Regionale Eliten zwischen Diktatur und Demokratie: Baden und Württemberg 1930–1952 [Reprint 2015 ed.] 9783486828108, 9783486559507

Pressestimmen zur Reihe: "Ein bemerkenswertes Beispiel für wissenschaftliche Nachwuchsförderung." Karl Teppe,

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German Pages 418 [420] Year 1993

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Table of contents :
Vorwort
Einleitung
I. Die Verwaltung in Baden und Württemberg unter dem Nationalsozialismus
Administrative Eliten in Demokratie und Diktatur. Beamtenkarrieren in Baden und Württemberg von den zwanziger Jahren bis in die Nachkriegszeit
»Der Beamte gehört dem Staat und der Partei.« Die Gauämter für Beamte und für Kommunalpolitik in Baden und Württemberg im polykratischen Herrschaftsgefüge des NS-Regimes
»Vorbild treuer Pflichterfüllung«? Badische Beamte vor dem Sondergericht Mannheim 1933 bis 1945
Nationalsozialistische Beamte auf der Anklagebank? NS-Parteigerichtsbarkeit und öffentliche Verwaltung in Südwestdeutschland 1933-1945
Aufgaben und Funktionen des Gauinspekteurs, der Kreisleitung und der Kreisgerichtsbarkeit der NSDAP in Württemberg
II. Südwestdeutsche Wirtschaft und nationalsozialistische Wirtschaftspolitik
NS-Wirtschaft in einer Grenzregion. Die badische Rüstungsindustrie im Zweiten Weltkrieg
Nationalsozialistische Wirtschaftslenkung und württembergische Wirtschaft
Drei württembergische Unternehmer während des Nationalsozialismus: Rolf Boehringer, Emst Stütz, Richard Schweizer
»Wirtschaft am Pranger«: Die Berichterstattung des württembergischen »Kampfblatts« »Flammenzeichen« über unangepaßtes Verhalten von Gewerbetreibenden
Gewerbetreibende als Angeklagte vor dem Sondergericht Mannheim
III. Entnazifizierung und demokratischer Neubeginn in der Französischen Besatzungszone
Das Scheitern der »Selbstreinigung« in Baden nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes
Die Unternehmer und die Entnazifizierung der Wirtschaft in Württemberg-Hohenzollern
Demokratischer Neubeginn? Die Universitäten in der Französischen Besatzungszone (1945-1949)
»Sonderwege« der südwestdeutschen Sozialdemokratie nach 1945. Politische Gestaltungsräume unter französischer Besatzung in neuer Sicht
Ein schwieriger Neubeginn: Von der badischen Heimat- und Staatspartei zur CDU
Abkürzungsverzeichnis
Personenregister
Orts- und Länderregister
Firmenregister
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Regionale Eliten zwischen Diktatur und Demokratie: Baden und Württemberg 1930–1952 [Reprint 2015 ed.]
 9783486828108, 9783486559507

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Regionale Eliten zwischen Diktatur und Demokratie

Nationalsozialismus und Nachkriegszeit in Südwestdeutschland Herausgegeben von Dieter Langewiesche und Klaus Schönhoven

Band 1

R.Oldenbourg Verlag München 1993

Regionale Eliten zwischen Diktatur und Demokratie Baden und Württemberg 1930-1952

Herausgegeben von Cornelia Rauh-Kühne und Michael Ruck

R. Oldenbourg Verlag München 1993

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Regionale Eliten zwischen Diktatur und Demokratie : Baden und Württemberg 1930 - 1952 / hrsg. von Cornelia Rauh-Kühne und Michael Ruck. - München : Oldenbourg, 1993 (Nationalsozialismus und Nachkriegszeit in Südwestdeutschland ; Bd. 1) ISBN 3-486-55950-8 NE: Rauh-Kühne, Cornelia [Hrsg.]; GT

Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Berarbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf Druck: WB-Druck, Rieden a. F. ISBN 3-486-55950-8

Inhalt Dieter Langewiesche und Klaus Schönhoven Vorwort Cornelia Rauh-Kühne und Michael Ruck Einleitung

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I. Die Verwaltung in Baden und Württemberg unter dem Nationalsozialismus Michael Ruck Administrative Eliten in Demokratie und Diktatur. Beamtenkarrieren in Baden und Württemberg von den zwanziger Jahren bis in die Nachkriegszeit

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Hubert Roser und Peter Spear »Der Beamte gehört dem Staat und der Partei.« Die Gauämter für Beamte und für Kommunalpolitik in Baden und Württemberg im polykratischen Herrschaftsgefüge des NS-Regimes

71

Jürgen Sikinger und Michael Ruck »Vorbild treuer Pflichterfüllung«? Badische Beamte vor dem Sondergericht Mannheim 1933 bis 1945 103 Hubert Roser Nationalsozialistische Beamte auf der Anklagebank? NS-Parteigerichtsbarkeit und öffentliche Verwaltung in Südwestdeutschland 1933-1945 . 125 Christine Arbogast und Bettina Gall Aufgaben und Funktionen des Gauinspekteurs, der Kreisleitung und der Kreisgerichtsbarkeit der NSDAP in Württemberg 151

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II. Südwestdeutsche Wirtschaft und nationalsozialistische Wirtschaftspolitik Roland Peter NS-Wirtschaft in einer Grenzregion. Die badische Rüstungsindustrie im Zweiten Weltkrieg 171 Wolfgang Burth, Stephan Link, Birgit Rettich, Andreas Ritthaler, Thomas Schäfer und Michael Trauthig Nationalsozialistische Wirtschaftslenkung und württembergische Wirtschaft 195 Petra Bräutigam, Andrea Schuster und Astrid Welck Drei württembergische Unternehmer während des Nationalsozialismus: Rolf Boehringer, Emst Stütz, Richard Schweizer 221 Gabriele Bluhm »Wirtschaft am Pranger«: Die Berichterstattung des württembergischen »Kampfblatts« »Flammenzeichen« über unangepaßtes Verhalten von Gewerbetreibenden 247 Harald Mager Gewerbetreibende als Angeklagte vor dem Sondergericht Mannheim . . . 263

III. Entnazifizierung und demokratischer Neubeginn in der Französischen Besatzungszone Reinhard Grohnert Das Scheitern der »Selbstreinigung« in Baden nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes 283 Cornelia Rauh-Kühne Die Unternehmer und die Entnazifizierung der Wirtschaft in Württemberg-Hohenzollem 305 Stefan Zauner Demokratischer Neubeginn? Die Universitäten in der Französischen Besatzungszone (1945-1949) 333

7 Edgar Wolfrum »Sonderwege« der südwestdeutschen Sozialdemokratie nach 1945. Politische Gestaltungsräume unter französischer Besatzung in neuer Sicht . . 363 Peter Fäßler Ein schwieriger Neubeginn: Von der badischen Heimat- und Staatspartei zur CDU 385 Abkürzungsverzeichnis

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Personenregister

409

Orts- und Länderregister

413

Firmenregister

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Vorwort Die neuere Zeitgeschichtsforschung hat mit besonderer Intensität jene gesellschaftlichen Kontinuitätslinien herausgearbeitet, welche sich durch die nationalsozialistische Diktatur hindurch von der Weimarer Republik in die Bundesrepublik ziehen. Das Konzept der neuen Reihe »Nationalsozialismus und Nachkriegszeit in Sudwestdeutschland« trägt dem Rechnung, ohne die große Bedeutung aus dem Blick zu rücken, welche den politischen Zäsuren von 1933 und 1945 auch weiterhin zukommt. Übergreifendes Ziel ist es, die Wechselwirkung längerfristiger Trends auf sozialer wie politischer Ebene und spezifischer Entwicklungen der beiden betrachteten Epochen im regionalen Kontext deutlich zu machen. Für die Zeit des Dritten Reichs liegt der Schwerpunkt dabei auf der Sozialgeschichte der Beamtenschaft und der mittelständischen Unternehmer. Im Rahmen des Forschungsprojekts »Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Südwestdeutschland 1933-1945« wird das Verhalten dieser beiden gesellschaftlichen Schlüsselgruppen seit einiger Zeit an den Universitäten Mannheim und Tübingen unter der Fragestellung untersucht, inwieweit es durch Zustimmung und Kooperation, partiellen Dissens, weltanschauliche und politische Opposition oder gar aktiven Widerstand gegen den totalitären Herrschaftsanspruch des NS-Regimes geprägt wurde. Dieses Verhalten läßt sich nicht zeitlich isoliert betrachten und erklären. Es wird daher wo immer möglich der Versuch unternommen, die Entwicklung der beiden Sozialgruppen bis 1933 und seit 1945 angemessen mit in die Analyse einzubeziehen. Möglich waren diese Forschungen nur, weil sie in großzügiger Weise von der Volkswagenstiftung finanziell unterstützt wurden. Das Teilprojekt »Verwaltung« in Mannheim wird von Klaus Schönhoven und Hermann Weber geleitet; das Tübinger Teilprojekt »Unternehmer« leitet Dieter Langewiesche. Die Kooperationsbereitschaft der Staats- und Kommunalarchive sowie des Wirtschaftsarchivs in Baden-Württemberg, des Bundesarchivs und des Berlin Document Center hat den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Projekte auch Quellenüberlieferungen eröffnet, die vor nicht langer Zeit noch unzugänglich waren. In umgekehrter Richtung immer wieder über die Epochengrenze 1945 hinweggegriffen hat das Forschungsprojekt »Das Land Baden unter französischer Besatzung 1945-1952«. Auch dieses Projekt, das von 1987 bis 1991 unter der

10 gemeinsamen Leitung von Heiko Haumann und Heinrich August Winkler am Historischen Seminar der Universität Freiburg gearbeitet hat, wurde durch die Volkswagenstiftung gefördert. Die Freiburger Forschergruppe hat erstmals in größerem Umfang die Bestände der Archives de l'occupation Fran9aise en Allemagne et en Autriche in Colmar auswerten können. Nur auf dieser wesentlich erweiterten Quellenbasis ist es möglich gewesen, die bisher überwiegend negativ akzentuierte Bewertung der französischen Besatzungspolitik in Deutschland einer empirisch fundierten Revision zu unterziehen. Der erste Band dieser Schriftenreihe, das gemeinsame Werk junger Historikerinnen und Historiker aus dem Umfeld beider Projekte, schlägt thematisch eine Brücke über die politischen Zäsuren von 1933 und 1945 hinweg. Was dazu konzeptionell und inhaltlich zu sagen ist, sei der folgenden Einleitung vorbehalten. Den Unterzeichneten bleibt die angenehme Pflicht, Dank abzustatten: den genannten Institutionen, allen voran der Volkswagenstiftung; den Fachkolleginnen und -kollegen, die im September 1991 nach Blaubeuren gekommen sind, um die nachstehenden Beiträge mit den Autorinnen und Autoren zu diskutieren; den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des dortigen Heinrich-FabriInstituts der Universität Tübingen, in dessen angenehmer Atmosphäre dieses Symposium stattfinden konnte; Cornelia Rauh-Kühne und Michael Ruck, die in Tübingen und Mannheim die Geschäfte der beiden Teilprojekte führen und die Herausgabe dieses Bandes besorgt haben; und nicht zuletzt Herrn Christian Kreuzer vom R. Oldenbourg Verlag, der sich sofort bereit erklärte, diese Schriftenreihe zu betreuen, die in den nächsten Jahren Ergebnisse der genannten Projekte und der durch sie angeregten Forschungen präsentieren wird. Tübingen und Mannheim, im April 1992 Dieter

Langewiesche

Klaus

Schönhoven

Cornelia Rauh-Kühne und Michael Ruck

Einleitung I. Ehe eigentliche Herausforderung des Dritten Reichs an die Historiker lautet nicht, »die abscheulichen Züge des Systems zu begreifen«; vielmehr gilt es, »das zu verstehen, was es für viele lange Zeit akzeptabel gemacht hat«. 1 D i e s e Einsicht hat sich während der beiden zurückliegenden Jahrzehnte in der N S Forschung durchgesetzt. 2 Ausgangspunkt war die Feststellung, daß jenes überaus heterogene, »polykratische« Machtgebilde bis zur militärischen Niederwerfung durchzuhalten vermochte, ohne zuvor an der Dynamik seiner inneren Widersprüche zerbrochen zu sein. 3 In diesem Zusammenhang sind die gesellschaftlichen Eliten von besonderem Interesse: Beamte, Juristen, Diplomaten und Militärs etwa, Wissenschaftler, Lehrer und Journalisten oder Ärzte, Unternehmer, Wirtschaftsmanager und Ingenieure. D e n n offenkundig ermöglichte erst die aktive Kooperation der »mittleren Gruppen spezialisierter Fachleute« in den verschiedenen staatlichen und gesellschaftlichen Bereichen die Unrechtsherrschaft der nationalsozialistischen Machtelite. 4 Bei der Analyse jener vielfältigen »Formen der Kollaboration«, welche das Verhältnis zwischen Funktionseliten 5 und NS-Staat prägten, 6 hat sich der Blick 1

Charles S. Maier, Literaturbericht, in: VfZ 39 (1991), S. 489-501, hier S. 501. Diese Bemerkung Maiers ist im übrigen gleichermaßen auf die einstmalige DDR gemünzt. Als frühe Beispiele dafür s. David Schoenbaum, Die braune Revolution. Eine Sozialgeschichte des Dritten Reiches, 2. Aufl., München 1980 (engl.: 1966/1967); Martin Broszat, Soziale Motivation und Führer-Bindung des Nationalsozialismus, in: VfZ 18 (1970), S. 392-409; vgl. neuerdings Hans-Jürgen Eitner, Hitlers Deutsche. Das Ende eines Tkbus, Gernsbach 1991. 3 Ein vorläufiges Resümee der Polykratie-Diskussion ziehen Ian Kershaw, Der NS-Staat. Geschichtsinterpretationen und Kontroversen im Überblick, Reinbek 1988 (engl.: London 1985); Manfred Funke, Starker oder schwacher Diktator? Hitlers Herrschaft und die Deutschen. Ein Essay, Düsseldorf 1989; Michael Ruck, Fuhrerabsolutismus und polykratisches HerrschaftsgefUge - Verfassungsstrukturen des NS-Staates, in: Karl Dietrich Bracher u.a. (Hrsg.), Deutschland 1933-1945. Neue Studien zum NS-Herrschaftssystem, Bonn 1992. * Alf Lüdtke, Funktionseliten: Täter, Mit-Täter, Opfer? Zu den Bedingungen des deutschen Faschismus, in: ders. (Hrsg.), Herrschaft als soziale Praxis. Historische und sozial-anthropologische Studien, Göttingen 1991, S. 559-590. ' Zur Funktionselite in diesem Sinne werden hier alle diejenigen Inhaber von Positionen gezählt, welche nicht direkt politische und gesellschaftliche Herrschaft oder Macht (im Sinne Max Webers) auf oberster Entscheidungsebene ausüben, sondern in ihrem regionalen und funktionalen Wirkungsbereich mehr oder minder eigenständig und gar nicht immer bewußt daran mitwirken, ihr praktische Geltung und Dauerhaftigkeit zu verleihen; vgl. in diesem Sinne Hans-Gerd Schumann, Führungsschicht und Führungsgruppen heute. Anmerkungen zu 2

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Cornelia Rauh-Kiihne und Michael Ruck

daher nicht nur auf die politischen »Kommandohöhen« und die nationalen Zentralen der einzelnen Funktionsbereiche, sondern vor allem auch auf die unteren Ebenen zu richten, wo der individuell und kollektiv erfahrene Herrschaftsalltag gestaltet wurde: Landes-, Kreis- und Kommunalbehörden beispielsweise, oder Wirtschaftsverbände, Handelskammern und Unternehmen, um zwei Schwerpunkte des vorliegenden Bandes zu nennen.7 Das Handeln dieser regionalen Eliten darf allerdings nicht losgelöst vom jeweiligen sozialen Kontext betrachtet werden. Und der war in seinen Wirkungen durchaus ambivalent: einerseits verstärkte die weitreichende gesellschaftliche Akzeptanz der NS-Herrschaft traditionelle Verhaltensmuster »habitueller Konformität« 8 ; andererseits eröffnete die Fortexistenz gesellschaftlicher Bereiche, die nur unvollständig nationalsozialistischen Penetrationsversuchen erlagen, auch den Mitgliedern der Funktionseliten Chancen, sich den Verhaltenszumutungen des Regimes partiell zu entziehen.

6

7

Methodologie-Problemen der deutschen »Elitologie«, in: Hans Hubert Hofmann/Günther Franz (Hrsg.), Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit. Eine Zwischenbilanz, Boppard 1980, S. 203-218, hier S. 210, 213f.; Lüdtke (Anrn. 4), S. 574f„ 582. Wolfgang Zapf untersucht zwar Eliten verschiedener Funktionsbereiche, grenzt sie jedoch auf »Positionsinhaber mit gesamtgesellschaftlicher Entscheidungsmöglichkeit« ein; s. ders., Wandlungen der deutschen Elite. Ein Zirkulationsmodell deutscher Führungsgruppen 1919-1961, 2. Aufl., München 1966, S. 36 (Zitat), 70-74. Zum Elitenbegriff vgl. allgemein Dietrich Herzog, Politische Führungsgruppen. Probleme und Ergebnisse der modernen Elitenforschung, Darmstadt 1982; Ursula Hoffmann-Lange, Eliten in der Bundesrepublik, 2 Bde., unveröff. Habilitationsschrift Mannheim 1990, Bd. 1, S. 1-35. Dieter Rebentisch, Führerstaat und Verwaltung im Zweiten Weltkrieg. Verfassungsentwicklung und Verwaltungspolitik 1939-1945, Stuttgart 1989, S. 543. Zur Kollaboration namenloser »Experten« mit dem NS-Regime in den verschiedensten Funktionsbereichen von Staat und Gesellschaft s. zusammenfassend Lüdtke (Anm. 4); s. femer Hans Mommsen, Zur Verschränkung traditioneller und faschistischer Führungsgruppen in Deutschland beim Übergang von der Bewegungs- zur Systemphase [1976], in: ders., Der Nationalsozialismus und die deutsche Gesellschaft. Ausgewählte Aufsätze. Zum 60. Geburtstag hrsg. von Lutz Niethammer/Bemd Weisbrod, Reinbek 1991, S. 39-66; Konrad H. Jarausch, The Unfree Professions. German Lawyers, Teachers, and Engineers, 1900 - 1950, New York/Oxford 1990. Der Forschungsstand zur Sozial- und Verhaltensgeschichte der Beamtenschaft und erst recht der Wirtschaftseliten unter dem Nationalsozialismus bietet derzeit noch ein weithin desolates Bild. So liegt für die NS-Zeit zwar eine Reihe von Unternehmensstudien vor; Arbeiten zum Verhalten der Unternehmerschaft indessen, die im Ansatz mit Volker Berghahns Buch über »Unternehmer und Politik in der Bundesrepublik« (Frankfurt 1985) vergleichbar wären, fehlen. Individualbiographische Studien sind bislang ebenfalls selten. Vgl. jedoch: Bernd Schmalhausen, Berthold Beitz im Dritten Reich. Mensch in unmenschlicher Zeit, Essen 1991. Zu dem ostdeutschen Schwerindustriellen Eduard Schulte s. Walter Laqueur/Richard Breitmann, Der Mann, der das Schweigen brach. W i e die Welt vom Holocaust erfuhr, Frankfurt/Berlin, 1986; vgl. dazu kritisch Wilhelm Treue, Eduard Schulte. Ein Unternehmer in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Z f U 33 (1988), S. 118-122. Allgemein s. die unten (Abschnitt III) sowie im Beitrag von C. Rauh-Kühne genannte Literatur; femer Avraham Barkai, Die deutschen Unternehmer und die Judenpolitik im Dritten Reich, in: GG 15 (1989), S. 227-247. Zur Beamtenschaft s. die Hinweise im Beitrag von M. Ruck in diesem Band (Abschnitt I).

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Lüdtke (Anm. 4), S. 575.

Einleitung

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Damit stellt sich die Frage nach den Grenzen des totalitären Machtanspruchs des NS-Regimes, nach den Formen von gesellschaftlicher Resistenz, Opposition und Widerstand. 9 Denn die nationalsozialische »Gleichschaltung« der Gesellschaft kam seit 1933 nur schrittweise voran, und zu keinem Zeitpunkt war sie derart »total«, wie es die offizielle Propaganda glauben machen wollte. Neben verbreiteter Zustimmung vor allem zur »außeralltäglichen Sphäre der Politik« gab es immer auch ein gehöriges Maß an Desillusionierung und Unzufriedenheit. 10 Insbesondere dort, w o die sozialmoralischen Mileus noch stabil waren, prägten solche lebensweltlichen Erfahrungen im Verein mit tradierten Werthaltungen und Einstellungen das Verhalten Einzelner und ganzer Gruppen bisweilen nachhaltiger, als es die rigiden Verhaltensnormen des NS-Staates vermochten. 11 Zu recht unterstreichen daher alltags- und erfahrungsgeschichtlich orientierte Studien die Bedeutung gesellschaftlicher Konflikte, von widerständigem Verhalten und Zusammenstößen mit Repräsentanten des Regimes auch unter der - eben nur tendenziell - totalitären Herrschaft des Nationalsozialismus. 1 2 Freilich brauchten sich die Machthaber dadurch zu keiner Zeit emsthaft gefährdet fühlen. Und zwar keineswegs allein im Vertrauen auf ihren Repressionsapparat, sondern nicht zuletzt auch deshalb, weil sich das N S Regime im allgemeinen und Hitler im besonderen bis weit in den Krieg hinein auf die Loyalität des überwiegenden Teils der deutschen Bevölkerung einschließlich der Arbeiterschaft stützen konnten. 13 ' Zu kritischen Hinweisen auf die Gefahr, »resistentes« Verhalten in »Volkswiderstand« umzudeuten, s. Ian Kershaw, »Widerstand ohne Volk?« Dissens und Widerstand im Dritten Reich, in: Jürgen Schmädeke/Peter Steinbach (Hrsg.), Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Die deutsche Gesellschaft und der Widerstand gegen Hitler, 2. Aufl., München 1986, S. 779-798; Dieter Langewiesche, Was heißt »Widerstand gegen den Nationalsozialismus«? In: 1933 in Gesellschaft und Wissenschaft, Hrsg. Pressestelle der Universität Hamburg, Hamburg 1983, S. 143-159; vgl. Anm. 19 des Beitrags von M. Ruck in diesen Band. 10 Ian Kershaw, Alltägliches und Außeralltägliches: ihre Bedeutung für die Volksmeinung 1933-1939, in: Detlev Peukert/Jürgen Reulecke (Hrsg.), Die Reihen fast geschlossen. Beiträge zur Geschichte des Alltags unterm Nationalsozialismus, Wuppertal 1981, S. 273-292, hier S. 284. 11 Vgl. etwa Cornelia Rauh-KUhne, Katholisches Milieu und Kleinstadtgesellschaft. Ettlingen 1918-1939, Sigmaringen 1991. Zum Milieubegriff s. M. Rainer Lepsius, Parteiensystem und Sozialstruktur: zum Problem der Demokratisierung der deutschen Gesellschaft [1966], in: Gerhard A. Ritter (Hrsg.), Die deutschen Parteien vor 1918, Köln 1973, S. 56-80, hier S. 67ff.; vgl. ders.. Extremer Nationalismus - Strukturbedingungen vor der nationalsozialistischen Machtergreifung, Stuttgart 1966. 12 Zu nennen ist hier in erster Linie das Projekt »Widerstand und Verfolgung in Bayern 1933-1945« des Münchener Instituts für Zeitgeschichte, das wegbereitend für die Erforschung der (regionalen) Wirkungs- und Erfahrungsgeschichte der NS-Zeit war; s. Martin Broszat u.a. (Hrsg.), Bayern in der NS-Zeit, 6 Bde., München/Wien 1977-1983; zu Konzeption und Ergebnissen s. Martin Broszat, Resistenz und Widerstand. Eine Zwischenbilanz des Forschungsprojekts, in: ebd., Bd. 4, 1981, S. 691-709; ders., Zur Sozialgeschichte des deutschen Widerstands, in: VfZ 34 (1986), S. 293-309; ders./Elke Fröhlich, Alltag und Widerstand - Alltag im Nationalsozialismus, München/Zürich 1987, Einleitung. Als jüngstes Beispiel s. die breitangelegte Studie von Klaus-Michael Mallmann/Paul Gerhard, Herrschaft und Alltag. Ein Industrierevier im Dritten Reich. (Widerstand und Verweigerung im Saarland, Bd. 2), Hrsg. Hans-Walter Herrmann, Mitarb. Hans-Henning Krämer, Bonn 1991. 13 So verweist Robert Gellately am Beispiel Unterfrankens mit Nachdruck darauf, daß erst die

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Cornelia Rauh-KOhne und Michael Ruck

Die Beiträge der beiden folgenden Abschnitte dieses Bandes beschäftigen sich aus regionaler oder lokaler Perspektive mit dem Verhalten von Beamten der unteren Verwaltungsebenen und von mittelständischen Unternehmern in Sudwestdeutschland - präziser: im Gebiet der ehemaligen Länder Baden und Württemberg sowie des preußischen Regierungsbezirks (Hohenzollem-)Sigmaringen - und den spezifischen Aktionsbedingungen dieser beiden Schlüsselgruppen unter dem Nationalsozialismus. Das übergreifende Erkenntnisinteresse richtet sich zum einen auf die Frage, wie Rollenzuweisung, Handlungsorientierungen und Verhaltensmuster beider Gruppen sich im Laufe der zwölfjährigen NS-Herrschaft unter dem Einfluß politischer Vorgaben veränderten. Zum anderen wird danach gefragt, in welchem Umfang es in Südwestdeutschland zwischen Funktionseliten und Herrschaftsträgern zu Konflikten kam, welche Ursachen und Anlässe gegebenenfalls dazu führten, wie diese Kontroversen ausgetragen wurden und ob es Fälle gab, in denen sich daraus Dissens, oppositionelles oder gar Widerstandsverhalten entwickelte. Im Zusammenhang einer wohlverstandenen Historisierung des Nationalsozialismus kommt der Frage nach den gesellschaftlichen Kontinuitätslinien über die politische Zäsur von 1945 hinweg erhöhte Bedeutung zu.14 Das besondere Augenmerk hat dabei den Funktionseliten zu gelten. Gab es bei diesen Schlüsselgruppen schichtspezifische Erfahrungen mit dem NS-Regime, die in den Jahren nach 194S das Arrangement mit den Besatzungsmächten erleichterten oder erschwerten? Begann die »innere Abkehr« vom Regime auch in ihren Kreisen bereits im Laufe der zweiten Kriegshälfte, als sich die militärische Niederlage allmählich abzuzeichnen begann?15 Hatte sich gar in der Schlußphase des Dritten Reichs eine antitotalitäre »Gegenelite« zu formieren zahllosen Denunzianten dem Terrorapparat der Gestapo zu voller Wirksamkeit verhalfen; s. ders., The Gestapo and German Society. Enforcing Racial Policy 1933-1945, Oxford 1990, S. 130-158. Zur Haltung der Arbeiterschaft s. Eberhard Heuel, Der umworbene Stand. Die ideologische Integration der Arbeiter im Nationalsozialismus 1933-1935, Frankfurt/New York 1989; Wolfgang Zollitsch, Arbeiter zwischen Weltwirtschaftskrise und Nationalsozialismus. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte der Jahre 1928 bis 1936, Göttingen 1990; vgl. zum Diskussionsstand Ulrich Herbert, Arbeiterschaft im »Dritten Reich«. Zwischenbilanz und offene Fragen, in: GG 15 (1989), S. 320-360. Zur Popularität Hitlers s. Ian Kershaw, Der Hitler-Mythos. Volksmeinung und Propaganda im Dritten Reich, Stuttgart 1980; vgl. Eitner (Anm. 2). 14 Durch die Vermengung der »Historisierungs«-debatte mit dem sogenannten »Historikerstreit« ist dieses berechtigte Anliegen Martin Broszats bisweilen in den Hintergrund gedrängt worden; s. ders., Plädoyer für eine Historisierung des Nationalsozialismus [1985], in: Hermann Graml/Klaus-Dietmar Henke (Hrsg.), Nach Hitler. Der schwierige Umgang mit unserer Geschichte. Beiträge von Martin Broszat, 2. Aufl., München 1987, S. 159-173, bes. S. 172; vgl. allgemein Kershaw, NS-Staat (Anm. 3), S. 289-320; Dieter Langewiesche, Der »Historikerstreit« und die »Historisierung« des Nationalsozialismus, in: Klaus Oesterle/Siegfried Schiele (Hrsg.), Historikerstreit und politische Bildung, Stuttgart 1989, S. 20-41; Helmut Donat/Lothar Wieland (Hrsg.), Auschwitz erst möglich gemacht? Überlegungen zur jüngsten konservativen Geschichtsbewältigung, Bremen 1991 (mit umfassender Bibliographie). 15 Martin Broszat u. a., Einleitung in: Martin Broszat u.a. (Hrsg.), Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland, 3. Aufl., München 1990 (zuerst 1988), S. XXV-XLIX, hier S. XXV.

Einleitung

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begonnen, wie dies manche der alliierten Entnazifizierungstheoretiker annahmen?16 Wer waren überhaupt die Träger des demokratischen Neubeginns, und woher bezogen sie ihre Konzepte der politischen und gesellschaftlichen Zukunftsgestaltung? Mit diesen Fragen setzen sich auch die Beiträge des abschließenden Abschnitts auseinander. Anders als der Untergang der Weimarer Republik wurde der allgemein so genannte »Zusammenbruch« des Frühjahrs 1945 von den beteiligten Zeitgenossen überwiegend als epochaler Einschnitt erlebt. Und diese Urabruchserfahrung hat geraume Zeit auch die Perspektive der historischen Forschung bestimmt. In strikter personeller wie thematischer Arbeitsteilung wurde zum einen die Zeit des Nationalsozialismus, zum anderen die Nachkriegszeit erforscht. Erst seit die Diskussion um Nationalsozialismus und Modernisierung wieder aufgelebt ist und struktur- wie erfahrungsgeschichtliche Fragestellungen zunehmend Eingang in das Arsenal zeitgeschichtlicher Forschung gefunden haben, sind »Grenzüberschreitungen« an der Tagesordnung.17 Nachdem die »Kontinuität des Volkes«18 entdeckt worden war, gerieten zahlreiche weitere Verbindungslinien in den Blick. Sie lassen es in der Tat geboten erscheinen, sich auf Untersuchungszeiträume einzulassen, in denen der 8. Mai 1945 nicht mehr die Rolle einer hermetischen Epochengrenze spielt. Der Blick muß beiderseits weit darüber hinaus reichen, um die Wechselwirkungen säkularer Prozesse gesellschaftlichen Strukturwandels und spezifischer Auswirkungen nationalsozialistischer Herrschaft angemessen zu erfassen. Der vorliegende Band sucht denn auch die Zäsuren von 1933 wie 1945 thematisch zu überbrücken: die Beiträge behandeln die Zeit vom Beginn der dreißiger bis in die fünfziger Jahre. Dieser Umstand ist nicht zuletzt der Kooperation zweier Forschungsgruppen zu verdanken, die sich zunächst unabhängig voneinander mit der NS-Zeit und der Besatzungsperiode im deutschen Südwesten beschäftigt haben: das Mannheim/Tübinger »Widerstandsprojekt«, dessen Erkenntnisinteresse sich vornehmlich auf das Verhalten von Beamten und mittelständischen Unternehmern unter der nationalsozialistischen Herrschaft 16

Vgl. Herzog (Anm. 5), S. 66-70. Wichtige Impulse für die epochenübergreifende Analyse der deutschen Gesellschaft wie für die sozialhistorische Aufarbeitung der NS-Zeit gaben zwei Autoren, die Mitte der sechziger Jahre prononciert die - empirisch noch kaum abgesicherte - These von der (ungewollt) modernisierenden Funktion der nationalsozialistischen Herrschaft vertraten; s. Ralf Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, München 1965 [u.ö.], S. 431-448; Schoenbaum (Anm. 2). Eine instruktive Einführung in die seitdem geführte Debatte bietet Kershaw, NS-Staat (Anm. 3), S. 253-288. Zum aktuellen Diskussionsstand s. Rainer Zitelmann, Nationalsozialismus und Moderne. Eine Zwischenbilanz, in: Werner Süß (Hrsg.), Übergänge. Zeitgeschichte zwischen Utopie und Machbarkeit. Beiträge zu Philosophie, Gesellschaft und Politik. Hellmuth G. Bütow zum 65. Geburtstag, Berlin 1989, S. 195-223; ders.. Die totalitäre Seite der Moderne, in: Michael Prinz/Rainer Zitelmann (Hrsg.), Nationalsozialismus und Modernisierung, Darmstadt 1991, S. 1-20. 18 Lutz Niethammer (Hrsg.), »Die Jahre weiß man nicht, wo man die heute hinsetzen soll«. Faschismus-Erfahrungen im Ruhrgebiet. (Lebensgeschichte und Sozialkultur im Ruhrgebiet 1930 bis 1960, Bd. 1), 2. Aufl., Berlin/Bonn 1986, S. 7. Zum Ansatz dieses Oral historyProjekts vgl. auch die Bände 2 und 3 (1983/85). 11

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Cornelia Rauh-Kühne und Michael Ruck

richtet; und das Freiburger Projekt »Das Land Baden unter französischer Besatzung 1945-1952«, in dessen Mittelpunkt der Neu- und Wiederaufbau demokratischer Organisationen und Institutionen stand. Mancherlei räumliche, zeitliche und thematische Berührungen legten es nahe, die beiderseitigen Forschungsergebnisse im Herbst 1991 auf einem gemeinsamen Symposium zu erörtern, dessen Beiträge in diesem Band publiziert werden. Zwei Problemkomplexe beherrschten hier die Referate und Diskussionen. Zum einen ging es um die in Mannheim und Tübingen behandelte Problematik der Funktionseliten: Wie lief die »Gleichschaltung« der Landes- und Kommunalverwaltungen ab? Welches Ausmaß gewann das personelle Revirement von 1933/34, welche Auswirkungen hatten der Zusammenbruch des NS Regimes, die Entnazifizierung und der Neuaufbau demokratischer Institutionen auf die Zusammensetzung der südwestdeutschen Beamtenschaft? Wie hatten sich während des Dritten Reichs Rollenzuweisungen und Handlungsbedingungen der Beamten auf den mittleren und unteren Verwaltungsebenen verändert, und welche Reaktionen löste dies in den Amtsstuben der Ministerien, Landratsämter und Rathäuser aus? Lassen sich bei den badischen und württembergischen Staatsdienem und Kommunalbeamten neben Anpassung und Kooperation auch Formen von Resistenzverhalten feststellen, und welche Einstellungen oder Erfahrungen lösten unter bestimmten Umständen Verweigerung aus? Welcher Sanktionsinstrumente bediente sich das NS-Regime, um die Angehörigen des Öffentlichen Dienstes zu konformem Verhalten zu veranlassen? Analoge Fragen wurden mit Blick auf mittelständische Unternehmer" gestellt: Welche Konsequenzen hatte die nationalsozialistische Wirtschafts- und Sozialpolitik für ihre ökonomischen und innerbetrieblichen Handlungsspielräume? Wie reagierten die Unternehmer hierauf? Erfüllte das Regime die Erwartungen der Unternehmerschaft in Baden und Württemberg? Welche Auswirkungen hatte das auf das Verhältnis mittelständischer Unternehmer zum Nationalsozialismus? Gab es etwa ökonomisch oder weltanschaulich motivierten Dissens, und welches waren gegebenenfalls seine konkreten Ursachen? Wie weit waren mittelständische Unternehmer in die Politik des NS-Regimes verstrickt? Welche Folgerungen schließlich ergaben sich nach dessen Untergang aus ihrem Verhalten während des Dritten Reichs im Hinblick auf eine wirksame Entnazifizierung der Wirtschaft, und wie vertrugen sich diese mit den Säuberungsabsichten der Militärregierungen und der von ihnen autorisierten Verwaltungen auf deutscher Seite? 19

Eine Definition »mittelständischer« Unternehmer, die auch forschungspraktischen Anforderungen genügt, muB auf die jeweilige Fragestellung und das zur Verfügung stehende Quellenmaterial abstellen. Denn statistische Abgrenzungskriterien allein - etwa Beschäftigtenz ah] ( ζ . B. 20 bis 200) oder Umsatz ( ζ . B. bis 500 000 RM/Jahr) - tragen nur unzureichend dem Umstand Rechnung, daß sich nicht selten kleinere Gewerbetreibende auf der einen und bedeutendere Fabrikanten auf der anderen Seite dem Mittelstand zugehörig fühlten - letztere vornehmlich dann, wenn es sich um lokal verwurzelte Inhaber von Familienbetrieben handelte. Im übrigen erlauben die überlieferten Unterlagen durchaus nicht in jedem Fall präzise Ausagen über Firmengröße und soziale Stellung des betreffenden Unternehmers.

