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German Pages 130 Year 1988
Beiträge zum Parlamentsrecht
Band 13
Regelungsprobleme der Immunität und der Indemnität in der parlamentarischen Praxis Von
Dr. Reinhard Wurbs
Duncker & Humblot · Berlin
RICHARD WURBS
Regelungsprobleme der Immunität und der Indemnität in der parlamentarischen Praxis
Beiträge zum Parlamentsrecht Herausgegeben von Norbert Achterberg
Band 13
Regelungsprobleme der Immunität und der Indemnität in der parlamentarischen Praxis
Von
Dr. Richard Wurbs
Duncker & Humblot . Bertin
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Wurbs, Richard: Regelungsprobleme der Immunität und der Indemnität in der parlamentarischen Praxis / von Richard Wurbs. - Berlin: Duncker u. Humblot, 1988 (Beiträge zum Parlamentsrecht; Bd. 13) Zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1987 ISBN 3-428-06373-2 NE:GT
D6
Alle Rechte vorbehalten
© 1988 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41
Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin 61 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3-428-06373-2
Geleitwort Dem Verfasser geht es in seiner Schrift darum, praxisrelevanten Fragen der Immunität und Indemnität nachzugehen, die aus Interessengegensätzen zwischen Organen der Judikative und der Legislative resultieren, sowie auch das Verhältnis zwischen Indemnität und parlamentarischem Ordnungsrecht zu erörtern. Die literarisch oft behandelte Problematik der Zeitgerechtheit beider Rechtsinstitute wird von ihm nicht in Frage gestellt, sondern nur als Einstieg in die Problematik benutzt. Zutreffend wird dabei herausgestellt, daß Begriff und Regelungsgehalt der Immunität und der Indemnität der Praxis nicht hinreichend präzise Maßstäbe liefern. Dies wird mit einer Exegese der Art. 46 Abs. 2 und 3 GG belegt. Seine Thesen erhärtet der Verfasser am Beispiel von Durchsuchungen und Beschlagnahmungen in Untersuchungsverfahren, wobei die Parlamentspraxis einbezogen wird. Auch der generellen Genehmigung von Ermittlungen sowie dem vereinfachten Verfahren wird ausführlich nachgegangen. Mit der Ausformung des Gedankens, daß der Immunitätsausschuß Ermittlungsbehörden Auflagen für den Fall von Durchsuchungen und Beschlagnahmungen machen kann, wird Neuland betreten. Hervorzuheben sind weiterhin die Bemerkungen zur Handhabung von Durchsuchungen und Beschlagnahmungen im Rahmen von Disziplinarverfahren sowie der zivilprozessualen Mobiliarvollstreckung. Der Ausweitung der Indemnität auf außerparlamentarische Äußerungen wird im Ergebnis zutreffend, dem Grundgesetz entsprechend, entgegengetreten. Die Arbeit enthält weiterführende, praxisnahe Ausführungen und fördert damit die Parlamentswissenschaft. Ihr ist weite Verbreitung zu wünschen.
Norbert Achterberg
Vorwort Die Rechtsgrundsätze der Immunität und Indemnität sind in der Vergangenheit reichlich, und wie es auf den ersten Blick erscheint, in der rechtswissenschaftlichen Literatur erschöpfend behandelt worden. Doch bei genauerer Betrachtung stellt sich heraus, daß eine Reihe von speziellen Fragen der Immunität innerhalb der parlamentarischen Praxis auftritt, deren Erörterung noch nicht im Mittelpunkt einer schriftlichen Abhandlung stand. Vielmehr waren in der Vergangenheit die beiden Rechtsinstitute regelmäßig im Hinblick auf ihre verfassungsrechtliche Daseinsberechtigung Ausgangspunkt für eine Vielzahl von Stellungnahmen. Insbesondere die Immunität ist spätestens seit Weimar bis in die jüngste Zeit als Rechtsprinzip umstritten. Solche kontroversen prinzipiellen Erörterungen verlieren aber an Bedeutung, wenn Rechtsgrundsätze, mögen sie auch noch so in Frage gestellt werden, verfassungsrechtliche Wirklichkeit geworden und keine ernsthaften Bestrebungen erkennbar sind, die daran in absehbarer Zeit etwas ändern werden. Diese Tatsache macht Rechtsprinzipien zwar nicht weniger zweifelhaft, ändert aber nichts an dem Umstand, daß sie als Rechtsgrundlage binden und in die rechtliche Praxis umgesetzt werden müssen. Daß angesichts dieses Sachverhaltes für die praktische Handhabung von Immunitäts- und Indemnitätsfällen drängende Problemkomplexe ungelöst sind, macht deutlich, daß deren Behandlung, unabhängig davon, wie man zu den beiden Rechtsinstitutionen im Grundsatz steht, von eigenständiger Bedeutung ist und somit innerhalb der rechtswissenschaftlichen Literatur nicht vernachlässigt werden kann. Dennoch soll zu Anfang jeweils auf die prinzipiellen Bedenken eingegangen werden, indem die Bedeutung der Immunität und Indemnität im verfassungsrechtlichen Kontext des Grundgesetzes beleuchtet wird. Einerseits, um zu zeigen, daß beide Rechtsinstitute vor dem Hintergrund parlamentarischer Demokratie nach wie vor ihre Daseinsberechtigung haben, zum anderen zu dem Zweck, von grundsätzlichen Erörterungen auf die zu klärenden Detailprobleme hinzuführen. Grob umrissen behandelt die Arbeit angesichts der Immunität Handhabungsprobleme in bezug auf Interessengegensätze von Organen der Rechtspflege und der Legislative hinsichtlich der Durchsuchung und Beschlagnahme im Ermittlungs- und Zivilverfahren, der Überwachung des Telefonund Fernmeldeverkehrs im Sinne der StPO, sowie bei Beschränkungen gemäß Art. 1 § 1 Abs. 1 G 10.
Vorwort
8
Im Hinblick auf die Indemnität soll erörtert werden, inwieweit das durch die Geschäftsordnung des Bundestages festgelegte innerparlamentarische Ordnungsrecht von einer mißbräuchlichen Anwendung frei ist, um als erforderliche Ergänzung zum Rechtsinstitut der Indemnität deren praktische Relevanz zu bestimmen.
Die für die genannten Problemkomplexe erarbeiteten Lösungsvorschläge haben sich dabei an der Vorgabe zu orientieren, im Rechtsalltag praktikabel zu sein. Die Arbeit hat im Wintersemester 1986/87 dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster als Dissertation vorgelegen. Für ihre Betreuung schulde ich den Herren Professoren Dr. Norbert Achterberg und Dr. Dirk Ehlers besonderen Dank. Kassel, im Oktober 1987
Richard Wurbs
Inhaltsverzeichnis 15
A. Aktuelle Probleme der Immunität
15
I. Allgemeine Erörterungen zum Rechtsinstitut der Immunität 1. Skizzierung der Immunitätsregelungen des Art. 46 Abs. 2 - 4 GG ......
15
2. Die Immunität im Lichte anderer verfassungsrechtlicher Grundsätze. ..
16
a) Die Immunität in Gegenüberstellung zum Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG ............................................
16
b) Die Immunität in Gegenüberstellung zum Prinzip der Gewaltenteilung ......................................................
18
3. Die Immunität als zeitgemäßes Rechtsinstitut ......................
20
a) Die Bedeutung der Immunität im Spannungsverhältnis zwischen Exekutive und Legislative im Zeitalter des Konstitutionalismus ....
21
b) Die Bedeutung der Immunität im Spannungsverhältnis zwischen Rechtspflege und Legislative im gegenwärtigen Verfassungsrecht . ..
23
aa) Der Aufgabenbereich des Abgeordneten im traditionellen Verständnis ...............................................
24
bb) Der Repräsentationsgedanke des Parlaments im Lichte der Abgeordnetenaufgaben .....................................
25
cc) Der Aufgabenbereich des Abgeordneten im parlamentarischen Alltag.. .............. . .. ... ................... .. .... ..
26
dd) Der Vertrauensschutzgedanke zwischen Abgeordnetem und Bürger ...................................................
27
11. Probleme der Immunität in der parlamentarischen Praxis ...............
29
1. Der Regelungskomplex des Art. 46 Abs. 2 und 3 GG im einzelnen. . . . ..
29
a) Der Regelungsgehalt des Art. 46 Abs. 2 GG ..................... b) Der Regelungsgehalt des Art. 46 Abs. 3 GG .....................
30 33
c) Ergebnis der Gegenüberstellung von Art. 46 Abs. 2 und 3 GG ......
34
2. Immunitätsschutz und öffentliche Zwangsmaßnahmen ....... . ......
34
3. Durchsuchung und Beschlagnahme im Ermittlungsverfahren .........
36
a) Der Beschluß des Deutschen Bundestages betr. Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Bundestages vom 26. Februar 1969 ....
37
aa) Die inhaltliche Zulässigkeit der Ziff. 1 des Beschlusses
.......
38
bb) Die formelle Zulässigkeit der Ziff. 1 des Beschlusses ..... . . . ..
40
b) Das unterschiedliche Rechtsverständnis im Hinblick auf die generelle Genehmigung ..........................................
41
10
Inhaltsverzeichnis c) Durchsuchung und Beschlagnahme unter Berücksichtigung des Vertrauensverhältnisses zwischen Bürger und Abgeordnetem .........
43
4. Die generelle Genehmigung als Interessenausgleich zwischen Strafverfolgungsbehörde und Parlament .................................
44
5. Das Öffentlichkeitsprinzip der parlamentarischen Verhandlung gemäß Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG ..........................................
50
6. Die Ausschüsse des Bundestages und ihre nichtöffentlichen Sitzungen..
51
a) Immunitätsrechtliche Entscheidungsfindung durch den zuständigen Ausschuß ..................................................
52
b) Zulässigkeitsfragen zum vereinfachten Verfahren nach Ziff. 3 und 4 LV.m. Ziff. 5 des Bundestagsbeschlusses .......................
54
7. Das vereinfachte Verfahren im Lichte der Durchsuchung und Beschlagnahme im Strafverfahren .......................................
57
8. Generelle Genehmigung der Durchsuchung und Beschlagnahme unter Auflage im Strafverfahren ......................................
59
a) Überlegungen zum rechtlichen und sachlichen Erfordernis der Auflage ......................................................
60
b) Inhalt und Durchführung der Auflage zur Beschlagnahme im Strafverfahren ..................................................
63
9. Die Handhabung von Durchsuchung und Beschlagnahme im Ordnungswidrigkeitenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
67
10. Die Handhabung von Durchsuchung und Beschlagnahme im Rahmen von Disziplinarverfahren ...........................................
70
11. Die Handhabung von Durchsuchung und Beschlagnahme im Rahmen zivilprozessualer Mobiliarvollstreckung ...........................
73
12. Generelle Genehmigung und Auflage im Rahmen öffentlich-rechtlicher Mobiliarvollstreckung ..........................................
79
13. Die generelle Genehmigung von Überwachungsmaßnahmen gemäß § 100 a StPO und Art. 1 § 1 Abs. 1 G 10 ..................................
80
B. Die verfassungsrechtliche Bedeutung der Indemnität im Lichte innerparlamentarischer Ordnungsmaßnahmen
84
1. Grundsätzliche Erörterungen zum Rechtsinstitut der Indemnität
84
a) Der Regelungsgehalt des Art. 46 Abs. 1 GG .....................
84
b) Die Bedeutung der Indemnität in der parlamentarischen Demokratie
87
c) Die Indemnität in Gegenüberstellung zu den Verfassungsregeln der Gleichbehandlung und Funktionentrennung ....................
89
aal Das Spannungsverhältnis zwischen Art. 46 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG .............................................
90
bb) Das Spannungsverhältnis zwischen Art. 46 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip .....................................
90
Inhaltsverzeichnis cc) Die Rechtfertigung der Indemnität gegenüber dem Grundsatz der Gleichbehandlung und dem Rechtsstaatsprinzip .......... d) Erörterungen zur Ausdehnung der Indemnität auf außerparlamentarische Äußerungen des Abgeordneten .......................... e) Der eigenständige Schutzbereich der Indemnität gegenüber der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ......................
11 92 94 96
2. Entstehungsvoraussetzungen und zeitliche Geltung der GOBT ........
97
3. Die Rechtsnatur der GOBT ......................................
98
4. Das Regelungsverhältnis der Indemnität zum Disziplinarrecht der GOBT 100 5. Die Ordnungsmaßnahmen der GOBT ............................. 106 a) Die parlamentarische Rüge ................................... 106 b) Der Ordnungsruf und der Verweis auf die Sache gemäß § 36 GOBT . 106 c) Die Wortentziehung gemäß § 37 GOBT ......................... 107 d) Der Sitzungsausschluß gemäß § 38 GOBT in Verbindung mit § 39 GOBT .................................................... 109 aal Der rechtswidrige Ausschluß im Lichte des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG und § 39 GOBT ......................................... 110 bb) Zwei Änderungsvorschläge zum Regelungsverhältnis zwischen § 38 und § 39 GOBT ..................................... 113 6. Das Ergänzungsverhältnis zwischen geschäftsordnungsrechtlichen Disziplinarmaßnahmen und der Indemnität ........................... 116 Schlußbetrachtung
117
Literaturverzeichnis
120
Anhang
125
Abkürzungsverzeichnis a.A.
anderer Ansicht
AbgG
Abgeordnetengesetz
Abs.
Absatz
a.E.
am Ende
Anm.
Anmerkung
AO
Abgabenordnung
AöR
Archiv für öffentliches Recht
Art.
Artikel
Aufl.
Auflage
AV
Allgemeine Verfügung
BayVerfGH
Bayerischer Verfassungsgerichtshof
BBG
Bundesbeamtengesetz
Bd.
Band
BDO
Bundesdisziplinarordnung
Bearb.
Bearbeiter
BFH
Bundesfinanzhof
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGH
Bundesgerichtshof
BGHZ
Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen
BK
Bonner Kommentar
BLAH
Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann
BT
Bundestag
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
BVerfGG
Bundesverfassungsgerichtsgesetz
ders.
derselbe
d.h.
das heißt
DÖV
Die Öffentliche Verwaltung
DRiZ
Deutsche Richterzeitung
Drs.
Parlamentsdrucksache
Abkürzungsverzeichnis DVBI
Deutsches Verwaltungsblatt
Erl.
Erläuterung
Fn.
Fußnote
gern.
gemäß
GG
Grundgesetz
GO
Geschäftsordnung
h.M.
herrschende Meinung
Hrsg.
Herausgeber
i.V.m.
in Verbindung mit
JMBI
Justizministerialblatt
JR
Juristische Rundschau
LDO
Landesdisziplinarordnung
LG
Landgericht
MDHS
Maunz / Dürig / Herzog / Scholz
MDR
Monatsschrift für Deutsches Recht
m.w.N.
mit weiteren Nachweisen
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
OLG
Oberlandesgericht
OVG
Oberverwaltungsgericht
OWiG
Ordnungswidrigkeitengesetz
RGSt
13
Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts
in Strafsachen
RV 1871
Reichsverfassungvom 16. April 1871
S.
Seite / Satz
SH
Schleswig-Holstein
SPD
Sozialdemokratische Partei Deutschlands
Steno Ber.
Stenographischer Bericht (Plenarprotokolle des Bundestages)
StGB
Strafgesetzbuch
StPO
Strafprozeßordnung
VG
Verwaltungs gericht
vgl.
vergleiche
Vorb.
Vorbemerkung
VwGO
Verwaltungsgerichtsordnung
VwVG
Verwaltungsvollstreckungsgesetz
WP
Wahlperiode
WRV
Weimarer Reichsverfassung
z.B.
zum Beispiel
14
ZParl
Abkürzungsverzeichnis Zeitschrift für Parlamentsfragen
ZPO
Zivilprozeßordnung
ZRP
Zeitschrift für Rechtspolitik
ZStW
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
ZVQ
Zwangsversteigerungsgesetz
A. Aktuelle Probleme der Immunität I. Allgemeine Erörterungen zum Rechtsinstitut der Immunität 1. Skizzierung der Immunitätsregelungen des Art. 46 Abs. 2 - 4 GG Art. 46 GG präzisiert - ebenso wie Art. 47 und 48 GG - als eine Art Ausführungsbestimmung die in Art. 38 GG allgemein umschriebene Rechtsstellung des Abgeordneten. 1 Art. 46 Abs. 2 GG besagt, daß ein Abgeordneter nur mit Genehmigung des Bundestages wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung zur Verantwortung gezogen werden darf, es sei denn, daß er bei Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages festgenommen wird. Sieht man von der Einschränkung des 2. Halbsatzes dieser Norm einmal ab, so wird dort festgelegt, daß ein Abgeordneter vor öffentlicher Ermittlung geschützt, also immun gegenüber Verfolgung und Haft ist.2 Ebenso soll er gemäß Art. 46 Abs. 3 GG vor anderen Freiheitsbeschränkungen geschützt werden, die nicht unter Art. 46 Abs. 2 GG fallen; also diejenigen, die keine Verhaftung wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung und auch keine Festnahme bei Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages darstellen oder sonst im Zusammenhang mit einer gegen ihn durchzuführenden Ermittlung stehen, wie beispielsweise die Straf- oder Ordnungshaft, die zwangsweise Vorführung oder der persönliche Arrest.3 Das Aussetzungsverlangen gemäß Art. 46 Abs.4 GG (sogenanntes Anforderungs- oder Reklamationsrecht)4 ermöglicht es dem Bundestag den Immunitätsschutz des Abgeordneten jederzeit (wieder) herzustellen. 1 So Maunz, in: MDHS, Rd.1 zu Art. 46; Stern I, § 24 11 2; Häberle, NJW 1976, S.539. 2 Vgl. Magiera, in: BK, Rd. 4 zu Art. 46, der noch weitere gebräuchliche Bezeichnungen zitiert, die aber grundsätzlich den gleichen Sinngehalt haben. 3 Vgl. hinsichtlich der Freiheitsentziehung und Freiheitsbeschränkungen (Le.S.) die Beispiele bei Magiera, in: BK, Rd. 77 - 80 zu Art. 46 m.w.N. An dieser Stelle sei bereits darauf hingewiesen, daß diesbezüglich vieles unklar und umstritten ist und an geeigneter Stelle darauf ausführlich eingegangen werden wird. 4 Dazu Meyer, S. 34; v. Mangoldt / Klein, Anm. IV 11 zu Art. 46; Maunz, in: MDHS, Rd. 72 zu Art. 46; Schmidt-Bleibtreu / Klein, Rd.10 zu Art. 46.
16
A.I. Allgemeine Erörterungen zum Rechtsinstitut der Immunität
2. Die Immunität im Lichte anderer verfassungsrechtlicher Grundsätze
Art. 46 Abs. 2 - 4 GG regelt in strafverfahrensrechtlicher Hinsicht eine unterschiedliche Behandlung zwischen Abgeordneten und Nichtmandatsträgern. Diese Ungleichbehandlung hängt allerdings von einer Entscheidung des Bundestages ab, der grundsätzlich darüber abzustimmen hat, ob Gerichte und Verfolgungsbehörden ihre Kompetenzen gegenüber seinen Mitgliedern wahrnehmen dürfen oder nicht. Aufgrund dieser Tatsache sind die Grundsätze der Immunität in der Weise umstritten, als man in ihnen zum Teil einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art. 3 GG und/oder das Prinzip der Gewaltenteilung gemäß Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG sieht. 5 Abgesehen davon ist man teilweise der Ansicht, die Immunität habe ihren Sinn verloren und erscheine heute als eine überlebte Einrichtung. 6
a) Die Immunität in Gegenüberstellung zum Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG Von verschiedener Seite wird die Immunität des Abgeordneten als Privileg 7 und somit als unangemessene Besserstellung des Mandatsträgers gegenüber dem Normalbürger abgelehnt. 8 Im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz enthält Art. 3 Abs. 1 GG kein generelles Verbot von Differenzierungen, sofern diese nicht willkürlich sind. 9 Zu Recht gebietet er nach überwiegender Auffassung nicht, alles gleich zu behandeln, weil kein Lebenstatbestand völlig dem anderen gleicht und es somit gänzlich Gleiches nicht gibt.l 0 Das Postulat des Gleichheitsgrundsatzes, wesentlich Gleiches und somit Vergleichbares gleich zu behandeln, birgt ein Differenzierungserfordernis. l l Die Berücksichtigung von Unterscheidungskriterien macht eine Ungleichbehandlung erforderlich und somit rechtmäßig, solange dies einem legitimen öffentlichen Interesse dient.1 2 Unter Berücksichtigung von sachgerechten Unterscheidungskriterien ist vielfach eine Ungleichbehandlung erforderlich und geboten. Gerade 5 Vgl. die Nachweise bei Magiera, in: BK, Rd. 14 zu Art. 46, insbesondere auch bei v. Mangoldt / Klein, Anm. IV 2b zu Art. 46. 6 Bockelmann, S.l1f.; Herlan, JR 1951, S. 327; Meyer, S. 29f.; v. Mangoldt / Klein, Anm. IV 2b zu Art. 46. 7 Siehe dazu die Schrift von Beyer gegen die Abgeordnetenimmunität; beispielhaft dessen Ausführungen auf S. 49. 8 So etwa Nau, NJW 1958, S.1669. 9 Vgl. zum Begriff der Willkür (im Rahmen der Gesetzgebung) BVerfGE 4, 144ff. (155). 10 Stein, § 26 I; BVerfGE, 1, 246, 276; 3, 58, 135f.; 4, 31, 42; 9, 124, 130; 15, 204f.; 27,346,371f.;46, 55, 62. 11 Stein, § 26 I. 12 Stein, § 26 I 2.
2. Die Immunität im Lichte anderer Verfassungsgrundsätze
17
in Anbetracht des Verhältnisses von Art. 46 GG und Art. 3 Abs. 1 GG zeigt sich dies deutlich. Deren auf den ersten Blick erscheinende Widersprüchlichkeit läßt sich durch angemessene Normensubsumtion und -interpretation auflösen. Das entscheidende Kriterium des Art. 46 Abs. 2 - 4 GG ist die Entscheidungskompetenz des Parlaments darüber, ob die Abgeordnetenimmunität beibehalten oder aufgehoben wird. Die Unverfolgbarkeit ist allenfalls eine Begünstigung, aber kein Sonderrecht (Privileg)l3, welches zur Disposition des Abgeordneten gestellt ist im Sinne eines subjektiven öffentlichen Rechts. 14 Denn im Rahmen der Immunitätsgrundsätze kann der betroffene Abgeordnete den Trägern öffentlicher Gewalt nicht als Rechtssubjekt anspruchsberechtigt gegenüberstehen,15 indem er selbst die Aufhebung oder die Beibehaltung der Immunität geltend machen kann. Allein dem Parlament obliegt es zu entscheiden, ob der einzelne Abgeordnete staatlichem Zugriff ausgesetzt sein wird oder nicht. Man könnte möglicherweise von einer zeitlich begrenzten Begünstigung sprechen, weil der Abgeordnete nicht sogleich aufgrund eines Tatverdachts den Maßnahmen staatlicher Verfolgungsbehörden ausgesetzt ist, sondern diesen mindestens bis zum Abstimmungszeitpunkt im Parlament entzogen ist. Diese Tatsache und eine mögliche Nichtaufhebung der Immunität als Ergebnis der Abstimmung des Plenums sind aber nur Ausfluß und Begleiterscheinung des ausschließlich dem Parlament vorbehaltenen Rechts, über die Immunitätsaufhebung zu entscheiden. Die Unverfolgbarkeit ist somit nur ein Rechtsreflex l6 des Privilegs der Entscheidungskompetenz des Bundestages. 17 Somit ist die Gleichsetzung von Unverfolgbarkeit mit Privileg des Abgeordneten schon begrifflich unzutreffend. Folglich kommen im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG die Abgeordneten als Vergleichsgruppe zu der Gruppe der Normalbürger nicht in Betracht. Abgesehen davon werden die Motive und Intentionen der Immunitätsentscheidung nicht bestimmt von den Bedürfnissen der einzelnen Abgeordneten, sondern von den Belangen des Parlaments in seiner Gesamtheit. 18 Die Belange der Volksvertretung umfassen aber im übertragenen Sinne mittelbar auch die Interessen des Vertretenen, das Volk, weil sie die 13 So aber Beyer, S. 49. 14
Herlan, MDR 1950, 521; JR 1951, 325ff.; Mende, S. 34.
15 Vgl. die ausführlichen Erläuterungen und Nachweise zum Begriff des subjekti-
ven öffentlichen Rechts bei v. Münch, in: Erichsen / Martens, § 10 11 5. 16 So zutreffend Bartmann, S. 66/67. Vgl. zu diesem Terminus im Hinblick auf seine Entstehung auch Beyer, S. 59/60. 17 Vgl. Hamann / Lenz, S. 470: "Die Immunität ist ein Schutzrecht des Hauses, eine institutionelle Garantie des Parlaments." 18 Demzufolge wird die Immunität dann zu einem Privileg des Parlaments. So zu Recht die h.M.: Achterberg, DÖV 1975, S. 843; Schom, NJW 1966, S. 235; Ahrens, S. 36 m. w.N. in Fn.109; Maunz, in: MDHS, Rd. 72 zu Art. 46; v. Mangoldt / Klein, Anm. IV 2b zu Art. 46; Herlan, MDR 1950, S. 518 und JR 1951, S. 325; Reh, NJW 1959, S.86; auch schon Hatschek, Dt. und Preuß. Staatsrecht, Bd. I, S. 528f.; Anschütz, S. 223; Laband, S. 355f. 2 Wurbs
18
A. I. Allgemeine Erörterungen zum Rechtsinstitut der Immunität
Funktionalität des Parlaments als repräsentativen Entscheidungsverband aller Mandatsträger berühren.1 9 Daß bei Immunitätsentscheidungen Belange des betroffenen Abgeordneten in die Entscheidungsfindung mit einfließen, vielleicht sich das Plenum als Solidargemeinschaft erweist, widerspricht dem nicht, sondern kann ohne weiteres einen begründeten Aspekt der Interessen des gesamten Parlaments darstellen. 2o Insoweit entsteht zwar eine Ungleichbehandlung zwischen Normalbürger und Abgeordneten. Jedoch berücksichtigt dieses Parlamentsprivileg, wie später an anderer Stelle noch näher ausgeführt werden wird, die Stellung der Bürger in ihrer Gesamtheit als Souverän und dient damit letztlich dem oben genannten legitimen öffentlichen Interesse. Daraus folgt die Rechtfertigung des parlamentarischen Entscheidungsprivilegs und die damit verbundene Ungleichbehandlung von Bürger und Mandatsträger im Rahmen staatlicher Sanktionen. Keinesfalls soll die Gefahr mißbräuchlicher Vereitelung von Strafverfolgung aufgrund stabiler Mehrheitsverhältnisse innerhalb des Parlaments verschwiegen werden. 21 Jedoch kann dieser Aspekt nicht die Daseinsberechtigung der Abgeordnetenimmunität in Frage stellen. Vielmehr ist dieser Gesichtspunkt Ausdruck des generellen Problems des Verhältnisses von geschriebenem Recht und seiner Befolgung durch die Rechtsgemeinschaft. 22
b) Die Immunität in Gegenüberstellung zum Prinzip der Gewaltenteilung Gleichermaßen wie Art. 46 Abs. 2 - 4 GG als Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz gesehen wird, ist die in der Norm verankerte Präferenz des Parlaments gegenüber der 3. Gewalt kritisiert worden. Daß dem Bundestag die Entscheidung durch Abstimmung darüber obliegt, ob Verfolgungsbehörden, insbesondere die Staatsanwaltschaft, deren Handeln grundsätzlich vom Legalitätsprinzip bestimmt wird (vgl. § 152 Abs. 2 StPO), ihre Kompetenz wahrnehmen dürfen oder nicht, wird als Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltenteilung erachtet. 23 19 Auf die Bedeutung der Beziehung Parlament und Wählerschaft wird später im Rahmen der Erörterung hinsichtlich der Funktionalität des Bundestages näher eingegangen werden. 20 Folglich kann auch nicht im Hinblick auf die Immunität von einem Privileg sowohl des Parlaments als auch des Abgeordneten gesprochen werden. So aber Jellinek, S.169ff. (170); Bartmann, S. 95; Hubrich, S. 340f.; Pagel, S. 30ff. (36). Kritisch auch Moller, DVBl1966, S. 882. 21 Dazu v. Freytagh-Loringhoven, in: Zeitschrift für Politik, Bd.15, S.244ff. S. 246: "Die Mehrheit (der deutschen Nationalversammlung) machte Gebrauch von ihrer Macht, schützte die Ihren und gab die Gegner preis". 22 Siehe zu diesem Problem die nachfolgenden Ausführungen und Nachweise unter A. I. 3. a). 23 Vgl. die Nachweise bei Magiera, in: BK, Rd.14 zu Art. 46; insbesondere v. Mangoldt / Klein, Anm. IV 2 b zu Art. 46, deutet eine mit der Abstimmung verbundene Lahmlegung der Gerichtsbarkeit an.
