernziel 45, 85, 88, 113, 172 f. LER siehe Religionskunde Lesarten 19, 23, 26, 28, 44 f., 73, 79, 90, 97, 139, 149, 189, 221, 315 Liberale Religionspädagogik 1, 237, 246–249, 328 Lied 61, 113, 205, 219 f., 233, 242, 293 (siehe auch Kirchenmusik, Schulfach Musik und Singen) Literarisches Lernen 137–139, 141–149, 160 Literaturwissenschaft 15, 24, 153, 312 Liturgie 60, 64, 202, 223, 287 f., 294, 304, 318–320, 328 – Liturgiedidaktik, Liturgisches Lernen 97, 110, 112, 160, 162, 191, 194, 196, 270, 306–314 – Liturgik 38, 56 f. – liturgische Präsenz, Praxis 48, 112, 118, 196, 201, 242, 262, 282, 292 – liturgische Formen 2, 28, 32, 39, 41, 46, 57, 71, 82, 95, 118, 126, 131, 203, 210 f., 221, 233, 236, 243, 265, 268– 270, 320
365
Macht 18, 22, 74, 199, 205, 238 f., 257, 260, 278 Mecklenburg-Vorpommern siehe Bundesland Meditation 95, 130, 207, 260, 266, 302 Metapher 34, 37, 55, 82, 92, 127, 143, 289, 309, 317, 319 Metaphysik 99, 224 f. Metareflexion 299 Metakommentar 153 f. Milieu 97, 106, 156, 200 Mimesis 20–22, 69, 93, 278, 308–310 Mission, Missionierung 34, 108, 112 f., 190 f., 199 f., 206–210, 250, 284–291, 305, 307, 309 f., 316, 326 Mittelalter 206 Mittelstufe 165, 167 (siehe auch Sekundarstufe I) Moderne 75, 106, 196, 218, 254, 270, 283 f., 299, 308 „Modus des Als-ob“ 33 f., 108 f., 114, 127, 170, 210, 221, 236, 266 f., 286, 291–294, 298, 302 Monument 16, 89 Moral 74, 82, 147, 208, 215–218, 223 f., 250, 315 Moschee 113, 322 Mündigkeit 265 Mündlichkeit 40, 135, 209, 212, 269, 287 Musik siehe Schulfach Muslime siehe Islam Mystagogie 94, 114–120, 130, 280, 290, 302, 320, 327–329 Mystifizierung 22, 117, 278 Mythos 79, 256, 293 Nationalsozialismus 147–149, 238 f., 246, 256 Naturwissenschaft 35, 38, 74, 98, 100, 103, 160, 203, 226 Niedersachsen siehe Bundesland Narration 118, 126, 196, 282, 289, 293, 304, 310, 312, 328 – Narrativität, Narrative Identität 2, 28, 32, 112, 148, 154, 308–310 Numen 112 Oberstufe siehe Sekundarstufe II
366
Sachregister
Objektivität 1, 32, 34, 73, 77, 86, 99– 101, 104–107, 110, 122, 124, 127, 139, 153, 158, 170, 268, 273, 328 Offenbarung (Gottes) 201, 240, 246, 250–254, 270 f. Ökonomie 78 Ökumene 326 f. Offenheit 25, 42 f., 63, 76, 87, 90, 149, 180, 187, 289 (siehe auch Deutungsoffenheit) Ohnmacht 87 Operationalisierbarkeit 44, 212, 268 (siehe auch Praktikabilität) Opfer 119 Orchester 292 Orthodoxie 214 Ostern 262 Pädagogische Hochschule siehe Hochschule Pantomime 70, 130, 260, 266, 302 Partitur 14, 70, 151 f., 159, 188, 302 Pastorinnen und Pastoren siehe Pfarrerinnen und Pfarrer Partizipation 36, 38, 96, 208, 212, 220, 235, 241 f., 244, 255, 323 – Partizipationskompetenz siehe Kompetenz Performanz (in Auswahl) – Begriffsbestimmungen 9–22, 88 f., 120–131, 184 f., 193, 275–281, 324 f. – (to) perform 12 – Performance 10–20, 40, 70, 77, 83 f., 89–94, 118, 124, 128, 151, 159, 163, 171–176, 184 f., 190–193, 276–281, 288 f., 294, 302, 312, 326 – performative turn, performative Wende 10, 16–22, 89–91, 96, 121, 133, 188 f., 274, 277, 293, 297, 300, 305, 322 – Performativität 11–22, 57, 63, 78, 84, 128, 185, 192 f., 209, 253, 265–270, 276, 279, 288, 292 Perspektive, Perspektivität (in Auswahl) 33–36, 154, 192, 286 f. – Außenperspektive 35–37, 126 f., 130, 155, 160, 312 f. – Binnenperspektive 34–37, 126 f., 130, 160, 207, 294, 312 f., 324