Einleitung

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Zweiter Schwerpunkt der Diskussion war die Frage nach der Herkunft und den Zukunftsentwürfen der seit 1945 neu etablierten politischen Elite im deutschen Südwesten. Wagten die maßgeblichen Exponenten der neu- oder wiedergründeten Parteien einen strukturellen und politischen Neuanfang, oder zogen sie es vor, an die Traditionen der Weimarer Zeit anzuknüpfen?20 Welche Ziele verfolgten sie, und welche Handlungsspielräume gewährte ihnen die französische Besatzungsmacht? Welche Realisierungschancen hatten partei-, sozialund bildungspolitische Reformkonzepte, von welchen Vorstellungen ließ sich die Militärregierung leiten? Die epochenübergreifende Betrachtung hat sich hierbei in mehrfacher Hinsicht bewährt. Sie regte neue Fragen an - etwa zur Einordnung des »Polykratie«-Phänomens - und sie schärfte das Bewußtsein für methodische Probleme. So wurden nicht nur die Chancen, sondern auch die Risiken eines allzu verengten, einseitig auf die Erfahrungsdimension konzentrierten Ansatzes besonders augenfällig. Zweifellos ist es wichtig, jene zahlreichen Konfliktlagen und Verweigerungsformen herauszuarbeiten, die es auch unter totalitärer Herrschaft gab; zu Fehlschlüssen droht dieser Ansatz jedoch besonders dann zu verleiten, wenn er kurzerhand in die Nachkriegsjahre weiterverfolgt wird. Denn aus Perspektive der Zeitgenossen stellten sich Drittes Reich und Besatzungszeit häufig als eine kontinuierliche, von den Deutschen nur passiv erlittene Unterdrükkungsgeschichte dar. Diese - nicht nur in vielen Entnazifizierungsakten dokumentierte - Sichtweise wird aber ganz offenkundig weder der Mitverantwortung weiter Teile der deutschen Gesellschaft für die nationalsozialistischen Unrechtsmaßnahmen noch der französischen Besatzungspolitik gerecht.21 Neben besatzungspolitischen Härten, die der französischen Zone bei den Zeitgenossen den Ruf einer »Ausbeutungskolonie« (Theodor Eschenburg) eintrugen, war die französische Deutschlandpolitik nämlich zugleich auch getragen von zukunftsweisenden politischen und sozialreformerischen Neuordnungsabsichten: Das »Grunddilemma der Franzosen« war »ihre ambivalente Besatzungspolitik. Beides: Demokratisierungspolitik und 'Ausbeutungspolitik' gingen stets Hand in Hand«.22 Den Hintergrund dieser widersprüchlichen Bilanz bildeten organisatorische Defizite und der »Machtkampf innerhalb der Besatzungsinstanzen«23 - beides strukturelle Merkmale der französischen Be20

Zu dieser Problematik s. allgemein Hans Mommsen, Der lange Schatten der untergehenden Republik. Zur Kontinuität politischer Denkhaltungen von der späten Weimarer zur frühen Bundesrepublik, in: Karl Dietrich Bracher u.a. (Hrsg.), Die Weimarer Republik 1918-1933. Politik - Wirtschaft - Gesellschaft, 2. Aufl., Bonn (zugl. Düsseldorf) 1988, S. 552-586. 21 Zum Forschungsstand s. die Hinweise in den Beiträgen in Abschnitt IV. dieses Bandes. 22 Edgar Wolfrum, Französische Besatzungspolitik und deutsche Sozialdemokratie. Politische Neuansätze in der »vergessenen Zone« bis zur Bildung des SUdweststaates 1945-1952, Düsseldorf 1991, S. 334; vgl. Rainer Hudemann, Sozialpolitik im deutschen Südwesten zwischen Thidition und Neuordnung 1945 - 1953. Sozialversicherung und Kriegsopferversorgung im Rahmen französischer Besatzungspolitik, Mainz 1988, S. 541 et passim. 23 Wolfrum (Anm. 22), S. 334. Zu personeller Überbesetzung und Kompetenzgerangel im Bereich der französischen Kulturverwaltung s. zuletzt Manfred Heinemann (Hrsg.), Hochschuloffiziere und Wiederaufbau des Hochschulwesens in Westdeutschland 1945-1952, T. 3:

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satzungspolitik, die Vergleiche mit dem polykratischen Kompetenzchaos des Dritten Reichs geradezu herausfordern.

II. Zu Beginn des Abschnitts über »Die Verwaltung in Baden und Württemberg unter dem Nationalsozialismus« rückt Michael Ruck das Problem der Kontinuität administrativer Funktionseliten auf regionaler Ebene in den Blick. Am Beispiel der Allgemeinen und Inneren Verwaltung im Gebiet des heutigen Landes Baden-Württemberg untersucht er die personelle Entwicklung der höheren Beamtenschaft über die politischen Umbrüche von 1933 und 1945 hinweg. Dabei gilt sein besonderes Augenmerk den Landräten. Bevor die Frage nach tatsächlich geübter Resistenz der höheren Beamten angemessen untersucht werden kann, so Rucks Ausgangsthese, muß die »Resistenzfahigkeit« - der Grad der institutionellen und personellen Stabilität - dieses politisch besonders wichtigen Verwaltungszweiges seit dem Frühjahr 1933 geklärt werden. Sein Beitrag ist mithin als Vorstudie zur einer paradigmatischen Verhaltensanalyse der höheren Beamtenschaft im Dritten Reich angelegt. In deutlichem Gegensatz zu weiten Teilen des übrigen »Altreichs«, vor allem Preußens, wurden die Spitzenpositionen der Bezirksverwaltung Badens und Württembergs auch gegen Ende der NS-Zeit noch durchweg von Verwaltungsjuristen eingenommen, deren berufliche Sozialisation bereits vor 1933 ein fortgeschrittenes Stadium erreicht hatte. Von den Maßregelungen des sogenannten Berufsbeamtengesetzes vom April 1933 waren die Landräte in Baden, Württemberg und im Regierungsbezirk Sigmaringen nach Rucks Feststellungen völlig verschont geblieben. Die nationalsozialistischen Partei- und Regierungsspitzen in den beiden südwestdeutschen Ländern verzichteten allerdings keineswegs darauf, ihre Landrätekorps personell gründlich zu erneuern. Immerhin wurde 1933/34 auch in Südwestdeutschland ein (gutes) Drittel der Oberamtsund Bezirksamtsvorstände vorzeitig pensioniert oder versetzt. Das Personalrevirement zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft trug jedoch kaum den Charakter einer politischen Säuberungsaktion. In erster Linie handelte es sich dabei um eine Maßnahme zur Verjüngung der Bezirksverwaltung. Und bei diesem vorgezogenen Generationenwechsel kam sowohl in Stuttgart als auch in Karlsruhe ausschließlich der eigene Beamtennachwuchs zum Zuge. Die von den Nationalsozialisten so genannte »Revolution«, folgert Ruck, ist an der inneren Verwaltung Südwestdeutschlands zwar nicht spurlos vorübergegangen; anders als etwa in weiten Teilen Preußens ließ sie jedoch deren personelle Substanz einstweilen unangetastet. Die Prägekraft der südwestdeutschen Verwaltungstraditionen im allgemeinen und der Korpsgeist der höheren Beamtenschaft im besonderen wirkte auch in Die französische Zone, Bearb. Jürgen Fischer, Mitarb. Peter Hanske, Hannover 1991, bes. S. 13ff., 185.

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die Nachkriegszeit hinein. Die Mehrzahl der noch dienstfähigen höheren Beamten kehrte ab 1947/48 in die Innenverwaltung zurück und absolvierte dort nicht selten noch beachtliche Karrieren. Auf der Spitzenebene der Kreisverwaltung ist diese Kontinuität nicht so augenfällig, weil viele bisherige Landräte um 1950 ohnehin das Pensionsalter erreicht hatten. Für sie rückte jedoch nach dem Ende der Besatzungszeit eine Reihe vormaliger Regierungsräte in die Landratsämter ein. Bis in die frühen siebziger Jahre hinein verkörperte diese Gruppe zum dritten Mal im Deutschland des 20. Jahrhunderts die Beharrungskraft der administrativen Eliten auch über politische Umwälzungen hinweg. Die anschließenden Beiträge gehen der Frage nach, welcher Instrumente sich das nationalsozialistische Regime im Südwesten bediente, um den übernommenen Verwaltungsapparat auf staatlicher und kommunaler Ebene zu konformem Verhalten anzuhalten. Zunächst beleuchten Hubert Roser und Peter Spear die Aktivitäten zweier Untergliederungen der NSDAP zur »Betreuung« und Überwachung der öffentlich Bediensteten. Eingangs skizzieren sie die organisatorische und personelle Entwicklung der Gauämter für Kommunalpolitik und für Beamte, doch das eigentliche Erkenntnisinteresse der Autoren richtet sich auf die Frage, in welchem Umfang es diesen Institutionen gelang, ihre weitreichenden Ambitionen auf verwaltungspolitischem Gebiet in praktischen Einfluß umzusetzen. Damit leisten Roser und Spear zugleich einen Beitrag zum Verständnis des polykratischen Herrschaftsgefüges in der nationalsozialistischen Provinz. Bei der Personalrekrutierung, dem zentralen Feld verwaltungspolitischen Einflusses, vermochten sich die beiden Gauämter und der personell mit ihnen verflochtene Reichsbund der deutschen Beamten allen Anstrengungen zum Trotz nicht gegen die Konkurrenz auf staatlicher wie auf Parteiseite durchzusetzen. Der Reichsminister des Innern, die Ressortchefs der Länder und die Landräte einerseits, der Stellvertreter des Führers, die NSDAP-Gauleiter mit ihren Personalämtem und die Kreisleiter andererseits machten die personalpolitischen Entscheidungen unter sich aus. Bezeichnenderweise vermochten beide Abteilungen der Partei nur dort nennenswerten Einfluß auszuüben, wo es einem ihrer Repräsentanten gelang, in eine komplementäre Schlüsselstellung auf staatlicher Ebene einzurücken. Während dieser Versuch in Baden scheiterte, stieg der württembergische Gauamtsleiter für Kommunalpolitik, Georg Stümpfig, im Laufe der dreißiger Jahre zum maßgeblichen Verbindungsmann der Stuttgarter Gauleitung im Innenministerium auf - ein Beleg mehr für die überragende Bedeutung personaler Faktoren bei den Kompetenzkonflikten, in welche die rivalisierenden Institutionen des nationalsozialistischen Führerstaats unablässig verstrickt waren. Als Unterlegene im permanenten »Kampf um innenpolitischen Lebensraum«24 büßten die Gauämter für Kommunalpolitik und für Beamte 1939/40 einen Gutteil ihrer ohnehin knappen Ressourcen ein, und 24

Wolfgang Sauer, Die Mobilmachung der Gewalt, in: Karl Dietrich Bracher u.a., Die nationalsozialistische Machtergreifung. Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland 1933/34, 2. Aufl., Köln/Opladen 1960, S. 685-966, hier S. 925.

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im Zeichen des Totalen Krieges wurden die letzteren 1943 gar vollständig stillgelegt. Schon in den Jahren zuvor hatten sich ihre Aktivitäten im wesentlichen darauf beschränkt, Berichte abzufassen und ihre Klientel weltanschaulich zu ertüchtigen. Doch selbst auf diesem Feld konnten sie, wie Roser und Spear schildern, nicht nach freiem Ermessen schalten und walten: Die Staats- und Kommunalverwaltungen stellten ihr überlastetes Personal nur widerstrebend für politische Veranstaltungen und Schulungskurse frei; die meisten Adressaten zeigten daran lediglich mäßiges Interesse; und im übrigen kümmerten sich auch noch andere Institutionen, beispielsweise die Gauschulungsämter, um die politische Indoktrination der öffentlich Bediensteten. Die eigentliche Funktion der beiden Gauämter reduzierte sich mithin auf ihren Beitrag zu Entprivatisierung des Lebens im totalitären Überwachungsstaat durch die organisatorische Erfassung und Observation ihrer Zielgruppen. Diese Bespitzelung beschränkte sich zumeist auf regelmäßige Stimmungsberichte und Zuträgerdienste für Politische Beurteilungen; bisweilen jedoch lieferte sie auch einzelne Beamte den Sanktionsinstanzen des NS-Staates aus. Neben der traditionellen Dienststrafgerichtsbarkeit25 kamen dafür vor allem die Parteijustiz der NSDAP und die Sondergerichte in Frage. Nachdem die aktiven Gegner des Regimes aus den Reihen der Arbeiterbewegung weitgehend ausgeschaltet waren, konzentrierte sich die Ausnahmejustiz des NS-Staates in den dreißiger Jahren darauf, sogenannte »Heimtückedelikte« zu ahnden. Im Zuge dessen entwickelte sie sich zu einem wichtigen Disziplinierungsinstrument des Regimes gegenüber »Volksgenossen«, die sich kritisch mit einzelnen seiner Maßnahmen oder bestimmten Zuständen im Dritten Reich auseinandersetzten, ohne deshalb gleich in Fundamentalopposition zu ihm zu stehen. Für das Sondergericht Mannheim gelangen Jürgen Sickinger und Michael Ruck zu dem Ergebnis, daß Verhaltensweisen, welche die Sanktionsschwelle der politischen Strafjustiz des Dritten Reiches überschritten, unter der Beamtenschaft in Baden die krasse Ausnahme bildeten - ein Befund, der unmittelbar auf die zu Beginn dieser Einleitung formulierte Problemstellung zurückführt. Bei den Beamten handelte es sich um eine Berufsgruppe, die sowohl normativ als auch von ihrem traditionellen Selbstverständnis her in einem besonders engen Loyalitätsverhältnis zum Staat stand. Gleichwohl ist bemerkenswert, in welch geringem Maße die Staatsdiener mit den politischen Verhaltensregeln des NS-Staats in strafrechtlichen Konflikt gerieten, selbst wenn man die vergleichweise geringe Denunziationsanfälligkeit dieser Sozialgruppe in Rech25

Dazu liegen für Südwestdeutschland zwei materialreiche Studien vor; s. Christian Kilchberg, Der Badische Verwaltungsgerichtshof im Dritten Reich. Eine Quellenstudie zur Justiz- und Verwaltungsgeschichte des ehemaligen Landes Baden unter dem Nationalsozialismus, Berlin 1982, S. 129-167; Siegfried Fachet, Verwaltungsgerichtshof, Kompetenzgerichtshof und Disziplinargerichte in Württemberg unter dem Nationalsozialismus, Pfaffenweiler 1989, S. 124-128, 219-265; vgl. Wolfgang Kohl, Das Reichsverwaltungsgericht. Ein Beitrag zur Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland, Tübingen 1991, S. 425-429, 447.

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nung stellt. Ausdrücklich auch mit Blick auf die Mehrzahl der Delinquenten interpretieren Sickinger und Ruck ihren Befund zum einen als Indiz für besonders ausgeprägte Anpassungsbereitschaft und die prinzipielle Loyalität der (siidwest-)deutschen Beamtenschaft; zum anderen konstatieren sie aber auch eine oftmals erstaunliche Bereitschaft der Verfolgungsbehörden, über Verstöße gegen den Verhaltenskodex des Dritten Reichs hinwegzusehen, sofern die Betroffenen sich gebührend reumütig zeigten. Daß solche Devotionsgesten zumal bei älteren Beamten nicht unbedingt Rückschlüsse auf deren innere Einstellung erlaubten, dürfte den GestapoErmittlern, Staatsanwälten und Sonderrichtem klar gewesen sein. Ziel der Verfolgungspraxis war offenkundig nicht, die »Volksgenossen« allesamt rigoros umzuerziehen und den gesellschaftlichen Unmut vollständig zu eliminieren, sondern Exempel in generalpräventiver Absicht zu statuieren - für die Entschlossenheit des Regimes, abweichendes Verhalten drakonisch zu ahnden, ebenso wie für seine Bereitschaft, ein gewisses Maß an individuellem Dissens zu dulden. Allerdings gehörte es zu den elementaren Machttechniken des terroristischen Maßnahmenstaates, die Beherrschten im Unklaren darüber zu lassen, nach welchen Gesichtspunkten gegebenenfalls zur ihren Gunsten oder Ungunsten entschieden wurde. Das mußten auch einige der betroffenen Beamten in Baden am eigenen Leibe erfahren. In dieser Atmosphäre der Unkalkulierbarkeit gedieh ein Konformitätsdruck, der augenscheinlich stark genug war, die deutsche Bevölkerung im allgemeinen und die Staatsdienerschaft im besonderen von gravierenden Verstößen gegen die Verhaltensnormen des NS-Regimes abzuhalten - ob sie sie nun dessen Politik innerlich unterstützten oder nicht. Neben den Sondergerichten waren die Parteigerichte der NSDAP ein wichtiger Bestandteil dieses Instrumentariums der Abschreckung und Verunsicherung. In besonderem Maße galt das für die öffentlich Bediensteten, die 1933 und 1937 in Massen der Staatspartei beigetreten waren, um ihre beruflichen Positionen abzusichern.26 Gerade für sie drohten schwere Parteistrafen dienstliche Nachteile bis hin zur Entlassung nach sich zu ziehen. Anhand ausgewählter Verfahren gegen mittlere und kleinere Beamte der staatlichen Innen Verwaltung und der Kommunen in Baden und Württemberg geht Hubert Roser der Frage nach, welche Funktionen die Parteigerichtsbarkeit allgemein, vor allem aber im Rahmen der nationalsozialistischen Beamtenpolitik erfüllt hat. Ahnlich wie Sikinger und Ruck stellt auch Roser fest, daß in der Hauptsache gar nicht die Sanktionen selbst, sondern bereits ihre Androhung den beabsich26

Paul Sauer, Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus, Ulm 1975, S. 67-73, 77; Johnpeter H. Grill, The Nazi Movement in Baden, 1920-1945, Chapel Hill 1983, S. 265f.; vgl. allgemein das regional aufgeschlüsselte Zahlenmaterial in: Partei-Statistik. Stand 1935. Ohne Saargebiet, Hrsg. Reichsorganisationsleiter der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, Bd. 1: Parteimitglieder, München o. J. (»Als Manuskript gedr.«); vgl. ferner Michael H. Kater, The Nazi Party. Α Social Profile of Members and Leaders, 1919-1945, Oxford 1983, S. 91-94, 106-110; zur Entwicklung während der frühen dreißiger Jahre bis 1933 s. ebd., S. 59-61, 68f.; zur Entwicklung während des Krieges s. ebd., S. 123-26, 131f.

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tigten Effekt erzielt hätten. Unter dem Damoklesschwert der Partei- und Ausnahmejustiz genügten in der Regel die herkömmlichen Herrschaftsmittel der Dienstherren, insbesondere die gezielte Zuteilung von Karrierechancen, um dem Selbstgleichschaltungsprozeß bei denjenigen Beamten nachzuhelfen, deren Anpassungsbereitschaft zu wünschen übrig ließ. Und auch bei Angehörigen des Öffentlichen Dienstes, die tatsächlich von einem NSDAP-»Gericht« bestraft wurden, mußte dies nicht das Ende ihrer Laufbahn bedeuten. Wohl zog der Parteiausschluß in der Mehrzahl der Fälle auch den Verlust des kommunalen oder staatlichen Amtes nach sich, ein striktes Junktim jedoch macht Roser hier ebensowenig aus wie in umgekehrten Fällen einer Würdigung von gerichtlichen Verurteilungen oder disziplinarischen Maßnahmen durch die Partei. Überhaupt waren das Fehlen klarer Prozeßregeln und der Mangel an präzisen Vorschriften über die Abfolge und wechselseitigen Auswirkungen von Partei-, Disziplinar- und Strafverfahren das hervorstechende Merkmal der NSinternen Justiz. An deren Stelle traten - mit wechselnder Gewichtung - politische Opportunitätsgesichtspunkte, die Einschätzung der Persönlichkeit des Delinquenten und dessen Verhältnis zu einflußreichen Parteifunktionären. Hinter der Fassade scheinbarer Rechtsförmigkeit27 verbarg sich die institutionalisierte Willkür. Alle Versuche etwa des Reichsinnenministers, diesen pseudolegalen Wildwuchs zu bändigen, scheiterten am hinhaltenden Widerstand der Monopolpartei - die allumfassende Normenunsicherheit war eben eine elementare Voraussetzung der nationalsozialistischen Diktatur. Zu dem gleichen Ergebnis gelangen auch Christine Arbogast und Bettina Gall in ihrer Analyse der Aktivitäten des Gauinspekteurs für den Süden des NSDAP-Gaues Württemberg-Hohenzollern sowie der Kreisleitung und des Kreisgerichts in Waiblingen am mittleren Neckar. Der Gauinspekteur fungierte gleichsam als Clearingstelle für die Beilegung der Flut innerparteilicher Streitigkeiten - eine Aufgabe von Gewicht, sollte doch die NSDAP auf Befehl ihres Führers ein Musterbeispiel für die nationalsozialistische Fiktion einer konfliktfreien »Volksgemeinschaft« abgeben. Die institutionelle Anbindung dieses Sonderbeauftragten indessen blieb ebenso unklar definiert wie dessen Befugnisse und Machtmittel. So war er darauf angewiesen, durch spektakuläre Untersuchungen und praktische Beweise seiner Allzuständigkeit personale Autorität zu erwerben. Das Resulat dieser Bemühungen beurteilen die beiden Autorinnen - ebenso wie die von ihnen anschließend untersuchte Tätigkeit der Kreisgerichte - durchaus zwiespältig: Einerseits dürfte allein schon die Existenz dieses nationalsozialistischen Ombudsmannes manchen Volks- und Parteigenossen das beruhigende Gefühl vermittelt haben, nicht gänzlich schutzlos der Willkür irgendwelcher lokalen Parteiinstanzen ausgeliefert zu sein; anderer27

An deren Errichtung war im übrigen auch ein vielversprechender Nachwuchsbeamter der badischen Innenverwaltung aktiv beteiligt; s. Gerhard Müller, Die Parteigerichtsbarkeit der NSDAP. Wesen und Aufgabe. Ihr Verhältnis zur kirchlichen, militärischen und Beamtengerichtsbarkeit, jur. Diss. Heidelberg, Bottrop 1935. Der Verfasser konnte bereits auf eine bis 1932 zurückreichende, zuletzt hauptamtliche Tätigkeit als Parteirichter zurückblicken, als er 1937 in den höheren Verwaltungsdienst übernommen wurde.

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seits wurden nicht wenige Konflikte erst durch dessen Auftreten von alltäglichen Streitigkeiten in quasi-politische »Fälle« verwandelt. Lief allein schon dies der ursprünglichen Intention zuwider, so dürfte die Frustration der Beteiligten darüber, daß die meisten Konflikte durch das Eingreifen des Gauinspekteurs nicht gelöst, sondern nur vorübergehend verkleistert wurden, erst recht kontraproduktiv im Sinne der angestrebten Pazifizierung von Partei und Gesellschaft gewirkt haben. Die Wirkungsmöglichkeiten des Gauinspekteurs brachen sich vornehmlich an den NSDAP-Kreisleitern. Am Beispiel der politischen Beurteilungspraxis beleuchten Arbogast und Gall deren Schlüsselstellung im nationalsozialistischen Herrschaftsalltag. Trotz oder gerade wegen des ausufernden bürokratischen Aufwands, heben die Autorinnen in diesem Zusammenhang hervor, eröffneten sich den Statthaltern der Partei auf Kreisebene weite Handlungsspielräume, die sie mehr oder minder großzügig ausschöpfen konnten - eine Feststellung, die zu beachten ist, wenn sich der Blick auf die Entnazifizierung und den späteren Werdegang dieser regionalen Exponenten der nationalsozialistischen Machtelite richtet.

III. Die Beiträge des Abschnitts »Südwestdeutsche Wirtschaft und nationalsozialistische Wirtschaftspolitik« untersuchen vor dem Hintergrund einer regional sehr differenzierten Wirtschaftsentwicklung Handlungsspielräume und Verhalten von Unternehmern und Gewerbetreibenden seit 1933. Während Roland Peter die wirtschaftliche Entwicklung Badens stärker aus übergreifender Perspektive betrachtet, fragen die übrigen - kleinräumiger angelegten - Studien auch nach Auswirkungen, welche das veränderte Verhältnis von Staat und Wirtschaft für den einzelnen Unternehmer hatte, nach den Folgen für seinen Betrieb und für sein Verhalten gegenüber Institutionen und Funktionären des Regimes. Roland Peter weist am Beispiel des strukturell benachteiligten »Grenzlandes« Baden nach, daß von einer einheitlichen wirtschaftlichen oder sozialen Entwicklung im Reich weder in den dreißiger Jahren noch in der Kriegszeit die Rede sein konnte. Bis 1939 bei Auftragsvergaben an die Rüstungsindustrie stets unterdurchschnittlich bedacht, hatte Baden länger und stärker als andere Regionen unter den Nachwirkungen der Weltwirtschaftskrise zu leiden, und auch der »Kriegsboom« setzte im äußersten Südwesten erst mit erheblicher Verzögerung ein. Die nachteiligen sozialen Folgen der peripheren Lage veränderten im Krieg lediglich ihre Erscheinungsformen und führten unverkennbar auch zu politischer Unzufriedenheit. Führende Vertreter der NSDAP in Baden sahen sich dadurch zu einer Politik des »Gaupartikularismus« gedrängt, selbst wenn sie damit immer wieder in Gegensatz zur Berliner Zentralgewalt gerieten. So setzte sich die Gauleitung - zum Teil erfolgreich - gegen Maßnahmen im

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Rahmen der Kriegskommandowirtschaft zur Wehr, sie verhinderte auch Betriebsverlagerungen und Dienstverpflichtungen von »Gefolgschaftsmitgliedern« badischer Betriebe, um der verbreiteten Mißstimmung entgegenzuwirken. Peter macht deutlich, daß dieser Gaupartikularismus auch eine systemstabilisierende Funktion erfüllte, indem potentielle Unruheherde an der Peripherie des »Altreichs« frühzeitig befriedet wurden - nur ein Beispiel dafür, daß die Funktionsweise der nationalsozialistischen Polykratie keineswegs pauschal als »kumulative Radikalisierung« mit selbstzerstörerischer Qualität28 interpretiert werden sollte. Die Unzufriedenheit über kriegswirtschaftliche Lenkungsmaßnahmen und organisatorische Defizite beschränkte sich nicht auf das »Grenzland« Baden. Das Autorenteam um Wolfgang Burth demonstriert, wie sehr sich die regionale Wirtschaftspolitik auch im ökonomisch begünstigten Württemberg von jenen Erwartungen abhob, die man in Untemehmerkreisen vor 1933 gehegt hatte. Freilich traten hier im Laufe der Zeit je nach regionaler Gewerbestruktur ebenfalls deutliche Unterschiede zutage. Exporthemmnisse, Rohstoffkontingentierungen, Arbeitskräftelenkung, kriegsbedingte Produktionsverlagerungen und Stillegungsaktionen hatten in den untersuchten Oberämtern Reutlingen, Ravensburg, Balingen und Waiblingen von Ort zu Ort ganz unterschiedliche Folgen. Durch Einfuhrverbote ihrer Rohstoffbasis beraubt, war in Württemberg neben der Lederindustrie die - gerade im südlichen Landesteil strukturell dominierende - Textilindustrie zuerst und am schwersten von der nationalsozialistischen Autarkiepolitik betroffen. Doch auch andere Branchen, wie der Maschinenbau und sogar die Lebensmittelindustrie, begannen schon in Friedenszeiten unter der Rohstoffbewirtschaftung zu leiden. Und die gegen manche Unternehmer wegen Kontingentüberschreitungen vor dem Reichswirtschaftsgericht angestrengten Verfahren werden schwerlich dazu beigetragen haben, die latente Unzufriedenheit vieler Geschäftsleute über derartige Konsequenzen der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik zu dämpfen. Rohstoffzuteilungen, Betriebsverlagerungen oder gar Betriebsschließungen erfolgten nicht in jedem Fall nur aus übergeordneten wirtschaftspolitischen Erwägungen, bisweilen dienten sie - wie Burth u.a. zeigen - auch dazu, politisches Wohlverhalten zu erzwingen oder wirtschaftliche Konkurrenzkämpfe lokaler Kontrahenten zu beeinflussen. Dabei trat einmal mehr das polykratische Kompetenzchaos zutage: Oft mußten eigenmächtige Maßnahmen lokaler Parteifunktionäre wie des Kreiswirtschaftsberaters29 oder des Kreisleiters durch die Stuttgarter Gauleitung oder irgendwelche Berliner Stellen wieder aufgehoben 28

Hans Mommsen, Der Nationalsozialismus. Kumulative Radikalisierung und Selbstzerstörung des Regimes, in: Meyers Enzyklopädisches Lexikon, 9. Aufl., Bd. 16, Mannheim u.a. 1976, S. 785-790; vgl. ebenso Broszat, Soziale Motivation (Anm. 2), S. 598. 29 Die in dieser Hinsicht äußerst disparate Quellenlage erlaubt es bedauerlicherweise nicht, die Aktivitäten der NSDAP-Wirtschaftsberater in Baden und Württemberg umfassend zu untersuchen; vgl. aber die detaillierte Fallstudie von Gerhard Kratzsch, Der Gauwiitschaftsapparat der NSDAP. Menschenführung - »Arisierung« - Wehrwirtschaft im Gau WestfalenSüd. Eine Studie zur Herrschaftspraxis im totalitären Staat, Münster 1989.

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werden. Überbürokratisierung und der fehlgeschlagene Versuch, die Kriegswirtschaft zentral von der Reichshauptstadt aus zu lenken, verschärften diesen Wirrwar während des Krieges noch. Ähnlich wie Roland Peter das für den Gau Baden feststellt, kam es auch in den hier untersuchten württembergischen Gebieten regelmäßig zu lokalen Koalitionen zwischen Betriebsleitungen, Parteiund Verwaltungsstellen gegen angeordnete »Auskämmaktionen«, Betriebsverlagerungen oder Einquartierungen. Aus den Beiträgen von Peter und Burth u.a. ist nur gelegentlich ablesbar, wie die Unternehmer auf die zunehmende Einengung ihrer Handlungsspielräume gegenüber dem NS-Regime reagierten. Zu spärlich sind die Verhaltensweisen und Einstellungen dieser Sozialgruppe in den überlieferten Quellen dokumentiert. Petra Bräutigam, Andrea Schuster und Astrid Welck haben einen vergleichenden individualbiographischen Ansatz gewählt, um hier weiterzukommen. Am Beispiel von drei württembergischen Unternehmern fragen sie nach Formen der Anpassung an das NS-Regime und der Nonkonformität, des ökonomisch oder weltanschaulich bedingten Dissenses. Dabei stützen sie sich in der Hauptsache auf Firmenakten - eine Quellengattung, aus der sich, sofem sie überhaupt der Forschung zugänglich ist,30 nur selten handfeste Informationen zum Geschäftsgebaren und erst recht zum politisch-sozialen Verhalten der Unternehmensleitungen mittelständischer Betriebe gewinnen lassen. Die herangezogenen Akten bilden hier eine Ausnahme. Doch auch in diesen Fällen sahen sich die Autorinnen durch die Überlieferungssituation dazu gezwungen, auf den jeweiligen Quellenbestand zugeschnittene Fragestellungen zu formulieren, obwohl vergleichende Schlußfolgerungen dadurch erschwert werden. Die Unternehmer Boehringer, Stütz und Schweizer werden in unterschiedlichen Handlungsfeldern vorgestellt. Ein umfassendes Persönlichkeitsbild hat sich von keinem der drei Industriellen zeichnen lassen. Immerhin wird deutlich, daß ihre Haltung gegenüber dem Regime weniger Gemeinsamkeiten als Diskrepanzen aufweist. Die Skala reicht dabei von demonstrativer Anpassung bis hin zur Führerimitation bei Emst Stütz über die ambivalente, stark durch utilitaristische Gesichtspunkte bestimmte Haltung Rolf Boehringers bis zu der bemerkenswerten Wandlung Richard Schweizers, dessen Weg von unpolitischer Angepaßtheit über Dissens und Resistenz zum Widerstand gegen die Vernichtungsmaßnahmen des NS-Regimes führte. Schließlich machen die Autorinnen am Beispiel der Entnazifizierungsverfahren gegen Stütz, Boehringer und Schweizer einmal mehr darauf aufmerksam, wie sehr die deutschen Spruchkammern mit ihrem Auftrag überfordert waren, angesichts der komplexen Realität nationalsozialistischer Herrschaft eine angemessene Abwägung individueller Verantwortung vorzunehmen.

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Auf eine schriftliche Umfrage des Tübinger Projekts bei 50 mittelständischen Finnen in Württemberg sowie ein Inserat im Organ der Reutlinger Industrie- und Handelskammer teilte lediglich eine einzige Firma mit, über alte Unterlagen zu verfügen, die ausgewertet werden konnten.

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Um möglichem Dissens von Gewerbetreibenden und Unternehmern auf die Spur zu kommen, hat Harald Mager die Akten des Sondergerichts Mannheim ausgewertet: In welchem Maße und aus welchen Anlässen geriet diese Gruppe mit dem Regime in Konflikt, welches soziale Profil weisen die Selbständigen unter den Angeklagten auf, welche Strafen wurden gegen sie verhängt? Dabei stellt sich heraus, daß vornehmlich gegen Angehörige der unteren Mittelschicht Angeklage wegen »Äußerungsdelikten« erhoben wurde. Unternehmer hingegen, die zur gesellschaftlichen Elite zu rechnen wären, kamen praktisch nicht mit der Sondergerichtsbarkeit in Berührung - mit einer bezeichnenden Ausnahme: Im Zuge der gerichtlichen Verfolgung sogenannter Devisenvergehen gerieten auch bedeutende badische Unternehmer in die Mühlen der NS-Justiz und wurden teilweise zu drakonischen Strafen verurteilt. Auf diese drastische Weise wollte der NS-Staat seinem Verlangen Nachdruck verleihen, sämtliche privaten Auslandsvermögen und Devisenguthaben in den Dienst des »nationalen Wiederaufbaus« - sprich: der Aufrüstung - zu stellen. Darüber hinaus dienten solche Gerichtsverfahren aber auch propagandistischen Zwecken. An den begüterten »Volksverrätern« wurde exemplarisch demonstriert, was ohne Rücksicht auf ihre soziale Position all denjenigen drohte, die sich außerhalb der »Volksgemeinschaft« stellten. Nicht zuletzt handelte es sich dabei also um symbolische Inszenierungen in kompensatorischer Absicht. Doch der sozial-egalitäre Gestus war keineswegs nur eine Sache der NSPropaganda, er beeinflußte durchaus manchen lokalen Funktionär der Staatspartei in seiner Haltung gegenüber den traditionellen Eliten, und vor allem diente er als Legitimationsbasis für die Expansionsbestrebungen der Deutschen Arbeitsfront innerhalb und außerhalb der Betriebe.31 Zwar hatte das NS-Regime 1933/34 mit der gewaltsamen Ausschaltung der Gewerkschaften und dem Arbeitsordnungsgesetz die soziale Position der Wirtschaftseliten als Ganzes befestigt;32 den einzelnen Unternehmer bewahrte dies allerdings nicht vor scharfen Konflikten mit Funktionsträgem des Regimes33. 31

Vgl. Gunther Mai, »Warum steht der deutsche Arbeiter 7,u Adolf Hitler?« Zur Rolle der Deutschen Arbeitsfront im Herrschaftssystem des Dritten Reiches, in: GG 12 (1986), S. 212-234; Tilla Siegel, Leistung und Lohn in der nationalsozialistischen »Ordnung der Arbeit«, Opladen 1989, S. 62-124; Heuel (Anm. 13); Matthias Frese, Betriebspolitik im »Dritten Reich«. Deutsche Arbeitsfront, Unternehmer und Staatsbürokratie in der westdeutschen Großindustrie 1933-1939, Paderborn 1991. 32 Klaus Schönhoven, Die deutschen Gewerkschaften, Frankfurt 1987, S. 179-190; Heinrich August Winkler, Der Weg in die Katastrophe. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1930-1933, 2. Aufl., Bonn 1990, S. 887-949; Michael Ruck, Gewerkschaften - Staat - Unternehmer. Die Gewerkschaften im sozialen und politischen Kräftefeld 1914 bis 1933, Köln 1990, S. 116-129; Timothy W. Mason, Arbeiterklasse und Volksgemeinschaft. Dokumente und Materialien zur deutschen Arbeiterpolitik 1936-1939, Opladen 1975; ders., Sozialpolitik im Dritten Reich. Arbeiterklasse und Volksgemeinschaft, 2. Aufl., Opladen 1978. Für Württemberg s. Gunther Mai, Die Geislinger Metallarbeiterbewegung zwischen Klassenkampf und Volksgemeinschaft 1931-1933/34. Mit einem Nachwort: Der Neubeginn 1945, Düsseldorf 1984. 33 Zu Auseinandersetzungen der Bosch-Betriebsleitung in Stuttgart mit Funktionären der DAF s. Thomas Schnabel, Württemberg zwischen Weimar und Bonn 1928 bis 1945/46, Stuttgart 1986, S. 254f.; für weitere Beispiele s. Fritz Blaich, Die bayerische Industrie 1933-1939.

Hinleitung

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Gabriele Bluhm untersucht anhand der Berichterstattung der NS-Zeitschrift »Flammenzeichen« Fälle öffentlicher Denunziationen von Unternehmern und Geschäftsleuten. Politisch mißliebige Arbeitgeber wurden hier ebenso angeprangert wie »Betriebsführer«, die der »Betriebsgemeinschaft« zuwenig demonstrativen Tribut zollten oder deren betriebliche Sozialleistungen und Spenden nach dem Dafürhalten der Autoren zu knapp bemessen waren. Mit Vorliebe wurden vermeintliche »Fehltritte« einzelner »Geschäftemacher« von dem Organ der württembergischen NSDAP-Kreisleitungen dazu benutzt, in vorbeugender Absicht erzieherisch auf deren Standesgenossen einzuwirken. Zugleich dienten die publizistischen Attacken gegen »Wucherer« oder »Leuteschinder« auch dazu, Unzufriedenheit über wirtschaftliche und soziale Mißstände zu kanalisieren. Und schließlich sollten sie unverkennbar den Anspruch des Regimes untermauern, einen national geläuterten »Sozialismus« verwirklicht zu haben. Welche Wirkung diese Art der öffentlichen Denunziation für die Betroffenen hatte, läßt sich schwer abschätzen. Doch Bluhm geht es nicht nur um die Einzelfälle, sondern auch um ihre Funktion für das Regime. Sie interpretiert die dokumentierten Angriffe gegen Angehörige der traditionellen Eliten in erster Linie als Bemühen, dem nationalsozialistischen Leitbild der »Volksgemeinschaft« propagandistisch Geltung zu verschaffen und den umfassenden Herrschaftsanspruch des NS-Regimes auch gegenüber besitzbürgerlichen Eliten auf lokaler und regionaler Ebene durchzusetzen.