2. Die Immunität im Lichte anderer Verfassungsgrundsätze
19
Die Funktionentrennung24 rechnet die herrschende Meinung zum Rechtsstaatsprinzip und beruft sich vor allem auf Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG, wonach die Staatsgewalt "durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung,ausgeübt wird. "25 Hat im wesentlichen die Funktionentrennung des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG die Verhinderung von Machtkonzentration zum Ziel, so kann gleichwohl nach herrschender Meinung das Prinzip der Gewaltenteilung durchbrochen werden, ohne daß dies notwendigerweise verfassungswidrig zu sein braucht, solange nach der genannten Auffassung durch Funktionenüberschreitungen kein Eingriff durch die eine Gewalt in den Wesenskern des Funktionsbereichs einer anderen erkennbar wird. 26 Allerdings erscheint fraglich, ob erst der Eingriff in den Kernbereich Funktionsverschränkungen verfassungswidrig macht, da Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG nicht ausdrücklich die Funktionentrennung lediglich auf ein Mindestmaß beschränkt. 27 Abgesehen davon deuten Untersuchungen darauf hin, daß angesichts der herrschenden Kernbereichslehre der voo ihrem Begriffsinhalt abhängige (Gesamt-)Bereich der jeweiligen Funktion im Sinne von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG noch ungeklärt ist. 28 Sieht man allerdings die Funktionentrennung zu Recht nicht nur als Mittel gegenseitiger Kontrolle und Mäßigung der jeweiligen Funktionen,29 sondern auch als Instrument der sachgemäßen Bestimmung und Zuordnung der staatlichen Funktionen und ihrer Organe,30 so bleibt Voraussetzung einer verfassungsgesetzlichen Rechtfertigung der Funktionenverschränkung eine mit der bestehenden Verfassungsstruktur in Einklang stehende Deutung der Funktionenbegriffe,31 da die Begriffe rechtsprechende und vollziehende Gewalt sowie Gesetzgebung im Sinne des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG eine nur grobe und unzulängliche Funktionenzuweisung und -abgrenzung im komplexen Gebilde der Staatsaufgaben zuläßt. Erst die begriffliche Klärung ergibt, welche Tätigkeiten von Funktionenträgern in ein solchermaßen begrifflich geklärtes Funktionensystem nicht hineinpassen und damit gemäß Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verfassungswidrig sind. 32 Vor dem Hintergrund der hier zu klärenden Frage, inwieweit die Immunität ein Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip darstellt, wäre demnach grundsätzlich der Aufgabenbereich 24 Achterberg, Allg. VerwR, § 5 Rd. 8, bezeichnet den Begriff "Gewaltenteilung" als mißverständlich, weil nicht die Staatsgewalt selbst geteilt ist - sie liegt ungeteilt beim Volk (Art. 20 Abs. 2 S, 1 GG) -, sondern nur ihre Ausübung und spricht stattdessen zu Recht von "Funktionen trennung " . 25 Stein, § 5 VI. 26 Vgl. die Nachweise und Begründungen zur Kernbereichslehre bei Achterberg, Funktionenlehre, S, 180 - 201. 27 Achterberg, Funktionenlehre, S. 201. 28 Achterberg, Funktionenlehre, S, 201. 29 BFH, NJW 1960, S. 312. 30 So Hesse, Rd. 482. 31 Achterberg, Funktionenlehre, S, 202. 32 Achterberg, Funktionenlehre, S. 203,
2'
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A. I. Allgemeine Erörterungen zum Rechtsinstitut der Immunität
der staatlichen Verfolgungsorgane und der Gerichte einerseits und der Legislative andererseits für sich genommen genau zu erarbeiten. Eine solche Aufgabe würde allerdings den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Letztlich erscheint dies jedoch zur Beantwortung der Frage nicht erforderlich, denn eine bereits bloß summarische Überprüfung der Funktioneninhalte der drei Funktionenträger kann einen unzulässigen Verstoß gegen den Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG durch die Immunität nicht stützen. Das in der Immunität geregelte Entscheidungsrecht des Parlaments darüber, ob gegen eines seiner Mitglieder ermittelt und (oder) dessen Verhalten gerichtlich sanktioniert werden darf oder nicht, widerspricht weder den Vorstellungen von Funktioneninhalten der Strafverfolgungsbehörden noch denen der Rechtsprechung. Abgesehen davon, daß die Staatsanwaltschaft eine Justizbehörde ist, die weder der Exekutive noch der rechtsprechenden Gewalt zuzurechnen ist, sondern als selbständiges Organ der Rechtspflege zwischen beiden steht,33 kann auch in bezug auf die Gerichte von einem Verstoß gegen Art. 20 Abs. 2 S.2 GG durch die Immunitätsregeln nicht gesprochen werden. 34 Das zeigt sich deutlich daran, daß nicht nur die Strafverfolgung, sondern auch zivilprozessuale Zwangsmaßnahmen im Sinne des Art. 46 Abs. 3 GG dem Abgeordneten gegenüber nicht, wie erwähnt, ein für allemal verhindert, sondern nur für einen bestimmten Zeitraum ausgesetzt werden. Insbesondere die Verjährung einer Straftat ist nicht zu besorgen, da gemäß § 78 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StGB die Verjährung mit Ablauf des Tages zu ruhen beginnt, an dem die Staatsanwaltschaft oder eine Behörde oder ein Beamter des Polizeidienstes von der Tat und der Person des Täters Kenntnis erlangt oder eine Strafanzeige oder ein Strafantrag gegen den Täter angebracht wird (§ 158 StPO). Zwar stellt die Verzögerung durch Zeitablauf eine Erschwernis für die Ermittlungen und die Entscheidungsfindung der Gerichte dar, jedoch nehmen bereits die jeweiligen Prozeßordnungen verschiedenartige Erschwernisse schon selbst in Kauf, ohne daß diese rechtlichen Bedenken ausgesetzt sind. Man denke als Beispiel etwa an die dortigen Bestimmungen über das Zeugnisverweigerungsrech t. 3. Die Immunität als zeitgemäßes Rechtsinstitut Wenn man aufgrund der Erörterungen auch zu dem Ergebnis kommen mag, daß die Abgeordnetenimmunität kein verfassungswidriges VerfasDazu Roxin, § 10 III und § 2 II 2. Gerade im Hinblick auf den Anklagezwang der Staatsanwaltschaft siehe Roxin, § 14 II: "Der genannte Grundsatz (des Anklagezwanges) ist nun allerdings von so vielen Ausnahmen durchbrochen, daß im Bereich der kleineren und weitgehend auch der mittleren Kriminalität praktisch das Opportunitätsprinzip gilt". Außerdem stellt sich dieses Problem in so einschneidender Form nicht mehr seit der generellen Freigabe der Ermittlungstätigkeit durch den Beschluß des Bundestages vom 26. Februar 1969 (5. WP). Darauf wird aber im einzelnen noch später einzugehen sein. 33 34
3. Die Immunität als zeitgemäßes Rechtsinstitut
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sungsrecht darstellt,35 so soll aber nicht darüber hinweggegangen werden, daß immer wieder deren Notwendigkeit, spätestens seit Einführung der Regierungsform der parlamentarischen Demokratie im Sinne der Weimarer Verfassung, bezweifelt wurde und wird. 36 Bereits das Reichsgericht entschied in seinem Urteil vom 25. Februar 1892: "Ob derartige Exemptionen [die Immunität von Abgeordneten) noch einen vernünftigen Sinn haben ... und [mit) den Bedürfnissen der Rechtsordnung verträglich sind, darf mit Grund bezweifelt werden. "37
Die Einwände fußen auf der Einsicht, daß sich die Verhältnisse in einer parlamentarischen Demokratie so entschieden von denen der konstitutionellen Monarchie, in der die Immunität ihren Anfang nahm,38 unterscheiden, daß ein Bedürfnis an ihrer weiteren Aufrechterhaltung nicht mehr besteht.
a) Die Bedeutung der Immunität im Spannungsverhältnis zwischen Exekutive und Legislative im Zeitalter des Konstitutionalismus Begründet wird die eben genannte These damit, daß der Immunität dann Bedeutung zukomme, wenn ein Spannungsverhältnis zwischen Legislative und Exekutive bestehe, wie dies in der Entstehungsgeschichte des Parlamentarismus vorherrschte, als die Regierung (in der Regel der monarchische Souverän) und die ihr unterstellte Polizeigewalt unabhängig von der Legislative und nicht, wie in Zeiten parlamentarischer Demokratie, auf das Vertrauen des Parlaments angewiesen gewesen war. Der ursprüngliche Zweck der Immunität resultierte also aus dem Konflikt zwischen Legislative und Exekutive und sei geprägt von den Bedürfnissen nach Schutz vor Verfolgung durch die absolutistische Staatsgewalt gewesen. 3g "Sie sollte die Mitglieder der Parlamente vor tendenziösen Verfolgungen durch die vollziehende Gewalt und damit die Parlamente selbst vor schikanösen Beeinträchtigungen ihrer politischen Wirksamkeit schützen. Sie sollte verhindern, daß die Exekutive bei einem Konflikt mit der Volksvertretung unter dem Vorwand, eine strafbare Handlung zu verfolgen, politisch mißliebige Abgeordnete an der Erfüllung ihrer Aufgabe hinderte. "40 35 Bartmann, S. 3; vgl. die Nachweise für die h.M. bei Magiera, in: BK, Rd.14 zu Art. 46; kritisch Rauball, in: v. Münch, Rd. 30 zu Art. 46. 36 Weismann, ZStW, Bd. 9, S. 421; Bockelmann, S.l; Meyer, S. 29; Nau, NJW 1958, S.1669; Beyer, S. 84ff. mit ausführlichen Nachweisen. 37 RGSt 22, 379 ff. (386). 38 Die Geschichte der Immunität, so sagt Bockelmann, S. 9, "ist bekannt und soweit aufgehellt", daß an dieser Stelle nur auf die ausführliche Literatur verwiesen werden soll. Zu nennen sind z.B.: AdrioJ, S. 4 - 7; Bartmann, S. 7 - 31; Gneist; Hatschek: Englisches Staatsrecht, Bd. I in: Hdb. d. ö. R., Bd. IV, S. 420 - 426; ders., Dt. und Preuß. Staatsrecht, Bd. I, S. 515 - 521; Lebon, S.106ff.; Loewenstein, S. 269 - 290; Magiera, in: BK, Rd. 6 - 11 zu Art. 46. 39 So beispielsweise Bockelmann, S. 11 und 12. 40 BayVerfGH 11,146,157.
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Daß unter den Voraussetzungen einer parlamentarischen Demokratie, in der die Regierung vom Vertrauen des Parlaments abhängig ist, eine Gefahr tendenziöser Vefolgung von Abgeordneten durch die Regierung und Exekutive geringer ist,41 erscheint einsichtig. Trotzdem hat der Verfassungs geber die Gefahr tendenziöser Verfolgung gerade in Zeiten schwerer politischer Spannungen auch in Anbetracht des Grundgesetzes gesehen. 42 Er ließ sich zu Recht nicht von der Überlegung leiten, daß eine Gefahr tendenziöser Verfolgung nicht mehr bestehen könne, weil sich aus dem Grundgesetz eine Überordnung der Volksvertretung über die Regierung (und somit auch über die Exekutive)43 ergebe 44 und somit eine willkürliche Verfolgung durch letztgenannte in einem Rechtsstaat äußerst unwahrscheinlich sei. 45 Jedoch gilt zu bedenken, daß sich geschriebenes Recht noch lange nicht in der Rechtsanwendung wiederfinden muß oder anders ausgedrückt, daß das, was rechtlich kodifiziert ist, in der praktischen Umsetzung nicht seine Entsprechung finden muß. Wert und Zweck geschriebenen (Verfassungs-)Rechts erfüllen sich aber erst, wenn es von der Rechtsgemeinschaft, insbesondere 'der am Verfassungsleben Beteiligten, akzeptiert und respektiert wird. 46 Unbestritten führte die durch die Verfassung der einzelnen Gewalt zugewiesene Kompetenz und der daraus resultierende und erkennbare Wille der Beteiligten, diese wahrzunehmen und durchzusetzen47 , zu einer solchen Akzeptanz und Respektierung von geschriebenem Recht. Vor allem bewirkte sie bis jetzt gegenseitige Kontrolle mit der Folge, daß eine Dominanz einer Gewalt gegenüber einer anderen nicht entstanden ist. Denkunmöglich sind willkürliche Verfolgungen durch die Exekutive gleichwohl ~icht. Hinzu kommt im pluralistischen Staat die Gefahr auf solchem Wege bewirkter Obstruktion des Parlaments durch Interessengruppen oder politische Parteien. 48 Insbesondere war der Abgeordnete nach früherem Recht, sollte er zuvor in einem Beamtenverhältnis gestanden haben, in seiner BayVerfGH 11, 146, 157; Bockelmann, S. 12. BayVerfGH 11,146,157; auch Ahrens, S.107f., schließt die Gefahr willkürlicher, tendenziöser Verfolgung nicht aus. Ebenso Bartmann, S. 83f., 95 und Moller, DVBI 1966, S. 88l. 43 VgL Mayer / Kopp, S. 38ff., zum Verhältnis von Regierung und Verwaltung. 44 So Nau, NJW 1958, S. 1169. 45 VgL Bartmann, S. 82 m. w.N.; Achterberg"Parlamentsrecht, S. 246. 46 Dazu Ahrens, S.108 m. w. N.: "Natürlich kann Immunität nicht vor Machthabern schützen, die sich auch sonst nicht um Gesetz und Recht kümmern." Ebenso Andriof, S. 68/69, mit Erläuterungen zur Machtergreifung der Nationalsozialisten: "Sollte aber einmal die Exekutive ... bewußt gegen die Verfassung verstoßen und eine Unrechtswirklichkeit herbeiführen, weil sie die Macht im Staat gegen alles Recht usurpieren will, dann bieten auch bloße Rechtseinrichtungen wie die Immunitätsvorschriften keine Schranke mehr. Das Beispiel der "Machtergreifung" des Nationalsozialismus zeigt hier, daß dann die Immunitätsvorschriften ebenso wie andere Verfassungsgrundsätze wirkungslos sind." 47 So auch im Ansatz Andriof, S. 69, im Hinblick auf den durch Gerifht zu gewährenden Rechtsschutz mittels Nichtzulassung einer ohne ausreichender rechtlicher Grundlage erhobenen Anklage. VgL dazu auch Bartmann, S. 82/83 m. w. N. 48 Achterberg, Parlamentsrecht, S. 246. 41
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Eigenschaft als Abgeordneter als Ruhestandsbeamter jederzeit möglichen Disziplinarverfahren ausgesetzt. Dies gilt, in Anbetracht von § 5 AbgG jedoch nur eingeschränkt, auch heute noch. 49 Aufgrund dieser Überlegungen könnte man die Immunität, wenn auch nicht als überholt, so doch zumindest als Schutznorm zugunsten des Abgeordneten für wenig bedeutsam halten.
b) Die Bedeutung der Immunität im Spannungsverhältnis zwischen Rechtspflege und Legislative im gegenwärtigen Verfassungsrecht Die Immunität könnte man nur dann als überholt ansehen, wenn der Aufgabenbereich der Immunität mit der Verhinderung tendenziöser Verfolgung erschöpfend umrissen wäre. Zwar ist den Kritikern insoweit Recht zu geben, als vor dem Hintergrund der heutigen Verfassungswirklichkeit der Aspekt der tendenziösen und somit rechtswidrigen staatlichen Verfolgung für den Zweck der Immunität weniger von Bedeutung ist. Jedoch hat die Immunität auch und gerade angesichts rechtsstaatlicher Verfolgungsmaßnahmen gegen Abgeordnete, etwa im Sinne der Strafprozeßordnung oder des Ordnungswidrigkeitengesetzes, ihre Schutzaufgaben nach wie vor. Denn heute hat sich im Rahmen der Immunitätsregeln in Verbindung mit ihrer praktischen Umsetzung das im Absolutismus herrschende Spannungsverhältnis zwischen Regierungsrnacht und Exekutive einerseits und der Legislative andererseits verlagert, nämlich auf eine Interessenkollision zwischen den Gerichten und insbesondere den Strafverfolgungsbehörden einerseits und dem Parlament andererseits. 50 Daß diese Konfliktsituation kein prinzipielles Problem der Gewaltenteilung darstellt, wurde bereits oben dargelegt. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß Interessengegensätze, beruhend auf der Kompetenzverteilung zwischen den zuletzt angesprochenen Beteiligten, bestehen, die die zu behandelnden Probleme der Immunität hervorrufen, und deren Lösung unter Berücksichtigung der Belange beider Seiten versucht werden soll. Dazu ist es notwendig, die ratio legis des Art. 46 Abs. 2 und 3 GG genauer zu untersuchen, zumal der Wortlaut dieser Bestimmung selbst keinen unmittelbaren Orientierungsmaßstab enthält. 51 Denn auch die Zweckbestimmung, daß die Immunität den Abgeordneten vor tendenziöser Verfolgung schützen soll, läßt sich aus dessen Wortlaut nicht entnehmen. Die Immunität sollte und soll nach wie vor verhindern, daß mißliebige Abgeordnete an der Erfüllung ihrer Aufgaben gehindert werden.5 2 Was aber Siehe dazu später die Ausführungen unter A. II. 10. Ausdruck dafür ist etwa der Beitrag von Rosen, ZRP 1974, S. BOf. 51 So Ahrens, S. 97. 52 Vgl. nochmals BayVerfGH 11, 146, 157 oder auch die LT-Präsidenten in ihren "Grundsätzen", S.19. 49
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in den Aufgabenbereich eines Abgeordneten fällt, ist dabei näher zu untersuchen. Denn nur wenn man sich diesbezüglich Klarheit verschafft, kann man die Schutzfunktion der Immunität in angemessener Weise umreißen und ihre Bedeutung im verfassungsrechtlichen Kontext bestimmen. aa) Der Aufgabenbereich des Abgeordneten im traditionellen Verständnis Immer wieder sind Begriffsbestimmungen des Aufgabenbereiches des Abgeordneten vorgenommen worden. 53 Jedoch scheinen die Definitionen des Funktionsumfangs der parlamentarischen Arbeit kaum vollständig im Hinblick auf den Schutzzweck der Immunität gewürdigt worden zu sein. 54 Auch haben Versuche anhand von einzelnen Entscheidungsbeispielen des Bundestages, Schlüsse daraus zu ziehen, ob gewisse, sich wiederholende Intentionen und Motive für die Entscheidungsfindung des Parlaments ausschlaggebend waren, kein klärendes Bild geschaffen. 55 In der Regel aber unterblieb eine genauere Analyse der tatsächlichen, sich im Alltag darstellenden Abgeordnetenfunktionen als Ausgangspunkt für die Diskussion über die Daseinsberechtigung der Immunität im heutigen Verfassungsrecht. Der Abgeordnete ist dazu berufen, an Abstimmungen und Beratungen im Parlament - im Plenum und in seinen Organen, wie den Ausschüssen oder den Fraktionen - teilzunehmen. 56 Gerade unter Berücksichtigung der Tatsache knapper Mehrheitsverhältnisse innerhalb eines Abstimmungsvorganges, wo es auf jede Stimme ankommen kann, wird deutlich,57 daß die Hinderung der plirlamentarischen Arbeit des einzelnen Abgeordneten die Arbeitsfähigkeit des ganzen Parlaments beeinträchtigt. Denn die Hinderung des einzelnen Abgeordneten an einer Entscheidung des Plenums teilzunehmen, würde die Mehrheitsverhältnisse in der Volksvertretung verzerren und somit die durch das Volk, dem Souverän, festgelegte Mehrheitskonstellation verändern. Bei stabilen Mehrheitsverhältnissen stellt sich zwar das Problem weniger gravierend, aber es geht darum, daß die vom Wähler gewollte Zusammensetzung des Parlaments hic et nunc im Prinzip durch bewußte fremde Eingriffe geschützt wird. 58 Dazu Ahrens, S.104 m.w.N. Vgl. die Schlußfolgerungen und Nachweise bei Ahrens, S.104. 55 Vgl. das Ergebnis bei HeydlauJ, S. 87, aufgrund seiner Darstellung von Einzelentscheidungen des BT unter dem Gesichtspunkt seiner Funktionsfähigkeit, S.83 - 92 m.w.N. 56 Ahrens, S.104. 57 Als Beispiel erinnert Bartmann in Fn. 1 auf S. 84 an das konstruktive Mißtrauensvotum von 1972. Dort schien man sich jedoch anderer Mittel der Manipulation bedient zu haben. 58 Ergänzend dazu Ahrens, S.102: "Ob die Parlamentsentscheidung tatsächlich durch das erzwungene Fehlen eines Abgeordneten beeinflußt wird, bei knappen 53
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3. Die Immunität als zeitgemäßes Rechtsinstitut
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Die Rechtfertigung der Immunität folgt aber nicht nur aus dem quantitativen Aspekt der parlamentarischen Arbeit, sondern im besonderen auch aus dem qualitativen, so daß es nicht allein auf die Anwesenheit im Hinblick auf die Mehrheitsverhältnisse bei Abstimmungen ankommen kann. Gerade der individuellen Persönlichkeit des Abgeordneten für die Funktionalität des Parlaments, speziell bei Beratungen seiner Organe, kommt eine erhebliche Bedeutung zu. Denn die persönliche Zielsetzung und politische Wertvorstellung, die der einzelne Abgeordnete einbringt, ist oder kann zumindest für die parlamentarische Willensbildung von nicht unerheblichem Rang sein. Dessen Ziel- und Wertvorstellungen werden um so relevanter, wenn sie auf entsprechender Sachkompetenz beruhen. Vermehrt werden die zu behandelnden und zu entscheidenden gesellschaftlichen Probleme komplexer und diffiziler 59 und verlangen zunehmend den Abgeordneten als Spezialisten. 6o Dessen Kompetenz erscheint dann um so weniger ersetzbar, je weiter dessen parlamentarische Erfahrung reicht. bb) Der Repräsentationsgedanke des Parlaments im Lichte der Abgeordnetenaufgaben Die soeben angesprochene Sachkomp~tenz gewährt gerade in einer Zeit schwerwiegender politischer Fragen eine arbeitsfähige Volksvertretung. Bei Abwesenheit eines Abgeordneten entfielen dessen Anregungen und Impulse, welche eine sachgerechte Lösung der Probleme fördern helfen können. Die Abwesenheit des Abgeordneten unter diesen Voraussetzungen stellt eine Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit des einzelnen Mandatsträgers dar, die ohne weiteres Wirkung auf die Funktionalität des ganzen Parlaments beinhaltet. Wie erheblich diese Wirkung sein kann, darauf kommt es letztlich nicht an. Allein die Tatsache ist entscheidend, daß ein durch Wählerwillen beauftragter Abgeordneter seine Kompetenz nicht einbringen kann 61 ; denn den Willen des Wählers gilt es zu respektieren. Es zeigt sich, daß die Arbeit des einzelnen Abgeordneten Wirkung auf die Funktionalität des ganzen Parlaments hat und darüber hinaus Ausdruck einer Wechselbeziehung von Volkswillen und parlamentarischer Arbeit ist, denn parlamentarische Tätigkeit ist immer mit der Erwartungshaltung der Vertretenen im Hinblick auf das, was im Parlament geschieht, in Verbindung zu setzen. 62 Mehrheiten gar in ihr Gegenteil verändert wird, ist unter dem Gesichtspunkt der Repräsentation nicht entscheidend." 59 Siehe dazu Rausch, S. 149. 60 Hemeyer, ZRP 1971, S.177; Kißler, S. 393. 61 Vgl. Ahrens, S.103 und die dortigen ausführlichen Literaturhinweise in Fn. 235 und 236. 62 Vgl. dazu BVerfGE 20, 56ff., 98.: " ... das Volk bringt jedoch seinen politischen Willen nicht nur durch Wahlen und Abstimmung zum Ausdruck ... , sondern auch in der Einflußnahme auf den ständigen Prozeß der politischen Meinungsbildung, der
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A.1. Allgemeine Erörterungen zum Rechtsinstitut der Immunität
cc) Der Aufgabenbereich des Abgeordneten im parlamentarischen Alltag Angesichts der parlamentarischen Mitwirkung des Abgeordneten darf nicht übersehen werden, daß dessen persönliche Wertvorstellungen auch geprägt werden von Wünschen, Motiven und Belangen der Bürger. Diese werden aber nicht nur alle vier Jahre abstrakt durch Mehrheitsverhältnisse und Stimmanteile sichtbar, sondern auch innerhalb einer Legislaturperiode, im parlamentarischen Alltag, wenn die Wähler an den einzelnen Abgeordneten herantreten. Diese Tatsache beruht auf der Vorstellung von der Nähe des Mandatsträgers zu maßgeblichen Entscheidungsträgem und der damit verbundenen Hoffnung, daß er aufgrund dieses Umstandes auf deren Entscheidungen einwirken könne. Insoweit ist der Abgeordnete Anlaufstelle des Bürgers. Entweder aufgrund seiner Sachkompetenz und seiner Verbindung zu unterschiedlichen Interessengruppen oder wegen seiner Nähe zu den Wählern, speziell seines Wahlkreises, die die Umsetzung von geformten Zielvorstellungen in der parlamentarischen Entscheidungsfindung berücksichtigt wissen wollen. Daß diese Einflüsse den Abgeordneten nicht binden können und dürfen, ergibt sich aus Art. 38 Abs.l S.2 GG, wonach der Abgeordnete nur seinem Gewissen unterworfen ist. ..... Aber er [der Abgeordnete] lebt ja nicht in einem keimfreien Raum. Er verantwortet, was er entscheidet, doch auch in seiner Fraktion, in seiner Partei, vor flllem vor seinem Wähler. "63
Das bedeutet, daß Abstimmungen und Beratungen im Ergebnis Ausfluß eines Wählerauftrages sind und somit nicht losgelöst von spezifischen Interessen- und Gruppenbelangen vollzogen werden können. Daraus folgt nicht zwangsläufig, daß wir uns heute in einer "modemen parteistaatlichen Demokratie befinden, die ihren eigenen Gesetzen folgt uhd mit den (in Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG angesprochenen) Erfordernissen der klassischen liberalrepräsentativen parlamentarischen Demokratie nicht in Einklang zu bringen ist. "64 Denn die Repräsentation des ganzen Volkes schließt die besondere Berücksichtigung von Interessen einzelner Gruppen nicht aus,65 da das Parteiwesen und das Repräsentationssystem keinen sich ausschließenden Gegensatz darstellen,66 solange sich der Mandatsträger den Interessen einBildung der öffentlichen Meinung. Die öffentliche Meinung ... beeinflußt die Entschlüsse der Staatsorgane. Weiterhin versuchen Gruppen, Verbände und gesellschaftliche Gebilde verschiedener Art auf die Maßnahmen der Regierung und die Beschlüsse der gesetzlichen Körperschaften im Interesse ihrer Mitglieder einzuwirken." 63 So Willy Brandt, in: Politik - Aktuelle Information der SPD, Nr. 9 (Nov. 1977), S. 2; vgl. dazu auch Hemeyer, ZRP 1971, S.176f. 64 So Leibholz, Strukturprobleme der modernen Demokratie, S. 93 ff.; ders., Parteienstaat und repräsentative Demokratie, DVBl1951, S.l; ders., das Wesen der Repräsentation, S. 235. 65 v. Münch, in: v. Münch, Rd. 59 zu Art. 38.
