Reichsreform Und Finanzpolitik: Die Aushohlung Der Eigenstaatlichkeit Bayerns Auf Finanzpolitischem Wege in Der Zeit Der Weimarer Republik (German Edition) 3428025067, 9783428025060


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German Pages [468] Year 1971

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Reichsreform Und Finanzpolitik: Die Aushohlung Der Eigenstaatlichkeit Bayerns Auf Finanzpolitischem Wege in Der Zeit Der Weimarer Republik (German Edition)
 3428025067, 9783428025060

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FRANZ MENGES

Reichsrefonn und Finanzpolitik

Beiträge zu einer historischen Strukturanalyse Bayerns im Industriezeitalter herausgegeben von Prof. Dr. Karl Bosl Institut für Bayerische Geschichte an der Universität München

Band 7

Reichsreform und Finanzpolitik Die Aushöhlung der Eigenstaatlichkeit Bayerns auf finanzpolitischem Wege in der Zeit der Weimarer Republik

Von

Dr. Fraoz Meoges

DUNCKER&HUMBLOT/ BERLIN

Alle Rechte vorbehalten

@ 1971 Duncker & Humblot, Berlin 41

Gedruckt 1971 bei Buchdruckerei Richard Schröter, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 02506 7

Einleitung "Das Stichwort ,Reichsreform' ... bezeichnet in der Tat viel weniger eine staats-, als eine Wirtschafts- und finanzpolitische Notwendigkeit1." So charakterisierte der Ministerialrat im Reichsfinanzministerium, Dr. Wilhelm Markull, das Problem der Reichsreform und erkannte damit, ohne daß die übrigen Komponenten des Problems außer acht gelassen werden sollen, die entscheidende Bedeutung der Finanzverfassung für das Reich-Länder-Verhältnis. In allen Erörterungen über eine Reichsreform bildete die Gestaltung der Finanzverfassung und des Finanzausgleichs den Angelpunkt. Mit der Verteilung der Mittel ist nämlich untrennbar die Verteilung der Aufgaben verbunden. Nannte bereits Cicero die Finanzen "Lebensnerven des Staates", so kommt ihnen, nachdem die liberale Forderung nach rein fiskalischer Steuerpolitik und Minimalbudgets vom Postulat einer bewußt auf Lenkung und Korrektur der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Faktoren ausgerichteten Finanzpolitik verdrängt wurde, gesteigerte Bedeutung zu. Die Finanzverfassung bestimmt den Spielraum für die Entfaltung der Staatstätigkeit; bei der Aufstellung des Haushaltsplanes werden Weichen für sämtliche Bereiche des staatlichen Wirkens gestellt. Die Finanzhoheit erweist sich somit als wesentliche Stütze der allgemeinen Staatshoheit. Wird die Finanzhoheit in einem Bundesstaat auf Zentralstaat und Einzelstaaten verteilt, sind Rückwirkungen auf die staatsrechtlichen Verhältnisse unausbleiblich. Ein Vergleich des Haushalts von Reich und Ländern gibt Aufschluß über die Machtverteilung im Bundesstaat. Die Finanzverfassung kann zum Spiegelbild der Eigenstaatlichkeit werden, indem sie einen Staat an der Ausübung seiner Herrschaftsbefugnisse behindert oder fördert. Alle verfassungsmäßig verbrieften Zuständigkeiten, und mögen sie durch eine Reichsreform noch vermehrt werden, nützen nichts, wenn die finanziellen Mittel zur Ausführung nicht vorhanden sind. Finanzhoheit und Budgetrecht, Selbstverantwortlichkeit und Eigenstaatlichkeit werden zur Attrappe, wenn die freie Verfügungsgewalt über Einnahmen und Ausgaben fehlt. Es ist wesentlich, wer über die hauptsächlichen Steuerquellen und über den Verwaltungsapparat verfügt, ob Zentralstaat und Gliedstaaten voneinander unabhängig sind und wenn nicht, wer wessen Kostgänger ist. Der 1

W. Markull, Das Reich und der Finanzausgleich, 1931, S. 132.

6

Einleitung

Mittelempfänger wird Gefahr laufen, zum ausführenden Organ des Geldgebers zu werden, denn auch im staatlichen Bereich gilt der Grundsatz: Wer zahlt, schafft an2 ! Die Abhandlungen über Fragen der Reichsreform nehmen einen breiten Raum ein3• Zu den bedeutendsten gehört das 1963 erschienene Werk: "Zwischen Demokratie und Diktatur" von Gerhard Schulz. Es werden hier alle Probleme des Reich-Länder-Verhältnisses zwischen 1919 und 1930 aufgerollt, wobei das Schwergewicht auf den Beziehungen Preußens zum Reich liegt. Was Bayern betrifft, stützt sich Schulz nicht auf eigene Archivstudien, sondern auf Werner Gabriel Zimmermann und besonders auf Karl Schwend, Bayern zwischen Monarchie und Diktatur, 1954. Diese sorgfältig abgewogene und umfassende Darstellung des ehemaligen Chefredakteurs der BVC und Leiters der bayerischen Staatskanzlei gibt leider keine Quellen an und kann die Vielzahl der Themenkreise nur skizzieren. Ähnlich beschränkt sich die Dissertation Bernd Habels, Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit, 1968, auf eine Zusammenstellung der Fragen des ReichBayern-Verhältnisses in der Zeit von 1924 bis 1933 und gesteht, "daß jeder Unterabschnitt meiner Arbeit geeignet ist, in gesonderten Untersuchungen weiter erhellt zu werden" (S. X). Erika Schnitzer versucht nochmals, die Reichsreform-Diskussion während der Ära Held in ihrer Gesamtheit zu umfassen, setzt aber erfreulicherweise Schwerpunkte. Erst Wolfgang Benz, Die Politik der süddeutschen Staaten in den Anfängen der Weimarer Republik 1918-1920, 1968, engte den Zeitraum der Untersuchung auf wenige Monate ein, in der richtigen Erkenntnis, daß fast alle Verfassungsfragen, die den bundesstaatliehen Charakter des Reiches betrafen, bereits um die Jahreswende 1918/19 diskutiert wurden. In alldiesen Abhandlungen wird die Gestaltung der Finanzverfassung und des Finanzausgleichs zwischen Reich, Ländern und Gemeinden als Kernpunkt des Reich-Länder-Verhältnisses erkannt, seine Erhellung aber tunliehst gemieden. Die Historiker überlassen das Gebiet des Finanzwesens allzu bereitwillig den Juristen und Finanzwissenschaftlern, deren Blickwinkel wiederum andere Interessen einschließt als jener der Historiker. So sagen die Veröffentlichungen des Instituts 2 J. Popitz in Zs f. Kommunalwirtschaft, 17. Jg., H. 3 vom 10. 2. 1927, Sp. 117: ". .. wer zahlt, wird sich immer auch materiell in einem gewissen Grade mit den Fragen zu beschäftigen haben." Becker(-Hessen), Vh RT StenBer Bd. 332, S. 4704 (5. 3. 1920): "Diejenigen, die die Hand auf den Geldbeutel halten, halten damit mittelbar oder unmittelbar schließlich auch die Hand über alle Aufgaben." 3 Schon während der Weimarer Zeit erschienen eine ganze Anzahl von Untersuchungen und Dissertationen zu Fragen der Reichsreform. Sie standen entweder selbst noch in der Diskussion und entbehrten der nötigen Distanz oder es fehlte ihnen eine ausreichende Einsicht in die Quellen.

Einleitung

7

"Finanzen und Steuern" und Hans-Erich Hornschus nichts über die Rückwirkungen des Finanzausgleichs auf die staatsrechtliche Situation der Länder aus. Hans Thierauf, Der Finanzausgleich in der Weimarer Republik, 1961, nahm wenigstens Einsicht in drei Faszikel des ehemaligen bayerischen Handelsministeriums. Das kann natürlich nicht verhindern, daß in seiner Darstellung die Stellungnahmen des Reiches dominieren. Gabriele Höflers Dissertation über die Finanzreform Erzbergers und deren Rückwirkungen auf die bundesstaatliche Struktur des Reiches (1955) bildet in diesem Zusammenhang eine Ausnahme. Sie stützt sich auf breites Aktenmaterial des ehemaligen bayerischen Staatsministerium des Außeren und verbürgt damit eine Berücksichtigung des bayerischen Standpunktes in der entscheidenden Phase der Schaffung der Weimarer Finanzverfassung. Die vorliegende Arbeit erwuchs aus einer intensiven Beschäftigung mit der Reichsreform. Eine Themeneinengung auf die finanzpolitischen Beziehungen zwischen dem Reich und Bayern bot sich aus naheliegenden Gründen an, da dieser Bereich trotz seiner Bedeutung innerhalb des Reichsreform-Problems von der Forschung bisher vernachlässigt wurde. Es soll dargetan werden, welche Rolle die finanzpolitischen Fragen in der Reichsreform-Diskussion spielten, inwieweit die Erzbergersehe Finanzverfassung und die Finanzausgleiche das in der Reichsverfassung festgelegte Reich-Länder-Verhältnis veränderten, und durch welche Politik Bayern der Aushöhlung seiner Eigenstaatlichkeit auf finanzpolitischem Wege begegnete. Zum besseren Verständnis werden Ausblicke auf die vor- und nachweimarische Zeit beigefügt, um zu prüfen, ob bereits im Bismarckreich finanzpolitische Unitarisierungstendenzen nachweisbar sind und ob solche auch nach 1933 bis in die Gegenwart wirksam sind. Die Situation der Gemeinden bezüglich des Finanzausgleichs wird nur am Rande behandelt4 • Die Quellenlage gestaltete sich schwierig, da die Bestände des bayerischen Finanzministeriums über den Finanzausgleich in der Weimarer Zeit im Kriege vernichtet wurden, und sich jene des Reichsfinanzministeriums mit wenigen Ausnahmen im Staatsarchiv Potsdam befinden. Die Einsichtnahme in diese Akten wurde mir jedoch verweigert5• Glücklicherweise sind alle wichtigen Noten, die das Reich-LänderVerhältnis berühren, auch jene des Finanzausgleichs, wenigstens abschriftlich im Geheimen Staatsarchiv München (Akten des ehemaligen bayerischen Staatsministeriums des Äußeren) vorhanden. Die Aus• Im Auftrage der Dt. Forschungsgemeinschaft wird die Finanzpolitik der Kommunen von Josef Wysocki und Hermann Dietrich Troeltsch unter Leitung von Prof. Karl-Dietrich Hansmeyer, Köln, untersucht. s Bescheid der staatl. Archivverwaltung der DDR vom 16. 1. 1969, unterzeichnet von Dr. Exner.

8

Einleitung

wertung dieser Akten bildete den Grundstock zu dieser Untersuchung. Die Bestände des Allgerneinen Hauptstaatsarchivs München und des Bundesarchivs Koblenz dienten der Ergänzung. Von großem Nutzen waren die Akten der Reichskanzlei, die fast vollständig im Bundesarchiv erhalten sind, und jene des Reichsfinanzministeriums über den Finanzausgleich für die Zeit nach 1929. Die ursprüngliche Absicht, auch Württemberg und Baden zu berücksichtigen, wurde aufgegeben, da dies wegen der divergierenden Stellungen der drei süddeutschen Staaten den Rahmen dieser Arbeit gesprengt hätte6 • Mein herzlicher Dank gilt allen, die mir bei der Anfertigung der Dissertation behilflich waren. An erster Stelle ist Herr Prof. Dr. Karl Bosl zu nennen, der mein Interesse auf das Problem der Reichsreform gelenkt und meine Arbeit durch wertvolle Ratschläge gefördert hat. Bei der Benutzung der Archive standen mir die Herren Dr. Busley und Dr. Troll (Bayerisches Hauptstaatsarchiv I, München), Prof. Dr. Weis (Bayerisches Hauptstaatsarchiv li, München), Dr. Wagner und Dr. Hoffmann (Bundesarchiv, Koblenz) und Direktor Ströbele (Landtagsarchiv, München) mit fachlichem Wissen und freundlichen Hinweisen zur Seite. Ihnen sowie den Herren Dr. Lenk (Landtagsbibliothek, München), Dr. Benz (Institut für Zeitgeschichte, München), Mathes (Bibliothek des Bayerischen Finanzministeriums) und Rothe (Bibliothek des Bundesfinanzhofs, München) möchte ich für ihre Hilfsbereitschaft und ihr Zuvorkommen vielmals danken. Wertvolle Anregungen erhielt ich von Herrn Ministerialdirektor Prof. Dr. Otto Barbarino (Bayerisches Finanzministerium), Herrn Ministerialdirigent Prof. Dr. Wilhelm Henle (Bayerisches Arbeitsministerium) und Herrn Regierungsrat Veith (Bayerisches Finanzministerium). Frau Dr. Schnell bin ich für die Überlassung der (ungedruckten) Erinnerungen ihres Vaters, des ehemaligen bayerischen Finanzministers Dr. Hans Schmelzle, zu besonderem Dank verpflichtet.

6 Die wirtschaftliche und politische Struktur Württembergs und Badens unterschied sich in der Weimarer Zeit allzu sehr von jener Bayerns, so daß ein Zusammengehen nur von Fall zu Fall eintrat. Den Herren Dr. Gönner (Württ. Staatsarchiv, Stuttgart), Dr. Uhland (Württ. Staatsarchiv, Ludwigsburg), Dr. Zinsmaier (Bad. Generallandesarchiv, Karlsruhe) gebührt mein Dank für die Einsichtgewährung in die Aktenbestände.

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis

5 18

Erster Teit Reichsreform und Finanzpolitik, Grundsätzliches

Erstes Kapitel Reichsreform I. Grundlagen und Ziele der Reichsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21 21 2. Ziele der Reichsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 3. Die Forderung nach Verfassungsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 4. Die Forderung nach Verwaltungsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 II. Die Denkschriften der Bayerischen Staatsregierung zur Reichsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 1. "Zur Revision der Weimarer Reichsverfassung. Denkschrift der Bayerischen Staatsregierung" vom Januar 1924 . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2. "Denkschrift der Bayerischen Staatsregierung über die fortlaufende Aushöhlung der Eigenstaatlichkeit der Länder unter der Weimarer Verfassung" von 1926 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3. "Material zur Verfassungsreform" von 1928 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 4. "Stellungnahme und Forderungen Bayerns zur Verfassungsund Reichsreform" vom 20. August 1932 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 111. Die Länderkonferenz in Berlin 1928/30 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 1. Die Vorbereitung der Länderkonferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2. Die Verhandlungen im Jahre 1928 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 3. Die Verhandlungen im Jahre 1929 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 4. Der Abschluß der Länderkonferenz im Jahre 1930 . . . . . . . . . . . . . . 66 IV. Bundesstaat - Einheitsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 1. Föderalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 a) Zusammenschlüsse von Föderalisten außerhalb Bayerns . . . . 69 b) Der bayerische Föderalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2. Unitarismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3. Zentralisation und Dezentralisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 4. Bundesstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 a) Eigenstaatlichkeit der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 b) Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Reich und Ländern . . . . 76 5. Einheitsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 1. Das Reich-Länder-Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10

Inhaltsverzeichnis V. Bayern. Politische und meinungsbildende Kräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bayerns Eigenart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Presse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Münchner Neueste Nachrichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) München-Augsburger-Abendzeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Münchener Post . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Augsburger Postzeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ftegensburger Anzeiger ................ . ....... : ..... . . .... f) Fränkischer Kurier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Bayerischer Kurier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Bayerische Staatszeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80 80 81 83 83 84 84 84 84 84 84 85

VI. Beamtenturn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

Zweites Kapitel

Finanzhoheit I. Die Begegnung des Historikers mit den Finanzen . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Finanzgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Fteich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Territorialstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Finanzpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Finanzsoziologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88 89 89 90 91 93

II. Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 1. Einkommensteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 2. Körperschaftssteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 III. Das Budgetrecht des Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 IV. Finanzhoheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 V. Finanzausgleich ...................... . .. .. ............ ... ...... . 102 1. Begriff und Wesen des Finanzausgleichs .. ... . ... ... ... ... .... 102 2. Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Zweiter Teil

Entwicklung und Neuordnung des Finanzsystems der Weimarer Republik Drittes Kapitel

Die Finanzverfassung im Bismarckschen Reich I. Die Bismarcksche Fteichsverfassung als Vorbild ............... .. . 110

Inhaltsverzeichnis

11

II. Die Reichsverfassung von 1871 und ihre Wandlung in fünf Jahrzehnten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 1. Der bundesstaatliche Charakter der Reichsverfassung von 1871 111 2. Unitarische Tendenzen des Verfassungslebens ......... . ... .. . . . 114 III. Das Finanzwesen im Bismarckschen Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 1. Die Finanzverfassung im Reich und in Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . 116 2. Die Clausula Miquel und die Matrikularbeiträge . . . . . . . . . . . . . . 117 IV. Die Franckensteinsche Klausel 1879 .... .. ...... . ........ . ....... . 119 V. Die Finanzreformen von 1904, 1906 und 1908 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Kleine Stengeische Reform von 1904 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Große Stengeische Reform von 1906 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Sydowsche Finanzreform von 1908 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

122 122 122 123

VI. Die Steuergesetze 1911 und 1913 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 1. Die Wertzuwachssteuer . ........... . . . ... ... .......... . ..... . 123 2. Der Wehrbeitrag ...... .. ....... . ...... .. ............ ... ..... 123 VII. Die Finanzpolitik im 1. Weltkrieg ... ....... .. .. . . ... . . .... ... ... . 128 1. Die Kriegsbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 2. Die Beschneidung der bundesstaatliehen Hoheitsrechte . . . · · · · · 130

Viertes Kapitel Von der Revolution bis zur Reichsfinanzreform Erzhergers I. Die Revolution und der bundesstaatliche Aufbau des Reiches . . . . . . 134 II. Die Finanzpolitik in den ersten Monaten der Republik . . . . . . . . . . . . 137 1. Erste Pläne einer Reichsfinanzreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 2. Das Finanzprogramm der Reichsregierung vom 31. Dezember 1918 .. .. .. .. ....... . ..... .. .................. . .. . . . .. . ...... . 139 III. Die Schaffung der neuen Reichsverfassung ................ .. ... . .. 1. Der Preußsche Verfassungsentwurf .. ...... . . ........ . ........ . 2'. Die Beratungen in der Nationalversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfassungsausschuß .... .. .. . .... .. .. . ..... .. .... . ........ b) Die Resolutionen des Bayerischen Landtags und der süddeutschen Staaten vom März 1919 . . . ...... . . . ..... . . .. .. ... c) Die Verständigung der Länder mit Reichsregierung und Verfassungsausschuß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Finanzverwaltung . . .. . ... .. . .. .... ..... .... . . ........ e) Die Verabschiedung der Reichsverfassung .... . .. ... ........

142 142 148 150

IV. Die Abfindung für die Preisgabe von Reservatrechten ........... . 1. Das Biersteuergesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geschichte der Biersteuer in Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bayerns Eintritt in die Reichsbiersteuergemeinschaft ........ c) Das Ringen um die jährliche Abfindung ... . . . .. .. ... . ...... 2. Die Ansprüche Bayerns aus der Eisenbahnabfindung . . . . . . . . . . 3. Die Ansprüche Bayerns aus der Postabfindung . . . . . . . . . . . . . . . .

163 165 166 167 170 175 178

152 156 158 160

12

Inhaltsverzeichnis Fünftes Kapitel

Die Erzbergersehe Reichsfinanzreform I. Die Notwendigkeit einer Reichsfinanzreform und deren Zielsetzung 1. Nachkriegssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erzberger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erzbergers Reformplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

184 184 184 186

ll. Die Steuergesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 1. Das Reichsnotopfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Erbschaftssteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Kapitalerstragssteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Reichseinkommensteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Stellungnahme der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Beratungen in der Nationalversammlung ..... . .... . ... 5. Die Körperschaftssteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die Grunderwerbssteuer .... . ..................... . . . ......... 8. Wirkungen der Steuergesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

189 189 190 191 191 193 195 196 197 197

III. Die Reichsabgabenordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Forderung einer Reichsfinanzverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Finanzministerkonferenz vom 13. Juli 1919 zu Weimar . . . . 3. Der umgearbeitete Entwurf einer Reichsabgabenordnung . . . . . . 4. Die Beratung der Reichsabgabenordnung im Staatenhaus . . . . . . 5. Die Beratung der Reichsabgabenordnung in der Nationalversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Gesetz über die Reichsfinanzverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Verabschiedung der Reichsabgabenordnung ... . ... ... .... 7. Auseinandersetzung um die Reichsfinanzverwaltung ..... .. ...

199 200 203 206 208 210 213 218 219

IV. Das Landessteuergesetz vom 30. März 1920 .. . . .. .. . .... . .. . ... .. 224 V. Ergebnis .. . . . . .. .. . .. . ..... . . . .... . .. .. ... . . . . . .. .. . ...... . ... .. 1. Die Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Verwaltung ...... .. ........ . ... ..... ................... .. 4. Die Ertragshoheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

225 225 225 226 227

Dri tter Teil

Der Finanzaugsgleieh als zentrales Problem des Reich-Länder-Verhältnisses Sechstes Kapitel

Das Landessteuergesetz vom 30. März 1920 I. Erzbergers Vorbereitung eines Finanzausgleichs zwischen Reich,

Ländern und Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .. . . . . . . . . .. . . 230

Inhaltsverzeichnis

13

li. Der vorläufige Entwurf eines Landessteuergesetzes . . . . . . . . . . . . . . 232 1. Die Stellungnahme Bayerns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234

III. Der endgültige Entwurf eines Landessteuergesetzes . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Stellungnahme Bayerns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Beratungen im Reichsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die erste Lesung in der Nationalversammlung ................ 4. Die Änderungen durch den 10. Ausschuß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Einwände Bayerns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der Einspruch des Reichsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die zweite und dritte Lesung in der Nationalversammlung . . . . 7. Der Protest Bayerns im Reichsrat ...... . ... . ... .. .. ... .... . ..

235 236 237 241 242 243 244 245 248

IV. Würdigung des Landessteuergesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250

Siebentes Kapitet Inflationszeit und Währungssbbilisierung I. Politischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 1. Die Restauration in Bayern - Erzberger-Helfferich-Prozeß -

Kapp-Putsch (254) - Regierung Kahr (255) - Finanzminister Krausneck (256) - Hitler-Putsch (258) ... . . . . .. .. . . . .. ... ... .. 2. Das Reparationsproblem ... . . ..... . ... .. ... . .. . ... .. .. ..... .. . 3. Die Inflation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Währungsstabilisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

253 259 260 261

II. Die Notwendigkeit einer Änderung des Landessteuergesetzes . . . . 263 111. Die Entwürfe eines Gesetzes zur Änderung des Landessteuergesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Besprechung vom November 1921 . ... . . . .. ....... ... ..... 2. Der Regierungsentwurf vom Januar 1922 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das preußisch-bayerische Einvernehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Gutachten des vorläufigen Reichswirtschaftsrates . . . . . . . . . . 5. Das Würzburger Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das Finanzausgleichsgesetz vom 23. Juni 1923 ... . . .. ....... . ..... 1. Die Vorbereitung des endgültigen Gesetzentwurfs ....... ... .... 2. Der endgültige Entwurf vom 9. September 1922 . . . . . . . . . . . . . . a) Die Beteiligung der Länder und Gemeinden an den Reichssteuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zuschläge zu den Reichssteuern und eigene Steuern der Länder und Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Recht der Beteiligung . . ..... . .. . ..... . .... . . . .. . ...... . d) Beteiligung an den vom Reich verursachten Mehrkosten der Länder und Gemeinden .... .. . .. . . . .. .... .. .. ... . . ..... . . 3. Die Stellungnahme der Länder zum Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Beratungen in den Reichsrats-Ausschüssen . . . . . . . . . . . . b) Die Beschlußfassung im Reichsrat . . .......... . . .. ........ ..

263 263 264 266 267 268 272 272 273 273 273 274 274 275 276 276

14

Inhaltsverzeichnis 4. Die Stellungnahme des Reichstags zum Entwurf . . . . . . . . . . . . . . a) Die Beratungen im 11. Ausschuß ...... . ............. .. . . .. b) Die zweite und dritte Lesung im Reichstag ........... . .... 5. Das Finanzausgleichsgesetz vom 23. Juni 1923 ............ . . ....

277 278 280 283

V. Die Dritte Steuernotverordnung vom 14. Februar 1924 ... . .... .. .. 1. Die Ergänzungsbedürftigkeit des geltenden Finanzausgleichsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Vorbereitung der Dritten Steuernotverordnung ........ . . .. 3. Die Entwürfe einer Dritten Steuernotverordnung . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Steuernotverordnung vom 14. Februar 1924 . . . . . . . . . . . . . .

284 284 286 288 292

Achtes Kapitel

Die Ära Popitz I. Politischer überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Deutschland im Zeichen der Entspannung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Dawes-Plan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Johannes Popitz ....... . . . ............ . ...... . ........ .. . .. ... 4. Hans Schmelzle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Die Bemühungen um einen endgültigen Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Vorbereitung auf einen endgültigen Finanzausgleich . ..... 2. Der Referentenentwurf des Reichsfinanzministeriums . . . . . . . . . . a) Referentenentwurf eines Gesetzes über Änderungen des Finanzausgleichs zwischen Reich, Ländern und Gemeinden . . b) Die Meinung der Länder ............ . . . . . ......... . ... ... . 3. Der Regierungsentwurf vom 25. Februar 1925 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Gegenentwurf Bayerns und Preußens . . . ....... . ..... .. .. 5. Die Notregelung für das erste Halbjahr des Rechnungsjahres 1925 .. . .... . . . . .. ... .. . . .. . . . ... ........ .. . ................. . 6. Die Fortführung der Beratungen um den endgültigen Finanzausgleich im Reichsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die Beratungen im Reichstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die erste Lesung im 6. Ausschuß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Antwort der Länder auf die Beschlüsse des 6. Ausschusses c) Die zweite Lesung im 6. Ausschuß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der Kompromiß zwischen der Reichsregierung und den Regierungsparteien vom 29. Juli 1925 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die zweite und dritte Lesung im Reichstag . . . . . . . . . . . . . . . . . .

294 294 296 297 299 306 306 308 309 309 312 314 316 318 320 322 324 328 328 330

I11. Das Finanzausgleichsgesetz vom 10. August 1925 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 IV. Die Änderungen im Jahre 1926 ......... .. ... .. ............ . . .. .. 333 1. Die Neufassung des Finanzausgleichsgesetzes ..... . ... . ..... . .. 333 2. Die Neuverteilung der Kraftfahrzeugsteuer ................. . .. 333 V. Die Vorbereitung des neuen Finanzausgleichs .. ... .... ..... . . .. . . 334 1. Die Länderkonferenz vom 2. September 1925 in Berlin . . . . . . . . 334

lnhaltsverzeichnis

15

2. Die Unzufriedenheit der Länder mit dem Finanzausgleich von

1925 ................. . .............. . ..................... . . . 335 3. Die Landtagsdebatten anläßlich der Vorlage des Staatshaushaltsplanes . .. . . . ... .... ... . . .. .. .. . . . . . . .. . .. . .. .. ....... . . .. . .. . 336 4. Krausnecks Initiative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 5. Der Referentenentwurf der Reichsregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 6. Schäffer und Schmelzle zum Finanzausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 7. Helds Landtagsrede vom 9. November 1926 .......... . ... .. . . .. 345 8. Der Regierungentwurf eines Gesetzes zur Übergangsregelung des Finanzausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 a) Die Beratungen im Reichsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 b) Die Beratungen im Reichstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351

VI. Das Gesetz zur Übergangsregelung des Finanzausgleichs zwischen Reich, Ländern und Gemeinden vom 9. April 1927 . . . . . . . . . . . . . . . . 356 Neuntes Kapitel

Weltwirtschaftskrise I. Politischer Überblick . .. . . ................. .... ............ . . .... 1. Die Weltwirtschaftskrise ........... .. ... ... .............. . .. . . 2. Der Young-Plan . . . . .... .. ............... . . ......... . .... .. . .. 3. Deutschland nach dem Tode Stresemanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

359 359 360 361

II. Der Finanzausgleich im Jahre 1929 . ......... . ..... . . . ......... .. 1. Die Besoldungserhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schmelzle zum zukünftigen Finanzausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der erste Regierungsentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Gesetz über die Aufstellung des Haushaltsplans für das Rechnungsjahr 1929 vom 29. Juni 1929 .... . .... . .. . . . . . ..... . .

365 365 366 368 369

III. Hilferdings Plan einer Reichsfinanzreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 1. Das Reformprogramm der Reichsregierung von 1929 . . . . . . . . . . 370 2. Die Konferenz der Finanzminister Bayerns, Württembergs und Badens vom 14. November 1929 .. ..... .. ... . .... . . . ..... . ... . . . 373 3. Das Finanzprogramm der Reichsregierung vom 9. Dezember

1929 . .............. .. ........ . ...... . .................... . .. . 374 a) Die Beratungen im Reichstag . . .. . ....... . .......... ... . .. . 374 b) Die Stellungnahme der Länder ......... . ......... . ....... . 376

IV. Der Finanzausgleich im Jahre 1930 .. . ................ . ......... . 1. Der Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Übergangsregelung des Finanzausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Beratungen im Reichsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Änderungen des Finanzausgleichs durch die Steuergesetze vom 15. April 1930 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

379 379 380 382

V. Das Wirtschafts- und Finanzprogramm Brünings und die Notverordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 1. Die .,Verordnung des Reichspräsidenten zur Behebung finanzieller, wirtschaftlicher und sozialer Notstände" vom 26. Juli 1930 383

16

Inhaltsverzeichnis 2. Der Wirtschafts- und Finanzplan Brünings und das Bemühen um den Finanzausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Stellungnahme der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Brünings Antwort . . . .. . . . . . .... . . . .............. . .... .. . . c) Das Wirtschafts- und Finanzprogramm im Reichsrat . . . . . . . . 3. "Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen. Vom 1. Dezember 1930." ......... . ... . . . . . 4. "Zweite Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen. Vom 5. Juni 1931." ........... . ..... . a) Bayerns Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. "Dritte Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen. Vom 6. Oktober 1931." ... . ........ . .... . .. .. a) Denkschrift der Bayerischen Staatsregierung über die Aushöhlung der Länder durch die Notverordnungen des Reiches

383 385 387 388 390 390 391 392 393

Zehntes Kapitel

Ausblick auf die Entwicklung des Finanzausgleichs in der Zeit naeh 1933 I. Das Dritte Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Finanzpolitik von 1933 bis 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Finanzausgleich im Dritten Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Finanzausgleich im Jahre 1933 . ....... . ............. . . b) Der F;nanzausgleich nach Er richtung des Einheitsstaates .. .. c) Der F'inanzausgleich in der Zeit wirtschaftlicher Blüte . . . . . . d) Der Finanzausgleich während des Zweiten Weltkrieges .. . .

397 397 398 398 399 400 401

li. Die Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 1. Das Ringen um die bundesdeutsche Finanzverfassung . . . . . . . . . . 402

2. Die Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland nach dem Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Entwicklung des Finanzausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Inanspruchnahme der Einkommen- und Körperschaftssteuer durch den Bund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Finanzausgleichsgesetz vom 23. Dezember 1955 . ... ....... 4. Die Finanzreform des Jahres 1969 ........ .. ........... .. .....

404 405 405 406 408

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 Quellen- und Literaturverzeiehnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 I. Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427

1. 2. 3. 4.

Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Abt. I . . . . . . . . . . . . . . . . Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Abt. II . . . . . . . . . . . . . . Bundesarchiv Koblenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans Schmelzte, Erinnerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

427 428 432 435

li. Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435

1. Verfassungen ... . .. ... ... ... .... . . . . .. ........ . ........... . .. 435

Inhaltsverzeichnis 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Parlamentarische Sitzungsberichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Parteiprogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Statistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Annalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Denkschriften und Länderkonferenz 1928/30 ................ .. Zeitungen und Zeitschriften ............................ . .....

17 435 436 436 437 437 438

III. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 Anhang ............................................................... 461 I. Finanzminister des Reichs und Bayerns in der Weimarer Republik 461 1. Reichsminister der Finanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461

2. Bayerische Staatsminister der Finanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461

II. Schematischer Überblick über die Beteiligung der Länder (und Gemeinden) an den Überweisungssteuern in den Rechnungsjahren 1920-1933 ...................................................... 462 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463

Abkürzungsverzeichnis Abg. Akt.Verm. Anl. Anm.

AöR Art.

BA bay BayGes Berlin Beil. Ber. BGBl. B.HStA.I B.HStA.II Bl. B.MinPräs B.Stmin d Auß B.StMin d Fin B.FinMin B.Stmin d Fin B.Finmin B.StMin f Handel B.Stmin f Handel B.StMin d Inn B.InnMin B.Stmin d Inn B.Innmin B.StMin f U + K B.Stmin f U +K BStZ BVC BVP DDP DGR DJZ DNVP DS DS 1924 DS 1926

= Abgeordneter = Aktenvermerk = Anlage Anmerkung = Archiv des öffentlichen Rechts =Art. = Bundesarchiv Koblenz

= bayerisch

Bayerische Gesandtschaft Berlin = Beilage = Bericht = Bundesgesetzblatt Bayerisches Hauptstaatsarchiv München I - Allgemeines Staatsarchiv - Bayerisches Hauptstaatsarchiv München II - Geheimes Staatsarchiv = Blatt = Bayerischer Ministerpräsident Bayer. Staatsministerium des Äußeren

= Bayer. Staatsminister der Finanzen = Bayer. Staatsministerium der Finanzen Bayer. Staatsminister für Handel, Ind. u. Gewerbe = Bayer. Staatsministerium für Handel, Ind. u. Gewerbe Bayer. Staatsminister des Innern Bayer. Staatsministerium des Innern Bayer. Staatsminister für Unterricht u. Kultus = Bayer. Staatsministerium für Unterricht u. Kultus = Bayerische Staatszeitung Bayerische Volkspartei-Correspondenz = Bayerische Volkspartei

=

= Deutsche Demokratische Partei = (Fr. Purlitz) Dt. Geschichtskalender: Die deutsche Revolution, 1918/19 = Deutsche Juristenzeitung Deutschnationale Volkspartei Denkschrift Bayerische Regierungsdenkschrift von 1924 Bayerische Regierungsdenkschrift von 1926

Abkürzungsverzeichnis DS 1928 DVBl. DVP

= Bayerische Regierungsdenkschrift von 1928 = Deutsches Verwaltungsblatt = Deutsche Volkspartei

FA FAG

= Finanzausgleich = Finanzausgleichsgesetz

Ges GG GVBl.

= Gesandter, Gesandtschaft = Bonner Grundgesetz = Gesetz- und Verordnungsblatt

Hb HbFinwiss HWB HWBSoz HWBSt HZ

= = = =

Jg. Jh. JböR

19

=- Handbuch

=

Handbuch der Finanzwissenschaft Handwörterbuch Handwörterbuch der Sozialwissenschaften Handwörterbuch der Staatswissenschaften Historische Zeitschrift

Jahrgang Jahrhundert Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart

KPD

= Kommunistische Partei Deutschlands

LK LT LT-Württ. usw. LStG

== Länderkonferenz = Landtag, gewöhnlich: Bayer. Landtag = Württembergischer Landtag = Landessteuergesetz

MA

= (Signatur im B.HStA.II:) Akten des Bayer. Staatsministeriums des Äußeren = Mitglied des (der) ... = Mitglied des Bundestags Mitglied des Bayer. Landtags Mitglied des Württ. Landtags Mitglied der Nationalversammlung = Mitglied des Reichstags (Signatur im B.HStA.I:) Akten des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen Ministerpräsident = Ministerialrat = Ministerialdirektor Ministerialdirigent = (Signatur im BHStA.I:) Akten des Bayer. Kultusministeriums (Signatur im B.HStA.I:) Akten des Bayer. Innenministeriums Münchner Merkur Münchner Neueste Nachrichten = (Signatur im B.HStA.I:) Akten des Bayer. Wirtschafts(Handels-)ministeriums

Md MdB MdL MdL-Württ. MdNV MdR MF MinPräs MinRat MinDir MinDirigent MK Mlnn MM MNN MWi NSDAP

NV

=

Nationalsozialistische Dt. Arbeiterpartei Nationalversammlung

20

Abkürzungsverzeichnis Oberregierungsrat

ORR Präs Prot. R2 R43I RAO RAußMin RBankPräs RBI. RGBI. RegRat RFinMin Rfinmin Rfinverw RK Rk RMindÄuß RMindFin RMindinn RPostMin RPräs RR RReg RT

= Präsident = Protokoll = =

= = = = =

=

RV aRV RWirtMin

=

Sehr. Sp. SPD

= =

StenBer StGH StMin Stmin StPräs StReg

=

ss

uss VA Vertr. Vh

VjSchr VjZ

vo

Vors.

z

ZBLG Zs Ztg

=

(Signatur im BA:) Akten des Reichsfinanzministeriums (Signatur im BA:) Akten der Reichskanzlei Reichsabgabenordnung Reichsaußenminister Reichsbankpräsident Regierungsblatt Reichsgesetzblatt Regierungsrat Reichsfinanzminister Reichsfinanzministerium Reichsfinanzverwaltung Reichskanzler Reichskanzlei Reichsminister des Äußeren Reichsminister der Finanzen Reichsminister des Innern Reichspostminister Reichspräsident Reichsrat Reichsregierung Reichstag Reichsverfassung von 1919 Reichsverfassung von 1871 Reichswirtschaftsminister Schreiben Spalte Sozialdemokratische Partei Deutschlanäs Staatssekretär Stenographische Berichte Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich Staatsminister Staatsministerium Staatspräsident Staatsregierung Unterstaatssekretär

Verfassungsausschuß Vertreter, Vertretung = Verhandlung(en) Vierteljahresschrift(en) Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte = Verordnung, Notverordnung = Vorsitzender

= Deutsche Zentrumspartei Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte = Zeitschrift Zeitung

ERSTER TEIL

Reichsreform und Finanzpolitik. Grundsätzliches Erstes Kapitel

Reichsreform I. Grundlagen und Ziele der Reichsreform 1. Das Reich-Länder-Verhältnis

"Das Verhältnis des Reichs zu den Einzelstaaten ist in jedem Bundesstaat das wichtigste und für sein Wesen besonders charakteristische Moment; es ist der eigentliche Grundpfeiler seiner Verfassung und bestimmt seine Eigenart. Es muß ihm daher besondere Festigkeit zukommen'· 2 . " Die Artikel der Weimarer Verfassung, die die Beziehungen zwischen dem Reich und den Ländern regelten, wurden diesem Postulat des Staatsrechtiers Paul Laband3 nicht gerecht. Nach Zusammenbruch und Revolution brannten den Vätern der Verfassung andere Fragen heißer auf den Nägeln. Überhaupt lag dem Großteil der Nationalversammlung wenig an einer Zementierung der bundesstaatliehen Staatsform, der sie nur zögernd zugestimmt hatten, in der Zuversicht, die Möglichkeit einer Fortentwicklung zum Einheitsstaat nicht versperrt zu haben. Der Kompromiß, der in den Art. 5 bis 19 und 60 bis 67 RV seinen Niederschlag fand, vermochte freilich weder die Föderalisten noch die Unitaristen zu befriedigen. Beide Richtungen drängten auf Änderung der Verfassungsbestimmungen, die das ReichLänder-Verhältnis4 betrafen; sie forderten eine "Reichsrefonn". P . Laband, Die geschichtliche Entwicklung der RV, 1907, S. 4. Paul Laband, geb. 24. 5. 1838 Breslau, gest. 23. 3.1918 Straßburg; 1864 Prof.

t, 2 3

in Königsberg, 1872 in Straßburg; führender Staatsrechtslehrer des Bismarckreichs; Hauptvertreter des staatsrechtlichen Positivismus. 4 Vgl. K. Angermann, Die Beziehungen zwischen dem Reich und den Ländern, Dresden 1927; K. Bilfinger, Der Einfluß der Einzelstaaten auf die Bildung des Reichswillens, 1923; A. Brecht, Verhältnis des Reichs zu den Ländern, 1928; H. Diedrich, Reich und Länder, 1923; H. G. Ficker, Vertragliche Beziehungen zwischen Gesamtstaat und Einzelstaat im Dt. Reich, 1926;

22

1. Kap.: Reichsreform

2. Ziele der Reichsreform

Unter "Reichsreform" 5 wurden in der Weimarer Zeit zwei miteinander verbundene Sachkomplexe verstanden: a) Eine Neugliederung des Reichsgebietes6 mittels Art. 18 RV (vgl. Art. 29 GG). Bayern war aus der Diskussion um eine Neugliederung fast völlig ausgeklammert. Sein Staatsgebiet galt als konsolidiert und einheitlich. Das Interesse richtete sich vor allem auf eine Neugestaltung des norddeutschen Raumes. b) Eine organisatorisch-strukturelle Reform der Reichs- und Länderinstanzen und eine Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Reich und Ländern. Damit verbunden war die Aufteilung der finanziellen Mittel, wie sie der Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und P. Goedecke, Der Reichsgedanke im Schrifttum von 1919-35, 1951; Th. Heuß, Die Bundesstaaten und das Reich, 1918; ders., Die Reich-Länderfrage, 1928; H. Lampe, Reich und Länder, 1926; Ch. Luckow, Die Wandlungen des ReichLänder-Verhältnisses von Bismarck bis Weimar, 1935; W. Schultheiß, Das Verhältnis von Bundesstaat und Einheitsstaat im Dt. Reich, in der Schweiz und in Österreich, 1927; J. Wenninge1·, Das Verhältnis zwischen dem Reich und den Ländern in der alten und der neuen RV. Eine staatsrechtlich vergleichende Studie unter bes. Berücksichtigung Bayerns, 1928; R. Zorn, Reich und Einzelstaat im dt. Staatsaufbau der Zukunft: Der Tag Nr. 29 (11. 2.1919); G. Kaiserberg, Reich-Länder-Problem, 51931; vgl. auch 0. K. Ftechtheim, Bund und Länder, 1959. s Vgl. dazu W. Apett, Staatstheoretische Betrachtungen zur Reichsreform, 1932; 0. Becker, Weimarer RV und nationale Entwicklung, 1931; W. Benz, Die Politik der süddeutschen Staaten in den Anfängen der Weimarer Republik, 1968; K. Btoch, Die Reichserneuerungstendenzen in Deutschland von 1918 bis zur Gegenwart, 1931; A. Brecht zur Reichsreform (s. Bibliographie): A. Gerigk, 500 Jahre dt. Reichsreform, 1934; G. Günther, Das werdende Reich, 1932; B. Habet, Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit, 1968; H. Hetd, Der Standpunkt der süddt. Staatsoberhäupter, 1928; R. Hente, Reichsreform, Bayern, Großdeutschland, 1933; ders., Reichsreform und Länderstaat, 1931; ders., Der Weg zum großdt. Reich, 1927; J. Horion, Probleme der Reichsreform, 1931; E. Koch-Weser, Die Reichsreform, 1928; ders., Zwang zur Reichsreform, 1931; Chr. König, Die süddeutschen Staaten und das Problem der Reichsreform, 1929; F. Poetzsch-Heffter, Grundgedanken zur Reichsreform, 1931; K. Raabe, Die Versuche einer Reichsreform im Spiegel der bayer. Öffentlichkeit, 1968; Reichssparkommissar, Vorschläge zur Reichsreform v. 15. 6. 1928 (eine Zusammenfassung der Diskussion); K . Sommer, Vorschläge für eine Reichsreform, 1930; C. Schmitt, Reichs- und Verfassungsreform, 1931; E. Schnitzer, Das Ringen der Regierung Held um die Stellung Bayerns im Reich, 1968; G. Schutz, Zwischen Demokratie und Diktatur, 1963; K. Schwend, Bayern, 1954; ders., Süddeutsche Gedanken über die Weiterentwicklung des deutschen Staatslebens: Der deutsche Süden 2, 1927; W. Vogel, Deutsche Reichsgliederung und Reichsreform, 1932. 6 Vgl. E. Koch-Weser, Die Neugliederung des Reiches, 1922; W. Kothe, Die Gedanken zur Neugliederung des Reiches 1918-1945 in ihrer Bedeutung für Norddeutschland, 1953; P. Schätzer, Länderreform und Landeskunde. Polit. Zwischenbilanz und wiss. Probleme der Bestrebungen zur innergebietl. Neugliederung Deutschlands von 1919-1959, 1959; W. Vogel, Dt. Reichsgliederung und Reichsreform, 1932.

I. Grundlagen und Ziele der Reichsreform

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Gemeinden festlegte. Dieser Seite der "Reichsreform" gilt unser Interesse. Die Diskussion um die Reichsreform setzte bald nach Inkrafttreten der Weimarer Verfassung - weitgehend als Ausfluß der allgemeinen Unzufriedenheit - ein und erreichte ihren Höhepunkt 1928/29 zur Zeit der Länderkonferenz in Berlin. Der wirtschaftliche Aufschwung und die außenpolitische Beruhigung Mitte der 20er Jahre hatte zu einer Entschärfung der innenpolitischen Spannungen geführt; die Länder konnten in dieser ruhigen Atmosphäre ihre Forderungen vorbringen, ohne dem Verdacht ausgesetzt zu sein, einem wirtschaftlich und außenpolitisch bedrängten Reich in den Rücken zu fallen. Die aufziehende Weltwirtschaftskrise drängte die Diskussion über die Reichsreform in den Hintergrund, bis sie durch das "Gesetz über den Neuaufbau des Reiches" vom 30. 1.1934 vollkommen erstickt wurde: Danach wurden die Volksvertretungen der Länder aufgehoben, die Hoheitsrechte der Länder auf das Reich übertragen und die Länder dem Reich unterstellt; die Reichsregierung war durch dieses Gesetz außerdem befugt, ungehindert neues Verfassungsrecht zu setzen7 • Getragen wurden die Erörterungen um eine Reichsreform in erster Linie von Juristen, Professoren, höheren Beamten und Ministern. Popularität gewann sie über die Parteien und weltanschaulichen Gruppen. Erwähnung verdient der Bund zur Erneuerung des Reiches, dem Politiker der DDP, des Zentrums und der DVP ebenso angehörten wie Vertreter der Verwaltung, Industrie, Wissenschaft und Publizistik. Das Echo in bayerischen Regierungskreisen auf die beachtenswerten Vorschläge des Erneuerungsbundes, in dem die Berliner und Rheinländer vorherrscllten, war durchwegs ablehnend. 3. Die Forderung nach Verfassungsreform

Die Reich-Länder-Auseinandersetzungen wurden auf zwei Ebenen geführt: a) auf dem Gebiet der Verfassungspolitik, wobei die divergierenden Gruppen versuchten, innerhalb der Grenzen der Verfassung ihre Vorstellungen durchzusetzen; b) auf dem Gebiet der Verfassungsreform8, die neue verfassungsrechtliche Grundlagen zum Ziele hatte. 7 Vgl. R. Pfeiffer, Der Strukturwandel des föderalistischen Organs, 1952, S.43. s Vgl. hierzu: 0. Bilhler, Der heutige Stand der Verwaltungs- und Verfassungsreform, 21931; 0. Frielinghaus, Studie zur Reform der RV, 1928; F. Giese, Föderalistische Verfassungsreform, 1926; B. Habel, Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit, 1968; D. Holtz, Verfassungs- u. Verwaltungsreform in Reich und Ländern, 1928; H. v. Jan, Bayern zur Reichsverfassungsreforrn, 1928; G. Ohlb·recht, Süddeutschld. u. d. Verfassungsreforrn, 1933;

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1. Kap.: Reichsreform

Die Befürworter des Einheitsstaates, deren Vorstellungen sich in Weimar nicht durchzusetzen vermochten, ließen sich nicht entmutigen. Vier Monate nach lokrafttreten der neuen Reichsverfassung, die sich zum bundesstaatliehen Aufbau bekannte, brachten SPD, Zentrum und DDP in der Preußischen Landesversammlung einen Antrag auf Schaffung eines Einheitsstaates ein (17. 12. 1919). Doch die Reichsregierung lehnte es angesichts der Empörung weiter Kreise, besonders in Süddeutschland, ab, entsprechende Verhandlungen aufzunehmen9 • Nachdem der Verhandlungsweg gescheitert war, wollten die Unitaristen den Einheitsstaat über Rationalisierungs- und Sparmaßnahmen sowie unter Ausnutzung der finanziellen Übermacht des Reiches erreichen. Die lebenswilligen Länder, voran Bayern, begegneten dieser "Aushöhlungspolitik"10 mit einer betonten Eigenstaatlichkeitspolitik und der Forderung nach einer Präzisierung der Reichsverfassung im bundesstaatliehen Sinne, möglichst nach dem Vorbild der Bismarckschen Reichsverfassung. Die föderalistischen Forderungen lauteten: Zuständigkeitsabgrenzung, Revision der Art. 8-10 RV, Wiederherstellung der finanziellen Selbständigkeit der Länder und Stärkung des Reichsrates gegenüber dem Reichstag. So wurde die Verfassung von Weimar Ausgangspunkt, Objekt und Maßstab der Reformwünsche aller Parteiungen. Daß sie, in diesem Ringen kritisiert und hin- und hergerissen, Abnutzungserscheinungen aufwies, ist nicht verwunderlich. Die Verfassungsgleichgültigkeit oder gar -feindlichkeit weiter Volkskreise erhielt von dieser Seite, wohl ungewollt, Auftrieb. Die ersten der mehrfach wiederholten Anträge auf eine "Revision der Weimarer Verfassung", die im Reichstag eingebracht wurden, gingen von der BVP aus11 ; den nächsten Antrag in dieser Angelegenheit stellte die DNVP12. Den Höhepunkt der Diskussion um eine Revision der Reichsverfassung markieren die Denkschriften der bayerischen Staatsregierung13 zu dieser Frage und die Beratungen der Länderkonferenz 1928/30. K. Runge, Verfassungs- u. Verwaltungsreform: Akad. Blätter, 1928 (H.12); W. SchelcheT, Zur Reform d. RV, 1928; C. Schmitt, Reichs- u. Verfassungsreform, 1931; F. StieT-Somlo, Wege der Erneuerung der Weimarer RV: Zs f d ges Stwiss 78, 1924, S. 496; H. TTiepel, Der Föderalismus u. d. Revision d. Weimarer Verfassung, 1924; E. Zaske, Der föderative Gedanke in der Weimarer RV u. deren Revision nach föderalistischen Gesichtspunkten, 1925. 9 Niederschrift über die gemeinsame Sitzung des Reichskabinetts u. d. preuß. Kabinetts über die Frage des Einheitsstaates am 30.1.1920; BA, R 43

1/1872.

Vgl. die DS vom Jan. 1920 d. RMin d Inn Koch- WeseT; BA, R 43, a.a.O. Vh RT StenBer Bd. 380 Anl. Nr. 6296 u. 6330 v. 20. 11. 1923 u. 28. 5. 1924. Vh RT StenBer Bd. 382 Anl Nr. 56 v. 6. 11. 1924. 13 Siehe Abschnitt II.) dieses Kapitels. 10 11 12

I. Grundlagen und Ziele der Reichsreform

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4. Die Forderung nach Verwaltungsreform

Sowohl dem Reich als auch den Ländern kam nach der Weimarer Verfassung Verwaltungshoheit zu. Abschnitt VI der Reichsverfassung regelte die Verwaltungszuständigkeit des Reiches: Auswärtiges (Art. 78 RV), Heer (Art. 79 RV), Kolonien (Art. 83 RV), Zölle und Verbrauchssteuern (Art. 83 und 84 RV), Post und Telegraphen (Art. 88 RV), Eisenbahnen (Art. 87-96 RV) und Wasserstraßen (Art. 97-101 RV). Alles übrige unterstand der Verwaltung der Länder und Kommunen. Auch sollten die Reichsgesetze allgemein durch die Landesbehörden ausgeführt werden, "soweit nicht die Reichsgesetze etwas anderes bestimmen" (Art. 14 RV). Die Länder hielten energisch an der ihnen verbliebenen Verwaltungshoheit fest, in der Erkenntnis, daß derjenige über Macht und Einfluß auf breiter Ebene des staatlichen Wirkens verfügt, welcher den Verwaltungsapparat in der Hand hat. Überhaupt zeigt die Erfahrung, daß sich das Staatsgefühl vorrangig auf die Verwaltung konzentriert, die den Staat in ihrem Behördenbau vor dem Volk mehr verkörpert als die Gesetzgebung. Direkte Eingriffe des Reiches oder Tendenzen, den Ländern die Verwaltungsaufgaben und die dazu erforderlichen Geldmittel zu entziehen, trafen die Länder daher empfindlich. "Eine schrankenlose Fortsetzung dieser Politik müßte das allmähliche Absterben der Länder bedeuten. Der staatliche Purpur, an dem die Länder festhalten, würde schließlich nur ein Skelett bedecken14." Doch selbst die beschnittene Verwaltungshoheit der Länder stellte ein beachtliches Bollwerk der Länderstaatlichkeit dar, das sich die Länder nicht von unitarischer Seite15 schleifen lassen wollten, schon gar nicht durch eine Verwaltungsreform unter der Parole vom "billigeren Einheitsstaat". Die Reform der Verwaltungsorganisationen von Reich, Ländern und Gemeinden und ihrer rechtlichen sowie praktischen Beziehungen zueinander bildete ein Kernstück der Bemühungen um eine Reichsreform16• 14 F. Poetzsch-Heffter, Grundgedanken der Reichsreform: Werdendes Recht, Beiheft der DJZ, H. 4, 1931, S. 23. 15 F. Fick, Die Notwendigkeit des dt. Einheitsstaates: Wege zum dt. Einheitsstaat, 1936, S. 29: "Vielleicht wäre es für die Entwicklung zum Einheitsstaat wichtiger gewesen, auf diesem Gebiete (sc. Verwaltung) dem partikularistischen Ansturm Widerstand zu leisten, als die gesetzgeberische Zuständigkeit des Reiches auf minder wichtige Gebiete auszudehnen oder gar in zentralistischem Bestreben über die durch die RV gezogenen Grenzen hinav.szugehen." 16 Vgl. Adametz-Mößner, Die dt. Verwaltungs- und Verfassungsreform in Zahlen, 1928; 0. Bilhler, Der heutige Stand der Verwaltungs- und Verfassungsreform, 21931; B. Drews, Grundzüge einer Verwaltungsreform, 1919; ders., Probleme einer Verwaltungsreform, 1929; A. D. Grzesinski, Die Einzelheiten der Verwaltungsreform, 1929; E. Hamm, Zur Verwaltungsreform, 1927; C. Herz, Der Stand der Reichs- und Verwaltungsreform, 1929; ders., Die

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1. Kap.: Reichsreform

Die schwierige Finanzlage bewirkte allenthalben eine Bereitschaft zu Rationalisierungs- und Sparmaßnahmen in der Verwaltung. Aber auch hier kam es auf den Blickwinkel an. Wenn die Reichsbeamtenschaft eine einfache und übersichtliche Organisation der Verwaltungsarbeit nach klarer Geschäftsaufteilung und Zuständigkeitsabgrenzung befürwortete, hatte sie als erstrebenswertes Ziel eine vereinheitlichte, möglichst verreichlichte Verwaltung vor Augen. Das Nebeneinander und die Vielfalt der Länderverwaltungen hielt sie für kostspielig und anachronistisch. Die Ministerialbürokratie der Länder hingegen, die das Messer am Hals spürte, verteidigte ihre eigene, die föderalistische Organisation. Neben tieferliegenden Gründen, die an die Auseinandersetzungen zwischen Föderalismus und Unitarismus rührten, scheiterte eine durchgreifende Verwaltungsreform in der Weimarer Zeit nicht zuletzt an der Beharrlichkeit und der Existenzangst der Beamtenschaft. Seit 1920 drangen viele bedeutsame Verwaltungsreformpläne an die Öffentlichkeit. Sie konnten der Zustimmung des Steuerzahlers sicher sein, wenn sie für eine billigere Verwaltung im Einheitsstaat plädierten. Die Föderalisten saßen bei dieser Diskussion am kürzeren Hebel; sie konnten schwerlich den Beweis erbringen, daß der Bundesstaat billiger sei; jedenfalls, so beteuerten sie, sei er nicht teuerer als der Einheitsstaat, arbeite aber effektiver. Als Reichsfinanzminister Wirth17 unter dem Gesichtspunkt der Kosteneinsparung mit dem Versuch einer reichseinheitlichen Verwaltungsreform hervortrat18, erkannten die Länder hierin einen Ansatz zur Veränderung des Reich-Länder-Verhältnisses und bezichtigten Wirth der unitarischen Aushöhlungspolitik. Dennoch wurde der Präsident Verwaltungsreform als Aufgabe der Demokratie, 1927; 0. Holtz, Verfassungsund Verwaltungsreform in Reich und Ländern, 1928; H . Höpker-Aschoff. Dt. Einheitsstaat. Ein Beitrag zur Rationalisierung der Verwaltung, 1928: J. F. Kleindienst, Verwaltungspolitik und Verwaltungsreform, 1929; E. KochWeser, Vereinheitlichung und Vereinfachung der Reichsverwaltung, 1921; H. Lohmeyer, Zur Verwaltungsreform, 1924; K. Sommer, Bundesstaat, Einheitsstaat und die Höhe der öffentlichen Ausgaben, 1928; ders., Der billigere Einheitsstaat, 1929; J. Popitz, FA und Verwaltungsreform, 1932. 17 Dr. Josef Karl Wirth, geb. 6. 9. 1879 Freiburg, gest. 3. 1. 1956 ebd.; Studium der Mathematik und Nationalökonomie; Gymnasiallehrer; 1914-33 MdR (Z); 1918/20 badischer FinMin; 27.3.1920-22.10.1921 RFinMin; 10. 5. 1921-14. 11. 1922 Reichskanzler; 26. 10. 1921-31. 1. 1922 gleichzeitig RAußMin: 13. 4. 1929-29. 3. 1930 RMin f d besetzten Gebiete; 30. 3. 1930-7. 10. 1931 Rinn Min; entschiedener Befürworter der "Erfüllungspolitik"; bekannt sein Ausspruch: "Der Feind steht rechts!" 1933 Emigration Schweiz; 1948 Gründung der Partei "Union der Mitte"; 1953 Mitbegründer und Vors. des Bundes der Deutschen und als solcher Befürwortereiner Verständigung mit der UdSSR. 18 Vgl. die DS vom Jan. 1920 von E. Koch-Weser über Staats- und Verwaltungsreform; BA R 43 I/1872.

I. Grundlagen und Ziele der Reichsreform

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des Landesfinanzamtes Unterweser, Carl19 , als "Reichskommissar für die Vereinfachung und Vereinheitlichung der Reichsverwaltung" aufgestellt20. Nachdem die Vorschläge des "Spardiktators" Carl keine Zustimmung gefunden hatten, trat im April1921 eine "Kommission zur Vereinfachung und Vereinheitlichung der Reichsverwaltung" 21 in Aktion, die wiederum von einem Reichssparkommissar abgelöst wurde22 • Seit dem 23. 11. 1922 bekleidete dieses Amt der Präsident des Rechnungshofes des Deutschen Reiches, Friedrich Saemisch23. Er faßte in einer Denkschrift von 1924 "Über die Vereinfachung und Verbilligung der Verwaltung im Reich und in den Ländern" 2' die Tätigkeit der Verwaltungsabbaukommission zusammen. Saemisch wollte die Reform nicht mehr auf die Reichsverwaltung beschränkt sehen. Denn "eine Sparaktion, die diesen Namen wirklich verdient", darf sich "nicht auf das Reich beschränken und nicht vor den Ländern und Gemeinden, den Versicherungsträgern usw. Halt machen, sondern sich vielmehr auf diese erstrecken und zwar nach einem einheitlichen, im Wege der Verständigung mit den Ländern festzulegenden Plan". Zu einer Realisierung der Vorschläge des Reichssparkommissars ist es in der Weimarer Zeit nicht gekommen. Die Länder waren unterdessen nicht untätig geblieben. Der Reichsrat rief einen "Sonderausschuß für die Vereinfachung der öffentlichen Verwaltung" ins Leben, der sich der gutachtlichen Tätigkeit des Reichssparkommissars bediente. Das Reich sollte sich nicht durch eine etwaige Untätigkeit der Länder zum Eingreifen legitimiert fühlen, wozu es verschiedentlich, z. B. durch den Reparationsagenten Gilbert25, aufgefordert worden ist. 19 Dr. jur. Friedr. Joh. Adolf Cart, geb. 1. 7. 1876 Straßburg; 1917 Geh. RegRat im Reichsschatzamt; 1918/19 Regierungskommissar für den finanziellen Teil der RV in der NV, als solcher bearbeitete er insbes. die Einrichtung und Organisation der Rfinverw; seit 1. 10. 1919 Präs d Landesfinanzamtes Unterweser in Bremen. 2o Rundschreiben des RFinMin Wirth an die Landesregierungen vom 16. 10. 1920; BA, R 43 I/1946. 21 Rundschreiben des RinnMin Koch-Weser an sämtliche Reichsminister vom 23. 4. 1921; BA, R 43 I/1947; Dr. Erich Koch(-Weser), geb. 26. 2. 1875 Bremerhaven, gest. 1944; 1913-19 OB von Kassel; Mitbegründer der DDP; 1919 MdR; 1924 Vors. d. DDP, 1930 Staatspartei; 21. 6. 1919-4.5. 1921 RinnMin; 28. 6. 1928-13.4. 1929 RJusMin; 1933 Emigration Brasilien. In der Selbstverwaltung geschulter, hochbefähigter Verwaltungsfachmann, nüchtern und sachlich, klar und undokrinär im Denken, tatkräftig und entschlossen im Handeln; einer der Hauptbefürworter des Einheitsstaates. 22 K. Bilfinger, Der Reichssparkommissar, 1928; 0. Bilhler, Der Reichssparkommissar, 1928; F. Saemisch, Der Reichssparkommissar und seine Aufgaben, 1930. 23 Dr. Friedr. Ernst Saemisch, geb. 23. 12. 1869; 1930 Kommissar für die Notenausgabe bei der Reichsbank. 24 68 Seiten; BA, R 43 I/1950; B.HStA.II, MA 103255. 25 Seymour Parker Gilbert, geb. 13. 10. 1892 Bloomfield; 1918-20 Beirat des US-Schatzamtes für Kriegsanleihen; 1921-23 USS im US-Schatzamt; 1924

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1. Kap.: Reichsreform

Ministerpräsident Held26 bejahte die Frage der Verwaltungsreform in sachlicher Hinsicht, hielt sie jedoch in verfassungspolitischer Hinsicht für gefährlich, da er zu erkennen glaubte, "daß starke politische. Kräfte vorhanden sind, die von einer Verwaltungsreform nicht so sehr das finanzielle oder wirtschaftliche Ziel ... als vielmehr das politische Ziel der Herbeiführung des Einheitsstaates erhoffen" 27 • Daher schlug er vor, die Zuständigkeit zur Reform der Verwaltung für die Länder und das Reich verfassungsrechtlich klar abzugrenzen (a.a.O.). Das bayerische Staatsministerium des Innern unternahm beachtliche Anstrengungen, eine Vereinfachung der bayerischen Verwaltungsorganisationen zu erreichen. Zu diesem Zwecke wurden eine "Staatsvereinfachungskommission" und eine "Kommission für Verwaltungsvereinfachung" gebildet28.

II. Die Denkschriften der Bayerischen Staatsregierung zur Reichsreform 1. ,.Zur Revision der Weimarer Reichsverfassung. Denkschrift der Bayerischen Staatsregierung" vom Januar 1924

Die Denkschrift der bayerischen Staatsregierung von 1924 kam auf Grund eines Landtagsbeschlusses vom 18. 7. 1923 zustande29 und zeichnete sich in ihren Grundzügen in dem Antrag der BVP im Reichstag Generalagent für Reparationszahlungen nach dem Dawes-Plan in Berlin; bedeutend sein Memorandum an die RReg vom 20. 10.1927. 26 Dr. h. c. Heinrich Held, geb. 6. 6. 1868 Erbach (Nassau), gest. 4. 8. 193S Regensburg; 1899-1914 Chefredakteur des "Regensburger Anzeigenblattes" ; 1907 MdL (Z); 1919-1924 Fraktionsvors. der BVP im bayLT; 1. 7. 1924-10.3. 1933 bayMinPräs; geistig sehr beweglich, ausgleichende Natur, redegewandt ; vgl. J. Held, Heinrich Held- Ein Leben für Bayern, 1958; K. Schwend, Ein Mann des Rechts - in memoriam Heinrich Held, 1958; Th. Vogelsang, In Memoriam Heinrich Held: Südwestdt. Union, Jg. 1948, Nr. 45, S. 11 ff.; H. v. Wannsee, MinPräs Dr. Held: Dt. Handelswarte, 20. Jg. (1932), Nr. 22, S. 449 ff.; E. Schnitzer, Das Ringen der Regierung Held, 1968, S. 18-32; R. Keßler, Heinrich Held als Parlamentarier - eine Teilbiographie 1868-1924. Diss. München 1969. 27 B. Stmin d Äuß Nr. 25243 an die Bay Ges Berlin vom 16. 11. 1927; B.HStA.II, MA 103285. 28 Unter der Leitung von Dr. Theodor v. Winterstein (geb. 21. 12. 1861 Limbach, gest. 12. 12. 1945 München; 1909 MinRat im Kultusministerium; 1918 RegPräs der Rheinpfalz; 1921-27 RegPräs der Oberpfalz). Vorschläge und Tätigkeit der Kommissionen: B.HStA.I, Mlnn 74057-74059 (1926/28; 1929/30; 1930/37); die RReg ließ sich über die bayer. Bemühungen durch den Gesandten Edgar Haniel von Haimhausen (geb. 12. 12. 1870 Ruhrost; seit 1900 im diplomatischen Dienst; 1918/19 Mitglied der Waffenstillstandskommission u. d. Versailler Friedensdelegation; 1920 SS im AA; 1922-31 Vertreter der RReg in München) informieren: BA, R 2/20178 und R 43 I/1873. 29 Vh BayLT 1922/23, Beilage 3610.

II. Bayerische Denkschriften zur Reichsreform

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vom 20. 11. 192330 ab. Der Antrag, den Prälat Leicht31 im Namen der BVP-Fraktion vorbrachte, forderte: 1. eine Revision des Katalogs der reichsrechtlichen Zuständigkeiten im föderalistischen Sinn (Art. 6-11 RV); 2. die grundsätzliche Ausführung der Reichsgesetze durch die Länder sowie die Rückübertragung der Finanz- und Verkehrshoheit an die Länder; 3. die Gleichstellung des Reichsrates mit dem Reichstag; 4. ein entschiedenes Bekenntnis zu Art. 18 RV (Gliederung); 5. das Recht der Länder, den Ausnahmezustand im eigenen Bereich erlassen zu können; 6. das Recht Bayerns auf Ernennung und Abberufung von in Bayern stationierten Offizieren der Reichswehr; 7. die Unterbindung von Eingriffen des Reiches auf Staatsbesitz;

8. die strikte Wahrung der Polizei- und Justizhoheit der Länder; 9. die Unterbindung von Eingriffen des Reiches in Schulangelegenheiten.

Die schweren Konflikte Bayerns mit dem Reich, besonders Ende 1923, ließen eine Klärung der Streitigkeiten als dringend erscheinen. Generalstaatskommissar Gustav von Kahr32 betätigte sich als Scharfmacher. Die bayerische Staatsregierung solle - praktisch ultimativ die Finanz-, Militär-, Verkehrs- und Posthoheit zurückfordern sowie eine Revision der Weimarer Verfassung nach dem Vorbild der Bismarckschen Verfassung, jedoch ohne die Vormachtstellung Preußens, verlangen33 • Ministerpräsident Dr. Eugen von Knilling34 gab die Forao Vh RT 1920/23 Anl Nr. 6330. 31 Johann Leicht, geb. 19. 12. 1868 Bischberg, gest. 1940 Bamberg; Domdekan in Bamberg; 1913-33 MdR (Z dann BVP); 1920-33 Fraktionsvorsitzender d. BVP im RT; SS Pünder nennt ihn "einen der umsichtigsten, ruhigsten und klügsten Mitglieder des RT". (Sehr. an Ges v. Haniel vom 30. 3. 1930; BA, R 43 1/2363, fol. 180). 32 Dr. Gustav von Kahr, geb. 29. 11. 1862 Weißenburg, ermordet 30. 6. 1934 München; 1917 RegPräs von Oberbayern, 1923-24 Generalstaatskommissar in Bayern; 1924-30 Präs d Bay Verwaltungsgerichtshofes; 16. 3. 1920-12.9. 1921 Bay MinPräs; G. Schutz, Zw. Demokratie und Diktatur, 1963, S. 331 nennt ihn einen "im Grunde unpolitischen, im Herzen königstreuen Bürokraten". Betrieb mit Blick auf die vorrevolutionäre Zeit reaktionäre Politik; im Volke, besonders bei den Einwohnerwehren, sehr populär. 33 Sehr. Kahrs an MinPräs Knilling vom 13. 10. 1923 und vom 25. 11. 1923; B.HStA.II, MA 103456 bzw. MA 103255. 34 Dr. Eugen von Knilling, geb. 1. 8. 1865 München, gest. 20. 10. 1927 ebd.; 1912-18 B. StMin d Inn f Kirchen- und Schulangelegenheiten; 1920 MdL (BVP); 8. 11. 1922-30. 6.1924 Bay MinPräs; 1924 Präs d Bay Staatsschuldenverwaltung; gebildeter und maßvoller als Kahr, aber nicht so energisch wie dieser, besaß wenig Einfluß auf die Führung der BVP; farblose Beamtenpersönlichkeit ohne bes. staatsmännische Fähigkeiten.

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1. Kap.: Reichsreform

derungen Kahrs an Reichskanzler Gustav Stresemann35 weiter36, freilich ohne die Drohung Kahrs, daß Bayern nach Ablauf einer bestimmten Frist zur Selbsthilfe schreiten werde37 . Knilling konnte sich nicht dazu entschließen, "den durch die Verfassung vorgezeichneten Weg zu verlassen"38; vielmehr beauftragte er Staatsrat Dr. Hans Schmelzle39 mit der Ausarbeitung einer Denkschrift "zur Revision der Reichsverfassung"10. Schon am 4. Januar 1924 konnte der bayerische Gesandte in Berlin, Dr. Konrad von Preger4t, Reichskanzler Marx42 die bayerische Denkschrift übergeben und erläutern. Marx zeigte sich äußerst entgegenkommend und optimistisch, so daß Preger den Eindruck gewann, der Reichskanzler unterschätze "die Schwierigkeit der in der Denkschrift aufgerollten Probleme ... doch etwas" 43. Die Denkschrift44 gliedert sich in zwei Teile, wobei der erste Teil die Stellung der bayerischen Regierung zur neuen Reichsverfassung im allgemeinen charakterisiert, und der zweite Teil ganz bestimmte Änderungsvorschläge enthält. Die Reichsverfassung von 1919 wird mit jener von 1871 verglichen, um die Notwendigkeit einer Revision der neuen Verfassung im bundesstaatliehen Sinne nach dem Vorbild der alten Reichsverfassung aufzuzeigen. Der Bismarckschen Verfassung 35 Dr. Gustav Stresemann, geb. 10. 5. 1878 Berlin, gest. 3. 10. 1929 ebd., 1902-18 Syndikus der Verbandes sächsischer Industrieller; 1914-23 Präsidialmitglied d. dt.-amerik. Wirtschaftsverbandes; 1907 ff. MdR (Nat.-lib./1918 Mitbegründer der DVP; 1920-23 deren Fraktionsvors.); 13. 8.-23. 11. 1923 Reichskanzler u. Außenminister; 30. 11. 1923-3. 10. 1929 RAußMin; Verständigungspolitik gegenüber Frankreich; schloß 1926 den dt.-russ. Freundschaftsvertrag; setzte die Annahme des Young-Planes durch; vgl. A . Thimme, Gustav Stresemann. Eine politische Biographie zur Gesch. d. Weimarer Republik, 1957. 36 Schreiben vom Nov. 1923; Konzept undatiert; B.HStA.II, MA 103456. 37 Vgl. auch ein Sehr. d. FinMin Krausneck v. 1. 12. 1923 an Knilling, wo Kahrs ultimative Forderung und überhaupt die Bevormundung der StReg durch Kahr sehr scharf abgelehnt wird; B.HStA.II, MA 103255. 38 Sehr. Knillings Nr. 1704 an Kahr v. 4.12.1923; B.HStA.II, MA 103456. 39 Dr. Hans Schmelzle, geb. 1. 10. 1874 Buch, gest. 1955; 1920 MinRat, 1921 Staatsrat im B. Stmin d Äuß; 28. 6. 1927-20.8. 1930 B. StMin d Fin; 1931 Präs d Bay Verwaltungsgerichtshofes; näheres unten! 4o Ministerratssitzung vom 3. 12. 1923; B.HStA.II, MA 103255. Billigung der DS durch den Ministerrat am 28. 12. 1923; B.HStA.II, MA a.a.O. 41 Dr. Konrad von Preger, geb. 23. 7. 1867 München, gest. 27.3.1933 auf See; 1916 Generalstaatsanwalt am bay Verwaltungsgerichtshof; 1919-32 bay Ges. bei der RReg und RR-Bevollmächtigter. Eifriger Verfechter der bayerischen Eigenstaatlichkeitspolitik. 42 Dr. Wilhelm Marx, geb. 15. 1. 1863, gest. 5. 8. 1946; 1899-1920 MdLPreußen (Z), 1910-33 MdR (1921-28 Fraktionsvors); Generaldirektor des Volksvereins für das kath. Deutschland; bis 1923 Senatspräs. beim Kammergericht in Berlin; 30. 11. 1923-15. 12. 1924 und 16. 5. 1926-12. 6. 1928 Reichskanzler; 20. 1.-12. 5. 1926 RMin d Justiz und f. d. besetzten Gebiete; einer der hervorragensten Vertreter des dt. polit. Katholizismus. 43 BayGes Berlin Nr. 7 an das B. Stmin d Äuß vom 4.1. 1924; B.HStA.II, MA 103255. 44 B.HStA.II, MA 103255/56 und MA 103258/59.

li. Bayerische Denkschriften zur Reichsreform

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wird als "im vollen Sinne des Wortes föderalistisch" uneingeschränktes Lob ausgesprochen. "Sie gab dem Reiche, was für das Reich notwendig war und schonte die Eigenstaatlichkeit und das Sonderleben der Bundesstaaten, soweit es mit Rücksicht auf die Belange des Reiches nur immer möglich war" (S. 1). Unter dieser Verfassung habe das Deutsche Reich seine größte Machtfülle erreicht und die schwere Probe im Weltkrieg bestanden. Demgegenüber sei die Verfassung vom 11. August 1919 von unitarischem Geist durchdrungen. "In die Eigenstaatlichkeit der Bundesglieder sind so erhebliche Eingriffe erfolgt, . .. daß bei ihnen von wirklichen Staaten kaum noch gesprochen werden kann" (S. 1). Selbst die wenigen Zuständigkeiten, die den Ländern geblieben seien, würden durch das Gesetzgebungs- und Verordnungsrecht des Reiches sowie durch die finanzielle Abhängigkeit vom Reich untergraben. Durch eine unitarische Ausgestaltung der Reichsverfassung glaubten ihre Väter, am besten "das Reich in Freiheit und Gerechtigkeit zu erneuern und zu festigen, dem inneren und äußeren Frieden zu dienen und den gesellschaftlichen Fortschritt zu fördern. Das gerade Gegenteil ist eingetreten" (S.1). Somit habe die Weimarer Verfassung "den untrüglichen Beweis geliefert, daß dieses Verfassungswerk sein Ziel verfehlt hat". Da nun das Gestaltungsprinzip des Unitarismus versagt habe, müsse auf den bewährten Föderalismus zurückgegriffen werden. Nur von den Einzelstaaten her könne das Reich gesunden und als Einheit gestärkt werden (S. 2). Wie schon 1919 (siehe unten!) knüpft die bayerische Regierung a•. die 1870 in Versailles geschlossenen Bündnisverträge an (Bayern am 23. 11. 1870), um die Kontinuität und das Gewicht der Einzelstaaten zu untermauern: pacta servanda sunt! Die Revolution habe sich nur gegen das politische Regime gewandt, "sie hat aber am Reiche und an den Einzelstaaten als Staats- und Völkerrechtssubjekten und an ihrem gegenseitigen vertragsmäßigem Verhältnisse nichts geändert". Wenn die Nationalversammlung anders gehandelt habe, so "im Widerspruch mit den Verträgen, auf denen das Reich, wenn nicht rechtlich, so doch politisch, basierte und unter Ausnützung der politischen Ohnmacht, in der sich namentlich Bayern damals befand" (S. 2). Die notwendigen Änderungen der Reichsverfassung müßten also in folgende Richtung zielen: "1. Die Zuständigkeiten zwischen Reich und Einzelstaaten müssen neu abgegrenzt werden. Alles, was nicht unbedingt gemeinsame Angelegenheit sein muß, ist den Einzelstaaten zurückzugeben. Ihre staatliche Selbständigkeit ist in vollem Umfange wieder herzustellen, soweit sie darauf Gewicht legen. 2. Der Einfluß der Einzelstaaten auf die Führung der gemeinsamen Angelegenheiten muß verstärkt werden. Es muß ihnen das Recht

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1. Kap.: Reichsreform

verstärkter Anteilnahme an der Willensbildung des Reiches eingeräumt werden" (S. 4). Das bedeute: Revision der Art. 6-12 RV (Zuständigkeiten des Reiches) in Anlehnung an den Art. 4 aRV; Änderungen im Reich-LänderVerhältnis zugunsten des Reiches sollten erschwerten verfassungsändernden Bestimmungen unterworfen werden; Beseitigung des Aufsichtsrechts des Reiches nach Art. 15 Abs. 1 RV; Ausführung der Reichsgesetze grundsätzlich durch Landesbehörden; Garantie der Verfassungsautonomie der Länder (Beseitigung der Art. 17, 36 ff. und 127 RV); Änderung des Art. 48 RV, um Eingriffe in die Eigenstaatlichkeit der Länder zu verhindern; jegliche Einflußnahme des Reiches in Fragen der Kultur müsse unterbleiben, denn hier gehe es "um die Seele des Volkes selbst", und "das bayerische Volk will Herr seiner eigenen Seele und Herr der Seele seines Staates bleiben" (S. 7) ; ebenso Ablehnung der Reichsfonds; verstärkten Einfluß auf die in Bayern stationierten Truppen; Rückgabe der Eisenbahnen, als eines "notwendigen Attributs der Staatlichkeit" (S. 9); verfassungsrechtliche Aufwertung des Reichsrats zu der Stellung des früheren Bundesrates. "Dies ist das Kernproblem der ganzen Verfassungsänderung" (S. 10); Wiederherstellung der vollen Finanzhoheit der Länder. Die Kritik am Finanzsystem der Weimarer Republik nimmt einen breiten Raum in der Denkschrift von 1924 ein. Es wird ihm Unübersichtlichkeit und völliges Versagen vorgeworfen; Art. 8 RV habe die alleinige Steuerhoheit des Reiches begründet, ohne daß die beigefügte Schutzvorschrift verhindern konnte, daß die Länder "zu reinen Kostgängern des Reiches herabgedrückt" worden seien. "Die Reform kann nur in einer Abkehr von der Erzbergersehen Zentralisation bestehen, die völlig Schiffbruch erlitten hat", und in der Wiederherstellung der Finanzhoheit der Bundesstaaten45, wie sie Reichskanzler Stresemann am 6. Okt. 1923 im Reichstag angedeutet habe46 • Eine reinliche Schei45 Die DS spricht nur von den "Bundesstaaten" und möchte diese Bezeichnung in der Verfassung verankert sehen. 46 Stresemann bemängelte bei dieser Gelegenheit, daß das Reich für Ausgaben der Länder und Kommunen aufzukommen habe, ohne eine Kontrolle über deren Verwendung zu besitzen. "Nach Auffassung des Kabinetts kann wirkliche Abhilfe nur geschaffen werden durch eine grundlegende Änderung des Verhältnisses zwischen Reich, Ländern und Kommunen. Das setzt voraus, daß die Länder wieder die volle Verantwortung für die eigenen Ausgaben allein übernehmen. Dazu bedürfen sie der Verfügung über eigene Einnahmequellen. Den Ländern müssen eigene Steuerquellen erschlossen werden, deren Ausschöpfung sie in den Stand setzen wird, ihre Aufgaben zu erfüllen; das Reich wird sich dann wieder auf die Bearbeitung seiner eigentlichen

II. Bayerische Denkschriften zur Reichsreform

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dung zwischen der Finanzwirtschaft des Reiches und jener der Länder und Gemeinden sei das Ziel der bayerischen Politik. Zu diesem Zwecke müßten die direkten Steuern und die gesamte Finanzverwaltung den Ländern allgemein sowie die Biersteuer als Sonderrecht an Bayern im besonderen zurückgegeben werden. Gleichzeitig sei der Aufgabenkreis des Reiches und der Länder neu zu regeln und verfassungsmäßig zu begrenzen. Die Forderungen Bayerns im Bereiche des Finanzwesens wurden von der Mehrzahl der Länder unterstützt47 • Nach den Auseinandersetzungen in den Jahren 1922/23 begann mit dieser Denkschrift eine neue politische, mit verfassungsrechtlichen Mitteln vorgetragene Offensive der bayerischen Regierung gegen das Reich und die Weimarer Verfassung. Dieser Wandel wurde der breiten Öffentlichkeit nicht sofort bewußt. Jedenfalls rief die Denkschrift in der (außerbayerischen) Presse zunächst kein großes Echo hervor, teils weil die bayerischen Forderungen bereits bekannt waren, teils weil die Ereignisse vom Herbst 1923 (Hitlerputsch usw.) Argwohn und Skepsis gegenüber Bayern zur Folge hatten. Im Reichskabinett trafen die bayerischen Vorschläge auf offene Ohren•s. Reichsfinanzminister Dr. Hans Luther49 und ReichssparkommisStaatsaufgaben beschränken können" (zit. nach DS 1924, S. 6). Auf diese Äußerung Stresemanns beruft sich die bayerische Staatsregierung immer wieder. 47 Vgl. das Gutachten des B. Stmin d Fin an das B. Stmin d Äuß vom 6.12. 1923; B.HStA.II, MA 103255; vgl. auch die DS des Präs d Bad. LT, Baumgartner: "Das Reich und die Länder. DS über den Ausgleich der Zuständigkeiten zwischen dem Reich und seinen Ländern in Gesetzgebung und Verwaltung. Karlsruhe 1923; im November dem bad. LT vorgelegt; auch im B.HStA.II, MA 103255; Baumgartner plädiert ebenfalls dafür, daß den Ländern die direkten Steuern und die Finanzverwaltung zurückgegeben werde

(S. 19).

Dr. jur. et. phil. Eugen Baumgartner, geb. 21.8.1879 Freiburg; 1903-19 im höheren Schuldienst, 1919 MinRat; 1920 MdL-Baden (1923-30 dessen Präs); 1930 Präs d bad. Rechnungshofes; 1931-33 bad. Min f U+K; Vorkämpfer eines gemäßigten Föderalismus. Die preuß. Regierung unterstützte die bayerische DS in wesentlichen Punkten. ,.Den Ausstellungen, die in der DS (sc. Bayerns) gegen die Vernichtung der Steuerhoheit der Einzelstaaten und die Schaffung einer ausschließlichen Steuersouveränität des Reiches erhoben werden, kann sich m. E. (sc. MinPräs Braun) Preußen nur vollinhaltlich anschließen." Die entspr. bayer. Forderungen seien ,.durchaus erwägenswert" (Sehr. d. Preuß. MinPräs an die Preuß. StMin vom 16. 2.1924, Nr. I 1223; Abschrift; B.HStA.II, MA 103257). 48 Auszug aus dem Protokoll des Reichsministeriums vom 17. 1. 1924; BA, R 43 1/2332, fol. 82 ff. 49 Dr. Hans Luther, geb. 10. 3. 1879 Berlin; gest. 11. 5. 1962 Düsseldorf; Jurastudium; 1907-13 Stadtrat in Magdeburg; 1913-18 Geschäftsführer des Preuß. und Deutschen Städtetages; 1918-22 OB von Essen; 1.12.1922-4.10. 1923 Reichsernährungsminister; 6.10. 1923-15. 12. 1924 RFinMin; 15. 1.1925 bis 12. 5. 1926 Reichskanzler; parteilos, seit 1927 DVP; 1926-28 im Verwaltungsrat der Dt, Reichsbahngesellschaft; 1928 Gründer des ,.Bundes z. Erneuerung des Reiches"; 1930-33 RBankPräs; 1933-37 Botschafter in Wa3 Menges

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1. Kap.: Reichsreform

sar Saermsch fühlten sich genötigt, die Reichsfinanzverwaltung vor dem Kabinett zu verteidigen, wenn sie auch eine übertriebene Zentralisation zugaben. Luther trat jedoch dafür ein, den Ländern im Reichsrat das Mitbestimmungsrecht einzuräumen und die Vormachtstellung Preußens unter Anerkennung bayerischer Reservatrechte wiederherzustellen. Hierin wurde er von Reichswehrminister Geßle:r5° unterstützt. Die deutschen Staatsrechtslehrer befaßten sich im April 1924 auf ihrer Tagung unter dem Leitthema "Föderalismus" auch mit der bayerischen Denkschrift vom Januar 192451 • Sie lehnten eine "Totalrevision der Weimarer Verfassung" im Sinne der bayerischen Forderungen ab, sprachen sich aber für eine "stärkere Schonung der eigenen Zuständigkeit des Einzelstaates" sowie für ein erweitertes Mitbestimmungsrecht gegenüber dem Reich auss2. Die wohlwollende Aufnahme der bayerischen Denkschrift bei der Reichsregierung hielt nicht lange an. Der Umschwung begann nicht erst nach den Mai-Wahlen, sondern seitdem sich die Ministerialreferenten durch sorgfältige Materialsammlungen zur Widerlegung der bayerischen Denkschrift angeschickt hatten53• Die Reichsregierung antshington; 1952 Prof. f. Neuere Geschichte an der Hochschule f. Polit. Wiss., München; 1953/54 Vors. eines Sachverständigenausschusses zur Neugliederung der westdt. Länder; 1958 Bundesvors. des "Vereins für das Deutschtum im Ausland". Vgl. H . Luther, Politiker ohne Partei. Erinnerungen, 1960; ders., Vor dem Abgrund 1930-1933. Reichsbankpräs. in Krisenzeiten, 1964; K.-B. Netzband und H. P. Widmaier, Währungs- und Finanzpolitik in der Ara Luther, 1964. 50 Dr. Otto Geßler, geb. 6. 2. 1875 Ludwigsburg, gest. 24. 3. 1955 Lindenberg; DDP, seit dem 3. 12.. 1926 parteilos; 1911 OB Regensburg, 1914-19 OB Nürnberg; 1920-24 MdR; 25. 10. 1919-26. 3. 1920 RMin f Wiederaufbau; 27. 3. 1920 bis 19. 1.1928 RWehrMin; 1930 ff. Vorsitzender des "Bundes zur Erneuerung des Reiches" ; 1931 Vorsitzender des Vereins "Deutschtum im Ausland"; 1950 bis 1952 Präs d Dt. Roten Kreuzes. 51 Die DS wurde als RR-Drucks. Nr. 5 (Tagung 1924) unter dem 8. Januar 1924 veröffentlicht, am 5. 1. 1924 bereits in der BStZ; vgl. auch den Leitartikel in der Pariser "Temps" vom 9. 1. 1924 "Les Revendications de la Baviere"; H. Nawiasky, Föderalistische Ausgestaltung der RV: Allg. Ztg. Nr. 5 und 8 vom 6. und 9. 1.. 1924; H. Dietrich, Die bay DS: Dt. Allg. Ztg. Nr. 23/24 vom 16. 1. 1924; 0. Landsberg, Die bay DS und der dt. Einheitsstaat: Die Gesellschaft, 1. Jg. (1924), Nr. 7, S. 9 ff.; H. Preuß, Die bayer. Reaktion: Neues Wiener Tagblatt Nr.13 vom 13.1.1924; H. Tri epel, Der Föderalismus und die Revision der Weimarer Verfassung, 1924; E. Zaske, Der föderative Gedanke in der Weimarer RV, 1925. 52 Veröffentlichungen der Vereinigung der dt. Staatsrechtslehrer, H. 1: Der dt. Föderalismus/Die Diktatur des RPräs, 1924, S. 33 und 58 ff. 53 Der RMin d Inn an sämtliche Reichsministerien Nr. I 259 vom 12. 1. 1924 mit der Bitte um Stellungnahme zur bay DS; BA, R 43 I/2332. Am 18. 1. 1924 legte der RinnMin dem RK bereits einen Entwurf einer Gegendenkschrift vor, Nr. I 411; BA, ebd.; die Bemerkungen zum Finanzwesen: Der RMin d Fin Dr. Luther an den RK und sämtl. RMin, Nr. III B 1545/I C 1282/I B 1451; 40 Seiten; BA, ebd.; letzter Entwurf "Zur Revision der Weimarer RV. Memorandum zur DS der bay StReg" : Der RMin d Inn an den SS in d. Rk Nr. I

II. Bayerische Denkschriften zur Reichsreform

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wortete der bayerischen Regierung nach wenigen Monaten mit einer 52 Seiten umfassenden Schrift (die bayerische Denkschrift war 10 Seiten stark): "Zur Revision der Weimarer Reichsverfassung. Memorandum zur Denkschrift der bayerischen Staatsregierung" 54, die auf Grund der Stellungnahmen der einzelnen Reichsressorts von Arnold Brecht55 verfaßt worden war5&. Das Memorandum der Reichsregierung registriert mit Genugtuung das unverbrüchliche Festhalten Bayerns am Reich, gibt jedoch zu bedenken, daß die Vorschläge Bayerns nicht die gewünschte Rückkehr zum Bismarckschen Staat bedeuteten, da sie dessen Angelpunkt, die Hegemonie Preußens, außer acht ließen (S. 2). Zur Frage einer Neuordnung des Finanzwesens bemerkt die Reichsregierung, daß der Finanzausgleich zwischen Reich und Bundesstaaten im Bismarckschen Reich keineswegs befriedigend gewesen sei. "Das Reich wurde Kostgänger der Bundesstaaten" (S. 27). Es wird aber nicht vergessen, auf die finanzpolitische Entwicklung in der Monarchie aufmerksam zu machen, die bewiesen habe, "daß auch ohne den Krieg der Weg ziemlich sicher zu den direkten Reichssteuern geführt hätte" (S. 28). Die finanziellen Verpflichtungen des Reiches nach dem verlorenen Krieg hätten die grundlegende Änderung und Zusammenfassung sowohl der materiellen Finanzgesetzgebung als auch der Steuerverwaltung nötig gemacht (S. 28). Die Verschlechterung der Finanzlage in Reich, Ländern und Gemeinden stelle keinesfalls eine Folge der Erzbergersehen Finanzreform dar, die sich noch kaum "unter normalen Verhältnissen" auswirken konnte. Vielmehr trügen die Länder und Gemeinden insofern Schuld an ihrer schlechten Finanzlage, als sie die ihnen überlassenen Steuerquellen nicht ausgebaut hätten (S. 30). An eine Rückgabe der Finanzgesetzgebung und Finanzverwaltung an die Länder sei ebensowenig zu denken wie an eine Rückgabe der Vermögens- und Einkommensteuern. Den Ländern könne allenfalls ein erhöhter Einfluß auf die Steuergesetzgebung eingeräumt werden. Zur bayerischen Forderung nach Wiederherstellung des Biersteuerreservates bemerkt das Memorandum der Reichsregierung, der Eintritt Bayerns in die Biersteuergemeinschaft sei freiwillig erfolgt, und die Abfindungssummen seien äußerst großzügig berechnet; ansonsten brächte eine Rückgabe des Biersteuerreservates so viele 2655 vom 16. 4. 1924 mit der Bitte um Besprechung im Kabinett; BA, R 43 1/2332. 54 B.HStA.II, MA 103257/58; ebenso wie die bay DS 1924 abgedruckt in: VA der LK. Beratungsunterlagen 1928, Berlin 1929, S. 7 ff.; die Auseinandersetzung der bay StReg mit dem Memorandum: B.HStA.II, MA 103255/56 und MA 103258. 55 Arnold Brecht, geb. 1884 Lübeck; seit 1921 MinDir im Rmin d Inn; 1927-33 preuß. Bevollmächtigter beim RR; vertrat Preußen im VA der LK 1928/30; 1933 Emigration USA, dort Prof. f. Politische Wissensch. s& Vgl. A. Brecht, Aus nächster Nähe. Lebenserinnerungen 1884-1927, Stuttgart 1966, S. 412. 3.

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1. Kap.: Reichsreform

Schwierigkeiten mit sich, so daß Bayern seine diesbezügliche Forderung zurückziehen solle (S. 48 ff.). Staatsrat Dr. Schmelzle gab zu, daß selbst in föderalistisch eingestellten Kreisen Skepsis gegenüber der Forderung einer Rückkehr zur Bismarckschen Verfassung herrsche. Doch Bayerns Postulate bedeuteten lediglich eine Rückkehr "zu der geistig-politischen Grundeinstellung, mit der Bismarck an die Regelung des Verhältnisses zwischen Reich und Bundesstaaten heranging, sie bedeutet dagegen nicht ohne weiteres und in allem die Rückkehr zu der praktischen Ausgestaltung, die der Bismarcksche Föderalismus in der Verfassung von 1871 gefunden hat" 57• Der Verfasser der bayerischen Denkschrift von 1924 sah sich also angesichts des mit größter Akribie zusammengestellten Memorandums der Reichsregierung gezwungen, die schlagwortartig formulierten Vorstellungen der bayerischen Regierung zu interpretieren und zu präzisieren. Unterdessen sammelten die bayerischen Ministerien die "Zugeständnisse des Memorandums der Reichsregierung auf die bayerische Denkschrift" 68 : Die Auslese war äußerst dürftig, auf dem Gebiet des Finanzwesens gleich Null. 2. "Denksdlrift der Bayerischen Staatsregierung über die fortlaufende Aushöhlung der Eigenstaatlidlkeit der Länder unter der Weimarer Verfassung" von 1926

Die große Denkschrift der bayerischen Regierung aus dem Jahre 1926 knüpfte an ihre Vorgängetin aus dem Jahre 1924 an und verfolgte den Zweck, "im Verlauf der im April 1925 beim Besuch des Herrn Reichskanzlers in München gepflogenen Verhandlungen eine neuerliche Aussprache mit dem Herrn Reichskanzler und den Herrn Reichsministern des Innern und der Finanzen über die das Verhältnis Bayerns zum Reich berührenden wichtigsten Fragen herbeizuführen. In Betracht kommen ebenso die allgemeinen programmatischen Forderungen hinsichtlich des Ausbaues der Weimarer Verfassung" 59• Ministerpräsident Dr. Held hatte im September 1925 Staatsrat Dr. SchmeWe mit der Ausarbeitung der Denkschrift beauftragt, der diese Aufgabe nach einigen Vorarbeiten an Oberregierungsrat Karl Sommer60 weitergab. Inzwischen war das Reichskabinett Luther gescheitert61, und die BVP überlegte, ob sie sich nochmals an der Regierungskoalition beMNN vom 29. 12. 1923. ss B.HStA.II, MA 103257. 59 Staatsrat Dr. Schmelzle an sämtliche Staatsministerien Nr. 22711 vom 16. 9. 1925; mit der Bitte um Vorschläge für die DS; B.HStA.II, MA 103284. &o Im B.Stmin d Äuß, 1926 MinRat; einer der besten Kenner von Fragen des Reich-Länder-Verhältnisses im B. Stmin d Äuß; vgl. seine diesbezüglichen Veröffentlichungen in der Bibliographie! &1 Kabinett Luther I vom 15. 1.-5. 12. 1925. 57

li. Bayerische Denkschriften zur Reichsreform

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teiligen sollte. Karl Stingl6Z hatte die BVP bisher im Reichskabinett vertreten63• Ministerpräsident Held forderte daher den Fraktionsvorsitzenden der BVP im Reichstag, Prälat Leicht, auf, die Schlüsselposition der BVP bei Koalitionsverhandlungen auszunützen und den Eintritt der BVP in eine neue Koalition davon abhängig zu machen, daß ein Art. 76 a in die Reichsverfassung eingefügt werde, der die bundesstaatliche Verfassung des Reiches garantiert64 • Finanzminister Wilhelm Krausneck65 ließ der Reichstagsfraktion ebenfalls ,.Mindestforderungen" zugehen: 1. Klare verfassungsmäßige Abgrenzung der Aufgaben und im Zusammenhang damit der finanziellen Mittel von Reich, Ländern und Gemeinden; 2. Rückgabe der Einkommen- und Körperschaftssteuer, mindestens aber zunächst das Recht, Zuschläge zu diesen Steuern zu erheben, wobei der Anteil des Reichs an diesen Steuern wieder auf 10 Ofo zu beschränken ist; 3. Erhöhung der Biersteuerentschädigung; 4. solange eine Rückgabe der Finanzverwaltung nicht erreichbar erscheint, soll wenigstens die ordnungsmäßige Besorgung der Länderfinanzen durch die Reichsbehörden gesichert werden66, Reichskanzler Luther konnte gegenüber diesen weitreichenden Forderungen keine bindenden Zusagen machen. Die BVP hielt es dennoch für opportun, einer Koalition unter Luther beizutreten, da ihr die Zusammensetzung des Kabinetts aus Persönlichkeiten der DDP, des Zentrums, der DVP und BVP vor möglichen anderen Konstellationen die Gewähr zur Berücksichtigung der bayerischen Vorstellungen zu geben schien. Am Tage, als die neue Reichsregierung in Funktion trat, am 20. 1. 1926, beriet das bayerische Kabinett abschließend über die fertig erstellte Denkschrift67 • Oberregierungsrat Sommer gab seiner Skepsis über den Erfolg des neuen bayerischen Vorstoßes Ausdruck. Die vorliegende Denkschrift sei im Gegensatz zu jener von 1924 defensiven Charakters; sie fordere eine gründlichere verfassungsrechtliche Sicherung der Länderrechte, um deren Untergrabung zu unterbinden. Finanzminister Krausneck versprach sich ebenfalls für die nächste Zeit keinen praktischen Erfolg, wenn er auch nicht den Pessimismus des Sozialministers 62 Karl Stingl, geb. 29. 7. 1864 Mitterteich, gest. 9. 11. 1936 München; Verwaltungsbeamter im höheren Postdienst; 22. 11. 1922-12.8. 1923 und 15.1. 1925-17. 12. 1926 RPostMin. sa Er gehörte auch dem Kabinett Luther li vom 20. 1. -12. 5. 1926 an. 64 Held an Leicht Nr. 3595 vom 23. 11.1925; B.HStA.II, MA 103284; die vorgeschlagene Fassung von Art. 76 a wird in der DS 1926, S. 25 f. wiederholt. 65 Wilhelm Krausneck, geb. 5. 10. 1875 Bayreuth, gest. 12. 6. 1927 Mchn.: 1920 Dirigent der Präsidialabt. d. Landesfinanzamtes München; 1920 Staatsrat im B. Stmin d Fin; 16. 7. 1920-12. 6. 1927 B. StMin d Fin; näheres siehe unten! 66 B. Stmin d Fin an MinPräs Held Nr. 56979 v. 12.12.1925; Obersendung an Prälat Leicht mit Befürwortung: Nr. 29943, 30110 v. 15. 12. 1925; beide Abschriften: B.HStA.II, MA 103284. &7 Ministerratsprotokoll v. 20. 1. 1926; BHStA.II, MA 99520 u. 103284.

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1. Kap.:

Reichsreform

Heinrich Oswald68 teilte. Diese gedämpfte Stimmung im bayerischen Kabinett bildete eine schlechte Ausgangsbasis für die Denkschrift, die Ritter von Preger am 26. Januar 1926 Reichskanzler Luther überreichte und erläuterte69. Die 26seitige Denkschrift1° geht nicht mehr auf so viele Einzelpunkte ein wie ihre Vorgängerin aus dem Jahre 1924, sondern beschränkt sich auf die Erörterung von grundsätzlichen Fragen, dies jedoch nach dem Vorbild des Memorandums der Reichsregierung von 1924 in sehr subtiler und fundierter Weise. Die Denkschrift begrüßt die seit 1924 in Gang gekommene Diskussion über die Reichsreform und stellt fest, daß der hauptsächlichste Einwand gegen eine Inangriffnahme der Verfassungsfrage, die frühere prekäre außen- und innenpolitische Lage Deutschlands, jetzt fortgefallen sei. Einer Klärung dieser Frage stünde demnach nichts mehr im Wege; sie werde sogarangesichtsder zunehmenden Aushöhlung der Länderstaatlichkeit dringend notwendig, wenn schwerste Konflikte vermieden werden sollten. Ausgangspunkt müsse die Anerkennung der Eigenart jedes deutschen Landes sein sowie die Folgerung hieraus, daß "Eigenleben nur möglich ist, wenn die Eigenstaatlichkeit auf eine feste verfassungsmäßige Grundlage gestellt ist" (S. 4). Versuche, "die Weimarer Verfassung nicht als das festgefügte Fundament der staatlichen Ordnung im Reich, sondern geradezu als Instrument zur Beseitigung der Einzelstaaten und zur Herbeiführung des Einheitsstaates" zu benützen, müßten unmöglich gemacht werden (S. 5). Als Beispiel wird die Denkschrift des ehemaligen Reichsinnenministers Koch-Weser aus dem Jahre 1920 angeführt, der ganz unverblümt die Entstaatlichung der Länder durch ein System der inneren Aushöhlung der Länder vorschlug, indem das Reich immer mehr Zuständigkeiten an sich zieht. Demgegenüber fordert die bayerische Regierung: "Nicht Verfassungskampf, sondern Verfassungsfriede muß aber das Ziel aller sein, denen das Wohl des Reichesam Herzen liegt" (S. 5). Die Reichsverfassung dürfe ss Heinrich Oswald, geb. 8. 5. 1866 Lalling, gest. 1939 München; Schäffler u. Landwirt; 1903 christl. Arbeitersekr. in Aschaffenburg; 1905 ff. MdL (Z/dann BVP); 1907-12 Vors. d. Verbandes d. Staats-,Gemeinde-Hilfs- u. Transportarbeiter; 1912 Zentralrechtsschutzbeamter b. d. Zentralstelle d. süddt. kath. Arbeitervereine in München; 16. 3. 1920-24.7. 1930 B.StMin f Soziale Fürsorge; 24. 7. 1928-24.7. 1930 SS f Arbeit. 69 Rk Nr. 916 vom 26. 1. 1926; BA, R 43 I/2332; Instruktion Helds Nr. 1892 vom 23. 1. 1926, Konzept; B.HStA.II, MA 103284 und 103256; Preger sollte die DS nach Abgabe der Regierungserklärung Luthers im RT übergeben und um eine Aussprache Luthers, des RFinMin und RinnMin mit MinPräs Held in München ersuchen; vgl. Sehr. der Bay Ges Berlin an SS Kempner Nr. 403 vom 27. 1. 1926; BA, R 43 I/2332 fol. 209. 70 B.HStA.II, MA 103253 und 103260; B.HStA.I, Minn 74109; BA, R 43 I/2332; vgl. auch die Bestände des B.HStA.II, MA 103284/88 "Aushöhlung der Eigenstaatlichkeit der Länder unter der Weimarer RV", 1925/32; die DS 1926 ist abgedruckt in den Beratungsunterlagen zur LK 1928, S. 362-385.

Il. Bayerische Denkschriften zur Reichsreform

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kein elastisches Instrument zur Entstaatlichung der Länder sein, sondern müsse deren Eigenstaatlichkeit schützen. Dazu bilde die genaue Zuständigkeitsabgrenzung die Voraussetzung. Wie in der Denkschrift von 1924, aber nicht so kategorisch, wird auf den Gebieten der Gesetzgebung und Verwaltung eine Selbstbeschränkung des Reichs verlangt. Zu den weittragendsten Eingriffen in die Verwaltungshoheit der Länder zählt die Denkschrift die sog. "Fondsverwaltungen" des Reiches (S. 12 ff.): Im Reichshaushalt werden Mittel für Aufgaben eingestellt, deren Erfüllung verfassungsmäßig nicht dem Reiche, sondern ausschließlich den Ländern zusteht, wobei die Verteilung der Mittel unter Ausschaltung der Länder direkt an Reichsspitzenverbände auf dem Gebiete der Wohlfahrtspflege, Kultur usw. vorgenommen wird. Die Klagen über die Finanzverfassung nehmen einen breiten Raum ein (S. 15-19). Das Finanzausgleichsgesetz vom 10. August 1925 (RGBL, S. 254) wird gänzlich abgelehnt, da es die Verantwortlichkeit der Länder bei der Finanzgebarung unterdrücke und durch die niederen Länderund Gemeindeanteile eine geordnete Aufgabenerledigung verhindere. Die bayerische Staatsregierung schlägt vor, an eine behutsame Verfassungsreform heranzutreten unter dem Leitgedanken: "Verfassungsfriede statt Verfassungskampf, Umwandlung der labilen Grundlage der Weimarer Verfassung in eine stabile, klare Ordnung in der Verteilung der Zuständigkeiten und Aufgaben zwischen Reich und Ländern in Gesetzgebung und Verwaltung" (S. 24). Um dieses Ziel zu erreichen, sei folgender Weg zu beschreiten: 1. Eine "Nachprüfung der Zuständigkeitsverteilung" in den Art 6-11 RV (S. 24). 2. Die Streichung der Bestimmungen über Bedürfnis- und Grundsatzgesetzgebung und die Überweisung der mehr für die landesrechtliche Regelung geeigneten Angelegenheiten der Gesetzgebung in Art. 7 RV an die Landesgesetzgebung. 3. "Schaffung einer klaren verfassungsrechtlichen Grundlage für einen auf Trennung der Steuerquellen beruhenden Finanzausgleich" (S. 24). 4. Streichung des Nebensatzes in Art.14 RV71 • Um die Länderrechte in der Reichsverfassung ausreichend vor einer Vergewaltigung zu schützen, solle dem Art. 76 ein Art. 76 a etwa in folgender Fassung angefügt werden: "Änderungen oder Ergänzungen der Verfassung, welche unmittelbar oder mittelbar eine Einschränkung der den Ländern nach dieser Verfassung zustehenden Rechte in sich schließen, können, gleichviel ob dabei der Wortlaut der Verfassung 11 Art. 14 RV: "Die Reichsgesetze werden durch die Landesbehörden ausgeführt, soweit nicht die Reichsgesetze etwas anderes bestimmen."

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1. Kap.: Reichsreform

selbst geändert oder ergänzt wird oder nicht, nur im Wege der Gesetzgebung erfolgen. Solche Gesetze bedürfen in allen Fällen der Zustimmung des Reichsrats. Sie gelten als abgelehnt, wenn im Reichsrat sich mehr als ein Viertel der gesetzlichen Stimmenzahl dagegen ausspricht. Gesetze, die eine Aufhebung des bundesstaatliehen Charakters der Verfassung oder der Eigenschaft der Länder als Staaten zum Gegenstand haben, sind nur mit Zustimmung der gesetzgebenden Faktoren aller Länder zulässig" (S. 25 f.). Wenn die Denkschrüt von 1926 auch auf die Forderungen ihrer Vorgängerin aus dem Jahre 1924 nicht verzichtete, so hielten sich ihre Postulate nunmehr im Rahmen des Realisierbaren. Gemäß einer Empfehlung des bayerischen Finanzministeriums wurde die Rückgabe der Finanzverwaltung nicht mehr gefordert72 • Die Denkschrift begnügte sich mit der Drohung, eine eigene Finanzverwaltung aufbauen zu wollen, falls die Reichsbehörden die Finanzgeschäfte des Landes nicht sorgfältiger oder nicht mehr unentgeltlich besorgten. Ebenso wich die kompromißlose Beanspruchung der direkten Steuern einer flexibleren Haltung der kleinen Schritte auf das große Ziel umfassenderer Finanzhoheit hin. Man hatte ja die Erfahrung gemacht, daß sich die Reichsregierung von den schmetternden Tönen der Denkschrift von 1924 nicht beeindrucken ließ, daß sie vielmehr den Ländern und Gemeinden im folgenden Jahr den wohl ungünstigsten Finanzausgleich der ganzen Weimarer Zeit bescherte. Seit 1926 schlüpfte die bayerische Staatsregierung allmählich in die Rolle der Verteidigerio der Weimarer Verfassung, d. h. ihrer pünktlichen Beachtung. Die Reichsverfassung galt nun, nachdem man erkannt hatte, daß durch eine Verfassungsrevision eher die unitarischen Kräfte zum Zuge gelangten, in Betonung ihrer bundesstaatliehen Komponente als Garantin des innenpolitischen Friedens und als Retterin des Reiches aus dem Chaos des Weltkrieges73• Die bayerischen Gravamina, die in der Denkschrift von 1926 ruhiger und sachlicher dargestellt wurden als in jener vor zwei Jahren, zeitigten kaum publizistische oder politische Effekte. Die Reichsregierung zeigte sich viel unbeeindruckter als im Jahre 1924. Das Reichsministerium des Innern gelangte nach eingehender Prüfung zu der Überzeugung, daß in der Denkschrift nicht nur Probleme berührt wurden, die allein das Verhältnis Bayerns zum Reich, sondern die staatsrechtlichen Beziehungen zwischen Reich und Ländern schlechthin berührten. Die bayerischen 72

B. Stmin d Fin an das B. Stmin d Äuß am 16. 9. 1925; B.HStA.II, MA

103284.

73 "Entwurf eines mündlichen Berichts", o. J. (während der LK); B.HStA.II, MA 103378.

li. Bayerische Denkschriften zur Reichsreform

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Vorschläge sollten also mit dem zuständigen Reichsratsausschuß und nicht etwa allein mit der bayerischen Regierung erörtert werden74. Die Denkschrift wurde also dem 8. Ausschuß des Reichsrats zur Beratung übergeben75 • Die Reichsregierung hatte sich somit der Verantwortung entzogen, direkt mit der bayerischen Regierung die anstehenden Streitfragen zu erörtern; sie hielt sogar eine gesonderte Beantwortung der Denkschrift für überflüssig76. Reichsfinanzminister Reinhold77 bemerkte in einem 15seitigen Gutachten, die Denkschrift von 1926 bringe nichts Neues und sei abzulehnen78. Reichswirtschaftsminister Curtius79 meinte: "Auch ohne den Krieg und die Weimarer Verfassung hätte sich die Zuständigkeit des Reichs auf immer weiteren Gebieten durchgesetzt80." Der württembergische Staatspräsident Bazille81 erklärte vor dem württ. Landtag, er halte die grundsätzliche Auffassung der DP.nkschrift für staatsmännisch richtig und trete ihr insofern bei82. Einschränkend bemerkte er jedoch: "Das württemberische Volk sieht diese Dinge bekanntlich etwas anders als das bayerische83." Die Presse, auch die bayerische, nahm wenig Notiz von der Denkschrift von 192684. Das mag seinen Grund zum Teil darin haben, daß die bayerische Staatsregierung ihre Denkschrift erst Ende April 1926 verSehr. d. Rmin d Inn an die Rk vom 2. 5. 1926; BA, R 43 I/2332. RR-Drucks. Nr. 98 vom 20. 5. 1926; vgl. die Vh RR § 347 f. vom 4. 9.1926. 76 Rk Nr. 7273, Vormerkung vom 6. 6.1928; BA, R 43 1/2332: ,.Die Frage einer Beantwortung der Bayer. DS ist schon lange nicht mehr aktuell." 11 Dr. Peter Reinhold, geb. 1.12. 1887 Blasewitz, gest. 1. 4. 1955 Capri; Studium der Geschichte, Nationalökonomie, Völkerkunde und Kunstgeschichte; 1913-21 Leiter des Verlages des Leipziger Tagesblattes; 1920 und 1924--26 sächsischer Fin~in; 20. 1. 1926--17. 12. 1926 RFin~in; 1928-31 ~dR (DDP); danach Tätigkeit in der Wirtschaft, ~itgründer d. Zentralverbandes Deutscher Industrieller; 193G-33 führender ~itarbeiter der Vossischen Zeitung. 78 Der R~in d Fin an den R~in d Inn Nr. I C 10694 v. 30. 7. 1926; BA, R 43 1/2332. 79 Dr. Julius Curtius, geb. 7. 2. 1877 Drüsburg, gest. 10. 11. 1948 Heidelberg; Rechtsanwalt; 1920 ff. ~dR (DVP); 20. 1. 1926--11.11. 1929 RWirt~in; 4.10. 1929-7. 10. 1931 RAuß~in; vgl. J. Curtius, Sechs Jahre ~in. d. dt. Republik, 1948, Ders., Der Young-Plan. Entstellung und Wahrheit, 1950. so "Wirtschaftliche Bemerkungen des RWirt~in zur DS des Bayer. Staatsministeriums." Curtius am 20. 9. 1926 an den Reichskanzler; BA, R 43 I/2332. 81 Dr. med. h. c. Wilhelm Bazille, geb. 25. 2. 1874 Eßlingen, gest. 1934 Stuttgart; 1897-1914 im württ. Verwaltungsdienst; 1919 ff. ~dL-Württ. (DNVP), 1920 ff. MdR; 1924--28 württ. StPräs u. Kultusminister; 1928-33 württ. Kultusminster. 82 Bay Ges Stuttgart Nr. 831 an das B. Stmin d Äuß vom 19. 5.1926; B.HStA.II, ~A 103284; Bericht des bay Gesandten Tischer; Tischer vertrat von 1919-33 die bay Reg in Stuttgart, von 1926-33 gleichzeitig auch in Karlsruhe. 83 Bazille in einem Zeitungsinterview: "Deutsches Volksblatt" vom 27. 5. 1926. 84 Vgl. den Bericht d. Bay Ges Stuttgart an das Stmin d Äuß Nr. 804 vom 12. 5. 1926; B.HStA.II, ~A 103284. 14 75

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1. Kap.: Reichsreform

öffentlichte, als die Ablehnung durch die Reichsregierung bereits feststand. Vor allem waren aber die bayerischen Forderungen nicht mehr so spektakulär wie 1924. Die Wandlung von der glatten Ablehnung der Reichsverfassung zu einer verständnisvollen, ja allmählich befürwortenden Haltung wurde kaum registriert85. Allgemein wurde jedoch die Akribie anerkannt, mit welcher die bayerische Ministerialbürokratie unter der Leitung Sommers alle Gebiete des staatlichen Lebens auf unitarische Symptome hin durchleuchtet hatte86, Die bayerische Regierung ließ sich indes durch die kühle Aufnahme ihrer Denkschrift nicht entmutigen; vielmehr hielt sie es für angebracht, daß "das Verzeichnisall jener Fälle, in denen Bayern über Kompetenzverkürzungen oder Nichtberücksichtigung lebenswichtiger Interessen Klage zu führen hat, von jetzt an dauernd auf dem Laufenden gehalten würde, damit die bayerische Staatsregierung in der Lage ist, auf ein lückenloses Material zurückzugreifen und es bei gegebenem Anlaß zu verwerten87." Eine günstige Gelegenheit, die bayerischen Wünsche mit maßgeblichen Vertretern der Reichsregierung zu besprechen, schien der Bacuch von Reichskanzler Luther, Reichsinnenminister Külz88 und Reichsfinanz_ minister Reinhold am 17. April 1926 in München zu bieten. In der vorbereitenden Ministerratssitzung wurde vereinbart, daß Ministerpräsident Held die großen politischen Gesichtspunkte des Reich-BayernVerhältnisses herausstellen, und dann sämtliche bayerischen Minister bezüglich der Denkschrift (von 1926) das Wort ergreifen sollten. Als Ziel der Verhandlungen mit dem Reich solle wenigstens erreicht werden, daß die Reichsregierung ihre Kompetenzen nicht noch weiter auf Kosten der Länder ausdehnt89• Bei der Besprechung am 17. April 1926 im bayerischen Staatsministerium des Äußeren90 erkannte Ministerpräsident Held die Hauptgefahrenquelle der Unzuträglichkeiten im 85 Die "Münchner Post" vom 4. 1. 1926 behauptete sogar, freilich ohne genaue Kenntnis der DS: "Dr. Held will wohl nun im alten Gleise der Reichsgegnerschaft, die Kahr und Knilling gewandelt sind, einschwenken ... Diese DS soll ... zum Sammelruf aller sog. Föderalisten gegen das Reich und seine Verfassung werden." 86 Vgl. "Stuttgarter Neues Tageblatt" v. 15. 5. 1926. 87 Rundschreiben Helds an alle Staatsministerien Nr. 3820 v. 14. 2.1926; B.HStA.II, MA 103284. 88 Dr. Wilhelm Külz, geb. 18. 2. 1875 Borna, gest. 10. 4. 1948 Berlin; DDP; 20. 1. 1926-17. 12. 1926 RMin d Inn. 89 MinPräs Held in der Ministerratssitzung vom 12. 4. 1926; B.HStA.II, MA 103284. 90 Niederschrift (bayerischerseits): B.HStA.II, MA 103284; Bericht (seitens d. Reichs): Der RMin d Inn an den SS in der Rk v. 19. 4.1926; BA, R 43 I/2332; den Vorsitz führte MinPräs Held ; anwesend waren neben Held, RK Luther, RinnMin Külz, RFinMin Reinhold, Ges Haniel v. Haimhausen, Justizminister Gürtner, InnMin Stütze!, FinMin Krausnek, SozMin Oswald, LandwMin Fehr, SS Dr. Schmidt, Staatsrat Schmelzle, Staatsrat Korn, Ges. Dr. v . Preger, ORR Sommer, Reg Rat Wienstein (aus Rk).