– „gewusste Perspektivität“ 37, 263, 286, 309, 311, 315 – Multiperspektivität 6 – Perspektiven religionspädagogischer Forschung 4–7, 133–136, 195–197, 273–275 – systematische Perspektive 3–6, 7–9, 120, 268, 273, 301, 324 – vergleichende Perspektive 3–6, 55, 96 f., 133–136, 150, 187–194, 273, 277, 311 – historische Perspektive 3–6, 195–197, 209–212, 264–271, 273, 282 f., 303, 318 – handlungsorientierende Perspektive 4–6, 121, 131, 273–276, 281, 284, 289, 296, 301, 307, 314, 325 – empirische Perspektive 4, 275, 290, 295–300, 314–316, 325 – Perspektivenwechsel 34–37, 44, 47, 86, 126–128, 156, 159 f., 187, 207, 210, 252, 263, 266 f., 271, 285 f., 290– 292, 299, 308, 310, 322 Perturbation 103, 110, 124 Pfarrinnen und Pfarrer 38, 213, 215, 229, 238 Phänomenologie 65–69, 72, 75 f., 83 f., 88, 90, 97, 105 f., 134 Philanthropie, Philanthrop 213 f., 222, 226 Philosophie 9, 11–13 16, 18, 23–25, 31, 66, 68, 72–74, 77–81, 90, 98, 100, 121–124, 139, 160, 238 Physik siehe Schulfach Pietismus 250 Pluralisierung, Pluralität 32, 70, 75–78, 98, 134, 275–278, 280, 297, 299, 307, 323 Plurimedialität 22 Poimenik 38 Popkultur siehe Kultur Position, Positionalität 8, 82–87, 90, 98, 100, 121, 136, 172, 323 Postmoderne 73, 75, 270, 283, 299 Poststrukturalismus 15, 23, 26, 57–60, 72–88, 94, 108 f., 115, 124 f., 128, 150, 177, 179 f., 211, 221, 245, 267, 288, 317, 323
Sachregister
Praktikabilität 287, 290, 313–320 (siehe auch Operationalisierbarkeit) Präsenz 65, 71, 90, 175, 288 – Ko-Präsenz 14 f., 20, 22 f. Praxis (in Auswahl) 10, 21, 28, 110–114, 141, 170, 201 f., 239, 307 f., 311, 316– 323 – Praxistauglichkeit 141, 260, 316 – religiöse Praxis 2 f., 28–34, 39, 118, 122, 201 f., 225, 275–300, 306 – Theorie – Praxis – Gegenüber 104, 121, 130, 239, 289, 298 – Unterrichtspraxis 46, 56, 62, 93, 194, 218, 273 f., 290, 306, 316 Predigt 54, 199 f., 251, 257 „Priestertum aller Getauften“ 203 Probehandeln 33–37, 42, 47, 71, 81–84, 109, 114, 120, 126–130, 151–157, 160, 168–170, 173 f., 185 f., 189– 191, 210 f., 221–223, 235, 252, 263 f., 266 f., 271, 285–287, 290–294, 298– 302, 305–323, 326 f. Problemorientierter Religionsunterricht 61, 236, 241, 255, 257, 261 Produkt 15 f., 42, 63 f., 75, 102, 120, 140, 144, 147, 149, 151, 154, 261 Profanes, Profanität 57, 72, 76–81, 84, 289 – profane Religionspädagogik 72 f., 76– 78, 80 f., 84 – Profanisierung (didaktisch) 34, 47, 113, 284–290, 305, 307, 309 f., 313, 328 Profession, Professionalisierung 9, 51, 64, 166, 194, 254, 317 Projektion 78, 143, 146 f., 151 Psalm 38, 62, 64, 95, 107, 233 f., 306– 309 Publikum 14 f., 155, 167, 169, 172–175, 184 f., 209 Rabbi 199 Rationalismus, Rationalität 31, 43, 225 f., 240 Raum (in Auswahl) 55–57, 62–65, 68– 70, 112, 136, 156, 171–174, 181–186, 198, 307 f., 322 – Kirchenraum siehe Kirche