3. Die Immunität als zeitgemäßes Rechtsinstitut
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zeIner Gruppen, insbesondere seines Wahlkreises annimmt, wenn er diese nach seinem Gewissen als wichtig für das Gesamtvolk ansieht. 67 Die Orientierung des Abgeordneten an den Vorstellungen, Bedürfnissen und Erwartungen der Wähler vollzieht sich somit weniger im, sondern verstärkt außerhalb des Parlaments; beispielsweise bei Tagungen, Parteiveranstaltungen, Bürgerversammlungen. Folglich handelt der Abgeordnete immer auch "schlicht" als Politiker. Das soll nicht bedeuten, daß der Parlamentarier als "bloßer" Politiker, der Versammlungen abhält, "im Lande" Reden hält oder Flugblätter verteilt, Immunität genießen soll und darf. 68 Denn erst die besondere Verantwortung und Stellung des Mandatsträgers, die es ihm ermöglicht, Überzeugungen und Zielen parlamentarisch mitwirkend Gesetzeskraft und somit Bindungswirkung für alle zu verleihen, kann und darf unter dem Repräsentationsgedanken den Beschränkungsmöglichkeiten anderer Gewalten entzogen sein. Jedoch sollen die Erörterungen deutlich machen, daß eine stringente Abgrenzung zwischen Abgeordnetenarbeit und außerparlamentarischer Politikertätigkeit, wie sie im Hinblick auf den Immunitätsschutz vorgenommen wird,69 im Einzelfall nicht eindeutig ausfallen kann. 70 Denn die Politikertätigkeit des Abgeordneten hat und soll Einfluß auf seine parlamentarische Arbeit im Sinne der Repräsentation haben. Jedoch beinhaltet die Mandatsträgerschaft erst die gesteigerte Verantwortung, die die Belange der Wähler in besonderem Maße zu würdigen und zu berücksichtigen hat. dd) Der Vertrauensschutzgedanke zwischen Abgeordnetem und Bürger Die aus den Erörterungen folgenden Wechselbeziehungen zwischen Wählern und Gewählten verlangt gegenseitiges Vertrauen,71 wenn Bürger mit persönlichen Problemen an den Abgeordneten oftmals als letzte Hoffnung herantreten. In der begründeten Erwartung, daß dieser durch seine gesteigerten Kontaktmöglichkeiten und Verbindungen zu den maßgeblichen Stellen eine Lösung von Problemen herbeiführen kann, wird der Parlamentarier häufig zur Anlaufstelle für Petitionen. Ein Aspekt, der zwar nicht unmittelbar mit seinen von Verfassungs wegen vorgesehenen "echten"72 parlamentarischen Aufgaben zusammenhängt, der aber nicht von s~iner Eigenschaft als Mandatsträger zu trennen ist. Deshalb hat der Abgeordnete, ohne dabei als 66 Achterberg, DVBl1974, S. 693ff. (702). Zum Verhältnis zwischen Art. 38 Abs.l, S. 2 und 21 GG siehe Maunz, in: MDH8, Rd. 20 und 21 zu Art. 38. 67 Maunz, in: MDH8, Rd. 11 zu Art. 38. 68 Dazu Ahrens, 8.104 m. w. N. 69 80 beispielsweise bei Ahrens, 8.104 m. w.N. 70 8iehe dazu Oberreuter, in: Röhring / 80ntheimer, 8.19f. 71 80 Bücker, Aktuelle Fragen, 8. 52. 72 Vgl. nochmals Ahrens, 8.104 m. w.N.
A. I. Allgemeine Erörterungen zum Rechtsinstitut der Immunität
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Lobbyist zu fungieren, sich dieser Ansinnen und Probleme aufgrund seiner Stellung anzunehmen. Oftmals verhilft eine Intervention oder die Prüfung einer Maßnahme, beispielsweise einer Verwaltungsbehörde, zu einer Beschleunigung eines Verfahrens oder zu einer nochmaligen Überprüfung einer Entscheidung. Darüber hinaus werden solche Petitionen von Abgeordneten zum Anlaß genommen, über den zuständigen Arbeitskreis der eigenen Fraktion oder den zuständigen Ausschuß des Parlaments auf legislative Abhilfen von Mißständen durch Novellierungen von Gesetzen zu drängen,73 oder sie zumindest dort oder im Plenum zu aktualisieren. Ob man dies nun für wünschenswert erachtet oder nicht, so zeigt sich gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, daß die Abgeordnetentätigkeit sich nicht nur auf Beratung und Abstimmung im Parlament beschränkt oder beschränken kann, sondern der Bundestagsabgeordnete im Hinblick auf seine Sonderstellung und den damit verknüpften erweiterten Einflußmöglichkeiten auch in anderer Hinsicht dem Bürger verpflichtet ist. Der Bürger erwartet dies und vertraut darauf. All diese Erörterungen sollen die Rolle des Parlamentariers als" Transmissionsriemen" zwischen den staatlichen Gewalten - Regierung, Exekutive und Legislative - einerseits und dem Souverän, dem Wahlvolk, andererseits deutlich machen,74 um den erforderlichen Schutz des dazu notwendigen Vertrauensverhältnisses zwischen den Beteiligten als wesentlich erkennbar werden zu lassen. Wenn man demzufolge die Bedeutung des Abgeordneten als Verbindungsglied zwischen den Staatsgewalten und dem Wahlvolk nicht unterschätzt, wird die daraus resultierende Integrations- und Mediatisierungsfunktion des Parlaments unter dem Gesichtspunkt des Repräsentationsprinzips deutlich. 75 Damit einhergehend wird das Aufgabenfeld des Abgeordneten vor dem Hintergrund bestehender sozialer und politischer Gegebenheiten umrissen, um die Schutzfunktion der Immunität losgelöst von ihrer ursprünglichen Aufgabe, den Abgeordneten ausschließlich vor tendenziöser Verfolgung zu bewahren, zu bestimmen. Dies erscheint insoweit notwendig, als zwar angesichts des veränderten Interessengegensatzes zwischen Judikative und den Strafverfolgungsbehörden einerseits und der Legislative andererseits der Aspekt der Willkürlichkeit von Eingriffen in den Abgeordnetenstatus nicht mehr wesentlich ist, jedoch die Rechtsordnung eine Fülle von Zwangs- und Verfolgungsmaßnahmen kennt, deren Anwendung, ohne die geringste tendenziöse Absicht zu beinhalten, die Ausübung der Abgeordnetentätigkeit im hier verstandenen Umfang berühren können. Zur nochmaligen Verdeutlichung sind aus den Darlegungen zwei Schlußfolgerungen zu ziehen: 73
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So Schweitzer, S.195. Schweitzer, S. 226.
75 Vgl. Bücker, Aktuelle Fragen, S. 51; Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 63, unter Anlehnung an Rudolf Smend.
1. Die Regelungen des Art. 46 Abs. 2 und 3 GG im einzelnen
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zum einen, daß die Intention der Immunitätsgrundsätze in der Sicherung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Abgeordneten und folglich des Parlaments insgesamt liegt,76 und somit die Immunität als Schutz der Repräsentationsfunktion als Ausdruck im Sinne der Verfassung praktiziertem Parlamentarismus77 auch heute noch ihre Rechtfertigung findet,
zum zweiten, daß es auf das Attribut "tendenziös" im Hinblick auf staatliche Verfolgung von Abgeordneten nicht wesentlich ankommt,7B sondern allein das Verhältnis von staatlichem Zwang, worauf auch immer basierend, zur Funktionsbeeinträchtigung des Parlaments den Schutzumfang der Immunität bestimmt. 79
Wann aber Beeinträchtigungen in dieser Hinsicht vorliegen oder wo die Grenzen des Immunitätsschutzes liegen, sind Ausgangsfragen der zu behandelnden Probleme der Immunität in der parlamentarischen Praxis und sollen im folgenden im Zusammenhang erörtert werden.
11. Probleme der Immunität in der parlamentarischen Praxis 1. Der Regelungskomplex des Art. 46 Abs. 2 und 3 GG im einzelnen
Daß die Immunität trotz aller Kritik ihre grundsätzliche Daseinsberechtigung in der Verfassung des Grundgesetzes hat, ändert nichts an der Tatsache, daß sie in der Ausgestaltung des Art. 46 GG Unklarheiten und Zweifelsfragen im Hinblick auf ihre Umsetzung in die rechtliche Praxis für die damit befaßten Gremien und Organe des Deutschen Bundestages aufwirft. Das hängt einerseits damit zusammen, daß die Immunitätsvorschriften des Art. 46 GG sehr knapp gehalten sind.B 0 Auf der anderen Seite sind ihre Begrifflichkeit und somit ihr Regelungsumfang nicht so eindeutig bestimmbar, daß sie in allen Fällen einen unmittelbaren Maßstab enthalten, an dem die parlamentarische Praxis zu messen wäre. BI Insbesondere in Anbetracht 76 Verwiesen sei auf die Nachweise in Fn.18. 77 Zum Repräsentationsgedanken siehe Achterberg, Parlamentsrecht, S. 31ff. und Magiera, in: BK, Rd. 15 zu Art. 46 m. w. N. 7B A.A. Bockelmann, S. 41, der allein auf die tendenziöse Verfolgung abstellt. 79 Insoweit erscheint auch der Ruf nach einer restriktiven Auslegung der Immunitätsregeln, so z.B. durch Bockelmann, S.13; Meyer, S.l1; Nau, NJW 1958, S. 668; Ahrens, S. 20 m.w.N.; OLG Karlsruhe, DÖV 1956, S. 764, unberechtigt, denn ihre angemessene Anwendung wird allein bestimmt im Rahmen des Ausgleichs zwischen Interessengegensätzen von Rechtspflege und Legislative. So verlangt zu Recht Herlan, MDR 1950, S. 519, eine strikte, aber nicht einschränkende Auslegung der Immunitätsregeln. BO Vgl. v. Mangoldt / Klein, Anm. II 4 zu Art. 46: "Die (verfassungs-)gesetzlichen Bestimmungen über die Immunität der Abgeordneten des Bundestages ... zeichnen sich durch bemerkenswerte Kürze aus ... ". B1 Ahrens, S. 97 m. w.N. Vgl. auch Maunz, in: MDHS, Rd. 77 zu Art. 46.
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A. Ir. Probleme der Immunität in der parlamentarischen Praxis
der Bedürfnisse des Parlaments zur sachgerechten Erfüllung seiner repräsentativen Aufgaben stellt sich eine Reihe von Fragen. Es blieb bisher unbeantwortet, ob die zivilprozessuale Durchsuchung und Beschlagnahme grundsätzlich einen Eingriff in die persönliche Freiheit des Abgeordneten gemäß Art. 46 Abs. 3 GG darstellen und somit vom Genehmigungsvorbehalt des Bundestages im Sinne dieser Norm umfaßt sind oder nicht, oder ob bezüglich des Genehmigungsvorbehaltes wenigstens zu differenzieren ist, etwa danach, ob die genannten Zwangsmaßnahmen in Privaträumen des Abgeordneten beabsichtigt sind oder in Räumlichkeiten, die er gerade in seiner Eigenschaft als Parlamentsmitglied nutzt. Ebenso stellt sich diese Frage in vergleichbarer Form in Hinblick auf das grundgesetzlich gemäß Art. 46 Abs. 2 GG dem Genehmigungsvorbehalt des Parlaments unterliegende Ermittlungsverfahren gegen eines seiner Mitglieder seit dem Beschluß des Bundestages betr. Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Bundestages vom 26. Februar 1969, wonach Ermittlungsverfahren gegen Abgeordnete durch eine generelle Genehmigung zu Beginn der jeweiligen Legislaturperiode freigegeben werden,82 da insoweit ebenfalls nicht geklärt ist, ob die strafprozessuale Durchsuchung und Beschlagnahme davon mit umfaßt sind oder in gleicher Weise, wie soeben bezüglich des Zivilverfahrens angedeutet, zu unterscheiden ist. Darüber hinaus ist die Behandlung des ermittlungsbedingten Ersuchens um Überwachung des Telefon- und Fernmeldeverkehrs von Abgeordneten vor dem Hintergrund des genannten Beschlusses bisher nicht geklärt. Die Beantwortung dieser Fragen soll im folgenden im Mittelpunkt stehen. Um sich ihnen nähern zu können, ist es notwendig, die Systematik der Regelungsanordnung des Art. 46 Abs. 2 und 3 GG an dieser Stelle im einzelnen herauszuarbeiten. Denn aus ihrer Detailanalyse konkretisieren sich die zu erörternden Probleme für die parlamentarische Praxis.
a) Der Regelungsgehalt des Art. 46 Abs. 2 GG Art. 46 Abs. 2 GG legt fest, daß der Bundestag zu genehmigen hat, ob ein Abgeordneter wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung zur Verantwortung gezogen oder verhaftet werden darf. 83 Eine Genehmigung diesbezüglich ist nicht erforderlich, wenn der Abgeordnete bei Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages festgenommen wird. Unter mit Strafe bedrohte Handlungen fallen primär alle Tatbestände des StGB. Da Art. 46 82 Vgl. den Wortlaut des Beschlusses, der im Anhang beigefügt ist und die kritische Würdigung seiner materiell- und formellrechtlichen Zulässigkeit unter A. Ir. 3. a). 83 Genehmigung gemäß des Art. 46 Abs. 2 bedeutet - abweichend von der Ausdrucksweise der §§ 183, 184 BGB - nicht die nachträgliche, sondern die vorherige Zustimmung im Sinne von Einwilligung. Vgl. statt aller v. Mangoldt / Klein, Anm. IV 7 a zu Art. 46.
1. Die Regelungen des Art. 46 Abs. 2 und 3 GG im einzelnen
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Abs. 2 GG nicht von Straftaten im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB spricht, darf ein Abgeordneter demzufolge auch wegen vom StGB nicht umfaßten Unrechtshandlungen nur mit Genehmigung des Bundestages zur Verantwortung gezogen werden, solange die sich daran anknüpfenden Sanktionen Strafcharakter haben. Ob es sich dabei beispielsweise um Freiheitsstrafen oder Geldbußen handelt, spielt keine Rolle, solange sie dem Zwecke nach typischerweise 84 der Vergeltung und Sühne dienen. Demnach kann gegen einen Abgeordneten auch wegen einer mutmaßlichen Ordnungswidrigkeit nur mit Zustimmung des Bundestages ermittelt werden. Gleichwohl entscheidet nicht die Strafbarkeit einer Handlung über den Genehmigungsvorbehalt des Parlaments in bezug auf deren Verfolgung. Aus den vorangegangenen Erörterungen zum Schutzzweck der Immunität ergibt sich, daß gerade die Beeinträchtigung der Abgeordnetenfunktion durch öffentliche Ermittlungstätigkeit von entscheidender Bedeutung ist. Folglich gilt es von der Entscheidung des Parlaments abhängig zu machen, ob eines seiner Mitglieder zur Verantwortung gezogen wird und damit einem staatlichen Erkenntnisverfahren ausgesetzt ist, in welchem über das Vorliegen einer Unrechtshandlung entschieden und gegebenenfalls die entsprechend angemessene Sanktion festgelegt wird. 85 Diese Auffassung wird deutlich am Beispiel des Disziplinarverfahrens. In der höchstrichterlichen Verwaltungsrechtsprechung sieht man wohl heute die Disziplinarmaßnahme im Beamtenrecht nicht als Strafe an, weil die damit verbundenen Ahndungsgesichtspunkte nicht Vergeltung und Sühne, sondern Aufrechterhaltung und Wiederherstellung eines ordnungsgemäßen und korrekten Dienstbetriebes sind. 8G Demnach wäre ein mutmaßliches Disziplinarvergehen keine mit Strafe bedrohte Handlung. Folglich wäre es disziplinarrechtlichen Untersuchungen zugänglich mit all den damit möglichen Zwangshandlungen der StPO, ohne daß eine Genehmigung im Sinne von Art. 46 Abs. 2 GG erforderlich wäre. 87 Denn gemäß § 25 BDO und der entsprechenden Verweisungsnormen in den Landesdisziplinarordnungen können zu deren Ergänzung unter anderem die Vorschriften der Strafprozeßordnung angewendet werden. Dieses Ergebnis hätte die Konsequenz, daß der im Rahmen eines bloßen förmlichen Disziplinarverfahrens tätige Untersuchungsführer beispielsweise Durchsuchung und Beschlagnahme gemäß § 58 BDO anordnen könnte, während eine solche Anordnung eines Gerichtes oder der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren einer vorherigen Genehmigung des Parlaments bedürfte. Demzufolge ist in bezug auf 84 Wie sich die Sanktion im Einzelfall letztlich konkretisiert, etwa in Form einer Unterbringung gemäß § 63 StGB, spielt keine Rolle. 85 Roxin, Einleitung B lI. 86 BVerwGE 43, 57 (58f.). 87 So BVerwG, NJW 1986, S. 2520. Bezüglich der verfahrensrechtlichen Einzelheiten siehe die Ausführungen unter A. Ir. 10.
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A. H. Probleme der Immunität in der parlamentarischen Praxis
den Genehmigungsvorbehalt im Sinne von Art. 46 Abs. 2 GG auf jeden öffentlich ermittelbaren "geschichtlichen Vorgang" abzustellen,88 also auf jede Unrechts handlung, für die ein Abgeordneter zur Verantwortung gezogen werden kann. Das bedeutet, daß das Parlament zu genehmigen hat, ob die Behörde, unabhängig davon, ob sie eine "gerichtliche, disziplinare oder Verwaltungsbehörde ist", Untersuchungakte und Maßnahmen vornehmen darf, "welche dazu dienen sollen, die Richtigkeit oder Unrichtigkeit eines Verdachtes zu ermitteln, beziehungsweise die nach Feststellung einer Unrechtshandlung darauf abzielen, den Täter zu bestrafen".B 9 Unterliegt insoweit das jeweilige Erkenntnisverfahren und damit das "Zur-Verantwortung-Ziehen" dem Genehmigungsvorbehalt des Parlaments, so beginnt der Immunitätsschutz in dem Zeitpunkt, in dem der Abgeordnete die Stellung eines Beschuldigten bekommt. 9o Unter Verhaftung im Sinne des Art. 46 Abs. 2 GG ist diejenige Freiheitsentziehung zu verstehen, die im Zusammenhang mit einer gegen den Abgeordneten durchzuführenden Untersuchung steht, namentlich also die Untersuchungshaft (§ 112 StPO)91 sowie auch die vorläufige Festnahme (§ 127 StPO) unabhängig von dem Erfordernis, daß letztere bei Begehung oder im Laufe des folgenden Tages geschieht. 92 Unter der Voraussetzung, daß der Abgeordnete bei der Begehung der Tat, also auf frischer Tat betroffen wurde, sind Ermittlungen und die damit verbundenen, oben genannten Zwangsmaßnahmen von einer Genehmigung des Parlaments nicht abhängig. Das Gleiche gilt bei Festnahme am der Tat folgenden Tag. Dabei bleibt darauf hinzuweisen, daß der Begriff Festnahme in Art. 46 Abs. 2 GG weiter zu verstehen ist als nur im Sinne von §§ 127, 112 StPO. Festnahme ist hier zu verstehen als jede Hinderung der Bewegungsfreiheit durch Zwang, die im Zusammenhang mit einer Ermittlung gegen einen Abgeordneten aufgrund einer strafbaren Handlung erfolgt. 93
Magiera, in: BK, Rd. 61 zu Art. 46. RGSt 23, s. 184, 193; 24, 205, 209. 90 Magiera, in: BK, Rd. 67 zu Art. 46 m. w. N. 91 Ahrens, S. 18; Maunz, in: MDHS, Rd. 50 zu Art. 46 und die in Fn. 93 Genannten. 92 So zu Recht Ahrens, S.18; Bartmann, S. 50; Maunz, in: MDHS, Rd. 50 zu Art. 46. A.A. Koch, DÖV 1951, S. 427, der aufgrund des Wortlauts von Art. 46 Abs. 2 GG die vorläufige Festnahme von dieser Norm ausgenommen wissen will, sondern von Abs. 3 im Rahmen sonstiger Beschränkungen mit umfaßt sieht. Jedoch umfaßt Art. 46 Abs. 3 GG alle Zwangsmaßnahmen gegen die persönliche Freiheit des Abgeordneten, die nicht in Zusammenhang mit öffentlicher Ermittlung stehen. Folgt man der genannten Ansicht, dann würde bezüglich der vorläufigen Festnahme gemäß § 127 StPO eine Regelungslücke gemäß Art. 46 Abs. 2 GG bestehen, die der Verfassungsgeber nicht beabsichtigt haben kann, wenn er den Abgeordneten vor Ermittlungsmaßnahmen rundum schützen wollte. 93 RGSt 59, 113f.; OLG Bremen, NJW 1966, S.744; Bockelmann, S.56, Fh.86; Bartmann, S. 52; Pfeiffer, S.116; a.A. v. Mangoldt / Klein, Rd. IV 8a zu Art. 46. 88 89
1. Die Regelungen des Art. 46 Abs. 2 und 3 GG im einzelnen
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b) Der Regelungsgehalt des Art. 46 Abs. 3 GG Art. 46 Abs. 3 GG verhindert jede andere Beschränkung der persönlichen Freiheit eines Abgeordneten, die nicht schon unter Abs. 2 dieser Norm fällt. Demnach verhindert er alle Freiheitsbeschränkungen, die nicht Untersuchungshaft und vorläufige Festnahme im oben erläuterten weiteren Sinne beinhalten; also Freiheitsentziehungen als Vollstreckungsmaßnahmen, vor allem auch im Bereich des Zivilrechts 94 und Freiheitsbeschränkungen im engeren Sinne, die nicht die körperliche Bewegungsfreiheit aufheben, die aber die Bewegungsfreiheit in bestimmter Richtung begrenzen, wie etwa Maßnahmen im Rahmen der Führungsaufsicht (vgl. §§ 68ff. StGB).95 Art. 46 Abs. 3 GG verhindert darüber hinaus Maßnahmen öffentlichen Zwanges, die nicht im Zusammenhang mit einer Ermittlungshandlung stehen und verlangt zusätzlich eine selbständige und neuerliche Entscheidung für eine aus einem genehmigten Ermittlungsverfahren gemäß Art. 46 Abs. 2 GG resultierende Vollstreckungsmaßnahme. Denn Art. 46 Abs. 3 GG verbietet die Freiheitsbeschränkung selbst. Das Verfahren hingegen, das dazu führen kann, unterliegt dem eigenständigen Genehmigungsvorbehalt des Art. 46 Abs. 2 GG.96 Ebenso wie es gemäß Art. 46 Abs. 2 GG bei "mit Strafe bedrohter Handlung" nicht auf das Attribut der Strafe im Sinne von Vergeltung ankommt, so wenig ist der Zweck der freiheitsbeschränkenden Sanktionen bezüglich Art. 46 Abs. 3 GG von Bedeutung. Ob nun Haftrnaßnahmen zur Erwirkung eines staatlichen Vergeltungs anspruches vorliegen, oder sie der Besserung und Sicherung dienen, oder es um Erzwingungsmaßnahmen im Rahmen der ZPO geht,97 ist unerheblich. Allein wesentlich für die Freiheitsbeschränkungen des Art. 46 Abs. 3 GG sind wie bei Abs. 2 dieser Norm die faktischen Folgen im Hinblick auf den Schutzzweck der Immunität, also der Schutz der Funktionsfähigkeit des Parlaments 98 durch Sicherung des Abgeordneten in seiner Stellung. 99 Freiheitsbeschränkungen zeitigen aber nur in ihrem Vollzug spürbare Wirkung, so daß zu Recht der Deutsche Bundestag bereits seit der 1. Wahlperiode die Auffassung vertritt, daß nur der Vollzug der ausdrücklichen Genehmigung des Parlaments bedürfe, nicht jedoch deren Anordnung.1 0o 94 Vgl. dazu die ausführliche Aufzählung von Beispielen insbesondere in Ziff.14 der Grundsätze in Immunitätsangelegenheiten (Anlage 6 GOBT) sowie bei Magiera, in: BK, Rd. 79 zu Art. 46. 95 Vgl. Magiera, in: BK, Rd. 80 zu Art. 46 und dessen ausführliche Nachweise dort. 96 Vgl. Maunz, in: MDH8, Rd. 57 zu Art. 46. 97 Vgl. z.B. §§ 888, 890 oder 901 ZPO. 98 BVerfGE 22, 49, 79. 99 Ahrens, 8.103 m.w.N. 100 Bücker, Aktuelle Fragen, 8. 50 mit Hinweis auf die frühere Handhabung gemäß AV d. Preuß. Just. Min. vom 6. Dez. 1927 -JMBl, 8. 366.
3 Wurhs
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A. 11. Probleme der Immunität in der parlamentarischen Praxis
c) Ergebnis der Gegenüberstellung von Art. 46 Abs. 2 und 3 GG
Zusammenfassend stellt sich die Regelungsaufteilung des Abs. 46 Abs. 2 GG im Verhältnis zu Abs. 3 dieser Norm wie folgt dar: Art. 46 Abs. 2 GG verbietet ohne Genehmigung des Bundestages jegliche Ermittlungstätigkeit und die damit verbundenen Zwangsmaßnahmen, insbesondere die ausdrücklich genannte Untersuchungshaft sowie die vorläufige Festnahme, "es sei denn ... " Art. 46 Abs. 3 GG untersagt jede Freiheitsbeschränkung außerhalb eines Ermittlungsverfahrens oder die, die aus einem genehmigten "Zur-Verantwortung-Ziehen" resultieren kann. 2. Immunitätsschutz und öffentliche Zwangsmaßnahmen
Aufgrund der bisherigen Ausführungen wird deutlich, daß der Schutz der persönlichen Freiheit des Abgeordneten den Wesenskern der Immunitätsvorschriften des Art. 46 GG bildet. Der Genehmigungsvorbehalt des Bundestages umfaßt jegliche Ermittlungstätigkeit gemäß Art. 46 Abs. 2 GG und soll incidenter jede damit verbundene mögliche Beschränkung der persönlichen Freiheit des Mandatsträgers von der Zustimmung des Parlaments abhängig machen, um im Grundsatz das parlamentarische Mitwirkungsrecht des Abgeordneten vor außerparlamentarischem Zugriff zu sichern. Die besondere Hervorhebung der Genehmigungspflicht einer Verhaftung in Abs. 2 bestätigt diesen Regelungszweck des Verfassungsgebers. Der gleiche Normzweck liegt der Regelung des Art. 46 Abs. 3 GG zugrunde, der ausdrücklich von dem Genehmigungsvorbehalt des Parlaments bezüglich anderer Beschränkungen der persönlichen Freiheit spricht. Sowohl im Hinblick auf die Zwangsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren als auch angesichts der anderen Beschränkungen der persönlichen Freiheit ist man teilweise der Auffassung, daß darunter nur diejenigen zu verstehen seien, die die räumlich-körperliche Bewegungsfreiheit des Abgeordneten berühren 101 Geht man von dem herkömmlichen Verständnis der Aufgabenfunktion des Abgeordneten aus, welches in der Beratung und Abstimmung dessen vornehmlichen Aufgabenbereich siehtl° 2 und mit einem ungehinderten Zugang zu den Beratungs- und Abstimmungsräumlichkeiten untrennbar verknüpft ist, so erscheint allein die räumliche Bewegungsfreiheit gemeint zu sein. Solch eine restriktive Interpretation der persönlichen Freiheit läßt sich jedoch aus der Norm selbst nicht begründen, sondern sie basiert allein auf dem von Wissenschaft und Praxis zugrunde gelegten Schutzverständnis 101 So z.B. Maunz, in: MDHS, Rd. 56 - 58 zu Art. 46; Ahrens, S.20 m. w.N.; Magiera, in: BK, Rd. 82 zu Art. 46. 102 VgL dazu nochmals A. I. 3. b) aal.