IV. Das Problem der personellen Kontinuität der Eliten in Verwaltung, Wirtschaft und Universitäten über die politische Zäsur des Jahres 1945 hinweg bildet ein Leitmotiv des abschließenden Abschnitts über »Entnazifizierung und demokratischen Neubeginn in der französischen Besatzungszone«. Reinhard Grohnert berichtet in seiner Studie zu Südbaden über den gescheiterten Versuch einer von der französischen Besatzungsmacht angeordneten Entnazifizierung mittels »auto-6puration«. Nachdem die Verwaltungsspitzen von Gemeinden und Landkreisen in den ersten Wochen nach der alliierten Besetzung vielerorts konsequent von belasteten Bürgermeistern und Beamten gereinigt worden waren, kam der »Säuberungs«-Elan bald zum Erliegen. Dafür war Grohnert zufolge nicht das Entnazifizierungskonzept des französischen Generalverwalters Emile Laffon verantwortlich, welches für die Säuberung der Wirtschaft ebenso wie für den personellen Neuaufbau der Verwaltung eine Beteiligung deutscher Säuberungskommissionen vorsah; erst die unzulängliche Durchführung der auto-epuration besiegelte nach Grohnerts Auffassung ihr Scheitern. Mangelnde organisatorische Fähigkeiten der Delegation Superieure unter Pierre Elemente von Gleichschaltung, Konformismus und Selbstbehauptung, in: Bayern in der NSZeit (Anm. 12), Bd. 2: Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt, Teil A, München/Wien 1979, S. 237-280, hier S. 240ff.

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Pfcne in Freiburg seien dabei ebenso im Spiel gewesen, wie die unrealistischen Vorstellungen der Militärregierung über den Zeitrahmen der Säuberung. Je länger desto krasser geriet die auto-epuration zur undifferenzierten Massenabfertigung - eine Farce, die sowohl bei der deutschen Bevölkerung als auch bei den unteren Instanzen der Militärregierung wachsenden Unwillen hervorrief. Die Folge waren bemerkenswerte Koalitionen zwischen deutschen und französischen Behörden. In dem gemeinsamen Bestreben, vor allem anderen die Funktionsfähigkeit der Verwaltung sicherzustellen, ignorierten sie nicht selten in unausgesprochenem Einverständnis rechtskräftig gewordene Entlassungsbescheide. So war denn die Entnazifizierung für die meisten Verantwortlichen in der Verwaltung und Wirtschaft Südbadens bereits ausgestanden, als 1947 die allgemeine Rehabilitierungswelle mit der Errichtung von Spruchkammern nach amerikanischem Vorbild auch in die französische Zone schwappte. Die Chancen der auto-ipuration, so Grohnerts Fazit, waren schon vorher verschenkt worden. Skeptischer beurteilt demgegenüber Cornelia Rauh-Kühne die grundsätzlichen Realisierungsmöglichkeiten einer »gerechten« Entnazifizierung durch französische Militärregierung und deutsche Säuberungsinstitutionen. Zwar habe es den beteiligten deutschen Instanzen in Württemberg-Hohenzollern nicht an Entschlossenheit gefehlt, mit einer durchgreifenden Säuberung der Wirtschaft mittels auto-epuration die sozialen Vorausetzungen für einen demokratischen Neubeginn schaffen zu helfen. Und in der Tat sei offenkundig auch die Delegation Superieure in Tübingen nicht in der Lage gewesen, organisatorisch den Erfordernissen einer Wirtschaftssäuberung Rechnung zu tragen, die den »Gerechtigkeits«-Vorstellungen der deutschen Säuberungsinstitutionen entsprochen hätte. Dafür indessen gab es Rauh-Kühne zufolge eine ganze Reihe von Gründen. Wohl vermieden die von Laffon für Württemberg-Hohenzollern wie für Südbaden herausgegebenen Säuberungsrichtlinien den Schematismus des Befreiungsgesetzes der amerikanischen Zone, sie basierten freilich ebenso auf der Vorstellung, daß sich die individuelle Verantwortlichkeit der Deutschen für die Verbrechen des NS-Regimes nach ihrem politischen Engagement in der NSDAP und ihren Untergliederungen bemessen ließe. Gleichzeitig jedoch plädierte Laffon - wie im übrigen auch die Tübinger Militärregierung - dafür, vor allem die deutschen Wirtschaftseliten zur Verantwortung zu ziehen, weil sie nach seiner Überzeugung die eigentlichen Wegbereiter und Stützen des Nationalsozialismus gestellt hatten. Beides aber war nicht miteinander vereinbar. Die Annahme der französischen Besatzungsbehörden, ihre Säuberungsrichtlinien seien geeignet, die südwestdeutsche Wirtschaftselite politisch zu »säubern«, beruhte mithin auf einer gravierenden Fehleinschätzung der sozialen Wirklichkeit des Nationalsozialismus. Rauh-Kühne demonstriert dies am Belastungsprofil und am Entnazifizierungsschicksal der Unternehmer des Kreises Reutlingen in Württemberg-Hohenzollem. Die Vertreter der von ihr untersuchten lokalen Wirtschaftselite hatten keineswegs exponierte Stellungen in der NSDAP und ihren Nebenorganisationen innegehabt. Sofem Gewerbetrei-

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bende des Kreises Reutlingen als NS-Funktionäre tätig gewesen waren, handelte es sich ausnahmslos um kleinere Geschäftsleute. Diese Gruppe sah sich denn auch in erster Linie von den Sanktionen der Entnazifizierung betroffen - ein Umstand, der auf das Kardinalproblem der Wirtschaftssäuberung in den drei westlichen Besatzungszonen verweist: Für die maßgeblichen Kräfte auf alliierter und auf deutscher Seite kam eine strukturelle Säuberung, wie sie in der Sowjetischen Besatzungszone rigoros vorgenommen wurde, aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in Betracht. So blieb die wirtschaftliche Funktionselite im eigentlichen Sinne von der »Entnazifizierung« nahezu unberührt, weil ihren Angehörigen anhand der rein formalen Beurteilungskriterien nur in den seltensten Fällen eine individuelle »Schuld« an Maßnahmen des nationalsozialistischen Unrechtsregimes nachgewiesen werden konnte. Die französische Entnazifizierungspolitik krankte mithin ebenso an grundlegenden Fehlperzeptionen wie an dem Mangel an längerfristigen programmatischen Vorbereitungen. Letzteres gilt gleichermaßen für die Hochschulpolitik. Stefan Zauner schildert, wie die Universitätssenate in Freiburg und Tübingen sich diese Schwäche entschlossen zunutze machten. Noch bevor die Militärregierung überhaupt zu dem Problem Stellung genommen hatte, waren die Grundstrukturen der universitären Selbstverwaltung bereits wiederhergestellt. Und im Oktober 1945 gingen die beiden Universitäten im Südwesten zur akademischen Tagesordnung über, während es der französischen Seite nach wie vor an klaren Konzeptionen für ihre künftige Entwicklung und Verfassung mangelte - ein weiteres Beispiel für die ausgeprägte Beharrungskraft der deutschen Funktionseliten. Dieser Befund bildet im übrigen einen bemerkenswerten Kontrast zu dem desolaten Bild, das man sich bei der Direction de 1'Education Publique vom Zustand jener Stätten machte, denen für die demokratische Umerziehung der künftigen deutschen Elite in Verwaltung und freien Berufen eine zentrale Rolle zugedacht war. Konzilianz und Ausdauer lautete nach wie vor die Devise der französischen Hochschulpolitik - auch in den heiklen Fragen der Umerziehung und der personellen Säuberung. Hierfür ernteten die französischen Bildungspolitiker herbe Kritik sowohl innerhalb der Militärregierung wie in der deutschen Öffentlichkeit, ohne sich dadurch von ihrer langfristig angelegten Reformstrategie gegenüber den alten Universitäten in der Substanz abbringen zu lassen. Die Gründung der Universität Mainz im Frühjahr 1946 war ein wichtiger Teil dieser Reformstrategie. Die neue Hochschule wurde von den Besatzungsbehörden in enger Anlehnung an das französische Hochschulsystem und damit als Konkurrenz zu den südwestdeutschen Traditionsuniversitäten konzipiert. Hier sollten Lehrkräfte, die weder durch ihre inneruniversitäre Sozialisation noch durch Mitgliedschaft in NS-Organisationen belastet waren, eine neue, demokratisch-westeuropäisch orientierte Elite heranbilden. Doch diese Ambitionen blieben weitgehend unerfüllt, wie Zauner am Beispiel der Berufungspolitik und der Lehrinhalte demonstriert. Die Chancen, aus dem Reservoir der »Gegenelite« emigrierter Wissenschaftler zu schöpfen, blieben nahezu ungenutzt, und institutionell wie inhaltlich entwickelte sich Mainz ebenfalls rasch zu einer

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ganz normalen deutschen Universität. Das Moment der Kontinuität über die politische Epochengrenze von 1945 hinweg besaß auch hier übermächtige Kraft. Weder der von französischer Seite forcierte Aufbau des Mainzer Instituts für Europäische Geschichte noch die Gründung der Verwaltungshochschule Speyer vermochten daran Wesentliches zu ändern. Und auch den Versuchen der (Um-)Erziehungsstrategen in Baden-Baden, über eine Reform des Hochschulzugangs nach französischem Vorbild jenen Schichten des deutschen Bürgertums das faktische Bildungsmonopol zu entreißen, die sich ihrer Überzeugung nach als wichtige Stützen des Nationalsozialismus kompromittiert hatten, blieb der Erfolg versagt. Zauners Fazit weist über den engeren Gegenstand seiner Betrachtungen hinaus: Die historische Analyse der Demokratisierung des deutschen Bildungswesens im 20. Jahrhundert greift zu kurz, wenn sie sich auf die Besatzungsperiode konzentriert. Auch in diesem Fall hat sich das Augenmerk stattdessen auf jene Wirkungen zu richten, welche die Eingriffe der Besatzungsmächte (wie zuvor der Nationalsozialisten) im Rahmen langfristiger Wandlungsprozesse gespielt haben. Und dabei darf nicht außer acht gelassen werden, daß die französischen Intentionen weder revolutionär noch radikalreformerisch, sondern auf eine maßvolle Modernisierung der verkrusteten Strukturen der deutschen Bildungssystems angelegt waren. Zwar gilt Zauners Erkenntnisinteresse in der Hauptsache dem Handeln der französischen Besatzungsbehörden, doch verweist er auch auf den hinhaltenden Widerstand, mit dem konservativ-klerikale Kräfte im deutschen SUdwesten deren Reformmaßnahmen erfolgreich zu konterkarieren wußten. Offenbar fehlte es nicht nur den bisherigen und zukünftigen Funktionseliten, sondern ebenfalls den neuen politischen Eliten auf regionaler und kommunaler Ebene am Willen oder der Kraft, die während des Niedergangs der Weimarer Republik und der NS-Zeit gesammelten Erfahrungen in durchgreifende Strukturreformen umzumünzen. Dabei waren, dies hat die neuere Forschung nachdrücklich herausgearbeitet, die Spielräume für derartige Initiativen weit größer, als im Anschluß an zeitgenössische Legitimationslegenden lange Zeit angenommen wurde. Ob und wie diese Handlungsräume genutzt wurden, hing in erster Linie davon ab, welche organisatorischen, personellen und programmatischen Schwerpunkte beim Neuaufbau des bürgerlich-christlichen Parteienlagers gesetzt wurden;34 stand doch dessen künftige Dominanz im ländlich-kleinstädtisch, überwiegend katholisch geprägten Südbaden - wie auch in Württemberg-Hohenzollern - von vornherein außer Frage. Dieser Reorganisationsprozeß ging, so legt Peter Fäßler dar, von drei Zentren aus. Dabei standen Neustadt/Schwarzwald, Freiburg und Konstanz für durchaus unterschiedliche Konzepte: katho34

Vgl. zu der - hier nicht behandelten - politischen Reorganisation der bürgerlich-liberalen Kräfte in Südwestdeutschland die Beiträge von Dietrich Berger und Uwe Dietrich Adam in Paul Rothmund/Erhard R. Wiehn (Hrsg.), Die F.D.P./DVP in Baden-Württemberg und ihre Geschichte. Liberalismus als politische Gestaltungskraft im deutschen Südwesten, Stuttgart 1979, S. 181-200, 220-253; ferner Klaus-Jürgen Matz, Reinhold Maier (1889 - 1971). Eine politische Biographie, Düsseldorf 1989.

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lische Milieupartei versus interkonfessionelle Sammlungsbewegung, christlich-soziale versus christlich-demokratische Orientierung, badische Heimatpartei versus gesamtdeutsches Bekenntnis, Honoratiorenpartei versus professionalisierte Mitgliederpartei - das waren die zentralen Konfliktpunkte während der Formationsphase der BCSV/CDU im äußersten Südwesten. Bemerkenswert ist die Entschiedenheit, mit der Erzbischof Gröber für das Prinzip der Interkonfessionalität eintrat, obgleich die Bevölkerungsstruktur im Südwesten auch einem wiederbelebten Zentrum gute Chancen verhieß.35 Zum einen kam darin das alle verbindende Bestreben zum Ausdruck, eine bürgerlich-christliche Abwehrfront gegen den vermeintlich drohenden Bolschewismus zu errichten; und zum anderen stand dahinter wohl auch die Erkenntnis des deutschen Klerus insgesamt, daß der gesellschaftliche und politische Einfluß der katholischen Kirche aus der restaurierten Zitadelle des Weimarer »Zentrumsturms« auf längere Sicht nicht mehr wirkungsvoll genug geltend gemacht werden könne. So war es auch in Südbaden nicht zuletzt die katholische Kirche, welche von durchaus konservativen Zielsetzungen geleitet - einer Modernisierung des (west-)deutschen Parteiensystems den Weg bereiten half. Und auch in Sachen Parteiorganisation setzten sich allmählich die Protagonisten einer vorsichtigen Professionalisierung durch. Personell und inhaltlich hingegen kam der Erneuerungsprozeß kaum voran. Nahezu alle führenden Positionen der BCSV/CDU wurden in den ersten Jahren von Persönlichkeiten eingenommen, deren politische Sozialisation bereits zu Weimarer Zeiten erfolgt war. Dagegen kamen weder diejenigen an, die - wie etwa die Mitglieder des »Freiburger Kreises« während des Dritten Reichs deutliche Distanz zum Nationalsozialismus gewahrt hatten, noch vermochten sich die Jungen mit ihrer Fundamentalkritik an den früheren Parteien und der Forderung nach einer dezidiert christlichen, sozial ausgerichteten Weltanschauungspartei mit effizienten Organisationsstrukturen durchzusetzen. Die patemalistische Art und Weise, mit der diese Mitspracheansprüche beiseite geschoben wurden, hat die vielbeklagte Apathie und das politische Desinteresse der meisten Jugendlichen wohl ebenso verstärkt wie die nicht geführte Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich. An deren Stelle trat die Beschwörung föderaler Werte. Von Staatspräsident Leo Wohleb zur Stabilisierung seiner prekären innerparteilichen Stellung populistisch forciert, erfüllte diese Kampagne unübersehbar auch exkulpatorische Funktionen. Wurde doch, wie Fäßler deutlich macht, die nationalsozialistische »Machtergreifung« kurzerhand zu einem Überfall des preußischen Zentralismus umstilisiert, den der liberal-demokratische Südwesten wehrlos durchlitten habe. Zu Diskussionen über die Rolle von Bürgertum und Kirchen beim Aufstieg und während der Herrschaft des Nationalsozialismus gab es aus dieser Perspektive in Baden keinen Anlaß. 35

Vgl. dazu auch Paul-Ludwig Weinacht, BCSV und CDU in Baden, in: ders. (Hrsg.), Die CDU in Baden-Württemberg und ihre Geschichte, Stuttgart 1978, S. 83-112, hier S. 88-91; Wolfgang Hug, Erzbischof Gröber. Christliche Politik in den ersten Nachkriegsjahren, in: Paul-Ludwig Weinacht (Hrsg.), Gelb-rot-gelbe Regierungsjahre. Badische Politik nach 1945. Gedenkschrift zum 100. Geburtstag Leo Wohlebs (1888-1955), Sigmaringendorf 1988, S. 235-250.

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Der südwestdeutsche Föderalismus der ersten Nachkriegszeit war, wiewohl von der französischen Besatzungsmacht nachdrücklich gefördert, ein autochthones Phänomen. Unterstrichen wird diese Feststellung Fäßlers durch die Darlegungen Edgar Wolfrums zur Frühgeschichte der südbadischen Sozialdemokratie. Allerdings werden hier andere Wurzeln freigelegt. Denn im Gegensatz zur Mehrheit der bürgerlichen Konkurrenz bemühte man sich auf der demokratischen Linken ausdrücklich, konsequente Lehren aus dem Dritten Reich und vor allem aus dem Scheitern der Weimarer Republik zu ziehen. Was die Arbeiterbewegung anbelangte, gehörten dazu aus Sicht der Südbadener zuallererst die grundsätzliche Abkehr vom gouvernemental ausgerichteten Reformismus Weimarer Provenienz und die Überwindung der unheilvollen Spaltung in Sozialdemokraten und Kommunisten. Für beides stand der neue Name »Sozialistische Partei«. Es wäre wohl überzogen, bei der Suche nach den Motiven für den eigenwilligen Kurs der oberrheinischen Sozialdemokraten die Kompensation eines tiefverwurzelten Inferioritätskomplexes in den Vordergrund zu stellen; unverkennbar ist jedoch das Bestreben, sich von der jahrzehntelangen Dominanz der reformistischen Genossen in Nordbaden freizumachen. Jedenfalls setzte man sich mit diesem Kurs zwischen alle Stühle: der provisorische Parteivorstand um Kurt Schumacher erblickte darin nichts anderes als ein Störmanöver der französischen Besatzungsmacht, das den Hannoveranern ihren Kampf gegen die Einheitsfrontmachenschaften der KPD/SED erschwerte; die eigene Basis reagierte verunsichert, und das Wahlvolk quittierte die Extratour mit einer deftigen Abfuhr; die Adressaten in der KPD schließlich wichen keinen Deut von jenen Direktiven aus Moskau und Ost-Berlin ab, die ihnen die Gründung einer kommunistisch beherrschten SED aufgaben. Mit der Ablösung des alten Vorstands und der Rückkehr zum angestammten Namen wurde das Scheitern des Versuchs, sich als linkssozialistische Klassenpartei zu profilieren, Ende 1946 auch öffentlich eingestanden. Die Sozialdemokraten in (Süd-)Württemberg-Hohenzollem, ebenfalls ein strukturelles Diasporagebiet der Arbeiterbewegung, schlugen den entgegengesetzten Weg ein. Unter Führung Carlo Schmids griffen sie bewußt auf verschüttete Ansätze aus der Frühzeit der Weimarer Republik zurück, die SPD in Richtung reformorientierte Volkspartei zu öffnen, um eine entscheidende Voraussetzung für die angestrebte Regierungsfähigkeit zu schaffen: den Ausbruch aus dem Ghetto des sozialdemokratischen Facharbeitermilieus durch programmatische und praktisch-politische Offerten an die gesellschaftlichen Mittelschichten der Angestellten. Ihre reservierte Haltung gegenüber den sozialpolitischen Reformprojekten der frühen französischen Besatzungszeit, die Wolfrum am Beispiel der einheitlichen Krankenversicherung diskutiert, war ebenso Teil dieser Strategie wie die Notstandskoalition mit der CDU. Diese Kooperationsbereitschaft ging allerdings nicht so weit, daß man deren Konsequenz aus dem Niedergang des ersten demokratischen Versuchs auf deutschen Boden mitgetragen hätte: Als die Christdemokraten im Alleingang eine autoritäre Präsidialverfassung durchsetzen wollten, machte Fritz Erlers harsches Diktum vom

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»schwarzen Faschismus« die Runde, und in diesem Falle hatten die französischen Militärbehörden die volle Sympathie auch der Sozialdemokraten Süd Württembergs, als sie ihre Demokratisierungsvorstellungen mit einem Machtwort zur Geltung brachte.36 Kurzfristig, so Wolfrums Fazit, war der Tübinger SPD-Strategie zwar kaum mehr Erfolg beschieden als dem südbadener Experiment; auf längere Sicht hingegen wurde damit ein beachtlicher Beitrag zur Neuorientierung von Godesberg und damit zur weiteren Modernisierung des bundesdeutschen Parteiensystems geleistet37. Das rasche Ende des »Sonderwegs« der südbadischen Sozialisten war im übrigen keineswegs nur eine Folge der Interventionen aus Hannover und der intransigenten Haltung der Kommunisten. Darin spiegelte sich auch eine gewisse Normalisierung der politischen Verhältnisse wider. Denn die Phase der regional extrem fragmentierten »Zusammenbruchsgesellschaft« im Zeichen gestörter Verkehrs- und Kommunikationsverbindungen innerhalb des besetzten Deutschlands ging bald vorüber. Im übrigen darf nicht der Einfluß außer acht gelassen werden, den das - vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs - zusehends antikommunistisch akzentuierte Bündnis von sozialdemokratischer und christdemokratischer Arbeitnehmerschaft unter dem Dach der Einheitsgewerkschaften auf die innerparteiliche Entwicklung der südbadischen wie der südwUrttembergischen SPD ausgeübt hat. Dadurch gerieten alle diejenigen ins Hintertreffen, die programmatisch wie praktisch durchgreifende Konsequenzen aus dem Scheitern der einerseits reformistisch-etatistischen, andererseits milieufixierten und verbalmarxistischen Politik der Weimarer Sozialdemokratie zu ziehen gedachten - sei es nun im Sinne eines dezidiert sozialistischen Einheitsfrontkurses, sei es mit dem Ziel einer reformorientierten »Volkspartei«.38 Zu den strukturellen Barrieren für einen nachhaltigen Wechsel der politischen Leitbilder und der politischen Praxis im Sinne eines substantiellen Neuanfangs 34

Vgl. zu dieser Kontroverse Uwe Dietrich Adam, Die CDU in Wüittemberg-Hohenzollem, in: Weinacht, CDU (Anm. 35), S. 163-191, hier S. 176-181. 37 Vgl. neuerdings Peter Lösche/Franz Walter, Die SPD. Klassenpartei - Volkspaitei - Quotenpartei. Zur Entwicklung der Sozialdemokratie von Weimar bis zur deutschen Vereinigung, Darmstadt 1992. 38 Zu diesem wichtigen Aspekt, der in dem vorliegenden Band nicht behandelt werden konnte, s. Margit Unser, Der badische Gewerkschaftsbund. Zur Geschichte des Wiederaufbaus der Gewerkschaftsbewegung im französisch besetzten Südbaden, Marburg 1989; Heiko Haumann, »Der Fall Faulhaber«. Gewerkschaften und Kommunisten - ein Beispiel aus Südbaden 1949-1952, Marburg 1987; Wolfgang Hecker, Der Gewerkschaftsbund Süd-Württemberg-Hohenzollern. Zur Gewerkschaftsbewegung in der französischen Besatzungszone 1945-1949, Marburg 1988; vgl. Alain Lattard, Gewerkschaften und Arbeitgeber in Rheinland-Pfalz unter französischer Besatzung 1945-1949, Mainz 1988; Michael Seidl, Wiederentstehung und Entwicklung der Gewerkschaften in Mannheim und Ludwigshafen 1945-1949, Neustadl/Weinstr. 1990; vgl. femer (für den amerikanisch besetzten Teil Südwestdeutschlands) Christfried Seifert, Entstehung und Entwicklung des Gewerkschaftsbundes Württemberg-Baden bis zur Gründung des DGB 1945 bis 1949, Marburg 1980. Zur französischen Zone insgesamt s. auch Siegfried Mielke (Bearb.), Organisatorischer Aufbau der Gewerkschaften 1945-1949. (Quellen zur Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung im 20. Jahrhundert, Bd. 6), Mitarb. Peter Rütters u.a., Köln 1987, S. 56-59, 661-798.

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zählte aber nicht zuletzt auch die enge personelle Verschränkung von traditionellen Funktionseliten und der neuen politischen Führungsschicht. Auf Seiten der Wirtschaft war das persönliche Engagement im politisch-parlamentarischen Raum traditionell weniger stark ausgeprägt; Unternehmer wie Friedrich Haux aus Ebingen, Gottfried Leonhard aus Pforzheim oder Richard Freudenberg aus dem nordbadischen Weinheim stellten in dieser Hinsicht auch weiterhin eine Ausnahme dar39 - was im übrigen nur wenig über den informellen Einfluß lokaler und regionaler Wirtschaftseliten auf die Gründung und die Politik der christdemokratischen und liberalen Parteien aussagt. Für den Bereich der Verwaltung führt Michael Ruck demgegenüber einige höhere Beamte an, die seit 1933 mehr oder minder scharfen Sanktionen ausgesetzt gewesen waren und nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes nicht nur auf administrativer, sondern auch auf (partei-)politischer Ebene Schlüsselpositionen einnahmen. Mit dem Landtagsabgeordneten und kurzzeitigen Freiburger Justizminister Marcel Nordmann etwa hatte zwar auch die SPD solche Persönlichkeiten aufzubieten; nachhaltigeren Einfluß allerdings gewannen Christdemokraten wie der südbadische »Verfassungsvater« und Innenminister Alfred Schühly (BCSV), der Freiburger Oberbürgermeister und zeitweilige Vorsitzende der BCSV-Landtagsfraktion Wolfgang Hoffmann oder sein Heidelberger Amtskollege Ernst Walz. Ihr Dissens gegenüber dem Nationalsozialismus hatte seine Ursache vornehmlich in dessen Frontstellung gegen tradierte Strukturen im allgemeinen und gegen die autonome Stellung der katholischen Kirche im besonderen gehabt - nur ein Beipiel für »ungeplante Resistenz gegen die sozialen Begleiter der totalen Machtergreifung«.40 Und aus der gleichen Haltung heraus stellten sie sich nun tiefgreifenden Strukturreformen in Wirtschaft, Verwaltung oder Bildungswesen entgegen, wie sie zumindest bis Anfang 1947 nicht nur von linken Sozialdemokraten und Gewerkschaftern, sondern auch von den französischen Besatzungsbehörden favorisiert wurden. Ihre eigentliche retardierende Kraft gewannen die administrativen wie die ökonomischen Eliten im regionalen und lokalen Rahmen jedoch aus jenem parteiübergreifenden Wiederaufbaukonsens, in dessen Mittelpunkt eben nicht die konstruktive »Bewältigung« der NS-Vergangenheit, sondern die Überwindung der wirtschaftlichen und sozialen Alltagsprobleme stand.41 Schon das un39

Haux war 1947-1952 DVP-Abgeordneter im Landtag von Württemberg-Hohenzollern. Leonhard (CDU) war 1946-1950 Mitglied des Landtages von Württemberg-Baden; 1949-1965 gehörte er dem Bundestag an. Und Freudenberg hatte 1919-1925 für die DDP im badischen Landtag gesessen; dem Bundestag gehörte er 1949-1952 als Mitglied der FDP, 1952/53 als Fraktionsloser an. 40 Dahrendorf (Anm. 17), S. 441f. Weitere Beispiele, vorwiegend aus dem ländlichen und kirchlichen Milieu, schildert Jill Stephenson, Widerstand gegen soziale Modernisierung am Beispiel Württembergs 1939-1945, in: Prinz/Zitelmann (Anm. 17), S. 93-116. 41 Vgl. dazu Eckhard Jesse, »Vergangenheitsbewältigung« in der Bundesrepublik Deutschland, in: Der Staat 26 (1987), S. 539-565; Peter Graf Kielmansegg, Lange Schauen. Vom Umgang der Deutschen mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, Berlin 1989; Klaus Schönhoven, Die diskreditierten Deutschen: Reden und Schweigen über den Nationalsozialismus im Nachkriegsdeutschland, in: Mitteilungen der Gesellschaft der Freunde der Universität Mann-

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tergegangene Regime hatte ihrer Mitarbeit nicht entraten mögen, und der zügige Neuaufbau schien selbst engagierten Vertretern der Arbeiterbewegung ohne den Sachverstand von Unternehmern und qualifizierten Verwaltungsleuten undenkbar. Unter deren Hand gewann auch im deutschen Südwesten die Rekonstruktion zusehends konservative Züge - eine wenn schon nicht zwangsläufige, so doch folgerichtige Entwicklung, an die sich nur einmal mehr die Frage nach der informellen Herrschaft der Fachleute in komplexen Industriegesellschaften wie nach den tatsächlichen Einflußmöglichkeiten politischer Eliten auf die säkularen Prozesse des sozialen Strukturwandels knüpft.

heim 39 (1990), Η. 1, S. 13-20; Peter Dudek, »Vergangenheitsbewältigung«. Zur Problematik eines umstrittenen Begriffs, in: APUZ, Β 1-2/92, 3.1.1992, S. 44-53.

I. Die Verwaltung in Baden und Württemberg unter dem Nationalsozialismus Michael Ruck

Administrative Eliten in Demokratie und Diktatur. Beamtenkarrieren in Baden und Württemberg von den zwanziger Jahren bis in die Nachkriegszeit I.

Über Jahrzehnte hinweg hat sich die Zeitgeschichte vornehmlich mit der extranormativen Seite des nationalsozialistischen »Doppelstaats« beschäftigt. Dafür gab es gute Gründe. Doch mittlerweile erscheint es geboten, das Erkenntnisinteresse wieder verstärkt auf Struktur und Funktion jenes »Normenstaats« zu richten, den Fraenkel schon frühzeitig als Komplement des terroristischen »Maßnahmenstaats« der NS-Zeit beschrieben hat.1 Die neuen Machthaber haben während der »Machtergreifungs«-phase 1933/34 und in den Jahren danach zwar auf politischer Ebene jede Konkurrenz wirkungsvoll ausgeschaltet, ansonsten hingegen zielte ihre Strategie darauf ab, die traditionellen Eliten nicht mit einem revolutionären Schlag zu eliminieren, sondern sie für die rasche Durchsetzung der eigenen innen- und außenpolitischen Zielsetzungen zu instrumentalisieren.2 Wenn auch die Planung und Ausführung der NS-Unrechtsmaßnahmen mehr und mehr in neuerrichtete Institutionen verlagert wurde 1

Emst Fraenkel, Der Doppelstaat. Recht und Justiz im »Dritten Reich«, Frankfurt 1984 (zuerst engl. New York 1941; dt. Frankfurt 1974); vgl. Michael Ruck, »Führerabsolutismus und polykratisches Herrschaftsgefüge - Verfassungsstnikturen des NS-Staates«, in: Karl Dietrich Bracher u.a. (Hrsg.), Deutschland 1933-1945. Neue Studien zum NS-Herrschaftssystem, Bonn 1992. 2 Einen instruktiven Überblick (mit vielen Hinweisen auf die einschlägige Literatur) gibt Jost Dülffer, Nationalsozialismus und traditionelle Machteliten. (Nationalsozialismus im Unterricht, Studieneinheit 2), Hrsg. Deutsches Institut für Femstudien an der Universität Tübingen, Tübingen 1984; vgl. (auch allgemein) Friedrich Gerstenberger, »Heeres-Elite« und nationalsozialistische Herrschaft, in: Heide Gerstenberger/Dorothea Schmidt (Hrsg.), Normalität oder Normalisierung? Geschichtswerkstätten und Faschismusanalyse, Münster 1987, S. 97-114, bes. S. 97-104; Alf Lüdtke, Funktionseliten: Täter, Mit-Täter, Opfer? Zu den Bedingungen des deutschen Faschismus, in: ders. (Hrsg.), Herrschaft als soziale Praxis. Historische und sozial-anthropologische Studien, Göttingen 1991, S. 559-590.

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ohne die Mitwirkung der bisherigen Funktionseliten im Bereich von Wirtschaft, Militär und nicht zuletzt Verwaltung hätten sie so nicht durchgeführt werden können. Insofern sind empirisch gesicherte Erkenntnisse über Zusammensetzung und Verhalten der höheren Beamtenschaft eine unerläßliche Voraussetzung für das vertiefte Verständnis beider Seiten der nationalsozialistischen Herrschaftspraxis. Zudem verspricht deren Analyse auch komparativ verwertbare Erkenntnisse über Persistenz und Wandel externer und interner Elitenstrukturen unter den Bedingungen totalitärer Herrschaft selbst wie auch während des Transformationsprozesses demokratisch-pluralistisch verfaßter in totalitäre Herrschaftssysteme - und umgekehrt. Die zentrale Rolle administrativer Eliten als »Verwalter der Macht« im Herrschaftsgefüge fortgeschrittener, komplexer Industriegesellschaften ist seit langem ebenso unbestritten wie ihre Funktion als einer der wesentlichen »Träger der gesellschaftlichen Kontinuität« über Umbrüche im Verfassungssystem und auf dem Feld der politischen Elitenrekrutierung hinweg.3 Gleichwohl haben Verwaltung und Beamtenschaft bislang im Rahmen der Forschungen zur Geschichte des Dritten Reichs nicht die ihnen gebührende Beachtung gefunden.4 Vor allem Hans Mommsen, Jane Caplan und Dieter Rebentisch haben zwar die Verwaltungs- und Beamtenpolitik des NS-Regimes auf der zentralen Ebene eingehend dargestellt.5 An empirisch breitangelegten Studien zur personellen Zusammensetzung und zum Verhalten der Beamtenschaft indessen fehlt es nach wie vor.6 Diese Lücke ist einstweilen nur durch Regionalstudien zur schließen. Denn auf dieser Ebene ist es, wenn auch mit beträchtlichem Aufwand, bei entsprechender Quellenlage noch möglich, hinreichend vollständiges Datenmaterial über soziale Herkunft, Ausbildung und Karriereverlauf, über Konfessionszugehörigkeit und politische Orientierungen von Schlüsselgruppen der Beamtenschaft zusammenzutragen und auszuwerten. Doch nicht bloß forschungspragmatische Gründe legen eine regionale Eingrenzung des Untersuchungsfeldes nahe. Auch vieles von dem, was in den letzten beiden Jahrzehnten über die polykratische Struktur des NS-Herrschaftssystems und den heuristischen Nutzen seiner regional- und lokalbezogenen Erforschung geäußert wor3

Wolfgang Zapf, Die Verwalter der Macht. Materialien zum Sozialprofil der höheren Beamtenschaft, in: ders. (Hrsg.), Beiträge zur Analyse der deutschen Oberschicht, 2., erw. Aufl., München 1965, S. 77-154, hier S. 77. 4 Bernd Wunder, Zur Geschichte der deutschen Beamtenschaft. Literaturbericht 1945 - 1985, in: GG 17 (1991), S. 256-277, hier S. 274. 5 Hans Mommsen, Beamtenpolitik im Dritten Reich. Mit ausgewählten Quellen zur nationalsozialistischen Beamtenpolitik, Stuttgart 1966; Jane Caplan, Government without Administration. State and Civil Service in Weimar and Nazi Germany, Oxford 1988 (dort auch Hinweise auf diverse Aufsätze der Autorin); Dieter Rebentisch, Innere Verwaltung, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Hrsg. Kurt A. Jeserich u.a., Bd. 4: Das Reich als Republik und in der Zeit des Nationalsozialismus, Stuttgart 1985, S. 732-774 (1933 - 1945); ders., Führerstaat und Verwaltung im Zweiten Weltkrieg. Verfassungsentwicklung und Verwaltungspolitik 1939 - 1945, Stuttgart 1989. Einen kurzen Überblick gibt Bernd Wunder, Geschichte der Bürokratie in Deutschland, Frankfurt 1986, S. 138-148. 6 Zum Forschungsstand s. Günter Püttner, Der Öffentliche Dienst, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte IV (Anm. 5), S. 1082-1098.