II. Bayerische Denkschriften zur Reichsreform

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Reich-Länder-Verhältnis in den Art. 7-11 RV und in der Finanzverfassung. Er schlug ein Übereinkommen zwischen der Reichsregierung Wl:d den Ländern vor, das der Reichsregierung den nötigen Rückhalt verleihen sollte, dem unitarischen Treiben des Reichstags entgegenzutreten, vom bisherigen Weg zum Einheitsstaat umzukehren und den Boden für eine förmliche Verfassungsänderung in föderalistischem Sinne vorzubereiten. Damit sei die Zusicherung zu verbinden, daß ohne Mitwirkung der Einzelstaaten eine Abänderung der Reichsverfassung zu ihren Ungunsten nicht vorgenommen, und der Reichsrat auf dem Gebiete der Reichsverwaltung in mitbestimmender Weise eingeschaltet werden solle. Als mögliche Sofortmaßnahme nannte er die Schaffung einer Kommission, die von der Reichsregierung und von Bayern beschickt werden sollte, und die auf Grund der in den bayerischen Denkschriften von 1924 und 1926 behandelten Fragenkomplexe in Bälde positive Vorschläge ausarbeiten sollte. Reichskanzler Luther lehnte die Einsetzung einer derartigen Kommission ab, da das Reich-LänderVerhältnis nicht allein mit Bayern, sondern mit allen Ländern erörtert werden müßte. Ansonsten hörte er sich die Beschwerden der bayerischen Minister geduldig an und erklärte schließlich, er könne keine bindende Stellungnahme abgeben. Die bayerischen Ressortchefs hatten praktisch in die Luft gesprochen; es wurde offenkundig, daß die sorgfältig verfaßte Denkschrift von 1926 ein Schlag ins Wasser wurde91 • 3. "Material zur Verfassungsreform" von 1928

Nachdem sich die Reichsregierung entschlossen hatte, für 1928 eine Länderkonferenz einzuberufen, um mit den Vertretern der Länder Fragen des Reich-Länder-Verhältnisses, der Verfassungs.. und Verwaltungsreform zu besprechen, lebte in ganz Deutschland die Diskussion über die Reichsreform wieder auf. In bayerischen Regierungskreisen hatte sich zwar schon eine gewisse Skepsis hinsichtlich der Bereitschaft der Reichsregierung, zu einer die Föderalisten befriedigenden Reichsreform zu gelangen, breit gemacht, aber man wollte keinesfalls die ausgestreckte Hand zurückweisen. Die Vorstellungen Bayerns sollten vielmehr möglichst deutlich zur Geltung gebracht werden. Es blieb in München nicht verborgen, daß sich die Reichsregierung gründlich auf die Länderkonferenz vorbereitete. Es wurden also vermehrte Anstrengungen unternommen. Eine eigene Kommission koordinierte die Vorschläge der einzelnen Ministerien und stellte das "Material zur Ver91 Treffend charakterisiert der ,.Badische Beobachter" Nr. 115 vom 27. 4. 1926 die Situation: ,.In Bayern herrscht trübe Stimmung. Denn jetzt erst sickert aus den höheren polit. Regionen d. amtl. Pessimismus ins Volk, der seinen Grund in dem völligen Mißerfolg des Reichsministerbesuchs in München hat."

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1. Kap.: Reichsreform

fassungsreform" 92 zusammen. Mit dieser Schrift steckte die bayerische Staatsregierung ihre Position bei den Beratungen der Länderkonferenz 1928/30 ab. Die Denkschrift möchte in ihrem ersten Teil dazu beitragen, die Mängel der Verfassung zu erkennen und "eine Lösung zu finden, die den in das Problem untrennbar eingeschlossenen historischen und psychologischen Erfordernissen Rechnung trägt und zugleich eine möglichst klare, freiheitliche und dauerhafte, den Bedürfnissen und der Leistungsfähigkeit aller Teile des deutschen Volkes angepaßte Regelung darstellt" (S. 3). Die vielfach gegen die bundesstaatliche Verfassung vorgebrachten Argumente, welche die Zahl der Landesregierungen und Länderparlamente, die fehlende Homogenität der Länder, die angebliche Einengung der Wirtschaft durch die Ländergrenzen und die verschiedene Steuerbelastung, die Verschiedenheiten der Landesgesetzgebung und Landesverwaltung, die angeblich zu teueren Landesverwaltungen, das preußische Problem93, den Finanzausgleich u. dgl. m. angreifen, werden als unbegründet zurückgewiesen. Jedenfalls hätten etwaige Mängel nichts mit der bundesstaatliehen Verfassung zu tun. Hinsichtlich der Finanzordnung empfiehlt die bayerische Regierung, folgendes zu bedenken: a} Auch in einem Einheitsstaat muß ein Ausgleich zwischen wohlhabenden und armen Provinzen stattfinden. Ohne Ausgleich können die leistungsschwächeren Länder die ihnen übertragenen Aufgaben nicht erfüllen. b) Die Ausgabenentwicklung des Reiches steigt an; angebliche Allsgabenminderungen treten an anderer Stelle wieder auf. c) Den Ländern soll genauer Einblick in die Finanzen des Reiches gewährt werden und umgekehrt. d) § 35 F AG bietet eine - wenn auch schwache - Handhabe für eine gerechte Berücksichtigung verschiedener Bedürftigkeit. "Eine stärkere Erleichterung ist nur möglich durch die Regelung des finanziellen Verhältnisses zwischen dem Reich und den Ländern im Sinne der Selbstverantwortung und eines gerechten Ausgleichs. Erst dann kann von einem Finanz a u s g I e i c h gesprochen werden" (S. 11). Die Wurzel der Mängel des Verfassungslebens besteht darin, "daß das Reich in jahrelanger Entwicklung seine Hand ausgestreckt hat nach 92 1. Teil: Die Mängel des dt. Verfassungslebens. München, den 8.10. 1928. 2. Teil: Vorschläge zur Änderung der Reichsverfassung. München, d. 12. Okt. 1928; B.HStA.II, MA 193253; der 1. Teil umfaßt 48 S., der 2. Teil 18 S. Vgl. E. Koch-Weser, Die bay DS und der Unitarismus: DJZ, H. 3/4 (1929), S. 73 ff.; vgl. auch den vorbereitenden umfangreichen Kommissionsber. zur Frage "Änderung d. Verhältnisses zwischen Reich u. Ländern" v. 6.12. 1927, an MinPräs Held gerichtet; B.HStA.II, MA 103293 und MA 103279. 93 Das "vielfach hochgespielt werde" (S. 9).

II. Bayerische Denkschriften zur Reichsreform

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Aufgaben, die ihm verfassungsmäßig nicht zustehen" (S. 11). Bayern wendet sich daher gegen die Verfassungspolitik des Reiches, wie sie sich zeigt, "in der Überschreitung der Zuständigkeitsgrenzen, in der das Bedürfnis weit übersteigenden Beanspruchung der Gesetzgebungsmaschine, in der Aufsaugung der Iändereigenen Verwaltung, in der Nichtbeachtung der in Art. 8 RV begründeten finanziellen Abschnürung der Länder, in der Begünstigung eines die peripheren Gebiete des Deutschen Reiches verödenden Wirtschaftszentralismus, oder in der sonstigen Nichtberücksichtigung lebenswichtiger Interessen der deutschen Gliedstaaten" (S. 12). Mit großer Sorgfalt wird die Mißachtung der bundesstaatliehen Struktur durch das Reich auf den Gebieten der Gesetzgebung (S. 12 ff.), der Verwaltung (S. 20 ff.), der Kulturpolitik (S. 38 ff.), der Finanzordnung (S. 40 ff.), des Verkehrs und der Wirtschaft (S. 44 ff.) durchleuchtet. Hinsichtlich der Gestaltung des finanziellen Verhältnisses zwischen Reich und Ländern ertönt wiederum die Klage, "daß die Steuerhoheit fast ausschließlich an das Reich gezogen wurde, und daß die Rechte und Zuständigkeiten der Länder auf dem Gebiete des Steuerwesens bis auf einige wenige Reste nahezu vollständig beseitigt sind" (S. 40). Eine befriedigende Lösung des Finanzausgleichs-Problems könne nur durch klare Trennung der Steuerquellen und Stärkung der Verantwortung der Länder für ihre Einnahmen und Ausgaben gefunden werden. Das geltende Finanzausgleichsgesetz vom 9. 4. 1927 (RGBl., S. 91) trage dem keine Rechnung, sondern berge vielmehr Tendenzen in sich, "die auf eine vollständige Beseitigung der Eigenstaatlichkeit der Länder hinauslaufe" (S. 40). Somit stehe die Reichsregierung "im Widerspruch mit der Weimarer Verfassung", und Bayern bewege sich mit seinen Forderungen "auf dem Boden der geltenden Reichsverfassung" (S. 40). Der erste Teil der Denkschrift kommt zum Schluß: "Nicht im bundesstaatlichen System, sondern in der Nichtachtung dieses Systems liegen sie (sc. die Mängel des Verfassungslebens) begründet" (S. 48). Nicht nur dort, wo die Weimarer Verfassung eine unerläßliche Klarheit und Festigkeit vermissen lasse, sondern auch "wo sie klar und erkennbar aufgerichtet sind, wurden die Grenzsteine zuungunsten der Länder häufig versetzt . . . Politische Kräfte wirken sich heute oft in einer Weise aus, als ob wir überhaupt keine Verfassung besäßen, oder eine solche, in der von Rechten der Länder keine Rede mehr ist. Das ist ein bedenklicher Zustand ... In der Erkenntnis, daß die fortgesetzten Einbrüche des Reiches in die Länderrechte das Quellgebiet schwerer

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1. Kap.: Reichsreform

Unzuträglichkeiten sind", fordert die bayerische Regierung "Stabilität der Reichsverfassung auf der Grundlage des Rechts" (S. 48). Der zweite Teil der Schrift "Material zur Verfassungsrefonn" enthält die bayerischen "Vorschläge zur Änderung der Reichsverfassung". An der Spitze steht wiederum ein klares Bekenntnis zum bundesstaatliehen Aufbau, der auf vertragsmäßiger Grundlage beruhe (S. 3). Jedenfalls sollte eine Reichsreform "in den bundesstaatliehen Formen so lange gesucht werden . . . als der Eigenstaatswille der Länder lebendig ist" (S. 4). Die Mängel der Verfassung ließen sich ohne weiteres beheben, ohne daß die bundesstaatliche Form beseitigt wird. Sie beruhten allesamt "auf Fehlgriffen der Weimarer Verfassung bei der Verteilung der Aufgaben zwischen der Zentralstaatsgewalt und der Landesstaatsgewalt oder auf einer fehlerhaften Staatspraxis" (S. 4). Man müsse die Verfassung also in einer Weise verbessern, die "dem Wesen und den Bedürfnissen des Bundestaates ausreichend Rechnung trägt". Eine solche Reform halte sich durchaus im Rahmen des Weimarer Verfassungswerkes. Die Änderungsvorschläge der bayerischen Regierung betreffen sechs Gebiete: "1. die Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeit zwischen dem Reich und den Ländern. Das Ziel, das hier anzustreben ist, ist die klare Grenzziehung, die Einschränkung der Reichszuständigkeit zugunsten der Landeszuständigkeit; 2. die Verteilung der Verwaltungszuständigkeit Zu erlangen ist hier die Sicherstellung des Rechts der Länder auf die Ausführung der Reichsgesetze; 3. die Hebung der Stellung des Reichsrates durch verstärkte Mitwirkung an der Gesetzgebung und Verwaltung des Reichs; 4. die verfassungsmäßige Sicherheit der Länder in ihrem staatlichen Bestand, ihrem Gebiet und ihren erweiterten Rechten; 5. die Erhaltung und Festigung ihrer kulturellen und wirtschaftlichen Selbständigkeit; 6. die Sicherung der finanziellen Lebensfähigkeit der Länder" (S. 4). Aus diesem Grunde werden Änderungen der Art. 7-12, 14, 15, 17-19, 45, 48, 49, 60, 65-69, 73-77, 85, 97, 103, 110, 118, 128, 139, 142-150, 155, 156 RV vorgeschlagen und begründet. Bezüglich Art. 8 RV (Finanzwesen) beharrt die bayerische Staatsregierung auf ihren Maximalforderungen: "Grundsätzliche Scheidung der Steuerquellen und Überlassung der direkten Steuern, insbes. der Einkommen- und Körperschaftssteuern, an die Länder und Gemeinden, Rückgabe der Verwaltung dieser Steuern" (S. 7). Sollte sich dieses Ziel nicht sofort verwirklichen lassen, so sei zumindest Art. 8 RV folgendennaßen zu fassen: "Das Reich hat ferner die Gesetzgebung über die Abgaben urid

II. Bayerische Denkschriften zur Reichsreform

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sonstigen Einnahmen, soweit sie ganz oder teilweise für seine Zwecke in Anspruch genommen werden. Das Reich darf Abgaben oder sonstige Einnahmen, die den Ländern zustanden, nur in Anspruch nehmen, wenn die Lebensfähigkeit der Länder dadurch nicht beeinträchtigt oder wenn sie durch Ausgleich sichergestellt wird; die Zustimmung des Reichsrats ist erforderlich. Das gleiche gilt für die Änderung von Abgaben, an denen die Länder beteiligt sind, und für Änderungen des den Ländern gewährten Ausgleichs zuungunsten der Länder. Werden den Ländern neue Aufgaben überwiesen, oder bereits bestehende Aufgaben wesentlich erweitert, so hat das Reich die zur Erfüllung der neuen Aufgaben erforderlichen Mittel bereitzustellen" (S. 7). Art. 11 RV (Landesabgaben) sei folgendermaßen zu ändern: "Das Reich kann im Wege der Gesetzgebung Vorschriften über die Zulässigkeit und Erhebungsart von Landesabgaben aufstellen, soweit sie erforderlich sind, um.

1. Schädigungen der Einnahmen und Handelsbeziehungen des Reichs,

2. Doppelbesteuerungen auszuschließen" (S. 8). Weitere Gründe, welche der geltende Art.ll RV enthält, u. a. die Wahrung "wichtiger Gesellschaftsinteressen", sollten gestrichen werden. Bayern sah sich auf der Länderkonferenz in Berlin 1928/30 mit seinen Vorschlägen, wie sie in dem "Material zur Verfassungsreform" niedergelegt sind, sehr bald in die Defensive, ja sogar in eine ziemlich aussichtslose Isolation gedrängt. Eine Änderung der Reichsverfassung im bundesstaatliehen Sinne zugunsten der Länder wurde immer unwahrscheinlicher. Die Föderalisten auf der Länderkonferenz mußten eher befürchten, daß eine Reichsreform zu jenem Zeitpunkt und bei jener politischen Konstellation weitgehend von unitarischem Geist geprägt werde. Die heraufziehende Weltwirtschaftskrise und die sich verschärfenden innenpolitischen Gegensätze lenkten jedoch die Aufmerksamkeit vom Problem der Reichsreform ab. Die Länderkonferenz endete ergebnislos; die bei dieser Gelegenheit vorgebrachten Vorschläge der verschiedensten Richtungen wurden "ad acta" gelegt. 4. "Stellungnahme und Forderungen Bayerns zur Verfassungs- und Reichsreform" vom 20. August 1932

Am 20. Juli 1932 löste Reichskanzler Franz von Papen94 die preußische Frage, ein Hauptproblem der Reichsreform, dadurch gewaltsam, daß 9C Franz von Papen, geb. 29. 10.1879 Werl, gest. 1969; 1913 Hauptmann im Gr. Generalstab; 1914-16 Miltärattache in Washington, dann Generalstabsoffizier bei der 4. Gardedivision; 1921-32 MdL-Preußen (Z/seit 3. 6. 1932 parteilos); 1. 6.-17. 11. 1932 Reichskanzler; 30.1. 1933-7. 8. 1934 Vizekanzler; 1934-39 Gesandter in Wien; 1939-44 Botschafter in Ankara; vgl. F. v. Papen, Der Wahrheit eine Gasse, 1952.

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1. Kap.: Reichsreform

er die preußische Regierung Braun95 absetzte und selbst als Reichskommissar für Preußen die Amtsgeschäfte des preußischen Ministerpräsidenten übernahm. In Bayern faßte man das Vorgehen des Reiches als einen Angriff auf die Existenz aller Länder auf. Die bayerische Regierung legte förmliche Rechtsverwahrung gegen die Verordnung vom 20. Juli 1932 ein und erhob Klage beim Staatsgerichtshof in Leipzig96• Die neugeschaffene Personalunion in Berlin hatte die Struktur des Reiches entscheidend verändert und zu einer gewaltigen Verstärkung der Zentralgewalt geführt. Bayern forderte daher in Anlehnung an die Bismarcksche Verfassung als Ausgleich ausreichende Reservate für die süddeutschen Länder. Obwohl das Vertrauen Münchens in die Reichsregierung erschüttert war, und Verhandlungen über Fragen der Reichsreform wenig Erfolgschancen eingeräumt wurden, wollte die bayerische Staatsregierung doch nichts unversucht lassen und unterbreitete der Reichsregierung die "Stellungnahme und Forderungen Bayerns zur Verfassungs- und Reichsreform" 97 • Sie war von Ministerialrat Karl Sommer verfaßt worden98• Die Denkschrift enthielt nichts, was in früheren Denkschriften der bayerischen Staatsregierung nicht schon gesagt worden wäre, das Preußen-Reich-Problem ausgenommen. Das 16seitige Schriftstück macht der Regierung Papen Zugeständnisse dort, wo es nicht in erster Linie um die Wahrung der Eigenstaatlichkeit Bayerns geht: Bayern habe schon früher in dem überspitzten Parlamentarismus "den stärksten Mangel des deutschen Verfassungsbaues" erblickt {S. 2). Es sei "die in der Weimarer Verfassung verankerte Allmacht des Parlaments, die stark zentralisierend und damit zerstörend auf die deutschen Bundesstaaten als den Kräften wirkte, die das Deutsche Reich geschaffen haben und durch die allein es nach den geschichtlichen Erfahrungen erhalten werden kann" {S. 3). Erst nach dieser versöhnlichen Geste wird eine Reichs- und Verfassungsreform mittels des Art. 48 RV - nach dem Beispiel des Staatsstreichs gegen Preußen 95 Otto Braun, geb. 28.1.1872 Königsberg, gest. 15. 12. 1955 Ascona; Buchdrucker; 1912 MdL-Preußen (SPD), 1919 MdR; 1918-20 preuß, Landwirtschaftsminister; März 1920-April 1921 und 1925-32 preuß. MinPräs; 1933 Emigration Schweiz, dann USA. 96 Vgl. Schreiben Helds vom 4. 8.1932 u. a. an den StGH; B.HStA.II, MA 103322. Mündliche Verhandlung vor dem StGH vom 10.-19.10.1932. Die bayerische StRg wurde vertreten durch MinRat Priv.-Doz. Dr. Theodor Maunz (B. Stmin d. Inn), Staatsrat Heinrich von Jan (B. Stmin d Inn), MinRat Karl Sommer (B. Stmin d Äuß) und Dr. Hans Nawiasky (Prof. f. Staatsrecht und öffentl. Recht an der Univ. München). Urteil des StGH vom 25. 10. 1932 (StGH vom 15. 16. 17. u. 19./32); B.HStA.II, MA 103322. 97 B.HStA.II MA 103440 und 103253 und 103261; beschlossen in der Ministerratssitzung vom 22. 8. 1932; B.HStA.II- MA 103440. 98 Der Rohentwurf Sommers (B.HStA.II, MA 103421) deckt sich praktisch wörtlich mit der endgültigen Fassung.

II. Bayerische Denkschriften zur Reichsreform

4Q

abgelehnt. "Eine Reichs- und Verfassungsreform kann und darf nur auf dem unbestrittenen Boden des Rechtes erfolgen" (S. 4). Allerdings sei Bayern bereit, hinsichtlich des Reich-Preußen-Verhältnisses "einer Teilverbindung an der Spitze - bei gleichzeitiger Entschädigung für die außerpreußischen Länder" - zuzustimmen (S. 8). "Eine Totalfusion zwischen dem Reich und Preußen unter Beseitigung der staatlichen Selbständigkeit Preußens wäre ceteris paribus überhaupt untragbar" (S. 7). Am besten ließe sich jedoch der Dualismus zwischen dem Reich und Preußen sowie allgemein zwischen dem Reich und den Ländern durch eine genaue Zuständigkeitsabgrenzung beheben. Eine Reichsreform könne nur dann von Dauer sein, wenn das bundesstaatliche Gestaltungsprinzip, "auf dem die großen Staatsbaumeister der deutschen und angelsächsischen Rasse ihre Schöpfungen errichtet haben" (S. 6), verfassungsrechtlich gefestigt werde. Im einzelnen forderte Bayern: 1. Verfassungsautonomie der Länder und Sicherung dieser Autonomie; 2. Gebietsautonomie der Länder; 3. Einschränkung der Gesetzgebungsrechte des Reiches durch Änderung der Art. 7-10 RV; 4. Sicherstellung der Verwaltung der Länder gegen Eingriffe der Reichsverwaltung; 5. Wiederherstellung einer größeren finanziellen Selbständigkeit der Länder durch die Ausscheidung der Steuerquellen (Einkommenund Körperschaftssteuern an die Länder) und die Rückübertragung der Steuerverwaltung an die Länder. Erstellung eines Finanzausgleichs, der den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen entspricht und die Erhaltung der Länderselbständigkeit ermöglicht; 6. Ausbau des Reichsrats zu einem dem Reichstag gleichgestellten Gesetzgebungsfaktor; 7. Verfassungsmäßige Sicherung der Länderrechte; Änderungen von Bestimmungen, welche Länder betreffen, sollten nur mit Zustimmung aller Länder erfolgen können (S. 8). Am 23. August überreichte Ministerpräsident Held dem Reichskanzler die Denkschrift und erläuterte ihm den bayerischen Standpunkt. Nach seiner Meinung sollten die Länder zu Trägern einer neuen innerstaatlichen Ordnung des Reiches gemacht werden.

Der bayerischen Presse stellte Held die Denkschrüt als ein vertrauliches Schriftstück vor und bat um Unterstützung des bayerischen Standpunktes. Bei dieser Gelegenheit äußerte er: "Es gibt kein Gebiet, 4 Menges

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1. Kap.: Reichsreform

wo größere Verwirrung wäre, als gerade auf dem Gebiete der finanziellen Entwicklungss." Die Denkschrift erwies sich leider als "ein Stoß ins Leere" 100, da sich die Reichsregierung lediglich den Anschein gab, als beschäftige sie sich ernsthaft mit der Frage der Reichsreform. Anläßlich seines Besuches am 12. 10. 1932 in München ließ sich Reichskanzler von Papen überhaupt nicht auf eine entsprechende Erörterung ein. Auch das Urteil des Staatsgerichtshofes vom seihen Monat101 bezüglich des Staatsstreichs gegen Preußen sowie ein Beschluß des bayerischen Ministerrats vom 29.10.1932102 beeindruckten Papen wenig. Nach außen spiegelte er allerdings weiterhin guten Willen vor. So kam es am 11./12. 11.1932 in Berlin zu Verhandlungen Bayerns mit den Reichsministern von Gayl103 und Gürtner104 über die von den Ländern übergangsweise zu verlangenden Sicherungen im Hinblick auf die gewaltsame Lösung des preußischen Problems105• Die bayerischen Verhandlungspartner waren Ministerpräsident Held und Innenminister Stützel1°6• Das Verhandlungsergebnis fiel für Bayern äußerst positiv aus. Die beiden Reichsminister sicherten zu: 1. Eine Garantie des bundesstaatliehen Charakters des Reichs und der Eigenstaatlichkeit der Länder; 2. Einen Ausgleich für die außerpreußischen Länder im Hinblick auf das neue Reich-Preußen-Verhältnis. 3. "Weder im Wege der ordentlichen Gesetzgebung, noch des Notgesetzgebungsrechts aus Art. 48 RV, noch der Gestaltung der finanziellen Beziehungen" sollten Maßnahmen getroffen werden, 99 Prot. d. Pressekonferenz v. 29. 8.1932; 100 K. Schwend, Bayern, 1954, S. 468. 101 B.HStA.II, MA 103322. 102 B.HStA.II, MA 103302; dem Büro des

B.HStA.II, MA 103440.

RPräs und der Rk am selben Tag von Held zugeleitet: Die Pläne der RReg hinsichtlich der Neugestaltung Preußens enthalten "schwere Eingriffe in die verfassungsmäßige Stellung aller deutschen Länder gegenüber dem Reich und untereinander". Eine Reichsreform sei nur auf gesetzlichem Wege und nach Verhandlungen mit den Ländern möglich. 1oa Wilhelm Frhr v. Gayl, geb. 4. 2.1879 Königsberg, gest. 1950 Berlin; DNVP; 1921 preuß. Bevollmächtigter zum RR ; 1. 6-17.11.1932 RinnMin. 104 Dr. Franz Gürtner, geb. 26. 8. 1881 Regensburg, gest. 29. 1. 1941 Berlin; DNVP, dann NSDAP; 8. 11. 1922-6. 6. 1932 B. StMin d Justiz; 2. 6. 1932-29. 1. 1941 RJustizMin; als bayerischer Justizminister einer der energischsten Verteidiger der Justizhoheit Bayerns, als Reichsjustizminister vollzog er 1934 die früher von den Linksparteien angestrebte Verreichlichung der Justiz im nationalsozialistischen Einheitsstaat. Das wirft - so G. Schulz, Zw. Demokratie und Diktatur, 1963, S. 379 - "ein eigentümliches Licht auf den bayerischen beamtenstaatlichen Föderalismus". 1os "Übersicht" über diese Verhandlungen: B.HStA.II, MA 103302 und 103413.

106 Dr. Karl Stützel, geb. 22. 5. 1872 Speyer, gest. 1935 München; 1920 MinRat und bay Staatskommissar für das Hilfswerk Oppau; 1. 7. 1924 bis 10./17. 3. 1933 B. StMin d Inn.

ti. Bayerische Denkschriften zur Reichsreform

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"durch die Aufgabengebiete der Länder und ihre Hoheitsrechte geschmälert werden". 4. Die Reichsregierung werde ihren Verfassungsreformentwurf so gestalten, daß a) der Reichsrat neben dem Reichstag als gleichberechtigter Gesetzgebungsfaktor ausgebaut wird; b) Art. 48 RV zugunsten der Länder klargestellt wird; c) "auf dem Gebiete des Finanzwesens die Steuerquellen zwischen Reich und Ländern grundsätzlich geschieden werden mit dem Ziele, das System der Steuerüberweisungen auf ein Mindestmaß zu beschränken"107. d) die Verwaltungshoheit der Länder ausgedehnt wird; e) Art. 9 RV (Bedarfsgesetzgebung) gestrichen und Art. 11 RV (Grundsatzgesetzgebung) eingeschränkt wird; f) die Länderrechte verfassungsmäßig gesichert werden. 5. Die Länder sollen maßgeblich an einer Reichsreform beteiligt werden. 6. "Bei der Gestaltung des Finanzausgleichs, der Vergebung der Reichsaufträge und der Gestaltung der deutschen Wirtschaftspolitik" sollten alle Teile des Reiches "gleich günstig" behandelt werden. 7. Die Eisenbahnabfindung werde in einer für die Länder tragbaren Weise geregelt1os. Damit waren alle hauptsächlichen Forderungen Bayerns anerkannt. Die Resignation der bayerischen Staatsregierung in Sachen Reichsreform sowie die Skepsis gegenüber der Regierung Papen schienen unbegründet gewesen zu sein. Mit Nachdruck wurde in München an Vorschlägen für eine Reichsreform gearbeitet1°9 • Doch das Entgegenkommen der Reichsregierung war "zu schön, um wahr zu sein". Obwohl die bayerische Regierung bereits schlechte Erfahrungen mit dem Kabinett Papen gesammelt hatte, wollte sie nicht wahrhaben, daß Wortbruch und Vorspiegelung falscher Tatsachen dermaßen Bestandteil des neuen Regierungsstils in Berlin geworden war. Bei den Verhandlungen am 11./12. 11. 1932 in Berlin waren Held und Stützel davon ausgegangen, daß Gayl und Gürtner nur soviel zugestehen würden, was sie anschließend im Reichskabinett vertreten und durchsetzen könnten. Das war jedoch nicht der Fall. Als die Mehrzahl der Reichsminister den Ver1o1 Wobei angefügt ist: "Der RinnMin behält sich die Stellungnahme des Fachministers vor." 1os ,;übersieht über die am 11. und 12.11.1932 •.. gepflogenen Verhandlungen. .."; B.HStA.II, MA 103302 und 103413. 109 Vgl. den umfangreichen Entwurf "Vorschläge Bayerns für eine Reichsund Verfassungsreform" vom Nov. 1932. In der allgemeinen Begründung heißt es: "Der Entwurf knüpft nach reichlicher Prüfung an das Gewordene und an das Bestehende an." B.HStA.II, MA 103413. 4*

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1. Kap.: Reichsreform

einbarungen vom 11./12. 11.1932 ihre Zustimmung versagten, bat Gayl den neuen bayerischen Gesandten Sperr110 kurzerhand, Bayern möge das Problem der Reichsreform überhaupt nicht mehr weiter verfolgen111 • Die kurze Euphorie wich großer Enttäuschung und Ernüchterung. Kaum hatte Kurt von Schleicher112 die Führung der Reichsregierung übernommen, wurde Ministerpräsident Held bei ihm vorstellig, um das von Papen abgerissene Gespräch wieder aufzunehmen (10. 12. 1932). Nach Ansicht Schleichers war eine ausreichende Verbindung zwischen dem Reich und Preußen dadurch zu erreichen, daß der preußische Ministerpräsident als Reichsminister ohne Portefeuille im Reichskabinett vertreten sei. Eine Reichsreform im Wege des Art. 48 RV lehnte er - ebenso wie Held - ab. Einen rechtlichen Ausgleich zugunsten der außerpreußischen Länder hielt er momentan nicht für möglich, wenngleich er auch einem Übereinkommen, wie es Held vorgeschlagen hatte, inhaltlich im großen und ganzen zustimmte. Die bayerische Regierung bemühte sich daher um eine schriftliche Beipftichtung des Reichskanzlers zu dem Übereinkommen113• Dazu ist es nicht mehr gekommen. Das nationalsozialistische Regime (seit 30. 1. 1933) hätte sich wohl auch nicht durch eine Unterschrift Schleichers davon abhalten lassen, die bayerische Staatsregierung unter Ministerpräsident Held abzusetzen und am 10. 3.1933 Ritter von Epp114 als Reichskommissar in München einzusetzen. Die Diskussion über eine Reichsreform war erstickt; Bayern hatte seine Eigenstaatlichkeit verloren. Die bayerischen Denkschriften zur Reichsreform wurden in diesem Kapitel nicht nur deshalb ausführlich behandelt, weil sie in der uo Franz Sperr, geb. 12. 2. 1878 Karlstadt, hingerichtet 23. 1. 1945 München; 1919 bay Militärbevollm. in Berlin, stellv. bay Bevollm. in Berlin; 1927 Min Dir; Ende 1932 bay Gesandter in Berlin; 1934 in Ruhestand versetzt; in der

Widerstandsbewegung gegen Hitler. 111 Bericht Helds in der Ministerratssitzung vom 14. 12. 1932; B.HStA.II MA

103302.

112 Kurt von Schleicher, geb. 7. 4. 1882 Brandenburg, ermordet 30. 6.1934 Berlin; parteilos; 1919 Leiter d. polit. Referats im Rwehrmin; 1929 Generalleutnant und Chef d. Ministeramts im Rwehrmin; 1. 6.-17. 11. 1932 RWehr Min; 3. 12. 1932-28. 1. 1933 Reichskanzler; gewandt und undoktrinär, offen gegenüber Parteien und Gewerkschaften, Parlamentarismus und republikanischer Regierungspraxis; mit Blick für die politische Wirklichkeit; besaß großen Einfluß auf Hindenburg; versuchte vergeblich, eine nat.-soz. Regierungsbildung durch eine Spaltung der NSDAP zu verhindern. 113 Vgl. Ministerratssitzung vom 14. 12. 1933 und Entwurf eines Briefes an Schleicher von Ende Dezember 1932; B.HStA.II, MA 103302. 114 Franz von Epp, geb. 16. 10.1868 München, gest. 31. 12. 1946 ebd.; NSDAP; Generalleutnant; 1918 letzter Kommandeur des Münchner Infanterieregiments; 1919 an der Niederschlagung des Räteaufstandes in München beteiligt; 1921-23 Infanterieführer der 7. (bay) Reichswehrdivision; 1928 MdR; 10. 3. bis 12. 4. 1933 Reichskommissar, danach Reichsstatthalter in Bayern, 1945 von den US-Streitkräften festgenommen.

III. Die Länderkonferenz in Berlin 1928/30

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bisherigen Literatur eine zu pauschale und oberflächliche Erwähnung gefunden haben, sondern in erster Linie wegen ihres programmatischen Charakters. Sämtliche Streitfragen des Reich-Länder-Verhältnisses im allgemeinen und des Reich-Bayern-Verhältnisses im besonderen treten hier auf und werden aus der Sicht der bayerischen Staatsregierung beurteilt. Der Vergleich der Denkschriften dokumentiert den Wandel der bayerischen Auffassungen zu diesen Fragen; außerdem findet der Gang der allgemeinen Reichsreform-Diskussion- oft indirekt- ihren Niederschlag. Wenn die Weimarer Verfassung 1924 noch vollständig abgelehnt und eine Rückkehr zur Bismarckschen Verfassung befürwortet wird, wächst seit 1926 das Verständnis für die neue Reichsverfassung, bis die bayerische Staatsregierung seit 1928 für deren Stabilisierung eintritt. Nicht mehr die Reichsverfassung ist schuld an den Mängeln des Verfassungslebens, sondern die Mißachtung der Reichsverfassung, die Kompetenzüberschreitungen seitens des Reiches. Allen Stellungnahmen gemeinsam ist das Beharren auf der bundesstaatlichen Struktur und deren verfassungsrechtlichen Festigung und Sicherung sowie eine klare Trennung der Zuständigkeiten und der dazu erforderlichen Mittel zwischen Reich und Ländern. Es bleibt zwar bei der Beanspruchung der direkten Steuern und der Steuerverwaltung für die Länder als Maximalforderung, seit 1926 stehen daneben aber auch Alternativvorschläge, die die Finanzhoheit der Länder allmählich ausdehnen sollten. Mit dem preußischen Problem beschäftigt sich die Denkschrift von 1928 zögernd und simplifizierend; vier Jahre später kommt die bayerische Staatsregierung diesbezüglich nicht mehr um eine klare Antwort herum. Die selbstbewußte, offensive Sprache von 1924, die wenigstens anfänglich Eindruck auf die Reichsregierung zu machen vermochte, wich zwei Jahre später einer defensiven Haltung, die sich sogar zur Isolation verschlechterte. Die Reichsregierung sah sich durch diese Entwicklung weniger denn je zum Nachgeben genötigt, bis das Ringen um eine Reichsreform unter Papen zu einer Spiegelfechterei ausartete. 111. Die Länderkonferenz in Berlin 1928/30

Die Länderkonferenz 1928/30 zu Berlin bezeichnete den Höhepunkt der Diskussion um eine Reichsreform während der Weimarer Zeit. Sie fand in der Literatur gebührende Beachtung115• us Vgl. die Literaturangaben zur Reichsreform; H. Held, Der Standpunkt der süddeutschen Staatsoberhäupter, 1928; R. Henle, LK und Einheitsstaat, 1928; H. von Jan, Bayern zur Reichsverfassungsreform, 1928; G. Krebs, The LK and the Problem of Federal Reform in Germany, Univ. of California

1. Kap.: Reichsreform 1. Die Vorbereitung der Länderkonferenz

Die Bayerische Regierung nahm die Ankündigung einer Länderkonferenz auf Januar 1928116 teils hoffnungsvoll, teils skeptisch auf. Einerseits schien die von München schon lange erhobene Forderung nach einer Bereinigung der Reich-Länder-Streitigkeiten Gehör gefunden zu haben, andererseits hatte die bayerische Staatsregierung mit ihren Denkschriften von 1924 und 1926 keine Erfolge erzielen können. Zudem erregte die gründliche Vorbereitung der Konferenz durch die Reichsregierung Argwohn und Besorgnis in München; Curtius, Saemisch, Popitz117 und Pünder118 waren die treibenden Kräfte. Die Reichsregierung wollte gleich von Anfang an das Heft in der Hand behalten. Ausgerechnet die den Föderalisten geneigten Reichsminister Keudell119 und Köhler120 waren gegen alle großen Vorbereitunen der Länderkonferenz. 1937; G. Löser, Die Ergebnisse der LK, 1929; F. A. Medicus, Reichsreform und LK. Die Beratungen und Beschlüsse der LK und ihrer Ausschüsse, 1930; K. Schwend, Die LK: Der dt. Süden 3. Jg. (1928), Nr. 2, S. 26 ff.; die Nieder-

schriften und Beschlüsse der LK und ihres Verfassungsausschusses sind sämtlich vom Rmin d Inn herausgegeben und gedruckt worden (Die-LK Jan. 1928), 1928; Niederschrift über die Sitzung des Ausschusses der LK für Verfassungs- und Verwaltungsreform am 4. 5. 1928, Berlin o. J.; Stenographische Niederschrift über die Sitzung des Ausschusses der LK ... vom 22.-24. 10. 1928, Berlin o. J.; VA der LK: Verhandlungen der Unterausschüsse vom 5.-6. Juli 1929, 1929; Verhandlungen der Unterausschüsse 18./19. Nov. 1929, Berlin 1930; Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Reich und Ländern (Beschlüsse des Unterausschusses vom 6. Juli 1929), 1930; Verhandlungen der Unterausschüsse vom 20. Juli 1930 und Beschlüsse des Unterausschusses über die Organisation der Länder und den Einfluß der Länder auf das Reich (Beschlüsse vom 19. Nov. 1929 und 20. Juni 1930), 1930; Verhandlungen und Beschlüsse des VA (Gesamtausschuß über die Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Reich und Ländern und über die Organisation der Länder und den Einfluß der Länder auf das Reich, Berlin 1930). Das vorliegende Kapitel will den Verlauf der LK nur grob skizzieren und der Diskussion über finanzpolitische Fragen größere Beachtung schenken. 116 Reichsministerbesprechung vom 25.11. 1927, Protokollauszug; BA, R 43 I/1873. 117 Dr. Johannes Popitz, geb. 2. 12. 1884 Leipzig, hingerichtet 2. 2.1945 Berlin; parteilos; 1921 MinDir, 1925-29 SS im Rmin d Fin; 29./31. 10.-17. 11. 1932 RMin ohne Geschäftsbereich; 1932-44 kommissarischer Leiter des preuß. Finmin; in der Widerstandsbewegung gegen Hitler; näheres siehe unten! 118 Dr. Hermann Pünder, geb. 1. 4. 1888 Trier; parteilos, dem Z nahestehend; 20. 6. 1926-30. 5. 1932 SS in der Reichskanzlei; 1948 Leiter des Verwaltungsrates für die amerik. und brit. Zone; 1949-57 MdB (CDU); vgl. H. Pünder, Politik in der Reichskanzlei, 1961; ders., Von Preußen nach Europa. Lebenserinnerungen, 1968. 119 Walter von Keudell, geb. 17.7.1884 Castellamare di Stabia; Landrat; DNVP (1929 als Gegner Hugenbergs ausgetreten und zur Landvolkpartei übergewechselt); 1924-30 MdR; 29.1.1927-12.6.1928 RMin d Inn. 12o Heinrich Köhler, geb. 29. 9. 1878 Karlsruhe, gest. 6. 2. 1949 ebd.; 1913-27 MdL-Baden (Z); Beamter der badischen Finanzverwaltung, später in der Zoll- und Steuerdirektion; 1918 Leiter der Presseabt. der bad. Reg; 1919 Staatsrat; 1920-27 bad. FinMin; 1923-24 und 1926-27 bad. StPräs; 1928-32 MdR; 29.1.1927-12.6.1928 RMin d Fin; 1945-49 Stellvertr. d. MinPräs von

III. Die Länderkonferenz in Berlin 1928/30

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Die bayerische Staatsregierung dachte nicht mehr an eine grundlegende Umgestaltung der Reichsverfassung, sondern rief nach einer Abgrenzung der Kompetenzen. Sie erwartete von der Länderkonferenz keine umfassenden verfassungsrechtlichen Erörterungen. Die Diskussion sei "lediglich durch die schwebenden finanzpolitischen Fragen" akut geworden121 • Ähnlich erkannten die "Münchner Neuesten Nachrichten": "Der Kern des Problems - alle Konflikte zeigen es - liegt auf dem finanziellen Gebiet ... Da nur Utopisten der Überzeugung sein können, ein finanzieller Zusammenbruch der Länder sei für das Reich ein Vorteil, so möchten wir die Erzbergersehe Finanzreform ... als die kurzsichtigste staatspolitische Handlung bezeichnen, die die jüngste deutsche Geschichte kennt122." Finanzminister Schmelzle sprach am 10. Oktober 1927 vor dem Landtag klar aus, daß die bayerische Staatsregierung die befriedigende Lösung der Finanzverfassung als den Haupt- und Angelpunkt einer Reichsreform betrachtete123• Bayern sollte durch die Länderkonferenz 1928/30, die die finanzpolitischen Fragen praktisch ausklammerte, zutiefst enttäuscht werden. Die Reichsregierung definierte als Kernproblem: "Die Behebung der auf die Dauer unmöglichen Unerträglichkeiten, die sich aus dem Nebeneinanderbestehen von Reichs- und Länderhoheit" ergaben sowie die Frage nach der Zukunft der finanzschwachen Länder124• Bayern wußte aus Erfahrung, zu wessen Gunsten sich das "Nebeneinanderbestehen von Reichs- und Länderhoheit" entwickelt hatte. Ein Zurückdrängen des Reiches schien wenig Aussicht zu besitzen. Der "Fränkische Kurier" charakterisierte die Stimmung in München - ausgehend von der Landtagsrede Schmelzles vom 10. Oktober 1927 - folgendermaßen: "Man spürt in dieser Rede förmlich die Mutlosigkeit, die heute auf dem Baden-Württemberg; 1946 Wirtschaftsminister; Juni bis August 1947 Präs d. Exekutivrates der Zweizonenverwaltung in Frankfurt. Vgl. J. Becker, Heinr. Köhler 1878-1949, 1962; H. Köhler, Lebenserinnerungen des Politikers und Staatsmannes, 1964; G. Schulz, Zw. Demokratie und Diktatur, 1963, S. 555: "Kein FinMin der Weimarer Ära vor und nach ihm hat die Reichsfinanzpolitik in einem solchen Umfang zur tagespolitischen Größe werden lassen" wie Köhler. Ders., a.a.O., S. 556: "Diesem FinMin des Dt. Reiches kommt das gewiß umstrittene Verdienst zu, den Staatenföderalismus in seiner derzeitigen Gestalt als einen Komplex finanzieller Fragen begriffen und seine Taktik hierauf abgestimmt, zugleich aber die Probleme eines dauerhaften FA, die im Augenblick kaum oder nicht lösbar schienen, mit so etwas wie Eleganz umgangen zu haben." 121 BStZ vom 6. 10. 1927. 122 MNN vom 8. 10. 1927 "Reichsreform Die Aufrollung des Länderproblems." 123 Vgl. den Ber. d. Vertretung d. RReg. in München an die Rk A. Nr. 551 - v. 11. 10. 1927; BA, R 43 I/2223, fol. 287 ff. 124 Bespr. d. RMin v. 11.1.1928, Prot.-Auszug; BA, R 43 I/1951; vgl. auch die Chefbespr. v. 31. 12. 1927 in d. Rk; Abschr. d. Niederschrift Nr. Rk 92/28; B.HStA.II, MA 103438.

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1. Kap.: Reichsreform

ganzen bayerischen Regierungsapparat liegt. Man hat das Gefühl, daß alle die Männer, die heute Bayerns Geschicke zu leiten berufen sind, nicht mehr daran glauben, daß sie die völlige Mediatisierung des Landes aufhalten können." Da nirgendwo in Bayern größeres Interesse am "Kampf um die Erhaltung der letzten Reste der Eigenstaatlichkeit (besteht) ... muß sich jedem Unbefangenen der Eindruck aufdrängen, daß das Ende des bayerischen Staates mit Riesenschritten herannaht"t2s. Staatssekretär Pünder fühlte sich daher gedrängt, in seinem Neujahrsartikel "Reich und Länder" in der "Germania" 126 die Bedenken der Süddeutschen zu zerstreuen und in einem Schreiben an den bayerischen Gesandten von Preger127 die "absolute Notwendigkeit" der "Eigenstaatlichkeit Süddeutschlands und namentlich die von Bayern" hervorzuheben. Dr. Quarck128 von der bayerischen Gesandtschaft in Berlin stellte in einer 26seitigen Denkschrift die verschiedenen gegenwärtigen Positionen zur Reichsreform-Frage zusammen129, an Hand derer die bayerische Delegation, bestehend aus den Ministern Gürtner, Stützel und Schmelzle unter der Führung von Ministerpräsident Held, ihre Marschroute festlegte1so. 2. Die Verhandlungen im Jahre 1928

Vom 16. bis zum 18. Januar 1928 trat die Konferenz erstmals zusammen, um über folgende drei Fragengruppen zu beraten: a) Veränderung des Verhältnisses zwischen dem Reich und den Ländern131. b) Maßnahmen zur Gewährleistung sparsamster Finanzpolitik132. c) Verwaltungsreform in Reich und Ländern133• 125 12& 127 128

"Bayerns trostlose Lage": Fränk. Kurier v. 12.10. 1927. Manuskr. BA, R 43 1/1873. Schreiben v. 24. 1. 1928, Abschrift; BA, R 43 I/1875. Dr. Karl Hermann Quarck, geb. 16. 8. 1873 Coburg, gest. August 1932 Berlin; 1896 Staatsdienst Sachsen-Coburg-Gotha; 1910-14 MdR (nat-lib.); Staatsrat und 1915 Legationsrat bei der bayer. Gesandtschaft in Berlin, stellvertr. RR-Bevollmächtigter. 129 DS vom 7. 1.1928; B.HStA.II, MA 103425. "Ganz besonders große Ausdehnungsmöglichkeiten bestehen für das Reich bekanntlich auf dem Gebiete der Finanzen" (S. 23). Plädiert für klare Zuständigkeitsabgrenzung als Voraussetzung zur Verwaltungsreform und endgültigen FA. 130 Ministerratssitzung vom 14.1. 1928; B.HStA.II- MA 103438. 131 Hierzu referierten der Hamburger Bürgermeister Dr. Karl Petersen (geb. 31. 1. 1868 Hamburg, gest. 6. 11. 1933 ebd.; 1899-1918 Fraktionsmitglied der Vereinigten Liberalen der Hamburger Bürgerschaft; 1919 MdNV [DDP], 1920-23 MdR; 1925-28 Erster Bürgermeister in Hamburg), der württ, StPräs Dr. Bazille, der bay MinPräs Dr. Held und der preuß. MinPräs Braun. 132 Hierzu referierten der preuß. FinMin Höpker-Aschoff (Dr. Hermann Höpker-Aschoff, geb. 31. 1. 1883 Herford, gest. 15. 1. 1954 Karlsruhe; 1921-32 MdL-Preußen (DDP), 1930-32 MdR; 1925-31 preuß. FinMin; 1946 FinMin von Nordrhein-Westfalen; 1948/49 Md Parlamentar. Rates; 1949-51 MdB

III. Die Länderkonferenz in Berlin 1928/30

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Ministerpräsident Dr. Held führte in seinem Referat die Vorstellungen der bayerischen Staatsregierung aus, wie sie im Oktober des Jahres 1928 in der Denkschrift "Material zur Verfassungsreform" niedergelegt sind. Im 1. Kapitel widerlegte er das Schlagwort vom "billigeren Einheitsstaat". Im 2. Kapitel prüfte er die Lösungsmöglichkeiten für leistungsschwache Länder und kam zu dem Ergebnis, daß ein Abschluß von Verwaltungsgemeinschaften zwischen den Ländern Verbesserungen schaffen könnte. Im 3. Kapitel beschäftigte sich Held mit dem Verhältnis Preußens zum Reich; bei Aufrichtung einer preußischen Hegemonie müßten die anderen Länder Kompensationen dafür erhalten. Bayern könne nur einer Reichsreform zustimmen, die im Rahmen des bundestaatlichen Reichsaufbaues bleibe und die föderativen Elemente der Reichsverfassung verstärke. Entschieden wehrte er sich, "daß durch finanzpolitische Maßnahmen in der Gegenwart vielfach politische Zwecke, namentlich staatsrechtlicher Art, erreicht werden sollen" 134 • Reichskanzler Marx wies diesen Vorwurf als unbegründet zurück (a.a.O., S. 44), worauf ihm Held erwiderte, er - Marx - habe den Beweis für seine - Helds - Behauptung selbst geliefert, indem er verschiedentlich versichert habe, daß die Aushöhlung der Länder nicht durch finanzielle Maßnahmen herbeigeführt werden dürfe. Bestünde diese Aushöhlungspraxis seitens des Reiches nicht, bedürfte es nicht der häufigen Dementis durch den Reichskanzler, denn "wo kein Feuer ist, ist auch kein Rauch" (a.a.O., S. 80). Finanzminister Dr. Schmelzle, der sich am 17. Januar zu Wort meldete, betonte, daß sich das Dotationssystem, die Fondswirtschaft und die Doppelzuständigkeit nicht mit dem Grundsatz der Sparsamkeit vertrügentss. Preußen, von dem man Vorstöße in unitarischer Richtung erwartet hatte, hielt sich auf der Konferenz zurück. Diese Taktik behielt die preußische Regierung auch später bei, als das preußische Problem (FDP), Sept. 1951 Präs. d. Bundesverfassungsgerichts; treibende Kraft für eine unitarische Reichsreform; an der Gestaltung der Finanzverfassung für die BRD führend beteiligt.) und der badische FinMin Schmitt (Dr. Joseph Schmitt, geb. 2. 4. 1874 Lauda; 1921-25 und 1929-33 MdR (Z); 1925-27 MinDir im badischen Kultusministerium; 1927-31 bad. FinMin; 1931 bad. Kultusminister; 1931-33 bad. Justizminister ; 1928-33 badischer StPräs). 133 Es referierten der sächsische InnMin Apelt (Dr. jur. Willibalt Apelt, geb. 18. 10. 1877 Löbau; 1920-33 Prof. f. ö. Recht in Leipzig; 1927-29 sächs. InnMin; 1946 Prof. in München) und der bayer. lnnMin Dr. Stützel. t34 Die LK (Januar 1928). Hrsg. v. Rmin d Inn, 1928, S. 35; vgl. auch B.HStA.II, MA 103425. 135 Schmelzle wehrte sich u. a. dagegen, daß "das Reich immer wieder den Ländern für diese oder jene Zwecke Zuschüsse zuweist unter der Bedingung, daß die Länder die gleiche Summe für diesen Zweck aufzubringen haben" (a.a.O., S. 105). Ähnliche Praxis in der BRD.

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1. Kap.: Reichsreform

in den Mittelpunkt der Beratungen rückte136• Durch das Abseitsstehen des größten Einzelstaates war ein Erfolg der Länderkonferenz von vomherein in Frage gestellt. Das Ausbleiben einer unitarischen Offensive im Januar 1928 ließ die Zuversicht im föderalistischen Lager wieder steigen. Die Vertreter Bayerns reisten befriedigt nach München zurück; in der bayerischen Presse ertönte meist ein optimistisches Echo: Die Föderalisten hätten sehen können, "daß wirklich keinerlei Anlaß zur Entmutigung und Resignation gegeben ist" 137• Der Optimismus der bayerischen Regierung war indes völlig ungerechtfertigt, da er sich nicht auf konkrete Erfolge stützen konntetas. Am 4. Mai 1928 trat der Verfassungsausschuß, dessen Einsetzung am 18. Januar von der Länderkonferenz beschlossen worden war, zusammen. Es wurden drei Aufgabengebiete gebildet: a) Das Verhältnis von Reich und Ländern, insbesondere die Aufgaben- und Zuständigkeitsverteilung; b) die Frage der kleinen leistungsschwachen Länder; c) die Verwaltungsreform. Held, Brecht und Poetzsch-Heffter139 sollten sich mit den ersten beiden Fragenkomplexen befassen, Brecht, Stütze!, Apelt, Adelung140 und Saemisch mit der Verwaltungsreform141 • Inzwischen fanden am 20. Mai 1928 Reichstagswahlen statt, die einen beachtlichen Linksrutsch brachten. Der Wahlkampf hatte weitgehend unter den Parolen "Föderalismus" und "Unitarismus" gestanden. In den neuen Reichstag zogen mehr Unitaristen ein. Die SPD konnte 136 MinPräs Braun schrieb hierzu: "Ich delegierte den Ministerialdirektor Brecht ... mit der Maßgabe, daß durch seine Stellungnahme weder ich, noch die preußische Regierung festgelegt würde" (0. Braun, Von Weimar zu Hitler, 1949, S. 214 f.). 137 BVC; Zitat im Bayer. Kurier vom 19. 1. 1928: "Die LK". 1as Vgl. den Ber. der Vertr. der RReg in München an die Rk vom 19. 1. 1928; BA, R 43 I/1875. 139 Dr. Fritz Poetzsch-Heffter, geb. 1881 Großenhain, gest. 1935 Kiel; 1919 Bevollm. Sachsens zum Staatenausschuß, dann zum RR; DDP; MinDir; 1932 Prof. f. ö. Recht in Kiel; entschiedener Unitarier. 140 Dr. Bernhard Adelung, geb. 30.11. 1876 Bremen; Buchdrucker; SPD: hess. StPräs und Kultusminister. 141 Niederschr. über d. Sitzung d. Ausschusses d. LK f. Verfassungs- u. Verwaltungsreform am Freitag, dem 4. Mai 1928 . .. ; B. HStA.II, MA 103399; BerichtHeldsauf d. Ministerratssitzung v. 5. Mai 1920; B.HStA.II, MA 103438. Am 21. Mai traten die vorgesehenen Berichterstatter i. d. Rk zu einer Besprechung zusammen (Held und Stützel nahmen nicht teil); Ber. hierüber: Der SS in der Rk an MinPräs Held - Rk 4177 - v. 31. 5.1928; B.HStA.II, MA 103438 und 103307. Es wurde dabei folgende Gliederung vereinbart: a) Darstellung der mangelnden Homogenität der Länder; b) Darstellung des Durcheinanders an Zuständigkeiten in der Lösung der Aufgaben; c) Darstellung der finanziellen Verflechtung von Reich und Ländern (u. a. Fondswirtschaft).

III. Die Länderkonferenz in Berlin 1928/30

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die Zahl ihrer Mandate von 131 auf 153, die Kommunisten von 45 auf 54 vergrößern. Die DNVP hatte anstatt bisher 103 nurmehr 73, die DVP statt 51 nun 45, die BVP anstatt 19 jetzt 16 und das Zentrum anstatt 69 nurmehr 62 Abgeordnete im Reichstag. Die BVP bemühte sich, auch der neuen Reichsregierung anzugehören. Am 25. Mai einigten sich Vertreter der BVP und des württembergischen, badischen und hessischen Zentrums, den Eintritt in eine Koalition von folgenden Bedingungen abhängig zu machen: a) Garantie der Eigenstaatlichkeit der süddeutschen Länder; b) Verbesserung des künftigen Finanzausgleichs zugunsten der lebensfähigen Länder, "sei es durch Erschließung oder Erweiterung eigener Steuerquellen, sei es durch Erhöhung der Steuerüberweisungen"; c) Bevorzugung der Besatzungsgebiete; d) Vereinheitlichung der Realsteuergesetzgebung der Länder nicht auf dem Wege der Reichsgesetzgebung, sondern durch Vereinbarung unter den Ländern; e) baldige Durchführung der Postabfindung; f) Förderung des Bauerntums und des gewerblichen Mittelstandes durch die Wirtschaftspolitik142 • Die BVP beteiligte sich an der neuen Reichsregierung unter Hermann Müller143 und entsandte Dr. Georg Schätzell44 ins Kabinett, dem er bereits einige Monate unter Marx angehört hatte. Die Zusammensetzung der neuen Reichsregierung ließ befürchten, daß die unitarische Komponente auf der Länderkonferenz verstärkt würde. Reichskanzler Müller bekannte sich jedoch in seiner Regierungserklärung vom 3. Juli 1928 zur Fortführung der Länderkonferenz: "Die Reichsregierung stimmt mit der Länderkonferenz und der Gesamtheit des Volkes darin überein, daß die gegenwärtige Regelung des "Forderungen"; B.HStA.II, MA 103382. ua Hermann Müller, geb. 18. 5. 1876 Mannheim, gest. 20. 3. 1931 Berlin; SPD; 1906 Mitglied d. Parteivorstandes; 1916 MdR, seit 1920 Fraktionsvors.; 21. 6. 1919-26. 3.1920 RAußMin (unterzeichnete mit Bell den Versailler Vertrag); 27. 3. 1920-8.6. 1920 u. 28. 6. 1928-27.3.1930 RK; ging in seiner soliden Art ruhig u. sachlich an die Dinge heran. 144 Dr. Georg Schätze!, geb. 13. 5.1874 Höchstadt (Aisch), gest. 27. 11.1934 München; Gymnasium in Bamberg, 1891-95 Jurastudium in München; 1899 in die bay Postverw. berufen; 1904 im neugegründeten bay Verkehrsministerium (1919 dort MinRat); 1923 SS der Abt. München des Rpostmin; Schätze! war der erste, der über die Verwendung des Kraftwagens im ö. Dienst schrieb ("Motorposten", 1900) und trug maßgebend für den Aufbau des bay Verkehrswesens bei. Neben seiner Tätigkeit in der Verkehrsorganisation leitete er die Reorganisation der bay Post (Rationalisierungsmaßnahmen u. a.); 29. 1. 1927-30. 5.1932 RPostMin; geachteter Reichsminister, der die Interessen Bayerns im Reichskabinett besonnen und sachlich vertrat; manche Parteifreunde, etwa Fritz Schäffer, versuchten, ihn diesbezüglich mehr anzufeuern. 142

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1. Kap.: Reichsreform

Verhältnisses zwischen Reich und Ländern unbefriedigend sei und einer grundlegenden Reform bedarf ... Sie wird bestrebt sein, eine befriedigende Lösung der Reichsreform in enger Zusammenarbeit mit den Ländern herbeizuführen145." Demgegenüber machte Reichsinnenminister Severing146 kein Hehl daraus, wohin die Fahrt gehen sollte: Am 6. September 1928 forderte er auf dem Gewerkschaftskongreß in Harnburg ein Reichskultusministerium als nächsten Schritt hin zum Einheitsstaat147. Als Ritter von Preger diesbezüglich beim Reichskanzler vorstellig wurde, erklärte dieser, der Einheitsstaat sei ein zurückgestelltes Endziel der SPD, und die Rede Severings, der in Harnburg als Privatperson gesprochen habe, sei in diesem Sinne zu verstehen148. Staatssekretär Pünder steuerte demselben Ziel zu wie Severing, wenn er auch gegenüber den Ländern das Gegenteil behauptete. Am 10. Oktober 1928 schrieb er an den Reichsinnenminister, die Zusammensetzung des Verfassungsausschusses der Länderkonferenz gewährleiste durchaus eine Überstimmung der Föderalisten149. Vom 22.-24. Oktober 1928 tagte dieser Ausschuß im Reichskanzlerhaus150. Alle an der Reichsreform interessierten Gruppen hatten im Hinblick auf diese Tagung ihre Positionen neu durchdacht und abgegrenzt. Die bayerische Regierung wählte die Denkschrift "Material zur Verfassungsreform" vom Oktober 1928 zur Richtschnur. Selbst innerhalb der BVP herrschte keine Einstimmigkeit über die konservative Haltung der Regierung Held. Auf einer Kreisversammlung der BVP in Forchheim sagte Prälat Leicht: "Die BVP muß sich sehr hüten, sich in der Frage des Reichsneubaues so verknöchert zu zeigen, daß sie jeder vernünftigen Änderung . .. widerstrebt. In diesem Falle wäre die Gefahr, daß die ganze Entwicklung über sie hinweggeht. Die BVP muß vielmehr jetzt selbst mit einem fortschrittlichen Programm vor die Öffentlichkeit treten und Einfluß auf die Gestaltung der Dinge zu gewinnen suchen151 ." Held hielt jedoch seinen eingeschlagenen Weg ein und vertrat am ersten Verhandlungstag (22. 10.1928) die Auffassung, "daß man eine 145 S. 32; BA, R 43 I/1933. 146 Karl Severing, geb. 1. 6. 1875 Herford, gest. 23. 7. 1952 Bielefeld; Schlosser; seit 1901 in der soz. Gewerkschaftsbewegung; 1907-12 und 1920 bis 33 Mitglied des RT (SPD); 1919-33 MdL-Preußen; 1919 Reichs- und Staatskommissar für Westfalen; 1920/21, 1921-26 und 1930-32 preuß. InnMin; 28. 6. 1928-27. 3. 1930 RMin d Inn. 147 Vgl. "Vorwärts" vom 7. 9. 1928 und das "Berliner Tageblatt" vom 6. 9. 1928 (Abendausgabe). 148 Bay Ges an das Stmin d Äuß - Nr. 2960 - vom 20. 9. 1928; B.HStA.II, MA 103296. 149 Rk 7498; BA, R 43 I/1878. 150 Stenogr. Niederschrift über die Sitzung des Ausschusses der LK für Verfassungs- und Verwaltungsreform vom 22.-24. Okt. 1927 im Reichskanzlerhaus. Berlin 1928 (91 S.); auch im B.HStA.II, MA 103379. 151 Zit. nach Münchener Post vom 18.10. 1928: "Leicht warnt."

III. Die Länderkonferenz in Berlin 1928/30

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so weitgreifende Neuorganisation, die an die Grundfesten unserer gegenwärtigen Verfassung geht, nicht notwendig hat, um zu dem Ziel zu kommen, das allen Herren gemeinsam vorschwebt"152. Prof. Nawiasky153 unterbreitete dem Verfassungsausschuß seine Vorschläge zu dem Problem der kleineren und leistungsschwachen Länder, des Finanzausgleichs und des Verhältnisses zwischen Reich und Ländern154. Sie stellten das Resümee seines im Jahre 1928 erschienenen Werkes: "Grundprobleme der Reichsverfassung. Teil 1: Das Reich als Bundesstaat" dar, eine der eindrucksvollsten Untersuchungen des Föderalismus-Problems der Weimarer Zeit155• Auch auf dieser Tagung im Oktober 1928 kam es nicht zu ernsthaften Zusammenstößen zwischen Föderalisten und Unitaristen, aber auch nicht zu einer Verständigung. Auf Vorschlag der Reichsregierung wurden zwei Unterausschüsse gebildet, denen Poetzsch-Heffter, Nawiasky, Hamm156, Popitz, Apelt und Saemisch als Sachverständige angehören sollten. Ministerpräsident Held entschloß sich, selbst als bayerischer Vertreter an den Verhandlungen der Unterausschüsse teilzunehmen. Als seinen Vertreter benannte er Dr. Stützel, als seinen Berater Ministerialrat Sommer157. Die Unterausschüsse, die am 10. November 1928 erstmals zusammentraten, beschlossen, folgende drei Themenkreise zu behandeln: a) Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Reich und Ländern158. 152 Stenogr. Niederschrift .. . , 1928, S. 11. 153 Dr. Hans Nawiasky, geb. 24. 8. 1880 Graz; 1919-33 und nach 1946 Prof. in München (Staatsrecht und ö. Recht), 1934 ff. in St. Gallen; 1946 an der Schaffung der bay Verfassung beteiligt. 154 Sten Niederschrift . .. 1928, S. 51 ff. Gesondert gedruckt: Prof. Nawiasky, Ausführungen für den VA der LK zu dem Problem der kleineren und der leistungsschwachen Länder. Zugleich ein Beitrag zum FA, Oktober 1928. Ders., Vorschläge an den VA der LK für die Beratung über das Verhältnis zwischen Reich und Ländern. Oktober 1928. Beide Beiträge am 19. Oktober 1928 vom SS in der Rk - Rk 7692 - an die Mitglieder des Ausschusses versandt; auch im B.HStA.II, MA 103429 und MA 103345. 155 Vgl. G. Schulz, Zw. Demokratie und Diktatur, 1963, S. 195. 156 Dr. Eduard Hamm, geb. 16. 10. 1879 Passau, gest. 20. 7. 1944 Berlin; Staatsanwalt; DDP; 1916 bay Vertreter im Kriegsernährungsamt Berlin; 1918 Legationsrat im B. Stmin d Äuß; 1919 MdL u. MdR; 31. 5. 1919-2. 11. 1922 BStMin f Handel, Ind. u. Gewerbe; 22. 11. 1922-12. 8. 1923 SS in der Rk; 30. 11. 1923-15. 1. 1925 RWirtschMin; 1925 Geschäftsführer und Präsidialmitglied des Dt. Ind.- u. Handelstages; 1933-44 Rechtsanwalt; einfallsreicher, nüchterner Politiker, in Berlin Gegner der bay Reichsreform-Politik. 157 Ministerratssitzung vom 27. 10. 1928; B.HStA.II, MA 103297. 158 Ein entspr. Referat I sollte erstellt werden von Koch, Held, Remmele (Adam Remmele, geb. 26.12.1877 Alt-Neudorf, gest. 1951; Müller; SPD; 1903-05 Leiter d. Städt. Arbeitsamtes Ludwigshafen; 1908-18 Schriftleiter der "Volksstimme" in Mannheim; 1918-19 Vors. d. Arbeiter- u. Soldatenrates für Baden; 1919-29 bad. InnMin; 1919 MdL-Baden; 1929-31 bad. Justiz- u. Kultusminister; 1922/23 und 1927/28 bad. StPräs; 1945 Leiter d. Zentralverbandes der dt. Konsumgenossenschaften), Brecht und Dr. Joh. Horion (geb. 27. 3. 1876 Marienforst, gest. 19. 2. 1933 Düsseldorf; 1904 Rheinischer Landesrat; 1922 Landeshauptmann der Rheinprovinz).

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1. Kap.: Reichsreform

b) Die finanziellen Auseinandersetzungen zwischen Reich und Ländernt59. c) Die Organisation in Reich und Länderntso. Im folgenden Jahr sollten die Referate über diese drei Gebiete den Ausschüssen vorgelegt werden. Die Verhandlungen der Länderkonferenz hatten in ihrem ersten Jahr keine Ergebnisse, auch kaum Fortschritte gebracht, wenngleich das breite Aufrollen vielfältiger Aspekte der Reichsreform lobenswert war. Die Föderalisten konnten zwar ihre Stellung halten, aber schon zeichnete sich eine Verschlechterung ihrer Position ab, woran u. a. der Regierungswechsel im Reich schuld war. Ministerpräsident Held sah sich nicht nur auf der Länderkonferenz selbst, sondern auch in der Öffentlichkeit immer mehr in die Defensive gedrängt161 • In der bayerischen Öffentlichkeit hat die föderalistische Bewegung Ende 1928 jedoch ihren Höhepunkt erreicht, bevor sie von den herandrängenden wirtschaftlichen und politischen Problemen endgültig zurückgedrängt wurde. Hauptträger dieser Bewegung waren zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht ausschließlich die BVP, sondern die Vaterländischen Verbände, die ihre antidemokratischen Vorstellungen mit föderalistischem Gedankengut verquickten. Die bayerische Regierung geriet somit in eine prekäre Lage, weil sie glaubte, das eine nicht tadeln zu können, ohne gleichzeitig dem anderen zu schaden. Fritz Schäffer162 unternahm 159 Ein entspr. Referat li sollte erarbeitet werden von Brüning (Dr. Heinrich Brüning, geb. 26. 11.1885 Münster; 1920-30 Geschäftsführer d. christl. Gewerkschaften; 1924 ff. MdR (Z); 1929 Fraktionsführer; 1932 Vors. d. Zentrumspartei; 30. 3.1930-30. 5.1932 Reichskanzler; 9. 10. 1931-30. 5. 1932 zugleich RAußMin; 1933 Emigration USA, Prof. an der Harvard Univ.; 1952 Prof. in Köln; in seiner kühlen Art stand er der süddeutschen Mentalität ziemlich verständnislos gegenüber; zwar zielbewußt, doch kein kämpferischer, mitreißender Volksmann, der sich seine Macht wirklich nutzbar gemacht hätte; vgl. G. R. Treviranus, Das Ende von Weimar. Heinr. Brüning und seine Zeit. 1968), Hamm und Nawiasky. 160 Hierzu sollten Brecht, Bolz (Dr. Eugen Bolz, geb. 1881 Rottenburg/N., hingerichtet 1945 Berlin; 1912-33 MdR (Z); 1913 ff. MdL-Württ.; 1917 württ. JustizMin; 1924 württ. InnMin; 1928-32 württ. StPräs; vgl. M. Müller, Eugen Bolz - Staatsmann und Bekenner, 1951), Petersen und PoetzschHeffter ein Referat III erstellen. 161 Vgl. Sehr. d. RPostMin Schätze! an Held v. 29. 9. 28; B.HStA.II, MA 103296. Schätze! macht darauf aufmerksam, daß die Berliner Presse die bay Politik fortwährend lächerlich mache. Er fordert daher einen Verbindungsmann zur Presse für die bay Gesandtschaft Berlin. 162 Dr. Fritz Schäffer, geb. 12. 5. 1888 München, gest. 29. 3. 1967 Berchtesgaden; einem niederbayerischen Bauerngeschlecht entstammend; Jurastudium in München; 1920-33 MdL (BVP) 1920 RegRat im B. Stmin f U + K; 1929-33 Vors. d. BVP; 16. 9. 1931-10. 3. 1933 Staatsrat und Leiter des BStmin d Fin; 1933-45 als Rechtsanwalt tätig; als Gegner des Hitlerregimes zeitweise inhaftiert; Mai 1945-30. 9.1945 Bay MinPräs; 1949-61 MdB (CSU); 15./20. 9. 1949-22. 10. 1957 BundesFinMin; 22./28. 10. 1957-7. 11. 1961 Bundesjustizminister; gehörte dem r echten Flügel der BVP an; betätigte sich hinsichtlich der Reich-Bayern-Streitigkeiten als Scharfmacher; energischer Verfechter

iii. Die Länderkonferenz ln Berlin 1928/30

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es, die föderalistische Bewegung der Vaterländischen Verbände "von innen zum Scheitern zu bringen", um der bayerischen Regierung eine öffentliche Stellungnahme zu ersparen und die föderalistische Bewegung wieder unter die Kontrolle der BVP zu bekommen163• Schätzel und Preger beruhigten die Reichsregierung und erklärten die Auswüchse der föderalistischen Bewegung in Bayern mit der Aushöhlungspolitik des Reiches vor allem auf finanziellem Gebiet1 64 • 3. Die Verhandlungen im Jahre 1929

Ministerpräsident Held entschloß sich, nicht an dem Gemeinschaftsreferat I über die Abgrenzung der Zuständigkeiten mitzuwirken, da er keine Möglichkeit eines Kompromisses sah. Das Gemeinschaftsreferat I sah u. a. eine Einschränkung der Verwaltungshoheit der Länder vor durch die sog. Auftragsverwaltung, was Held rundweg ablehnte. Er legte daher eigene Arbeiten vor: a) "Die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Reich und Ländern in Gesetzgebung und Verwaltung" (Mai 1929), und b) "Zur Frage der Zuständigkeit der sog. Länder neuer Art" (Juli 1929). In der ersten Schrift wiederholte Held die Forderungen der Bayerischen Denkschrift von 1928 "Material zur Verfassungsreform" nach dem Grundsatz, dem Reich solle gehören, was zu seiner Wirksamkeit nach außen und für die gedeihliche Entwicklung im Innern lebensnotwendig ist, alles andere solle in die Zuständigkeit der Länder fallen. In seiner zweiten Arbeit lehnte Held eine Zerschlagung Preußens unter den gegebenen Umständen ab. Held befürchtete, daß die Länder alter Art den geplanten Ländern neuer Art, die durch eine Zerschlagung Preußens gewonnen würden, angeglichen werden sollten, also zu Provinzen herabsänken. Das Gemeinschaftsreferat I wurde jedoch bei der Abstimmung am 6. Juni 1929 mit 9 Stimmen gegen die Stimmen Helds und Schätzeis angenommen165• Zum zweiten Fragenkomplex, den finanziellen Auseinandersetzungen zwischen dem Reich und den Ländern, kam kein Gemeinschaftsreferat zustande. Die jahrelangen Kämpfe um den Finanzausgleich ließen erahnen, daß sich auf diesem Gebiet keine Einigung der Standpunkte der Eigenstaatlichkeit und Finanzhoheit Bayerns, die er jedoch als BundesFinMin in bedenklichem Maße untergrub. 163 Sehr. an Held vom 30. 11. 1928; B.HStA.II, MA 103382. 164 Sehr. Schätzeis an Held vom 8. 12. 1928; B.HStA.II, MA 103382. 165 VA der LK. Die Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Reich und Ländern. Vorschläge der Referenten und Beschlüsse des Unterausschusses. Berlin 1930; auch im B.HStA.II, MA 103374.

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1. Kap.: Reichsreform

erzielen lassen würde. Lediglich Prof. Nawiasky legte eine Stellungnahme vor: "Grundsätzliche Betraclltung über die finanzielle Auseinandersetzung zwischen Reich und Ländern - Vorgelegt dem zweiten Unterausschuß des Verfassungsausschusses der Länderkonferenz im Juni 1929166." Nawiasky bemängelte, daß den Ländern durch die Erzbergersehe Finanzreform "das finanzielle Rückgrat gebrochen wurde" (S.l), indem ein unbedingter Vorrang der finanziellen Bedürfnisse des Reiches als selbstverständlich angesehen wurde. Die Zurückdrängung der Länder in die zweite Reihe, in die Rolle der Kostgänger, übertrug sich auf die Einschätzung des Berechtigungsgrades ihrer Ansprüche. Für die Zwecke des Reiches sei ausreichend gesorgt worden, so daß im Reichsetat sogar Kredite für Dotationen aller Art vorgesehen werden konnten, die Länder habe man nur notdürftig lebensfähig erhalten. Dadurch sei der Eindruck entstanden, daß ein Teil der Länder keine Existenzfähigkeit mehr besäße und nur durch Subventionen am Leben erhalten würde, sowie daß der Bundesstaat kostspieliger sei als der Einheitsstaat. Da sowohl das Reich als auch die Länder notwendige Aufgaben zu erfüllen hätten, müßten die Steuermittel "gleichmäßig zur Deckung der Kosten, welche die Aufgaben beider Teile erheischen, verwendet werden" (S. 2). Eine Priorität des einen oder anderen Teiles dürfe nicht in Betracht kommen. Eine Neugestaltung der Finanzverfassung müsse sich nach dem Leitsatz richten: "Verteilung der Mittel nach den Zwecken statt der Erfüllung der Zwecke nach den verteilten Mitteln" (S. 5). Nach diesem Gesichtspunkt stelle die Frage, ob die Steuerquellen reinlich zu trennen oder nach einem gerechten Schlüssel aufzuteilen seien, kein unlösbares Problem dar. Die Grundzüge eines gerechten Finanzausgleichs sollten verfassungsrechtlich gesichert, und der Reichsrat beim Zustandekommen der jeweiligen Finanzausgleichsgesetze gleichberechtigt beteiligt werden. Die Vorschläge Nawiaskys waren so weit gefaßt und um möglichste Objektivität bemüht, so daß auf ihrer Grundlage eine Einigung nicht ausgeschlossen gewesen wäre. Da aber Brüning und Ramm keine Beiträge vorlegten, und es weder jetzt noch später zu einem Gemeinschaftsreferat, wie vorgesehen, gekommen ist, wurde über die finanziellen Beziehungen zwischen Reich und Ländern nicht eigens beraten. Durch die Ausklammerung dieses Kardinalpunktes der Reichsreform auf de~ Länderkonferenz wurde (u. a.) deren Mißerfolg besiegelt. 166 14 Seiten; B.HStA.II, MA 103298. Einteilung: I. Der FA im Kaiserreich; II. Die Verschiebung der Verhältnisse nach dem Zusammenbruch; III. Der grundsätzliche Standpunkt; IV. Der heutige FA nach seinen Grundzügen und seiner Entstehung; V. Neuaufbau des FA. Ausgangspunkt; VI. Ermittlung des Bedarfs; VII. Deckung des Bedarfs durch Steuermonismus oder Pluralismus; VIII. Aufteilung der Steuerquellen; IX. Spezial- oder Gruppensystem? X. Länderschlüssel; XI. Gemeinden; XII. Zusammenfassung; XIII. Formelle Regelung.

III. Die Länderkonferenz in Berlin 1928/30

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Ministerpräsident Held machte das Reichsinnenministerium auf diese Tatsache aufmerksam. Severing schloß sich der Meinung Ramms und Brünings an, erst nach Beschlußfassung über alle anderen Fragen der Reichsreform Vorschläge zu einer Neuordnung des Finanzwesens zu unterbreiten167 • Somit blieb alles in der Schwebe. Mögliche Beschlüsse ließen sich vor der Regelung der finanziellen Seite nicht realisieren. Reichsinnenminister Severing gestand vor dem Reichstag, daß die Reichsregierung den Beschlüssen der Länderkonferenz keinen bindenden Charakter beimesse; der Einheitsstaat komme, ob sich die Länderkonferenz dafür entscheide oder nicht168• Aber auch Ministerpräsident Held lag wenig an bindenden Beschlüssen der Länderkonferenz, nachdem sich mit deren "differenzierter Gesamtlösung" die unitarische Richtung durchgesetzt hatte169• Diebayerische Regierung betonte, daß es sich bei den Beschlüssen der Länderkonferenz-Ausschüsse lediglich um Vorschläge eines willkürlich zusammengesetzten Gremiums handelte170• Severing pßichtete dieser Auffassung in einem Gespräch mit Dr. von Preger am 11. Dezember 1929 voll bei. Er habe sich nie Illusionen gemacht, daß sich die Beschlüsse der Länderkonferenz nicht in die Praxis umsetzen ließen, da sie hierzu einer Zweidrittel-Mehrheit des Reichstages bedürften. Die Entwicklung zum Einheitsstaat werde sich "durch die Macht der Verhältnisse, insbesondere der finanziellen Verhältnisse, nach und nach von selbst ergeben". Der preußische Ministerpräsident Braun vertrat die gleiche Auffassung111• Die Reichsregierung, Preußen und Bayern, die Hauptvertreter des unitarischen und föderalistischen Gedankens, hatten sich im Laufe des Jahres 1929 deutlich von der Länderkonferenz distanziert, in der sie keine Möglichkeit zur Realisierung ihrer verfassungspolitischen Pläne mehr erblickten. Die Reichsregierung und Preußen waren sich zwar bezüglich des Einheitsstaates als Ziel einig, nicht jedoch hinsichtlich der Zukunft Preußens, das Braun nicht zerschlagen sehen wollte. Held blieb auf der Länderkonferenz jegliche Zustimmung für seine föderalistische Reichsreformpläne versagt; die Beschlüsse der Ausschüsse bedeuteten vielmehr eine weitere Bedrohung der Eigenstaatlichkeit Bayerns. 167 Severing an Held am 21. 10.1929; B.HStA.II, MA 103439. Severing antwortete auf ein entspr. Sehr. Helds Nr. 31159 vom 9. 10. 1929; B.HStA.II, MA 103439. MinDir Frhr. v. Imhoff von der bay Ges Berlin erfuhr von MinDir Poetzsch-Heffter, daß Preußen u. a. zu verhindem suche, daß die in Aussicht genommenen Finanzreferate gehalten werden: Sehr. an Held vom 15. 10.1929; B.HStA.II, MA 103439. 168 Vh RT vom 8. 7. 1929, StenBer S. 2212. 169 Ministerratssitzung vom 15.11.1929; B.HStA.II, MA 103439. Die "differenzierte Gesamtlösung" wurde am 19. 11. 1929 (VA der LK. Verhandlungen der Unterausschüsse vom 18. u. 19. Nov. 1929. Berlin 1930; auch im B.HStA.II, MA 103380 und MA 103439) angenommen. no BStZ vom 21. 11. 1929. 171 Bericht der bay Ges Berlin Nr. 3561 vom 12. 12. 1929; B.HStA.II, MA 103299.

5 Menges

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1. Kap.:

Reichsreform

4. Der Abschluß der Länderkonferenz im Jahre 1930

Nach dem anfänglichen Schwung beherrschten Desinteresse und Resignation die Arbeiten der Länderkonferenz im Jahre 1930. An einen befriedigenden Erfolg glaubte niemand mehr. Die Vorschläge und Denkschriften häuften sich, aber ein Kompromiß war nicht abzusehen. "Das ganze Problem droht in einem Wust von Material unterzugehen. Es ist aber gar kein Problem der staatsrechtlichen Theorie und der staatsrechtlichen Forschung mehr, sondern es ist einfach ein Problem des staatspolitischen Wollens." Diese zutreffende Situationsschilderung gab der ehemalige Reichsinnenminister Külz im Juni vor dem Reichstag172. Die neue Regierung unter dem Reichskanzler Brüning und mit dem Reichsinnenminister Moldenhauer173 besaß das "Wollen" einer Reichsreform wohl mehr als die Regierung Müller, aber weit weniger als jene das "Können". Die finanzpolitische Lage des Reichs spitzte sich unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise dermaßen zu, daß vorübergehende Notmaßnahmen im Gebiet des Finanzwesens nötig erschienen und nicht eine grundlegende Neuordnungm. Wirth verständigte die Länderregierungen, daß die Ausschüsse bei ihrer Tagung im Juni 1930 ihre Arbeiten zu einem Abschluß bringen sollten, um eine baldige Beschlußfassung der Länderkonferenz zu ermöglichen175• Ministerpräsident Held antwortete hierauf, daß die Verwirklichung der Beschlüsse der Länderkonferenz, vor allem der sog. "düferenzierten Lösung", von der Regelung der finanziellen Beziehungen zwischen Reich und Ländern abhinge17&; im gleichen Sinne stellte er am 20. Juni 1930 auf der Länderkonferenz einen Antrag. Er konnte jedoch die Beschlußfassung vom 20. und 21. Juni über die Referate I (Zuständigkeiten) und 111 (Organisation) nicht mehr beeinflussen oder gar verhindern177. Daher erklärte er vor dem Ministerrat, er sei auf Grund Vh RT vom 17. 6.1930, StenBer S. 5508. Dr. Paul Moldenhauer, geb. 2.12. 1876 Köln, gest. 1. 2.1947 Köln; 1920 bis 1932 MdR (DVP); Begründer und Direktor (seit 1919) d. Seminars f. Versicherungswiss. an d. Univ. Köln; 11.11.1929-23. 12. 1929 RWirtschMin; 23. 12. 1929-20. 6. 1930 RFinMin; 1931-43 Prof. an der TH u. Univ. Berlin; 1933 Mitglied d. dt. Delegation bei der Abrüstungskonferenz in Genf. nt Vgl. auch die Rede Moldenhauers auf der Jahreshauptversammlung des westfälisch-lippischen Wirtschaftsbundes: Deutsche Allg. Ztg. Nr. 205/06 vom 6. 5. 1930 "Von der Reform der Reichsfinanzen zur Reichsreform. Dr. Moldeohauers neue Pläne." 115 Der RMin d Inn Nr. I B 5414/5. 5. vom 26. 5.1930; B.HStA.II, MA 103440. 176 Held an den RMin d Inn Nr. 17836 - vom 4. 6.1930; Konzept; B.HStA.II, MA 103440. m VA der LK. Niederschrift über die Verhandlungen der Unterausschüsse vom 20. Juni 1930 und Beschlüsse des 2. Unterausschusses über die Organisation der Länder und den Einfluß der Länder auf das Reich. Berlin 1930. VA der LK. Niederschrift über die Vh des VA vom 21. Juni 1930 und Beschlüsse des VA über 1. Die Abgrenzung der Zuständigkeit zw. Reich und Ländern. 2. Organisation der Länder und der Einfluß der Länder auf das Reich. Berlin 1930, Wortlaut der "differenzierten Gesamtlösung" S. 58 ff. 112 173

IV. Bundesstaat - Einheitsstaat

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des Verlaufs der Verhandlungen zu der Überzeugung gelangt, daß sich Bayern an den weiteren Verhandlungen der Länderkonferenz nicht mehr beteiligen solle178• Schon in Berlin hatte er betont, die Beschlüsse des Verfassungsausschusses gäben der Reichsregierung kein Recht, "irgendwelche praktischen Konsequenzen" zu ziehen179. Bayern blieb bei der strikten Ablehnung der "differenzierten Gesamtlösung", die den Einheitsstaat vorerst nur in Norddeutschland verwirklichen und die Länder in drei Gruppen einteilen wollte. Die Eigenverwaltung bliebe danach den Ländern Bayern, Sachsen, Württemberg und Baden vorbehalten. Preußen sollte seine Regierung auf das Reich übertragen und seine bisherigen Provinzen als "Länder neuer Art", als Selbstverwaltungskörper in unmittelbare Reichsverwaltung überführen. Für die kleineren Länder war ihre Eingliederung durch einfaches Reichsgesetz vorgesehen. Die Auftragsverwaltung sollte das Nebeneinander von Reichs- und Landesbehörden auf verwandten Gebieten beseitigen. Reichsmittelbehörden sollten zwischen dem Reich und den Gemeinden bedeutungsvolle Aufgaben übernehmen. Die Beschlüsse der Länderkonferenz erlangten keine Wirksamkeit, wenngleich man vorgab, sie nicht endgültig ad acta legen zu wollen. Brecht entwarf in Privatinitiative unter dem 20. 9. 1930 einen "Gesetzentwurf über die Reichsreform" 180 ; Wirth versicherte der bayerischen Regierung, ein entsprechender Gesetzentwurf werde in seinem Ministerium erarbeitet181• In München drängte man keineswegs auf ein Reichsreformgesetz, das sich auf die Beschlüsse der Länderkonferenz stützte. Wenn die bayerische Staatsregierung von Reichsreform sprach, dachte sie nicht an eine vollkommene Neuordnung des Verfassungslebens, sondern an eine Präzisierung der bestehenden Verfassung im bundesstaatlichen Sinn. IV. Bundesstaat -

Einheitsstaat

1. Föderalismus

Föderalismus und Unitarismus bezeichnen im Hinblick auf die staatliche Verfassungsordnung gegensätzliche politische Gestaltungsprinzipien; sie stellen gegensätzliche Aussagen über die Ordnung der Gesellschaft dar sowie über die Art und Weise des Machtgebrauchs. Gewisse m Ministerratssitzung vom 24. 6.1930; B.HStA.II, MA 103300.

VA der LK. Niederschrift über die Vh vom 21. 6. 1930, S. 54. Kommentar Helds: Brecht ignoriere die Beschlüsse der LK dort, wo sie ihm nicht angenehm sind; 12seitiges Gutachten Nr. II 29635; B.HStA.II, MA 103440. 181 Wirth an das B.Stmin d Äuß Nr. I B 5418/7. 7. vom 20. 7. 1931; B.HStA.II, MA 103440. 179 180



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1. Kap.: Reichsreform

Grundforderungen des Föderalismus182 sind im Bundesstaat verwirklicht, während der Einheitsstaat an Maximen des Unitarismus ausgerichtet ist. Gemeinhin versteht man unter Föderalismus die Tendenz im Bundesstaat, die Gliedstaaten durch Gewährung bzw. Zuweisung von Kompetenzen in ihrem Staatscharakter möglichst zu stärken. Bezüglich des Verwaltungsaufbaues bildet der Föderalismus den Gegenpol zum Prinzip der Konzentration und Zentralisation. Durch sein Ziel der Einheit in der Vielfalt grenzt sich der Föderalismus vom Partikularismus183 und Separatismus184 ab. Unitarismus und Einheitsstaat erscheinen dem Föderalismus als Ergebnis eines mechanistischen Staats- und Gesellschaftsdenkens, das den gegliederten Aufbau der Gesellschaft und des Reiches in seiner Bedeutung verkennt und damit ihre fruchtbare Wirksamkeit mindert und erstickt. Die im Einheitsstaat häufig gegebene äußere Konsolidierung und Straffung erscheinen dem Föderalismus als Trugbild. Er weist demgegenüber auf die wachsende Verkümmerung der das Reichsganze tragenden gesellschaftlichen und einzelstaatlichen Kräfte 182 W. E. Althaus, Die föderalistischen Elemente in den Verfassungen ... 1871 und 1919, 1930; G. Anschütz, Der deutsche Föderalismus, 1924; W. Apelt, Zum Begriff "Föderalismus", 1950; E. v. Aretin, Bayern und der Föderalismus, 1948; H. Auer, Der unitarisch-föderalistische Gegensatz in der Weimarer RV, 1933; W. Becker, Föderalistische Tendenzen im dt. Staatsleben, 1928; K. Beyerle, Föderalistische Reichspolitik, 1924; K. Bilfi nger, Der deutsche Föderalismus, 1924; K. Buchegger, Unitarismus und Föderalismus in der Weimarer RV, 1927; B. Dennewitz, Der Föderalismus, 1947; E. Deuerlein, Föderalismus. 1968; W. Ferber, Der Föderalismus in Dld, 1950; C. Frantz, Deutschland und der Föderalismus, 1921; ders., Der Föderalismus als universale Idee, 1948; F. Giese, Föderalistische Verfassungsform, 1926; F. W. Jerusalem, Die Staatsidee des Föderalismus, 1949; 0. Klingender, Die Bedeutung des Föderalismus, 1927; G. Laforet, Föderalismus und Gesellschaftsordnung, 1947; W. Mommsen, Föderalismus und Zentralismus, 1954; P. P. Nahm, Die Krise des dt. Föderalismus, 1927; H. Nawiasky, Das Reich als Bundesstaat, 1928; A. Pfeiffer, Im Zeichen des Föderalismus, 1924; H. Pfeiffer, Der Strukturwandel der föderativen Organe ... (1871-1949), 1952; E. v. Puttkamer, Föderative Elemente im dt. Staatsrecht seit 1648, 1955; F. Schäffer, Der Föderalismus in Dtd., 1928; H. Schmelzte, Gedanken über den Föderalismus, 1928; F. Stier-Somlo, Zur Frage des Unitarismus und Föderalismus, 1925; H. Triepel, Der Föderalismus und die Revision der Weimarer Verf., 1924; H. Venator, Unitarismus und Föderalismus im dt. Verfassungsleben, 1921; E. Zaske, Der

föderative Gedanke in der Weimarer RV und deren Revision nach föderalistischen Gesichtspunkten, 1925; W. G. Zimmermann, Bayern und das Reich 1918-1923, 1953; R. Kunze, Kooperativer Föderalismus, 1968; H. Armbruster, Föderalismus: Staatslexikon 111, 1959; Bauer, RV und Föderalismus, 1925 (Mschr. im B.HStA.II, MA 103271); vgl. auch die Bestände im B.HStA.II, MA 103282 (Unitarismus und Föderalismus, 1920/27) und MA 103342 (Held über Föderativ- u. Einheitsstaat, 1928); obiges nur eine kurze Auswahl der reichhaltigen Literatur; Abschnitt IV.) dieses Kapitel möchte lediglich eine Definition und Einführung in die Begriffe liefern, die im Zusammenhang mit dem Reich-Länder-Problem wichtig sind. 183 Vgl. K. Beyerle, Partikularismus: Staatslexikon IV, 1931, Sp. 51 ff. 184 Vgl. 0. Barbarino, Staatsform, 1949, S. 421; W. G. Zimmermann, Bayern und das Reich, 1953, S. 126-133.

I. Grundlagen und Ziele der Reichsreform

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hin. Die Föderalisten halten den Einheitsstaat außerdem für krisengefährdeter; die gutentwickelten Teilkräfte eines föderalistischen Staates könnten Krisen, seien sie wirtschaftlicher oder politischer Art, besser abfangen. Der Föderalismus trägt auch einen die Freiheit des einzelnen und der Gruppen begünstigenden Grundzug und steht somit im Gegensatz zum Kollektivismus und zur Vermassung. Er befürwortet einen gemäßigten politischen und sozialen Pluralismus. Für den Föderalismus in der Weimarer Zeit wurde neben der konstruktiven Einflußnahme auf die politische Willensbildung des Reiches im föderalistischen Sinne seine bewahrende Kraft, die den Gegebenheiten gewachsener Tradition entgegenkommt, charakteristisch. Die Länder beriefen sich auf ihn, wenn sie um den Bestand ihrer Rechte und Kompetenzen kämpften. Somit erschien der Föderalismus in der politischen Auseinandersetzung nach dem 1. Weltkrieg konservativ, ja restaurativ, während die. Befürworter des Einheitsstaates sich für progressiv hielten, in der Gewißheit, daß ihnen die Zukunft gehöre. Grenzen und Inhalt des Begriffes "Föderalismus" waren dermaßen verschwommen, so daß sich unter seiner Fahne Leute sammeln konnten, die im Hinblick etwa auf die Schweiz und die USA den Föderalismus als die einzige gerechte und freie Form der Demokratie hielten sowie demokratiefeindliche Elemente, die auf das Bismarckreich und den dynastischen Föderalismus zurückblickten.

a) Zusammenschlüsse von Föderalisten außerhalb Bayerns Am 2. September 1924 wurde auf dem 63. Katholikentag in Hannover der "Reichs- und Heimatbund deutscher Katholiken" als Organisation der katholischen Föderalisten gegründet. Die Leitung übernahm der Kölner Professor Benedikt Schmittmann185• Dieser katholische Föderalistenbund vereinigte sich am 25. September 1927 in Frankfurt mit dem "Reichsbund deutscher Föderalisten", der unter der Leitung von Ludwig Alpers186 stand, zur "Reichsabeitsgemeinschaft deutscher Föderalisten". Ein starker, hegemoniefreier, festgefügter Bundesstaat bei gleichzeitig ebenfalls starker, gemeinsamer Reichsgewalt schwebte der Reichsarbeitsgemeinschaft deutscher Föderalisten als Ideal vor. In Bayern fand diese Vereinigung kaum Befürworter. Diebayerische Staatsregierung und die BVP bildeten selbständige Einheiten im Lager der Föderalisten. tss Benedikt Schmittmann, geb. 4. 8. 1872 Düsseldorf; 1919-33 Prof. in Köln für Sozialwiss; Vorkämpfer für einen organischen, regional-gegliederten Föderativstaat mit korporativer Wirtschaftsverfassung; vgl. P. Lenz-Medoc, Schmittmann: Staatslexikon VI 61961, Sp. 1144 ff. tSG Ludwig Alpers, geb. 15. 12. 1866 Dorchkosen; 1912 ff. MdR (nat.-lib., dann Dt.-hannov. Partei).

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1. Kap.: Reichsreform

b) Derbayerische Föderalismus Der Föderalismus stellte in Bayern den bestimmenden Faktor des politischen Denkens und Forderns dar. In seiner lebendigen Wirklichkeit manifestierte sich der Selbsterhaltungswille des Landes, er war gleichsam ein "Glaubenssatz" 187 für Bayern. Die Wurzeln des föderalistischen Denkens lagen im bayerischen Nationalgefühl, das sich aufbaute 1. aus dem Bewußtsein einer lOOOjährigen Kontinuität von Raum, Volk und Staat, 2. aus der Annahme eines selbständigen bayerischen Nationalcharakters als gestaltendem Bestandteil des Staatswesens, 3. aus der Überzeugung von der Aufgabe des bayerischen Staates, das Gleichgewicht innerhalb des Reiches gegenüber dem Norden zu garantieren und die Verbindung zu Österreich aufrechtzuerhalten188. Das Selbstbewußtsein und die Staatstradition brachten das Verlangen nach Selbstbestimmung mit sich, wie es sich in einem Bundesstaat verwirklichen ließ. In diesem Sinne bejahte Bayern stets die Notwendigkeit der Reichseinheit. Das Schlagwort vom "Partikularismus" trat nur in Krisenzeiten ernsthaft hervor und diente ansonsten lediglich als Ausdruck der Entrüstung, in gewissem Maße auch als Mittel der Erpressung189 sowie als zugkräftiges Argument der bayerischen Innenpolitik; die Bevölkerung sollte erkennen, daß ihre Regierung die Interessen des Landes entschlossen führte. Nicht zu vergessen ist außerdem die Taktik des Überspannens, um wenigstens einen Teil des Geforderten zu erreichen. Die Kritiker mochten in der bayerischen Politik einen "negativen" Föderalismus mit egoistischer Note erblicken. Tatsächlich war es nicht Leitmotiv bayerischer Politik, allein Sonderinteressen durchzusetzen, vielmehr wollte die bayerische Regierung allgemein die föderativen Elemente der Reichsverfassung stärken. Die hauptsächliche Trägerin des bayerischen Föderalismus war die gehobene Beamtenschaft. Die sich ihrer Eigenart bewußte, konservative Gefühlswelt der Bayern und das aus einer latenten antipreußischen Stimmung rührende reichsfeindliche Sentiment boten einen günstigen 187 A. Brecht, Föderalismus, 1949, S. 3. 188 Vgl. G. Schutz, Zw. Demokratie und Diktatur, 1963, S. 9. 189 Vgl. dieLT-Rede Helds vom 9. 11. 1926; Vh LT, StenBer Bd. VI: "Bayern läßt sich seine eigene Staatlichkeit nicht nehmen. Wenn wir dazu gezwungen sind, sind wir bereit, bis zur äußersten Konsequenz zu gehen." Aber schon am nächsten Tag interpretierte Held seine Drohung dahingehend, er habe das mögliche Ausscheiden der BVP aus der RReg gemeint. Die Redensart von der "äußersten Konsequenz" beinhalte niemals eine "Gehorsamsverweigerung Bayerns dem Reich gegenüber". Bericht des Ges v. Haniel über ein Gespräch mit Held vom 11. 11. 1926; BA, R 43 I/2388, pag. 209.

IV. Bundesstaat - Einheitsstaat

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Nährboden für die Ausbildung eines Föderalismus bayerischer Prägung. Die Bauern, die Handwerker und das Kleingewerbe stimmten für die ungeschmälerte Eigenstaatlichkeit Bayerns vorbehaltsloser als die großen Wirtschaftsverbände, die karitativen Organisationen und die Städte. Der Generalsekretär der BVP, Anton Pfeiffer190, lieferte eine achtfache Begründung für den Föderalismus Bayerns19 1 : a) Berufung auf die alten Rechte Bayerns, die Bismarck geschont habe; b) Hinweis auf die geographisch, wirtschaftlich und vor allem stammesmäßig starke Gliederung Deutschlands; c) Gefahr der wirtschaftlichen Verarmung der Randgebiete Deutschlands in einem zentralistischen Reich; d) Verhinderung einer Machtkonzentration im Reich sowie einer Linksregierung in Bayern; e) die harmonische Entfaltung der Glieder kommt dem Ganzen zugute; f) Abneigung gegen das Norddeutsch-Preußische, die einer unterschiedlichen Wesensart entspringtl 92; g) der großdeutsche Gedanke und die Befürwortung eines Anschlusses Österreichs, Bayerns nächstem Verwandten; h) Gründe finanzieller, wirtschaftlicher und kultureller Art. Gerade letztere Gründe spielten in den Auseinandersetzungen zwischen dem Reich und Bayern eine hervorragende Rolle. Die bayerische Regierung machte geltend, daß Eigenstaatlichkeit nur bei einem gewissen Maß eigener Finanzhoheit möglich sei, daß die Wirtschaftsstruktur Bayerns einer ihr förderlichen Wirtschaftspolitik bedürfe, und daß die Bedeutung und der Reichtum deutscher Kultur in deren Vielfalt liege. 2. Unitarismus Der Unitarismus äußerste sich in der Weimarer Republik ungleich dynamischer und offensiver als der Föderalismus193• Er wurde getragen 190 Dr. Anton Pfeiffer. geb. 1888 Rheinzabern; 1918-33 Generalsekr. der BVP; 1929-33 MdL; 1945 Leiter der bay Staatskanzlei; 1946 B. StMin f Sonderaufgaben (CSU); 1950 dt. Botschafter in Brüssel. 191 A. Pfeiffer, Um den Bestand Bayerns, 1929. 192 Vgl. die simplifizierende Darstellung von Prof. Stier-Somlo in der Kölner Volksztg. v. 5. 12.1923, der den "königstreuen Bayern" mit dem "kommunistischen Republikaner" konfrontiert, den "tiefgläubigen Katholiken" mit dem "religionsfeindlichen Nationalisten", die "landsmannschaftliche Art und Sitte, Heimatgefühl, Bodenständigkeit des stolzen Süddeutschen" mit dem "weltmännisch, internationaldenkenden, im Grunde heimatlos entwurzelten Berliner". 193 G. Schulz, Zw. Demokratie und Diktatur, 1963, S. 7 f.: "Die Geschichte des Problems "Reich und Länder" in der kurzen Zeitspanne von 1918 bis 1933

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1. Kap.: Reichsreform

vom Großteil des Reichstages, von der Reichsverwaltung, meist auch von der Reichsregierung und nicht zuletzt von einflußreichen Wirtschaftskreisen. Der Unitarismus194 geht im Prinzip vom Ganzen aus und bildet seine Untergliederungen, die einander gleich oder ähnlich sind, im Interesse des Ganzen. Die unitarische Tendenz im Bundesstaat manifestiert sich darin, daß dem Gesamtstaat auf Kosten der Gliedstaaten möglichst viele Kompetenzen übertragen werden. Die vereinheitlichende Wirkung der Wirtschaft und des Verkehrs sowie die außenpolitischen Notwendigkeiten und das Militärwesen hatten großen Anteil an dem Unitarisierungsprozeß, der in der Weimarer Zeit evident wurde, aber bereits mit der Bismarckschen Reichsgründung begann. Für die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg lassen sich drei Herkunftsgebiete der politischen Triebkräfte der unitarischen Tendenz erkennen195: a} Demokratische, auch sozialistische Theorien folgten zum Großteil dem Prinzip der Zweckmäßigkeit der größtmöglichen Autorität der Zentralinstanzen. Reichspräsident, Reichsregierung und Reichstag erhielten dominierende Stellungen - eine Reaktion auf die beherrschende Rolle des Bundesrats des Bismarckschen Reiches196. b} Nach dem militärischen und wirtschaftlichen Zusammenbruch 1918 erschien - auch aus außenpolitischen Gründen - eine maximale innerpolitische Konzentration und eine weitgehende Beseitigung der innerpolitischen Differenzpunkte erstrebenswert. c} Der verwaltungs-, reparations- und finanzpolitisch begründete Gesichtspunkt größtmöglicher verwaltungstechnischer Rationalität und Sparsamkeit der Verwaltung besaß in Zeiten der Wirtschaftsund Finanznot erstauliche Durchschlagskraft. Dieses Argument verhalf Vereinheitlichungsmaßnahmen, wie sie die Reichsfinanzreform 1919/20 darstellte, weitgehend zur Realisierung. 3. Zentralisation und Dezentralisation

Während Föderalismus und Unitarismus verschiedene Arten, einen Staat aufzubauen, bezeichnen, zielen Zentralisation und Dezentralisaläßt sich als die Geschichte einer Begriffsentleerung, eines fortgesetzt abnehmenden Föderalismus charakterisieren und darstellen." m K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, 1962; K. Beyerle, Unitarismus: Staatslexikon V, 1932, Sp. 537 ff.; vgl. außerdem die Literaturangaben zum Föderalismus. 195 G. Schulz, Zw. Demokratie und Diktatur, 1963, S. 519. 196 C. Schmitt, Verfassungslehre, 1954, S. 390, spricht von einer "unitarischen Konsequenz der Demokratie".

IV. Bundesstaat- Einheitsstaat

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tion197 auf verschiedene Organisationsformen des staatlichen Lebens. In erster Linie wehrte sich der Verwaltungs- und Beamtenföderalismus (der Länder) gegen die anwachsenden zentralisierten Reichsorganisationen. Das hinderte jedoch die Länderbürokratie im eigenen Bereich nicht an einer straff zentralisierten eigenen Organisation198• Dezentralisation kann unter unitarischen wie auch unter föderalistischen Vorzeichen stehen, je nachdem, ob das Hauptaugenmerk auf der Gesamtheit oder auf den Teilen liegt199. Ersteres umschreibt das Schlagwort vom "dezentralisierten Einheitsstaat". Hiermit sollten die Nachteile einer einheitsstaatliehen Gestaltung durch eine verwaltungsmäßige Entlastung der Zentrale vermieden werden, um den Gegensatz "Unitarismus- Föderalismus" zu mildern200. In Bayern stieß die Parole vom dezentralisierten Einheitsstaat auf glatte Ablehnung201 • Es ist bezeichnend für die Untergrabung der bundesstaatliehen Form, daß weithin die Überzeugung herrschte, die Weimarer Republik sei bereits ein dezentralisierter Einheitsstaat2o2• 197 0. Kollmann, Selbstverwaltung und Zentralismus, 1932; H. Lohmeyer, Zentralismus und Selbstverwaltung, 1928; W. Mommsen, Föderalismus und Zentralismus, 1954; H. Peters, Zentralisation und Dezentralisation, 1928; Speiker, Zentralisation oder Dezentralisation: Wege zum dt. Einheitsstaat, 1926; Die bay StReg hat Zentralisierungserscheinungen auf dem Wirtschaftsund Finanzsektor zusammengestellt: B.HStA.II, MA 103327 ("Wirtschaftliche Zentralisierung. Finanzkonzentration. 1929"). 198 0. Barbarino, Staatsform, 1949, S. 185: "Es hat dem spezifisch bayerischen Föderalismus viel von seiner Stoßkraft genommen, daß es im Grunde Münchener Zentralismus war, der gegen den Berliner Zentralismus zu Felde zog." Ähnlich F. Kraus, Verfassungsrechtliche Eigentümlichkeiten Bayerns, 1932, S. 2; die bay StReg ging dieser Frage ebenfalls nach: B.HStA.II, MA 103347 ("Zentralismus in Bayern?"), 199 Vgl. u. a. 0 . Loening, Dezentralisation: Polit. HWB I, 1923, S. 44 ff. 2oo Vgl. die von Ed. Hamm verfaßte DS des Industrie- u. Handelstages .,Leitsätze zur Verwaltungsreform" vom März 1927; BA, R 43 I/1951; E. KochWeser, Der Weg zum dezentralisierten Einheitsstaat: Berliner Tageblatt vom 2. 12. 1927; ders., Einheitsstaat und Selbstverwaltung, 1928; H. Triepel, Der Föderalismus, 1924, S. 215. 2o1 K. Sommer, Der billigere Einheitsstaat, 1929, S. 14 ff. und H. Triepel, Der Föderalismus, 1924, S. 214 ff. erkennen hierin eine Scheinlösung. Georg Heim (geb. 24. 4. 1865 Aschaffenburg, gest. 1938 Würzburg; 1896-1906 Reallehrer in Ansbach; 1897 ff. MdL (Z, dann BVP), 1889 ff. MdR; 1900 Gründung der "Landwirtschaftlichen Zentralgenossenschaft des Bayer. Bauernvereins"; 1910-14 Präs und bis 1925 Ehrenpräs d. Bayer. Bauernvereine; eine einfallsreiche, eigenwillige, populäre Persönlichkeit des rechten BVP-Flügels; vgl. H. Renner, G. Heim, der Bauerndoktor, 1960) bezeichnete im RT diesen "dezentralisierten Unitarismus" als das "bekannte trockene Tuch, das drei Tage im Wasser gelegen ist" (zit. nach K. Beyerle, Föderalistische Reichspolitik, 1924, S. 55). 202 F. Poetzsch-Heffter, Grundgedanken der Reichsreform, 1931, S. 16; ders., Handkommentar der RV, 31928, S. 77 ff. Folgerichtig erkennt PoetzschHeffter, a.a.O., den Ländern keine staatsrechtliche Qualifikation von Staaten zu und betont, die von den Ländern ausgeübte Staatsgewalt sei nicht originär, sondern vom Reich abgeleitet. Damit waren die Länder keine Staaten, sondern hochpotenzierte Verwaltungseinheiten.

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1. Kap.:

Reichsreform

4. Bundesstaat

Der Bundesstaat203 ist eine staatsrechtliche Staatenverbindung in der Form, daß durch den Zusammenschluß ein neuer Staat entsteht, die vereinigten Staaten jedoch ihre Staatlichkeit nicht verlieren. Im Bundesstaat besitzen sowohl die Gliedstaaten wie der Zentralstaat eigene originäre Staatsgewalt, jedoch nicht auf allen Sachgebieten. Die Revolution 1918 eröffnete, wenigstens theoretisch, die Möglichkeit, daß das Reich a) in lauter selbständige Staaten zerfalle (Separatismus), b) nach dem Willen der Unitaristen ein Einheitsstaat werde, c) ein Staatenbund werde, wie es die Partikularisten wünschten, d) weiterhin Bundesstaat bleibe. Letztere Staatsform setzte sich durch. Freilich nicht mehr als genaue Kopie des Bismarckschen Bundesstaates, der jedoch Ausgangspunkt aller Diskussionen um die Staatsform blieb204• Die starken unitarischen Strömungen der Weimarer Nationalversammlung pflanzten dem neugeschaffenen Bundesstaat den Keim des Einheitsstaates ein. Die Form des Bundesstaates enthält als Zwischenlösung von unitarischer und staatenbündischer Ausgestaltung an sich Elemente beider Richtungen und wird von beiden Polen beeinflußt. Die Verfassungspolitik der Weimarer Zeit war nicht geeignet, das bereits in der Verfassung niedergelegte Spannungsverhältnis205 in ausgeglichenen Bahnen zu halten. Die bayerische Staatsregierung drängte daher in ihren Denkschriften immer wieder auf eine ausdrückliche Verpflichtung der Reichsverfassung auf die bundesstaatliche Form, indem dem Art. 76 RV ein entspr. Art. 76 a beigefügt werde. Die Kritik am Bundesstaat in der Weimarer Zeit entsprang in erster Linie einem mangelnden historischen Verständnis und einer wirtschaftlichen Auffassung vom Staat, wonach der Einheitsstaat für billiger erachtet wurde als der Bundesstaat. Man wies darauf hin, 203 F. Gürtner, Einheitsstaat oder Bundesstaat, 1930; J . HaUer, Bundesstaat oder Einheitsstaat? 1928; E. Jacobi, Einheitsstaat oder Bundesstaat, 1919; H . Nawiasky, Der Bundesstaat als Rechtsbegriff, 1920; ders., Das Reich als Bundesstaat, 1928; A. Pfeiffer, Um den Bestand Bayerns, 1929; K. Sommer, Bundesstaat, Einheitsstaat und die Höhe der öffentlichen Ausgaben, 1928; H. Schmelzle, Das dt. Reich - ein Bundesstaat, 1928; R. Schmidt, Der preuß. Einheitsstaat und der dt. Bundesstaat, 1926; R. Thoma, Das Reich als Bunddesstaat, 1930; ders., Zur Problematik des dt. Länderstaates, 1928; H. N awiasky, Bundesstaat: Staatslexikon li, 61958, Sp. 272 ff.; vgl. auch die Literatur zu Föderalismus. 204 Vgl. W. Bußmann, Polit. Ideologien zw. Monarchie und Weimarer Republik: HZ 190, 1960, S. 61. 2os Die RV schreibt nicht direkt den Bundesstaat vor, wenngleich sie auf die bundesstaatliche Form schließen läßt, da sowohl dem Reich als auch den Ländern Staatscharakter zugebilligt wird.