2. Immunitätsschutz und öffentliche Zwangsmaßnahmen
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der Immunität. Legt man aber zu Recht die für das "Zur-VerantwortungZiehen" im Sinne des Art. 46 Abs. 2 GG auch heute noch geltende Definition des Reichsgerichts zugrunde, so erscheint eine solche Einschränkung nicht gerechtfertigt, wird dort doch nur im Sinne von "Zur-Verantwortung-Ziehen" allgemein von der Summe der Untersuchungs akte und Maßnahmen gesprochen, welche dazu dienen sollen, einen Verdacht zu be- oder entkräften und damit eine konkrete Auswahl nicht getroffen. Somit folgt aus der Entscheidung, daß alle Untersuchungs akte und in Konsquenz alle damit verbundenen Zwangsmaßnahmen von dem Genehmigungsvorbehalt des Parlaments umfaßt sind und sein müssen, wenn sie den Betroffenen gerade in seiner Eigenschaft als Abgeordneten berühren. Unter dem Gesichtspunkt der konkreten Wirkung von Zwangsmaßnahmen auf den Abgeordnetenstatus kann bezüglich der Definition der "anderen Beschränkungen der persönlichen Freiheit" gern. Art. 46 Abs. 3 GG nichts anderes gelten. Sieht man nicht allein die Abstimmung und Beratung als Abgeordnetenfunktion, aus der die zu schützende Arbeitsfähigkeit des Parlaments resultiert, sondern auch die weitergehenden, oben genannten Aufgaben, so liegt ein verändertes Schutzverständnis im Rahmen der Immunität vor. Ein solchermaßen erweitert verstandener Funktionsbereich des Abgeordneten, vor allem unter dem Aspekt des Vertrauensschutzes, könnte aber durch Zwangsmaßnahmen der öffentlichen Gewalt beschnitten werden, die nicht allein auf die körperlich-räumliche Bewegungsfreiheit des Mandatsträgers abzielen. 103 Zu denken wäre an Durchsuchungen des Abgeordneten oder dessen Räumlichkeiten, wie beispielsweise sein Abgeordnetenbüro, seine Wohnung oder sein Kraftfahrzeug aufgrund richterlicher Anordnung. Ebenso käme eine Beschlagnahme von Gegenständen, die in dessen Eigentum oder Besitz stehen, weil sie ihm aufgrund seiner Position anvertraut worden sind, in Betracht. Darüber hinaus wäre die gesetzliche Möglichkeit einer Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs in einem Ermittlungsverfahren gegen den Abgeordneten gerade unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzgedankens zu problematisieren. Somit soll im folgenden erörtert werden, ob die aufgezählten Zwangsmaßnahmen und Freiheitsbeschneidungen überhaupt und wenn ja, in welcher Weise hemmende Wirkung auf die Abgeordnetentätigkeit entfalten können; darüber hinaus, wie sie im Rahmen des Art. 46 Abs. 2 und 3 GG jeweils zu subsumieren sind. Denn speziell in der Einschätzung ihrer Wirkung und Beachtlichkeit innerhalb des Immunitätsrechts herrscht Uneinigkeit und Unklarheit.1 04 103 So schon im Hinblick auf andere Beschränkungen der persönlichen Freiheit des Abgeordneten im Allgemeinen Bockelmann, S. 61; Meyer, S.15, ohne Begründung. In Anlehnung an Bockelmann auch v. Mangoldt / Klein, Anm. IV 10 zu Art. 46. 104 Vielfach wird davon ausgegangen, daß solche Maßnahmen, die nicht die räumlich-körperliche Bewegungsfreiheit des Abgeordneten berühren, nicht vom Schutzzweck der Immunität umfaßt werden. Denn "eine Freistellung des Abgeordneten von jedem staatlichen Zwang läßt sich kaum mit dem Wortlaut des Art. 46 GG vereinba-
3'
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A. H. Probleme der Immunität in der parlamentarischen Praxis
3. Durchsuchung und Beschlagnahme im Ermittlungsverfahren
Die soeben erwähnte Uneinigkeit und Unklarheit kommt gerade unter dem Gesichtspunkt von Durchsuchung und Beschlagnahme im Ermittlungsverfahren deutlich zum Ausdruck, da die unterschiedliche Einschätzung der Wirkung solcher Zwangsmaßnahmen innerhalb eines "Zur-VerantwortungZiehen" im Verhältnis zum Schutzgedanken der Immunität schon praktische Relevanz entfaltet hapo5 Im Fall des Abgeordneten Wienand beabsichtigte die Staatsanwaltschaft gegen den betreffenden Abgeordneten im Rahmen einer Strafverfolgung eine Durchsuchung von dessen Büroräumen im Bundeshaus aufgrund einer Beschlagnahmeanordnung des Amtsgerichts Bonn. I06 Die Staatsanwaltschaft hatte den Bundestagspräsidenten um Genehmigung der Durchsuchung gebeten, da Adressat des Ersuchens um Genehmigung einer Durchsuchung der Räume im Bundestag ausschließlich der Präsident des Deutschen Bundestages ist, der gemäß Art. 40 Abs. 2 GG das Hausrecht und die Polizeigewalt im Gebäude des Bundestages ausübt. Das Begehren der Staatsanwaltschaft wurde jedoch abgelehnt und zur Behandlung, entsprechend der Geschäftsordnung, dem Immunitätsausschuß weitergeleitet. Dieser legte dann das Begehren dem Plenum des Deutsches Bundestages vor,I07 das schließlich einer Durchsuchung zustimmte. I08 Auf den ersten Blick scheint in Anbetracht des geschilderten Sachverhalts die Rechtslage klar. Denn eindeutig hätte die Staatsanwaltschaft gemäß Art. 46 Abs. 2 GG für die Ermittlungstätigkeit die Genehmigung des Parlaments einholen müssen, um im Rahmen der Ermittlungen eine Durchsuren". So Magiera, in: BK, Rd. 82 zu Art. 46. Ähnlich in der Sache die Ansicht von Ahrens, S. 19, der meint, daß durch eine solche "Ausdehnung des Immunitätsschutzes der Abgeordnete in vielen Bereichen der Rechtsordnung nicht mehr unterworfen wäre". Hier wie schon an anderer Stelle im Hinblick auf die Stellungnahme zur Forderung einer restriktiven Auslegung des Immunitätsschutzes (vgl. A. I. 3. b) dd) mit Fn. 79) gilt unter Zugrundelegung des erweiterten Funktionsverständnisses die, wenn auch innerhalb seiner Erörterungen zweideutige Aussage von Bockelmann, S. 61, daß jeder Eingriff genügt, Schutzwirkungn zu entfalten, wenn sie den Betroffenen "gerade in seiner Eigenschaft als Abgeordneten beengen". So auch Meyer, S.15; Wagner, S. 120. Alles andere erscheint als eine unzutreffende Unterscheidung im Bewertungsrahmen eines einheitlichen Umstandes, nämlich die Beeinträchtigung, aus welchen Gründen auch immer, der Funktionsfähigkeit des Abgeordneten und damit des gesamten Parlaments. 105 Siehe dazu die Aufsätze von Rosen, ZRP 1974, S. 80f. und Bücker, ZRP 1975, S.23f. 106 Vgl. die Ausführungen zum Sachverhalt bei Rosen, ZRP 1974, S. 80. 107 Dies geschah in Form des "vereinfachten Geschäftsganges" gemäß Ziff. 3 des Beschlusses, in dem der Ausschuß eine "Vorentscheidung" traf, da er seinerseits den Antrag stellt, die begehrte Durchsuchung zu genehmigen. Vgl. Rosen, ZRP 1974, S. 80 mit Nachweis in Fn. 2. Zur Frage der Zulässigkeit des vereinfachten Verfahrens siehe unten A. II. 3. a). lOB Siehe BT-Protokolle, 70. Sitzung vom 12.12.1973, S. 4332.
3. Durchsuchung und Beschlagnahme im Ermittlungsverfahren
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chung und Beschlagnahme gemäß §§ 102 i.V.m. 105; 94 i.V.m. 98 StPO durchführen zu können.
a) Der Beschluß des Deutschen Bundestages betr. Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Bundestages vom 26. Februar 1969 In dem soeben geschilderten Zusammenhang bekam der seit der 5. Wahlperiode geltende, in der Überschrift genannte Beschluß des Deutschen Bundestages Bedeutung. lOg Dort heißt es in dessen Ziff. 1: "Der Deutsche Bundestag genehmigt bis zum Ablauf dieser Wahlperiode die Durchführung von Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder des Bundestages wegen Straftaten, es sei denn, daß es sich um Beleidigungen (§§ 185, 186, 187 a Abs. 1 StGB) politischen Charakters handelt. "110
Das bedeutet, daß der Bundestag von vornherein grundsätzlich gestattet, ohne im konkreten Einzelfall darüber zu beraten und abzustimmen, daß Ermittlungsverfahren gegen seine Mitglieder wegen Straftaten bis zur Klageerhebung durchgeführt werden dürfen. l11 Somit steht aufgrund dieses Beschlusses Ermittlungstätigkeiten gegen Abgeordnete namentlich durch Strafverfolgungsbehörden eine hemmende Genehmigung des Parlaments für den konkreten Einzelfall nicht im Wege. Folglich könnte man davon ausgehen, daß alle, die in einem Ermittlungsverfahren notwendigen und im Rahmen des Strafprozeßrechts zulässigen Zwangsmaßnahmen, besonders in diesem Zusammenhang Durchsuchung und Beschlagnahme, von der im voraus beschlossenen Genehmigung gemäß Ziff. 1 des Beschlusses mit umfaßt werden. Ob man die generelle Genehmigung derart weitgefaßt sehen kann, ist indes umstritten. Wesentliche formellrechtliche Gesichtspunkte lassen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Beschlusses aufkommen. Insoweit sind vor den Erörterungen zum Problem, wie der Beschluß, speziell in diesem Zusammenhang dessen Ziff. 1, zu verstehen und in die rechtliche Praxis umzusetzen ist, Fragen seiner formellen und materiellen Rechtmäßigkeit zu klären. Die Frage nach der formellrechtlichen Zulässigkeit des Beschlusses läßt sich dabei ausnahmsweise erst über eine vorherige Betrachtung seines materiellrechtlichen Inhalts am anschaulichsten beantworten. Denn die 109 Vgl. den "Beschluß des Deutschen Bundestages betr. Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Bundestages" in der Anlage 6 GOBT. Dieser Beschluß der 5. Wahlperiode ist wörtlich bis auf eine die Regelung in der Sache nicht berührende Änderung in der 7. WP vom 16.3.1973 für alle darauf folgenden WPen einschließlich der laufenden 11. übernommen worden. Siehe dazu im einzelnen Trossmann, § 114 (dem seit der Neufassung der GOBT vom 25. Juni 1980 der jetzige § 107 GOBT entspricht), Rd. 5, S. 873/874. 110 Siehe zum Begriff der politischen Beleidigung die ausführlichen Erörterungen bei AndrioJ, S. 47 - 54. 111 Vgl. Nr.l i. V.m. Nr. 2a des Beschlusses.
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A. Ir. Probleme der Immunität in der parlamentarischen Praxis
Problematik der formellrechtlichen Rechtmäßigkeit der Ziff. 1 des Beschlusses resultiert aus deren Regelungsgehalt im Verhältnis zu den verfassungsrechtlichen Immunitätsgrundsätzen des Art. 46 GG.112 aal Die inhaltliche Zulässigkeit der Ziff. 1 des Beschlusses Zweifelhaft könnte einmal sein, ob in Anbetracht des Art. 46 Abs. 2 GG eine generelle Genehmigung von Ermittlungen gegen Abgeordnete, wie es Ziff. 1 des Beschlusses vorsieht, materiellrechtlich zulässig ist. Denn in Art. 46 Abs. 2 GG heißt es: "Wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung darf ein Abgeordneter ohne Genehmigung des Bundestages nicht zur Verantwortung gezogen werden."
Folglich könnte man meinen, daß Art. 46 Abs. 2 GG eine Entscheidung im konkreten Einzelfall vorsehe.1 13 Ginge man von einem solchen Verständnis aus, dann müßte man die generelle Genehmigung als eine das Grundgesetz verletzende Rechtsänderung begreifen, weil das Institut der Immunität seinem Wesen nach umgestaltet würde, zumal, wenn man in dem generellen Aufhebungsbeschluß die Aufhebung des Immunitätsschutzes erblickt. 114 Entscheidend jedoch kommt es gemäß Art. 46 Abs. 2 GG auf die Genehmigung des Bundestages an. Ob diese Genehmigung im Einzelfall oder generell zu erteilen ist, darüber findet sich kein eindeutiger Hinweis in der Fassung des Art. 46 GG. Dagegen hat das Parlament ein berechtigtes Interesse an einer vorherigen Freigabe. Es resultiert aus dem Bedürfnis der Vermeidung negativer Publizität, die eine Einzelentscheidung mit sich bringt. ll5 Umibhängig davon, wie das Parlament entscheidet, erlangt die Abstimmung in der Regel eine starke Publizität, weil Immunitätsfälle eine erhebliche öffentliche Wirkung haben und dementsprechend für die Medien ein gesteigertes Verbreitungsinteresse besteht. Stellt sich später die Unschuld des Abgeordneten oder vielmehr dessen Anschuldigung als völlig "aus der Luft gegriffen" heraus, so geschieht dies meist unter "Ausschluß der Öffentlichkeit" ,116 weil dieser Umstand wohl weniger medienwirksam ist. Aufgrund dieser Tatsache wird der betroffene Parlamentarier auch später oftmals noch mit einer Verfehlung in Verbindung gebracht, auch wenn er sich derer nachweislich nicht schuldig gemacht hat. Diese negative Publizität bedeutet 112 Das gleiche Problem stellt sich im Hinblick auf die "Vereinfachung des Geschäftsganges" gemäß Ziff. 3 und 4 i. V. m. Ziff. 5 des Beschlusses. Jedoch wird diese Regelung erst später in die Erörterung mit einbezogen, so daß folglich erst dann auf die Frage ihrer rechtlichen Zulässigkeit eingegangen werden wird. 113 Vgl. dazu Magiera, in: BK, Rd. 92 zu Art. 46 m. w. N. 114 Vgl. zu diesen Bedenken Ahrens, S.126; Heydlauf, S.149; Magiern, in: BK, Rd. 92 zu Art. 46. 115 Bücker, Aktuelle Fragen, S. 47. 116 Vgl. Bücker, Aktuelle Fragen, S. 47; zu dem Problem der negativen Publizität auch Schorn, NJW 1966, S. 235.
3. Durchsuchung und Beschlagnahme im Ermittlungsverfahren
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eine Schlechterstellung gegenüber dem Normalbürger, die um so deutlicher wird, wenn man sich vor Augen hält, daß die gemäß Art. 46 Abs. 2 GG erforderliche Parlamentsentscheidung über die Freigabe einer strafrechtlichen Ermittlung erst zu befinden hat, und somit zu diesem Zeitpunkt von den Anschuldigungen ein klares Bild oder eine eindeutige Beweislage der Strafverfolgungsbehörde noch gar nicht vorliegen kann. Die Tatsache an sich aber, daß man gegen den Abgeordneten ein Verfahren einleiten will, hat die Wirkung, den Abgeordneten in der Öffentlichkeit zu kompromittieren. l17 Selbstverständlich muß sich der Abgeordnete wie jeder andere Bürger verantworten. Der Umstand aber, daß er aufgrund seiner Stellung verstärkt im Rampenlicht der Öffentlichkeit steht, darf nicht dazu führen, daß nur der bloße Vorwurf eines Rechtsverstoßes ihn zum Spielball der Medien macht. Die negative Publizität ändert aber nichts an der grundsätzlich zu beachtenden Vorgabe des Art. 46 Abs.2 GG, daß eine Abstimmung über die Zulassung einer Ermittlungshandlung stattzufinden hat. Wäre aber diese Regelung des Art. 46 Abs. 2 GG so zu verstehen, daß über jeden einzelnen Immunitätsfall ausdrücklich im Parlament beraten und abgestimmt werden müßte, dann würden solches Verständnis und die daraus folgende entsprechende praktische Handhabung in Anbetracht der obigen Überlegungen Konsequenzen mit sich bringen, die der Intention der Immunität widersprächen. Dienen die verfassungsrechtlichen Immunitätsgrundsätze dem Schutz der Funktionsfähigkeit des Parlaments, so haben sie auch die des einzelnen Abgeordneten als dessen Teil im Auge, repräsentiert doch das Parlament erst als Gemeinschaft der Abgeordneten den Volkswillen. Wirkung und Bedeutung der Repräsentation sind aber abhängig von dem bereits oben angesprochenen Aspekt des Vertrauens zwischen Bürger und Parlament (-arier). Somit zielt zwangsläufig die Immunität auch auf die Sicherung dieses Vertrauensverhältnisses. Es ist aber einem repräsentativen, auf Vertrauen basierendem Parlamentarismus nicht zuträglich, wenn seine Repräsentanten wegen vor allem vermeintlicher Rechtsverstöße aufgrund öffentlicher parlamentarischer Diskussionen und Abstimmungen hinsichtlich ihrer Ermittlung in die Schlagzeilen geraten. 1l8 Denn die Folge ist häufig eine "Vorverurteilung" des Abgeordneten und ein sich daraus ergebender Vertrauensschwund, speziell denjenigen gegenüber, die ihn in das Parlament gewählt haben; eine Konsequenz, die um so bedauerlicher ist, als erst die erwiesene Strafhand117 Das zeigt, um noch einmal auf frühere Erörterungen zurückzukommen, daß man schon aufgrund dieser Tatsache von einer Besserstellung des Abgeordneten durch die Immunitätsregeln nicht sprechen kann. 118 Interpretiert man das Abstimmungsrecht bzw. seine Handhabung solchermaßen im Sinne des Art. 46 Abs. 2 GG, so wird aufgrund dieser Überlegung deutlich, daß die Immunitätsregeln demzufolge schwerlich (auch) dazu dienen können, das Ansehen und die Würde des Parlaments zu sichern. So aber grundsätzlich Maunz, in: MDHS, Rd. 26 zu Art. ~6 m. w. N.; Reh, NJW 1959, S. 86; Nau, NJW 1958, S.1669 und die genannten bei Ahrens, S. 98/99, Fn. 218.
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A. 11. Probleme der Immunität in der parlamentarischen Praxis
lung eine solche Wirkung verständlich machen würde, jedoch hier bereits durch die bloße Anschuldigung, verbunden mit der notwendigen parlamentarischen Entscheidung über deren behördliche Klärung, die Integrität des Mandatsträgers in Zweifel gezogen wird. Eine solchermaßen unziemliche Publizität liegt unter dem Aspekt der Wahrung und Förderung parlamentarischer Repräsentation nicht im Sinne der Immunitätsgrundsätze. Folglich tastet die Regelung der Ziff. 1 des Beschlusses nicht nur den Regelungskern der verfassungsrechtlichen Immunitätsgrundsätze nicht an, sondern sie ist Ausdruck des Rechts des Bundestages, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, diese konkretisierungsbedürftigen Grundsätze für seine Belange angemessen zu behandeln. Anderenfalls könnte man von einem Privileg des Parlaments kaum mehr sprechen. Daß im Rahmen der Ausgestaltung dieses Privilegs der Bundestag mit der generellen Freigabe von Ermittlungen dem unverzichtbaren Aspekt der Angemessenheit Rechnung getragen hat, ergibt sich aus dem genannten berechtigten Interesse an der Vermeidung negativer Publizität. Die oben erwähnte Befürchtung, das Parlament würde sich durch die vorweggenommene Zustimmung des ihm dienenden Immunitätsschutzes begeben, erweist sich insoweit als unbegründet, als dem Parlament jederzeit die Möglichkeit gegeben ist, die Aussetzung des "Zur-Verantwortung-Ziehen" gemäß Art. 46 Abs. 4 GG zu verlangen, unabhängig davon, ob es diese Maßnahme genehmigt hatte oder nicht.1 19 Die generelle Genehmigung stellt also einen Versuch dar, die praktische Handhabung der verfassungsrechtlichen Immunitätsgrundsätze unter Beachtung der Bedürfnisse des Parlaments im Hinblick auf seine Funktionsfähigkeit angemessen festzulegen, ohne dabei die Prinzipien des Art. 46 Abs. 2 GG auszuhöhlen, sondern im Gegenteil, ihnen durch ihre Anpassung an die Erfordernisse und Begleiterscheinungen des Parlamentarismus deren Sinn und Zweck zu erhalten. Somit bestehen keine Bedenken gegen die materielle Zulässigkeit der Ziff. 1 des Beschlusses. bb) Die formelle Zulässigkeit der Ziff. 1 des Beschlusses Kommt man zu dem Ergebnis, daß in der generellen Genehmigung keine das Grundgesetz verletzende Rechtsveränderung zu erblicken ist,12O so könnte man dennoch einwenden, daß eine so modifizierte Rechtsanwendung im Sinne der grundgesetzlichen Immunitätsvorschriften, wenn schon keine Grundgesetzänderung,_so doch zumindest ein formelles Gesetz gemäß dem Verfahren der Art. 76 - 82 GG erforderte, und folglich ein schlichter ParlaVgl. dazu Magiera, in: BK, Rd. 84 zu Art. 46 m.w.N. Zum gleichen Ergebnis kommen, wenn auch mit anderer Begründung, Magiera, in: BK, Rd. 92 zu Art. 46; Ahrens, S. 127. Siehe auch die zu dieser Frage ausführlichen Erörterungen bei Heydlauf, S. 146 - 150. 119 120
3. Durchsuchung und Beschlagnahme im Ermittlungsverfahren
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mentsbeschluß dazu nicht ausreicht. Regelmäßig stellen schlichte Parlamentsbeschlüsse sogenanntes "Innenrecht" dar, das innerhalb einer in der juristischen Konstruktion als Einheit vorgestellten Rechtspersönlichkeit (hier dem Parlament) eine Regelung trifft 121 und sich somit nicht durch Außenwirkung auszeichnet. Gerade aber in Ansehung des Art. 46 Abs. 2 GG läßt sich der Begriff des schlichten Parlamentsbeschlusses umreißen als der Hoheitsakt des Parlaments, der" ... sich nicht allein auf die intraparlamentarischen Rechtsverhältnisse bezieht", sondern auch mit" ... einem einheitlichen, auf Mehrheit gestützen Willen des Parlaments mit Erzeugung einer bestimmten Rechtswirkung nach außen, ohne Gesetzesform bekommen zu wollen, "122 beschrieben werden kann. Die Frage der Zulässigkeit des Beschlusses vom 26. Februar 1969 entstünde demnach nur dann, wenn er auf keiner ausdrücklichen Rechtsgrundlage beruhte.1 23 Die generelle Genehmigung von Ermittlungen durch den Bundestag mittels einfachen Parlamentsbeschlusses modifiziert eine Entscheidungskompetenz, die dem Bundestag ausdrücklich in Form eines schlichten Parlamentsbeschlusses gemäß Art. 46 Abs.2 GG zugewiesen wird. Damit ist ein Gesetz im Sinne der Art. 76 - 82 GG entbehrlich und demzufolge der Beschluß formellrechtlich nicht zweifelhaft. Folgt aus all den Erörterungen, daß die generelle Freigabe von Ermittlungsverfahren mittels einfachen Parlamentsbeschlusses formell und materiell rechtmäßig ist, so scheint diese Regelung im Hinblick auf konkrete Immunitätsfälle in der rechtlichen Praxis keinen einvernehmlichen Orientierungsmaßstab für die Beteiligten zu geben, gibt es doch keine einheitliche Auffassung darüber, wie weitgefaßt die generelle Genehmigung zu verstehen ist. b) Das unterschiedliche Rechtsverständnis im Hinblick auf die generelle Genehmigung An dem oben angesprochenen Fall Wienand entzündete sich, wie erwähnt, eine Kontroverse zwischen der Strafverfolgungsbehörde und dem Deutschen Bundestag, wie weit die generelle Freigabe von Ermittlungsverfahren im Hinblick auf ihre einzelnen Maßnahmen und Handlungsakte - beispielsweise an der Frage, ob die generelle Genehmigung auch die Zustimmung zur Durchsuchung gemäß §§ 102, 105 StPO und eine sich daran regelmäßig anschließende Beschlagnahme gemäß § 94 i. V. m. § 97 StPO mit umfaßt reicht. Starck, S. 22. Achterberg, Parlamentsrecht, S. 738 mit Nachweisen aus dem Schrifttum zum Inhalt schlichter Parlamentsbeschlüsse. Siehe dazu Obermeier, S.4: "Im GG sind zahlreiche Gegenstände aufgeführt, die das Parlament in Form eines schlichten Beschlusses zu regeln hat. Die rechtliche ... Bedeutung der einzelnen Fälle ist ganz unterschiedlich." Vgl. zusätzlich dort S. 2 einschließlich Fn. 2 d. 123 Achterberg, Parlamentsrecht, S. 741. 121
122
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A. 11. Probleme der Immunität in der parlamentarischen Praxis
Die Bonner Staatsanwaltschaft bejahte diese Frage und ging davon aus, daß eine generelle Genehmigung von Ermittlungsverfahren folgerichtig alle, die in einem solchen Verfahren erforderlichen und strafverfahrensrechtlich zulässigen Zwangsmaßnahmen, namentlich in diesem Zusammenhang Durchsuchung und Beschlagnahme, mit einbeziehe.l 24 Konsequenterweise zog sie im Hinblick auf ihr Durchsuchungsbegehren gegenüber dem Bundestagspräsidenten die Schlußfolgerung, daß das Bundestagspräsidium aufgrund dessen eine Durchsuchung der Büroräume des Abgeordneten Wienand im Bundeshaus grundsätzlich hätte zur Durchführung kommen lassen müssen, ohne den Immunitätsausschuß und das Plenum mit dem. Vorgang zu befassen.l 25 Abgesehen davon, daß zwar der Adressat eines solchen Ersuchens der Bundestagspräsident gemäß Art. 40 Abs. 2 GG aufgrund seines Hausrechts ist, aber eine Entscheidung darüber ihm und seinen Stellvertretern nach der Geschäftsverteilung des Bundestages nicht zusteht,126 stellt sich vielmehr die Frage, ob innerhalb eines Ermittlungsverfahrens in Anbetracht des Schutzzweckes der Immunität Differenzierungen im Rahmen der Genehmigung hinsichtlich seiner einzelnen Ermittlungsakte notwendig, sinnvoll und überhaupt zulässig sind. Für die parlamentarische Praxis ist diese Frage in Anbetracht von Durchsuchung und Beschlagnahme im Ermittlungsverfahren noch immer nicht geklärt. Die Beantwortung der Frage hängt davon ab, ob die verfassungsmäßig vollzogene Trennung zwischen Genehmigung für die Ermittlung und der Genehmigung für eine sich daran anschließende Zwangsmaßnahme gegen die räumlich-körperliche Bewegungsfreiheit des Abgeordneten schon innerhalb des Ermittlungsverfahrens selbst möglich ist. Dabei wäre zwischen Ermittlung einschließlich und ausschließlich Durchsuchung und Beschlagnahme zu unterscheiden. Eine solche Differenzierung hätte zur Folge, daß nach ersterer Alternative Durchsuchung und Beschlagnahme von der generellen Genehmigung erfaßt würden,127 im Falle der zweiten Alternative Durchsuchung und Beschlagnahme einer eigenständigen Genehmigung des Parlaments bedürften. 128
Vgl. Rosen, ZRP 1974, S. 8I. Vgl. Rosen, ZRP 1974, S. 8I. 126 Vgl. dazu § 107 GOBT, wonach gemäß Abs.1 der Präsident ein Ersuchen in Immunitätsangelegenheiten unmittelbar an den Immunitätsausschuß weiterzuleiten und dieser gemäß Abs. 2 eine Beschlußempfehlung an den Bundestag zu erarbeiten hat. Siehe zu § 107 GOBT auch die Kommentierung von BückeT, in: Ritzel / Bücker. 127 Ermittlungsstoffsammlung ohne Zwangsmaßnahmen wie Zeugenvernehmung, Sichtung bereits vorliegender Beweismittel etc. 128 Dies wäre notwendig, folgend aus der laut BückeT, ZRP 1975, S. 23ff., im damaligen Ausschuß überwiegenden Ansicht, daß Beschlagnahme und Durchsuchung von der generellen Genehmigung ausgenommen seien. 124 125
3. Durchsuchung und Beschlagnahme im Ermittlungsverfahren
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c) Durchsuchung und Beschlagnahme unter
Berücksichtigung des Vertrauensverhältnisses zwischen Bürger und Abgeordnetem Die Alternative, Durchsuchung und Beschlagnahme einem eigenständigen Genehmigungsvorbehalt des Bundestages zu unterwerfen, stellt sich auf den ersten Blick vorzugswürdiger dar. Dies erscheint plausibel, je mehr man zu dem Ergebnis kommt, daß auch sie in die persönliche Freiheit des Mandatsträgers eingreifen können, wenn man die Freiheit des Abgeordneten im Blickwinkel seiner Entfaltungsmöglichkeiten als Parlamentarier sieht und diese mit dessen Arbeitsfähigkeit gleichsetzt. Versteht man den Abgeordneten als Volksvertreter, dessen Bindung zu Personen- und Interessengruppen Wirkung auf die parlamentarische Arbeit zeitigt, und somit das Parlament ein Forum der Integration und Mediatisierung ist, dann hat man den damit verbundenen Vertrauensschutzgedanken zwischen Wähler und Gewählten zu berücksichtigen. Folglich können Durchsuchung und Beschlagnahme, beispielsweise von persönlichen Dokumenten und Schriftstücken im Rahmen des hier zugrunde gelegten Funktionsverständnisses des Abgeordneten, eine Funktionsbeeinträchtigung darstellen, die es zu vermeiden gilt. Daß der Vertrauensschutzgedanke innerhalb der Überlegungen zur praktischen Handhabung von Durchsuchung und Beschlagnahme im Ermittlungsverfahren gegen Abgeordnete mit einzubeziehen ist, wird auch dadurch deutlich, daß dieser Vertrauensschutz sich ausdrücklich in Art. 47 GG manifestiert findet. Gemäß Art. 47 Satz 1 GG sind Abgeordnete berechtigt, "Zeugnis über Personen zu verweigern, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Abgeordneter oder denen sie in dieser Eigenschaft Tatsachen anvertraut haben, sowie über die Tatsachen selber Zeugnis zu verweigern". Folglich verbietet Satz 2 dieser Norm auch die Beschlagnahme von Schriftstücken, d.h., die Herausgabe von verkörperten Gedankenerklärungen über Tatsachen im Sinne des Satzes 1 hoheitlich zu erzwingen, um die Umgehung des Zeugnisverweigerungsrechts nach Satz 1 durch Einziehung solcher Schriftstücke zu verhindern. 129 Da einer Beschlagnahme regelmäßig eine Durchsuchung vorausgeht, muß Art. 47 Satz 2 GG ebenfalls als Verbot der Durchsuchung nach Schriftstücken verstanden werden,130 da eine Durchsuchung ohne die Möglichkeit ihrer Beschlagnahme keinen Beweissicherungswert hat. Die Beschlagnahme eines Schriftstückes gemäß Art. 47 Satz 2 GG ist aber nur dann zulässig, wenn sie eine Zeugenaussage nach Satz 1 dieser Norm ersetzen kann. 131 Das bedeutet, daß der Abgeordnete gemäß Art. 47 GG nur 129
130 131
Maunz, in: MDHS, Rd.18 zu Art. 47. Maunz, in: MDHS, Rd.15 zu Art. 47. Maunz, in: MDHS, Rd.18 zu Art. 47.