Administrative Eliten in Demokratie und Diktatur

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den ist, gebietet ebenso unter inhaltlichen Gesichtspunkten ein solches Vorgehen. 7 Allerdings gilt es, solche Untersuchungen nicht nur zwecks Vermeidung idiographischer Fehlschlüsse von vornherein so anzulegen, daß die spätere Vergleichbarkeit mit anderweitigen Ergebnissen gewährleistet ist, sondern immer wieder auch den Blick auf die entspechenden Verhältnisse außerhalb des eigentlichen Untersuchungsgebiets zu richten. Entsprechende Fallstudien jedoch sind rar.8 Zudem beschränken sie sich durchweg auf eine durch prägnante Einzelbeispiele angereicherte Beschreibung des allgemeinen Gleichschaltungsprozesses der jeweiligen Regionalverwaltung. 9 Präzise biographische Angaben über die höheren Beamten der Innen Verwaltung, die als Datenbasis auch für quantifizierende Vergleiche geeignet sind, hat bisher lediglich Thomas Klein für die preußische Provinz Hessen-Nassau vorgelegt, ohne sie selbst im einzelnen auszuwerten. 10

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Vgl. für vieles Peter Hüttenberger, Nationalsozialistische Polykratie, in: GG 2 (1976), S. 417-442; ferner Ruck (Anm. 1). - Eike Hennig, Regionale Unterschiede bei der Entstehung des deutschen Faschismus. Ein Plädoyer für »mikroanalytische Studien« zur Erforschung der NSDAP, in: PVS 21 (1980), S. 152-173; Kurt Düwell, Die regionale Geschichte des NSStaates zwischen Mikro- und Makroanalyse. Forschungsaufgaben zur »Praxis im kleinen Bereich«, in: Jb. für westdeutsche Landesgeschichte 9 (1983), S. 287-344. 8 Dieter Rebentisch beklagt ausdrücklich den Mangel an »exemplarische[n] Einzelstudien [...] der laufenden Verwaltung in verschiedenen Landratsämtem«, auf deren Grundlage die immer wieder postulierte »Konfliktstruktur des Verhältnisses von Kreisleiter und Landrat« empirisch befriedigend auf ihre generelle Gültigkeit hin überprüft werden könne; s. ders., Reichskanzlei und Partei-Kanzlei im Staat Hitlers. Anmerkungen zu zwei Editionsprojekten und zur Quellenkunde der nationalsozialistischen Epoche, in: AfS 25 (1985), S. 611-633, hier S. 632. ® Vgl. etwa Klaus Schönhoven, Der politische Katholizismus in Bayern unter der NSHerrschaft 1933 - 1945, in: Maitin Broszat/Hartmut Mehringer (Hrsg.), Bayern in der NSZeit, Bd. 5, München/Wien 1983, S. 541-646, hier S. 618-634; Jochen Klenner, Verhältnis von Partei und Staat 1933 - 1945. Dargestellt am Beispiel Bayerns, München 1974; Horst Romeyk, Verwaltungs- und Behördengeschichte der Rheinprovinz 1914 - 1945, Düsseldorf 1985; ders., Der preußische Regierungspräsident im NS-Herrschaftssystem. Am Beispiel der Regierung Düsseldorf, in: Dieter Rebentisch/Karl Teppe (Hrsg.), Verwaltung contra Menschenführung im Staat Hitlers. Studien zum politisch-administrativen System, Göttingen 1986, S. 121-140; Karl Teppe, Provinz, Partei, Staat. Zur provinziellen Selbstverwaltung im Dritten Reich, untersucht am Beispiel Westfalens, Münster 1977; Kurt Jürgensen, Die Gleichschaltung der Provinzialverwaltung. Ein Beitrag zur Durchsetzung der nationalsozialistischen Herrschaft in Schleswig-Holstein (1932 - 1934), in: Erich Hoffmann/Peter Wulf (Hrsg.), »Wir bauen das Reich«. Aufstieg und erste Herrschaftsjahre des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein, Neumünster 1983, S. 393^422. 10 Thomas Klein, Leitende Beamte der allgemeinen Verwaltung in der preußischen Provinz Hessen-Nassau und in Waldeck 1867 - 1945, Darmstadt/Marburg 1988. Horst Romeyk bereitet eine solche Kurzbiographien-Sammlung für die Rheinprovinz vor.

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II. Die nachstehend skizzierten Erkenntnisse über die personelle Entwicklung der landrätlichen Verwaltung im Gebiet der ehemaligen Länder Baden und Württemberg sowie des preußischen Regierungsbezirks Hohenzollern von der Endphase der Weimarer Republik über die nationalsozialistische »Machtergreifung« 1933/34, die Konsolidierung der NS-Herrschaft in den dreißiger Jahren und die Kriegszeit bis in die ersten beiden Nachkriegsjahrzehnte sind Zwischenergebnisse eines Arbeitsvorhabens über »Die Beamtenschaft in Südwestdeutschland zwischen Kooperation und Resistenz 1933 - 1945«. Zielsetzung dieses Projekts ist es, Aufschluß darüber zu gewinnen, ob, in welchem Umfang und auf welche Weise sich die staatliche Verwaltung Südwestdeutschlands als hemmender Faktor bei der Durchsetzung des totalen Machtanspruchs der Nationalsozialisten und ihrer Politik erwiesen hat. Den Untersuchungsgegenstand bildet dabei die sogenannte »Allgemeine innere Verwaltung« in Baden, Württemberg und Hohenzollem-Sigmaringen. Innerhalb dieses Kernbereichs »der weit verzweigten inneren Staatsverwaltung«, »der sich mit den allgemeinen Verwaltungsangelegenheiten und ihren Einrichtungen und Behörden befaßt« und zu dessen »Hauptaufgabe[n] die Selbstverwaltung der Gemeinden und Kreisverbände und das Polizeiwesen« zählt," nahmen die Landräte eine zentrale Stellung ein.12 Als Staatsbeamter, der er im amerikanisch besetzten Südwestdeutschland bis 1946, in der französischen Besatzungszone bis 1955 war, repräsentierte gerade der Landrat in erster Linie den demokratischen wie den totalitären Staat gegenüber der Bevölkerung außerhalb der Großstädte. Diese Schlüsselrolle wurde durch die weitgehende Ausschaltung der Selbstverwaltungsorgane im Sinne des nationalsozialistischen »Führerprinzips« seit 1933 noch verstärkt. Wohl war der umfassende Zuständigkeitsbereich der Landräte seit Mitte der dreißiger Jahre einem stetigen Erosionsprozeß unterworfen,13 doch es gab auch gegenläufige Tendenzen. Und durch die Anordnung der Reichsregierung über die Verwaltungsführung in den Landkreisen vom 28. Dezember 1939 wurde die Stellung der Landräte wieder gestärkt, zumal gleichzeitig die NSDAP-Kreisleiter Alfred Dehlingen Württembergs Staatswesen in seiner geschichtlichen Entwicklung bis heute, Bd. 1, Stuttgart 1951, S. 266ff„ hier 266; vgl. für Baden Karl Stiefel, Baden 1648 - 1952, Bd. 2, 2. Aufl., Karlsruhe 1979, S. 1077ff. 12 In Baden bis 1924 Oberamtmann oder Bezirksamtsvorstand, in Württemberg bis 1928 Oberamtmann genannt. Zur Entwicklung der südwestdeutschen Bezirksverwaltung s. Dehlinger (Anm. 11), S. 286-297; Stiefel (Anm. 11), Bd. 1 u. 2, passim; Walter Grube, Vogteien, Ämter, Landkreise in Baden-Württemberg, Bd. 1: Geschichtliche Grundlagen, Hrsg. Landkreistag Baden-Württemberg, Stuttgart 1975, S. 71ff.; Albert Neckenauer, Von den altbadischen Kreisen bis zur Kreisreform 1803 - 1973, in: Beiträge zur Geschichte der Landkreise in Baden und Württemberg, Hrsg. Landkreistag Baden-Württemberg, Stuttgart 1987, S. 27-59; Kurt Gerhardt, Vogt - Oberamtmann - Landrat. Zur Geschichte des Hauptverwaltungsbeamten des Landkreises in Württemberg, in: ebd., S. 60-74. 11

13

Zum schleichenden Funktionsverlust der landrätlichen Verwaltung zugunsten der verschiedensten Sonderverwaltungen s. Peter Diehl-Thiele, Partei und Staat im Dritten Reich. Untersuchungen zum Verhältnis von N S D A P und allgemeiner innerer Staatsverwaltung, 2. Aufl., München 1971, S. 184-200.

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als rivalisierende Repräsentanten der Staatspartei in ihre Schranken gewiesen wurden.14 In jedem einzelnen »Verwaltungsakt« des Landratsamtes15 konkretisierte sich die nationalsozialistische Heirschaftspraxis im Alltag der jeweils davon betroffenen Bürger immer wieder aufs Neue; hier mußte letzten Endes darüber entschieden werden, mit welcher Rigorosität »von oben« angeordnete (Unrechts-)Maßnahmen »vor Ort« tatsächlich ausgeführt wurden; und hier schließlich wurde das Personal der Kreisverwaltungen und der Gemeinden direkt mit den (menschlichen) Konsequenzen einer »korrekten« Ausführung von Gesetzen, Verordnungen und Erlassen konfrontiert. Vor allem in der »besonders volksnahe[n], mit der Bevölkerung eng verbundenen]« 16 Kommunal- und Bezirksbürokratie eröffnete sich mithin für couragierte Beamte - zumindest theoretisch - die Chance, durch geschicktes Taktieren den Zugriff der nationalsozialistischen Obrigkeit auf die Bürger - insbesondere auch auf jene, die willkürlich aus der deutschen »Volksgemeinschaft« ausgegrenzt und drangsaliert wurden - so gut es ging abzuschwächen und offenkundige Willkürmaßnahmen im Rahmen ihrer (in der Tat wohl beschränkten) Möglichkeiten abzumildern oder gar »versanden« zu lassen. Aus diesem Grunde wird den Landräten in dem genannten Forschungsvorhaben besonderes Interesse geschenkt. Die neuere Forschung zeichnet ein durchaus ambivalentes Bild von der Rolle, welche die Beamtenschaft im »Dritten Reich« allgemein gespielt hat. Zwar kann nach wie vor kein Zweifel daran bestehen, daß die Entfaltung der NSHerrschaft auch durch ein »erhebliches Maß an Kooperation« auf Seiten der traditionellen Eliten im allgemeinen und der Verwaltung im besonderen zumindest wesentlich gefördert worden ist.17 Auf der anderen Seite gibt es mittlerweile genügend Hinweise darauf, daß die Beamtenschaft in diesem Prozeß zugleich auch auf vielfältige Weise als retardierendes Element gewirkt hat allein schon durch ihr zähes Festhalten an (formal)rechtlich geordneten Verwaltungspraktiken, aber offenbar manches Mal auch durch bewußtes Verzögern und Konterkarieren nationalsozialistischer Willkürmaßnahmen unter dem Deckmantel äußerlicher Systemloyalität. Das Stadium offener Widersetzlichkeit allerdings hat dieses Bemühen wohl in kaum einem Fall erreicht, doch unterhalb dieser Ebene gab es allem Anschein nach ein breites Spektrum von 14

Durch die Anordnung vom 28.12.39 (RGBl. 1940 I, S. 45f.) und durch einen vertraulichen Erlaß des Reichsbevollmächtigten für die Reichsverwaltung, Göring, vom 24.1.40 (HSTAS, Ε 151/01, Bü. 950). Vgl. dazu allgemein Klaus von der Groeben, Landkreis und Verbandstätigkeit im nationalsozialistischen Staat von 1933 - 1945, in: ders./Hans-Jürgen von der Heide, Geschichte des Deutschen Landkreistages. (Der Kreis. Ein Handbuch, 5), Köln/Berlin 1981, S. 157-212. Zum Verhältnis Landräte - Kreisleiter s. Diehl-Thiele 1971 (Anm. 13), S. 173-200. 15 In Baden bis 1938 Bezirksamt, in Württemberg bis 1934 Oberamt genannt. 16 Dehlinger I (Anm. 11), S. 266. " Wolfgang J. Mommsen, Einleitung, in: Gerhard Hirschfeld/Lothar Kettenacker (Hrsg.), Der »Führerstaat«: Mythos und Realität. Studien zur Struktur und Politik des Drittes Reiches, Stuttgart 1981, S. 9-19, hier S. 11; vgl. Rebentisch, Führerstaat (Anm. 5), S. 543f.; Lüdtke (Anm. 3), S. 574-582.

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Verhaltensweisen, an denen sich der Totalitätsanspruch der Nationalsozialisten und die Wirksamkeit ihrer Politik im Einzelfall und in der Summe immer wieder brachen.18 Die Frage nach tatsächlich geübter Resistenz der höheren Beamten der südwestdeutschen Innenverwaltung im allgemeinen und der Landräte besonderen läßt sich allerdings erst angemessen prüfen und beantworten, nachdem die objektiven und subjektiven Möglichkeiten entsprechender Verhaltensweisen geklärt worden sind. Ein wesentlicher Indikator seiner »Resistenzfähigkeit«19 ist der Grad der institutionellen und personellen Stabilität dieses wichtigen Verwaltungszweigs seit dem Frühjahr 1933. Denn bloßes Beharrungsvermögen gegenüber den personellen Penetrationsversuchen der neuen Machthaber allein konnte bereits deren Zielen entgegenwirken. Zumindest aber bildete die personelle Kontinuität der Verwaltung eine wenn schon nicht hinreichende, so doch unerläßliche Voraussetzung für jeden Ansatz von »Widerstand« im Sinne resistenten Verhaltens von Beamten. Und im übrigen gibt sie Aufschluß darüber, mit welcher Rigorosität die regionalen Repräsentanten der Staatspartei deren totalen Machtanspruch durchzusetzen gewillt und in der Lage waren. Dies umso eher, als im Schriftverkehr zwischen den Spitzen von Verwaltung und Partei in Baden und Württemberg immer wieder auf die große »politische Bedeutung« verwiesen wurde, »die der Stellung eines Landrats zukommt«.20

18

Vgl. Dieter Rebentisch, Verfassungswandel und Verwaltungsstaat vor und nach der nationalsozialistischen Machtergreifung, in: Jürgen Heideking u.a. (Hrsg.), Wege in die Zeitgeschichte. Festschrift zum 65. Gebunstag von Gerhard Schulz, Berlin/New York 1989, S. 123-150, hier S. 141-144; ders., Führerstaat (Anm. 5), S. 543-547. 19 Hans Mommsen, Hitlers Stellung im nationalsozialistischen Herrschaftssystem, in: Hirschfeld/Kettenacker (Anm. 17), S. 43- 72, hier S. 56. - Die im Kontext des Projekts »Bayern in der NS-Zeit« kontrovers diskutierte Kategorie der »Resistenz« ist von Martin Broszat mehrfach eingehend erläutert und mit guten Argumenten verteidigt worden; s. etwa ders., Zur Sozialgeschichte des deutschen Widerstands, in: VfZ 34 (1986), S. 293-309; ders./Elke Fröhlich, Alltag und Widerstand - Alltag im Nationalsozialismus, München/Zürich 1987, Einleitung. Gerade auch im Hinblick auf ihre dezidiert wirkungsgeschichtliche Akzentuierung erscheint sie allen bedenkenswerten Einwänden zum Trotz besonders geeignet, das Phänomen einer zumeist nur partiellen, ja nicht einmal immer intentionalen Obstruktion von Beamten im Dritten Reich operational zu fassen. Eben dieses Phänomen hat im übrigen schon Ralf Dahrendorf mit im Blick gehabt, als er vor längerer Zeit von einer »ungeplanten Resistenz gegen die sozialen Begleiter der totalitären Machtergreifung« sprach; s. ders., Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, München 1965, S. 441f. Und auch dem zeitgenössischen Sprachgebrauch war es nicht fremd. So klagte beispielsweise der erste württembergische Gestapo-Chef, Mattheiß, am 28.7.33, daß seiner »organisatorischen Aufbauarbeit« innerhalb der Verwaltung »mit einer versteckten passiven Resistenz entgegengearbeitet« werde (HSTAS, Ε 151/01, Bü. 794). 20 Vollständiges Zitat s. unten (Anm. 32).

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III. Einer Aufstellung des Reichsinnenministeriums zufolge amtierten im Gebiet des »Altreichs« Anfang 1943 615 Landräte. Personell bewegte sich auf dieser Ebene im Zeichen des »totalen Krieges« kaum noch etwas,21 und so spiegelt sich darin im wesentlichen das Endergebnis nationalsozialistischer Gleichschaltungs- und Penetrationsversuche wider. Von den aufgeführten Landräten hatten 476 (77 v.H.) erstmals in der Zeit seit Anfang April 1933 dieses Amt eingenommen, und davon wiederum konnten 127 (27 v.H.) die Große juristische Staatsprüfung nicht vorweisen (Tabelle l).22 Diese sogenannten »Außenseiter« hatte es in einigen Ländern, vor allem in Preußen, seit jeher in allerdings sehr beschränktem Umfang gegeben.23 Ihre Quote ist jedoch in diesem Zusammenhang von besonderem Interesse, weil die nationalsozialistische Kritik am republikanischen »Parteibuchbeamtentum« insbesondere auch auf diese Gruppe gezielt hatte.24 Hierzu muß nun festgestellt werden, daß der »Außenseiter«-Anteil im Reichsdurchschnitt 1943 um ein Mehrfaches über den entsprechenden Werten für das Kaiserreich und die Weimarer Republik lag. Überwiegend handelte es sich dabei um Kreisleiter und andere regionale Größen der NSDAP, welche dieses Amt 1933/34 während der Machtergreifung in Personalunion bekleidet und sich, als dies 1937 untersagt wurde, dafür entschieden hatten.25 In den verschiedenen Regionen waren sie sehr unterschiedlich präsent. Den höchsten Anteil wiesen der - teilweise aus annektierten Gebieten gebildete - Reichsgau Danzig-Westpreußen (67 v.H.), Thüringen (56 v.H.) und Mecklenburg (45 v.H.) auf; zahlenmäßig stellten die Außenseiter in Preußen mit 97 (37 v.H.) das bei weitem größte Kontingent.26 Ein Blick auf ihre Verteilung über die einzelnen Provinzen und Regierungsbezirke dieses größten, von der Reichsregierung mitverwalteten Landes unterstreicht den hohen Stellenwert regionaler Einflußfaktoren auf die Rekrutierung der Landräte. So stellten die Außenseiter in Ostpreußen, Hessen-Nassau und Teilen der Rheinprovinz mehr als die Hälfte der seit April 1933 ernannten 21

Neuernennungen kamen in den letzten beiden Kriegsjahren kaum noch vor. In der Regel wurden noch verwendungsfahige Landräte bei Erreichen der Altersgrenze verpflichtet, ihr Landratsamt bis auf weiteres weiterzuverwalten; ansonsten führten andere Ruhestandsbeamte, Regierungsassessoren und Regierungsräte oder Landräte benachbarter Kreise die Geschäfte pensionierter, verstorbener oder zum Kriegsdienst einberufener Landräte provisorisch weiter. 22 Die Tabellen finden sich im Anhang dieses Beitrags. 23 Vgl. Caplan (Anm. 5), S. 4 3 ^ 5 . 24 Caplan (Anm. 5), S. 102-130. 25 Hitler hatte solche Personalunionen bereits 1934 für nicht wünschenswert erklärt, 1937 ordnete der Stellvertreter des Führers deren allgemeine Auflösung an, und in der »Anordnung über die Verwaltungsführung in den Landkreisen« v. 28.12.39 (Anm. 14) wurde das Verbot bekräftigt, ohne allerdings bis 1945 durchweg in die Tat umgesetzt zu werden; vgl. Caplan (Anm. 5), S. 168f. 26 Rebentisch verkennt, daß die von ihm angeführten Zahlen von 1941 für Preußen weder für dieses Land als Ganzes noch für das gesamte »Altreich« repräsentativ sind; s. ders., Führerstaat (Anm. 5), S. 546; Verfassungswandel (Anm. 18), S. 141f.

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Landräte, in Pommern wie in einzelnen Regierungsbezirken anderer Provinzen hingegen befanden sie sich mehr oder minder klar in der Minderheit (Tabelle 2).27 Die beiden preußischen Landräte in Hohenzollern, das zum Bezirk der Stuttgarter Gauleitung gehörte, überstanden im übrigen - gleichsam als »Fossile der Systemzeit« - die gesamte nationalsozialistische Herrschaft. 1924 und 1925 als Zentrumsmitglieder ins Amt gelangt, versahen Paul Schraermeyer und Robert Seifert bis 1945 beziehungsweise 1946 ihre Amtsgeschäfte in Hechingen und Sigmaringen. Doch auch ansonsten hob sich Südwestdeutschland von dem allgemeinen Trend deutlich ab. Während in Baden nicht einmal jeder zweite Landrat erstmals seit April 1933 ernannt worden war, waren zwar zwei Drittel der württembergischen Amtskollegen unter nationalsozialistischer Ägide mit diesem herausgehobenen Posten betraut worden. Doch immerhin lag auch dieser Wert noch unter dem Reichsdurchschnitt, und was die Außenseiter anbelangte, fielen beide Länder - zusammen mit dem süddeutschen Nachbarn Bayern28 - aus dem Gesamtbild heraus. Anfang 1943 waren sämtliche dort tätigen Landräte Volljuristen. Auch unter den schon zuvor wieder ausgeschiedenen Landräten findet sich in Württemberg kein Außenseiter, während in Baden von 1935 bis 1937 mit Carl Engelhardt, ein »Alter Kämpfer« ohne Hochschulabschluß, die Posten des Konstanzer Landrats und NSDAP-Kreisleiters in Personalunion eingenommen hatte, bevor er zum Polizeipräsidenten der Landeshauptstadt Karlsruhe ernannt worden war.29 Gauleiter und Reichsstatthalter Robert Wagner, aus dessen engstem Odenwälder Gefolge Engelhardt stammte, hatte dessen ausnahmsweise Ernennung persönlich bei dem widerstrebenden Innenminister Pflaumer und beim Reichsinnenminister durchgesetzt. Die regimeinternen Auseinandersetzungen über diesen Fall führten allerdings mit dazu, daß Wagner seinen Hitler persönlich unterbreiteten Plan nicht weiterverfolgte, die Personalunion von Landrat und Kreisleiter in Baden generell durchzusetzen.30 Diese massive Intervention zugunsten eines Außenseiters aus den Reihen der Staatspartei blieb mithin ein Einzelfall im höheren Dienst der badischen Bezirksverwaltung, und in Württemberg kam überhaupt kein Kreisleiter bei der Besetzung von Landratsposten zum Zuge. Der Neckarsulmer NSDAP-Kreisleiter und Landtagsabgeordnete Otto Speidel wurde 1934/35 auf Drängen des 27

Zur Provinz Hessen-Nassau vgl. Klein (Anm. 10), S. 73-77, sowie seine Kurzbiographien der betreffenden Landräte. Vgl. demgegenüber Walter H. Pehle, Die nationalsozialistische Machtergreifung im Regierungsbezirk Aachen unter besonderer Berücksichtigung der staatlichen und kommunalen Verwaltung 1922 - 1933, Diss. Düsseldorf 1976, S. 425-461. 2 ' Vgl. dazu Schönhoven (Anm. 9); Klenner (Anm. 9). 29 Kurzbiographie s. Franz Götz, Amtsbezirke und Kreise im badischen Bodenseegebiet. Ihre Entwicklung seit 1803 und ihre wichtigsten Organe. Chronologische Übersichten und Personalien, o.O. 1971, S. 70. - Im übrigen stützen sich diese und die folgenden biographischen Angaben, soweit nicht gesondert angemerkt, auf die Auswertung der einschlägigen Stellenund Personalakten sowie der Unterlagen des Berlin Document Center. 30 Zum Schreiben Wagners an Hitler v. 19.9.34 (BA/K, R 43 II, Nr. 497) s. Diehl-Thiele (Anm. 13), S. 176f.; vgl. Johnpeter H. Grill, The Nazi Movement in Baden, 1920 - 1945, Chapel Hill 1983, S. 257. Zum »Fall Engelhardt« s. dessen Personalakte (GLA, 466, 1978/36, Nr. 1586).

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Gauleiters und Reichsstatthalters Murr vom Stuttgarter Innenministerium vor allem auch deshalb unter Mißachtung sämtlicher Laufbahnvorschriften mit unverhohlenem Mißbehagen zum Oberregierungsrat befördert, weil diese Planstelle von vornherein nur als Sprungbrett ins Reichsinnenministerium vorgesehen war. Dort konnte der verdiente »Alte Kämpfer« seine steile Beamtenkarriere denn auch alsbald fortsetzen.31 Und Eugen Fiechtner, 1932/33 Kreisleiter in Waiblingen, wurde nach bestandener Großer Staatsprüfung zwar mit einiger Verzögerung in den Dienst der württembergischen Innenverwaltung übernommen, von dort jedoch umgehend dem Reich als Oberlandrat im Reichsprotektorat Böhmen und Mähren zur Verfügung gestellt. Das war offensichtlich nicht zufällig geschehen. Als nämlich das Reichsinnenministerium ihn Mitte 1943 zur Rückübemahme als Landrat in Württemberg anbot, winkte Stuttgart ab: »Im Hinblick auf die politische Bedeutung, die der Stellung eines Landrats zukommt, sind bei der Besetzung von Landratsstellen grundsätzlich alte Parteigenossen zu berücksichtigen, sofern sie nach ihren Leistungen und ihrer ganzen Persönlichkeit für eine solche verantwortungsvolle Tätigkeit in Frage kommen«, unterstrich Murr, um jedoch sogleich unmißverständlich hinzuzufügen: »Der Oberlandrat Fiechtner ist für die Stelle eines Landrats in Württemberg weniger geeignet.«32 Schließlich hatte die Gauleitung Fiechtner in Waiblingen nicht zuletzt auch deshalb ablösen lassen, weil er dort Landrat Mäulen, Regierungsassessor Heinz Ritter und andere Beamte 1932/33 allzu frontal angegangen war.33 Auch im Hinblick auf das Emennungsdatum der seit dem April 1933 berufenen Landräte unterscheiden sich die beiden südwestdeutschen Länder deutlich vom Rest des »Altreichs«. Vor allem gilt dies für Baden. Zehn der betreffenden zwölf Stelleninhaber von Anfang 1943 waren 1933/34 erstmals ernannt worden, die anderen beiden zu Beginn der vierziger Jahre. In Württemberg waren jeweils zehn 1933/34 und in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre ernannt worden, nur einer während des Krieges (Tabelle 1). Da die Landratsposten sowohl vom Karlsruher als auch vom Stuttgarter Innenministerium während der Machtergreifungsphase in Fortführung der bisherigen Praxis ausschließlich mit Karrierebeamten besetzt worden waren, gab es anders als in Preußen oder Thüringen auch keine Abgänge, als die während dieser Zeit eingerückten NSDAP-Funktionäre später vor die Wahl zwischen Partei- und Staatsamt gestellt wurden. Und zusätzlich wurde der Ersatzbedarf dadurch gemindert, daß im Zuge von Kreisreformen in Baden von 1936 bis 1939 13 der bisher 40 und in Württemberg 1938 gar 27 von 61 Landratsstellen wegfielen. Beides war durchaus von Bedeutung für die personelle Zusammensetzung der 31

Korrespondenz vom April - Juni 1935 s. HSTAS, Ε 151/01, Bü. 133. NSDAP-GauL u. RStH Murr an Mdl u. RIM, 8.6.43 (HSTAS, Ε 151/01, Bü. 450). 33 Unter Berufung auf das gleichlautende Urteil der Waiblinger Ortsgruppe teilte der Vorsitzende des NSDAP-Gaugerichts Württemberg-Hohenzollem, Otto Hill, Gauschatzmeister Vogt am 5.2.35 mit, daß er den ehemaligen Kreisleiter mittlerweile »als einen sehr subjektiven, mitunter sehr gehässigen Menschen kenngelernt« habe, dessen politischen Beurteilungen gegenüber Skepsis geboten sei (BDC, Parteikorrespondenz: Dr. Heinz Ritter). 32

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Landrätekorps in Südwestdeutschland. Denn durch deren frühzeitige Auffüllung mit Regierungsräten aus der eigenen Innenverwaltung boten sich für geraume Zeit kaum Ansatzpunkte für ihre systematische Durchsetzung mit (auswärtigen) Nachwuchsbeamten, die ihre Ausbildung erst während der NS-Herrschaft abgeschlossen hatten und sich angesichts der in politischer Hinsicht zunehmend straffer gehandhabten Einstellungspolitik von vorneherein einem ungleich höheren Anpassungsdruck ausgesetzt sahen als diejenigen, welche bereits vor 1933 auf Planstellen gelangt waren.34 Jeder fünfte preußische und immerhin jeder siebente bayerische Landrat von 1943 hatte demgegenüber seine Große juristische Staatsprüfung erst 1933 oder später abgelegt.

IV. Im signifikanten Gegensatz zu weiten Teilen des »Altreichs«, vor allem Preußens, wurden also die Spitzenpositionen der Bezirksverwaltung Badens und Württembergs auch zehn Jahre nach der nationalsozialistischen Machtergreifung noch durchweg von Verwaltungsjuristen eingenommen, deren berufliche Sozialisation bereits vor 1933 ein fortgeschrittenes Stadium erreicht hatte. In diesem Zusammenhang ist danach zu fragen, auf welche Weise und mit welcher Zielrichtung denn nun das insbesondere in Baden besonders frühzeitig abgeschlossene Personalrevirement unter nationalsozialistischer Ägide durchgeführt wurde. Mit dem sogenannten Berufsbeamtengesetz (BBG) hatte sich das NS-Regime bereits Anfang April 1933 ein Instrument für die pseudo-legale Säuberung der Verwaltungen von politisch mißliebigen Beamten geschaffen insonderheit jenen nach den herkömmlichen Laufbahnvorschriften nicht hinreichend qualifizierten, während der »Systemzeit« angeblich nur aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu republikanischen Parteien berufenen »Parteibuchbeamten«, deren verderblichen Einfluß zu geißeln die NS-Propaganda seit Jahren nicht müde geworden war.35 Doch dieses Instrument wurde in beiden südwestdeutschen Ländern kaum genutzt, um die staatliche Innenverwaltung personell »gleichzuschalten«.36 Diese weitgehende Abstinenz hatte ihre Ursache nicht 34

So mußte 1939 eigens in Bayern eine Landratsstelle gesucht werden, um den »nationalsozialistisch bewährten« württembergischen RegR S. (Jahrgang 1900), der sich bereits während seines Referendariats im April 1932 der NSDAP angeschlossen hatte, angemessen unterzubringen. 35 Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums v. 7.4.33 (RGBl. I, S. 175f.); faks. abgedr. in: Martin Hirsch u.a. (Hrsg.), Recht, Verwaltung und Justiz im Nationalsozialismus. Ausgewählte Schriften, Gesetze und Gerichtsentscheidungen von 1933 bis 1945, Köln 1984, S. 299f. Entwürfe und eingehende Darstellung der Genese s. Mommsen, Beamtenpolitik (Anm. 5); vgl. Caplan (Anm. 5), S. 141-149. 36 Die nachstehenden Angaben beruhen auf eigenen Recherchen. Vgl. dazu allgemein HansGeorg Merz, Beamtentum und Beamtenpolitik in Baden. Studien zu ihrer Geschichte vom Großherzogtum bis in die Anfangsjahre des nationalsozialistischen Herrschaftssystems, Freiburg i.Br./München 1985, S. 276-293; Grill (Anm. 30), S. 243-294; Paul Sauer, Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus, Ulm 1975, S. 72-74; Thomas Schnabel, Württemberg zwischen Weimar und Bonn 1928 bis 1945/46, Stuttgart u.a. 1986, S. 328-332.

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zuletzt in dem Umstand, daß die höheren Verwaltungsränge mitnichten derart von »Parteibuchbeamten« und schon gar nicht mit Juden durchsetzt waren, wie dies die NSDAP zuvor stereotyp behauptet hatte. In erster Linie galt das für Württemberg, wo der letzte sozialdemokratische Minister Mitte 1923 aus dem Kabinett ausgetreten und die Institution des »politischen Beamten« auch während der Weimarer Republik unbekannt geblieben war. Nur ein einziger Angehöriger des höheren Dienstes wurde denn auch im Geschäftsbereich des Stuttgarter Innenministeriums entlassen, weil er angesichts seiner »bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür [zu] bieten« schien, »jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat ein[zu]treten« (§ 4 BBG): Regierungsrat Pliksburg bei der staatlichen Gebäudebrandversicherung, ein Zentrumsmitglied.37 Darüber hinaus nutzte das württembergische Innenministerium lediglich die Gelegenheit, sieben Regierungsräte, die sich seit der Auflösung der Kreisregierungen 1924 im Wartestand befanden, gemäß § 6 BBG endgültig zu pensionieren. Ein politischer Hintergrund ist in keinem dieser Fälle erkennbar; einer der Betroffenen war bereits im April 1932 zur NSDAP gestoßen. Auch in Baden hatte die Innen Verwaltung im allgemeinen und die Bezirksverwaltung im besonderen mehr als zehn Jahre sozialdemokratischer Regierungsbeteiligung politisch weitgehend unangefochten überdauert, obwohl die SPD hier mit Adam Remmele zeitweise einen durchaus tatkräftigen Ressortchef gestellt hatte. Zum Kodex der höheren Beamtenschaft sowohl in Baden als auch in Württemberg gehörte es, sich parteipolitisch nicht zu exponieren. Soweit sich ihre politischen Orientierungen gleichwohl feststellen lassen, tendierte während der Weimarer Jahre die überwiegende Mehrheit der Protestanten unter ihnen zur DVP, manche zur DNVP, wenige zur DDP/Staatspartei und einzelne - in Baden - zur SPD; die Minderheit der Katholiken unter ihnen war in beiden Ländern überwiegend mehr oder weniger eng dem Zentrum verbunden. Gleichwohl machten die neuen Machthaber in Baden auch einige höhere Beamte der Innenverwaltung ausfindig, auf die sich die verschiedenen Bestimmungen des nationalsozialistischen Säuberungsgesetzes anwenden ließen. An erster Stelle die beiden jüdischen Regierungsräte Herbert Fuchs und Marcel Nordmann bei den Bezirksämtern Konstanz und Karlsruhe. Fuchs ahnte wohl, daß es das NS-Regime nicht dabei belassen werde, ihresgleichen willkürlich die beruflichen Existenzgrundlagen zu rauben. Er ging nach seiner Entlassung (gemäß § 3 BBG) Mitte 1933 sofort in die Emigration; Nordmann folgte ihm 1938.38 Ebenfalls ohne Pension entlassen wurden als »Parteibuchbeamte« gemäß § 2 BBG drei aus der Gewerkschaftsbewegung hervorgegangene Regierungsräte, die nach dem Krieg als sozialpolitische Experten im neuerrichteten Arbeitsministerium angestellt und nach dessen Auflösung 1924 37

Vgl. die Übersichten in HSTAS, Ε 151/01, Bü. 2319. " Kurzbiographie Nordmanns s. Götz (Anm. 29), S. 93; unvollständig und irreführend dagegen die Kurzbiographie von Fuchs ebd., S. 75.

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mit ihren Abteilungen vom Innenministerium übernommen worden waren. Allerdings wurden Paul Hurschig (SPD) und der Zentrumsabgeordnete Valentin Eichenlaub bereits nach wenigen Monaten wieder in untergeordneten Positionen des mittleren Verwaltungsdienstes beschäftigt, ihr Kollege Hermann Stenz (SPD) erhielt widerruflich eine kleine Rente zugesprochen. Eichenlaub wurde aufgrund einer Abrede wiedereingestellt, die Gauleiter Robert Wagner im Mai 1933 mit dem Vorsitzenden der Zentrumsfraktion im badischen Landtag getroffen hatte.39 Auch sein Fraktionskollege Wolfgang Hoffmann, Regierungsrat beim Bezirksamt Freiburg, profitierte von der relativen Rücksichtnahme, welche die Nationalsozialisten der katholischen Kirche und dem Zentrum zunächst angedeihen ließen: »Von einer Entlassung nach dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums [...] wurde bei Hoffmann im Jahre 1933 nur deshalb abgesehen,« stellte das Innenministerium drei Jahre später fest, »weil er Landtagsabgeordneter war und gegen Abgeordnete auf höhere Weisung nichts unternommen werden sollte.«40 Solche Gesichtspunkte spielten nun keine Rolle mehr, und so wurde der ehemalige Vertreter des Zentrums beim badischen Reichsbanner Schwarz Rot Gold im Januar 1937 »krankheitshalber« zwangspensioniert, nachdem er in den Jahren zuvor mancherlei dienstliche Schikanen hatte erdulden müssen. Die Regierungsräte August Albert und Anton Weißmann bei der Pressestelle des badischen Staatsministeriums im Innenministerium fielen als gelernte Zeitungsredakteure unter funktionsbezogene Sonderregelungen des Laufbahnrechts. Sie wurden deshalb nicht als »Parteibuchbeamte«, sondern wegen politischer Unzuverlässigkeit unter Berufung auf § 4 BBG entlassen. Albert mußte sich mit einem geringen Übergangsgeld begnügen; Weißmann - 1911 bis 1918 Chefredakteur der sozialdemokratischen »Volkswacht« in Freiburg und langjähriger Landtagsabgeordneter - erhielt eine gekürzte Pension zugebilligt, die im Laufe der Jahre gnadenhalber auf den vollen Satz aufgestockt wurde. Ebenfalls gemäß § 4 BBG wurden die Ministerialräte Lothar Barck (DDP/Staatspartei) und Adolf Schwarz (SPD), Leiter der Schlüsselabteilungen im Innenministerium, mit drei Vierteln ihrer Versorgungsbezüge zwangspensioniert. Ministerialdirektor Otto Weitzel hingegen ging zunächst mit dem Versprechen anderweitiger Verwendung in Urlaub, wurde dann jedoch in den einstweiligen Ruhestand versetzt.41 Schlechter erging es Regierungsrat Hellmut Hillengaß (SPD) beim Bezirksamt - Polizeidirektion - Pforzheim.42 Er wurde gemäß § 4 BBG ohne Pension entlassen. Sein Fall zeigt im übrigen, wie stark die personalpolitischen 39

Mdl (gez. Imhoff) an Finanz- u. Wirtschaftsmin., 8.8.33 (GLA, 233, Nr. 24381). Mdl (gez. Dr. Keller) an StMin., 11.8.36: Antrag auf vorzeitige Zurruhesetzung von RegR Dr. Wolfgang Hoffmann (GLA, 233, Nr. 24450). 41 Mit Verfügung des RStH u. GauL Robert Wagner v. 21.7.33 (GLA, 233, Nr. 24381). 42 Hillengaß, seit 1945 Polizeipräsident in Heidelberg, wurde wie die anderen genannten Beamten vom StMin. - Der Beauftragte des Reichs - auf Antrag des Mdl - Der Kommissar des Reichs - entlassen; s. die einzelnen Vorgänge in GLA, 233, Nr. 24381 u. 24449. Beide Ämter bekleidete GauL R. Wagner. 40

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Sanktionen im Einzelfall von subjektiven Momenten abhängig waren. Der Heidelberger Polizeidirektor Heinrich Athenstädt (DDP/Staatspartei) etwa wurde von seinem bisherigen Mannheimer Amtskollegen Jakob Bader, der im Frühjahr 1933 den Sessel des kaltgestellten Ministerialdirektors Weitzel im Innenministerium bestiegen hatte, vor der Entlassung bewahrt und stattdessen »krankheitshalber« pensioniert. Hillengaß aber erfuhr auch nach Jahren keine Milde. Innenminister Pflaumer und Reichsstatthalter Wagner weigerten sich kategorisch, seine wiederholten Gesuche um Wiederbeschäftigung als Angestellter auch nur zu prüfen, und Bader machte keine Anstalten, für ihn einzutreten. Sein Kollege und Parteigenosse Egon Fritz hingegen wurde lediglich zum Oberversicherungsamt Karlsruhe versetzt, bis es dem Innenministerium 1938 gelang, ihn die außerbadische Sozialverwaltung abzuschieben. Und mit Otto Esau, der als Regierungsrat beim Oberversicherungsamt Karlsruhe arbeitete, entging ein weiterer Sozialdemokrat und Reichsbannerfunktionär den Sanktionen des BBG; er wurde unter Berufung auf die Haushaltsnotverordnung vom 9. Oktober 1931 vorzeitig in den Ruhestand geschickt. Bei der im Herbst 1933 getroffenen Entscheidung schließlich, fünf (Ober-)Regierungsräte vom Warte- in den Ruhestand zu versetzen, spielten wie in Württemberg politische Erwägungen offensichtlich keine ausschlaggebende Rolle; das gilt offenbar auch für einen weiteren Regierungsrat beim Oberversicherungsamt Karlsruhe, der bereits 1931 nur um Haaresbreite der Entlassung wegen privater und dienstlicher Verfehlungen entgangen war und nun gemäß § 4 BBG entlassen wurde. Der mehrfach verlängerte § 6 BBG diente dem Innenministerium allerdings noch dazu, sich im September 1937 mit Wilhelm Budzinski eines Beamten zu entledigen, der als Regierungsrat beim Bezirksamt Waldshut nicht nur dienstlich mit dem dortigen Landrat aneinandergeraten war, sondern darüber hinaus auch noch als Katholik Zweifel an seiner weltanschaulichen und politischen Loyalität hatte aufkommen lassen - allerdings erst, nachdem es nicht gelungen war, ihn nach dem Vorbild seines Kollegen Fritz an ein preußisches Oberversicherungsamt abzuschieben. Wenige Wochen zuvor war im übrigen auch ein regimeintemer Machtkampf mithilfe des auslaufenden Berufsbeamtengesetzes ausgetragen worden. Nachdem sich der Karlsruher Polizeipräsident und vormalige Regierungsrat in der Innenverwaltung Wilhelm Heim nach dem Dafürhalten der badischen Gauleitung allzu sehr in Richtung SS orientiert hatte, wurde er unter Berufung auf § 5 BBG zunächst an das Oberversicherungsamt Mannheim versetzt und wenig später zwangsweise pensioniert.43 Während also das Berufsbeamtengesetz im Karlsruher Innenministerium einige Opfer unter den höheren Beamten forderte, blieben die badischen Landräte wie ihre Kollegen in Württemberg von derartigen Maßregelungen völlig verschont. Doch dies bedeutete keineswegs, daß die nationalsozialistischen Partei- und Regierungsspitzen in den beiden südwestdeutschen Ländern darauf 43

GLA, 233, Nr. 24451. Zum »Fall Heim« und seinen politischen Implikationen s. ausführlich die SS-Personalakte Heims (BDC).