IV. Bundesstaat- Einheitsstaat

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daß die Grenzen der Einzelstaaten vielfach durch die Zufälle dynastischer Willkür entstanden seien und vertrat die Ansicht, die Geschichte allein sei noch kein Beweis für organische Zusammengehörigkeit2os. Dem bayerischen Föderalismus wurde immer wieder vorgeworfen, beim Vergleich der Verfassung von 1919 mit jener von 1871 die zwischenzeitliche Entwicklung und die verschiedenen Ausgangspunkte außer acht zu lassen. Ebenso wurde der bayerischen Regierung statisches Denken bescheinigt, wenn sie die Revolution als für verfassungsrechtlich irrelevant ansehe. Soweit die Kritik berechtigt erschien, revidierte München seine Anschauung. Die föderalistische Politik Bayerns pochte zunehmend auf den bundesstaatliehen Charakter der Reichsverfassung, den es weiter zu festigen gelte.

a) Eigenstaatlichkeit der Länder Der Staatscharakter der Länder hängt juristisch davon ab, ob die Länder über Herrschergewalt, Gebiet und Volk verfügen. Art. 5 RV besagt: "Die Staatsgewalt wird in Reichsangelegenheiten durch die Organe des Reichs auf Grund der Reichsverfassung, in Landesangelegenheiten durch die Organe der Länder auf Grund der Landesverfassungen ausgeübt." Art. 2 Satz 1 RV stellt fest: "Das Reichsgebiet besteht aus den Gebieten der deutschen Länder." Art.llO RV konstatiert: "Die Staatsangehörigkeit im Reiche und in den Ländern wird nach den Bestimmungen eines Reichsgesetzes erworben und verloren." Somit ist die Staatlichkeit der Länder juristisch fundiert. Politisch wird man nachweisen müssen, ob die Länder auf ihrem Gebiet äußere Macht über eine Mehrheit von Menschen ausüben, wobei jede andere davon unabhängige Macht ausgeschlossen wird. Die äußere Machtausübung zeigt sich in der Volksvertretung, in der Regierung und im Behördenapparat Das Landesgebiet und die Landeseinwohnerschaft sind ebenfalls nachweisbare Merkmale. Insoweit die Machtausübung durch das Reich nicht gegen den Willen der Gliedstaaten, sondern mit deren Einverständnis erfolgt, ist diese Machtausübung durch die Zentralgewalt nicht unabhängig von den Gliedern. Überschreitet das Reich (der Bund) hier seine Kompetenzen, ist die bundesstaatliche Verfassung in der Tat in Frage gestellt. Um Übergriffe des einen Teils auf den anderen Teil zu verhüten, ist im Bundesstaat eine genaue Trennung der Zuständigkeiten und Mittel nötig. 2os P. P. Nahm,

Nr. 16, S. 308.

Die Krise des dt. Föderalismus: Das Neue Reich, 9. Jg. (1927),

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1. Kap.: Reichsreform

Wenn Bayern auch über die Beschränkung der Eigenstaatlichkeit207 durch die Weimarer Verfassung klagte208, wenn es die Aushöhlungspolitik des Reiches an den Pranger stellte, so war es sich doch seines Staatscharakters bewußt209• Das Eindringen des Reiches in seine Hoheitsrechte und Verfassungsautonomie210 sowie die Möglichkeit der zwangsweisen Auflösung eines Landes gegen dessen Willen (Art. 18 RV) wies die bayerische Staatsregierung daher energisch zurück. Einem offenen Verfassungsbruch konnte durch Anrufung des Staatsgerichtshofes in Leipzig211 begegnet werden. Weit gefährlicher für die Eigenstaatlichkeit der Länder erwies sich die Aushöhlungspolitik des Reiches auf finanziellem und unifizierendem Wege212• In der Ablehnung dieser Politik waren sich alle Länder einig213• Um klare Fronten zu schaffen, erhoben die Länder, an ihrer Spitze Bayern, beständig die Forderung nach Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Reich und Ländern.

b) Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Reich und Ländern Von der Dringlichkeit einer genauen Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Reich und Ländem2 14 waren sich alle im klaren, nicht jedoch 207 H. v. Gebsattel, Um die Eigenstaatlichkelt Bayerns, o. J.; L. Kuchtner, Bayerns Kampf um sein Recht und seinen Bestand, 1929; 0 . Kunze, Bayerische Staatlichkeit, 1927; A. Pfeiffer, Um den Bestand Bayerns, 1929; F. Poetzsch-Heffter, Die Aushöhlung der Länder, 1929; E. Schnitzer, Das Ringen der Reg. Held, 1968; U. Thilo, Die staatsrechtl. Sonderstellung Bayerns, 1933; G. Widenbauer, Bayerns Eigenstaatlichkeit, 1927; vgl. auch B.HStA.II, MA 103284-288 (Aushöhlung der Eigenstaatlichkeit der Länder unter der Weimarer RV. 1925-32). 2os K. Schwend, Bayern, 1954, S. 119: Bayern war nur noch "eine Ruine von Staat, ein Rumpfstaat". 209 Eigenstaatlichkeit darf nicht mit Souveränität gleichgesetzt werden (vgl. W. Hennis, Das Problem der Souveränität, 1951). Seine Souveränität hat Bayern mit dem Eintritt in das Bismarckreich eingebüßt. 21o K. Elleser, Die Verfassungsautonomie der dt. Länder, 1928; B. Hinrichs, Die Grenzen der Verfassungsautonomie der Länder, 1930; S. Stuckmann, Die Grenzen der Verfassungsautonomie der dt. Länder, 1930; die bay Denkschriften fordern zur Erlangung einer vollen Verfassungsautonomie die Beseitigung der Art. 17, 36 ff. und 127 RV. 211 K. Bilfinger, Verfassungsfrage und StGH: Zs f Politik 20, 1931; W. Flad, Verfassungsgerichtsbarkeit und Reichsexekution, 1929; H. Lammers u. W. Simons (Hrsg.), Die Rechtsprechung des StGH (1920-31); H. Triepel, Streitigkeiten zw. Reich und Ländern (1923), 1965. 212 F. Giese, Hb d dt. Staatsrechtes I, 1930, S. 38: "Die seit Inkrafttreten der RV ständig zunehmende Unifizierung ... hat ein ... die Eigenstaatlichkelt der Länder aufs stärkste gefährdendes Höchstmaß erreicht. Eine noch weiter fortschreitende Verreichlichung würde die Länder bald die Schwelle von der Staatlichkelt zur Nichtstaatlichkeit überschreiten lassen." 213 Prälat Leicht schrieb im Bayer. Kurier v. 21. 3. 1927, er könne auch bei Preußen eine ausgeprägte Staatspersönlichkeit feststellen, wenn es sich um Reichseingriffe in Länderrechte, vor allem auf finanziellem Gebiet, handle. 214 Görges, Die Verteilung der Staatsaufgaben zw. Reich und Ländern, 1925; H. Held, Abgrenzung der Zuständigkeit zw. Reich und Ländern, 1929; ders., Zur Frage der Zuständigkeit der sog. Länder neuer Art, 1929; R. Henle,

IV. Bundesstaat- Einheitsstaat

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über die Abgrenzung selbst. Die bayerische Regierung forderte eine Revision der Zuständigkeitsverteilung, wie sie in Art. 6-11 RV festgelegt ist, in föderalistischem Sinne. Zumindest sollte das Reich bisher ungenützte Zuständigkeiten nicht ohne Zustimmung der Länder in Anspruch nehmen. Die Unitaristen forderten eine Abgrenzung der Kompetenzen nach dem Grundsatz, daß alle Lebensfragen des deutschen Volkes Sache des Reiches, alles übrige Angelegenheit der Länder sein sollte215• Anders als die Länder, die "sich ihre verfassungsmäßigen Zuständigkeiten sozusagen tagtäglich erkämpfen mußten" 216, hatte es das Reich mit einer genauen Festlegung der Kompetenzen nic.llt eilig. Die Praxis hatte gezeigt, daß die Zeit für das Reich arbeitete, und so begnügte man sich mit einer Zuständigkeitsabgrenzung über den Finanzausgleich: Reich, Ländern und Gemeinden wurden bestimmte Mittel zugewiesen, nach denen sich ihre Tätigkeit zu bemessen hatte. Die Vertreter dieser Theorie hatten als Pseudo-Beweis die Erfahrung auf ihrer Seite, daß zwar immer wieder ein Finanzausgleich bewerkstelligt wurde, nie aber eine klare Scheidung der Zuständigkeiten. Eine solche hielten sie gemäß ihrer Einschätzung der Länder und Gemeinden als Kostgänger des Reiches sogar für unrealistisch217• 5. Einheitsstaat

Der Einheitsstaat218 steht im Gegensatz zum Bundesstaat und sonstigen Staatenverbindungen. Er setzt sich nicht aus mehreren Staaten zusamDas Rumpfprogramm für die Aufgabenverteilung zw. Reich und Ländern, 1929; W. Jetlinek, Die Wandlungen in den Aufgaben und im Zuständigkeitsverhältnis von Reich und Ländern, 1929; J. Popitz, Die Wandlungen in den Aufgaben und im Zuständigkeitsverhältnis von Reich u. Ländern, 1929, G. Lassar, Die verfassungsrechtliche Ordnung der Zuständigkeiten, 1930; Bund zur Erneuerung des Reiches, Die Reichsreform I, 1933. 215 z. B. Koch-Weser; so sollte auch die Pflege der Kultur dem Reich obliegen: Leitsätze der DDP zur Reichsreform: Der Demokrat v. 28. 4. 1927; der damalige Dozent an der Hochschule f. Politik in Berlin, Theodor Heuß (Die DDP: Reich und Volk d. Deutschen II, 1929, S. 118) bedauerte, daß man "aus den Stammeseigenarten eine Romantik macht, die eine einheitliche Zusammenfassung aller dt. Volkskraft erschwert. Der Reichtum der dt. Stämme liegt auf einer anderen Ebene als die Ordnung von Zuständigkeiten und die Klärung von Aufgaben". Republikanischer Reichsbund, Welche Wege führen zum dt. Einheitsstaat? v. 25./26. 9. 1926, forderte ebenfalls Ausdehnung der Reichskompetenzen und der Reichsverwaltung. 216 B. Stmin f U + K an das B. Stmin d Äuß v. 19. 3. 1925; B.HStA.II, MA 103273. 217 SS Job. Popitz vertrat diese Ansicht in der Sitzung des Vorstandes und des Arbeitsausschusses des Vereins f. Kommunalwirtschaft und Kommunalpolitik e.V. in München am 8.1.1927; Zs f Kommunalwirtschaft, 17. Jg., Nr. 3 (10. 2.1927), Sp.117. Er war der Meinung: " ... wer zahlt, wird sich immer auch materiell in einem gewissen Grade mit den Fragen zu beschäftigen haben." 21s J. V. Bredt, Hin zum Einheitsstaat, 1927; Th. Eschenburg, Das Problem der dt. Einheit nach den beiden Weltkriegen: VZG 5. Jg. (1957); F. Fick, Die Notwendigkeit des dt. Einheitsstaates, 1926; 0. Frielinghaus, Der dezentrali-

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1. Kap.: Reichsreform

men, sondern besitzt von vornherein nur eine einzige Staatsgewalt. Innerhalb dieses Staates bestehende Gebietskörperschaften haben nicht den Rechtscharakter von Staaten, da sie keine originäre Staatsgewalt besitzen, sondern ihre Hoheitsrechte vom (Zentral-)Staat ableiten. Unabhängig davon ist die Frage, ob der Einheitsstaat zentralistisch oder dezentralistisch verwaltet wird. Wer demnach die Weimarer Republik zum Einheitsstaat umgestaltet sehen wollte, wünschte eine Beseitigung des Staatscharakters der Länder. Auch nach Verkündigung der Weimarer Reichverfassung, die sich für die bundesstaatliche Form bei gleichzeitigen Konzessionen an die Unitaristen entschieden hatte, strebten die Befürworter des Einheitsstaates mit ungebrochener Energie ihrem Ziel zu. Sie gestanden zwar zu, daß die deutsche Geschichte über Jahrhunderte hinweg keinen Einheitsstaat kannte, wiesen jedoch darauf hin, daß die Geschichte der Territorialstaaten seit über 100 Jahren auf Zusammenfassung, Angleichung und Vereinheitlichung hindeutete, und daß Deutschland den übrigen westeuropäischen Staaten in der Entwicklung zum Nationalstaat und modernen Großstaat nachhinkte. Dieser Einsicht entsprang die Behauptung, dem Einheitsstaat gehöre die Zukunft. Das zweite Hauptargument der Unitaristen lautete, der Einheitsstaat sei billiger als der Bundesstaat21 9. Diese These entlarvte die bayerische Staatsregierung als Trugbild: Im Einheitsstaat fielen nämlich nicht die Kosten für die jetzigen Länderregierungen weg, sondern müßten für neue Stellen, etwa für Oberpräsidenten, aufgebracht werden220• Ministerpräsident Held betonte in einem Vortrag vom Dezember 1928 über sierte Einheitsstaat, 1928; R. Henle, Einheitsstaat oder Länderstaat? 1930; ders., LK und Einheitsstaat, 1928; H. Höpker-Aschoff, Dt. Einheitsstaat, 1928; R. Hübner, Widerstände gegen den Einheitsstaat, 1929; H. v. Jan, Der Einheitsstaat, 1928; E. Koch-Weser, Einheitsstaat u. Selbstverwaltung, 1928; ders., Zum Einheitsstaat hin, 1929; ders., Der Weg zum dezentralisierten Einheitsstaat: Berliner Tageblatt v. 2. 12. 1927; 0. Landsberg, Die bay DS u. d. dt. Einheitsstaat, 1924; H. Müller-Franken, Wege zum dt. Einheitsstaat, 1926; H. Nawiasky, Zentralisierter oder dezentralisierter Einheitsstaat, 1929; F. Poetzsch-Heffter, Einheitsstaat und Selbstverwaltung, 1928; C. Severing, Einheitsstaat und RV, 1928; K. Sommer, Bundesstaat, Einheitsstaat, 1928; ders., Der billigere Einheitsstaat, 1929; H. Schwann, Das Märchen vom billigeren Einheitsstaat, 1929; R. Thoma, Die Forderung des Einheitsstaates, 1928; vgl. außerdem die Literatur über Bundesstaat, Föderalismus usw.; vgl. im B.HStA.II, MA 103279-280 (Errichtung eines dt. Einheitsstaates). 219 Vgl. u. a. W. Adametz und K. E. Mößner, Die dt. Verwaltungs- u. Verfassungsreform, 1928. 22o K. Sommer, Bundesstaat, Einheitsstaat und die Höhe der öffentlichen Ausgaben, 1928; ders., Der billigere Einheitsstaat, 1929; ähnlich: L. Hegelmaier, Staatsformen, 1927; Fr. Lent, Der Föderalismus im Reichsganzen: Süddt. Monatshefte, 25. Jg., 1928, H. 4, S. 237; A . Schulz, Das neue dt. Reich, 1927, S. 97; W. Bazille, Der Standpunkt der süddt. Staatsoberhäupter, 1928, S. 242 f.; 0. Kollmann, Ein wichtiges Dokument, 1929; F. A. Schmitt, Föderralismus und süddt. Wirtschaft, 1929.

IV. Bundesstaat - Einheitsstaat

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"Föderativ- oder Einheitsstaat" 221 ": "Je mehr finanzielle Selbständigkeit und Selbstverantwortung der Glieder, desto größer die Sparsamkeit. Gliedstaatsgewalt ist sonach die beste Verwirklichung des Prinzips der Sparsamkeit." Von zahlenmäßigen, reclmerischen Beweisen hielten die Föderalisten nicht viel, da sie den Staat für mehr als ein Rechenexempel hielten. "Das Schicksal der Völker wird aber letzten Endes überhaupt nicht von der Geld- oder Wirtschaftsseite her entschieden, auch nicht durch die Politik. Das Schicksal eines Volkes ist vielmehr seine sittliche Kraft222." Die Unitaristen verübelten es den Föderalisten, wenn diese in der Diskussion konkreten Argumenten auswichen und sich, wie hier Ministerialrat Sommer in der Widerlegung des Schlagwortes vom "billigeren Einheitsstaat", auf nichi meßbare Werte beriefen. Bei den Unitaristen wuchs die Auffassung, daß 1919 "die Schwelle zum Einheitsstaat bereits überschritten worden" sei, und daß nur noch ein "Gesetz der Formerhaltungtrotz Wesensveränderung" die alten Länder bewahrt und neu organisiert habe, "als ob sie noch ganz die alten Staatsaufgaben zu erfüllen" hätten223• Die preußische Landesversammlung beschloß also am 17. Dezember 1919, die Reichsregierung zu ersuchen, mit den Länderregierungen Verhandlungen über die Errichtung des deutschen Einheitsstaates aufzunehmen. Reichfinanzminister Erzberger224 goß Öl in die Flamme föderalistischer Empörung, als er am 4. Jan. 1920 in Stuttgart nach der Schaffung der Reichsfinanzverwaltung eine Verreichlichung des Justizwesens als nächste Etappe hin zum Einheitsstaat ankündigte. Die BVP, die den Einheitsstaat rundweg für undeutsch hielt, löste daraufhin am 6. Januar 1920 die Fraktionsgemeinschaft mit dem Zentrum in der Nationalversammlung auf. Es wurde oberste Maxime der bayerischen Politik, die Errichtung eines Einheitsstaatesoffen oder auf dem Umweg der Aushöhlung der Länderstaatlichkeit über die Zuständigkeitsfrage und Finanzpolitik - zu verhindern. Die bundesstaatliche Form sollte als attraktive Alternative zum Einheitsstaat herausgestellt werden, den weite Kreise für geschichtsnotwendig und unabwendbar225 hielten.

Konzept; B.HStA.II, MA 103342. K. Sommer, Bundesstaat. 1928, S. 142. F. Poetzsch-Hefjter in der DS "Schwierigkeiten im Verfassungsleben": VA der LK. Beratungsunterlagen 1928, Berlin 1929, S. 449. 224 Mattbias Erzberger, geb. 20. 9. 1875 Buttenhausen, erm. am Kniebis/ Schwarzwald 26. 3. 1921; Okt. 1918 SS ohne Geschäftsbereich; 13. 2.-20. 6.1919 RMin ohne Geschäftsbereich; 21. 6. 1919-12.3. 1920 RFinMin; näheres siehe unten. 225 F. Poetzsch-Heffter, JböR XIII, 1925, S. 71; 0. Frietinghaus, Der dezentralisierte Einheitsstaat, 1928, S. 50; W. Hellpach, Polit. Prognose, 1928, S. 405; W. Besson, Württ. u. d. dt. Staatskrise, 1959, S. 82. 221 222 223

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1. Kap.: Reichsreform

V. Bayern. Politische und meinungsbildende Kräfte 1. Bayerns Eigenart

Nach dem Ausscheiden Österreichs aus dem Deutschen Bund wurde Bayern zweitgrößtes deutsches Land. Da jedoch Preußen über die Hälfte Deutschlands umfaßte, fürchtete Bayern, vom übergroßen norddeutschen Nachbarn an die Wand gedrückt zu werden. Es versuchte daher (vergeblich), als Führer aller nichtpreußischen Länder oder wenigstens der süddeutschen Staaten aufzutreten, um ein Gegengewicht zum preußischen Norddeutschland zu bilden und um eine "Verpreußung" ganz Deutschlands zu verhindern226• Das gelang nicht in gewünschtem Maße, so daß Bayern im Kampf um eine Reichsreform in föderalistischem Sinne eine zwar profilierte, aber doch weitgehend isolierte Position einnahm. Die Sonderstellung Bayerns im Reichsganzen wurzelte in einer spezifisch bayerischen Mentalität und in spezüisch bayerischen wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Verhältnissen. Die süddeutsche, auf bescheidene, ruhige Lebensführung gerichtete Wesensart unterscheidet sich von der norddeutschen auf Tätigkeit und Erfolg zielenden Betriebsamkeit. Letzteres erzeugt - unterstützt vom gepflegteren Schriftdeutsch - Selbstsicherheit und vielleicht auch Hochmut gegenüber dem Bescheideneren. Dieser wiederum scheint im Umgang mit dem Norddeutschen den kürzeren zu ziehen, bekommt womöglich Minderwertigkeitsgefühle und zieht sich in die Defensive zurück. Auf wirtschaftlichem Sektor überwog im Bayern der Weimarer Zeit das kleine und mittlere Gewerbe sowie die Landwirtschaft, während Preußen, Sachsen u. a. beachtliche Schwerindustrie aufwiesen. Entsprechend waren in Bayern der :Mittelstand, die ländliche Bevölkerung und der Bauernstand stark vertreten; Industrie, Groß.g rundbesitz und Arbeiterstand spielten keine namhafte Rolle; die soziale Differenzierung trat zurück. Zwei Drittel der Bevölkerung bekannten sich zum katholischen, ein Drittel zum protestantischen Glauben, während im Reich ein umgekehrtes Verhältnis bestand. Die katholische Position war in Bayern gefestigt und wirkte sich über die BVP bestimmend im politischen Raum aus; im Gesamtreich spielte das katholische Element eine Minderheitsrolle. Die bayerische Politik wurde verhältnismäßig gleichmäßig von einer rechtsgerichteten Koalition bestimmt im Gegensatz zu den oft wechselnden, meist mitte-links-orientierten Reichsregierungen. Nicht zu vergessen ist die Animosität gegenüber Preußen, das man gemeiniglich mit dem Reich gleichsetzte. 226 W. Benz, Die Politik der süddt. Staaten, 1968; vgl. auch die Trias-Idee (Österreich-Preußen-Bayern) z. Zt. König Maximilians II.

V. Bayern. Politische und meinungsbildende Kräfte

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Die periphere Lage und die Tatsache, daß Altbayern, Schwaben, Franken und Rheinpfälzer zu einem verhältnismäßig einheitlichen Staatsvolk zusammengewachsen waren, ermöglichten der bayerischen Regierung eine eigenwillige Politik mit erstaunlicher Stoßkraft227• Durch seine exponierte Stellung im innenpolitischen Leben Deutschlands als Vorkämpfer des Föderalismus und Verteidiger der Länderstaatlichkeit, aber auch im Bewußtsein der eigenständigen hohen Kultur, entstand in Bayern gewissermaßen ein Sendungsbewußtsein22B. 2. Parteien

Außer der DDP und der SPD vertraten die Parteien Bayerns föderalistische Grundsätze. Solange die Sozialdemokraten in der Regierungsverantwortung standen (8. 11. 1918-14. 3. 1920), verteidigten sie ebenfalls die Eigenstaatlichkeit des Landes. In der Opposition gegen die betont föderalistisch gesonnene Rechtskoalition (seit dem 16. 3. 1920) lehnten sie sich immer mehr an die Berliner Parteilinie an; der von Georg von Vollmar229 geprägte Charakter der bayerischen Sozialdemokratie verblaßte. Das Heidelberger Programm von 1925 bekannte sich eindeutig zum Einheitsstaat mit dezentralisierter Selbstverwaltung. Ähnliche Vorstellungen leiteten die DDP, deren prominenteste Vertreter in Bayern Eduard Hamm, Hermann Luppe230 und Ernst MüllerMeiningen231 waren. 227 K. D. Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik, 31960, S. 564: "Das spezifische Staatsgefühl einzelner Länder war ein Faktor, der jenseits aller juristisch-begrifflichen oder verwaltungstechnischen Überlegungen ein bestimmendes Gewicht besaß und etwa durch die Existenz der BVP für Bayern seine politische Stärke und Bedeutung ganz real fühlbar machte." F . Meinecke, Die Idee der Staatsraison, 31929, S. 538: "Bayern ist neben Preußen der einzige Einzelstaat Deutschlands, in dem gewissermaßen noch das vulkanische Leben einer bes. Staatsraison ist." 22s In der Seele des bay Volkes lebe die Berufung, "dem dt. Volke auf seinem Wege aus seinem sittlichen, nationalen und wirtschaftlichen Elend voranzugehen", schrieb Franz Wetze! ("Bayerns dt. Beruf?") im Badischen Beobachter Nr. 273/274 vom 28.-29. 11. 1923. Vgl. auch A. Schneider, Bayerns polit. Berufung, 1929. Zum Gewicht Bayerns in der dt. Innenpolitik vgl. die Neue Bad. Landeszeitung v. 28.3.1927: "Man hat im Reich einen offiziellen Reichskanzler und daneben . . . einen wirklichen, geheimen RK, der heißt Held und regiert von München aus." Vgl. außerdem E. v. Aretin, Das bay Problem, 1924; J. Hofmiller, Das bay Problem in der dt. Geschichte, 1930/31; H. Honegger, Das bay Problem, 1924; C. Landauer, The Bavarian Problem, 1944; K. A. v . Müller, Das bay Problem, 1931; K . Schwend, Bayern, 1954; F. Zahn, Bayern u . d. Reichseinheit, 1925; W. G. Zimmermann, Bayern, 1954. 229 Georg v. Vollmar, geb. 1850 Veltheim, gest. 1922 Soiensaß; 1868 päpstl. Offizier; im 1870/71er Krieg verwundet; 1877 Redakteur des "Volksboten" (Dresden), anschließend Haft und Emigration; 1891 ff. MdR (SPD); vgl. R. Jansen, G. v. Vollmar, 1959. 230 Dr. Hermann Luppe, geb. 1874 Kiel, gest. 1945 Kiel; 1912 Bgm. von Frankfurt; 1920-33 OB von Nürnberg; einer der profHiertesten bay Vertreter des dezentralisierten Einheitsstaates; einer der Hauptkontrahenten Helds.

6 Menges

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1. Kap.: Reichsreform

Die Bayerische Mittelpartei, der bayerische Zweig der Deutschnationalen, unterstützte die föderalistische Politik der Staatsregierung ebenso wie der Bayerische Bauern- und Mittelstandsbund, der fast nur auf dem Lande (Ober- u. Niederbayern und Schwaben) verbreitet war. Die Bayerische Mittelpartei unter der Führung Hilperts232 hatte ihre Hochburgen in ländlichen und bürgerlichen protestantischen Kreisen Frankens. Die Nationalsozialisten zeigten sich in Bayern vor 1933 föderalistisch. Die "spezifisch bayerisch-föderalistische Volkspartei der breiten bürgerlichen und bäuerlichen Mittelschichten" 233, besonders des katholischen Volksteils, blieb während der ganzen Weimarer Zeit die BVP. Sie drückte der Politik der bayerischen Staatsregierung seit 1920 ihren Stempel auf. Vom Zentrum, das in der Monarchie noch Verfechterin des Föderalismus gewesen war, in dem aber seit der Revolution die Unitaristen die Oberhand gewannen, trennte sich die BVP am 12./15. November 1918. Im Baroberger Programm vom 18. September 1920 und im "Föderalistischen Programm der BVP" vom Oktober 1922 setzte sich die Partei ihre Wegweiser234• Das Baroberger Programm, das von der "Mittwoch-Vereinigung der Geistesarbeiter der BVP" unter Leitung Hermann Grauerts235 vorbereitet wurde und dessen Postulate in der Denkschrift der Bayerischen Staatsregierung von 1924 wiederkehrten, forderte: 1. "Die bundesstaatliche Form des Reiches und die Wiedereinführung eines dem früheren Bundesrat adäquaten Organes der Staaten." 2. Selbstbestimmung der Staatsform in den Einzelstaaten. 3. Keine Beeinträchtigung der Eigenstaatlichkeit durch die Reichsgesetzgebung. 4. Anpassung der Reichsbehörden in den Ländern an deren Verwaltungssystem. 5. Ausführung der Reichsgesetze durch die Landesbehörden. 6. Recht der Staaten, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten mit auswärtigen Staaten Verträge zu schließen. 231 Dr. Ernst Müller-Meiningen, geb. 11. 8. 1866 Mühldorf, gest. 1. 6. 1944 München; 1905-24 MdL; 1898-1919 MdR (seit 1906 Fraktionsvors. d. Fortschrittspartei); 31.5.1919-16.7.1920 bay Justizminister; vgl. J. Reimann, E. M.-M. sen. und der Linksliberalismus in seiner Zeit, 1968. 232 Dr. Job. Mich. Hilpert, geb. 1878 Windsheim; Studienrat; 1918 Mitbegründer und Vors. d. Bayer. Mittelpartei; 1910-31 MdL; temperamentvoll und untolerant. 233 G. Schulz, Zw. Demokratie und Diktatur, 1963, S.178. m Vgl. K. Beyerle, Föderalistische Reichspolitik, 1924, S. 50 ff.; P. StierSomlo, Wege der Erneuerung, 1924, S. 536 ff.; Bamberger Programm wiedergegeben bei K. Schwend, Bayern, 1954, S. 135 f. 235 Hermann Grauert, geb. 7. 9. 1850 Pritzwalk, gest. 12. 3. 1924 München; Prof f. Geschichte in München; 1920-24 Präs. d. Görres-Ges.; Hrsg. d. Hist. Jb. der Görres-Ges.

V. Bayern. Politische und meinungsbildende Kräfte

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7. "Die Sicherstellung der Steuerhoheit der Staaten durch Erhebung eigener Steuern und Ermöglichung von Zuschlägen zu den Reichssteuern. Erhebung und Verwaltung sämtlicher Steuern und Abgaben, einschließlich Zölle und Verbrauchssteuer, durch den Staat." 8. Mitwirkung der Bundesstaaten in Post- und Eisenbahnfragen. 9. Ausbau der Wasserkräfte durch die Länder. 10. Gliederung der Reichswehr nach bundesstaatl. Gesichtspunkten. 11. Regelung des Schulwesens durch die Einzelstaaten. 12. Sicherung des bayerischen Staatseigentums gegen weitere Zugriffe des Reiches. Held und Wohlmuth236 hielten bei den Reich-Länder-Auseinandersetzungen verhältnismäßig beharrlich am Baroberger Programm fest, während die Reichstagsfraktion unter Prälat Leicht sowie der Landtagspräsident Heinrich Königbauer237 für größere Elastizität und Annäherung an das Zentrum votierten. 3. Presse238

Von den rund 480 Tageszeitungen in Bayern vor 1933 standen allein 95 der BVP und 17 dem Bauern- und Mittelstandsbund nahe, 23 waren nationalen, 21 bürgerlichen Charakters; die SPD gab 10, die KPD nur 2 Tageszeitungen heraus289• Die föderalistisch-konservative Presse überwog also. Beachtenswert ist jedoch, daß die großen Münchner Zeitungen nicht der BVP nahestanden. a) Die "Münchner Neuesten Nachristen" bildeten die größte süddeutsche Zeitung. Sie befand sich überwiegend in den Händen der Schwerindustrie (Gute-Hoffnung-Hütte und Vereinigte Stahlwerke). Die Redaktion behielt verhältnismäßig freie Hand und verbürgte gemäß ihrem liberalen und nationalen Charakter hohes Niveau und Zuverlässigkeit. Der bayerischen föderalistischen Politik wurde u. a. durch Erwein Frhr. v. Aretin240, der seit 1926 für den innenpolitischen 236 Dr. Georg Wohlmuth, Domprobst und Hochschulprof. in Eichstätt; 1912 MdL (Z/BVP), 1924-33 Fraktionsvors. (zuvor Stellvertreter); polit. u. persönl. Freund und Mentor Helds; in polit. Hinsicht statische, beharrende Kraft. 237 Heinrich Königsbauer, geb. 1876 München, gest. 1929 ebd.; 1907 ff. MdL (Z/BVP); 1920 Präs d bay LT; 1922 Dir d Landesamtes f. Arbeitsvermittlung in München. 2as Auswahl der wichtigsten bay Zeitungen. Vgl. B. Apelt, Presse in Bayern, 1950; K. Koszyk, Zw. Kaiserreich und Diktatur. Die sozialdem. Presse von 1914-1933, 1958; K. Piepenstock, Die Münchner Tagespresse 1918--1933. 1955; K. Raabe, Die Versuche einer Reichsreform im Spiegel der bay Öffentlichkeit (1928--30), 1968. 239 B. Apelt, Presse in Bayern, 1950. 240 Erwein Frhr. v. Aretin, geb. 1887 Bad Kissingen, gest. 1952 München; 1924-28 Landesleiter d. Bayer. Heimat- u. Königsbundes; 1946 Mitglied d. Bayer. Beratenden Landesausschusses; kritisch gegenüber BVP.

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1. Kap.: Reichsreform

Teil verantwortlich zeichnete, Augenmerk geschenkt. Maßgebend war der Einfluß des Bismarckverehrers Prof. Coßmann241, der in den Münchner Neuesten Nachrichten ein Bollwerk für die nationale Erneuerung gegen den Sozialismus und die republikanische Politik erblickte. b) Die "München-Augsburger-Abendzeitung" war das Blatt der gebildeten Kreise der Rechtsparteien, besonders der Deutschnationalen. Seit 1920 befand sie sich im Besitz der "Vera GmbH". Ihre Haltung kann als gemäßigt im Sinne nationaler Politik bezeichnet werden, wenn auch der Einfluß Hugenbergs242, der zusammen mit Dr. Gottfried Traub=" und Fregattenkapitän Bernhard Mann im Aufsichtsrat saß, beträchtlich zunahm. Richard Wohlfahrt, der für die Innenpolitik zuständig war, machte kein Hehl aus seiner nationalen Einstellung und seiner Verehrung des Bismarckschen Systems, bemühte sich jedoch ansonsten um ruhige Sachlichkeit. c) Die "Münchner Post", das Organ der Sozialdemokratie, war das einzige bedeutende Münchner Blatt, das sich offen zum Unitarismus bekannte und an der bayerischen Politik scharfe Kritik übte. d) Die "Augsburger Postzeitung" war das Blatt des politischen Katholizismus. Es wurde herausgegeben von BVP-Mitglied Alfons Wild, war aber bestrebt, sich mit jeder politischen Sicht objektiv zu beschäftigen. e) Der "Regensburger Anzeiger", die bedeutendste Zeitung der Oberpfalz und Niederbayerns, befand sich im Besitz der Familie des Ministerpräsidenten Held. Er vertrat die mittlere Parteilinie der BVP und lehnte sich in den Kommentaren stark an die "Bayerische Volkspartei-Correspondenz" an. f) In Nürnberg wurde der "Fränkische Kurier" herausgegeben, der in seiner deutschnationalen Grundeinstellung der München-Augsburger Abendzeitung nahestand. Er lehnte den Weimarer Staat ab und rühmte das Reich Bismarcks. Gegen die BVP, die er des Scheinföderalismus bezichtigte, ritt er zuweilen heftige Attacken. g) Der "Bayerische Kurier" war ein Organ des rechten BVP-Flügels. Er neigte kath.-religiösen, heimatlich-landwirtschaftlichen und welt241 Paul Nikolaus Coßmann, geb. 1869 Moskau, gest. 1942 KZ Theresienstadt; Treuhänder des Hanielschen Großkonzerns "Gute-Hoffnung-Hütte"; 1920-33 Hrsg. der MNN. 242 Dr. Alfred Hugenberg, geb. 19. 6. 1865 Hannover, gest. 12. 3. 1951 Kükenbruch; 1890 Mitbegründer d. Alldt. Verbandes; 1903-07 preuß. Staatsdienst; 1909-18 Vors. d. Direktoriums der Fa. Krupp u. bis 1925 Präs. d. Handelskammer in Essen; baute seit 1916 den Hugenberg-Konzern auf; 1919 ff. MdR (DNVP), 1928 Parteivors.; 1933 Reichswirtschafts- u. Reichsernährungsminister. 243 Dr. Gottfried Traub, geb. 11. 1. 1869 Richingshausen, gest. 22. 9. 1956 München; prot. Pfarrer; 1913-18 MdL-Preußen; 1919 MdNV (DNVP); 13.-17. 3. 1920 an der Reg. d. Kapp-Putsches beteiligt (als Kultusminister).

VI. Beamtenturn

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anschaulich-pädagogischen Themen zu und lehnte Kommunismus, Liberalismus und Deutschnationalismus ab. h) Die "Bayerische Staatszeitung", der konservativ-föderalistische Regierungsanzeiger mit deutschnationalem Akzent, war 1912 von Graf Hertling244 als offizielles Organ der bayerischen Regierung gegründet worden und sollte Äußerungen des Ministeriums ohne Parteibindung wiedergeben. Die jeweiligen Ministerpräsidenten nahmen jedoch maßgeblichen Einfluß auf die Redaktionsführung, so daß sich in der "Bayerischen Staatszeitung" die Politik vom Regierungsstandpunkt wiederspiegelte. Die Leserschaft des Regierungsanzeigers bestand vorwiegend aus Beamten, was angesichts deren Einflusses beachtenswert ist. VI. Beamtentum Die Revolution brachte zwar einen Wandel in der Verfassung, die Organisation der Verwaltungen wurde jedoch nicht gleichermaßen von der Demokratisierung des öffentlichen Lebens erfaßt. Natürlich befanden sich in den Reihen der Beamten Befürworter der Revolution, aber im großen und ganzen war die Beamtenschaft konservativ eingestellt. Nach dem Umsturz war es notwendig, die Kriegswirtschaft zunächst weiterzuführen; so gelang der Bürokratie ein nahtloser Übergang von der Monarchie in die Republik245. Die an die Macht gelangten Sozialdemokraten glaubten irrtümlicherweise, daß es letztlich nur auf den Besitz der Staatsgewalt ankomme, und daß der gesamte Verwaltungsbau eine neutrale, disponible Maschinerie sei. Ähnliche Vorstellungen leiteten die BVP, als sie in den unruhigen Zeiten von 1920-1923 nicht führende Politiker ihrer Partei für das Amt des Ministerpräsidenten vorschlug, sondern Beamte, von denen sie annahm, daß sie als gehorsame Sachverwalter der Partei fungierten und sich jederzeit abberufen ließen. Während die Politiker die Beamten für unpolitisch bzw. neutral hielten, glaubten sie zu führen und wurden doch weitgehend geführt von einer Macht, die keine politisc..~e Verantwortung trug246 • Auf das 244 Georg Frhr (seit 1914 Graf) von Hertling, geb. 31. 8. 1843 Darmstadt, gest. 4. 1. 1919 Ruhpolding; seit 1882 Philosophieprof. in München; 1876 Mitbegründer d. Görres-Ges.; 1875 MdR (Z), seit 1909 Fraktionsvors.; 1891 MdbayKammer d Reichsräte; 1912-17 B. StMin d. Kgl. Hauses u. d. Äuß; l. 11. 1917-30. 9. 1918 Reichskanzler u. preuß. MinPräs. 245 Vgl. Art. 129 u. 130 RV: die Rechte der Beamten werden garantiert; ebenso im vorläufigen bay Grundgesetz vom 4. 1.1919: "Die Beamten haben das unbeschränkte Recht ihrer staatsbürgerlichen Betätigung. Die Rechte der Beamten bleiben unangetastet." Zit. nach R. Piloty, Die bay Verfassung v. 14. Aug. 1919: JböR IX, 1920, S. 133 f. 24& G. Schulz, Zw. Demokratie und Diktatur, 1963, S. 612 charakterisiert die Weimarer Zeit als "die Ära des Beamtentums".

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1. Kap.: Reichsreform

Reich-Länder-Verhältnis bezogen, waren es die Beamten der Reichsorganisationen, die ihre Stellung mit Erfolg zu festigen und auszubauen wußten. Sie waren es, die der anwachsenden Reichsverwaltung der unitarischen Tendenz eine konkrete Fundierung boten. Auf der anderen Seite fand der Territorialstaatsgedanke und der Föderalismus seine eifrigsten Verfechter in der Länderbürokratie2'7.

247 Vgl. das publizistische Wirken der prominenten Ministerialbeamten H. Schmelzte, J. v. Graßmann, K. Sommer, 0. Kollmann, H. v. Jan, K. v. Unzner u. a. Vgl. auch unten die Biographie Schmelzles; H. Nawiasky, Das Reich als Bundesstaat, 1928, S. 86 bezeichnet die Ministerialbürokratie als ,.eigentlichen Träger des aktiven Föderalismus"; ähnlich G. Schtdz, a.a.O., S. 610: ,.Primär war es ein Verwaltungs- u. Beamtenföderalismus, sekundär ein Parteienkoalitionsföderalismus ..."

Zweites Kapitel

Finanzhoheit Die zunehmende Staatstätigkeit auf fast allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens ist eine Erscheinung, die in dieser Intensität in der Periode der Industrialisierung begann und sich bis heute fortsetzt. Zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt der Staat Geld, das durch Steuererhebung eingebracht wird. Das bedeutet, daß sich die Staatsfinanzwirtschaft (= öffentliche Finanzwirtschaft) Gesetzgebungskompetenzen und einen weitverzweigten Apparat schafft, die ihrerseits den Staat befähigen, möglichst viele Bereiche zu kontrollieren und zu gestalten: Dabei werden finanz- und steuerpolitische Maßnahmen mit allgemein politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Zielen verwoben. Bedenkt man, daß noch bis ins 18. Jahrhundert Steuererhebungen als Notbehelf und als t.lbergangsmaßnahme, ja sogar als Mißbrauch angesehen worden waren - der Staat sollte seine finanziellen Bedürfnisse durch das Einkommen aus öffentlichem Eigentum, Zöllen und freiwilligen Leistungen bestreiten-, lassen sich zwei große Wandlungen im Steuerwesen erkennen: a) Die Entwicklung der Steuer von der gelegentlichen Einrichtung zur Dauereinrichtung und b) die Verknüpfung der fiskalischen Funktion mit der sozialen Funktion1 • Analog änderte sich das Selbstverständnis der Finanzwissenschaft. Sie wollte sich nicht mehr, wie noch im 19. Jahrhundert, damit zufriedengeben, daß die öffentlichen Ausgaben als gegebene Größe übernommen wurden und lediglich für deren Deckung gesorgt werden mußte. An die Stelle der liberalen Forderung nach rein fiskalischer Steuerpolitik und Minimalbudgets trat das Postulat einer bewußt auf Korrektur und Lenkung der volkswirtschaftlichen und sozialen Faktoren ausgerichteten Finanzpolitik. Das eröffnete dem Staat neue Möglichkeiten gewaltiger Machtausübung. Im Einheitsstaat, der die uneingeschränkte Finanzhoheit innehat - die Gemeinden besitzen nur delegierte -, ergeben sich hieraus kaum Konflikte. Anders im Bundesstaat, 1 F. Mann, Die Soziologie der Besteuerung: Finanztheorie u. FinanzsozioIogie, 1959, S. 112 ff.

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2. Kap.: Finanzhoheit

in welchem dem Zentralstaat und den Gliedstaaten gleichermaßen Finanzhoheit zukommt. Hier ist entscheidend, wie die Gesamt-Finanzhoheit durch die Finanzverfassung und den Finanzausgleich zwischen Zentralstaat und Gliedstaaten aufgeteilt wird. I. Die Begegnung des Historikers mit den Finanzen Die große Bedeutung der Finanzen innerhalb der Geschichte wurde von den Historikern schon lange erkannt, ohne daß gleichermaßen die Bereitschaft, Möglichkeit oder Fähigkeit bestünde, die Finanzkomponente in der Geschichte in angemessener Weise zu würdigen. Sich mit dem Problem der Reichsreform in der Weimarer Zeit befassen zu wollen, den Fragen des Finanzausgleichs jedoch auszuweichen, hieße, den Angelpunkt des Reich-Länder-Verhältnisses außer acht zu lassen und somit dieses falsch oder zumindest einseitig zu verstehen. Eine Einführung in finanzwissenschaftliche Grundfragen und Definitionen finanzwissenschaftlicher Begriffe erscheint als Vorspann dieser historischen Untersuchung gerechtfertigt. Die Finanzwissenschaft2 ist die Lehre von der öffentlichen Finanzwirtschaft, also die Lehre von der Wirtschaft des Staates und der sonstigen politischen Gebietskörperschaften. "Nach dem zugrunde liegenden Wirtschaftsprinzip ist die öffentliche Finanzwirtschaft eine Bedarfswirtschaft ... Ihrem Umfang und Wirkungsbereich nach ist die öffentliche Finanzwirtschaft eine ,übergreifende' Wirtschaft in dem Sinne, daß ihre Handlungen und Maßnahmen über die Grenzen des öffentlichen Haushalts hinaus das gesamte Wirtschaftsleben der Gebietskörperschaft gestaltend beeinflussen und deshalb notwendig an diesen Wirkungen orientiert sind3 . " Die Berührungspunkte mit der Wirtschafts- und Sozialpolitik sind daher evident. Da die finanz-und steuerpolitischen Erscheinungen ihren Niederschlag in Gesetzen, Verordnungen und Verwaltungsmaßnahmen finden und statistisch erlaßt ! H. Jecht, Finanzwissenschaft: HWBSoz III, 1961, S. 707 ff. (mit Bibliographie); W. Gerloft u. F. Meisel, HbFinwiss, 3 Bde, 1926 ff.; W. Gerloft u. F. Neumark, HbFinwiss, 4 Bde, 21952 ff.; R. Kerschagl, Einführung in die Finanzwissenschaft, 1963; W . Lotz, Finanzwissenschaft, 21931; W. Röpke, Finanzwissenschaft, 1929; E. v . Beckerath, Die neue Geschichte d. dt. Finanzwissenschaft (seit 1800): HbFinwiss I, 21952, S. 416 ff. 3 H. Hecht, Öffentl. Finanzwirtschaft: HWBSoz III, 21961, S. 674; vgl. auch die Definition von W. Gerloff, Grundlegung der Finanzwissenschaft: HbFinwiss I, 21952, S.ll f.; ders., Ursprünge und Anfänge öffentl. Finanzwirtschaft: HbFinWiss I, 31952; H. Jecht, Wesen und Formen der Finanzwirtschaft. Umrisse einer Finanzwirtschaftslehre und Finanzsoziologie, 1928; F. K. Mann, Die Staatswirtschaft unserer Zeit, 1930; G. Schmölders, Das Irrationale in der öffentl. Finanzwirtschaft. Probleme der Finanzpsychologie, 1960; F. Terhalle, Geschichte der öffentlichen Finanzwirtschaft vom Beginn d. 19. Jhs. bis zum Schluß des 2. Weltkrieges: HbFinwiss I, 21952, S. 274 ff.

I. Die Begegnung des Historikers mit den Finanzen

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werden, bleibt eine Begegnung mit dem Finanz- und Steuenecht sowie mit der Finanzstatistik nicht aus. Auf diesen Gebieten wird sich der Historiker ebenso auf den Finanzwissenschaftler verlassen müssen wie hinsichtlich der Finanztheorien, die die Phänomene der öffentlichen Finanzwirtschaft in ihren prinzipiellen Zusammenhängen analysieren. Im Bereich der Finanzpolitik, der Finanzsoziologie und Finanzgeschichte vermag der Historiker jedoch manch wertvollen Beitrag zu liefern. 1. Finanzgeschichte

Die Anfänge der Geschichte öffentlicher Finanzwirtschaft' kennt nur freiwillige Gaben, etwa Ehrengaben an Fürsten. War der Fürst auf diese Ehrengaben angewiesen oder erzwang er sich solche, entstanden Abgaben, zunächst in Naturalien. Erst in der hellenistischen Epoche ging man zur Geldform über. Die Finanzgeschichte des Deutschen Reiches ist gekennzeichnet von der Rivalität zwischen Reich und Territorialstaaten.

a) Das Reich Zum Mittragen der Lasten waren nur die Teilhaber am Reich verpflichtet, nicht deren Untertanen. Die Ausgaben des Reiches ergaben sich vornehmlich aus der Hofhaltung, der Errichtung und Erhaltung von Bauten, aus Reisen, Kriegszügen, Ehrengeschenken und Stiftungen. Der König bestritt die Kosten aus dem Hausgut, auch aus dem Reichsgut sowie aus Einnahmen aus den Regalien. Die Vergabe dieser Rechte schmälerte jedoch die Einkünfte des Königs zusehends, so daß die Ausbildung eines Reichssteuerwesens nötig wurde. Während in den ersten Jahrhunderten die Naturalerträge des Königs- und Hausgutes im Vordergrund standen, kamen zu dieser Zeit auch schon Geldeinkünfte vor: Die Königsbauern wurden zu Geldzinsen verpflichtet, einer grundund schutzherrliehen Abgabe (keine Steuer); die Reichsbischöfe und Reichsäbte hatten anläßlich ihrer Wahl Abgaben zu leisten; während des Aufenthaltes in einer Bischofsstadt standen dem König die Einnahmen aus den Regalien unmittelbar zu5 ; außerdem ging anläßtich der 4 F. Lütge, Finanzgeschichte: HWBSoz III, 1961, S. 580 ff.; K. Riess, Z~r Geschichte der Abgaben in bayer., vornehm!. nordbayer. Städten vor 800, 1957; K. Zeumer, Zur Geschichte der Reichssteuern im frühen Mittelalter: HZ 81, 1898; Th. Mayer, Geschichte der Finanzwirtschaft vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jhs. : HbFinzwiss I, 21952 ; B. Laum, Geschichte d. öffentl. Finanzwirtschaft im Altertum u. Frühmittelalter: HbFinwiss I, 21952; W. Gerloff, Ursprung u. Anfänge öffentl. Finanzwirtschaft: HbFinWiss I, 21952; H. Mitteis, Der Staat des hohen Mittelalters, 1940; 0. Brunner, Land u. Herrschaft. Grundfragen d. territorialen Verfassungsgeschichte Süddeutschlands im Mittelalter, 1939 (41959 auf Österreich bezogen); F. Terhalle, Geschichte d. dt. öffentl. Finanzwirtschaft (v. Beginn des 19. Jhs. bis zum Schluß d. 2. Weltkrieges): HbFinwiss I, 21952. s Ebenfalls bei Vakanz des Bischofsstuhles; dieses Recht erlosch, als die Bischöfe geistliche Reichsfürsten wurden.

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2. Kap.:

Finanzhoheit

Veräußerung oder Verpfändung von Königsgut, durch Ehrengeschenke, Bußen u. dgl. Geld ein.

Regelmäßige Steuern setzen sich erst spät durch. Als erster, freilich kurzfristiger Erfolg ist hier der "Gemeine Pfennig" zu nennen, der 1422 auftaucht (eine Vermögenssteuer) und durch den Reichstagsbeschluß zu Worms 1495 alle Männer und Frauen über 15 Jahre erfaßte6 • Diese Steuer wurde 1507 ersetzt durch die "Kammerzieler", die nach der Reichsmatrikel umgelegt wurden; die Reichsstände mußten die Beträge an zwei Terminen des Jahres abliefern. Wichtigste Form der Matrikularbeiträge waren die sog. "Römermonate", die der Finanzierung des Reichsheeres bzw. eines Reichskrieges dienten und vom Reichstag jeweils bewilligt werden mußten. Als Ergänzung waren Anleihen nötig (Fugger u. a.). b) Die Territorialstaaten Das finanzwirtschaftliche Schwergewicht lag seit dem 13. Jahrhundert in den Territorialstaaten. Es entstanden die landesherrliche Camera (Camerale) und das landständische Contributionale (Landkasten). Herzog Albrecht V. errichtete am 18. Oktober 1550 die Hofkammer als oberste Finanzstelle Bayerns, die bis 1799 bestand7• Die Rentämter zu Landshut, Straubing und Burghausen waren als Mittelstellen der obersten Finanzbehörde unterstellt; das Rentamt München war mit der Hofkammer vereinigt. Während die Hofkammer und die Rentämter hauptsächlich eine leitende und beaufsichtigende Funktion ausübten, lag der eigentliche Vollzug bei den unteren Stellen: die Kastenämterß hatten das Kammergut zu verwalten, Maut und Akzise wurden durch die Mautämter vereinnahmt, dem Pfieggericht oblag alle übrige Verwaltungstätigkeit. Die landschaftliche Finanzverwaltung in Bayern war ebenfalls in drei Stufen gegliedert: Die unterste Stufe nahmen die landesherrlichen Pfiegbeamten und die Hofmarksbeamten ein. Ihnen waren die landschaftlichen Steuer- und Aufschlagämter vorgesetzt. In jedem Rentamtsbezirk bestanden ein Landsteueramt (von den drei Ständen besetzt), ein Rittersteueramt und ein Prälatensteueramt. Das höchste Organ der landschaftlichen Finanzverwaltung bildete die Verordnung oder deren Ausschuß (Zentralkasse). Dem Landesherrn stand ein oberstes Kontrollrecht gegenüber der gesamten landschaftlichen Finanzverwaltung zu9 • s Auf 4 Jahre befristet; für den Unterhalt des Reichskammergerichtes. 7 H. Schmelzle, Der Staatshaushalt des Herzogtums Bayerns im 18. Jh., 1900, S.134. Vgl. H. Dollinger, Studien zur Finanzreform Maximilians I. von Bayern in den Jahren 1598-1618, München 1968. s Pfleger und Kastner waren Maut- und Zollbeamte. 9 H. Schmelzle, a.a.O., S. 178 ff.

I. Die Begegnung des Historikers mit den Finanzen

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In die Kasse der Camera flossen Einnahmen aus landesherrlichem Grundbesitz, die Gerichtsgefälle, die Einkünfte aus den Regalien u. dgl. m. Reichten diese Einnahmen nicht aus, wandte sich der Landesfürst an die Landstände, die ihn gegen Zugeständnisse aus der Verschuldung befreiten. Regelmäßige Steuern wurden zunächst in Form der Grundsteuern erhoben, die sich auf die Bede des 12. Jahrhunderts zurückführen läßt. Um die Nicht-Landbesitzer zu erfassen, wurden verschiedene Arten der Vermögenssteuer entwickelt: die Kopf-, Gewerbe-, Erbschafts-, Gebäude- und Dienstbotensteuer (u. a.). Auf Getränken, Getreide, Schlacht- und Nutzvieh, Aussaat usw. lagen Verbrauchssteuern, vielfach Akzise genannt. Staatliche Monopole ergänzten das System der Verbrauchssteuern (Salz-, Tabak-, Kaffee-, Lotteriemonopole). Die Napoleonischen Kriege hatten die Finanzkraft der beteiligten Staaten völlig aufgebraucht. Allenthalben wurde die Finanzwirtschaft in der Folgezeit auf eine neue Grundlage gestellt. Die Bundeskanzler- und Bundesmatrikularkasse des Deutschen Bundes, die durch Beiträge der Mitglieder nach der Bevölkerungszahl gespeist wurden, spielten keine große Rolle. Wichtiger war der Deutsche Zollverein; in der gemeinsamen Erhebung, Verwaltung und Verteilung der Zolleinnahmen lag der Keim für die Fortentwicklung zu einer mehr oder weniger zentralisierten Bundes-(Reichs-)Finanzwirtschaft. Die Finanzwirtschaft der Einzelstaaten erfuhr eine einschneidende Umgestaltung durch die Ausbildung des ausschließlichen Steuerbewilligungsrechtes und des Haushaltsrechtes der Parlamente. Man bemühte sich, die Ergebnisse der Finanzwissenschaft zu berücksichtigen und eine möglichste Vereinheitlichung der Besteuerung zu erreichen10• Die wichtigsten Steuern wurden die Ertrags- und Verbrauchssteuern. 2. Finanzpolitik

Die Finanzpolitik11 hat die Gestaltung der öffentlichen Finanzwirtschaft zum Inhalt. Die praktische Finanzpolitik umfaßt alle Entscheidungen und Maßnahmen, die sich auf die öffentliche Finanzwirtschaft beziehen. Die theoretische Finanzpolitik (=Finanzwissenschaft) untersucht die Zweckmäßigkeit und Zielrichtigkeit finanzwirtschaftlieber Praktiken. Als eigenständige Forschungsrichtung der empirisch fundierten Finanzpolitik bildete sich in jüngster Zeit die Finanzpsychologie aus, deren Ziel es ist, alle finanzwirtschaftlich bedeutsamen Verhaltensweisen der am Prozeß der öffentlichen Finanzwirtschaft to In Bayern gab es 1806 gegen 600 zumindest der Bezeichnung nach direkte Steuern, davon über 100 Grundsteuern. tt H. Haller, Finanzpolitik: HWBSoz III, 1961, S. 624 ff.; ders. Finanzpolitik. Grundlagen und Hauptprobleme, 31965; G. Schölders, Finanzpolitik, 1955.

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2. Kap.: Finanzhoheit

Beteiligten (Politiker, Beamte, Steuerzahler, Empfänger öffentl. Leistungen usw.) zu erfassen und nach Möglichkeit im voraus zu erkennen. Lange Zeit wurde als Ziel der Finanzpolitik das Aufspüren ergiebiger staatlicher Einnnahmequellen angesehen. In der Epoche des Merkantilismus und des Kameralismus trat das Ziel der Produktionsförderung der Volkswirtschaft daneben. In der klassisch-liberalen Wirtschaftskonzeption fiel der öffentlichen Finanzwirtschaft eine weit bescheidenere Rolle zu als heute: Die Staatstätigkeit sollte sich auf das Unumgängliche beschränken; die Steuererhebung sollte die Privatwirtschaft nicht hemmen, sollte möglichst bequem, billig, gesetzlich genau festgelegt und alle gleichmäßig belastend vorgenommen werden. Diese Auffassung erwies sich bereits im 19. Jahrhundert, vollends im 20. Jahrhundert für unhaltbar, da die Staatstätigkeit zunahm, und die sich selbst überlassene Wirtschaft krisengefährdet war und das Einkommen einseitig verteilte. Die Finanzpolitik mußte also ihre Grenzen zur Wirtschafts- und Strukturpolitik hin öffnen. Die freiheitliche Zielsetzung, die Gerechtigkeits- und Wohlstandszielsetzung wurden nun für sie maßgebend: Der Staat darf die Staatsbürger wirtschaftlich nur soweit in Anspruch nehmen, als die Gemeinschaftsbelange dies erfordern. Die berechtigten Interessen aller müssen gleichermaßen zum Zuge kommen; durch redistributive u. a. Maßnahmen ist eine gerechte Einkommensverteilung zu gewährleisten. Produktion und Güterversorgung sollen stetig wachsen. Außerdem wird der Finanzpolitik an der Sicherung eines hohen Beschäftigungsstandes, der Aufrechterhaltung eines stabilen Geldwertes und einem langfristigen Gleichgewicht der Zahlungsbilanz gelegen sein. Obwohl die Kriegsbelastung 1914-18 die Finanzwirtschaft der kriegführenden Staaten zerrüttet und aus der traditionellen Bahn herausgerissen hatte, kehrte man wieder zur traditionellen Finanzwirtschaft zurück, freilich bei gesteigertem Ausgabe- und Steuerniveau. Bis zur Weltwirtschaftskrise 1929-33 hielt sich die Meinung, die öffentliche Haushaltspolitik müsse sich gegenüber heftigen SchwankWllgen der Beschäftigung, der Preise und folglich des Geldwerts im wesentl!i.chen passiv verhalten. Der Staat betrieb demgemäß eine Parallelpolitik: In Zeiten fallender Preise und steigender Arbeitslosigkeit schränkte der Staat, genau wie die private Wirtschaft, seine Tätigkeit ein, um sie bei Hochkonjunktur wieder auszudehnen. Unter den Depressionsbectingungen wurde eine solche Restriktion der Ausgaben durch den gleichzeitig automatisch sich ergebenden Rückgang der Steuereinnahmen scheinbar erzwungen, im Wirtschaftsaufschwung die Ausgabenexpansion durch die gleichzeitig automatisch steigenden Steuermehreinnahmen ermöglicht und scheinbar gerechtfertigt. Diese Finanzpolitik beruhte auf der Vorstellung der Notwendigkeit eines

I. Die Begegnung des Historikers mit den Finanzen

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jährlichen Budgetausgleichs12, um dessentwillen man in Krisenzeiten Steuererhöhungen, in Aufschwungsperioden Steuersenkungen vornahm. Demgegenüber besagt die ne:ue finanzpolitische Erkenntnis, daß der Staat zur Milderung von Konjunkturschwankungen eine Kontrapolitik betreiben muß, d. h. sich umgekehrt verhalten muß wie die Privatwirtschaft. Diese antizyklische Politik wird in Depressionsperioden gewisse Aufgaben der öffentlichen Hand, wie etwa die Arbeitslosenunterstützung, öffentliche Arbeiten usw. erhöhen und Steuern, die den Konsum und Investitionen belasten, senken; bei Gefahr einer Konjunkturüberhitzung wird sie die Staatsausgaben einschränken. Die Budgetfehlbeträge der Depressionszeit werden durch die Einnahmeüberschüsse, die während der Hochkonjunktur gehortet werden, ausgeglichen. Staatsschulden müssen also nicht notwendig eine Inftationsgefahr einschließen13 • 3. Finanzsoziolope

Die junge Disziplin der Finanzsoziologie14 ist eng verbunden mit der modernen Finanzpolitik. Sie "behandelt einerseits die gesellschaftlichen Kräfte, die den Charakter der Finanzverfassungen und den Gang der Finanzpolitik bestimmen, andererseits die Wirkungen der Finanzverfassungen und der Finanzpolitik auf die Gesellschaftsordnung und das gesellschaftliche Leben" 15. a) Die Wirkungen der Finanzwirtschaft auf die Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens sind augenscheinlich. Die Steuerpolitik dient ja 12 Schmelzle (Erinnerungen, fase. VI, S. 136) vertrat konsequent die Auffassung: "Keine Ausgabe ohne Deckung." Hieran müsse "unter allen Umständen unverbrüchlich festgehalten werden". Eine ähnliche Auffassung vertrat FinMin Krausneck. 13 Gelingt es, durch eine Neuverschuldung (z. B. von 10 Mill M), die angesichts einer Depression eingegangen wird, eine sonst zu gewärtigende Verringerung des Volkseinkommens (z. B. um 30 Mill M) zu verhüten, so ist eine solche Verschuldung produktiv. Vgl. F. Neumark, Probleme und Mittel moderner Finanzpolitik: Finanzwissenschaft und Finanzpolitik. Festschrift Erwin Schoettle (hrsg. v. Friedr. Schäfer), Tübingen 1964, S.1964, S.177 ff.; die Bundesregierung lieferte im Anschluß auf die Wirtschaftskrise im Spätjahr 1966 ein gutes Beispiel einer antizyklischen Finanz- u. Wirtschaftspolitik. " G. Colm, Probleme der Finanzsoziologie: Reine und angewandte Soziologie. Festschrift Ferd. Tönnies. Leipzig 1936; R. Goldscheid, Finanzwissenschaft und Soziologie: Weltwirtschaft!. Archiv 25, 1927; H. Jecht, Wesen und Formen der Finanzwirtschaft, 1928; ders., Formen der Finanzsoziologie: Zs f d ges Staatswiss 115, 1959; F. K. Mann, Finanzsoziologie: Kölner Vjh f Soziol 12, 1933-34; ders., Finanzsoziologie: Wörterbuch d Soziologie, 1955; ders., Finanzsoziologie: HWBSoz III, 1961, S. 642 ff.; ders., Vom Beruf der Finanzsoziologie: Soziologische Forschung in unserer Zeit. Festschrift Leopold v. Wiese (hrsg. v. K. G. Specht), 1951; ders., Finanztheorie und Finanzsoziologie, 1959; H. Sultan, Ober die Aufgaben der Finanzsoziologie: VjSchr f Soziologie 25, 1932; ders., Finanzwissenschaft und Soziologie: HbFinwiss I, 21952, s. 66 ff. 16 F. K . Mann, Finanzsoziologie: HWBSoz III, 1961, S. 642.

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2. Kap.: Finanzhoheit

nicht allein der Einnahmegewinnung, sondern einer Gesellschaftsreform, vornehmlich dem Ausgleich von Einkommen und Vermögen16• Dieser Gesichtspunkt trat nach der Novemberrevolution 1918 stark in den Vordergrund. So war Erzherger überzeugt, daß eine gute Finanzpolitik die beste Sozialpolitik sei. Durch die progressive Einkommenbesteuerung- 1919 eine bahnbrechende Neuerung- wollte er eine gerechtere Verteilung von Einkommen und Vermögen und damit eine Verringerung der Kluft zwischen den sozialen Schichten erreichen. Im Sdnne Max Webers17 sollte das Steuersystem sozialisiert, d. h. den neuen sozialen Verhältnissen nach Krieg und Revolution angepaßt werden. Allerdings überschätzte Erzherger die nivellierende Wirkung progressiver Einkommens-, Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung insofern, als sich Kapital und hohe Einkommen weitgehend der scharfen Besteuerung entziehen oder die Belastung anderweitig abwälzen konnten. Die nivellierende Tendenz der Steuerpolitik kann durch eine Manipulation der sozialen Struktur der öffentlichen Ausgaben auf dem Gebiet des Erziehungswesens, der sozialen Unterstützung und Wohlfahrtspflege verstärkt werden: Den Wohlhabenden fällt hier bei schnellem Anwachsen der öffentlichen Ausgaben ein sinkender Anteil zu. Die Progression bei der Mittelbeschaffung (Steuer) wird also ergänzt durch eine Regression bei der Mittelverwendung (Staatsausgaben}. Die Wirtschaftsverfassung wird durch die öffentliche Finanzwirtschaft geprägt18• Werden Konzerne progressiv besteuert, um Konzentrationen zu verhindern, wirkt sich das auf Mittel- und Kleinbetriebe und damit auf einen starken Mittelstand günstig aus usw. Die regulierenden Wirkungen der Besteuerung gehen in zwei Richtungen. Es gibt Steuern mit anspornender (eine Art Belohnung} und solche mit abschreckender Wirkung (eine Art Geldbuße). Alkoholverbrauch, Wareneinfuhr, Gründung von Aktiengesellschaften usw. können mit steuerlichen Mitteln sowohl gebremst als auch angeregt werden. Ähnliches gilt für das Bevölkerungswachstum, vom Bau von Eigenhäusern, von Besiedlung und Industrialisierung bestimmter Gebiete (Zonenrandgebiete!) u. dgl. m. Die fiskalische Funktion der Steuererhebung ist hier dem sozialen Ziel untergeordnet: Wenn z. B. ein Junggeselle durch hohe Steuern zur Heirat veranlaßt wird, bedeutet das vom fiskalischen Standpunkt aus einen großen Verlust; der Staat 16 F. K. Mann, The Sociology of Taxation, 1943, nennt drei Ziele einer Beeinflussung des gesellschaftlichen Lebens durch Besteuerung: 1. Änderung sozial unerwünschten Verhaltens; 2. Regulierung der Wirtschaftsmacht der sozialen Klassen; 3. Bekämpfung sozialer Mißbräuche. 11 Max Weber, geb. 21.4.1864 Erfurt, gest. 14.6.1920 München; Volkswirtschaftler u. Soziologe; Prof. in Freiburg, Heidelberg u. (seit 1919) München. 18 Vgl. oben unter "Finanzpolitik".

I. Die Begegnung des Historikers mit den Finanzen

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verliert nicht nur die hohen Junggesellensteuern, sondern muß gewärtig sein, dem Verheirateten bald Kindergeld und Steuererleichterungen gewähren, den heranwachsenden ~ndern eine gute Erziehung ermöglichen zu müssen usw. b) Die Finanzwirtschaft wirkt nicht nur gestaltend auf die Gesellschafts- und Wirtschaftsstruktur ein, sondern hängt ihrerseits unmittelbar von den gesellschaftlichen Bedingungen ab und wird durch diese geformt. Wie empfindlich die Finanzwirtschaft auf Schwankungen der Volkswirtschaft reagiert, ist bekannt. Die Finanzverfassungen, Steuersysteme und öffentlichen Haushalte gestatten Rückschlüsse auf rechtliche, politische, wirtschaftliche und kulturelle Tatbestände und auf viele Formen gesellschaftlichen Verhaltens. Schwäche und Stärke, Leichtsinn und Verantwortungsbewußtsein der Parlamente und Regierungen können erschlossen werden; Sparsamkeit, Verschwendungssucht, Geschäftsmoral, Bildungsstand und Staatsbewußtsein der Bevölkerung spiegeln sich wider, Sitte und Recht, soziale und berufliche Gliederung, Wirtschaftssystem, Einkommensschichtung, Volkswohlstand, Konjunkturlage u. v. a. Nach den Budgets lassen sich "Prioritäten" oft sicherer bestimmen als nach Regierungsprogrammen; ein Vergleich des Haushalts von Reich und Ländern gibt Aufschluß über die Machtverteilung im Bundesstaat. Machtverschiebungen zwischen diesen Gebietskörperschaften, zwischen sozialen und politischen Gruppen sowie Änderungen in der Zusammensetzung der Parlamente hinterlassen ihre Spuren im Bereich der Steuerpolitik und des öffentlichen Finanzgebarens. Ohne Krieg und Revolution wäre eine Reichsfinanzreform anders ausgefallen als das 1919/20 der Fall war: Die Demokratisierung des Staatslebens machte sich bemerkbar, Gedanken des Sozialismus drangen ein, die Bestrebungen nach einer straffen Zentralisierung des Finanzwesens hatten Erfolg. Außer in der progressiven Einkommens-, Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung manifestierte sich das Eindringen demokratischen und sozialpolitischen Gedankenguts in der starken Beanspruchung der direkten Steuern, während sich die Monarchie verhältnismäßig reiche Einnahmen aus indirekten Steuern gesichert hatte. Zutreffend sagt ein Aphorismus: "Zweierlei ist nicht möglich ohne das Geld: Volkswohlstand und soziale Gerechtigkeit. Zweierlei ist durch nichts mehr gefährdet als durch das Geld: Volkswohlstand und soziale Gerechtigkeit19." 19 Hiermit beginnt W. Gerloff, Gesellschaftliche Theorie des Geldes, 1950 und endet ders., Geld und Gesellschaft. Versuch einer gesellschaftlichen Theorie des Geldes, 1952, S. 275.

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2. Kap.: Finanzhoheit

II. Steuern Unter Besteuerung-20 versteht man die öffentlichen Verbänden- vor allem Gebietskörperschaften - arteigene Form der Einnahmebeschaffung. Die Hauptfunktionen der Steuern bestehen darin, den Budgetbedarf zu decken, eine gerechte Sozialpolitik und eine stabile Wirtschaftspolitik zu ermöglichen. Die Steuerarten sind von verschiedener finanzpolitischer Bedeutung. In entwickelten Industrieländern wird das Gewicht auf den Einkommens-, Vermögens- und Umsatzsteuern liegen, in Agrarstaaten auf einem Bündel von die Landwirtschaft belastenden Verbrauchsabgaben in Verbindung mit Grund- und Gewerbesteuern. Ganz allgemein lassen sich die Steuern einteilen in a) direkte, auf eine unmittelbare Erfassung steuerlicher Leistungsfähigkeit abzielende Steuern; das sind 1. Steuern, die auf eine unmittelbare Erfassung individuellpersönlicher21 und 2. Steuern, die auf eine unmittelbare Erfassung sachlich-generischer Leistungsfähigkeit gerichtet sind22; b) indirekte Steuern, die sich ebenfalls einteilen lassen in 1. Steuern, die eine individuell-persönliche23 und 2. Steuern, die eine sachlich-generische Leistungsfähigkeit mittelbar erfassen2•. In Deutschland ist die Einkommensteuer die ergiebigste Steuer, gefolgt von der Umsatz- und der Körperschaftssteuer. Bei den Verhandlungen um einen Finanzausgleich zwischen Reich (Bund), Ländern und Gemeinden war und ist es daher von Bedeutung, wem welche Steuern ganz oder größtenteils zufallen. Am begehrtesten erweisen sich wegen ihrer Ausbaufähigkeit die direkten Steuern, insbesondere die Einkommen- und Körperschaftssteuern. 2o F. Neumark, Steuern (Theorie der Besteuerung): HWBSoz X, 1959, S. 93 ff.; F. K. Mann, Steuern (Ideengeschichte der Besteuerung): HWBSoz X, 1959, S.107 ff.; H. Jecht, Zur Geschichte mittelstandsorientierter Steuerpolitik: Finanzarchiv NF 19, H.1, 1958/59, S. 92 ff.; H. Jonuschat, ~teuer­ politik der Parteien im Dt. RT 1920-23, Diss. Berlin 1923; G. Strutz, Die Reichsteuerpolitik der Nachkriegszeit: Zs f d ges Staatswiss 78, 1924; W. Koch, Steuerpolitik: HWBSt X, !1959, 8.124 ff.; Gerloff, Steuerwirtschaftslehre: HbFinwiss II, 1956; vgl. auch: Dt. Steuerblatt. Monatsschrift für Wissenschaft und Praxis der direkten Reichs-, Staats- u. Gemeindesteuern sowie verwandte Gebiete. Köln 1919-34. 21 Einkommen-, Vermögens-, Erbschaftssteuer. 22 Ertragsteuer, Wertzuwachssteuern, Aufwandbesitzsteuern. 23 Verbrauchssteuern auf materielle und immaterielle Güter sowie Steuern auf den Erwerb irregulärer Einkunftschancen (Lotterie- u. Rennwettsteuern). 24 Allgemeine Umsatzsteuern und Steuern auf den Umsatz bzw. den Rechtsverkehr mit Gegenständen des Immobiliar- und Mobiliarvermögens sowie des Zahlungsverkehrs (z. B. Grunderwerb- u. Kapitalverkehrssteuern).

II. Steuern

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1. Einkommensteuer

Die Einkom.mensteuer25 gilt als "Königin der Steuern"26 • Sehr richtig bezeichnet das Memorandum der Reichsregierung von 192427 die Einkommensteuer als "diejenige Steuer, bei der das unmittelbare Verhältnis des Steuerpflichtigen zum Träger der Staatsgewalt am deutlichsten zum Ausdruck kommt. Es ist daher für den verfassungsmäßigen Typus eines Bundesstaates von besonderer Bedeutung, wem die Objekts- und Ertragshoheit gerade bei der Einkommensteuer zusteht, ob dem Oberstaat (dem Reiche) oder dem Gliedstaat (dem Lande). Die Steuer sollte demjenigen zustehen, der nach der allgemeinen poEtischen Lage in erster Linie bestimmend für Schicksal und Kultur des Volkes ist" (S. 31). Nach Auffassung Berlins war das Reich "in erster Linie bestimmend für Sch•icksal und Kultur des Volkes", nach Auffassung Bayerns und anderer Länder kam diese Rolle den Gliedstaaten zu. Einkom.mel11Steuer und Finanzverwaltung verleihen der Finanzhoheit erst Gewicht; im Bismarckschen Reich dominierte daher die Finanzhoheit der Gliedstaaten, in der Weimarer Republik jene des Reiches. Dementsprechend konnte sich die Tätigkeit von Reich und Gliedstaaten entfalten. Während vor der Revolution starke Kräfte im Reichstag die Einkommensteuer für das Reich beanspruchten, so die Länder im Anschluß an die Erzbergersehe Finanzreform für sich. Sie stand im Mittelpunkt der Bemühungen um einen Finanzausgleich. Die Besteuerung des Einkommens gewährleistet am ehesten, dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit Rechnung zu tragen und einer konjunkturorientierten Finanzpolitik zu dienen. Die Progression in der modernen Einkommensbesteuerung soll eine gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung erwirken. Für die Effektivbelastung niedriger Einkommen spielt die Höhe des steuerfreien Existenzminimums28, der persönlichen Freibeträge, Werbungskosten und Sonderausgaben eine Rolle. Bayern wehrte sich während der Weimarer Zeit gegen eine im ganzen Reich gleichmäßige Grenze des steuerfreien Existenzminimums, da bei der wirtschaftlichen Struk25 H. Haller, Einkommensteuer: Staatslexikon II, &1958, Sp, 1108 ff.; F. Neumark, Einkommensteuer: HWBSoz III, 21961, S. 67 ff.; ders., Theorie und Praxis der modernen Einkommensbesteuerung, 1947; H. Laufenburger, Die Einkommensbesteuerung: HbFinwiss II, 21956, S. 448 ff.; J. Popitz, Einkommensteuer: HWBSt 111, 41926, S. 400 ff.; H. Terdenge, Einkommensteuer: Staatslexikon I, 51926, Sp. 1604 ff.; H. Teschemacher, Die Einkommensteuer: HbFinwiss II, 1927; J. Schumpeter, Ökonomie und Soziologie der Einkommen-

steuer: Der dt. Volkswirt 4, 1929/30. 26 H. Haller, Einkommensteuer: Staatslexikon 11, 61958, Sp. 1108. 27 B.HStA.II, MA 103257/58; siehe oben 1. Kap., II. 28 G. v. Schanz, Existenzminimum und seine Steuerfreiheit: HWBSt 111, 41926, s. 911 ff. 7 Menges

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2. Kap.: Finanzhoheit

tur Bayerns dadurch unverhältnismäßig viele Einkommen steuerfrei blieben. Die starke Konjunkturempfindlichkeit der Einkommensteuer erweist sich als Vorzug, da in Abschwungszeiten einzel-wie volkswirtschaftlich erwünschte Steuerminderungen, in Aufschwungzeiten Steuerverschärfungen eintreten. Die Einkommensteuer sowie die ihr verwandte Körperschaftssteuer bieten sich daher als gute Mittel einer flexiblen Steuerpolitik an. 2. Körperschaftssteuer

Die Körperschaftssteuer%11 erfaßt das Einkommen der Kapitalgesellschaften (der juristischen Personen). Die Tarife der Einkommen- und Körperschaftssteuer müssen so aufeinander abgestimmt werden, daß die Belastungen der verschiedenen Unternehmungsformen annähernd gleich groß werden bzw. - sofern man eine Mehrbelastung der Kapitalgesellschaften wünscht - in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Die fiskalische und ökonomisch-soziale Bedeutung der Körperschaftssteuer entspricht jener der Einkommensteuer. Beide Steuerarten werden gemeinhin zusammen genannt - auch in den Auseinandersetzungen um einen Finanzausgleich zwischen Reich (Bund), Ländern und Gemeinden30 • 111. Das Budgetrecht des Parlaments Das Budgetrecht umfaßt das Recht, den Haushaltsplan des Staates verbindlich durch Gesetz festzulegen. Es ist das wichtig5te und - in schwächerer Ausformung - das älteste Recht des Parlaments. In Bayern31 begegnen wir ähnlich wie in anderen Ländern seit dem Hochmittelalter Verh~dlungen zwischen dem Herzog und den Landständen (Adel, Klerus und Städte) zum Zwecke der Steuerbewi.lligung. Wenn die Landstände eine Steuer genehmigten, ließen sie sich "Schadlosbriefe" ausstellen, aus denen hervorging, daß es sich bei der Steuer um eine einmalige freiwillige Leistung handelte; außerdem erwarteten sie vom Herzog Gegenleistungen (z. B. Anerkennung grundherrlicher Rechte). Otto III. von Niederbayern verkaufte sogar die niedere Gerichtsbarkeit gegen eine einmalige Steuer (Ottonische Handveste von 1311). Die Landstände erreichten die Anerkennung des Rechts, sich zusammenzuschließen und konnten so als geschlossene Körperschaft mit mehr Gewicht dem Landesherrn gegenübertreten. Aus dem Steuer29 J. Popitz, Körperschaftssteuer: HWBSt V, 41923, S. 895 ff.; W. Bickel, Körperschaftssteuer: HWBSoz VI, 21959, S. 41 ff. 30 Die für Bayern wichtige Biersteuer wird im 4. Kapitel behandelt. 31 Vgl. E. Eyermann, Bayer. Budgetrecht, 1933.

III. Das Budgetrecht des Parlaments

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bewilligungsrecht entstand das Aufsichtsrecht der Stände über das Aufkommen. Seit 1356 erhoben die Landstände teilweise die von ihnen bewilligten Steuern selbst und nahmen ihre Verwendung durch die eigene Verwaltung selbst vor bzw. ließen sie überwachen. Der Landtag zu München 1514 nötigte schließlich Herzog Wilhelm IV. ein dauerndes Kontrollorgan auf, den "ständigen Ausschuß". Kurfürst Maximilian I. verstand es, sich von den Landständen unabhängiger zu machen, indem er das Finanzwesen in Ordnung brachte und während der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts sogar einen Staatsschatz sammelte. Den Landtag berief er 1612 letztmals ein. In der Folgezeit wurde das Steuerbewilligungsrecht der Stände, das seit 1669 ausschließlich von der landschaftlichen "Verordnung" ausgeübt wurde, zur bloßen Formsache. Es war nicht mehr daran zu denken, die Steuerbewilligung von Bedingungen abhäng1g zu machen. Im bayerischen Kompaktat von 1782 wurde die Abgabepflicht grundsätzlich anerkannt. Zwar hatte Kurfürst Maximilian IV. Joseph, der spätere bayerische König, 1799 die Wiederherstellung der alten landständischen Verfassung versprochen. Die Verordnungen vom 8. Juni 1807 und vom 1. Mai 1808 beseitigten sie jedoch endgültig. Das Besteuerungsrecht war Teil der Staatshoheit geworden. Die Repräsentativkörper sollten nach der bayerischen Verfassung von 1818 nur eine willkürliche Ausübung des Rechts durch die Krone verhindern: Sämtliche direkten Steuern mußten für jede Finanzperiode durch ein Finanzgesetz neu bewilligt werden. Von der Festsetzung des Etats blieben die Repräsentativkörper jedoch ausgeschlossen; ihnen oblag nur eine Prüfung. Diebayerische Verfassungsurkunde vom August 1919 brachte in § 3 eine Aufwertung des Landtags und seines Budgetrechts: Der Landtag wurde das höchste, allein unabhängige Staatsorgan; über das bisherige Prüfungsrecht hinausgehend verlieh nun der Landtag allein dem Budget Rechtswirksamkeit. Damit hatte die Entfaltung des parlamentarischen Budgetrechts innerhalb Bayerns ihren Höhepunkt erreicht. Der Landtag konnte seine Zuständigkeit über das Haushaltsrecht auf Verwaltungsangelegenheiten ausdehnen. Er konnte wesentlichen Einfluß auf die Regierung nehmen und diese sogar durch Verweigerung der Mittel zum Rücktritt zwingen (§ 59 bay VU). Die Beratungen des Staatshaushalts führten regelmäßig zu einer allgemeinen Aussprache über die Politik der Regierung. Im Budgetrecht konnte sich nach den Intentionen der bayerischen Verfassungsurkunde von 1919 die Staatsgewalt in markanter Weise ausdrücken: Die wahre Machtverteilung im Staat sollte sichtbar werden; man sollte erkennen, wie und für bzw. gegen wen Macht ausgeübt wird, wo Prioritäten gesetzt werden u. dgl. m. Tatsächlich bietet das Budget eine Art Spiegelbild der staatlichen Strukturen und Funktionen. Nun gehört aber zum Wesen einer 7.

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2. Kap.: Finanzhoheit

geordneten Haushaltsführung, daß gleichermaßen über Einnahmen und Ausgaben befunden werden kann. Fehlt ein Teil, so sind nicht nur Budgetrecht sowie Verantwortungsgefühl und Sparsamkeit in Frage gestellt, sondern Wert und Daseinsberechtigung des Parlaments überhaupt. Diese Situation ergab sich in der Weimarer Republik, als die Länderbudgets durch die finanzielle Abhängigkeit vom Reich weitgehend festgelegt waren. In den Haushaltsberatungen standen sich Parlament und Regierung erst in zweiter Linie gegenüber; in erster Linie fühlte man sich verbunden in der Frontstellung gegenüber Berlin. Der Finanzminister leitete seine Etatrede regelmäßig mit Klagen über den Finanzausgleich, die Finanzverwaltung und die mangelnde Berücksichtigung der bayerischen Verhältnisse ein. Der Ministerpräsident und die Ressortminister konnten sich leicht hinter dem Argument verschanzen, die ungenügenden Mittel seien schuld, daß die Staatsaufgaben nicht in dem vom Parlament und der Regierung gewünschten Maße ausgeführt wurden. Der Ansporn zur Sparsamkeit war gering, da man andernfalls dem Reich lediglich beweisen würde, daß man auch mit geringeren Zuwendungen auskäme. Unter diesen Umständen erschienen die Länderparlamente den Unitaristen als kostspielig und überflüssig; sie verlangten ihre Abschaffung oder zumindest ihre Degradierung und Verkleinerung. Hierin befürchteten die Länder jedoch zu Recht eine allgemeine Minderung ihrer Staatshoheit. War doch die Staatsregierung nach der bayerischen Verfassungsurkunde dem Landtag untergeordnet. Die bayerische Regierung forderte demgegenüber die Wiederherstellung der vollen Verantwortlichkeit der Länderparlamente über Einnahmen und Ausgaben der Einzelstaaten. Nur so werde dem Postulat der Sparsamkeit und der bundesstaatliehen Form des Reiches Rechnung getragen. IV. Finanzhoheit Die Finanzhoheit32 ist Teil der Staatshoheit, des Rechts zur Ausübung von Herrschergewalt auf den verschiedenen Gebieten staatlichen Lebens (Justiz-, Militär-, Finanz-, Kirchenhoheit usw.). Sie umfaßt die Befugnis des Staates zu autonomer Regelung des öffentlichen Finanzwesens und der Besteuerung. Das bedeutet, daß zur Finanzhoheit die gesetzgebende (Finanzgesetze!), die vollziehende (Finanzverwaltung!) und die rechtsprechende Gewalt (Finanzgerichtsbarkeit!) 32 0. Bühler, Finanzgewalt im Wandel der Verfassungen: Festschrift Richard Thoma, 1950; W. Gerloff, Die Finanzgewalt im Bundesstaat, 1948; E. Hattemer, Die rechtliche Beschränkung der Finanz- u. Organisationsgewalt der dt. Länder, insbes. durch Sparmaßnahmen des Reiches, 1930.

IV. Finanzhoheit

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gehören. Darüber hinaus wird noch die Ertragshoheit zu ihr gerechnet, die angibt, welcher Körperschaft die Abgaben oder Steuern zufließen. Nach Art. 8 RV stand dem Reich das Recht des Zugriffs auf alle Steuerquellen und des Ausschlusses jeder konkurrierenden Inanspruchnahme gleicher Steuern durch Länder und Gemeinden zu. Art. 11 RV räumte dem Reich die Möglichkeit ein, Grundsätze über die Zulässigkeit und Erhebungsart von Landesabgaben aufzustellen, die eine Schmälerung der Reichseinnahmen nach sich ziehen konnten. Art. 83 RV begründete schließlich die reichseigene Verwaltung der Zölle und Verbrauchssteuern. War somit die Finanzhoheit des Reiches gut fundiert, so baute sie Erzherger durch die Beanspruchung der direkten Steuern (vom Vermögen und Einkommen) und der Verwaltung aller vom Reich erhobenen Steuern gewaltig aus. Der 1917 errichtete Reichsfinanzhof in München als oberste Rechtssprechungsinstanz wurde beibehalten. Der Finanzausgleich regelte die Aufteilung der Ertragshoheit auf Reich, Länder und Gemeinden in einer die Länder unbefriedigenden Weise. Den Ländern blieb die Finanzhoheit über die vom Reich nicht beanspruchten Steuern (vor allem die Realsteuern). Diese Finanzhoheit der Länder war aber durch die Möglichkeiten des Art. 8 RV gefährdet und vom Reich praktisch delegiert33• Die Unitaristen begrüßten diese Aufteilung der Finanzhoheit auf Reich und Länder. "Ist einmal der ,Mantel' der Finanzhoheiten gefallen, dann wird auch bald der ,Herzog' der einzelstaatlichen Souveränitäten nach müssen. Dann ist auch der deutsche Einheitsstaat nicht mehr fern ... Was dem Reichsminister Preuß auf dem direkten Wege des Verfassungskampfes nicht gelang, wird auf dem Umwege über die Finanzreform (sc. Erzbergers) nun vielleicht doch noch zum Ere~gnis werden34 ." Man konnte sich streiten, ob die Finanzhoheit staatsrechtlich eine conditio sine qua non der Eigenstaatlichkeit sei, in politischer Hinsicht, wenn man die tatsächliche Machtausübung im Auge hatte, erwies sich die Finanzhoheit durchaus als wesentliche Stütze der Staatshoheit35. Die bayerische Staatsregierung forderte daher die Wiederherstellung der LänderFinanzhoheit im alten Umfang oder doch ihre wirksame Erweiterung. Es fehlten allerdings auch nicht warnende Stimmen, die eine Rückgabe der Steuerhoheit in früherem Umfang bei der gegebenen Wirtschaftslage für ein Danaergeschenk hielten36 : Die Länder könnten nicht mehr Einnahmen erwirtschaften, und von einem Ausgleich zwischen Eine delegierte Finanzhoheit besitzen die Gemeinden. G. Bernhard, Probleme der Finanzreform, 1919, S. 10. 35 A. Hensel, Der FA im Bundesstaat, 1922, S. 163 und 172 hält die Finanzhoheit nicht für die Staatlichkeit erforderlich; bei einem Fehlen müsse jedoch "notwendig eine Rückwirkung auf ihr eigentliches Betätigungsgebiet als Staat Platz greifen" (S. 163). 36 W. Kahl, Entspannung des Unitarismus: DJZ 28, 1923, Sp. 701 f. 33 34

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2. Kap.: Finanzhoheit

leistungsstarken und leistungsschwachen Ländern wäre man dann noch weiter entfernf:31. V. Finanzausgleich Johannes Popitz nennt den Finanzausgleich das "bundesstaatliche Problem in seinen finanzpolitischen Auswirkungen38 ". Bayern, als einer der eifrigsten Vorkämpfer der bundesstaatliehen Ordnung während der Weimarer Zeit, räumte dem Finanzausgleichs-Problem einen bevorzugten Platz in seiner Politik gegenüber dem Reich ein. "Die Regelung des Finanzausgleichs ist für uns der Kernpunkt und die wichtigste Frage, die es geben kann. Es gibt keine Frage, die in Bayern derartig als Lebensfrage und als Prinzipienfrage aufgefaßt wird wie diese39." 1. Begriff und Wesen des Finanzausgleidls

Der Begriff "Finanzausgleich" ist Ende des 19. Jahrhunderts in der Schweiz ·geprägt worden und bezeichnete die finanziellen Beziehungen zwischen dem Bund und den Kantonen. In Deutschland hat er sich erst nach dem 1. Weltkrieg durchgesetzt. Noch 1920 sprach man vom "Landessteuergesetz", erst 1923 vom "Finanzausgleichsgesetz4°". Unter Finanzausgleich versteht man die Gesamtheit der Maßnahmen, die die finanziellen Beziehungen zwischen den in einem Staat oder einer Staatenverbindung vorhandenen Gebietskörperschaften regeln. Er umfaßt im weiteren Sinne die gesamte Verteilung der öffentlichen Aufgaben und Einnahmen auf die verschiedenen Gebietskörperschaften; im engeren Sinne werden unter Finanzausgleich die Regelungen über Zahlungen zwischen gleichgeordneten Gebietskörperschaften (horizontaler Finanzausgleich) und zwischen Gebietskörperschaften verschiede37 H. Nawiasky, Das Reich als Bundesstaat, 1928, S. 158 meint daher, die Rückgewinnung der Steuerhoheit könne "für einzelne Länder geradezu katastrophal wirken". 38 J. Popitz, Die staatsrechtlichen Grundlagen des öffentl. Finanzwesens, 1929, S.176; ähnlich W. Markull, Kommentar zum FAG, 1923, S. 1. 39 Merck (Wilhelm Merck, geb. 30. 1. 1867 Nürnberg, gest. 30. 11. 1929 München; Gutsbesitzer; 1920-28 MdR [BVP]), Vh RT 1927 StenBer S. 9076 D (272. Sitzung vom 18. 2. 1927). Vgl. E. Bolze, Die finanziellen Wechselbeziehungen im dt. Bundesstaat, 1926; W. Gerloff, Das Finanzsystem des Reiches, 1927; A. Hensel, Der FA im Bundesstaat, 1922; H.-E. Hornschu, Die Entwicklung des FA im Dt. Reich und in Preußen von 1919 bis 1940, 1950; A. Jessen, Der dt. FA in Theorie und Praxis, 1932; F. Menges, Der FA zwischen Bund (Reich) und Ländern, 1953; M. Newcomer, Fiscal Relations of Central and Local Governments in Germany, 1936; P. Röhr, Die Entwicklung des Finanzsystems des Dt. Reiches, 1927; verschiedene Schriften von J. Popitz: H. Thierauf, Der FA in der Weimarer Republik, 1961; Th. Keller, FA: HWBSoz III, 21961, S. 541 ff.; W. Bickel, Der FA: HbFinwiss II, 21956, S. 730 ff.; übriges siehe Bibliographie! 40 A. Hensel, Der FA im Bundesstaat, 1922 und Joh. Popitz trugen dazu bei, daß der Begriff in der deutsch. Finanzwissensch. Eingang fand.

V. Finanzausgleich

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ner Ebenen (vertikaler Finanzausgleich) verstanden. Die deutsche Bezeichnung verführt dazu, nur die Verteilung der Einnahmen zu betrachten. Das englische Wort "intergovernmental (fiscal) relations" und der französische Ausdruck "partage des competences" bringen die Einbeziehung von Aufgaben (Ausgaben) und Einnahmen in den Finanzausgleich besser zum Ausdruck. Die Schwierigkeit des Finanzausgleichs liegt darin, alle Gebeitskörperschaften "so mit finanzwirtschaftliehen Mitteln zu befriedigen, daß einerseits die Gebietskörperschaften sämtJi.ch ohne Verlust an Leistungsfähigkeit und Einfluß auf ihre Kosten kommen, und daß andererseits die Einzelwirtschaften dabei nicht Schaden leiden41 ." Die Aufteilung der Aufgaben und Einnahmen wird also von politischen, wirtschaftlichen und technischen Gesichtspunkten bestimmt, die sich aus der verschiedenartigen Struktur der einzelnen Glieder ergeben. Die mangelnde Homogenität der Gebietskörperschaften läßt eine Differenzierung des Finanzausgleichs ratsam erscheinen (vgl. § 35 FAG!), um eine heilsame Nivellierung zu bewirken. In einem Einheitsstaat, in welchem die Zentralgewalt alleinige Trägerio der Finanzhoheit ist, wird sich der Finanzausgleich zwischen der Zentralregierung und den Kommunen verhältnismäßig einfach gestalten. Anders in einem Bundesstaat. In Deutschland entwickelte sich der Finanzausgleich zu einem der "wichtigsten Probleme des deutschen Staatslebens überhaupt42 ." Die Aufgabenteilung sollte in einem Bundesstaat nach dem "Subsidiaritätsprinzip" erfolgen, wonach der umfassende Verband nur jene Aufgaben übernimmt, die die Glieder nicht ausreichend erfüllen können. Diesem auf Dezentralisation der Aufgabenverteilung gerichteten Prinzip trat im Deutschen Reich die "Anziehungskraft des größeren Etats" (J. Popitz), die zu einer Zentralisation der Aufgaben beim Zentralstaat tendiert, mit Erfolg gegenüber. Die Verteilung der Einnahmen wurde in der Weimarer Zeit nicht einmal entsprechend den Zuständigkeiten vorgenommen, die ohnehin zunehmend dem Reich zuneigten, sondern eilten diesen in unitarischer Richtung voraus. Die Länder ließen sich nicht durch den Hinweis Popitz' trösten, daß "über das Fortbestehen als Gliedstaaten ... nie der Finanzausgleich, immer nur das Staatsrecht" entscheidet43. Selbst Popitz gestand zu, daß der Finanzausgleich so gestaltet sein könne, daß der Staat de facto an der Ausübung seiner Herrschaftsbefugnisse behindert wird und als selbständiges Staatswesen nicht mehr bestehen kann''· 41

J. Popitz

Die staatsrechtlichen Grundlagen des öffentl. Finanzwesens.

1929, S. 191 t; ähnlich A. Hensel, Steuerrecht, 1924, S. 16; R. Stucken, Zur Neuordnung des FA, 1927, S. 721.

42 J. Popitz, Die staatsrechtlichen Grundlagen des öffentlichen Finanzwesens, 1929, S. 191. 43 J. Popitz, FA: HbFinwiss II, 1927, S. 343. 44 J. Popitz, FA: HWBSt III, 41926, S. 1018.

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2. Kap.: Finanzhoheit

Das würde eine Aushöhlung der Staatlichkeit auf finanziellem Wege bedeuten, der sich die Länder energisch zur Wehr setzten. Ihnen war an einem gerechten Finanzausgleich ·gelegen, da ein solcher das bundesstaatliche Gleichgewicht und die Koordination festigt und vertieft, da er den Staaten finanzielle Selbständigkeiten hinsichtlich ihrer öffentlichen Aufgaben garantiert und da er das Recht der kleineren und schwachen Gemeinschaft in einen harmonischen Ausgleich mit dem größeren Ganzen bringt. Neben dieser Sicherung der bundesstaatliehen Form sollen die förderlichen Wirkungen des Finanzausgleichs auf Wirtschaft, Sozialpolitik und kulturelles Leben nicht unerwähnt bleiben. Während der ganzen Zeit der Weimarer Republik ertönte der Ruf nach einem .,endgültigen Finanzausgleich". Dieses Ziel wurde nicht erreicht und kann nicht erreicht werden, solange sich die wirtschaftlichen und politischen Umstände ständig verändern4s. Fünfzehn verschiedene Gesetze und Verordnungen versuchten in der Zeit von 1919 bis 1933, den Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden dem Wandel der Verhältnisse anzupassen. Die Dynamik des Finanzausgleichs schließt aber nicht das Bemühen nach einer möglichst dauerhaften Regelung aus. Bayern plädierte daher für eine verfassungsrechtliche Festlegung der Grundzüge des Finanzausgleichs46. Das Reich lehnte das vo-rläufig ab, da man sich in einer "Übergangszeit . . . des Ringens zwischen Reich und Ländern um die Kompetenzverteilung" befände47 • Da dieses "Ringen" einen für das Reich positiven Verlauf nahm, sah man sich nicht genötigt, es vorzeitig abzubrechen. 2. Erscheinungsformen

Allgemein lassen sich zwei Arten des Finanzausgleichs unterscheiden: der horizontale und der vertikale Finanzausgleich. a) Der horizontale Finanzausgleich kommt bei Ranggleichheit der am Ausgleich beteiligten Glieder vor. Bei voller Anerkennung der originären Staatshoheit der Länder neben jener des Reiches hätte man in der Weimarer Republik einen horizontalen Finanzausgleich vornehmen müssen. Daß das nicht geschah, begründete das Reich mit dem Übergewicht des Finanzbedarfs und infolgedessen der Finanzhoheit des Reichs48• 45 J . Popitz weist diese Forderung in seinen Schriften als leeres Schlagwort zurück. Vgl. K. M . Hettlage, FA: Staatslexikon III, 61959, S. 289: "Ein endgültiger FA, wie ihn Art. 196 GG fordert, ist ein Widerspruch in sich. Erforderlich ist immer eine ungeschriebene oder geschriebene Anpassungsklausel." 46 Vgl. H . Nawiasky, Das Reich als Bundesstaat, 1928, S. 157 f. 47 J. Popitz, Die staatsrechtlichen Grundlagen des öffentl. Finanzwesens, 1929, S. 194; Popitz zählt weitere Hintergründe auf: Außenpolitik, wirtschaftliche Situation, der Anspruch der Länder auf Eigenstaatlichkeit, die mangelnde wirtschaftliche Homogenität d. Länder. 48 J. Popitz, FA: HWBSt III, 41926, S. 1028 f.

V. Finanzausgleich

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b) Der vertikale Finanzausgleich wird zwischen Partnern durchgeführt, die nicht gleichen Ranges sind. Die Verteilung der Aufgaben und der finanziellen Mittel nimmt die übergeordnete Gewalt vor, wobei die Aufgaben den Zuweisungen angepaßt werden. Der vertikale Finanzausgleich widerspricht der bundesstaatliehen Verfassung, die Reich und Ländern gleichermaßen Staatsqualität zugesteht. In der Weimarer Republik wurde eine Zwischenform zwischen horizontalem und vertikalem Finanzausgleich praktiziert, wobei letztere Form dominierte. Die Verteilung der Steuereinnahmen durch einen Finanzausgleich ist möglich: a) nach dem Matrikularbeitragssystem, wie es z. B. im Bismarckschen Reich bestand: Die Einnahmen des Bundes (Reiches) wurden hauptsächlich durch Beiträge der Gliedstaaten (nach der Kopfzahl bemessen) gewonnen; b) nach dem Trennsystem, das eine klare Scheidung der Steuerquellen zwischen den Trägern der Finanzhoheit auf Grund einer zuvorigen Zuständigkeitsabgrenzung vornimmt. Die bayerische Staatsregierung setzte sich während der Weimarer Zeit - erfolglos - für das Trennsystem ein; c) nach dem Mischsystem, wonach der Staat die Erträge aus bestimmten Steuern mit den untergeordneten öffentlichen Körperschaften teilt 1. nach dem Zuschlagssystem: Die an einer gewissen Steuer nicht direkt beteiligten Gebietskörperschaften erheben Zuschläge zu dieser Steuer. Bayern forderte wiederholt, zur Einkommen- und Körperschaftssteuer des Reichs Zuschläge erheben zu dürfen; 2. nach der Quotenbeteiligung: Ein Finanzausgleichspartner gibt dem anderen Finanzausgleichspartner aus seinem Steuerertrag einen bestimmten Teil ab; seit 1920 erhielten die Länder gesetzlich festgelegte Quoten des Ertrags aus der Einkommen-, Körperschafts-, Umsatzsteuer u. a. (Überweisungssteuern); 3. nach dem Umlagesystem, das den Finanzbedarf des Zentralstaates auf die Gliedstaaten umlegt (der Grundgedanke der Matrikularbeiträge): Die Gliedstaaten überweisen Steuerteile (die Matrikularbeiträge des Bismarckschen Reiches beschränkten sich auf reine Kopfbeträge) an den Zentralstaat. Eine wichtige Ergänzung des Quotensystems bildeten in der Weimarer Zeit die sog. Ergänzungsanteile. Sie beruhten auf dem § 31 des FAG vom 23. Juni 1923 und dem§ 35 des FAG vom 27. April1926, die gleichlautend bestimmten: "Wenn der Anteil eines Landes, auf den Kopf der Bevölkerung berechnet, in einem Steuerjahr um mehr als

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2. Kap.: Finanzhoheit

zwanzig vom Hundert hinter dem Durchschnittssatz zurückbleibt, der von der Summe der Anteile der Länder auf den Kopf der Gesamtbevölkerung entfällt, so ist der Anteil des Landes für dieses Jahr bas zur Erreichung der Grenze von zwanzig vom Hundert nachträglich auf den dem Reich verbliebenen Einnahmen an Einkommensteuer zu ergänzen." Durch spätere Zusätze wurde verfügt, daß ein steuerschwaches Land jedoch durch diese Ergänzungsanteile nicht mehr erhalten sollte, als es an Einkommen- und Körperschaftssteuer aufbrachte. Diese Bestimmungen dienten dem Ausgleich zwischen reicheren und ärmeren Ländern im Sinne eines horizontalen Finanzausgleichs. Sie wurden von Bayern und anderen Ländern als lebensnotwendig, von Preußen jedoch als Ungerechtigkeit empfunden. Die geschilderten Methoden erschöpfen die Möglichkeiten des Finanzausgleichs keineswegs; sie lassen sich durch verschiedene Finanzmaßnahmen- wie Verwaltungskostenzuschüsse, Subventionen und Dotationen - ergänzen und modifizieren. Das Reich bestand während der Weimarer Zeit auf seiner führenden Rolle beim Zustandekommen und in den Auswirkungen des Finanzausgleichs. Um die unterschiedliche Wirtschafts- und Steuerkraft der Länder auszugleichen, war es bereit, den Finanzausgleich in Richtung eines Lastenausgleichs fortzuentwickeln. "Voraussetzung" dafür sei jedoch "bis zu einem gewissen Grade die Kommunalisierung der Länder"49. Mit einem derartigen Teilersatz eines horizontalen Finanzausgleichs, der die Staatsqualität der Länder verneinte, war Bayern nicht einverstanden. Es forderte vielmehr an erster Stelle "für eine gedeihliche Lösung des Finanzausgleich-Problems" die "rückhaltlose Anerkennung der Länder als selbständige Staaten mit eigenen Staatsaufgaben. Hieraus ergibt sich dann ganz von selbst das zweite: Das finanzielle Verhältnis zwischen Reich und Ländern kann nicht ein Verhältnis der Über- und Unterordnung sein, sondern nur ein Verhältnis des Nebeneinander. Für das Reich und für die Länder müssen wieder getrennte Finanzgebiete geschaffen werden. Die Länder müssen wie-der eine reichsfreie Finanzsphäre von genügender Tragfähigkeit erhalten, innerhalb derer ihnen die selbständige und ungeteile Finanzhoheit zusteht" 50• Die grundlegenden Bestimmungen für den (horizontalen) Finanzausgleich sollten verfassungsmäßig garantiert werdenst. 49 J. Popitz, Die staatsrechtlichen Grundlagen des öffentlichen Finanzwesens, 1929, S. 205. 50 H. Schmelzle, Der FA: Bayer. Verwaltungsblätter, 1926, H. 21, S. 406. 51 H. Nawiasky, Das Reich als Bundesstaat, 1928, S. 157 f.; vgl. auch die Denkschriften der bay StReg.

V. Finanzausgleich

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In den Grundzügen deckten sich die Vorstellungen der bayerischen Staatsregierung zum größten Teil mit jenen der übrigen deutschen Länder52 • Aber es kam nicht zu einer der bundesstaatliehen Verfas• sung gemäßen Neuordnung des Finanzausgleich-Problems, der "endgültige Finanzausgleich" - von den Ländern ständig gefordert und vom Reich immer wieder angekündigt - wurde nicht Wirklichkeit.

52 Der Leiter der sächsischen Staatskanzlei, A. Schulze (Das neue Dt. Reich, 1927) hielt ebenfalls die Garantie der Länderstaatlichkelt und der kommunalen Selbstverantwortung für eine Prämisse einer FA-Lösung; den Ländern und Gemeinden müsse ermöglicht werden, einen erheblichen Teil ihrer Einnahmen selbst zu bestimmen, ihren Bedürfnissen über ihre Pflichtausgaben hinaus nach eigenem Ermessen Rechnung zu tragen und das Gleichgewicht ihrer Haushaltspläne unter eigener Verantwortung herzustellen.

ZweiteT Teil

Entwicklung und Neuordnung des Finanzsystems der Weimarer Republik Die Reichsfinanzreform der Jahre 1919/20 schuf die Finanzverfassung der jungen Republik. Sie verteilte die Finanzhoheit zwischen Reich und Ländern und somit den Nährboden für deren Staatstäti.gkeit. Hierdurch stand sie in ihrer Bedeutung für das Reich-Länder-Verhältnis und die Eigenstaatlich.keit der Länder der neuen Reichsverfassung kaum nach. In ihren Auswirkungen hat die Steuerrechtsreform jene, deren Autorität sehr bald in erschreckendem Ausmaß untergraben ward, übertroffen. Eine Untersuchung der Finanzpolitik der Weimarer Republik muß daher ebenso von der Erzbergersehen Neuordnung des Finanzwesens ihren Ausgangspunkt nehmen wie eine solche über das Problem der Reichsreform, die verfassungsrechtlich bekanntlich nicht zustande kam, auf finanzpolitischem Wege jedoch indirekt einige Erfolge erzielen konnte.

Drittes Kapitel

Die Finanzverfassung im Bismarckschen Reich I. Die Bismarckscbe Reichsverfassung als Vorbild Ein Rückblick auf das Finanzsystem vor 1919/20 und damit auf die Bismarcksche Reichsverfassung erscheint aus mehreren Gründen angebracht: Zwar bezeiclmet die Erzbergersehe Finanzreform deutlich einen neuen Absclmitt auf der Grundlage der Weimarer Verfassung, aber sie knüpft an Vorgegebenes an; vieles erweist sich als Realisierung bestehender Tendenzen und Ausweitung vorhandener Ansätze. Das wirklich Neue der Weimarer Finanzverfassung zeichnet sich im Vergleich mit den Verhältnissen im alten Deutschen Reich scharf ab. Sodann ist unverkennbar, daß der Schatten Bismarcks über den Beratungen der Nationalversammlung und den innenpolitischen Auseinandersetzungen der Weimarer Zeit stand1 • In die wechselvollen Nachkriegsjahre strahlte das verklärte Bild des Bismarckschen Reichsbaues herüber und wurde von fast allen politischen Gruppen neu zu interpretieren und mit dem Weimarer Verfassungswerk zu vergleichen versucht. Weder Föderalisten noch Unitaristen vermochten sich hiervon völlig zu lösen, wenngleich sie überaus unterschiedliche Merkmale des Bismarckschen Reichsideals zur Nachahmung empfahlen. Die bayerische Denkschrift von 19242 bestätigte der Verfassung von 1871, "daß sie den Lebensbedürfnissen des Deutschen Reiches vollständig auf den Leib gesclmitten war. Sie war sui generis. Sie gab dem Reich, was für das Reich notwendig war und schonte die Eigenstaatlichkeit und das Sonderleben der Bundesstaaten, soweit es mit Rücksicht auf die Belange des Reiches nur immer möglich war, sie war im vollen Sinne des Wortes föderalistisch". Demgegenüber stellte das Memorandum der Reichsregierung zu dieser bayerischen Denkschrift 1 Vgl. K. D. Bracher, Deutschland zwischen Demokratie und Diktatur, 1964, S.ll; H. Oncken, Bismarck und Weimar, 1929; H. Pfeiffer, Der Strukturwandel der föderativen Organe, 1952; J. Wenninger, Das Verhältnis zwischen dem Reich und den Ländern in der alten und neuen Reichsverfassung, 1928; W. Jellinek. Die Wandlungen in den Aufgaben, 1929; W. Althaus, Die föderalistischen Elemente, 1930; F. v. Calker, Bismarcks Verfassungspolitik, 1924. 2 "Zur Revision der Weimarer Reichsverfassung. Denkschrift der Bayerischen Staatsregierung, 1924, S. 1; B.HStA.II, MA 103253.