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A. 11. Probleme der Immunität in der parlamentarischen Praxis
privilegiert und geschützt ist, wenn er die Stellung eines Zeugen hat. 132 Folglich könnte man einwenden, daß der Vertrauensschutzgedanke des Art. 47 GG im Rahmen des Immunitätsrechts unbeachtlich sei, da es dort um den Abgeordneten als Beschuldigten geht. Aber die Tatsache, daß der Abgeordnete Beschuldigter ist, ändert an dem grundsätzlichen Anspruch auf Vertrauen desjenigen, dem mittelbar der Immunitätszweck in Hinblick auf den Repräsentationsgedanken zugute kommt, nämlich dem Vertretenen, dem Bürger,133 grundsätzlich nichts. Denn ein notwendiger Zusammenhang zwischen einer (insbesondere vermeintlichen) Anschuldigung des Abgeordneten, eine Straftat begangen zu haben und seiner auf Vertrauen zum Wähler begründeten parlamentarischen Arbeit ist nicht zwangsläufig herzustellen.1 34 Auch wenn darauf hinzuweisen bleibt, daß das Zeugnisverweigerungsrecht aus Art. 47 GG mit dem Immunitätsrecht aus Art. 46 Abs. 2 GG nichts zu tun hat, so geht es nicht an, aus der Tatsache, daß das Zeugnisverweigerungsrecht dem Vertrauensschutz diene, herzuleiten, alles was dem Vertrauensschutz nütze, könne immunitätsrechtlich nicht geschützt werden, da das Immunitätsrecht eine andere Funktion habe. Folglich kommt man zu dem Ergebnis, daß innerhalb eines "Zur-Verantwortung-Ziehen" zwischen den damit verbundenen möglichen Zwangsmaßnahmen bei ihrer Genehmigung zu differenzieren ist. Zwar ist die Aufhebung der Immunität angesichts des tatsächlichen Vorgangs nicht teilbar, wohl aber bezüglich der verschiedenen möglichen Untersuchungs akte und Maßnahmen der Behörde. 135 Unter dem Aspekt des Vertrauensschutzes kann die Genehmigung einer Strafverfolgung, ob konkret oder generell, wie es seit der 5. Wahlperiode der Parlamentsbeschluß vorsieht, Durchsuchung und Beschlagnahme im Ermittlungsverfahren prinzipiell nicht einbeziehen. 136 4. Die generelle Genehmigung als Interessenausgleich zwischen Strafverfolgungsbehörde und Parlament
Berücksichtigt man, daß die Stellung des Abgeordneten als Beschuldigter eine andere ist, als diejenige als Zeuge, da das Strafverfolgungsinteresse sich in ersterem Falle gegen den Mandatsträger selbst richtet, so muß dessen Unantastbarkeit im Lichte seiner parlamentarischen Funktionalität eine Bedeutungsverschiebung erfahren. Das drückt sich darin aus, daß die immunitätsrechtliche Unantastbarkeit ins Verhältnis zur Funktionsfähigkeit und somit zu den Interessen des Parlaments als Ganzes zu setzen ist und 132 Maunz, in: MDHS, Rd. 20 zu Art. 47; a.A. v. Mangoldt / Klein, Anm. Irr 5d zu Art. 47. 133 Siehe dazu A. 1. 3. b) dd). 134 Vgl. ebenso dazu die Überlegung unter A. 1. 3. b) dd). 135 BückeT, Aktuelle Fragen, S. 49. 136 So im Ergebnis auch der Beschluß des Bayerischen Landtages vom 3. Februar 1981, Drs. 9/7144.
4. Die generelle Genehmigung als Interessenausgleich
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folgerichtig gemäß Art. 46 Abs. 2 GG die Entscheidung über die Aufhebung der Immunität allein diesem obliegt, während der Abgeordnete aufgrund seiner Stellung als Zeuge gemäß Art. 47 GG ein eigenes Entscheidungsrecht darüber hat, ob er Zeugnis ablegen oder es verweigern will und es folglich nicht zur Disposition des Bundestages steht. 137 Trotz der vermittels des Immunitätsrechts geltenden Priorität der parlamentarischen Funktionsfähigkeit muß eine möglichst umfassende Wahrheitsfindung im Hinblick auf die Verdl;lchtsmomente gegen den Abgeordneten gewährleistet werden, um einerseits einen, wenn auch erst später vollziehbaren Strafanspruch des Staates zu begründen, andererseits, um im Interesse des Beschuldigten unzutreffende Vorwürfe zu entkräften. Dieser Interessengegensatz zwischen Parlament und Ermittlungsbehörde schien durch die generelle Genehmigung der Strafverfolgung gemäß Ziff. 1 des Beschlusses des Deutschen Bundestages entschärft worden zu sein. Auch wenn der Bundestag mit diesem Beschluß mehr der negativen Publizität, die eine Einzelentscheidung mit sich bringt, entgegenwirken wollte, und somit das Interesse seiner Mitglieder im Vordergrund stand, so kommt diese Regelung auch der Ermittlungsbehörde zugute, da sie dadurch grundsätzlich in ihrer Ermittlungstätigkeit frei ist. In Anbetracht der Sachlage im Fall Wienand, bezogen auf das Durchsuchungsbegehren der Bonner Staatsanwaltschaft, erschien dieser Interessenausgleich trügerisch. Dies galt nicht nur aus der Sicht der Strafverfolgungsbehörde, deren rascher Zugriff für eine effiziente Beweissicherung durch die neuerliche Entscheidung des Plenums über das Durchsuchungsverlangen verzögert wurde; sondern auch aus der Sicht des Parlaments wurde damit die generelle Genehmigung ihrer wesentlichen Bedeutung beraubt, da im konkreten Fall eine Entpublizierung des Strafverfahrens nicht erreicht wurde. Zwar steht es dem Bundestag zu, so zu verfahren, denn wenn ihm gemäß Art. 46 Abs. 2 GG gestattet ist, die Genehmigung zur Strafverfolgung überhaupt zu verweigern, so ist ihm erst recht überlassen, auch bei genereller Freigabe der Durchführung von Ermittlungsverfahren bestimmte Untersuchungsakte und Maßnahmen der Behörde auszunehmen.l 38 Geht man von der Prämisse aus, daß im Rahmen einer Genehmigung von Ermittlungen hinsichtlich ihrer verschiedenen verfahrensrechtlichen Untersuchungsakte gegebenenfalls zu differenzieren ist,139 dann setzt dies die Einzelbetrachtung eines jeden für das Parlament zur Entscheidung anstehenden Immunitätsfalles voraus. Denn erst die erkennbare Wirkung der konkreten Maßnahmen läßt unter Berücksichtigung der ungestörten Funktionsfähigkeit des Parlaments eine Entscheidung zu] ob diese zu 137 138
139
Dazu Maunz, in: MDHS, Rd. 3 zu Art. 47. BückeT, Aktuelle Fragen, S. 50. Siehe dazu unter A. 11. 3. cl.
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A. II. Probleme der Immunität in der parlamentarischen Praxis
genehmigen ist oder nicht. Demzufolge kann eine vorherige generelle Zustimmung des Parlaments zur Durchführung von Ermittlungsverfahren gegen seine Mitglieder grundsätzlich die Auswirkung eines solchen Verfahrens für den Abgeordneten in Anbetracht der Wahrnehmungsmöglichkeiten seiner parlamentarischen Aufgaben und die damit verbundenen Folgen für die Funktionalität des Parlaments insgesamt keine angemessene Würdigung gewährleisten. Allerdings fällt diese Konsequenz der generellen Genehmigung weniger ins Gewicht, wenn sich die Ermittlungen in Grenzen bewegen, die verfahrensrechtliche Zwangsmaßnahmen nicht einbeziehen. Denn Zeugenbefragungen anderer etwa berühren die Wahrnehmungsmöglichkeiten parlamentarischer Aufgaben des Mandatsträgers nicht unmittelbar. Insoweit bestehen keine Bedenken, Ermittlungsakte solcher Art von vornherein zu gestatten. Vielmehr erscheint dies aus der Sicht des Parlaments wünschenswert, wenn dadurch der mit einer Einzelentscheidung des Plenums verbundenen negativen Publizität begegnet werden kann, so daß festzustellen ist, daß Ziff. 1 des Beschlusses prinzipiell eine für die Bedürfnisse sowohl des Parlaments als auch der Ermittlungsbehörde zumindest im Ansatz interessen ausgleichende Regelung darstellt. Dennoch bleibt weiterhin für das Durchsuchungs- und Beschlagnahmerecht der ermittelnden Behörde die bereits angesprochene Einzelfallgenehmigung nach wie vor erforderlich, um dem Parlament die Möglichkeit zu geben, die mit diesen Zwangsmaßnahmen verbundenen Wirkungen auf die parlamentarische Arbeit des betroffenen Abgeordneten konkret würdigen zu können. Dabei ist unter Zugrundelegung des erweiterten Funktionsverständnisses des Abgeordneten einschließlich des damit verbundenen Vertrauensschutzes all das als Beschränkung der persönlichen Freiheit des Abgeordneten zu verstehen, was ihn gerade in seiner Eigenschaft als Parlamentarier beengt und von der generellen Genehmigung auszunehmen,140 Angesichts einer darauf abstellenden Entscheidungsfindung geben sowohl die Ziff. 1 als auch bei weiterer Betrachtung die nachfolgenden Regelungen des Beschlusses keinen Orientierungsmaßstab. Besonders deutlich wird dies anhand der Ziff. 2 c des Beschlusses. Danach umfaßt die Genehmigung im Sinne der Ziff. 1 nicht "freiheitsentziehende und freiheitsbeschränkende Maßnahmen im Ermittlungsverfahren",141 Was aber solche Maßnahmen sind, ist genauso konkretisierungsbedürftig wie der Begriff der "anderen Beschränkungen der persönlichen Freiheit" in Art. 46 Abs. 3 GG. Zwar kann man zur inhaltlichen Bestimmung der Ziff. 2 c des Beschlusses die gemäß § 107 Abs. 2 GOBT vom Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung herausgearbeiteten Grundsätze über die Behandlung von Immunitätsangelegenheiten heranziehen,142 Allerdings zeigt sich bei 140 141
Siehe dazu unter A. 1. 3. b) bb) - dd). Vgl. Ziff. 2c des Beschlusses.
142 Ebenfalls als Anlage 6 GOBT, siehe Anhang.
4. Die generelle Genehmigung als Interessenausgleich
47
genauerer Prüfung dieser innerparlamentarischen Handhabungsrichtlinien, daß der dort in Ziff. 14 aufgeführte Katalog der Maßnahmen, die gemäß Ziff. 2 c des Beschlusses von der generellen Genehmigung eindeutig ausgeschlossen sein sollen, nur diejenigen umfaßt, die die räumlich-körperliche Bewegungsfreiheit einschränken. 143 Für die Behandlung der anderen Beschränkungen findet sich also keine ausdrückliche Regelung, es sei denn, man erachtet aufgrund des Ausnahmekataloges diese von der generellen Genehmigung mit einbezogen und qualifiziert die Ziff. 1 des Beschlusses als eindeutige Handhabungsregel. Es besteht aber kein Anlaß, etwa Durchsuchung und Beschlagnahme als von Ziff. 1 des Beschlusses mitumfaßt zu begreifen, auch wenn man den Ausnahmekatalog der vom Immunitätsausschuß aufgestellten Grundsätze zugrunde legt. Dagegen spricht das Vorgehen des Parlaments, das im Fall Wienand für die Durchsuchung eine neuerliche, von der generellen Freigabe unabhängige Abstimmung des Parlaments vornahm, und damit faktisch Durchsuchung und Beschlagnahme von der Regelung der Ziff. 1 des Beschlusses ausgenommen wurden. Demnach ist davon auszugehen, daß man für die Durchsuchung und Beschlagnahme, wenn auch im Beschluß und den Grundsätzen nicht festgelegt, in der parlamentarischen Praxis eine ausdrückliche Genehmigung des Bundestages als erforderlich erachtet. Dies stellt eine Konsequenz dar, die sich bei näherer Betrachtung als nicht unproblematisch erweist, da sie den Interessen der Beteiligten kaum gerecht werden kann. Einerseits wird dadurch eine berechtigte Entpublizierung des Verfahrens nicht erreicht, andererseits eine, aus der Sicht der Strafverfolgungsbehörde notwendige, unverzügliche Beweissicherungsmaßnahme unnötig verzögert.1 44 Zwar könnte man in Anbetracht der Öffentlichkeitswirkung einer parlamentarischen Einzelberatung und -entscheidung einwenden, daß dies für die Beurteilung des Bundestages, inwieweit Zwangsmaßnahmen gegen den Abgeordneten die Funktionsfähigkeit des ganzen Parlaments berühren, notwendig sei, und das Entpublizierungsinteresse des betroffenen Mandatsträgers ebenso wie das Verlangen der Verfolgungsbehörde an weitestgehend ungehinderter Ermittlung zurückzustehen hätte. Allerdings begünstigt die Zurückstellung des Entpublizierungsinteresses des Abgeordneten zugunsten einer öffentlichkeitswirksamen Einzelentscheidung eine Schwächung der Integrationsfähigkeit des Abgeordneten als Attribut der Repräsentationsfunktion der gesamten Volksvertretung 145 und vereitelt damit eine angepaßte Konkretisierung des Parlamentsprivilegs Immunität. Folglich sind Abgeordnetenund Parlamentsinteresse verknüpft und nicht zum Zweck ihrer Wertigkeitsabwägung gegenüberstellbar. Weiterhin gilt es zu bedenken, daß zwar die 143
sätze. 144 145
Vgl. im einzelnen die Ziffern 6, 7, 8 und insbesondere die Ziff.14 der GrundSiehe dazu A. 11. 4. Vgl. dazu die Erläuterungen unter A. I. 3. b) dd).
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A. Ir. Probleme der Immunität in der parlamentarischen Praxis
Bedürfnisse der Strafverfolgungsbehörde an weitestgehend unbeeinträchtigter Ermittlungstätigkeit als auch die Belange des Parlaments grundsätzlich konfligierende Interessen darstellen, jedoch fraglich erscheint, ob deren Bedeutungsrangfolge in allen Fällen zwingend zugunsten der letzteren auszufallen hat. Insbesondere, wenn durch die Einzelfallentscheidung des Bundestages, der Verfolgungsbehörde alle adäquaten Möglichkeiten zur Klärung eines Immunitätsfalles in unangemessener Weise genommen wird. Wäre es für eine effiziente Ermittlung notwendig, eine Durchsuchung beim beschuldigten Abgeordneten durchzuführen, so könnte durch eine Plenarberatung und -entscheidung darüber dieser gewarnt und in die Lage versetzt werden, Beweismittel beiseite zu schaffen oder den Sachverhalt in anderer Weise zu verdunkeln.l 46 Auch wenn die Priorität parlamentarischer Interessen aufgrund der Prämisse, daß die Immunität ein Privileg des Parlaments ist, sich im Grundsatz in dessen Genehmigungsvorbehalt gemäß Art. 46 GG dokumentiert, so ist sie gleichwohl nicht statisch. Vielmehr hat sich die parlamentarische Umsetzung des Immunitätsprivilegs an den Bedürfnissen effektiver Ermittlungstätigkeit zu orientieren, wenn dies, ohne daß dabei der Schutzzweck der Immunität ausgehöhlt wird, möglich ist. Dabei kann sich die Präferenz des Genehmigungsprivilegs in Form parlamentarischer Verhandlung zu Lasten der Ermittlungsbehörde nur manifestieren, wenn die Debatte die einzige Möglichkeit darstellt, die Entscheidungsfindung über begehrte Zwangsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren zu gewährleisten. Festzuhalten bleibt, daß insbesondere die soeben genannten möglichen Folgen einer Beschneidung der Ermittlungsarbeit, bedingt durch eine öffentlichkeitswirksame Parlamentsentscheidung, um so mißlicher erscheinen, wenn man davon ausgehen kann, daß der Bundestag einem Genehmigungsersuchen der Verfolgungsbehörde im Hinblick auf die Durchführung von Zwangshandlungen in der Regel entspricht. 147 Diese Tatsache deutet nämlich darauf hin, daß sich erfahrungsgemäß das Parlament durch Zwangsmaßnahmen innerhalb eines Ermittlungsverfahrens gegen seine Mitglieder der Gefahr einer damit verbundenen Funktionsbeeinträchtigung seinerseits nicht ausgesetzt fühlt, zumindest aber diese Befürchtung dem Interesse an dessen "Integrität und Sauberkeit" zurücksteht. 148 Dies erscheint einsichtig, steht doch der beschuldigte Abgeordnete zum Zeitpunkt des Ermittlungsverfahrens dem Bundestag und seinen Gremien mit seiner Person grundsätzlich zur Verfügung. 149 Anders würde sich die Situation für die Funktionalität des Parlaments hingegen darstellen, wenn es um die Vollstreckung von Haftmaßnahmen gegen den Mandatsträger geht. In diesem Fall würde ihm ein Entscheidungsträger, oder noch deutlicher, ein Ranft, ZRP 1981, S. 273. Vgl. z. B. die einer versuchten Entscheidungsanalyse zugrundegelegten Immunitätsfälle bei Heydlauf, S. 46 ff. 148 Heydlauf, S. 47 m.w.N. 149 Vgl. Art. 46 Abs. 2 GG. 146
147
4. Die generelle Genehmigung als Interessenausgleich
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individueller Integrationsfaktor genommen, der nicht beliebig durch einen anderen Abgeordneten ersetzt werden kann. Dies berührt die Belange des ganzen Parlaments und läßt folglich eine dezidierte Genehmigungsentscheidung aller Parlamentsmitglieder in Form der parlamentarischen Verhandlung als Grundlage einer ausgewogenen und damit angemessenen Willensbildung, als notwendig erscheinen.l 5o Vor dem Hintergrund der Gegenüberstellung dieser unterschiedlichen Sachverhalte zeigt sich in Anbetracht von Zwangsmaßnahmen, wie Durchsuchung und Beschlagnahme, die bereits oben angedeutete Wertigkeitsverschiebung der berechtigten Interessen des Parlaments zugunsten derjenigen der Verfolgungsbehörde. Denn die genannten Wirkungen einer öffentlichen parlamentarischen Verhandlung über die Genehmigung von Zwangsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren stehen in keinem angemessenen Verhältnis zu ihrer Notwendigkeit, wenn man grundsätzlich davon ausgehen kann, daß Durchsuchung und Beschlagnahme an sich keinen entscheidenden Einfluß auf die Funktionsfähigkeit der Volksvertretung zeitigt. Folglich käme man zu der Schlußfolgerung, in einem solchen Fall auf eine Plenarverhandlung und -entscheidung zu verzichten. Ob dies aber die Konsequenz hätte, demzufolge diese Zwangsmaßnahmen von der generellen Genehmigung uneingeschränkt gemäß Ziff. 1 des Beschlusses mit umfaßt zu erachten, erscheint bedenklich. Gerade unter dem Gesichtspunkt der Wahrung des Vertrauensverhältnisses zwischen Mandatsträger und Bürger sind Eingriffe in die Abgeordnetenstellung mittels Durchsuchung und Beschlagnahme verstärkt zu berücksichtigen. Im Gegensatz zu Ermittlung ohne deren Notwendigkeit zwingt dieser Umstand zu der Kodifizierung einer entsprechenden Handhabungsregelung durch den Bundestag in Abweichung von Ziff. 1 des Beschlusses. Will man aber die für alle Beteiligten bestehenden Mißlichkeiten der negativen Publizität verhindern, so könnte dies nur unter Verzicht auf ein öffentlichkeitswirksames Genehmigungsverfahren geschehen. An dieser Erkenntis würden auch die Maßnahmen nichts ändern, den Namen des Abgeordneten in der Immunitätsdebatte nicht zu nennen, den Tatvorwurf im einzelnen zu verschweigen, oder beides den Medien vorzuenthalten. 151 Denn erstens ließe sich solche Diskretion erfahrungsgemäß nur kurzzeitig wahren,152 weil solche "Verheimlichungen" das Interesse der Medien am konkreten Immunitätsfall erst begründen, zumindest aber stei150 Dem widerspricht in diesem Fall auch nicht das Argument der negativen Publizität, da z.B. Strafhaftmaßnahmen einer Verurteilung folgen, also einer erwiesenen Strafbarkeit, und somit kein Grund besteht, diese Tatsache der Öffentlichkeit vorzuenthalten. 151 Vgl. Ranft, ZRP 1981, S. 271 m.w.N. 152 Siehe dazu Heydlauf, S. 109, der berichtet " ... daß Bundestagspräsident Ehlers während der Behandlung eines interessanten Tagesordnungspunktes die Rundfunkübertragung aus dem Plenarsaal abstellen ließ, als die Berichterstattung über eine Immunitätsangelegenheit wegen des Verdachts der Anstiftung von Meineid eingeschoben wurde" (m.N. in Fn.13).
4 Wurbs
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A. 11. Probleme der Immunität in der parlamentarischen Praxis
gern würden. Zum zweiten wäre eine, wie begründet, zu fordernde wohlerwogene Entscheidung unter den genannten Voraussetzungen kaum gewährleistet, wenn die Entscheidenden keine Vorstellungen von der beschuldigten Person oder der Schwere und Art des Vorwurfs haben, der der Ermittlung zugrunde liegt. Jedoch sieht Art. 46 GG ausdrücklich einen Entscheidungsakt des Bundestages vor. Folglich müssen sich geeignete Lösungsmöglichkeiten zur Vermeidung negativer Öffentlichkeit vor dem Hintergrund der Behandlung von Zwangsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgabe der Immunitätsvorschriften dergestalt bewegen, daß das darin vorgegebene Abstimmungs- und Entscheidungserfordernis des Parlaments nicht umgangen wird. Das heißt, daß allen Parlamentsmitgliedern zusammen letztlich die Entscheidung über die Aufhebung der Immunität eines Mandatsträgers zukommt. 153 Insoweit werden auch die Grenzen des Parlaments gezogen, von sich aus dem einzelnen Abgeordneten in Anbetracht des Interesses an der Wahrung seiner persönlichen Integrität gegenüber den Verfolgungs interessen der zuständigen Behörden in der Weise entgegenzukommen, daß zum Zweck der Vermeidung unerwünschter Öffentlichkeitswirkung eine Plenarberatung und -entscheidung im Endeffekt umgangen wird. Denn im Hinblick auf den Schutzzweck der Immunität, die Sicherung der Arbeitsfähigkeit des Parlaments, kann nur das Parlament selbst darüber befinden, inwieweit seine Belange durch die Genehmigung von Zwangsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren berührt werden oder nicht. Vollzieht sich diese Entscheidung im Wege der parlamentarischen Debatte, dann ist problematisch, ob in Anbetracht des Öffentlichkeitsprinzips der parlamentarischen Verhandlung gemäß Art. 42 Abs. 1, S. 1 GG die Verhinderung der angesprochenen Publizität möglich ist. 5. Das Öffentlichkeitsprinzip der parlamentarischen Verhandlung gemäß Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG Gemäß Art. 42 Abs. 1, S. 1 GG hat der Bundestag 154 öffentlich zu verhandeln. Die Öffentlichkeit der Bundestagssitzungen ist ein zwingender Satz des Verfassungsrechts, von dem nur unter der Voraussetzung des Abs. 1, S. 2 abgewichen werden darf. 155 Der Grundsatz der öffentlichen Verhandlung ist einerseits rechtsstaatlich geboten zum Zwecke der Berechenbarkeit staatlicher Machtäußerungen durch die Legislative mit der Konsequenz, daß sie ihre Normen" ... nach 153 Wie allgemein im GG wird unter Bundestag gemäß Art. 42 GG das Plenum verstanden, das heißt, die Vollversammlung. Vgl. BVerfGE 1, 144, 152; v. Mangoldt / Klein, Anm. III 1 zu Art. 42; Giesing, DRiZ 1964, S.161 f.; Schorn, NJW 1966, S. 235. 154 Wiederum ist hier Bundestag LS. von Plenum, Vollversammlung, zu verstehen. Vgl. Fn. 153. 155 So bereits Hatschek, Dt. und Preuß. Staatsrecht, Bd. I, S. 569.
6. Die Ausschüsse des Bundestages
51
den Postulaten der Normenklarheit und Normenpublikation faßt. "156 Andererseits ergibt sich das Öffentlichkeitsprinzip insbesondere aus dem in Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 GG festgelegten Demokratieprinzip,157 wenn man in einer funktionierenden Demokratie die Notwendigkeit des Vollzugs der Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen sieht. 15s Demnach findet das Demokratieprinzip seine angemessene Verwirklichung in einem funktionierenden repräsentativen Parlamentarismus, dessen Funktionalität sich insoweit dokumentiert, als innerhalb des Parlaments, wie oben ausführlich dargestellt,159 ein ständiger Integrationsprozeß der Wert- und Zielvorstellungen der Staatsbürger stattfindet. "Das Recht des Bürgers auf Teilhabe an der politischen Willensbildung äußert sich nicht nur in der Stimmabgabe bei Wahlen, sondern auch in der Einflußnahme auf den ständigen Prozeß der politischen Meinungsbildung ... "160
Unumgängliche Voraussetzung dafür ist eine Rückkopplung des Parlaments mit der Öffentlichkeit. Dies setzt die Publizität der parlamentarischen Verhandlung voraus. 161 6. Die Ausschüsse des Bundestages und ihre nichtöffentlichen Sitzungen Regelmäßig vollziehen sich die parlamentarische Beratung und Entscheidung weitestgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit, zumindest aber innerhalb ihrer verschiedenen Phasen, wie bei Beratungen der ständigen Ausschüsse, die nach § 54 Abs. 1 GOBT vom Bundestag zur Vorbereitung einer parlamentarischen Verhandlung einzusetzen sind. Die Bildung ständiger Ausschüsse ist verfassungsrechtlich nur ausnahmsweise, sämtlich erst nachträglich durch Einfügung mittels verfassungsändernder Gesetze in das Grundgesetz, vorgesehen.l 62 Im übrigen enthält das Grundgesetz keine Bestimmungen über ständige Ausschüsse, setzt deren Existenz jedoch voraus (vgl. Art. 42 Abs. 3; 43; 46 Abs. 1 GG).163 Die Rechtsgrundlagen für Ausschüsse sind in der Geschäftsordnung des Parlaments anzutreffen. Es ist gemäß Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG der GOBT überlassen, Bestimmungen für die Bundestagsausschüsse zu treffen. 164 Im Grundgesetz IS6 157
68.