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verzichtet hätten, ihre Landrätekorps personell gründlich zu erneuern. Immerhin schied 1933/34 in Baden mit 15 von 40 und in Württemberg mit 21 von 61 jeweils ein (gutes) Drittel der Landräte aus ihren Ämtern. Daß dahinter politische Absicht stand, zeigt ein Blick auf die Gründe des Ausscheidens (Tabelle 3). Durch Erreichen der Altersgrenze oder Ableben verlor die badische Bezirksverwaltung in den ersten beiden Jahren der NS-Herrschaft keinen einzigen Landrat, in Württemberg waren es nur zwei. Die weitaus meisten Abgänge indes - elf in Baden, zwölf in Württemberg - gingen auf das Konto vorzeitiger Pensionierungen. Offiziell erfolgten diese Zurruhesetzungen »auf Ansuchen« der Betroffenen, in einigen Fällen unter Hinweis auf krankheitsbedingte Dienstbehinderungen. Tatsächlich jedoch waren die meisten dieser Landräte erst unter dem Druck der Ministerien um ihre Pensionierung eingekommen.44 Die entsprechenden Aufforderungen waren allerdings nur in der Minderheit der Fälle direkt politisch motiviert. Vielmehr ging es den Ressortchefs Pflaumer und Schmid offensichtlich in erster Linie darum, rasch Beförderungsstellen für die nachdrängende Generation von Regierungsräten freizumachen. Nach innen konnten auf diese Weise Loyalitäten begründet oder verstärkt werden, sahen doch zumindest die mittelfristigen Karriereaussichten des Nachwuchses nach Jahren rigoroser Sparpolitik und angesichts der ungünstigen Altersstruktur der leitenden Bezirksbeamten trübe aus. Und nach außen eröffnete sich dadurch die Chance, draußen im Lande mit der Ablösung eines altgedienten Landrats durch einen tatkräftigen Nachwuchsmann jenen »frischen Wind« des Wiederaufbaus zu signalisieren, den die Propagandisten der »nationalen Revolution« auch in der Provinz wehen zu lassen verheißen hatten. Hatte es doch der württembergische Gauleiter und Reichsstatthalter Murr ausdrücklich als ein vorrangiges Ziel des unter seiner persönlichen Aufsicht durchgeführten Personalrevirements in den Oberämtem bezeichnet, daß der »Geist in den Behörden verjüngt« werde45 - eine Zielsetzung, von der sich die NS-Regierung in Baden ebenso leiten ließ.46 Anders als in weiten Teilen Preußens und verschiedenen anderen Ländern setzten die Innenminister der beiden südwestdeutschen Länder bei dem viel44

In Baden erfolgten diese (Zwangs-)Pensionierungen auf der Grundlage des eigens erlassenen »Gesetzes über die Zurruhesetzung der Beamten« vom 17.7.33 (BGVB1., S. 133). Die durchweg von resignierendem Widerstreben diktierten Entlassungsgesuche der betroffenen Landräte finden sich in GLA, 233, Nr. 24449. - In Württemberg wurden die vorzeitigen Pensionierungen bereits im Mai 1933 gemäß Art. 87 Abs. 3 Württ. Beamtenges, in der Fassung von Art. 1 Ziff. 2 der 11. Notverordnung des Staatsministeriums, betr. das Beamten- u. Besoldungsgesetz, v. 24.3.33 (Württ. RegBl., S. 63) eingeleitet. 45 RStH (gez. Murr) an StMin., 21.7.33 (HSTAS, Ε 151/01, Bü. 2302, Nr. 13). Später wurde ausdrücklich von der »Verjüngung des Beamtenkörpers nach der nationalen Erhebung gesprochen«; s. etwa Mdl (gez. Dr. Schmid) an RStH, 16.9.35 (HSTAS, Ε 151/01, Bü. 1432). Die beabsichtigten Personalveränderungen auf Landratsebene wurden Murr am 22.8.33 während einer von ihm geleiteten Spitzenbesprechung im Mdl vorgetragen und von ihm gebilligt; s. Mdl (gez. Dr. Schmid) an StMin., 29.8.33 (ebd., Bü. 1351, Nr. 107). 46 Niederschrift über die Sitzung der kommissarischen Regierung v. 27.3.33 (gez. MüllerTtefzer), Ausführungen StKom. für das Finanzministerium Köhler (GLA, 233, Nr. 24318, Bl. 5-12, hier Bl. 7).

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beschworenen »nationalen Wiederaufbauwerk« ganz auf die Mitwirkung der gelernten Verwaltungsleute. In Baden hatte Gauleiter und Reichskommissar Robert Wagner bereits frühzeitig ohne Umschweife festgestellt, »daß er die Säuberung des öffentlichen Behördenapparats nur sehr schrittweise habe einleiten können, einesteils wegen der finanziellen Auswirkungen und zum zweiten wegen der Schwierigkeiten geeigneten Ersatzes«.47 Doch wie entledigten sich die NS-Machthaber zu Beginn ihrer Herrschaft jener Landräte, die ihnen dafür ungeeignet erschienen, ohne allzuviel Unruhe in ihre Verwaltung hineinzutragen? Die vorzeitige Pensionierung - vergleichsweise schonend für die Betroffenen und dazu nicht sehr kostspielig - war sicherlich ein probates Mittel, kam aber in der Regel nur für Beamte in Betracht, welche das 60. Lebensjahr überschritten hatten. Die meisten der 1933/34 Verabschiedeten waren denn auch um 1870 geboren. Für jüngere Kräfte bot sich als Alternative die Abschiebung auf weniger exponierte Positionen an. In besonderen Fällen »nach oben«, auf politisch nicht so wichtige Ministerialstellen etwa, oder auf Präsidentensessel einer öffentlichen Versicherungs- oder Kreditanstalt. Doch solche Posten waren rar, und sie wurden traditionell nur mit besonders verdienten Beamten besetzt, deren Karriere sich ihrem Ende zuneigte. Für die übrigen kam in erster Linie die Sozialverwaltung in Betracht. Mit der Auflösung der Arbeitsministerien war sie 1924 sowohl in Baden als auch in Württemberg wieder dem Geschäftsbereich der Innenministerien zugeschlagen worden, genoß dort allerdings kein sonderlich hohes Ansehen. Bereits zu republikanischen Zeiten waren als anderweitig nicht mehr verwendbar eingestufte Angehörige der Innenverwaltung dorthin versetzt worden, und unter der NS-Ägide entwickelten sich besonders die Oberversicherungsämter zur bevorzugten Abschiebestation für politisch mißliebige Beamte. Was die Landräte anbelangte, blieb die Zahl solcher Abschiebefälle 1933/34 mit vier in Baden und fünf in Württemberg allerdings deutlich hinter den vorzeitigen Zurruhesetzungen zurück. Dieser Umstand unterstreicht den Eindruck, daß es sich bei dem Personalrevirement zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft nicht in erster Linie um eine politische Säuberungsaktion, sondern um eine Maßnahme zur Verjüngung der Bezirksverwaltung gehandelt hat. In Baden, wo die vergleichsweise hohe Zahl der vorzeitigen Pensionierungen auf eine stärkere Überalterung des Landrätekorps hinweist,48 kamen bei den 1933/34 vorgenommenen Neubesetzungen überwiegend Regierungsräte der 1880er Geburtsjahrgänge zum Zuge. In Württemberg wurde der Generationswechsel konsequenter vollzogen: die neu ernannten Landräte entstammten hier fast ausschließlich dem letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts oder waren gar seit der Jahrhundertwende geboren (Tabelle 4). So präsentierte sich die württembergische Bezirksverwaltung auf der Spitzenebene Mitte der dreißiger Jahre 47

In der Sitzung der kommissarischen Regierung v. 27.3.33 (Anm. 46, Bl. 5). Der nachmalige NS-Ministerpräsident und Finanz- u. Wirtschaftsminister, StKom. Walter Köhler, sprach sich hier ebenfalls für ein »vorsichtiges Vorgehen« aus (ebd., Bl. 7). 48 StKom. Köhler hatte bereits am 27.3.33 intern darauf hingewiesen, daß die »Überalterung des Beamtenkörpers« in Baden der eigenen Personalpolitik »zu Hilfe« käme (Anm. 46).

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deutlich jünger als im Nachbarland. Diese Kluft vergrößerte sich in der Folgezeit. Während nämlich in Baden, wie bereits angesprochen, nach 1934 nur noch vier Emennungen stattfanden, wurden in Württemberg während dieser Zeit immerhin noch zwölf neue Landräte berufen, die mit drei Ausnahmen den Geburtsjahrgängen 1900 bis 1905 entstammten (Tabelle 4). So lag denn auch das Durchschnittsalter der Anfang 1943 amtierenden Landräte in Baden bei 58 Jahren, während ihre württembergischen Kollegen im Schnitt gerade das 50. Lebensjahr vollendet hatten. Dieser Sachverhalt ist unter zwei Gesichtspunkten von Interesse: Zum einen wäre danach zu fragen, ob sich die Nachwuchsrekrutierung des badischen Innenministeriums mit Blick auf den besonders hohen Ersatzbedarf, der sich für das Ende der vierziger Jahre abzeichnete, erkennbar von derjenigen in Württemberg unterschied; und zum zweiten gilt es zu beachten, daß die erste Garnitur der badischen Bezirksverwaltung in ihrer großen Mehrheit um 1950 allein schon aus Altersgründen nicht mehr zur Verfügung stand, wenn sich der Blick auf die personellen Kontinuitätslinien von der NS-Zeit zur baden-württembergischen Innenverwaltung der fünfziger und sechziger Jahre richtet. Doch zunächst zurück zu jenen Landräten, die in der Zeit von 1935 bis zum Ende des Dritten Reichs aus der Bezirksverwaltung ausgeschieden sind. In Baden boten sich der nationalsozialistischen Personalpolitik, was Neuemennungen anbelangte, nach dem umfangreichen Revirement der Jahre 1933/34 und angesichts der seit 1936 schrittweise vollzogenen Auflösung jedes dritten Bezirksamts während der dreißiger Jahre keine Ansatzpunkte mehr. Sie mußte sich einstweilen darauf beschränken, diejenigen Landräte aus dem Verkehr zu ziehen, welche den persönlichen und dienstlichen Anforderungen vor allem auch unter politischen Gesichtspunkten nicht (mehr) genügten. Das Instrument der vorzeitigen Pensionierung war vorerst ausgereizt, und das Berufsbeamtengesetz lieferte, sofern es nicht ohnehin schon Anfang 1934 außer Kraft getretenen war, aus praktischen und politischen Gründen keine geeignete Handhabe gegen mißliebige Landräte. Blieben die Abschiebungen. In zwei Fällen führten sie formal nach oben. Landrat Gustav Bechtold wurde nach jahrelangen Querelen mit dem Kreisleiter in Bruchsal 1938 das Amt des Landeskommissärs in Mannheim kommissarisch übertragen, seine endgültige Ernennung dann jedoch von der Karlsruher NSDAP-Gauleitung ausdrücklich aus politischen Gründen bis in den Krieg hinein sabotiert; und Alfred Franck wurde Anfang 1935 zum Präsidenten der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft ernannt, um Platz für den frischgebackenen Konstanzer Kreisleiter Engelhardt zu machen. Landräte genossen als selbständige Behördenleiter ein besonderes Renomee und erzielten über ihre regulären Bezüge hinaus recht beträchliche Nebeneinnahmen. Weniger attraktiv waren demgegenüber jene Posten, auf die vier weitere Landräte in Baden abgeschoben wurden: Zwei von ihnen, Max Dittler (Wolfach) und Karl Vierling (Säckingen), wurden 1936/37 an den Karlsruher Verwaltungsgerichtshof beziehungsweise die dort angesiedelte Dienststrafkammer für höhere Beamte versetzt - dort waren 1933 schon zwei eben zu Ministerialräten beförderte Beamte, Alfred Schühly (Zentrum) und Hugo Freiherr

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von Babo (DVP) kaltgestellt worden.49 Der Donaueschinger Landrat Felix Bekker mußte 1937 die Leitung des Oberversichungsamtes Konstanz übernehmen. Und sein Stockacher Kollege Rudolf Goldschmidt schließlich löste bezeichnenderweise im selben Jahr eben jenen ehemaligen Regierungsrat Gröppler, der 1933 auf Druck der örtlichen NSDAP als Bürgermeister von Wiesloch abgesetzt worden war,50 an der Spitze des Badischen Gemeinderechnungsprüfungsamtes ab. Härter traf es Karl Müller (Rastatt) und Ludwig Werber (Buchen). Während jener 1938 nach dem »Anschluß« Österreichs in die »Ostmark« entsandt wurde, wurde dieser nach seiner politisch begründeten Suspendierung als Oberregierungsrat in die »Westmark« nach Kaiserslautem abgeordnet. In Württemberg schieden während der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre acht Landräte auf regulärem Wege aus dem Dienst, einer starb 1940 an der Front. Hinzu kamen vier vorzeitige Pensionierungen. Nur in einem Fall waren eindeutig politische Querelen die Ursache. Landrat Ernst Mäulen, ein ebenso konservativer wie gut beurteilter Beamter der »alten Schule«, hatte sich während der Machtergreifung im Frühjahr 1933 mit seinem Beharren auf rechtsstaatlichen Verfahrensweisen derart unbeliebt bei den Waiblinger Nationalsozialisten - zuvörderst dem erwähnten Kreisleiter und späteren Beamten Fiechtner - gemacht, das sie Mitte Juni 1933 mit einer »spontanen« Protestdemonstration vor dem Oberamt seine vorübergehende Suspendierung erzwangen. Im November 1933 nach Esslingen versetzt, scheute Mäulen auch in den folgenden Jahren den Konflikt mit NS-Dienststellen und selbst der Gestapo nicht. Geraume Zeit ließ man ihn gewähren, doch Anfang 1938 wurde er schließlich mit 60 Jahren in den vorzeitigen Ruhestand geschickt. Eindeutiger auf politische Motive zurückzuführen sind die meisten der elf Abschiebungen seit 1935. Robert Molfenter etwa, der im April 1934 zunächst als Verwalter des Oberamts nach Oberndorf entsandt worden war, geriet dort alsbald mit der NSDAP-Kreisleitung aneinander und wurde vorerst wieder ins Technische Landesamt zurückbeordert. Das Innenministerium wollte ihn gleichwohl halten, und auch der Kreisleiter stellte seine Bedenken nach einiger Zeit zurück. Molfenters Landratskarriere indes war schon im Ansatz gescheitert: Zwar wurde er im Dezember 1935 formell zum Oberamtsvorstand in Obemdorf ernannt, doch geschah dies nur, um ihn anschließend als Oberregierungsrat in eine Planstelle gleicher Besoldungsgruppe beim Technischen Landesamt einweisen zu können. Seine Oberndorfer Stelle wurde inzwischen dringend für den Polizeidirektor Quintenz aus Friedrichshafen benötigt, der sich mit dem Kreisleiter in Tettnang überworfen hatte. 49

Die am 9.1.33 mit Wirkung vom 1.5.33 ausgesprochenen Ernennungen wurden durch VO des StMin. - Der Beauftragte des Reichs - (GauL R. Wagner) v. 28.3.33 aufgehoben; vgl. Sitzung der kommissarischen Regierung v. 27.3.33, Ausführungen des StKom. für das Mdl Pflaumer (Anm. 46, Bl. 11); ferner Christian Kirchberg, Der Badische Verwaltungsgerichtshof im Dritten Reich. Eine Quellenstudie zur Justiz- und Verwaltungsgeschichte des ehemaligen Landes Baden unter dem Nationalsozialismus, Berlin 1982, S. 45f. Kurzbiographien s. ebd., S. 47f„ 123 (von Babo) u. S. 48, 122 (Schühly). 50 Markus Rupp, Etappen auf dem Weg zur Macht 1925 - 1935. Die nationalsozialistische Machtübernahme und Gleichschaltung in den badischen Amtsbezirksstädten Wiesloch und Bretten. Ein Vergleich, Magisterarbeit Universität Mannheim 1991, S. 159-163.

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Bei zwei anderen Beamten, die Anfang 1934 zu Verwaltern der Oberämter Brackenheim und Saulgau bestellt worden waren, scheiterte bereits die endgültige Ernennung an Widerständen aus der NSDAP. Regierungsrat Otto Häberle vom Oberamt Tübingen wurden abfällige Äußerungen über Hitler zum Verhängnis, die im Frühjahr 1933 dem Tübinger Kreisleiter hinterbracht worden waren. Es wirft ein bezeichnendes Licht auf die Entscheidungsprozesse im Dritten Reich, daß dessen Veto - obschon später zurückgenommen - Häberle ebenso die Laufbahn verdarb wie seinem Kollegen Walter Kreß, der im Herbst 1933 vom Herrenberger Kreisleiter abgelehnt und bald darauf zum Landesgewerbeamt abgeschoben wurde. Dabei attestierte der Kreisleiter in Brackenheim Häberle gute Zusammenarbeit mit der Partei und setzte sich ebenso für seine Ernennung ein wie zunächst der Innenminister. Erst im Mai 1936, Häberle verwaltete nach wie vor das Oberamt ohne irgendwelche Beanstandungen, sah sich Schmid durch den anhaltenden Widerstand, den offensichtlich der Stellvertreter des Führers beim Reichsinnenminister leistete, »genötigt«, seinen mehrfach erneuerten Emennungsvorschlag zurückzuziehen. Die mit Berlin vereinbarte Abschiebung in ein bayerisches Oberversicherungsamt ließ sich nicht bewerkstelligen, und so wies man Häberle schließlich wie den Leonberger Landrat Christoph Baumann dem Oberversicherungsamt Stuttgart zu. Die Bestallung seines Kollegen Dittus in Saulgau wurde durch ein Parteistrafverfahren lange blockiert und schließlich verhindert, obwohl der Innenminister dessen Anlaß ebenfalls nicht als schwerwiegend betrachtete. Nach jahrelanger Tätigkeit in Saulgau mußte Dittus dessenungeachtet 1937 ins Ministerium zurückgeholt werden, und im darauffolgenden Jahr wurde er im Reichsarbeitsministerium untergebracht.51 Auf typischen Abschiebepositionen endete fürs erste auch die Karriere jener anderen Landräte, die im im Laufe der dreißiger Jahre von ihren »politischen« Posten abgezogen wurden: Landeskreditanstalt, Wirtschaftsministerium, Ministerialabteilung für Hochbauwesen. Zwei von ihnen, Paul Bushart (Horb) und Wilhelm Lempp (Neuenbürg), gelangten 1938 in die Ministerialabteilung für Bezirks- und Körperschaftsverwaltung, wo bereits eine Reihe von höheren Beamten tätig (gewesen) war, denen aus Sicht der Staatspartei nicht getraut werden konnte. 1933 waren die Landräte Gustav Mayer (Ulm) und Karl Rüdiger (Böblingen) dorthin versetzt worden. Regierungsrat Jonathan Hoffmann, den Innenminister Schmid als »sehr tüchtige[n] Beamte[n]« pries, wurde erst Ende 1941, zwanzig Jahre nach seiner Ernennung, zum Oberregierungsrat befördert - unter der ausdrücklichen Auflage des Reichsinnenministers, daß »er nun in kürzester Zeit den Anschluß an die Partei findet, und zwar unter aktiver Mitarbeit«.52 Dieser Mahnung leistete Hoffmann ebensowenig Folge wie Regierungsrat Erich Schariry, dem zur gleichen Zeit die längst fallige Beförderung aus politischen Gründen ganz verwehrt wurde. 51

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Molfenter: HSTAS, Ε 151/01, Bü. 1513; Häberle: ebd., Bü. 1164; Kreß: ebd., Bü. 1351; Dittus: ebd., Bü. 179. - Zur Einflußnahme des Stellvertreters des Führers auf die Personalpolitik im höheren Verwaltungsdienst s. Caplan (Anm. 5), S. 159-183. Ernennungsvorschlag Mdl, 24.2.41; RIM-Einweisungserlaß, 26.11.41 (HSTAS, Ε 151/01, Bü. 150).

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Ihr Kollege August Breucha war Ende 1936 vom Innenminister gar nicht erst als neuer Landrat in Herrenberg vorgeschlagen worden, nachdem der Gauleiter und Reichsstatthalter schon im Vorfeld durch seinen Staatssekretär Waldmann hatte abwinken lassen: Es sei »nicht erwünscht [...], außer dem Regierungsrat Dr. Trabold, Oberamtsverweser in Leonberg, im gegenwärtigen Augenblick für eine weitere Oberamtsvorstandsstelle einen Beamten vorzuschlagen, der früher dem Zentrum angehört« habe.53 Trabold war seit Mitte 1932 bei der Ministerialabteilung verwendet, und auch seine Ernennung kam schließlich nicht zustande. Breucha verweigerte der Reichsinnenminister 1937 trotz anerkannter fachlicher Eignung sogar die fällige Höhergruppierung - wiederum mit der Begründung, er sei bis 1933 »Mitglied der Zentrumspartei und Gegner der NSDAP« gewesen. Vergeblich verbürgte sich daraufhin Innenminister Schmid nochmals ausdrücklich für Breuchas »politische Zuverlässigkeit«.54 Wenn seinem abermaligen Ernennungsvorschlag wiederum der Erfolg versagt blieb - Breucha wurde wie Trabold 1938 ins Wirtschaftsministerium abgeschoben so mag das auch darauf zurückzuführen sein, daß Schmid sich dabei ausgerechnet auf die Beurteilung des amtierenden Abteilungsvorstands berufen hatte. Denn Erwin Gerhardt, der die Stelle des Ende 1936 verstorbenen Präsidenten Pfleiderer verwaltete, hatte selbst die allergrößten Probleme mit der Partei. 1933 war der damalige Landrat in Waldsee von der - nach Inkrafttreten des BBG eingerichteten - »Prüfungsstelle beim Staatsministerium« als »Günstling von Bolz und radikaler Zentrumsmann« zur Abschiebung »auf eine ungefährliche Stelle« empfohlen worden. Obwohl auch der Chef der württembergischen politischen Polizei Einspruch dagegen erhob, hatte der Innenminister ihn daraufhin ins Ministerium geholt und - weil ein »tüchtiger Beamter« und »national zuverlässig« - kurz darauf dessen Beförderung zum Oberregierungsrat durchgesetzt. Weniger Erfolg indessen hatte Schmid, als er Gerhardt auf dem Präsidentenstuhl der Ministerialabteilung piazieren wollte. Beinahe drei Jahre schwebte das Emennungsverfahren, bis der »Führer und Reichskanzler« am Vorabend des deutschen Überfalls auf Polen endlich doch noch die Ernennungsurkunde unterzeichnete.55 Hier kann nicht im einzelnen der Frage nachgegangen werden, warum ausgerechnet jene Ministerialabteilung, der in Württemberg die gesamte Kommunalaufsicht nicht nur in sachlicher, sondern auch personeller Hinsicht unterstand, mit offensichtlicher Billigung des Ressortchefs zum Refugium von höheren Beamten werden konnte, denen die NSDAP mit Argwohn begegnete. Eine Erklärung mag in dem Umstand zu suchen sein, daß gerade diese Abteilung unter besonders scharfer Kontrolle des maßgeblichen Vertrauensmannes der Partei im Innenministerium stand. Georg Stümpfig, langjähriger Bürger53

Aktenvermerk Mdl, Kanzleidirektion (gez. Himmel), 15.12.36 (HSTAS, Ε 151/01, Bü. 1351, Nr. 115). Korrespondenz s. HSTAS, Ε 151/01, Bü. 415. 55 HSTAS, Ε 151/01, Bü. 150; zum Protest der politischen Polizei s. Mattheiß' Schreiben v. 28.7.33 (Anm. 19). - Unterlagen zur Zusammensetzung und Arbeit der Prüfungsstelle finden sich in HSTAS, Ε 151/01, Bü. 2318; vgl. Sauer (Anm. 36), S. 73. 54

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meister einer kleinen Gemeinde im Oberamt Gerabronn, Parteigenosse seit 1929 und 1932/33 auch NSDAP-Landtagsabgeordneter, war Mitte 1933 in das Ministerium gerufen worden, um die personelle Säuberung der württembergischen Kommunalverwaltung zu organisieren. Nachdem er sich dabei aus Sicht seiner Partei bewährt hatte, wurde er 1934 nicht nur zum neuen Gauamtsleiter für Kommunalpolitik berufen, sondern auch - unter ausdrücklicher Befreiung von den üblichen Laufbahnvoraussetzungen - zum planmäßigen Regierungsrat bei der Ministerialabteilung ernannt. Bereits zwei Jahre später übernahm der »Parteibuchbeamte« Stümpfig als Oberregierungsrat die Leitung der Kanzleidirektion des Innenministeriums. Damit hielt er insbesondere auch in Personalangelegenheiten alle Fäden in der Hand. Bezeichnenderweise wurde im Ernennungsantrag des Ministers zu den Dienstaufgaben Stümpfigs ausdrücklich die weitere Leitung des Gauamts für Kommunalpolitik gezählt, und die Mitte 1940 erfolgte Beförderung zum Ministerialrat begründete Schmid mit der lapidaren Feststellung, Stümpfig habe sich nicht nur »dienstlich in jeder Hinsicht ausgezeichnet bewährt«, sondern auch »der Bewegung vor und nach der Machtübernahme hervorragende Dienste geleistet«.56 Bis zum Zusammenbruch des NS-Regimes spielte Stümpfig eine Schlüsselrolle als Vertrauensperson der Gauleitung und »starker Mann« der Partei im Innenministerium.

V. Entlassungen oder Maßregelungen von Landräten nach dem Berufsbeamtengesetz gab es also während der Machtergreifungsphase weder in Baden noch in Württemberg. Und der Stuttgarter Innenminister sicherte seinen Amts vorständen im Frühjahr 1934 auf besorgte Nachfragen nochmals ausdrücklich zu, auch in Zukunft hätten sie »vom Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums gar nichts zu befürchten«; im übrigen könnten sie bei allen ungerechtfertigten Angriffen aus den Reihen der NSDAP mit seiner Rückendeckung rechnen.57 Diese Zusage allerdings ging von der unverhohlenden Voraussetzung aus, daß die Landräte erstens mit der NSDAP im allgemeinen und deren Kreisleitem im besonderen gut zusammenzuarbeiten und zweitens ihre Loyalität zur Staatspartei auch nach außen durch den Erwerb der Mitgliedschaft und ein moderates Engagement in NS-Organisationen wie etwa der NSV zu dokumentieren bereit sein würden. Was die zweite Bedingung anging, so wurde sie in Württemberg zumindest von den unter nationalsozialistischer Regie seit April 1933 neuemannten Landräten fast ausnahmslos erfüllt: Mit einer Ausnahme - der Betreffende zog 1937 nach - konnten alle 27 einen Mitgliedsaus56

HSTAS, Ε 151/01, Bü. 123. Zur Person und Rolle Stümpfigs vgl. den Aufsatz von H. Roser/P. Spear in diesem Band. Zur personellen »Gleichschaltung« der württembergischen Kommunalverwaltung allgemein s. Sauer (Anm. 36), S. 89-96; Schnabel (Anm. 36), S. 281-293. 51 Niederschrift über eine Zusammenkunft der Oberamtsvorstände des Sprengels Ulm mit Mdl Schmid am 25.4.34, 28.4.34 (HSTAS, Ε 151/01, Bü. 2319, Nr. 305a).

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weis mit dem Eintrittsdatum 1. Mai 1933 vorweisen. Auch die bereits amtierenden Oberamtsvorstände reihten sich zum größten Teil in das Millionenheer der »Märzgefallenen« und »Maiveilchen« ein. In Baden hatten demgegenüber immerhin sieben der zwölf Beamten, die 1933/34 die Leitung eines Bezirksamtes übertragen bekamen, diesen Anpassungsakt noch nicht vollzogen. Sechs von ihnen traten 1937/38 in die NSDAP ein. Rückschlüsse auf die tatsächliche politische Einstellung der Beamtenschaft in SUdwestdeutschland und ihr Verhalten indes lassen sich aus diesen Zahlen nur in sehr beschränktem Umfang ziehen. In der Tat deutet manches darauf hin, daß der Parteibeitritt für die meisten von ihnen »lediglich einen mehr oder weniger erzwungenen Akt äußerer beruflicher Sicherung«58 darstellte. Inwieweit sich jedoch hinter der Fassade äußerlicher Nazifizierung Verhaltensweisen ausbildeten, die mit der Kategorie »Resistenz« zu fassen wären, muß einer einzelfallbezogenen Überprüfung vorbehalten bleiben. Einen offenen Bruch mit dem nationalsozialistischen Unrechtssystem vollzog jedenfalls nur ein einziger Landrat: Richard Alber in Münsingen, Frontkämpfer vom ersten bis zum letzten Tag des Krieges, dann 1919 als Freikorpsangehöriger an der blutigen Niederschlagung der Münchener Räterepublik beteiligt, von 1920 bis 1933 bei den Deutschnationalen wie im Stahlhelm aktiv, schließlich seit 1933/34 Mitglied der NSDAP und der SA. Ausgerechnet dieser Mann mit einer wahrhaft »nationalen« Biographie, der 1934 nicht zuletzt auf Dringen der dortigen NSDAPKreisleitung zum Landrat in Laupheim ernannt worden war, ließ im Laufe des Krieges auch gegenüber Bediensteten seines Landratsamts immer deutlicher erkennen, daß er innerlich mit der Politik des »Führers« gebrochen hatte. Schließlich wurde er denunziert, aus der Partei ausgeschlossen, daraufhin vorläufig seines Amts enthoben und nicht nur mit dienststrafrechtlichen Konsequenzen bedroht. Seiner Verhaftung entzog sich Alber im Sommer 1944 durch die Flucht in die Schweiz, nachdem er einen Selbstmord vorgetäuscht hatte.59 Doch dieser Vorgang blieb ein Einzelfall. Nicht umsonst ist der Umstand, »daß die Posten der Landräte auch während des Dritten Reiches nur entsprechend qualifizierten Beamten offenstanden«, als »der größte Erfolg für die höheren Beamten« in Württemberg während der NS-Herrschaft bezeichnet worden.60 In der Tat konnte im Vorstehenden belegt werden, daß als Ersatz für die seit 1933 auf die eine oder andere Weise von ihren Stellen entfernten Landräte - mit einer Ausnahme in Baden - ausschließlich Karrierebeamte aus der eigenen Innenverwaltung ernannt wurden, die bereits vor der nationalsozialistischen Machtergreifung ein- und zumeist auch schon planmäßig angestellt worden waren. Dieser zunächst einmal rein deskriptive Befund legt die 58

Sauer (Anm. 36), S. 77. Zu den Bemühungen der meisten höheren Verwaltungsbeamten, im Frühjahr 1933 noch in die Partei aufgenommen zu werden, s. ebd., S. 67-78; Schnabel (Anm. 36), S. 325-328. 59 Zum Vorgang vgl. Schnabel (Anm. 36), S. 340f. Zur Berufung Albers nach Laupheim s. NSDAP-Kreisleitung Laupheim an Mdl, 6.1.34 (HSTAS, Ε 151/01, Bü. 1392, Nr. 101); Kreisbauemführer Laupheim an Landesbauemschaft Württemberg, 6.12.33 (ebd., Nr. 102). 60 Schnabel (Anm. 36), S. 332.

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Michael Ruck

Vermutung nahe, daß die Innenverwaltung der beiden südwestdeutschen Länder in ihrem - offenbar nicht erfolglosen - Streben nach korporativer Selbstbehauptung eine vergleichsweise hohe Resistenzfähigkeit zu bewahren vermocht hat. Es wird sich zeigen lassen, welch unterschiedliche Verhaltensweisen die einzelnen Beamten in dieser Situation an den Tag gelegt haben.

VI. Wennschon die nationalsozialistische »Revolution« an der inneren Verwaltung Südwestdeutschlands nicht spurlos vorübergegangen ist, so ließ sie doch deren personelle Substanz einstweilen unangetastet. Inwieweit die während der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre betriebene Rekrutierungspolitik - während des Krieges galten andere Maßstäbe - längerfristig zu einer tiefergehenden Nazifizierung der höheren Beamtenschaft geführt hätte, kann hier nicht erörtert werden. Stattdessen soll abschließend am Beispiel der baden-württembergischen Landräte zumindest eine vorläufige Antwort auf die Frage gegeben werden, ob denn etwa der Zusammenbruch des NS-Regimes schwerwiegendere Konsequenzen für die administrativen Funktionseliten mit sich gebracht hat als dessen dreizehnjährige Herrschaft. Zunächst schien manches darauf hinzudeuten. Im Sommer und Herbst 1945 wurde die Mehrzahl der höheren Beamten auf Weisung der Besatzungsbehörden als politisch belastet entlassen. Nur eine Handvoll der amtierenden Landräte durfte die Amtsgeschäfte noch einige Monate weiterführen, die übrigen mußten gehen, einige wurden von den Siegermächten zeitweise interniert. Die rigorosen Entnazifizierungsrichtlinien der Besatzungsmächte schienen anfangs eine spätere Rückkehr nicht nur der Landräte, sondern auch derjenigen Regierungsräte, die als zweite Beamte an den Landratsämtem tätig gewesen waren, unmöglich zu machen. Zudem zogen in den amerikanisch wie in den französisch besetzten Teilen Badens und Württembergs Beamte in Spitzenpositionen der Innenverwaltung ein, die aus rassischen oder politischen Gründen benachteiligt, gemaßregelt oder gar verfolgt worden waren. So wurde im Landesbezirk Baden Julius La Fontaine zum Ministerialrat und Landespolizeidirektor ernannt. 1933 war er aus politischen Gründen als Leiter der Polizei- und Gendarmerieschule Karlsruhe abgelöst worden und hatte die folgenden zehn Jahre ohne erkennbaren Karrierefortschritt an verschiedenen Bezirksämtern verbracht. Im Januar 1943 wurde er festgenommen und im Oktober vom Volksgerichtshof wegen »Rundfunkverbrechens« und der Ausrichtung von »staatsfeindlichen Gemeinschaftsabenden« in seiner Wohnung zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt.61 Er starb bereits im Januar 1947 an den Folgen seiner Haft in der Strafanstalt Bruchsal. Albert Kistner war Anfang der vierziger Jahre als vormaliger Zentrumsanhänger, der sich »bisher nicht restlos 61

Vgl. dazu (mit Hinweisen auf die einschlägigen Archivalien) den Beitrag von J. Sikinger/M. Ruck in diesem Band.