11. Die Reichsverfassung von 1871 und ihre Wandlung

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fest, die Vorstellungen Bayerns stünden "in scharfem Gegensatz zur Bismarckschen Verfassung, und zwar gerade zum Kern des Bismarckschen Lebenswerkes. Denn Bismarcks Verfassung ging von der Größe und Vormacht Preußens und der auf sie gestützten realen inneren Macht des Reiches aus" 3 • So gesehen, war der sozialdemokratische Ministerpräsident Otto Braun, der sich gegen jede Zerstückelung und Schwächung Preußens wandte, einer der entschiedensten Verteidiger des Bismarckschen Reichsaufbaues, während der Reichsbegriff Helds bereits Ideologie war. Das Memorandum der Reichsregierung von 1924 versäumte nicht, zur Frage des Föderalismus Bisma.rck selbst zu zitieren: "Je mehr gemeinsame Reichseinrichtungen wir schaffen, je mehr gemeinsames Reichsvermögen, desto mehr befestigen wir das Reich4 ." Demnach fühlten sich Unitaristen zu der Behauptung ermutigt, Bismarcks "Streben war wesentlich unitarisch gerichtet" 5, und sprachen den Föderalisten die Berechtigung ab, sich auf Bismarck zu berufen6 • II. Die Reichsverfassung von 1871 und ihre Wandlung in fünf Jahrzehnten 1. Der bundesstaatliche Charakter der Reichsverfassung von 1871

Beim Vergleich der Reichsverfassung von 1871 und 1919 vergaß man zu oft, die verschiedenen Bedingungen und Ausgangspositionen zu be3 "Zur Revision der Weimarer Reichsverfassung. Memorandum zur Denkschrift der bayerischen Staatsregierung." 1924, S. 2; B.HStA.II, MA 103258. ' a.a.O., S. 3; Bismarck im RT am 22.11.1875 anläßlich der Debatte über die Biersteuer. s W. Vogel, Deutsche Reichsgliederung, 1932, S. 72 ; bei vielen Unitaristen der Weimarer Zeit finden sich ähnliche Behauptungen. 6 J. Räuscher, Die Reichsreform, 1928, S. 170: "Es ist ein Mißverständnis, hoffentlich nicht ein bloßer Kniff, wenn man jedem neuen Reichsbauplan ein Loblied auf die Verfassung Bismarcks entgegensetzt. Die heute dieses Loblied singen, wären aus der gleichen Gesinnung heraus in der Geburtsstunde des Bismarck-Reiches dessen Gegner gewesen ... Das Neue der Schöpfung Bismarcks wies genau dorthin, wohin auch heute wieder Reformgedanken weisen; wer, als konsequenter Föderalist, das Werk Bismarcks preist, der weiß nicht, was er tut." Tatsächlich konnte sich Bayern 1870/71 nur schweren Herzens zur Aufgabe seiner Souveränität, die ihm durch die Rheinbundakte vom 10. 7. 1806 zuerkannt worden war, und zum Eintritt in das Deutsche Reich entschließen. Der Versailler Vertrag Bayerns mit dem Norddeutschen Bund vom 23.11.1870 wurde im BayLT bekanntlich nur mit 2 Stimmen über der nötigen Zweidrittelmehrheit (102 gegen 48 Stimmen) angenommen. (Vgl. hierzu M. Doeberl, Bayern und die Bismarcksche Reichsgründung, 1925, S. 176 ff.) Aber auch die Unitaristen waren enttäuscht gewesen. Heinrich v. Treitschke schrieb am 26. 11. 1870: "Der Versailler Vertrag ist kein Meisterstück ... Wenn ich nicht gar so gewiß wüßte, daß die Lebenskraft aller dieser Raubstaaten in unaufhaltsamem Versiegen ist, so könnte mir nach diesem

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3. Kap.: Oie Finanzverfassung im Bismarckschen Reiche

achten, deren augenfälligste dort der Sieg, hier die Niederlage mit ihren Folgen waren. Vor allem hatte die Staatstätigkeit in allen Lebensbereichen, besonders auf sozialem Gebiet, ungemein zugenommen, so daß 1919 andere Anforderungen an eine Verfassung gestellt wurden als 1871. Außerdem wurde bei derlei Vergleichen der Unterschied zwischen Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit vielfach nicht beachtet7 • Zweifellos war die Reichsverfassung von 1871 föderalistischer als jene von 1919, die zwar am bundesstaatliehen Aufbau festhielt, aber starke unitarische Züge trug. Das kam schon in den jeweiligen Präambeln zum Ausdruck: Die alte Reichsverfassung benannte als Träger der Souveränität die verbündeten Fürsten, die Weimarer Verfassung berief sich auf die Souveränität des "Deutschen Volkes, einig in seinen Stämmen ..." Dort der Bund der Fürsten, also ein monarchistischer Föderalismus, hier eine Lebensordnung des deutschen Volkes, ein demokratischer Unitarismus. Das föderative Prinzip im Bismarck-Reich war allein auf der Regierungsseite fundamentiert und entbehrte jedes demokratischen Einschlags; es sollte die Monarchie gegenüber den demokratischen Strömungen stärken8• Die Folge war, daß die parlamentarischen Ströme in eine unitarische Richtung gelenkt wurden, und daß die Föderalisten nach der Revolution zum Teil als Antidemokraten und Reaktionäre beargwöhnt wurden. Bismarck wies dem Reich zur selbständigen Regelung nur diejenigen Gebiete zu, deren einheitliche Regelung sich als notwendiges Bedürfnis herausstellte. Ganz allgemein lag die grundsätzliche Zuständigkeit bei den Bundesstaaten, während eine Zuständigkeit des Reiches erst durch Gesetz begründet werden mußte. Ausführung und Verwaltung der Reichgesetze blieb den Bundesstaaten vorbehalten. Der führende Anteil der Bundesstaaten an der Reichsgewalt manifestierte sich vornehmlich in der mächtigen Stellung des Bundesrats, dem Vertretungsorgan des Souveräns, der verbündeten Regierungen. Die Hegemonie Probestück um Deutschlands Zukunft bange werden." Zit. bei H. Oncken, Bismarck und Weimar, 1929, S. 35. Vgl. auch H. Rehm, Unitarismus und Föderalismus, 1898; H. Triepel, Unitarismus und Föderalismus, 1907; 0. Becker, Bismarcks Ringen, 1958. 1 P. Laband, Die geschichtliche Entwicklung der RV, 1907, S.l, beginnt seinen Aufsatz mit der Feststellung: "Die Verfassung des Deutschen Reiches hat bereits ihre Geschichte; sie ist nicht mehr die gleiche, wie zur Zeit ihrer Errichtung." Vgl. auch: ders., Die Wandlungen der dt. RV, 1895; H. Triepel, Die Kompetenzen der Bundesstaaten und die geschriebene Verfassung, 1908; K. D. Bornhak, Wandlungen der RV, 1910; L. Bergsträsser, Geschichte der RV, 1914; E. Kaufmann, Bismarcks Erbe in der RV, 1917. s "So war Bismarck Föderalist, weil er Monarchist war, wie Monarchist, weil Gegner der Demokratie", schreibt H. Nawia.sky, Das Reich als Bundesstaat, 1928, S. 140.

II. Die Reichsverfassung von 1871 und ihre Wandlung

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Preußens und die Reservate einzelner Bundesstaaten untermauerten das bundesstaatliche System. Die Sonderrechte bildeten nicht nur ein Gegengewicht zur Vormachtstellung Preußens, sondern auch eine Gegenleistung an die süddeutschen Staaten für den Verzicht ihrer vollen Souveränität; insofern sind die Reservatrechte als Funktionen der einzelstaatlichen Teilsouveränität zu verstehen. Ein besonderes Vorrecht Bayerns stellten der ständige Vorsitz im Bundesratsausschuß für die auswärtigen Angelegenheiten und der ständige Sitz im Ausschuß für das Landheer und die Festungen dar. Außerdem vertrat Bayern Preußen im Bundesratsvorsitz9 • Der eigenen ertragreichen Bier- und Branntweinbesteuerung für die drei süddeutschen Staaten kam hohe Bedeutung zu10• Bayern und Württemberg behielten eigenes Post- und Telegraphenwesen, außerdem die selbständige Heeresverwaltung11 • Der Kaiser konnte Bayern nur ersuchen, den Belagerungszustand aus eigenem Recht zu erklären. Auch im Eisenbahnwesen, nach der Reichsverfassung von 1871 ohnehin im großen und ganzen Angelegenheit der Einzelstaaten, besaß Bayern Reservatrechte. Schließlich blieb Bayern von der Reichsgesetzgebung über die Heimats- und Niederlassungsverhältnisse ausgenommen12 und behielt als Sonderrecht die Gesetzgebung über das Immobiliarversicherungs- und über das Hypotheken- und Kreditwesen13• Im geheimen Zusatzprotokoll vom 23. 11. 1870 wurde Bayern das Recht eingeräumt, an Friedensverhandlungen des Reiches mit einem eigenen Sondergesandten teilzunehmen, dessen Instruktion allerdings dem Reichskanzler oblag14• Nach Art. 78, 2 aRV konnten Sonderrechte eines Bundesstaates nur mit dessen Einverständnis geändert werden. Abs. 1 desselben Art. 78 9

Schlußprot. v. 23. 11.1870, abgedr. bei H. Triepel, Quellensammlung,

s. 231.

to Art. 35 aRV; als 1887 die drei süddt. Staaten in die BranntweinsteuergemeinschaU eintraten, wurde das Sonderrecht nicht aufgegeben, sondern durch regelmäßige Abfindungen abgegolten. Vgl. H. Schmelzle, Das bayer. Biersteuersonderrecht, 1926. n Schlußbestimmungen zum XI. Abschnitt aRV (Einschränkung der Geltung der Art. 57-68 aRV nach Maßgabe der Versailler Verträge): "Vertrag betr. den Beitritt Bayerns zur Verfassung des Deutschen Bundes v. 23. 11. 1870, BGBI. (Norddt. Bund) 1871, S. 9; abgedr. bei H. Triepel, Quellensammlung, S. 231 ff. t2 Art. 4 aRV; 1913 verzichtete Bayern darauf. ta Schlußprotokoll v. 23.11. 1870; abgedr. bei H. Triepel, Quellensammlung, s. 231 ff. 14 Vgl. zu den Sonderrechten einzelner Staaten: J. B. Kittel, Die Bayer. Reservatrechte. Diss Würzburg 1892; P. Laband, Der Begriff der Sonderrechte nach Deutschem Reichsrecht, 1874. 8 Menges

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3. Kap.: Die Finanzverfassung im Bismarckschen Reiche

besagt: "Veränderungen der Verfassung erfolgen im Wege der Gesetzgebung. Sie gelten als abgelehnt, wenn sie im Bundesrate 14 Stimmen gegen sich haben." Der bayerische Bevollmächtigte v. Lutz15 stellte 1871 hierzu vor dem Reichstag fest16, "daß von allen Seiten, welche beim Abschluß der Verträge mitgewirkt haben, die hier in Frage stehende Bestimmung als eine selbstverständliche betrachtet worden ist, als eine Bestimmung, welche bei richtigem Verständnis der Verträge auch auf dem Wege der Interpretation hätte hergestellt werden können" 17• 2. Unitarische Tendenzen des Verfassungslebens

Nach dem Buchstaben der Reichsverfassung von 1871 war eine gewichtige Veränderung des Verhältnisses zwischen Reich und Bundesstaaten gegen den Willen der letzteren nicht möglich. Dennoch läßt sich in der Verfassungspraxis eine unitarische Fortentwicklung erkennen, wofür mehrere Faktoren maßgeblich waren. Die Einheit Deutschlands im völkerrechtlichen Verkehr, in den auswärtigen Angelegenheiten, begünstigte diese Entwicklung ebenso wie die Einheit des Bundesgebietes in bezug auf Handel und Verkehr, Gewerbebetrieb und Niederlassung; wurden den Gliedstaaten auf diesen Gebieten teilweise Sonderrechte zugestanden, so fügten sie sich doch in einen größeren Zusammenhang ein. Der Deutsche Kaiser war zwar nur völkerrechtlich und repräsentativ, nicht aber staatsrechtlich, oberstes Exekutivorgan, aber diese juristische Differenzierung war nicht jedermann gegenwärtig. Die hegemoniale Stellung Preußens, dessen Verwaltung weitgehend die fehlende Reichsverwaltung ersetzte, leistete der Zentralisierung Vorschub; die wachsende Bedeutung des Reichskanzlers, der gleichzeitig Chef der preußischen Regierung war, verstärkte die unitarische Tendenz. In den ersten Jahren des Deutschen Reiches bestanden nur das Reichskanzleramt, das Auswärtige Amt und die Marineverwaltung (seit 1889 Reichsmarineamt) als Zentralinstanzen. Nach dem Ausscheiden Rudolf von Delbrücks18 aus dem Reichskanzleramt (1876) gingen aus diesem das Reichsamt des Innern, das Reichsjustizamt, das Reichs1s Johann Frhr. von Lutz (1826-1890), 1863 Privatsekretär des Königs Maximilian 11, 1866 Kabinettschef, 1867-71 B. Justizminister, 1869-90 zugleich StMin d. Inn f Kirchen- u. Schulangelegenheiten, 1880-90 Vorsitzender im Ministerrat; setzte sich energisch für den Eintritt Bayerns ins Deutsche Reich ein; "Kulturkämpfer", 1871 Erlaß der "Lex Lutziana". Vgl. W. Grasser, Joh. Frhr. v. Lutz 1826-1890: Miscellanea Bavarica Monacensia H . 1, München 1967.

Vh RT 1871 StenBer Bd. 1, S. 161. Vgl. M. Wenzel, Zur Lehre der vertragsmäßigen Elemente der RV, 1909. Rudolf v. Delbrück (1817-1903), 1867-1876 Präs. d. Bundes- bzw. Reichskanzleramtes. 16 17 18

Il. Die Reichsverfassung von 1871 und ihre Wandlung

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postarnt und das Reichseisenbahnamt hervor. Außerdem seien von den neu errichteten Zentralinstanzen genannt das Patentamt, das Reichsversicherungsamt, das Reichskolonialamt (seit 1884), das Reichsgericht, das Reichsmilitärgericht, das Bundesamt für Heimatwesen und das Oberseeamt1 9 • 1879 wurde das Finanzressort aus dem Reichskanzleramt ausgegliedert und als "Reichsschatzamt" neu gebildet20• Der Plan Bismarcks vom selben Jahr, eine Reichszollverwaltung zu errichten21 , scheiterte im Bundesrat, obwohl der Reichskanzler die Reichszollverwaltung zunächst nur auf Elsaß-Lothringen beschränken wollte. Das Reichsschatzamt, dem eine nachgeordnete Finanzverwaltung fehlte, blieb im großen und ganzen eine Gesetzesfabrik22• Nicht zu vergessen ist im Zusamenhang mit den vereinheitlichenden Kräften des Bismarckschen Reiches das eigentlich unitarische Organ der alten Reichsverfassung, der Reichstag, der das deutsche Volk in seiner Gesamtheit vertrat und nach politischen Parteien, nicht aber nach Länderinteressen gegliedert war. Während die monarchisch-konstitutionelle Komponente, hauptsächlich vertreten durch den Bundesrat, dem Föderalismus zuneigte, förderte der sich festigende Parlamentarismus die unitarische Richtung23• Im Zeitpunkt der Reichsgriindung fuhren die Bundesstaaten fort, in gewohnter Weise von ihren Zuständigkeiten, soweit sie ihnen verblieben waren, Gebrauch zu machen. Das Reich mußte seine Zuständigkeitsbereiche erst ausbauen und erschien deshalb, selbst wenn es seine Grenzen nicht überschritt, in Expansion begriffen, während die Einzelstaaten zu stagnieren schienen. Die Dynamik der Reichsgesetze, an der der Reichstag großen Anteil hatte, verursachte bereits gelegentliche Einbriiche in das Staatenterrain. 1874 wurde das Reichspreßgesetz, 1908 das Reichsvereinsgesetz verabschiedet; am 1. 1. 1900 trat das neue, für das gesamte Reich gültige BGB in Kraft. Die Vergrößerung und Technisierung der militärischen Macht, die Entwicklung der Reichsgesetzgebung auf dem sozialpolitischen Sektor sowie die Folgen der Erwerbung von Schutzgebieten haben einen eingreüenden Einfluß auch auf das Finanzwesen ausgeübt. 19 Vgl. R. Morsey, Die oberste Reichsverwaltung unter Bismarck 1867-1890, 1957. 2o Allerhöchster Erlaß betr. die Errichtung des Reichsschatzamts vom 14. Juli 1879, RGBl. S. 196. 21 Denkschrift der Abt. 11 vom 3. 12. 1923 zur Frage einer Rückgabe der Reichszollverwaltung an die Länder, Bl. 132, vgl. H . Leidet, Die Begründung der Reichsfinanzverwaltung, 1964, S. 37. 22 S. v. Roedern, Die Reichsfinanzverwaltung, 1920, S. 42. 23 H. v. Treitschke im November 1870: "Haben wir die Kleinen erst im parlamentarischen Schraubstock, so wird ihnen der Dünkel schon vergehen." Zit. bei H. Oncken, Bismarck und Weimar, 1929, S. 55.



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3. Kap.: Die Finanzverfassung im Bismarckschen Reiche

111. Das Finanzwesen im Bismarckschen Reich 1. Die Finanzverfassung im Reich und in Bayern

Das Finanzsystem des Deutschen Reiches von 1871 war auf Zöllen, Verbrauchssteuern (Art. 35 aRV) und subsidiären Matrikularbeiträgen der Bundesstaaten (Art. 70 aRV) aufgebaut, die ihrerseits ihren Staatsbedarf durch direkte Landessteuern deckten. Die Bundesstaaten besaßen im Bereich der direkten Steuern sowohl die Steuergesetzgebung als auch die Steuerverwaltung und Steuerrechtsprechung. Das Reich übte hinsichtlich der ihm verbliebenen Steuern nur die Steuerrechtsetzung aus, während die Bundesstaaten die Reichssteuern erhoben und verwalteten. "Als beispielhaft für die Verhältnisse in Süddeutschland darf die Organisation der Finanzbehörden in Bayern gelten24." Eine kurfürstliche Entschließung vom 6. Mai 1803 (RBl., S. 297) leitete eine stärkere Konzentration des Finanzwesens, verbunden mit einer Neugestaltung der Finanzadministration, ein. Die Verordnung vom 8. Juni 1807 (RBl., S. 969) löste die landschaftliche Finanzverwaltung mit der Steuererhebung und-verwaltungdurch ständische Einnehmer und ständische Steuerkassen auf. Dem bayeriscllen Finanzministerium wurde als neue und nun wichtigste Abteilung die Steuer- und Domänensektion angegliedert. Dem Finanzministerium unterstellt waren die Kreisfinanzdirektionen, ab 1817 die Kammern der Finanzen25, diesen wiederum 219 Rentämter26• Die Rentämter waren ihrerseits in Steuerbezirke unterteilt, in denen jeweils ein mehrgliedriger Steuerausschuß das steuerpflichtige Einkommen eines jeden Bürgers des Bezirks ermittelte. Nach dieser Feststellung der Veranlagungsgrundlagen errechnete sodann das Rentamt die Einkommen- und Vermögenssteuer jedes Pftichti.gen. Gegen den Beschluß des Steuerausschusses konnte bei einer Berufungskommission Einspruch eingelegt werden, deren Bescheid mit einer Rechtsbeschwerde an die Oberberufungskommission beim Staatsministerium der Finanzen angefochten werden konnte27• Die dreiinstanzlicll-dezentralisierte, mit zwei Rechtsmittelinstanzen ausgestattete und von fachmännischen Steuerbeamten besetzte bayerische Finanzverwaltung bot die Gewähr einer gerechten, individuell 2' H. Leidet, Reichsfinanzverwaltung, 1964, S. 40. Zu Unrecht wurde Bayern in den finanzpolitischen Auseinandersetzungen der Weimarer Zeit immer wieder von unitarischer Seite Unübersichtlichkeit und Planlosigkeit seiner ehemaligen Finanzverwaltung vorgeworfen. 2s Entspr. der Einteilung Bayerns in 15, dann in 8 Kreise. 26 Vgl. dazu die DS über den Stand der Organisation der Reichsfinanzverwaltung vom 18. Oktober 1920, bearbeitet im Reichsfinanzministerium: Vh RT (1/1920) Beil. Bd. 364, Nr. 644. Auch im B.HStA.II, MA 103730. 27 Bayerisches Einkommensteuergesetz vom 14. August 1910 (GVBl., S. 493), Art.49-64.

III. Das Finanzwesen im Bismarckschen Reich

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gestalteten und doch optimalen Steuererfassung. Die zentralistische Reichsfinanzverwaltung Erzhergers wurde daher in Bayern als schematisch und ungerecht empfunden28• 2. Die Clausula Miquel und die Matrikularbeiträge

Obgleich die Gewichte im Finanzsystem des Bismarckschen Reiches eindeutig zugunsten der Länder verteilt waren, blieb dem Reich ein großer Spielraum eingeräumt: Die Einführung direkter Reichssteuern konnte durch einfaches Gesetz erfolgen. Gemäß Art. 4, 2 aRV konnte das Reich die Steuergesetze erlassen, deren Aufkommen in seinem Haushalt verwendet werden sollten29• Art. 4, 2 beschränkte sich ursprünglich auf die "indirekten" Steuern, doch wurde das Wort "indirekte" in die endgültige Formulierung nicht aufgenommen. Damit bot sich dem Reich die Möglichkeit, die mit diesem Wort gezogenen Grenzen zu verlassen30, was der Bundesrat eifersüchtig zu verhüten suchte; er konnte sich hierbei auf eine Rede Bismarcks von 1879 berufen, in welcher der Reichskanzler versicherte, das Reich werde sich auf die indirekten Steuern beschränken31 . Auch die "Clausula Miquel"32 in Art. 70 aRV ermöglichte direkte Reichssteuern33• Dem periodischen Einnahmebewilligungsrecht des Reichstages, das sich hauptsächlich auf die Festsetzung der Matrikularbeiträge beschränkte, waren also enge Grenzen gesetzt, auch nachdem die Matrikularbeiträge ihren provisori28 Vgl. den ständigen Streit um die Finanzverwaltung, um die Höhe des steuerfreien Existenzminimums u. a.; siehe unten. 29 Art. 4: ,.Der Beaufsichtigung seitens des Reichs und der Gesetzgebung desselben unterliegen die nachstehenden Angelegenheiten: ... 2. die Zoll- und Handelsgesetzgebung und die für die Zwecke des Reichs zu verwendenden Steuern." H. Triepet, Die Kompetenzen des Bundesstaats, 1908, meint unter letzteren Steuern seien direkte und indirekte Steuern zu verstehen. so W. Gertoff, Finanz- und Zollpolitik, 1918, S. 18 f. 31 W. Jettinek, Die Wandlungen in den Aufgaben, 1929, S.141. 32 Johann v. Miquel (1828 bis 1901), 1865 Bürgermeister, 1876 OB von Osnabrück, 1879 von Frankfurt/M.; 1867 MdPreuß. Abg.-Hauses, Mitbegründer, später Führer der nat.-lib. Partei; 1882 MdPreuß. Herrenhauses; 1867-77 und 1887-90 MdR. 33 Art. 70 aRV: ,.Zur Bestreitung aller gemeinschaftlichen Ausgaben dienen zunächst die etwaigen Überschüsse der Vorjahre sowie die aus den Zöllen, den gemeinschaftlichen Verbrauchssteuern und aus dem Post- und Telegraphenwesen fließenden gemeinschaftlichen Einnahmen. Insoweit dieselben durch diese Einnahmen nicht gedeckt werden, sind sie, solange Reichssteuern nicht eingeführt sind, durch Beiträge der einzelnen Bundesstaaten nach Maßgabe ihrer Bevölkerung aufzubringen, welche bis zur Höhe des budgetmäßigen Betrages durch den Reichskanzler ausgeschrieben werden." Die Matrikularbeiträge sind also interimistischen Charakters. So Bismarck am 2. Mai 1897 bei der 1. Lesung der Vorlage zur Reichsfinanzreform, Vh RT 1879 StenBer S. 927 f.; vgl. auch P. Laband, Direkte Reichssteuern, 1908, S. 12; ders., Die geschichtliche Entwicklung der RV, 1907, S. 43; W. Gerloff, Die Finanzgewalt im Bundesstaat, 1948, S. 15 meint, daß das Reich durch die Miquelsche Klausel auch Steuern seiner Gliedstaaten hätte an sich ziehen können.

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3. Kap.: Die Finanzverfassung im Bismarckschen Reiche

sehen Charakter verloren, als 1875 die französischen Kriegsents.chädigungszahlungen aufhörten, und das Reich zusehends seine Zuständigkeiten ausdehnte: Allein zwischen 1880 und 1900 stiegen die Matrikularbeiträge von 81,67 Mill RM auf 527,66 Mill RM an34. Die Aufstellung der Länderhaushalte wurde dadurch erschwert, daß die Länder beim Voranschlag nie genau wußten, wieviel sie an das Reich abzugeben hätten. Diese Abhängigkeit von der Haushaltsgebarung des Reiches und die Möglichkeit, bis zur Grenze der Leistungsfähigkeit mit Matrikularbeiträgen belegt zu werden, bedeuteten eine Gefahr für die Selbständigkeit der Bundesstaaten35• Trotz aller Mängel sahen die Bundesstaaten in den Matrikularbeiträgen das einzige Mittel, den Einbruch des Reiches in das Gebiet der direkten Steuern abzuwehren. Weder die Reichsregierung noch die Parteien des Reichstages waren Freunde der Matrikularbeiträge; doch scheute man vor einer Abschaffung des Systems zurück. Der Reichsregierung kam es gelegen, jedes Haushaltsdefizit auf die Einzelstaaten abwälzen zu können; zudem blieb es ihr erspart, mit unangenehmen Steuervorlagen vor den Reichstag zu treten. Die Tatsache, daß Reichsregierung und Reimstag zwar über die Ausgaben bestimmten, die Sorge um die Einnahmen aber letztlich den Bundesstaaten überließen, förderte verständlicherweise nicht ihren Sinn für Sparsamkeit und Verantwortungsbewußtsein. Der Reichstag gab sich in erster Linie deshalb mit dem Matrikularsystem zufrieden, da er ohne die Matrikularbeiträge sein Einnahmebewilligungsrecht gefährdet sah. Das Zentrum erblickte außerdem in der Abhängigkeit des Reiches von den finanziellen Zuschüssen der Einzelstaaten eine der stärksten föderativen Garantien. Als der konservative Führer Freiherr von Minnigerode36 - im Unterschied zur späteren Haltung der Partei- 1875 eine Reichseinkommensteuer vorschlug zur Beseitigung der Matrikularbeiträge37, widersprach Windthorst38 34 G. HöfZer, Erzhergers Finanzreform, 1955, S. 4. 35 A. HenseZ, FA im Bundesstaat, 1922, S. 173 erkennt aus diesen Gründen in Art. 70 aRV eine "antiföderalistische Tendenz" und deutet ausgerechnet die Clausula Miquel als die föderalistische Einschränkung der sonst unitarischen Fassung. Miquel bemühte sich im gleichen Sinn, die Staaten zu beruhigen: "Ich betone ausdrücklich, daß ein großes Interesse für die Selbständigkeit und für die Existenz gerade der Einzelstaaten hier vorhanden ist, und wenn sie etwa glaubten, an ihrer Selbständigkeit zu verlieren, dadurch, daß sie dem Reich ein größeres direktes Besteuerungsrecht einräumen, so sind sie in vollem Irrtum." Vh RT 1873 StenBer S. 842. 36 Wilhelm Frhr. von Minnigerode (1840-1913) Rittergutsbesitzer, 1871 bis 1884 MdR. 37 Vh RT 1874/75 StenBer S. 61. as Dr. jur. Ludwig Windthorst (1812-1891), Syndikus; 1851-53 u. 1962-65 hannov. Justizminister; 1867 MdPreuß. Abg.-Hauses; 1867-91 MdR; eigentlicher Führer des Zentrums und bedeutendster und gewandtester parlamentar. Gegner Bismarcks.

IV. Die Frankensteinsehe Klausel 1879

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energisch und bezeichnete das als "eine sehr wichtige politische Frage, die mit der Frage zusammenhängt, wie weit man die Einzelstaaten bestehen lassen kann oder will" 39. IV. Die Franckensteinsche Klausel 1879 Im Bemühen, das Budgetrecht des Reichstages und den föderativen Charakter des Reiches zu erhalten, entstand die Clausula Franckenstein im § 8 des Zolltarifgesetzes vom 15. 7. 187940 • Bismarck hatte eigentlich vor, die finanzielle Selbständigkeit des Reiches unter Beseitigung der Matrikularbeiträge zu erreichen; das Reich sollte nicht mehr lästiger Kostgänger der Einzelstaaten sein, sondern von seinem Überfluß an die Einzelstaaten abgeben41 • Hier klingt ein unitarisches Wunschbild der Reform von 1879 durch, das Windthorst veranlaßte, vor einem solchen "Schritt, der den Einheitsstaat vollendet", zu warnen42 • Bismarck opferte jedoch sein wirtschaftliches Ziel einem politischen: Er benutzte die Zolltarifreform, die gegenüber dem freihändlerischen Tarif von 1870 eine völlige Umstellung zum Schutzzoll brachte, zu einer Sprengung der Nationalliberalen und zu einer Mehrheitsbildung mit Konservativen und Zentrum. Diesen gestand er die Franckensteinsche Klausel zu, die nach Ansicht ihrer Urheber föderative und konstitutionelle Garantien bot: Konstitutionelle insofern, als die beibehaltenen Matrikularbeiträge jeweils vom Reichstag zu bewilligen waren und föderative, insofern sie dem Reich seine Einnahmen nur bis zum Betrag von 130 Mill RM verbleiben ließ und alles übrige den Einzelstaaten überwies, mithin das Reich nach wie vor finanziell von den Einzelstaaten abhängig erhielt4~. Vh RT 1874/75 StenBer S. 69. RGBl., S. 211; ferner in der Bekanntmachung betr. die Redaktion des Zolltarifgesetzes vom 24. 5. 1885; die Klausel wurde benannt nach ihrem Initiator, dem Zentrumsabgeordneten Georg Frhr. von und zu Franckenstein (1825-1890), bayer. Kämmerer; 1867-70 MdZollparlaments; 1870/71 gegen den Eintritt Bayerns in das Dt. Reich; 1872-90 MdR (Z/1875 Fraktionsvors.); 1879-87 Vizepräs. d. RT; 1881 Präs. d. bay. Reichsratskammer; A. Scharnagl, Franckenstein: Staatslexikon II 51927, Sp. 119 f. 41 Vh RT 1879 StenBer S. 927 f. 4Z Vh RT 1879 StenBer S. 1069. 43 Vgl. die Debatten im RT hierzu: Dr. jur. August Reichensperger ([1808 bis 1895] Kammerpräs. in Köln; lehnte in der Faulskirehe ein preuß. Erbkaisertum ab [R. war Großdt.]; 1850-63 u. 1870-86 MdPreuß. Abg.-Hauses; 1867-84 MdR als einer der führendsten Persönlichkeiten der Zentrumspartei; vgl. K. Görres, Aug. Reichensperger: Staatslexikon IV, 51931, Sp. 693 ff.) Vh RT 1879 StenBer S. 2110 f.; Windthorst als Berichterstatter Vh RT 1879 StenBer S. 2177 f.; ders. als Z-Fraktionsvors., a.a.O., S. 2198 ff. (W. bekennt sich dabei als "Partikularist". "Und wenn meine Fraktionsgenossen und ich zu jeder Zeit bemüht gewesen sind, die Rechte der Einzelstaaten aufrechtzuerhalten, so haben wir ganz genau das getan, was die Verfassung von uns allen verlangt."); Wilh. v. Kardorff (Freikons., [1828-1907], 1866 MdPreuß. 39 40

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3. Kap.: Die Finanzverfassung im Bismarckschen Reiche

Durch § 32 des Reichsstempelgesetzes vom 1. 7. 1881 (RGBl., S. 192) bzw. § 44 des Gesetzes vom 29. 5. 1885 (RGBI., S. 171) sowie § 39 des Branntweinsteuergesetzes vom 24. 6. 1887 (RGBI., S. 253) wurde die Franckensteinsche Klausel auf nahezu das gesamte Reichsfinanzwesen ausgedehnt. Damit entstand eine Verkoppelung von zwei gegensätzlichen Finanzausgleichssystemen, von Matrikularbeiträgen und Reichsüberweisungen. Die Überweisungen verewigten ein künstliches Haushaltsdefizit im Reich, das wiederum jährlich durch entsprechende, vom Reichstag bestimmte Matrikularbeiträge der Bundesstaaten ausgeglichen werden mußte. Bund und Gliedstaaten wurden finanziell immer abhängiger voneinander. Das Reich konnte das ihm verbliebene Gebiet der indirekten Steuern nicht ausbauen und wich auf den bedenklichen Weg der Anleihepolitik aus. Dem Bismarckschen Lieblingsgedanken, der noch aus der Zeit des Norddeutschen Bundes datiert, ein Reichstabak- (1882) und ein Reichsbranntweinmonopol (1886) zu schaffen, stand die überwältigende Mehrheit des Reichstages ablehnend gegenüber. Windthorst erblickte in Reichsmonopolen die stärksten Schrittmacher der Unitarisierung44 • In der abgeschwächten Form des Branntweinsteuergesetzes von 1887, das den Eintritt der süddeutschen Staaten in die Branntweinsteuergemeinschaft bewirkte, konnte sich das Reich jedoch durchsetzen45. Der Antrag Rickert46 vom 11. März 1887 für eine Resolution des Reichstages, die die Einführung einer Reichseinkommensteuer fordern sollte, entzündete eine heftige Debatte über diese strittige Frage. Zentrum und Konservative wandten sich aus unterschiedlichen Motiven gegen den Antrag. Frhr. von Helldorff-Bedra (Kons.) lehnte einen Ausbau der direkten Steuern überhaupt ab und verwies auf die indirekten Steuern•7. Ebenso winkte Windthorst ab, da er glaubte, "daß die Reichseinkommensteuer der Ausdruck des unitarischen Gedankens a outrance sein würde" 48• Abg.-Hauses; 1868-1907 MdR) a.a.O., S. 2187 f.; Otto Heinrich Frhr. v. Helldorff-Bedra (Kons. [1833-1908], Kammerherr; 1871-74, 1877-81, 1884-93 MdR; 1890 MdPreuß. Herrenhauses; Mitbegründer u. Fraktionsvors. d. Dt. Konserv. Partei) a.a.O., S. 2208. 44 Vh RT 1879 StenBer S. 2092; Vh RT 1882/83 StenBer S. 137. 45 Vgl. die Diskussion um den den Eintritt der Süddeutschen betreffenden § 44: Vh RT 1887, S. 954 ff. 46 Heinrich Rickert (1833-1902), Landesdirektor, 1870 MdPreuß. Abg.Hauses, 1874-1902 MdR (bis 1884 nat.-lib., dann bei der Dt. Freisinnigen Partei). 47 Vh RT 1887, StenBer S. 85.

•s a.a.o., s. 1091,

IV. Die Frankensteinsehe Klausel 1879

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"Im übrigen blieb die Franckensteinsche Klausel das föderalistische Paladium des Zen.trums49." Es hielt auch daran fest, als im Zusammenhang mit der Caprivischen Militärvorlage eine Reichsfinanzrefo·rm dringend notwendig wurde, und es sich zeigte, daß die durch die Klausel geförderte Matrikularbeitragswirtschaft die Finanzen der Bundesstaaten schwer erschüttert hatte. Die Miquel-Posadowskysche Finanzreform von 1893/9550 setzte sich eine größere Bewegungsfreiheit der Reichsfinanzen zum Ziel. Einerseits sollte die Dotierung der Einzelstaaten durch das Reich beibehalten und andererseits die Schwankungen in den Reichseinnahmen beseitigt werdensl. Den ersten Schritt zu einer Entfernung der Clausula Franckenstein brachte das Schuldentilgungsgesetz vom Jahre 1896, die sog. "Lex Lieber", wonach die Hälfte des Betrages, wn den die Reichsüberweisungen die Matrikularbeiträge überstiegen, dem Reich zur Tilgung seiner Schulden verbleiben sollte52• Die Bundesstaaten erreichten eine gewisse Stabilisierung ihrer Beiträge, das Reich eine Erhöhung seines ihm verbleibenden Teils aus den Überweisungssteuern auf 143 Mill RM, ein Jahr später auf 180 Mill RM53• Die Überweisungen an die Gliedstaaten nahmen ab. 49 Clemens Bauer in Kap. V (Reichsfinanzpolitik) einer maschinenschriftlichen Abhandlung von 1925 über "Reichsverfassung und Föderalismus" im B.HStA.II, MA 103 271. 50 Benannt nach dem preuß. FinMin Dr. jur Johann von Miquel (s.o.) und Dr. theol., Dr. jur. Artbur Graf von Posadowsky-Wehner, geb. 3. 6.1845 Groß-Glogau, gest. 23. 10. 1932 Naumburg; 1873-85 Landrat; 12. 8. 1893 bis 1. 7. 1897 SS im Reichsschatzamt; 1897-1907 SS d. Innern und preuß. StMin, zugleich Stellvertreter des RK, 1907 MdPreuß. Herrenhauses, 1882-85 Md Preuß. Abg.-Hauses (Freikons. Partei), 1928-32 MdL (Preußen), 1912-18 MdR (parteilos), 1919-20 MdR (DNVP>. s1 Dr. jur. Ernst Philipp Lieber ([1838-1902) 1870 MdPreuß. Abg.-Hauses, 1871-1902 MdR [Z) vgl. E. Fleig, Lieber: Staatslexikon III, 51929, Sp. 1002 ff.; E. Deuerlein, Lieber: Staatslexikon V, 61960, Sp. 393 f.) betonte am 29. 1. 1894 (Vh RT 1893/94 StenBer S. 912): "Die Zentrumspartei betrachtet die Matrikularbeiträge als eine unentbehrliche Gewährleistung des föderativen Charakters des Reiches und sie betrachtet weiter die Matrikularbeiträge als das wichtigste Bewilligungsrecht des Reichstages in bezug auf die Einnahmen des Reichs." Ders. am 25.2.1895 (Vh RT 1894/95 StenBer S. 1096 ff. für Festhalten an der Franckensteinschen Klausel "als einer der schönsten und wichtigsten Errungenschaften unserer Partei und der von ihr im Jahre 1879 verfolgten Finanzpolitik". Die Einführung von direkten Reichssteuern lehnte er bei dieser Gelegenheit aber nicht mehr kategorisch ab. Jetzt verfochten nur noch die Konservativen den Standpunkt, daß die direkte Besteuerung ausschließlich bei den Bundesstaaten liegen sollte, kompromißlos (Vgl. Dr. phil. Arnold von Frege-Weltzien [1848-1916), Kammerherr, 1878-1903 MdR; Vh RT 1894/95 StenBer S. 1099 f.). 52 Gesetz vom 16. 4. 1896, RGBl. S.103; benannt nach ihrem Initiator Dr. Ernst Philipp Lieber, MdR (s. o.). 53 Gesetz vom 24. 3.1897, RGBl. S. 95.

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3. Kap.: Die Finanzverfassung im Bismarckschen Reiche

V. Die Finanzreformen von 1904, 1906 und 1908 1. Die kleine Stengelsche Reform von 190454 beseitigte die schädlichen Wirkungen der "Clausula Franckenstein"55 : Die Zoll- und Tabaksteuererträge fielen wieder direkt und ungeschmälert dem Reich zu. Die Franckensteinsche Klausel galt nur noch für die Reichsstempelabgaben und die Branntweinsteuer. In der Sorge um sein ohnehin fragliches Einnahmebewilligungsrecht stärkte der Reichstag das System der Matrikularbeiträge und verhalf damit den Föderalisten zu einem Sieg: Die "Clausula Miquel" aus Art. 70 aRV ("solange Reichssteuern nicht eingeführt sind") wurde gestrichen. Das Reich war nun auch de jure zum Matrikularbeitragssystem übergegangen. Allerdings konnte das Reich nicht ungedeckt Matrikularbeiträge erheben, nachdem die Bundesstaaten 1904 und 1905 mit ihrer Forderung nach Stundung eines Teils der Matrikularbeiträge durchgedrungen waren56. Das Reich wurde auf den Anleiheweg gedrängt57 • 2. Die große Stengelsche Finanzreform von 1906 war als Weiterführung und Verbesserung der Reform von 1904 gedacht58 • Sie brachte neue und erhöhte Stempelabgaben und erstmals eine Besteuerung von Zigaretten und Erbschaften. Hier gelang dem Reich der Durchbruch in die Kategorie der direkten Steuern. Der Bundesrat hatte nur deshalb zugestimmt, weil er befürchtete, ohne Freigabe einer direkten Steuer an das Reich eine erneute Anhebung der indirekten Steuern beim Reichstag nicht durchsetzen zu können. Dem Reich wurde daher die Erbschaftssteuer zugestanden, an der die Gliedstaaten zu einem Drittel, später zu einem Fünftel beteiligt wurden59• Darüber hinaus

54 Benannt nach Hermann Frhr. von Stenge!, geb. 14.7.1837 Speyer, gest. 5. 5. 1919 München; 1876 im bay. Finmin, 1877 als Vertreter Bayerns Mitglied der vom Bundesrat berufenen Kommission zur Ausarbeitung eines Reichsstempel- und Erbschaftssteuergesetzes; 1881 MinRat; 1884 stellv. Bevollm. z. Bundesrat für Bayern und Sachsen-Meiningen; 1894 MinDir, 1897 Staatsrat im bay Finmin; 22. 8. 1903-20. 2. 1908 SS des Reichsschatzamtes, zuvor (1894 bis 1903) MdReichsbankkuratoriums u. d. Verwaltung d. Reichsinvalidenfonds. 55 Gesetz betr. Änderungen im Reichsfinanzwesen vom 14. 5. 1904, RGBl., S. 169. Vgl. die Debatten im RT (Vh RT 1903/04, StenBer Bd. IV, 86. Sitzung (7. 5. 1904) S. 2749 ff.; a.a.O. 87. Sitzung (9. 5. 1904), S. 2276 ff.; vgl. außerdem E. v. Jagemann, Zur Reichstinanzreform, 1905; G. Linschmann, Reichstinanzreform, 1905. 56 Etatgesetz vom 20. 5. 1904, RGBl., S.172; Gesetz betr. die Feststellung des Reichshaushaltsetats für das Rechnungsjahr 1905, § 4, RGBl., S. 181. 57 Vgl. W. Gerloff, Finanz- und Zollpolitik, 1913, S. 364 f.; vgl. § 2 des Gesetzes betr. Änderungen im Finanzwesen vom 15. 7. 1909, RGBl., S. 743. 58 Gesetz betr. die Ordnung des Reichshaushaltes und die Tilgung der Reichsschuld vom 3. 6. 1906, RGBI., S. 620. 59 P. Laband, Die geschichtliche Entwicklung der RV, 1907, S. 46, weist auf die Auswirkungen von Veränderungen in der Finanzverfassung hin: "Die Erbschaftssteuer kann der Beginn einer inneren Umgestaltung der Reichsverfassung werden, wenn der mit ihr betretene Weg der Finanzgesetzgebung

VI. Die Steuergesetze 1911 und 1913

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führte die Finanzreform von 1906 eine als Stempelsteuer verkleidete Tantieme-Steuer für Aufsichtsratsmitglieder von juristischen Personen des Privatrechts ein, die nichts anderes als eine spezielle Einkommensteuer darstellte. 3. In der Sydowschen Finanzreform von 190860 stieß das Reich nochmals offen in das Gebiet der direkten Steuern vor, indem es den Ausbau der Erbschaftssteuer in Form der NachlaBsteuer forderte. Sein Plan stieß im Reichstag auf Ablehnung; das Reich sah sich genötigt, die Skala der indirekten Steuern bis an die Grenze des Erträglichen auszudehnen. Bei steigendem Staatsbedarf schien eine weitere Beanspruchung von indirekten Steuern durch das Reich nicht mehr mög-

1ich6t.

VI. Die Steuergesetze 1911 und 1913 1. Die Wertzuwachssteuer

1911 wurde eine Wertzuwachssteuer verabschiedet62, die sich jedoch nicht bewährte und die erhofften Einnahmen nicht einbrachte. 2. Der Wehrbeitra1 Anläßlich neuer Heeresvorlagen, die durch die Balkankrisen ausgelöst worden waren, erfolgte 1913 der endgültige Einbruch des Reichs in die Länderdomäne der direkten Steuern: Die erhöhten Wehrausgaben sollten durch eine einmalige Erhebung, den Wehrbeitrag, gedeckt werden, zu dessen Bemessungsgrundlage Vermögen und Einweiter verfolgt wird." Er gelangt zu dieser Überzeugung, da direkte Reichssteuern eine enorme Verstärkung der Reichsgewalt im Verhältnis zu den Einzelstaaten bedeuteten. 60 Benannt nach dem damaligen SS im Reichsschatzamt Reinhold von Sydow, geb. 14. 1. 1851 Berlin, gest. 16. 2. 1943 Berlin; 1876 Kreisrichter in Halle, 1883 im Reichspostamt, 1897 Dir. d. li. Abt. d. Reichspostamtes, 1901 USS, 1905 Wirkl. Geh. Rat, 20. 2. 1908-14. 7. 1909 SS im Reichsschatzamt und preuß. StMin, 1909-18 preuß. StMin f. Handel u. Gewerbe. 61 K. D. Bornhak, Wandlungen der RV, 1910, S. 395, prophezeit, daß die nächsten Reichsfinanzreformen auf das Gebiet der direkten Steuern rigoros übergreifen werden. "Dann fällt auch die Gesetzgebung auf dem Gebiete der direkten Steuern dem Reiche anheim, und die Einzelstaaten sind darauf angewiesen, gleich Kommunalverbänden Zuschläge zu den direkten Reichssteuern zu erheben. Denn es können nicht zwei verschiedene Einkommenoder Vermögenssteuern nebeneinander bestehen. Damit werden die Einzelstaaten auch auf finanziellem Gebiete zu bloßen Selbstverwaltungskörpern." Vgl. außerdem L. Herz, Reichsfinanznot, 1910; J . Ptenge, Zur Diagnose der Finanzreform, 1909; F. Schneider, Die Finanzreform 1908/09, 1910. 62 Gesetz vom 14. 2. 1911, RGBI., S. 33; angekündigt in § 90 des Gesetzes betr. Änderung im Finanzwesen vom 15. 6. 1909, RGBI., S. 743 ff.; vgl. die Beratungen im RT vor allem am 16. 1. 1911: Vh RT (XII/1911) StenBer Bd. 263, (108. Sitzung), S. 3891 ff.

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3. Kap.: Die Finanzverfassung im Bismarckschen Reiche

kommen herangezogen wurden63 ; sodann durch laufende Einnahmen in Form der Besitzsteuer64 • Die klare Scheidung der Steuerquellen in direkte (Bundesstaaten) und indirekte Steuern (Reich) war aufgegeben, obschon die Besitzsteuer und der Wehrbeitrag noch nicht mit dem hergebrachten Steuersystem organisch verbunden waren, sondern noch einen Sonderstatus einnahmen. Es erscheint angebracht, hier ausführlich auf die Beratungen im Reichstag einzugehen, der sechs Jahre später - freilich in anderer Zusammensetzung - über die Grundzüge der Finanzverfassung der Weimarer Zeit befand. Am 9. 4. 1913 erläuterte der Staatssekretär im Reichsschatzamt, Hermann Kühn65, den "Entwurf eines Gesetzes über einen einmaligen außerordentlichen Wehrbeitrag" vor dem Reichstag. "Eine reine Vermögenssteuer mußte ausscheiden, . . . weil wir diese Einnahmequelle ebenso wie die Einkommensteuer den Bundesregierungen ohne Schädigung ihrer eigenen Aufgaben nicht entziehen dürfen" 66. Kühn behauptete, das vorliegende Gesetz lasse sich verwirklichen, "ohne daß grundsätzlich die Grenz.en zwischen den dem Reich und den den Bundesstaaten vorbehaltenen Steuergebieten verschoben werden" 67 . Der SPD-Abgeordnete Dr. phil. Albert Südekum68 entlarvte diese Versicherung Kühns als fadenscheinige Taktik und plädierte für eine offene und stabilisierende Reichsfinanzpolitik "auf der Grundlage der direkten Besteuerung des Besitzes und des Einkommens" 69. "Die Form, die man jetzt der Finanzierung gegeben hat, ist der Selbständigkeit der Einzelstaaten doch mindestens so abträglich wie die gefürchtete

63 Gesetz über einen einmaligen außerordentlichen Wehrbeitrag vom 3. 7. 1913, RGBl., S. 505; vgl. R. Eichhorn, Die einmaligen Vermögensabgaben im Dt. Reich, 1925, S. 9; M. Erzberger, Der Wehrbeitrag 1913, 1913; L. Waldecker, Reichseinheit und Reichsfinanzen, 1916; F. Schneider, Die Finanzgesetzgebung des Dt. Reiches von 1913, 1913; W. Gerloff, Die Finanz- und Zollpolitik des Dt. Reiches, 1913; H. Teschemacher, Finanzpolitik und Reichspolitik 1906 bis 1913, 1915. Der Ertrag des Wehrbeitrags war gut. 1921 liefen ca. 1 Mrd RM ein, vgl. B . Fux, Die einmalige Vermögenssteuer, 1926, S. 154. 64 Gesetz vom 3. 7. 1913, RGBI., S. 524. 65 Hermann Kühn, geb. 17. 5. 1851 Schlawe, gest. 26. 2.1937 Berlin; im preuß. Justizdienst; seit 1892 im Reichsschatzamt, 1905 Dir. im Reichsschatzamt, 1910 USS, 16. 3. 1912-31. 3. 1915 SS im Reichsschatzamt; G. Strutz, Zukunftsmöglichkeiten, 1919, S. 4 nennt ihn den "vielleicht vorsichtigsten Finanzpolitiker in leitender Stellung seit Miquel". 66 Vh RT (XIII/1913) StenBer Bd. 289, 135. Sitzung, S. 4613. 67 a.a.O., S. 4614. 68 Dr. Albert Südekum, geb. 25. 1. 1871 Wolfenbüttel, gest. Febr. 1943 Berlin, Schriftsteller, 1900-1918 MdR (WK 1 Mittelfranken), Nov. 1918--März 1920 Preuß. StMin d. Fin. 69 Vh RT (XIII/1913) StenBer Bd. 289, 136. Sitzung (10. 4. 1913), S. 4629.

VI. Die Steuergesetze 1911 und 1913

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direkte Steuer. Übrigens, was hat es denn nun schon mit der Selbständigkeit der Einzelstaaten auf sich? Symbolisch drückt sie sich aus in den Zuständen auf der Bundesratstribüne . . . Das entscheidende Wort sprachen (früher) oftmals die Vertreter der Einzelstaaten. Wohin ist diese Zeit entschwunden? ... Aber, meine Herren, zentralistischer Gedanke hat doch obsiegt!" Sein Parteigenosse Dr. David7o nannte das Kind beim Namen, als er sagte: "Dieser Wehrbeitrag ist für die nächsten drei Jahre die allgemeine direkte Reichseinkommensteuer und Vermögenssteuer. Nichts anderes!" DieSPD-Reichstagsfraktion stimmte für die Vorlage, da sie dem Ziel der Reichseinkommen- und Reichsvermögenssteuer, "auf das wir mit Geschwindigkeit hinmarschieren", und das allein aus der finanziellen Misere heraushelfen kann, nahekomme71. Die Nationalliberalen begrüßten den Wehrbeitrag ebenfalls, u. a. weil damit die Finanzhoheit der Bundesstaaten und damit "eines der wesentlichsten Motive gegen die Reichsvermögenssteuer" wegfalle72• Auch Friedrich von Payer73 wußte keinen besseren Rat zu geben, "als endlich einmal mit der doch in der Luft hängenden Einführung einer Reichsvermögenssteuer ernst zu machen". Auf den Einwand, man müsse Rücksicht auf die staatliche und finanzielle Selbständigkeit der Bundesstaaten nehmen, fragte Payer mit Anspielung auf die Tantiemesteuer von 1906: "Hat denn die Reichssteuergesetzgebung der letzten Jahre etwa nicht in die Selbständigkeit und in die Finanzen der Bundesstaaten eingegriffen74?" 10 Dr. Eduard David, geb. 11. 6.1863 Ediger, gest. 24.12. 1930 Berlin; Gymnasiallehrer, 1896-1908 MdL (Hessen), 1903-1918, 1920-1930 MdR; 1918 USS im AA; 1919 einige Tage Präs. d. NV; 13.2.1919-8. 6. 1920 RMin o. Geschäftsbereich; 21. 6. -3. 10. 1919 RinnMin; seit 1923 Vertr. d. RReg in Darmstadt. 71 David, Vh RT (XIII/1913) StenBer Bd. 290, 169. Sitzung (25. 6. 1913), S. 5789. Ähnlich Joseph Leopold Emmel ([1863-1919] Schlosser, 1907-1918 MdR [SPD]), a.a.O., Bd. 289, S. 4679 ff. (am 11. 4. 1913) und Martin Segitz (geb. 26. 7. 1851 Fürth, gest. 1. 8. 1927 Fürth; Zinngießer, 1897-1911 MdBay Abg.-Kammer, 1898-1903 MdR u . 1912-1918 MdR [SPD, WK 2 Mittelfranken], 21. 2.-31. 5. 1919 B. StMin d Inn, ab 12. 4. 1919 auch f. Handel, Ind. u. Gewerbe) a.a.O., S. 4717 ff. (am 12. 4. 1913). 72 Dr. phil. Hermann Paasche ([1851-1925] Prof. d. Staatswiss. in Rostock, 1881-84 u. 1893-1918 MdR) a.a.O., Bd. 289, S. 4646. Ebenso Ludwig RolandLücke ([1855-1917] Gutsbesitzer, 1912-17 MdR) a.a.O., S. 4686 und Dr. jur. Johannes Junck ([1861-1940] Rechtsanwalt, 1907-18 MdR) a.a.O., Bd. 290, s. 5796 ff. 73 Friedrich v. Payer (1847-1931), Rechtsanwalt, 1877-1919 MdR (DVP, seit 1910 Dt. Fortschrittl. P .), 1894-1912 MdWürttemb. Abg.-Kammer, 1917/18 Vizekanzler unter Hertling und Prinz Max von Baden, 1919/20 MdNV (DDP). 74 a.a .O., Bd. 289, S. 4664; vgl. auch Dr. jur. Georg Gothein ([1857-19401 Bergrat, 1893-1903 MdPreuß. Abg. Hauses, 1901-1924 MdR [Fortschrittl. Volkspartei, dann DDP], 13. 2. -3.4. 1919 RMin ohne Geschäftsbereich, 3. 4. bis 20. 6. 1919 Reichsschatzmin.) a .a.O., S. 4695 ff.

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3. Kap.: Die Finanzverfassung im Bismarckschen Reiche

Abgeordnete aus anderen Parteien schlossen sich der Forderung nach Einführung einer Reichseinkommen- und Reichsvermögenssteuer an75 • Reichskanzler Dr. Theobald von Bethmann-Hollweg76 griff in die Debatte ein, um die von breiter Front in Frage gestellte Staats- und Finanzhoheit der Bundesstaaten in Schutz zu nehmen, nachdem sich deren Vertreter nicht dazu entschließen konnten77 . "Meine Herren, nun wird jetzt vielfach mit dem Gedanken einer Reichsvermögens- oder vielleicht auch einer Reichseinkommensteuer geliebäugelt. Das ist gar nicht bismarckisch gedacht (sehr richtig! rechts) . .. Das wäre so eine Art von Kommunalisierung der Einzelstaaten78." Dr. Südekum (SPD) nannte diese Schützenhilfe für die Bundesstaaten nur einen Vorwand, um das bestehende "Privilegiensystem" zu erhalten; außerdem fürchte der Reichskanzler eine Mehrheitsbildung von Nationalliberalen, Freisinnigen und Sozialdemokraten zur Schaffung einer Reichsvermögenssteuer79. Dr. David (SPD) meinte gar, ,,die Steuersouveränität der einzelnen Bundesstaaten ist jetzt schon so eine Sache, über die lachen die Hühner. Es wäre besser, die Regierung nähme dieses Wort nicht mehr in den Mund. Wenn man bedenkt, ... wie die Reichssteuergesetzgebung seit Jahren mit rauher Hand in die Steuern in den Bundesstaaten hineinfegt und sie durcheinanderwirft, ... so sollte man doch mit dem Wort der vollen Souveränität der Bundesstaaten nicht mehr kämpfen"80. Das Zentrum und die Konservativen befanden sich in der Defensive, wobei sich die letzteren bereits ein Hintertürchen offenhielten mit einer Politik des "Sowohl- als auch". Graf von Westa.rp81 gestand zu, daß 75 Wenn sie in diesem Punkte auch nicht immer für die Gesamtheit ihrer Partei sprechen konnten. Vgl. von der Christl.-sozialen Wirtschaftsvereinigung Franz Behrens ([1872-1943] Gewerkschaftssekr., 1907-18 u. 1919-30 MdR [ab 1919 DNVP], Juli 1932-Nov. 1933 MdR [Christl.-sozialer Volksdienst]) a.a.O., Bd. 290, S. 4708; von der Dt. Reformpartei Withetm Bruhn ([1869-1951] Lehrer u. Zeitungsverleger, 1903-18 MdR, 1919-30 MdR [DNVP]) a.a.O., S. 4712 f. 76 Dr. Theobald von Bethmann Hollweg, geb. 29. 11. 1856 Hohenfinow, gest. 2.1. 1921 ebd.; 1899 Oberpräs. von Brandenburg, 1905 preuß. StMin d Inn, 1907 SS d Reichsamt d Inn, 1909-17 RK u. Preuß. MinPräs. 77 Der bay Bevollm. Dr. Wolf (Dr. Wilhelm Wolf [1869-1943], in den Adelsstand erhoben, 1909-27 stellv. Bevollmächtigter Bayerns zum Bundesrat bzw. Reichsrat, 1919 Bevollmächtigter des B. Stmin d Fin bei der bay Ges. in Berlin, 1923 Staatsrat, 1928-34 Präs. d. Bayer. Staatsbank) verwahrte sich nur einmal gegen den Vorwurf Gotheins, die bay. Finanzverwaltung sei nicht imstande, eine durchgreifende und gerechte Vermögensbesteuerung durchzuführen. a.a.O., Bd. 289, S. 4703 f. 78 a.a.O., S. 4709. 79 a.a.O., S. 4724. 8o a.a.O., Bd. 290, S. 5789. 81 Kuno Friedr. Viktor Graf von Westarp (1864-1945) 1893 Landrat, 1908 bis 1920 Oberverwaltungsgerichtsrat in Berlin, 1908-18 MdR (Kons.; 1913-18 Fraktionsvorsitzender), 1920-1930 MdR (DNVP; 1925-29 Fraktionsvorsit-

VI. Die Steuergesetze 1911 und 1913

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eine einheitliche Reichssteuergesetzgebung viele Schwierigkeiten beseitigen könnte, trug aber gleichzeitig mit Rücksicht auf die Einzelstaaten Bedenken gegen eine Reichseinkommensteuer vor82 • Das Zentrum mußte erkennen, daß es aus seiner bisherigen Führungsrolle in der Reichsfinanzpolitik (Franckenstein, Lieber!) hinausgedrängt wurde. Speck83 griff den Wehrbeitrag heftig an, in der Befürchtung, daß es nicht bei der Einmaligkeit bliebe, sondern eine Dauereinrichtung daraus werden könnte. Die Zusicherung in der Begründung der Vorlage, die ausschließliche Besteuerung der Einkommen durch die Bundesstaaten sei zwingendes Gebot, klinge ironisch. "Denn noch in keinem früheren Reichsgesetz ist die einzelstaatliche Finanzhoheit so ramponiert und beeinträchtigt worden wie durch diese Steuervorlagen. Ich glaube nicht, zuviel zu sagen mit der Behauptung, daß diese Vorlagen der Anfang vom Ende der einzelstaatlichen Selbständigkeit auf dem Gebiete der direkten Besteuerung sind84 ." Am 30. 6. 191385 wurde der Gesetzentwurf über einen einmaligen außerordentlichen Wehrbeitrag mit überwiegender Mehrheit angenommen. Damit war ein Prozeß eingeleitet, der nicht mehr zurückgehalten werden konnte. Die Verstrickung der Reichsfinanzen durch eine uferlose Anleihepolitik und die bald hinzutretenden Kriegskosten schlossen eine Umkehr aus. Das Schiff der bundesstaatliehen Selbständigkeit wurde an einer empfindlichen Stelle leck; die unitarische Woge drohte den gewonnenen Einbruch in die Finanzhoheit der Bundesstaaten nach und nach auszuweiten. Noch hatten die verbündeten Regierungen dank der bevorzugten Stellung des Bundesrats das Steuer fest in der Hand. Die Gefolgschaft der Rechtsparteien im Reichstag war aber in finanzpolitischen Fragen unsicher geworden; das Zentrum blieb allerdings einer ihrer zuverlässigsten Verbündeten, wenn es um die Erhaltung des bundesstaatlichen Reichsaufbaues ging. Als das Schicksal Deutschlands nach der Revolution in erster Linie in die Hände der Nationalversammlung gelegt wurde, die viel stärker vom Einheitsgedanken durchdrungen war als der alte Reichstag, konnte die föderalistische Idee auch nicht mehr mit dem Zentrum rechnen86• Die ausführlich beschriebenen zender, 1926-28 Parteivorsitzender), 1930-Juli 1932 MdR (Kons. Vp), 1912-30 führend in Schriftleitung und Verlag der Kreuzzeitung. 82 a.a.O., Bd. 289, S. 4652. 83 Karl Friedrich Speck, 9. 2. 1862 Speyer, gest. 1942 Würzburg; 1898-1914 MdR (Z), 1920 MdL (Bayern; BVP), 1918-1929 Landesvorsitzender der BVP, 31. 5. 1919-27. 1. 1920 B. StMin d Fin, 1920-1927 Präs. d. Landesfinanzamtes München, 1929 Oberfinanzpräs. in Würzburg. 84 Vh RT, a.a.O., S. 4631. ss Vh RT, a.a.O., Bd. 290, S. 5937. 86 Vgl. den Antrag von SPD, Z und DDP vom 17. Dez. 1919 in der Preuß. Landesversammlung auf baldige Errichtung eines Einheitsstaates. Vgl. vor allem die Erzbergersehe Reichsfinanzreform, die entscheidend vom Zentrum mitgetragen wurde.

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3. Kap.: Die Finanzverfassung im Bismarckschen Reiche

Reichstagsdebatten bewiesen, daß die einschneidenden finanzpolitischen Fragen der Erzbergersehen Reform die Abgeordneten der Nationalversammlung nicht unvorbereitet trafen und auf Wohlwollen rechnen konnten. VII. Die Finanzpolitik im 1. Weltkrieg Dem Reich wurde durch das Ermächtigungsgesetz vom 4. August 1914 eine unbeschränkte Zuständigkeit eingeräumt, indem der Bundesrat seine Befugnisse weitgehend an den Reichskanzler und die Kriegsgesellschaften delegierte. Die Kriegsfinanzierung87 stützte sich einerseits auf gegenwärtiges Steueraufkommen, andererseits auf Kreditnahme, indem man die gegenwärtige Belastung auf die Nachkriegszeit abwälzte. Letzterer Weg hinterließ der Finanzwirtschaft der Weimarer Republik ein schweres Erbe, das u. a. zur Rationalisierung und. Zentralisierung des Finanzwesens in der Hand des Reiches Anlaß gab. Zwar brachten die insgesamt neun Kriegsanleihen dem Reich ca. 97 Mrd M (bei 50foiger Verzinsung), aber die Kriegskosten wuchsen schneller als ihre Deckung; seit der 5. Kriegsanleihe im Jahre 1916 konnten die Schatzanweisungen nicht mehr gedeckt werden88. Die Finanzlage des· Reiches verschlechterte sich zusehends. Die deutsche Wirtschaft war isoliert, der Außenhandel erlahmt, das Güterangebot gesunken, eine allgemeine Teuerung trat ein, die Notenpresse arbeitete beschleunigt. 1. Die Kriegsbesteuerung

Die Erschließung neuer Steuerquellen wurde dringlich, um den Bogen der Anleihepolitik nicht zu überspannen und um die Kriegsgewinne steuerlich zu erfassen. In der Zeit allgemeiner Entbehrung war hierzu die Zustimmung der breiten Öffentlichkeit sicher. Die gerechteste Möglichkeit, die Kriegsgewinne zu besteuern, hätten die Einkommen- und Gewerbesteuer geboten, aber das Reich besaß keine Einkommensteuer als einheitliche Bemessungsgrundlage, und die Landeseinkommensteuern waren von verschiedener Höhe. Reichsschatzsekretär Helfferich89 wollte die Kriegsgewinnsteuer als eine Steuer von dem 87 Vgl. W. Lotz, Die dt. Staatsfinanzwirtschaft im Kriege, 1927; F. W. Zimmermann, Die Finanzwirtschaft zu Kriegsausbruch, 1916; E. Jaffe, Kriegskostendeckung und Reichsfinanzreform, 1917; K. Roesster, Die Finanzpolitik des Dt. Reiches im 1. Weltkrieg, 1967. 88 Vgl. die DS Schiffers v. 12. 3. 1919 "Die Finanzen des Dt. Reiches in den Rechnungsjahren 1914 bis 1918." Drucks. NV, Bd. 335, Nr. 158. 89 Karl Helfferich, geb. 22. 7. 1872 Neustadt, verunglückt 22.4.1924 auf der Gotthardbahn; 1899 Priv.-Doz. an d. Staatsw. Fak. d. Univ. Berlin, 1901 in der Kolonialabt. d. AA, Professor, 1902 Legationsrat, 1906 Dir. d. Anat. Eisen-

VII. Die Finanzpolitik im 1. Weltkrieg

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während des Krieges eingetretenen Vermögenszuwachs gestalten, wobei für die Bemessung des Steuersatzes der Grad der Einkommensteigerung während des Krieges mitbestimmend sein sollteSO. Die Bundesstaaten lehnten diese Pläne als Eingriff in ihre Steuerhoheit ab und erreichten, daß das Mehreinkommen in dem Gesetz nicht berücksichtigt wurde. Da große Vermögen, die sich während des Krieges nicht vermehrt hatten, von der Zuwachsbesteuerung nicht erfaßt wurden, erhob man im Kriegssteuergesetz von 1916 außer der Vermögenszuwachssteuer eine "Steuer auf entgangenen Verlust" in Form einer 10foigen Vermögensabgabe für alle, die nur weniger als 10 Ofo ihres Stammvermögens eingebüßt hatten. Diese Kriegsverluststeuer war eine verschleierte Vermögenssteuer. Hinzu trat noch eine Gewinnbesteuerung juristischer Personen, Aktien- und Kommanditgesellschaften, Bergwerksgesellschaften, Gesellschaften mbH und Genossenschaften e. V. Sie wurden nach Maßgabe des Mehrgewinns besteuert gegenüber dem Gewinndurchschnitt der letzten fünf Friedensjahre91 • Am 26. Juli 1918 wurde als 2. Kriegssteuergesetz das "Gesetz über eine außerordentliche Kriegsabgabe für das Rechnungsjahr 1918" erlassen. Es erweiterte die Gewinnbesteuerung auch auf den Begriff des Mehreinkommens in Verbindung mit einer Vermögenssteuer-92. Das "Gesetz über eine außerordentliche Kriegsabgabe für das Rechnungsjahr 1919" vom 10. September 1919 (BGBl., S. 1567 ff.) betraf ausschließlich das Mehreinkommen, da als Vermögensabgabe bereits das Reichsnotopfer vorgesehen war. Ein weiteres Gesetz vom 10. September 1919, das "Gesetz über eine Kriegsabgabe vom Vermögenszuwachs" (RGBl., S. 1579 ff.) regelte nochmals die Besteuerung des Vermögenszuwachses. bahn, 1908 Dir. d. Dt. Bank in Berlin, Sommer 1918 Botschafter in Moskau, 31. 1. 1915-22.5. 1916 SS im Reichsschatzamt, 22.5.1916-23. 10. 1917 SS im Reichsamt d Inn und Vizekanzler, 1919 Vors. d. DNVP, 1920-24 MdR; zwang Erzherger durch einen Prozeß im Febr./März 1920 zum Rücktritt vom Posten des RFinMin; entwarf 1923 den Plan einer Roggenwährung zur Stabilisierung der Mark; bekämpfte im RT als entschiedener Wortführer der Rechtsopposition die Erfüllungspolitik Wirths und Rathenaus. M. Erzberger, Reden 1919, S. 6 nennt ihn den "leichtfertigsten aller Finanzminister". Vgl. R. Fischer, Karl Helfferich, Berlin 1932. A. Forstmann, K. Helfferich: HWBSoz. 21956, S.ll5 ff. 90 K. Helfferich, Der Weltkrieg, 1919, S. 229. 91 Dieses Gesetz v. 21. 6. 1916 sah einen gestaffelten Tarif von 10 1/o bis 50 °/o vor. Im Gesetz vom 9. 4.1917 (RGBl., S. 561) wurde ein neuer Zuschlag auf die Kriegssteuer von 1916 gelegt. 92 Das Mehreinkommen wurde von 5 °/o bis 50 °/o belastet. Die Vermögensabgabe betrug 1 °/o ab 100 000 M, bis 5 Ofo ab 1 Mill M. Eine einmalige Kriegsabgabe vom Einkommen, wie sie vom RT-Ausschuß vorgeschlagen worden war, wurde von den Bundesstaaten verweigert. Vgl. G. Höfler, Erzhergers Finanzreform, 1955, S. 15. 9 Menges

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3. Kap.: Die Finanzverfassung im Bismarckschen Reiche

Diese beiden Gesetze vom 10. September 1919 beendeten die deutsche Kriegsbesteuerung93, die in die Zeit der Erzbergersehen Finanzreform fielen94, aber nicht Teil dieses Reformprogramms waren. Gleichwohl hatte die Kriegsfinanzierungspolitik entscheidende Auswirkungen auf das Finanzwesen der Nachkriegszeit. Helfferich hatte die drohende Inflation durch eine einseitige Anleihepolitik verschleiert. Zur politischen Umwälzung und zur Niederlage auf dem Schlachtfeld trat der finanzielle Zusammenbruch hinzu - eine traurige Überraschung für die Bevölkerung, die scharfe Steuern nicht gewohnt war, wie für die neuen Machthaber, die sich zu einem Neuaufbau des Reiches rüsteten. Außerdem hatte sich der Fluch Helfferichs aus dem Jahre 1915: "Das Bleigewicht der Milliarden haben die Anstifter dieses Krieges verdient. Sie mögen es durch die Jahrhunderte schleppen95 !" gegen die Deutschen gewandt. Die Reparationsverpflichtungen gegenüber dem Ausland lagen als dunkler Schatten über der Finanzpolitik der Weimarer Zeit. Allzu vorschnell lastete der unreflektierte Zeitgenosse die schlechte Wirtschafts- und Finanzlage und die harte Erzbergersehe Besteuerung, die er am eigenen Geldbeutel zu spüren bekam, dem neuen politischen System an, ohne die Ursachen zu beachten. 2. Die Beschneidung der bundesstaatliehen Hoheitsrechte

Das staats- und finanzpolitische Verhältnis zwischen dem Reich und den Bundesstaaten wurde infolge der Kriegsgesetzgebung und -wirtschaft in bedrohlichem Maße zuungunsten der Gliedstaaten verschoben. Je mehr das Reich Einnahmequellen für sich beanspruchte und regelte, und je mehr die Reichsgesetzgebung den Einzelstaaten Aufgaben zuwies und ihnen die damit verbundenen Ausgaben auferlegte, desto enger wurde das Betätigungsfeld der bundesstaatliehen Finanzwirtschaft. Diese Entwicklung fand ihre Parallele in der Erweiterung der reichseigenen Verwaltung während des 1. Weltkrieges: Ein Kriegsernährungsamt96 und ein Reichswirtschaftsamt97 wurden errichtet sowie kurz vor Kriegsende ein Reichsarbeitsamt98 • Im Sommer 1918 verhandelten die Finanzminister der Bundesstaaten sogar über Fragen der 13 Nach R. Knauss, Kriegsfinanzierung, 1923, S. 175, waren die gesamten Kriegskosten Deutschlands zu 6 °/o durch Steuern und zu 94 °/t durch Anleihen gedeckt (davon 60 °/o Kriegsanleihen, 34 °/o schwebende Schuld); insgesamt war das Reich mit 148,78 Mrd M verschuldet. 94 Vom selben Tag datiert das "Gesetz über die Reichsfinanzverwaltung", RGBl. II, S. 1591 ff. 95 Zit. bei M. Erzberger, Reden, 1919, S. 22. 98 Bekanntmachung über die Errichtung eines Kriegsernährungsamts vom 22. Mai 1916, RGBI., S. 402; August Skalweit, Die deutsche Kriegsernährungswirtschaft, Stuttgart 1927. 97 Allerh. Erlaß vom 21. Oktober 1917, RGBI., S. 963. 98 Allerh. Erlaß vom 4. Oktober 1918, RGBl., S. 1231.

VII. Die Finanzpolitik im 1. Weltkrieg

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Vereinheitlichung der Landessteuerverwaltungen, ohne jedoch zu einem Ergebnis zu gelangen99• Auch der Reichstag unternahm im Zusammenhang mit der Steuerreform von 1918 einen Versuch zur Entwicklung reichsrechtlicher Steuerverwaltungsbefugnisse. Da eine Reichsfinanzverwaltung am Widerstand des Bundesrates scheitern mußte, wurde die Schaffung eines obersten Steuergerichts angestrebt, um die Gleichmäßigkeit der Besteuerung im gesamten Deutschen Reich durch eine einheitliche Rechtsprechung zu gewährleisten. Nachdem eine entsprechende Resolution im Unterausschuß des Haushaltsausschusses angenommen worden war, wurde der "Entwurf eines Gesetzes über die Errichtung eines Reichsfinanzhofs und über die Reichsaufsicht für Zölle und Steuern" aus der Mitte des Reichstags eingebracht und im Hauptausschuß durchberaten100 : Fast sämtliche Beschlüsse über die Errichtung des Reichsfinanzhofs wurden einstimmig gefaßt1°1 • Nachdem der Reichstag das Gesetz über die Errichtung eines Reichsfinanzhofs mit den übrigen Gesetzen der Steuerreform vom Juli 1918 verbunden hatte, war seine Ratifizierung sichergestellt102• Gemäß dem Wunsch des Bundesrats wurde München Sitz des Reichsfinanzhofs103, der am 1. Oktober 1918 seine Tätigkeit aufnahm. Rechtsbeschwerden sollten erst nach Erschöpfen des landesrechtlich geordneten Rechtsmittelzuges an den Reichsfinanzhof gelangen. Seine Zuständigkeit, die immer durch besondere Gesetzesvorschrift begründet sein mußte, war "zunächst" für folgende Reichsabgaben vorgesehen: Wehrbeitrag, Besitzsteuer, Krie·gsabgaben, Erbschaftssteuer, Umsatzsteuer, Reichsstempelabgaben, Wechselstempelabgabe, Abgaben vom Personen- und Güterverkehr und Kohlensteuer. Außerdem konnte der Reichsfinanzhof auf Antrag eines Bundesstaates und mit Zustimmung des Bundesrats durch kaiserliche Verordnung zur "obersten Spruchbehörde für Landesabgaben" bestellt werden (§ 7 Abs. 2 des Reichsfinanzhofgesetzes). Daneben konnten Reichsregierung und oberste Landesfinanzbehörden "Fragen der Auslegung von Vorschriften der Reichsabgabengesetze dem Reichsfinanzhof zur Begutachtung vorlegen" (§ 15). 99 Vgl. G. Lassar, Reichseigene Verwaltung, 1926, S. 133. 1oo Abgedr. in Vh RT 1918 StenBer Bd. 325, Drucks. Nr. 1765 auf S. 2746. 1o1 Abg. Dr. jur. Johannes Junck ([1861-1940], Rechtsanwalt beim Reichsgericht in Leipzig, 1907-18 MdR [nat.-lib.] als Berichterstatter für den ersten Entwurf zum Reichsfinanzhofgesetz in der 189. Sitzung des RT am 11. Juli 1918, Vh RT 1918 StenBer Bd. 313, S. 6069. 1o2 § 25 des Gesetzentwurfs sah vor, daß alle anderen Gesetze der Steuervorlage einheitlich mit diesem Gesetz in Kraft treten sollten. Vgl. dazu auch § 27 des Gesetzes über die Errichtung eines Reichsfinanzhofs und über die Reichsaufsicht für Zölle und Steuern vom 26. Juli 1918, RGBl., S. 959. 1oa Um eine zu starke Zentralisation von obersten Reichsbehörden in Berlin zu vermeiden; Bekanntmachung des RK betr. den Sitz des Reichsfinanzhofs vom 8. Aug. 1918, RGBl., S. 1062.

g•

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3. Kap.: Die Finanzverfassung im Bismarckschen Reiche

Der Begründung einer reichseinheitlichen obersten Verwaltungsrechtsprechung in Steuersachen kam eine ähnliche Bedeutung für die Vereinheitlichung des Finanzwesens zu wie dem 1879 errichteten Reichsgericht für die Vereinheitlichung des Rechtsgebietes. Gleichzeitig wurde den Bundesstaaten die Kompetenz zur Steuerrechtsprechung teilweise (nämlich in der obersten Instanz) entzogen. Popitz sah hierin "den ersten sichtbaren Ausdruck der Tendenz, die Verwaltung der Reichssteuern nicht mehr allein den Behörden der Bundesstaaten zu überlassen, sondern eine Zusammenfassung, eine ständige Beeinflussung der Geschäftsführung von einer Stelle zu erreichen", und bezeichnete den Reichsfinanzhof als den Schrittmacher für die reichseigene Finanzverwaltung104 • Die staatliche und kommunale Finanzwirtschaft der Kriegszeit bot in gewisser Hinsicht ein umgekehrtes Bild als jene des Reiches. Die Bundesstaaten waren bekanntlich an den Erträgen des Reiches beteiligt; diese Erträge aus Zöllen und indirekten Steuern nahmen während des Krieges stark ab. Die Einzelstaaten und die Gemeinden bauten daher das direkte Steuersystem aus, wobei der Besitz durch Progression und Staffelung stärker belastet wurde als das einfache, aus dem Arbeitslohn fließende Einkommen. Dennoch verschuldeten auch die Bundesstaaten, besonders durch Kredite, qie sie u. a. zum Bau von Eisenbahnanlagen aufnehmen mußten; gleichzeitig waren die Eisenbahnen Zuschußbetriebe geworden105• Insgesamt konnten die Länder während des Krieges eine verhältnismäßig stabile Finanzgebarung aufweisen; das Reich registrierte das - mit gierigem Blick auf die direkten Steuern - genau. Trotz der Gewichtsverschiebung zugunsten des Reiches hatten die Einzelstaaten das Reich- wenn man von den außergewöhnlichen Umständen der Kriegszeit absieht - bis zuletzt finanziell in der Hand. Das gesamte Verfahren der Besteuerung und die Finanzverwaltung war Angelegenheit der Bundesstaaten; ebenso verhielt es sich mit der Bestimmung über die Höhe der Steuersätze bei den direkten Steuern. Noch besaß der Föderalismus im Bundesrat festen Halt und konnte dem starken Vordringen des unitarischen Gedankens, wie er sich in der Reichsfinanzgesetzgebung und in den darüber hinausgehenden Wünschen des Reichstags ausdrückte, die Stirne bieten. Aber schon erschien die Verteilung der Finanzgewalt zwischen Reich und Bundesstaaten angesichts der mächtig anschwellenden Staatstätigkeit des 10& J. Popitz, Betrachtungen über Errichtung d. Reichsftnanzhofs, 1928, S. 971 f.; ders., Die Errichtung der Finanzgerichte, 1922; A. Hensel, Reichsfinanzhof u. Staatsrecht, 1928; H. Leidel, Reichsfinanzverwaltung, 1964, S. 54 ff. 1os Zur Verschuldung der dt. Bundesstaaten während des 1. Weltkrieges: P. Buchholtz, Der Haushaltsplan in Reich, Staat und Gemeinden, 1922.

VII. Die Finanzpolitik im 1. Weltkrieg

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Reiches nicht mehr dem Ausmaß der jeweiligen Zuständigkeiten adäquat. Nichts veranschaulicht diese Disproportion anschaulicher als ein Ver-gleich der Reichs- und Staatsetats aus der Zeit nach der Reichsgründung mit denen der Vorkriegs- oder gar der Kriegsjahre. Eine umfassende Reichsfinanzreform erschien dringlich und konnte durch die Verhältnisse nach Revolution und militärischer Niederlage nicht mehr hinausgeschoben werden. Daß die Bundesstaaten dabei dem Reich entgegenkommen mußten, war klar. Den Gedanken, die neue Finanzverfassung könnte auch weitgehend ohne ihre Mitwirkung geschaffen werden, hätten sie wohl im Spätjahr 1918 noch für unmöglich gehalten.

Viertes Kapitel

Von der Revolution bis zur Reichsfinanzreform Erzhergers I. Die Revolution und der bundesstaatliche Aufbau des Reiches Für die Erhaltung des bundesstaatliehen Reichsaufbaues war entscheidend, daß im November 1918 keine zentrale Revolution1, sondern örtliche Revolutionen in den Bundesstaaten stattfanden. Sie erwiesen sich nicht als totale Umgestaltung aller politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse; vielmehr bewirkten sie zunächst ganz einfach einen Wechsel in der Verfügungsgewalt über die Verwaltung. Das Regierungsprogramm Eisners2 vom 15. November 19183 zeugte von einem starken Bewußtsein bayerischer Eigenstaatlichkeit und atmete den Geist einer spezifisch bayerischen Mission: Die bayerische Regierung betrachte es als ihre Aufgabe, "innerhalb der deutschen Stämme eine innige Gemeinschaft vorzubereiten .. . Wenn wir das Ziel erreichen wollen, daß die Vereinigten Staaten von Deutschland, die Österreich einschließen, die einzige mögliche Lösung des nationalen Problems sind, so werden wir in nächster Zukunft eine zweckmäßigere Gliederung der deutschen Staaten durchzuführen haben, die ohne jede Vorherrschaft eines einzelnen Staates und ohne Antastung der Freiheit und Selbständigkeit Bayerns auch die notwendigen Maßnahmen vernünftiger Einheit trifft". Auch in anderen deutschen Bundesstaaten bewirkte die Revolution eine Festigung des einzelstaatlichen Bewußtseins: Die von den neuen Länderregierungen vertretene Politik erhielt ihre Nahrung aus d.e m Kreise der höheren Beamtenschaft. Vor allem wollten die Regierungen, nachdem sie durch eigene Revolutionen an die Macht gelangt waren, nicht sofort wieder entsagen. Die republikanische Staatsform hatte sich ja in den Ländern durchgesetzt, noch ehe das Reich sie vorschrieb. Vgl. K. Bosl, Bayern im Umbruch, 1969; dort weitere Literatur. Kurt Eisner, geb. 14. 5. 1867 Berlin, erm. 21. 2. 1919 München: 1892/93 Redakteur der "Frankfurter Ztg.", 1898-1905 des "Neuen Vorwärts", 1907-10 der "Fränk. Tagespost"; 8.11.1918-21.2.1919 Bay MinPräs (USPD); vgl. F. Schade, Kurt Eisner u. d. bay Sozialdemokratie, 1961; F. Wiesemann, Kurt Eisner: Bayern im Umbruch (Hrsg. v. K. Bosl). 1969, S. 387 ff. 3 DGR 1919, S. 87 f. t

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I. Die Revolution und der bundesstaatliche Aufbau des Reiches

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Die Berliner Revolution war von Anfang an zentralistisch bestimmt; sie behielt sich eine Führungsrolle vor. Der Rat der Volksbeauftragten unter Ebert4 und Haase5 hatte ursprünglich nicht die Absicht, die Selbständigkeit der Länder zu schonen6 • Doch die Reichsleitung sah sich sehr bald in die Defensive gedrängt: Sie protestierte in einem Rundschreiben an die Bundesstaaten vom 18. 11. 19187 gegen Eingriffe in die Befugnisse des Reiches. Die Bundesregierungen sollten sich bis zu den Entscheidungen der Nationalversammlung "streng an die bisherigen Abgrenzungen der Befugnisse zwischen dem Reich und den Einzelstaaten ... halten". Bei der Staatenkonferenz vom 25. 11. 1918 zu Berlin bemühte sich die Reichsleitung, die Gefahr eines Auseinandernfallens des Reiches zu bannen8• Die politische Umwälzung vom November 1918 berührte also das Reich-Länder-Verhältnis nicht unmittelbar. Sichtbares Zeichen dieser Kontinuität bildete das Fortbestehen des Bundesrates durch die Verordnung vom 14. 11. 1918 {RGBl, S. 1311), wonach der Bundesrat ermächtigt wird, "die ihm nach Gesetzen und Verordnungen des Reichs zustehenden Verwaltungsbefugnisse auch fernerhin auszuüben". Der Bundesrat tagte bis zum 30. Januar 1919 und wurde dann vom Staatenausschuß der Nationalversammlung abgelöst. Demgegenüber besiegelte die Revolution vom 9. 11. 1918 deutlich die Abschaffung der Monarchie und die Auflösung des Reicllstages9 • Trotz dieses Sachverhaltes entzündete sich eine lebhafte Diskussion über die Frage, ob die Revolution den bundesstaatliehen Reichsaufbau beseitigt habe. Nicht nur die Unitaristen bejahten diese Frageto, sondern auch der bayerische Ministerpräsident Eisner: A ..1f der Konferenz der vier süddeutschen Staaten in Stuttgart am 27./28. Dezember 1918 stellte er die These auf: "Der Bundesrat ist aufgehoben, das Reich be4 Friedrich Ebert, geb. 4. 2. 1871 Heidelberg, gest. 28.2.1925 Berlin; Sattler, 1892 Redakteur der "Bremer Bürgerztg."; 1894 Gastwirt; 1900 Arbeitersekretär in Bremen; 1912-18 MdR (SPD); 1913 in der Nachfolge Bebeis mit Haase im Parteivorsitz; 9. 11. 1918 bis 13. 2. 1919 "Volksbeauftragter"; 11. 2. 1919 bis 28. 2. 1915 RPräs; mit politischem und menschlichem Takt sowie mit

Pflichtgefühl und Besonnenheit ausgezeichneter Volksmann, der sich auch bei unvoreingenommenen Gegnern persönliches Ansehen erwarb. s Hugo Haase, geb. 29. 9. 1863 Allenstein, enn. 17. 11. 1919 Berlin, Rechtsanwalt; 1897-1907 und 1912-18 MdR (SPD, dann USPD), 1919 MdNV; 1913 mitEbertim Parteivorsitz; 9. 11. bis 29. 12. 1918 "Volksbeauftragter"; Pazifist; bewies in theoretischen Diskussionen eigene Originalität; um die Vereinigung der USPD mit den Mehrheitssozialdemokraten bemüht. 6 z. B. verkündete der Aufruf vom 12.11. 1918 "An das dt. Volk!", RGBI. Nr. 153, S. 1303, ausgegeben am 14. 11. 1918 mit Gesetzeskraft ohne Zustimmung der Länder eine allgem. Amnestie, das allgem. Wahlrecht auch für die Länderparlamente usw. 1 B.HStA.I, Minn 74107; unterzeichnet von Ebert und Haase. s Ergebnis der Konferenz: Reichsanzeiger vom 26.11. 1918, Nr. 279, 1. Beil. 9 Letzteres durch die VO v. 2. 2. 1919 nachträgl. bestimmt (RGBI., S. 145). 10 H. Liermann, Begriff und Wesen der Sonderrechte, 1929, S. 37.

4. Kap.: Von der Revolution bis zur Reichsfinanzreform

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steht nur noch wirtschaftlich." Die Konferenz solle also eine Resolution verabschieden, wonach "die künftige Gestaltung der Einheit des Deutschen Reiches durch Vertrag der Einzelstaaten zustande kommen muß" 11 • Geheimrat von Graßmann12 bezeichnete diesen Vorschlag zwar für die "theoretisch beste Grundlage für die Schaffung eines föderalistischen Verfassungswerkes"13, widersprach Eisner jedoch auf der Stuttgarter Konferenz; das Reich bestehe als solches weiter, erfahre jedoch eine Änderung des inneren Ausbaues. In gleichem Sinne ging die Resolution der süddeutschen Regierungen vom Weiterbestand des bundesstaatliehen Reichsaufbaues aus und erinnerte die Reichsleitung an das Mitbestimmungs- und Mitgestaltungsrecht der Bundesstaaten an der künftigen Reichsverfassung. Da das Reich und die Bundesstaaten den bisherigen bundesstaatliehen Aufbau beibehielten, mußten auch die Artikel der alten Reichsverfassung, die das Verhältnis zwischen Reich und Bundesstaaten betrafen, bis zum lokrafttreten einer neuen Verfassung Geltung behalten. Das galt in erster Linie von Art. 78, 2 aRV, der bestimmte, daß "diejenigen Vorschriften der Reichsverfassung, durch welche bestimmte Rechte einzelner Bundesstaaten in deren Verhältnis zur Gesamtheit festgestellt sind, ... nur mit Zustimmung des berechtigten Bundesstaates abgeändert werden" können14. Die Bundesstaaten machten freilich sehr bald die Erfahrung, daß die Reichsregierung und die Nationalversammlung außer den beiden Möglichkeiten - Aufhebung der Reichsverfassung von 1871 oder deren Fortbestand bis zur Verkündigung einer neuen Verfassung - Mittel und Wege fand, ihre Vorstellungen durchzusetzen15. Insbesondere berief sich die Reichsregierung auf das revolutionäre Rechtsprinzip, wer nach die Nationalversammlung neues Recht schafft und in dieser Eigenschaft das gesamte Volk u.nd die einzelnen Staatsvölker vertritt16. Diejenigen, die sich auf das revolutionäre Rechtsprinzip stützten, übersahen allzu leicht, wie rasch die Revolution erstarrt war, und daß die Bundesstaaten ja noch weiterbestanden. u Prot. der Konferenz im B.HStA.II, MA 103244.

12 Dr. Joseph von Graßmann, geb. 1864, gest. 1928; 1898 Legationssekr. im

B. Stmin d Äuß, 1904 ORR im B. Stmin f Verkehr, 1907 MinRat, 1919 MinDir u. Staatsrat; nach Übernahme der bay Eisenbahn auf das Reich Generaldirektor d. Rhein-Main-Donau-AG.; einer der fähigsten und angesehensten bay Ministerialbeamten; Eisner beauftragte ihn mit der Abfassung einer bay Verfassung, Graßmann berief in eine entspr. Kommission Geheimrat v. Müller, MinRat v. Stenge!, MinRat Stenglein und den Würzburger Staatsrechtier Robert Piloty. 13 J. v. Graßmann, Bayern und die RV, 1919. 14 Vgl. Pregers erstes Votum vor dem VA der NV: Vh NV StenBer Bd. 336,

S.24.

15 Vgl. Ber. Pregers Nr. 21 v. 12. 1. 1919; B.HStA.II, MA 103743. 1&

So USS David auf d. Staatenkonf. v. 26.-30.1.1919; BA, R 43 1/1863.

II. Die Finanzpolitik in den ersten Monaten der Republik

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II. Die Finanzpolitik in den ersten Monaten der Republik

1. Erste Pläne einer Reichsfinanzreform Schon am 13. November 1918 veröffentlichte der letzte kaiserliche Staatssekretär im Reichsschatzamt, Siegfried von Roedern11, eine Denkschrift über eine Steuerreform im Reich und in den Bundesstaaten18• Roedern schlug vor, die direkten Steuern, die Erbschaftssteuer und die Umsatzsteuer in einer einheitlichen Steuerverwaltung zusammenzufassen, da die einzelstaatlicllen Steuerverwaltungen zu kostspielig seien und keine übersichtliche und einheitliche Veranlagung gewährleisteten. Als der bayerische Finanzminister J affe19 von Steuerrefonnplänen der Reichsleitung erfuhr, sprach er gegenüber dem bayerischen Staatsministerium des Äußeren die Erwartung aus, "daß derartige Maßnahmen nur mit Zustimmung der einzelnen Bundesstaaten erfolgen" dürften20 • Die bisherigen Einnahmen der Bundesstaaten seien "tunlichst zu wahren"; das Reich müsse bei Erschließung bzw. beim Ausbau von Steuern "auf die finanzielle Lage der Einzelstaaten weit.gehende Rücksicht nehmen". Entsprechend der Empfehlung des Finanzministers wurde die bayerische Gesandtscllaft in Berlin instruiert, die Reichsleitung um frühzeitige Unterrichtung über Reichssteuerpläne zu bitten21 • Reichsschatzsekretär Schiffer%2 entschuldigte sich gegenüber 17 Siegfried Graf von Roedern, geb. 27.7.1870 Marburg, gest. 13.4.1954 Sonnleitenhof/Traunstein; 1903 im preuß Finmin; 1905 Landrat; 1911 Oberpräsidialrat; 1914-16 SS f. Elsaß-Lothringen; 22. 5. 1916-14. 11.1918 SS im Reichsschatzamt, 1930 Vors. d. Bundes z. Erneuerung d. Reiches. 18 Nachlaß Saemisch; BA, Nr. 81. 1t Dr. Edgar Jaffe, geb. 1866 Hamburg, gest. 1921 München; a. o. Prof. an der staatswirtsch. Fakultät der Univ. München; gab zusammen mit Max Weber und Sombart das Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik heraus; veröffentlichte mehrere finanzpolitische Werke, s. Bibliographie! 8. 11. 1918-21. 2. 1919 B. StMin d Fin. 2o StMin d Fin an das B.Stmin d Äuß - Nr. 36495 - vom 22.11.1918; B.HStA.II, MA 103743; Unterstreichung im Original. 21 Nr. 22952 v. 23. 11.1918; B.HStA.II, MA 103743; zuvor schon telegraphische Instruktion vom 21. 11.1918; Abschrift ebd. 22 Dr. Eugen Schiffer, geb. 14. 2. 1860 Breslau, gest. 5. 9. 1954 West-Berlin; 1903-18 MdL-Preußen (nat.lib.); 1912-17 und 1919-24 MdR (nat.-lib., dann DDP); 1910 Oberverwaltungsgerichtsrat in Berlin; 1917 USS, 14. 11. 1918 bis 12. 2.1919 SS im Reichsschatzamt; 13. 2.-19. 4. 1919 und 3. 10.1919- 26. 3. 1920 Stellv. d. MinPräs bzw. d. RK; 13. 2.-19. 4. 1919 RMin d Fin; 3. 10. 1919 bis 26. 3. 1920 u. 10. 5. 1921-22. 10. 1921 RJusMin; 1921-22 dt. Kommissar bei den Wirtschaftsverhandlungen mit Polen über Oberschlesien; danach Präs. d. Verwaltungsakademie Berlin; 1946 Vorstandsmitglied der Lib.-dem. Partei; 1945-48 Chef d. Zentralen dt. Justizverwaltung in der SBZ; einer der einflußreichsten Sprecher der DDP (neben Koch-Weser u. a.); schied als RFinMin aus, angeblich wegen der Ämtervermehrungen und der Sozialisierungspläne der RReg, eigentl. aus Hoffnungslosigkeit über die Finanzlage des Reiches; Schiffer hielt eine Sanierung der Reichsfinanzen praktisch für eine unlösbare Aufgabe (vgl. G. Strutz, Zukunftsmöglichkeiten, 1919, S. 6); vgl. E. Schiffer, Ein Leben für den Liberalismus, 1951.

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4. Kap.: Von der Revolution bis zur Reichsfinanzreform

Ministerialdirektor Dr. v. Wolf mit dem fadenscheinigen Vorwand, die Reichsleitung wisse- bei den labilen Verhältnissen in den Ländernnicht, ·an wen sie sich wenden solle. Er versprach jedoch, die bayer.i.sche Regierung in Zukunft von Steuerplänen des Reiches stets rechtzeitig unterrichten zu wollen. In groben Zügen setzte er Wolf über das Finanzprogramm in Kenntnis, das er am 18. November 1918 dem Reichskabinett vorgetragen hatte und das "im Grunde das alte" war23 • Es beruhte auf Vorarbeiten, die während des Krieges unter Staatssekretär Roedern geleistet worden waren24• Auf der Staatenkonferenz vom 25. November 1918 in Berlin informierte Schiffer die Vertreter der Einzelstaaten ebenfalls über die Pläne der Reichsleitung für eine Neuordnung der Finanzverhältnisse, nachdem er in düsteren Farben die allgemeine deutsche Finanzlage geschildert hatte. Schiffer machte einige Vorschläge, die geeignet seien, die momentane Misere zu überwinden (Bekämpfung der Steuerhinterzieher und der Kapitalabwanderung ins Ausland, Kriegsgewinnsteuer usw.); vor allem müsse das Einkommen und Vermögen herangezogen werden25• Die Andeutungen Schüfers ließen die Landesregierungen hellhörig werden. Wenige Tage nach der Berliner Konferenz, am 2. Dezember 1918, trafen sich die Finanzminister Sachsens, Württembergs, Badens und Hessens in Stuttgart, um Finanz- und Steuerprobleme zu erörtern; der bayerische Finanzminister J affe ließ sich vertreten. Man einigte sich, eine gemeinsame Abwehrfront der Süddeutschen gegenüber den Forderungen des Reichsschatzamtes aufzubauen26• Ein dauerhaftes Zusammengehen der Süddeutschen kam jedoch während der gesamten Weimarer Zeit auf finanzpolitischem Gebiet ebensowenig zustande wie in allgemeinverfassungspolitischen Fragen der Reichsreform27• Die wirtschaftlichen Strukturen dieser Staaten waren zu heterogen, als daß auf längere Zeit eine Basis für eine gemeinsame Finanzpolitik gegenüber dem Reich hätte gefunden werden können. Der Volksbeauftragte Landsberg28 empfahl als erster nach der Revolution im Reichskabinett eine weitgehende Verreichlichung des BA, R 43 I/1324. J. Popitz, Die dt. Finanzen 1918-1928, 1928, S.187; Ber. Wolfs an das B. Stmin d Fin v. 22.11. 1918; B.HStA.II, MA 103743 (Abschrift); Hauptanlaß der Unstimmigkeit bildete die VO der RReg zur Sicherung der Kriegssteuer für das 5. Kriegsjahr v. 15. 11. 1918, die ohne jedes Einvernehmen mit den Bundesregierungen erlassen worden war. 25 Ber. Wolfs an das B. Stmin d Fin v. 26. 11. 1918; B.HStA.II, MA 103743. 26 DGR, S. 270 und 307. 27 Zu letzterem vgl. W. Benz, Die Politik der süddt. Staaten, 1968. 2s Dr. Otto Landsberg, geb. 4. 12. 1869 Rybnik, gest. in der Emigration in Holland; Rechtsanwalt; 1912-18 und 1924-33 MdR (SPD), 1919 MdNV; 9. 11. 1918-13.2. 1919 Volksbeauftragter für das Finanzwesen; 13. 2.-20. 6. 1919 RJusMin; 1920-24 Gesandter in Brüssel. 23

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Steuerwesens: "Wir werden, wenn wir überhaupt den Einzelstaaten die Steuerveranlagung nicht ganz abnehmen wollen, sie viel stärker als bisher durch das Reich beaufsichtigen müssen29." Schiffer gab jedoch zu bedenken, daß die notwendige Finanzreform nicht vor Klärung der staatsrechtlichen Verhältnisse in Deutschland verwirklicht werden könne. Denn zu jedem Gesetz gehörten Ausführungsbestimmungen, "die sich beziehen auf die Ausführungen in den Einzelstaaten und auf ihr Verhältnis zum Reich ... sie wirken auch auf das Gesetz zurück" (a. a. 0.). Schiffers Appell für besonnenes Vorgehen und sein Hinweis auf den Zusammenhang zwischen Staatsaufbau und Finanzordnung fanden bei der Reichsleitung Zustimmung30. 2. Das Finanzprogramm der Reichsregierune vom 31. Dezember 1918

Unterdessen wurden die Vorbereitungen für die künftige Reichsfinanzreform im Reichsschatzamt energisch vorangetrieben. Ministerialdirektor Moesle31 berichtete dem Reichskabinett am 15. Dezember 1918 vom Stand der Vorarbeiten und skizzierte das Bild einer Reichsabgabenordnung, die ein Jahr später in ausgefeilter Form in Kraft trat (am 13. 12. 1919; RGBI., S. 1933). Die Anregung Moesles, vor gesetzgeberischen Maßnahmen zunächst das "Steuerprogramm in programmatischer Weise als feste Absicht der Regierung" zu verkünden32, wurde aufgegriffen und unter dem 30. Dezember 1918 verwirklicht33• Die amtlich.e Verlautbarung, die den Willen der provisorischen Reichsregierung auf dem Gebiet der Finanzen erstmals progammatisch umriß, ging von den Lasten infolge des Weltkrieges aus, die nur getragen werden könnten, "wenn sie gerecht verteilt werden. Deshalb sind Vermögen und Einkommen in jeder Form erheblich schärfer als bisher heranzuziehen. Ein durchgreifender Ausbau der direkten Steuern muß die Grundlage des neuen Steuerwesens bilden und ungesäumt in Angriff genommen werden". Zu diesem Zwecke seien vorgesehen: die Einziehung der Kriegsgewinne, die Erhebung einer allgemeinen Vermögensabgabe, die Einführung einer Reichseinkommensteuer, die zusätzliche Heranziehung einzelner Einkommensquellen (Kapitalertragsteuer, Betriebsertragsteuer) und eine Verschärfung der ErbschaftsProt d Reichskabinettsitzung v. 12. 12. 1918; BA, R 43 1/1324. z. B. Haase im Reichskabinett am 15.12.1918; BA, R 43 1/1324. Stefan Moesle, geb. 8.12. 1874 Hennigkofen, gest. (nach 1930); im höheren Verwaltungsdienst Württembergs (RegRat und ständiges Mitglied d Reichsversicherungsamtes; als Geh. RegRat Leiter der Abt. "Steuern" im Reichsschatzamt, dann MinDir, USS und bis Dez. 1920 SS (unter Erzberger); äußerst fähig, hatte Hauptanteil an der Erzbergersehen Reichsfinanzreform. 32 Prot d Reichskabinettsitzung vom 15. 12. 1918; BA, R 43 1/1324. 33 Das Finanzprogramm ist veröffentlicht im Dt. Reichsanzeiger Nr. 307 vom 31. 12. 1918. 29 30 31

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4. Kap.: Von der Revolution bis zur Reichsfinanzreform

steuer. Die Frage des Finanzausgleichs zwischen dem Reich und seinen Gliedern sowie das Problem der Kompetenz zur Steuerverwaltung wurden nicht angeschnitten, da die Grundzüge des staatlichen Neubaues noch unbekannt waren. Dieses Programm, das mit seiner Beschränkung auf Einkommen- und Vermögensteuern sozialistisches Gedankengut verriet, leitete bereits die große Finanz- und Steuerreform Erzbergers ein. Da es ohne vorherige Fühlungnahme mit den Einzelstaaten zustandegekommen war14, rief es diese sehr bald auf den Plan. Noch am Tage der Veröffentlichung wurde Dr. v. Wolf bei Schiffer vorstellig und bat um Erläuterung. Der Staatssekretär war sichtlich bemüht, den stellvertretenden bayerischen Bevollmächtigten zu beruhigen: Die Veröffentlichung sei lediglich ein Programm der gegenwärtigen Reichsregierung mit der Unverbindlichkeit eines Interviews. Vor dem Zusammentreten der Nationalversammlung seien keine einschneidenden Steuergesetze geplant. Entgegen der eindeutigen Formulierung stellte Schiffer in Abrede, daß das Reich da.ran denke, die Einkommensteuer zu beanspruchen; es sollten nur die "höchsten" Einkommen vom Reich erfaßt werden. Wenngleich Wolf auch das als Eingriff in die Finanzhoheit der Bundesstaaten ablehnte, gab er seine Befürchtungen als "tatsächlich nicht begründet" auf. Verharmlosend schrieb er nach München, aus taktischen Gründen habe die Reichsleitung "das Bild ihrer Steuerpläne mit etwas kräftigeren Farben gemalt als sie selbst das Bild tatsächlich zu gestalten beabsichtigt"35• Finanzminister Jaffe war nicht so leichtgläubig und optimistisch wie Wolf. Er machte gegenüber Schiffer kein Hehl daraus, daß er es für bedenklich hielt, sich im gegenwärtigen Übergangsstadium auf Richtlinien festzulegen, die den künftigen Volksvertretungen möglicherweise nicht entsprächen. Deshalb bedauerte er die Veröffentlichung des Programms und schloß sich einem entsprechenden Protest des sächsischen Finanzministers anas. In einem Schreiben vom gleichen Tag instruierte Dr. Jaffe Ministerialdirektor v. Wolf im Hinblick auf die Ministerbesprechung vom 10./11. Januar 1919 in Berlin: 34 Prot d Reichskabinettsitzung v. 30. 12. 1918; BA, R 43 I/1325. 35 Ber. Wolfs an das B. Stmin d Fin vom 31.12. 1918; B.HStA.II, MA 103743 (Abschrift); vgl. auch Ber. Pregers Nr. 21 vom 12. 1. 1919 an das B.Stmin d Äuß über eine Unterredung mit Schiffer v. 11.1.1919; a.a.O.; Schiffer versicherte bei dieser Gelegenheit, das Reich wolle das bay Biersteuerreservat nicht antasten. Er vertrete den föderativen Standpunkt, sei aber überzeugt, daß aus wirtschaftl. und finanziellen Gründen eine möglichste Vereinheitlichung des Steuersystems erreicht werden müsse. as Jaffe an Schiffer - Nr. 391 - v. 6. 1. 1919; Abschriften an die Bay Ges Berlin u. d. Finmin v. Sachsen, Württ., Baden u. Hessen; B.HStA.II, MA 103743.

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1. Veröffentlichungen der Reichsregierung von der Tragweite des Programms vom 31. 12.1918 ohne Vorwissen der Bundesregierungen sind abzulehnen. 2. "Der Föderativcharakter des Reichs muß nicht nur gewahrt, sondern weiter ausgebaut werden. Der Bestand der Bundesstaaten hängt davon ab, daß den Bundesstaaten nicht noch die letzten selbständigen Einnahmequellen, das Gebiet der direkten Steuern, vom Reiche weggenommen werden. Diese letzte Sicherung des Bestandes der Bundesstaaten muß verfassungsmäßig Festlegung finden" (Unterstreichung im Original). 3. Auf dem Gebiet der indirekten Steuern kann dem Reich entgegengekommen werden; aber "unmöglkh wäre ein Verzicht auf die bayerische Sonderbesteuerung des Bieres". 4. Eine Reichseinkommensteuer sowie eine einheitliche Einkommensteuergesetzgebung sind abzulehnen. 5. An der Vermögensteuer könnte das Reich u. U. beteiligt werden. 6. Das Reich sollte fortlaufend den Zuwachs an Vermögen und Einkommen besteuern, den Kriegsgewinn stärker erfassen, eine spezielle Vermögensteuer einführen, die Erbschaftssteuer ausbauen, Luxusgegenstände mit hohen indirekten Steuern, besonders mit Zöllen, belegen und die Umsatzsteuer reformieren. 7. Vor den Beschlüssen der Nationalversammlung dürfen keine Reichssteuern verfügt werden. 8. "An der Vorbereitung der Vorlagen an die Deutsche Nationalversammlung will Bayern beteiligt sein . . . Mit einer Unitarisierung auf irgendwelchem Gebiet kann sich Bayern nicht einverstanden erklären." 9. Die Beschlüsse der Nationalversammlung über die Gestaltung des Reichs bedürfen der Zustimmung der einzelstaatlichen Volksvertretungen. 10. "Jedenfalls kann Bayern keiner Regelung sich fügen, die Bayern die finanzielle Selbständigkeit nimmt und die Bayern auf bloße Zuweisungen oder Zuschläge zu Reichseinnahmen verweist. Die Besteuerung des Einkommens muß den Bundesstaaten unter allen Umständen bleiben; auf die Sonderbesteuerung des Bieres kann Bayern nicht verzichten. Wie bereits bemerkt, muß die Sicherheit der finanziellen Selbständigkeit der Bundesstaaten in der Reichsverfassung, und zwar nicht nur in allgemeinen Umrissen, ausdrücklich festgelegt werden37." 37 Jaffe an Wolf Nr. 391II v. 6. 1. 1919; B.HStA.II, MA 103743 {Abschrift). Man beachte die Kontinuität in der bay Finanzpolitik gegenüber dem Reich von der Revolutionsregierung zu den konservativen, bürgerlichen Rechtsregierungen der späteren Jahre!

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4. Kap.: Von der Revolution bis zur Reichsfinanzreform

Im Grunde wiederholte Jaffe genau das, was die "Grundzüge einer neuen bayerischen und einer neuen Reichsverfassung nebst den zu deren Herstellung zu ergreifenden Maßnahmen" vom November 1918 aussagten38. Ähnliche Gedanken enthalten auch Jaffes Werk: "Die Finanz- und Steueraufgaben im neuen Deutschland, 191939." 111. Die Schaffung der neuen Reichsverfassung 1. Der Preußsche Verfassungsentwurf Die Regierungen der Einzelstaaten verfolgten mißtrauisch und mit Unbehagen die Arbeiten des Reichsamts des Innern am Verfassungsentwurf. Preger setzte seine Regierung am 7. Januar 1919 von einer vertraulichen Mitteilung in Kenntnis, wonach der Entwurf der Reichsverfassung "den Interessen Bayerns nicht gerecht" werde40• Die bayerische Regierung machte daher noch vor Veröffentlichung des Entwurfs der Reichsverfassung41 ein Mitberatungs- und Mitbestimmungsrecht der Bundesstaaten am neuen Verfassungswerk geltend. Die Reichsregierung stellte ein solches nicht grundsätzlich in Abrede, vertrat jedoch auf der anderen Seite den Standpunkt, daß die Nationalversainmlung die für die Reichsverfassung zuständige souveräne Konstituante sei. Hugo Preuß42 hatte am 3. Januar 1919 den allgemeinen Teil seines Entwurfs einer Reichsverfassung fertiggestellt, dem eine Denkschrift beigefügt war. Hierin vertrat der Staatssekretär die Ansicht, daß sich 38 Kap. V dieser Grundzüge behandeln das Finanzwesen; entworfen nach den Beschlüssen der Verfassungskommission unter Graßmann und Piloty; B.HStA.II, MA 103244. 39 Während des Krieges verfaßt, aus der Sicht des FinMin später wohl geändert. So erklären sich Widersprüche, wenn Jaffe auf S. 21 die Unzulänglichkeit des geltenden Finanzsystems "in dem bundesstaatliehen Charakter des Reiches" erkennt, dann aber doch die Finanzhoheit der Einzelstaaten verteidigt aus "Gründen der praktischen Politik" (S. 31). Seine Vorstellungen einer Neuordnung des Finanzwesens stehen gänzlich unter sozialpolitischen Vorzeichen; er fordert "staatliche Festsetzung von Mindestlöhnen und Höchstpreise als Grundlage der neuen Wirtschaft" (S. 38). 40 Ber. Pregers Nr.13 v. 7.1.1919; B.HStA.II, MA 103244. 41 Reichsanzeiger Nr. 15 v. 20.1.1919; abgedr. bei Triepel, Quellensammlung, S. 10 f. 42 Hugo Preuß, geb. 28.10.1860 Berlin, gest. 8.10. 1925 Berlin; bes. der Verwaltungspraxis zugewandter Staats- und Verwaltungsrechtslehrer; 1906 Prof. an der Handelshochschule Berlin; 1910 Stadtrat in Berlin; 1918 SS im Ramt d Inn; 13.2.1919-20.6.1919 RMin d Inn; dann Kommissar für die RV; schon vor der Revolution als linksliberaler Politiker bekannt, der sich für die Demokratisierung Deutschlands einsetzte; nach der Revolution für die Zusammenarbeit zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft; Gegner des Obrigkeitsstaates; für Beteiligung aller Klassen am Staat; vgl. W. Simons, Hugo Preuß, 1930; C. Schmitt, Hugo Preuß, sein Staatsbegriff, 1930; G. Gillessen, Hugo Preuß, 1955; S. Graßmann, Hugo Preuß und die dt. Selbstverwaltung, 1965.

III. Die Schaffung der neuen Reichsverfassung

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im Finanzwesen "durch die Natur der Verhältnisse das Schwergewicht nach der Seite des Reichs hin verschieben" werde43• So solle im Zollwesen der einheitlichen und ausschließlichen GesetzgebWl'g des Reichs "künftig auch die eigene und unmittelbare Reichsverwaltung entsprechen". Auf dem Gebiet der übrigen Steuerr forderte Preuß nur die Befugnis zur Gesetzgebung, "ohne jedoch eine sekundäre Gesetzgebung der Einzelstaaten im Rahmen der Reichsgesetze auszuschließen, und ohne die Verwaltung unmittelbar an das Reich zu ziehen". Daneben sei erforderlich, die Ausführung der Reichsgesetze durch "eine schärfere und klarere Gestaltung des Aufsichtsrechts der Reichszentralbehörden über die einzelstaatlichen Verwaltungsorgane" besser als bisher zu sichern (S. 383). Der künftige Finanzausgleich lasse es angesichts der finanziellen Belastung Deutschlands nach dem verlorenen Krieg nicht zu, "irgendwelche zur Tragung dieser Last in größerem Umfang geeignete Objekte prinzipiell den Reichsfinanzen zu entziehen; das Reich muß unbedingt den Vortritt haben, um überhaupt existieren zu können. Die Freistaaten ebenso wie die kommunalen Selbstverwaltungskörper müssen sich mit ihrem Finanz- und Steuerwesen in den Rahmen des Reichsfinanzsystems einpassen, indem sie einmal vom Reiche nicht beanspruchte Quellen für sich erschließen und sodann auf gewisse Reichssteuern Zuschläge legen können, innerhalb der vom Reiche zu normierenden Grenze" (S. 381). Der Verfassungsentwurf selbst befaßte sich nur wenig mit Finanzfragen. In einer Schlußbemerkung behielt sich Preuß besondere Abschnitte u. a. über das Zoll- und Handelswesen und über die Reichsfinanzen vor. In Übereinstimmung mit den in der Denkschrift ausgeführten Grundgedanken besagte § 3 des Entwurfs: "Reichsangelegenheiten, die ausschließlich der Gesetzgebung und Verwaltung des Reiches unterliegen, sind ... 3. die Zölle." Innerhalb der konkurrierenden Gesetzgebung des Reiches schlug Preuß in § 4 vor: "Der Gesetzgebung des Reichs unterliegen ferner folgende Angelegenheiten: ... 7. die für das Reich zu erhebenden Steuern und Abgaben." Diese beiden Vorschläge eröffneten dem Reich die Inanspruchnahme sämtlicher Finanzquellen. Von Matrikularbeiträgen war keine Rede. Mit der Forderung einer reichseigenen Zollverwaltung war das Prinzip der bisher in Landesverwaltung stehenden Reichssteuern durchbrochen. Der zweite (amtliche) Entwurf einer Reichsverfassung, der den Regierungen der Einzelstaaten am 17. Januar 1919 zugeleitet wurde, stimmte hinsichtlich der Finanzfragen mit dem ersten Preußschen Entwurf wörtlich überein44 • 43

Zit. nach H. Preuß, Staat, Recht u. Freiheit, 1926, S. 381.

« Veröffentlicht zusammen mit der Denkschrift vom 3.1. 1919 im Dt.

Reichsanzeiger Nr. 15 v. 20. 1. 1919; abgedr. bei H. Triepel, Quellensammlung, S. 10 ff.