Kißler, S. 69 m.w.N. Siehe zur Publizität als Demokratiegebot die Ausführungen bei Kißler, S. 64 -
BVerfGE 20, 56ff., 98f. Vgl. A. 1. 3. b) bb) - dd). 160 BVerfGE 20, 56ff., 98f. 161 Stein, § 12 11. 162 Achterberg, Parlamentsrecht, S. 144. Dabei handelt es sich um die Art. 45 a und 45c GG. 163 Achterberg, Parlamentsrecht, S. 144. 164 Achterberg, Parlamentsrecht, S. 146 mit Verweisen auf die GOen der Länderparlamente. 158 159
4'
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A. 11. Probleme der Immunität in der parlamentarischen Praxis
bleibt dabei offen, in welchem Verfahren die Ausschüsse tätig werden. 165 Auf dieser Autonomie beruht § 69 Abs. 1 GaBT, wonach die Ausschußsitzungen nicht öffentlich sind.1 66 Folglich drängt sich die Frage auf, ob man sich diese Tatsache vor dem Hintergrund der Vermeidung der negativen Publizität für die parlamentarische Praxis dadurch nutzbar machen könnte, daß man Immunitätsentscheidungen entsprechend delegiert.1 67 Ob dies, abgesehen davon, daß die Nichtöffentlichkeit von Ausschußsitzungen Bedenken ausgesetzt ist,168 im Rahmen des Immunitätsrechts möglich und zulässig ist, könnte allerdings zweifelhaft sein, spricht doch Art. 46 GG, wie gesagt, vom Genehmigungsvorbehalt des gesamten Parlaments. a) Immunitätsrechtliche Entscheidungsfindung durch den zuständigen Ausschuß Wesentlicher Ansatz zur Lösung dieses Problems scheint die Untersuchung zwischen der Entscheidung selbst und der ihr zugrundeliegenden Entscheidungsfindung zu sein. Demnach ist zu prüfen, ob grundsätzlich einer notwendigen Plenarentscheidung bezüglich der Genehmigung von Zwangsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren eine öffentlichkeitswirksame Plenardebatte zugrunde liegen muß. Ist aber bereits festgestellt worden, daß trotz der generellen Genehmigung von Strafverfolgungen über deren damit verbundene Zwangsmaßnahmen eine angemessene und angepaßte Bewertung und Entscheidung hinsichtlich ihrer konkreten Auswirkungen für den Abgeordneten im Einzelfall weiterhin erforderlich ist,169 dann scheint man diesem Erfordernis ausschließlich durch eine parlamentarische Verhandlung gerecht zu werden. Das Parlament ist der Platz öffentlicher Diskussion politischer Meinungen, wo aus Argument und Gegenargument der richtige staatliche Wille resultieren so11.1 70 Dann müßte der Genehmigungsvorbehalt des Art. 46 GG neben seinem Verständnis als Entscheidungsvorbehalt des Plenums grundsätzlich auch als Beratungsvorbehalt der Vollversammlung aufgefaßt werden. 17I Daß einer wohlerwogenen Entscheidung ein entsprechender Willensbildungsprozeß in der oben genannten Art vorauszugehen Maunz, in: MDHS, Rd. 2 zu Art. 42. Vgl. zum Grundsatz der Nichtöffentlichkeit von Ausschußsitzungen gemäß § 69 Abs.1 GOBT dessen Ausnahmen und Einschränkungen der Abs. 2 - 4 dieser Norm. 167 Dazu Achterberg, Parlamentsrecht, S.136: "Die ständigen Ausschüsse lassen sich unterteilen ... in vorbereitende und entscheidende (stellvertretende) Ausschüsse, je nachdem, ob sie einen Beschluß des Parlaments nur vorzubereiten oder an dessen Stelle zu fassen haben." Zur Problematik der stellvertretenden Ausschüsse siehe Kreuzer, S.183ff., 203ff. 168 Verwiesen sei auf die diesbezüglichen Literaturhinweise bei v. Münch, in: v. Münch, Rd. 5 zu Art. 42 und die Gegenüberstellung der widerstreitenden Argumente bei Bücker, in: Ritzel I Bücker, Vorbem. 3 alb zu § 54. 169 Siehe dazu unter A. 11. 4. 170 earl Schmitt, Verfassungslehre, S. 315; ders., Parlamentarismus, S. 43f. 171 So wohl Ahrens, S. 32; Schneider, DVBl1956, S. 336 a.E., 365. 165
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hätte, erscheint kaum bestreitbar. Trotzdem wäre aus dieser Einsicht nicht zwangsläufig die Schlußfolgerung zu ziehen, daß dieser ausschließlich gewährleistet ist, wenn Beratungsorgan und Beschlußorgan in jeder Phase der Entscheidungsfindung identisch sind; nämlich dann nicht, wenn sich ein Vorgang parlamentarischer Meinungsbildung gleichermaßen angemessen verwirklichen läßt, ohne sich dabei notgedrungen gänzlich im Plenum vollziehen zu müssen. Dies gilt insbesondere, wenn zusätzlich die Möglichkeit besteht, daß der Bundestag jederzeit den Entscheidungsfindungsprozeß in Form einer Debatte bewirken kann. Denkbar wäre die Aufspaltung insoweit, daß im Rahmen von Immunitätsfällen deren Beratung sich in einem vorgeschalteten und dafür kompetenten Gremium vollzieht, und das Ergebnis dieser Beratung zur Abstimmung der Vollversammlung vorgelegt wird, ohne dabei auf die Tagesordnung gesetzt zu werden. Die Konsequenz wäre, daß man dadurch dem Ziel der Vermeidung unziemlicher Öffentlichkeitswirkung von Immunitätsentscheidungen zumindest im Ansatz ein Stück näher käme. Diese Überlegungen stellt der Bundestag im Rahmen von Genehmigungsverfahren selbst an und traf für deren praktische Umsetzung für speziell genannte Sachverhalte eine entsprechende Regelung. Diese findet sich in Ziff. 3 und 4 i. V. m. Ziff. 5 des Bundestagsbeschlusses. Ihr Regelungskomplex sieht eine "Vereinfachung des Geschäftsganges" vor. Er bestimmt, daß bei Verkehrsdelikten, nach Auffassung des Immunitätsausschusses vorliegenden Bagatellangelegenheiten und für den Vollzug von freiheitsentziehenden Maßnahmen bis zu 3 Monaten der Immunitätsausschuß eine Vorentscheidung über die dazu notwendige Aufhebung der Immunität treffen kann. Das Ergebnis der Vorentscheidung wird gemäß Ziff. 5 des Beschlusses dem Bundestag durch den Präsidenten schriftlich mitgeteilt, ohne auf die Tagesordnung gesetzt zu werden. Da der Immunitätsausschuß, wie alle anderen Ausschüsse, unter Ausschluß der Öffentlichkeit tagt 172 , und dessen Ergebnis der Beratung in Form einer Vorentscheidung laut Ziff.5 nicht als Tagesordnungspunkt einer sonst üblichen Abstimmung seitens der Vollversammlung unterworfen ist, sondern schon Wirkung zeitigt, wenn in der genannten Frist kein Widerspruch ergeht, scheint diese Regelung zumindest im Ansatz der notwendigen Entpublizierung zu dienen. Allerdings findet das Problem der Behandlung von Zwangsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren darin keine ausdrückliche Berücksichtigung, so daß allenfalls das Regelungsprinzip der Ziff. 3 und 4 i. V. m. Ziff.5 des Beschlusses dafür herangezogen werden könnte. Jedoch ist diese Bestimmung des Beschlusses schon selbst unter Zulässigkeitsgesichtspunkten Bedenken ausgesetzt. Denn es scheint, daß neben der Beratung zum Zwecke der Vorbereitung einer parlamentarischen Verhandlung darüber hinausgehend die parlamentarische Verhandlung selbst ersetzt wird, wenn 172 Siehe zum Problem der Nichtöffentlichkeit von Ausschußsitzungen die Nachweise in Fn.168.
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der Ausschuß seinerseits berechtigt ist, eine Vorentscheidung zu treffen. Zwar hat die vieljährige reibungslose Praxis gezeigt, daß sich diese Prozedur bewährt hat, indem sie neben dem wünschenswerten Entpublizierungseffekt auch eine erhebliche Arbeitsentlastung für das Plenum mit sich brachte.1 73 Gleichwohl stellt sich die Frage, ob die Entscheidung im vereinfachten Verfahren als echte Entscheidung des Plenums gemäß Art. 46 GG angesehen werden kann. 174 b) Zulässigkeitsfragen zum vereinfachten Verfahren nach Ziff. 3 und 4 i. V. m. Ziff. 5 des Bundestagsbeschlusses Zweifel am vereinfachten Verfahren werden mit der Begründung erhoben, daß eine "echte" Entscheidung im Plenum prinzipiell etwas anderes sei, als die nur vom Plenum im Sinne des vereinfachten Verfahrens hingenommene Ausschußentscheidung; es sich sozusagen bei der vom Parlament widerspruchslos hingenommenen Vorentscheidung im vereinfachten Verfahren nur um eine Fiktion einer Plenarentscheidung handele.l7 5 Die sei deshalb so, weil die dem Parlament eigene Art, seine Aufgaben sachgerecht zu erledigen, insoweit vernachlässigt werde, als deren Wesensmerkmale der freien Diskussion und Beschlußfassung in öffentlicher Sitzung, an der alle Abgeordneten teilhaben, nicht in demselben Maß gewährleistet würden, wenn ein Parlamentsausschuß die Aufgaben wahrnehme.l7 6 Daß der parlamentarische Willensbildungsvorgang sich wirksam aber nicht in allen Phasen im Plenum vollzieht und vollziehen kann und muß, wird anhand der Arbeit und Funktion der Ausschüsse im Bundestag allgemein deutlich. Wenn § 54 GOBT vorsieht, daß Ausschüsse zur Vorbereitung einer (parlamentarischen) Verhandlung vom Bundestag eingesetzt werden, dann hat das zum Ziel, für eine sachgerechte Meinungsbildung des ganzen Parlaments in einem kleinen Gremium, bestehend aus Sachkennern und Spezialisten, eine Entscheidungsgrundlage und -hilfe als Ausfluß fundierter und ausgewogener Erörterungen von Fachleuten zu erarbeiten. l77 Kristallisiert sich eher dort als im Plenum der parlamentarische Willensbildungsprozeß heraus, so wächst die Gefahr, daß sich die Entscheidungsfindung mehr und mehr ohne Mitwirkung der Vollversammlung vollzieht und diese zunehmend auf die nicht nachprüfbare Begründung der Beschlußempfehlung des Ausschusses angewiesen ist.l 78 Aus diesem Grund könnte man die Schlußfolgerung ziehen, daß dadurch das Plenum nur noch Notar des in einem Gremium unter Aus173 174 175 176 177
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Kreuzer, S. 202. So auch die Fragestellung bei Kreuzer, S. 204. Kreuzer, S. 204. Kreuzer, S.186 m. w.N. Vgl. Berg, S. 22. Scholz, S. 87.
6. Die Ausschüsse des Bundestages
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schluß der Öffentlichkeit "ausgeklügelten" Vorschlages wird, und dadurch die parlamentarische Verhandlung zur leeren Formalität gerät. Folglich wäre das Parlament nicht mehr "Repräsentant der politischen Einheit des Volkes" ,179 weil es gleichsam mehr und mehr sich zu einer bloßen Abstimmungsmaschine reduziert und somit dessen Aufgaben der Repräsentation und Mediatisierung zurückgedrängt werden. Es gilt jedoch zu bedenken, daß die dem Parlament zur Bewältigung obliegenden Regelungsmaterien auf allen Gebieten immer komplexer und diffiziler werden und damit den Abgeordneten überfordern. 180 Die Sachkenntnis des Abgeordneten ist und kann nicht auf allen Gebieten staatspolitischer Fragen allumfassend sein. Diese Tatsache verlangt die Expertenarbeit im Ausschuß.I 81 Zwar könnte man daran denken, solche Detail- und Feinarbeit verstärkt in das Plenum zu verlagern, weil mehr Plenarsitzungen die Möglichkeit geben, den Grad der allgemeinen Informiertheit der Abgeordneten zu erhöhen und somit den Abgeordneten in die Lage versetzen, seine politischen Wirkungsmöglichkeiten besser auszuschöpfen.I 82 Doch abgesehen von der Frage, ob dies der Ökonomie der Lösung komplexer politischer Spezialaufgaben förderlich ist,183 wird erkennbar, daß, nur verlagert, im Plenum die Beratung und Diskussion sich wiederum auf diejenigen konzentriert, die mit der Materie vertraut sind. Dies wird belegt durch ein insbesondere mittels des Fernsehens erkennbares Anwesenheitsdefizit der Abgeordneten im Plenum bei Gesetzesbeschlüssen, deren Regelungsinhalte äußerst speziell sind. Sozusagen finden dort in einem solchen Fall die Ausschußsitzungen modifizert in einem wenig erweiterten Kreis statt. Folglich kann einmal aufgrund der Sachzwänge, zum anderen in Anbetracht ihrer tatsächlichen Behandlung durch das Parlament die Delegierung von Spezialfragen von vornherein vorgenommen werden, wenn die Aufgabenverteilung im Speziellen sich in der Regel faktisch von der Vollversammlung auf Teile derselben verlagert. Wie der parlamentarische Alltag zeigt, konzentriert sich das Bedürfnis zur Plenardebatte im entscheidenden Maße auf Diskussion und Auseinandersetzungen um politische Grundsatzfragen. Der Bundestag selbst nimmt also eine Zweiteilung, eine Differenzierung parlamentarischer Willensbildung vor und macht damit deutlich, daß das Parlament selbst das Ob und Wie seiner Meinungsbildung bestimmt. Diese Tatsache widerspricht nicht der Forderung und Vorstellung von der Repräsentation des Parlaments. Denn 179 Carl Schmitt, Verfassungslehre, S. 209 . .1 80 Danach müßte nach Kevenhörster / Schönbohm, S. 29, der Abgeordnete "zugleich politischer Debattierer sein, der im Plenum um politische Grundfragen streitet, gleichzeitig als exzellenter Fachmann in den Ausschüssen die von der Ministerialbürokratie erarbeiteten Gesetzesunterlagen kritisch prüfen und verbessern, sowie einen intensiven Kontakt zu seinen Wählern pflegen". 181 Kißler, S. 393. 182 BVerfGE 44, 308, 320. 183 Selbst Kreuzer räumt ein (S. 204), daß Vorentscheidungen im Ausschuß "vielleicht sorgsamer" als im Parlament vorgenommen werden.
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A. Ir. Probleme der Immunität in der parlamentarischen Praxis
auch die Ausschüsse bestehen aus gewählten Volksvertretern, die den Rückkopplungsp:r;ozeß zum Bürger im Rahmen von Spezialproblemen vollziehen. So bleibt festzuhalten, daß Plenardebatten über Grundsatzfragen insbesondere zum Zwecke der Transparenz politischer Vorgänge und Zielrichtungen parlamentarischer Gruppen und die Ausschußarbeit zum Zwecke der Ökonomie und Effizienz detailpolitischer Lösungen nicht gegeneinander sondern in einem Ergänzungsverhältnis stehen. Somit vollzieht sich der parlamentarische Willensbildungsprozeß gleichermaßen wirksam, wenn auch auf unterschiedlicher Ebene. Das vereinfachte Verfahren als Ausdruck der Erkenntnis einer fortschreitenden "Atomisierung"184 des Parlaments entspricht insoweit der Vorgabe des repräsentativen Parlamentarismus im Sinne des im Grundgesetz verankerten Demokratieprinzips. Die Annahme, daß dies einer unzulässigen Fiktion einer Plenarentscheidung gleichkomme, weil dem Schweigen des Parlaments der Rang eines Plenarbeschlusses als Willenserklärung des Parlaments abzusprechen sei,185 ist aus zwei Gründen unzutreffend: erstens ist die Vorentscheidung des Ausschusses nicht mehr als eine nur modifizierte Beschlußempfehlung, weil die endgültige Entscheidung letztlich beim Parlament bleibt, da es jederzeit in Händen hält, eine Debatte über Immunitätsfragen zu führen, wenn das Bedürfnis und Interesse der Mitglieder des Bundestages dies bestimmt (vgl. insbesondere Art. 46 Abs.4 GG), mit der Folge, daß jederzeit der Bundestag anders als der Ausschuß entscheiden kann. 186 Zum zweiten hat auch das Schweigen im Rahmen des vereinfachten Verfahrens ( .die Qualität einer Willenskundgebung des Parlaments. Zwar ist das bloße Schweigen in der Regel keine Willenserklärung, sondern ihr Gegenteil. Jedoch kann es objektiven Erklärungswert haben. Das gilt etwa, wenn das Schweigen als Erklärungszeichen vereinbart wird. 187 Folglich kann nichts anderes in Anbetracht des vereinfachten Verfahrens gelten, wenn aus Ziff. 5 des Beschlusses die Wirkung des Nichtwiderspruchs für die abstimmungsberechtigten Parlamentsmitglieder offenkundig ist. Somit entspricht die Regelung des vereinfachten Verfahrens der Nützlichkeit und der vom Bundestag aus eigenem Sebstverständnis heraus selbst vollzogenen Zweiteilung parlamentarischer Willensbildung. Trotzdem bleibt festzuhalten, daß grundsätzlich im Verhältnis Ausschußarbeit und Plenumsfunktion letzterem so weit als möglich Priorität einzuräumen gilt. Denn so wichtig die sachgerechte und effektive Lösung der komplexen politischen Probleme den Ausschuß fordern mag, so darf nicht die Gefahr verkannt werden, daß die dortige, von reinen Sachlichkeitsaspekten geprägte Detailberatung einen Entfremdungsprozeß vom Volkswillen förBegriff bei Bücker, in: Ritzel / Bücker, Vorbem. zu § 54. So Kreuzer, S. 205. 186 Vgl. dazu Maunz, in: MDHS, Rd. 61 zu Art. 46. 187 Vgl. zum Themenkomplex Willenserklärungen Heinrichs, in: Palandt, Anm. 3baa in Einf. v. § 116. 184 185
7. Das vereinfachte Verfahren im Lichte der §§ 102, 94 StPO
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dern kann. Dem kann aber nur das Plenum entgegenwirken. Denn je größer das Diskussionsforum ist, um so vielschichtiger sind die Meinungen und Ansichten, die dort eingebracht werden. Dies dient dem Integrations- und Mediatisierungseffekt am ehesten. Im Ergebnis ist also das angesprochene Ergänzungsverhältnis von Ausschußarbeit und Parlamentsfunktion in Anbetracht parlamentarischer Willensbildung immer auch ein Spannungsverhältnis unter dem Aspekt wirksamer Repräsentation.1 88 Im Hinblick auf das vereinfachte Verfahren gemäß Ziff. 3 und 4 i. V.m. Ziff. 5 des Beschlusses stellt sich dieses Problem unter dem Aspekt der Integration und Mediatisierung weniger, da ein eindeutiger politischer Zusammenhang mit dem Begehren einer Rechtshandlung seitens der Verfolgungsbehörde gegen einen Abgeordneten nicht erkennbar ist, der eine öffentliche Immunitätsentscheidung erforderlich werden ließe. Die Verfassung aber erwartet eine gesteigerte Wahrnehmung politischer Kompetenz, um so politisch relevanter diese Kompetenz ist.1 89 Folglich ist die Notwendigkeit einer (öffentlichen) parlamentarischen Debatte, die sowohl eine Beeinträchtigung der Ermittlungsarbeit als auch negative Publizität mit sich bringen und rechtfertigen würde, nicht gegeben. Aus den Erörterungen folgt somit im Ergebnis, daß das vereinfachte Verfahren verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. 7. Das vereinfachte Verfahren im Lichte der Durchsuchung und Beschlagnahme im Strafverfahren
Ebenso wie bereits darauf hingewiesen wurde, daß das vereinfachte Verfahren im Hinblick auf Zwangsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren nichts regelt und somit keine ausdrückliche Genehmigung vorsieht, wurde gleichermaßen bereits erwähnt, daß man gegebenenfalls dessen allgemeines Regelungsprinzip dafür heranziehen könnte. Da Ziffer 3 und 4 i. V.m. Ziff. 5 des Beschlusses selbst keinen Zulässigkeitsbedenken ausgesetzt sind, gilt es zu prüfen, inwieweit die Regelung für Durchsuchung und Beschlagnahme und Sicherstellung im Strafverfahren gemäß §§ 102, 94 StPO nutzbar ist. Anhand des Falles Wienand wurde gezeigt, daß die bisherige Verfahrenspraxis in Form einer öffentlichkeitswirksamen Plenarentscheidung über die Durchführung von Zwangsmaßnahmen im Strafverfahren hinsichtlich der negativen Publizität sowohl für den Abgeordneten und das Parlament als auch für die Ermittlungsbehörde nicht angemessen erscheint. Da aber eine letztliche Entscheidung über Immunitätsangelegenheiten durch den Bun188 Kewenig, S.144ff., kommt zu dem Ergebnis, daß die bisherigen Entscheidungsbefugnisse der Ausschüsse mit der Verfassungslage noch in Einklang stehen. Ebenso Berg, S. 42, der konkret die Übertragung von Immunitätssachen auf den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung für zulässig erachtet. 189 Berg, S. 42.
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A. 11. Probleme der Immunität in der parlamentarischen Praxis
destag von Art. 46 GG vorgegeben ist, kommt allenfalls eine Modifizierung des parlamentarischen Genehmigungsverfahrens zur Minimierung der negativen Publizität in Betracht. 190 Dies weist zugleich darauf hin, daß mit der Differenzierung zwischen Beratung und Entscheidung im Rahmen des Genehmigungsverfahrens gemäß Art. 46 GG - d. h., der Zugrundelegung der erörterten Zweispurigkeit parlamentarischer Willensbildung - ein wesentliches Kriterium des vereinfachten Verfahrens für die Behandlung von Durchsuchung und Beschlagnahme im Ermittlungsverfahren zur Disposition steht; nämlich der Aspekt der "Vorentscheidung" in Form eines Beschlusses des Immunitätsausschusses, der gemäß Ziff. 5 des Bundestagsbeschlusses dem Bundestag durch den Präsidenten schriftlich mitgeteilt wird, ohne auf die Tagesordnung gesetzt zu werden und als Entscheidung des Bundestages gilt, wenn nicht (innerhalb von sieben Tagen) nach Mitteilung schriftlich beim Präsidenten Widerspruch erhoben wird. Wie eine Vorentscheidung von Durchsuchung und Beschlagnahme auszusehen hat, kann nicht eindeutig festgelegt werden. Vielmehr hängt die Beurteilung der Wirkungen von Durchsuchung und Beschlagnahme von einer Vielzahl verschiedener Begleitumstände ab, wie beispielsweise der Stellung des betroffenen Abgeordneten. Zweifellos ist die Integrationsfunktion und -fähigkeit eines Ministers in der Eigenschaft als Abgeordneter in der Regel gesteigerter als die eines "Hinterbänklers", so daß die Konsequenz der genannten Ermittlungsmaßnahmen dementsprechend unterschiedlich zu beurteilen ist. Einerseits muß das nicht so sein, zum anderen gilt zu beachten, daß der Bundestag keine Klassengesellschaft darstellt, die eine unterschiedliche Immunitätsentscheidung zwischen dem Minister in seiner Eigenschaft als Abgeordneter und dem "einfachen" Parlamentsmitglied von vornherein notwendig macht. In Anbetracht des Art. 46 GG wäre dies grundsätzlich nicht zu rechtfertigen, da dieser von dem Abgeordneten ohne eine entsprechende Unterscheidung spricht. Folglich kann nur versucht werden, Entscheidungsgrundlagen zu finden, die Spielräume geben für eine angepaßte praktische Handhabung von Durchsuchungs- und Beschlagnahmebegehren seitens der Verfolgungsbehörden unter besonderer Berücksichtigung der Abhängigkeit des (Vor-) Entscheidungsinhaltes von dem jeweils zugrundeliegenden Sachverhalt. Dabei ist von der Prämisse auszugehen, sowohl im Interesse der ermitteltenden Behörde als auch des betroffenen Abgeordneten und des Parlaments einerseits die zur Sachverhaltserklärung notwendigen Zwangsmaßnahmen weitestgehend nicht zu behindern, andererseits, diese nicht weniger angemessen-im Rahmen des Immunitätsschutzzweckes durch das Parlament kontrollierbar zu machen.l 91 190 Siehe zum Problem der negativen Publizität nochmals die Ausführungen unter A. 11. 3. a) aal. 191 Siehe zur Notwendigkeit der Kontrollierbarkeit von Durchsuchung und Beschlagnahme die Erläuterungen im Folgenden.
8. Generelle Genehmigung unter Auflage
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8. Generelle Genehmigung der Durchsuchung und Beschlagnahme unter Auflage im Strafverfahren
Um der soeben genannten Vorgabe zu entsprechen, erscheint das Instrument der Vorentscheidung bei näherer Betrachtung allerdings kaum geeignet. Denn eine Vorentscheidung bedeutet, daß das Parlament noch abschließend, also nachfolgend über den Beschluß des Ausschusses zu befinden hat. Diese Tatsache würde zwar der angesprochenen Kontrolle gerecht werden. Aber vollzöge sich die Entscheidung des Parlaments in Form der Ziff. 5 des Beschlusses, so wäre auch bei Verkürzung der dort genannten 7-Tagesfrist eine Verzögerung der Ermittlungsmaßnahmen kaum vermeidbar. Vor allem aber würde die damit verbundene erforderliche Mitteilung durch den Präsidenten an den Bundestag zwangsläufig dem beschuldigten Abgeordneten die Möglichkeit der Kenntnisnahme des Durchführungsbegehrens von Zwangsmaßnahmen eröffnen, ihn dadurch gegebenenfalls warnen und somit die Verdunkelungsgefahr fördern. Folglich wäre es geboten, daß der Bundestag von sich aus die Durchsuchung und Beschlagnahme grundsätzlich freigibt, gleichzeitig aber von seinem Recht Gebrauch macht, dem Immunitätsausschuß Kontrollrechte einzuräumen, die der Ausschuß im Bedarfsfalle durch Erteilung von Auflagen gegenüber der Ermittlungsbehörde verwirklichen könnte. 192 Dies wäre in der Art und Weise möglich, daß der Bundestag die generelle Genehmigung gemäß Ziff. 1 des Beschlusses durch deren entsprechende Änderung für Durchsuchung und Beschlagnahme in der Weise erteilt, daß darin dem Ausschuß jederzeit die Möglichkeit gegeben wird, eine die Genehmigung beschränkende Entscheidung treffen zu können.1 93 Solch eine Regelung hätte einerseits den Vorteil, daß man aus gegebenem Anlaß von Auflagen Gebrauch machen kann, wobei sich vor allem ihr Umfang an den jeweiligen Begleitumständen und somit an den Schutzerfordernissen weitestgehend ungestörter parlamentarischer Funktionalität orientieren und bemessen kann. Mit anderen Worten, es wird das oben angesprochene Erfordernis einer angemessenen und angepaßten Einzelbewertung und -entscheidung der parlamentarischen Handhabung von Zwangsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren berücksichtigt. 194 Zum anderen hätte man durch die generelle Genehmigung mittels Bundestagsbeschluß die als verfassungsgemäß unbestreitbare Plenarentscheidung im 192 Dies ist möglich, da die Aufhebung der Immunität nicht bezüglich des historischen Vorgangs teilbar ist, wohl aber hinsichtlich der verschiedenen möglichen Untersuchungsakte und Maßnahmen der Behörde. Vgl. dazu BückeT, Aktuelle Fragen, S.50: "Hat das Parlament aber das Recht, die Genehmigung zur Strafverfolgung gänzlich zu verweigern, muß dem Parlament auch das Recht zugesprochen werden, die Durchführung bestimmter Maßnahmen unter Auflage zu genehmigen." 193 Nach BückeT, Aktuelle Fragen, S. 51, sieht ein Vorschlag des Immunitätsausschusses vor, daß der Vollzug der angeordneten Zwangsmaßnahmen auch in die generelle Genehmigung mit einbezogen werden sollte, soweit dies zur Sicherung der Beweise unbedingt geboten ist. 194 Vgl. A. 11. 3. cl.
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A.II. Probleme der Immunität in der parlamentarischen Praxis
Sinne Art. 46 GG vollzogen, 195 auch wenn diese zum Zwecke ihrer Entpublizierung modifiziert, im voraus, zu Anfang einer Legislaturperiode, erfolgt. Diese Tatsache jedoch ist unschädlich. Wie bereits an früherer Stelle dargelegt, stellt diese Modifikation vielmehr eine Anpassung an die Erfordernisse und Begleiterscheinungen des Parlamentarismus dar, welche dem Sinn und Zweck der Immunität in erhöhtem Maße gerecht wird. 196 Einzelheiten, wie die Auflagen im Detail zur Durchführung zu kommen hätten, könnte der Ausschuß in seinen "Grundsätzen in Immunitätsangelegenheiten ... "197 festlegen. Wie diese konkret aussehen könnten, soll im folgenden zur Diskussion gestellt werden. a) Überlegungen zum rechtlichen und sachlichen Erfordernis der Auflage Das Erfordernis sowie Art und Umfang einer Auflage bestimmen sich in der Weise, wie die Vorschriften des StPO den Interessen des Parlaments im Sinne der Immunität nicht oder zumindest nicht ausreichend Rechnung tragen. Grundsätzlich ist dabei einmal zwischen Durchsuchung und Beschlagnahme zu unterscheiden. Zweitens ist im Rahmen der Durchsuchung gemäß § 102 StPO zwischen der Suche nach dem beschuldigten Abgeordneten als Person zum Zwecke seiner Ergreifung und seiner persönlichen Durchsuchung sowie der seiner Wohnung und anderer Räume mit dem Ziel der Auffindung von Beweismitteln zu differenzieren. Dies erscheint erforderlich, da die jeweiligen Maßnahmen im Lichte des Schutzzwecks der Immunität unterschiedlich zu besorgende Wirkungen mit sich bringen, die ebenso sowohl das Erfordernis als auch den Umfang und die Art und Weise einer Auflage bestimmen. Unter rechtlichen Gesichtspunkten kann im Hinblick auf die Durchsuchung im Strafverfahren festgestellt werden, daß es dem Bundestag prinzipiell zusteht, diesbezüglich selbst Kautelen zur Sicherung seiner Interessen zu konzipieren und für deren Durchsetzbarkeit eine eigene Rechtsgrundlage zu schaffen. Denn so, wie der Abgeordnete als Zeuge auf das ihm in seiner Stellung gemäß Art. 47 GG gewährte subjektive öffentliche Recht der Zeugnisverweigerung, das nicht zur Disposition des Bundestages steht, verzichten kann, steht es dem Abgeordneten als Beschuldigtem frei, sich im Sinne der strafprozessualen Vorschriften zu dem Tatvorwurf zu äußern (vgl. § 136 Abs. 1 StPO) und, vor allem entscheidend in diesem Zusammenhang, eine angeordnete Durchsuchung zu dulden. Im Gegensatz zu den entsprechenden Vorschriften in bezug auf das Abgeordnetenprivileg 195 Folglich würde man den verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber dem vereinfachten Verfahren entgegenwirken, wie sie von Kreuzer, S. 204ff. (205); Ahrens, S. 30ff. (32) m.w.N., erhoben werden. 196 Vgl. A. 11. 3. a) bb). 197 Anlage 6 GOBT.