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von seiner früher vertretenen weltanschaulichen Richtung« habe »freimachen« können, in die Schußlinie der Karlsruher NSDAP-Gauleitung geraten;62 nun bekleidete er zunächst als Personalreferent und Leiter der Polizeiabteilung des (süd-) badischen Innenministeriums, dann seit März 1947 als Ministerialrat und Direktor der Präsidialkanzlei des Landesbezirks Baden personalpolitische Schlüsselpositionen, bis er Anfang 1951 als politischer Beamter (CDU) auf einen anderen Posten versetzt wurde.63 Der frühere Zentrumsabgeordnete Valentin Eichenlaub, im Zuge der »Aktion Gitter« nach dem 20. Juli 1944 für Wochen gefangengehalten, wurde Regierungsdirektor und stellvertretender Leiter der Landesbezirksdirektion für Arbeit. Und Emst Walz, der noch unmittelbar vor der nationalsozialistischen Machtübernahme zum Ministerialrat und Leiter der wichtigen Kommunalabteilung im Karlsruher Innenministerium avanciert, doch schon Anfang 1935 zum Rechnungshof abgeschoben und dort zwei Jahre später vorzeitig pensioniert worden war, wurde im Juli 1945 zunächst zum Stellvertreter des Oberpräsidenten von Nordbaden berufen, um kurz darauf das Oberbürgermeisteramt in Heidelberg zu übernehmen.64 In Südbaden nahm sein ehemaliger Regierungsratskollege Hermann Stenz (SPD), ebenfalls ein 1933 entlassener »Parteibuchbeamter«, als Ministerialrat und Vorsitzender der politischen »Reinigungskommission« dieser Behörde bis zum Herbst 1949 eine herausgehobene Stellung im Innenministerium ein. Ministerialdirektor und kommissarischer Leiter der Innenverwaltung war dort bis zu seinem Tod Anfang Juni 1945 der 1933 als Sozialdemokrat entlassene Ministerialrat Adolf Schwarz. Ihm folgte für anderhalb Jahre der ehemalige Karlsruher Polizeipräsident Paul Haußer, als Mitglied der DDP/Staatspartei seit 1933 beim Statistischen Landesamt kaltgestellt. Und Marcel Nordmann wurde nach seiner Rückkehr aus der Emigration zunächst von der Militärregierung zum kommissarischen Landeskommissär in Konstanz ernannt. Ende 1946 wechselte der SPD-Landtagsabgeordnete als Staatssekretär ins Innenministerium und amtierte von August 1947 bis Februar 1948 als Justizminister in Freiburg. Das dortige Innenressort leitete von August 1947 bis Mai 1952 der bisherige Ministerialrat Alfred Schühly (BCSV), der 1933 aus politischen Gründen zum Verwaltungsgerichtshof abgeschoben worden war. An der Spitze der BCSVLandtagsfraktion schließlich stand der Anfang 1937 zwangspensionierte Regierungsrat und einstmalige Zentrumsabgeordnete Wolfgang Hoffmann, seit 1945 Oberbürgermeister der südbadischen Hauptstadt.65 62

RStH an StMin., 11.5.40 (OLA, 233, Nr. 24625). Der »Fall Kistner« fand in der Presse starke Beachtung und beschäftigte am 21.2.51 auch den Landtag von Württemberg-Baden; s. dazu die Personalakte (GLA, 466, 1979/2, Nr. 3953/1). 64 Josef Weick, MdL und Landtagsgeschichte von Baden-Württemberg 1945 - 1984 mit Verzeichnissen der Abgeordneten von Baden und Württemberg 1919 - 1933. Biographisches Gesamtverzeichnis der Abgeordneten der Länder Baden, Württemberg-Baden, Wiirttemberg-Hohenzollem 1946 - 1952, Baden-Württemberg 1952 - 1984 (Stand Dezember 1984), Hrsg. Landtag von Baden-Württemberg, 3., erg. Aufl., Stuttgart 1984, S. 24, 222. 65 Nordmann: Weick (Anm. 64), S. 189, 251, 258; Schühly: ebd., S. 252, 257; Hoffmann: ebd., S. 159, 233, 275. 63

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Michael Ruck

Auch in Württemberg-Baden erhielt mit Anton Schmid ein zu Zeiten des Dritten Reichs politisch mißliebiger Beamter im November 1945 eine einflußreiche Position übertragen. Als Ministerialrat leitete er nun jene Kanzleidirektion des Innenministeriums, von der aus NS-Verbindungsmann Stümpfig über Jahre hinweg seine Fäden gezogen hatte. Dorthin kehrte als Regierungsdirektor und späterer Ministerialrat auch Otto Rueff zurück. Der Oberregierungsrat und langjährige Personalreferent beim Polizeipräsidium Stuttgart hatte im Herbst 1933 »wegen ständiger versteckter Sabotageversuche« von dem württembergischen Gestapo-Chef Mattheiß Hausverbot erhalten, war anschließend nur knapp der Entlassung gemäß § 4 BBG entgangen und dann zur Gebäudebrandversicherungsanstalt abgeschoben worden ,66 Doch die Entnazifizierung des öffentlichen Dienstes sollte auch in Südwestdeutschland nur allzu rasch zu jener vielzitierten »Mitläuferfabrik« geraten, deren Hauptzweck es nach dem unausgesprochenen Einverständnis der sogenannten »Betroffenen« und der Mehrzahl ihrer Richter war, jene unter Verabfolgung einer symbolischen Sühne zu rehabilitieren, um ihnen eine möglichst bruchlose Fortsetzung ihrer Beamtenkarriere zu ermöglichen.67 Die Landesregierungen wirkten daran tatkräftig mit - manche belastende Personalakte wurde während der ersten Nachkriegsjahre wider besseres Wissen als »durch Brand vernichtet« deklariert - , und auch die ausgewiesenen NS-Gegner und -Geschädigten konnten oder wollten das nicht verhindern. Zu stark war allen Erschütterungen zum Trotz der Korpsgeist der höheren Beamtenschaft, als daß sie an einer durchgreifenden Säuberung der Innenverwaltung von jenen Kollegen hätten mitwirken mögen, die sich in der einen oder anderen Weise enger als unvermeidbar mit dem nationalsozialistischen Regime eingelassen hatten: »Ich [betrachte] es als meine selbstverständliche Pflicht,« versicherte etwa Präsidialdirektor Kistner einem ehemaligen Landrat, »den alten badischen Verwaltungsbeamten im Rahmen der mir zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu helfen.«68 Besonders deutlich tritt dieses Motiv in jener umfangreichen Korrespondenz hervor, an deren Ende 1951 die vollständige dienstrechtliche Rehabilitierung des ehemaligen Ministerialdirektors im badischen Innenministerium stand. Friedrich Müller-Trefzer, 1920 bis 1933 Mitglied der DVP, dann der NSDAP, 66

Kurzbiographie Rueffs s. Friedrich Wilhelm, Die württembergische Polizei im Dritten Reich, Diss. Stuttgart 1989, S. 265f. 67 Lutz Niethammer, Die Mitläuferfabrik. Die Entnazifizierung am Beispiel Bayerns, 2. Aufl., Berlin/Bonn 1982 (zuerst Frankfurt 1972 u. d. T.: Entnazifizierung in Bayern. Säuberung und Rehabilitierung unter amerikanischer Besatzung). Zur Entnazifizierung in Südwestdeutschland s. Klaus-Dietmar Henke, Politische Säuberung unter französischer Besetzung. Die Entnazifizierung in Württemberg-Hohenzollem, Stuttgart 1981; Manfred Bosch, Der Neubeginn. Aus deutscher Nachkriegszeit. SUdbaden 1945 - 1950, Konstanz 1988, S. 304-342; Reinhard Grohnert, Die Entnazifizierung in Baden 1945 - 1949. Konzeptionen und Praxis der »Epuration« am Beispiel eines Landes der französischen Besatzungszone, Stuttgart 1991; Klaus-Jürgen Matz, Reinhold Maier (1889 - 1971). Eine politische Biographie, Düsseldorf 1989, S. 276-304 (Württemberg-Baden). 68 Präs. Landesbezirk Baden - Präsidialdirektor - (gez. Kistner) an Präs. a.D. Alfred Franck, 22.10.47 (GLA, 466, 1978/36, Nr. 1930).

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61

war im März 1933 zum Ministerialrat und Leiter der Karlsruher Staatskanzlei berufen worden. Dort gingen unter anderem sämtliche Emennungsvorschläge der Ministerien über seinen Schreibtisch. Anfang 1940 avancierte er zum Stellvertreter des Ressortchefs Pflaumer im Innenministerium. Auch dort übte Müller-Trefzer maßgeblichen Einfluß auf die Personalpolitik aus. Gleichwohl bemühten sich die Spitzen der Verwaltung des Landesbezirks Baden nach 1945 mit vereinten Kräften, ihn als aktiven NS-Gegner darzustellen. Selbst gegen die allgemein übliche Reduzierung seiner Pension auf den Satz eines Ministerialrats erhob der Leiter der Inneren Verwaltung des Landesbezirks, ein Sozialdemokrat, zuletzt noch erfolgreich Einspruch: »Man würde der Persönlichkeit des Beamten [...] nicht gerecht werden, würde man ihn durch eine Kürzung seiner Versorgungsbezüge [...] mit dem ehrenrührigen Vorwurf belasten, daß er seine Laufbahn mit einer politisch motivierten Beförderung abgeschlossen habe«, wandte Unser ein, um dann sein eigentliches Anliegen zu offenbaren: »Letzten Endes würde man aber damit auch der badischen inneren Verwaltung in der Zeit von 1933 bis 1945 nicht gerecht werden, die sich weit mehr als andere Geschäftsbereiche mit politischen Widerständen und Unannehmlichkeiten auseinander zu setzen (sie!) hatte, wenn Ministerialdirektor Müller-Trefzer als ihr oberster Berufsbeamter durch eine Kürzung seiner Versorgungsbezüge als politischer Exponent des Nationalsozialismus abgestempelt würde.«69 Vor diesem Hintergrund kann es nicht verwundern, daß der größte Teil des noch dienstfähigen Personals der südwestdeutschen Innenverwaltung aus der Zeit des Dritten Reichs seine unterbrochenen Karrieren unter demokratischen Verhältnissen längst wieder hatte fortsetzen können, als der Grundgesetzartikel 131 den aufgrund ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit »verdrängten« Beamten die Rückkehr ermöglichte.70 Auf der Spitzenebene der Bezirksverwaltung allerdings brachte das Jahr 1945 noch am ehesten einen scharfen Kon69

Präs. Landesbezirk Baden - Abt. Innere Verwaltung - (gez. Dr. Unser) an Präs. Landesbezirk Baden, 20.2.51 (GLA, 466, 1979/2, Nr. 5289/1). Die hier zum Ausdruck kommende Selbsteinschätzung der badischen Innenverwaltung bildet auch das Leitmotiv des einzigen publizierten Zeugnisses eines Landrats der NS-Zeit: Klaus Teilenbach, Die Badische Innere Verwaltung im Dritten Reich, in: ZGO 134 (1986), S. 377^122; vgl. auch die im Herbst 1947 vom ehemaligen ORegR und Personalreferenten im Karlsruher Mdl, Carl Domes, in Abstimmung mit Tellenbach und anderen höheren Beamten verfaßte Denkschrift »Wissenswertes über die bad. Staatsverwaltung vor und nach 1933 im Hinblick auf die derzeitigen Beamtenentlassungen« (STAF, NL Leo Wohleb, Nr. 26). 70 Zur Rückführung der in den Besatzungsjahren »verdrängten« Beamten s. eingehend Udo Wengst, Beamtentum zwischen Reform und Tradition. Beamtengesetzgebung in der Griindungsphase der Bundesrepublik Deutschland 1948 - 1953, Düsseldorf 1987; vgl. Theodor Eschenburg, Der bürokratische Rückhalt, in: Richard Löwenthal/Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Die Zweite Republik. 25 Jahre Bundesrepublik Deutschland. Eine Bilanz, Stuttgart 1974, S. 64—94; Hans Mommsen, Die Kontinuität der Institution Berufsbeamtentum und die Rekonstruktion der Demokratie in Westdeutschland, in: Friedrich G. Schwegmann (Hrsg.), Die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums nach 1945. Geburtsfehler oder Stützpfeüer der Demokratiegründung in Westdeutschland? Düsseldorf 1986, S. 65-79. Zum Forschungsstand s. Günter Püttner, Der öffentliche Dienst, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Hrsg. Kurt G.A. Jeserich u.a., Bd. 5: Die Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1987, S. 1124-1142.

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tinuitätsbruch - zumindest auf den ersten Blick. Denn unter den 1945/46 von den Besatzungsbehörden zunächst selbst, dann unter ihrer direkten Aufsicht eingesetzten Landräten in Württemberg-Baden, Baden und WürttembergHohenzollem findet sich nur ein einziger, der bereits in der NS-Zeit amtiert hatte: Alfred Schühly, während seiner früheren Tätigkeit in Säckingen von der NSDAP als verkappter Zentrumsmann beargwöhnt, auch nachdem er sich 1938 zum Parteibeitritt entschlossen hatte, verwaltete bis 1953 den Landkreis Freiburg. Später wurden noch drei ehemalige Oberamtsvorstände im Gebiet des Landesbezirks Württemberg von den zuständigen Kreisgremien zu Landräten gewählt: Hermann Ebner (früher Heidenheim, nun 1948 bis 1960 Ludwigsburg), Fritz Geißler (früher Tübingen, nun 1949 bis 1955 Calw) und Fritz Wanner (früher Mergentheim, nun 1955 bis 1963 Calw). Diese geringe Quote indes besagt noch nicht viel - stand doch, vor allem im ehemaligen Baden, ein erheblicher Teil der bisherigen Amtsinhaber Ende der vierziger Jahre allein schon aus Altersgründen nicht mehr zur Verfügung. Für sie sprangen nun diejenigen Regierungsräte ein, die wohl auch sonst bei dem fälligen Generationenwechsel nachgerückt wären. Von den 1947 bis 1949 vereidigten Landräten stellten sie bereits wieder nahezu jeden vierten und von den 1950 bis 1955, in der Restaurationsphase nach dem Ende der eigentlichen Besatzungszeit, berufenen Kollegen sogar jeden zweiten (Tabelle 5). Zahlenmäßig und vor allem relativ stellte dabei Südbaden das größte Kontingent. Neben Alfred Schühly wurde bis zum Inkrafttreten der baden-württembergischen Landkreisordnung vom 10. Oktober 1955 zehn Regierungsräten aus der Innenverwaltung des untergegangenen Landes Baden die Leitung eines Landratsamts übertragen. Damit befand sich die südbadische Bezirksverwaltung fest in der Hand von »Ehemaligen«, während in ganz Württemberg-Baden neben den drei genannten Landräten nur fünf vormalige Regierungsräte an die Spitze einer Kreisverwaltung gewählt wurden. Und auch im französisch besetzten Württemberg-Hohenzollern, wo die Landräte wie in Baden bis 1955 staatlich ernannt wurden, kamen lediglich zwei ihrer einstmaligen Kollegen zum Zuge. Angesichts dieser Zahlen kann nicht ohne weiteres von einem dominierenden Einfluß derjenigen Beamten gesprochen werden, welche die ersten Etappen ihrer Berufskarriere während der NS-Zeit hinter sich gebracht hatten - zumal ja das Verhalten der deutschen (Verwaltungs-)Juristen in den vorausgegangenen Jahrzehnten manchen Beleg für den sozialbiographischen Erfahrungssatz liefert, »daß auch dieselben Leute zu verschiedenen Zeiten nicht dieselben sind«.71 Gleichwohl dürfen sie nicht außer acht gelassen werden, wenn über die Konsequenzen diskutiert wird, welche die politische Zäsur von 1945 für die administrativen Funktionseliten in (Süd-)Westdeutschland und für ihre Rolle in der Bundesrepublik gehabt hat. Denn erstens stellten sie immerhin über zwei Jahrzehnte hinweg einen nennenswerten Anteil der Kreisverwaltungschefs in Baden-Württemberg; zweitens rekrutierten sich gerade aus ihren Reihen führende Repräsentanten der südwestdeutschen Landkreise wie deren früherer Prä71

Dahrendorf (Anm. 19), S. 280; vgl. ebd., S. 278.

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63

sident Ludwig Seiterich;72 und drittens entstammten sie mehrheitlich den Geburtsjahrgängen 1900 bis 1910 (Tabelle 6) - jener Alterskohorte also, die in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre, als der zentralisierten Nachwuchsrekrutierung des Reichsinnenministeriums unter Aufsicht des Stellvertreters des Führers besonders strenge Auswahlkriterien zugrunde lagen, als Führungsreserve ein- und planmäßig angestellt worden war. Bis in die frühen siebziger Jahre hinein repräsentierte diese Gruppe unübersehbar das Element der personellen Kontinuität der südwestdeutschen Bezirksverwaltung über die vermeintliche »Stunde Null« hinweg.

72

Kurzbiographie des Landrats von Waldshut (1949 - 1954) und Konstanz (bis 1968) s. Götz (Anm. 29), S. 102f.

64

Michael Ruck

Anhang Tab. 1 : Landräte im Deutschen Reich (Anfang 1943) 1

2

3

4

5

6

7

Baden Württemberg Anhalt Bayern Braunschweig Danzig-Westpreußen Hessen Lippe Mecklenburg Oldenburg Preußen Sachsen Schaumburg-Lippe Thüringen Westmark

27 32 4 107 5 22 14 2 11 5 327 26 1 15 17

0 0 0 2/2 1/25 14/67 1/9

1/8 0 0 13/15 1/25 7/33 2/18

10/83 10/48 3/75 18/20 1/25 2/10 4/36

0 10/48 1/25 52/58 2/50 1/5 5/45

2/17 1/5 0 19/21 1/25 18/86 2/18

5/45 0 97/37 1/6 1/100 5/56 0

0 0 54/21 1/6 0 1/11 0

gesamt

615

12/44 21/66 4/100 89/83 4/80 21/95 11/79 0 11/100 3/60 262/89 17/65 1/100 9/60 11/65 476/77

127/27

80/17

9/82 0 95/36 5/29 1/100 2/22 4/36 163/34

2/18 3/100 102/39 7/41 0 6/67 6/55 198/42

0 0 65/25 5/29 0 1/11 1/9 115/24

Land/Reichsgau

(1) gesamt; (2) seit April 1933 ernannt (absolut/v.H.); darunter: (3) Außenseiter (ohne Große jurist. Staatsprüfung); (4) Große jurist. Staatsprüfung seit 1933 abgelegt; (5) 1933/34 ernannt; (6) 1935 - Sept. 1939 ernannt; (7) seit Okt. 1939 ernannt. Ohne Österreich, Sudetenland und annektierte Gebiete (außer Teile des Reichsgaus Danzig-Westpreußen sowie der preuß. Provinzen Nieder- und Oberschlesien). Zusammengestellt/errechnet nach Angaben in: BA/K R 18, Nr. 3820.

65

Administrative Eliten in Demokratie und Diktatur

Tab. 2: Landräte in Preußen (Anfang 1943) Provinz/RegBez Ostpreußen Alienstein Gumbinnen Königsberg Oberschlesien Kattowitz Oppeln Niederschlesien Breslau Liegnitz Pommern Köslin Schneidemuhl Stettin Schleswig-Holstein Schleswig Brandenburg Frankfurt/Oder Potsdam Sachsen Erfurt Magdeburg Merseburg Hannover Aurich Hannover Hildesheim Lüneburg Osnabrück Stade Westfalen Arnsberg Minden Münster Rheinprovinz Aachen Düsseldorf Koblenz Köln Trier Hessen-Nassau Kassel Wiesbaden Hohenzollem Sigmaringen gesamt

1

2

3

4

5

6

7

8 12 11

6/75 10/83 10/91

3/50 6/60 4/40

2/33 1/10 2/20

3/50 1/10 1/10

0 5/50 8/80

3/50 4/40 1/10

10 13

10/100 13/100

2/20 4/31

3/30 3/23

2/20 3/23

5/50 7/54

3/30 3/23

18 13

15/83 12/92

7/47 4/33

2/13 4/33

3/20 2/17

1/7 6/50

10 7 11

7/70 6/86 7/64

1/14 1/17 1/14

3/43 1/17 1/14

1/14 1/17 0

4/57 3/50 5/71

2/29 2/33 2/29

15

11/73 4/33

13/87

2/15

4/31

4/31

3/23

6/46

14 14

13/93 11/79

5/38 5/45

2/15 0

7/54 6/55

3/23 3/27

3/23 2/18

5 11 14

4/80 9/82 9/64

2/50 3/33 2/22

1/25 0 3/33

1/25 5/56 3/33

2/50 3/33 4/44

1/25 1/11 2/22

3 7 11 9 8 6

2/67 2/29 10/91 4/44 7/88 5/83

0 0 4/40 0 4/57 2/40

0 1/50 3/30 0 2/29 1/20

2/100 1/50 5/50 2/50 2/29 2/40

0 0 2/20 1/25 3/43 2/40

0 1/50 3/30 1/25 2/29 1/20

11 9 10

10/91 7/78 7/70

1/10 4/57 3/43

3/30 1/14 1/14

2/20 3/43 4/57

5/50 3/43 3/43

3/30 1/14 3/43

7 8 11 6 6

3/43 6/75 10/91 6/100 3/50

1/33 3/50 6/60 3/50 0

1/33 1/17 2/20 1/17 2/67

2/67 2/33 2/20 3/50 1/33

0 3/50 6/60 3/50 2/67

1/33 1/17 2/20 0 0

17 10

15/88 10/100

9/60 5/50

2/13 1/10

6/40 3/30

6/40 5/50

3/20 2/20

2

0 262/89

97/37

54/21

95/36

102/39

65/25

327

(1) gesamt; (2) seit April 1933 ernannt (absolut/v.H.); darunter: (3) Außenseiter (ohne Große jurist. Staatsprüfung); (4) Große jurist. Staatsprüfung seit 1933 abgelegt; (5) 1933/34 ernannt; (6) 1935 - Sept. 1939 ernannt; (7) seit Okt. 1939 ernannt. Zusammengestellt/errechnet nach Angaben in: BA/K R 18, Nr. 3820.

66

Michael Ruck

Tab. 3 : 1933 - 1945 ausgeschiedene Landräte in Baden und Württemberg

1933/34 gesamt insgesamt ausgeschieden regulär ausgeschieden (Altersgrenze, Tod) vorzeitig pensioniert abgeschoben »nach oben« abgeschoben aufgestiegen 1935ff. gesamt insgesamt ausgeschieden regulär ausgeschieden (Altersgrenze, Tod) vorzeitig pensioniert vorzeitig ausgeschieden (keine Erkenntnisse) dienstenthoben abgeschoben »nach oben« abgeschoben aufgestiegen * erstmals seit April 1933 zum Landrat ernannt ** nach der Kreisreform

Baden

Württemberg

40 IS

61 21

11 3 1 1

2 12 4 1 2

40 (27**) 12

61(34**) 29

1 -

9 4

6(3*) 2 3(2*)

2(1*) 1* 11(5*) 2(1*)

67

Administrative Eliten in Demokratie und Diktatur

Tab. 4 : In B a d e n u n d W ü r t t e m b e r g A p r i l 1 9 3 3 - 1 9 4 4 e r n a n n t e L a n d r ä t e n a c h Geburtsjahrgängen Baden

Württemberg

1933/34 ernannt gesamt 1880-89 1890-99 1900-09

12 7 2 3

15 1 12 2

2 1

11

1935-39 ernannt gesamt 1880-89 1890-99 1900-09

-

1

3 8

2

1

-

10/1939ff. ernannt gesamt 1880-89 1890-99 1900-09

-

2

1

16 9 1 5

27 1 15 12

1933-44 ernannt gesamt 1880-89 1890-99 1900-09

68

Michael Ruck

Tab. 5 : Landräte im Gebiet des Landes Baden-Württemberg 1945 - 1972

gesamt 1945/46 1) 2) 1947-49 1)

2)

1950-55 1)

2)

1956-59 1)

davon ausgeschieden: bis 1949 1950-55

1956-59

1960ff.

102 15/15

73/72 12/80

9/9 2/13

2/2

18/18 1/7

39 9/23

9/23 2/22

U/28 1/11

1/3

18/46 6/67

1/4 1/9

22/96 10/91

23 11/48

6 1/17

6/100 1/100

2)

23 2/9

23/100 2/100

1947-72 1) 2)

91 23/25

2)

1960ff. 1)

9/10 2/9

11/12 1/5

2/22 1/4

69/76 19/83

(1) Gesamtzahl der ernannten/gewählten Landräte (absolut/v.H.); (2) davon: Landräte, die 1933-45 als höhere Beamte in der Inneren Verwaltung Badens oder Württembergs tätig gewesen waren (absolut/v.H.). Die Tabelle enthalt einige Doppelzahlungen, da manche der 1945/46 amtierenden Landräte später erneut diese Position einnahmen. Zusammengestellt/errechnet nach Aufstellungen aus den Jahren 1947-66 in den Unterlagen des Landkreistages Baden-Württemberg (HSTAS, Q 3/27, Nr. 1168) sowie den Angaben in: Vogteien, Ämter, Landkreise in Baden-Württemberg, Bd. 2, Hg. Landkreistag Baden-Württemberg, Bearb. Eugen Frick, Stuttgart 1975, S. 362-369.

69

Administrative Eliten in Demokratie und Diktatur

Tab. 6 : Landräte im Gebiet des Landes Baden-Württemberg 1945 - 1972, die 1933 bis 1945 im höheren Dienst der badischen oder württembergischen Innenverwaltung gestanden haben Geburtsjahrgang: ernannt:

gesamt

1945-46 1947-49 1950-55 1956-72 1947-72

15 9

11 3 23

1880-89

1890-99

1900-09 6 4 6

1 11

1910-15

1

2 4 2

Grundlage: Tab. 5. Die Tabelle enthält einige Doppelzählungen, da manche der 1945/46 amtierenden Landräte später erneut diese Position einnahmen.

Hubert Roser und Peter Spear

»Der Beamte gehört dem Staat und der Partei.«1 Die Gauämter für Beamte und für Kommunalpolitik in Baden und Württemberg im polykratischen Herrschaftsgefüge des NS-Regimes Mit dem Einbau der NSDAP in das Verfassungssystem des Nationalsozialismus wurde der Monopolpartei ein Mitspracherecht bei der Wahrnehmung der Staatsgeschäfte eingeräumt. Als »Trägerin des deutschen Staatsgedankens und mit dem Staat unlöslich verbunden«,2 bildete sie nach Auffassung der herrschenden Staatsrechtslehre zusammen mit dem staatlichen Verwaltungsapparat die »beiden Säulen« des NS-Staats.3 Formal sollten diese unterschiedliche Funktionen übernehmen: die Partei »in erster Linie eine erzieherische«, der Staat die Aufsicht über die »Verwaltung der staatlichen Organisationen im Rahmen und mittels der Gesetze«.4 Die Führungsrolle indessen fiel am Ende der Partei zu. Während der Staat sich nämlich bei der Erfüllung seiner Aufgaben als bloßes »Werkzeug zur Ausführung des Parteiwillens« zu fühlen habe, war »die staatsbestimmende Kraft, der politische Willensträger des Volkes«, die »Bewegung«. Dieser zentralen Aufgabe komme sie nach, indem sie »das Volk zur politischen Einheit zusammenfaßt, [...] im Sinne der nationalsozialistischen Idee erzieht und die Erzogenen zu seiner Führung und seiner Gefolgschaft abstellt«.5 Mit dieser dreifachen Funktionszuweisung ist - bezogen auf die Beamtenpolitik - die Aufgabenstellung der Ämter für Beamte und für Kommunalpolitik umrissen, wie sie von parteiamtlicher Seite öffentlich propagiert wurde. Der Auftrag der Parteiführung an die Ämter für Beamte lautete, »aus der gesamten deutschen Beamtenschaft ein zuverlässiges, politisch fähiges und 1

Rede des »Reichsbeamtenführers« Hermann Neef vor österreichischen Beamten anläßlich der Einverleibung Österreichs in das Deutsche Reich; vgl. ders, Fünf Jahre nationalsozialistische Beamteneinheitsorganisation, Berlin 1938, S. 9. 2 §1 »Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat« v. 1.12.1933 (RGBl. I, S. 1047). 3 Karl Bauer, Querverbindungen von Partei und Staatsbehörden, jur. Diss., Urach 1936, S. 9; einschlägige Literatur hierzu findet sich bei Diemut Majer, »Fremdvölkische« im Dritten Reich. Ein Beitrag zur nationalsozialistischen Rechtssetzung und Rechtspraxis in Verwaltung und Justiz unter besonderer Berücksichtigung der eingegliederten Ostgebiete und des Generalgouvernements, Boppard a.Rh. 1981. 4 Bauer (Anm. 3), S. 10, 7. 5 Ebd., S. 11; diese Aufzählung (Hervorhebungen durch den Autor), die auf eine Rede Hitlers auf dem Nürnberger Reichsparteitag 1936 zurückgeht, bringt besonders prägnant den Totalitätsanspruch des Nationalsozialismus zum Ausdruck.

72

Hubert Roser/Peter Spear

allen Anforderungen gewachsenes Instrument in der Hand des Führers zu machen«.6 Zu diesem Zweck wurde dem Amt für Beamte die »Mithilfe« bei einschlägigen Gesetzesentwürfen und die Befugnis zur Erteilung von Auskünften in Personalangelegenheiten (»Politische Gutachten«) an Partei und Behörden gewährt. Eine intensive Schulungs- und Versammlungstätigkeit sollte die Beamtenschaft mit nationalsozialistischem Gedankengut durchsetzen und so »restlos« der politischen Führung dienstbar machen:7 Vorträge, Schulungslager, Schulungsbriefe sowie die auflagenstarke NS-Beamtenpresse gehörten ebenso dazu wie regelmäßige »Beamtenkundgebungen« und »Gemeinschaftsappelle«, welche die »Pflege der Verbundenheit« und die »Gemeinschaft innerhalb der Behörde«8 stärken sollten. Die Ämter für Kommunalpolitik hatten die »Besetzung der leitenden gemeindlichen Stellen mit wahrhaft nationalsozialistischen und fachlich geeigneten Volksgenossen« zu überwachen und den jeweiligen »Hoheitsträger« der Partei (Gauleiter, Kreisleiter) sowie den 1935 durch die Deutsche Gemeindeordnung institutionalisierten »Parteibeauftragten« bei ihrer Tätigkeit zu beraten und zu unterstützen.9 Zu diesem Zweck wurden bei den Gau- und Kreisämtem über sämtliche leitenden kommunalpolitischen Persönlichkeiten Personalkarteien geführt, die durch »ständige persönliche Fühlungnahme« auf dem letzten Stand zu halten waren.10 Monatliche Tätigkeitsberichte der unteren Ämter sollten der jeweils übergeordneten Dienststelle ein Stimmungsbild über die laufenden kommunalpolitischen Ereignisse vermitteln.11 Des weiteren war den Ämtern für Kommunalpolitik ebenfalls die gesamte weltanschauliche »Schulung und Erziehung aller gemeindlich tätigen Kräfte« übertragen. Sie bestand aus Schulungsvorträgen, Wochenendkursen, regelmäßigen Beamtenversammlungen in den Kreisen und (sofem vorhanden) aus einem einwöchigen Lehrgang an einer Gauschule.12 Die Tätigkeit der kommunalpolitischen Ämter 6

Hermann Neef, Das Beamtenorganisationswesen im nationalsozialistischen Staat. Vonrag. Gehalten an der Verwaltungs-Akademie Berlin am 29.1.1935 im Rahmen einer Vortragsreihe »Das Dritte Reich«, Berlin 1935, S. 12. I Vgl. Neef, Beamtenorganisationswesen (Anm. 6), S. 17f.; vgl. auch Neef, Fünf Jahre (Anm. 1), S. 16-20; vgl. ders., Das Aufgabengebiet des Hauptamtes für Beamte, in: Die Deutsche Post 62 (1938), S. 26-29. * Hermann Schümm, Organisation und Aufgaben des Reichsbundes der Deutschen Beamten und des Amts für Beamte der NSDAP, in: Württembergische Verwaltungszeitschrift 37 (1941), S. 56-58, ZitatS. 58. 9 Waldemar Schön, Das Hauptamt für Kommunalpolitik, in: Die Nationalsozialistische Gemeinde. Zentralblatt der NSDAP für Kommunalpolitik [zit. »Die NS-Gemeinde«] 3 (1935), S. 679-683, Zitat S. 680. 10 Ders., Gau- und Kreisämter für Kommunalpolitik in ihrer Tätigkeit, in: ebd. 4 (1936), S. 491f„ Zitat S. 492. II Zu deren Abfassung vgl. Horst Matzerath, Kommunale Selbstverwaltung und Nationalsozialismus, Stuttgart 1970, S. 179. Die Berichte sämtlicher Gauämter sind im Bundesarchiv Koblenz überliefert; für Baden vgl. BA/K NS 25/181-184, für Württemberg-Hohenzollern NS 25/391-395; für Bayern sind sie auszugsweise veröffentlicht in Martin Broszat u.a. (Hrsg.), Bayern in der NS-Zeit, Bd. 1: Soziale Lage und politisches Verhalten der Bevölkerung im Spiegel vertraulicher Berichte, München/Wien 1977, S. 552-569. 12 Waldemar Schön, Kommunalpolitische Schulung, in: Die NS-Gemeinde 4 (1936), S. 191-193.