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4. Kap.: Von der Revolution bis zur Reichsfinanzreform

Sofort nachdem Ritter von Preger von der Absicht der Reichsregierung erfahren hatte, den Verfassungsentwurf zu veröffentlichen, protestierte er beim Reichsamt des lnnern45 • Nach München berichtete er: "Der nunmehr ausgegebene Entwurf der Reichsverfassung übertrifft meines Erachtens die schlimmsten Befürchtungen", da er sich "durch völligen Mangel an politischem und historischem Sinn, durch gänzliche Verkennung der Volksstimmung, insbesondere in den süddeutschen Staaten, und durch so unrichtige Beurteilung der zur Zeit bestehenden Macl'ltverteilung zwischen Reich und Einzelstaaten" auszeichne. Preuß erstrebe die "Abschaffung der Souveränität der Einzelstaaten" und deren Herabdrückung zu autonomen Verwaltungskörpern. Preger wies darauf hin, daß die Zuständigkeit des Reiches gegenüber dem bisherigen Rechtszustand auf vielen Gebieten außerordentlich erweitert, und die Finanzhoheit der Einzelstaaten in Frage gestellt werde. Nach all dem ist der Entwurf "keine organische Weiterentwicklung der Reichsverfassung von 1871 ". Preger ging nochmals auf die rechtsschöpfende Bedeutung der Revolution46, die ihre "Hauptauswirkung in den Einzelstaaten" hatte, ein: Sie habe im Verhältnis der Bundesstaaten zum Reich nichts geändert; die von der Nationalversammlung beschlossene Reichsverfassung bedürfe daher der Bestätigung jedes einzelnen Bundesstaates. Für die Länderkonferenz am 25. Januar 1919 empfahl der Gesandte ein einheitliches Vorgehen der Süddeutschen an Hand eines gemeinsamen Gesetzentwurfs47 • Tatsächlich hatte Erhard Auer48 in Vorbereitung der Berliner Konferenz vom 25. Januar "Richtlinien für das Reichsgrundgesetz" ausgearbeitet, um den Einfluß der Einzelstaaten bei der Gestaltung der Reichsverfassung zur Geltung zu bringen49 • Sachsen, Württemberg, es Ber Pregers Nr. 46 v. 20.1.1919; B.HStA.II, MA 103244.

es Vgl. A. GTaf zu Dohna, Die Revolution als Rechtsbruch und Rechtsschöpfung, 1923; R. Piloty, Das staatsrechtliche Ergebnis der Revolution: MNN Nr. 465 v. 8. 11. 1920. 47 Ber Pregers Nr. 42 v. 19. 1.1919; B.HStA.II, MA 103244. 48 Erhard Auer, geb. 22. 12. 1874 Dommelstadt, gest. 20.3.1945 Giengen; 1907 MdL (SPD); 1908 Landessekr. der bay Sozialdemokratie; 8.11.1918 bis 21. 2. 1919 B StMin d Inn; am 21. 2. 1919 durch ein Attentat schwer verwundet, Rücktritt als Minister; 1920 Vizepräs. d. bay LT u. Führer der bay Sozialdemokratie; 1919 MdNV; rechtschaffen und tüchtig, doch nicht von gleicher politischer Begabung wie sein Vorgänger Georg v. Vollmar. 49 Sehr. d. B. StMin d Inn an den B. StMin d Äuß v. 23. 1. 1919; B.HStA.II, MA 103244. Auer wendet sich gegen jede Schmälerung der bay Eigenstaatlichkeit (Auer schreibt sogar "Souveränität", die er fälschlicherweise mit .,Eigenstaatlichkeit" verwechselt. Bayern war bereits im Bismarckreich nicht mehr souverän. Vgl. H. KTii.geT, Souveränität: HWBSoz IX, 1956, S. 308 ff.) durch die RV. Durch die Revolution haben nur die Träger der Souveränität gewechselt, an die Stelle der Monarchen seien die Volksvertretungen getreten; es habe sich hierdurch keine Verschiebung der Kompetenzen zugunsten des Reiches ergeben. Er nannte es ein .,Gebot unabweisbarer Staatsnotwendigkeit, an der bisherigen föderativen Gestaltung des Reiches unter allen Um-

III. Die Schaffung der neuen Reichsverfassung

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Baden und Hessen schlossen sich Auers Entwurf an, der sich zum bundesstaatliehen Reichsaufbau Bismarckscher Prägung bekannte. Daraufhin stellte Eisner auf der Berliner Konferenz namens von fünf Staaten den Antrag, daß noch vor den Beratungen einer neuen Reichsverfassung ein vorläufiges Reichsgrundgesetz geschaffen werden sollte5°. Der Antrag wurde angenommen. Ebert sicherte zu, daß die Reichsleitung über alle wichtigen Fragen Kontakte zu den Freistaaten halten werde; die Entscheidung über die künftige Verfassung liege aber allein bei der Nationalversammlung51• Bei den Beratungen des vorläufigen Ausschusses der Staatenvertreter vom 26. bis 30. Januar 1919 ging es um das Mitspracherecht der Staaten an der künftigen Reichsverfassung52• Unterstaatssekretär David kämpfte für die absolute Souveränität der Nationalversammlung. Bayern beharrte auf seiner Meinung, daß die Revolution nicht am föderativen Reichsaufbau gerüttelt habe. Als einziges Land versagte es daher dem Kompromißentwurf zur Notverfassung seine Zustimmung. Dieser sah vor, daß die souveräne Nationalversammlung über die Verfassung befinden, bei der übrigen Reichsgesetzgebung jedoch an die Zustimmung eines gleichberechtigten Staatenausschusses gebunden sein sollte. Bayern hatte immerhin den zusätzlichen Beschluß erreicht, daß Art. 78 Abs. 2 aRV volle Geltung behalten sollte. Insgesamt konnten die Föderalisten als Erfolg buchen, den Bundesratgedanken in die Republik hinübergerettet zu haben53• Das "Gutachten der Referenten der bayerischen Ministerien zur neuen Reichsverfassung" vom 8. Februar 191954 beantwortete den Verfassungsentwurf der Reichsregierung vom Januar. Nochmals wurde der Nationalversammlung die alleinige Souveränität abgesprochen; andernfalls füge die Reichsregierung der "Revolution gegen den Obrigkeitsstaat noch die Revolution gegen den Bundesstaat" hinzu. Bayern ständen festzuhalten". Vgl. auch Auers Stellungnahme zum RV-Entwurf in der .,Münchner Post" Nr. 17 v. 22. 1. 1919. 50 Aufzeichnung über die Besprechungen im Reichsamt d. Innern v. 25. 1. 1919 über den der verfassungsgebenden dt. NV vorzulegenden Verfassungsentwurf; B.HStA.II, MA I 994. 61 Zur Staatenkonferenz v. 25. 1. 1919 vgl. J. v. Graßmann, Bayern und die Entstehung der RV, 1919; E. Baumgartner, Das Reich und die Länder, 1923, S.15 ff.; W. Apelt, Gesch. d. Weimarer Verfassung, 1946, S. 64 ff. 52 Aufzeichnung über die Beratungen des auf Grund des Beschlusses der Staatenvertreter vom 25. Januar zusammengetretenen Ausschusses im Reichsamt d Inn v. 26.-30. Jan.1919; BA, R 43 I/1863. sa Bericht Eisners über die Verhandlungen: Prot d Ministerratssitzung v. 28.1.1919; B.HStA.II, MA 103244. G. Schulz, Zw. Demokratie und Diktatur, 1963, S. 150, meint, es sei bei dieser Konferenz schon erkennbar geworden, .,daß sich das künftige verfassungspolitische Schicksal Deutschlands in dem schmalen Dreieck zw. den Berliner Regierungen beiderseits der Wilhelmstraße und München entscheiden würde". 54 Gedr., 20 S.; B.HStA.II, MA 103253. 10 Menges

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4. Kap.: Von der Revolution bis zur Reichsfinanzreform

wehre sich jedoch gegen die "Niederreißung des bisherigen Reichsgebäudes". Es sollte nicht nur die Militär-, Verwaltungs-, Steuer- und Verkehrshoheit der Einzelstaaten beibehalten, sondern der Anteil der Länder an Gesetzgebung und Verwaltung des Reiches vermehrt und die Reservatrechte grundsätzlich gesichert werden. Die Preußschen Vorschläge zur künftigen Finanzverfassung wurden natürlich abgelehnt, da sie die Finanzhoheit der Einzelstaaten beseitigten und diese zu Kostgängern des Reiches herabdrückten. Mit der Finanzhoheit falle jedoch die Staatshoheit. "Das Ende jeder Staatshoheit und Autonomie der Einzelstaaten wäre eine Frage des jeweiligen Reichsfinanzgesetzes. Wer am eigengesetzlichen Leben der Einzelstaaten festhalten will, muß demgegenüber verlangen, daß den Einzelstaaten und Gemeinden bestimmte Steuerquellen für ihren Bedarf vorbehalten werden, zum mindesten die Einkommen- und Ertragssteuer, sowie daß Bayern seine Sonderrechte der Bier- und Branntweinsteuergesetzgebung behält" (S. 12). Die Besteuerung der Einkommen und Erträge sollte den Einzelstaaten und Gemeinden verfassungsmäßig garantiert werden. Bei den Verhandlungen der Staatenvertreter im Fürstenhaus zu Weimar vom 5. bis 8. Februar 191955 hielt sich die bayerische Abordnung bereits an diese Richtlinien. Außer Bayern sprachen sich Sachsen, Württemberg, Baden und Sachsen-Meiningen für die Erhaltung der Finanzhoheit der Länder und gegen die Einführung einer Reichseinkommensteuer aus. Außerdem unterstützten sie einen Antrag Dr. v. Wolfs, der sich gegen eine reichseigene Zollverwaltung richtete. Dieser Antrag fand jedoch nicht die Zustimmung der Mehrheit, nachdem der Vertreter des Reichsschatzamtes, Geh. Regierungsrat Carl, versichert hatte, eine reichseigene Zollverwaltung verletze "keine berechtigten Landesinteressen". Die aus diesen Beratungen hervorgegangene Fassung des Verfassungsentwurfs56 behielt hinsichtlich des Zollwesens die bisherigen Bestimmungen bei. Die Kompetenz zur Finanzgesetzgebung sowie die Verteilung der Steuerquellen zwiscllen Reich und Gliedstaaten wurde in Art. 7 Abs. 2 des Entwurfs III festgelegt: "Das Reich hat ferner die Geset.Zigebung über Abgaben und sonstige Einnahmen, soweit sie ganz oder teilweise für seine Zwecke in Anspruch genommen werden, sowie über die Aufstellung von Grundsätzen für die Zulässigkeit und Erhebungsart von Landesabgaben, soweit sie sich im Rahmen des Zollvereinigungsvertrages vom 8. Juli 1867 bewegen oder eine Doppel55 Niederschrift über die Verhandlungen der Staatenvertreter in Weimar vom 5.-8. Febr. 1919; vgl. Ber d bay Ges v. 6. 2. 1919 und 7. 2. 1919; B.HStA. II, MA 103244. 56 Entwurf III, am 17. 2. 1919 vom Rmin d Inn dem Staatenausschuß (Druck. Nr. 4) zugeleitet; B.HStA,I, Mlnn 74108. Abgedr. bei H. Triepel, Quellensammlung, S. 17 ff.

III. Die Schaffung der neuen Reichsverfassung

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besteuerung verhüten sollen." Somit bestand keine klare Scheidung der Steuerquellen, vielmehr war das Maß der Inanspruchnahme in das Belieben des Reiches gestellt. Anders bei der Finanzverwaltung. Art. 7 Abs. 3 besagte: "Die Zölle und Verbrauchssteuern werden durch Reichsbehörden erhoben und verwaltet, die übrigen Reichsabgaben durch die Gliedstaaten." Die Übertragung der Verwaltung von Reichs- und Landesabgaben aus der Kompetenz eines Einzelstaates auf das Reich war auf Antrag des Einzelstaates möglich (Art. 7 Abs. 4 u. 5). Die Zwergstaaten hätten möglicherweise einen solchen Antrag gestellt. Damit wäre dem Reich ein entscheidender Schritt zu einer allgemeinen Reichsfinanzverwaltung gelungen, die ihm die Länder bei einer totalen Beanspruchung sicher nicht eingeräumt hätten. In der Frage der Reichsaufsicht waren die Einzelstaaten erfolgreich. Beinhaltete § 8 des Entwurfs II noch eine unmittelbare Reichsaufsicht, so sprach Entwurf III von der Ermächtigung der Reichsregierung, "zur Überwachung der Ausführung der Reichsgesetze zu den Landeszentralbehörden Beauftragte zu entsenden" und von der Verpflichtung der Landesregierungen, "auf Ersuchen der Reichsregierung Mängel, die bei der Ausführung der Reichsgesetze hervorgetreten sind, zu beseitigen". Wiederholte Vorstöße Wolfs, eine Bestimmung zu erreichen, die den Einzelstaaten die Einkommensteuer ausschließlich vorbehält, blieben erfolglos57. Reichsschatzsekretär Schiffer zeigte sich gegenüber Wolf wegen der Hartnäckigkeit Bayerns ungehalten und "enthüllte in der Erregung seine gegenüber den Bundesstaaten völlig rücksichtslosen Absichten mehr als ihm dann anscheinend später lieb war"58. Insgesamt konnte Bayern mit dem Ergebnis der Beratungen im Staatenausschuß vom 18. bis 21. Februar 1919 zufrieden sein: Das Mitbestimmungsrecht der Einzelstaaten an der Gestaltung der Reichsverfassung blieb gewahrt, die Reservate blieben erhalten. Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, Harnburg und Bremen vermochten ihre Kompetenz zur Verwaltung der Zölle und Reichsbranntweinsteuern bis zum 21. 7. 1921 durch eine Vorbehaltsklausel zu sichern (Art. 115 des Entwurfs III). Der bayerische Gesandte von Preger befürchtete aber zu Recht, daß die Interessen der Länder nicht mit dem gleichen Wohlwollen von der Nationalversammlung behandelt würden59. Dessen war sich auch die Reichsregierung sicher und konnte sich daher gegenüber den Gliedstaaten großzügi·g gebärden. 57 z. B. ein Vorstoß zusammen mit Baden; vgl. tel. Instruktion der B.StReg an Wolf v. 17. 2. 1919; B.HStA.II, MAI 994; Prot d. bay Ministerrats v. 17. 2. 1919; B.HStA.II, MA 99513. 58 Ber Wolfs an das B. Stmin d Fin v. 14. 2. 1919; B.HStA.II, MA 103244. 59 Ber Pregers v. 22. 2. 1919; B.HStA.II, MA 103244. 10.

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4. Kap.: Von der Revolution bis zur Reichsfinanzreform 2. Die Beratungen in der Nationalversammlung

Nach Abschluß der Beratungen über den Verfassungsentwurf III ist als deren Ergebnis der Entwurf IV am 21. Februar 1919 vom Reichsministerium des Innern an die Nationalversammlun~0 weitergeleitet worden61, die sich vom 24. Februar bis zum 18. Juni mit diesem Entwurf beschäftigte. In der Fassung V vom 18. Juni 1919 wurde er dann bis zur endgültigen Verabschiedung am 31. Juli beraten. Bei der ersten Lesung am 24. Februar und am 3./4. März kam bereits die unitarische Tendenz der Mehrzahl der Abgeordneten zum Vorschein: Allgemein wurde Einheitlichkeit auf den Gebieten des Militärs, des Verkehrswesens und der Finanzen gefordert. Die Länderregierungen sahen sich enttäuscht, wenn sie auf Grund der Beratungen im Staatenausschuß glaubten, Reichsinnenminister Hugo Preuß habe sich vom Saulus zum Paulus gewandelt. Obwohl die Verfassungsvorlage (Entwurf IV) im Vergleich zu früheren Fassungen viel föderalistischer bestimmt war, erklärte er: "Eine stärkere Förderung ist dagegen auf dem Gebiete des Finanzwesens erzielt worden, unterstützt von dem Druck, den die finanzielle Not und das finanzielle Bedürfnis ausüben62." Unverhohlen gab er zu, daß sich diese "Einheitlichkeit im Finanzwesen" beinahe ausschließlich auf die Inanspruchnahme der Steuerquellen durch das Reich erstreckte: "Der Art. 7 unter den Kompetenzvorschriften und im besonderen Teil Art. 80 bis 85 beruhen auf dem Grundsatz, daß das Reich jede Einnahmequelle für sich in Anspruch nehmen kann, wenn auch natürlich die finanzielle Existenz der Gliedstaaten geschont werden muß, ohne daß in dieser Beziehung im allgemeinen als Regel rechtliche Vorbehalte gemacht worden sind." Preuß vertrat damit vor der Nationalversammlung weniger die von den Einzelstaaten im Entwurf IV erreichten Vergünstigungen als seine Gedanken vom Januar 1919. Unterdessen wurde in Berlin eine Reichsregierung als Reichsministerium gebildet63• Bei der Berufung des Reichsministeriums durch den Reichspräsidenten am 12. Februar 1919 wurden ein Reichsfinanzministerium und ein Reichsschatzministerium kraft Organisationsgewalt 60 E. Heitfron, Die dt. NV im Jahre 1919 in ihrer Arbeit für den Aufbau des neuen dt. Volksstaates, 9 Bde, 1919/20; W. Jellinek, Die NV ·und ihr Werk: Hb d. Dt. Staatsrechts I (Anschütz-Thoma), 1930; H. Kamnitzer, Bemerkungen zur NV und Verfassung der dt. Republik: Wiss. Annalen, 1957, S. 763; W. Ziegler, die dt. NV 1919-20 und ihr Verfassungswerk, 1932; A. Schickel, Die NV von Weimar: Aus Politik u. Zeitgesch. B 6/69 (v. 8. 2. 1969). 61 Vh NV Bd. 335, S. 48 ff., Drucks. Nr. 59; abgedr. bei H. Triepel, Quellensammlung, S. 27. 62 Vh NV (RT) StenBer Bd. 326, S. 287. 63 Durch das Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt vom 10. 2. 1919, RGBI., S. 169.

III. Die Schaffung der neuen Reichsverfassung

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der obersten Reichsexekutive ins Leben gerufen. Ihre Errichtung und amtliche Bezeichnung gab der Reichspräsident in seinem Erlaß vom 21. März 1919 (RGBl., S. 327) bekannt. Das Reichsfinanzministerium trat die Nachfolge des Reichsschatzamtes an und gab an das Reichsschatzministerium die Verwaltung des reichseigenen Besitzes (Grundstücke, Gebäude, Vermögenswerte) ab. Das neue Reichsfinanzministerium arbeitete auf der Grundlage des Entwurfs IV an der Fertigstellung eines vorläufigen Entwurfs der Reichsabgabenordnung (am 5. Juni 1919 fertiggestellt), wobei man noch grundsätzlich an der Verwaltung der Reichssteuern durch die Gliedstaaten - bei angemessener Reichsaufsicht - festhielt64. In München wurde am 21. Februar Ministerpräsident Eisner von Graf Arco65 ermordet. Johannes Hoffmann66 bildete ein neues Kabinett, dem neben Mehrheitssozialdemokraten, einem Vertreter des Bayerischen Bauernbundes und zwei Parteilosen nurmehr ein Unabhängiger Sozialdemokrat angehörte. Edgar Jaffe wurde im Finanzressort von Karl Neumaier67, einem Verwaltungsmann ohne politische Fähigkeiten, abgelöst. Sechs Wochen später konnte sich eine Räteregierung in München bilden, die das Kabinett Hoffmann nach Bamberg vertrieb. Finanzminister dieser Regierung wurde Silvio Gesel168, der sich als Währungstheoretiker und Begründer der Freiwirtschaftslehre einen Namen ge&4 Enno Becker (geb. 17. 5. 1869 Oldenburg, gest. 31. 1.1940 München; ursprünglich Richter; mit der Ausarbeitung der RAO beauftragt; 1920 am Reichsfinanzhof, dort 1922-35 Präs d. Einkommensteuersenats; an der Herausarbeitung wesentlicher Grundsätze des modernen Einkommensteuerrechts beteiligt; trug bei, das Steuerrecht zu einer selbständigen Disziplin zu entwickeln) hoffte jedoch, "das natürliche Schwergewicht der Dinge werde schon von selber bei den parlamentarischen Verhandlungen zur reichseigenen Finanzverwaltung führen" (E. Becker, Abbau des Reichssteuerrechts,

1923,

s. 971).

65 Anton Graf von Arco auf Valley, geb. 1897, gest. 1945; Offizier; nach dem Attentat auf Eisner Todesurteil, dann abgeändert in lebenslängliche Haft, 1924 begnadigt. 66 Johannes Hoffmann (geb. 3. 7. 1867 Ilbesheim, gest. 14. 12. 1930 Berlin; Volksschullehrer; 1908 ff. MdL (SPD), 1912 MdR, 1919 MdNV; 8. 11. 1918 bis 21. 2. 1919 B. StMin f K + U und Stellv. Eisners; 21. 2. 1919-14. 3. 1920 B. Min Präs, B. StMin d Äuß und B. StMin f U + K). 67 Dr. Karl Neumaier, geb. 1873 Straubing, gest. 1947 München; 1891-95 Jurastudium in München, Kiel und Würzburg; seit 1899 bei der Reg. v. Schwaben (Kammer d. Finanzen>, 1908 im Finmin (dort 1911 ORR, 1915 MinRat, 1920 MinDir, 1933 Staatsrat, 1939 in Ruhestand); 21. 2.-31. 5. 1919 B. StMin d Fin; in dieser Eigenschaft zeitweise von Dr. von Haller und Paul von Merkel (geb. 30. 3. 1864); Jurastudium; seit 1891 bei der Reg von Oberbayern (Kammer d. Finanzen), 1902 im Finmin (1907 ORR, während des Krieges MinDir und Staatsrat; 8. 11.1919-1.7. 1929 Präs d Landesfinanzamtes Nürnberg) vertreten. GS Silvio Gesell, geb. 17. 3. 1963 St. Vith, gest. 11.3.1930 Eden; 1887 Überseekaufmann in Argentinien, 1900 Schweiz; 7. 4.-1. 5.1919 Mitglied der Münchner Räteregierung.

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4. Kap.: Von der Revolution bis zur Reichsfinanzreform

macht hatte'9, sich aber in der praktischen Finanzpolitik nicht bewähren konnte. In späteren Jahren verwies die bayerische Regierung oft auf die labilen politischen Verhältnisse in Bayern im Jahre 1919, die eine Übertölpelung durch die Nationalversammlung ermöglicht habe. Diese Behauptung war zwar übertrieben, enthielt jedoch einen wahren Kern. a) Verfassungsausschuß

Am 4. März konstituierte sich unter dem Vorsitz von Konrad Haußmann7o ein 28köpfiger Verfassungsausschuß aus Mitgliedern aller Parteien. Die Beratungen dieses Ausschusses (vom 4. März bis 18. Juni 1919} über den Entwurf IV waren von grundlegender Bedeutung. In der ersten Lesung (vom 4. März bis zum 2. Juni} erfolgte das entscheidende Tauziehen von Föderalisten und Unitaristen um die Gestaltung der Reichsverfassung. Am 18. Juni 1919 war der Verfassungsentwurf in der Fassung V erstellt; er wurde im Plenum der Nationalversammlung abschließend behandelt und bereitete den endgültigen Wortlaut der Reichsverfassung vor71 . Die Gesetzgebungszuständigkeit auf dem Gebiet der Zölle wurde - wie in den vorausgegangenen vier Entwürfen - ausschließlich dem Reich zugesprochen (Art. 6 Ziff. 6 Entwurf V = Art. 6 Ziff. 6 RV). Die Auffassung des Reichsfinanzministeriums zur Frage der Verteilung der Kompetenzen zur Steuergesetzgebung über die übrigen Abgaben erläuterte Geh. Regierungsrat Dr. Carl. Er betonte, daß der Reichsfinanzminister einer Beschränkung des Reichs auf dem Gebiet der Steuergesetzgebung "in keiner Weise zustimmen könne", und "daß die Pläne, inwieweit in Einzelfällen den Einzelstaaten das Recht auf direkte Steuern vorbehalten werden solle, nicht in die Verfassung gehören, sondern erst dann erörtert werden können, wenn man in der Lage ist, einen Finanzplan aufzustellen". Da man noch keine Übersicht über die aus dem Friedensvertrag resultierenden Ver69 1916 sein zusammenfassendes Hauptwerk "Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland u. Freigeld"; 1919 mit Georg Blumenthai u. Ernst Frankfurth Gründung d. Freiwirtschaftsbundes; seine Lehre liegt zw. der sozialen Marktwirtschaft u. dem liberalen Sozialismus: will freie Konkurrenz u. Privatinitiative bei Startgleichheit im Wettbewerb. Vorkämpfer der manipulierten Währung, der monetären Konjunkturtheorie sowie der Politik der Preisstabilität bei Vollbeschäftigung und fortschreitendem Wirtschaftswachstum unter Beibehaltung des Marktautomatismus. Vorkämpfer d. heute bestehenden Internat. "Währungsfonds". Vgl. 0. Popescu, Gesell: HWBSoz. IV,

1965,

s. 426 f .

Konrad Haußmann, geb. 1857 Stuttgart, gest. 1922 ebd.; Rechtsanwalt; 1890 ff. MdR (Süddt. Volkspartei, seit 1910 Fortschritt. Vp); 1899 ff. MdLWürtt.; 1918 im Kabinett Prinz Max v. Baden Minister o. Portefeuille; 1919 Vizepräs d NV; 1920 MdR (DVP), Vors. d. Verfassungsausschusses des RT. 71 Vgl. Vh NV Bd. 336, Drucks. Nr. 391. Mündlicher Bericht des 8. Ausschusses über den Entwurf einer Verfassung des Dt. Reichs - Nr. 59 der Drucks. - Weimar, 18. Juni 1919 - S. 1-556. 70

III. Die Schaffung der neuen Reichsverfassung

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pflichtungen habe, könne über den Finanzbedarf des Reiches noch nichts gesagt werden72• Art. 7 Abs. 2 des Entwurfs koppelte also die ausschließliche Kompetenz zur Steuergesetzgebung an die vom Reich nach seinem Ermessen in Anspruch zu nehmende Ertragshoheit. Neben der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz enthielt Entwurf V in Art. 11 (Art.ll Entwurf V = Art.ll RV) eine Vorschrift, nach der das Reich "im Wege der Gesetzgebung Grundsätze über die Zulässigkeit und Erhebungsart von Landesabgaben aufstellen" konnte. Als der Verfassungsausschuß über die Zuständigkeit für die Steuererträge diskutierte (13. u. 14. Sitzung am 24./25. 3. 1919), entwickelte sich ein zähes Ringen. Preußen gab sich mit der Übertragung der "absoluten Steuerhoheit" auf das Reich durch Art. 7 Abs. 2 des Entwurfs IV zufrieden (Vh NV Bd. 336, S. 129) und verzichtete auf eine Abgrenzung der Ertragshoheit zwischen Reich und Ländern in der Verfassung (a. a. 0., S. 130), wenn es auch zu bedenken gab, daß das Reich den Gliedstaaten nicht alle Steuerquellen entziehen dürfe. Die vagen Ausführungen des preußischen Vertreters, Oberfinanzrates Wolffram, lassen sich kaum noch als kurzsichtigen Optimismus entschuldigen, sondern bezeugen das Einverständnis Preußens mit der unitarischen Tendenz: "Auch in der preußischen Verfassung ist niemals ausgesprochen, welche Steuern dem Staat und welche Steuern den Selbstverwaltungskörpern zukommen. Man hat sich schiedlkh und friedlich geeinigt. Genauso wird in Zukunft das Verhältnis zwischen Reich und Einzelstaaten sein" (a. a. 0., S. 130). Eine Reihe anderer Länder war nicht willens, ihre Haut so billig zu Markte zu tragen. Man wußte, daß in Zukunft nur damit zu rechnen sein würde, was ausdrücklich in der Verfassung festgelegt ist. Bayern (a.a.O., S. 137) und Sachsen (a.a.O., S. 130) unternahmen in Übereinstimmung mit dem Antrag Nr. 45 Satz 273 den Versuch, den Ländern die Einkommensteuer ganz oder teilweise durch die Verfassung zu sichern. Antrag 45 fand jedoch bei der Abstimmung keine Mehrheit. Dr. Gröber74 hielt eine Reichseinkommensteuer schon deshalb für gerechtfertigt, da diese Quelle von den Ländern bisher nie ausgeschöpft worden sei. Es sei aber "selbstverständlich, daß das Reich den Einzelstaaten die Möglichkeit lassen muß, ihre Finanzbedürfnisse zu befriedigen" (a.a.O., Bd. 336, S. 133). Mündl. Bericht d. 8. Ausschusses vom 18. Juni 1919, a.a.O., S. 127. Antrag Dr. v. Delbrück, Dr. Heinze, Dr. Kahl, a.a.O., S. 125. Dr. Adolf Gröber, geb. 11. 2. 1854 Riedlingen, gest. 19.11. 1919 Berlin; Staatsanwalt, 1895 Landgerichtsrat, 1912 Landgerichtsdirektor in Heilbronn; 1887 ff. MdR (Z>, 1917 Fraktionsvors.; 1918 SS im Kabinett Prinz Max v. Baden; 1919 MdNV; seit 1895 Fraktionsvors. d. Z im LT-Württ.; zweimal Präs. d. Generalversammlung d. Katholiken Deutschlands; bedeutender Redner. 12 73 74

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Sein Parteifreund Dr. Spahn75, der Berichterstatter, gestand immerhin zu, daß eine Reichskompetenz über sämtliche Steuern den Lebensnerv der Länder angreife (a.a.O., S. 126). Der Abgeordnete Kahmann76 gab unverblümt zu, daß der Druck auf die Einzelstaaten voll beabsichtigt sei, um sie zu veranlassen, im Reich aufzugehen (a.a.O., S. 133). Dr. v. Wolf bezweifelte den Erfolg dieser Absicht keineswegs. Wenn sich die unitarischen Anträge durchsetzten, "so würden die Bundesstaaten, auf finanziellem Gebiet an Händen und Füßen gefesselt, dem Reich ausgeliefert sein" (a.a.O., S. 136). Man könne dann nicht mehr von "Staaten" sprechen (S. 137). Er möchte daher die Einkommensteuer, "die wichtigste Einnahme, die das Rückgrat ihres (sc. der Bundesstaaten) ganzen Steuersystems bildet", den Ländern vorbehalten, wie überhaupt die finanzielle Lebensfähigkeit der Länder in der Verfassung garantiert wissen, denn "mündliche Zusagen, die gemacht werden, sind Spreu, die der Wind zerstreut". Im Gegensatz zu Antrag 45 fand am 25. März 1919 (a.a.O., S. 143) der Antrag Nr. 46 Ziff. 177 die Zustimmung des Verfassungsausschusses. Die bayerische Regierung war über den Gang der Beratungen im Verfassungsausschuß stark beunruhigt. Preger zeichnete im Ministerrat die Situation der Länder in düsteren Farben78 : Bayern sei kein souveräner Bundesstaat mehr, sondern ein dem Reich untergeordneter Gliedstaat. Das Reich begnüge sich nicht einmal mit den direkten Steuern, sondern dehne seine Kompetenzen auf ganzer Linie aus. Der bayerische Gesandte beklagte es bitter, daß die Länder ihren Einfluß auf die Führung der Reichsgeschäfte verloren hätten, daß nach dem Willen der Nationalversammlung sieben Achtel der bayerischen Beamtenschaft an das Reich fallen und die Reservatrechte aufgehoben werden sollten.

b) Die Resolutionen des bayerischen Landtags und der süddeutschen Staaten vom März 1919 Ministerialdirektor Dr. v. Wolf schlug vor, die Staatsregierung möge eine Resolution des bayerischen Landtags zur Bekräftigung der baye75 Dr. Peter Spahn, geb. 22.5.1846 Winkel, gest. 31.8.1925 Bad Wildungen; seit 1905 Oberlandesgerichtspräs; 1882 ff. MdL-Preußen; 1884 MdR (Z), 1912 bis 1917 Fraktionsvors.; Aug. 1917-Nov. 1918 Preuß. Justizminister; 1919 MdNV, 1920 ff. MdR (Z/seit Dez. 1924 DNVP); 1891-96 entscheidender Anteil an den Beratungen über das BGB. 76 Hermann Gottfried Kahmann, geb. 29. 11. 1881 Schlanstedt, gest. 28. 1. 1943 Dresden; Mechaniker; 1919-24 MdNV bzw. MdR (SPD). 77 Dr. Ablaß (Dr. jur. Bruno Ablaß, geb. 10. 5. 1866 Bunzlau, gest. 24. 9. 1942 Hirschberg; 1903-18 [Dt.Freisinnige Vp/Dt. Fortschritt!. Vp], 1919/20 MdNV [DDP]; Justizrat) a.a.O., S.125: Streichung der Worte "Soweit sie sich im Rahmen des Zollvereinigungsvertrags v. 8. 7. 1867 bewegen oder eine Doppelbesteuerung verhüten sollen" aus Art. 7 Abs. 2 der Entwürfe III und IV. 78 Prot. d. Ministerratssitzung v. 22. 3. 1919; B.HStA.II, MA 99514.

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rischen Rechte veranlassen79 • Die bayerische Verhandlungsposition sollte dadurch untermauert und der Verdacht verschiedener Unitaristen in Weimar und Berlin, die bayerische Regierung betreibe egoistische Politik, die nicht das Vertrauen des Volkes genieße, beseitigt werden. Der Resolution des bayerischen Landtags vom 25. März 1919 blieb jedoch die erhoffte Wirkung versagt, da sie wegen der Wirren in München erst Mitte Mai an die Reichsregierung weitergeleitet werden konnte80• Der bayerische Landtag bekannte sich in der Resolution zum föderativen Reichsaufbau und sprach sich gegen die "unangemessene Ausdehnung der Zuständigkeit des Reiches" aus, wie sie auf sämtlichen Gebieten der Wirtschaft, der Kultur und der Finanzen angestrebt würde. Mehr Anklang als die Resolution des bayerischen Landtags fand bei der Nationalversammlung jene der süddeutschen Staaten vom 29. März 191981 , die in Stuttgart verabschiedet worden ist. Ministerpräsident Hoffmann hatte auf der Stuttgarter Konferenz, auf der die Süddeutschen ihre Haltung gegenüber der Nationalversammlung festzulegen gedachten, die Initiative ergriffen; er bestimmte die Themen der Diskussion. Die Konferenzteilnehmer waren damit einverstanden, daß in den Fragenkatalog u. a. die geplante Finanzhoheit des Reiches mit Beseitigung der Bier- und Branntweinsteuerreservate sowie der Aufhebung der einzelstaatlichen Zollverwaltung aufgenommen wurden. Ritter von Preger, der - jeweils von den Zurückhaltenderen Württembergern gedämpft - eine dominierende Rolle bei dieser Besprechung spielte, lieferte einen Situationsbericht und beschwor die süddeutschen Regierungen, sich gemeinsam gegen die Reichsregierung und die unitarische Tendenz der Nationalversammlung zur Wehr zu setzen. Durch die Weimarer Pläne zur Neuordnung des Finanzwesens "ist der Einzelstaat zum Kostgänger des Reiches verurteilt, es bleibt ihm eine selbständige Möglichkeit, für seine kulturellen Aufgaben zu sorgen, nicht mehr übrig" (S. 16). Der bayerische Finanzminister Neurnaier setzte auseinander, daß es sich beim Festhalten an der Finanzhoheit der Länder nicht um eine Frage psychologischer oder dekorativer Natur handle, sondern um "Sein oder Nichtsein" (S. 17) der Einzelstaaten. Daher müsse die Einkommensteuer restlos den Bundesstaaten vorbehalten bleiben. Seine Kollegen aus den anderen süddeutschen Ländern stimmten ihm hierin zu. Dem Versuch, die Einkommensteuer als Ber. Wolfs v. 9. 3. 1919; B.HStA.II, MA 103245. Resolution des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des bay LT v. 25. 3. 1919; am 9. 5. 1919 an das B. Stmin d Auß und von diesem am 13.5.1919 an den Ges v. Preger zur Überreichung weitergeleitet; B.HStA.II, MA 103245. 81 Niederschrift über die Konferenz der Regierungen von Bayern, Württemberg, Baden und Hessen am 29. 3. 1919 im Finmin zu Stuttgart; B.HStA. II, MA 103245 und MA 103363; Resolution v. 29. 3. 1919, ebd. 79

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ausschließliches Recht der Einzelstaaten in der Verfassung zu verankern, gaben sie keine Chancen. Da man noch wenig über die Finanzpläne der Reichsregierung wußte, schloß sich die Konferenz der grundsätzlichen Forderung Württembergs nach einem festen Länderanteil an allen Steuern an, um die Länderbudgets einigermaßen ausgleichen zu können. Auf jeden Fall sollte gemäß einer Anregung des preußischen Finanzministers Dr. Südekum82 das Reichsfinanzministerium vor der Schaffung neuer Steuergesetze einen Gesamtplan über den künftigen Finanzbedarf des Reiches, der Einzelstaaten und der Kommunen aufstellen. Man war sich in Stuttgart einig, daß an der landeseigenen Zollverwaltung festgehalten werden sollte; Württemberg lag allerdings nicht viel an der Durchfechtung dieses Postulats. Bayern und Baden beharrten zu diesem Zeitpunkt noch auf ihrem Bier- und Branntweinsteuerreservat, um gegebenenfalls eine günstigere Abfindung als Württemberg zu erreichen8s. s2 Sehr. Südekums Nr. S. I. 491 vom 19. 3. 1919 an das Rfinm (Abschrift im B.HStA.II, MA 103743); Neumaier unterstützte die Forderungen Südekums; vgl. Sehr. d. StMin d Fin Nr. 14112 I (u. II) vom 2. 4. 1919 an den RMin d Fin und den Preuß. StMin d Fin; B.HStA.II, MA 103743 (Abschriften). Die RReg hatte bereits in einem Sehr. v. 12. 12. 1918 an die Bundesstaaten (Nr. III Ptz 8884) eine ähnliche statistische Erhebung des Einnahmebedarfs der Bundesstaaten und der Gemeinden angeregt; B.HStA.II, MA 103746. Nach wiederholten Mahnungen sandte das B. Stmin d Äuß den ausgefüllten Fragebogen über die Mehrbelastung des bay Staates am 22.7.1919 Nr. 11956 - an das Rfinmin zurück; B.HStA.II, MA 103746 (Abschrift). sa W. Benz, Die Politik der süddt. Staaten, 1968, S. 194, bemerkt anläßlich dieser Konferenz, die bay Vertreter hätten sich stark auf Rechtstitel versteift, ohne die realpolitisch durchsetzbaren Möglichkeiten allzusehr zu beachten. Tatsächlich ist es ein Grundzug der bay Politik gegenüber dem Reich die ganze Weimarer Zeit hindurch (gleich, ob ein USPD-, ein SPD- oder ein BVP-Politiker verantwortlich zeichnete), sich auf Rechtstitel zu berufen. Das rührt nicht nur daher, daß die geschulten Juristen der bay Ministerialbürokratie großen Einfluß auf die Politik ihres Landes ausübten. Bayern saß eben - gemessen an der politischen Machtverteilung zw. Reich und Ländern - am weitaus kürzeren Hebel. Die Rechtstitel erschienen noch als die sicherste Grundlage. Problematisch ist der Vorwurf einer "unrealistischen" Politik Bayerns, der in zahlreichen Untersuchungen wiederkehrt. (Abgesehen davon, daß es eine" subjektive Ermessensfrage ist, was im jeweiligen Fall als realpolitisch zu betrachten ist. Auch abgesehen davon, daß entspr. Kritiker die Antwort dafür schuldig bleiben, welche "realpolitisch durchsetzbaren Möglichkeiten" für Bayern jeweils bestanden.) Das zeugt zum Teil von einer Verkennung der bayerischen Politik des "Mehr-Forderns, um weniges zu erreichen". Man darf nicht die Zielsetzung Bayerns mit dem tatsächlich Erreichten dergestalt vergleichen, daß man ersteres im Vergleich zum letzteren, zur Realität, als "unrealistische" Politik bezeichnet. Vgl. auch E. Schnitzer, Das Ringen der Regierung Held, 1968, S. 254, die das föderalistische Programm Bayerns für "gescheitert" hält. "Es vermochte weder den Lauf der Dinge aufzuhalten, noch die politische Entwicklung für seine Zwecke nutzbar zu machen, geschweige denn dieser seine Zielrichtung aufzudrängen." Demnach könnte man sich die bay Komponente aus dem innenpolitischen Wechselspiel der Weimarer Ära ohne weiteres "wegdenken", ohne daß dadurch das Bild verändert wäre. Daß dem nicht so ist, soll u. a. die vorliegende Arbeit zeigen.

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Die von den Ministerpräsidenten der vier süddeutschen Staaten unterschriebene Resolution (sie wurde an die Reichsregierung, die Nationalversammlung und deren Fraktionen gesandt) faßte das Ergebnis der Stuttgarter Konferenz vom 29. März und damit die übereinstimmende Haltung der vier süddeutschen Regierungen in acht Punkten zusammen. Sie verurteilte die "Übertreibung des Einheitsgedankens" im Verfassungsausschuß der Nationalversammlung. Eine Zuständigkeitserweiterung des Reiches sollte nur auf verfassungsänderndem Wege möglich sein. Punkt 5 forderte die Verfügungsgewalt der Länder über eigene Einnahmequellen als Voraussetzung ihres Fortbestandes. "Die Einkommensteuer muß daher den Einzelstaaten verbleiben, wobei jedoch das Recht des Reiches, Zuschläge bei den Einkommen über 100 000 M zu erheben, vorbehalten wird. Ferner muß an allen übrigen Reichssteuern den Einzelstaaten ein angemessener Anteil gesichert werden." Eine Gesamtaufstellung des künftigen Bedarfs von Reich, Gliedstaaten und Gemeinden sollte Klarheit über die Verteilung der Finanzhoheit auf Reich und Länder bringen. Von einer reichseigenen Zollverwaltung wollte die Resolution nichts wissen (Punkt 6). Die Aufstellung von Grundsätzen für die Zulässigkeit und Erhebungsart von Landes- und Kommunalabgaben könnte man dem Reich nur bedingt zugestehen (Punkt 7). Am 6. April 1919 überreichte der württembergische Gesandte Reichskanzler Scheidemann84 in Weimar die Protestnote der Süddeutschen8s; gleichzeitig ging die Resolution an die Nationalversammlung. Am folgenden Tag nahm Konrad Haußmann im Verfassungsausschuß hierzu Stellung, indem er an angeblich ähnliche Erscheinungen in der Faulskirehe erinnerte. Ansonsten vermied er es, auf die acht Punkte konkret einzugehen. Nachdem sich Sachsen dem Protest angeschlossen hatte86, und selbst Preußen in vier Punkten mit den Süddeutschen übereinstimmte87, mußte die Reichsregierung den Weg der Verständigung einschlagen und auf die Vorschläge der Länder eingehen. 84 Philipp Scheidemann, geb. 26. 7. 1865 Kassel, gest. 29. 11. 1939 Kopenhagen; Buchdrucker, Journalist; 1903-33 MdR (SPD); Okt. 1918 SS im Kabinett Prinz Max v. Baden; 9. 11. 1918-13. 2. 1919 Volksbeauftragter; 13. 2. bis 20. 6. 1919 MinPräs d. Reiches, Rücktritt, da er den Friedensvertrag nicht unterschreiben wollte; 1920-25 OB von Kassel; 1933 emigriert; erfahrener Parteifunktionär. 85 BA, R 43 I/1863. 8& Sehr. Gradnauers an den Präs. d. NV v. 16. 4. 1919; Abschrift an Min Präs Hoffmann: B.HStA.II, MA 103245. 87 Gegen erweiterte Reichszuständigkeiten; für Aufstellung eines Finanzgesamtplanes; für einzelstaatliche Verfügung über ausreichende Einnahmequellen; gegen Gebietsänderungen durch einfaches Gesetz u. gegen den Willen d. Bevölkerung. Sehr. d . Preuß Stmin an d. Württ. StPräs v. 23. 4.1919; B.HStA.II, MA 103245 (Abschr.).

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Reichsfinanzminister Dernburg88 regte daher in einer Sitzung mit Vertretern der Finanzverwaltungen der größeren Länder am 7./8. Mai 1919 ans9, eine Kommission aus Vertretern des Reichs (Min.-Dir. Moesle), Preußens, Bayerns und Sachsens zu bilden, deren Aufgabe sein sollte: 1. die finanziellen Bedürfnisse des Reichs, der Länder und der Gemeinden in vollem Umfang festzustellen, 2. die Quellen zur Deckung derselben aufzuzeigen und 3. den Versuch zu unternehmen, eine Reichseinkommensteuergemeinschaft zu bilden. Der preußische Finanzminister Südekum stimmte dem Plan des Reichsfinanzministers zu. Derbayerische Vertreter befürchtete, daß das geplante Vorgehen notwendig in die Verwaltung und damit in die Selbständigkeit der Einzelstaaten eingreife. Er hielt die Reichseinkommensteuergemeinschaft für das Ende der Bundesstaaten. Auch Sachsen, Württemberg und Baden sprachen sich für den Verbleib der Einkommensteuer bei den Einzelstaaten aus. Einer Vereinheitlichung der Veranlagungsgrundsätze für die Einkommensteuer standen zum Leidwesen des bayerischen Vertreters alle übrigen Ländervertreter zustimmend ·gegenüber. Am 15. Mai trat die Kommission zur Feststellung des Finanzbedarfs der Gebietskörperschaften und der dazu nötigen Deckungsmittel zu ihrer ersten Sitzung zusammen90 und setzte am 27. Juni 1919 den Bedarf des Reichs (17,5 Mrd M), der Länder (2,9 Mrd M) und der Gemeinden (3,3 Mrd M) auf insgesamt 23,7 Mrd M fest9 1 •

c) Die Verständigung der Länder mit Reichsregierung und Verfassungsausschuß Bevor die Reichsregierung Ende Mai mit den Ländervertretern Verhandlungen über Fragen der Reichsverfassung aufnahm, einigten sich die süddeutschen Staaten auf der Stuttgarter Konferenz vom 17. 5. 191992 auf eine Revision des Programms vom 29. 3. 1919, das in seiner kategorischen Form kaum auf ein Entgegenkommen der Reichsregierung hoffen konnte. Daher sollte den Verhandlungen mit der Reich.sregie88 Dr. Bernhard Dernburg, geb. 17.7.1865 Darmstadt, gest. 15. 10. 1937 Berlin-Grunewald; Jurist u. Volkswirt; 1901-06 Mitglied d. Direktoriums d. Darmstädter Bank; 1906 Leiter d. Kolonialabt.; 1907-10 SS d. Kolonialamtes; 1906--10 preuß. Bevollm. z. Bundesrat; 1913-18 Md Preuß. Herrenhauses; 1919-30 MdR (DDP); 30. 4. -20. 6. 1919 Vertr. d. MinPräs Scheidemann; 19. 4. -21. 6. 1919 RFinMin. 89 Ber. d. Staatsrats v. Merkel (B. Stmin d Fin) Nr. 19812 vom 14. 5. 1919; B.HStA.II, MA 103743. 90 Ber. Wolfs an das Stmin d Fin v. 15. 5.1919; B.HStA.II, MA 103743. 91 Ber. Wolfs an das B. Stmin d Fin v. 1. 7.1919; B.HStA.II, MA 103743. 92 Ber. RegRat. Hamm über die Stuttgarter Konferenz v. 17. 5. 1919 betr. Kommunalisierung u. Kohlenwirtschaft; B.HStA.II, MA 103245.

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rung ein vom badischen Minister Dietrich93 ausgearbeitetes Mindestprogramm zugrunde gelegt werden94, das in Berlin und Weimar nicht offen auf den Tisch gelegt werden sollte. Am 28. Mai 1919 verhandelten Vertreter der süddeutschen und sächsischen Regierungen mit Vertretern der Reichsregierung und des Verfassungsausschusses der Nationalversammlung95 über die Bedenken, welche die genannten Länderregierungen gegen die Einschränkung ihrer Selbständigkeit durch einige Beschlüsse des Verfassungsausschusses bei der ersten Lesung des Verfassungsentwurfs erhoben hatten96• Ministerpräsident Hoffmann, der zusammen mit dem Gesandten von Preger Bayern vertrat, forderte die Verwirklichung des Stuttgarter Programms vom 29. März 1919. Die übrigen Ländervertreter schlossen sich im großen und ganzen an. Bei Reichsinnenminister Preuß wurde erkennbar, daß er in den Fragen der Neugliederung, der Reichsaufsicht und der Finanzen kaum nachgeben werde, wenngleich er seine Bereitschaft betonte, einer Verständigung nicht im Wege stehen zu wollen. Reichsfinanzminister Dernburg wies die süddeutschen Wünsche hinsichtlich des Finanzwesens glattweg zurück. Schließlich konnte ein Kompromiß erreicht werden: Änderungen der Reichskompetenzen sollten nur durch ein verfassungsänderndes Gesetz, ein Einspruchsrecht der Reichsregierung gegen Landesgesetze nur auf dem Gebiet der Sozialisierung möglich sein; Reichsbeamte sollten in der Regel im Heimatgebiet beschäftigt werden; gegen den Willen der Bevölkerung sollte keine Reichsgliederung vorgenommen werden. Art. 7 Abs. 2 des Verfassungsentwurfs sollte folgendermaßen formuliert werden: "Das Reich hat ferner die Gesetzgebung 1. über die Abgaben und sonstigen Einnahmen, soweit sie ganz oder teilweise für seine Zwecke in Anspruch genommen werden, 93 Dr Hermann Dietrich, geb. 14. 12. 1879 Oberprechtal, gest. 6. 3.1954 Stuttgart; 1908 Bgm von Kehl, 1914 OB von Konstanz; 1912-19 MdL-Baden; 1919 MdNV (DDP), 1920 MdR; 2. 4. 1919-24. 8. 1920 Bad. StMin d Äuß; 28. 6. 1928 bis 27. 3. 1930 Reichsernährungsminister; 30. 3. 193~30. 5. 32 Vizekanzler; 30. 3.-26. 6. 1930 RWirtMin; 9. 10. 1931-30. 5. 32 RFinMin; 1946/47 Vors. d. Bizonenausschusses f. Ernährung u. Landwirtschaft; vgl. K. D. BracheT, H. Dietrich: Neue Dt. Bibliographie III, 1957; A. v. Saldern, H. Dietrich, Ein Staatsmann der Weimarer Republik, 1966. 94 Absolute Aufrechterhaltung der einzelstaatl. Kompetenzen; Anstellung von Landeskindern in der Reichsverwaltung; Garantie d. freien Steuererhebungsrechts d. Einzelstaaten; Ablehnung von Gebietsänderungen durch einfaches Gesetz gegen den Willen der Bevölkerung. 95 Haußmann f. die DDP, Dr. Spahn f. das Z, Dr. Quarck für die SPD. 98 Niederschrift d. Rmin d Inn über d. Verhandlungen zur Änderung einiger Bestimmungen des Entwurfs einer Verfassung d. Dt. Reichs. Berlin, den 28. Mai 1919; B.HStA.II, MA 103245 u. BA, R 43 1/1863; vgl. Ber. Bay Ges Berlin Nr. 246 v. 29. 5.1919; B.HStA.II, MA 103245.

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4. Kap.: Von der Revolution bis zur Reichsfinanzreform

2. über die Aufstellung von Grundsätzen für die Zulässigkeit und Erhebungsart von Landesabgaben, soweit solche zur Vermeidung von Schädigungen der Einnahmen oder der auswärtigen Handelsbeziehungen des Reichs, von Steuerbenachteiligungen oder Bevorzugungen im inneren Verkehr der Länder, von übermäßigerodeT verkehrshindernder Belastung mit Gebühren für öffentliche Verkehrswege und Einrichtungen, zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen und von Schädigungen wichtiger Interessen der Verbraucher erforderlich sind." Außerdem fand der Satz: "Nimmt das Reich Abgaben oder sonstige Einnahmen in Anspruch, die bisher den Ländern zustanden, so wird es auf die Erhaltung ihrer Lebensfähigkeit Rücksicht nehmen" Aufnahme in den Verfassungsentwurf97. Diese Vorschrift zugunsten der Länder sollte "der Entwicklung zum Einheitsstaat auf dem Umwege der finanziellen Enteignung und Aushungerung der Länder" entgegentreten98. Leider war sie viel zu dehnbar gefaßt, als daß sie in der Verfassungswirklichkeit die finanzielle Aushöhlungspolitik des Reiches gegenüber den Ländern hätte vereiteln können. Es half den Ländern in der Folgezeit wenig, sich in den finanzpolitischen Auseinandersetzungen mit dem Reich an diese Bestimmung der Reichsverfassung zu klammern. Es erwies sich als problematisch, an exponierter Stelle einen Satz in die Verfassung aufgenommen zu haben, dem die Länder das Gewicht einer verfassungsmäßigen Garantie beimaßen, den das Reich jedoch nur als freundliche Floskel ansah. d) Die Finanzverwaltung

Über die Zollverwaltung war auf der Konferenz vom 28. Mai 1919 keine Einigung erzielt worden; allerdings sollte die Erhebung und Verwaltung der Zölle und Verbrauchssteuern den Ländern, die es beantragten, bis zum 1. Juli 1921 überlassen werden (Art. 115 Abs. 2 des Entwurfs IV). In den vorausgegangenen Ausschußverhandlungen über den Entwurf IV versuchten vornehmlich Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Harnburg und Bremen, unbedingt an einer Zollverwaltung durch Landesbehörden festzuhalten99• Sie stießen auf energischen Widerstand der 97 Später Art. 8 RV. Vgl. hierzu die Ausführungen des Geh. Reg. Rat. Carl vom Rfinm in der 39. Sitzung des VA am 6. 6. 1919 anläßlich der 2. Lesung von Art. 7 des Entwurfs IV: Vh NV Bd. 336, S. 466 ff.; ders.. a.a.O., S. 128. Dieser Satz wurde als Antrag Nr. 303 a (Abg. Spahn) während der 2. Lesung des Entwurfs IV am 6. 6. 1919 mit großer Mehrheit angenommen, a.a.O., S. 469. 98 G. Anschii.tz, Die Verfassung des Dt. Reichs, 1933, S. 57. 99 Vgl. die Ausführungen der jeweiligen Regierungsvertr. in der 13. u. 14. Sitzung d. VA am 24./25. März 1919; Vh NV Bd. 336, S.130 ff.

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Abgeordneten. Kahmann schenkte den Vertretern der Länder klaren Wein ein: .,Unsere Tendenz liegt in der Richtung auf den Unitarismus. Wir wollen die Einheitlichkeit der Verwaltung erreichen und die Existenz der kleinen Staaten als unmöglich beweisen. Es ist gerade unsere Absicht, auf die einzelnen Staaten einen gelinden Druck auszuüben und sie zu veranlassen, im Reiche aufzugehen. Ich bin auch der Meinung, daß die einheitliche Regelung der Zoll- und Steuerfragen wesentliche Vorteile haben wird1oo." Die Befürworter einer landeseigenen Zollverwaltung konnten sich nicht durchsetzen: In zweiter Lesung wurde der Antrag Nr. 303101 angenommen, der die Reichszollverwaltung vorschrieb (Art. 83 Abs. 1 des Entwurfs V = Art. 83 Abs. 1 RV), wenn auch der durch Art. 115 des Entwurfs IV eingeräumte Vorbehalt vorläufig Geltung behielt: .,Für eine angemessene Übergangszeit kann die Erhebung und Verwaltung der Zölle und Verbrauchssteuern den Ländern auf ihren Wunsch überlassen werden102." Eine Verreichlichung der Zollverwaltung ließ sich verhältnismäßig leicht realisieren, da auf dem Gebiete der Zölle schon seit dem Zollverein eine übereinstimmende Gesetzgebung eingeführt und die Zollverwaltung weitgehend einheitlich gestaltet worden war. Außerdem wurde nie in Frage gestellt, daß der Ertrag aus Zöllen und Verbrauchssteuern dem Reiche vorbehalten werden sollte. Anders verhielt es sich hinsichtlich der Verwaltung der direkten Steuern. Bevor die Steuerquellen nicht verteilt waren, konnten hier keine definitiven Bestimmungen in die Verfassung aufgenommen werden. Keinesfalls war jedoch die Mehrheit der Abgeordneten gewillt, eine landeseigene Verwaltung der direkten Steuern verfassungsrechtlich zu garantieren. So kam es zur Annahme des Antrags Nr. 24103, wonach die Ausführung der Reichsgesetze durch die Landesbehörden erfolgt, .,soweit nicht die Reichsgesetzgebung anders bestimmt". Dem Reich wurde dadurch die Möglichkeit eröffnet, nach Belieben bzw. Bedarf die Reichsverwaltung auszudehnen. Man war sich dessen im Verfassungsausschuß vollauf bewußt. Geh. Regierungsrat Dr. Carl sprach sich ausdrücklich für die Regelung aus, daß zur Übertragung der Verwaltung der direkten Steuern auf das Reich ein einfaches Reichsgesetz 1oo 1o1

469.

Vh NV Bd. 336, S. 133 (24. 3. 1919>. Abg. Dr. Spahn; 39. Sitzung vom 6. 6. 1919, Vh NV Bd. 336, S. 466 und

102 Art. 169 Abs. 2 RV; in 2. Lesung in der 42. (letzten) Sitzung am 18. 6. 1919 vom VA angenommen: Vh NV Bd. 336, S. 542. 1os Abg. Meerfeld (Johann Meerfeld, geb. 1871, gest. 1956; Redakteur der "Rhein. Ztg" in Köln; 1917-24 MdR (SPD); 1917-33 preuß. Staatsrat; 1920 Beigeordneter der Stadt Köln) u . Genossen; 7. Sitzung am 15. 3. 1919, Vh NV Bd. 336, S. 59 f.; in der 8. Sitzung am 17. 3.1919 vom VA angenommen, Vh NV Bd. 336, S. 79.

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genügen sollte. "Insbesondere nach den Verpflichtungen, die der Friedensvertrag dem Reiche auferlegt, werden in unseren Reichsfinanzen wohl derartig grundstürzende Änderungen nötig werden, daß die Reichsverwaltung Ellbogenfreiheit haben muß. Wollen Sie diese der Reichsfinanzverwaltung geben, so müssen Sie die qualifizierte Gesetzgebung ausschließen1o•. Die Gefahr, die dem Fortbestand der Landesfinanzverwaltung aus der dehnbaren Formulierung des Art. 14 (RV) erwuchs, rief die Vertreter der Länder auf den Plan. Sie wollten die Frage, ob die direkten Steuern durch Landes- oder Reichsbehörden verwaltet werden sollten, schon jetzt klar beantwortet haben "und nicht einfach auf eine wahrscheinlich kurze Zeit vertagen" 105. Wolf machte sich zum Sprecher Bayerns, Sachsens, Württembergs und Badens in der Befürchtung, daß bei einem Nebeneinander von zwei Steuerverwaltungen diejenige der Länder sehr bald von einer expansiven Reichsfinanzverwaltung an die Wand gedrückt werde. Er erklärte ausdrücklich, daß es sich bei der Frage der Steuerverwaltung "um einen Punkt von größter Wichtigkeit handelt und daß in den Einzelstaaten der schärfste Widerspruch entstehen wird, sobald bekannt wird - bisher hat es niemand gewußt -, daß man den Bundesstaaten ihre eigene Steuerverwaltung zu nehmen beabsichtigt". Er wandte sich entschieden gegen die Möglichkeit der Übertragung der Steuerverwaltung von den Ländern auf das Reich durch einfaches Reichsgesetz. Die Mehrheit der Ausschußmitglieder stimmte jedoch für die Möglichkeit einer Ausdehnung der Reichsfinanzverwaltung auf alle Steuern und hob den zweiten Halbsatz der Vorschrift des Art. 7 Abs. 3 des Entwurfs IV auf, der die Verwaltung der direkten Reichssteuern durch die Landesbehörden vorgesehen hatte (a.a.O., S. 466). Finanzminister Speck fand im bayerischen Landtag harte Worte über die Beschlüsse des Verfassungsausschusses, in der Befürchtung, "daß Bayern durch sie in finanzieller Beziehung jede Selbständigkeit verlieren wird"los.

e) Die Verabschiedung der Reichsverfassung Am 31. Juli 1919 verabschiedete die Nationalversammlung die Verfassung des Deutschen Reiches. Von den bayerischen Abgeordneten stimmten ihr außer Dr. Georg Heim (BVP) und den vier Bauernbündlern alle zu.

1M Vh NV Bd. 336, 39. Sitzung des VA v. 30. 6. 1919, S. 467; ähnlich der Abg. Wilhelm Keil (SPD) a.a.O., S. 468. 1os MinDir Dr. v. Wolf Vh NV Bd. 336, 39. Sitzung des VA am 6. 6. 1919, S.468. 106 Vh BayLT, StenBer Bd. I, 16. Sitzung v. 4. 7. 1919, S. 296.

III. Die Schaffung der neuen Reichsverfassung

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Die das Finanzwesen betreffenden Vorschriften des Verfassungsentwurfs V erfuhren keine prinzipiellen Änderungen mehr107• Analog den Kräften, welche die neue Reichsverfassung entscheidend formten, bewirkte die Reichsverfassung eine Neuorientierung Deutschlands hinsichtlich seiner Staatsform und Gesellschaftsordnung. Über diese Problemkreise fanden in Weimar tiefschürfende Grundsatzdiskussionen statt. Nicht so über die bundesstaatliche Fra·ge. Als der Abgeordnete KahJ1°8 im Verfassungsausschuß darauf aufmerksam machte, wurde ihm entgegengehalten, das sei nicht Aufgabe des Gesetzgebers, sondern des Staatsrechtslehrers109• Die Staatsorganisation und das Verhältnis zwischen dem Reich und den Ländern (einschließlich der Bestimmungen über das Finanzwesen) ergaben sich also aus der Summe von verschiedenen Artikeln, die - zusammen gesehen nicht aus einem Guß waren; sie trugen einen Kompromißcharakter, der weder die Unitaristen noch die Föderalisten befriedigte. Die Unitaristen waren verstimmt, da ihr Versuch, das Bismarcksche Reich zum Einheitsstaat umzuwandeln, von den Ländern kurz vor dem Ziel vereitelt worden ist. Nach dem Verfassungstext blieb Deutschland ein Bundesstaat; die bereits erzielte Machtverschiebung zugunsten der Zentralgewalt und die vielfältigen Möglichkeiten einer Ausweitung der Reichskompetenzen in der Zukunft sprangen jedoch ins Augetto. Die föderalistische Komponente, vertreten vor allem durch die einzelstaatlichen Regierungen, war in die Defensive gedrängt worden: Die Veränderungen auf den Gebieten der Verkehrs-, Verteidigungs-, Verwaltungs- und Finanzhoheit bewiesen ebenso wie die erweiterten Gesetzgebungs- und Aufsichtsrechte des Reiches, daß sich das Verhältnis zwischen Reich und Ländern zuungunsten letzterer verschoben 107 Im Bestreben, das Verfassungswerk von Weimar zu rechtfertigen, behauptete K. Beyerle, Föderalistische Reichspolitik, 1924, S. 39, "daß auf dem Gebiete der Finanzzuständigkeit von Reich und Ländern der Weimarer Verfassungstext .. . sich noch am meisten an das Vorbild der alten Reichsverfassung angeschlossen" habe und "gerade auf dem Gebiet der Finanzhoheit ... die Länder schonend behandelt und in wesentlicher, zum Teil wörtlicher Anlehnung an das frühere bundesstaatliche Verfassungsrecht mit Garantien umgeben" habe. Die Einbußen an Länderfinanzhoheit lastete Beyerle ganz der nachfolgenden Finanzgesetzgebung an. Aber diese war nur auf der Grundlage der Weimarer RV möglich. 1os Dr. Wilhelm Kahl, geb. 17.6.1849 Kleinheubach, gest. 14. 5. 1932 Berlin; 1876 Priv.-Doz. in München für Kirchenrecht, Staatsrecht und Strafrecht, 1879 Prof. in Rostock, 1883 in Erlangen, 1888 in Bann, 1895 in Berlin; 1919 MdNV (DVP), 1920--32 MdR; Bismarckverehrer (vgl. W. Kahl, Bismarck lebt, 1898); vgl. M. Alsberg, W. Kahl 1929. 109 W. Kahl, Entspannung des Unitarismus: DJZ 28, 1923, Sp. 702 f. uo R. Thoma, Das Reich als Bundesstaat, 1930, S. 7, fragt sogar: "Ist es bei solcher Ordnung nicht paradox, nach dem Einheitsstaat erst noch zu rufen? Es ist so paradox, daß die Programme des sog. Einheitsstaates in Wahrheit durchsetzt sind von Forderungen eines Abbaues der Zentralisation."

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4. Kap.: Von der Revolution bis zur Reichsfinanzreform

hatte. Das Mitbestimmungsrecht der Länder war stark beschnitten; die Ratifizierung der Reichsverfassung durch die Einzelstaaten kam nicht in Frage111 ; der Reichsrat, das Vertretungsorgan der Einzelstaaten, war dem Reichstag nicht gleichberechtigt. Johannes Popitz wies darauf hin, daß auf dem Fundament der Reichsverfassung "das Reich letztlich durch Inanspruchnahme von Steuern oder durch Normativbestimmungen seine Macht so weit ausdehnen kann, wie es aus finanziellen oder aus wirtschaftlichen oder auch, wir können das nicht verschweigen, aus politischen Gründen zweckmäßig erscheint" 112• Unitaristen sowie Föderalisten sahen demnach die Staatsorganisation als nicht durch die Reichsverfassung dauernd geordnet an. Den einen bedeutete die Verfassung gleichsam Sprungbrett zum Einheitsstaat, den anderen war an einer Verankerung föderativer Garantien in der Verfassung gelegen. Beide Seiten rüttelten mit dem Ruf nach Revision bzw. Weiterentwicklung des Verfassungswerkes an dessen Autorität. Das war der Republik und der neuen Reichsverfassung, diesem hauptsächlich von Juristen geschaffenen, schwer durchschaubaren und umfangreichen Werk, das in breiten Volksschichten ohnehin nicht populär geworden ist, abträglich. Daß die bayerische Regierung unter dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Hoffmann das Inkrafttreten der Reichsverfassungm resigniert hinnahm, durfte nicht über die Unzufriedenheit hinwegtäuschen, die sich- verstärkt durch die Finanzreform Erzhergers und durch den Antrag im preußischen Landtag vom Dezember 1919 nach m Als Beyerle im VA die Ratifizierung der neuen Reichsverfassung durch die einzelstaatlichen Landtage forderte, antwortete Preuß: "Was wir vornehmen, ist eine unter besonderen Umständen und durch besondere Ereignisse veranlaßte Verfassungsänderung. Verfassungsänderungen aber haben bisher niemals der Ratifikation (sc. durch die Landtage) unterlegen und bedürfen ihrer auch nicht" (Vh NV StenBer Bd. 336, S. 25 f.). 112 J. Popitz, Die Wandlungen in den Aufgaben, 1929, S.160. Hinsichtlich der Einschränkung - soweit es sich um "allgem. Gesellschaftsinteressen" handelt - bemerkt Popitz, "daß die Grenzen nur willensmäßig zu ziehen sind". 113 Vgl. vor allem W. Apelt, Geschichte der Weimarer Verfassung, 1946; G. Anschütz, Die Verfassung d. Dt. Reichs vom 11. August 1919. Ein Kommentar, 141933; L. Bergsträsser, Die Grundgedanken unserer RV, 1922; 0. Bühler, Die RV vom 11. Aug. 1919, 31929; F . K. Fromme, Von der Weimarer Verfassung zum Bonner GG, 1960; J. v. Graßmann, Bayern u. d. Entstehung der neuen RV. Geschichtliche Mitteilungen: BStZ Nr. 311 vom 25. 12. 1919; W. Jellinek, Verfassung u. Verwaltung des Reichs und der Länder, 1926; W. Müller, Die Stellung der bay Reg zur Weimarer RV bis zum Abschluß der Arbeiten der LK, Diss. Leipzig 1935; H. Nawiasky, Der Sinn der RV, 1931, u. a.; K. Polak, Die Weimarer Verfassung- ihre Errungenschaften und Mängel, 1952; H. Preuß, Deutschlands republikanische RV, 21923; ders., Reich und Länder. Bruchstücke eines Kommentars zur Verfassung des Dt. Reiches, 1928; ders., Um die RV von Weimar, 1924; H. 0. v. Rohr, Der Einfluß der dt. Länder auf die Gestaltung der RV von 1919, Diss. Göttingen 1931; die RV wurde am 14. August 1919 im RGBl. 1919, S. 1383 ff. veröffentlicht.

IV. Die Abfindung für die Preisgabe von Reservatrechten

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Herbeiführung des Einheitsstaates - schon kurze Zeit später Luft machte. Geheimrat von Graßmann hatte bereits im Verfassungsausschuß die Genugtuung der Unitaristen registriert, "daß Bayern jetzt am Boden liege und sich nicht wehren könne". Aber er versicherte: "Es wird auch einmal wieder die Zeit kommen, in der Bayern den jetzigen Niederbruch überwunden haben wird. Wir vertreten die Auffassung, die nach Rückkehr normaler Verhältnisse wieder klar hervortreten wird114."

IV. Die Abfindung für die Preisgabe von Reservatrechten Die Reservatrechte115 Bayerns nach der Bismarckschen Reichsverfassung gingen zurück auf den "Vertrag, betreffend den Beitritt Bayerns zur Verfassung des Deutschen Bundes" vom 23. November 1870 und das dazugehörige Schlußprotokoll. In der Verfassungsurkunde vom 16. April 1871 fielen die hier ausbedungenen Sonderrechte unter die generelle Norm des Art. 78 Abs. 2, der besagte, daß "diejenigen Vorschriften der Reichsverfassung, durch welche bestimmte Rechte einzelner Bundesstaaten in deren Verhältnis zur Gesamtheit festgestellt sind, ... nur mit Zustimmung des berechtigten Bundesstaates abgeändert werden" können. Bayern machte auch nach der Revolution geltend, Art. 78 Abs. 2 aRV erweise sich als Formulierung des Rechtssatzes "pacta sunt servanda" und als conditio sine qua non des Beitritts Bayerns zum Reichue. Da die Sonderrechte Bayerns nicht willkürlich ausgewählt worden waren, sondern als Ganzes in bestimmten wirtschaftlichen, sozialen, Vh, NV StenBer Bd. 336, S. 47. J. B. Kittel, Die bay Reservatrechte. Diss. Würzburg 1892; P. Laband, Der Begriff der Sonderrechte nach Dt. Reichsrecht: Annalen 7, 1874; H. Schoppe, über die Möglichkeit der Errichtung von Reservatrechten im republikanischen Dt. Reich. Diss. Göttingen 1924; H. Liermann, Begriff und Wesen der Sonderrechte des einzelnen Landes im neuen Reichsstaatsrecht, 1929; U. Thilo, Die staatsrechtliche Sonderstellung Bayerns unter der Weimarer Verfassung, Diss. Kiel 1933. 116 Dr. von Preger führte im VA aus: "Die Versailler Abmachungen haben seinerzeit die Voraussetzung gebildet, unter der Bayern in das Reich eingetreten ist." Er wies darauf hin, daß Verträge, die das Dt. Reich mit dem Ausland, mit den neutralen Staaten geschlossen hat, auch von der NV zu achten sind. "Warum soll von den Verträgen, die das Reich seinerzeit mit den süddeutschen Staaten abgeschlossen hat, etwas anderes gelten?" (Vh NV StenBer Bd. 336, S. 45). Dazu Th. Heuß, Bayern und das Reich: Dt. Politik, 4. Jg., H.15 (11. 4.1919), S. 467: "Der Kampf, den der Gesandte von Preger ... in Weimar um die Reservatrechte führt, um den .,Vertrags"Charakter, durch den Bayern dem Gesamtreich angehören will, wirkt auf viele Deutsche, gerade auch nichtbayerische Süddeutsche, tiefverstimmenddenn sie meinen, in dieser Zeit müsse das deutsche Bewußtsein das landschaftliche überwölben." 114

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4. Kap.: Von der Revolution bis zur Reichsfinanzreform

geschichtlichen und politischen Voraussetzungen verankert gewesen sind, bezeichnete sie Preger immer wieder als für den Bestand der Einzelstaaten "lebenswichtig". Die Reservatrechte waren eben sowohl Voraussetzungen als auch wohlbedachte Funktionen des bundesstaatliehen Systems Bismarckscher Prägung; Veränderungen auf der einen Seite mußten sich auf die andere Seite auswirken. Den Abgeordneten der Nationalversammlung waren diese Zusammenhänge bewußt; niemand bezweifelte ernstlich, daß Ausmaß und Bedeutung von Sonderrechten den Grad der Eigenstaatlichkeit bestimmten117• Da aber die Mehrheit der Abgeordneten dem Einheitsstaat zuneigte, wurden die Privilegien einzelner Bundesstaaten als hinderlich und angesichts der Nachkriegsnot als unverantwortlich angesehen. Konrad Beyerle wollte die Reservatrechte dadurch erhalten, daß er im Verfassungsausschuß behauptete, sie spielten im Streit zwischen Unitarismus und Föderalismus gar keine entscheidende Rolle, vielmehr sei "Unitarismus unter Beibehaltung einiger Reservatrechte, die stimmungsmäßig von besonderer Bedeutung wären, sehr wohl denkbar" 118• Diese These fand nicht das erhoffte Echo. Die Mehrzahl der Abgeordneten lehnte - ebenso wie Preuß in seinen Verfassungsentwürfen - Reservatrechte einzelner Staaten ab. Entgegen früherer Zusicherungen bemühte sich die Reichsregierung um Verhandlungen mit den Sonderrechtsstaaten zwecks Ablösung der Reservatrechte. Am 5. März 1919 begannen entsprechende Verhandlungen mit Württemberg. Dieses war gegen eine angemessene Abfindung zur Aufgabe seines Verkehrs-, Heeres- und Biersteuerreservates bereit1 19• Preger kritisierte die Taktik der Reichsregierung, mit den Sonderrechtsstaaten gesondert zu verhandeln und mit dem gefügigen Württemberg zu beginnen. Ein Präzedenzfall würde geschaffen, und die anderen Sonderrechtsstaaten müßten notgedrungen nachgeben. Der bayerische Gesandte war überzeugt, daß Bayern mit der Aufgabe seiner Militär-, Verkehrs- und Finanzhoheit "als selbständiger Staat überhaupt erledigt" sei1 2o. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung, inwieweit das ReichLänder-Verhältnis über die Finanzpolitik verändert worden ist, muß die Ablösung der Sonderrechte im Post- und Eisenbahnwesen sowie in der Bierbesteuerung Erwähnung finden. Am politischen Wert der Ver117 Vgl. H. Liermann, Begriff und Wesen der Sonderrechte, 1929, S. 34; ders., a.a.O., S. 49 behauptet, Sonderrechte seien Zeichen eines zurückweichenden Föderalismus. "Wenn die Flut des Unitarismus steigt, pflegen zunächst die Sonderrechte als Insel der Flut eine Zeitlang zu trotzen und die Stelle zu bezeichnen, wo ehemals ein zusammenhängendes Gebiet föderalistisch war." 118 Vh NV StenBer Bd. 336, S. 43. 119 Vgl. Ber Wolfs vom 9. 3. 1919; B.HStA.II, MA 103245. 12o Ber. Pregers vom 6. 3. 1919; B.HStA.II, MA 103245.

IV. Die Abfindung für die Preisgabe von Reservatrechten

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kehrshoheit lag der bayerischen ReJtierung und der Ministerialbürokratie sehr viel. Sie führte mit eigenen Briefmarken, Eisenbahnen usw. jedermann die bayerische Staatshoheit greifbar vor Augen. Ihre wirtschaftliche Seite wies allerdings im kriegsmüden, ausgehungerten Land nur Defizit auf; die Aussicht auf eine ansehnliche Abfindung verzuckerte also die Übertragung der Verkehrshoheit auf das Reich. Der Verlust des Biersteuerreservats wurde in Bayern besonders sclunerzlich empfunden; erbrachte doch die Biersteuer in Bayern nach der Einkommensteuer die meisten Einnahmen. 1. Das Biersteuerreservat

Neben dem wirtschaftlichen121 wurde in Bayern der politische Wert der Biersteuer stets hoch veranschlagt122. Biersteuererhöhungen erregten die Gemüter und entfachten lebhafte Debatten im bayerischen Landtag, die nicht nur einem Ludwig Thoma123 Anregungen geben konnten, sondern bewiesen, welche Bedeutung das Bier in Bayern spielte und noch spielt. So wies Dr. Schlittenbauer124 auf die Auswirkungen einer möglichen Biersteuererhöhung auf die gesamte Wirtschaft Bayerns hin, wo das Bier kein Genußmittel, sondern übliches Nahrungsmittel der breiten Massen sei. Sein Parteifreund Ponnath125 ging noch weiter: "Ein gutes Bier ist das beste Kampfmittel gegen 121 Das "Gutachten der Referenten der bay Ministerien zur neuen RV" vom 8. 2. 1919; B.HStA.II, MA 103253, gibt den wirtschaftlichen Wert der Biersteuer mit annähernd 2 Mrd M, H. Schmelzle, Das bay Biersteuerreservat, 1926, S. 221, die jährlichen Einnahmen mit 60 Mill M an. 122 H. Köppe, Biersteuer: HWBSt II, 1924; F. Koppe u. J. Fleminger, Biersteuerrecht, 1931; K. Loewenstein, Die Rechtsgültigkeit der gesetzlichen Neuregelung der Biersteuerentschädigung, 1927; H. Schmelzle, Das bay Biersteuersonderrecht, 1926; R. Schönberger, Beiträge zur Bierbesteuerung, Diss. TH München 1967; H. Burger, Geschichte und Probleme der Biersteuer (insbesondere in Bayern). Diss. Graz 1961; G. Schmölders, Biersteuer: HWB Soz II, 21959, S. 218 ff.; A. Weixler, Das bay Braugewerbe, seine Statistik und seine Besteuerung, 1909; K. Bullemer, Die Entwicklung der staatl. Bierbesteuerung in Deutschland, 1953; J. Grübl, Der Einfluß von Malzaufschlag und Biersteuer auf die Kostengestaltung der bay Brauereien im 19. u. 20. Jh.: Brauwelt Jg. 98, 1958, Nr. 55; A. Jehle, Das Bier in Bayern, Bd. I, 1948; A. S. Maier, Die Entwicklung der dt. Malz- und Bierbesteuerung (bes. in Bayern) vom Jahre 1543 bis 1954. Diss. TH München 1955; H. Schöler, Das Biersteuerproblem, 1930; A . Weidmann, Die Wirkungen der Bierbesteuerung im Zeitraum 1924-1930. Diss. Frankfurt 1932. 123 Ludwig Thoma, geb. 21. 1.1867 Oberammergau, gest. 26. 8. 1921 Rottach; bay Schriftsteller; erwies sich in seinen humorvollen und satirischen Werken als meisterlicher Darsteller Oberbayerischen Menschentums. 124 Dr. Sebastian Schlittenbauer, geb. 1874 Wolnzach, gest. 1936 München; Oberstudienrat; Generalsekr. des Christi. Bauernvereins, nächst Georg Heim der einflußreichste Bauernführer in Bayern; 1912 ff. MdL (Z/ dann BVP); Vh Bay LT 1920/21, StenBer Bd. II, 57. Sitzung vom 27. 4. 1921, S. 814. Diese Debatte sei stellvertretend für viele ähnliche LT-Debatten herausgegriffen. 12s Max Joseph Ponnath, geb. 24.10. 1876 Kemnath; Landwirt und Brauereibesitzer; 1919 ff. MdL (BVP); a.a.O., S. 815.

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4. Kap.: Von der Revolution bis zur Reichsfinanzreform

gesundheitsschädliche und teure Genußmittel, insbesondere gegen Morphium und Opium und andere Gifte." Sämtliche Parteien des Landtags priesen die Vorzüge des Bieres und lehnten- sei es aus ehrlicher Überzeugung oder mit Blick auf die Wähler - jegliche Erhöhung der Biersteuer ab. Selbst die USPD konnte sich "in diesem Fall auch einmal ausnahmsweise den anderen Parteien dieses Hauses anschließen" 126•

a) Geschichte der Biersteuer in Bayern W. X. A. von Kreittmayr127 bezeichnete bereits 1761 Bayern als das Land, "wo das Bier gleichsam das fünfte Element ausmacht". Und noch heute befindet sich etwa jede dritte Braustätte der Welt in Bayern118• Bis ins 15. Jahrhundert hinein war der Bierkonsum sehr gering; das Volk trank vor allem Wein und Most. Allerdings spricht schon ein Ungelt-Brief Herzogs Stephan von Bayern-Ingoistadt 1395 von einem landesfürstlichen Ungelt speziell auf Bier und bezieht sich hierbei auf ein früheres Ungelt129• Im 16. Jahrhundert erlebte das Braugewerbe in Bayern einen gewaltigen Aufstieg. Das Jahr 1543 kann man als Beginn der bayerischen Biersteuer ansehen. Die Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig erhofften von dieser Steuer eine Befreiung aus ihren "beschwerlkhen pfandschafften und schulden, darein wir bißher schwebender Türckischer Kriegßhandlung halb" verstrickt waren1S0 • Obwohl der Bieraufschlag ursprünglich zeitlich begrenzt war, wurde er doch mit Abwandlungen beibehalten, da er sich als ertragreich erwies. Bis 1806 wurde die Biersteuer als Aufschlag auf den Sud oder Eimer131 Bier erhoben (also Besteuerung des Fertigprodukts). Nach mehreren Erhöhungen betrug der Aufschlag im Jahre 1806 4 Pfennige pro Maß132• Im jungen bayerischen Königreich wurde die Biersteuer durch das Malzaufschlagsgesetz von 1806 umgewandelt (in eine Rohstoffsteuer): Der Schäffel des eingesprengten Malzes wurde nun mit der Steuer belegt, die lange Zeit stabil blieb und nur 1879, 1889 und 1910 erhöht wurde. Die Entwicklung des bayerischen Braugewerbes erlebte im 19. Jahrhundert einen Höhepunkt. Im Jahre 1872 entfielen 2561 Bier pro Kopf Abg. Löhlein, a.a.O., S. 820. Anmerkungen über den Codicem Maximilianeum Bavaricum Civilem, II. Teil, München 1761. 12s Brauwelt, Ausgabe A, Jg. 100, 1960, Nr. 50, S. 1015. 129 A. S. Maier, Die Entwicklung der dt. Malz- und Bierbesteuerung, 1955, 128 127

8 . 19.

1so Freyheiten, Des löblichen Hauß und Fürstenthumbs Obern unnd Nidern Bayern Freyheiten. München 1568, S. 188 f. (56. Brief). 131 1 Eimer = 64 bay Maß a 1,069 1. = 68,42 1. 1a2 Nach dem rheinischen Guldenfuß: 1 Gulden (fl) = 60 Kreuzer (kr) = 240 Pfennige (dl) = 480 Heller (hl(.

IV. Die Abfindung für die Preisgabe von Reservatrechten

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der Bevölkerung Bayerns, im Jahre 1900 waren es gar 2921133• Einer der Gründe für diesen Aufschwung war die Aufhebung des Zunft- und Bierzwangs 1804/05 in Bayern134• Nach dem Gesetz von 1819 betr. das Staatsschuldenwesen wurde der Malzaufschlag als dauernde Abgabe zur Tilgung der Staatsschulden bestimmt. Ohne daß der Aufschlag in den nächsten Jahrzehnten erhöht wurde, brachte er eine Vermehrung der jährlichen Staatseinnahmen von 5 Mill Gulden auf 10,5 Mill Guldt:m im Jahre 1865/66. Als am 1. 1. 1876 die Währung in Bayern vom Gulden auf die Mark umgestellt wurde (1 kr = 2,85 Pfg), wurde der Aufschlag umgerechnet auf 4.- M pro hl (1 bayer. Schäffel = 222 1). Drei Jahre später wurde der Steuersatz auf 6.- M pro hl erhöht, 1889 wurde eine Staffelung eingeführt, um Konzentrationen zu verhindern (6.- M bis 6,50 M); den gleichen Zweck verfolgte das Biersteuergesetz von 1910 (15.- bis 20.- M pro Doppelzentner). 1880 betrugen die Staatseinnahmen aus dem Malzaufschlag 14,3 °/o, 1885 14 Ofo und 1890 11,3 Ofo135• Dieser Anteil blieb bis zum Beginn des 1. Weltkrieges etwa konstant136, sank jedoch während des Krieges rapide ab137• Die Bierbesteuerung Preußens, Sachsens und Thüringens wurde 1833 in der Norddeutschen Brausteuergemeinschaft zusammengefaßt, der später noch Mecklenburg und Lübeck beitraten. Die Reichsverfassung von 1871 übertrug die Gesetzgebung über alle Zölle und Verbrauchssteuern dem Reich. In Bayern, Württemberg und Baden (auch Elsaß-Lothringen genoß Sonderstatus) blieb die Bier- und Branntweinsteuer der Landesgesetzgebung vorbehalten, doch mußten diese Länder aus ihren Biersteuereinnahmen "Ausgleichsbeträge" oder "Aversa" an den Reichshaushalt abführen. Das Reichsbiersteuergesetz vom 26. Juli 1918 führte für den norddeutschen Raum an Stelle der Einmaischsteuer (benannt nach dem Maischbottich) die Fabriksteuer unter gleichzeitiger beträchtlicher Erhöhung der Steuersätze ein. Dieses Gesetz galt nach dem Eintritt der Süddeutschen in die Reichsbiersteuergemeinschaft für das ganze Reich.

b) Bayerns Eintritt in die Reichsbiersteuergemeinschaft Die "Grundzüge einer neuen bayerischen und einer neuen Reichsverfassung", die Graßmann und Piloty im Auftrage der bayerischen 133 Dieses Maß wurde nie mehr erreicht; K. Bullemer, Die Entwicklung der staatlichen Bierbesteuerung, 1952, S.121. 1900 entfielen im Vergleich dazu in Norddeutschland 101 1 Bier pro Kopf, in Württemberg 179 1 pro Kopf, in Baden 157 1 Bier pro Kopf der Bevölkerung. 134 H. Burger, Biersteuer, 1961, S. 40. 135 H. Burger, Biersteuer, 1961, S. 56. ta& Das Rechnungsjahr 1911/12 erbrachte dem Staatssäckel 66,3 Mill M, 1912/13 64,7 Mill M, 1913/14 63,1 Mill M; Angaben nach H. Burger, Biersteuer, 1961, s. 76. 137 1916/17 30,5 Mill M, 1917/18 15,8 Mill M, 1918/19 9,3 Mill M.

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4. Kap.: Von der Revolution bis zur Reichsfinanzreform

Staatsregierung im November 1918 erstellt hatten138, hielten am bayerischen Biersteuerreservat fest. Im gleichen Sinne instruierte Finanzminister Dr. Jaffe den stellvertretenden Bayerischen Bevollmächtigten in Berlin, Ministerialdirektor Dr. von Wolf, am 6. Januar 1919139 • Die Reichsregierung versicherte, daß sie das Biersteuerreservat Bayerns nicht antasten werde140 • Wolf hegte demnach keinen Zweüel an der Aufrechterhaltung der Bier- und Branntweinsteuersonderrechte für Bayern. "Hier sprechen gute Rechtsgründe und das natürliche Rechtsgefühl dafür, die bayerischen Ansprüche als Vertragsrechte anzuerkennen, die .ohne Zustimmung des berechtigten Vertragsteils nicht beseitigt werden können141." Diese Zuversicht wurde erhärtet, nachdem ein entsprechender Antrag Bayerns, Württembergs und Badens am 19. Februar in der Nationalversammlung angenommen worden war142• Doch die starken unitarischen Kräfte in Berlin und Weimar bewirkten eine Wendung. Württemberg fand sich bereit, aus der Einheitsfront der Süddeutschen in dieser Frage auszuscheren. Nun war klar, daß Bayern und Baden sich den Angeboten des Reichs nicht lange verschließen könnten. Nachdem die Verhandlungen des Reiches mit Württemberg einen raschen Abschluß gefunden hatten143, und der Verfassungsausschuß den Art. 116 des Verfassungsentwurfs (Garantie des Biersteuerreservats) gestrichen hatte, fand sich Bayern bereit, über die Ablösung des Biersteuerreservats zu verhandeln144• Man erhoffte sich B.HStA.II, MA 103244. Nr. 391 II; B.HStA.II, MA 103743; vgl. auch das ,.Gutachten der Referenten der bay Ministerien zur neuen RV" vom 8. 2.1919, S.14; B.HStA.II, MA103253. uo RFinMin Schiffer gegenüber dem Ges Preger am 11. 1. 1919; vgl. den Ber Pregers Nr. 21 vom 12. 1.1919; B.HStA.II, MA 103743. Preger erklärte am 10. 2. 1919 in der NV, Bayern, Württemberg und Baden setzten voraus, daß durch die Annahme des Gesetzes über die vorläufige Reichsgewalt ,.der Entscheidung über die Sonderrechte der einzelnen Freistaaten nicht vorgegriffen wird". Ebert stimmte dieser Auffassung zu; B.HStA.I, Minn 74108. Eine Besprechung zwischen Vertretern des Reichsschatzamtes und der Bundesstaaten am 9./10. 2. 1919 in Weimar kam zum gleichen Ergebnis; B.HStA.II, MA 103245; vgl. den Ber Wolfs vom 14.2.1919 hierzu, B.HStA.II, MA 103244. 141 Wolf am 14. 2. 1919; B.HStA.II, MA 103244. 142 Drucks. Nr. 4 vom 18. 2. 1919. 143 Das "Gesetz über den Eintritt des Freistaates Württemberg in die Biersteuergemeinschaft" datiert vom 27. 3. 1919 (RGBl., S. 345; vgl. auch das Sehr. des RFinMin Schiffer an RPräs Ebert vom 20. 3. 1919; BA, R 43 I/2318); der Anteil Württembergs an den Reichseinnahmen aus der Biersteuer wurde mit 3,45 °/o, jedoch nicht mehr als 15 Mill M festgesetzt. 144 Ber Wolfs an das B. Stmin d Fin vom 27. 3.1919; B.HStA.II, MA 103245. Bereits im Sept. 1915 gewann Erzberger, als er wegen einer Reichsfinanzreform in München sondierte, den Eindruck, daß Bayern bereit sei, auf das Biersteuerreservat zu verzichten, wenn das Elsaß ungeteilt an Bayern fiele (K. H. Janßen, Macht und Verblendung, 1963, S. 76). Das zeigt, daß Bayern nicht unbedingt am Biesteuerreservat festhielt, sodann wird deutlich, wie teuer Bayern dieses Reservat verkaufen wollte. 138 139

IV. Die Abfindung für die Preisgabe von Reservatrechten

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durch Verhandlungsbereitschaft Zugeständnisse in der allgemeinen Steuergeset2lgebung. Bayern strebte zunächst eine Kapitalabfindung, und zwar im Wege eines Staatsvertrages, an. Beides wurde vom Reichsfinanzministerium abgelehnt. Es kam nur eine Regelung in Betracht, wie sie zwischen dem Reich und Württemberg getroffen worden war. Auf Grund eines Beschlusses des Ältestenrates des Landtags vom 11. Juni 1919 richtete Finanzminister Speck an das Reichsfinanzministerium das Ersuchen145, "wegen des Eintritts Bayerns in die Biersteuergemeinschaft das Geeignete baldgefälligst zu veranlassen. Der von Referenten des Reichsfinanzministeriums aufgestellte vorläufige Entwurf eines Gesetzes über den Eintritt der Freistaaten Bayern und Baden in die Biersteuel'lgemeinschaft kann . . . als Grundlage" benützt werden. Da Speck befürchtete, daß die zu vereinbarenden Ablösungsbedingungen später geändert werden könnten, bestand er darauf, "daß der jährliche Ablösungsbetrag kapitalisiert und die Gesamtsumme .... in 4 bis 5 Jahren getilgt wird". Nachdem ein ähnliches Schreiben Badens bei der Reichsregierung eingegangen war, leitete Reichsfinanzminister Dernburg den "Entwurf eines Gesetzes über den Eintritt der Freistaaten Bayern und Baden in die Biersteuergemeinschaft" am 14. Juni 1919 an den Staatenausschuß weiter (Nr. 110 der Drucks.), der am 20. Juni 1919 seine Zustimmung gab. Finanzminister Speck hatte unmittelbar zuvor eine Erklärung abgegeben, der sich auch Württemberg und Baden anschlossen: "Bayern und Baden erklären, daß sie für die in dem Gesetzentwurf vorgesehene Neuregelung die Form eines Vertrags vorgezogen hätten. Sie stimmten dem Gesetzentwurf zu unter der Voraussetzung, daß ihnen die jährliche Entschädigung, die sie künftig an Stelle ihres Biersteuersonderrechts aus der Reichskasse erhalten sollen, auch nicht durch ein verfassungsänderndes Gesetz wieder entzogen werden wird146 . " Amselben Tag wurde der Entwurf der Nationalversammlung zugeleitet (Nr. 393 der Drucks.) und am 23. Juni 1919 von dieser verabschiedett• 7 • Das Gesetz über den Eintritt Bayerns und Badens in die Biersteuergemeinschaft vom 24. Juni 1919 (RGBl., S. 599) garantierte Bayern 13,55 °/o (höchstens 78 Mill M) und Baden 1,6 °/o (höchstens 10 Mill M) aus der jährlichen Biersteuereinnahme des Reiches als Abfindung für die Aufgabe des Biersteuerreservates148• Die Beschränkung auf einen Nr. 22443 I v. 11. Juni 1919; B.HStA.II, MA 103251 (Abschrift). Nr. 393 der Drucks. der NV; vgl. das Sehr. Wolfs an das B.Stmin d Fin vom 19. Juni und vom 21. Juni 1919; B.HStA.II, MA 103816. 147 Ber Wolfs vom 24. 6.1919; B.HStA.II, MA 103816. ua Vgl. Sitzungsprot. d. bay Ministerrates vom 10. 6. 1919; B.HStA.II, MA 99514; Ber. Pregers vom 19. 6. 1919; B.HStA.II, MA 103246; FinMin Speck im BayLT am 4. 7.1919: Vh BayLT 1919 StenBer Bd. I, S. 296. 145 14&

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4. Kap.: Von der Revolution bis zur Reichsfinanzreform

Anteil von 13,55 °/o (§ 3 des Gesetzes vom 24. 6. 1919) überstieg den Anteil Bayerns an der Gesamtbevölkerung (11,8 °/o) nur leicht, war jedoch von seinem Aufkommen weit entfernt149• Bayern empfand es als ungerecht, daß ausgerechnet die Biersteuer (nach der Bevölkerungszahl) nach einem anderen Schlüssel als die Einkonunen- und Körperschaftssteuer (nach örtlichem Aufkommen) verteilt wurde159• Bedachte man, daß die Biersteuer noch 1910 etwa ein Zwölftel des Staatsbedarfs deckte, während es 1926 bei gleichem Staatsbedarf nur noch ein Sechsunddreißigstel war, erschien der Verlust des Biersteuerreservats als mitverantwortlich für die schlechte Finanzlage Bayerns151 • Es wurde geltend •gemacht, daß der Bierverbrauch auf den Kopf der bayerischen Bevölkerung drei- bis vierlach höher liege als im übrigen Reichsgebiet, da Bier in Bayern ein Hauptnahrungsmittel sei. Daher werde Bayern durch die Reichsbiersteuer drei- bis viermal stärker belastet als das übrige Reich, ohne daß dafür ein befriedigender Ausgleich gewährt werde152• Bayern war die Möglichkeit genommen, den besonderen Verhältnissen im Lande entsprechend die Biersteuer festzusetzen und für sich in Anspruch zu nehmen. Der Plan, das Reich gänzlich auf das Gebiet der Zölle und Verbrauchssteuern abzudrängen, um dafür die direkten Steuern um so eher behalten zu können, wurde den Süddeutschen vereitelt. Das Opfer der Aufgabe von Bier- und Branntweinsteuerreservat schien umsonst gebracht. c) Das Ringen um die jährliche Abfindung

Nachdem Bayern erkennen mußte, daß sein Entgegenkommen in der Biersteuerfrage vom Reich nicht honoriert, die Finanzhoheit des Landes vielmehr fast völlig beseitigt wurde, forderten die bayerische Staatsregierung, das bayerische Braugewerbe u. a. die Rückgabe des Sonderrechts153• Da dieses Ziel vorläufig nicht erreichbar schien, bemühte sich die bayerische Regierung um eine Verbesserung der Ab149 1924: 30,2 Ofo; 1925: 26,7 Ofo; vgl. H. Schmelzle, Das bay Biersteuersonderrecht, 1926, S. 221. 1so Vgl. W. Lotz, Der FA und Bayern, 1927, S. 34. 151 H. Schmelzle, Das bay Biersteuersonderrecht, 1926, S. 221 f. "Daß Bayern diese Steuerquelle verloren hat, ist wohl die tiefste Ursache seiner heutigen schwierigen finanziellen Lage." Der Nutzen des Reiches sei demgegenüber gering. 152 Vgl. H. Schmelzle, a.a.O., S. 222; R. Schönberger, Beiträge zur Bierbesteuerung, 1967, S. 2 konstatiert, "daß alle Biersteuergesetze seit 1918 unzulänglich waren und den Erfordernissen der Zeit selten entsprachen". Diese Mangelhaftigkeit reiche bis in die Gegenwart hinein. 153 Die Brauereien mußten sich wieder auf die Fabrikatsteuer umstellen.Niemand wollte mehr an der Aufgabe des Biersteuerreservats schuld gewesen sein. M. Kirchner vom Präsidium des Bay. Brauerverbandes e. V. gab in einem Sehr. an Staatsrat Dr. Schmelzle vom 28. 6. 1926 die Schuld dem damaligen FinMin Speck und bezog sich dabei auf eine entspr. Behauptung Jaffes; B.HStA.II, MA 103816.

IV. Die Abfindung für die Preisgabe von Reservatrechten

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findung. Allerdings mußte sie froh sein, wenn ihr eine Anpassung an den sinkenden Geldwert gelang. Die Begrenzung der Höchstsumme auf 78 Mill M bedurfte mit der fortschreitenden Inflation natürlich einer Revision. Reichsfinanzminister Hennes154 war zu einer Adaption bereit155. Er schlug am 6. April 1923 für Bayern 2 Mrd M als Höchstgrenze vor156 ; das Biersteuergesetz vom 9. 7. 1923 und dessen Novelle vom 11. 8. 1923 mußten die Höchstgrenze weiter erhöhen, bis sie im September 1923 für Bayern die schwindelnde Höhe von 8483,488 Mrd M erreichte157• Insgesamt 20 Verordnungen suchten mit der Inflation Schritt zu halten; sie hinkten jedoch weit hinterher, so daß den ausgleichsberechtigten Staaten große Verluste entstanden. Die 20. Verordnung vom 26. 11. 1923 wurde nach der Stabilisierung erlassen und stellte die Biersteuersätze nach der neuen Goldmarkwährung auf; pro hl Bier mußten 5,- bis 6,10 M (Staffelung) Steuer bezahlt werden. Die Höchstbeträge für Bayern, Württemberg und Baden wurden ebenfalls umgerechnet. Die Unzufriedenheit dieser Länder mit der starren Grenze blieb. Dr. Schmelzle bemängelte, daß das Ziel des Gesetzes vom 24. Juni 1919 lediglich auf ein reichseinheitliches Biersteuersystem, nicht aber

auf eine Berücksichtigung der finanziellen Lage der Länder gerichtet war158• Der bayerische Landtag schlug bei seinem einmütigen Bekenntnis zu einer niedrigeren Biersteuer und einer Beseitigung der Begrenzung der Höchstabfindungssumme für die ehemaligen Biersteuerreservatländer schärfere Töne an159• Der Reichstagsabgeordnete Dr. Pfteger16o riet dem Ministerpräsidenten, den Staatsgerichtshof anzurufen, um eine gerechte Abfindung für den Verlust des Biersteuerreservats zu 154 Dr. Andreas Hermes, geb. 16. 7. 1878 Köln, gest. 4. 1. 1964 Krälingen; 1911-14 Leiter d. dt. Abt. d. Internat. Landwirtschaft!. Instituts in Rom; 1919 MinDir im Rwirtmin; 1924 ff. MdR und MdL-Preußen (Z); 1927 Dt. Delegierter zur Weltwirtschaftskonferenz zu Genf; 1928 Präs d. christl. Bauernvereine; 1930 Präs d. Reichsverbands der dt. Iandwirtschaft!. Genosschenschaften Raiffeisen e. V.; 30. 3. 1920-10.3.1922 RErnährungsMin; 26. 10. 1921-12. 8. 1923 RFinMin 1945 stellv. OB von Berlin; Mitbegründer u. Vors. der Ost-CDU; 1946 nach West-Dld., 1947-61 Leiter d. Raiffeisenverbandes; 1946-54 Präs d. Dt. Bauernverbandes; Vizepräs. d. Verbandes d. europ. Landwirtschaft. 155 Sehr. Hermes Nr. II st 969/Bu 28 vom 3. 3. 1923 an die RR-Ausschüsse VI, II und IV und an die Landesregierungen: "Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Gesetze über den Eintritt der Freistaaten Württemberg, Bayern und Baden in die Biersteuergemeinschaft." B.HStA.II, MA 103813. 156 Der RMin d Fin an die RR-Bevollmächtigten der Länder Nr. II st 2666 vom 6. 4. 1923; B.HStA.II, MA 103813. 157 Der RMin d Fin Nr. II st 7192/Bu 130 vom 17.10.1923; B.HStA.II, MA 103816. 158 Ministerratssitzung v. 13. Juli 1926; B.HStA.II, MA 103816. 159 Vgl. Vh BayLT (III/1925/26) StenBer Bd. IV, Nr. 131 vom 10. 11. 1926. 160 Dr. Franz Joseph Pfleger, geb. 31.8.1872 Pressath, gest. 4. 2. 1964 Weiden; 1912-18 und 1924-1933 MdR (Z/ dann BVP); nach 1945 OB in Weiden.

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4. Kap.: Von der Revolution bis zur Reichsfinanzreform

erreichen161. Am 14. März 1927 brachten BVP, Z, DVP und DNVP im Reichstag einen Initiativgesetzentwurf ein162, der die Heraufsetzung der Höchstgrenzen für Bayern auf 45 Mill M (Goldwert), für Württemberg auf 8,633 Mill Mund für Baden auf 5,755 Mill M bezweckte; er wurde mit einfacher Mehrheit angenommen. Im Reichsrat (6. 4. 1927) erhoben Preußen und Sachsen gegen den Gesetzentwurf Einspruch, für dessen Annahme im Reichstag sie eine Zweidrittelmehrheit für unumgänglich hielten. Sollte der Entwurf Gesetzeskraft erhalten, wollte Preußen den Staatsgerichtshof anrufen. Dr. von Wolf und Staatssekretär Popitz wiesen die Vorwürfe einer finanziellen Bevorzugung Süddeutschlands durch den Gesetzentwurf zurück und warnten vor einer Forderung der Spannungen zwischen Süd- und Norddeutschland. Für die Vollsitzung des Reichsrats am 7. April 1927 formulierte Wolf eine gemeinsame Erklärung Bayerns, Württembergs und Badens, die besagte, daß die angestrebte Neufestsetzung der Höchstbeträge lediglich eine Anpassung an die neue Währung darstellte. Auf Veranlassung Popitz' fügte er hinzu, daß die drei süddeutschen Länder die nunmehrige Regelung als endgültig ansehen wollten163. Preußen und Sachsen (auch Hamburg, Anhalt, Lippe und Waldeck hatten gegen den Entwurf gestimmt) wurden im Reichsrat überstimmt. Am 9. 4. 1927 trat das "Gesetz zur Änderung der Gesetze über den Eintritt der Freistaaten Württemberg, Bayern und Baden in die Biersteuergemeinschaft" zusammen mit dem neuen Finanzausgleichsgesetz in Kraft164. Finanzminister Krausneck hatte allen Grund, Reichskanzler Marx "aufrichtigen Dank" für dessen Bemühungen um das Zustandekommen des Finanzausgleichs mit der Neuregelung der Biersteuerabfindung auszusprechen165. Auch im bayerischen Landtag fand er Worte der Anerkennung für Reichsregierung und Reichstag. Gleichzeitig äußerte er sein Befremden über die Haltung Preußens, dessen Interessen die Neuregelung nicht berührte166. Das Biersteuergesetz garantierte Bayern Mehreinnahmen von über 17 Mill M167. Im Zusammenhang mit dem Finanzausgleich des Jahres 1927, der länderfreundlich ausfiel, be·w irkte diese Regelung der Abfindungsfrage eine 161 Sehr. Pflegers an Held v. 27. 11.1926; B.HStA.II, MA 103763. 162 Vh RT (III/1924-27) Drucks. Nr. 3094. 163 Ber. Wolfs v. 8. 4. 1927; B.HStA.II, MA 103816; als der Gesetzentwurf eingebracht wurde, hoffte die RReg, Preußen werde keine Schwierigkeiten machen: Referentenvermerk in der Rk vom 14. 3. 1927; BA, R 43 1/2388. 164 RGBl., S. 94; im Zusammenhang mit dem FAG vom 9. 4.1927; RGBI., s. 91 ff. 165 Sehr. vom 8. 4. 1927; BA, R 43 1/2388. 16& Vh Bay LT (IV/1926-27) StenBer Bd. VI, S. 624 vom 12. 4.1927; vgl. hierzu den Ber. Haniels an die Rk A. Nr. 266 vom 13. 4. 1927; BA, R 43 1/2223. 167 Von bisher 17,2 Mill M jetzt 45 Mill M; Württemberg von bisher 3,3 Mill M jetzt 8,633 Mill M; Baden von bisher 2,2 Mill M jetzt 5,755 Mill M.

IV. Die Abfindung für die Preisgabe von Reservatrechten

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beachtliche finanzielle Besserstellung der betroffenen Länder. Das Reich hoffte, dadurch die Länder für seinen Plan, das gesamte Realsteuerwesen reichsrechtlich zu regeln, zu gewinnen. Die preußische Regierung ließ indes keinen Zweifel daran, daß es ihr mit ihrer Drohung im Reichsrat ernst war. Auf der anderen Seite war weder den drei süddeutschen Staaten noch der Reichsregierung ein Prozeß vor dem Staatsgerichtshof lieb. Popitz empfahl daher dem stellvertretenden bayerischenBevollmächtigten Dr. von Wolf, die Süddeutsclten möchten sich mit Preußen gütlich einigen168 ; die bayerische Regierung glaubte jedoch nicht, daß eine befriedigende Emigung zu erreichen sei169. Ministerpräsident Braun kündigte am 12. Mai 1927 die Klage Preußens vor dem Staatsgerichtshof auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes vom 9. April 1927 an und reichte diese am 19. Mai in Leipzig ein170. Ministerpräsident Held war empört; gerade für Preußen, das selbst für die Ostsiedlung u. a. beträchtliche Sonderleistungen vom Reich erhalte, bestehe kein Grund zur Klage171 • Die Reichsregierung setzte auf Zeitgewinn und antwortete erst am 23. März 1928 mit einer Gegenerklärung auf den Antrag Preußens172• Bayern schloß sich den Ausführungen des Reichsfinanzministers Köhler an und unterstrich nochmals, daß das Gesetz vom 9. April 1927 dem Grundsatz der Gleichberechtigung aller Länder dadurch Rechnung trage, "daß es den Schaden der süddeutschen Länder auszugleichen versucht, den diese durch den Verlust ihres Biersteuerreservatrechts zugunsten des Reichs und in der Fo1ge durch den Währungsverlust erlitten haben" 173• Die Zwischenentscheidung des Staatsgerichtshofs vom 17. November 1928 gab Preußen grundsätzlich recht: "Das Gesetz vom 9. April 1927 zur Änderung der Gesetze über den Eintritt der Freistaaten Württemberg, Bayern und Baden in die Biersteuergemeinschaft ist ungültig." Allerdings sei die Reichsregierung berechtigt, die Höchstsummen der Biersteuerabfindungen aufzuwerten; bis zu einer endgültigen Regelung sollte die Weiterzahlung nach dem Gesetz vom 9. Apri11927 vorgenommen wer168 Ber. Wolfs an das B.Stmin d Fin vom 26. April 1927; B.HStA.II, MA 103816. 169 Vormerkung des Stmin d Äuß vom 29. 4. 1927; B.HStA.II, MA 103816. In diesem Sinne wurden die Regierungen in Stuttgart und Karlsruhe verständigt. 170 Vermerk der Rk Nr.1884 vom 13. 5.1927; BA, R 43 I/2388. 111 Vh BayLT (IV/1926-27) StenBer Bd. III, S. 770 v. 2. 6.1927. 172 Der RMin d Fin an den StGH IV 197328 vom 23. 3.1928; B.HStA.II, MA 103816 (Abschrift). 173 Schmelzle an den Vors. d. StGH f. d. Dt. Reich v.13.10.1928-Nr. 42983; am 19. 10. 1928 - Nr. IV 110006 - von Popitz mit Beipflichtung an den StGH weitergeleitet; B.HStA.II, MA 103816 (Abschrift).

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4. Kap.: Von der Revolution bis zur Reichsfinanzreform

denm. Preußen war ein äußerer Erfolg beschert; an der Sache änderte sich nichts. Das Reichsfinanzministerium hatte in der Verteidigung die Abfindungsfrage in den größeren Zusammenhang des Finanzausgleichs mit einbezogen und damit einem endgültigen Urteilsspruch des Staatsgerichtshofs entzogen17s. Hinsichtlich der Aufgabe des Biersteuerreservates war somit die Abfindung seit 1927 in einer Bayern einigermaßen zufriedenstellenden Weise geregelt. Die bayerische Regierung verfolgte nun in erster Linie die Gestaltung der Steuersätze durch das Reich mit Mißvergnügen. Die ständig steigende Biersteuer wirkte sich, so machte man geltend, auf die bayerische Wirtschaft hemmender aus als im übrigen Reichsgebiet. Als die Reichsregierung im Jahre 1929 die Steuersätze um 50 °/o heben wolltel76, stieß sie auf den Widerstand Bayerns, obwohl dessen Zuweisungen bei einer Steuererhöhung steigen würden. Unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise, die die Finanzen des Reichs schwer erschütterte, erwog man in Berlin sogar eine 1000Joige Anhebung der Biersteuersätze. Da in diesem Falle die BVP aus der Koalition ausgetreten und damit eine Regierungskrise heraufbeschworen hätte177, begnügte sich das Biersteueränderungsgesetz vom 15. April 1930 mit einer Biersteuererhöhung von fast 60 Ofo178• Daraufhin sank der Bierausstoß in Bayern von 14 Mill hl im Sudjahr 1928/29 auf 9 Mill hl 1932/33 (um 35,7 °/o); die erhofften Erträge blieben aus, die Verärgerung in Bayern wuchs. Brüning revidierte daher die Biersteuerpolitik dPr Reichsregierung; durch die Verordnung des Reichspräsidenten vom 19. März 1932 (RGBL, Nr. 18) wurden die Biersteuersätze in allen Stufen um 3,- RM pro hl wieder herabgesetzt. 174 StGH 4/1927; B.HStA.II, MA 103816; vgl. den Ber. Wolfs (inzwischen Präs d. Bay Staatsbank) an das B. Stmin d Fin über die Verhandlungen vor dem StGH vom 28.12.1928; B.HStA.II, a.a.O.; Wolf hatte Bayern vor dem StGH vertreten, an Hand einer von ihm angefertigten "Skizze" (20 Seiten) auf der Grundlage von Wolfs "DS über die Entschädigung Bayerns für seinen Verzicht auf das Biersteuersonderrecht" vom 11. 2.1927; B.HStA.II, a.a.O. 175 Zu einer endgültigen Entscheidung über die Höchstsätze kam es ebensowenig wie zu einem verfassungsändernden Gesetz (Wolf erkannte das schon 1928; vgl. seinen obigen Bericht); eine "Übersicht bei dem StGH anhängigen Streitsachen" (Abschrift zu RIM Nr. III t 3417) aus der Zeit des Dritten Reiches besagt hierzu: "Die Sache ruht mit der Zwischenentscheidung vom 17. Nov. 1928 und ist als erledigt zu betrachen." B.HStA.II, MA

103240.

Rk Nr. 6434 vom 28. 9. 1929; BA, R 43 1/2388. Vgl. das Sehr. Schmelzles an RPostMin Schätze! vom 20. 2. 1930; B.HStA.II MA 103815 (Abschrift). Schmelzle räumt eine höchstens 50 °/oige Steigerung ein, wobei die Biersteuerentschädigung gleichzeitig auf 67,5 Mill RM erhöht werden müsse. 11s RGBI., S. 136; gestaffelt von 9,50 bis 12,- RM pro hl Bier. 11& 171

IV. Die Abfindung für die Preisgabe von Reservatrechten

175

2. Die Ansprüche Bayerns aus der Eisenbahnabfindung

Im Bismarckschen Reich bestand kein einheitliches Eisenbahnwesen179. Art. 42 aRV verpflichtete lediglich die Länderregierungen, die Eisenbahnen "wie ein einheitliches Netz" zu verwalten. Nach der Revolution setzte sich die Reichsregierung die Vereinheitlichung der Eisenbahnen unter der Verwaltung des Reichs zum Ziel. Der Staatenausschuß bestand jedoch darauf, diese Frage nur im Vertragswege zu lösen. Damit war das Reich einverstanden. Allerdings sollte es nicht vom Belieben der Länder abhängen, ob überhaupt ein solcher Vertrag zustande kommt. Art. 171 RV bestimmte daher: "Die Staatseisenbahnen, Wasserstraßen und Seezeichen gehen spätestens am 1. April 1921 auf das Reich über. Soweit bis zum 1. Oktober 1920 noch keine Verständigung über die Bedingungen der Übernahme erzielt ist, entscheidet der Staatsgerichtshof." Zusammen mit Art. 89 RV, der es als "Aufgabe des Reiches" bezeichnete, "die dem allgemeinen Verkehre dienenden Eisenbahnen in sein Eigentum zu übernehmen und als einheitliche Verkehrsanstalt zu verwalten", war hierdurch über das Eisenbahnwesen in der Republik entschieden. Da die Eisenbahnen während des Krieges stark verschuldet waren, und die Nachkriegszeit keine rasche Sanierung erhoffen ließ, waren Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, Mecklenburg-Schwerin und Oldenburg zur Aufgabe ihres Eisenbahnreservates bereit. Der Termin der Überleitung auf das Reich wurde sogar vorverlegt (nach Art.171 RV: 1. 4.1921) auf den 1. 4.1920, da die Länder nach dem Verlust der direkten Steuern die finanzielle Belastung durch die Eisenbahnbetriebe nicht mehr tragen konnten. Am 30. 3. 1920 wurde die Übergabe in Form eines Staatsvertrages zwischen dem Reich und den Eisenbahnländern vollzogen, der mit Wirkung vom 1. 4. 1920 in Kraft trat (RGBL, S. 773). Der bayerische Landtag stimmte dem Vertrag trotz mancher Bedenken zu180. Das Reich übernahm die Schulden der Ländereisenbahnen181 und verpflichtete sich zu einer Entschädigungszahlung für die übernommenen Eisenbahnanlagen1B2 • Ein Schlußprotokoll des Vertrages enthielt für Bayern die Sonderregelung, daß die nach § 24 vorgesehene Art der Neugestaltung auf Bayern nur Anwendung finden solle, wenn "der Sitz der bayerischen Landesregie179 0. Hetlmann, Reichsbahn und Länder: Der Dt. Süden 4, 1929; W. Hoff, Eisenbahnen im Dt. Reich: HWBSt III, 41926, S. 587 ff.; Th. Kittel, Der Staatsvertrag über die Staatseisenbahnen, 1930; K. Rothmeier, Der Wiederaufbau der dt. Eisenbahnen: Polit. Zeitfragen 2, 1920; K. Stieler, Die dt. Eisenbahnen unter der alten und der neuen RV, 1924. 180 Vh BayLT (1919-20) Beilagen Bd. III, Nr. 1113 ff. (29. 2. 1920) und Beilage Nr. 1289 (30. 3. 1920). 181 BA, R 2/23754, 3912-3913, 1958-1962, 23713. 182 BA, R 2/23712.