8. Generelle Genehmigung unter Auflage
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des Zeugnisverweigerungsrechts des Art. 47 GG,198 findet sich in der StPO für das Parlamentsprivileg der Immunität für die Durchsuchung nichts Vergleichbares, das die Sicherung parlamentarischer Belange regelt. Somit stellt sich die Frage, ob die Notwendigkeit besteht, einen Ausgleich dieses Defizits durch den Bundestag unter Sachgesichtspunkten insbesondere in Form einer Kodifizierung von den bereits angesprochenen Auflagen zu schaffen. Auflagen sind als unzulässig anzusehen, wenn deren Erteilung sich als derartige Erschwerung darstellen würde, daß sie dem Durchsuchungsantrag zugrundeliegendem Zweck widersprechen würde. 199 Denn die Suche nach Personen, die als Täter oder Teilnehmer einer Straftat in Betracht kommen oder nach Beweismitteln und Gegenständen, die der Einziehung oder dem Verfall unterliegen,200 dient regelmäßig dem Zweck, eine Festnahme oder Beschlagnahme zu ermöglichen. 201 Insoweit konkretisiert sich die Gefährdung parlamentarischer Interessen regelmäßig erst, wenn es zu einer Festnahme oder Beschlagnahme kommt, oder diese unmittelbar bevorsteht. Bei der Festnahme wird dies aus den bereits an früherer Stelle genannten Gründen am deutlichsten,202 so daß sie nicht ohne Grund laut Art. 46 Abs. 2 GG von einem ausdrücklichen Genehmigungsakt in Form der parlamentarischen Verhandlung abhängig ist. Aus dieser Tatsache folgt gleichzeitig, daß sich insoweit erübrigt, die Suche nach dem Abgeordneten als Täter (§ 102 StPO) zu diesem Zweck von einer Auflage abhängig zu machen, weil eine Suche nach dem Abgeordneten ohne die Möglichkeit seiner Ergreifung für das Parlament ohne Wirkung bleibt. Somit entfällt bei der Suche nach dem Abgeordneten als Verdächtigem ohne die Möglichkeit seiner Festnahme die Notwendigkeit einer darauf gerichteten Auflage zu Sicherungszwecken parlamentarischer Belange. Im Hinblick auf dessen Durchsuchung nach Gegenständen des Beweises im Verhältnis zu der damit regelmäßig bezweckten Sicherstellung und Beschlagnahme kommt man zu demselben Ergebnis; allerdings aus anderem Grund. Versteht man unter Beschlagnahme eine formale hoheitliche Maßnahme, durch die ein Gegenstand zu prozessualen Zwecken der Verfügungsgewalt seines bisherigen Gewahrsaminhabers oder Verfügungsberechtigten - in der Regel gegen seinen Willen - entzogen 198 Dazu Dünkel, S. 76: "Bei Personen, denen ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, ist grundsätzlich die Anordnung der Durchsuchung nicht völlig ausgeschlossen. Sie ist aber unzulässig, wenn die Durchsuchung nur den in § 97 geschützten Gegenständen gelten soll." Vgl. dazu im Hinblick auf den Abgeordneten als Zeugen § 97 Abs. 3 StPO. 199 So BückeT, Aktuelle Fragen, S. 50. 200 Vgl. Kleinknecht, Rd. 4ff. zu § 102, wobei hier ausschließlich die Gegenstände als Beweismittel interessieren. Vgl. zu den Besonderheiten der Gegenstände, die der Einziehung oder dem Verfall unterliegen, die Anmerkungen bei Kleinknecht zu § 111 bund c. 201 Vgl. Kleinknecht, Rd. 7 - 10 zu § 102. 202 Vgl. dazu A. II. 2.
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wird,203 so dokumentiert sich erst durch die Beschlagnahme eine Gefährdung der Abgeordnetentätigkeit, wenn es sich um die Beschlagnahme von Briefen und Postsendungen gemäß § 99 StPO, vertraulichen Schreiben oder Parlamentsdokumenten handelt, welche dem Beschuldigten in seiner Eigenschaft als Abgeordneter anvertraut worden sind. Aber nicht nur die Beschlagnahme, also die Wegnahme und amtliche Verwahrung, sondern auch schon die Sicherstellung von Beweismitteln gemäß § 94 Abs. 1 StPO, die für die Untersuchung von Bedeutung sein können, d.h., die Sicherung des staatlichen Zugriffs auf Gegenstände des Beweises 204 (vgl. § 109 StPO), hindert den Zugang zur Korrespondenz und Unterlagen, weil sie dem Abgeordneten vorenthalten werden. Dieser Umstand kann besonders bei längerer Dauer auf die verschiedenste Weise die Tätigkeit des Abgeordneten behindern. Mag die Durchsuchung somit grundsätzlich eine bloße Vorbereitungshandlung für eine sich erst später in Form der Beschlagnahme dokumentierende konkrete Beeinträchtigung der Abgeordnetenfunktion darstellen, so könnte sie dennoch auflagefähig sein, wenn mit ihrer Durchführung an sich Wirkungen auf den Abgeordnetenstatus zu berücksichtigen sind. Dies ist der Fall im Rahmen einer Sachdurchsuchung beim beschuldigten Abgeordneten selbst, also bei der Kontrolle von Gegenständen, die der Abgeordnete bei sich trägt, wie Kleidung, Gepäckstücke, Aktenkoffer, Mappen und sonstige bewegliche Habe. Denn solche Untersuchungsrnaßnahmen sind praktisch nur möglich, wenn der zu durchsuchende Parlamentarier sich nicht fortbewegt, was eine vorübergehende Hinderung seiner Aufgabenwahrnehmung in Form von Abstimmungen, Beratungen etc. darstellen kann. Zu einem solchen Verhalten kann der Mandatsträger von der Ermittlungsbehörde angehalten werden, da die Durchsuchung des Abgeordneten kein genehmigungspflichtiger Sonderfall der Ziff. 14 der vom Immunitätsausschuß aufgestellten Grundsätze in Immunitätsangelegenheiten darstellt und folglich nicht als freiheitsbeschränkende Maßnahme im Ermittlungsverfahren gemäß Ziff. 2 c des Beschlusses angesehen wird. Aufgrund der soeben genannten Voraussetzungen des Verharrens des Abgeordneten, die eine Durchsuchung von Sachen, die er bei sich trägt, erst praktisch durchführbar macht, ist eine freiheitsbeschränkende Wirkung nicht zu leugnen, so daß sie gleichwohl vom Sinn und Zweck der Regelung der Ziff. 2 c des Beschlusses her von dieser mit umfaßt verstanden werden muß. Damit kann die Sachdurchsuchung in der geschilderten Form von der generellen Freigabe von Ermittlungen nicht eingeschlossen und demzufolge einer möglichen Auflage nicht zugänglich sein, denn sie bedarf insoweit einer gesonderten Genehmigung im Sinne der Ziff. 2 c des Beschlusses. Einer Auflage zugänglich könnte hingegen diejenige Durchsuchung sein, die nicht mit Eingriffen auf die räumliche Bewegungsfreiheit verbunden ist 203
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Meyer, in: Löwe / Rosenberg, Rd. 16 zu § 94. Meyer, in: Löwe / Rosenberg, Rd.14 zu § 94.
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und somit von der generellen Freigabe von Ermittlungen erfaßt sein darf und soll. Entscheidend ist, wie erwähnt, die damit verbundene konkrete Wirkung auf die Abgeordnetentätigkeit, und ob demzufolge im Interesse des ganzen Parlaments gegebenenfalls eine Auflage erforderlich ist. Diesbezüglich könnte man im Hinblick auf die Durchsuchung von Räumen einschließlich des KFZ des Abgeordneten, die ihn räumlich-körperlich nicht hindert, anführen, daß dadurch der Zugang und Zugriff auf Unterlagen und Korrespondenz oder deren Ordnung gestört und somit die Tätigkeit des Mandatsträgers behindert wird. Jedoch wird beides, insbesondere vom zeitlichen Rahmen her, im Verhältnis zu einer wirksamen und notwendigen Ermittlungstätigkeit hinzunehmen sein. Allerdings soll bei einer Durchsuchung in der zuletzt genannten Art darauf hingewiesen werden, daß der Durchsuchende sich vor allem im Rahmen der Durchsicht von Papieren gemäß § 110 StPO Inhalte von Parlamentsdokumenten merken und aus dem Gedächtnis unbefugt, beispielsweise an die Presse, weitergeben könnte. Aber gerade anhand dieses Beispiels wird deutlich, daß es einen absoluten Schutz vor Mißbrauch auch bei noch so umfassenden Sicherungsregelungen nicht geben kann. Kommt man insgesamt zu dem Ergebnis, daß die generell zu genehmigende Durchsuchung zu Sicherungszwecken parlamentarischer Interessen eine Auflage nicht erforderlich macht, so muß gleichfalls festgehalten werden, daß sich die ihr regelmäßig anschließende Sicherstellung oder Beschlagnahme konkrete Wirkung für die Abgeordnetenfunktion mit sich bringt und somit im Bedarfsfalle zu beschränken möglich sein muß. Andererseits muß dabei gewährleistet sein, daß sie im Sinne einer ordnungsgemäßen Strafverfolgung weitestgehend uneingeschränkt zur Durchführung kommen müssen, wenn die sicherzustellenden und zu beschlagnahmenden Gegenstände im höchsten Maße beweiserheblich sind. 205 b) Inhalt und Durchführung der Auflage zur Beschlagnahme im Strafverfahren Das Problem der Beschlagnahme liegt ebenso wie bei der Sicherstellung darin begründet, daß § 94 StPO davon spricht, daß beide Maßnahmen für Gegenstände grundsätzlich nur in Betracht kommen, wenn sie als Beweismittel, also als Gegenstand, bei dem die Möglichkeit besteht, daß er im Strafverfahren zur Be- oder Entlastung des Beschuldigten dienen kann,206 für die Untersuchung von Bedeutung sein können. Diese Gesetzesformulierung berücksichtigt zwar, daß sich am Anfang des Verfahrens regelmäßig 205 Im Gegensatz dazu Mende in seinem Immunitätsausschußbericht in der 179. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 6.12.1951, Anlage 1, S. 7450 B: " ... Es sind hier nicht nur Schriftstücke, welche für Tatsachen beweiskräftig sind, die den Abgeordneten in seiner Tätigkeit anvertraut worden sind, von der Beschlagnahme frei, sondern alle Gegenstände, die gegen ihn dienen können ... ". 206 OLG Bremen, NJW 1962, S. 649.
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nicht mit Sicherheit feststellen läßt, ob ein Gegenstand als Beweismittel benötigt wird, weil noch nicht definitiv die Richtung des Verfahrens feststeht, oder andere Beweise zur Verfügung stehen, die das Beweismittel entbehrlich machen. 207 Jedoch birgt sie zugleich die Gefahr, daß in der Praxis allzu "großzügig" das beschlagnahmt oder sichergestellt wird, was auch nur im geringsten Anlaß zu der Vermutung seitens der Ermittlungsbeamten gibt, beweiserheblich zu sein. Ob ein Gegenstand beschlagnahmt werden soll, bestimmt sich nach den Besonderheiten des Einzelfalles unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. 208 Daraus folgt, je schwerer das Delikt wiegt, dessen der Beschuldigte verdächtigt wird, desto eher kann der mit der Beschlagnahme verbundene Eingriff hingenommen werden. Der Beamte hat zwar nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden,209 jedoch ändert dies nichts an der Gefahr, daß bei der Auswahl der zu sichernden Beweismittel Gegenstände, insbesondere Schriftstücke und Dokumente, darunterfallen, die bei genauerer Prüfung und Sondierung hätten ausgenommen werden müssen, und daß damit zum Zwecke eines raschen und möglichst umfangreichen Zugriffs eine dezidierte Vorgehensweise von den Ermittlungsbeamten vernachlässigt wird. Somit muß gewährleistet sein, daß vor dem Hintergrund des Vertrauensverhältnisses von Volksvertretern und Bürger in Anbetracht der Integration im Sinne angemessener Repräsentation gerade dem Parlament im eigenen Interesse die Möglichkeit gegeben werden muß, diejenigen Gegenstände der Beschlagnahme zu entziehen, die Ausdruck dieser Vertrauensbeziehung sind und mit dem Tatvorwurf nichts zu tun haben. Vor allem aber muß dies deshalb in der Macht des Parlaments stehen, weil bei einem Abgeordneten als Beschuldigten das Beschlagnahmeverbot gemäß § 97 i. V. m. § 53 Abs. 1 Nr. 4 StPO nicht gilt, sondern vielmehr das Gesetz auch einem Mitglied des Bundestages in der Stellung eines Beschuldigten das Recht einräumt, sich zum Tatvorwurf zu äußern (vgl. § 136 Abs. 1 StPO) und folglich Gegenstände zu dessen Klärung, auch wenn sich deren mangelnde Beweiskraft später herausstellt, freiwillig herauszugeben (vgl. § 94 Abs. 1 StPO).210 Aus diesem Grund muß in Anbetracht der Immunität als Privileg des Parlaments folgerichtig diesem die Möglichkeit gegeben werden, seine Interessen wahrzunehmen. Stellt man Gegenstände mit dem Einverständnis des beschuldigten Mandatsträgers sicher, so kann dies bedeuten, daß sich der Abgeordnete damit seiner Verantwortung, resultierend aus dem genannten Vertrauensverhältnis, entledigt; eine Tatsache, die dem Ansehen des ganzen Parlaments schaden kann und deswegen durch Kleinknecht, Rd. 4 zu § 94. Dazu Kleinknecht, Rd.19 zu § 94; Meyer, in: Löwe / Rosenberg, Rd. 26 zu § 94. 209 Vgl. Kleinknecht, Rd. 1 zu § 94, wonach sich die Sicherstellung von Gegenständen, die dem Verfall oder der Einziehung unterliegen, nach der "Kann"-Vorschrift des § 111 b StPO regelt. 210 Siehe dazu die ähnlichen Ausführungen im Hinblick auf die Durchsuchung unter A. Ir. 8. a). 207
208
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das Parlament verhinderbar sein muß. Folglich muß der Vertrauensschutzgedanke Vorrang haben und die Beschlagnahme und Sicherstellung Restriktionen unterworfen sein. Dies erscheint zulässig, folgt doch das Recht zur Restriktion aus dem verfassungsmäßigen Recht, die Genehmigung zur Strafverfolgung und somit zu Zwangsmaßnahmen gänzlich zu verweigem. 2l1 Besteht damit das Recht des Bundestages, im Zweifelsfall Gegenstände der Sicherstellung und Beschlagnahme zu entziehen, so kann folgerichtig der Ermittlungsbehörde aufgegeben werden, eine vorherige Überprüfung zu dulden. Damit stellt sich die Frage nach der praktischen Durchführung einer solchen Kontrolle. Handelt es sich um eine Durchsuchungsund Beschlagnahmeanordnung in den Räumlichkeiten des beschuldigten Abgeordneten innerhalb des Bundestagsgebäudes und Abgeordnetenhochhauses, so könnte in den Grundsätzen festgelegt werden, daß ein Mitglied der Fraktion, welcher der betroffene Abgeordnete angehört, zu diesen Überprüfungen heranzuziehen wäre. 212 Anbieten würde sich ein Fraktionskollege des gleichen Arbeitskreises. In den Arbeitskreisen der Fraktionen befinden sich Spezialisten, die die unterschiedlichsten Interessengruppen wie etwa Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften oder sonstige gesellschaftliche und wirtschaftliche Organisationen vertreten und deren Vorstellungen und Interessen dort einbringen. 213 In den fraktionellen Arbeitskreisen werden die Interessenstandpunkte aufeinander abgestimmt und Kompromisse gesucht. 214 Folglich ist davon auszugehen, daß ein solcher Fraktionskollege als Kontrollperson die Integrationsfunktion und -möglichkeit des beschuldigten Abgeordneten, vor allem in Anbetracht des zu beschlagnahmenden Schriftverkehrs, am ehesten vor dem Hintergrund des besagten Vertrauensschutzgedankens beurteilen kann. Allerdings besteht damit aber auch gleichzeitig die Gefahr, daß die Neutralität im Hinblick auf die belastenden Gegenstände nicht ausreichend gewährleistet ist und deshalb ein Parlamentsmitglied zusätzlich mit hinzuzuziehen ist, das einer anderen Fraktion angehört. Zweckmäßig wäre eine solche Person, die auch zugleich Mitglied des Immunitätsausschusses ist, weil dadurch neben dem Gesichtspunkt der Neutralität zugleich noch die immunitätsspezifische Sachkompetenz in die Kontrollaufgaben mit einfließen könnte. Beide könnten vom Bundestagspräsidenten, dem als Adressat gemäß Art. 40 Abs. 2 GG von der für die Anordnung zuständigen Behörde über deren Vollzug Mitteilung zu machen ist, nach vertraulicher Übereinkunft beauftragt werden. Dadurch würde erreicht, daß ohne viel Aufhebens die angesprochene Auflage zur Durchführung käme, wobei gleichzeitig sichergestellt wäre, daß durch eine solche bloße Ausführungskompetenz dem Bundestagspräsidenten keine grunds ätz211
212 213 214
Vgl. nochmals BückeT, Aktuelle Fragen, S. 50. So die Überlegungen des Immunitätsausschusses. Stein, § 6 II 1. Stein, § 6 II 1.
5 Wurbs
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liche Entscheidung in einer Immunitätsangelegenheit übertragen wird, die nach der Verfassung nur dem Bundestag zusteht. Schwieriger erscheint es hingegen, eine vergleichbare Durchführungsregelung für Räumlichkeiten des beschuldigten Abgeordneten außerhalb des Bundes- und Abgeordnetenhauses zu treffen. Deutlich wird dies, wenn die Staatsanwaltschaft eine Durchsuchung und Beschlagnahme an allen in Betracht kommenden, speziell privat genutzten, Räumlichkeiten gleichzeitig vornimmt, um die ermittlungsmäßige Wirksamkeit dieser Maßnahme durch Überraschungseffekt zur Verhinderung, daß Beweismittel beiseite geschafft werden, zu sichern. Dabei geht es weniger um das Problem, daß es dem Bundestag verborgen bleiben könnte, daß Durchsuchung und Beschlagnahme in Privaträumen des Abgeordneten stattfinden sollen, weil gemäß Art. 42 GG dem Bundestagspräsidenten mangels Hausrecht diesbezüglich keine Mitteilung zu machen ist. Denn die Strafverfolgungsbehörden haben sich gemäß § 192 Abs. 3 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) verpflichtet, vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens dem Bundestagspräsidenten davon Mitteilung zu machen, damit er seinerseits den Bundestag darüber in Kenntnis setzen kann, um ihm die Möglichkeit zu eröffnen, gegebenenfalls zu verlangen, daß das Ermittlungsverfahren nicht eingeleitet oder das eingeleitete Verfahren ausgesetzt wird (vgl. Art. 46 Abs. 4 GG).215 Insoweit resultiert aus § 192 Abs. 3 RiStBV erst recht die Pflicht, den Bundestag über den Bundestagspräsidenten über die Zwangsmaßnahmen jederzeit zu unterrichten. Vielmehr stellt sich in einem solchen Fall die Frage, wer die gemäß der Auflage festgelegten Kontrollrnaßnahmen organisatorisch durchführen könnte und unter Rechtmäßigkeitsgesichtspunkten überhaupt vornehmen dürfte. In organisatorischer Hinsicht könnten vergleichbare Mitglieder des entsprechenden Landesparlaments in Betracht kommen. 216 Dabei tauchen allerdings Probleme auf, wie diese rechtswirksam zu Kontrollmaßnahmen berechtigt oder verpflichtet werden könnten. Im Ergebnis könnte deren Tätigkeit allenfalls in einer Art Rechtshilfeabkommen zwischen den Landesparlamenten und dem Bundestag begründet werden. Eine Möglichkeit, die jedoch unter Koordinierungsgesichtspunkten nicht unerheblichen Schwierigkeiten ausgesetzt zu sein scheint, wenn man sich vor Augen hält, wie unterschiedlich in den einzelnen Bundesländern das Rechtsinstitut der Immunität beurteilt und gehandhabt wird. 217 Folglich würde eine solche Übereinkunft, wenn überhaupt, aller Voraussicht nach erst nach einem längeren Zeitpunkt zustandekommen, was der angesprochenen Eilbedürftigkeit von Lösungen der Handhabung von Vgl. Bücker, Aktuelle Fragen, S. 48. So vom Immunitätsausschuß vorgeschlagen in seiner Beschlußempfehlung vom 13. Mai 1976. 217 Vgl. dazu Ahrens, S. 20ff. und dessen Zusammenfassung der immunitätsrechtlichen Bestimmungen der Länderverfassungen sowie deren jeweiligen "Grundsätze in Immunitätsangelegenheiten" im Anhang (S.128ff.). 215 216
9. Durchsuchung und Beschlagnahme im OWiG-Verfahren
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Durchsuchung und Beschlagnahme für die parlamentarische Praxis des Bundestages nicht entsprechen würde. Aber abgesehen davon, wäre diese Möglichkeit mit einem erheblichen personellen Aufwand verbunden, der im Verhältnis zu den zu besorgenden Wirkungen von Durchsuchung und Beschlagnahme von Räumen außerhalb des Bundes- und Abgeordnetenhauses nicht nur kaum angemessen, sondern auch regelmäßig nicht erforderlich erscheint, weil man davon ausgehen kann, daß integrationsrelevantes Material des Abgeordneten, welches dem Vertrauensschutz unterliegt, meist schwerpunktmäßig sich in den Räumlichkeiten befinden wird, die der Vorbereitung der parlamentarischen Arbeit des Mandatsträgers dienen und dafür bereitgestellt sind; namentlich in den angesprochenen Abgeordnetenbüros des Bundeshauses oder anderen dazugehörenden räumlichen Einrichtungen, wozu im weitesten Sinne auch die Dienstfahrzeuge gehören. Somit scheint aus diesem Grund das Kontrollerfordernis zum Zweck der Wahrung parlamentarischer Interessen dort am meisten gegeben zu sein. Folglich sollte man die persönliche Überwachung von Durchsuchung und Beschlagnahme nur auf diese Lokalitäten beschränken, weil man zudem aus den genannten Gründen den Interessen der Verfahrensbehörde an einer weitestgehend ungestörten Ermittlungstätigkeit in angemessener Weise entgegenkommen würde. Um sich aber andererseits der Möglichkeit der Kontrollmaßnahmen von Durchsuchung und Beschlagnahme in Räumen außerhalb der letztgenannten nicht grundsätzlich zu begeben, könnte in den Immunitätsgrundsätzen des Immunitätsausschusses festgelegt werden, daß im Bedarfsfalle von der Ermittlungsbehörde verlangt werden kann, daß die oben genannten berufenen Kontrollpersonen Einsicht in die dort beschlagnahmten Schriftstücke zum Zwecke der Überprüfung nehmen dürfen. 9. Die Handhabung von Durchsuchung und Beschlagnahme im Ordnungswidrigkeitenverfahren Durchsuchung und Beschlagnahme sind neben dem Strafverfahren auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren vorgesehen. Zweck des Bußgeldverfahrens ist die Aufklärung des Sachverhaltes und die Sammlung von Beweismaterial, damit die Verfolgungsbehörde (Verwaltungsbehörde)218 eine Entscheidung darüber treffen kann, ob ein Bußgeldbescheid zu erlassen ist. Dabei gelten gemäß § 46 Abs. 1 OWiG, "soweit dieses Gesetz nicht anders bestimmt, sinngemäß die Vorschriften der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich der Strafprozeßordnung ... " Somit finden gemäß § 46 Abs. 1 OWiG sowohl die Vorschriften der §§ 102ff. als auch der §§ 94ff. StPO sinngemäße Anwendung. 219 218 Vgl. §§ 35 Abs.l, 43" OWiG. 219 Vgl. Rotberg, Rd.12 und 25 zu § 59. 5'
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A. II. Probleme der Immunität in der parlamentarischen Praxis
Die anfänglichen Erörterungen zum Begriff der "mit Strafe bedrohten Handlung" gemäß Art. 46 Abs. 2 GG führten zu dem Ergebnis, daß auch Ordnungswidrigkeiten darunter zu subsumieren sind, und insoweit der Abgeordnete zur Verantwortung gezogen werden kann. 22o Da die Wirkungen von Durchsuchung und Beschlagnahme beziehungsweise Sicherstellung im Ordnungswidrigkeitenverfahren für den einzelnen Abgeordneten in seiner Eigenschaft als Mandatsträger nicht anders zu beurteilen sind wie im Strafverfahren, unterliegen sie damit gleichermaßen dem Genehmigungsvorbehalt des Art. 46 Abs. 2 GG.221 Ebenso aber ergibt sich aus den gleichen Überlegungen zur Frage nach der Zulässigkeit und Zweckmäßigkeit der generellen Genehmigung des Strafverfahrens, daß eine solche noch stärker sich als wirksames Instrument zur Vermeidung negativer Publizität von Ermittlungen in bloßen Ordnungswidrigkeitenverfahren erweist. 222 Aufgrund der Erkenntnis, daß öffentliche Ermittlungen, die nicht von Zwangsmaßnahmen begleitet sind, wie etwa Zeugenvernehmungen, die Wahrnehmungsmöglichkeiten parlamentarischer Aufgaben und somit die Funktionsfähigkeit des Parlaments nicht schlechthin berühren, berücksichtigt insoweit eine generelle Genehmigung die Interessen der Verfolgungsbehörde an möglichst ungehinderter Ermittlung in angemessener Weise. 223 Zwar hat der Bundestag das Ordnungswidrigkeitenverfahren in Ziffer 1 seines Beschlusses nicht ausdrücklich freigegeben, sondern nur das Strafverfahren; allerdings ergibt sich aus den obigen Überlegungen, daß unter Zugrundelegung des argumentum a fortiori oder argumentum a maiore ad minus das Ordnungswidrigkeitenverfahren von der generellen Freigabe in dem Beschluß als miteinbezogen anzusehen ist. Eine andere Auslegung dergestalt, daß durch die Nichtnennung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens zum Ausdruck käme, der Bundestag hätte damit dieses nicht seinem Genehmigungsvorbehalt unterwerfen wollen, erscheint unzutreffend. Denn damit würde das Parlament sich diesbezüglich gänzlich seines ihm durch Art. 46 Abs. 2 GG zugewiesenen Genehmigungsprivilegs begeben, obgleich dies unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Immunität nicht im Grundsatz zu dessen Disposition steht. Dient die Abgeordnetenimmunität zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit des repräsentativen Parlamentarismus gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG, so stützt sie in Anlehnung an die Lehre von den institutionellen Garantien der Verfassung224 eine "Wert"-Entscheidung objektiven Rechts 225 seitens des Verfassungsgebers zugunsten der repräsentativen Demokratie. Vgl. die diesbezüglichen Ausführungen unter A. II. 1. a). Siehe dann insbesondere nochmals die Ausführungen unter A. I. 3. b) dd); A. H. 8. a). 222 Vgl. dazu A. II. 4. 223 Vgl. dazu A. II. 4. 224 Siehe dazu insbesondere earl Schmitt, Freiheitsrechte, S.140ff. 225 Schwerdtfeger, Rd. 585. 220 221
9. Durchsuchung und Beschlagnahme im OWiG-Verfahren