»Der Beamte gehört dem Staat und der Partei.«

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sollte also insgesamt vor allem überwachenden, schulenden und beratenden Charakter besitzen, während die reale Entscheidungsbefugnis den »Hoheitsträgem« vorbehalten blieb. Ausgehend von dem totalitären Anspruch des NS-Regimes, Hoheitsakte staatlicher Herrschaftsträger auf ihre Verträglichkeit mit nationalsozialistischen Grundprinzipien hin überprüfen zu wollen und somit die Staatsverwaltung der Kontrolle durch die Partei zu unterwerfen, soll am Beispiel der Ämter für Beamte und für Kommunalpolitik in den beiden südwestdeutschen Gauen Baden und Württemberg-Hohenzollern erörtert werden, ob es den innerhalb der NSDAP für Beamtenfragen zuständigen Fachabteilungen13 in der Praxis gelang, die staatliche und kommunale Beamtenpolitik entscheidend mitzugestalten. Im einzelnen heißt das, herauszuarbeiten, welche Machtmittel den Gauämtern für das Erreichen ihrer weitgesteckten Ziele zur Verfügung standen, mit welchem Erfolg sie diese einzusetzen vermochten und welche Konkurrenten auf staatlicher wie Parteiseite ihnen diese Kompetenzen streitig zu machen suchten. In diesem Kontext wird insbesondere die Frage zu erörtern sein, wie die traditionellen Träger der staatlichen und kommunalen Verwaltungspolitik in Baden und Württemberg auf dieses Drängen reagierten. Auf diesen Erkenntnissen aufbauend will die Studie in einem zweiten Analyseschritt zur Klärung der Frage beitragen, welche Stellung die beiden Gauämter und ihre nachgeordneten Dienststellen überhaupt innerhalb der rivalisierenden Mächtegruppierungen in der NSDAP einnahmen. Der Blick wird sich hierbei besonders auf das von einzelnen Parteiführern zur Erweiterung und Sicherung ihres eigenen Aktionsfelds sorgsam geflochtene Netz von institutionellen und persönlichen Beziehungen richten, um so die in der Partei für die Erlangung von Machtpositionen bedeutsamen Einflußfaktoren kenntlich zu machen. Dieser für die Erklärung von Organisation und Wirkungsweise der NS-Herrschaft zentrale Aspekt soll schwerpunktmäßig anhand des innerparteilichen Zuständigkeitsgerangeis auf dem Feld der Personalpolitik untersucht werden. Obwohl die Literatur zum Nationalsozialismus mittlerweile kaum noch übersehbar ist, befassen sich überraschenderweise nur wenige Arbeiten mit der Struktur und Arbeitsweise der NSDAP und ihrer zahlreichen Unterorganisationen im einzelnen.14 Dies gilt ebenfalls für die Parteigaue der NSDAP.15 Am 13

Andere mit Beamtenangelegenheiten betraute NS-Organisationen wie der Nationalsozialistische Lehrerbund (NSLB) oder der Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen (BNSDJ) bleiben auBer Betracht; vgl. hierzu Michael Sunnus, Der NS-Rechtswahrerbund (1928-1945). Zur Geschichte der nationalsozialistischen Juristenorganisation, Frankfurt a.M. 1990. 14 Einen Überblick zum institutionellen Aufbau gibt Reichsorganisationsleiter der NSDAP (Hrsg.), Organisationsbuch der NSDAP, München 1938; aus zeitgenössischer Sicht vgl. Hans Volz, Geschichte der NSDAP, Berlin/Leipzig 1934 (zuletzt 11. Aufl. 1943); als Standardwerk gilt nach wie vor die Arbeit von Dietrich Orlow, The History of the Nazi Party, 2 Bde., Pittsburgh 1969/73; nützlich ist weiterhin die knappe Studie von Wolfgang Schäfer, NSDAP. Entwicklung und Struktur der Staatspartei des Dritten Reiches, Hannover/Frankfurt a.M. 1957; vgl. ferner Kurt Pätzold/Manfred Weißbecker, Geschichte der NSDAP 1920-1945, Köln 1981. 15 Maßgebend ist immer noch Peter Hüttenberger, Die Gauleiter. Studie zum Wandel des

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Huben Roser/Peter Spear

wenigsten erforscht ist die Tätigkeit der N S D A P auf Kreis- und Gemeindeebene. 1 6 Erfreulicherweise trifft dieser Befund nicht in dem gleichen Maß auf die Gliederungen und angeschlossenen Verbände der N S D A P zu, deren Erforschung im letzten Jahrzehnt zügig vorangekommen ist. Nach wie vor fehlen aber bis heute grundlegende Darstellungen zum Reichsbund der Deutschen Beamten (RDB) 1 7 und zum Deutschen Gemeindetag (DGT), 1 8 den gleichgeschalteten Einheitsverbänden der Beamtenschaft bzw. der Städte und Gemeinden nach 1933. Wenn sich die Zeitgeschichtsforschung mit der N S D A P beschäftigte, geschah dies im Kontext der umfassenden Monokratie-PolykratieDiskussion aus dem Bedürfnis heraus, die Grundstrukturen des nationalsozialistischen Herrschaftssystems, etwa die wechselseitige Verflechtung von Partei und Bürokratie im nationalsozialistischen Staatsapparat, aufdecken zu wollen. Die Quellenlage zur südwestdeutschen NS-Parteiverwaltung ist für die hier behandelten Fragen insgesamt nicht schlecht, für Baden sogar sehr gut: Ein Großteil der Registratur des Gauamts für Kommunalpolitik (GAfK) ist erhalten," ebenso eine große M e n g e von »Politischen Beurteilungen« über Beamte aus der Provenienz des Gaupersonalamts (GPersA). 2 0 In staatlichem Schriftgut ist zudem wichtige Korrespondenz mit dem Gauamt

Machtgefüges in der NSDAP, Stuttgart 1969. Im Zusammenhang mit ihrer Funktion als Leiter staatlicher Behörden vgl. Jürgen Sengotta, Der Reichsstatthalter in Lippe 1933-1939. Rechtliche Bestimmungen und politische Praxis, Detmold 1976; Volker Rödel, Die Behörde des Reichsstatthalters in der Westmark, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 10 (1984), S. 287-318; Lothar Kettenacker, Die Chefs der Zivilverwaltung im Zweiten Weltkrieg, in: Dieter Rebentisch/Karl Teppe (Hrsg.), Verwaltung contra Menschenfühiung im Staat Hitlers. Studien zum politisch-administrativen System, Göttingen 1986, S. 396-417. Studien zur Herrschaftspraxis der Gauämter sind Johnpeter Horst Grill, The Nazi Movement in Baden 1920-1945, Chapel Hill 1983; Karl Teppe, Provinz, Partei, Staat. Zur provinziellen Selbstverwaltung im Dritten Reich, untersucht am Beispiel Westfalens, Münster 1977; Gerhard Kratzsch, Der Gauwirtschaftsapparat der NSDAP. Menschenführung - »Arisierung« Wehrwirtschaft im Gau Westfalen-Süd. Eine Studie zur Herrschaftspraxis im totalitären Staat, Münster 1989. 16 Vgl. etwa Barbara Fait, Die Kreisleiter der NSDAP - nach 1945, in: Maitin Broszat u.a. (Hrsg.), Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland, München 3. Aufl. 1990, S. 213-299; Hubert Roser, Kommunale Bürokratie im Nationalsozialismus. Das Beispiel Neckargemünd, in: Neckargemünder Jahrbuch 3 (1991), S. 42-62, sowie den Beitrag von Christine Arbogast/Bettina Gall in diesem Band. 17 Abgesehen von Jubiläumsfestschriften und kurzen Zusammenfassungen im Rahmen von Gesamtdarstellungen zum Beamtentum; vgl. Deutscher Beamtenbund (Hrsg.), Deutscher Beamtenbund. Ursprung-Weg-Ziel. Zur 50. Wiederkehr des Gründungstages am 4. Dezember 1918, Bad Godesberg 1968, Teil II, S. 168-176; Hans Hattenhauer, Geschichte des Beamtentums, Köln u.a. 1980, S. 397^t01. 18 Dazu s. die grundlegende Arbeit von Matzerath (Anm. 11), bes. S. 165-228; vgl. Otto Ziebill, Geschichte des Deutschen Städtetages. Fünfzig Jahre deutsche Kommunalpolitik, 2. Aufl. Stuttgart 1956, S. 61-67; Klaus van der Groeben, Landkreis und Verbandstätigkeit im Nationalsozialistischen Staat von 1933-1945, in: Ders./Hans-Jürgen von der Heide (Hrsg.), Geschichte des Deutschen Landkreistages (Der Kreis, Bd. 5), Köln/Berlin 1981, S. 157-212. " GLA Bestand 465d. 20 GLA Bestand 465c. Es handelt sich hierbei um ehemals für die Entnazifizierung verwendetes Material.

»Der Beamte gehört dem Staat und der Partei.«

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für Beamte (GAfB) überliefert. Dürftiger sieht es hingegen für Württemberg aus, wo von den betreffenden Gauämtem nur unbedeutende Überlieferungssplitter erhalten und die Ersatzüberlieferungen beim Stuttgarter Innenministerium und Staatsministerium nicht allzu ergiebig sind.21 Ersatz können hier die Akten des Münchener Hauptamts für Kommunalpolitk der NSDAP im Bundesarchiv Koblenz leisten. Darüber hinaus wurden die einschlägige NS-Tagespresse und die Veröffentlichungen der Gauämter in die Auswertung mit einbezogen.

Organisatorische Entwicklung und personelle Besetzung der Gauämter Die Gauämter waren organisatorisch gebietliche Unterabteilungen der bei der Reichsleitung der NSDAP in großer Zahl bestehenden Fachressorts, hier des Hauptamts für Beamte (HAfB) und des Hauptamts für Kommunalpolitik (HAfK). In der für die gesamte Parteiverwaltung typischen vertikalen Dreiteilung Hauptamt-Gauamt-Kreisamt nahmen sie die Mittelstellung ein. Fachlich unterstanden die Amtsleiter der nächst höheren Dienststelle, disziplinär jedoch dem »Hoheitsträger« der analogen Ebene der Parteihierarchie: der Gauamtsleiter dem Gauleiter, der Kreisamtsleiter dem Kreisleiter.22 Die zuletzt 1933/34 als Hauptämter reorganisierten Fachressorts der NSDAP hatten ihre institutionellen Vorgänger, was die hier untersuchten Zuständigkeitsbereiche angeht, in der Beamten- und in der Kommunalabteilung der NSDAP. Nach der Reichstagswahl 1930 war dem bei der Reichstagsfraktion der NSDAP für Beamtenfragen zuständigen Parteifunktionär, Postinspektor Jakob Sprenger aus Frankfurt am Main, der Auftrag erteilt worden, eine eigene NS-Beamtenorganisation ins Leben zu rufen. Ihre Gründung erfolgte am 6. September 1931. Sein Stellvertreter wurde Hermann Neef, ebenfalls Beamter im gehobenen Dienst, der Sprenger nach dessen Ausscheiden im Zuge seiner Berufung als Gauleiter von Hessen-Nassau im Juli 1933 auch als Vorstand der NS-Beamtenabteilung ablöste.23 Die weitere Entwicklung der NS-Beamtenabteilung bis zur »Machtergreifung«24 verlief weniger spektakulär. Der organi21

Deshalb stützt sich der Abschnitt zur Rolle des Gaupersonalamts weiter unten im Text maßgeblich auf badische Akten. 22 Vgl. Organisationsbuch (Anm. 14), S. 86-97; zum institutionellen Aufbau des HAfB und des HAfK s. ebd., S. 246-252, 283-286. 23 Vgl. zu Sprenger und Neef die biographischen Skizzen in Das Deutsche Führerlexikon 1934/1935, Berlin 1934, S. 467, 327. Ein kenntnisreiches Bild von Sprenger vermittelt Dieter Rebentisch, Persönlichkeitsprofil und Karriereverlauf der nationalsozialistischen Führungskader in Hessen 1928-1945, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 33 (1983), S. 293-331, bes. S. 311-317. 24 Vgl. aus zeitgenössischer Sicht Jakob Sprenger, Die Entwicklung der nationalsozialistischen Beamtenbewegung, in: Reichsbund der Deutschen Beamten (Hrsg.), Almanach der Deutschen Beamten, 2.Aufl. Berlin 1935, S. 38-40; den guten Überblick bei Erich Mursinsky/Justin Brill, Die Organisation der nationalsozialistischen Beamten, in: Beamten-Jahrbuch

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Hubert Roser/Peter Spear

satorische Aufbau geschah, indem auf dem Weg über persönliche Verbindungen zu politisch Gleichgesinnten in den Behörden eine Kader-Organisation aufgestellt, ein Netz von sogenannten »Vertrauensmännern« geknüpft wurde. Aus diesem Personenkreis rekrutierten sich die »Gausachbearbeiter für Beamtenfragen«, die späteren Gauamtsleiter. Neben der eigentlichen Werbetätigkeit gehörte bis 1933 zu den vordringlichen Aufgaben der nationalsozialistischen »Vertrauensmänner«, Datenmaterial über die politische Einstellung ihrer Kollegen zu sammeln und an die Parteileitungen weiterzugeben: »Proskriptionslisten über die Beamten, die bei Anbruch des Dritten Reichs auf die Straße gesetzt oder gar gehenkt werden sollen«, wie der sozialdemokratisch orientierte Allgemeine Deutsche Beamtenbund Anfang 1932 in seinem Publikationsorgan mutmaßte.25 Der badische Staatspräsident Schmitt etwa sprach von einem Informationsnetz, das bis in die nächste Umgebung der Minister reiche.26 Nach der »Machtergreifung« bildeten die NS-»Vertrauensmänner« die unterste Stufe des überall in der Verwaltung verbreiteten Spitzelsystems. Als Zuträger für die »Politischen Gutachten« waren sie von ihren Kollegen besonders gefürchtet.27 Auf lokaler Ebene wurden außerdem »Beamtenarbeitsgemeinschaften« gebildet, deren Mitglieder sich größtenteils nicht aus beamteten Parteigenossen, sondern Anhängern und Sympathisanten der NS-Bewegung zusammensetzten. Sie leisteten aber ebenso ihren materiellen und ideellen Obulus: Neben der Beitragszahlung vor allem durch den Bezug der seit Dezember 1931 erscheinenden »Nationalsozialistischen Beamten-Zeitung« (NSBZ), den Besuch von Veranstaltungen der Arbeitsgemeinschaften und die Werbung für die NSDAP unter den Kollegen. Erst auf der Leipziger Reichstagung der Gausachbearbeiter im Mai 1932 wurde die Existenz der NS-Beamtenabteilung öffentlich eingestanden und diese zugleich vom BNSDJ und NSLB organisatorisch abgetrennt.28 Der konspirative Charakter und der bis in die Zeit der »Machtergreifung« eher schleppende Fortgang der NS-Beamtenabteilung rührten zum einen von der zwiespältigen 27 (1940), S. 149-169. Grundlegende Informationen vermittelt die Fallstudie von Walter H. Pehle, Die nationalsozialistische Machtergreifung im Regierungsbezirk Aachen unter besonderer Berücksichtigung der staatlichen und kommunalen Verwaltung 1922-1933, phil. Diss., Düsseldorf 1976, S. 272-327; vgl. ferner Friedbert Schenck, Die Einstellung der deutschen Beamten zur Weimarer Republik, 2 Bde., jur. Diss., Mannheim 1984, Bd. 1, S. 206-218. 25 »Schluß mit dem Nazi-Terror in der Beamtenschaft«, in: Allgemeine Deutsche Beamtenzeitung, Nr. 5 v. 14.1.1932, S. 1-3. 26 Nach vorangegangenen Ermittlungen des bad. Mdl; s. Landtagsrede v. 27.4.1932, in: Verhandlungen des Badischen Landtags. IV. Landtagsperiode, 3. Sitzungsperiode, Karlsruhe 1932, Sp. 1049f. 27 Ein lückenloser Organisationsplan des Kreisamts für Beamte ist für den Kreis Buchen erhalten (GLA 465c/12895); ebenfalls die Liste eines »Vertrauensmannes« über alle dortigen, ehemals der SPD u. dem Zentrum angehörenden Beamten; s. Verzeichnis v. 12.10.1936 (GLA 465c/7194). Die »Vertrauensmänner« hatten für die ihnen organisatorisch zugeteilten Beamten vom GAfB ausgegebene Personalblätter auszufüllen (GLA 465c/12234); diese bildeten den Grundstock für die überall in der Partei geführten Personalkarteien (GLA 233/26282). 28 NSBZ 2 (1932), Nr. 10 v. 20.5.1932, S. 130; vgl. Pehle (Anm. 24), S. 307f.

»Der Beamte gehört dem Staat und der Partei.«

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Haltung des Nationalsozialismus gegenüber dem Beamtentum her. Dem anfänglichen Mißtrauen29 folgte erst 1931 als Reaktion auf die Brüningschen Besoldungskürzungen eine radikale Kehrtwendung. Diese war dann weniger ideologischen Prämissen verpflichtet, erblickte doch der Nationalsozialimus jetzt die Chance, sich mittels einer gezielten Werbepropaganda der Beamtenschaft als Verteidiger traditioneller Beamtenrechte zu präsentieren.30 Zum anderen zeitigte die von einigen Regierungen, namentlich in Baden und Preußen, bis zum preußischen Staatsstreich Papens im Juli 1932 vertretene antinationalsozialistische Beamtenpolitik durchaus Erfolge, indem sie politisch radikalisierten Beamten zumindest äußere Zurückhaltung auferlegte.31 Insofern ist die Wirkung des Nationalsozialismus in der Beamtenschaft vor 1933 und damit der Einfluß der NS-Arbeitsgemeinschaften vor Ort mangels verläßlicher Daten schwer einzuschätzen. Im Verhältnis etwa zu der von Schenck auf reichsweit 170-180.000 Beamte bezifferten Mitgliederzahl32 waren einer Gaustatistik vom Herbst 1932 zufolge Baden leicht, Württemberg sogar deutlich unterdurchschnittlich vertreten.33 Sogar Druck seitens der Behörden und Angriffe durch »gegnerische Berufskameraden« soll es in Baden gegeben haben, wenn man den offiziellen Verlautbarungen des Gauamts für Beamte glauben darf.34 Doch weisen solche Befunde nicht notwendigerweise auf ein ausgeprägteres Demokratiebewußtsein der südwestdeutschen Beamten hin, da Distanz zu staatsfeindlichen Parteien nicht zuletzt bei der höheren Beamtenschaft auch auf die Furcht vor disziplinarischer Maßregelung zurückgeführt werden kann.35 Es läßt 29

Vgl. Hans Mommsen, Beamtentum im Dritten Reich, Stuttgart 1966, S. 21f. S. etwa Heinrich Müller, Beamtentum und Nationalsozialismus, München 1931; dazu vgl. Matzerath (Anm. 11), S. 57; Hans Mommsen, Die Stellung der Beamtenschaft in Reich, Ländern und Gemeinden in der Ära Brüning, in: VfZ 21 (1973), S. 151-165, hier 161f. 31 Dieser Themenkomplex ist mittlerweile intensiv erforscht; vgl. Mommsen, ebd., S. 151-165; Hans Fenske, Radikale im öffentlichen Dienst. Drei Kapitel zur Geschichte des Problems in Deutschland, in: Civitas. Jahrbuch für Sozialwissenschaften 14 (1976), S. 99-141; Rudolf Morsey, Beamtenschaft und Verwaltung zwischen Republik und »Neuem Staat«, in: Karl Dietrich Erdmann/Hagen Schulze (Hrsg.), Weimar. Selbstpreisgabe einer Demokratie. Eine Bilanz heute, Düsseldorf 1980, S. 151-168; Schenck (Anm. 28), Bd. 1, S. 206-218; Jane Caplan, Government Without Administration. State and Civil Service in Weimar and Nazi Germany, Oxford 1988, S. 123-130; Wolfram Pyta, Gegen Hitler und für die Republik. Die Auseinandersetzung der deutschen Sozialdemokratie mit der NSDAP in der Weimarer Republik, Düsseldorf 1989, S. 283-318. Zu Baden vgl. Hermann Brendel, Staatliche Maßnahmen gegen den politischen Radikalismus in Baden 1930-1933, Heidelberg 1976; HansGeorg Merz, Beamtentum und Beamtenpolitik in Baden. Studien zu ihrer Geschichte vom Großherzogtum bis in die Anfangsjahre des nationalsozialistischen Herrschaftssystems, Freiburg/München 1985, S. 227-256; zu Württemberg vgl. Waldemar Besson, Württemberg und die deutsche Staatskrise 1928-1933. Eine Studie zur Auflösung der Weimarer Republik, Stuttgart 1959. 32 Darunter nur ein Drittel Parteimitglieder; vgl. Schenck (Anm. 24), Bd. 1, S. 210-212, Bd.2, S. 44f„ Anm. 78f. 33 NSBZ 2 (1932), Nr. 24 v. 20.12.1932, S. 366. 34 Gauleitung Baden -Amt für Beamte- (Hrsg.), Geschichte der NS-Beamtenabteilung (NSBA) im Gau Baden von ihren Anfängen bis zur Errichtung des Amtes für Beamte der NSDAP und Gründung des Reichsbundes der Deutschen Beamten, Karlsruhe 1938, S. 16. 35 Tatsächlich ist für Württemberg eine im Ländervergleich extrem hohe Eintrittsquote in der 30

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sich nur darüber spekulieren, auf welche Resonanz die NSDAP in den verschiedenen Gruppen der Beamtenschaft traf. Jedenfalls zeitigten die Anstrengungen, die Beamtenschaft auf breiter Front mit zuverlässigen Parteigenossen zu durchsetzen, in der Praxis eher bescheidene Erfolge.36 Dazu sahen sich die relativ jungen Gau-Beamtenabteilungen mit einem gestiegenen Mißtrauen innerhalb der Partei konfrontiert, da ihr Auftreten als Teil einer Strategie der Reichsleitung zur Durchlöcherung der Kompetenzen des unmittelbaren Gaustabes gewertet wurde. Zum Aufbau eines eigenen unabhängigen Beamten-Instanzenzuges bedurfte es darum in erster Linie eines durchsetzungsfähigen Gauamtsleiters. Die Entstehungsgeschichte der NS-Beamtenabteilung in Baden ist vergleichsweise gut dokumentiert.37 Ihre regionalen Schwerpunkte lagen in den Verwaltungszentren des Landes, in Karlsruhe, Mannheim oder Konstanz, wo zwischen Frühjahr und Sommer 1931 die ersten Kreisabteilungen gegründet wurden. Beim weiteren Ausbau machten sich jedoch bereits bald »grössere Schwierigkeiten« bemerkbar, da zahlreiche Beamte, die Mitglied der NSDAP waren, sich aus Angst vor Disziplinarstrafen nicht öffentlich zur NSBeamtenabteilung bekennen wollten. Etwa ein Drittel der Kreisbeamtenabteilungen der NSDAP, vor allem in den weiter abgelegenen Amtsbezirken des Landes, konnte deshalb erst in der Phase der »Machtergreifung«, also zwischen März und Juni 1933, errichtet werden. Notwendigerweise lag dort die Leitung der Kreisämter in den Händen solcher Beamter, die erst nach dem 30. Januar 1933 ihren Weg in die NSDAP gefunden hatten.38 Nach der Gründung der Gau-Beamtenabteilung Anfang 1931 durch den späteren Karlsruher Oberbürgermeister Friedrich Jäger39 bekleidete der Heidelberger Verwaltungsinspektor Wilhelm Bogs40 diese Stellung bis Anfang Oktober 1933. Über die genauen Umstände seiner Abberufung ist nichts bekannt, sie dürfte allem Anschein nach auf Druck von Gauleiter Robert Wagner erfolgt sein. Auch sein Nachfolger, der Karlsruher Regierungsrat Georg Heitz, amtierte nur wenige Monate, da er als neuer Führer der 62. SS-Standarte (Karlsruhe) zum 10. Mai 1934 aus dem Dienst ausschied.41 Zum Gauamtsleiter wurde nun Leopold Mauch, ein ZollinBeamtenschaft nach dem 30.1.1933 belegt; vgl. Reichsorganisationsleiter der NSDAP (Hrsg.), Partei-Statistik. Stand 1. Januar 1935, Bd. 1, S. 102-109, 141. Zu diesem (Zwischen-)Fazit gelangt zuletzt Caplan (Anm. 31), S. 121-123. 37 Zum folgenden vgl. Geschichte der NS-Beamtenabteilung (Anm. 34), vor allem S. 2-5. 3 ' Die KreisL Buchen beklagte etwa, daß sie mangels vorhandener »alter Kämpfer« über die Hälfte ihrer Amtswalter aus den »jungen Pg.« rekrutieren müsse; s. KreisL Ullmer an Gaupropagandaleitung, 8.4.1935 (GLA 465c/9767). 39 Geb. 1873, 1888 Eintritt in die gehobene Dienstlaufbahn, 1903 zur Stadtverwaltung Karlsruhe, 1928 Stadtrechner, 1933-38 OB der Stadt Karlsruhe; vgl. Führerlexikon (Anm. 23), S. 209f. 40 Geb. 1885, nach dem Krieg Führung von Freikorps in Mittel- und Ostdeutschland, 1918 nach Baden versetzt; vgl. Beamten-Zeitung Gau Baden 1 (1933), Heft 8, S. 1, u. Almanach (Anm. 28), S. 55; Eintritt NSDAP nach dem 14.9.1930; vgl. Grill (Anm. 16), S. 268; zum 1.4.1934 bei der Polizeidirektion Heidelberg wegen »besonderer Verdienste im Kampf um die nationale Erhebung« zum Verwaltungsoberinspekor bevorzugt befördert (GLA 233/25644). 41 Nachrichtenblatt der Gauleitung Baden 1 (1934), S. 39; danach weiterhin ehrenamtlich be36

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spektor aus Überlingen, berufen. Für seine Tätigkeit beim Gauamt und beim RDB wurde Mauch als Beamter zum 1. September 1934 auf Dauer beurlaubt und Ende 1941 in die höhere Dienstlaufbahn befördert; aktiven Verwaltungsdienst leistete er niemals mehr.42 Die organisatorische Entwicklung der NS-Beamtenabteilung in Württemberg vor 1933 liegt in Anbetracht der schlechten Quellenlage weitgehend im Dunkeln. Belegt ist immerhin, daß sie am 10. Januar 1931 als Fachabteilung der Stuttgarter Ortsgruppe unter der Führung von Karl Strölin, dem späteren Oberbürgermeister, gegründet''3 und kurz danach einige Zeit von Karl Waldmann44 geleitet wurde. Damit lag auch in Württemberg der organisatorische Kern in einer großen Verwaltungsstadt. Waldmann gehörte als Staatssekretär im württembergischen Staatsministerium und persönlicher Referent von Gauleiter und Reichsstatthalter Wilhelm Murr seit 1933 zu den einflußreichsten Nationalsozialisten in Württemberg. 1942 wurde er auch württembergischer Finanzminister.45 Da Waldmann offensichtlich in der Partei für wichtigere Funktionen vorgesehen war, wurde die Führung der Beamtenabteilung noch Ende 1931 dem Justizobersekretär beim Amtsgericht Stuttgart, Otto Ulrich, übertragen.46 Doch wie sein badischer Kollege Bogs mußte auch Ulrich aufgrund von Differenzen mit anderen hohen Parteiführern - angeblich wegen Meinungsverschiedenheiten mit »Reichsbeamtenführer« Neef über die Organisationsform der württembergischen Beamtenschaft - im Verlauf der nationalsozialistischen Machtergreifung seinen Platz räumen47 An seine Stelle rückte zum Jahressoldeter Mitarbeiter des GAfB (GLA 465d/1016); später ORegR, während des Krieges Ministerialrat beim C.d.Z. im Elsaß (GLA 465d/388). " G e b . 1895 in Wiirtt., 1920 Eintritt in die bad. Zollverwaltung, 1930 Zollinspektor, 1933 Oberzollinspektor in Karlsruhe, 1940 Zollamtmann, 1941 Zollrat; seit Sept. 1930 für die Partei tätig, 1.12.1931 Eintritt NSDAP, bis 1.8.1933 Mitarb. bei der KreisL Überlingen, danach Geschäftsführer im GAfB, 11.5.1934 Gauamtsleiter, 1940 kommiss. KreisL in Emmendingen/1944 in Waldshut, 1943 Gauinspekteur; vgl. Mauchs PA beim bad. GPersA (GLA 465d/388). 43 Vgl. Almanach (Anm. 24), S. 72; zu Strölin vgl. die biographischen Angaben weiter unten im Text. " G e b . 1889, 1911 Eintritt in den gehobenen Verwaltungsdienst, 1921-33 (zuletzt als Rechnungsrat) beim Landesgewerbeamt Stuttgart; 1925 Eintritt NSDAP, 1931 Personalref. beim Gau Württemberg; 1932-34 MdL, 1933 Landtagspräsident u. Präsident der Württembergischen Verwaltungsakademie Stuttgart; vgl. Führerlexikon (Anm. 23), S. 514f.; 1933 Landesfachleiter im Württembergischen Beamtenbund, Fachgruppe »Länderverwaltungen«; vgl. Württembergische Beamtenzeitung 10 (1933), S. 94. 43 Vgl. die Ausführungen bei Sauer und Schnabel, bei denen Waldmann vor allem als »gemäßigter Parteigänger Hitlers, der sich in den dreißiger Jahren mehrmals allzu starken Zentralisierungstendenzen Berlins widersetzt hatte«, angesehen wird; s. Paul Sauer, Staat, Politik, Akteure, in: Otto Borst (Hrsg.), Das Dritte Reich in Baden und Württemberg, Stuttgart 1988, S. 14-28, Zitat S. 28; ders., Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus, Ulm 1975, S. 97-99 et passim; Thomas Schnabel, Württemberg zwischen Weimar und Bonn 1928-1945/46, Stuttgart 1986, S. 293-297 et passim. 46 Geb. 1903, 1918 Eintritt ins Notariatsfach, 1929 planmäßige Anstellung in der wiirtt. Justizverwaltung, 1933 Registrator im wiirtt. Justizministerium, 1.5.1934 Bezirksnotar beim Amtsgericht Waiblingen; 1.6.1931 Eintritt NSDAP, 1935-42 Vorsitzender des KreisG der NSDAP Waiblingen; vgl. Württembergische Beamtenzeitung 10 (1933), S. 81, sowie die Angaben in der Spruchkammerakte (StAL EL 902/24, 49-14-13506). 47 Ebd.; vgl. Schnabel (Anm. 44), S. 261.

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Wechsel 1933/34 mit Hermann Schümm, dem bisherigen Stellvertreter Ulrichs, ein Parteigenosse der allerersten Stunde.48 Die im Vergleich zur Beamtenabteilung zwei Jahre ältere »Kommunalpolitische Fachabteilung« der NSDAP war 1929 ins Leben gerufen worden.49 Sie wurde von dem 1927 als Referent für kommunalpolitische Fragen in der NSDAP eingesetzten späteren Münchener Stadtrat und Oberbürgermeister, Reichsleiter Karl Fiehler geleitet.50 Weil Kommunalpolitik von der NS-Führung vor der »Machtergreifung« praktisch als ein reines Kampfmittel zur Eroberung der politischen Macht betrachtet wurde, hatte man es zunächst nicht für nötig befunden, konkrete kommunalpolitische Zielvorstellungen zu formulieren. Für die parteipolitische Praxis bedeutete dies vor allem, daß kommunale Belange eher vor Ort von den Kreisleitungen und Ortsgruppen als von einer zentralen fachbearbeitenden Dienststelle wahrgenommen wurden. Die seit 1927 bei den Gauleitungen bestellten kommunalpolitischen Fachberater51 waren deshalb vordringlich bestrebt, sich durch weiteren organisatorischen Ausbau nach unten sowie Herausgabe eigener Publikationsorgane innerhalb der Parteiverwaltung zu emanzipieren. So sah die Gaukommunalabteilung Baden ihre wichtigste Aufgabe in der Auswahl von fachlich qualifiziertem Führungspersonal, das sie aus diesem Grund »aus den tauglichsten und zuverlässigsten Fraktionsführern des Gaues« zu rekrutieren gedachte. Diese sollten als Kreiskommunalreferenten in ihrem jeweiligen Bezirk die Tätigkeit der nationalsozialistischen Gemeinderatsfraktionen überwachen und die in der Regel kommunalpolitisch unerfahrenen NS-Gemeindevertreter im Rahmen von Versammlungen und Propagandaaktionen einer intensiven taktischen Schulung unterziehen.32 Im Gegensatz zu Württemberg, wo das Gauamt für Kommunalpolitik von Frühjahr 1933 ab unter der Federführung des Stuttgarter NSDAP-Stadtrats Paul Sauer bis 1938 ein eigenes Mitteilungsblatt veröffentlichte,53 scheiterte das Projekt einer eigenen Gauzeitung in Baden am Einspruch des Hauptamts für Kommunalpolitik, das aus Furcht um sein Informationsmonopol Sonderentwicklun48

Geb. 1898, 1919 Eintritt in die Justizverwaltung, 1930 Rechnungsrat im wüitt. Justizministerium, 1933 Oberrechnungsrat und Bezirksnotar; 1922 Eintritt NSDAP, 1925 Ortsgruppenleiter u. SA-Sturmführer, »seit Jahren« in der württ. NS-Beamtenabteilung »führend« tätig; vgl. Almanach (Anm. 24), S. 107; Württembergische Beamtenzeitung 10 (1933), S. 102. 49 Zum folgenden vgl. vor allem Matzerath (Anm. 11), S. 35-42. 50 Vgl. Schön, Hauptamt (Anm. 9), S. 679; zur Person Hehlers vgl. etwa die persönliche Würdigung in: Die NS-Gemeinde 3 (1935), S. 537; s. neuerdings die - streckenweise beschönigende - biographische Skizze von Kurt G. A. Jeserich, Karl Fiehler (1895-1969), in; Ders./Helmut Neuhaus (Hrsg.), Persönlichkeiten der Verwaltung. Biographien zur deutschen Verwaltungsgeschichte 1648 bis 1945, Stuttgart u.a. 1991, S. 455-457. 51 Walter Schultz, Aus der Arbeit der Gau- und Kreisämter für Kommunalpolitik, in: RVerwBl. 63 (1942), S. 321-324, hier S. 321. 52 GAfK (gez. Schindler) an den Sachbearb. für Kommunalpolitik bei der Reichsleitung, Stadtrat Fiehler, 13.6.1931 (BA/K NS 25/181); vgl. dazu auch Grill (Anm. 15), S. 285. 33 »Die Nationalsozialistische Gemeinde. Ausgabe Württemberg-Hohenzollem«, ab 1935 »Nationalsozialistisches Mitteilungsblatt des Gauamtes für Kommunalpolitik WürttembergHohenzollem«; vgl. Schnabel (Anm. 45), S. 371-374.

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gen in den Gauen möglichst vermeiden wollte.54 Aus diesem Grund wurden auch 1938 reichsweit alle noch bestehenden Gauamtsblätter aufgelöst und in das Zentralorgan des Hauptamts, die »NS-Gemeinde«, überführt. Allen Anstrengungen zum Trotz hatten die Gauämter letztendlich nicht verhindern können, daß die lokale Kommunalpolitik weiterhin Teil der allgemeinen Parteiarbeit in der Ortsgruppe blieb. Die von der Reichsleitung nach langem Hin und Her abgelehnte Forderung nach der Einsetzung von kommunalpolitischen Ortsgruppenfachberatem spiegelt dieses Dilemma der kommunalpolitischen Gauämter schlaglichtartig wider.55 Strukturell war so der Grundstein gelegt für eine parteiinterne Dichotomie von Amtsleitern und »Hoheitsträgern«, die sich nach 1933 zunehmend verfestigte und die politischen Einflußmöglichkeiten des Gauamts von Beginn an entscheidend einengte. Die badische Gaukommunalabteilung wurde offensichtlich mit Blick auf die Kommunalwahlen vom November 1930 zu Beginn des gleichen Jahres gegründet. An ihrer Spitze stand seit April 1930 der Karlsruher Versicherungsangestellte und NSDAP-Stadtrat Rudolf Schindler.56 Schindler gehörte zwar nicht der engeren »Gauclique« Wagners an, wurde von diesem aber nachweislich persönlich gefördert. Allein dessen Fürsprache hatte er es zu verdanken, daß nicht schon 1932 seine Karriere in der NSDAP wegen Veruntreuung von Parteigeldern ein Ende fand.57 Schindler übte seinen Posten als Gauamtsleiter bis Frühjahr 1936 hauptamtlich aus, wurde dann allerdings in einer Blitzaktion seiner Dienstgeschäfte entbunden - offiziell, »um sich ganz der Tätigkeit als Präsident des Badischen Gemeindeversicherungsverbandes [...] zu widmen«. Daß Schindler wohl eher auf einen politisch weniger einflußreichen Posten »weggelobt« wurde, darauf deutet bereits das vergleichsweise unterkühlte Dankesschreiben von Gauleiter Wagner hin: »Ich danke Ihnen für Ihre langjährige treue Gefolgschaft und für Ihre Arbeit.« 58 Auf Schindler folgte zum 1. Mai 1936 Franz Kerber, der als Oberbürgermeister von Freiburg das Amt des Gauamtsleiters aber nur ehrenamtlich ausübte.59 Die eigentliche Arbeit erledigVgl. Matzerath (Anm. 11), S. 40f„ 180-182; zur Auseinandersetzung zwischen wtlrtt. G A f K und HAfK in dieser Frage vgl. GAfK (gez. Stümpfig) an HAfK, 15.2.1936 (BA/K NS 25/392). 55 Dazu allg. Matzerath (Anm. 11), S. 174. Anläßlich einer Rundfrage des H A f K 1938 lehnten im Gegensatz zur Gauamtsleitung z.B. die badischen Kreisamtsleitungen die Wiedereinführung der Ortsgruppenfachberater übereinstimmend als »überflüssig wie gemeindepolitisch unzweckmäßig« ab; s. KreisAL Mosbach an GAfK, 26.4.1938 u. GAfK an HAfK, 8.6.1938 (GLA 465d/l 104). 56 Schindler an HAfK, 25.10.1933 (BA/K NS 25/122; vgl. auch NS 25/181). Geb. 1903, 1930-33 Stadtrat; 1.7.1929 Eintritt NSDAP, bis 1931 auch Gaukassierer u. stv. Gau-USchlA Vorsitzender; vgl. Führerlexikon (Anm. 23), S. 414; zum Ausscheiden als Gauamtsleiter vgl. auch Grill (Anm. 15), S. 289. 51 Wagner erreichte beim OPG, daß der beim Gau-USchlA Baden bereits verfügte Parteiausschluß in Anbetracht der »Verdienste um die Bewegung« in einen »scharfen Verweis« umgewandelt wurde; s. GauL Wagner an Reichs-USchlA, 30.12.1932, Antwort 7.1.1933 (BDC/PA OPG); vgl. auch Grill (Anm. 15), S. 199f. 58 Beide Zitate aus Nachrichtenblatt (Anm. 45) 3 (1936), S. 21; dazu mehr im nächsten Abschnitt. 59 Geb. 1901, 1925 Promotion, 1926-31 Kaufmann und Teilhaber bei einer Weinhandelsfirma 54

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te von nun an der geschäftsführende Leiter des Gauamts und Stellvertreter Kerbers, Alfons Kaufmann - ein Parteifunktionär, der sich nur über Umwege in die badische NS-Führungselite hatte hocharbeiten können.60 Als einer der wenigen vor der »Machtergreifung« aktiven Kämpfer der NS-Bewegung im katholischen Amtsbezirk Buchen war Kaufmann im Mai 1933 zum kommissarischen Bürgermeister der dortigen Kleinstadt Walldürn ernannt worden. Wäre nicht der neue Kreisleiter Anfang 1934 mit einer angemessenen Bürgermeisterstelle zu versorgen gewesen, hätte Kaufmann wahrscheinlich nie den Weg in den hauptamtlichen Parteidienst gefunden.61 Nach der Berufung Kerbers zum Amtsleiter beim Hauptamt für Kommunalpolitik 1942 und dem Tod Kaufmanns an der Ostfront ein Jahr später übernahm schließlich der Karlsruher Oberbürgermeister Oskar Hüssy bis Kriegsende den Posten des Gauamtsleiters.62 Die württembergische Gaukommunalabteilung wurde erst im Januar 1932 gegründet. Dieser relativ späte Termin hängt vermutlich mit der bis zu den Gemeindewahlen vom Dezember 1931 geringen Präsenz nationalsozialistischer Abgeordneter in den Kommunalparlamenten zusammen.63 Gauamtsleiter war der bei der Oberamtssparkasse Leonberg beschäftigte Rechnungsrat Rudolf Abele.64 Nachdem er im Laufe der »Machtergreifung« am 15. September 1933 zum dortigen Bürgermeister ernannt worden war und sich so für ihn eine Karriere als kommunaler Spitzenbeamter zu eröffnen schien, wurde Abele schon bald darauf in Unregelmäßigkeiten verwickelt, die zu seiner Entlassung führten. Jedenfalls wurde sein Fehltritt als Bürgermeister zum Anlaß genommen, ihn auch als Gauamtsleiter abzusetzen. Am 20. April 1934 sei ihm von Gauleiter Murr ohne vorherige Möglichkeit der Stellungnahme die Amtsenthebung mitgeteilt worden, beklagte sich Abele beim Hauptamt für Kommunalpolitik. Daß sich hinter dieser Maßnahme vielleicht personalpolitische Motive verbarin Endingen, 1931-33 Herausgeber der Freiburger NS-Zeitung »Der Alemanne«, seitdem OB von Freiburg; vgl. Führerlexikon (Anm. 23), S. 227; die biograph. Skizze von Wolf Middendorff, in: Badische Biographien, N.F. 2, Stuttgart 1987, S. 157f.; 1923 beim Völkisch-Sozialen Block in Endingen tätig, 1.11.1930 Eintritt NSDAP, Ortsgruppenleiter u. Kreiskommunalreferent in Emmendingen, 1932-36 KreisL in Freiburg (BA/K NS 25/391); s. auch dessen PA beim bad. GPersA (GLA 465d/328). 60 Geb. 1902, Landwirt, Mitglied der DNVP, ab 1932 NSDAP, 1930-33 Bezirksrat beim Bezirksamt Buchen (GLA 345/G 2946, 465c/10335); 1933 Gemeinderat, 1. Beigeordneter, 1933-34 kommiss. Bürgermeister, 1.1.1935 Gauhauptstellenleiter beim GAfK (GLA 465d/1052, 1057; BA/K NS 25/182); vgl. auch Buchener Volksblatt, Nr. 108 ν .11.5.1933. " GLA 345/1982,30/964. 62 Geb. 1903, 1923/26 Eintritt NSDAP, 1927 Ortsgruppenleiter, 1933 KreisL u. Vorsitzender des KreisG Säckingen, 1935-38 Vorsitzender des GauG Baden, 1938-45 OB der Stadt Karlsruhe (BDC/Master File); zu Kerber u. Hüssy vgl. auch Die Nationalsozialistische Gemeinde. Gauausgabe Oberrhein 2 (1942), S. 39; zu Kaufmann Der Führer, Nr. 105 v. 15.4.1943. 63 S. das Verzeichnis aller 1931 gewählten wtlrtt. NS-Stadt- u. Gemeinderäte (BA/K NS 25/391). 64 Geb. 1898, 1.1932 Stadtrat u. NS-Fraktionvorsitzender in Leonberg (StAL Ε 180 1I-V/756); 1930 Eintritt NSDAP, 16.1.1932 Leiter der Kommunalabt. der Gauleitung (BA/K NS 25/391).