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4. Kap.: Von der Revolution bis zur Reichsfinanzreform

rung auch ferner der Sitz einer im wesentlichen das bayeriscll.e Wirtschaftsgebiet zusammenfassenden Reichseisenbahnbehörde bleibt". Das Reichsverkehrsministerium richtete dementsprechend in München eine "Zweigstelle Bayern" ein. Die Zinsen aus den Abfindungsverträgen wurden anfangs bezahlt, dann aber seit September 1923 eilllgestellt. Die Tilgung der Grundschuld ließ vollends auf sich warten. Die bayerische Regierung drängte jedoch nicht auf Erfüllung der Verpflichtungen des Reiches, um zu gegebener Zeit die Versäumnisse des Reichs als Druckmittel verwenden zu können. Als sich die finanzielle Lage Bayerns nach dem Finanzausgleich des Jahres 1923 und der wirtschaftlichen Stabilisierung einigermaßen günstig gestaltete, war München gar nicht mehr an einer finanziellen Regelung der Abfindungsfrage gelegen, wohl aber daran, eine größere Selbständigkeit des bayerischen Eisenbahnbezirks oder gar dessen Rückübertragung zu erreichen. Die bayerische Denkschrift vom Januar 1924183 wies auf die Unzufriedenheit hin, die sich in Bayern bezüglich der vom Reich verwalteten Eisenbahn, breitmache. Man würde daher die Rückgabe der bayerischen Eisenbahnen unter die Verwaltung der Landesregierung befürworten, da Bayern sonst tariflich und wirtschaftlich nicht genügend berücksichtigt werde. Schon 1919/20 seien große Bevölkerungsteile der Ansicht gewesen, "daß der Besitz eines politisch und wirtschaftlich so wichtigen Machtmittels, wie die Eisenbahnen, ein notwendiges Attribut der Staatlichkeit sei und deshalb nicht preisgegeben werden sollte" (S. 9). Ministerpräsident Held schrieb an Finanzminister Krausneck, aus taktischen Gründen müsse man an Verhandlungen über die Abfindungsfrage festhalten. "In sachlicher Hinsicht erscheint es mir aber keineswegs erwünscht, daß Bayern die Verhandlungen weitertreibt und daß es tatsächlich in den Besitz der Abfindungssumme gelangt. Die föderalistische Auffassung von dem Verhältnisse Bayerns zum Reich, die der Politik Bayerns die Richtung gibt, muß aucll. auf dem Gebiete des Eisenbahnwesens zum Ausdruck kommen. Aus ihr ergibt sich für Bayern.die Pflicht, an dem Streben nach der Wiedergewinnung der Selbständigkeit des bayerischen Eisenbahnwesens festzuhalten und die Hoffnung auf eine Erreichung dieses Zieles ... im bayerischen Volke zu erhalten und zu nähren. Die Pflege dieses Gedankens wird aber ungeheuer erschwert und fast unmöglich gemacht, wenn das Reich die Abfindungssumme für die Abtretung der bayerischen Bahnen bezahlt und Bayern sich damit zufrieden gibt184." Die bayerische Denkschrift von 1926 185 hielt am Postulat einer Rück183 B.HStA.II, MA 103253. 184 Held an Krausneck am 24. 12. 1924; B.HStA.I, MWi 8894. Vgl. ein ähnliches Sehr d. B. Stmin f Handel, Ind. u. Gewerbe an das Stmin d Fin vom 10. 4.1924; B.HStA.I, MWi 8894. 185 B.HStA.II, MA 103253.

IV. Die Abfindung für die Preisgabe von Reservatrechten

177

Übertragung der bayerischen Eisenbahnen fest, ohne auf dieser Forderung noch so zu beharren wie ihre Vorgängerio vor zwei Jahren. Zu der Abmachung vom 21. August 1924, die anläßlich der Gründung der Reichsbahngesellschaft am 6. September 1924 (RGBl., S. 272) getroffen worden war, gab Bayern nie seine Zustimmung. Es hielt sich dadurch die Frage der Abfindung offen. Die Ansprüche der Länder aus der Eisenbahnabfindung betrugen ursprünglich 39 Mrd M, wovon etwa vier Fünftel durch Schuldübernahme abgegolten wurden. Da jedoch die vom Reich übernommenen Länderschulden durch die Inflation zum größten Teil wegfielen, forderten die Länder eine Erhöhung der Restabfindungtso. Das Reich brachte dagegen vor, es habe die Staatseisenbahnen in schlechtem Zustand übernommen187. Auch als die Aufwertungsrate mehr als 20 °/o betrug, gab sich Bayern nicht zufrieden. Im Jahre 1928 rief Bayern mit anderen ehemaligen Eisenbahnländern den Staatsgerichtshof an, da das Reich seit September 1923 die Auszahlung der Zinsen für die Eisenbahn- und Postabfindung eingestellt hatte188. Bei diesen Auseinandersetzungen war jedoch nicht Bayern, sondern Preußen die treibende Kraft189. Reichsfinanzminister Hilferding190 lud Vertreter der Regierungen Preußens, Bayerns, Sachsens und Württembergs zu einer Aussprache über die Abfindungsfrage nach Berlin ein191. Hilferding war bereit, die Ansprüche der Länder reichsgesetzlich anzuerkennen, bat jedoch, deren Effektuierung und Verzinsung bis zu einer Zeit auszusetzen, in der das Reich wieder die volle Verfügungsgewalt über die Eisenbahnen, die momentan durch die Reparationen belastet waren, erlangen würde. Dieses Angebot der Reichsregierung befriedigte die Länder nicht. 186 Sehr. d. Stmin d Äuß an d. Stmin d Fin v. 23. 6. 1926; B.HStA.I, MWi 8894. 187 Vgl. die Gegenerklärung des Rfinmin vor dem StGH v. 26. 11. 1932; B.HStA.I, MWi 8894 (Abschrift). 188 Sehr. d. B.Stmin d Fin an den StGH vom 28. 12. 1928; B.HStA, I, MWi 8894. 189 Vgl. das Sehr. d. preuß. FinMin an den Vors. d. StGH vom 27. 6. 1932; B.HStA.I, MWi 8894. 190 Dr. Rudolf Hilferding, geb. 10. 8. 1877 Wien, gest. 10. 2. 1941 in einem Pariser Gestapo-Gefängnis; Arzt; 1907-15 Redakteur des "Vorwärts", 1918 bis 22 Chefredakteur der "Freiheit" (USPD); 1920 zur SPD, bald in deren Parteivorstand; 1921 MdReichswirtschaftsrates; 1923 MdSozialisierungskommission; 1924-33 MdR (SPD); 13. 8.-4.10.1923 und 28. 6. 1928-21. 12. 1929 RFinmin; 1933 Emigration Schweiz und Frankreich. Führende Persönlichkeit des Austromarxismus; trug zur Belebung des theoretischen Interesses innerhalb der Sozialdemokratie an wirtschaftswiss. Fragen bei; wollte die Marxsche Lehre fortführen, um auch Erscheinungen des Hochkapitalismus erfassen zu können. Vgl. C. Bauer, Hilferding: Staatslexikon IV, 61959, S. 76 f.; G. Stavenhagen, R. Hilferding: HWBSoz V, 21956, S. 119 ff. 191 Rk Nr. 654 vom 26. 1. 1929; BA, R 43 I/2334. 12 Menges

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4. Kap.: Von der Revolution bis zur Reichsfinanzreform

Im April 1929 verhandelten Held und Schmelzle nochmals gesondert mit dem Reichsfinanzminister, um eventuelle Vergünstigungen für Bayern zu erwirken. Als Voraussetzung hätte Bayern jP.doch seine Klage vor dem Staatsgerichtshof zurückziehen müssen, wozu es nicht bereit war192• Am 28. Februar 1930 fand wiederum eine Besprechung zwischen dem Reich und den ehemaligen Eisenbahnländern statt. Der Reichsfinanzminister legte den Entwurf einer Vereinbarung vor, nach welcher die Ansprüche der Länder aus der Eisenbahnabfindung grundsätzlich anerkannt, jedoch erst bei Ablauf der Reparationsverpflichtungen der Reichsbahn erfüllt werden sollten. Immerhin wollte das Reich jedoch ab 1. 4. 1931 mit einer Anzahlung beginnen: Die Einnahmen aus 500 Mill Goldmark Reichsbahnvorzugsaktien sollten mit einer garantierten Dividende von 7 °/o an die ehemaligen Eisenbahnländer ausgeschüttet werden193• Über den Verteilungsschlüssel ließ sich jedoch keine Einigung erzielen194• Inzwischen hatte sich die finanzielle Lage Bayerns dermaßen verschlechtert, daß die Bereitschaft zur Auszahlung der 35 Mill RM Dividende als kleine Linderung begrüßt wurde. Aber auch die Reichsfinanzen erreichten einen Tiefstand, der die Einlösung des Versprechens nicht erlaubte. Staatsrat Schäffer beantragte daher beim Staatsgerichtshof, das Reich möge zur Auszahlung von 4,5 Mill RM in Anrechnung auf seine Ansprüche verpflichtet werden195. Das Reich wollte sich nicht mehr an seine Vorschläge von 1930 halten19&. Es nützte die Uneinigkeit unter den Ländern über den Verteilungsschlüssel aus, um Auszahlungen hinauszuschieben. Das gelang ihm. Hitler beendete die Diskussion um die Abfindung aus dem Eisenbahnreservat durch seine Politik der Gleichschaltung. 3. Die Ansprüche Bayerns aus der Postabfindung

Das Haus Thurn und Taxis erhielt 1615 das Postmonopol als erbliches Reichslehen für das ganze Reich. Bayern stimmte in Verträgen 192 Die anderen abfindungsberechtigten Länder verübelten es der bayerischen Regierung, daß sie in Berlin gesondert sondierte (vgl. den Schwäbischen Merkur vom 16. 5. 1929). 193 Sehr. d. RFinmin v. 8. 3.1930; B.HStA.I, MWi 8894 u. BA, R 43 1/2335. 194 Sehr. d. B. Stmin d Fin an den StGH f d Dt. Reich v. 1.10.1932; B.HStA.I, MWi 8894; vgl. auch die Vh BayLT StenBer 1931 Bd. V v. 23.1. 1931. Preußen u. Bayern wünschten eine Verteilung nach Substanz und Ertrag der früheren Staatseisenbahnen, das Reich zog eine Verteilung nach dem Abfindungsrest vor. 195 Sehr. d. Stmin d Fin an den StGH f d Dt. Reich v. 1.10.1932; B.HStA.I, MWi 8894. 19& Besprech. auf d FinMinKonf. v. 23. 8. 1932; s. dazu d. Sehr. d. B. Stmin d Fin an das Rfinmin v. 25. 8. 1932; B.HStA.I, MWi 8894.

IV. Die Abfindung für die Preisgabe von Reservatrechten

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von 1664 und 1784 diesem Monopol zu, wobei letzterer Vertrag dem Kurfürsten die Mitbestimmung hinsichtlich der Postlinien und -gebühren einräumte sowie festsetzte, daß innerhalb Bayerns nur bayerische Staatsangehörige zum Postdienst zugelassen werden sollten197• 1.806 erklärte sich Bayern kurzerhand zum Eigentümer des Postwesens auf seinem Territorium; königliche Kommissäre übernahmen die Oberaufsicht. Im Jahre 1818 entstand dann die "Generaldirektion der Kgl. Posten". Im Bismarckscllen Reich blieb das bayerische Postverkehrsgebiet selbständig erhalten. Art. 52 aRV nahm Württemberg und Bayern von den Bestimmungen der Art. 48 bis 51 aRV aus, die das reichseinheitliche Post- und Telegraphenwesen regelten. Die Weimarer Nationalversammlung beseitigte das Postreservat, das Bayern und Württemberg schwerlich als für ihre staatliche Existenz lebensnotwendig begründen konnten. Art. 88 RV besagte: "Das Postund Telegraphenwesen samt dem Fernsprechwesen ist ausschließlich Sache des Reichs . .. " Art. 170 RV forderte die Überleitung der Postund Telegraphenverwaltungen Bayerns und Württembergs spätestens am 1. April 1921 auf das Reich. Soweit bis zum 1. Oktober 1920 noch keine Verständigung über die Bedingungen der Übernahme erzielt sei, sollte der Staatsgerichtshof entscheiden. Ähnlich wie in der Eisenbahnfrage kam bereits im Frühjahr 1920 eine Einigung zustande. Ein Staatsvertrag vom 29. März 1920 regelte die Überleitung der bayerischen Post198 am 1. April 1920. Das Reich übernahm das gesamte Eigentum der bayerischen Post- und Telegraphenverwaltung mit allen Rechten und Pflichten (§ 1) und vergütete Bayern hierfür den Betrag von 820 Mill M, der ab dem 1. 4. 1920 mit 4,5 Ofo verzinst wurde. Die Tilgung der Kapitalschuld blieb einer späteren Regelung vorbehalten (§ 2). In München wurde eine Abteilung des Reichspostministeriums mit besonderen Befugnissen für den innerbayerischenVerkehr gegründet, deren Aufhebung der vorherigen Verständigung zwischen den vertragschließenden Regierungen vorbehalten wurde (§ 4). Außerdem garantierte der Vertrag die Anstellung bayeriscller Staatsbürger und die Berücksichtigung bayerischer WirtschafUrlnteressen. Der Staatsvertrag mit Bayern blieb auch unberührt, als durch das Reichspostfinanzgesetz vom 18. 3. 1924 (RGBl., S. 287) der Post- und Telegraphenbetrieb in ein selbständiges Unternehmen mit der Bezeichnung "Deutsche Reichspost" umgewandelt wurde (§ 13 des Gesetzes). Die bayerische Abteilung der Reichspost wurde von einem Staatssekretär von München aus geleitet, der nur mit Einwilligung der bayerischen Regierung ernannt werden konnte. t97 198

12°

HWB d. Postwesens, 1927, S. 77 ff. Verkündet durch Gesetz vom 1. 4. 1920, RGBI., S. 643.

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4. Kap.: Von der Revolution bis zur Reichsfinanzreform

Wie bei der Eisenbahnabfindung stellte das Reich im September 1923 die Zinszahlungen ein; an eine Tilgung der Grundschuld war gar nicht zu denken. Die bayerische Denkschrift vom Januar 1924 bemerkte daher, ein auf die Dauer befriedigender Zustand könnte nur geschaffen werden, wenn Bayern im Postwesen "die zur Wahrung seiner Belange unerläßliche Selbständigkeit wiedererhält" 199• Ansonsten hielt sich die bayerische Regierung in ihrer Kritik ziemlich zurück, da die Verhältnisse im Postwesen tatsächlich weniger Grund zur Klage gaben als etwa bei den Eisenbahnen. Der bayerische Einfluß auf die Post war innerhalb der Landesgrenzen unbestritten und trat auch auf Reichsebene in Erscheinung, wenn sich die BVP an einer Reichskoalition beteiligte. Im Kabinett Cuno200 und seit dem 15. Januar 1925 standen die BVP-Politiker Stingl (bis 28. 1. 1927) und Schätzel (29. 1. 1927 bis 30. 5. 1932) dem Reichspostministerium vor. Anläßlich der Besoldungsreform 1927, die Bayern in finanzielle Verlegenheit brachte, trat die Regierung in München erstmals ernsthaft an das Problem der Postabfindung heran. Reichsfinanzminister Köhler versprach, einen Vorschuß von 35 Mill M zu zahlen; die schlechte finanzielle Lage des Reiches stand jedoch der Einlösung des Versprechens entgegen201 • Außerdem hintertrieben Preußen und Sachsen ein mögliches Entgegenkommen des Reiches2B2 • Reichspostminister Schätze! legte im September 1928 nochmals den Standpunkt der bayerischen Regierung dar2B3 : Der Gesamtbetrag der bayerischen Postabfindung liege nach der Stabilisierung zwischen 100 und 200 Mill Goldmark. Selbst bei einem Ansatz von 100 Mill Goldmark ergebe sich bei einer Verzinsung von 4,5 Gfn für das Reich ein rückständiger Zinsbetrag von 36 Mill RM. Es stehe demnach der bayerischen Regierung zu, wenigstens den zwischen Köhler und Schmelzle vereinbarten Vorschuß von 35 Mill RM zu verlangen. Die Reichsregierung bestritt nicht, daß Bayern und Württemberg Anspruch auf Auszahlung der Postabfindung habe, vertröstete jedoch die beiden Länder auf spätere Zeiten. Im übrigen bemerkte Reichsfinanzminister Hilferding, "daß ein schriftliches Versprechen des früheren Reichsfinanzministers über die Gewährung eines Betrages (sc. von 35 Mill RM) in den Akten des Reichsfinanzministeriums nicht vorhanden" sei2G4. DS 1924, S. 9; B.HStA.II, MA 103253. Dr. Wilhelm Cuno, geb. 2. 7. 1876 Suhl, gest. 5. 1. 1933 Berlin; parteilos; 1907 im Reichsschatzamt; 1916 Generalref. f. kriegswirtschaftl. Fragen im Reichsschatzamt; 1918 Generaldir. d. Hapag (Hamburg-Amerika-Linie); 22. 11. 1922-12. 8. 1923 Reichskanzler. 2Gt Vermerk der Rk vom 3. 5. 1928 und Sehr. d. RPostMin an SS Pünder vom 18. 9. 1928; BA, R 43 I/2224. 202 Sehr. d . sächs. MinPräs Heldt an den RK vom 18. 3. 1927 ; B.HStA.I, MWi 8894 (Abschrift). 2GS Vermerk Rk 6964 vom 18. 9.1928; BA, R 43 I/2234. 204 Prot. d. Reichskab. Sitz. v. 17. 12. 1928, Rk Nr. 9365; BA, R 43 I/2234. 199 2Go

IV. Die Abfindung für die Preisgabe von Reservatrechten

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Nachdem auch eine Unterredung zwischen Ministerpräsident Held und Reichskanzler Müller ergebnislos verlaufen waz-2°5, reichte Bayern am 8. Januar 1929 beim Staatsgerichtshof Klage gegen das Reich ein206• Die Reichsregierung mußte nun aus ihrer Reserve heraustreten. Sie kündigte einen Gesetzentwurf an, der die gesamte Abfindungsfrage lösen sollte. Ein solcher Gesetzentwurf ließ freilich einige Jahre auf sich warten. Inzwischen trat die Misere in den bayerischen Finanzen immer deutlicher zutage und verschärfte die Diskussion um Auszahlung der Abfindungsansprüche. Preger wurde von Ministerpräsident Held angewiesen, beim Reichskanzler auf eine baldmögliche Entscheidung in der Abfindungsfrage zu drängen und für Bayern einen Vorschuß von 5,6 Mill RM (von der Postabfindung) zu erwirken207• Dieser Betrag sollte helfen, das Defizit von 6 Mill RM im bayerischen Staatshaushalt zu decken. Die Reichsregierung nützte die Notlage der bayerischen Regierung aus. Zunächst ließ sie auf die Antwort wartenl!os. Dann nannte sie Bedingungen: Bayern solle die Höhe der Gesamtforderungen herabsetzen und die Klage beim Staatsgerichtshof zurückziehen; vor allem müsse es dem Wirtschafts- und Finanzplan der Regierung Brüning zustimmen. Held und Schäffer schalteten sich nun persönlich in die Verhandlungen ein. Die Übereinkunft Helds mit der Reichsregierung sah die Zurücknahme der bayerischen Klage vor und die Festlegung der Gesamtforderung auf 120 Mill M. Außerdem sagte Brüning Bayern nach Annahme des Finanz- und Wirtschaftsplanes der Reichsregierung die Überweisung von 5,6 Mill RM aus der Postabfindung zur Deckung des bayerischen Haushaltsdefizits (1931/32) zu209. Im Jahre 1931 hatte der bayerische Staatshaushalt wiederum wirksame Hilfe nötig. Staatsrat Schäffer erinnerte die Reichsregierung 205 Aufzeichnung über die Besprechung Helds mit RK Müller am 29. 12. 1928; BA, R 43 I/2389. Held wurde belehrt, daß ein einzelner Minister überhaupt keine bindenden Abmachungen treffen könne, obwohl die moralische Pflicht des Reichs zur Einlösung der Versprechen grundsätzlich anerkannt wurde. 206 StGH 10/28; die Klage wurde erst am 20. 7. 1933 wieder offiziell zurückgezogen; B.HStA.I, MWi 8894. Vgl. auch BA, R 43 I/2234, Vermerk der Rk Nr.177 vom 8. 1. 1929. Gleichzeitig überreichten alle Post- und Eisenbahnländer ihre Klagen. Die bayerische Klage erstreckte sich auf Zahlung von 4 1/2 °/o Zinsen von einem Betrag von 152 Mill RM ab 1. Okt. 1923 (Postabfindung) sowie auf Zahlung von 4 °/o Zinsen von einem Betrag von 128 Mill Goldmark. 207 Vermerk der Rk Nr. 9082 v. 25. 10. 1930; BA, R 43 I/2007. 208 Held erhielt sie erst eine Stunde vor einer entsprechenden Stellungnahme im BayLT. Dr. von Preger beklagte sich, daß "sich die maßgeblichen Stellen der RReg einfach nicht sprechen ließen". Vermerk der Rk über einen Anruf des Gesandten vom 28. 10. 1930; BA, R 43 I/2007. 209 Niederschrift der Besprechung vom 30. 10. 1930 und ergänzende Niederschrift zum Prot. vom 30. 10. 1930; BA, R 43 I/2007.

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4. Kap.: Von der Revolution bis zur Reichsfinanzreform

daher an die Verzinsung des Restbetrags der Postabfindung210. Der Reichspostminister, der für die Abfindungszahlungen aufzukommen hatte, konnte jedoch auf der Grundlage des Abkommens vom 30. Oktober 1930 keine Zahlungen vornehmen, da diese Vereinbarungen vom Verwaltungsrat der Reichspost noch nicht gebilligt waren211 . Das Reichsfinanzministeriwn lehnte eine Vorschußleistung anfänglich ab, überwies jedoch auf das heftige Drängen Schäffers212 und Helds213 hin am 17. Oktober 1931 einen Betrag von 1,5 Mill RM als Vorschuß auf die Kapitalsumme der Postabfindung. Inzwischen hatte die Reichsregierung den Entwurf eines Gesetzes über die Postabfindung ausarbeiten lassen, deren Gesamtwert (Kapital und Zinsen) 133,34 Mill RM betragen sollte. Bevor der Entwurf an die gesetzgebenden Körperschaften weitergeleitet wurde, erschien Schäffer zu Verhandlungen in Berlin214 • Man einigte sich auf Jahresraten, die vom 1. Januar 1930 an 22 Jahre lang in Höhe von 4,35 Mill RM von der Reichspost an Bayern zu zahlen seien215. Am 8. März 1932 lag der Gesetzentwurf dem Reichsrat zur Stellungnahme vor216• Sofort erhoben sich Gegenstimmen. Reichsbankpräsident Dr. Luther empfahl Bayern, sein Haushaltsdefizit durch sparsame Finanzgebarung zu vermeiden. Preußen kündigte seinen Widerstand gegen den Entwurf an, da seine Entschädigungsansprüche nicht gleichzeitig behandelt wurden217. Der Arbeitsausschuß des Verwaltungsrats der Reichspost vertrat die Auffassung, das Reich müsse die Zahlungen vorschußweise leisten, solange das Gesetz über die Postabfindung noch nicht verabschiedet worden sei218. Auf den Druck der Reichsregierung hin stimmte der Verwaltungsrat am 15. März dem Entwurf jedoch zu. Nun erhob allerdings Preußen Klage beim Staatsgerichtshof219 • In der Zeit 21o Schäffer an den RFinMin am 6. 10. 1931; BA, R 43 I/2007. Schäffer errechnete für das erste Rechnungshalbjahr einen Betrag von 1,53 Mill RM aus der Verzinsung. 211 Vermerk derRk vom 15. 10.1931; BA, R 43 I/2007. 211 Telegramm vom 13. 10. 1931; BA, R 43 1/2007. 213 Held an den Reichskanzler am 13. 10. 1931; BA, R 43 I/2007. 214 Rk Nr. 667 vom 20. 1.1932; BA, R 43 I/2007. 21s Vermerk über d Besprech. in d Rk v. 21. 1. 1932. Endgültige Fassung: BA, R 43 I/2007 fol. 279. Württemberg waren zuvor schon Raten zu 4 Mill RM zugesagt worden. Als Schäffer von der verhältnismäßig günst. Abmachung mit Württemberg erfuhr, wollte er auch f. Bayern eine vorteilhaftere Abmachung erreichen. Schließ!. unterschrieb er doch am 26.2.1932 die Vereinbarung v. 20. 1.1932; Niederschrift über eine Besprechung im RT am 26. 2. 1932; BA, R 43 I/2007. 216 Vh RR 1932, Drucks. Nr. 40. 217 Niederschrift über die Reichskabinettssitzung vom 29. 2. 1932; BA, R 43 I/2007 fol. 291. 218 Sehr. d. RMin d Fin an den SS in der Rk vom 8. 3. 1932; BA, R 43 I/2007 fol. 296 ff. 219 Mitteil. d. preuß. MinPräs v. 15. 3.1932; BA, R 43 I/2007 fol. 306.

IV. Die Abfindung für die Preisgabe von Reservatrechten

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der Weimarer Republik kam es daher zu keiner endgültigen Regelung der Postabfindungsfrage mehr. Obwohl die Abfindung für das Eisenbahn-, Post- und Telegraphenwesen durch Staatsverträge garantiert war, gelangten die berechtigten Länder überhaupt nicht oder nur teilweise in deren Genuß. Durch diese praktisch entschädigungslose Enteignung von Staatseigentum wurde nicht nur die finanzielle Grundlage der Länder erschüttert. Das Reich verlor durch Mißachtung seiner vertraglichen Verpflichtungen an Autorität und Glaubwürdigkeit.

Fünftes Kapitel

Die Erzbergersehe Reichsfinanzreform I. Die Notwendigkeit einer Reichsfinanzreform und deren Zielsetzung 1. Die Nachkriegssituation

Die vielfältigen Aufgaben unmittelbar nach Kriegsende kamen der Tendenz des Reiches nach Kompetenzerweiterung entgegen. Die Demobilisierung war durchzuführen, Kriegsschäden aller Art drängten auf Wiedergutmachung, die Kriegsinvaliden und -hinterbliebenen erwarteten von der sozialistischen Regierung angemessene Renten, Zinsen und Schulden waren zu begleichen, die Ausführung des Friedensvertrages und der Reparationsleistungen ließen einen ungeheuren finanziellen Aufwand erahnen. Die neuen Machthaber, die sozialen Fortschritt und soziale Gleichberechtigung auf ihre Fahnen geschrieben hatten, konnten sich mit einer rein fiskalischen Zielsetzung der Finanzpolitik nicht zufrieden geben. Sie mußten die wirtschafts-, sozial- und außenpolitischen Momente so miteinander verbinden, daß Maßnahmen auf einem Gebiet sich zugleich positiv auf anderen Gebieten auswirkten. Die bewußte Lenkung im sozialen Sektor durcll den Staat bewirkte eine gewaltige Kompetenzerweiterung des Staates allgemein, nach dem Willen der Nationalversammlung: des Reiches im besonderen. Ihm hatte die Nationalversammlung die Sorge um die Sanierung der Finanzen vorrangig ans Herz .gelegt. Um dieses schwierige Ziel zu erreichen, wollte man die Produktion der deutschen Wirtschaft erhöhen, Kredite aufnehmen, um Rohstoffe zu beschaffen und die schwebenden Schulden zu konsolidieren. Daß die Steuern bis an die Grenze des Möglichen angezogen werden mußten, war jedem klar. Eben diese Notwendigkeit machte eine tiefgreifende, schnell realisierbare Finanzreform unumgänglich. 2. Erzherger

Am 21. Juni 1919 übernahm Mattbias Erzherger die Leitung des Reichsfinanzministeriums und fungierte gleichzeitig als Stellvertreter des Regierungschefs Gustav Bauer1• Der ehemalige Volksschullehrer

I. Notwendigkeit und Zielsetzung einer Reichsfinanzreform

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war nach dem Studium der Geschichte 1896 bis 1903 Redakteur des "Deutschen Volksblattes" in Stuttgart und gehörte seit 1903 als Zentrumsabgeordneter dem Reichstag an. Sehr bald zählte er zu den prominentesten Vertretern seiner Partei. 1913 übte er maßgeblichen Einfluß auf die Einführung des Wehrbeitrags2 aus. Während des Krieges trat er für eine Verfassungsreform und für einen Verständigungsfrieden ein; sein Anteil an der Friedensresolution des Reichstags vom 19.7.1917 ist bekannt. Durch seine Mitwirkung am Waffenstillstandsabkommen von Compiegne (11.11. 1918) und seinen eisernen Willen zur Erfüllungspolitik trat Erzherger vollends ins Rampenlicht der Öffentlichkeit. Seine kämpferische, kompromißlose Natur erbrachte ihm eine riesige Gegnerschaft, die von der äußersten Rechten bis in seine eigene Partei hineinreichte (im Zentrum u. a. P. Spahn und Graf Hertling). Helfferich gelang es, den erfolgreichen Reichsfinanzminister durch einen Prozeß im Frühjahr 1920 zu Fall zu bringen. Das Gericht, das Erzherger keineswegs geneigt war, bestätigte dem Reichsfinanzminister "zweifellose Begabung, vorbildlichen Fleiß, ein bewundernswertes Gedächtnis, große Tatkraft und außerordentliche Rührigkeit", aber auch einen "bedauerlichen Mangel an Urteilskraft und eine geradezu erstaunliche Ungenauigkeit in allen Dingen"3 • Politik war diesem glänzenden Redner Hauptberuf und W esenselement. Mit feinem Gespür erfaßte er kommende politische Entwicklungen. Seine unbegrenzte Verantwortungsfreudigkeit ließ ihn vor keiner Aufgabe zurückschrecken. Er bezeichnete sich selbst als einen "Mann der Arbeit", "der das ,ora et labora' stets hochgehalten hat als Segenbringender für das Volk wie als Grundlage jeder Kultur" 4 • Als raschem Vielarbeiter eignete ihm allerdings eine gewisse Oberflächlichkeit und Betriebsamkeit an. Sein Optimismus, mit dem er die schwierigsten Probleme anging, wurde bewundert, seine Indiskretion gefürchtet. Es war bekannt, daß Erzherger immer für eine Verstärkung der Reichsidee eingetreten ist und sich lange vor der Revolution für direkte Reichssteuern ausgesprochen hatte. Als Reichsfinanzminister sollte er gänzlich zum "verrufenen Feind aller föderalistischen Kräfte" 5 werden6 • 1 Gustav Bauer, geb. 6. 1. 1870 Darkehmen, gest. 6. 9.1944 Berlin; 1903 Arbeitersekretär; 1908 2. Vors. d. Generalkommission d. Gewerkschaften; 1912 ff. MdR (SPD); 13. 2. bis 20. 6.1919 RArbeitsMin; 21. 6. 1919-26. 3. 1920 Reichskanzler; 1. 5. -8. 6. 1920 RVerkehrsMin; 27. 3.-1. 5. 1920 RSchatzMin; 10. 5. bis 14. 11. 1922 Vizekanzler und RSchatzMin. Unter seiner Kanzlerschaft wurde die RV verabschiedet, der Versailler Vertrag unterschrieben und die Reichsfinanzreform durchgeführt. 2 Vgl. M. Erzberger, Der Wehrbeitrag, 1913. a Zit. nach R. Morsey, Erzberger; Staatslexikon III, &1959, Sp. 38. 4 In d NV am 8. 7. 1919. Zit. nach M . Erzberger, Reden, 1919, S. 19. s G. Schulz, Zw. Demokratie und Diktatur, 1963, S. 364. 6 Vgl. K. Epstein, Erzberger: Neue Dt. Biographie IV, 1959, S. 638 ff.; ders., Mattbias Erzherger u. das Dilemma d dt. Demokratie, 1962; B. B. Frye, Erz-

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5. Kap.: Die Erzbergersehe Reichsfinanzreform 3. Erzhergers Reformplan

Nachdem Schiffer und Demburg resigniert den Sessel des Reichsfinanzministers verlassen hatten, erschien Erzherger als der geeignete Mann, die Finanzen des Reiches in Ordnung zu bringen. Jedenfalls besaß er genug Selbstbewußtsein, politischen Spürsinn und energische Entschlossenheit, die vielfältigen im Reichsfinanzministerium in Ausarbeitung befindlichen Reformpläne zu koordinieren, sie in seinem Sinne zu prägen und in der Nationalversammlung durchzusetzen. Wovor jeder Eingeweihte zurückschreckte, das nahm Erzherger frischen Muts in Angriff: Er wollte sich nicht mit einem Flickwerk begnügen, sondern dachte von Anfang an an eine grundlegende Neugestaltung des Finanzwesens von Reich, Ländern und Gemeinden. Die Reform sollte die riesigen Reichsschulden liquidieren und Ordnung in die Etats bringen sowie gleichzeitig ohne Staatsbankrott die Inflation bekämpfen und die Währung sanieren. Das künftige Reformwerk sollte das finanzpolitische Verhältnis zwischen Reich, Ländern und Gemeinden den neuen, auf den Einheitsstaat ausgerichteten Verhältnissen, wie sie die Weimarer Koalition sah, anpassen und der Wirtschaft einen Aufschwung ermöglichen. Der kath. Soziallehre verbunden, erkannte Erzberger außerdem die Bedeutung der Finanzverfassung für die Gesellschaftspolitik. Er bekannte in der Nationalversammlung: "Ein guter Finanzminister ist der beste Sozialisierungsminister", denn "gerechte Steuern stellen eine rasch wirkende vorzügliche Sozialisierung dar7.'' Die Steuern dürften nicht mehr als unangenehme Notwendigkeit betrachtet werden. "Die Steuern, die jetzt geschaffen werden, müssen zu einer Wohltat für unser Volk werden8 ." Er sang "das hohe Lied des sozialen Geistes, der Solidarität", indem er betonte, "daß eine richtige Steuergesetzgebung einzuwirken habe auf die Verteilung der Volksgüter" 9 • "Das Privateigentum findet seine Begründung, aber auch seine Begrenzung durch das Sozialinteresse. Das Interesse des gesamten Volkskörpers geht dem Interesse des einzelnen vor. Das ist auch der tiefste Sinn der ganzen gegenwärtigen Sozialisierungsströmung. Das muß auch der Leitgedanke bei der Steuerreform sein.'' Es müsse der christliche Gesichtspunkt zum Ausdruck kommen, "daß der berger and German Politics 1914-1921, 1954; H. Goslar, Erzherger in Weimar. Einige Erinnerungen: Germania vom 3. 9. 1921; R. Morsey, Erzberger: Staatslexikon III &1959, Sp. 36 ff.; E. Knupfer, Erzberger: Staatslexikon I, 51926, Sp.1742 ff. 7 Am 8. Juli 1919; zit. nach M. Erzberger, Reden, 1919, S. 5. Der Begriff "Sozialisierung" deutet bei Erzberger mehr auf eine Mittelstandspolitik hin; er unterschied sich insofern von der SPD, deren "Görlitzer Programm" (Mommsen-Franz, Parteiprogramme, 1931, S. 31) die "Beteiligung der öffentlichen Gewalten am Vermögen der kapitalistischen Erwerbsunternehmungen" forderte. s In der NV am 12. 8.1919; zit. nach M. Erzberger, Reden, 1919, S. 74. 9 In der NV am 10. 12. 1919; zit. a.a.O., S. 132 f.

I. Notwendigkeit und Zielsetzung einer Reichsfinanzreform

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Mensch Ausgangs- und Zielpunkt aller wirtschaftlichen Tätigkeit ist. Das aber kann nur geschehen, wenn an die Stelle der individualistischen Betrachtungsweise eine sozialorganische Auffassung unseres gesamten wirtschaftlichen und sozialen Geschehens tritt, wenn der Gedanke des Solidarismus zum Siege geführt wird". Und so versprach Erzberger, seine Steuerreform werde ein neues Deutschland aufbauen, "den Sozialzustand der Zukunft"1o. Die massive Kritik vorzüglich aus Kreisen der Wirtschaft, der Besitzenden und der Föderalisten an dem neuen Reichsfinanzminister ließ nicht lange auf sich warten. Erzhergers optimistische Frohnatur schien jedoch gegen alle Angriffe gewappnet zu sein. "Ein beliebter Finanzminister ist ein Widerspruch in sich und wird nur dann zu finden sein, wenn er seine Pflicht nicht erfüllt" 11, erklärte er jenen, die um ihren prallen Geldsäckel fürchteten. Er selbst war von der Richtigkeit seiner Konzeption felsenfest überzeugt, was ihn befähigte, sich aufopfernd und mit zähem Arbeitseifer für deren Verwirklichung einzusetzen. Selbst seine Gegner bescheinigten ihm schnelle Einsicht am Objekt, leichte Auffassungsgabe und Geschmeidigkeit, wenn sie ihm auch Problemblindheit und Oberflächlichkeit vorwarfen. Diese Kritik ließ außer acht, daß man es nicht mit einem in der Finanzverwaltung großgewardenen Fachminister oder gar mit einem Finanzwissenschaftler zu tun hatte. Erzherger traf seine Entscheidungen immer als Politiker, gleich, ob es um Art und Höhe der Steuern ging, um die Ablehnung des Staatsbankrotts oder um das Verhältnis der direkten und indirekten Steuern und deren sozialpolitischer Begründung. Seinem gesamten Reformprogramm, das er in der Meinung, die unitarische Tendenz der Reichsverfassung werde zunehmend an Boden gewinnen, bewußt der Struktur eines Einheitsstaates anpaßte, setzte er drei Ziele: a) ein quantitatives, das die Angleichung der laufenden Einnahmen an die laufenden Ausgaben erbringen sollte; b) ein qualitatives, das die Art der Steuerverteilung betraf und eine sozial gerechte Steuerbelastung sowie die Neuordnung der Verwaltung beinhaltete; c) das distributive Ziel eines Finanzausgleichs zwischen Reich, Ländern und Gemeinden12. 1o In der NV am 3. 12. 1919; zit. a.a.O., S. 122 f. u M. Erzberger, Vergangenheit, 1920, S. 21. 12 Vh NV StenBer Bd. 331, S. 3852 (3. 12. 1919). Vgl. P. Beusch, Die Neuordnung d. dt. Finanzwesens, 1920; M. Erzberger, Reden zur Neugestaltung d. dt. Finanzwesens, 1919; ders., Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, 1920; G. Höfler, Erzhergers Finanzreform, 1955; A. Hugenberg, Hugenberg gegen Erzberger, 1919; J. Jastrow, The New Tax System of Germany, 1923;

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5. Kap.: Die Erzbergersehe Reichsfinanzreform

Das letzte Problem versprach Erzberger, so zu lösen, daß alle Teile unbeschränkt ihren Rechten und Pflichten nachkommen könnten, und daß kein Kostgängerturn entstünde. Auf der anderen Seite nannte Erzherger jedoch die Reichsverfassung und die Steuereinheit die beiden stärksten Klammern der deutschen Einheit13. Die Länder hatten demnach allen Grund, die Politik des unitarischen Reichsfinanzministers mißtrauisch zu verfolgen. Erzherger beschwichtigte sie: Die Befürchtungen, die geplante Reichsfinanzreform mache das selbständige Leben der Länder und Kommunen unmöglich, seien unbegründet. "Ich kann mir kein Reich denken, das nicht auf blühenden Gemeinwesen und auf starken Ländern aufgebaut ist14." Oder er verwischte die Probleme des Reich-Länder-Verhältnisses: "Ausscheiden muß aus unseren Erörterungen das früher oft gesprochene Wort von einem Gegensatz der finanziellen Interessen von Reich und Einzelstaaten, von Staat und Gemeinden. Es ist immer der eine Steuerschuldner", es gehe immer um "das Wohl der Gesamtheit" 15• Die Übertragung umfangreicher Kriegslasten auf das Reich interpretierte Erzherger als Entlastung der Länderfinanzen und als Chance für die Länder, den Spielraum für die Kulturaufgaben auszuweiten. Die Bewegungsfreiheit der Länder und Gemeinden werde also vergrößert, "da Länder und Gemeinden durch die Neuordnung viel größere Steuereinkünfte beziehen werden als dieselben aus einer in Konkurrenz mit der Reichsbesteuerung stehenden eigenen Steuergesetzgebung hätten gewinnen können. In dem Augenblick, wo sie aber mehr Einnanhmen haben, ist ihre Freiheit nicht beschränkt, sondern sie ist wesentlich erhöht. Die formale Beschränkung der Bewegungsfreiheit der Länder und Gemeinden bringt eine materielle Bewegungsfreiheit für diese beiden öffentlichen Körperschaften mit sich, und die materielle Bewegungsfreiheit ist für das Kulturleben viel bedeutsamer als eine formale Beschränkung der Bewegungsfreiheit auf dem Gebiet der Steuergesetzgebung" 16• Erzberger versuchte, den Ländern den Verlust der Steuergesetzgebung durch va•ge Zukunftsversprechungen über höhere Einnahmen erträglich erscheinen zu lassen. Hatten die Länder erst einmal Gesetzgebung und Verwaltung der wichtigsten Steuern aus den Händen gegeben, befanden sie sich bei Verhandlungen über die Einnahmeverteilung gegenüber dem Reich in der Position des Bittstellers. J. Respondek, Die Reichsfinanzen auf Grund d. Reform von 1919/20; M. Sei-

bert, Die großen politischen Parteien und die Erzbergersehe Finanzreform, 1934. 13 Vh 14 Vh 15 Vh 16 Vh

NV NV NV NV

StenBer StenBer StenBer StenBer

Bd. 331, Bd. 329, Bd. 329, Bd. 331,

S. 3832 ff. (3. 12. 1919). S. 2378 (12. 8. 1919). S. 1376 (8. 7.1919). S. 3841 (3. 12. 1919).

II. Die Steuergesetze

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II. Die Steuergesetze

Erzherger fand bei seinem Amtsantritt einige Pläne zu einer Reichs-. finanzreform vor. Es ist sein Verdienst, die ihm geeignet erscheinenden Studien ausgewählt, zu Gesetzentwürfen gestaltet, zu einer großen Reformvorlage zusammengeiaßt und politisch durchgesetzt zu haben. Die direkten Steuern, als ergiebigste Quelle, welche die Reichsverfassung dem Reich eröffnete, sollten fortan vorrangig von diesem ausgeschöpft werden. Das Reichsnotopfer wurde die erste direkte Reichssteuer nach der Revolution; ihm folgten bald die Einkommenund Kapitalertragssteuern. 1. Das Reichsnotopfer (Gesetz vom 31. 12. 1919; RGBI., S. 2189)

Die Stabilisierung des Budgets war durch die Höhe der schwebenden Schulden gefährdet. Durch ein Reichsnotopfer, ursprünglich als einmalige Vermögensabgabe gedacht, sollte die Schuld fühlbar vermindert werden. Seinem sozialen Empfinden entsprechend sah Erzherger eine außerordentlich starke Progression vor: Bis zu einem Vermögen von 50 000 DM sollten 10 Ofo als Reichsnotopfer abgegeben werden; der Prozentsatz stieg an bis 65 Ofo bei Vermögen über 7 Mill M17. In der Nationalversammlung traf der Gesetzentwurf des Reichsfinanzministers auf eine erbitterte Gegnerschaft, welche erreichte, daß aus der einmaligen Abgabe eine 30jährige Ratenzahlung wurde. Dadurch verflüchtigte sich Sinn und Zweck des Reichsnotopfers. DNVP und DVP lehnten das Gesetz ab. Hugenberg nannte es "kein Steuergesetz, sondern ein Sozialisierungsgesetz" 18 ; Riesser19 erkannte im Reichsnotopfer eine Verbeugung vor der Straße20• Die BVP stimmte dem Gesetzentwurf zu, ohne sich selbst zu dessen einzelnen Bestimmungen geäußert zu haben. Das Zentrum, die Mehrheit der DDP, die SPD und USPD billigten den Gesetzentwurf 2. Die Erbschaftssteuer (RGBI. 1920, S. 1543)

Schon Reichsfinanzminister Schiffer reichte am 16. April 1919 einen "Entwurf eines Erbschaftssteuergesetzes" beim Staatenausschuß ein21, 17 R. Kuczynski, Ein Reichsfinanzprogramm für 1920, S.14 ff. plädierte für eine einmalige prompte Vermögensabgabe, welche die Hälfte des inländischen Vermögens umfassen sollte. Vgl. M. Lion, Gesetz über das Reichsnotopfer, 1920; F. K. Mann, Reichsnotopfer: HWBSt VI, 41925, S. 1222 ff. 18 Vh NV StenBer Bd. 331, S. 2938. 19 Dr. jur. Jakob Riesser, geb. 17.11.1853 Sachsenhausen, gest. 6. 5. 1932 Berlin; Geh. Justizrat; 1918-28 MdR (DVP). 20 a.a.O., S. 4115. 21 Staatenausschuß 1919 Drucks. Nr. 69. Vgl. R. Bilchner, Erbschafts- und Schenkungssteuern: HbFinwiss II, 21956, S. 539 ff.; H. Ritschl, Erbschaftssteuer: HWBSoz 111, 21961, S. 273 ff.; G. v . Schanz, Erbschaftssteuer: HWBSt 111, 41926, s. 794 ff.

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5. Kap.: Die Erzbergersehe Reichsfinanzreform

der ihm am 9. Mai eine Zustimmung gab22 • Sein Nachfolger, Dr. Demburg, legte den Entwurf am 16. Juni 1919 der Nationalversammlung vor23• Doch nach wenigen Tagen (21. 6. 1919) bestimmte Erzherger die Finanzpolitik des Reiches. Er erkannte in der Erbschaftssteuer die Möglichkeit, weiteste Kreise der Bevölkerung, vor allem die Besitzenden, zu erfassen. Aus dieser Steuer, die Nachlaß-, Erbanfall-und Schenkungssteuer zusammenfaßte, sollten die Gliedstaaten 20 Ofo des anfallenden Ertrages erhalten24• DNVP und DVP waren der Regierungsvorlage durchaus gewogen, lehnten jedoch das Gesetz ab, da es in den Kommissionen verschärft worden war. Sie beantragten, daß die Vergünstigung der Erben von land- und forstwirtschaftliehen Grundstücken unbedingt beizubehalten sei25• Die BVP schloß sich den Anträgen der Rechtsparteien an, versagte jedoch dem Gesetz die Stimme nicht geschlossen26• Zentrum, DDP, SPD und USPD billigten das Gesetz, wobei die beiden sozialdemokratischen Parteien die Milde des Gesetzes kritisierten. 3. Die Kapitalertragssteuer (RGBI.1920, S. 345)

Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuern blieben den Ländern überlassen und wurden im Landessteuergesetz einheitlich geregelt. Dagegen wurde der Kapitalbesitz vom Reich mit 10 Ofo besteuert. Erzherger hielt die Kapitalerstragssteuer sozialpolitisch für eine gerechte Steuer, da sie das fundierte Einkommen zugunsten des unfundierten, aus der Arbeit fließenden Einkommens stärker belastete27 • Nur in Einsicht der fiskalischen Notwendigkeit wurde das Gesetz von allen Parteien angenommen, wenn auch die Rechtsparteien dadurch die Sparfreudigkeit beeinträchtigt und die Linksparteien den Großbesitz geschont sahen. Staatenausschuß 1919, Prot. der 24. Sitzung, § 271. Vh NV 1919 Drucks. Nr. 378. Vh NV 1920 Bd. 376 Drucks. Nr. 376; RGBI. 1920, S. 1543. Oberfahren (Dr. Ernst Oberfohren, geb. 15. 3. 1881 Dümpten, gest. 7. 5. 1932 Kiel, Studienrat und Wirtschaftspolitiker; 1919 ff. MdR [DNVP; seit 1929 Fraktionsvors.; wegen seiner gegen Hugenberg gerichteten Opposition aus der Partei ausgeschlossen]) Vh NV 1919 StenBer Bd. 329, S. 2667. Maretzky (Dr. Oskar Maretzky, geb. 2. 6. 1881 Breslau; 1918 Bgm von Berlin-Lichtenberg; 1919 MdNV [DVP], 1920 ff. MdR [DVP/ dann Nationalliberale Partei]) a.a.O., S. 2656. 26 Irl (Martin Irl, geb. 8. 11. 1859 Altenerding, gest. 30. 9. 1953 Erding; Malermeister; 1907-18 MdR [Z], 1919/20 MdNV [BVP]) a.a.O., S. 2670. 27 Vh NV Bd. 340 Drucks. Nr.1625; RGBI. 1920, S. 345. Vgl. W. Bickel, Ertragssteuern: HbFinwiss II 21956, S. 403 ff. 22 23 24 25

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4. Die Reichseinkommensteuer (Gesetz vom 29. 3. 1920; RGBI., S. 359)

a) Die Stellungnahme der Länder Zwei Gründe waren es vorzüglich, die bereits seit Jahrzehnten für die Einfüh:Ung der Reichseinkommensteuer vorgebracht wurden: Die Tarife der Einkommensteuer konnten wie bei keiner anderen Steuer der Leistungsfähigkeit angepaßt werden; sie gewährt also eine bestmögliche Ausschöpfung der Quelle und eine Sicherung von dauernden Erträgen für das Budget. War der Ruf nach der Reichseinkommensteuer bereits im alten Reichstag unüberhörbar, jetzt, in der Zeit erhöhten Finanzbedarfs des Reiches, war eine Verwirklichung sicher. Sodann sollten in allen Ländern die Steuerzahler gleichmäßig betroffen werden; Oasen sollten ausgeschlossen werden. Erzherger hatte diese Gedanken auf der Finanzministerkonferenz vom 13. Juli 1919 vorgetragen und die Vorlage eines Entwurfs eines Reichseinkommensteuergesetzes für den Herbst angekündigt. Am darauffolgenden Tag traf sich Dr. von Wolf mit dem Finanzministern Württembergs und Hessens sowie mit dem badischen Ministerpräsidenten Dietrich. Es herrschte Übereinstimmung, "daß die Durchführung des Erzbergersehen Programms über die Reichseinkommensteuer und deren Verwaltung durch Reichsbehörden das Ende nicht nur der finanziellen, sondern auch der wirtschaftlichen und politischen Selbständigkeit der Bundesstaaten bedeuten würde". Die Bundesstaaten müßten diesem Programm positive Gegenvorschläge entgegenstellen. Eine auf Reichsgesetz beruhende, für alle Bundesstaaten gleichmäßige Einkommensteuer, reichsgesetzliche Vorschriften über die Organisation der Landesfinanzverwaltungen sowie weitgehende Kontrollbefugnisse und eine Beteiligung an der Einkommensteuer wollte man dem Reich zugestehen28• Am 28. Oktober 1919 übersandte Moesle den vorläufigen Entwurf eines Reichseinkommensteuergesetzes an die Landesregierungen mit der Bitte um Stellungnahme29 • Der bayerische Finanzminister Speck 2s Wolf an das B. Stmin d Äuß am 18. 7.1919; B. HStA.II, MA 103743. Die Auffassung, daß der Verlust der Einkommensteuer für die Länder eine Einbuße an Staatlichkeit mit sich bringe, war allgemein vertreten. Vgl. W. Jellinek, Revolution und RV: JböR IX, 1920, S. 80 stellte fest, daß den Ländern mit der Einkommenbesteuerung "das wichtigste Mittel für ihre Selbständigkeit dem Reiche gegenüber" genommen sei. Th. v. Pistorius (geb. 1861, gest. 1939; 1902 MinRat in württ. Finmin; 1914-18 württ. FinMin; 1920 Prof. f. Finwiss) hatte am 17.5.1917 im württ. LT die Ansicht vertreten: "Die Einführung einer Einkommen- und Vermögenssteuer von Reichs wegen führt mit sicherer und unbedingter Notwendigkeit zur Aufhebung der staatlichen und finanziellen Selbständigkeit der Einzelstaaten" (Th. v. Pistorius, Die dt. Finanzwirtschaft, 1920, S. 23). Vgl. auch oben 2. Kap. 29 RMin d Fin - Nr. III Ku 14546.

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5. Kap.: Die Erzbergersehe Reichsfinanzreform

antwortete, daß "der Aufstellung der Besteuerungsnormen für das Einkommen durch Reichsgesetz nicht entgegenzutreten sei, daß aber die Aneigmmg des gesamten Gebiets der Einkommensteuer durch das Reich zur eigenen Veranlagung, Verwaltung und Erhebung über das bestehende Bedürfnis hinausgeht"30• Erstaunlich ist der zurückhaltende Ton der bayerischen Stellungnahme. Der Zusammenhang zwischen der Finanzhoheit über die direkten Steuern und der Länderstaatlichkeit, wie er später immer wieder hervorgehoben wurde, fand in diesem entscheidenden Staditun überhaupt keine Erwähnung. Boden, der Vertreter des Reichsfinanzministeriums, drängte im Reichsrat auf beschleunigte Erledigung des Gesetzentwurfs. Damit durch Instruktionseinholung keine Zeit verloren gehe, sollten die Finanzminister der Länder an den Beratungen des Reichsrats teilnehmen. Bei dieser Gelegenheit könne auch gleich eine endgültige Entschließung über den Entwurf eines Landesbesteuerungsgesetzes gefaßt werden. Dr. von Wolf protestierte entschieden gegen die Überstürzung31 • Speck verwahrte sich ebenfalls gegen diese "Sachbehandlung, die es den Ländern unmöglich macht, ihre Interessen entsprechend zu wahren". Diese "hochbedeutsame Angelegenheit" müsse erst im Ministerrat besprochen werden32. Es nützte der bayerischen Regierung nichts, für sorgfältige Beratungen ohne Zeitdruck zu plädieren. Die finanzielle Not des Reiches und der Drang nach Unifizierung ließen derlei Bedenken keinen Raum. Am 15. November 1919 ging der "Entwurf eines Reichseinkommensteuergesetzes" dem Reichsrat33 und am 29. November bereits der Nationalversammlung ·zu34 • Der Entwurf sah einen Steuertarif vor, der sowohl proportional als auch progressiv gestaltet war: Für die ersten angefangenen oder vollen 1 000 M 10 °/o Für die nächsten angefangenen oder vollen 1 000 M 11 °/o steigend bis 15 000 M um je 1 °/o dann von 2 000 zu 2 000 M um je !0/o 58 °/o Für die ersten angefangenen oder vollen 50 000 M 59 °/o Für die nächsten angefangenen oder vollen 50 000 M und die weiteren Einkommen 60 Ofo. ao Speck an das Rfinmin am 11. 11. 1919 - Nr. 53342; B.HStA.II, MA 103747. 31 Ber. Wolfs an das B. Stmin d Fin v. 13. 11. 1919 über die Ausschußberatungen im RR vom gleichen Tag; B.HStA.II, MA 103747. Das Rfinmin lud die MinPräs, FinMin und InnMin der Länder am 17. u. 20. 11. 1919 telegraphisch ein, an den Beratungen im RR teilzunehmen; B.HStA,II, a.a.O. 32 Speck an das Rfinmin am 23. 11. 1919 Nr. 55878; B.HStA.II, MA 103747. 33 Nr. 235 der RR-Drucksachen; 17 Seiten sowie 48 Seiten Begründung; Verabschiedung im RR in der 82. Sitzung am 29. 11. 1919, Vh RR § 887; vgl. B.HStA.I, MWi 8391 und B.HStA.II, MA 103747. 34 Vh NV 1919 Bd. 340, Drucks. Nr. l624; vgl. B.HStA.I, MWi 8391.

II. Die Steuergesetze

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Entlastungsparagraphen und eine relativ hohe Freigrenze milderten den harten Steuertarif. Den Ländern wurde erlaubt, die untere Freigrenze von 1500 M zusätzlich zu besteuern. Es war jedoch fraglich, ob das bei der allgemeinen Steuerbelastung möglich sein würde. Umstrittenes Novum des Entwurfs stellte das Lohnabzugsverfahren dar, wodurch dem Staatssäckel weit weniger Steuergelder vorenthalten werden konnten als früher. Um mit den Ländern rasch einig zu werden, lud Erzherger zu einer Ministerkonferenz am 20. November nach Berlin ein. Vor den Ländervertretern35 entwickelte der Reichsfinanzminister sein Programm und besprach mit ihnen die Entwürfe eines Reichseinkommensteuergesetzes, eines Landesbesteuerungsgesetzes und eines Kapitalerstragssteuergesetzes. Von dem Gesamtbedarf von 24 Milliarden Mark sollten 15 Mrd aus direkten Steuern, 9 Mrd aus Zöllen, indirekten und Verkehrssteuern gedeckt werden. Dieses Verhältnis zwischen den beiden Steuerarten hielt er für sozial gerechtfertigt36• Zu einer echten Diskussion über die strittigen Punkte kam es nicht, da nach Ansicht Erzhergers die Entscheidung über die Reichseinkommensteuer bereits in Weimar gefallen sei. Es handle sich nur noch wn die Frage, wie die zur VerfügWlg stehenden 15 Mrd M zu verteilen seien. Und auch dafür hielt Erzherger die Lösung schon parat: Mit 6,2 Mrd M würden die Länder und Gemeinden mehr erhalten als sie je gehabt hätten und sich selbst je würden beschaffen können, weil sie so hohe Steuersätze wie das Reich nicht erheben könntens7. b) Die Beratungen in der Nationalversammlung

In der Nationalversammlung begrüßten SPD und USPD die Reichseinkommensteuer, die nicht nur finanzpolitisch, sondern auch allgemeinpolitisch "eine völlige Umwälzung Deutschlands" bringe38 : "Die Reichseinkommensteuer bedeutet in der Tat den entscheidenden Schritt zum ss Bayern wurde durch Dr. von Wolf vertreten. 3& 60 : 40; 1909 betrug es etwa 20 : 80. 37 Ber. Wolfs an d B. Stmin d Fin v. 20. 11. 1919; B.HStA.II, MA 103743. Vgl. auch d Ber. Wolfs v. 23. 11. 1919 über die Ministerkonferenz am 22. 11. 1919 über Finanzfragen; B.HStA.II, a.a.O. ss Keil (Wilhelm Keil, geb. 24. 7. 1870 Helsa; Drechsler; 1896 Redakteur der sozialdem. "Schwäb. Tagwacht"; 1910-32 MdR (SPD), einer der führenden Sprecher der SPD; 1910-33 MdL-Württ. (auch dessen Präs); an d Reichssteuerpolitik Erzhergers stark beteiligt; 1921-23 Württ. StMin d Fin; nach 1945 Leiter d. Kommunalvertretung Ludwigsburg, Präs d. Vorläufigen Volksvertretung und des VA für Württemberg-Baden, MdL-Württemberg (dessen Präs), Präs d. Süddt. Länderrats und der Arbeitsgem. f. Kriegsgefangenenfragen, MdDt. Rates d. Europ. Bewegung} Vh NV StenBer Bd. 332, S. 4547 C. 13 Menges

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5. Kap.: "Die Erzbergersehe Reichsfinanzreform

Einheitsstaat39." Den Anteil der Länder an der Einkommensteuer wollte die SPD angesichts der großen Reichsnot keinesfalls erhöht sehen40• Der Sprecher der USPD blies ins gleiche Horn, wenn er auch in manchen Punkten noch weiter ging. Er glaubte, die Gemeinden und die finanzschwachen Schichten seien merklich benachteiligt41 • Demburg bekannte stolz: "Die Reichseinkonunensteuer entspricht einer alten liberalen Forderung42 ." Die Zustimmung der DDP war also sicher. Auch die progressive Staffelung des Tarifs fand ihre Billigung. Sie trat jedoch dafür ein, daß gleichzeitig mit dem Finanzwesen die Wirtschaft reformiert werde. Zentrum und BVP schlossen sich dem Gesetzentwurf an. Dr. Heim43 versäumte jedoch nicht, auf die unbefriedigende Lösung des Existenzminimums hinzuweisen. In den folgenden Jahren kam es über dieser Frage zwischen dem Reich und Bayern immer wieder zu Auseinandersetzungen. Bayern war der Meinung, daß das Existenzminimum in einem agrarisch und mittelständisch strukturierten Land tiefer angesetzt werden müsse als in einem von der Industrie geprägten Land. Aus dem Lager der DVP und vor allem der DNVP war harte Kritik an der Gesetzesvorlage zu hören. Die DVP fürchtete ein Absinken des Mittelstandes, befürwortete aber die progressive Staffelung44 • Trotz aller Kritik lehnte die DVP das Gesetz nicht ab. Der Abgeordnete Düringer von der DNVF45 warf der Reichsregierung vor, sie habe in den einzelnen Steuergesetzen nur nach finanztechnischen, ressortmäßigen Richtlinien gehandelt, die volkswirtschaftliche Komponente jedoch außer acht gelassen. Wie die DVP griff er das Lohnabzugsverfahren scharf an, da sich der Arbeitgeber dadurch mißliebig mache. Die Bemängelung von Einzelheiten ließ jedoch keinen Zweifel an der sicheren Annahme des Gesetzes durch die Nationalversammlung sg Keil, a.a.O., Bd. 331, S. 3863. W. Keil, Die Rettung aus dem finanziellen Elend, 1919, S.13: "Die vollkommene Zentralisierung d. Systems der direkten Besteuerung ist im neuen Deutschland, das voraussichtlich eine föderative Republik darstellen wird, eine Selbstverständlichkeit." Keil trat für einen "Steuersozialismus" ein (a.a.O., S. 20). 40 Keil, a.a.O., Bd. 332, S. 4549 B. 41 Düwell (Bernhard Düwell, geb. 29. 4. 1891 Bochum; Kaufmann und Redakteur; 1919 MdNV und 1920 ff. MdR [USPD/ später SPD]) Vh NV StenBer Bd. 332, S. 4566 D. 42 Vh NV StenBer Bd. 331, S. 3884 B. 43 Vh NV a.a.O., S. 3917 D. 44 Becker-Hessen (Dr. Johannes Becker, geb. 3. 2.1869 Ludwigshöhe, gest. 17.10. 1951 Oppenheim; 1916-18 Hessischer StMin d Fin; 1919 MdNV [DVP], 1920--30 MdR; 22. 11.1922-12.8.1923 RWirtMin) Vh NV StenBer Bd. 331, S. 3908 B; ders., a.a.O., Bd. 332, S. 4561 D. 45 Dr. Adelbert Düringer, geb. 11. 8. 1855 Mannheim, gest. 3. 9.1924 Berlin; 1902 Reichsgerichtsrat in Leipzig; 1915 Oberlandesgerichtspräs in Karlsruhe; 1917-18 bad. StMin d Justiz; 1919 MdNV (DNVP), 1920-24 MdR (DNVP, dann DVP). Vh NV, a.a.O., S. 4555.

II. Die Steuergesetze

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Gegenüber dieser einheitlichen Front verstummten die Länder. Am 1. April 1920 sollte das Reichseinkommensteuergesetz in Kraft treten. Die grundlegenden Veränderungen, die es bewirkte, sowie der Generalstreik machten eine Verschiebung dieses Termins durch eine Novelle nötig47 • Der neue Reichsfinanzminister Dr. Wirth übersandte am 29. April 1920 eine "Verordnung über die vorläufige Erhebung der Einkommensteuer für das Rechnungsjahr 1920. Vom 20. April1920" 48. Für den Zeitraum vom 1. April bis zum 30. September 1920 bekamen die Länder und Gemeinden hiernach ausnahmsweise das gesamte Aufkommen überwiesen49• aufkommen~ 6 •

5. Die Körperschaftssteuer (Gesetz vom 30. März 1920; RGBI., S. 393)

Die Körperschaftssteuer sollte im Rahmen der Einkommensbesteuerung alle diejenigen Glieder erfassen, "denen wirtschaftliche Güter in irgendeiner Form als Einkünfte zufließen" 50• Steuerpflichtig waren alle juristischen Personen des öffentlichen Rechts (mit Ausnahme der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände) sowie alle Personenvereinigungen und Vermögensmassen. Die Körperschaftssteuer hatte außer dem fiskalischen Zweck noch den Sinn, der Gefahr der Monopolbildung vorzubeugen, indem die allzu große Konkurrenzfähigkeit der Erwerbsgesellschaften gegenüber den privaten Einzelwirtschaften gedämpft wurde: Bei Rentabilität von 3 Ofo war der Steuersatz auf 10 Ofo festgelegt; in zehn Stufen steigerte er sich bis zu 20 Ofo bei einer Rentabilität über 20 Ofo. Der "Entwurf eines Körperschaftsgesetzes" wurde am 30. Dezember 1919 dem Reichsrat und denLandesregierungen zugeleitet51 • Die erste Vorlage vertagte der Reichsrat. Bayern beharrte im Reichsratsausschuß auf seinem ablehnenden Standpunkt, um die Beseitigung der im Entwurf ursprünglich vorgesehenen Besteuerung der Länder und Gemeinden zu erreichen. Außerdem sollte die Frage, inwieweit bei gewerblichen Unternehmungen der Länder und Gemeinden Steuern oder Umlagen erhoben werden sollten, den Ländern überlassen werden, nachdem bereits im Entwurf des Landessteuergesetzes die Grund-, Haus- und Gewerbesteuer den Ländern vorbehalten seien. Mit Ausnahme Württembergs, das gegen eine Befreiung der Gemein46 J. Popitz, Einkommensteuer: HWBSt III, 41926, S. 446: "Nach dem Zusammenbruch fand die Forderung eines einheitlichen Reichseinkommensteuergesetzes keinen Widerspruch mehr." 47 Ber. Wolfs an das B. Stmin d Fin vom 25. 3.1920; B.HStA.II, MA 103747. 48 RMin d Fin III 10881 Ku; B.HStA.II, MA 103747. 49 Vgl. auch Sehr. Wirths vom 10. Mai 1920 III 11670; B.HStA.II, MA 103747. Das Ansuchen Bayerns um Vorschüsse auf die Reichsüberweisungen (zur Ausgleichung des Budgets) wurde vom Rfinmin abgelehnt: Note des Rfinmin vom 29. Mai 1920; B.HStA.II, MA 103747. so Vh NV Bd. 341, Drucks. Nr.1976; Begründung 8.10. 51 RMin d Fin - III Dü 19196; Vh RR 1920, Drucks. Nr. 1.

13*

5. Kap.: Die Erzbergersehe Reichsfinanzreform

196

den von diesem Gesetz stimmte, herrschte im Ausschuß Einigkeit darüber, daß eine Besteuerung der Länder und Gemeinden nicht stattfinden dürfe. Das bayerische Finanzministerium teilte dem Reichsfinanzministerium am 11. Januar 192052 seine Stellungnahme mit und beantragte Steuerfreiheit: 1. für Länder und Gemeinden, um "eine weitere Verschlechterung der finanziellen Lage und der Selbständigkeit der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände" zu unterbinden; 2. für Stiftungen und solche Anstalten, die ganz oder teilweise vom bayerischen Staat unterhalten werden; 3. für Genossenschaften, die ausschließlich oder unmittelbar der land- und forstwirtschaftliehen oder der gewerblichen Produktion dienen, und 4. für die Konfessionsgesellschaften. Nachdem ersichtlich wurde, daß nicht alle Punkte durchzusetzen waren, beschränkte sich die bayerische Regierung auf die "Freistellung der Länder und Gemeinden einschließlich der Staatsbank"53• In der Vollsitzung des Reichsrats am 16. Januar 1920 fand sich Erzherger bereit, von einer Steuerpflicht der Länder und Gemeinden abzusehen. Er behielt sich jedoch vor, gelegentlich auf dieses Problem zwiickzukommen. Daraufhin wurde der Gesetzentwurf angenornmen54 und von Erzherger an die Nationalversammlung weitergeleitet55, wo er keine grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten hervorrief. 6. Die Umsatzsteuer (Gesetz vom 24.12.1919; RGBI., 8.1617)

An der Gesetzgebung im Bereich der indirekten Steuern, die dem Reich früher ohnehin zustanden, nahmen die Länder wenig Anteil. Noch bevor Erzherger den "Entwurf eines Umsatzsteuergesetzes" am 12. Juli 1919 im Staatenausschuß einbrachte (Drucks. Nr. 142), gab das bayerische Finanzministerium seine Zustimmung56. Am 26. Juli 1919 stimmte der Staatenausschuß dem Entwurf zu57 ; Erzherger reichte ihn am selben Tag in der Nationalversammlung ein58• 52 53

Nr. 1261; B.HStA.II, MA 103836. Telegramm Specks an die Bay Ges Berlin vom 15. 1. 1920; B.HStA.II,

MA 103836. 64 RR-Niederschrift der 6. Sitzung vom 16. 1. 1920, § 66; B.HStA.II, MA 103836.

Vh NV 1920 Bd. 341, Drucks. Nr. 1976 vom 16. 1. 1920. s& B. Stmin d Fin an das B. Stmin d Äuß am 4. 7.1919- Nr. 27308. 57 Prot. der 44. Sitzung am 26. 7.1919, § 487; B.HStA.II, MA 103830. 58 Vh NV 1919, Bd. 337, Drucks. Nr. 676. Vgl. H. Haller, Umsatzsteuer: HWBSoz X, 21959, S. 433 ff.; J. Popitz, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, 1921; ders., Umsatzsteuer: HWBSt VIII, 41928, S. 373 ff.; G. Schmölders, Die Umsatzsteuern: HbFinwiss II 21956, S. 566 ff. 55

II. Die Steuergesetze

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Erzhergers Entwurf stellte einen starken Ausbau des Umsatzsteuergesetzes von 1918 dar; die Sätze wurden gestrafft, die Arten des Umsatzes unterschieden und eine Luxussteuer eingebaut. Auf Größe und LeistW1gsfähigkeit eines Unternehmens nahm die Vorlage keine Rücksicht. Die Exportfähigkeit suchte sie zu schützen durch eine 5 Ofoige Teilumsatzsteuer beim Kleinhandel, welche nur der inländische Konsument zu tragen hatte. In der Nationalversammlung entfachte der Entwurf einer Umsatzsteuer, die eine Verbrauchssteuer nach dem Prinzip der Überwälzung auf den letzten Käufer ist, eine rege Diskussion. Außer der USPD stimmten alle Parteien nach einigen einschneidenden Änderungen am 18. Dezember 1919 der Vorlage zu, wenn auch Zentrum und SPD Bedenken sozialer Art anmeldeten. Die allgemeine Umsatzsteuer wurde auf 1,5 °/o erhöht (Regierungsentwurf 1 Ofo); die 5 Ofoige Kleinhandelsumsatzsteuer auf Haushaltsartikel wurde gestrichen; direkte Lieferungen vom Hersteller wurden mit 15 Ofo Steuer belegt (Regierungsentwurf 10 Ofo). Die Bestimmungen der Regierungsvorlage, die 15 °/o Umsatzsteuer bei Lieferung von Luxusartikeln im Kleinhandel und 10 Ofo auf Leistungen besonderer Art (Annoncen, Aufbewahrung von Wertpapieren usw.) vorsahen, blieben erhalten. 7. Die Grunderwerbssteuer (Gesetz vom 24. 12. 1919; RGBI., S. 1617)

Der Grundbesitzwechsel wurde bisher, freilich nach verschiedenen Gesichtspunkten (Grundstückumsatzsteuer, Grundumsatzsteuer im gewerblichen Verkehr, Wertzuwachssteuer), sowohl vom Reich als auch von den Ländern und Gemeinden besteuert. Durch den neuen Entwurf wurden die einzelstaatlichen und kommunalen Steuern auf Grundbesitzwechsel durch eine einheitliche Abgabe ersetzt59• Als weitere indirekte Steuern innerhalb der Erzbergersehen Steuergesetzgebung sind die Zündwaren-, Tabak- und Spielkartensteuern zu nennen, als ergänzende Gesetze 1. das Gesetz über ergänzende Maßnahmen gegen die Kapitalabwanderung ins Ausland&o unci 2. das Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes gegen die Steuerflucht61 • 8. Wirkungen der Steuergesetze

Erzherger wollte durch sein Reformprogramm 1. die Balancierung des Etats, 59

Vh NV Bd. 338, Drucks. Nr. 1005.

&1

Vh NV Bd. 335, Drucks. Nr. 361.

&o Vh NV Bd. 338, Drucks. Nr. 718.

198

5. Kap.: Die Erzbergersehe Reichsfinanzreform

2. die Beseitigung bzw. Verminderung der schwebenden Schulden, 3. die Einstellung des Banknotendrucks und 4. die Hebung der Valuta erreichen. Nur eine straffe Zentralisierung konnte seiner Meinung nach den enormen Gesamtfinanzbedarf von ca. 24 Mrd M (17,5 Mrd M Reich, 6,5 Mrd M Länder} decken. Nachdem die Nationalversammlung eine Stundung des ReichsnotopfeTs durchgesetzt hatte, war sein Sinn der Tilgung schwebender Schulden in der geplanten Durchschlagskraft verwässert. Nur eine einmalig anfallende große Kapitalsumme hätte merkliche Abhilfe schaffen können. Das Reichsnotopfer wurde endgültig im Vermögenssteuergesetz vom 8. April 1922 abgebaut, welches ergänzt wurde durch eine Zwangsanleihe vom 20. Juli 1922 (RGBI., S. 335 und S. 601}. Die VeTmögenszuwachsbesteuemng - als Besteuerung der Kriegsgewinne für Erzherger ein sozialpolitisches Postulat - entsprach in ihren Auswirkungen und Erträgen nicht den Erwartungen. Von den erhofften 6,59 Mr:d M gingen im Etatjahr 1920 nur 3,09 Mrd M ein62• Die ErbschaftssteueT war dank ihrer Dreiteilung gut durchführbar. Nur die Nachlaßsteuer gab zur Kritik Anlaß und wurde daher in der Novelle vom 20. Juli 1922 fallengelassen. Die Einkommenbesteuemng bewährte sich als Stütze des gesamten Reichssteuersystems63• Das Lohnsteuerabzugsverfahren gewährleistete eine rasche und optimale Einbringung. Allerdings zeitigte auch hier die Inflation Wirkungen, die nicht im Sinne Erzhergers lagen: Die Einkommensbezieher gerieten zunehmend in höhere Progressionsstufen, während die Kaufkraft gleichzeitig sank; ungewollt stellte sich das steuerfreie Existenzminimum als zu tief angesetzt heraus; die kleinen und mittleren Einkommen wurden nun härter getroffen als die großen Einkommen. Ähnlich wirkte die KapitaleTtrags- und KörpeTschaftssteueT unter den Inflationsverhältnissen außerordentlich einschneidend. Die deflatorische Wirkung der Vermögens- und Einkommensteuern blieb gering. Damit war das gesteckte Ziel, die schwebende Schuld zu tilgen, verfehlt; die fundierten Schulden (durch Kriegsanleihen als Steuerzahlungsmittel} wurden nur geringfügig beglichen. Der reine Geldbesitz wurde in seiner Substanz angegriffen durch Progression und Scheingewinnbesteuerung. Die ständigen Korrekturen machten jegliche Kalkulation in der Wirtschaft unmöglich. Eine Gesundung wäre nur durch eine Einschränkung der Haushaltsausgaben und der Banknotenausgabe 62 63

K. v. Tyska, Grundzüge der Finwiss, 1923, S. 218. H. Teschemacher, Die Einkommensteuer, 1927, 5.123 nennt die Ver-

reichlichung der Einkommensteuer "die wichtigste Leistung der Erzbergersehen Finanzreform."

III. Die Reichsabgabenordnung

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möglich gewesen. Erzherger wußte um die Notwendigkeit der Währungssanierung und glaubte, in einer scharfen Besteuerung des Besitzes das Mittel hierzu gefunden zu haben. Die nötige Währungsreform konnte jedoch durch die Reichsfinanzreform von 1919/20 nicht ersetzt werden. Der latente Staatsbankrott, den Erzherger - gemäß seiner sozialen Einstellung - nicht wahrhaben wollte, wurde vier Jahre später zum offenen Staatsbankrott. Mitverantwortlich für die Unterlassung einer durchgreifenden Währungssanierung war der damalige Reichspräsident Dr. Havenstein64 . Rückwärts betrachtet stellte es sich als Fehler heraus, daß Erzherger den Ausgleich zwischen Ausgaben und Einnahmen im Staatshaushalt nicht an den Anfang, sondern an den konstruierten Zielpunkt gestellt hatte. Man darf die Erzbergersehe Reichsfinanzrefo.rm aber nicht allein von dieser Fehleinschätzung her beurteilen. 111. Die Reichsabgabenordnung

Im Reichsfinanzministerium wurde schon unter Schiffer und Demburg intensiv an einem Gesetz gearbeitet, das die staatliche Finanzwirtschaft ordnen sollte. Es war dreiteilig konzipiert. Es sollte 1. die Organisation der Finanzverwaltung und der Finanzgerichtsbarkeit, 2. das allgemeine Steuerrecht und 3. das Steuerstrafrecht umfassen65• Reichsfinanzrat Enno Becker, der mit der Aufstellung der Reichsabgabenordnung betraut worden war, schwebte als Ziel vor, "eine Grundlage für die Finanzverwaltung und die zahlreich drohenden einzelnen Steuergesetze zu schaffen, die genügend sicher, aber zugleich elastisch genug wäre, keine Hindernisse für die weitere Entwicklung zu bereiten" 66• Zusammen mit dem Geheimen Regierungsrat Dr. Popitz machte sich Becker daran, eine Art Mantelgesetz mit Normativbestimmungen zu schaffen, um eine wirksame und gleichmäßige Durchführung der neuen Steuergesetze zu sichern. Als die Reichsfinanzverwaltung Wirklichkeit geworden war, wurde das Gesetz über die Reichsfinanzverwaltung vom 10. September 1919 (RGBl., S. 1591) ohne wesentliche Änderungen als §§ 8-50 übernommen67. 64 Er war von den Alliierten für unabsetzbar erklärt worden, die jedoch verspätet erkannten, "daß der Bankpräsident . . . von der Inflation noch weniger verstand als der leichtsinnigste Finanzminister" (M. J. Bonn, So macht man Geschichte, 1953, S. 269 f.). 65 Vh NV Bd. 338, Drucks. Nr. 759. 6& E. Becker, Die RAO vom 13. 12. 1919, 1922, S. V. 67 Vh NV Bd. 338, Drucks. Nr. 994.

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5. Kap.: Die Erzbergersehe Reichsfinanzreform

Die Besteuerungsbestimmungen im 2. Teil regelten Zuständigkeit, Steueranspruch, Wertermittlung, Steuerfestsetzung, Rechtsmittel und Verfahrensvorschriften. Das vereinheitlichte Steuerstrafrecht betraf Steuerhinterziehung, Strafverfahren u. dgl. m. Erzherger erklärte vor der Nationalversammlung: "Durch die Reichsverfassung ist in Artikel 7 die Kompetenz des Reiches auf dem Gebiete der Steuergesetzgebung ganz erheblich ausgedehnt worden. Das müßte ein schlechter Reichsfinanzminister sein, der von dieser seiner vermehrten Zuständigkeit nicht den denkbar ausgiebigsten Gebrauch machen würde68." Die Reichsabgabenordnung vom 13. Dezember 1919 manifestierte die Entschlossenheit Erzbergers, die Reichskompetenzen auf dem Gebiet der Finanzen wirklich bis zum Rande auszuschöpfen. 1. Die Forderung einer Reichsfinanzverwaltung&s

In Weimar war von Anfang an klar ersichtlich, daß die Zölle und Verbrauchssteuern in reichseigene Verwaltung gelangen würden. Erzberger glaubte jedoch, die finanziellen Verpflichtungen des Reiches nur bewältigen zu können, wenn neben einer neuen Reichsfinanzgesetzgebung auch die Verwaltung der Reichs-, Landes- und Gemeindeabgaben von Grund auf umgestaltet und einheitlich zusammengeiaßt würde. Er bekannte in der Nationalversammlung, daß er die reichseigene Steuerverwaltung von den ersten Tagen seiner Amtsführung an "mit aller Energie" angestrebt habe70• Das Fehlen einer Reichsfinanzverwaltung im alten System hielt er nicht nur für einen Mangel, sondern "geradezu unbegreiflich". In der Sitzung des Reichsministeriums vom 3. Juli 1919 kündigte er seinen Plan, eine sämtliche Reichsabgaben umfassende Reichsfinanzverwaltung zu gründen, an71. In persönlichen Schreiben an die Regierungschefs der Länder und den Österreichischen Gesandten vom 6. Juli 191972 versicherte er, die finanziellen Verpflichtungen aus dem Friedensvertrag könnten nur dann erfüllt und die schwere Verantwortung für die Leitung der Reichsfinanzen nur dann wahrgenommen werden, "wenn neben der Neuordnung der materiellen Finanzgesetzgebung auch die Verwaltung der Reichs-, Landes- und Gemeindeabgaben von &s Am 9. 7. 1919; zit. nach M. Erzberger, Reden, 1919, 5. 26. J. Popitz, Das Gesetz über die Reichsfinanzverwaltung: DJZ 1919; ders., Zehn Jahre Reichsfinanzverwaltung; Steuerarchiv 1929; J. Schwandt, Finanzverwaltung des Dt. Reichs: HWBSt IX, 41929, 5. 240 f.; H. Leide!, Die Begründung der Reichsfinanzverwaltung, 1964. 70 3. 12. 1919; zit. nach M. Erzberger, Reden, 1919, 5. 111. 71 BA, R 43 I/1350. 72 RMin d Fin- II 3641; BA, R 43 I/2430; B.HStA.I, MWi 8293. 69

III. Die Reichsabgabenordnung

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Grund auf geändert und einheitlich zusammengeiaßt wird". Er lud die Finanzminister der Länder auf den 13. Juli nach Weimar ein, wn hierübe.r und über die Frage der materiellen Finanzgemeinschaft zwischen Reich, Ländern und Gemeinden zu sprechen. In der Anlage fügte Erzherger eine Aufzeichnung über "Die Verwaltung der Zölle und Steuern durch das Reich" (nebst skizziertem Verwaltungsaufbau) bei. Die Länder wurden dadurch von den Plänen des Reichsfinanzministers ins Bild gesetzt. In einem geschichtlichen Rückblick erinnerte das Reichsfinanzministeriwn daran, daß die Aufgaben im schuldenfreien Reich 1871 eng umgrenzt gewesen seien, so daß das Reich nur in bescheidenem Umfang Steuerquellen in Anspruch zu nehmen brauchte. In dieser Lage hätte die Verwaltung der Reichsabgaben den Bundesstaaten überlassen bleiben können. Mit dem wachsenden finanziellen Bedarf des Reiches habe sich jedoch die Notwendigkeit einer grundlegenden Veränderung in den finanziellen Beziehungen zwischen Reich und Ländern herausgestellt. Der Regierungsentwurf der neuen Reichsverfassung habe zwar die Matrikularbeiträge beseitigt und die Einheit in der Gesetzgebung über die Reichsabgaben herbeigeführt, aber die Verwaltung nur bei Zöllen und Verbrauchssteuern für das Reich in Anspruch genommen; den Weg für eine "natürliche Weiterentwicklung" habe man aber nicht versperrt. Obgleich sich der Einnahmebedarf von Reich, Ländern und Gemeinden mit 2,1 zu 1,1 zu 1,8 von der Vorkriegszeit auf etwa 14 zu 2 zu 3 für die Nachkriegszeit verschoben habe (bei einer Reichsschuld von 150 Mrd M), habe die Reichsregierung von einer weiteren Vereinheitlichung des Finanzwesens Abstand genommen. Die finanziellen Anforderungen des Friedensvertrages hätten diese ursprüngliche Absicht zunichte gemacht; der Einnahmebedarf des Reiches betrage nunmehr 17,5 Mro M (zusätzlich 10 °/o infolge der Verpflichtungen aus dem Versailler Vertrag), dem ein Bedarf der Länder und Gemeinden von 6 Mrd M gegenüberstehe. Die Aufzeichnung fuhr hypothetisch fort: "Handelte es sich heute um die Gründung des Reiches, kein denkender Mensch würde angesichts dieser Verhältnisse es auch nur für erwägenswert halten, die Verwaltung der Abgaben dem Reiche zu entziehen, das an dem Verwaltungsergebnis mit etwa 70 °/o {1913: 41,91 °/o) beteiligt ist, während sich der Anteil der Gemeinden auf etwa 20 °/o (1913: 36,21 °/o), der Anteil der Länder, der jetzigen Inhaber der Verwaltung, auf nur etwa 10 °/o (1913: 21,88 °/o) stellt. Die Wucht der Tatsachen, die sich aus diesen Zahlen ausdrückt ... (wird) vorhandene Einrichtungen mit der Gewalt eines Naturereignisses über den Haufen werfen, soweit sie diesen Tatsachen keine genügende Rechnung tragen. Das Reich muß aus diesen natürlichen Gesichtspunkten heraus unter den heutigen Verhältnissen die gesamte Finanzverwaltung in die eigene Hand nehmen."

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5. Kap.: Die Erzbergersehe Reichsfinanzreform

Bei dieser Denkweise hatten der bundesstaatliche Gedanke und die Idee der Länderstaatlichkeit keinen Platz. Diese allgemeine Begründung der Forderung nach einer Reichsfinanzverwaltung sollte Gesichtspunkte besonderer Art fundieren: Nur eine zentrale Finanzverwaltung biete sichere Gewähr für eine lückenlose und sparsame Durchführung der Steuergesetze. Überdies sei wünschenswert, daß Verwaltung und Gesetzgebung in engem Zusammenhang stünden, um sich gegenseitig zu befruchten. Schließlich könne man eine steuerlich ungleiche Behandlung durch eine Vielzahl von Finanzverwaltungen be( der enormen Steuerbelastung nicht verantworten. Als einen ausschlaggebenden Grund für die Übernahme der Finanzverwaltung in die eigene Hand sah das Reich die Verpflichtung zur loyalen Erfüllung des Versailler Vertrages an. "Würde die Reichsregierung nicht aus sich selbst heraus die Zentralisierung in der Finanzverwaltung durchführen, so würde die Vielheit der Verwaltungskörper eine stete Quelle von Streitigkeiten und Beanstandungen der gegnerischen Kontrollorgane werden und letzten Endes dazu führen, daß die Feinde je nach ihren Tendenzen sich entweder auf unerträgliche Weise in die Verwaltung selbst einmischten und Zwietracht zwischen Reich und Einzelstaaten säten, oder aber die Einheitlichkeit der Verwaltung erzwingen, die freiwillig durchzuführen versäumt wurde." Hier tauchte erstmals die beliebte Taktik des Reiches auf, in finanzpolitischen Auseinandersetzungen mit den Ländern die Verantwortung, die das Reich eigentlich allein tragen müßte, teilweise auf die Reparationsgläubiger abzuschieben. Die Länder verfügten nicht über den nötigen Einblick, um entsprechende Behauptungen des Reiches auf ihre Stichhaltigkeit beurteilen zu können. Jedenfalls durften sie nicht als Egoisten erscheinen, die um der Erhaltung ihrer Finanzhoheit willen die Existenz und die Lebensfähigkeit Deutschlands gefährdeten. Versprach doch die Aufzeichnung des Reichsfinanzministeriums vom 6. Juli 1919 im Wege eines dezentralisierten Organisationsaufbaus innerhalb der geplanten Reichsfinanzverwaltung eine Berücksichtigung der berechtigten regionalen Belange der Länder. Ferner erging an die Länder das verlockende Angebot, die Reichsfinanzverwaltung werde die verbleibenden Landessteuern auf eigene Kosten miterheben. Neben umfangreichen Verwaltungskosten sollten den Ländern die drückende Last und schwere Verantwortung erspart bleiben, welche die zu erwartende hohe Besteuerung versprach. Eine Anlage zu der Aufzeichnung über "Die Verwaltung der Zölle und Steuern durch das Reich" 73 gab Aufschluß darüber, wie sich das Reichsfinanzministerium den Verwaltungsaufbau vorstellte: Grundsätzlich sollte das Schwergewicht der Geschäftsführung möglichst weit nach unten und damit nahe an den 73

BA, R 43 I/2430.

III. Die Reichsabgabenordnung

203

Steuerpflichtigen herangelegt werden. Als mittlere Instanzen unter dem Reichsfinanzministerium waren Landesfinanzämter74 gedacht, die sich ihrerseits in drei Abteilungen gliedern sollten: Die erste Abteilung für "Besitz- und Verkehrssteuern" mit nachgeordneten "Hauptsteuerämtern" war für die Verwaltung der Einkommen-, Verkehrs-, Umsatz-, Erbschafts- und Stempelsteuer sowie für die Vermögensabgabe vorgesehen, während eine zweite Abteilung für "Zölle und Verbrauchssteuern" und eine weitere für die Reichsvermögensverwaltung eingerichtet werden sollte. Erzherger ließ keinen Zweifel daran, daß er entschlossen war, rasch und kompromißlos sein Projekt durchzusetzen. Er wußte, daß es darauf ankam, wer den Apparat in der Hand hatte, durch den sich ein einheitlicher Wille reibungslos durchsetzen ließ. "Die Durchführung der reichseigenen Steuerorganisation wird den größten Schritt zum Aufbau des deutschen nationalen Einheitsstaates darstellen. Ich bin diesen Weg in klarem Bewußtsein nicht aus politschen Gründen allein gegangen, sondern auch aus Gründen, die in der Materie selbst liegen. Ohne eine reichseigene Steuerverwaltung ist es . . . nicht möglich, die Finanzen überhaupt in Ordnung zu bringen75." Bereits 5 Tage nach der Zustimmung des Reichskabinetts zu den Steuervorlagen und den organisatorischen Änderungen bei den Veranlagungsbehörden am 3. Juli 191976 und 2 Tage nach der Unterrichtung der Landesregierungen durch die Note vom 6. Juli 191977 forderte Erzherger am 8. Juli 1919 vor der Nationalversammlung zur Vollendung seiner geplanten Finanzreform "grundlegende Systemänderungen in der Steuerverwaltung" 78. Er bezog sich dabei auf den in zweiter Lesung befindlichen Verfassungsentwurf, dessen Art. 7 (= Art. 8 RV) die Zuständigkeit des Reiches auf dem Gebiet der Steuergesetzgebung gegenüber der alten Reichsverfassung erheblich erweiterte. 2. Die Finanzministerkonferenz vom 13. Juli 1919 zu Weimar

Während sich Erzherger am 8. und 9. Juli vor der ohnehin unitarisch orientierten Nationalversammlung mit skizzenhaften Ausführungen zur geplanten Reichsfinanzverwaltung begnügen konnte, erwarteten die 74 Die Bezeichnung für diese Reichsbehörden entsprang u. a. einer gewissen Rücksichtnahme auf die Länder, zumal auch die Möglichkeit der Verwaltung von Landesabgaben vorgesehen war. 75 In der NV am 12. Aug. 1919; zit. nach M. Erzberger, Reden, 1919, S. 69. Bei der gleichen Gelegenheit (a.a.O., S. 73) nannte er die Errichtung der Reichsfinanzverwaltung "neben der Verabschiedung der RV den wichtigsten Schritt auf dem Weg, ein neues starkes Deutsches Reich zu bilden". 76 BA, R 43 1/1350. 77 I1 3641 ; BA, R 43 1/2430; B.HStA.I, MWi 8293. 78 Zit. nach M. Erzberger, Reden, 1919, S. 18.

5. Kap.: Die Erzbergersehe Reichsfinanzreform

204

Ländervertreter als bisherige Träger der Verwaltungshoheit überzeugende Argumente. Erzherger setzte vor den am 13. Juli im Weimarer Fürstenhaus versammelten Finanzministern sein Vorhaben eingehend auseinander79 • Vom finanziellen Bedarf des Reiches ausgehend und dem sich daraus ergebenden Erfordernis einer Reichseinkommensteuer, versprach er den Ländern finanzielle Sicherstellung im Wege eines materiellen Finanzausgleichs. Dabei sollte das Finanz- und Steueraufkommen künftig folgendermaßen verteilt werden: Das Reich erhält den gesamten Ertrag aus Zöllen, Verbrauchs- und Verkehrssteuern sowie aus der Vermögensabgabe; das Reich teilt sich mit den Ländern im Ertrag der Erbschaftsteuer, der Reichseinkommensteuer, der Stempelabgaben und der großen Umsatzsteuer; das Aufkommen aus den gesamten Ertragssteuern, Gebühren und örtlichen Abgaben sollte den Ländern überlassen bleiben. Analog den geplanten Veränderungen auf materiellem Gebiet und im Reichssteuersystem müßten zwangsläufig Maßnahmen im Bereich der Aufgaben und der Finanzverwaltungsorganisation einhergehen. Aus Gründen der Gleichmäßigkeit und Rationalisierung der Steuererhebung sei eine einheitlich geleitete Reichsfinanzverwaltung nötig, durch welche die Länder zugleich von den Aufwendungen für die Steuererhebung entlastet würden. Erzherger machte den gesamten Erfolg seiner Finanzreform von der Schaffung einer einheitlichen Finanzverwaltung abhängig, die bereits am 1. Oktober 1919 in Funktion treten solle. Die gegenwärtige Steuerverwaltung reiche ihrer Struktur nach nicht aus, um das auf das Fünffache gegenüber der Friedenszeit angestiegene Steueraufkommen - bei einem Reichsanteil von 75 OJo - zu bewältigen. Erzherger sicherte den Ländern ein behutsames Vorgehen beim Aufbau der neuen Reichsorganisation zu; in einer Reihe von Ländern -besonders Süddeutschlands - käme es nur zu einer "Firmenschildänderung". Sollte jedoch der Widerstand der Länder gegen eine reichseigenen Steuerverwaltung unüberwindlich sein, werde er einen umfassenden Kontrollapparat von Reichsaufsichtsbehörden schaffen. Bremen, Mecklenburg, Hessen und Reuß bejahten die Reichsfinanzverwaltung ausdrücklich; ebenso der badische Finanzminister Wirth, allerdings nur für seine Person80• Preußen und Harnburg stimmten der Einrichtung der Reichsfinanzverwaltung unter gewissen Vorbehalten zu. Als Voraussetzungen nannte der preußische Finanzminister Dr. Südekum, daß die materielle Lebensfähigkeit der Einzelstaaten gewährleistet würde, und daß alle Staaten ihr Einverständnis mit der 79

Prot. über die Ministerkonferenz vom 13. Juli 1919 zu Weimar; BA,

so

Der badische Landtag war anderer Meinung.

R 43 I/2430.

III. Die Reichsabgabenordnung

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reichseigenen Steuerverwaltung erklärten. Hamburgs Senator Schäfer hielt zwar die einheitliche Reichseinkommensteuer für notwendig, nicht aber unbedingt die Reichsfinanzverwaltung. Bayern, Württemberg, Sachsen, Oldenburg und Anhalt sprachen sich entschieden gegen die reichseigene Finanzverwaltung aus. Der bayerische Finanzminister Speck warnte vor jeglicher Überstürzung. Reichseinkommensteuer und Reichsfinanzverwaltung lehnte er ab, da sie die Vernichtung der staatlichen und kommunalen Selbständigkeit bedeuteten, die "Reichsfreudigkeit" untergrüben und die "Reichsverdrossenheit" begünstigten. Im übrigen bezweifelte er, daß sich die Vereinheitlichung bis zum 1. Oktober 1919 durchführen ließe. Er wurde hierin unterstützt von seinem württembergischen Kollegen Liesching81, der die Überführung der Finanzverwaltung auf das Reich zum 1. Oktober 1919 für unmöglich hielt; außerdem werde sie zu teuer sein, und die nötigen Beamten würden fehlen. Das Reichsfinanzministerium möge daher das "Experiment" unterlassen. Der sächsische Finanzminister Nitzsche82 reagierte auf die Ausführungen Erzhergers sehr skeptisch, wenngleich er zu Konzessionen bereit war. Er stimmte einer Reichseinkommensteuer zu, nicht aber einer Reichsfinanzverwaltung; nach seiner Überzeugung könnten die Ziele des Reichsfinanzministeriums auch mittels der Landessteuerverwaltungen erreicht werden. Ähnlich äußerten sich der oldenburgische Staatsminister Dr. Driver83 und der Vertreter Anhalts, Gesandter Boden84 • Erzherger war vom Widerstand der Länder nicht überrascht. Ohne in der Sache nachzugeben, spiegelte er Verständigungsbereitschaft vor, um wenigstens Preußen ganz zu gewinnen: Er wünsche bezüglich der Reichsfinanzreform keinen Majoritätsbeschluß, sondern eine einmütige Übereinstimmung aller Beteiligten. Im übrigen könnten die Länder sicher sein, daß das Reich sie nicht auf ihren Schulden sitzenlasse. Bei der gleichen Gelegenheit eröffnete Erzherger jedoch den überraschten Finanzministern sein Vorhaben, noch "in diesen Tagen" dem Staatenausschuß 81 Theodor Liesching, geb. 14. 8.1865 Stuttgart, gest. 25. 7. 1922 Döblingen; Rechtsanwalt; 1901 ff. MdL-Württ., 1912-18 MdR (Dt. Fortschritt!. Volkspartei); Nov. 1918 württ. FinMin. 82 Emil Nitzsche, geb. 31.10. 1870 Hadersleben, gest. 24. 7. 1921 Leutzsch; Kaufmann; 1909 ff. MdL-Sachsen, Jan. 1919-Jan.1920 MdNV (DDP); Nov. 1918 sächs. FinMin. 83 Dr. jur. Franz Driver, geb. 4. 1. 1863 Friesoythe; 1900 Amtshauptmann in Varel; 1906 Oberverwaltungsgerichtsrat in Oldenburg; 1907 ff. MdLOldenburg (Z), wiederholt oldenb. StMin. 84 Dr. Ing. E. h. Friedr. Boden, geb. 23. 8. 1870 Braunschweig; Jurist; 1905 RegRat in Braunschweig; 1906 braunschweigischer Bundesratsbevollm. in Berlin; 1913 Gesandter und bevollm. Minister am preuß. Hof; Bevollm. z. Bundesrat für Anhalt; 1920 Bevollm. z. RR für Braunschweig, Anhalt und Mecklenburg-Strelitz.

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5. Kap.: Die Erzbergersehe Reichsfinanzreform

den Entwurf der Reichsabgabenordnung mit der reichseigenen Finanzverwaltung vorlegen zu wollen. Sollte der eine oder andere Ländervertreter Weimar in der Hoffnung verlassen haben, es komme zu einer Verständigung des Reichsfinanzministeriums mit den Ländern, so verkannte er die Denkweise Erzbergers. Der Reichsfinanzminister war dermaßen von der Richtigkeit und Notwendigkeit seines Vorhabens überzeugt, daß "Übereinstimmung" in seinem Sinne bedeutete, daß sich die Einzelregierungen seinen Ansichten anschlossen. 3. Der umgearbeitete Entwurf einer Reichsabgabenordnung

Noch waren die Finanzminister nicht zu Hause angekommen, berichtete Erzherger dem Reichskabinett über die Konferenz am 13. Juli85 und ordnete das Einfügen der Reichsfinanzverwaltung in den Entwurf der Reichsabgabenordnung an. Außer dem Teil "Behörden" hat Erzberger die Arbeiten zur Reichsabgabenordnung, ebenso wie Schiffer und Dernburg, sachlich nicht beeinftußt, so daß Enno Becker verhältnismäßig freie Hand behielt86• Bezüglich der Reichsfinanzverwaltung schloß sich Becker dem Reichsfinanzminister voll an. Mit allergrößter Eile wurde der 1. Teil "Behörden" des Entwurfs der Reichsabgabenordnung innerhalb zweier Tage völlig umgearbeitets7 • Als Grundlage diente die Aufzeichnung nebst Skizze des Verwaltungsaufbaus vom 6. Juli 191988• Am 19. Juli 1919 übermittelte Erzherger den neuen "Entwurf der Reichsabgabenordnung" dem Reichskabinett mit der Bitte um rasche Beschlußfassung89 und den Landesregierungen90• Zwei Tage darauf wurde die Abgabenordnung vom Reichskabinett gebilligt91 , am 24. Juli dem Staatenausschuß92 und am 6. August 1919 der Nationalversammlung zur Beschlußfassung vorgelegt. Der 1. Teil "Behörden" des umgearbeiteten Entwurfs (§§ 8-50) gliederte sich in 5 Abschnitte: Allgemeine Vorschriften, Landesfinanzämter, Finanzämter, Reichsfinanzhof sowie Ausschließung und Ablehnung der Beamten. § 8 Abs. 1 bildete die Grundlage für die Reichsfinan-zverwaltung: "Die Steuern (§ 1 Abs. 2) werden von Reichsbehörden verwaltet (Finanzbehörden)", wobei mit Steuern jene Abgaben gemeint waren,

Ministerratsprotokoll vom 14. 7.1919; BA, R 43 I/1350. Abbau des Reichssteuerrechts, 1923, S. 971. Am 16. Juli 1919 ging der umgearbeitete Entwurf in Druck. RMin d Fin an die Länderregierungen - II 3641; BA, R 43 I/2430; B.HStA.I, MWi 8293. 89 Erzherger an d RReg, W-III 450 Br.; 76 S.; BA, R 43 I/2430. 90 B.HStA.I, MWi 8317. 91 BA, R 43 I/1350. 92 BA, R 43 I/2354. 85 88 87 88

E. Becker,

III. Die Reichsabgabenordnung

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die ganz oder teilweise zugunsten des Reiches erhoben wurden. Den Organisationsaufbau legte § 8 Abs. 2 fest: "Die oberste Leitung steht dem Reichsminister der Finanzen zu. Unter ihm stehen Landesfinanzämter als Oberbehörden und unter diesen Finanzämter mit ihren Hilfsstellen." Die Landesfinanzämter, die sich tunliehst mit den Ländern oder mit größeren Verwaltungsbezirken der Länder deckten (§ 12), umfaßten - nach sachlichen Gesichtspunkten bestimmt - drei Abteilungen (§ 13) und hatten die Aufgabe, die Oberleitung der Finanzverwaltung für ihren Bezirk wahrzunehmen, die Gleichmäßigkeit der Gesetzesanwendung zu überwachen und die Geschäftsführung der Finanzämter zu beaufsichtigen (§ 14). Den Geschäftsumfang der als Lokalinstanzen vorgesehenen Finanzämter bestimmte der Reichsfinanzminister (§ 21). Ihre Vorsteher trugen die Verantwortung dafür, daß die Steuern in ihrem Bezirk nach dem Gesetz verwaltet und alle Steuerpflichtigen gleichmäßig behandelt würden (§ 24). Da das Reich jedoch keine eigenen Steuerbeamten besaß, mußten solche von den Ländern übernommen werden, die dafür Landes- und Kommunalabgaben durch Finanz- und Landesfinanzämter verwalten lassen durften: "Auf Antrag einer Landesregierung kann das Reichsfinanzministerium den Landesfinanzämtern und den Finanzämtern die Verwaltung von Landesabgaben und Landesvermögen gegen angemessene Entschädigung übertragen. Soweit dies geschehen ist, haben die Landesfinanzämter und Finanzämter den Weisungen der obersten Landesbehörden zu folgen. Kommt eine Einigung über den Betrag der Entschädigung nicht zustande, so entscheidet der Reichsrat" (§ 20). Daß die Länder bei zunehmender Finanznot von dieser Möglichkeit Gebrauch machen würden, war vorherzusehen. Keine Rechtsvorschrift hinderte jedoch ein Land daran, die Miterhebung von Landesabgaben durch Reichsbehörden rückgängig zu machen93• Zur Entscheidung über das Rechtsmittel der Berufung sah § 15 die Bildung von Finanzgerichten bei den Landesfinanzämtern vor. Bedenklich war dabei, daß die Mitglieder des Finanzgerichts aus Gründen der Sachkenntnis gleichzeitig Beamte des Landesfinanzamtes waren; damit konnte von einer persönlichen richterlichen Unabhängigkeit keine Rede sein. Wie schon der vorläufige Entwurf der Reichsabgabenordnung ließ auch der umgearbeitete Gesetzentwurf die Einzelsteuergesetze bestehen. Die Tatsache, daß bei der Organisation der Steuerbehörden das System der dreigliedrig-dezentralisierten Fachverwaltung ·süddeutscher Prägung als Vorbild diente, bedeutete in gewisser Beziehung einen 93

H. Nawiasky, Das Reich als Bundesstaat, 1928, S. 106.

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5. Kap.: Die Erzbergersehe Reichsfinanzreform

"Triumph des durchgebildeten süddeutschen Typus"94. Insofern ließ sich die Finanzverwaltung Süddeutschlands reibungsloser verreichlichen. Aber dieser Vorteil stand in keinem Verhältnis zum Schaden für die Länderstaatlichkeit bei Verlust der Finanzverwaltung. Manifestiert sich doch "der Staat" in den Augen des Volkes vorrangig in dessen Verwaltung; gilt doch auch für die Beamten das Sprichwort: Wes' Brot ich eß, des' Lied ich sing'! 4. Die Beratung der Reichsabgabenordnung im Staatenhaus

Der Entwurf einer Reichsabgabenordnung war vom Reichsfinanzminister am 24. Juli 1919 dem Staatenausschuß und den Landesregierungen zugeleitet worden. Das bayerische Finanzministerium erklärte den Entwurf für "unannehmbar", "da nach dem Entwurf die Einzelstaaten von der Verwaltung der Reichssteuern und Monopole vollständig ausgeschaltet würden, die Steuern vielmehr künftighin ausschließlich von Reichsbehörden verwaltet würden" 95. Erzherger ließ sich durch den Widerstand zahlreicher Länder nicht entmutigen. In der Sitzung des Reichskabinetts am 29. Juli 191996 bezeichnete er die sofortige Errichtung von Reichsfinanzbehörden zur praktischen Durchführung der neuen Steuergesetze als "unbedingt erforderlich". Gleichzeitig leugnete er nicht, daß sein Reformprogramm zum Einheitsstaat führen werde. Das erschien ihm aber weniger als Hindernis denn als Ansporn. Der Staatenausschuß beriet den Entwurf der Reichsabgabenordnung vom 4. bis 6. August 191997 • Derbayerische Standpunkt wurde vertreten durch Dr. von Preger und Dr. von Kohl98. Im Mittelpunkt der Debatten standen die Reichseinkommensteuer und die Reichsfinanzverwaltung. Erzherger setzte sich wieder mit Nachdruck für die Schaffung der reichseigenen Steuerverwaltung ein. Bayern, Sachsen und Baden wehrten sich gegen die Beschneidung ihrer Finanzhoheit. Der badische Finanzminister Dr. Wirth rückte also mit Rücksicht auf die ablehnende Haltung des badischen Landtags von seiner persönlichen Befürwortung der Reichsfinanzverwaltung auf der Finanzministerkonferenz vom 13. Juli 1919 wieder ab; gegen eine einheitliche Behördenorganisation hatte er nichts einzuwenden, aber diese sollte vorläufig den Ländern 94 95

a.a.O., S. 161. Staatsrat von Merket an das B. Stmin d Äuß vom 28. 7.1919; B.HStA.II,

H. Nawiasky,

MA 103730. K BA, R 43 I/1324. 97 Staatenausschuß 1919, Drucks. Nr. 150. 98 Staatsrat im B.Stmin d Fin; nach der Besprechung über die Einführung der Rfinverw in Bayern (14. 8.1919 zu Weimar) zum Präs d. Landesfinanzamtes Würzburg bestimmt (ab 1. 10. 1919; vgl. die Note Erzhergers vom 29. 9. 1919; B.HStA.II, MA 103730).

111. Die Reichsabgabenordnung

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überlassen bleiben. Erzherger lehnte diesen Kompromißvorschlag ein ähnlicher war auch von Anhalt vorgebracht worden - ab. Der preußische Vertreter verknüpfte das Problem der reichseigenen Finanzverwaltung mit den Fragen des materiellen Finanzausgleichs:· Die Länder sollten am Aufkommen der Reichseinkommensteuer in einer Höhe beteiligt wer-den, die mindestens dem Aufkommen für das Steuerjahr 1919 zusätzlich einer jährlichen Steigerung von 4 bis 6 Ofo entspräche. Der Annahme Preußens, die Länder und Gemeinden dürften Ergänzungssteuern zur Einkommensteuer behalten, widersprach Staatssekretär Moesle. Den übrigen Bedingungen Preußens, denen sich die meisten Länder anschlossen, konnte sich Erzherger jedoch nicht verschließen. Im Interesse einer baldigen Verwirklichung der Reichsfinanzverwaltung war er bereit, den Ländern durch eine qualifizierte Garantie eine gewisse Mindestbeteiligung am Ertrag der Einkommensteuei zuzugestehen. Die preußischen Bedingungen wurden daher mit unwesentlichen Änderungen als § 451 in den Entwurf der Reichsabgabenordnung übernommen. Auch die württembergischen Anträge fanden die Billigung des Staatenausschusses und Erzbergers: Neben die Forderung einer Sicherstellung der finanziellen Selbständigkeit der Länder und Gemeinden trat der Antrag einer Mitwirkung der Landesregierung in der Finanzverwaltung. Man erwog sogar eine Personalunion zwischen Landesfinanzminister und dem Präsidenten des Landesfinanzamtes99• Es wurde im Staatenausschuß vereinbart, daß die Errichtung der Landesfinanzämter (Standort, Bezirke usw.) im Einvernehmen mit den Ländern erfolgen sollte. Die Kann-Vorschrift des § 20 des Entwurfs der Reichsabgabenordnung, welche die Möglichkeit von Landesabgaben durch Reichsbehörden bei angemessener Entschädigung vorsah, wurde in eine Muß-Vorschrift der kostenlosen Verwaltung der Landesabgaben umgewandelt. Diese Verpflichtung des Reiches war als Gegenleistung für die Überlassung der staatlichen Steuer- und Zollbehörden und deren Verwaltungseinrichtungen gedacht. Ohne Überlassung der Steuerund Zollbehörden der Länder wäre das Reich auf lange Sicht zur Schaffung der reichseigenen Steuerverwaltung nicht imstande gewesen. Gegen die Stimmen Bayerns, Sachsens und Badens wurde der Entwurf der Reichsabgabenordnung am 6. August 1919 vom Staatenausschuß angenommen100• Erzherger war nun doch- entgegen seiner früheren Äußerungen- mit einem Majoritätsbeschluß zufrieden, der durch die 99 Der bayerische FinMin Speck wurde Präs d. Landesfinanzamtes München, legte jedoch sein Ministeramt ab; die BVP war über diesen Schritt ihres Parteivors. nicht glücklich. too Niederschr. d. 47. Sitz. d. Staatenaussch. v. 6. 8. 1919. Der Großteil d. einschlägigen Akten d B.Stmin d Äuß - früher im B.HStA.II unter "R.R.IV H 28 Conv. I" - ist leider eingestampft worden. 14 Menges

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5. Kap.: Die Erzbergersehe Reichsfinanzreform

Kompromißbereitschaft vor allem Preußens und Württembergs erreicht wurde. Es war bedenklich, eine dermaßen bedeutsame Änderung im Reich-Länder-Verhältnis, wie sie die Verreichlichung der Steuerverwaltung darstellte, gegen den Willen von Ländern im Gewicht Bayerns, Sachsens und Badens durchzuführen. Die überstimmten Länder fühlten sich vergewaltigt. Immerhin erzwangen sie durch ihre ablehnende Haltung im Staatenausschuß Konzessionen des Reichsfinanzministeriums, die einem gänzlich gefügigen Staatenausschuß wohl kaum eingeräumt worden wären. 5. Die Beratung der Reichsabgabenordnung in der Nationalversammlung

Noch am 6. August 1919 legte Erzherger den Entwurf der Reichsabgabenordnung der Nationalversammlung vor101 • Er faßte die wichtigsten Gesichtspunkte nochmals zusammen: Unter dem Zwang der Verhältnisse mußte der Steuerertrag auf das Fünffache gesteigert werden, wobei 75 °/o auf das Reich entfielen. Damit sei die unabdingbare Notwendigkeit der Verreichlichung des Steuerrechts und der Steuerverwaltung gegeben, da nur so nach den Grundsätzen größtmöglicher Effektivität und Gleichmäßigkeit gehandelt werden könne. Die Nationalversammlung beriet bis in den Spätherbst 1919 hinein über die gesamte Reichsabgabenordnung, verabschiedete jedoch deren 1. Teil "Behörden" schon am 19. August 1919. Erzherger hatte darum gebeten, da dies "absolut notwendig (sei), wenn überhaupt die Reichsfinanzreform ernsthaft in Angriff genommen werden soll" 102• Er verkannte jedoch nicht, daß diese Bestimmungen "tiefgreifende politische Folgen für den Aufbau des Reiches mit sich" bringe: "Die Durchführung der reichseigenen Steuerorganisation wird den größten Schritt zum Aufbau des deutschen nationalen Einheitsstaates darstellen103." Mit Genugtuung konnte Erzherger feststellen, daß die reichseigene Finanzorganisation von den Oppositionsparteien wenigstens nicht glatt abgelehnt wurde10~. Die DNVP lehnte den Entwurf der Reichsabgabenordnung insgesamt ab, wenngleich die Meinung innerhalb der Partei nicht einheitlich war. In der Mehrzahl wandten sich die Abgeordneten der DNVP als Befürworter starker Bundesstaaten gegen eine Gefährdung der einzelstaatlichen und kommunalen Selbständigkeit. Kraut105 führte hierzu aus: "Was von meinem Standpunkt aus das Bedenklichste an der ReichsVh NV Bd. 338, Drucks. Nr. 759. Vh NV StenBer Bd. 329, S. 2362 (12. 8. 1919). 1oa Vh NV a.a.O., S. 2376. 104 Vh NV a.a.O., S. 2611 (13. Aug. 1919). 101 102

105 Heinrich Kraut, geb. 4. 7. 1857 Cannstadt, gest. 31.8.1935 Heiligenberg; Rechtsanwalt; 1912-18 MdL-Württ., 1919-20 MdNV (DNVP).