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– Klassenraum siehe Klasse – „Leibräumlichkeit“ siehe Leib – Möglichkeitsraum 144, 159 f., 173, 185, 189 f., 192, 310–312 – Spielraum 45, 66, 74, 136, 170, 173, 179, 181 f., 189 f., 268, 299, 328 Rausch 64 Rechtfertigung, Rechtfertigungslehre 55, 166, 204 Referendariat 161, 194, 320 Reformation 55, 197, 203–206 Reformpädagogik 49, 238–240, 244, 266 Reich Gottes siehe Gott Religion, Religionsbegriff (in Auswahl) 69, 108–111, 122, 228–230, 244, 275, 280–285, 290–295 – Fremdreligion 29, 34, 70, 80–84, 92, 122, 126, 295 f., 298 – gelebte Religion 29, 48, 59, 70, 82, 95 f., 105, 108–111, 114, 120, 122, 126 f., 210, 218, 228, 244, 255, 262, 265 f., 280–285, 289–295, 318–323 – Religionskunde 321 – Religiosität 92, 97, 105, 122, 240, 242, 296 f. – religious literacy 35 f. – Schulreligion, Unterrichtsreligion 221, 269, 290–295, 307 Religionspädagogik siehe Perspektiven religionspädagogischer Forschung Repräsentativität 4, 54, 112, 296 Repräsentation 13, 17, 20, 24, 30, 56, 59, 68, 122, 169, 209, 259, 268, 270, 306, 317 Rezeptionsästhetik 139 f., 145, 158, 167, 312 Rheinland-Pfalz siehe Bundesland Rhythmus 67, 174 – Rhythmisierung 92, 289, 317 Ritual, Ritus 16 f., 21, 36, 89, 105, 112, 118, 126, 131, 153, 196, 207, 210, 218–221, 243, 264 f., 269, 278, 282, 289, 292 f., 306 f., 323 – Ritualforschung, Ritualtheorie 10, 16–20 Rolle 38, 92, 109, 127, 136, 150 f., 155– 157, 164, 177–184, 318, 323
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Sachregister
– Lehrerrolle siehe Lehrerinnen und Lehrer – Rolleninterview 146, 155 f. – Rollenschutz 47, 87, 114, 120, 126 f., 191, 271 – Rollenspiel 37, 59, 70, 87 f., 154, 162 – Rollenübernahme, Rollenarbeit 35, 44, 154, 159, 178–180, 183 f., 192 f. Sakrament 40, 46, 80, 201, 204, 262, 267 Säkularisierung 54 Schleswig-Holstein siehe Bundesland Schnepfenthal (Schule) 213–223, 265, 268 f., 283, 318 Schöpfung 38, 220, 308 Schule (siehe auch Lernort) – Berufsschule 150, 238 – Förderschule, Sonderschule 150 – Gesamtschule 150, 161, 315 – Grundschule 112, 136, 150, 163, 299 f. – Gymnasium 136, 163, 165, 167, 206, 230, 255, 293, 300, 315 – Hauptschule 150 – Realschule 150 Schülerorientierung 106, 138, 140, 152, 297, 302, 322 Schulfach – Darstellendes Spiel 5, 135 f., 151, 163–187, 190, 277, 291, 294, 301 – Deutsch 135–163, 188–194, 291, 311 f., 316 f. – Englisch 193, 291 – Kunst 135 f., 163, 165–167, 193, 256, 291 – Musik 135 f., 163, 165–167, 193 f., 256, 291, 294, 306 – Sport 193, 291, 294 Schulleben 211, 218–220, 244 f., 265, 268, 292, 294 Seelsorge 56, 308 Segen 46–48, 107, 127, 160, 170, 191, 290, 308, 310, 312, 314 Sekundarstufe I 136, 143, 167, 175 Sekundarstufe II 165, 167 f., 255, 315 Selbstdarstellung 30, 56–59, 156, 176, 179, 322 Selbsterfahrung siehe Erfahrung Selbstwirksamkeit 56 f., 205, 212, 236, 253, 269, 287 f.