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gen und die Verfehlung Abeles mehr ein Vorwand war, ihn loszuwerden, legt die Bitte des Hauptamts an die württembergische Gauleitung nahe, die »Amtsenthebung in angemessener und milder Form unauffällig vorzunehmen und für [...] anderweitige Verwendung zu sorgen«.65 Ihr wurde prompt entsprochen. Abele schied zum 31. August 1934 als Bürgermeister von Leonberg aus und wurde Direktor des Württembergischen Sparkassen- und Giroverbands; ein Amtswechsel, dessen Umstände sehr an die Amtsenthebung seines badischen Kollegen Schindler 1936 erinnern.66 Mit dem Abgang Abeles Ubernahm schließlich im Juli 1934 ein Mann das württembergische Gauamt für Kommunalpolitik, dessen weitere politische Karriere in der NS-Zeit wahrlich beachtenswert ist: Georg Stümpfig, bis zur »Machtergreifung« Bürgermeister in der 1000 Einwohner zählenden Gemeinde Wiesenbach (Oberamt Gerabronn) und seit Juni 1933 ehrenamtlicher Berichterstatter in dem beim württembergischen Innenministerium eingerichteten Staatskommissariat für Körperschaftsverwaltung (StKoKV).67

Konkurrenten der Gauämter Die Hauptkonkurrenten der Ämter für Beamte und für Kommunalpolitik vor 1933 waren die Interessenorganisationen der Beamtenschaft und die kommunalen Spitzenverbände. Ihre Tätigkeit wurde zum einen von der NSDAP heftig kritisiert. Andererseits sollten sie ideologisch unterwandert werden, was in dem erhofften Maß nicht gelang. Insbesondere die Führungspositionen blieben für Nationalsozialisten vor der »Machtergreifung« unerreichbar.68 Dieser Zustand änderte sich erst mit der 1933 einsetzenden »Gleichschaltung« nahezu des gesamten öffentlichen Lebens. Innerhalb eines Jahres gelang es der NS-Führung im Reich und in den Ländern, das traditionell gewachsene Verbandswesen der Beamtenschaft wie der Kommunen im Wege der evolutionären Anpassung schrittweise zu zerschlagen und in von der NSDAP kontrollierte Massenorganisationen zu transformieren.69 Da die Verbände den Nationalsozialisten dabei M

Abele an HAfK, 25.4.1934, Antwort (gez. Schön) v. 18.5.1934 (BA/K NS 25/392). Vgl. hierzu auch die offiziöse Meldung in der NS-Gemeindezeitung für Sudwestdeutschland. Das Blatt der Abgeordneten, Stadt-, Gemeinde- und Bezirksräte Württembergs [zit. »NSGemeindezeitung«] 2 (1934), S. 308f. 67 Erl. des württ. Mdl (gez. Schmid) v. 19.6.1933 (HStAS Ε 151/01, 282). Geb. 1890, 1913 mittlere Verwaltungsdienstprtifung, seit 1919 Bürgermeister in Gaggstadt u. Wiesenbach, 1932-34 MdL; 1929 Eintritt NSDAP, 1930-34 KreisL Gerabronn; vgl. NS-Kurier, Nr. 338 v. 7.12.1940; NS-Gemeindezeitung 2 (1934), S. 277; vgl. auch dessen PA im HStAS (EA 2/150 Stümpfig); zum weiteren Aufstieg Stümpfigs vgl. den folgenden Abschnitt. 68 Vgl. etwa Fenske (Anm. 31), S. 122. w Vgl. hierzu im einzelnen Hermann Neef, Die Entwicklung des Beamtenorganisationswesens zum Nationalsozialismus, in: Almanach (Anm. 24), S. 41-47; Mursinsky/Brill (Anm.24), S. 149-155; Hattenhauer (Anm. 17), S. 397-401; Ziebill (Anm. 18), S. 59-67; Matzerath (Anm. 11), S. 98-105; van der Groeben (Anm.18), S. 160-169; zur Entwicklung in Baden vgl. Rupert Hourand, Die Gleichschaltung der badischen Gemeinden 1933/34, jur. Diss., Freiburg 1985, S. 205-209; zu Württemberg vgl. Sauer, Württemberg (Anm. 45), S. 67-78. 66

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kaum ernsthaften Widerstand entgegensetzten, glich ihre Auflösung weitgehend einer Selbstgleichschaltung.70 Die Gauämter spielten bei diesem Prozeß nicht nur die tragende Rolle, ihre Leiter in Baden und Württemberg besetzten teils kommissarisch ernannt - ab Frühjahr 1933 ausnahmslos auch die Vorstandssessel der nun personell stark veränderten Organisationen: Bogs und Ulrich wurden Bundes- bzw. Landeswart des Deutschen Beamtenbunds,71 Schindler und Abele übernahmen den Vorsitz des Badischen bzw. Württembergischen Gemeindetags.72 Die zur Jahreswende 1933/34 neu geschaffenen Einheitsverbände, der RDB und der DGT, waren als »betreute Organisationen« endgültig zu Hilfsinstrumenten der Partei herabgesunken. Indem ihnen aber gleichzeitig jegliche Möglichkeit der politischen Einflußnahme genommen wurde, waren sie machtpolitisch bedeutungslos geworden. Weder bei der Gesetzgebung noch bei Personalangelegenheiten durften sie künftig emsthaft mitreden. Lediglich als Informationskanäle zum Zweck der Kontaktaufnahme mit Verwaltungsbehörden sowie im Fall des RDB als Einnahmequelle waren sie den Gauamtsleitern dienlich. Als nunmehrige Körperschaft des öffentlichen Rechts bzw. angeschlossener Verband der NSDAP hatten sich RDB und DGT ausschließlich um die Abwicklung von organisatorischen Fragen, die propagandistische Selbstdarstellung als NS-Massenorganisation sowie die fachliche Beratung von Behörden und Parteidienststellen zu kümmern.73 Zur Sicherstellung der »Einheit von Partei und Staat« war auf allen Organisationsebenen die Personalunion von NSDAP-Amtsleiter und »RDB-Wart« bzw. Dienststellenleiter des DGT vorgeschrieben. Während dies beim RDB offensichtlich problemlos vonstatten ging, konnte sich in Baden und Württemberg eine solche Handhabung bei der Besetzung der Dienststellen des DGT wegen parteiinterner Rivalitäten nicht einmal in der Gaustufe durchsetzen. In Baden war die formell verwirklichte Personalunion dadurch aufgeweicht, daß die Geschäfte des DGT bis zum Amtsantritt Kerbers von einem weitgehend unabhängig agierenden Geschäftsführer wahrgenommen wurden.74 In Württemberg bestanden interne Spannungen zwischen dem Leiter der Landesdienststelle des DGT, dem vom Hauptamt für 70

Vgl. die Solidaritätserklärungen in den Fachzeitschriften u. der Tagespresse; etwa zum Badischen Beamtenbund: Badisches Beamten-Echo, Nr. 4 v. 27.3.1933; zum Württembergischen Beamtenbund: Württembergische Beamtenzeitung 10 (1933), S. 42f; zum Württembergischen Gemeindetag: NS-Kurier, Nr. 82 v. 7.4.1933; zum Württembergischen Ortsvorsteherverein: ebd., Nr. 83 v. 8.4.1933. 71 Geschichte der NS-Beamtenabteilung (Anm. 33), S. 30; Württembergische Beamtenzeitung 10(1933) S. 81. 72 Die Gemeinde. Zeitschrift für das Verwaltungs- und Rechnungswesen der badischen Selbstverwaltung 35 (1933), S. 111; NS-Gemeindezeitung 2 (1934), S. 277. Darüberhinaus saßen die Gauamtsleiter teilweise auch in dem »Führerrat« des RDB bzw. Vorstand des DGT (GLA 233/26719). "Vgl. zusammenfassend Caplan (Anm.31), S. 190-192; Matzerath (Anm. 11), S. 165-168; van der Groeben (Anm. 18), S. 169-181. 74 Eduard Jäkle, geb. 1897, 1926-33 Bürgermeister von Immendingen (Amtsbez. Engen), seit 1.7.1933 Geschäftsführer des Badischen Gemeindetags; vgl. Führerlexikon (Anm. 23), S. 210; 1933(?) Ortsgruppenleiter in Weil a.Rh. (BA/K NS 25/181).

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Kommunalpolitik gestützten Stuttgarter Oberbürgermeister Strölin,75 und Gauleiter Murr, wie der folgende Vorgang illustriert. Nach der Amtsenthebung von Gauamtsleiter Abele versuchte Strölin, diesen Posten mit einem eigenen Gefolgsmann, dem Stuttgarter Stadtrat Kroll, zu besetzen, scheiterte damit jedoch an Gauleiter Murr und seinem Staatssekretär Waldmann, die mit Stümpfig einen Parteimann ihres Vertrauens als Gauamtsleiter installierten.76 Eine Personalunion der beiden Ämter kam darum in Württemberg niemals zustande. Nachdem die ursprünglichen Konkurrenten der Gauämter 1933 aus dem Weg geräumt waren, galt es nach der »Machtergreifung« für sie, sich gegenüber einer Vielzahl neuer Rivalen zu behaupten, welche entweder von Staats wegen mit der Durchsetzung der öffentlichen Beamtenpolitik befaßt waren oder die danach strebten, solche Zuständigkeiten zu usurpieren. Das waren im ersten Fall die Ministerialbürokratie und die Landräte und im zweiten verschiedene Dienststellen der NSDAP: vor allem das Gaupersonalamt und die Kreisleiter.

Der Einfluß der Gauämter auf die Personalpolitik Nach der Eroberung der Staatsmacht durch den Nationalsozialismus boten sich den Ämtern für Beamte und für Kommunalpolitik drei Strategien an, um einen theoretischen Herrschaftsanspruch in reale Macht umzusetzen. Erstens: Die beiden Ämter, als die in der Partei für Beamtenangelegenheiten zuständigen Fachabteilungen, erhielten offiziell das bislang staatlichen Stellen vorbehaltene Monopol in Personalfragen zugesprochen. Solche Herrschaftsentwürfe, die dem herkömmlichen Bild der Machtverteilung von »Partei und Staat« nicht entsprachen, waren 1934 mit der Ermordung der SA-Führung ad acta gelegt. Zweitens: Die Gauamtsleiter wurden selbst zu staatlich bediensteten Personalreferenten berufen. Dieser Weg wurde, wie im folgenden dargelegt wird, im allgemeinen nicht beschritten. Drittens: Die Gauämter übten ein politisches Aufsichtsrecht über die Personalsachbearbeiter der Staatsbehörden aus, indem sie immer dann korrigierend eingriffen, wenn ihrer Ansicht nach nationalsozialistische Grundsätze in der Personalpolitik nicht die gebührende Berücksichtigung fanden. Die Effektivität dieser informellen Form der politischen Willensdurchsetzung mußte angesichts der Vielzahl der innerhalb von Partei und Staat miteinander konkurrierenden Ämter und Dienststellen von der individuellen Durchsetzungsfähigkeit der Gauamtsleiter, ihrem persönlichen An75

Strölin, geb. 1890, war seit 1923 Beamter bei der Stadt Stuttgart, seit 1927 Stadtamtmann beim Gaswerk; 1923/31 Eintritt NSDAP, 1931 Gauwirtschaftsberater; 1931 Stadtrat, 16.3.1933 Staatskommissar für die Verwaltung der Stadt Stuttgart; vgl. NS-Kurier, Nr. 289 v. 19.10.1940 u. Führerlexikon (Anm. 23), S.482; 1.8.1933 Vorsitzender des Württembergischen Gemeindetags; vgl. Kommunale Nachrichten 9 (1933), S. 45; vgl. insgesamt Sauer, Württemberg (Anm. 45), S. 104-107; Roland Müller, Stuttgart zur Zeit des Nationalsozialismus, Stuttgart 1988, S. 27f., 43f., 51 et passim; eine Biographie Ströhns wurde unlängst an der Universität Stuttgart abgeschlossen. 76 Vgl. hierzu die Korrespondenz mit dem HAfK (BA/K NS 25/391).

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sehen beim Gauleiter sowie dem Ausmaß der institutionellen Eingebundenheit ihrer Dienststellen in den nationalsozialistischen Herrschaftsapparat abhängen. Sie stand und fiel demnach mit der Person des Gauamtsleiters. Die Gauamtsleiter wurden, wie andere führende NS-Persönlichkeiten auch, mit Beginn der »Machtergreifung« zwischen März und Mai 1933 als Sonderbzw. Staatskommissare in die Ministerien berufen.77 Der Leiter des badischen Gauamts für Kommunalpolitik Schindler, seit 28. März 1933 »Hilfskommissar für kommunalpolitische Angelegenheiten«, erhielt den Titel eines »Ministerialreferenten« beim Innenministerium.78 Mit der Auflösung des Kommissarwesens im Sommer 1933 verloren sie jedoch fast alle wieder diesen institutionellen Rückhalt in der Verwaltung, was sich auf ihr weiteres politisches Gewicht negativ auswirken sollte. Die staatlicherseits wichtigsten Rivalen im Ringen um den Einfluß in der Personalpolitik, die zuständigen Sachbearbeiter in den Ministerien, waren im Frühjahr 1933 ausnahmslos durch nationalsozialistisch zuverlässige Beamte ersetzt worden. Die Ministerialbürokratie in Baden und Württemberg konnte hierbei aber erreichen, daß diese Posten nicht, wie es etwa in Preußen gang und gäbe war, mit in Verwaltungsdingen unerfahrenen NS-Parteifunktionären besetzt wurden. Stattdessen kamen auch weiterhin Beamte zum Zuge, von denen zu erwarten war, daß sie bei Personalwünschen der Partei auch im Interesse der Aufrechterhaltung einer funktionierenden Verwaltung handelten. Jakob Bader, von März 1933 an Ministerialdirektor im badischen Innenministerium, und Gustav Himmel, seit 23. März 1933 geschäftsführender Kanzleidirektor im württembergischen Innenministerium, waren Vertreter eines Beamtentypus, der - vor der »Machtergreifung« nach außen hin überparteilich - unter dem Eindruck des Sieges des Nationalsozialismus rasch den Weg in die NSDAP gefunden hatte.79 In Baden waren darüberhinaus vor allem zwei Beamte im Einsatz: der eine, ein junger, aufstrebender Regierungsassessor aus der badischen Bezirks Verwaltung, den Bader im Juli 1934 zur Bearbeitung der Personalangelegenheiten der Beamten des höheren Dienstes an sein Ministerium holte;80 der andere, ein dort diensttuender Oberrechnungsrat, dem nach der »Machtergreifung« dieselbe Aufgabe für den gesamten mittleren und gehobenen Dienst übertragen worden war.81 Alles in allem, wenn man von dem Regierungsasses77

Vgl. Hans Werner Horwitz, Der Staatskommissar als Mittel der Staatsaufsicht über die Gemeinden, jur. Diss., Heidelberg 1933, S. 41-43; Helmut Seeger, Der Staatskommissar mit besonderer Berücksichtigung Württembergs im Jahr 1933, jur. Diss., Leipzig 1940; Matzerath (Anm. 11), S. 67. 78 Karlsruher Zeitung, Nr. 47 v. 28.3.1933, Nr. 112 v. 15.5.1933; zu Bogs ebd., Nr.106 v. 8.5.1933; zu Ulrich vgl. NS-Kurier, Nr. 107 v. 9.5.1933; vgl. auch für Baden das Verzeichnis der »Ministerialreferenten« (GLA 233/24381). 79 Die sogenannten »Märzgefallenen«. Vgl. zu Bader, geb. 1883, die biographische Skizze von Renate Liessem-Breinlinger in: Badische Biographien (Anm. 59), N.F. 1, S. 27f.; zu Himmel, geb. 1882, dessen PA (HStAS Ε 151/21, 394). Geb. 1905, 1.10.1934 RegR, 1.1.1938 ORegR, 1940/41 beim C.d.Z. im Elsaß zuständig für Personalsachen; 1.5.1933 Eintritt NSDAP, informell wurde ihm aber der Status eines »alten Kämpfers« zugebilligt, weil er zuvor aktiv für die Partei tätig gewesen war; s. Ernennungsvorschlag des Mdl v. 14.10.1937 (GLA 233/23394). 81 Geb. 1886, 1924 Ministerialobenechnungsrat beim Mdl, 1942 RegR; Eintritt NSDAP erst am 1.5.1937 (GLA 466/1979,2/3757,1-2).

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sor einmal absieht, nicht gerade altgediente Nationalsozialisten. Das mag verwunderlich sein, weil die Partei mit Argusaugen darauf achtete, daß gerade die Stellen der Personalsachbearbeiter ausschließlich mit politisch zuverlässigen Beamten, d.h. möglichst mit »alten Kämpfern«, besetzt wurden, und es zudem verstand, dieser Forderung etwa bei den Städten, Amtsbezirken und Oberämtem bei Bedarf 82 den erforderlichen Nachdruck zu verleihen. Offensichtlich hat man seitens der badischen und württembergischen NS-Führung über diesen »Makel« deshalb hinweggesehen, weil bei der zentralen beamtenpolitischen Bedeutung dieser Position auch Eigenschaften wie fachliche Voraussetzungen und Ansehen bei der Beamtenschaft (»Stallgeruch«) gefragt waren, die - um auf die Gauamtsleiter zurückzukommen - bei den während der »Kampfzeit« zur NSDAP gestoßenen Beamten meist nicht so vorhanden waren.83 Die Personalreferentenstellen blieben den Gauamtsleitern darum im allgemeinen verschlossen. Einzige Ausnahme in dem hier untersuchten Quartett war der württembergische Gauamtsleiter für Kommunalpolitik und NS-Landtagsabgeordnete, Bürgermeister Georg Stümpfig. Das hatte zwei Gründe. Erstens war Stümpfig 1933/34 auf Betreiben höchster Stellen in der württembergischen Staatsverwaltung als Parteimann zielstrebig in die Ministerialbürokratie hineingeschleust worden. Dieser Schachzug war dort auf keinerlei Widerstände gestoßen, weil Stümpfigs Durchmarsch in die Spitze der württembergischen Innenverwaltung anfangs über das Staatskommissariat für Körperschaftsverwaltung lief. Dieses am 11. April 1933 eingesetzte Kommissariat84 - die tatsächliche Arbeitsaufnahme durch den Staatskommissar, den Herrenberger Landrat, Ludwig Battenberg, erfolgte schon am 29. März 193385 war geschaffen worden, um die aus Sicht der nationalsozialistischen Machthaber notwendige Revision der Personalverhältnisse sämtlicher württembergischen Gemeinde- und Körperschaftsbeamten in einer Hand zu vereinigen. Der weitere Aufstieg Stümpfigs vollzog sich dann überaus rasant. Am 19. Juni 1933 wurde er dem Staatskommissar als ehrenamtlicher »Berichterstatter« zugeteilt,86 mit Wirkung vom 20. November 1933 - inzwischen verbeamteter Regie82

Vgl. die Übersichten zu Baden u. Württemberg über die Besetzung der Personalreferentenstellen in den größeren Städten beim HAfK (BA/K NS 25/668). Daß ein Personalreferent durchaus versetzt wurde, wenn er diesen Anforderungen nicht entsprach, zeigt ein Beispiel aus Pforzheim (GLA 233/23991); nur bei »bereits voller Bewährung« und besonders schwer zu beschaffendem Ersatz durfte von dieser Regelung abgegangen werden; s. RdErl. d. RMdl v. 10.7.1934 (HStAS Ε 151/01, 2321). 83 Immerhin wurde dem älteren der beiden genannten badischen Personalieferenten anläßlich einer geplanten Beförderung in den höheren Dienst 1939 vom RStH vorgeworfen, daß er »weltanschaulich nicht hinreichend fundiert und vor allem kein nationalsozialistischer Aktivist« sei. Dadurch verzögerte sich die Ernennung zum RegR bis 1942; s. RStH an bad. StMin., 5.5.1939 (GLA 466/1979,2/3757,1-2). M »Gesetz über die Errichtung eines Staatskommissariats für Körperschaftsverwaltung« (RegBl., S. 93). 85 Mdl (gez. Schmid) an Battenberg, 12.4.1933 (HStAS Ε 151/01, 122). 86 Erl. des württ. Mdl (gez. Schmid) v. 19.6.1933. Mit gleichem Datum hatte das Mdl das StKoKV seiner Kanzleidirektion angegliedert, weil die Kommissariate inzwischen bis auf zwei Ausnahmen aufgehoben waren (HStAS Ε 515/01, 282).

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rungsrat - zum »Berichterstatter für Ortsvorstehersachen im Ministerium des Innern« bestellt87 und nach Auflösung des Staatskommissariats im April 1935 zum Leiter der Kommunalabteilung im Innenministerium berufen. Gleichzeitig hatte jetzt auch die Ministerialabteilung für Bezirks- und Körperschaftsverwaltung (MABK), die in Württemberg als obere Aufsichtsbehörde für die Gemeinden fungierte, sämtliche Personalvorgänge ihres Geschäftsbereichs Stümpfig zur Mitzeichnung zuzuleiten.88 Damit war binnen eines halben Jahres ein führender NS-Funktionär unter krasser Mißachtung der Laufbahnvorschriften vom Dorfbürgermeister zum höheren Staatsbeamten hochkatapultiert worden. Daß Stümpfig nach dem Ausscheiden Battenbergs Ende Juni sowie dessen Nachfolgers, Landrat Karl Storz', Mitte November*® praktisch Herr im Haus war, darauf deutet eine Äußerung des Gauamtsleiters gegenüber Innenminister Schmid hin. Dieser gedachte, das Staatskommissariat für Körperschaftsverwaltung um die Jahreswende 1933/34 aufzulösen, nachdem der größte Teil der aus der »Machtergreifung« resultierenden Personalveränderungen wohl inzwischen abgeschlossen war. Stümpfig bat, das Staatskommissariat noch einige Zeit bestehen zu lassen, »weil mit dessen Aufhebung mir [sie!] die Möglichkeit genommen ist, auf die Gemeinde- und Körperschaftsverwaltungen durch Bestellung von Amtsverwesem oder durch entsprechende Vorschläge einzuwirken«.90 Zum zweiten war die Position Stümpfigs innerhalb der württembergischen Körperschaftsverwaltung institutionell gewichtiger als die seines badischen Pendants. Das lag sowohl in der (schon vor 1933) straffer organisierten Kommunalaufsicht als auch der besonders ausgeprägten Dominanz des Fachbeamtentums in Württemberg begründet.91 Während sich in Baden die Aufsicht über die Bürgermeister mehr auf die Landräte, d.h. die Kreisebene, konzentrierte - eine voll ausgebildete mittlere Verwaltungsstufe existierte überhaupt nicht - , lag der Schwerpunkt in Württemberg stärker bei der Zentralbehörde, dem Innenministerium und der ihm angegliederten Ministerialabteilung. Diese 87

Desgl. v. 9.11.1933 (HStAS Ε 151/01, 286). " Desgl. v. 28.5.1935 (HStAS Ε 151/01, 304). 89 Die Tätigkeit der in die Bezirksverwaltung zurückdrängenden Staatskommissare war ehedem nur befristet. Storz etwa, geb. 1897, ehemaliger Freikorpskämpfer und vor der »Machtergreifung« RegR beim Mdl u. Landrat in Vaihingen, nach Ermessen der KreisL Waiblingen ein Beamter, der sich »jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat« einsetze, und zwar nicht aus dem Gefühl heraus, dadurch Vorteile erlangen zu wollen, wurde am 23.1.1934 Landrat von Waiblingen; vgl. »Polit. Beurteilung« der KreisL Waiblingen v. 17.11.1936 (StAL PL 502/34, 16); Waiblinger Kreiszeitung, Nr. 28 v. 3.2.1934. 90 Stümpfigs Karriere, die in diesem Kontext nicht weiter verfolgt zu werden braucht, war noch lange nicht zu Ende. 1936 ORegR, wechselte er 1937 als Personalreferent in die Kanzleidirektion des Mdl über (HStAS Ε 151/01, 286); dort wurde er 1940 Ministerialrat. " Vgl. hierzu allg. Albert Neckenauer, Von den altbadischen Kreisen bis zur Kreisreform 1803-1973, in: Landkreistag Baden-Württemberg (Hrsg.), Beiträge zur Geschichte der Landkreise in Baden und Württemberg. Festschrift zum 20jährigen Landratsjubiläum von Landrat Dr. Wilhelm Bühler, Alb-Donau-Kreis, am 11. März 1987, S. 27-59; Alfred Dehlinger, Württembergs Staatswesen in seiner geschichüichen Entwicklung bis heute, Stuttgart 1951, Bd.l, S. 268-281.

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strukturellen Unterschiede spiegelten sich in der Art und Weise sowie im Tempo der nationalsozialistischen »Gleichschaltung« der Kommunalverwaltung deutlich sichtbar wider. Während sich diese in Baden infolge einer Vielzahl von Durchführungsbestimmungen und Einzelentscheidungen bis weit in das Jahr 1934 hinzog,92 wurde in Württemberg von Beginn an eine konsequente normative Gleichschaltungspolitik betrieben. Insofern war hier auf dem Wege der Gesetzesänderung93 der Führerstaat in der Kommunalverwaltung bereits im Sommer 1933, lange vor Erlaß der Deutschen Gemeindeordnung 1935, Wirklichkeit geworden. Wichtigstes Instrument war dabei die Institution des Staatskommissariats, da sie eine zentral gesteuerte politische Überprüfung aller leitenden Gemeindebeamten gewährleistete. 1933 mußte jeder Landrat sämtliche Bürgermeister seines Oberamts einer formalisierten politischen Beurteilung unterziehen. Auf dieser Grundlage entschied dann der Staatskommissar, ob bei dem betreffenden Ortsvorsteher das Berufsbeamtengesetz, eine Zuruhesetzung im Rahmen des Ortsvorstehergesetzes oder eine anderweitige Maßregelung zur Anwendung kam. Aufgrund der so erworbenen »Sachkompetenz« hatte Staatskommissar Stümpfig bei Auseinandersetzungen mit den Personalwünschen der Kreisleiter im allgemeinen das größere Stehvermögen.94 Das bedeutet aber nicht, daß Gauamtsleiter Stümpfig (oder seine beiden Vorgänger) das Amt des Staatskommissars primär dazu benutzt haben, um bei Personalentscheidungen die Interessen einer vermeintlich unpolitischen »Fachverwaltung« gegenüber der Partei zu wahren.93 Stümpfig war und blieb ein Mann der Partei, der auch als Staatsbeamter ihre Interessen zu vertreten wußte - allerdings nicht die der untergeordneten regionalen Parteifunktionäre, sondern die der Gauleitung. Daß sich Stümpfig bei seiner Arbeit als Gauamtsleiter infolgedessen vornehmlich auf sein Gewicht als staatlicher Personalreferent stützte, wird auch anhand eines Vergleichs der personellen Besetzung der Gauämter für Kommunalpolitik in Baden und Württemberg deutlich. Stümpfig selbst übte sein Parteiamt nicht nur ehrenamtlich aus und verfügte auch sonst über keinerlei hauptamtliche Mitarbeiter. Es gab (räumlich betrachtet) überhaupt kein württembergisches Gauamt für Kommunalpolitik, denn Stümpfig erledigte seinen Geschäftsbetrieb von seinem Schreibtisch im Innenministerium aus.96 Sein badischer hauptamtlicher Kollege, »Ministerialreferent« Schindler, hingegen sah höchstens wohl bei Besuchen das Ministerium von innen und residierte von der Gaugeschäftsstelle in 92

Vgl. hierzu im einzelnen Hourand (Anm. 74), S. 56-131 "Neben der Errichtung des Staatskommissariats vor allem das Onsvorstehergesetz v. 28.6.1933 (RegBl., S. 175); vgl. Sauer (Anm. 45), S. 89-114. 94 Diese am Beispiel der Oberämter Rottenburg und Waiblingen gewonnenen Erkenntnisse gehen auf eine derzeit laufende übergreifende Studie von H. Roser zum politischen Verhalten der Kreis- und Gemeindeverwaltung in Südwestdeutschland zurück. 95 In diesem Sinne Sauer, Württemberg (Anm.45), S. 93f.; Schnabel (Anm. 45), S. 191f. 96 Verzeichnis der bei sämtlichen Gauleitungen im Reich hauptamtlich beschäftigten Mitarbeiter, Stand 15.8.1939 (GLA 465d/27). Entsprechend dieser Aufstellung verfugten im übrigen die beiden südwestdeutschen GAfB, wie die meisten GAfB im Reich, nur über nebenamtliche Beschäftigte.

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Karlsruhe aus.97 Seinem Nachfolger Kaufmann standen immerhin vier Hauptstellenleiter als Sachbearbeiter zur Seite.98 Ziehen wir an dieser Stelle ein erstes Resümee zur Stellung der hier untersuchten Gauamtsleiter im nationalsozialistischen Herrschaftsgefüge. In ihrer Eigenschaft als Inhaber von führenden Parteiämtern spielten sie nur eine Nebenrolle. Wenn sie nicht (wie Stümpfig) in der Verwaltung institutionell verankert waren, hatten sie kaum Chancen, sich gegen die Ministerialbeamten durchzusetzen. Denn diese hielten nach wie vor die entscheidenden Sachkompetenzen in der Hand.99 Als Ausweg blieb deshalb nur, sich immer wieder von außen in den Gang der Verwaltungsgeschäfte einzumischen. Als Transmissionsriemen diente dem Gauamt für Beamte sein Mitwirkungsrecht bei der Erstellung von »Politischen Gutachten« über Beamte. Deren Anfertigung, die bereits seit 1933/34 allgemein üblich war, wurde 1935 durch den Stellvertreter des Führers einheitlich geregelt.100 In gleichem Sinne waren die Gauamtsleiter für Kommunalpolitik bestrebt, ihre schärfsten Konkurrenten in der Personalpolitik, die Kreisleiter, mittels ihrer zentralen fachlichen Anweisungsbefugnis an die Kandare zu nehmen. Indem sich die Gauämter dabei als die wahren Sachwalter nationalsozialistischer Grundsätze in der Beamtenpolitik ausgaben, hofften sie, durch Akkumulation extranormativer Entscheidungen des Gauleiters zu ihren Gunsten ihren eigenen Machtbereich informell stabilisieren zu können. Es kann festgehalten werden, daß ihnen dies nicht gelang. Aufgrunddessen ist nicht verwunderlich, daß in der Regel die Gauamtsleiter nicht zu den herausragenden Persönlichkeiten der NS-Bewegung auf Landesebene gehörten.101 Und wenn dies doch einmal der Fall war, dann waren es zumeist Parteigenossen wie der Freiburger Oberbürgermeister Kerber, die als Funktionsträger in staatlichen oder kommunalen Behörden in erster Linie dort Machtbefriedigung und berufliches Fortkommen suchten. Nicht allein die Personalunion von Parteiamt auf der einen und staatlicher/kommunaler Verwaltungstätigkeit auf der anderen Seite gewährleistete mithin in der Praxis eine wirkungsvolle personalpolitische Einflußnahme der Gauämter, sondern der funktionale Einklang von Partei-Engagement und beruflichem Karrierestreben des Gauamtsleiters: etwa die Doppelstellung als Gauamtsleiter und Perso97

Vgl. dessen »Briefanschrift«; s. Karlsruher Zeitung, Nr. 74 v. 28.3.1933. Verzeichnis (Anm. 96); vgl. auch den Organisationsplan in: Nachrichtenblatt (Anm. 45) 2 (1935), S. 76; allgemein vgl. Matzerath (Anm. 11), S. 174. 99 Dagegen mußte sich ein institutioneller Rückhalt der staatlichen Personalreferenten in der Partei nicht notwendigerweise zu Gunsten der Gauämter auswirken. Der oben erwähnte Karlsruher Personalreferent etwa war seit Februar 1936 Gaustellenleiter beim GAfB und Fachschaftsleiter im RDB (GLA 233/26282), sein für den gehobenen Dienst zuständiger Kollege mit gleichem Datum dessen Mitarbeiter geworden (GLA 466/1979,2/3757,1-2). ""Anordnung des StdF 119/35 v. 14.6.1935 (u.a. überliefen im BA/K NS 22/828); vgl. Mommsen, Beamtentum (Anm. 29), S. 75-79; besonders Dieter Rebentisch, Die »politische Beurteilung« als Herrschaftsinstrument der NSDAP, in: Detlev Peukert/Jürgen Reulecke (Hrsg.), Die Reihen fast geschlossen. Beiträge zur Geschichte des Alltags unterm Nationalsozialismus, Wuppertal 1981, S. 107-125, hier S. 111. 101 Vgl. etwa die biograph. Angaben zu den Amtsleitem Mauch, Schindler und Schümm weiter oben im Text. 98

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nalsachbearbeiter im württembergischen Innenministerium, wie Stümpfig sie innehatte, oder die Verbindung von Parteiamt mit dem eines städtischen Personaldezementen etwa bei dem Düsseldorfer Gauamtsleiter Ebel.102 Eine derartige Kombination von Staats- und Parteiamt gab es einer Aufstellung des Hauptamts für Kommunalpolitik zufolge103 sonst im Reich nur selten. Vor allem in Sachsen, wo der Gauamtsleiter für Kommunalpolitik, Ernst Erich Kunz, ebenfalls gleichzeitig Leiter der Gemeindeabteilung im Innenministerium war. Augenfällig ist auch hier wieder die besonders steile Karriere,104 die mit der von Stümpfig nahezu übereinstimmt, wenngleich sie noch spektakulärer verlief. Neben den bisher behandelten staatlichen Machtträgem profilierten sich innerhalb der NSDAP vor allem die Gaupersonalämter103 und die Kreisleiter als emsthafte Gegenspieler der Gauämter in Baden und Württemberg. Die Richtlinien der NS-Parteiorganisation beschränkten den Aufgabenbereich der Personalämter der NSDAP zwar formell auf rein parteiinterne Dinge, nämlich die Auswahl der »Politischen Leiter« und die Sicherstellung des »Führemachwuchses«.106 Für die Praxis der Personalpolitik sollte sich alsbald jedoch herausstellen, daß mit ihnen ein eng an den persönlichen Stab des Gauleiters gebundenes Netz von Dienststellen innerhalb der Parteiverwaltung bereitstand, mit dessen Hilfe dieser persönliche personalpolitische Interessen weit über die Grenzen der NSDAP hinaus verfolgte. Erstmals trat das Karlsruher Gaupersonalamt im Spätjahr 1934 in Erscheinung. Der badische Gauamtsleiter Schindler beschwerte sich bei Reichsleiter Fiehler in München, daß momentan völlig unklar sei, bei wem die Zuständigkeit für die Besetzung von kommunalen Stellen liege, nachdem »die gesamten Personalverhältnisse innerhalb des Gaues der Personalabteilung unterstellt« worden seien. Es fühlten sich »Leute, die bis jetzt mit der Stellenbesetzung in der kommunalen Verwaltung nicht das geringste zu tun hatten, berufen«, hierfür Vorschläge zu machen. Das eine Mal sei es das Innenministerium, das andere Mal der Gauleiter selbst, dann wieder das Gaupersonalamt. Wie könne ein Gauamt seine ihm zugewiesenen Aufgaben erfüllen, wenn es bei »der Personalbesetzung entweder ausgeschaltet oder zum Teil erst nachträglich informiert« werde?107 Schindler, dem es vor allem um weitgehende Entscheidungsbefugnisse für sein Gauamt ging, wurde vom Hauptamt mit der Ver1