III. Die Reichsabgabenordnung

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abgabenordnung ist, ist der Umstand, daß mit ihr die Steuerhoheit und damit die Selbständigkeit der Einzelstaaten zu Grabe getragen wird ... Wäre es nicht möglich gewesen, diese Grundsätze ... also die Vereinheitlichung der Steuerveranlagung und Steuererhebung und auch die gemeinsamen Vorschriften durchzuführen, ohne daß in sämtliche Länder als Steuerbehörde Reichsbeamte gesetzt werden106?" Überhaupt stimmte es ihn bedenklich, "daß in Verbindung mit der Zentralisierung der Steuern eine Machtvollkommenheit in die Hände des Reichsfinanzministers gelegt wird, wie sie kaum je ein Diktator gehabt hat" 107• Sein Parteifreund Düringer wies darauf hin, daß die im Verfassungsausschuß erarbeitete Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Reich und selbständigen Einzelstaaten wieder über den Haufen geworfen werde. "Man kann wohl sagen, mit dieser Reichsabgabenordnung wird den Einzelstaaten das finanzielle Rückgrat gebrochen. Nachdem wir uns monatelang im Verfassungsausschuß damit abgemüht haben, die richtige Grenze zwischen der Selbständigkeit der Länder und den Rechten und Ansprüchen des Reiches zu finden, haben wir in gewisser Beziehung vergebliche Arbeit .geleistet . . . denn ohne Geld können Länder und Gemeinden ihre kulturellen Aufgaben nicht erfüllen, sie geraten in völlige Abhängigkeit vom Reich108." Dr. von Delbrück109 folgerte aus dem föderalistischen Charakter der Reichsverfassung die Notwendigkeit einer Zweidrittelmehrheit bei der Abstimmung über die Reichsabgabenordnung, die selbst nach Erzhergers Worten den Einheitsstaat herbeiführe110• Bei Wiederaufnahme der verfassungsmäßigen Garantie in § 46 und § 451 (vom 10. Ausschuß der Nationalversammlung gestrichen) hätte die DNVP dem Entwurf zugestimmtl11 • Nachdem das nicht geschah, lehnte die DNVP den Entwurf der Reichsabgabenordnung mit der Reichsfinanzverwaltung ab. In einzelnen Punkten berührten sich die Auffassungen von DNVP und DVP, obwohl letztere das Gesetz der Reichsabgabenordnung als "großen Fortschritt" im finanziellen Aufbau des Reiches annahm112• Vh NV StenBer Bd. 329, S. 2634. Kraut, a.a.O., S. 2396. Vh NV StenBer Bd. 331, S. 3677. Dr. Clemens von Delbrück, geb. 19.1.1856 Halle, gest. 17. 12.1921 Jena; 1892 RegRat in Danzig; 1896 OB von Danzig; 1902 Oberpräs von Westpreußen; 1905 Preuß. Min f Handel u. Gewerbe; 1909 SS im Reichsamt d. Innern; bis 1916 Organisator der Kriegswirtschaft, zuletzt Chef des Geh. Zivilkabinetts Wilhelms II.; nach dem 1. Weltkrieg Mitbegründer der DNVP und MdNV; 1920-21 MdR; vgl. G. A. Ritter, C. v. Delbrück: Neue Dt. Biographie III, 1957. uo Vh NV a.a.O., S. 3812; a.a.O., Bd. 329, S. 2636; vgl. auch Hugenberg, a.a.O., Bd. 331, S 3688. f -DMlung-CGV"mG- BFSKPZ UMLHW RDGOVC ENIAT RDGOVP 111 Delbrück, Vh NV StenBer Bd. 329, S. 2636. 112 Kempkes (Adolf Kempkes, geb. 30. 8. 1871 Essen, gest. 6. 1. 1931 Berlin; Rechtsanwalt; 1919-Sept. 1930 MdNV bzw. MdR (DVP); 6.10.-23.11.1923 SS in der Rk [Stresemann Il]) a.a.O., Bd. 331, S. 3809 A. 106 101 108 109

14"

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5. Kap.: Die Erzbergersehe Reichsfinanzreform

Wie die DNVP erkannte die DVP in der Realisierung des Gesetzentwurfes die Mediatisierung der Einzelstaaten, die - nach den Verfassungsverhandlungen zu schließen - von der Mehrheit der Nationalversammlung nicht gewünscht worden sei. Selbstverständlich müsse eine Gleichmäßigkeit der Landesbehörden herbeigeführt werden; die Reichsregierung bleibe jedoch den Beweis schuldig, daß nur Reichsbehörden eine gründliche und gleichmäßige Veranlagung der direkten Steuern sicherstellten. Vielmehr seien Verwaltungen in kleineren Einheiten besser zu handhaben als solche über das ganze Reich zentral ausgedehnte. "Dann dürfen Sie diese Mediatisierung der Einzelstaaten nicht mitmachen, wenn Sie nicht etwa aus politischen Gründen sie wollen. Wenn das letztere aber der Fall ist, dann soll man es auch ehrlich zugeben und soll nicht sagen, sachliche Gründe machten es unbedingt nötig, die Organisation durchzuführen, wie sie die Reichsregierung Ihnen vorschlägt113. " Eine Reichseinkommensteuer vollende die Mediatisierung. Der materielle Verlust könne ausgeglichen werden, nicht aber der formelle Verlust der Finanzhoheit. Bei aller Kritik an den zentralistischen Organisationsveränderungen stellte Becker-Hessen klar, daß die DVP dennoch nicht die Verreichlichung an sich ablehne. Aus der Überzeugung heraus, daß der Aufbau des Reiches mit allen Kräften zu fördern sei, stellte die DVP ihre Bedenken zurück und stimmte dem Entwurf der Reichsabgabenordnung zu. Das Zentrum stellte sich geschlossen hinter die Konzeption Erzbergers, wenn auch der badische Finanzminister Wirth in seiner abgewogenen Rede auf das Opfer der süddeutschen Staaten hinwies. Wirth trat dafür ein, daß der Schutz einer verfassungsändernden Mehrheit in die Reichsabgabenordnung eingebaut werde114, da er für das künftige Landessteuergesetz wieder notwendig sein werde. Die Einzelstaaten müßten die Gewißheit besitzen, ihre kulturellen Aufgaben voll erfüllen zu können. "Wir möchten es nicht erleben, daß das Reich ... wenn es für die kulturelle Förderung der Bundesstaaten Mittel zur Verfügung stellen will, dann gleichzeitig auch die Unifizierung der Verwaltung dieser Kulturzentren in seine eigene Hand nehmen wi11115." Die BVP war nicht gewillt, sich mit der "Zentralisation des Finanzwesens" abzufinden. Sie erhob durch ihren Fraktionsvorsitzenden Leicht Einspruch gegen die finanzielle Entmündigung der Einzelstaaten Becker-Hessen, a.a.O., Bd. 329, S. 2617 C u. S. 2408 u. S. 2416. Ein entspr. Antrag Herold (Carl Herold, geb. 20. 7. 1848 Loevelinkloe, gest. 13. 1. 1931 ebd.; Landesökonomierat und Gutsbesitzer; 1889-1928 MdLPreuß.; 1898-1931 MdR [Z]) - Vh NV Bd. 338 Drucks. Nr. 937 -: "Die NV wolle beschließen: dem§ 46 den nachfolgenden 4. Absatz hinzuzufügen (Abs.3 des § 451 des Entwurfs der RAO): eine Änderung dieser Vorschriften kann nur unter den Voraussetzungen erfolgen die nach der RV für Verfassungsänderungen vorgesehen sind, (Weimar, 18. 8. 1919)" wurde angenommen. 115 Wirth, Vh NV StenBer Bd. 329, S. 2634 A. 113 114

III. Die Reichsabgabenordnung

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sowie gegen die Bevormundung deren kulturellen und wirtschaftlichen Eigenlebens und lehnte mit dieser Erklärung den Entwurf der Reichsabgabenordnung ab116. Die DDP begrüßte die Reichsabgabenordnung als Schrittmacherio des Einheitsstaates, den sie nicht mit "Zentralisation" gleichgesetzt sehen wollte. Eine einheitliche Wirtschaft galt der DDP für erstrebenswert; die diversen Kulturbelange der einzelnen Länder sowie die verschiedenen Möglichkeiten der Eigenstaatlichkeit sollten vor allem in den Gemeinden finanziell und verwaltungspolitisch nicht gehemmt werden117. Die SPD stellte sich ganz hinter die Reichsabgabenordnung, die der Abgeordnete Braun118 einen "Riesenschritt zur Vereinheitlichung des Reiches" schon wenige Tage nach Veröffentlichung der Reichsverfassung nannte119• Gegen den § 451 meldete die SPD Bedenken an wegen der Höhe der Garantiesumme; sie schloß sich dennoch dem "Antrag Herold" an, um die Annahme des Gesetzes nicht zu gefährden12o. Die USPD hielt es "geradezu für unsinnig, daß man jetzt durch solche partikularistische Quisquilien den Aufbau einer solchen großen Aufgabe verhindert". Allerdings sollte den Einzelstaaten und Gemeinden ein bestimmter Teil der Gesamteinkünfte des Reiches sicher sein121 •

a) Das Gesetz über die Reichsfinanzverwaltung Auf Anregung Erzhergers wurden die §§ 8-50 und 451 des umfangreichen Entwurfs der Reichsabgabenordnung vorweg erledigt122: Es handelte sich um die Vorschriften über die behördliche Organisation der Reichsfinanzverwaltung und die Bestimmung über die BeteiHgung der Länder an der einzuführenden Reichseinkommensteuer. In § 46 (= § 451 des RAO-Entwurfs) hatte der 10. Ausschuß der Nationalversammlung hinzugefügt, daß die Anteilsätze der Länder an der Reichseinkommensteuer entsprechend zu ändern seien, soweit das Reich Aufgaben übernimmt, deren Kosten 1917, 1918 und 1919 die us a.a.O., S. 2642 D. Henrich (Dr. Konrad Henrich, geb. 1864 Langgöns, gest. 1928 Darmstadt; 1919-28 hessischer FinMin; 1919-27 MdL-Hessen (DDP); 1919-20 MdNV) a.a.O., S. 2392. 11s Dr. phil Adolf Braun-Franken, geb. 20. 3. 1862 Laag, gest. 13. 5. 1929 Berlin; Chefredakteur; 1919-28 MdNV bzw. MdR (SPD). 119 a.a.O., S. 2384 B. 12o Um die Länderinteressen zu wahren, "sind wir selbstverständlich der Meinung, daß die berüchtigten Eigentümlichkeiten berücksichtigt werden müssen" (Braun, a.a.O., S. 2384 D). 121 Wurm (Emanuel Wurm, geb. 16. 9. 1857 Breslau, gest. 3. 5. 1920 Berlin; Chemiker und Schriftsteller; 1890-1907 und 1912-20 MdR [SPD/USPD]) a.a.O., S. 2637. 122 Erzberger, Vh NV StenBer Bd. 329, S. 2376 B (12. 8. 1919). 117

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5. Kap.: Die Erzbergersehe Reichsfinanzreform

Länder und Gemeinden getragen haben, oder das Reich den Ländern und Gemeinden neue Aufgaben überträgt. Die Streichung des Erfordernisses einer qualifizierten Mehrheit zur Änderung des § 46 durch den 10. Ausschuß, wurde bekanntlich im Plenum durch den "Antrag Herold" wieder rückgängig gemacht. Erzherger war nicht nur an einer Zustimmung der Nationalversammlung, sondern auch an einem Einverständnis möglichst aller Länder mit seinem Reformprogramm gelegen. Über die Abstimmung im Staatenausschuß war er offensichtlich nicht glücklich. Deshalb trat er, noch während die Nationalversammlung über die Reichsfinanzverwaltung diskutierte, mit den süddeutschen Ländern und mit Sachsen in Verhandlungen, um sie versöhnlicher zu stimmen. Mit Baden schloß er am 13./14. August 1919, mit Bayern und Hessen am 14., mit Württemberg am 18. und mit Sachsen am 18./19. August 1919 ein Abkommen, in dem er sich zu einigen Zugeständnissen gegenüber den Ländern bereitfand. Es wurde u. a. die Frage geregelt, wieviele Landesfinanzämter in dem betreffenden Land errichtet und wo sie ihren Sitz erhalten sollten. Bayern erhielt drei Landesfinanzämter mit Sitz in München, Nürnberg und Würzburg123• Sodann wurde vereinbart, daß ab 1. Oktober 1919 alle Landesbeamten, die hauptamtlich mit der Verwaltung von Reichsabgaben betraut waren, in den Reichsdienst übernommen werden. Das Reich übernahm in der Beamtenfrage alle Verpflichtungen, insbesondere hinsichtlich der Besoldung und Pension. Außerdem wurde festgelegt, wer mit der Führung der Geschäfte eines Präsidenten der Landesfinanzämter beauftragt werden sollte. In sämtlichen süddeutschen Ländern wurden die amtierenden Finanzminister mit diesem Posten betraut124 • In eine Personalunion (Landesfinanzminister und t23 An den Verhandlungen mit Bayern nahmen seitens des Reichs außer Erzherger dessen USS Moesle, Geh. RegRat Dr. Carl, Geh. RegRat Saemisch und MinDir von Stockhammern (Franz von Stockhammern, geb. 13. 7.1873 Neu-Ulm, gest. 26.2.1930 München; 1907 Legationssekr. im B. Stmin d Äuß; 1912 Legationsrat; 1917 zur bes. Verwendung in Berlin; 1918 MinRat, 1919 MinDir im Rfinmin als Leiter der Organisations- und Personalabt.; April 1921 Ruhestand), seitens Bayerns FinMin Speck, MinDir Dr. von Wolf, die Staatsräte Merkel und Kohl sowie MinRat Gasebott (Friedrich Gaschott, geb. 19. 6. 1869 Frankenthal, gest. 23.4.1943 München; Jura- und Volkswirtschaftsstudium; seit 1896 bei der Reg d Pfalz (Kammer d. Fin), dort 1905 RegRat; 1916 ORR im B.Stmin d Fin, 1919 MinRat; am 14. August 1919 zum Leiter der Abt. I des Landesfinanzamtes Würzburg ernannt (ab 1. 1. 1920); seit Ende 1921 Reichsfinanzrat am Reichsfinanzhof in München) teil: Niederschrift mit einer Besprechung über die Einführung der Rfinverw in Bayern. Donnerstag, den 14. August 1919; unterzeichnet von Erzherger und Speck. B.HStA.II, MA 103730 und B.HStA.I, MWi 8293. 124 FinMin Speck in München; FinMin Wirth in Karlsruhe; FinMin Liesehing in Stuttgart; FinMin Henrich in Darmstadt. Für Nürnberg wurde Staatsrat von Merke!, für Würzburg Staatsrat von Kohl bestimmt. Letztere

III. Die Reichsabgabenordnung

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Präsident des Landesfinanzamtes), wie sie Bayern, Württemberg, Baden und Hessen bereits im Staatenausschuß gefordert hatten, willigte das Reichsfinanzministerium nicht ein. Für Gebäude, Inventar und sonstige Verwaltungseinrichtungen, die das Reich übernehmen wollte, wurde Ersatz vereinbart125. Bei den weiteren Maßnahmen sollte davon ausgegangen werden, daß es "zunächst im wesentlichen bei der bisherigen Behördenorganisation verbleibt". Zu dem Übereinkommen wur-de die Zustimmung des Reichskabinetts und der bayerischen Regierung vorbehalten126 • Nachdem die Reichsregierung mit den widerstrebenden Ländern eine Einigung erzielt hatte, wurde das Gesetz über die Reichsfinanzverwaltung am 19. August 1919 in der Nationalversammlung in 2. und 3. Lesung verabschiedet127• Die Abgeordneten der BVP distanzierten sich nochmals vom Gesetzentwurf Erzbergers: "Trotz aller Versuche eines Gegenbeweises können wir die Notwendigkeit, das -g esamte Finanzwesen zu zentralisieren und zur Reichssache zu machen, nicht anerkennen. Wir erblicken vielmehr in dieser Zentralisierung die Zerbrechung des Rückgrats der Selbständigkeit der Länder und Gemeinden, eine finanzielle Entmündigung und unerträgliche Bevormundung ihres kulturellen und wirtschaftlichen Eigenlebens, sowie die Gefahr einer mit Ungerechtigkeiten verbundenen Sch·ablonierung128." Die Forderung des Abgeordneten Becker(-Hessen), das Gesetz über die Reich:;finanzverwaltung unter die Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit zu stellen, fand keine Zustimmung129, nachdem sich alle Länder so schnell mit der reichseigenen Steuerorganisation abgefunden hatten. Becker(-Hessen) beklagte sich daher über die Schwäche der Länder, die "umgefallen" seien, nachdem man ihnen ein Trinkgeld geboten habe130• In der Tat verdienten auch Bayern, Sachsen und Baden diesen Vorwurf, die zwar grundsätzlich bei ihrer Ablehnung verharrten, aber dennoch über Einzelheiten der neuen Reichsverwaltung verhandelwaren ausgerechnet die an der Verhandlung teilnehmenden Beamten, von denen demnach kein allzu großer Widerstand gegen die Errichtung der reichseigenen Finanzverwaltung zu erwarten war. 125 Der Grundgedanke des Reichsgesetzes über die Rechtsverhältnisse der zum dienstlichen Gebrauch einer Reichsverwaltung bestimmten Gegenstände vom 25. 5. 1873 (RGBI., S. 113), das im Falle des Übergangs eines Sachapparates in die verfassungsmäßige Verwaltung des Reiches keine Entschädigungen der Einzelstaaten vorsah, fand keine Anwendung mehr: Unter Punkt 7) der Vereinbarung mit Bayern festgehalten; B.HStA.II, MA 103730 und B.HStA.I, MWn 8293. t2& Randbemerkung des BStmin d Äuß: "außer Ministerium sollte auch der LT (zumindest dessen Finanzausschuß) zustimmen". B.HStA.II, MA 103730. t27 Vh NV StenBer Bd. 329, S. 2611-43; Beschluß: Drucks. Nr. 994. 128 Leicht, Vh NV StenBer Bd. 329, S. 2642 D. 129 a.a.O., S. 2616 D, 2643. 1so a.a.O., S. 2620 A.

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5. Kap.: Die Erzbergersehe Reichsfinanzreform

ten; diese Länder erkannten, daß ihr Widerstand wenigstens eine gewisse Bevorzugung bei der Verteilung des "Kuchens" bewirken konnte. Noch am 29. August 1919 schrieb das bayerische Finanzministerium, dessen Leiter (Speck) und führende Beamten (die Staatsräte von Merkel und von Kohl) designierte Präsidenten von Landesfinanzämtern waren, an das Staatsministerium des Äußeren: "Dem Entwurf eines Gesetzes über die Reichsfinanzverwaltung wird wegen der vom Standpunkt der Erhaltung der Selbständigkeit und der Hoheitsrechte der Länder nach wie vor bestehenden, schwerwiegenden Bedenken gegen die Verreichlichung bayerischerseits nicht zugestimmt werden können131." Auf der anderen Seite pfiichtete der bayerische Ministerrat am 1. September 1919 dem Übereinkommen vom 14. August über die Einführung der Reichsfinanzverwaltung in Bayern dennoch bei "mit der Maßgabe, daß er den vom ständigen Landtagsausschuß geäußerten Wünschen beitritt" 132. Der ständige Landtagsausschuß hatte das Weimarer Abkommen akzeptiert, jedoch den Wunsch geäußert, "daß wenn möglich, Niederbayern und Oberbayern vereinigt wird und daß, wenn nicht drei Ämter nach Sparten zu erreichen sein sollten, tunliehst nur zwei Landesfinanzämter gebildet werden sollten"133. Diesen Wünschen entsprach das Reichsfinanzministerium mit der Errichtung dreier Landesfinanzämter, deren Bezirke sich mit der bayerischen Landesgrenze deckten und die nach Sparten (nach bestimmten Steuerarten) eingerichtet wurden. Diese doppelbödige Politik Bayerns in der bedeutenden Frage der Finanzverwaltung war insofern gerechtfertigt, als die bayerische Regierung dadurch unter den gegebenen Möglichkeiten gute Bedingungen für Bayern aushandelte. Sie verträgt sich aber schlecht mit der späteren Klage über den zwangsweisen Verlust der Finanzverwaltung. Da der Übergang der bayerischen Steuerverwaltung auf das Reich ausgerechnet unter einem BVP-Minister geschah, war es nicht möglich, den "Schwarzen Peter" den Sozialdemokraten zuzuschieben. Erzherger hatte sich unter Ausnützung von persönlichem Ehrgeiz (Speck, Merkel und Kohl!), des unitarischen Schwungs der Nationalversammlung, der finanziellen Notlage des Reichs und des Drucks der Siegermächte als gewiegter Taktiker erwiesen, der einen günstigen Zeitpunkt zur Einführung der Reichsfinanzreform wählte. Viele, die ihre bereits früher vorgebrachten Forderungen in Erzhergers Reformwerk verwirklicht sahen, hätten "eine gemeinsame Einkommensteuer, die die Steuerhoheit der Einzelstaaten stark angreift, und noch weniger eine Reichsfinanzverwaltung" noch vor einem halben Jahr nicht für 131 Note Nr. 3971; B.HStA.II, MA 103730. B.HStA.II, MA 103730. 133 Vh BayLT 1919 Beil. Nr. 15761. 132

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möglich gehalten134• Angestaute Ressentiments gegen die bundesstaatliehe Idee brachen aus, etwa wenn der Abgeordnete Braun(-Franken) darüber triumphierte, "daß einige wichtige Stützpunkte des Hl. Römischen Reiches deutscher Nation weggefegt werden, indem wir in dieser Reichsabgabenordnung die Steuerhoheit des Reiches und die Steuerverwaltung des Reiches durchführen ... denn die Gliedstaaten, die wir heute haben, und ihre Rechte, die sie sich lange bewahrt haben, stammen nicht aus dem Bismarckschen Deutschland, sondern sie sind Reste des alten Hl. Römischen Reiches deutscher Nation" 135• Nur zweieinhalb Monate waren vergangen seit der am 3. Juli 1919 im Reichskabinett erstmals behandelten Frage einer Reichsfinanzverwaltung und ihrer Verabschiedung durch die Nationalversammlung am 19. August 1919136, Das Gesetz trat nach Zustimmung des Reichsrats, der Ausfertigung durch den Reichspräsidenten am 10. September 1919 und der Verkündigung im Reichsgesetzblatt (S. 1591) am 1. Oktober 1919 in Kraft. Ohne wesentliche Änderungen wurde es wieder als Erster Teil in die Reichsabgabenordnung vom 13. Dezember 1919 eingefügt (RGBL, S. 1933). Erstmals hatte sich das Deutsche Reich eigene Verwaltungsbehörden in der Lokalebene mit unmittelbarer Zuständigkeit für die Steuerpflichtigen geschaffen137• Die einheitliche Steuerverwaltung befruchtete das Steuerrecht in hohem Maße und befreite es aus seiner bisherigen Zersplitterung. Tiefer als die Sonderverwaltungen des Post-, Bahn- und Militärwesens vermochte die reichseigene Finanzverwaltung auf das gesamte innere Staatsleben einzuwirken, da es "unmittelbare Rechtsbeziehungen zu den Unterworfenen hat" 138• Im Reich-Länder-Verhältnis bildete die Reichsfinanzverwaltung im Zusammenhang mit der gesamten Reichsfinanzreform ungleich mehr als Revolution und Weimarer Reichsverfassung einen entscheidenden Markstein im Prozeß der Aushöhlung der Länderstaatlichkeit. Freilich hatte die politische Umwälzung die unitarischen Kräfte begünstigt, und in Weimar war die verfassungsrechtliche Möglichkeit der Kompetenzausweitung des Reiches auf dem Gebiet der Verwaltung und der Finanzen geschaffen worden. Aber Revolution und Reichsverfassung wiesen als Gegengewicht auch eine starke föderative Komponente auf, die in der Erzbergersehen Reichsfinanzreform bewußt unterdrückt wurde. 134 Der hessische FinMin Henrich, Vh NV StenBer Bd. 329, S. 2391, am 13. Aug. 1919. Ähnlich J. Popitz; vgl. H. Dieckmann, J. Popitz, 1960, S. 21. 135 Vh NV StenBer Bd. 329, S. 2384. 136 Vh NV StenBer Bd. 329, S. 2643. 137 Bundesministerium d. Fin, Von der Reichsschatzkammer zum Bundesfinanzministerium, 1969, S. 104, bezeichnet die Errichtung der Reichsfinanzverwaltung als ein "Werk, dessen Vollzug zu den erregendsten Kapiteln des dt. Verwaltungslebens gehört", eine "Leistung einmaliger Art". 138 0. Bühler, Steuerrecht, 1927, S. 293.

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5. Kap.: Die Erzbergersehe Reichsfinanzreform 6. Die Verabschiedung der Reichsabgabenordnung (Gesetz vom 13. Dezember 1919; RGBI., S. 1993)

Am 27. November 1919 verabschiedete die Nationalversammlung die Reichsabgabenordnung139, die am 13. Dezember 1919 von Ebert ratifiziert wurde und einen Tag nach ihrer Verkündigung im Reichsgesetzblatt (22. 12. 1919) am 23. Dezember 1919 in Kraft trat140• Johannes Popitz bezeichnete sie als die "beste und beständigste Schöpfung jener stürmischen Tage" 141 • Erzherger faßte am 3. Dezember vor der Nationalversammlung noch einmal zusammen, was ihm die Vereinheitlichung des Steuerwesens, wie sie in der Reichsabgabenordnung festgelegt war, für Deutschland bedeutete: "Daß die Beseitigung der alten Zersplitterung im Steuerrecht, die Vereinheitlichung der Steuergewalt und die Schaffung einer ganz breiten Steuerbasis für das Reich auch nicht ohne Einfluß bleiben kann auf die ei!gentliche innere Entwicklung des Reiches selbst, ist klar . . . Reichsverfassung und Steuereinheit werden in Zukunft die beiden kräftigen Klammern bilden, die das deutsche Volk zu einer starken Einheit zusammenfassen ... Auch von der Vereinheitlichung des Steuerwesens in Deutschland wird das Wort gelten: In der Einheit liegt die Kraft142." Im Verlauf der Beratungen über die Reichsabgabenordnung waren die §§ 1 bis 43 des Gesetzes über die Reichsfinanzverwaltung auf Beschluß des 11. Ausschusses der Nationalversammlung ohne wesentliche Änderung als Erster Teil "Behörden" (§§ 8-50) in das steuerliche Grundgesetz hineingearbeitet worden143• Bestrebungen, die Reichsfinanzverwaltung noch weiter auszudehnen, blieb der Erfolg versagt144 • Der Zweite Teil der Reichsabgabenordnung setzte das allgemeine Steuerrecht fest, und der Dritte Teil behandelte das Steuerstrafrecht. Die Reichsabgabenordnung vereinheitlichte damit alle allgemeinen Vorschriften verwandter Gesetze, um- nach dem Willen Erzhergersdie gleichmäßige Durchführung aller künftigen Steuergesetze zu gewährleisten. Die Vereinheitlichung des Steuerrechts und der Verfahrens:.. fragen wurde auch von den Ländern als praktisches Erfordernis zugestanden. Man erhoffte sich von den allgemeinen Vorschriften im Steuerrecht eine Vereinfachung der Einzelgesetze. Die Neuregelung der Vh NV 1919 StenBer Bd. 331, S. 3825. Vgl. die VO zur Einführung der RAO vom 18. 12. 1919, RGBl., S. 2901. 1u J. Popitz, Vorfragen zur Steuerreform: DJZ 30, S. 361. (1. 3. 1925). 1u M . Erzberger, Reden. 1919, S. 113. 143 Vh NV Bd. 339, Drucks. Nr. 1460. 144 Ein Veränderungsantrag zu § 19 RAO forderte (Vh NV Bd. 339, S.1389), daß Landesabgaben und Landesvermögen, die "im engen Zusammenhang mit Reichssteuern" stehen, "einheitlich mit diesen von den Reichsfinanzbehörden" verwaltet werden sollten. 139 140

III. Die Reichsabgabenordnung

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Steuerverwaltung indes blieb weiterhin umstritten, da sie den Ländern den Großteil ihrer allgemeinen Verwaltungshoheit und ihrer Finanzhoheit geraubt hat. Diese Tatsache- in Verbindung mit der Vereinheitlichung des Steuerrechts .u nd der Verfahrensfragen - berechtigt dazu, die Reichsabgabenordnung vom Dezember 1919 nach dem Gesetz über die Reichsfinanzverwaltung vom September 1919 als zweiten Markstein auf dem Wege zum Einheitsstaat zu bezeichnen. Angesichts der Bedeutung war es bedauerlich, für das Reich-LänderVerhältnis im neuen Reich aber auch bezeichnend, daß die Reichsabgabenordnung ohne endgültige Stellungnahme des Reichsrats zustandegekommen war145, da die von der Nationalversammlung am 27. November 1919 beschlossene Fassung versehentlich erst am 11. Dezember 1919 dem Reichsrat vorgelegt worden war. Der Vertreter Preußens hatte Verschiebung der Beschlußfassung über einen etwaigen Einspruch des Reichsrats gegen die Reichsabgabenordnung beantragt, da seine Regierung noch keine Gelegenheit zur Stellungnahme gefunden hatte. Der Reichsrat wußte jedoch nicht, daß gerade der 11. Dezember der letzte Tag der gesetzlichen Einspruchsfrist war; das Reichstagsbüro hatte versäumt, die Schlußabstimmung über die Reichsabgabenordnung vom 27. November dem Reichsministerium des Innern zu melden, das wiederum diesen Punkt auf die Tagesordnung des Reichsrats hätte setzen müssen. Es beweist die schwache Stellung des Reichsrats, daß er die Folgen des unverschuldeten Versäumnisses dennoch zu tragen hatte. Ansonsten wäre es voraussichtlich im Reichsrat zu einem Einspruch gegen die Reichsabgabenordnung gekommen, da Preußen bei der Einrichtung der Landesfinanzämter auf einem Mitspracherecht der Länder und des Reichsrats bestand und hierin auch von anderen Ländern unterstützt wurde. In § 4 des Gesetzes über die Reichsfinanzverwaltung hatte Erzherger das den Ländern zugestanden, aber nicht mehr in der Fassung der Reichsabgabenordnung (§ 11)146. 1. Auseinandersetzungen um die Reichsfinanzverwaltung

"Schlagkraft und Güte der Steuerverwaltung war zur Lebensfrage des Reiches und seiner Volkswirtschaft geworden"; das war - so meinte Popitz147 - nur durch einheitliche, zentrale Leitung möglich. In gleicher Weise erhoben die Länder die Verfügung über die Finanzverwaltung zur Lebensfrage; hatte doch der DVP-Abgeordnete Becker die Reichsfinanzverwaltung glattwegs als "Mediatisierung der Einzelstaaten" bezeichnet148• Den Verlust der Finanzverwaltung konnten die 145 148 147 148

Vgl. W. Jellinek, Wandlungen, 1929, S. 131. Vgl. hierzu G. Höfler, Erzhergers Finanzreform, 1955, S. 145 ff. J. Popitz, 10 Jahre Rfinverw: Steuerarchiv Okt. 1929, S. 315. Vh NV 1919 StenBer Bd. 329, S. 2616.

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5. Kap.: Die Erzbergersehe Reichsfinanzreform

Länder um so schwerer überwinden als sie erkannten, daß dadurch nicht nur ihrer Finanzhoheit, sondern auch ihrer Eigenstaatlichkeit Abbruch getan wurde. Nicht genug damit; Erzherger machte kein Hehl daraus, daß er die Reichsfinanzverwaltung erst als Ansatzpunkt einer weiteren Entwicklung in Richtung Einheitsstaat betrachtete. "Wenn es nach meinen Wünschen gegangen und ich allein Herr gewesen wäre, dann müßten die Landesfinanzämter . . . gleichzeitig die künftigen Reichsprovinzen darstellen149." In dieser Verknüpfung von Reichsreform und Finanzpolitik ist wiederum deutlich der unitarische Plan erkennbar, über die Finanzpolitik zu erreichen, was Revolution und Reichsverfassung nicht zu schaffen vermochten, nämlich den Einheitsstaat. Auf der ersten Konferenz der Präsidenten der neugeschaffenen Landesfinanzämter hob Erzherger stolz hervor: "Der Aufbau der reichseigenen Steuerverwaltung bedeutet die Setzung des materiellen Schlußsteins ... der Entwicklung zur deutschen Reichseinheit ... Alle Bestrebungen in früheren Jahrhunderten, die Reichseinheit fest zu verankern, sind stets an der Unzulänglichkeit der Reichsfinanzen gescheitert. Wir sind hier gewissermaßen zur Grundsteinlegung des Neubaues der deutschen Steuereinheit und damit der deutschen Reichseinheit versammelt. Darin liegt die historische Bedeutung der Stunde150." In der späteren Entwicklung, auf die Erzherger wegen seines Ausscheidens aus seinem Ministeramt und seines frühen Todes keinen Einfluß mehr ausüben konnte, verlor die unitarische Richtung an Stoßkraft und konnte vor Hitlers Machtergreifung den Einheitsstaat nicht vollständig erreichen. Dem Reich boten sich jedoch in seiner nunmehr uneingeschränkten Finanzhoheit genügend Möglichkeiten, auf die Länder Druck auszuüben. Eines dieser Mittel war die Unterbindung des direkten Verkehrs zwischen den Finanzministerien der Länder und den reichseigenen Finanzbehörden. War früher das Reichsschatzamt mangels nachgeordneter Behörden Haupt ohne Glieder, so sahen sich nun die Landesfinanzministerien in ihrem Informationsbedürfnis beschnitten. Am 26. November 1919 ersuchte Finanzminister Speck das Reichsfinanzministerium um prompte Unterrichtung in allen Fragen, die für die Finanzministerium der Länder von Interesse seien15t, und bat das Reichsfinanzministerium in einer Note vom 27. November ds. Js., es möge den obersten Landesfinanzbehören gestatten, bei den Reichsfinanzbehörden Informationen und Gutachten einzuholen152• Für die Stellung149 Anläßlich der Debatte über den Reichshaushalt Ende Okt. 1919; zit. nach W. Ziegler, NV, 1932, S. 203. 150 Zit in der Dt. Allgem. Ztg. Nr. 522 vom 24. 10. 1919. 151 Sehr. Nr. 51013 a; B.HStA.II, MA 103730. 152 Nr. 57024; B.HStA.II, MA 103730.

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nahmen zu Reichsratsvorlagen und für das eigene Finanzgebaren, das von jenem des Reiches abhängig war, erwiesen sich detaillierte Aufschlüsse als unbedingt erforderlich. Erzherger antwortete, sein Ministerium sei "jederzeit bereit, dem bayerischen Staatsministerium der Finanzen die für die Stellungnahme zu Reichsratsvorlagen erforderlichen Aufschlüsse in vollem Umfang zu erteilen, und zwar nicht nur, soweit es sich um allgemeine, sondern auch um besondere bayerische Angelegenheiten und Einzelfälle handelt". Gesuche um Auskunft seien aber direkt an das Reichsfinanzministerium und nicht an nachgeordnete Behörden der Reichsfinanzverwaltung zu richten153• Schon die Tatsache; daß das Reichsfinanzministerium fast drei Monate auf seine Antwort warten ließ, vermittelte Bayern einen Vorgeschmack, wie es um die künftige Informationsmöglichkeit über Reichsfinanzministerium - Landesfinanzamt - Finanzamt - und zurück bestellt sein würde. Eine termingerechte Erledigung war damit nicht gewährleistet, besonders nicht in Anbetracht der Geschwindigkeit, mit welcher das Reichsfinanzministerium seine Vorlagen durch Reichsrat und Reichstag hindurchpeitschte. Sodann konnten die Länder nicht mit völlig objektiven und vollständigen Auskünften rechnen. Jedenfalls war vorherzusehen, daß das Reichsfinanzministerium durch sein Informationsmonopol die Reichsrats-Beratungen in seinem Sinn beeinflussen konnte. Das Recht der Einzelstaaten zur Mitwirkung an der Gesetzgebung und am Vollzug der Steuergesetze würde demna-ch durch mögliche Verzögerung und subjektive Gestaltung der Information erschwert und untergraben; die Landesinteressen könnten nicht gebührend vertreten werden; das Ansehen des Reichsrats würde Einbuße erleiden. Um das zu verhindern, drängte das bayerische Finanzministerium auf eine Änderung des Standpunkts des Reichsfinanzministeriums154• Auch nachdem der Gesandte von Preger angewiesen worden war, mit den übrigen Ländervertretungen in dieser Frage gemeinsam vorzugehen, blieb Bayern der Erfolg versagt1s5. Hauptanlaß zur Klage bildete die nachlässige Mitverwaltung der Landesabgaben durch die Reichsbehörden. Für diese lag nahe, die Reichsabgaben, die an Umfang und Bedeutung überwogen, bevorzugt und die Landesabgaben erst an zweiter Stelle zu behandeln. Ministerien und Landtag kritisierten daher wiederholt die mangelnde Wahrnehmung der bayerischen Interessen durch die reichseigene Finanzverwaltung, da hierdurch dem Lande großer materieller t5s Erzherger an das B.Stmin d Fin, Nr. IV 3432/20 Mnk vom 18. 2.1920; B.HStA.II, MA 103730. 154 B.Stmin d Fin an das B.Stmin d Äuß Nr. 27495 - v. 19. 5. 1920; B.HStA.II, MA 103730. 155 Vgl. BayGes Berlin an das B.Stmin d Äuß Nr. 1205 - vom 24. 4. 1920 und Nr. 1793 v. 14. 6. 1920; B.HStA.II MA 103730.

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5. Kap.: Die Erzbergersehe Reichsfinanzreform

Schaden entstehe156• Sehr bald wurde die Forderung nach Verwaltung der Landesabgaben durch landeseigene Behörden erhoben. Ein Vorstoß der bayerischen Staatsregierung vom März 1921157 fand in Bayern zwar grundsätzlich weite Zustimmung, blieb jedoch in einem Wall von Bedenken praktischer Natur stecken; die schlechte Finanzlage Bayerns gestattete keine voreilige Entscheidung. Man wollte zunächst den Plan einer allgemeinen Verwaltungsvereinfachung und -reform verwirklichen. Damit wurde die Angelegenheit im Landtag zunächst abgelehnt und auf unbestimmte Zeit verschoben158• Der zweite Vorsitzende der BVP und spätere Landtagspräsident, Dr. Georg Stang159, trat nachdrücklich für eine eigene bayerische Finanzverwaltung ein160 und unterstützte hierin Finanzminister Krausneck161 • Sein Parteifreund Dr. Schlittenbauer dagegen hielt jede Diskussion über eine eigene bayerische Finanzverwaltung bei dem gegenwärtigen Finanzausgleich für müßig162• Es sollte sich zeigen, daß der Spielraum der bayerischen Politik auch durch spätere Regelungen des Finanzausgleichs keineswegs erweitert wurde. So blieb es bei einem Liebäugeln - selbst der oppositionellen Sozia1demokraten163 - mit einer landeseigenen Finanzverwaltung. Ein zweiter Anlauf der bayerischen Regierung im Jahre 1923 gelangte im Landtag überhaupt nicht zur Beratung; die Inflation hatte dringlichere Probleme aufgeworfen. In den offiziellen Verlautbarungen der bayerischen Regierung ist an der Forderung nach Rückgabe der gesamten bzw. teilweisen Finanzverwaltung an die Länder stets festgehalten worden. So in der Denkschrift von 1924 "Zur Revision der Weimarer Reichsverfassung" 164, wo unter anderen Gründen angeführt wird, "die Tätigkeit fremder Beamten auf dem Territorium eines selbständigen Staates" vertrage 156 Vgl. Dr. Schlittenbauer als Berichterstatter, Vh BayLT (1920/21) Sten Ber Bd. II, S. 96 (17. 12.1920); Dr.. Krausneck, Vh BayLT (1921/22) StenBer Bd. IV, S. 317 (18. 11. 1921) und S. 123 (25. 10. 1921); ders. im Gutachten des B.Stmin d Fin - Nr. 6150 - vom 25. 2. 1924; B.HStA.II, MA 103730. Bay DS 1924; B.HStA.II, MA 103253. 157 B.HStA.II, MA 103730. 158 In Baden stellte man ähnliche Überlegungen an wie in Bayern; Thüringen führte indes schon 1921 wieder die Trennung der Finanzverwaltung durch; Württemberg beschloß, am 1. 2. 1922 elf Staatskammerämter zu errichten. 159 Dr. Georg Stang, geb. 1880 Amorbach, gest. 1951 Kissingen; Oberstudienrat; 1912-33 MdL (Z/BVP); 1919-29 2. Vors. d. BVP; 1929-33 Präs d BayLT; 1945 Landrat in Kaufbeuren; 1949 ff. MdL {CSU), 1950 f. Präs d BayLT. 160 Vh BayLT (1921/22) StenBer Bd. IV, S. 22 (29. 9. 21). 161 u. a. Vh BayLT StenBer a.a.O., S.123 {25.10.1921) und S. 317 (18. 11. 1921). 162 Vh BayLT StenBer a.a.O., S. 259 (16. 11. 21). 163 Vgl. Dr. Dill, Vh BayLT, StenBer Bd. IV, S. 304 (4. 8. 1922). 164 B.HStA.II, MA 103253.

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sich nicht "mit dessen Souveränität". Ein entscheidendes Argument bildete jedoch die Behauptung, die Verwaltung der Steuern durch Landesbehörden ermögliche eine Verbilligung und Vereinfachung, "da die Landesbehörden mit den wirtschaftlichen, örtlichen und persönlichen Verhältnissen der Bevölkerung besser vertraut sind als die zentralen Reichsbehörden" (DS 1924). Die Länder sollten also wieder die gesamte Finanzverwaltung zurückerhalten. In der Regierungsdenkschrift zwei Jahre später165 wurde nach der üblichen Klage über die unbefriedigende Besorgung der Landesabgaben und die Benachteiligung von Beamten, die sich mit diesen Landessteuern befaßten, nur mehr der Vollzug der bayerischen Finanzangelegenheiten durch eigene Behörden "ins Auge gefaßt" (S. 18). 1928 wurde "der für die Länder immer unhaltbarer werdende Zustand" bedauert, "daß für die wichtigsten und ergiebigsten Steuerquellen die Gesetzgebung und Verwaltung ausschließlich dem Reiche zusteht" 166• Für die endgültige Regelung des finanziellen Verhältnisses zwischen Reich und Ländern forderte Bayern daher in Abänderung des Art. 8 RV neben der grundsätzlichen Scheidung der Steuerquellen und der Überlassung der direkten Steuern an die Länder und Gemeinden die Rückgabe der Verwaltung dieser Steuern167• Das nämliche Postulat kehrte 1932 in der Verlautbarung Bayerns zur Verfassungs- und Reichsreform wieder168• Die bayerischen Stellungnahmen fußten vornehmlich auf einem Gutachten Krausnecks vom Jahre 1924169, das die Wirtschaftlichkeit der Reichsfinanzverwaltung, die von der Reichsregierung stets gerühmt wurde170, in Zweifel stellte. Das Hauptargument gegen die Reichsfinanzverwaltung blieb jedoch der Hinweis auf die Länderstaatlichkeit, die sich nicht mit jener vertrage. 165 DS der Bay StReg über die fortschreitende Aushöhlung der Eigenstaatlichkeit der Länder unter der Weimarer Verfassung. 1926; B.HStA.II, MA 103253. 166 Material zur Verfassungsreform. Teil I: Die Mängel des dt. Verfassungslebens. 8. 10. 1928, S. 40; B.HStAII, MA 103253. H. Schmelzle, Erinnerungen, fase. VI, S. 231: "Bei manchen Ämtern waren am Ende des Haushaltsjahres 1928 noch nicht 10 Ofo der bay Steuern eingegangen; manche Amter waren nicht einmal dazugekommen, die Heberegister für 1928 zu erstellen." Die Finanzbeamten seien mit den bay Vorschriften nicht vertraut, weil sie keinen Prüfungsgegenstand bildeten und hätten das Gefühl, daß die Beschäftigung mit d bay Angelegenheiten ihrem Vorwärtskommen hinderlich sei. 167 Material zur Verfassungsreform. Teil li: Vorschläge zur Änderung der RV. 12.10.1928, S. 7; B.HStA.II, MA 103253. 168 Stellungnahme und Forderungen Bayerns zur Verfassungs- und Reichsreform, 1932, S. 8; B.HStA.II, MA 103253. 169 Früher im B.HStA.II, Rep. Reg. DR IV H 28 Conv. li, jetzt eingestampft; vgl. G. Höfler, Erzhergers Finanzreform, 1955, 8.157 ff. 11o Vgl. die "DS über d Stand d Organisation d Reichsfinanzverw". v. Okt. 1920, RT-Drucks. (1920) Nr. 644 (Auch im B.HStAII, MA 103730); vgl. außerdem die jährl. Rechenschaftsberichte des Rfinmin.

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5. Kap.: Die Erzbergersehe Reichsfinanzreform

IV. Das Landessteuergesetz vom 30. März 1920 (RGBI•• S. 402) Auf der formellen Grundlage der Reichsabgabenordnung und des

§ 46 des Gesetzes über die Reichsfinanzverwaltung vom 10. September

1919 regelte das Landessteuergesetz die Einnahmequellen von Reich, Ländern und Gemeinden171 • Nachdem das Reich den Ländern und Gemeinden die wichtigsten Steuern genommen hatte, mußte es gemäß Art. 8 und 11 RV für eine Entschädigung sorgen. Das Landessteuergesetz bestimmte demnach den Grad der Beteiligung der Länder und Gemeinden an den Reichssteuern. Außerdem bildete es ein Rahmengesetz für die Finanzwirtschaft der Länder und Gemeinden, indem es die Ausschöpfung der den Ländern und Gemeinden überlassenen Steuern regelte. Die Landes- und Gemeindesteuern durften mit den Reichssteuern nicht konkurrieren und durften, falls durch Gesetz nicht anders bestimmt, keinen Zuschlagscharakter auf Reichssteuern besitzen. Der Reichsrat sollte entscheiden, ob Landes- und Gemeindesteuern Reichseinnahmen abträglich seien. Die Steuern vom Grundvermögen (Grund- und Gebäudesteuern) und vom Gewerbebetrieb (Ertragssteuern) blieben den Ländern und Gemeinden erhalten; letztere erhoben außerdem eine Vergnügungssteuer. Erst wenn die Länder und Gemeinden ihre eigenen Steuerquellen ausgeschöpft hatten, sollten sie Zuweisungen des Reichs im Finanzausgleich beanspruchen, der für den Verlust der Hauptsteuern entschädigen sollte. Das Landessteuergesetz von 1920 beteiligte die Länder an der Einkommensteuer mit 66,6 °/o des Aufkommens Körperschaftssteuer mit 66,6 °/o des Aufkommens Erbschaftssteuer mit 20,0 °/o des Aufkommens Grunderwerbsteuer mit 50,0 °/o des Aufkommens mit 10,0 °/o des Aufkommens Umsatzsteuer (die Gemeinden mit 5,0 Ofo des Aufkommens der Umsatzsteuer).

Die Beteiligung an der Umsatzsteuer richtete sich nach der Bevölkerungszahl, diejenige an den übrigen Steuern nach dem örtlichen Aufkommen. Das Landessteuergesetz schrieb den Ländern das Finanzgebaren praktisch vor. In fast allen Betätigungsgebieten wurden die Länder durch die damit verbundenen Kosten an das Reich verwiesen. Dieses Abhängigkeitsverhältnis, das in den folgenden Finanzausgleichsgesetzen bestehen blieb, bezeichnet den 3. Markstein auf dem Weg zur Entstaat171 Da das LStG zur Erzbergersehen Finanzreform gehört, andererseits den Dritten Teil dieser Untersuchung grundlegt, soll es hier nur kurz skizziert werden.

V. Ergebnis

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lichung der Länder während der Weimarer Republik. Da die Länder und Gemeinden im Landessteuergesetz (und den nachfolgenden Finanzausgleichsgesetzen) die Auswirkungen der Reichsabgabenordnung vom Dezember 1919 in der Praxis zu spüren bekamen, wurde es in der Reich-Länder-Diskussion das umstrittenste Gesetz der Erzbergersehen Finanzreform. V. Ergebnis

Die Erzbergersehe Finanzreform hat den Bundesstaaten die Finanzhoheit, die sie fast uneingeschränkt besaßen, zum größten Teil zugunsten des Reiches genommen. Als rechtfertigendes Argument diente die finanzielle Notlage der Nachkriegszeit und die erweiterte Staatstätigkeit des Reiches. Das Reich hielt es für notwendig, die schwache und unterschiedliche (bisherige) Landesbesteuerung durch eine starke, einheitliche Reichsbesteuerung zu ersetzen, um den finanziellen Verpflichtungen gerecht werden zu können. Zweifellos hätten sich die Länderparlamente, die ja der soziologischen Struktur der jeweiligen Länder weit mehr verpflichtet waren als das umgreifendere Gremium des Reichstags, schwerer getan, die Steuerschraube allgemein so rigoros anzuziehen wie Reichsregierung und Reichstag. Die bereits weitgehend vorhandene Einheitlichkeit im Verkehr und der Wirtschaft unterstützte die Forderung nach einer Vereinheitlichung des Steuerwesens. Der Schaden für die Länderstaatlichkeit war beträchtlich, so daß die Frage auftauchen konnte, ob sie durch die Erzbergersehe Finanzreform nicht völlig beseitigt worden ist. Jedenfalls hatte das Reich beachtliche Teile der Länderhoheitsrechte auf dem Gebiet der Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung an sich gerissen. 1. Die Gesetzgebung

Der entscheidende Sektor der direkten Steuern vom Einkommen und Vermögen ist vorbehaltlos auf das Reich übergegangen. Nicht einmal eine konkurrierende Gesetzgebung wurde eingeräumt, die den Ländern Zuschlagsautonomie gewährt hätte. 2. Die Rechtspredtung

Der 1917 errichtete Reichsfinanzhof wurde von Erzherger als Rechtsgarantie für den einheitlichen Vollzug aller Reichssteuern und als oberste Rechtsinstanz in Steuerstreitigkeiten beibehalten. 15Menges

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5. Kap.: Die Erzbergersehe Reichsfinanzreform

Die Reichsabgabenordnung vom Dezember 1919 faßte die allgemeingültigen Vorschriften für alle Reichssteuergesetze zusammen. Die einheitlichen Maßstäbe im Steuerrecht bedeuteten nicht nur eine praktische Hilfe für Finanzämter und Finanzgerichte, sondern bereiteten die völlige Einheit im deutschen Steuerrecht vor. Für das Reich-LänderVerhältnis war jedoch entscheidend, daß das Reich, nicht die Länder, diese Maßstäbe setzte. Während der materielle Teil der Erzbergersehen Finanzreform durch die Inflation und die schwankende Konjunkturlage bald revisionsbedürftig wurde und das Ziel der Sanierung der Reichsfinanzen nicht erreichen konnte, hatte die Festlegung des formellen und allgemeinen Steuerrechts in der Reichsabgabenordnung über die Zeiten wirtschaftlicher und politischer Erschütterungen hinweg Bestand. 3. Die Verwaltung

Die einheitliche Durchführung der Finanzgesetzgebung und die gleichmäßige Besteuerung schienen Erzherger nur in einer Reichsfinanzverwaltung garantiert. Die Finanz- und allgemeine Verwaltungshoheit der Länder verlor durch die Festlegung: "Reichssteuern werden von Reichsbehörden verwaltet", wesentlich an Gewicht. Die Machtposition des Reiches, das die Finanzhoheit in materieller und formeller Beziehung besaß, war hierdurch gegenüber den Ländern weiter verstärkt worden. Durch den neugewonnenen mächtigen Personalkörper bekam das Reich ein einflußreiches Machtmittel zur Ausweitung seiner Staatstätigkeit in die Hand; politische Erfolge sind eben weitgehend vom Einfluß auf die Beamten abhängig, den jetzt im Bereich der Finanzverwaltung das Reich ausübte. Das teilweise oder gänzliche Verschwinden von Landesfinanzbehörden beruhte nicht auf rechtlichem Zwang, sondern auf wirtschaftlichen und sachlichen Überlegungen der Länder, die Doppelaufwendungen durch eigene Parallelorganisationen vermeiden wollten; außerdem hingen viele Reichs- und Landessteuern so eng zusammen, daß getrennte Verwaltungen zweckwidrig gewesen wären. So ertrug Bayern eben die Ungerechtigkeiten, die sich aus der Reichsfinanzverwaltung ergaben: Erstens wurde die Verwaltung der Landessteuern vernachlässigt und zweitens ließ die nivellierende Wirkung der gleichmäßigen Veranlagung und Erhebung die wirtschaftlichen Verschiedenheiten außer acht. Bayern, dessen Wirtschaftsstruktur vom Mittelstand und der Landwirtschaft geprägt war, fühlte sich bei Gleichsetzung mit den hochindustrialisierten Sachsen und Preußen benachteiligt. Den Plan, die Landessteuern wieder selbst zu verwalten, falls die Länder nicht die gesamte Finanzverwaltung zurückerhielten, gab Bayern nicht auf. Dadurch sollten die Auswirkungen der verreichlichten

V. Ergebnis

227

Finanzertrags- und -verwaltungshoheit auf die Staatshoheit der Länder eingedämmt werden. 4. Die Ertragshoheit

Die Verteilung der Einnahmequellen und deren Ertrag hat sich in einem Bundesstaat nach der Aufgaben- und Zuständigkeitsverteilung zwischen Reich und Gliedstaaten zu richten. Erzherger verteilte die Gesamteinnahmen in einer Weise, daß die Länder zu Kostgängern des Reiches wurden, und die Aufgaben sich nach den Zuweisungen bemessen mußten. Diese Regelung mißachtete die bundesstaatliche Verfassung des Reiches und lieferte Konfliktstoffe, die auch durch die fortwährenden Verhandlungen um einen "gerechten", "endgültigen" Finanzausgleich nicht beseitigt werden konnten, da das Reich grundsätzlich an der von Erzherger festgelegten Richtschnur festhielt. Die Erzbergersehe Reichsfinanzreform, die die Finanzhoheit zwischen Reich und Ländern neu aufteilte, stellte ein Werk dar, das an Bedeutung der Weimarer Reichsverfassung nur wenig nachstand, in seinen Auswirkungen auf das Reich-Länder-Verhältnis jener ebenbürtig, wenn nicht überlegen war. Während ·die Reichsverfassung immerhin am bundesstaatliehen Reichsaufbau festhielt, war die neue Finanzverfassung eindeutig auf den Einheitsstaat ausgerichtet. Es nützte den Ländern nichts, wenn ihnen durch die Verfassung Zuständigkeiten garantiert waren, von denen sie wegen mangelnder Finanzhoheit keinen oder nur unzureichenden Gebrauch machen konnten. Erzherger sicherte nur die allerdringendsten Aufgaben der Länder finanziell ab und ließ den Ländern keine finanzielle Reserve für die Erweiterung und den schöpferischen Ausbau ihrer Staatstätigkeit übrig. Selbstverwaltung in Selbstverantwortlichkeit setzt aber verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten und diese wiederum eine Beweglichkeit voraus sowie die Verfügung über die Verwaltung, welche Einnahmen erhebt und diese den Ausgabeposten weiterleitet. Ohne ausreichende Gesetzgebungs-, Ertrags- und Verwaltungshoheit auf finanziellem Gebiet fehlt dem Budget der Länder und Kommunen jegliche Flexibilität. Geruht das Reich, eine solche mittels Sondersubventionen herzustellen, gewinnt es hiermit die Entscheidungsbefugnis, zumindest ein Mitspracherecht über diese außerordentlichen Ausgaben. Staatliche und kommunale Selbstverwaltung läuft auf diese Weise Gefahr, zur Auftragsverwaltung zu werden. Selbst Unitaristen, die die Erzbergersehe Finanzreform ursprünglich als entscheidenden Schritt hin zum Einheitsstaat begrüßt hatten, erkannten später deren Gefahren für die Selbstverantwortlichkeit der Länder und Gemeinden. Erich Koch(-Weser), für die Föderalisten ebenso ein 15*

228

5. Kap.: Die Erzbergersehe Reichsfinanzreform

rotes Tuch wie Erzberger, schrieb Anfang 1924, die Reichsfinanzreform von 1919/20 sei ein Fehler gewesen. Die Erzbergersehe Finanzverfassung "nimmt den Ländern das Verantwortlichkeitsgefühl, auch für die Ausgaben, und drückt sie unter die Stellung von Selbstverwaltungskörpern hinab. Das Zuschußsystem macht die Minister der Länder und die Oberbürgermeister aus selbständig Handelnden zu Berichtschreibern und Taschengeldempfängern . . . Eine weitgehende Steuer- und Finanzreform ist die erste Vorbedingung für die weitere Gesundung unserer öffentlichen Verhältnisse" 112• Die Untergrabung der Eigenverantwortlichkeit der Länder und die Einsicht in deren Abhängigkeit vom Reich erstickt sodann das unmittelbare Interesse, die Teilnahme und Mitverantwortung von Staatsbürgern und Beamten an dem entmachteten Staat.

112

E. Koch in der "Vossischen Ztg." Nr. 11 vom 7. 1. 1924.

Dritter Teil

Der Finanzausgleich als zentrales Problem des Reich-Länder-Verhältnisses Das Verhältnis zwischen dem Reich und den Ländern wurde durch die Reichsverfassung im bundesstaatliehen Sinn festgelegt. Eine unitarische Änderung durch eine Verfassungsrevision kam nicht zustande, wohl aber durch die Verfassungspolitik. Erzherger setzte mit seiner Reichsfinanzreform den entscheidenden Markstein in dieser Entwicklung. Das Bundesstaatsproblem wurde somit vom staatsrechtlichen Gebiet auf jenes des Finanzausgleichs übertragen, der fortan zwar nicht in formeller, wohl aber in materieller Hinsicht gleichsam Verfassungsrecht darstellte. Einem Bundesstaat entspricht am ehesten der horizontale Finanzausgleich, ein Ausgleich zwischen gleichrangigen Gliedern. Der vertikale Finanzausgleich, wie er von Erzherger in Richtung auf den Einheitsstaat verwirklicht worden ist, schuf ein Abhängigkeitsverhältnis der Länder vom Reich. Da die Verteilung der Aufgaben und Einnahmen in enger Wechselbeziehung zueinander standen, bestimmten die jeweiligen Finanzausgleichsregelungen das Maß der Eigenstaatlichkelt der Länder: Bei mangelnder finanzieller Ausstattung wurden die Länder an ihrer Staatstätigkeit und an der Wahrnehmung ihrer Herrschaftsbefugnisse behindert; die Eigenstaatlichkeit war in Frage gestellt. Bei reichlicher Ausstattung konnten die Länder eher ihre Kompetenzen ausfüllen und ihre Selbständigkeit stärken. Hans Schmelzle resümierte daher: "Der Finanzausgleich stellte in der Zeit der Weimarer Verfassung das wichtigste Problem zwischen Reich und Ländern dar und entschied letzten Endes über die Existenz der Länder als selbständige Staatsgebildel."

1 Hans Schmetzte, Erinnerungen, fase. VI, S. 106. Vgl. die Äußerung Dr. Hilferdings im RT am 5. 4. 1927 (Vh RT StenBer Bd. 393): "Die Gestaltung des FA öffnet oder versperrt den Weg zum Einheitsstaat." Zum FA vgl. außerdem oben S. 102 ff.

Sechstes Kapitel

Das Landessteuergesetz vom 30. März 1920 (RGBI., S. 402) I. Erzhergers Vorbereitung eines Finanzausgleichs zwischen Reich, Ländern und Gemeinden Bereits im Frühstadium seines Reformwerkes verfaßte ErzbergeT eine private Studie "Zur Vorbereitung des Landessteuergesetzes"2, in der er erstmals seine Gedanken über einen Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden niederlegte. Durch das künftige Landessteuergesetz3 sollten die Steuerquellen von Reich, Ländern und Gemeinden abgegrenzt, die Beteiligung dieser Gebietskörperschaften am Aufkommen der "reichsgesetzlichen Steuern" geregelt, und "die Ausschöpfung der den Ländern und Gemeinden verbleibenden Quellen" gesichert werden. Das geplante Gesetz habe den Zweck: "1. Den Ländern und Gemeinden für die steuerliche Einbuße, die sie infolge der Inanspruchnahme ihrer bisherigen Steuerquellen durch das Reich erleiden, Ersatz zu gewähren: 2. Die Finanznot, in die die Länder und Gemeinden durch den Krieg und die wirtschaftliche und politische Entwicklung geraten sind, zu beheben; 3. Die Ungleichheiten in der Belastung und Leistungsfähigkeit der Länder und Gemeinden durch steuerliche Maßnahmen in Verbindung mit der zum Lastenausgleich notwendigen Abwälzung staatlicher und kommunaler Aufgaben möglichst zu mildern4." Diese Leitsätze erwecken den Eindruck eines den Bedürfnissen der Länder und Gemeinden gewogenen Reichsfinanzministers. Entgegen seiner sonst recht offenen Befürwortung des Einheitsstaates, schreibt 2 Mit dem Datum vom 25. August 1919 versehen; vgl. H. Thierauf, Der FA in der Weimarer Republik, 1961, S. 44 ff. 3 V. Laer, Das neue LStG: DJZ 25, 1920; J. Popitz, Die Neuordnung der Finanzverfassung von Reich, Ländern und Gemeinden durch das LStG: Preuß. Verwaltungsblatt, 1920; K. Röttinger, Das LStG vom 30. März 1920,

1920. 4

Zit. bei H. Thierauf, FA, 1961, S. 45.

I. Erzhergers Vorbereitung eines Finanzausgleichs

231

Erzherger hier, das geplante Landessteuergesetz dürfe nicht so weit gehen, "sondern (müsse) auf Erhaltung des selbständigen staatlichen Lebens in den Ländern und der Selbstverwaltung in den Gemeinden, soweit es mit dem gesteckten Ziel irgendwie vereinbar ist, Bedacht nehmen". Diese freundliche Geste gegenüber den Ländern und Gemeinden läßt vermuten, daß Erzherger sich die Möglichkeit einer Veröffentlichung der Schrift offenhielt. Jedenfalls diente sie ihm bei Diskussionen und Verhandlungen über den künftigen Finanzausgleich als Grundlage. Erzherger war daran gelegen, zunächst einmal für seine Steuergesetze, die reichseigene Finanzverwaltung und die Reichsabgabenordnung die Zustimmung der Nationalversammlung und der Landesregierungen zu gewinnen. Dieses Ziel erreichte er leichter dadurch, daß er seine Finanzreform einerseits als Entlastung (durch die Reichsabgabenordnung und die Steuergesetze) andererseits als finanzielle Besserstellung (durch das Landessteuergesetz) darstellte: "Die formale Beschränkung der Bewegungsfreiheit der Länder und Gemeinden", so behauptete er am 3. Dezember 1919 vor der Nationalversammlung, "bringt eine materielle Bewegungsfreiheit für diese beiden öffentlichen Körperschaften mit sich, und die materielle Bewegungsfreiheit ist für das Kulturleben viel bedeutsamer als eine formale Beschränkung der Bewegungsfreiheit auf dem Gebiet der Steuergesetzgebung"5• Hatten die Länder erst einmal in der Frage der Steuergesetzgebung und Steuerverwaltung nachgegeben, wollte Erzherger wcitersehen6• Hinsichtlich der Scheidung der Steuerquellen zwischen Reich, Ländern und Gemeinden hielt sich die Erzbergersehe Schrift vom 25. August 1919 an die vom Reichsfinanzministerium bearbeiteten und teilweise schon vorgebrachten Steuervorlagen. Ohne schon eine genaue Bedarfsaufstellung von Reich, Ländern und Gemeinden zu besitzen, stellte Erzherger Überlegungen über die Beteiligung dieser drei Gebietskörperschaften an dem Aufkommen der Reichssteuern an. Von der Erbschaftssteuer, so nahm er in Aussicht, könnten die Länder und Gemeinden 20 Ofo, von der Grunderwerbssteuer 50 Ofo und von der Umsatzsteuer 10 bis 15 Ofo des Aufkommens überwiesen bekommen7 • Vom Ertrag der Einkommensteuer sollten die Gemeinden 75 Ofo der Einkommen bis zu 7500 RM erhalten; die Aufteilung des Restes auf Reich und Länder ließ Erzherger noch offen. Die s Vh NV StenBer Bd. 331, S. 3841. 6 Den Optimismus von H. Thierauf, FA, 1961, S. 45 ff., als habe sich Erzberger - vom Länderstandpunkt aus gesehen - vom Saulus zum Paulus gewandelt, kann ich nicht teilen. Nur mit größten Vorbehalten kann man das Landessteuergesetz als den länderfreundlichsten Teil der Erzbergersehen Finanzreform ansehen; außer dem LStG handelte es sich ja nur um Verreichlichung von Gebieten des Finanz- und Steuerwesens. 7 Erzherger spricht ganz klar von Überweisungen des Reichs an die Länder und setzt somit die Reichsfinanzverwaltung voraus.

232

6. Kap.: Das Landessteuergesetz vom 30. März 1920

Vorschrift der Reichsabgabenordnung (§ 451 RAO), die den Ländern und Gemeinden über eine prozentuale Beteiligung Mindestbezüge garantierte, wollte Erzherger nicht in das Landessteuergesetz aufnehmen, da sie den Steuerbedarf des Reiches nicht berücksichtigte. Er erachtete eine prozentuale Beteiligung am Gesamtsteueraufkommen als ausreichende finanzielle Absicherung der Länder und Gemeinden, da sie bei steigendem Steuerertrag ebenfalls Nutzen hätten. Abschließend wies Erzherger auf die Notwendigkeit eines zusätzlichen, und zwar horizontalen Finanzausgleichs zur Unterstützung der steuerschwachen Gebiete hin. II. Der vorläufige Entwurf eines Landessteuergesetzes Erzherger bat am 29. September 1919 die Landesregierungen um Stellungnahme 1. zur Erhaltung besonderer Landes- und Gemeindesteuern bzw. deren Aufnahme in das Landessteuergesetz, 2. zum Verbot des Reiclles über die Erhebung gleichartiger Steuern durch Länder und Gemeinden, soweit ein Steuergebiet reichsgesetzlich geregelt ists. Die Antwort der bayerischen Staatsregierung richtete sich eigentlich nur gegen eine Verallgemeinerung des zweiten Punktes, weil dadurch von vornherein die Erhebung von Landeszuschlägen auf Reichssteuern ausgeschlossen würde'. Dieser Einwand war nicht schwerwiegend und verzögerte die Veröffentlicllung des Entwurfs eines Landessteuergesetzes keineswegs. Am 25. Oktober 1919 übersandte das Reichsfinanzministerium den Landesregierungen den vorläufigen Entwurf eines Landessteuergesetzes mit der Bitte um Stellungnahme bis zum 7. November10• Fast alle wichtigen Fragen der Erzbergersehen Schrift vom 25. August waren in ihn aufgenommen worden. Neu waren die Verpflichtungen der Gemeinden, eine Vel"'gnügungssteuer (§ 12) zu erheben, und der Länder, Steuern vom Grundvermögen und Gewerbebetrieb einzuziehen. Diese Ertragssteuern durften jedoch nicht wie Einkommensteuern ausgestaltet werden. Über die Beteiligung der Länder an der Reichseinkommen- und Körperschaftssteuer wollte Erzherger mit sich reden lassen. Ganz allgemein sollten die Länder vom Steuereinkommen aus den unteren s B.HStA.II, MA 103752. 9 B.HStA.II, a.a.O. 1o RMin d Fin an sämtliche Landesregierungen- III 14371 -vom 25.10. 1919; unterzeichnet von Moesle; B.HStA.II, MA 103752.

Il. Der vorläufige Entwurf eines Landessteuergesetzes

233

Einkommen 75 Ofo, von jenem aus den mittleren Einkommen 50 Ofo und von jenem aus den hohen Einkommen 25 Ofo erhalten11 • Von einer Beteiligung der Gemeinden an der Einkommen- und Körperschaftssteuer war- im Gegensatz zur Erzbergersehen Schrift vom August- nicht mehr die Rede. Es blieb den Ländern überlassen, sich mit den Gemeinden im Rahmen eines Landesfinanzausgleichs zu einigen. Die Staffelung bedeutete eine Stärkung der steuerschwachen Länder, da sie an den niedr~gen Einkommen stärker beteiligt werden sollten als an den hohen. Die Industrieländer zogen aus ihren hohen Einkommen durch die geringe Beteiligung von nur 25 Ofo wenig Nutzen. Der dritte Teil dieses vorläufigen Entwurfs behandelte den Lastenausgleich zwischen Reich Wld Ländern: "Wenn Länder oder Gemeinden Aufgaben zu erfüllen haben, die durch Verträge, Gesetze oder Verwaltungsmaßregeln des Reichs hervorgerufen oder wesentlich erweitert sind, so wird das Reich im Falle des Bedürfnisses diese Aufgaben übernehmen oder Zuschüsse zu den Kosten leisten. Dasselbe gilt von Unternehmungen der Länder und Gemeinden auf kulturellem, sozialem und wirtschaftlichem Gebiete, deren Bedeutung sich auf das ganze Reichsgebiet oder auf mehrere Länder erstreckt, sowie von solchen Einrichtungen, deren Kosten zu tragen ein Land auch bei völliger Ausschöpfung der eigenen Einnahmequellen außerstande ist." (S. 9) Durch einen Lastenausgleich dieser Art würden die Länder in verstärktem Maße vom Reich abhängig werden. Einen gesunden Lastenausgleich kann es nur zwischen Gleichrangigen geben. Zuschüsse des Reichs und Übernahme von Länderaufgaben durch das Reich haben nichts mit einem gerechten Finanz- und Lastenausgleich zu tun, sondern sind Beispiele einer Aushöhlung der Länderstaatlichkeit auf finanzpolitischem Wege12• Die Reichsregierung müßte im Finanzausgleich den Ländern Wld Gemeinden die finanziellen Mittel garantieren, die diese zur Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben benötigen. Der Stiel darf nicht umgedreht werden, dergestalt, daß das Reich den Ländern und Gemeinden ganz bestimmte Zuweisungen zukommen läßt, nacll denen diese ihre Tätigkeit zu bemessen haben, und daft alle Aufgaben und Kompetenzen, welche von Ländern und Gemeinden mangels finanzieller Mittel nicht wahrgenommen werden können, vom Reich absorbiert werden. u Die Abgrenzung zwischen den drei Einkommensgruppen behielt Erzberger Verhandlungen vor. t2 H. Thierauf, FA, 1961, S. 53, nennt ausgerechnet diese Bestimmungen "ein weiteres Zeichen dafür, daß Erzberger durchaus nicht darauf bedacht war, die Länder vollständig auszuhöhlen". Ganz allgemein leidet die Arbeit H. Thieraufs durch mangelnde Einsichtnahme in Länderakten an einer übermäßigen Einseitigkeit; sie vertritt praktisch allein die Stellung der Reichsregierung.

234

6. Kap.: Das Landessteuergesetz vom 30. März 1920

Die wichtigste Neuerung für Länder und Gemeinden brachte der § 53 des vorläufigen Entwurfs: "Änderungen des Maßstabes für die Beteiligung der Länder und Gemeinden am Ertrage von Reichssteuern dürfen nur unter den Voraussetzungen erfolgen, die nach der Reichsverfassung für Verfassungsänderungen vorgesehen sind." (S. 10) Diese Bestimmung sollte den Ländern und Gemeinden ein verhältnismäßig kontinuierliches Finanzgebaren ermöglichen und sie vor einer völligen finanziellen Austrocknung bewahren. I. Die Stellungnahme Bayerns

Am 18. November 1919 bezog das bayerische Finanzministerium Stellung zu dem vorläufigen Entwurf eines Landessteuergesetzes13• Bayern schlug vor, das System der Zuschlagsautonomie anstatt des Quotensystems in das Landessteuergesetz aufzunehmen, da nur so Beweglichkeit und Eigenverantwortlichkeit des staatlichen und kommunalen Finanzgebarens gewährleistet seien. Es befürchtete andernfalls einen "höchst unerquicklichen Kampf zwischen Ländern und Gemeinden um die Verteilung der gemeinsamen Quoten". Auch Sachsen und Hessen forderten, den Ländern die Erhebung autonomer Zuschläge zur Einkommensteuer zu erlauben. Der Haupteinwand Bayerns war, "daß die Beschränkung auf gewisse Quoten des Steueraufkommens in Verbindung mit einem aus § 50 des Entwurfs sich ergebenden Dotationssystem die Länder und Gemeinden des Restes ihrer Selbständigkeit beraubt und sie zur Erfüllung ihrer kulturellen Aufgaben unfähig macht. Das Reich wird in Zukunft entscheiden, mit welchen Mitteln die Länder und Gemeinden ihre notwendigen Ausgaben bestreiten dürfen, der Reichsfinanzminister wird nach § 52 darüber befinden können, welche Ausgaben als notwendig zu erachten sind. Diese Zerstörung alles einzelstaatlichen und gemeindlichen Lebens ist sehr zu bedauern und birgt auch für das Reich selbst eine große Gefahr in sich". Der bayerische Finanzminister warnte daher vor dem Beschreiten des im vorläufigen Entwurf aufgezeigten Weges, in der Überzeugung, "daß das System des Entwurfs sowohl aus dem Gesichtspunkt der Wahrung der Selbständigkeit der Länder und Gemeinden als auch aus dem Gesichtspunkt der praktiscllen Durchführbarkeit scharfen Widerspruch herausfordert und über kurz oder lang zum Zusammenbruch führen muß". Die Erhebung von Zuschlägen zur Reichseinkommensteuer - bei gleichzeitiger Ta.r ifänderung derselben - erschien Bayern noch am ehesten geeignet, die Selbständigkeit der Länder und Gemeinden zu wahren. 13

B.StMin d Fin an das Rfinmin- Nr. 55201 -vom 18.11.1919; B.HStA.

li, MA 103752.

Ill. Der endgültige Entwurf eines Landessteuergesetzes

235

Außerdem rügte Bayern, daß die Garantie des bisherigen Steueraufkommens nach § 451 der Reichsabgabenordnung nicht in den Entwurf aufgenommen wurde. 111. Der endgültige Entwurf eines Landessteuergesetzes

Am 18. November 1919 legte Erzherger dem Reichsrat den "Entwurf eines Landesbesteuerungsgesetzes" vor (RR-Drucks. Nr. 233). Das Reich anerkannte die Steuerhoheit der Länder überall dort, wo es sie nicht selbst in Anspruch nahm. Gleichartige Steuern durften von den Ländern und Gemeinden nicht erhoben werden, soweit Steuergebiete bereits vom Reich geregelt wurden. Landesrechtliche Zuschläge zu Reichssteuern sollten der reichsgesetzlichen Ermächtigung bedürfen. Die Länder wurden andererseits verpflichtet, die ihnen zugesprochenen Steuern zur Deckung ihres Bedarfs voll auszuschöpfen: Das waren insbesondere die Steuern vom Grundvermögen und vom Gewerbebetrieb. Die Vergnügungssteuer sollte den Gemeinden möglichst ganz verbleiben. Unumwunden gesteht der Entwurf, daß die staatliche Finanzhoheit durch den Verlust der eigenen Einkommensteuer "den stärksten Stoß" (S. 15) erleide. Parallele Einkommensteuern der drei Steuergläubiger sowie autonome Zuschläge der Länder und Gemeinden zu der Reichseinkome:nsteuer wurden im Hinblick auf die Notwendigkeit einer optimalen Ausschöpfung abgelehnt. Die Länder sollten also vom Ertrag der Einkommensteuer 4500 Mill, der Erbschaftssteuer 150 Mill, der Grunderwerbsteuer 140 Mill, der Umsatzsteuer 600 Mill, zusammen demnach 5390 Mill überwiesen bekommen (S. 20). An die Stelle der bisherigen Dreigliederung in der Beteiligung an der Einkommensteuer traten nunmehr fünf Stufen: "bis zu RM 15 500 Einkommen beträgt der Länderanteil 90 Ofo bis zu RM 25 500 Einkommen beträgt der Länderanteil 80 °/o bis zu RM 50 000 Einkommen beträgt der Länderanteil 60 Ofo bis zu RM 150 000 Einkommen beträgt der Länderanteil 50 Ofo bis zu RM 400 000 Einkommen beträgt der Länderanteil 40 Ofo bei höheren Einkommen beträgt der Länderanteil 20 Ofo (S. 23). Länder, die wie Bayern von der Landwirtschaft und dem Mittelstand geprägt waren, wurden durch diese Staffelung in einen vertretbaren

236

6. Kap.: Das Landessteuergesetz vom 30. März 1920

Ausgleich gegenüber hochindustrialisierten Ländern gebracht, denen die starke Progression die hohen Einkommen größtenteils vorenthielt. Als weitere Unterstützung der steuerschwachen Länder wurde neben der Verteilung nach dem örtlichen Aufkommen eine solche nach der Bevölkerungszahl vorgesehen: Blieb der Kopfbetrag eines Landes um mehr als 10 °/o hinter dem allgemeinen Durchschnittssatz zurück, so sollte der Landesanteil bis zu dieser Grenze ergänzt werden (§ 35). Den Anteil der Länder an der Erbschaftssteuer gab der Entwurf mit 20 °/o, an der Grunderwerbssteuer mit 50 °/o und an der Umsatzsteuer mit 10 °/o an (S. 24), wobei für die Umsatzsteuer die Bevölkerungsziffer als Verteilungsmaßstab diente. Ansonsten übernahm dieser Entwurf die Bestimmungen jenes vorläufigen Entwurfs eines Landesbesteuerungsgesetzes vom 25. Oktober 1919. 1. Die Stellungnahme Bayerns

Am 24. November tagte der bayerische Ministerrat in der Frage des Landessteuergesetzes. Finanzminister Speck beantragte die Ablehnung des Entwurfs im Reichsrat. Innenminister Endres14 kritisierte den Zeitmangel, der eine Fühlungnahme mit den Gemeindeverbänden und die Aufstellung von Gegenvorschlägen vereitelte. Sein Referent lehnte den Gesetzentwurf vom Standpunkt des gemeindlichen Besteuerungsrechts ab. Handelsminister Hamm erblickte in der Regierungsvorlage das Ende allen staatlichen und kommunalen Eigenlebens. Justizminister Müller-Meiningen empfahl, schärfsten und feierlichsten Protest einzulegen und die Vorlage abzulehnen. Ministerpräsident Hoffmann bat die Minister der Finanzen und des Innern, unverzüglich zu Verhandlungen nach Berlin zu reisen, und ersuchte den Reichskanzler am selben Tag telegraphisch um Verschiebung der Reichsratssitzung15• Der Finanzausschuß des bayerischen Landtags schloß sich dem Protest der bayerischen Regierung, der sofort nach Berlin weitergeleitet worden war, einstimmig an16 : Er warnte "im Interesse des ganzen Reiches, den betretenen Weg, welcher die Finanzwirtschaft der Länder und Gemeinden zerstört, weiterzugehen". 14 Fritz Endres, geb. 15. 10. 1877 Ebenhausen; Kupferschmied; 1911 Gewerkschaftssekr. und 1918 Geschäftsführer des Metallarbeiterverbandes in Bayern; 1912-33 MdL (SPD); 1919/20 MdNV; 21. 2. -31.5.1919 B.StMin d Justiz; 31. 5. 1919-14. 3. 1920 B.StMin d Inn. 15 Auszug aus der Niederschrift, aufgenommen in der Ministerratssitzung vom 24. Nov. 1919 B.HStA.II, MA 103752. 16 Vgl. BStZ Nr. 287 vom 27. 11. 1919.

III. Der endgültige Entwurf eines Landessteuergesetzes

237

2. Die Beratungen im Reititsrat

Vom 22. bis 26. November berieten die zuständigen Reichsratsausschüsse über den Entwurf des Landessteuergesetzes. Sie nahmen erhebliche Verbesserungen zugunsten der Länder vor. § 16, der die Regelung der Einkommensteuer betraf, wurde zwar im großen und ganzen akzeptiert, nicht aber dessen Verteilungsvorschlag. Sachsen und Harnburg beharrten darauf, daß die Prozentsätze in den oberen Einkommenstufen höher gehalten werden müßten. Es wurde ein Vorschlag des Vorsitzenden angenommen, der den Ländern folgende Anteile versprach: "a) von den Steuerbeträgen der Steuerpflichtigen, deren steuerbares Einkommen 15 000 RM nicht überstieg, einen Anteil von 90 °/o b) von den Steuerbeträgen der Steuerpflichtigen mit einem Einkommen von mehr als 15 000 bis 25 000 M 80 Ofo c) 25 000 bis 50 000 M 70 Ofo d) 50 000 bis 100 000 M 60 Ofo " e) 100 000 bis 150 000 M 50 Ofo " f) 150 000 bis 300 000 M 40 Ofo g) 300 000 30 °/o17."

"

Die Heraufsetzung der letzten Stufe auf 30 Ofo kam den Ländern mit Großindustrie entgegen, ohne daß hierdurch den übrigen Ländern merklicher Schaden entstand. Die wesentlichste Neuerung war, daß der Garantieparagraph des Gesetzes über die Reichsfinanzverwaltung (§ 46 = § 451 RAO) in den Entwurf aufgenommen wurde. Der Anteil der Länder sollte demnach mindestens den Betrag erreichen, welcher der durchschnittlichen Belastung des Einkommens der Steuerjahre 1917, 1918 und 1919 entsprach. Erzberger, der sich von Anfang an gegen die Aufnahme dieses Paragraphen in das Landessteuergesetz gewehrt hatte, wurde überstimmt. Ebensowenig Erfolg hatte sein Widerstand gegen die Forderung, die Länder am Ertrag der Kapitalertragssteuer mit 10 Ofo zu beteiligen. Eine weitere materielle Verbesserung zugunsten der Länder bestand in der Übernahme einer Reihe von Leistungen der Länder und Gemeinden auf das Reich (§55). Es handelte sich hierbei um Kriegslasten, Familienunterstützung, Kriegswohlfahrtspflege und Beschaffungsbeihilfen für Beamte. Erzherger war gerne bereit, diese Verpflichtigen für das Reich zu übernehmen, da hierdurch die Reichskompetenzen ausgedehnt wurden. Von einer besseren finanziellen Ausstattung der Länder, die diesen die Erfüllung ihrer Verpflichtungen ermöglicht hätte, wollte er nichts wissen. 17

RR-Drucks. Nr. 248, S. 6.

238

6. Kap.: Das Landessteuergesetz vom 30. März 1920

Bayern hätte den Zeitpunkt der Abstimmung in der Vollversammlung des Reichsrats gerne hinausgeschoben; das wurde ihm jedoch verwehrt18. Das Plenum des Reichsrats beriet am 29. November 1919 über den von seinen Ausschüssen geänderten Entwurf des Landessteuergesetzes19. Erzherger lehnte eine Beteiligung der Länder an der Kapitalertragssteuer, wie es die Ausschüsse gefordert hatten, entschieden ab. Sollte sich der Reichsrat der Forderung seiner Ausschüsse anschließen, werde er eine doppelte Vorlage im Sinne des Art. 69 RV an die Nationalversammlung bringen. Diese Drohung machte Eindruck; Preußen und andere Staaten gaben nach. Der preußische Ministerpräsident Hirsch20 beklagte sich über die hastige Behandlung des Entwurfs, die jegliche Stellungnahme der Landesregierungen beeinträchtige oder gar unmöglich mache. Dr. von Preger schloß sich namens seiner Regierung sofort an. Erzherger hingegen bestritt, daß die Länder mit dem vorliegenden Gesetzentwurf überrumpelt worden seien, vielmehr sei dieser in stetem Einvernehmen mit den Landesregierungen konzipiert worden. Deshalb habe er geglaubt, im Reichsrat ein rascheres Tempo einschlagen zu können. Bestünden aber die Länder auf der Einhaltung der in der Geschäftsordnung des Reichsrats festgelegten Fristen zur Beratung der Gesetzentwürfe, so "habe es keinen Zweck, vor Einbringung derselben im Reichsrat mit den Ländern in Verbindung zu treten. Er werde daher in Zukunft diese Fühlungnahme unterlassen" 21 . Preger protestierte gegen die Erklärung Erzhergers unter Hinweis auf Art. 67 RV22 und betonte, die Landesregierungen müßten Zeit haben, mit ihren Landtagen ins Benehmen zu treten und in Ruhe ihre Stellungnahme zu fixieren. Erzhergers Interpretation des Art. 67 RV, die Reichsregierung sei nur zur Unterrichtung des Reichsrats, nicht der Landesregierungen verpflichtet, erschien gewaltsam und entsprach nicht den Intentionen einer bundesstaatliehen Verfassung. Preger warnte vor 18 Vgl. Telegramm der BayGes Berlin (Dr. v. Preger) an MinPräs Hoffmann vom 26.11.1919; B.HStA.II, MA 103752. 19 Niederschrift der 81. Sitzung des RR vom 29. 11. 1919, §§ 880-883, S. 874 ff.; vgl. auch den Bericht der bayGes Berlin an das B.Stmin d Äuß vom 29.11. 1919; B.HStA.II, MA 103752. 2o Paul Hirsch, geb. 17.11. 1868 Prenzlau, gest. 1940 Charlottenburg; Journalist; 1900-21 Stadtverordneter in Berlin; 1908-32 MdL-Preußen (SPD); 1918-20 preuß. MinPräs; 1920-22 StMin f Volkswohlfahrt; 1925-32 2. Bgm. von Dortmund. 21 Bericht Nr. 593 der BayGes Berlin an das B.Stmin d Äuß vom 29. 11. 1919; B.HStA.II, MA 103752. 22 Art. 67 RV: "Der RR ist von den Reichsministerien über die Führung der Reichsgeschäfte auf dem laufenden zu halten. Zu Beratungen über wichtige Gegenstände sollen von den Reichsministerien die zuständigen Ausschüsse des RR zugezogen werden."

III. Der endgültige Entwurf eines Landessteuergesetzes

239

einer Verfassungspolitik, die in Mißachtung des Verfassungstextes die Herbeiführung des Einheitsstaates bezweckte: "Die Länder durften die berechtigte Hoffnung hegen, daß die Reichsverfassung nicht den Anfang, sondern den Abschluß der zum Einheitsstaat hinstrebenden Tendenzen bringt. In dieser Hoffnung wurden sie durch die heutige Vorlage enttäuscht." Erst am 27. November hatte sich Erzherger vor der Nationalversammlung in eindeutiger Weise über die Notwendigkeit des Einheitsstaates ausgesprochen23, so daß die Besorgnis Bayerns über das Vorgehen des Reichsfinanzministers gerechtfertigt war. Es gehörte zur Taktik Erzbergers, unter Hinweis auf die Finanzmisere von Reich und Ländern seine Gesetzesvorlagen mit beschleunigtem Tempo durch die gesetzgebenden Organe zu führen. Die Länder hatten nicht genügend Zeit, sich über die Tragweite der Vorlage klar zu werden; so blieben Gegenvorschläge meist aus, und Erzherger brauchte keinen fundierten Widerstand oder gar breite Frontbildungen der Länder zu fürchten. Die Länder wiederum wollten nicht durch ständiges Bremsen den Anschein erwecken, als läge ihnen die Sanierung der öffentlichen Finanzen nicht am Herzen. Die Überrumpelungstaktik Erzhergers konnte in den meisten Fällen nur einen momentanen Erfolg erzielen, trug aber nicht zu einem gedeihlichen Verhältnis zwischen Reich und Ländern bei. Konnten kritische Probleme vorläufig überdeckt werden, brachen sie später sicher auf und vergifteten das Reich-Länder-Verhältnis. Der Reichsrat stimmte der Regierungsvorlage schließlich doch mit

49 Stimmen gegen die Stimmen Bayerns, Badens und Hessens zu24•

Dr. von Preger versäumte es nicht, namens seiner Regierung eine Erklärung abzugeben, in der festgestellt wurde: "Die Länder werden durch den Entwurf zurückgedrängt in die Stellung von Privatpersonen, die ihre Ausgaben nach ihren Einnahmen zu bemessen haben, während es bisher gerade das Unterscheidungsmerkmal für die Staatswirtschaft gegenüber der Privatwirtschaft war, daß sie zunächst ihre Aufgaben feststellte, und hiernach die von ihren Staatsangehörigen zu erhebenden Ausgaben bemaß . . . Der dadurch entstehenden Gefahr, daß wichtige Aufgaben auf kulturellem, wirtschaftlichem und sozialem Gebiet von ihnen nicht mehr befriedigt werden können, sucht der Entwurf dadurch zu begegnen, daß er in diesen Fällen den Ländern Zuschüsse oder Übernahme der Unternehmungen auf das Reich in Aussicht stellt. Auf diesem Wege wird über die Reichsverfassung hinaus die Zuständigkeit des Reiches namentlich auf kulturellem Gebiet auf Kosten der Einzelstaaten erweitert werden ... Der einstimmig von allen Parteien - Sozialdemokraten, Demokraten und Zentrum - gefaßte Entschluß des Bayerischen Finanzausschusses vom 25.11.1919 ist der Ausdruck 23 24

Vh NV StenBer Bd. 331, S. 3802 f . Niederschr. d. 81. Sitzung des RR v. 29. 11. 1919, § 882, S. 878.

240

6. Kap.: Das Landessteuergesetz vom 30. März 1920

einer Stimmung, die ich nicht zu unterschätzen bitte. Der Schaden, der in politischer Hinsicht durch diese starke Unitarisierungs- und Zentralisierungsbestrebungen angerichtet wird, könnte größer sein als der Nutzen, den man sich in finanzieller Hinsicht vom Gesetz verspricht ... Der vorliegende Entwurf will auch die gemeindliche Steuerautonomie beschränken. In einem Augenblick, in dem durch die Reichsverfassung dem Einzelnen eine fast schrankenlose persönliche Freiheit eingeräumt und er von der Kuratel des Staates befreit wurde, in einem Augenblick, in dem wir uns stolz rühmen, den Obrigkeitsstaat überwunden zu haben . . . wird der Staat wieder zum Herrn der Finanzwirtschaft der Gemeinden gemacht, wird zu einem System der Bevormundung der Gemeinden durch den Staat zurückgekehrt, das abgeschafft zu haben als größtes Verdienst des Freiherrn von Stein gepriesen wurde ... Die natürliche Folge wird ein höchst unerquicklicher Kampf der Gemeinden mit dem Lande und gegeneinander um die Austeilung der Lastenausgleichssumme sein ... Nun sind zweifellos durch die Änderungen wesentliche Verbesserungen zugunsten der Länder herbeigeführt worden ... Die Bayerische Regierung erkennt diese Verbesserungen dankbar an; gleichwohl vermag sie dem Landessteuergesetz auch in der nunmehr vorliegenden Fassung ihre Zustimmung nicht zu erteilen, weil nach ihrer Überzeugung in kurzer Zeit die Undurchführbarkeit des Gesetzes sich erwiesen haben und der Zusammenbruch der Finanzgebarung der Länder und Gemeinden unausbleiblich sein wird25." Es ist erstaunlich, wie bereitwillig die überwiegende Mehrheit der Länder sich in die Rolle des Kostgängers schieben ließ. Selbst wenn für die Annahme eine verfassungsändernde Mehrheit erforderlich gewesen wäre, wäre eine Zweidrittelmehrheit zustandegekommen. Hinsichtlich dieser gefügigen Haltung ist der begründete Protest Bayerns gegen die Aushöhlung der Länderstaatlichkeit durch das neue Landessteuergesetz als Zeugnis staatlichen Selbstbehauptungswillens anzuerkennen. Der Landtagsabgeordnete Held kritisierte als Berichterstatter des Finanzausschusses im bayerischen Landtag den Entwurf des Landessteuergesetzes2&: Die Länder könnten mit den Reichszuweisungen ihren Verpflichtungen nicht nachkommen; die Verteilung der Gelder an die Gemeinden würde schier unlösbare Probleme aufwerfen. Überhaupt gereiche die Reichssteuergesetzgebung nicht zum Wohle der einzelnen Länder und Gemeinden, sondern könne "eine derartige Beunruhigung hervorrufen ... daß damit auch gewisse Gefahren für das Reich selbst verbunden seien". 25

Nach einer telegraphischen Instruktion Specks an Dr. v. Preger vom

26. 11. 1919; B.HStA.II, MA 103752. 2& Vh BayLT 1919/20, Bd. II, 4. 12. 1919, S. 28.

III. Der endgültige Entwurf eines Landessteuergesetzes

241

3. Die erste Lesung in der Nationalversammlung

Noch am 29. November ließ Erzherger den vom Reichsrat genehmigten Entwurf an die Nationalversammlung gehen (NV-Drucks. Nr. 1623). In seiner großen Rede vom 3. Dezember 1919 kam er auch auf das geplante Landessteuergesetz zu sprechen. Es solle 1. die steuerlichen Zuständigkeiten klären, 2. dem Reich, den Ländern und Gemeinden gleicherweise die Möglichkeit bieten, ihre notwendigen Aufgaben zu erfüllen, 3. auf eine nützliche Sparsamkeit hinwirken. Das Reich nehme durch die neue Reichssteuergesetzgebung den Ländern und Gemeinden nicht nur etwas weg, "sondern es ist sich voll seiner Verpflichtung bewußt, daß es als Gegengabe dafür auch für den Finanzbedarf der Länder und Gemeinden sorgen muß", nämlich im Landessteuergesetz27• "Freilich, nach Belieben schalten und walten können Länder und Gemeinden in der Zukunft nicht mehr28." Hieran zweüelte Bayern keineswegs, eher an der Folgerung Erzbergers: "Es würde sich aber ein durchaus falsches Bild der zukünftigen Verhältnisse ergeben, wollte man annehmen, daß Länder und Gemeinden nur noch eine sehr geringe Selbständigkeit auf steuerlichem Gebiet besäßen. Das ist durchaus nicht der Fall." Die Bestimmungen der Reichsabgabenordnung bescherten ihnen zwar eine formale Beschränkung ihrer Bewegungsfreiheit, das künftige Landessteuergesetz brächte ihnen jedoch eine bisher nie gekannte materielle Bewegungsfreiheit, und auf diese käme es bei der Erfüllung der Staatsaufgaben an. Die Aussicht auf angeblich reichliche Reichszuweisungen sollte den Ländern die Einengung ihrer formellen Bewegungsfreiheit lediglich versüßen. Diese Folgerung muß man jedenfalls aus der tatsächlichen finanziellen Ausstattung der Länder durch das Landessteuergesetz ziehen. Wäre Erzberger wirklich an der Eigenstaatlichkeit der Länder und einem harmonischen Reich-Länder-Verhältnis im bundesstaatliehen Sinne gelegen gewesen, hätte er sein Versprechen vom 3. Dezember 1919 eingelöst und die Länder als Gegengewicht zur fast ausschließlichen Finanzhoheit des Reiches durch das Landessteuergesetz finanziell so abgesichert, daß sie ihre verfassungsmäßigen Staatsaufgaben hätten erfüllen können. Vom 5. Dezember 1919 bis zum 11. März 1920 befaßte sich die Nationalversammlung mit der Gesetzesvorlage. Schon die erste Lesung am 5. Dezember ließ die bayerische Gesandtschaft in Berlin hellhörig werden. Sie berichtete von der Rede des Zentrumsabgeordneten Zehnter, der bemängelt hatte, daß sich die 21

Vh NV StenBer Bd. 331, S. 3832; zit. bei M. Erzberger, Reden, 1919,

28

Zit. bei M. Erzberger, Reden, 1919, S. 115.

8 . 113.

16 Menges

242

6. Kap.: Das Landessteuergesetz vom 30. März 1920

Länder trotz gebotener Sparsamkeit und verminderten Landeszuständigkeiten noch insgesamt 168 Minister und über 2000 Landtagsabgeordnete leisteten. "Diese Ausführungen waren offensichtlich bestellte Arbeit, denn Reichsminister Erzherger nahm sie sofort auf, erklärte, daß er sie aus ganzem Herzen unterschreiben könne und wünsche, daß die einzelstaatlichen Parlamente daraus die nötigen Konsequenzen ziehen werden. Man sieht", so folgert der Bericht, "es liegt zweifellos System im Vorgehen, das darauf abzielt, die Selbständigkeit, die die Reichsverfassung den Einzelstaaten noch gelassen hat, nach und nach abzubauen und zu untergraben. Das Landessteuergesetz wird durch seine Beschränkung der Steuerhoheit der Länder und durch die Einführung der Reichsaufsicht über die Ausgaben der Länder, zu der § 56 des Gesetzes die Handhabe bietet, die Verwirklichung dieses Zieles auf das Stärkste beschleunigen29." 4. Die Änderungen durch den 10. Ausschuß

Am folgenden Tag (6. 12.1919) ließ die Nationalversammlung den Entwurf ihrem 10. Ausschuß zur Beratung zugehen (Finanzausschuß). Dieser anerkannte, daß die neue "Abgrenzung der Steuerhoheit von Reich, Ländern und Gemeinden . . . grundsätzlich zweifellos nicht nur erwünscht, sondern angesichts des gewaltigen Steuerbedarfs von Reich, Ländern und Gemeinden, der zur Ausschöpfung aller Steuerquellen nötigt, unbedingt erforderlich" war (NV-Drucks. Nr. 2158). Der Ausschuß glaubte, daß durch die neue Regelung die bisherigen finanzpolitischen Kämpfe zwischen Reichstag und Bundesrat endgültig beendet seien. Zugleich begrüßte er den allgemeinen Vorrang des Reiches vor den Ländern, deren Steuerhoheit durch die Reichsabgabenordnung formell und durch das geplante Landessteuergesetz materiell der "Todesstoß" versetzt werde (NV-Drucks. Nr. 2158). Von einem Ausgleich zwischen gleichrangigen Partnern konnte bei dieser Betrachtungsweise keine Rede sein. Erzherger stellte befriedigt fest, "daß dem Grundgedanken der Vorlage anscheinend zugestimmt werde", lieferte jedoch eine Zusammenfassung, die fast ironisch klingt: "1. Die Länder und Gemeinden werden durch die Vorschriften des Entwurfs in ihrer Existenz nicht gefährdet; 2. Der Entwurf bringe ihnen eine große Entlastung; 3. Eine Differenzierung könne nur dahin stattfinden, daß die Gemeinden Abschläge machten. Über den Einkommensteuertarif hinauszugehen, sei vollkommen unmöglich30." 29 BayGes Berlin an das B.Stmin d Äuß B.HStA.II, MA 103752. 30 NV-Drucks. Nr. 2158, S. 5 f .

Nr. 611 -

vom 8. 12. 1919;

111. Der endgültige Entwurf eines Landessteuergesetzes

243

Im Laufe der beiden Lesungen im 10. Ausschuß wurde der Entwurf in beträchtlichem Ausmaß zuungunsten der Länder verändert. Die schwerste Niederlage erlitten die Länder durch die Streichung des §57 der Vorlage, der für Änderungen an der Beteiligung der Länder und Gemeinden am Ertrag von Reichssteuern eine verfassungsändernde Mehrheit verlangt hatte (§ 57 = § 53 der vorläufigen Fassung). Obwohl sämtliche Länder protestierten und selbst die Reichsregierung und einige Abgeordnete die Streichung mißbilligten, blieb die Mehrheit des Ausschusses darauf bestehen. Damit war einer weiteren finanzpolitischen Aushöhlung der Länder Tür und Tor geöffnet. Sodann wurde im § 6 die Entscheidungsgewalt dem Reichstag anstelle des Reichsrats übertragen. Die auf bayerischen Vorschlag in das Gesetz aufgenommene KannVorschrift des § 14 zur Angleichung der Veranlagung und Erhebung der Landes- und Gemeindesteuern an die Reichsabgabenordnung wurde in eine Muß-Vorschrift umgewandelt. Durch eine Änderung im § 52 wurden die Länder verpflichtet, bis zum 1. April 1921 für einen Lastenausgleich unter ihren Gemeinden zu sorgen (insbesondere Schul- und Polizeilasten). Mit all diesen Änderungen ließ der 10. Ausschuß die Vorlage an das Plenum der Nationalversammlung zurückgehen. a) Die Einwände Bayerns

In Bayern verfolgte man die Beratungen im 10. Ausschuß der Nationalversammlung mit Beunruhigung. Der Bayerische Städtebund wandte sich in einer Note vom 11. Dezember an das Bayerische Finanzministerium, in welcher das geplante Landessteuergesetz, in erster Linie dessen Quotensystem, abgelehnt wurde3t. Finanzminister Kofler richtete am 7. Februar 192032 an das Reichsfinanzministerium ein Schreiben, in welchem bedauert wurde, daß die Vorstellungen Bayerns33 nicht berücksichtigt wurden. Änderungen durch den 10. Ausschuß hätten den Gegensatz zu der bayerischen Auffassung noch wesentlich verstärkt, so die Annahme des Antrags Nr. 345 (Burlage-Legendre) zu § 14 LStG: Eine Bindung der Landes- und Gemeindesteuern an die Reichsabgabenordnung, wie sie dadurch vorgeschrieben wird, sei nicht nur unzweckmäßig, sondern stelle einen erheblichen Eingriff in das Gesetzgebungsrecht der Länder dar, "der über die Befugnisse des Reiches nach Art. 11, 18, 84 RV weit

Die

31 32 MA 33 1&*

Vgl. G. Höfler, Erzhergers Finanzreform, 1955, 5. 175 ff. B.StMin d Fin an das Rfinmin - Nr. 8251 - vom 7. 2. 1920; B.HStA.II,

103752.

Wie sie im Sehr. Nr. 55201 vom 18. 11. 1919 niedergelegt worden waren.

244

6. Kap.: Das Landessteuergesetz vom 30. März 1920

hinausgeht". Geradezu empörend fand Kofler die Änderung des § 16, die anstatt der Staffelung der Länderanteile an der Einkommensteuer (von 90 Ofo bis 30 Ofo sinkend) den einheitlichen Anteilssatz von 66,6 Ofo einführte. Das bedeute eine Benachteiligung Bayerns, bei dessen agrarischer und mittelständischer Struktur die kleinen Einkommen innerhalb des Gesamtaufkommens eine dominierende Rolle spielten. In einer Instruktion an die bayerische Gesandtschaft in Berlin vom selben Tag wollte sich Kofler mit der Feststellung eines einheitlichen Anteilsatzes in § 16 nur bei dessen Erhöhung auf 75 Ofo zufriedengeben, was nichts an der Ablehnung des ganzen Gesetzes durch Bayern ändere34 • In der Note an das Reichsfinanzministerium unterließ es Kofler nicht, wiederum gegen die "unerhörte Übereilung" zu protestieren, die jedwede Instruktion des Reichsratsbevollmächtigten verhindere, "weil meist die Beschlüsse bereits gefaßt sind, bevor die Anträge hier auch nur zur Kenntnis genommen werden können". Hierin und in den Beschlüssen des 10. Ausschusses erblickte das bayerische Finanzministerium "eine Vergewaltigung von Rechten der Länder und Gemeinden . . . gegen die es den schärfsten Protest und nachdrücklichste Verwahrung einzulegen sich verpflichtet fühlt". 5. Der Einspruch des Reichsrats

Die Änderungen der Regierungsvorlage durch den 10. Ausschuß riefen den Reichsrat auf den Plan. Preußen setzte sich an die Spitze des Widerstands der Länder, entschlossen, gegen das Landessteuergesetz und gegen das Einkommensteuer-, das Kapitalertragssteuer- und das Körperschaftssteuergesetz, die mit jenen zusammenhingen, im Reichsrat Einspruch zu erheben. Staatsrat von Deybeck35 telegraphierte sofort an die bayerische Gesandtschaft in Berlin, daß sich Bayern der preußischen Initiative voll anschließe3G. Damit ergab sich für die bayerische Politik wieder ein Lichtpunkt, nachdem sich noch am 25. Februar 1920 Staatsrat Dr. von Wolf von einem bayerischen Protest nichts versprochen hatte, es sei denn, er werde "aus innerpolitischen bayerischen Gründen" erhoben37• Am 26. Februar 3' Instruktion vom 7. 2. 1920; B.HStA.II, MA 193752.

35 Dr. jur. Karl von Deybeck, geb. 7.1.1866 Landshut, gest. 27.11. 1944; 1891 bei d Reg v Oberbayern (Kammer d Fin), 1893 im Finmin (1900 dort RegRat, 1906 ORR, 1909 MinRat, 1918 Geh.Rat), 1919-31 Staatsrat und MinDir im Finmin, Aug. 1930-16. 9. 1931 mit der Leitung des Finmin beauftragt. as Telegramm Nr.12560 vom 26. 2. 1920; B.HStA.II, MA 103752 schon in einer telegraphischen Instruktion vom 13. 2. 1920 wurde die Wiederherstellung des §57 gefordert; a.a.O. 37 Bericht Dr. v. Wolfs an das B.Stmin d Fin vom 25. 2.1920; B.HStA.II, MA 103752.

III. Der endgültige Entwurf eines Landessteuergesetzes

245

fand auf Einladung Preußens eine Besprechung der Ländervertreter statt, auf der das Vorgehen der Länder koordiniert werden sollte. Es wurde beschlossen, daß die Vertreter Preußens und Bayerns zunächst mit den Fraktionsführern der Nationalversammlung verhandeln sollten. Bei einer Zustimmung der Nationalversammlung zu den Beschlüssen des 10. Ausschusses, sollte der Reichsrat Einspruch erheben: 1. gegen die Beschlüsse des 10. Ausschusses zu den§§ 57 bis 59; 2. gegen das Einkommensteuer-, Körperschaftssteuer- und Kapitalertragssteuergesetz. Unterstaatssekretär Moesle versprach den Ländern seine Unterstützung38. Dr. von Preger schrieb: "Es handelt sich in der Tat um eine Existenzfrage für die Länder (Randbemerkung Schmelzles: "auch des Reichs!"). Werden ihnen die im Landessteuergesetz in Aussicht genommenen Reichsanteile nicht verfassungsmäßig garantiert, so hat es der Reichstag in der Hand, mit einfacher Mehrheit diese Steueranteile beliebig zu kürzen (s. § 58) und damit den Ländern das finanzielle Lebenslicht auszublasen . . . Es wird daher kein Land, das nicht sich selbst aufgeben will, der Streichung des § 57 zustimmen können (Randbemerkung Schmelzles: "stimmt - aber das ganze Steuerwerk, das für finanziellen Ausbau Voraussetzung?")39. " Ansonsten zeigte sich Ritter von Preger über die Erfolgsaussichten des Ländervorstoßes optimistisch, falls der Reichsrat fest bleibe. Auf Grund der Absprache vom 26. Februar wurden der preußische Ministerpräsident Hirsch, der sächsische Gesandte Koch und der bayerische Gesandte Preger bei Reichspräsident Ebert, Reichskanzler Bauer, den Fraktionsvorsitzenden und verschiedenen einflußreichen Abgeordneten vorstellig, um auf eine gütliche Beilegung des durch die Streichung von § 57 entstandenen Konflikts hinzuwirken40• Ihre Bemühungen waren, wie die 2. Lesung des Entwurfs in der Nationalversammlung vom 4.-6. März 1920 zeigte, nicht umsonst. 6. Die zweite und dritte Lesung in der Nationalversammlung

Der Berichterstatter, der Abgeordnete Dr. Becker(-Hessen) widmete einen Großteil seiner Darlegungen der Streichung des § 57 durch den 10. Ausschuß und schlug vor, diesen Paragraphen wieder in das Gesetz aufzunehmen. Dieselbe Forderung enthielten drei Anträge, die der Nationalversammlung vorlagen41 • Der Sprecher der SPD, Simon42, 38 Bericht Dr. v. Wolfs an das B.Stmin d Fin vom 27. 2.1920; B.HStA.II, MA 103752. 39 BayGes Berlin an das B.Stmin d Äuß Nr. 123 - vom 27. 2. 1920; B.HStA.II, MA 103752. 40 Vgl. den Bericht Pregers an das B.Stmin d Äuß vom 6. 3.1920; B.HStA. II, MA 103752. u NV-Drucks. Nr. 2189, 2277 und 2299.

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6. Kap.: Das Landessteuergesetz vom 30. März 1920

erklärte sich "mit der Fassung der Vorlage, wie sie aus den Ausschußverhandlungen hervorgegangen ist, einverstanden. Wir sind uns bewußt, daß dieses Gesetz eines der wichtigsten, ja neben der Reichsabgabenordnung vielleicht das wichtigste Steuergesetz darstellt, das die Nationalversammlung je zu bescheiden hat". Einen besseren Weg zur Sanierung der Reich-, Länder- und Gemeindefinanzen habe man bisher nicht finden können43. Auch die DDP stand der Vorlage zustimmend gegenüber. Der Abgeordnete Hesse44 unterstrich die Bedeutung des vorliegenden Gesetzentwurfes: "Die Ordnung der Reichsfinanzen war neben der Schaffung der Verfassung und der Herbeiführung des Friedens eine der Hauptaufgaben der Deutschen Nationalversammlung ... Das Landessteuergesetz ist das Kernstück der ganzen Finanzgesetzgebung . . . Auf dem Wege zum Einheitsstaat, auf dem schon die Übernahme von Post, Eisenbahn und Wasserstraßen eine wichtige Etappe bildete, wird mit diesem Gesetz mehr als die Hälfte zurückgelegt. Der Verlust der finanziellen Selbständigkeit, den durch das Landessteuergesetz die Länder erleiden, bedeutet eine starke Einbuße ihrer politischen Selbständigkeit, bedeutet aber auch gleichzeitig die Gefahr einer übermäßigen Zentralisierung, der auch diejenigen zu entgehen suchen müssen, die, wie die Mehrzahl meiner Freunde, grundsätzlich Anhänger des Einheitsgedankens sind45." Während Hesse auf der einen Seite vor der Gefahr der Zentralisierung warnte, bezeichnete er die Änderungen durch den 10. Ausschuß dennoch als Verbesserungen des Entwurfs. Die USPD bezeichnete es als Tendenz des Landessteuergesetzes, die finanzielle Selbständigkeit der Gemeinden und Länder zu beseitigen. Man sei nicht dagegen, daß den Ländern die Steuerhoheit genommen werde, wolle aber nicht dulden, daß die Gemeinden ihr Selbstverwaltungsrecht verlören. Deshalb lehnte die USPD das Gesetz ab46 • Am 5. März brachte Prälat Leicht die Bedenken gegen das Gesetz vor. "Wir erblicken in diesem Gesetz im Zusammenhang mit der Reichsabgabenordnung die äußerste Bedrohung der politischen und wirtschaftlichen Selbständigkeit der Länder, sowie der notwendigen Bewegungsfreiheit der Gemeinden. Das Gesetz ist nichts anderes als 42 Georg Peter Simon, geb. 25. 1. 1872 Augsburg, gest. 25. 6. 1944 Stadtbergen; Tischler, Redakteur; 1919/20 MdNV (SPD), 1920-1932 (Nov.) MdR; Dez. 1933 KZ Dachau. · 43 Vh NV StenBer Bd. 332, S. 4676. 44 Fritz Hesse, geb. 13.2. 1889 Dessau; Rechtsanwalt, OB von Dessau; 1918 MdL-Anhalt; 1919/20 MdNV (DDP); 1947 MdL-Sachsen (Ost-LDP). 45 Vh NV StenBer Bd. 332, S. 4679. 4& Düwell; Vh NV StenBer Bd. 332, S. 4683 H.