Semantik 12, 29, 31, 40 Semiotik 24–29, 39, 41–48, 57, 60, 72 f., 94, 108, 110, 115, 124–126, 139, 144 f., 158, 177, 180, 259, 279, 286, 289 – Semiose 25 f., 44, 125 – semiotisches Dreieck 25, 28, 125, 144 Sexualkunde 56, 226 Singen 30, 70, 95, 116, 130, 204 f., 219 f., 242, 269, 283, 302 Situation 12, 49–51, 58, 68 f., 71, 77, 79, 86–88, 102 f., 107, 147–149, 154, 156, 164, 172, 176, 187, 208, 214, 260, 300, 308, 321, 325, 327 – Lebenssituation 54, 119, 152, 195, 254, 257 – Lernsituation 102, 172, 201, 282, 291 – Situationsanalyse 5, 8 f., 29, 41, 52, 67, 104, 106, 114, 122, 134, 137 f., 157, 282, 295–298 – Situativität, Situiertheit 69, 90, 103, 140, 161 – Unterrichtssituation 44, 82, 88, 97, 102, 194, 215, 248, 251 Sonderpädagogik 299 Sokratik, Sokratische Methode 217, 222, 226, 240 Spiel (in Auswahl) 14, 42–48, 81–84, 88, 91–94, 123–125, 160 f., 263, 267, 287, 303, – Darstellendes Spiel siehe Schulfach, Darstellendes Spiel – Formenspiel 39, 41, 128, 244, 285, 289, 326, 328 – Spielart 3–5, 8–11, 23–120, 140 f., 187–194, 197, 209–212, 244 f., 264– 271, 274, 276–285, 289–327 – Spielleiter siehe Lehrerinnen und Lehrer – Religionsunterricht als „Spielwiese freier Interpretation“ 26, 125, 313 – Rollenspiel siehe Rolle – szenisches Spiel siehe Szenische Interpretation Spiritualität 207, 218, 318 Spiritual Leader 218 Sport siehe Schulfach
Sachregister
Sprachhandlung 13, 21 (siehe auch Sprechakttheorie) Sprechakttheorie 11–13, 20, 47, 57, 128, 185, 276 f. Standbild 70, 130, 156 f., 302 Statue (Methode) 156 f. Stimmenskulptur 156 f. Strukturalismus 73 f. Studienseminar 135, 161, 163, 276 (siehe auch Lehrerbildung und Referendariat) Subjektivität 1, 32, 45 f., 49, 51, 78, 81 f., 87 f., 99. 101, 104–108, 122, 139, 142–149, 153, 157–161, 168 f., 177, 179, 194, 225–228, 231, 234, 236, 240–243, 261 f., 267 f., 286, 306, 328 Sünde, Sünder 200, 282 Symbol 24, 34, 39 f., 55, 79, 89. 143, 169, 258–261, 293 – Religion als „Kultur symbolischer Kommunikation“ 2, 29, 31, 309 – Symboldidaktik 27, 40, 158, 197, 254–269, 283, 305, 316 Synagoge 113, 198 f., 322 Szene 41, 46, 90, 116, 150 f., 150–156, 181–183, 188, 190, 200, 208 f., 221, 236, 322, 327 (siehe auch Inszenierung) – Szenische Interpretation 140 f., 144 f., 149–157, 161 f., 266, 302 f., 308 f., 311, 316 f. Tanz 70, 130, 260, 266 Tasten 42, 85, 123, 129, 303 Taufe 2, 12, 40, 199 f., 204, 262, 297, 299, 307 – Taufkatechumenat 197, 201–203, 283 Teilhabe siehe Partizipation Teilnahme 39, 50, 62, 64, 71, 81, 90, 101 f., 144, 163, 174, 202 f., 227, 239, 250, 256, 283, 321, 323 – teilnehmende Beobachtung 36 f., 294 f., 313 – Teilnehmerperspektive 36, 95 f., 127, 321, 325, 327 Tempel 40, 322 Theater 42 f., 139, 151–154, 163–184, 186, 191, 193 f., 206, 208 f., 242, 244, 269, 277, 292, 306