III. Der endgültige Entwurf eines Landessteuergesetzes

247

eine wenn auch alimentierte Bevormundung der Länder und Gemeinden durch das Reich. Weil dieses Gesetz die Länder völlig vom Reiche abhängig macht und es ein weiterer Schritt zum Einheitsstaat ist, können wir uns damit nicht einverstanden erklären47." Zwischen Prof. Beyerle48 und Unterstaatssekretär Moesle entbrannte eine scharfe Auseinandersetzung um die Verfassungsmäßigkeit der einleitenden Paragraphen des Gesetzes. Beyerle sah durch § 2 die Finanzhoheit der Länder untergraben, "denn der § 2 nimmt ihnen ja mit der anderen Hand das wieder, was ihnen der § 1 mit der einen gegeben hat" 49 • Dieser Paragraph widerspreche deshalb dem Geist der Verfassung sowie deren Art. 8, 11 und 12. Moesle wies die Vorwürfe zurück. Diese waren indes nicht unbegründet. § 1 LStG sprach nämlich den Ländern ausdrücklich die Berechtigung zu, "Steuern nach Landesrecht zu erheben" (RGBl. 1920, S. 402). Eine namentliche Abstimmung über den § 2 erbrachte jedoch eine Mehrheit für seine Annahme. Dr. Becker(-Hessen) begründete die Ablehnung des Gesetzes durch die DVP: "Wir sind der Meinung, daß dieser Gesetzesentwurf einen weiteren Schritt, und zwar einen großen Schritt auf dem Wege bedeutet, den wir seit August vorigen Jahres ... beschritten haben. Wir befürchten, daß mit der dadurch beseitigten Finanzhoheit und Finanzselbständigkeit von Ländern und Gemeinden nunmehr auch die verwaltungsrechtliche Selbständigkeit von Ländern und Gemeinden immer weiter verschwindet. Diejenigen, die die Hand auf den Geldbeutel halten, halten damit mittelbar oder unmittelbar schließlich auch die Hand über alle Aufgaben der Gemeinden." Bei einer mangelnden finanziellen Ausstattung sei zudem "ein Stillstand in der Entwicklung der Länder und Gemeinden" zu befürchtenso. Am folgenden Tag (6. 3. 1920) konnte Dr. Becker(-Hessen) einen Erfolg buchen: Sein Antrag (NV-Drucks. Nr. 2277, Ziff. 1) auf Wiederherstellung des § 6 wurde angenommen. Der Reichsrat konnte also wieder wie es die Regierungsvorlage bestimmt hatte - darüber befinden, ob Landes- und Gemeindesteuern die Steuereinnahmen des Reiches schädigten. 47 Vh NV StenBer Bd. 332, S. 4702; vgl. auch d Bericht d BayGes Berlin an d B.Stmin d Äuß v. 6. 3. 1920; B.HStA.II, MA 103752. 48 Dr. Konrad Beyerle, geb. 14. 9. 1872 Waldshut, gest. 1933 München; 1902 Prof. (Rechtshistoriker) in Freiburg, dann in Breslau, Göttingen, Bonn und seit 1918 in München; 1919/20 MdNV (Mitgl. d. Verfassungsausschusses), 1920-24 MdR (BVP); Mitglied des Staatsgerichtshofs; 1924 Vizepräs d Görresgesellschaft; einer der markantesten Verteidiger des Föderalismus in Weimar; vgl. J. Federer, Beyerle: Staatslexikon I, &1967, Sp. 1243 ff. 49 Vh NV StenBer Bd. 332, S. 4706 ; § 2 verbot den Ländern, gleichartige Steuern wie das Reich und Zuschläge zu den Reichssteuern zu erheben. so Vh NV StenBer Bd. 332, S. 4704.

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6. Kap.: Das Landessteuergesetz vom 30. März 1920

Der von der BVP-Fraktion eingebrachte Antrag Nr. 2307 auf Wiederherstellung des § 16 (Staffelung der Beteiligung} fand keine ausreichende ZustimmungS•. Hinsichtlich des §57, der vom 10. Ausschuß gestrichen worden war, einigte sich die Nationalversammlung durch Annahme des Antrags Nr. 2314 (Herold-Blunck-Burlage-Dernburg} auf einen Kompromiß: Es blieb zwar bei der Streichung des §57, dafür wurde jedoch § 46 des Gesetzes über die Reichsfinanzverwaltung in die Vorlage aufgenommen. Diese Garantiebestimmung konnte nicht streitig gemacht werden, da sie auf dem Weimarer Versprechen vom 14.8.1919 beruhte. Damit waren den Ländern, zusätzlich eines Zuschlags von jährlich 6 °/o, wenigstens die Einnahmen garantiert, die sie im Durchschnitt in den Jahren 19171919 gehabt hatten. Dadurch ging das Reich kein Risiko ein, da die Einnahmen der Länder 1917-19 wegen des Krieges nicht sehr hoch waren. Dr. von Preger hielt die zustandegekommene Lösung nicht für "ideal". "Immerhin werden sich die Länder mit ihr abfinden können", da der ausschlaggebende Anteil der Länder an der Reichseinkommensteuer unter verfassungsmäßigem Schutz bleibe62• Am 11. März trat die Nationalversammlung zu der dritten (abschließenden} Lesung des Entwurfs eines Landessteuergesetzes zusammen. Die Änderungen, die an diesem Tage vorgenommen wurden, waren belanglos. Vor der Abstimmung begründeten die verschiedenen Fraktionssprecher nochmals die Haltung ihrer Partei. SPD, DDP und Zentrum befürworteten die Vorlage; DVP, BVP, DNVP und USPD lehnten sie ab, die DNVP deshalb, da das Gesetz "überhaupt nicht in Einklang mit den Grundlagen (stehe}, auf denen die bisherige deutsche Kultur aufgebaut ist, den Grundlagen der Dezentralisation, der partikularen Entwicklung"53, Damit war das Gesetz von der Nationalversammlung mit Stimmenmehrheit angenommen. 7. Der Protest Bayerns im Reichsrat

Die BVP-Landtags-Fraktion drängte die bayerische Regierung, sich gegen das Inkrafttreten des Landessteuergesetzes zur Wehr zu setzen. "Es besteht die Befürchtung, daß das Landessteuergesetz anstatt nur den notwendigen Ausgleich zwischen Reich, Gemeinden und Ländern 5t Vgl. den Bericht Wolfs an das B.Stmin d Fin vom 7. 3.1920; B.HStA.II, MA 103752. s2 BayGes Berlin an das B.Stmin d Äuß vom 6. 3.1920; B.HStA.II, MA 103752.

53 Dr. Düringer; Vh NV StenBer Bd. 332, S. 4878.

III. Der endgültige Entwurf eines Landessteuergesetzes

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zu schaffen, schließlich zur völligen Vernichtung der politischen und wirtschaftlichen Selbständigkeit der Gemeinden und Länder und ihres Einflusses im Reich führen wird." Die Länder und Gemeinden werden "zu unselbständigen Kostgängern des Reiches und gehen infolge dieser ihrer unerträglichen finanziellen Abhängigkeit des angemessenen Einflusses auf die Leitung des Reiches verlustig, während die aus ihren bisherigen Einnahmequellen fließenden Mittel dem Aufbau eines kostspieligen Zentralismus dienen" 54• In der Hoffnung, daß ein bayerischer Einspruch im Reichsrat eine ähnliche Resonanz finden würde wie die preußische Initiative vor Beginn der 2. Lesung (der Nationalversammlung), entschloß sich das bayerische Kabinett am 11. März 1920 zum Einspruch55 • Staatsrat von Deybeck empfahl, sich diesen Schritt genau zu überlegen und sich zuvor nach Bundesgenossen, etwa Württemberg und Baden, umzuschauen56• So wurde Dr. von Preger instruiert, im Reichsrat Einspruch zu erheben, wenn auch Baden und evtl. Hessen sich anschlössen57 • Das geschah in der 21. Sitzung des Reichsratsam 25. März 1920 (Vh RR § 269). Nur Baden unterstützte den bayerischen Antrag, "der Reichsrat möge Einspruch gegen das von der Nationalversammlung beschlossene Landessteuergesetz erheben". In der Begründung wies die bayerische Regierung darauf hin, daß das Gesetz die finanzielle Selbständigkeit der Länder und das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden vernichte und sie zu Kostgängern des Reichs bzw. der Länder mache. "Die finanzielle Abhängigkeit vom Reiche wird aber die Länder allmählich auch der politischen Selbständigkeit berauben, die sie zur Zeit noch haben, und sie zu Reichsprovinzen herabdrücken"; eine solche Entwicklung könne nicht im Interesse des Reichs liegen58 • Die bayerische Regierung erkannte an, daß die Länder und Gemeinden zugunsten des Reiches, das die Kriegslasten hauptsächlich trug, Opfer bringen mußten. "Mutet man aber den Ländern und Gemeinden zu, über den Rahmen der Verfassung hinaus auf die wichtigsten ihnen zustehenden Rechte zu verzichten und ihre bisherigen Einnahmequellen dem Reiche zu übertragen, so haben sie auf der anderen Seite auch das Recht, zu verlangen, daß ihnen weitgehender Einfluß auf die Verwendung dieser Mittel im Reiche eingeräumt wird59. " Bayern drehte BayLT 1919/20, Beilage Nr. 1150. Niederschrift d. Ministerratsbeschlusses v. 11. 3. 1920; B.HStA.II, MA 103752. 56 Niederschrift d. Ministerratssitzung vom 22. 3. 1920; B.HStA.II, MA 103752. 57 Niederschrift d. Ministerratssitzungen v. 23. 3. u. 24. 3. 1920; B.HStAII, MA 103752. 58 Vh RR § 269; vgl. den Bericht d. BayGes Berlin- Nr.172 -vom 25. 3. 1920; B.HStA.II, MA 103752. 59 Entwurf des B.Stmin d Fin; undatiert; B.HStA.II, MA 103752. 54 55

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6. Kap.: Das Landessteuergesetz vom 30. März 1920

also den Stiel um und ging zur Offensive über - auch hier wiederum ein Beispiel der bayerischen Politik, die Forderungen möglichst hoch anzusetzen, um das Nötigste zu erreichen. Den hauptsächlichsten Beschwerdepunkt bildete die Streichung des §57 des Entwurfs. Aus der Position des Unterlegenen heraus klammerte sich Bayern an jede Möglichkeit einer verfassungsmäßigen Sicherung von länderfreundlichen Bestimmungen, um angesichts der unitarischen Woge des Reichsparlaments wenigstens den status quo zu erhalten. Aber das Reich ließ sich - nach Ansicht Bayerns - selbst durch die Verfassung nicht abhalten, seinen unitarischen Weg weiterzugehen. "Es wäre die Reichsregierung schon durch die Verfassung verpflichtet gewesen, die Länder durch den Reichsrat zur intensiven Mitarbeit heranzuziehen. Anstatt dessen hat gerade der Reichsfinanzminister sein Möglichstes getan, um den Reichsrat sachlich auszuschließen, soweit dieses ohne grobe Verletzung der Verfassung geschehen konnte! Gerade der Entwurf des Landessteuergesetzes ist so spät dem Reichsrat vorgelegt worden, daß eine gründliche Prüfung von vornherein unmöglich war. Nach Art. 67 RV war ferner der Reichsrat von den Reichsministerien über die Führung der Reichsgeschäfte auf dem Laufenden zu halten. Auch dies ist bis jetzt so gut wie nicht geschehen" (a.a.O.). Es ist bemerkenswert, daß Bayern und Baden am 25. März im Reichsrat mit ihrem Einspruch allein blieben. Die übrigen Länder stimmten zu, daß ihnen die finanzielle Basis entzogen wurde, und warfen sich vertrauensvoll in die Arme des Reiches. Sie hofften, daß das Reich ihr blindes Vertrauen durch hohe Beteiligungsquoten an den Reichssteuern honorieren würde; momentan lastete eben die finanzielle Not auf Staaten und Gemeinden. Später, bei der Aufstellung eines "endgültigen Finanzausgleichs", wollte man dann in der prinzipiellen Frage hart sein. Abgesehen davon, daß dieser "endgültige" Finanzausgleich nie zustandegekommen ist, hätte sich das Reich kaum bereit gefunden, wieder etwas aus den Händen zu geben. IV. Würdigung des Landessteuergesetzes Am 30. März 1920 veröffentlichte Reichsfinanzminister Wirth das Landessteuergesetz im Reichsgesetzblatt (RGBI., S. 402). Durch die Scheidung der Steuerquellen regelte es die Steuerhoheit von Reich und Ländern. Es gab fortan 1. Steuern, die ausschließlich dem Reich zustanden&o; 60 Zölle, Verbrauchssteuern, Kohlesteuer, Stempelabgaben, Beförderungs-, Kapitalertrags-und Besitzsteuer; ab 1922 auch Vermögenssteuer u. d. Reichssteuer v. Vermögensverkehr.

IV. Würdigung des Landessteuergesetzes

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2. Steuern, die dem Reiche zustanden, an denen die Länder aber

beteiligt waren61 ; 3. Steuern, die ausschließlich den Ländern zustanden62.

Das Landessteuergesetz nahm somit die Verteilung der Steuerhoheit in einer Weise vor, daß das Reich als "Almosenspender"63, die Länder und Gemeinden als Kostgänger erschienen. Es wurde daher - zusammen mit der Reichsabgabenordnung - als "Versailles der finanzpolitischen Autonomie" von Ländern und Gemeinden bezeichnet64 . Diese Regelung entsprach keinesfalls der durch die Reichsverfassung vorgenommenen Kompetenzverteilung zwischen Reich und Ländern und trug damit den Keim des Zwiespalts in das Reich-Länder-Verhältnis. Das Reich konnte dank seiner unbeschränkten Finanzhoheit seinen Aufgaben gut nachkommen und seine Kompetenzen mittels der Finanzpolitik auf Länder- und Gemeindezuständigkeiten ausdehnen. Die Länder und Gemeinden sahen sich in einem unwürdigen Abhängigkeitsverhältnis (vom Reich), das die Fundamente der Eigenstaatlichkeit und der kommunalen Selbstverantwortlichkeit untergrub. Dem Erfordernis der Sparsamkeit wurde nicht entsprochen; wo nämlich "kein Veranttungsgefühl für die Einnahmen vorhanden ist, ist auch keines vorhanden für die Ausgaben"6s. Es erwies sich für ein gedeihliches Zusammenleben von Reich und Ländern als abträglich, daß Erzherger in seinem Landessteuergesetz von 1920 die finanziellen Mittel zwischen Reich und Ländern nicht nach deren verfassungsmäßigen Zuständigkeiten verteilte, sondern den Gegebenheiten in Richtung Einheitsstaat vorauseilte. Er unterschätzte damit die föderativen Elemente im Reich, die sich allmählich wieder sammelten und die unitarische Bewegung stoppten. Die Kritik an diesem Teil der Erzbergersehen Finanzreform ließ nicht lange auf sich warten und hielt während der gesamten Zeit der Weimarer Republik an66. 61 Einkommen-, Körperschafts-, Umsatz-, Erbschafts-, Grunderwerbsst. 62

Vor allem die Realsteuern und eine Reihe von indirekten Steuern.

63 H. Nawiasky, Grundsätzliche Betrachtung über die finanzielle Ausein-

andersetzung zwischen Reich und Ländern, 1929, S. 2. 64 J. Schumpeter, Das dt. Finanzproblem, 1927, S. 4. 65 E. Baumgartner, Das Reich und die Länder, 1923, S. 52. 66 A. Hensel, Der Finanzausgleich im Bundesstaat, 1922, S. 11: ,.Die Bestimmungen der neuen RV v. 11. Aug. 1919 über das bundesstaatliche Finanzrecht und deren gesetzliche Durchführung in der Erzbergersehen Finanzreform ... dürfen nur als rasch errichteter Notbau betrachtet werden. Jeder Einsichtige ist sich darüber klar, daß hier im Großen und Kleinen gebessert werden muß. Dies gilt vor allem von dem in diesen Gesetzen durchgeführten FA zwischen Reich und Ländern. Eine auch nur flüchtige Durchsicht der einschlägigen Bestimmungen läßt deutlich das eine erkennen: die Länder haben sich auf dem Gebiet des Finanzrechts eine capitis deminutio maxima gefallen lassen müssen."

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6. Kap.: Das Landessteuergesetz vom 30. März 1920

Fritz Schäffer beklagte im bayerischen Landtag, daß das Landessteuergesetz den Ländern und Gemeinden die Steuerhoheit "vollkommen genommen" habe. Noch gefährlicher sei aber, "daß damit die Axt gelegt ist an die Wurzel der Selbständigkeit und freien Betätigung der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände. Es ist natürlich, daß jede freie Betätigung nur dann einem öffentlichen Körper möglich ist, wenn er frei das Recht hat, seine Einnahmen sich zu wählen, und auf Grund der eigenen Einnahmen seinen Ausgabenbedarf frei gestalten kann. Ist er, wie wir, der Kostgänger eines Dritten geworden, so muß es über kurz oder lang kommen, daß der Dritte auch wissen will, was mit den Geldern geschieht, die er überweist . . . dann ist die Selbständigkeit der Länder dahin, dann hat Bayern aufgehört, ein Staat zu sein" 67 • Denselben Standpunkt vertrat sein Parteifreund Schlittenbauer: Dem Standpunkt der Staatshoheit und des finanziellen Bestandes Bayerns könne nur Rechnung getragen werden, "wenn das Landessteuergesetz, das sich in allem als ein unnatürliches Gesetz erwiesen hat, wiederum zurückrevidiert wird, wenn die Dinge wieder ihren natürlichen Verlauf nehmen, wenn das Wasser wiederum fließt von der Quelle zum Bach und zum Fluß und zum Strom und nicht umgekehrt" 68 • Bis zu einer gänzlichen Neugestaltung des Finanzausgleichs sollte wenigstens die Streichung des §57 durch die Nationalversammlung rückgängig gemacht und den Ländern die Anteile an der Reichseinkommensteuer verfassungsrechtlich garantiert werden. Außerdem sollte den Ländern und Gemeinden das Zuschlagsrecht auf Reichssteuern eingeräumt werden69. Die bayerischen Forderungen blieben unerfüllt. Das Landessteuergesetz wurde indes Grundlage aller Finanzausgleichsregelungen der Weimarer Zeit- dieses Gesetz, das nach den Worten der bayerischen Regierungsdenkschrift von 1924 "zur völligen Aufhebung der bisherigen Steuerhoheit der Länder" geführt hat70 •

Vh BayLT 1920/21 StenBer Bd. 3, S. 290 f. (23. 6. 1921). Vh BayLT 1921/22 StenBer. Bd. 4, S. 259. Stang, a.a.O., S. 22. 70 B.HStA.II, MA 103253; die Äußerungen von einer völligen Beseitigung der Länder-Finanzhoheit durch das LStG sind übertrieben, wenn es auch zutraf, daß die den Ländern verbliebene Finanzhoheit praktisch bedeutungslos wurde. 67 68 69

Siebentes Kapitel

Inflationszeit und Währungsstabilisierung I. Politischer 'Oberblick 1. Die Restauration in Bayern

Die Anfänge der Weimarer Republik waren schwer belastet von wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten. Im Januar 1920 trat der Versailler Vertrag in Kraft und besiegelte die Niederhaltung Deutschlands. Die Wirtschaft, die durch Sachlieferungen von Kohle, Eisenbahnmaterial, Vieh und durch Auslieferung der Handelsflotte geschwächt wurde, drohte durch die fortschreitende Inflation vollends erstickt zu werden. Zur Auflehnung gegen den Versailler Vertrag trat die Dolchstoßlegende, die die Schuld an der Niederlage im Weltkrieg den Parteien gab, die während des Krieges zum Verständigungsfrieden gemahnt und sich 1919 in der Weimarer Koalition zusammengefunden hatten. Das Schlagwort vom Dolchstoß trieb einen Keil in das deutsche Volk, das nach der militärischen Niederlage und dem politischen Neubeginn enger denn je hätte zusammenstehen müssen; die Wirtschaftsmisere und das Ausbleiben sichtbarer Erfolge der republikanischen Regierung ließen keine Begeisterung für den Weimarer Staat aufkommen. Die Extremen von links und rechts taten alles, um die Reichsregierung lächerlich, verächtlich und ohnmächtig zu machen; die öffentliche politische Meinung radikalisierte sich. Der Kampf der politischen Rechten gegen die Weimarer Koalition fand ihren Niederschlag im Prozeß Erzbergers gegen Helfferich, dessen Kriegsfinanzierungsmethoden einer der Inflationsgründe darstellten. Der Prozeß entwickelte sich zu einem Politikum ersten Ranges. Helfferich wurde zwar zu einer geringfügigen Geldstrafe verurteilt, Erzherger in wesentlichen Punkten gerechtfertigt, aber Helfferich erschien dennoch als Sieger, da Erzherger tatsächlich seine Stellung für Privatinteressen ausgenützt hatte; er mußte abdanken. Das war ein Schlag für die Republik und ein Triumph der Rechten. Am 13. März 1920, einen Tag nach Verkündigung des Urteils im Prozeß Erzhergers gegen Helfferich, besetzte die Marinebrigade Ehr-

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7. Kap.: Inflationszeit und Währungsstabilisierung

hardt1 und einige andere Formationen unter Führung des Generals von Lüttwitz2 das Berliner Regierungsviertel und ernannte den ostpreußischen Generallandschaftsdirektor Kapp3 zum Kanzler. Die Reichsregierung flüchtete nach Dresden und Stuttgart. In ihrem restaurativen Bestreben suchte die Regierung Kapp die mit der Republik unzufriedenen Kräfte für sich zu gewinnen. Gleich zu Beginn ihrer Herrschaft lud sie zu einer Länderkonferenz nach Berlin ein, um über die Wiederherstellung der Länderstaatlichkeit, insbesondere aber der Finanzhoheit, zu verhandeln. Die bayerische Regierung bekannte sich zur Reichsverfassung und lehnte es ab, mit der Putsch-Regierung zu verhandeln4• Nach wenigen Tagen mußte sich die Regierung Kapp wieder auflösen, da die Gewerkschaften den Generalstreik ausgerufen hatten. Als Reaktion auf den Kapp-Putsch brachen im Ruhrgebiet und in Mitteldeutschland blutige sozialistisch-kommunistische Unruhen aus, die mit Hilfe der Reichswehr unterdrückt wurden. Das Ansehen der Reichsregierung war schwer geschädigt. Die Weimarer Koalition konnte zwar bei der Regierungsumbildung vom 28. März 1920 fortgesetzt werden, Erzherger und Noske5 gehörten dem Kabinett jedoch nicht mehr an. Der Kapp-Putsch wirkte sich auch auf die politischen Verhältnisse

in Bayern aus. Er wurde zwar noch am 13. März von der Regierung

Hoffmann, den Parteien und General von Möhl6 verurteilt, aber General von Möhl forderte auf Drängen Dr. von Kahrs, Pöhners7 und Dr. Escherichs8 die Übertragung der vollziehenden Gewalt. Der bayerische Ministerrat faßte den Beschluß, General von Möhl die vollzie1 Hermann Ehrhardt, geb. 29.11.1881 Diersburg; Korvettenkapitän; 1919 Führer eines Freikorps (nach dem Kapp-Putsch aufgehoben); 1923 von Generalstaatskommissar Kahr mit dem Kommando über den bayer. Grenzschutz an der thüring. und sächs. Grenze beauftragt. 2 Walter Frhr. von Lüttwitz, geb. 2. 2. 1859 Bodland; gest. 22. 9. 1942 preuß. Infanterie-General; Oberbefehlshaber des Reichswehr-Gruppenkommandos I. 3 Wolfgang Kapp, geb. 24. 7. 1856 New York, gest. 12. 6. 1922 Leipzig; gründete als Alldeutscher 1917 zusammen mit Tirpitz die dt. Vaterlandspartei. ' H. Schmelzle, Erinnerungen, fase. II, S. 293. 5 Gustav Noske, geb. 9. 7.1868 Brandenburg, gest. 9. 7. 1946 Hannover; Holzarbeiter, Redakteur; 1906-18 MdR (SPD); 29.12. 1918-13.2.1919 Volksbeauftragter; 13. 2. 1919-22. 3. 1920 Reichswehrminister; 1920--33 Oberpräs in Hannover. s Arnold von Möhl, geb. 1867 Nandlstadt; 1913 Leiter d. bay Kriegsakademie; 1915-16 Chef d. Generalstabs d. 1. bay A. K.; 1917-18 Kommandeur d. 16. bay Infanterie-Division; 1919-22 Führer der 7. (bay) Reichswehrdivision; 1923-24 Befehlshaber d. Gruppe 2 d. Reichsheeres in Kassel. 7 Ernst Pöhner, geb. 1870, gest. 1925; Münchener Polizeipräs von 1919-24; 1925 Oberlandesgerichtsrat; 1924-25 MdL (NSDAP). s Dr. Georg Escherich, geb. 4. 1. 1870 Schwandorf, gest. 1941 München; Forstrat (1921 Vertr. d. bay Staatsforstverw bei der Reichsforstwirtschaft); organisierte 1919 die bay Einwohnerwehren; 1929 Führer des bay Heimatschutzes.

I. Politischer Überblick hende Gewalt für München-Stadt und München-Land zu übertragen9 • Das veranlaßte Ministerpräsident Hoffmann, zurückzutreten (14. 3. 1920). Der BVP, als der stärksten Partei im Landtag, fiel die dominierende Rolle in der Neubildung einer Regierung zu. Sie übertrug das Amt des Ministerpräsidenten jedoch nicht einer ihrer führenden Persönlichkeiten, sondern dem populären Regierungspräsidenten von Oberbayern, Dr. von Kahr10• Neben diesem Beamten schickten die BVP-Politiker noch zwei weitere Beamte in das Kabinett, das aus einer Koalition von BVP, Demokraten und Bauerbund bestand: Kultusminister Matt11 und Finanzminister Koflert2. Die Reichstags- und Landtagswahlen vom Juli 1920 brachten einen starken Rechtsruck. In Berlin verlor die Weimarer Koalition im Reichstag die Mehrheit; die Regierungsbildung wurde fortan schwieriger; häufige Regierungswechsel kennzeichneten den Weimarer Staat; bis zur nächsten Reichstagswahl im Mai 1924 fungierten Fehrenbach13, Wirth (Z), Cuno (parteilos), Stresemann (DVP) und Marx (Z) als Reichskanzler. In München wurde Justizminister Müller-Meiningen (Dem.) durch den deutschnationalen Bezirksamtmann von Dachau, Dr. Rothu, ersetzt; Vgl. K. Schwend, Bayern, 1954, S. 147 f. Schme~z~e. Erinnerungen, fase. III, 8.1 ff. charakterisiert Kahr sehr wohlwollend. Er hatte Kahr im Innenministerium "als einen unpolitischen Beamten kennengelernt, der die Politik mied, soviel er konnte". "Ich habe für solche Dinge 10 Daumen", sagte er am 5. 4. 1920 zu Schmelzle. Schmelzle rühmt Kahrs gütiges, wohlmeinendes und hilfsbereites Wesen, seine Menschenfreundlichkeit und sein leutseliges Wesen. Kahr habe die besten Überlieferungen vorbildlichen bay Beamtenturns verkörpert (Hierin fühlte sich Schmelzle mit ihm wesensverwandt). Seinem innersten Wesen nach sei er Romantiker gewesen; das habe ihm innere Wärme und Reichtum verliehen, aber nicht die Fähigkeiten eines Staatsmannes. Die Revolution sah Kahr als Rebellion, Gemeinheit und Verbrechen an, die Republik als Irrung vorübergehender Art. Schmelzle hielt Kahrs Ernennung zum MinPräs für einen Fehler, ebenso Kahr selbst, der sie gegenüber Schmelzle "die größte Eselei" nannte. u Dr. h. c. Franz Matt, geb. 9. 9. 1860 Offenbach, gest. 4. 8. 1929 München; seit 1908 RegRat im B.Stmin f U + K; 1911 MinRat, 1917 MinDir; 16. 3. 1920 bis 14. 10. 1926 B.StMin f U + K; 1926 Staatsrat. 12 Karl Gustav Kofler, geb. 1866 Nürtingen, gest. 23. 5. 1924 München; seit 1920 MinRat im B. Stmin d Fin; 28. 1. -16. 7. 1920 B. StMin d Fin. ta Konstantin Fehrenbach, geb. 11. 1. 1852 Wellendingen, gest. 26. 3. 1926 Freiburg; Rechtsanwalt; 1885-87 u. 1901-13 MdL-Baden (Z) (1907-09 LTPräs); 1903 ff. MdR; 1918 letzter Präs d. a. RT, 1919-20 Präs n. NV; 25. 6. 1920-4.5.1921 Reichskanzler; 1924 Fraktionsvors. d. Z im RT; Mitglied d. StGH; ein Meister kraftvoller Rede; seine Stärke lag im Ausgleich von Gegensätzen. a Dr. Christian Roth, geh. 12. 2. 1873 Forchheim, gest. 1934 München; 1920 MdL (Mittelpartei); 16. 7. 1920-12.9. 1921 B.StMin d Justiz; danach Amtsanwalt d. Polizeidirektion München; 1924 MdR (Nat.-soz. Freiheitspartei); 1928 Generalstaatsanwalt d. Bay Verwaltungsgerichtshofs; lief 1923 Fittinger den Rang ab, indem er sich maßgeblich an der Leitung einer neuen Dachorganisation nat.-soz. Verbände beteiligte; die "Arbeitsgemeinschaft d. 9

1o H.

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7. Kap.: Inflationszeit und Währungsstabilisierung

damit etablierte sich die politische Rechte in der bayerischen Justizverwaltung für die restlichen Jahre der Weimarer Zeit (seit 8. 11. 1922 Dr. Franz Gürtner). Den farblosen Finanzminister Kofler löste der Staatsrat im bayerischen Finanzministerium, Dr. Wilhelm Krausneck10 , ab. Wie sein Vorgänger entstammte Krausneck, der in München, Heidelberg, Berlin und Würzburg Rechtswissenschaft studiert hatte, dem Beamtentum. 1920 wurde der Oberregierungsrat in der Krongutsverwaltung zum Dirigenten in der Präsidialabteilung des Landesfinanzamtes München und im selben Jahr zum Staatsrat im Finanzministerium ernannt. Krausneck gehörte dem gemäßigten Flügel der BVP an, ohne daß er ein ausgesprochener Parteipolitiker gewesen wäre. Persönlich war er von einer tiefen Religiösität beseelt, die sein öffentliches Wirken mitprägte16. Von seinem Amt besaß Krausneck eine hohe Auffassung; in der Erledigung seiner Aufgaben war er äußerst genau, fast kleinlich. Schmelzle rühmte an seinem Vorgänger im Finanzministerium den "zähen Arbeitswillen, seine Sachkenntnis, seine Energie und die Reinheit seiner Gesinnung" 17. Krausneck bewährte sich in der Leitung des Finanzministeriums als fähige Persönlichkeit, der staatsmännische Qualitäten nicht abzusprechen waren. Als überzeugtem Föderalisten war ihm an der Erhaltung eines finanzstarken, eigenstaatlichen Bayerns sehr gelegen. Durch seine besonnene Art stellte er im Wechsel der Kabinette, von Kahr über Lerchenfeld18 und Knilling19 zu Held, gleichsam den ruhenden Pol dar. Kampfverbände" vereinigte im Febr. 1923 unter seiner und Kriebels Führung mehrere Kampfbünde mit den Nationalsozialisten. · 15 Dr. Wilhelm Krausneck, geb. 5. 10. 1875 Bayreuth, gest. 12. 6. 1927 München (Verkehrsunfall). 1G u. a. hatte er großen Anteil am Zustandekommen des bayerischen Konkordates 1925; Krausnecks Tagebuch (im Besitze von Herrn A. Harasko ; Einsichtnahme durch Vermittlung von Herrn Dr. W. Benz, lnst.f. Zeitgeschichte) ist ein beredtes Zeugnis des tiefreligiösen Innenlebens des kirchentreuen Katholiken; Anmerkungen zur Politik fehlen praktisch völlig. 17 H. Schmelzte, Erinnerungen, fase. VI, S. 133. 18 Hugo Graf von und zu Lerchenfeld auf Köfering und Schönburg, geb. 21. 8. 1871 Köfering, gest. 13. 4. 1944 München; 1900-18 im bay Staatsdienst, 1918 im Reichsdienst; 1920--21 Ges. d. RReg in Darmstadt; 21. 9. 1921-2. 11. 1922 bay MinPräs; 1926-31 dt. Ges. in Wien, dann BrüsseL Aristokrat nicht nur durch Geburt; geistvoller Ästhet; gewandter und kluger Diplomat mit erlesenen Umgangsformen; als MinPräs verfolgte er eine umsichtige Politik der Mäßigung, des Ausgleichs und der Klärung; seine Loyalität gegenüber Verfassung und Republik war über jeden Zweifel erhaben; für die politische Linke brachte er mehr Verständnis auf als für die Rechte; G. Schutz, Zw. Demokratie und Diktatur, 1963, S. 372: "Wenn es erlaubt ist, Politik als "Kunst des Möglichen" zu betrachten, so war Graf Lerchenfeld gewiß ein Künstler in diesem Genre." K. Schwend, Bayern, 1954, S.184 nennt ihn den "der Zeit und Welt aufgeschlossensten Minister der Weimarer Zeit in Bayern", wenn er auch meint, daß Lerchenfeld "weniger der gestählte Geist des Staatsmannes als der durch das Schöne und Wahre angezogene Geist des philosophischen Weltbetrachters (geprägt habe). Bei aller Interessiertheit für das Politische war Graf Lerchenfeld ein Mann, der die Politik nicht

I. Politischer Überblick

257

Hinter den Rechtsparteien standen die Einwohnerwehren, die durch die Organisation Escherieb ihren Einfluß im politischen Bereich geltend machten. Gemäß dem Versailler Vertrag bestanden die Ententemächte an der Durchführung der Entwaffnungsbestimmungen. Kahr weigerte sich jedoch, die "Orgesch" aufzulösen. Nachdem Mattbias Erzherger am 26. August 1921 im Schwarzwald von zwei Angehörigen eines nationalistischen Geheimverbandes (Organisation Consul) ermordet worden war, erließ der Reichspräsident eine Verordnung zum Schutz der Republik (auf Grund von Art. 48 RV); der Reichsinnenminister war hiernach befugt, Druckschriften, Versammlungen und Vereinigungen vorübergehend zu verbieten. Als sich Kahr weigerte, die Verordnung in Bayern durchzuführen, da er sie als Eingriff in die Eigenstaatlichkeit seines Landes empfand, kam es zum Konflikt zwischen Berlin und München. Kahr mußte dem konzilianteren Grafen Lerchenfeld weichen (Sept. 1921). Doch anläßlich des Gesetzes zum Schutz der Republik nach der Ermordung Rathenaus20 entbrannte wiederum ein Streit zwischen Bayern und dem Reich. Die bayerische Regierung erblickte nämlich in dem beim Reichsgericht zu bildenden "Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik" einen Eingriff in die Rechte der bayerischen Volksgerichte. Durch eine eigene Verordnung wurde der Staatsschutz in Bayern ausschließlich Landesorganen vorbehalten21 • Lerchenfeld erreichte in einem Kompromiß, daß in den Staatsgerichtshof ein süddeutscher Senat mit drei bayerischen Laienrichtern aufgenommen wurde. Unter dem Druck der politischen Rechten machte der Ministerpräsident jedoch im Oktober restlos ernst nahm. Mit dem Lächeln des Weisen nahm er auch die Politik mehr wie ein Spiel relativer Wahrheiten hin". 19 MinPräs vom 8. 11. 1922 bis 30. 6.1924. Vgl. die Charakteristik bei H. Schmelzle, Erinnerungen, fase. V., S. 433 f.: "Dr. v. Knilling war ein Mann von ungewöhnlicher Intelligenz, von reichem Wissen und großer Erfahrung, außerordentlich gewandt und schlagfertig, aber ein großer Zyniker und ein starker Egoist ohne ein inneres Verhältnis zu den Menschen und zu den Dingen. Als Politiker war er Opportunist", ein alter Liberaler, "der nach der Revolution nicht aus innerer Überzeugung, sondern aus Konjunktur zur BVP gestoßen war". Schmelzle kam in sachlicher Hinsicht mit Knilling gut aus, obwohl dieser "ein ,Mitraten' meinerseits, so wie unter den beiden früheren MinPräs, nicht wünschte"; Knilling gab viel auf den Rat Krausnecks. 2o Dr. Walter Rathenau, geb. 29. 9. 1867 Berlin, gest. 24. 6. 1922 Berlin, leitete zu Kriegsbeginn die Kriegsstoffabt im preuß. Kriegsministerium; 1915 Präs d. AEG; 1919 von der RReg zur Mitarbeit an der Vorbereitung des Friedensvertrages berufen; 10. 5. -22.10. 1921 Wiederaufbauminister (DDP); 31.1. -24.6.1922 RAußMin (schloß den Rapallo-Vertrag mit Rußland ab); glühender Patriot und nüchterner Politiker, der als Jude und Republikaner Zielscheibe nationalistischer Hetze war. 21 Krausneck sagte nach Erlaß der VO zu Schmelzle, er rechne bestimmt damit, daß nun der Zeitpunkt gekommen sei, daß Bayern aus dem Reich ausscheiden müsse. Schmelzle hielt ein Ausscheiden gar nicht für möglich. Krausneck hielt es sogar für notwendig, wenn Bayern wirtschaftlich stabilisiert und die Kohlezufuhr gesichert sei (H. Schmelzte, Erinnerungen, fase. IV,

s. 309).

17 Menges

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7. Kap.: Inflationszeit und Währungsstabilisierung

1922 dem gefügigeren Ritter von Knilling Platz. Gleichzeitig verließen die Demokraten die Koalition (Eduard Hamm). Der schwerste Konflikt zwischen Berlin und München, der sich zur Reichskrise entwickelte, entstand im Spätjahr 1923, als sich Bayern nicht an den über das ganze Reich verhängten Belagerungszustand halten wollte. Der Kommandeur der 7. (bayerischen) Reichsdivision, General von Lossow22, führte den ihm von Berlin gegebenen Auftrag, das Verbot des "Völkischen Beobachters" durchzuführen, nicht aus. Vielmehr trat er gegenüber der Reichsregierung in offene Rebellion, indem er sich mitsamt der bayerischen Division von der bayerischen Regierung in die Pflicht nehmen ließ. Gleichzeitig riefen Separatisten die Rheinische Republik aus, und die Kommunisten terrorisierten bis zum Eingreifen der Reichswehr Ende Oktober Sachsen und Thüringen. Gegenüber Bayern war der Chef der Heeresleitung, General v. Seeckt23, der mit dem bayerischen Generalstaatskommissar Dr. von Kahr sympathisierte, nicht zu einem ähnlich energischen Einschreiten bereit. Der Führer der NSDAP, Adolf Hitler, benutzte die verworrene Lage zu einem Staatsstreich. Am 8. November 1923 stürmte er mit Anhängern eine Versammlung Kahrs im Bürgerbräukeller in München und versuchte, Kahr und Lossow zu einer gemeinsamen Regierung zu zwingen, in der er selbst Reichskanzler, Ludendorff24 Oberbefehlshaber der Reichswehr und Kahr Regent Bayerns werden sollte. Kahr und Lossow taten zum Schein mit, mobilisierten aber Polizei und Reichswehr, die den nationalsozialistischen Demonstrationszug zur Feldherrnhalle am 9. November niederschlugen. Stresemann war durch die Ereignisse in Bayern, Sachsen und Thüringen zwischen die scharfe Opposition von rechts und links geraten und mußte daher als Reichskanzler abdanken. Er gehörte den folgenden Kabinetten bis zu seinem Tode (3.10.1929) als Außenminister an. Der größte Erfolg seiner Kanzlerschaft war die Stabilisierung der Währung, 22 Otto Hermann von Lossow, geb. 1868 Hof, gest. 1938 München; seit 1886 in der bay Armee; 1911-14 in türkischen Militärdiensten; 1914 Generalstabschef des I. bay Reservekorps; 1916 Generalmajor; 1919 Chef d. Ingenieurkorps, Kommandeur d. Infanterieschule in München; 1920-24 Kommandeur der 7. Reichswehrdivision und bay Landeskommandant. 23 Hans von Seeckt, geb. 22.4.1866 Schleswig, gest. 27. 12. 1936 Berlin; 1920-26 Chef der Heeresleitung; 1930-32 MdR (DVP); 1934-35 milit. Berater Schang Kaischeks in China; wie beim Kapp-Putsch so vertrat er gegenüber Bayern die Meinung: Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr! 24 Erich v. Ludendorff, geb. 9. 4. 1865 Kruszewnia, gest. 20. 12. 1937 München; 1908-12 Chef d. Aufmarschabt im Gr. Generalstab; 1914 Generalstabschef Hindenburgs; 1916-18 1. Generalquartiermeister in der OHL; 1924 bis 1928 MdR (NSDAP; Frak:tionsvors.); 1926 Gründung des "TannenbergBundes" gegen die "überstaatlichen Mächte" (Freimaurer, Juden, Jesuiten, Marxisten).

I. Politischer Überblick

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das "Wunder der Rentenmark". Hiermit legte er das Fundament der nachfolgenden wirtschaftlichen und politischen Beruhigung. Das Ansehen Bayerns hatte durch den Konflikt vom Spätjahr 1923 stark gelitten. Eine Neuorientierung der bayerischen Eigenstaatlichkeitspolitik wurde dringend nötig. Sichtbare Zeichen der Neubesinnung waren die Denkschrift der bayerischen Staatsregierung "Zur Revision der Weimarer Reichsverfassung" vom Januar 1924 und der Regierungswechsel am 1. Juli 1924, als der führende BVP-Politiker Heinrich Held das Amt des Ministerpräsidenten übernahm. Nunmehr begann eine neue politische, mit verfassungsrechtlichen Mitteln vorgetragene Offensive der bayerischen Regierung gegen Berlin zur Erhaltung der bayerischen Eigenstaatlichkeit. 2. Das Reparationsproblem

Die Reparationen belasteten die innere Entwicklung Deutschlands in beträchtlichem Maße25 • Nach langen ergebnislosen Verhandlungen einigten sich die Siegermächte im Frühjahr 1921, daß Deutschland 42 Jahreszahlungen von 2 bis 6 Mrd M aufsteigend leisten sollte. Als die Reichsregierung ablehnte, wurden am 8. März 1921 als Sanktionsmaßnahme Duisburg, Ruhrort und Düsseldorf besetzt. Durch das Londoner Ultimatum vom 5. Mai 1921 erzwangen die Ententemächte unter Drohung weiterer Sanktionen die Annahme der Gesamtsumme von 132 Mrd M. In die Annuitäten war neben der fixen Summe von 2 Mrd ein gleitender Posten in Höhe von 25 °/o der deutschen Ausfuhr angesetzt. Die neue Reichsregierung unter Wirth fügte sich dem Druck, hoffte jedoch, die Unerfüllbarkeit der Reparationsforderungen dadurch zu beweisen, daß sie den Verpflichtungen bis an die Grenze des Möglichen nachzukommen versuchte. Dieser gute Wille Deutschlands wurde von den Ententemächten jedoch nicht gebührend honoriert. Als im April 1922 Briand26 gestürzt und Poincare27 Ministerpräsident wurde, 2s W. J. Helbich, Die Reparationen in der Ära Brüning. Zur Bedeutung des Young-Planes für die dt. Politik 1930 bis 1932. 1962; H. Ronde, Von Versailles bis Lausanne. Der Verlauf der Reparationsverhandlungen nach dem Ersten Weltkrieg, 1950; B. Röper, Reparationen: HWB Sozwiss VIII, 21964, S. 812 ff.; J. v. Spindler, Reparationen: HbFinwiss IV, 21965, S. 136 ff.; Deutschland unter dem Dawesplan. Die Reparationsleistungen im ersten Planjahre. Die Berichte d. Generalagenten für Reparationsleistungen, 10. Dez. 1927, Berlin o. J. W. Link, Die amerikanische Stabilisierungspolitik in Deutschland 1921 bis 32, 1970. 26 Aristide Briand, geb. 28. 3. 1862 Nantes, gest. 7. 3. 1932 Paris; zunächst soz. Abgeordneter, seit 1906 wiederholt Minister und MinPräs Frankreichs (zuletzt 1925/26 und 1929); verband die Wahrung der franz. Interessen mit der Friedensidee und dem Gedanken der europ. Verständigung (Locarnopakt 1925); erhielt 1926 zusammen mit Stresemann den Friedens-Nobelpreis. 27 Raymond Poincare, geb. 20. 8. 1860 Barle-Duc, gest. 15. 10. 1934 Paris; 1912 MinPräs und AußMin; 1913-20 StPräs, seine deutschfeindliche Politik trug zum Ausbruch des 1. Weltkriegs bei; 1920 Vors. d. Reparationskom-

17°

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7. Kap.: Inflationszeit und Währungsstabilisierung

war der Weg zu einer sachlichen Lösung der Reparationsfrage versperrt. Poincare hielt unerbittlich an der Politik der Niederhaltung Deutschlands fest. So verlief die Konferenz zu Genua (10.-19. April 1922) ergebnislos. Allerdings glückte Reichsaußenminister Rathenau mit dem Rapollo-Vertrag zwischen Deutschland und Sowjetrußland (16. 4. 1922) ein unerwartet großer Erfolg. Inzwischen war der Wert der Mark unter entscheidendem Einfluß der Reparationen während des Jahres 1922 unaufhaltsam gesunken: Im Januar konnte man mit 200 Mark 1 Dollar kaufen, im Dezember mußte man dafür 10 000 Mark aufbringen. Diese Entwicklung hätte die Reparationsgläubiger kompromißbereiter stimmen müssen. Poincare verschärfte jedoch durch die militärische Besetzung und wirtschaftliche Ausnutzung des Ruhrgebiets (9. 1. 1923) die politische Lage: Die Ruhrkrise mit dem passiven Widerstand, die Radikalisierung von links und rechts, Loslösungsbestrebungen im Rheinland und Putschversuche brachten Deutschland an den Rand des Abgrundes. Die Reichsregierung hatte drei Aufgaben zu bewältigen, um aus dem politischen, sozialen und wirtschaftlichen Chaos herauszufinden: Die Stabilisierung der Währung, die Aufrechterhaltung der verfassungsmäßigen Zustände und eine vernünftige Lösung des Reparationsproblems. Letzteres gelang für einen gewissen Zeitraum durch den Dawesplan von 1924. 3. Die Inflation

Die Wurzeln der Inflation reichten in die Kriegsfinanzpolitik zurück: Durch das Bankgesetz vom 4. August 1914 wurden Schatzanweisungen als bankmäßige Deckung für die Ausgabe von Banknoten zugelassen. Damit war in der ersten Kriegshälfte die flüssig gemachte schwebende Schuld einigermaßen fundiert. Es wirkte sich verheerend aus, daß das Mittel der Kriegsanleihe und Schatzanweisungen, das im Bewußtsein der Stärke und in der Hoffnung auf eine siegreiche Beendigung der militärischen Auseinandersetzungen bis zum Kriegsende und darüber hinaus beibehalten wurde, als die schwebende Reichsschuld längst nicht mehr durch die Schatzanweisungen fundiert war. Erzherger hatte durch seine Finanzreform zwar erreicht, daß 1921 die eigenen Ausgaben des Reiches sowie 10 °/o der Reparationskosten durch die Steuereinnahmen gedeckt wurden, die übri·gen 90 °/o der Reparationskosten mußten jedoch auf dem Kreditwege aufgebracht werden28 • Die passive mission; 1922-24 MinPräs (veranlaßte die Besetzung d. Ruhrgebiets); 1926 bis 1929 MinPräs u. FinMin. 28 Vgl. BA, Nachlaß Saemisch Nr. 58, S. 12; Verhältnis der Reparationskosten zu den eigenen Ausgaben 2 : 1; 60 Ofo des gesamten Etats waren somit ungedeckt.

I. Politischer überblick

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Handelsbilanz beschleunigte den Zusammenbruch der deutschen Währung. Nachdem die Weimarer Koalition die parlamentarische Mehrheit verloren hatte, waren die Reichsregierungen nicht stark genug, der Inflation durch einschneidende Maßnahmen zu steuern. Daher begnügten sie sich mit der "ungerechtesten und verderblichsten, doch politisch einfachsten Form der Besteuerung: der Inflation" 29, um die Haushaltsfehlbeträge auszugleichen und um die Reparationszahlungen aufbringen zu können. Die Inflation wirkte sich in Deutschland ungerecht aus, weil sie in erster Linie die Geldbesitzer und Bezieher fester Einkommen, nicht aber die Eigentümer von Sachwerten traf; die bisher tragende Schicht, der Mittelstand, verarmte und wurde für radikale Parolen anfällig. Die Versuche der Reichsfinanzminister Hermes und Hilferding, den Wettlauf mit der Inflation durch Steuererhöhungen zu gewinnen, hatten sich als aussichtslos erwiesen. Die Anpassungsgesetze zur Berücksichtigung der Geldentwertung hinkten der Entwicklung hinterher und beschleunigten sie eher. Auch die Verzugszinsen bis zu 30 °/o je Monat für verspätete Steuerzahlungen und die hohen Geldstrafen für Steuerhinterziehungen brachten keine Abhilfe. Der unfähige Reichsbankpräsident Havenstein, dem Reichskanzer Stresemann vergeblich den Rücktritt nahelegte30, ließ die Notenbankpresse auf immer höheren Touren laufen. Er starb am 20. November 1923, am Tage als der Dollar 4,2 Billionen Papiermark kostete, zu einer Zeit, als die Ausgaben des Reiches zu 99,6 °/o durch Schuldaufnahmen gedeckt werden mußten. 4. Die Währungsstabilisierung

In einer Zeit größter politischer Spannungen und des drohenden Staatsbankrotts bahnte sich eine rettende Wende an, als Reichskanzler Stresemann Hans Luther, der bereits als Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft in Anlehnung an Gedanken Helfferichs den "Plan einer Bodenmark" entworfen hatte, am 6. Oktober 1923 zum Reichsfinanzminister berief31• Hans Luther schrieb selbst über den Beginn seiner Arbeit im Finanzministerium: "Mit dem ganzen Schwung meiner 44 Jahre habe ich die neuen, fast grenzenlosen Aufgaben in ihrer vollen Breite in Angriff genommen" 32, um die Währung zu stabilisie29 E. Salin, Die dt. Tribute, 1930, S. 98; zur Inflation vgl. außerdem: G. Bresciani-Turroni, The Economics of Inflation. Study of Currency Depreciation in Post-War Germany 1914-1923, 1937 (21953); A. Cohen, Besteuerung und Geldentwertung: Sehr. d. Vereins f. Sozialpolitik Bd. 168/1, 2, 1924; W. Prion, Die Finanzen des Reiches: Hb d Politik Bd. IV, 1921. 30 Prot. d. Reichskabinettssitzung v. 23. 8. 1923; BA, R 43 1/1378.. 31 Vgl. H. Luther, Politiker ohne Partei, 1960, S. 109 ff. 32

H. Luther, a.a.O., S. 123.

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7. Kap.: Inflationszeit und Währungsstabilisierung

ren und die öffentliche Finanzwirtschaft zu sanieren. Schon in der ersten Woche seiner Amtszeit als Reichsfinanzminister erreichte er den Beschluß des Kabinetts, dem Finanzminister ein Einspruchsrecht bereits gegen die Vorbereitung neuer Gesetze einzuräumen, dem bald das Recht für den Finanzminister folgte, in allen Reichsressorts besondere Vertrauensbeauftragte zu bestellen, um auf die Gestaltung des Haushalts größeren Einfluß zu gewinnen33. Neben dieser bedeutenden Stärkung der Stellung des Reichsfinanzministers war es das Ermächtigungsgesetz vom 13. Oktober 1923 (RGBl., S. 943), das eine durchgreifende Reform ermöglichte. Durch dieses Gesetz wurde die Reichsregierung ermächtigt, "die Maßnahmen zu treffen, welche sie auf finanziellem, wirtscllaftlichem und sozialem Gebiet für erforderlich und dringend erachtet". Bereits zwei Tage zuvor waren die Steuern auf Grund einer Verordnung des Reichspräsidenten auf Gold-Grundlage umgestellt worden34• Zwei Tage nach dem Ersten Ermächtigungsgesetz wurde die Rentenmark-Verordnung erlassen35, mit welcher die Errichtung einer "Deutschen Rentenbank" verbunden war. In einem amtlichen Kommunique erklärte die Reichsregierung: "Neben der Papiermark ist in der von der Deutschen Rentenbank auszugebenden Rentenmark ein wertbeständiges Umlaufmittel geschaffen, das von allen öffentlicllen Kassen in Zahlung genommen werden wird. Die Rentenmark ist gesichert durch auf Gold lautende erststellige Grundschulden auf den gesamten deutschen Grundbesitz und erstrangige Goldobligationen der Industrie, des Handels und der Banken ... Die Deutsche Rentenbank wird von Vertretern der Landwirtschaft, der Industrie, des Gewerbes, des Handels und der Banken errichtet werden ... Die Deutsche Rentenbank wird dem Reiche Zahlungsmittel im Betrage von 1,2 Mrd Rentenmark zur Verfügung stellen. Gleichzeitig mit der Ausgabe wird die Reichsbank die Diskontierung von Schatzanweisungen des Reiches einstellen36." Die entwertete Papiermark wurde zum Kurs von 1 Billion auf 1 Rentenmark umgestellt. Das "Wunder der Rentenmark", als welches es allgemein empfunden wurde, konnte sich auswirken; es verlangte freilich auch Opfer: Am 18. Oktober 1923 wurden die Ausgaben der Reichsressorts drastisch eingeschränkt, am 20. Oktober wurde eine Personalabbauverordnung erlassen (RGBl., S. 999), von der 300 000 Reichsangestellte betroffen wurden. Der Preis war zwar hoch, den zum größten Teil das mittlere Bürgertum zu zahlen hatte, aber das Vertrauen auf die deutsche Währung war im In- und Ausland wieder hergestellt und ebnete einer Gesundung der Wirtschaft die Bahn. Stresemann, 33 34 35 BA, 3&

Kabinettsprot. v. 11.10. 1923; BA, R 43 1/1388. VO d RPräs vom 11.10. 1923; RGBI., S. 939. Am 15. 10. 1923; RGBI., S. 963; vgl. das Kabinettsprot. vom 15. 10. 1923; R 43 1/1389. Abgedr.: Frankfurter Ztg. v. 16. 10. 1923, Nr. 761.

III. Gesetzentwürfe zur Änderung des Landessteuergesetzes

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Helfferich und Schacht37 haben sich um die Stabilisierung der deutschen Währung große Verdienste erworben, in erster Linie jedoch Hans Luther; ohne die rasche Folge der von ihm getroffenen, genau aufeinander abgestimmten, einschneidenden Maßnahmen wäre ein Erfolg der Währungsreform 1923 fraglich gewesen. Der Übergang von der Rentenmark zur neuen Reichsmark durch die Gesetze zur Neuregelung des deutschen Währungswesens vom 30. August 192438 war nur noch eine Frage der Zeit. II. Die Notwendigkeit einer Änderung des Landessteuergesetzes Die Durchführung des Landessteuergesetzes stellte die Länder vor schwierige Probleme. Vergeblich forderten sie von der Reichsregierung Ausführungsbestimmungen zu den einzelnen Paragraphen. Die Unzufriedenheit mit dem Finanzausgleich von 1920 nahm zu. In einer Neufassung sollten die Mängel der gegenwärtigen Regelung beseitigt und die gesammelten Erfahrungen Anwendung finden, so forderte man allgemein. Die wirtschaftliche Lage, die sich seit dem 30. März 1920 dermaßen rasch und umwälzend veränderte, wirkte sich auf die Finanzverfassung im Reich aus. Die Reichsregierung konnte sich dem Ruf nach einer Neuregelung des Finanzausgleichs zwischen Reich, Ländern und Gemeinden nicht verschließen. Eine teilweise Korrektur erfuhr das Landessteuergesetz durch die Novelle zum Einkommensteuergesetz, mit dem das Landessteuergesetz eng verknüpft war; man erreichte hierdurch eine gewisse Anpassung an die inflationäre Entwicklung. Die Länder und Gemeinden drängten in ihrer Finanznot jedoch nach einer wirklichen Reform des Finanzausgleichs, durch welche sie sich in erster Linie eine finanzielle Besserstellung erhofften. 111. Die Entwürfe eines Gesetzes zur Änderung des Landessteuergesetzes 1. Die Besprechung vom November 1921

Reichsfinanzminister Hermes ließ in seinem Ministerium einen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Landessteuergesetzes ausarbeiten, über den am 28. November 1921 unter Vorsitz von Staatssekretär 37 Hjalmar Schacht, geb. 22.1. 1877 Tingleff; am 14. 11. 1923 zum Währungskommissar ernannt; 1924-29 und 1933-39 RBankPräs; 1934-37 zugleich RWirtMin; Mitinhaber des 1953 von ihm gegr. Privatbankhauses Schacht & Co., Düsseldorf. 38 1. Das Bankgesetz (RGBl., S. 235), 2. Das Privatnotenbankgesetz (RGBl., S. 346), 3. Das Gesetz über die Liquidierung des Umlaufs an Rentenbankscheinen (RGBI., S. 252), 4. Das Münzgesetz (RGBI., S. 254).

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7. Kap.: Inflationszeit und Währungsstabilisierung

Zapf39 eine kommissarische Beratung stattfand40• Obwohl die Länder seit langem auf eine Änderung des Landessteuergesetzes warteten, fühlten sie sich - ähnlich wie bei anderen Vorlagen der Reichsregierung- überrumpelt. Staatsrat Dr. von Wolf schlug daher vor, die Beratung zu vertagen, um in Ruhe Stellung nehmen zu können. Der Vertreter des Reichsfinanzministeriums wies diesen Vorschlag mit der Bemerkung zurück, man habe den Entwurf bereits mit dem Referenten des bayerischen Finanzministeriums durchgesprochen und volles Einverständnis über alle Punkte erzielt. Die Vertreter Preußens41 forderten ebenso wie die übrigen Ländervertreter größere finanzielle Selbständigkeit für Länder und Gemeinden. Letzteren müßten unbedingt eigene Steuerquellen überlassen bleiben, um das Verantwortungsgefühl und die Sparsamkeit zu fördern. Staatssekretär Zapf stimmte dem zu, lehnte aber sofort ein Zuschlagsrecht auf Reichseinkommensteuern kategorisch ab. Es wurde ersichtlich, daß das Reich von seiner einmal erworbenen Machtposition keinen Schritt zurückweichen werde. Eine Einigung kam nicht zustande, da die Ländervertreter keine definitiven Instruktionen ihrer Regierungen besaßen. Die bayerische Regierung bedauerte, nicht Stellung nehmen zu können, da ihr der Entwurf überhaupt noch nicht vorliege. Die Behauptung, der Entwurf sei mit einem Referenten des bayerischen Finanzministeriums bereits besprochen worden, wobei man volles Einverständnis erzielt habe, wurde als unzutreffend bezeichnet. Es habe sich "nur um eine rein persönlkhe Aussprache" ohne "für die bayerische Regierung verbindliche Erklärungen" gehandelt'2 • 2. Der Regierungsentwurf vom Januar 1922 Am 7. Januar 1922 reichte Reichsfinanzminister Dr. Hermes den "Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Landessteuergesetzes vom 30. März 1920" beim Reichsrat ein (RR-Drucks. Nr. 3). Der Entwurf wollte die Folgerungen ziehen, die sich aus den Veränderungen auf finanzpolitischem Gebiet ergeben hatten, "ohne jedoch die Grund39 Heinrich Zapf, geb. 23.10. 1871 Neuessing, gest. 15.1.1949 Freising; Jurastudium in München und Würzburg; 1898-99 Hauptzollämter Passau und München; 1899-1904 in der Generaldirektion der Zölle und indirekten Steuern in München; 1904-11 RegRat, dann ORR im B.Stmin d Fin; 1911-14 in der Oberzolldirektion in Köln und Berlin; 1914-19 GehRegRat und Vortr. Rat im Reichsschatzamt; 1919-21 MinDir im Rfinmin; 1921-1924 SS im Rfinmin; 1. 12. 1924-31. 12. 1934 Senatspräs beim Reichsfinanzhof in München. 40 Vgl. den Bericht Wolfs an das B.Stmin d Fin vom 14. 12. 1921; B.HStA. II, MA 103759. 41 MinDir Mulert vom preuß. Stmin d Inn und MinRat Henatsch vom preuß. Stmin d Fin. 42 B. Stmin d Fin an Wolf Nr. 72086 - vom 31.12. 1921; B.HStA.II, MA 103759.

III. Gesetzentwürfe zur Änderung des Landessteuergesetzes

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gedanken des Gesetzes (sc. LStG) oder seinen Aufbau im Ganzen irgendwie anzutasten" (RR-Drucks. Nr. 3, S. 6). Die Beteiligungsverhältnisse an der Kraftfahrzeug-, Rennwett- und Gewerbeanschaffungssteuer sollten zugunsten der Länder verändert, die Umsatzsteuer von 1,5 Ofo auf 2,5 Ofo und die Körperschaftssteuer der Erwerbsgesellschaften von 10 °/o auf 30 °/o erhöht werden. Der Forderung der Länder nach Ausweitung ihrer Finanzhoheit trug der Entwurf jedoch nicht Rechnung. Finanzminister Krausneck antwortete mit einem 18seitigen Sch.reiben43. Er erklärte sich damit einverstanden, daß sich die Novelle "nur auf die notwendigsten Änderungen des Landessteuergesetzes beschränkt". Natürlich hätte er eine größere Bewegungsfreiheit der Länder und Gemeinden begrüßt, räumte aber ein, daß dies unter den gegebenen Umständen kaum möglich sein wird. "Die Einschränkung der Ausgaben und damit eine Einschränkung der Notenpresse und Maßnahmen gegen die Geldentwertung erscheinen mir im gegenwärtigen Augenblick ungleich wichtiger, als durch eine Änderung des Landessteuergesetzes den Gemeinden und Ländern größere finanzielle Selbständigkeit einzuräumen." Diese Haltung Krausnecks zeugte von einer realistischen Einschätzung der Lage, die keine grundlegende Änderung in grundsätzlichen Fragen erlaubte, aber auch von einem hohen Verantwortungsbewußtsein und widerlegt den oft vorgebrachten Vorwurf, Bayern habe mit einer "egoistischen" Politik nur seinen ei•genen Vorteil gesucht. Außerdem bewies Krausneck zu diesem Zeitpunkt mehr Einsicht in die Gefahren der Inflation und in die Notwendigkeit ihrer Bekämpfung als führende Finanzkreise in Berlin44 • Kultusminister Matt stimmte dem Entwurf ebenso zu wie Handelsminister Ramm, hielt jedoch die Gelegenheit für gekommen, im Hinblick auf die Notlage von Ländern und Gemeinden und auf die "Notwendigkeit einer ausgeprägten Eigenstaatlichkeit der Länder" die 43 B.StMin d Fin an das Rfinmin- Nr.l253 vom 7.1.1922; B.HStA.II, MA 103759. 44 Ende Aug. 1922 vertrat Krausneck die Auffassung, man müsse die Katastrophe hereinbrechen lassen, um die Alliierten von der Unerfüllbarkeit ihrer Reparationsforderungen zu überzeugen. Die Stabilisierung der Währung sei erst nach Lösung des Reparationsproblems möglich. Schmelzle votierte dafür, die RReg zum Handeln zu drängen. Schmelzleverfaßte daher eine Note an die RReg, welche Lerchenfeld erst nach langem Drängen unterschrieb und nach Berlin weitersandte (Ende Sept. 1922; abgedr.: H. Schmetzte. Erinnerungen, fase. IV, S. 393-414. Ausdruck Schmelzles "Welt- und Staatsauffassung" (a.a.O., S. 414). Die DS fand in Berlin sehr große Beachtung, in Bayern verursachte sie polit Spannungen: Die BVP und die Rechtsparteien lehnten sie als staatssozialistisch ab. Die Opposition sprach von einer MinPräs-Krise. Staatsrat v. Meinel (B.Stmin f Handel) griff die DS sehr scharf an. Die Landesversammlung der BVP am 28. 10. 1922 entzog Lerchenfeld das Vertrauen. Lerchenfeld übersandte am 3. 11. 1922 dem LT seine Rücktritts-

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7. Kap.: Inflationszeit und Währungsstabilisierung

Rückgabe der Einkommen- und Körperschaftssteuern zu fordern 45• Dr. Hamm nahm hingegen - ähnlich wie Dr. Krausneck - an, "daß für eine aoochließende Erörterung dieser grundsätzlichen Fragen z. Z. die Voraussetzungen noch nicht gegeben sind" 46 • Außer von Bayern gingen bei der Reichsregierung mehrere Änderungsvorschläge von den übrigen Ländern ein, so daß eine Beratung des ersten Regierungsentwurfs im Reichsrat überflüssig wurde. 3. Das preußiscb-bayerische Einvernehmen

Für Bayern bedeutete es eine große Genugtuung, daß gerade Preußen als größtes Land noch weitergehende Abänderungsvorschläge unterbreitet hatte als Bayern. Der preußische Finanzminister sandte seine elf Seiten umfassende Stellungnahme auch den Länderregierungen zu und regte eine kommissarische Besprechung der Finanzressorts der größeren Länder über den Entwurf an. Preußen trat für eine größere Selbständigkeit der Länder und Gemeinden sowie für eine reinlkhe Scheidung der Steuerzuständigkeit ein. Zumindest sollten Zuschläge zu den Reichssteuern gestattet sein. Finanzminister Krausneck hielt die preußischen Vorschläge für "sehr beachtenswert" 47 und stimmte mit Preußen darin überein, daß das Landessteuergesetz auch in der abgeänderten Form nur als vorläufige, ungenügende Regelung angesehen werden könne. Bayerns Endziel blieb, "wieder die vollständige Überlassung der Einkommensteuer und Körperschaftssteuer an die Länder und Gemeinden anzustreben. Nur dadurch kann m. E. diesen Körperschaften unter den gegebenen Verhältnissen geholfen werden. Ich möchte aber mit diesem Vorschlag erst hervortreten, wenn ich hierin von den größten Ländern, insbesondere Preußen, unterstützt werde ... Ich bin mir darüber klar, daß dieses Ziel nicht in kurzer Zeit erreicht werden kann, es ist deshalb wohl zweckmäßig, die Novelle zum Landessteuergesetz, die schon zur Veranlagung der Einkommensteuer für 1921 unbedingt notwendig ist, nicht mit diesen Fragen zu verquicken". Krausneck schlug vor, daß zunächst Preußen und Bayern über den Entwurf des Reichsfinanzministeriums verhandeln sollten. erklärung. Einer der Gründe hierzu bildeten die schweren Angriffe, die sich der MinPräs bezüglich der DS ausgesetzt sah. Die hauptsächliche Kritik an Schmelzles DS zur Behebung der Inflation bezog sich auf den Vorschlag der Zentralisierung des Devisenverkehrs und der behördlichen Stabilisierung der Preise, Löhne und Gehälter. 45 B.Stmin f U + K an das Stmin d Fin Nr. 3185 - vom 26. 2.1922; B.HStA.II, MA 103759. 4& Stmin f Handel an das Stmin d Fin- Nr. 3340- vom 6. 3. 1922; B.HStA. II, MA 103759. 47 B.Stmin d Fin an Staatsrat Dr. v. Wolf Nr. 6902 - vom 2. 2. 1922; die Vorschläge des preuß. FinMin liegen bei; B.HStA.II, MA 103759.

III. Gesetzentwürfe zur Änderung des Landessteuergesetzes

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Am 27. und 28. Februar 1922 fand in München die gewünschte Aussprache zwischen Vertretern der preußischen und bayerischen Regierung statt48, die die Politik der beiden größten Länder gegenüber dem Reich koordinieren sollte. Die Konferenz war sich darin einig, daß mit dem "System, den Ländern und Gemeinden anstatt genügender ordentlicher Steuereinnahmen Vorschüsse und Zuschüsse anzuweisen", gebrochen werden müsse. Allerdings empfehle er sich nicht, die Rückgabe der Einkommen- und Körperschaftssteuer im gegenwärtigen Zeitpunkt zu fordern, weil die Länder infolge der fehlenden Finanzorganisation die Verwaltung dieser Steuern nicht sofort selbst übernehmen könnten, und weil das Reich angesichts seiner prekären außen- und innenpolitischen Lage nicht ohne weiteres auf die gesamte Einkommen- und Körperschaftssteuer verzichten könne. Als vorläufiger Schritt sollten die Länder eine Erhöhung des bisherigen Anteils von zwei Drittel auf drei Viertel, das Zuschlagsrecht zur Einkommenund Körperschaftssteuer und eine Erhöhung der Gemeindeanteile an der Umsatzsteuer von 5 °/o auf 10 °/o verlangen. Endziel bleibe allerdings die reinliche Scheidung der Steuerquellen von Reich, Ländern und Gemeinden. Preußen und Bayern hatten sich in München auf eine langfristige gemeinsame Finanzpolitik dem Reich gegenüber geeinigt, deren Nahziel eine Verbesserung des Landessteuergesetzes vom März 1920 und deren Fernziel eine Neuaufteilung der Finanzhoheit auf Reich und Länder durch die Rückgabe der Einkommen- und Körperschaftssteuer zugunsten der Länder bedeuteten. Es bestand kein Zweifel, daß sich die übrigen Länder den in München vereinbarten Richtlinien anschließen würden. Das Reich sah sich einer geschlossenen Front gegenüber, der es notgedrungen Zugeständnisse machen mußte. Es zeigte sich jedoch, daß die Phalanx der Länder durch Konzessionen materieller Art schnell brüchig wurde und zur Erkämpfung des "Fernziels" der grundsätzlichen Forderungen nicht gleichermaßen bereit war. 4. Das Gutachten des vorläufigen Reichswirtschaftsrates

Der finanzpolitische Ausschuß des vorläufigen Reichswirtschaftsrates49 unterstrich die Notwendigkeit, daß die Neufassung des Landessteuergesetzes den Finanzbedarf aller Steuergläubiger gleichermaßen zu be48 B.Stmin d Fin Nr. 15371 : Niederschrift der Aussprache der Landessteuerreferenten der preußischen und bayerischen Staatsministerien des Innern u. der Finanzen zu München am 27. und 28. Febr. 1922; B.HStA.II, MA 103759. 49 Vgl. W. Apelt, Vom Bundesstaat zum Regionalstaat Betrachtungen zum Gesetzentwurf über den endgültigen Reichswirtschaftsrat, 1927. Apelt trat dafür ein, daß der vorläufige Reichswirtschaftsrat ein dauerndes Reichsorgan werden sollte. Ebenso A . Schulze, Das neue Dt. Reich, 1927, der eine möglichst regionale Ausgestaltung wünschte.

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7. Kap.: Inflationszeit und Währungsstabilisierung

rücksichtigen habe. Er unterstützte voll und ganz die Forderung der Länder nach klarer Aufteilung der Steuerquellen auf Reich, Länder und Gemeinden, allerdings in der Einsicht - der sich auch die Länder nicht verschlossen -, daß eine solche Aufteilung unter den gegenwärtigen Umständen nicht zu verwirklichen sei. JedenfalLs sollte das Reich die notwendigen Unterlagen einfordern, um eine endgültige Regelung statistisch zu untermauern. Der Ausschuß wollte einen ersten Beitrag auf diesem Wege leisten, indem er seinem Bericht eine Aufstellung der Einnahmen von Reich, Ländern und Gemeinden in den Jahren 1920-22 aus den drei größten Steuerquellen beifügt~0 • Ebenso wie Preußen und Bayern Ende Februar 1922 in München machte der vorläufige Reichswirtschaftsr~t den alleinigen Anspruch der Länder und Gemeinden auf die Grunderwerbssteuer geltend, die Ausdruck des örtlichen Wirtschaftslebens sei. 5. Das Würzburger Abkommen

Nachdem der Reichsfinanzminister eingesehen hatte, daß er keine Änderung des Landessteuergesetzes ohne oder gar gegen die Länder vornehmen konnte, lud er die Länder auf den 28. und 29. April 1922 zu einer Besprechung nach Würzburg ein51 • Die Reichsregierung war durch Reichsfinanzminister Dr. Hermes, Ministerialdirektor Dr. Popitz und weitere fünf Ministerialbeamte vertreten; die Länder hatten Delegationen unter Führung ihrer Finanzminister entsandt52 • Dr. Hermes brachte in seiner Eröffnungsansprache klar zum Ausdruck, daß sich das Reich seine 1919/20 gewonnene Position auf finanzpolitischem Gebiet nicht streitig machen ließ: An den Grundgedanken der Erzbergersehen Finanzverfassung könne nicht gerüttelt werden. An eine Rückgabe der Reichsfinanzverwaltung und an eine Verdrängung des Reiches von seiner Vorrangstellung auf steuerlichem Gebiet sei nicht zu denken. Unter dieser Voraussetzung verkündete er als Gegenstand der Tagesordnung folgende Punkte: "1. Abgrenzung der steuerlichen Zuständigkeiten und Beteiligung der Länder und Gemeinden an dem Aufkommen der Reichssteuern. 2. Richtlinien für die Gewährung von Zuschüssen aus Anlaß der Erhöhung der Beamtengehälter." 50 Drucks. d. vorläufigen Reichswirtschaftsrates Nr. 261, Bericht d. finanzpolit. Ausschusses d. vorläufigen Reichswirtschaftsrats zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des LStG vom 30. März 1920, Tagung 1920/22. 51 Der RMin d Fin an die Landesregierungen III R 5500 - vom 8. 4. 1922: Niederschr ift über die Besprechung in Würzburg vom 28. und 29. April 1922; B.HStA.II, MA 103771. 52 Bayern war vertreten durch FinMin Dr. Krausneck, MinRat Dr. Hammer, InnMin Dr. Schweyer, MinRat Schmitt und Staatsrat Dr. v. Wolf.

III. Gesetzentwürfe zur Änderung des Landessteuergesetzes

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Ministerialdirektor Popitz setzte mit der Ablehnung von Zuschlägen auf die Reichssteuern die harte Verhandlungsführung seines Ministers fort. Über eine Erhöhung der Länder- und Gemeindeanteile an der Einkommen- und Körperschaftssteuer von zwei Drittel auf drei Viertel wollte das Reichsfinanzministerium jedoch trotz Bedenken mit sich reden lassen. Popitz empfahl den Ländern und Gemeinden, die Ertragssteuern mehr auszunutzen und wies auf die Kraftfahrzeug-, Schankverzehr- und Getränkesteuer als neue ergiebige Steuerquellen für Länder und Gemeinden hin. Die Entschlossenheit des Reichsfinanzministeriwns im Grundsätzlichen und seine Nachgiebigkeit in der Frage der Zuweisungshöhe zerbrach die bisherige Ablehnung der Länder. Eines ihrer Hauptziele, ihre finanzielle Besserstellung, sahen sie ja erreicht. Preußen, Bayern, Württemberg, Harnburg und Oldenburg gaben ihren Widerstand auf. Die Finanzminister von Preußen und Bayern, Dr. von Richter und Dr. Krausneck, schlossen sich den Bedenken der Reichsregierung gegenüber Zuschlägen auf Reichssteuern an; sie wollten in erster Linie ihr Haushaltsdefizit gedeckt wissen, das 1921 für Preußen 2,5 Mrd M und für Bayern über 300 Mill M betrug. Das Reich brauchte mit keinem Fehlbetrag zu rechnen, da die Notenpresse einen solchen ausglich, freilich nur scheinbar. Dr. Krausneck anerkannte den Vorrang des Reiches vor den Ländern als Zwangsfolge der Entwicklung nach dem Kriege, hielt jedoch die Forderung nach klarer Zuständigkeitsscheidung als Fernziel aufrecht. Eine Erhöhung der festen Einnahmen der Länder sei der Ausdehnung des Dotationssystems auf jeden Fall vorzuziehen. Ministerialdirektor Dr. Popitz versicherte den Ländervertretern sofort, daß das Reich kein Dotationssystem aufbauen werde, auch nicht im Wege der geplanten Reichssubvention zur Beamtenbesoldung. Und Reichsfinanzminister Dr. Hermes wies nochmals auf den Zwang der Reparationen hin, demzufolge der Finanzausgleich nicht zur vollen Zufriedenheit der Länder gestaltet werden könne53 • Es blieb ein fataler Grundzug der Finanzausgleichsverhandlungen der Weimarer Zeit, daß die Länder die letzte Verantwortung gegenüber ihren Kommunen auf das Reich und dieses die Verantwortung auf die Reparationsgläubiger schob. Die Vertreter Sachsens, Badens, Hessens, Thüringens und Braunschweigs beharrten auf ihrer Ablehnung der Vorschläge des Reichsfinanzministeriums, die Krausneck als brauchbare Grundlage für weitere Verhandlungen bezeichnet hatte. Der hessische Finanzminister 53 Dr. Hermes: "Das Problem unserer außenpolitischen Verpflichtungen beherrscht zur Zeit alle übrigen Fragen. Der einheitlichen Lösung dieses Problems muß daher auch die Beantwortung der Fragen untergeordnet werden, die hier zur Beratung stehen."

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7. Kap.: Inflationszeit und Währungsstabilisierung

Henrich wollte die Dotationswirtschaft von Grund auf beseitigt sehen. Badens Finanzminister Dr. Köhler bezeichnete die Subventionspolitik des Reiches als eine beabsichtigte oder unbeabsichtigte Aushöhlung der Länderselbständigkeit Der Aufwand an Besoldungserhöhungen dürfe daher nur mit regulären Steuerüberweisungen gedeckt werden. Der sächsische Finanzminister Heldt54 schloß sich seinem badischen Kollegen an. Der Plan der Reichsregierung bedeute die Aufhebung des Budgetrechts der Länderparlamente und damit das Ende der Länderstaatlichkeit. Zum Abschluß der Konferenz wurden regelmäßige Beratungen über das Reich-Länder-Verhältnis in Aussicht genommen und ein Abkommen getroffen, das richtungsweisend für die künftige Gestaltung der Finanzverfassung in Reich und Ländern sein sollte55: "I. Der Finanzausgleich muß, soweit die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse es irgend gestatten, der Selbständigkeit und Selbstverantwortung der Länder und Gemeinden in höherem Maße Rechnung tragen, als das nach den geltenden Vorschriften der Fall ist. Wenn auch in erster Linie überall auf sparsame Wirtschaft Bedacht zu nehmen ist, so erfordert die überaus starke Steigerung der Ausgaben doch eine weitergehende Berücksichtigung als bisher. Die Lösung der Frage muß sowohl bei den Einnahmen wie bei den Ausgaben einsetzen. und zwar 1. bei den Einnahmen a) durch Erweiterung der steuerlichen Zuständigkeiten der Länder und Gemeinden, b) durch Erhöhung ihrer Anteile an den Reichssteu.ern; 2. bei den Ausgaben a) durch Vermeidung reichsgesetzlicher Maßnahmen, die den Aufgabenkreis der Länder und Gemeinden erweitern, ohne gleichzeitig für die Bereitstellung der erforderlichen Mittel Sorge zu tragen; b) durch eine Entlastung der Länder und Gemeinden von den Mehrausgaben für die Erhöhung der Beamtengehälter. II. Im Rahmen ihrer eigenen Steuerwirtschaft sollen Länder und Gemeinden die Ertragssteuern nach Maßgabe der örtlichen Verhältnisse in vollem Umfange ausschöpfen ... III. Eine Erhöhung der Anteile an den Reichssteuern ist in mehrfacher Hinsicht anzustreben. 54 Max Wilh. August Heldt, geh. 4. 11. 1872 Potsdam; 1909-26 MdL-Sachsen (SPD); 1919 sächs. Arbeitsminister; 1920 ff. sächs. FinMin; 1924-29 sächs. MinPräs. 55 Anlage 3 der Niederschrift über die Besprechung in Würzburg vom 28. und 29. April 1922. Der RMin d Fin an die Landesregierungen- III R 5500vom 8. 6. 1922; B.HStA.II, MA 103771.

III. Gesetzentwürfe zur Änderung des Landessteuergesetzes

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1. Auf seinen Anteil an der Grunderwerbsteuer will das Reich in weitgehendem Umfange zugunsten der Länder und Gemeinden verzichten. 2. Der Landesanteil an der Einkommensteuer und der Körperschaftssteuer ist von zwei Drittel auf drei Viertel zu erhöhen. 3. Um die Länder und Gemeinden an der Umsatzsteuer in weiterem Umfange zu beteiligen, ist eine Erhöhung des Steuersatzes von 2 auf 21/2 °/o erforderlich.

IV. Dem § 52 LStG ist eine Fassung zu geben, welche die Verpflichtung des Reiches, bei Zuweisung neuer Aufgaben an die Länder und Gemeinden für die Deckung der Kosten Sorge zu tragen, klar zum Ausdruck bringt. V. Das Reich gibt aus Anlaß der Erhöhung der Beamtengehälter Zuschüsse auf Grund von festen Richtlinien, wie es bereits in der Erklärung der Reichsregierung vom 10. November 1921 vorgesehen war. Dabei wird vorbehaltlich der näheren Beratung im Reichsrat von folgenden Grundsätzen auszugehen sein: 1. Bei der Feststellung der Zuschüsse ist auszugehen von der Zahl der Beamten und ihrer Einreihung in die einzelnen Besoldungsgruppen nach Maßgabe des Standes an bestimmten jährlich wiederkehrenden Stichtagen. Als Stichtag wird erstmalig der 1. April 1922 in Aussicht genommen ... 2. Der Ausgleichsbetrag, der bei der Bemessung der Zuschüsse zugrunde zu legen ist, ergibt sich aus dem Vergleich der Höhe der von den Ländern und Gemeinden getragenen Beamtenbesoldungen nach dem Stande vor der Besoldungsreform vom 1. Oktober 1921 (Altgehalt) mit dem jeweiligen Stande der Beamtenbesoldungen. 3. Von den nach Maßgabe des Ausgleichsbetrags zu 2 sich ergebenden Kopfquoten sind Abschläge vorzunehmen, die den Mehreinnahmen der Länder und Gemeinden aus den Mehrerträgen an Einkommensteuer infolge der Besoldungserhöhung Rechnung tragen und für die Länder und Gemeinden einen Anreiz zu Ersparnissen auf dem Gebiete der Beamtenbesoldung geben. Mit diesen Beschlüssen bekundet die Versammlung erneut die einmütige Überzeugung, daß Reich, Länder und Gemeinden als untrennbares Ganzes sich finanziell eng verbunden fühlen und deshalb in freier Vereinbarung und in Würdigung ihrer gegenseitigen Bedürfnisse den Weg aus der Not der Zeit suchen und finden müssen." Mit diesem "Würzburger Abkommen" war der Weg für eine angemessene Änderung des bestehenden Finanzausgleichs geebnet. Preußen

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7. Kap.: Inflationszeit und Währungsstabilisierung

und Bayern hatten gemäß ihrer Münchener Aussprache vom 27./28. Februar 1922 ihr Nahziel, die Erhöhung der Länderanteile an den direkten Reichssteuern zum Ausgleich ihres Defizits, erreicht. Das Reich wurde in diesem Punkt durch die koordinierte Politik Preußens und Bayerns zum Nachgeben gezwungen, zumal andere Länder wie Sachsen und Hessen, noch weitergehende Ansprüche angemeldet hatten. Bayern hatte seine grundsätzlichen Forderungen nach Kompetenzerweiterung vorläufig zurückgestellt, weil es die Allianz mit Preußen nicht gefährden wollte, durch die es sich eine optimale Beteiligung an den Reichssteuern versprach und weil es einsah, daß das Reich momentan dazu wegen seiner außenpolitiscllen Verpflichtungen nicht in der Lage war. IV. Das Finanzausgleichsgesetz vom 23. Juni 1923 (RGBI., S. 483 ff.) 1. Die Vorbereitung des endgültigen Gesetzentwurfs

Auf die Regierungsentwürfe vom 7. Januar56 und 8. April 192257 hatten die Länder mit zahlreichen Gegenvorschlägen geantwortet. Vor allem bewirkten aber das Gesetz über Änderungen im Finanzwesen vom 8. April 1922 und das "Würzburger Abkommen" eine neue Situation. Das Reichsfinanzministerium mußte daher eine Neufassung seines Gesetzentwurfs zur Änderung des Landessteuergesetzes von 1920 vorlegen. Bevor es hierüber die Entscheidung des Reichskabinetts herbeiführte, lud es die Landesregierungen zu einer Referentenbesprechung auf den 16. Juni 1922 nach Berlin ein58• Als Diskussionsgrundlage dienten das "Würzburger Abkommen" und die verschiedenen Änderungsvorschläge der Länder59 • Gegenstand der Besprechung waren a) das formelle und materielle Recht der Beteiligung der Länder an der Einkommen- und Körperschaftssteuer, b) die Ausgestaltung der Reichszuschüsse aus Anlaß der Besoldungserhöhungen. Nachdem in Würzburg der Rahmen aufgezeigt war, verhandelte man nun über Einzelheiten des künftigen Finanzausgleichsgesetzes80• s& Der RMin d Fin an die Landesregierungen- III R 144. Der RMin d Fin an die Landesregierungen - III R 3272. ss Der RMin d Fin an sämtliche Landesregierungen - III R 5354 - vom 3. 6. 1922; B.HStA.II, MA 103759. 59 Diese waren zum Teil dem Schreiben vom 3. 6. 1922 beigefügt, zum Teil wurden sie am 8. 6.1922- III R 5455- nachgereicht; B.HStA.II, MA 103759. so Der RMin d Fin an die Landesregierungen - III R 5958 - vom 22. Juni 1922; Übersendung der Niederschrift über die Besprechung im Rfinmin vom 16. Juni 1922 über die neue Fassung der §§ 17 ff., 42, 44 ff., 52 a sowie der 57

IV. Das Finanzausgleichsgesetz vom 23. Juni 1923

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Über die Abmachungen von Würzburg hinaus konnten die Ländervertreter keine Erfolge erzielen. 2. Der endgültige Entwurf vom 9. September 1922

Am 9. September leitete der Reichsfinanzminister den Ländern den endgültigen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Landessteuergesetzes zu&1• Die Vorlage des Entwurfs wurde mit der Steuergesetzgebung in den Jahren 1921 und 1922 sowie mit der inflationären Entwicklung begründet.

a) Die Beteiligung der Länder und Gemeinden an den Reichssteuern Der Anteil der Länder an der Einkommen- und Körperschaftssteuer wurde bis .,an die Grenze des Vertretbaren" (RR-Drucks. zu Nr. 3, S. 12) ausgedehnt; er sollte gemäß dem Würzburger Abkommen 75 °/o des Aufkommens betragen. An der Umsatzsteuer sollten die Länder nicht höher beteiligt werden, wohl aber die Gemeinden, die anstatt 5 °/o nunmehr 20 °/o des Aufkommens aus der Umsatzsteuer erhalten sollten. Eine weitere Verbesserung der finanziellen Lage von Ländern und Gemeinden bedeutete die 960foige Überlassung der Grunderwerbs-, Kraftfahrzeug- und Rennwettsteuer. 4 Ofo aus dem Aufkommen dieser Steuern behielt sich das Reich zur Deckung der Verwaltungskosten vor. Lediglich der Länderanteil an der Erbschaftssteuer blieb mit 20 Ofo unverändert. Ansonsten waren jedoch auf ganzer Linie Verbesserungen zugunsten der Länder und Gemeinden eingetreten, die es diesen ermöglichten, ihre Haushalte wieder auszubalancieren. Das Reich konnte sich diese Zugeständnisse getrost erlauben, da es nach Bedarf die Notenpresse laufen ließ. Seine verfassungsrechtliche Position wurde durch die Konzessionen materieller Art nicht berührt.

b) Zuschläge zu den Reichssteuern und eigene Steuern der Länder und Gemeinden Der Regierungsentwurf lehnte den Wunsch der Länder nach einem Zuschlagsrecht auf die Reichssteuern rundweg ab. Damit war die Mindestforderung der Länder angesichts einer formellen Neugestalturig des Finanzausgleichs abgewiesen - von einer klaren Scheidung der SteuerArt. II, III und IV des Entwurfs der Novelle zum LStG; B.HStA.II, MA 103759 und B.HStA.I, MWi 8322. Das Rfinmin war vertreten durch die Ministerialräte v. Schlieben und Popitz, das B.Stmin d Fin durch MinRat Dr. Hammer. &1 Gleichzeitig wurden die beiden vorausgegangenen Entwürfe zurückgezogen. Sehr. d. RMin d Fin an sämtliche Landesregierungen vom 9. 9.1922; B.HStA.I, MWi 8318. RR-Drucks. zu Nr. 3 (Tagung 1922). 18Menges

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7. Kap.: Inflationszeit und Währungsstabilisierung

quellen dergestalt, daß den Ländern die direkten Steuern ganz zurückgegeben werden, ganz zu schweigen. Einzig bei der Grunderwerbssteuer sollten weiterhin Zuschläge gestattet werden. Diese Steuer gelangte aber ohnehin ebenso wie die Kraftfahrzeug- und Rennwettsteuer ganz in die Hände der Länder und Gemeinden. Die Realsteuern und die Vergnügungssteuern verblieben unverändert bei den Ländern und den Gemeinden.

c) Das Recht der Beteiligung Das Landessteuergesetz von 1920 hatte die Verteilung nach dem tatsächlich eingehenden Steueraufkommen vorgenommen. Die Feststellung des Ist-Einkommens entzog sich jedoch oft auf Jahre hinaus den Finanzbehörden, so daß die Überweisungen an die Länder immer nur als Vorschüsse durchgeführt werden konnten. Der Entwurf rückte von der bisherigen Praxis ab und stimmte die Steuerverteilung auf Reich und Länder auf der Grundlage der Forensalbesteuerung nach dem Gesamteinkommen ab. Der Anteil des Landes am Soll des Reiches berechnete sich somit aus der Gesamtheit der Rechnungsanteile seiner Gemeinden. Dieser Anteil stellte den Schlüsselanteil für die Verteilung des Ist-Abkommens dar. Da durch dieses System die Verteilungsschlüssel jedes Jahr genau festzustellen waren, konnten die Länder fortlaufend ihren Anteil an sämtlichen Steuereingängen erhalten. Insbesondere wurde ihnen damit eine geordnete und vorausschauende Haushaltsführung ermöglicht.

d) Beteiligung an den vom Reich verursachten Mehrkosten der Länder und Gemeinden Es war verständlich, daß Besoldungserhöhungen für Reichsbeamte solche für Staats- und Kommunalbeamte nach sich zogen. Um ein Abwandern ihrer qualifizierten Beamten zu verhindern, bemühten sich die Länder und Gemeinden, ein merkliches Gefälle in der Beamtenbesoldung zu vermeiden. Ohne eine finanzielle Besserstellung durch den Finanzausgleich waren sie jedoch nicht in der Lage, mit den Besoldungserhöhungen im Reich mitzuhalten. In eine ähnliche Konfliktsituation sahen sich die Länder gedrängt, wenn sie zwar Aufgaben und Kompetenzen zugesprochen bekamen, nicht jedoch die dazu erforderlichen Mittel. Bei der Vorbereitung des neuen Finanzausgleichsgesetzes plädierten daher zahlreiche Vorschläge der Länder angesichts dieser ihnen vom Reich aufgebürdeten Mehrkosten für eine angemessene finanzielle Ausstattung der Länder und Gemeinden.

IV. Das Finanzausgleichsgesetz vom 23. Juni 1923

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Der Gesetzentwurf vom September 1922 suchte diese Frage eines Lastenausgleichs auf dem Boden der Würzburger Abmachung zu lösen. Er konnte hierbei an eine Erklärung der Reichsregierung vor dem Reichstag vom 10. November 1921 anknüpfen, wonach von jenem Zeitpunkt an Vorschüsse auf die später zu erwartenden Mehreinnahmen an Überweisungssteuern für Besoldungszwecke zu verwenden waren. Der Entwurf bekannte sich zur Verpflichtung des Reiches, für vom Reich verursachte Mehrkosten der Länder und Gemeinden Mittel zur Verfügung zu stellen. Er verfolgte aber auch den Zweck, die Personalbestände der Länder und Gemeinden nach Möglichkeit zu vermindern und eine Verwaltungsreform zu erzwingen. 3. Die Stellun«nahme der Länder zum Entwurf

Der bayerische Finanzminister Dr. Krausneck trat "im allseitigen Interesse" für eine rasche Beratung des Entwurfs im Reichsrat und im Reichstag ein62• Er wünschte, daß das neue Gesetz bereits im Dezember 1922 in Kraft trete, da ihm ansonsten keine geordnete Haushaltsführung möglich sei. Bayern hatte daher kein Interesse daran, durch wesentliche Änderungsanträge die Beratung der Regierungsvorlage zu verzögern63• Krausneck begrüßte es, daß die Beteiligungsverpflichtung des Reiches an den Kosten neuer Aufgaben der Länder und Gemeinden im Entwurf eine schärfere Fassung erhalten hatte, als das in § 52 LStG der Fall war. Noch lieber wäre es ihm gewesen, wenn das Reich die Länder und Gemeinden überhaupt vor "überflüssigen Aufgaben" bewahrte, da die Länder kaum ihre bisherigen Aufgaben bestreiten könnten. Der im Entwurf vorgesehene Zuschuß des Reiches zu den Beamtenbesoldungserhöhungen müsse von 60 °/o auf mindestens 80 bis 85 °/o hinaufgesetzt werden. Die Übertragung neuer Aufgaben an die Länder war der bayerischen Eigenstaatlichkeitspolitik nicht unlieb, da man in ihr eine Stärkung des Gewichts der Länder erblickte. Bayern plädierte allerdings immer für eine Verteilung der Mittel nach den Zuständigkeiten. Den umgekehrten Weg und das Dotationssystem des Reiches lehnte es entschieden ab. Das bayerische Staatsministerium des Äußern gab aus allgemein staatspolitischen Gründen, denen jede Vermehrung der Staatsaufgaben gelegen kam, die gegenteiligen Bedenken Krausnecks nicht nach Berlin weiter. 62 B.Stmin d Fin an das Stmin d Äuß Nr. 62921 I - vom 23. 10.1922; B.HStA.II, MA 103759. &a Bayern beantragte lediglich am 27. 10. 1922 im RR eine Änderung des § 13 b (Schankverzehr- und Getränkesteuern) und eine Streichung des § 43 Abs. 5 (da Belastung der Finanzämter).

18.

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7. Kap.: Inflationszeit und Währungsstabilisierung

a) Die Be1·atungen in den Reichsrat-Ausschüssen Die Reichsratsausschüsse VI, II und VII für Steuer- und Zollwesen, für Volkswirtschaft und Justizwesen berieten die Regierungsvorlage erstmals vom 28. bis 31. Oktober 1922 und setzten die erste Lesung am 8. November 1922 fort 64. Ministerialdirektor Popitz, der den Vorsitz führte, setzte die Ausschußmitglieder von einem Plan des Reichsfinanzministeriums in Kenntnis, der individuelle Hilfsmaßnahmen des Reichs für finanzschwache Länder und Gemeinden bezwecken sollte. Staatsr"t Dr. v . Wolf bezweifelte sofort die praktische Durchführbarkeit eines solchen Verfahrens. Seine Skepsis war berechtigt. Das Reichsfinanzministerium wollte anscheinend durch derlei Ankündigungen, die den Finanzausgleich ergänzen sollten, den Ländern die Zustimmung zum Regierungsentwurf erleichtern. Noch bestanden nämlich Differenzpunkte, welche eine rasche Einigung über diesen neuerlichen Anlauf der Reichsregierung in Frage stellten. So hielt Dr. Krausneck den Vermittlungsvorschlag des Reichsfinanzministers zu § 52a, den Ländern und Gemeinden 70 °/o des Besoldungsmehraufwands zu gewähren, als "für Bayern unannehmbar". Vielmehr müsse, wie Preußen, 85 Ofo gefordert werden6s. In der zweiten Sitzung am 13. November 1922 stimmten die Ausschüsse in der Frage der Anteile der Länder und Gemeinden an der Umsatzsteuer einer Regelung zu, wonach sich der Länderanteil nach wie vor auf 10 Ofo, der Gemeindeanteil aber auf 15 Ofo belaufen sollte (zusammen 25 Ofo). Die Erhöhung der Umsatzsteuer von 2 auf 2,5 Ofo sowie die meisten übrigen Vorschläge der Reichsregierung fanden die Zustimmung der Ausschußmehrheit.

b) Die Beschlußfassung im Reichsrat In der Plenarsitzung des Reichsrats vom 16. November 1922 wurde der Gesetzentwurf schließlich gebilligt66 . Lediglich dem § 5 des Entwurfs, der das Einspruchsrecht der Reichsfinanzverwaltung festhielt, versagte der Reichsrat seine Zustimmung. In § 52 a wurde eine kleine Verbesserung erreicht, die Bayern immer noch für ungenügend hielt: Den Ländern und Gemeinden sollten nunmehr 75 Ofo des Besoldungsmehraufwands vom Reich ersetzt werden. Trotzdem stimmte Bayern dem Gesetz im Ganzen zu, "weil das Gesetz namentlich für die Gemeinden auch große finanzielle Vorteile, die Erhöhung der Anteile an der Einkommensteuer und Umsatzsteuer, enthält und für die Durch&4 Vgl. die Berichte Wolfs an das B.Stmin d Fin vom 5. 11. 1922 (16 S.), 6.11. 1922 und 18. 11. 1922; B.HStA.II, MA 103759 bzw. MA 103760. 65 Krausneck an Dr. v. Wolf Nr. 65804 - vom 6.11.1922 ; B.HStA.II, MA 103760. 6& RR-Niederschrift der 59. Sitzung am 16. 11. 1922, § 983, S. 1023 ff.

IV. Das Finanzausgleichsgesetz vom 23. Juni 1923

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führung eines Finanzausgleichs zwischen Reich, Ländern und Gemeinden unbedingt erforderlich ist"'7 • Ähnlich wie Bayern war der Reichsrat insgesamt darauf bedacht, zu betonen, daß die Billigung des Gesetzentwurfs Vorbehalte zu Einzelheiten nicht ausschloß. In einer Entschließung gab er bekannt: "Wenn auch die Regierungsvorlage die finanzielle Notlage der Länder und Gemeinden mehr als bisher zu berücksichtigen sucht, und auch der Reichsrat durch Änderungen in dem Entwurf dieser Notlage noch weiter Rechnung getragen hat, so kann doch bei den gegenwärtigen wirtschaftlichen und geldlichen Verhältnissen nicht überblickt werden, ob die hier geschaffene Grundlage ausreicht, um die Länder und Gemeinden lebensfähig zu erhalten. Zudem konnte auch die im Interesse der Selbständigkeit und Selbstverantwortlichkeit der Länder und Gemeinden grundsätzlich zu fordernde Wiederherstellung ihrer finanziellen Selbständigkeit mit Rücksicht auf die Zeitverhältnisse noch nicht verwirklicht werden. Dieses Ziel ist nur zu erreichen durch möglichst weitgehende Überlassung großer Steuern an Länder und Gemeinden - unbeschadet der reichsrechtlichen Normierung in den Grundsätzen- zur selbständigen und selbstverantwortlichen Ausschöpfung und individuellen Anpassung. Wenn der Reichsrat gleichwohl dem vorliegenden Gesetzentwurfe seine Zustimmung erteilt, so geschieht dies in der Voraussetzung, daß auch die jetzige Regelung nur als eine vorläufige anzusehen ist und unter dem Vorbehalt der Geltendmachung seiner weitergehenden Forderungen für einen endgültig~n Finanzausgleich68 ." Diese Entschl-ießung ließ keinen Zweifel über die grundsätzliche Haltung der Ländervertretung zur Frage des Finanzausgleichs zwischen Reich, Ländern und Gemeinden aufkommen: 1. Die Zustimmung des Reichsrats erfolgte nur angesichts der gegenwärtigen großen finanziellen Verpflichtungen des Reiches; dem unter diesen Umständen vereinbarten Finanzausgleich konnte daher nur vorübergehender Charakter beigemessen werden. 2. Der Reichsrat hielt sich ausdrücklich die Türe zu einem "endgültigen" Finanzausgleich offen, der eine wesentliche Erweiterung der Länderfinanzhoheit durch Überlassung ergiebiger Steuern, etwa der direkten Steuern, bewirken müßte. 4. Die Stellungnahme des Reichstals zum Entwurf

Reichsfinanzminister Dr. Hermes leitete den vom Reichsrat gebilligten "Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Landessteuergesetzes 67 Krausneck an das B.Stmin d Äuß Nr. 68833 - vom 18. 11.1922; B.HStA. II, MA 103760. 68 RT-Drucks. Nr. 5263 (1/1920-22); Der RMin d Fin an den RT 111 R 10996- vom 17. 11. 1922; S.30.

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7. Kap.: Inflationszeit und Währungsstabilisierung

vom 30. März 1920" am 17. November 1922 dem Reichstag zu 69• Dieser gab ihn am 25. November 1922 ohne Debatte an seinen 11. Ausschuß zur Vorbereitung weiter7o. a) Die Beratungen im 11. Ausschuß

Vom 11. Dezember 1922 bis zum 11. Januar 1923 beriet der ReichstagsausschuB in erster Lesung über den Gesetzentwurf11• Im Mittelpunkt seiner Beratungen stand die geplante Erhöhung der Umsatzsteuer von 2 auf 2,5 °/o. Die Meinungsverschiedenheiten in dieser Frage verschärften sich dermaßen, daß die Beratung des gesamten Gesetzentwurfs ins Stocken geriet. Daß sich SPD und KPD gegen jede Erhöhung der Umsatzsteuer wehrten, war vorherzusehen, obwohl die erhöhte Umsatzsteuer den Kommunen bei einer Beteiligung von 15 °/o zugute gekommen wäre. Sie befürchteten, daß die Umsatzsteuererhöhungen auf den Verbraucher abgewälzt würden und eine Preissteigerung bewirkten. DNVP, DVP und erstaunlicherweise auch die DDP vertraten im 11. Ausschuß föderalistische Gesichtspunkte. Die DVP betonte, man müsse dem bundesstaatliehen Charakter des Reiches durch die Wiederherstellung der Steuerhoheit der Länder Rechnung tragen. Allerdings sei diese Forderung im Augenblick nicht realisierbar. Auch das Zuschlagsrecht der Gemeinden sei noch verfrüht. Eine Zustimmung der DVP zur Regierungsvorlage blieb fraglich. Jedenfalls wollte die DVP die vorliegende Regelung nicht als endgültig ansehen; der Zeitpunkt für eine endgültige Regelung des Finanzausgleichs sei noch nicht gekommen.

Der Sprecher der DNVP hielt voll Schadenireude die Behauptung für gerechtfertigt, daß das Erzbergersehe System zusammengebrochen sei. Die Reichsregierung müsse endlich einsehen, daß sie auf dem durch Erzherger vorgezeigten Weg nicht weiterkomme. Nur die Rückgabe der finanziellen Selbständigkeit an Länder und Gemeinden könne deren Misere beheben. Die DDP schloß sich den Deutschnationalen weitgehend an, indem sie behauptete, der bisherige Zentralismus in der Finanzverfassung habe sich nicht bewährt. Damit revidierte die DDP, die die Erzbergersehe Reichsfinanzreform als Mitglied der Weimarer Koalition voll und ganz gebilligt hatte, ihre Auffassung grundlegend. Erich Koch (-Weser), der als entschiedener Unitarist bekannt war, bezeichnete nun RT-Drucks. Nr. 5263 (I/1920-22); ausgegeben am 24. Nov. 1922. RT-Drucks. Nr. 5969 vom 16. 6. 1923, Bericht des 11. Ausschusses über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des LStG vom 30. März 1920, S. 1. 11 Vgl. RT-Drucks. Nr. 5969 vom 16. 6. 1923 und Bericht Wolfs an das B.Stmin d Fin vom 12.1.1923; B.HStA.II, MA 103759. &9

10

IV. Das Finanzausgleichsgesetz vom 23. Juni 1923

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die Erzbergersehe Finanzreform offen als Fehler: Die Erzbergersehe Finanzverfassung "nimmt den Ländern das Verantwortlichkeitsgefühl, auch für die Ausgaben, und drückt sie unter die Stellung von Selbstverwaltungskörpern hinab. Das Zuscllußsystem macht die Minister der Länder und die Oberbürgermeister aus selbständig Handelnden zu Berichteschreibern und Taschengeldempfängern und erfordert ein ungeheures und doch mangelhaft arbeitendes Berecllnungs- und Kontrollsystem ... Eine weitgehende Steuer- und Finanzreform ist die erste Vorbedingung für die weitere Gesundung unserer öffentlichen Verhältnisse"72. War schon während der ersten Lesung im 11. Ausschuß eine Einigung in weite Ferne gerückt, so verschärfte sich die Lage, als selbst die Partei des Reichsfinanzministers, das ZentTum, erklärte, man werde einer Erhöhung der Umsatzsteuer nur zustimmen, wenn sich im Reichstag hierfür eine große Mehrheit ergäbe. Unter den gegebenen Umständen kam das einer Ablehnung gleich. Reichsfinanzminister Dr. Hermes wurde schwankend und gab dem Finanzausschuß durch Staatssekretär Zapf seinen Entschluß bekannt, eine Entscheidung des Reichskabinetts darüber herbeizuführen, ob die Vorlage aufrechterhalten werden sollte73 . Am 20. März trat der Finanzausschuß des Reichstags wieder zusammen, vertagte sich jedoch, nachdem der Reichsfinanzminister die Entschlossenheit der Reichsregierung bekanntgab, den Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer nicht ohne gleichzeitige Erhöhung des Umsatzsteuersatzes hinaufzusetzen. Hermes schlug vor, zunächst das Gesetz mit Ausklam.merung der die Umsatzsteuer betreffenden Bestimmungen noch vor Ostern zu verabschieden. Der Ausschuß lehnte das auf Betreiben der Abgeordneten Herold (Z) und Merclt (BVP) ab. Immerhin gestand Dr. Hermes zu, daß auch diese Vorlage noch nichts Endgültiges schaffe, aber sie bringe doch eine Reihe fester Normen für das Verhältnis zwischen dem Reich einerseits und den Ländern und Gemeinden andererseits74. Auch als der Ausschuß am 12. Juni 1923 wieder zusammentrat, blieb er bei seiner AblehnWlg einer Umsatzsteuererhöhung75, gestand jedoch Erich Koch in der ,.Vossischen Ztg" Nr. 11 vom 7. 1. 1924. RT-Drucks. Nr. 5969 vom 16. 6. 1923, S. 32. Ministerialdirektor Dr. Popitz teilte Staatsrat Dr. von Wolf am 16. Februar 1923 mit, daß der Gesetzentwurf - auch bei Aufrechterhaltung der Vorlage durch die RReg - ohne den Art. V, der die Erhöhung der Umsatzsteuer vorgesehen hatte, verabschiedet werden würde. Damit sei das Problem jedoch nicht gelöst, sondern nur aus taktischen Gründen zurückgestellt; etwa in einem halben Jahr müsse es dann wieder aufgegriffen werden (Bericht Wolfs an das B.Stmin d Fin am 16. 2. 1923; B.HStA.II, MA 103759). 74 RT-Drucks. Nr. 5969 vom 16. 6. 1923, S. 33; vgl. den Bericht Wolfs an das B.Stmin d Fin v. 22. 3. 1923; B.HStA.II, MA 103759. 75 RT-Drucks. Nr. 5969 vom 16. 6. 1923, S. 33 ff.; vgl. auch den Bericht Wolfs an das B.Stmin d Fin vom 12. 6. 1923; B.HStA.II, MA 103759. 12 73

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7. Kap.: Inflationszeit und Währungsstabilisierung

gemäß dem Antrag Dr. Scholz (DVP) den Gemeinden einen Anteil von 15 Ofo (bisher 5 °/o) und den Ländern weiterhin einen Anteil von 10 °/o zu. Der Reichsfinanzminister konnte sich nicht durchsetzen; Art. V des Entwurfs wurde gestrichen. Der umstrittene § 5, in dem es um das Einspruchsrecht der Reichsfinanzverwaltung ging, ·wurde in der Vorlage des Reichsrats gebilligt und somit vereinfacht. Ein Antrag der BVP (Nr. 584), der eine Befristung des Gesetzes bis zum 1. April 1925 forderte, wurde mit großer Mehrheit angenommen, weil die Verteilung der Finanzhoheit zwischen dem Reich und den Ländern unbefriedigend sei und sehr bald geändert werden müsse. Damit schloß sich der Reichstagsausschuß der Ansicht des Reichsrats an, daß es sich bei dem vorliegenden Finanzausgleichsgesetz nur um eine vorübergehende Regelung handeln dürfe.

b) Die zweite und dritte Lesung im Reichstag Am 18. und 19. Juni 1923 befaßte sich der Reichstag in zweiter Lesung mit dem Gesetzentwurf76, der von Reichsfinanzminister Dr. Hermes in einer großen Rede begründet wurde: "Als Notbau wird die geltende Finanzverfassung auch weiterhin beibehalten werden müssen. Erst wenn die außenpolitische Lage sich so weit geklärt und der Stand unserer Währung sich derart gefestigt haben wird, daß Wirtschaft und Finanzen sich auf einer Grundlage aufbauen, die Dauer und Beständigkeit verspricht, erst dann wird es auch möglich sein, die großen Fragen der Finanzverfassung einer Lösung entgegenzuführen, die sich in Wahrheit einen Ausgleich nennen darf. So ist das Ziel denn bezeichnet, nicht erreicht, wenn das Grundgesetz der Reichsfinanzverfassung in Zukunft den Namen des Finanzausgleichsgesetzes führen soll77." Die Reichsregierung war also in die Defensive gedrängt worden und gestand den Übergangscharakter des vorliegenden Finanzausgleichsgesetzes sowie die Revisionsbedürftigkeit der Erzbergersehen Finanzverfassung zu. Mit dieser Verbeugung vor den Ländern und den föderalistischen Parteien sowie mit dem Eingeständnis des Ungenügens der geplanten provisorischen Regelung konnte es Dr. Hermes entschuldigen, daß in der Vorlage die Grundfragen ausgeklammert blieben; in der gegenwärtigen Situation war ja ein genauer Überblick über die Finanzlage des Reiches, der Länder und der Gemeinden überhaupt noch nicht möglich. So konnte das Parlament nur über die einzelnen Bestimmungen des Gesetzes befinden, die Dr. Hermes einteilte a) in "die finanzielle Ausstattung der Länder und Gemeinden mit erhöhten Reichssteueranteilen, mit neuen steuerlichen Befug76 77

Vh RT 1923 StenBer Bd. 360, S. 11445 ff. Vh RT 1923 StenBer Bd. 360, S. 11446.

IV. Das Finanzausgleichsgesetz vom 23. Juni 1923

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nissen und mit den nunmehr auf fester gesetzlicher Grundlage zu ordnenden Besoldungszuschüssen" und b) in "das materielle und formelle Recht der Beteiligung" (Vh RT a.a.O.). Die erste Gruppe betraf das Nahziel der Länder, nämlich die finanzielle Verbesserung, die zweite Gruppe bezeichnete die Verteilung der Anteile und damit der Finanzhoheit. Bezüglich der Umsatzsteuer drückte der Reic.l-tsfinanzminister sein Bedauern aus, daß sein Vorschlag einer Erhöhung bisher keine Unterstützung gefunden hatte. Wenn bei einem gleichbleibenden Umsatzsteuersatz dennoch der Gemeindeanteil hinaufgesetzt werde, entstünde dem Reich ein beträchtlkher EinnahmeausfalL Rückwärts betrachtet, erscheint der heftig geführte Kampf für und wider die Erhöhtmg der Umsatzsteuer angesichts der galoppierenden Inflation als sinnlos. Das Reich zögerte nicht, seine Einnahmeausfälle durch stärkere Beanspruchung der Notenpresse wieder auszugleichen. Nach dem Reichsfinanzminister ergriff der Abgeordnete Koch (-Weser) von der DDP das Wort. Er bedauerte es, daß man um Prozente feilschte, anstatt die Fundamente, auf denen das geplante Finanzausgleichsgesetz beruhte, zu untersuchen78• Dr. Oberfohren von der DNVP schloß sich Kochs Kritik an: "Wir sind der Ansicht, daß die durch Erzherger herbeigeführte Unifizierung der Finanzverwaltung ein schwerer politischer Fehler gewesen ist, der in seinen Auswirkungen geradezu verhängnisvoll war79 ." Er forderte daher ebenso wie Koch eine Finanzreform, die - abweichend von den Vorstellungen der DDP- die Steuerhoheit der Länder wieder herstellen sollte. Reichsfinanzminister Hermes fühlte sich durch die heftigen Angriffe Oberfohrens genötigt, die Erzbergersehe Finanzreform zu verteidigen und auf die Reparationslasten als Ursache der wirtschaftlichen und finanziellen Misere hinzuweisen80• Der Sprecher der DVP, Dr. Scholz81 , ging ebenfalls mit der geltenden Finanzverfassung ins Gericht. Er hielt die Zentralisation der gesamten Finanz- und Steuerhoheit beim Reich mit dessen bundesstaatlichem Charakter für unvereinbar. Entweder man müsse durch eine Verfassungsrevision den Einheitsstaat herbeiführen82, oder man müsse die Finanz- und Steuerhoheit wieder dezentralisieren83• Vh RT a.a.O., S. 11447. Vh RT a.a.O., S. 11450. Vh RT a.a.O., S. 11453. Dr. jur., Dr.-Ing. h. c. Ernst Scholz, geb. 3. 5. 1874 Wiesbaden, gest. 26. 6. 1932 Berlin; 1912-18 Md Preuß. Herrenhauses; 1921-32 MdR (DVP); 25. 6. 1920-4. 5. 1921 RWirtMin. 82 Zwischenruf Leichts (BVP): "Das kann man nicht machen." (Vh RT a.a.O., 5.11454 A). 83 Vh RT a.a.O., S. 11454. 78 79 80 81

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7. Kap.: Inflationszeit und Währungsstabilisierung

Die SPD stimmte dem Gesetzentwurf zu, nachdem ersichtlich war, daß es zu keiner Erhöhung der Umsatzsteuer kommen werde84 • In der Sitzung am 19. Juni 1923 begründete der BVP-Sprecher WHhelm Merck die zustimmende Haltung seiner Fraktion. Die BVP schloß sich also nicht der Ablehnung der übrigen föderalistischen Parteien an, gleichwohl sie das Landessteuergesetz vom 30. März 1920 strikt abgelehnt hatte, dessen Grundzüge in der Regierungsvorlage beibehalten wurden. "Meine Partei", so erklärte Merck, "hat seinerzeit in der Nationalversammlung gegen das Landessteuergesetz gestimmt, weil sie die darin getroffene Abgrenzung der Finanzhoheit zwischen dem Rei