369
– Dramaturgie 17, 20–22, 39, 42, 83, 86, 89, 92 f., 167–171, 179, 183, 186–190, 208, 245, 278, 289, 314 f., 317, 319 – Schultheater 151, 163 – Theaterpädagogik 152, 163 – Theaterwissenschaft 13–15, 20–22, 124, 128, 277 Theologie (in Auswahl) 30, 38, 40, 110, 115, 125, 213, 225, 238, 246, 253 – Altes Testament 230, 306 – Neues Testament 196–200, 256, 307 – Kirchengeschichte 93, 196 f., 252, 318, 327 – Systematische Theologie 79, 115, 125, 246, 249 – Ethik 56, 80, 110, 131, 199, 215, 305 – Praktische Theologie 3, 24, 30, 38, 40, 53, 224, 275 Thüringen siehe Bundesland Tischgebet 269 Tischgemeinschaft 199, 201, 282 (siehe auch Abendmahl) Toleranz 101 Traditio Apostolica 201 f., 265, 283 Traditionsabbruch 29–33, 55, 97, 104 f., 115 f., 121–123, 191, 196, 248, 255, 262, 293, 295–300 Transformation 17, 19, 21, 52, 82, 105, 109, 140, 180, 190, 211, 221, 244, 263, 268 f., 277, 287, 289, 298, 323 – „Transformationsstrategie“ 115, 326 f. Trinität, Dreieinigkeit 217 Übergang 16, 24, 36–38, 109, 130, 223, 286, 312 f. Überwältigung 34, 112, 190 f., 210, 284– 291, 307, 310, 326 Umbrella term 10, 98, 100, 120, 276, 280, 325 Umkehr 15, 128, 200 Unbestimmtheit, Uneindeutigkeit 41, 47, 80, 88–92, 124, 129, 139 f., 140, 153, 159, 180, 289, 319 Unendliches, Unendlichkeit 26, 43, 80, 139, 225–227, 235, 259 Universität siehe Hochschule Unterrichtsentwurf 3, 46, 93, 120, 130, 161 f., 298 f., 302, 304, 306, 313, 320
370
Sachregister
Unterscheidung siehe Kompetenz Unterstufe 165 (siehe auch Sekundarstufe I) Unverfügbarkeit 73, 78–81, 84, 92, 117, 124, 252, 256, 268, 270, 288 f. Urgemeinde 201 f. Urteilskompetenz siehe Kompetenz Validität 35 Vaterunser 44, 204 Verheißung 40, 58, 201, 312 Vertrautheit 2, 29, 31 f., 41, 82, 133, 135, 173, 181, 186, 190, 233, 297 f., 310 f., 318 f. – Vertrautmachen 95, 108, 127, 178, 227, 292, 327 Vielfalt siehe Heterogenität Vollmacht (Jesu) 199 Wahrheit, Wahrheitsfrage 26–31, 73 f., 76, 78–81, 93, 98, 103, 118, 160, 207, 218 f., 232, 240, 287, 289 Wahrnehmung (in Auswahl) 1, 20, 28– 31, 35 f., 39–42, 49–51, 60 f., 67–76, 83–89, 100, 105 f., 124–127, 153, 159–
163, 167–169, 172–191, 222, 260 f., 278, 306, 310 Weihnachten 36, 205 Weimarer Republik 238–242, 246 Weltkrieg – 1. Weltkrieg 212, 229, 238, 246–248 – 2. Weltkrieg 238 f., 246, 256 Widerspruch 137, 162, 163, 184, 284, 302 – Widersprüchlichkeit 47, 185 Wort Gottes siehe Gott Wunder, Wundergeschichte 38, 199, 201, 216, 229, 308 Zeichen 24–29, 32, 36, 40 f., 43–45, 60, 73–75, 78, 95, 115, 125, 130, 144, 153, 176 f., 180, 185, 189 f., 199, 204, 244, 259 f., 265, 282 f., 286–290 – Zeichendidaktik 27–38, 44, 89 Zeigen (in Auswahl) 2, 31–33, 80–93, 170, 177, 189, 200 f., 279, 288 – „Zeigestruktur der Erziehung“ 31 f., 279 Zuschauer siehe Publikum