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Gleichfalls wie im Strafverfahren hat man in der generellen Genehmigung auch die Durchsuchung und Beschlagnahme im Ordnungswidrigkeitenverfahren als mitumfaßt anzusehen, wobei die Möglichkeit der Beschränkung durch Auflage in den Grundsätzen in Immunitätsangelegenheiten festzulegen ist. 226 Doch sollte die generelle Genehmigung neben der Beschränkungsmöglichkeit der Beschlagnahme mittels Auflage im Gegensatz zum Strafverfahren noch eine weitere Verkürzung beinhalten. Durchsuchung und Beschlagnahme sollten grundsätzlich freigegeben sein, wenn es im Hinblick auf die Schwere der Ordnungswidrigkeit angemessen erscheint. Da der Vorwurf einer Straftat stets schwerer wiegt als der einer Ordnungswidrigkeit,227 können insoweit Maßnahmen, die im Strafverfahren in der Regel erlaubt sind, im Bußgeldverfahren nicht oder nur bei Vorliegen besonderer Umstände gerechtfertigt sein. 228 Zwar obliegt diese Verhältnismäßigkeitsabwägung der Verfolgungsbehörde, jedoch erscheint es angemessen, daß der Bundestag selbst die Möglichkeit hat, zu überprüfen, ob die Behörde ihrerseits dem gesteigerten Erfordernis der Verhältnismäßigkeitsprüfung der Mittel zur Bedeutung der Tat für ein Durchsuchungs- und Beschlagnahmebegehren Rechnung getragen hat. Denn die genannten durch Durchsuchung und Beschlagnahme verursachten Beeinträchtigungen, die der strafrechtlich verfolgte Abgeordnete noch hinzunehmen hätte, erscheinen bei nur geringfügigen Ordnungswidrigkeiten diesem und des weiteren dem Parlament gegenüber nicht schlechthin zumutbar. Folglich kann eine prinzipielle Freigabe von Durchsuchung und Beschlagnahme innerhalb eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens nur in Betracht kommen, wenn die Voraussetzungen von ganz erheblichen Verstößen - bei sehr schwerwiegenden Verkehrsoder Wirtschaftsordnungswidrigkeiten beispielsweise229 - gegeben sind und darüber hinaus ein ganz erheblicher Tatverdacht vorliegt. 23o Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, dann sind die genannten Zwangsmaßnahmen innerhalb eines Bußgeldverfahrens nicht zulässig. Dies kann aber nicht als eine generelle Freigabe unter einer Bedingung zu verstehen sein, da eine solche rechtliche Konstruktion im Rahmen des Immunitätsrechts der Rechtssicherheit und -klarheit nicht förderlich ist. Darum sollte die Ziffer 1 des Beschlusses in der Weise modifiziert werden, daß sie in Zukunft bestimmt, daß dem Immunitätsausschuß ein Prüfungsrecht der Verhältnismäßigkeit der Zwangsmittel mit der zusätzlichen Ermächtigung zustehe, daß er im Falle der Unverhältnismäßigkeit in Form einer Vorentscheidung die Durchsuchung und Beschlagnahme stoppen kann. Vollzieht sich die Vorentscheidung vergleichbar wie in Ziff. 5 des Parlaments beschlusses festgelegt, so ist Vgl. A. II. 8. Göhler, Rd.10 zu § 46. 228 Göhler, Rd. 9 zu § 46. 229 Nach BVerfGE-Urteil v. 27.4.1973 (2 BvR 256/71) ist bei Kartellordnungswidrigkeiten die Beschlagnahme von Beweisstücken nicht unangemessen. 230 Göhler, Rd.108 vor § 59. 226
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die verfassungsmäßige Zulässigkeit einer solchermaßen gearteten Vorentscheidung schon insoweit rechtmäßig, weil dadurch nicht die Durchsuchung und Beschlagnahme mittels Vorentscheidung genehmigt, sondern im Gegenteil verweigert wird. Dies bedeutet im Hinblick auf die genannten Zwangsmaßnahmen eine Wiederherstellung der Immunität und somit des Rechtszustandes, von dem die grundgesetzlichen Immunitätsvorschriften ausgehen. Somit gilt im Ergebnis, daß das Ermittlungsverfahren nach dem OWiG generell zu genehmigen ist, und diese Genehmigung auch Durchsuchung und Beschlagnahme mit umfassen soll; allerdings unter der Voraussetzung, daß beide aufgrund besonderer Umstände angemessen und geboten sind. Trifft dies nicht zu, dann sind sie jeweils durch Vorentscheidungen des Ausschusses gegebenenfalls zu verweigern. Ansonsten sollte, wie bereits gesagt, in den Immunitätsgrundsätzen festgelegt werden, daß die gleichen im Hinblick auf das Strafverfahren genannten Auflagen möglich und in gleicher Weise durchführbar sind. 10. Die Handhabung von Durchsuchung und Beschlagnahme im Rahmen von Disziplinarverfahren Nach der klassischen Definition des "Zur-Untersuchung-Ziehen"231 sind darin auch diejenigen Untersuchungsakte eingeschlossen, die auf die Ermittlung eines Dienstvergehens eines vorübergehend ausgeschiedenen Beamten, der ein Abgeordnetenmandat innehat, abzielen und damit im Sinne des "Zur-Verantwortung-Ziehen" vom Genehmigungsvorbehalt des Art. 46 Abs. 2 GG zwingend umfaßt, sieht man auch Dienstvergehen als mit Strafe bedrohte Handlungen an, indem man auf den Aspekt ihrer Ermittlungsfähigkeit, deren Vergeltungs charakter und ihrer damit verbundenen Sanktionen abstellt. 232 Wiederum nennt die Ziffer 1 des Beschlusses des Bundestages betr. Aufhebung der Immunität von Mitgliedern das Disziplinarverfahren nicht. Aber ebenso hat man es aus den gleichen Gründen wie beim Ordnungswidrigkeitenverfahren von ihr mitumfaßt zu erachten. 233 Die Voraussetzungen für die Ermittlungen von Dienstpflichtverletzungen und deren disziplinarrechtliche Ahndung regeln die BDO für Bundesbeamte sowie die Disziplinarordnungen der Länder für Landesbeamte. 234 Dabei stellt sich gleichfalls das Problem der Behandlung von Durchsuchung und Beschlagnahme für die immunitätsrechtliche Praxis des Bundestages, da RGSt 23, 184, 193; 24, 205, 210. Vgl. nochmals die Ausführungen unter A. 11. 1. a). 233 Siehe A. 11. 9. 234 Die folgenden Erörterungen lehnen sich an die Regelungen der BDO an, denn von wenigen Ausnahmen abgesehen bestehen dabei im wesentlichen keine inhaltlichen Unterschiede zwischen der BDO und den Disziplinarordnungen der Länder. Gegebenenfalls wird auf Abweichungen in den Fußnoten hingewiesen. 231
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10. Durchsuchung und Beschlagnahme im Disziplinarverfahren
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gemäß § 25 BDO und der entsprechenden Verweisungsnormen in den Landesdisziplinarordnungen zu deren Ergänzung unter anderem die Vorschriften der Strafprozeßordnung anzuwenden sind und demzufolge deren Bestimmungen hinsichtlich Durchsuchung und Beschlagnahme ergänzend Geltung haben. 235 Allerdings ist die Bedeutung des Immunitätsschutzes für Abgeordnete im Hinblick auf ein Disziplinarverfahren durch die Regelung des § 5 Abgeordnetengesetz in erheblichem Maße gesunken. Setzt das Disziplinarverfahren eine gemäß § 2 BDO Dienstpflichtverletzung eines Beamten oder eines Ruhestandsbeamten voraus,236 so muß für die Durchführung des Disziplinarverfahrens die Zugehörigkeit des Betroffenen zum Personenkreis der oben genannten als Verfahrensvoraussetzung vorliegen. 237 § 5 AbgG regelt jedoch jetzt im Gegensatz zum früheren Recht, wonach der Beamte mit der Annahme seiner Wahl zum Abgeordneten des Bundestages in den Ruhestand trat 238 und somit als Ruhestandsbeamter disziplinarrechtlich verfolgbar blieb, daß die Rechte und Pflichten aus dem Dienstverhältnis eines in den Bundestag gewälten Beamten mit Dienstbezügen vom Tage der Annahme der Wahl für die Dauer der Mitgliedschaft mit Ausnahme der Pflicht zur Verschwiegenheit gemäß § 61 BBG239 und des Verbots der Annahme von Belohnungen und Geschenken gemäß § 70 BBG ruhen. Mit dem Eintritt des Ruhens der Rechte und Pflichten scheidet der Beamte vorübergehend aus seinem Amt aus, denn das Beamtenverhältnis wird nicht wie beim Eintritt in den Ruhestand beendet, sondern bleibt im Kern erhalten. Allerdings löst das Ruhen der Rechte und Pflichten den Abgeordneten stärker aus seinem Dienstverhältnis, da vor allem die Pflicht zur Unparteilichkeit und die politische Treuepflicht, die Pflicht zur Mäßigung und Zurückhaltung bei politischer Betätigung ruhen. 240 Wie bereits erwähnt, bleibt der Beamte in seiner Stellung als Abgeordneter jedoch weiterhin im Hinblick auf die in § 5 AbgG genannten Dienstpflichten disziplinarrechtlich verfolgbar, so daß insoweit die Immunität für die Durchführung eines Disziplinarverfahrens nach wie vor ihre Bedeutung entfaltet. 241 Hat sich der Abgeordnete dem Verdacht gemäß § 61 beziehungsweise § 70 BBG ausgesetzt, so resultiert daraus ein förmliches Disziplinarverfahren, wenn das 235 Lediglich nach der SH LDO gelten an Stelle der StPO die Vorschriften des SH LVwVG und die VwGO ergänzend und entsprechend, sie sieht aber die Anwendung der strafprozessualen Bestimmungen bezüglich Durchsuchung und Beschlagnahme vor. 236 Entsprechendes gilt auch für die Disziplinarordnungen der Länder. Vgl. dazu Weiss, in: Fürst, GKÖD, Bd. 11 Teil 2, K/2 Rz 9. 237 Weiss, in: Fürst, GKÖD, Bd. II, K § 1 Rz. 3. 238 Weiss, in: Fürst, GKÖD, Bd. II, K § 1 Rz. 42. 239 Vgl. die entsprechenden Bestimmungen in den Beamtengesetzen der Länder. 240 Henkel, S. 31. 241 Insoweit unzutreffend Weiss, in: Fürst, GKÖD, Bd. 11, K § 1 Rz. 42, wonach insbesondere aufgrund § 5 AbgG der Abgeordnete disziplinarrechtlich unverfolgbar geworden sei, so daß es auf seine Immunität nicht ankomme.
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A. II. Probleme der Immunität in der parlamentarischen Praxis
vorgeworfene Verhalten aller Voraussicht nach nur den Disziplinargerichten vorbehaltene Maßnahmen erfordert. 242 Das förmliche Disziplinarverfahren dient damit der Aufklärung und disziplinargerichtlichen Beurteilung schwerer Dienstvergehen243 und gliedert sich gemäß § 83 BDO in die Untersuchung des Dienstvergehens und in das Verfahren vor den Disziplinargerichten. Zum Zwecke der Feststellung, ob Anlaß für die Durchführung eines förmlichen Disziplinarverfahrens, welches gemäß § 35 BDO von dafür bestimmten Behörden eingeleitet wird, besteht oder nicht, geht ein Vorermittlungsverfahren des Dienstvorgesetzten gemäß § 26 BDO als dessen notwendiger Bestandteil voraus. 244 Unterliegen beide Verfahrens arten dem Genehnhgungsvorbehalt des Art. 46 Abs. 2 GG, da die jeweils damit verbundenen Ermittlungsakte den Tatbestand des "Zur-Verantwortung-Ziehen" erfüllen, so sind sie gleichermaßen wie die Ermittlungen im Strafund Ordnungswidrigkeitenverfahren generell freizugeben und unter den genannten Beschluß des Bundestages zu subsumieren. Dieses Ergebnis fußt ebenfalls auf den Erörterungen zum Erfordernis der Entpublizierung von Ermittlungen gegen Mitglieder des Bundestages im allgemeinen, insbesondere vor dem Hintergrund, daß Ermittlungen, die keine Zwangsmaßnahmen begleiten, den Abgeordneten in seiner Eigenschaft als Parlamentarier und folglich abgeleitet, die Funktionsfähigkeit des Parlaments insgesamt nicht per se beeinträchtigen. 245 Was die Beantwortung der Frage nach der immunitätsrechtlichen Behandlung von Durchsuchungs- und Beschlagnahmebegehren im Rahmen eines Disziplinarverfahrens angeht, ist zuerst zwischen den Vorermittlungen und dem förmlichen Disziplinarverfahren zu unterscheiden, da angesichts der Vorermittlungen sich ein solches Problem nicht stellt. Nur der Untersuchungsführer - von Untersuchung spricht die BDO gemäß § 33 erst im förmlichen Disziplinarverfahren - kann bei Gefahr im Verzuge gemäß § 58 BDO Durchsuchung und Beschlagnahme anordnen. Ebenfalls kann deren richterliche Anordnung gemäß § 58 BDO nur vom Untersuchungsführer beantragt werden und nicht vom Führer der Vorermittlwigen gemäß § 26 BDO. Dient, wie gesagt, das förmliche Disziplinarverfahren der Aufklärung und disziplinargerichtlichen Beurteilung schwerer Dienstvergehen, so rechtfertigt nur ein solcher Verdacht die einschneidenden Zwangsmittel der Durchsuchung und Beschlagnahme. Vorermittlungen zum Zweck der Feststellung, ob überhaupt Anlaß für die Durchführung eines förmlichen Disziplinarverfahrens und damit der Verdacht eines schweren Dienstvergehens besteht, reichen dafür unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht aus. 246 Abgesehen davon spricht für ein solches Ergebnis, daß trotz der 242 243 244 245
Claussen / Janzen, § 33 Rd. l. Claussen / Janzen, § 33 Rd. l. Claussen / Janzen, § 26 Rd. l.
Siehe unter A. H. 4.
11. Durchsuchung und Beschlagnahme bei der Pfändung nach der ZPO
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allgemeinen Verweisung durch § 25 BDO auf die Normen der Strafprozeßordnung im Rahmen der allgemeinen Vorschriften der BDO zur Durchführung des Disziplinarverfahrens, worin auch die Vorermittlungen erfaßt sind, die spezielle Regelung des § 58 BDO aufgrund ihrer systematischen Stellung in der BDO lediglich das Antragsrecht für die richterliche Anordnung von Durchsuchung und Beschlagnahme auf den Untersuchungsführer meint und sich damit nur auf das förmliche Disziplinarverfahren beziehen kann. In Anbetracht von § 5 AbgG bedeutet dies, daß für die immunitätsrechtliche Behandlung lediglich die Durchsuchung und Beschlagnahme im förmlichen Disziplinarverfahren wegen des Verdachts verbotener Annahme von Belohnungen und Geschenken gemäß § 70 BBG sowie der Verletzung der Verschwiegenheitspflicht eines seiner Mitglieder gemäß § 61 BBG von Bedeutung ist. Dabei muß man zu dem Ergebnis kommen, daß eine generelle Genehmigung durch den Bundestag insoweit von vornherein nicht in Betracht kommen kann. Mag eine Durchsuchung und Beschlagnahme beim Beamten wegen eines Dienstvergehens noch zu rechtfertigen sein, so kann dies für den Beamten in seiner Stellung als Mandatsträger nicht gelten. Konnte man die genannten Zwangsmaßnahmen im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen, allerdings mit Einschränkungs- und Kontrollmöglichkeiten versehen, noch einer generellen Genehmigung fähig ansehen,247 so geschah dies in Anbetracht des Unrechtsgehalts von Straftaten. Wurde bereits die generelle Genehmigung von Durchsuchung und Beschlagnahme im Ordnungswidrigkeitenverfahren an sich nur unter besonders engen Voraussetzungen als möglich erachtet,248 so kann der Vorwurf eines bloßen Dienstvergehens die Wirkungen solcher einschneidenden Zwangsmaßnahmen unter Berücksichtigung der Mediatisierungs- und Integrationsfunktion bei besonderer Hervorhebung des damit verbundenen und zu schützenden Vertrauensschutzes zwischen Abgeordneten und Bürger249 eine vorweggenommene Freigabe nicht rechtfertigen und verlangt demnach nach einer gesonderten Einzelentscheidung durch das Parlament unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Falles. 11. Die Handhabung von Durchsuchung und Beschlagnahme im Rahmen zivilprozessualer Mobiliarvollstreckung Wurde bisher versucht, Lösungsvorschläge zur Durchsuchung und Beschlagnahme innerhalb des Straf-, Ordnungswidrigkeiten- und Disziplinarrechts für die praktische Handhabung innerhalb des Immunitätsrechts 246 Siehe zur Verhältnismäßigkeit von Durchsuchung und Beschlagnahme Roxin, § 34 B I 2; § 35 A IV 1d. 247 Vgl. dazu unter A. II. 4. - 6.; A. II. 8. 248 Vgl. A. II. 9. 249 Siehe die Erörterungen dazu unter A. I. 3. b) dd).
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A. 11. Probleme der Immunität in der parlamentarischen Praxis
zu erarbeiten, so muß darüber hinaus berücksichtigt werden, daß gleichartige Zwangsmaßnahmen auch im Zivilverfahren von Bedeutung sind, nämlich innerhalb der zivilprozessualen Zwangsvollstreckung. Wie bereits an früherer Stelle dargelegt wurde, kommt es innerhalb des Immunitätszweckes nicht darauf an, den Abgeordneten im Interesse des ganzen Parlaments alleinig vor einem "Zur-Verantwortung-Ziehen" zu schützen, ihn also demnach ausschließlich vor Maßnahmen zu bewahren, "welche darauf abzielen, nach Feststellung einer strafbaren Handlung den Täter zu ermitteln und zu bestrafen"25o oder im Sinne des OWiG oder der BDO gegen ihn vorzugehen. Allein entscheidend ist die Tatsache staatlichen Zwanges, wie auch immer legalisiert, und dessen konkrete Wirkung auf den Betroffenen in seiner Eigenschaft als Abgeordneter. Gibt es Anzeichen im Rahmen des erweiterten Funktionsverhältnisses des Parlamentariers, daß Durchsuchung und Beschlagnahme innerhalb der zivilprozessualen Zwangsvollstreckung diesen gerade in seiner Eigenschaft als Abgeordneten beengen,251 dann handelt es sich bei ihnen um sonstige Beschränkungen der persönlichen Freiheit gemäß Art. 46 Abs. 3 GG, deren Durchführung von einer Genehmigung des Bundestages abhängig wäre. Davon geht aber der Bundestag sowohl aufgrund seines Parlamentsbeschlusses als auch angesichts der Grundsätze in Immunitätsangelegenheiten offenkundig nicht aus. 252 Das erscheint bedenklich, denn für das Immunitätsrecht ist auch diejenige Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen von Bedeutung, welche sich dergestalt vollzieht, daß körperliche Gegenstände mit den Machtmitteln des Staates zwangsweise dem Schuldner in seiner Eigenschaft als Abgeordneter zum Zwecke der Gläubigerbefriedigung weggenommen werden,253 wenn dadurch unmittelbar Gegenstände dem Abgeordneten vorenthalten werden, die für die Ausübung seines Mandats als notwendig erscheinen. Die Inbesitznahme durch Wegnahme erfolgt durch den Gerichtsvollzieher und ist eine der StPO vergleichbare Beschlagnahme, die sich gemäß der ZPO lediglich Pfändung nennt. (vgl. §§ 803, 821, 831,883 ZPO).254 Vgl. nochmals RGSt 24, 205, 209. Vgl. nochmals Bockelmann, S. 61. 252 Es fehlt diesbezüglich an einer Regelung mittels Parlamentsbeschluß. Vgl. dessen Ziff. 1, die nur von Straftaten spricht, vor allem aber auch Ziff. 2 c, die sich nur auf freiheitsentziehende - und beschränkende Maßnahmen im Ermittlungsverfahren bezieht. Vgl. insbesondere auch Ziff.14a - f der Immunitätsgrundsätze, wonach sich die Genehmigungspflicht in besonderen Fällen nur auf zivilprozessuale Haftmaßnahmen erstreckt. 253 Hartmann, in: BLAH, Anm. 1 zu Grundz. § 704. 254 Siehe im einzelnen Thomas / Putzo, § 803, Anm. 1 und 4; Hartmann, in: BLAH, Anm. 2 zu § 803 und auch Anm. 2 zu § 883. Vgl. andere Pfändungsarten, insbesondere durch das ZVG gemäß §§ 829, 846 ZPO mit der Möglichkeit der Anordnung der Herausgabe gemäß § 847 ZPO. Zur Unterscheidung dieser beiden Maßnahmen Hartmann, in: BLAH, Anm. 2 zur Übers. § 883. 250 251
11. Durchsuchung und Beschlagnahme bei der Pfändung nach der ZPO
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Aber auch wenn der AbgeordneLe gar nicht Schuldner ist, sondern nur Gewahrsam innehabender Dritter, kann ihm die Sache nach h. M. im Rahmen des § 809 ZPO weggenommen werden, wenn dessen Herausgabebereitschaft fehlt. 255 Um das Ziel zu erreichen, pfändbare Gegenstände aufzufinden, ist der Vollstreckungsbeamte gemäß § 758 Abs. 1 ZPO befugt, aufgrund richterlicher Anordnung 256 die Wohnung und andere Behältnisse zu Pfändungszwecken zu durchsuchen. Dabei ist zu beachten, daß sich die Durchsuchung nicht nur auf die Wohnung im Sinne von zu Wohnzwecken benutzter Räume beschränkt, sondern sie gemäß § 758 Abs. 1 ZPO i. V.m. Art. 13 Abs. 2 GG in sämtlichen Räumen durchgeführt werden darf, die in Gewahrsam des Schuldners stehen; also in Geschäftsräumen, Werkstätten,257 etc. und somit auch in dessen Büros und Kraftfahrzeugen. Insoweit können Durchsuchung und Beschlagnahme in der zivilprozessualen Zwangsvollstreckung die grundsätzlich gleichen Beeinträchtigungen verursachen, wie sie bereits im Rahmen des Ermittlungsverfahrens angesprochen wurden. Geht man demzufolge von einem Genehmigungsvorbehalt angesichts der Durchsuchung und Beschlagnahme im Mobiliarvollstreckungsverfahren aus, so kommt man wiederum zu dem Ergebnis, daß sie generell zu genehmigen sind, um die damit verbundene negative Publizität zu vermeiden, wobei allerdings das Gläubigerinteresse verstärkt zu berücksichtigen ist. Diese Wertigkeitsverschiebung scheint insoweit angemessen, als durch ein (vollstreckbar ausgefertigtes) Urteil die (zivil-) rechtliche Stellung durch eine allein maßgebende Gerichtsentscheidung im Gegensatz zum Zeitpunkt des Ermittlungsstadiums feststeht, und somit die Priorität des Abgeordneteninteresses an Geheimhaltung dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit gegenüber grundsätzlich nicht zu begründen ist. Weiterhin berücksichtigt die mit der generellen Freigabe verbundene Entpublizierung den Gesichtspunkt, die Befriedigungsmöglichkeit des Gläubigers durch weitgehend unbehelligten Zugriff nicht zu erschweren. Zwar liefert die Freigabe dafür keine vollständige Garantie, da eine Kenntnisnahme von der bevorstehenden Vollstreckungsmaßnahme durch den Abgeordneten gerade als Schuldner und die damit verbundene Gefahr einer Vollstreckungsvereitelung nicht gänzlich auszuschließen ist. Grundsätzlich aber kommt die generelle Genehmigung der Durchsuchung und Pfändung dem Befriedigungsinteresse des Gläubigers entgegen.
255 Siehe im einzelnen Hartmann, in: BLAH, Anm.l A zu § 809 m. w.N.; a.A. Thomas / Putzo, § 809, Anm. 3. 256 Vgl. Art. 13 Abs.2 GG und dazu das Urteil des BVerfG, NJW 1979, 1539ff., wonach eine besondere richterliche Anordnung auch für die Durchsuchung erforderlich ist, die der Vollstreckungsbeamte nach § 758 ZPO zum Zwecke der Pfändung beweglicher Sachen, vornimmt. Die Anordnung ist allerdings in der Regel bereits im Titel zu sehen (BVerfGE 16,241). 257 Hartmann, in: BLAH, Anm. 3 zu § 758.
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A.II. Probleme der Immunität in der parlamentarischen Praxis
Angesichts der Durchsuchung und Pfändung im Zivilprozeß stellt sich wiederum die Frage eventueller Einschränkungserfordernisse zur Sicherung der Interessen des Parlaments durch das Parlament selbst. Dabei hat man wiederum zu prüfen, ob nicht schon Vorschriften der ZPO diesen Interessenschutz zumindest in entsprechender Anwendung gewährleisten können. Wäre dem so, entfiele die Notwendigkeit, daß der Bundestag selbst Kautelen zu schaffen hätte, die seine immunitätsrechtlichen Interessen sichern. Prinzipiell gilt gleichermaßen in bezug auf die Auflagefähigkeit der Durchsuchung gemäß § 758 Abs. 1 ZPO das Gesagte im Hinblick auf die Durchsuchung gemäß §§ 102ff. StPO. Die Beeinträchtigung der Abgeordnetentätigkeit durch Pfändung von verwertbaren Gegenständen wie Schreibtisch, Aktenschränke, Schreibmaschinen, Diktiergeräte, Kfz, etc. ist ohne weiteres ebenso einschneidend wie bei der Beschlagnahme oder Sicherstellung im Ermittlungsverfahren. Grundsätzlich aber unterliegen die genannten Gegenstände der Unpfändbarkeit bei Personen, die aus ihrer körperlichen oder geistigen Arbeit oder sonstigen persönlichen Leistungen ihren Erwerb ziehen und zur Fortsetzung dieser Erwerbstätigkeit erforderlich sind 258 (vgl. § 811 Nr. 5 ZPO), wobei die Eigentumslage an den Sachen unerheblich ist. 259 Würden bei einem Bundestagsabgeordneten diese Kriterien zutreffen, dann hätte er als Schuldner bei einem Verstoß gegen dieses Pfändungsverbot seitens der Vollstreckungsbeamten den Rechtsbehelf der Erinnerung gemäß § 766 ZPO.260 Die Erinnerung ist zwar kein Rechtsmittel und hat insbesondere keine aufschiebende Wirkung, doch kann das Vollstreckungsgericht, an das sie sich wendet, vor der Entscheidung eine einstweilige Anordnung erlassen, vor allem anordnen, daß die Zwangsvollstreckung gegen oder ohne Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen ist (vgl. § 766 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 732 Abs. 2 ZPO).261 Der Rechtsbehelf der Erinnerung steht aber auch einem Dritten zu, wenn dessen Recht von einer Maßnahme der Zwangsvollstreckung berührt wird. 262 Dies könnte insoweit von Bedeutung sein, als es doch wie bei Zwangsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren darum geht, daß der Bundestag als Privilegierter es selbst in der Hand haben muß, seine Rechte durchsetzen zu können. Zwar hat der Bundestag als Staatsorgan für die Erinnerung die erforderliche Prozeßfähigkeit (vgl. § 52 Abs. 1 ZPO), da der Bundestagspräsident als sein staatsrechtlich berufenes Organ ihn selbständig im 258 Vgl. im einzelnen Thomas / Putzo, § 811, Anm. 5 c. 259 Vgl. im einzelnen Thomas / Putzo, § 811, Anm. 2 c.
260 Vgl. im einzelnen Thomas / Putzo, § 811, Anm. 9; zum Begriff der Erinnerung Hartmann, in: BLAH, Anm.lff. zu § 766. 261 Blomeyer, S. 44. 262 Hartmann, in: BLAH, Anm. 2 Ce zu § 811.
11. Durchsuchung und Beschlagnahme bei der Pfändung nach der ZPO
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Rechtsverkehr mit anderen Staatsorganen sowie Staatsbürgern, insbesondere auch bei Abschluß von Rechtsgeschäften, vertritt. 263 Jedoch gilt es zu bedenken, daß das Interesse des Parlaments, einer gemäß § 811 ZPO unrechtmäßigen Pfändung zu begegnen, mit der Begründung, sie gefährde gegebenenfalls die Funktionsfähigkeit des einzelnen Abgeordneten, kein Erinnerungsgrund gemäß § 766 ZPO ist. Denn § 811 ZPO dient dem Schutz des Schuldners aus sozialen Gründen im öffentlichen Interesse 264 und folglich dann nur Dritten, wenn sie unter diesem Gesichtspunkt bei einem Verstoß gegen dessen Pfändungsverbot unmittelbar mit geschützt sind. 265 Die insoweit vermögensrechtliche oder zivilrechtliche Position ist aber nicht der Gesichtspunkt, auf den es im Zusammenhang der Wahrung parlamentarischer Interessen im Rahmen der Immunität ankommt. Demzufolge erübrigt sich die Erörterung sowohl der Frage, ob der Abgeordnete in seiner Eigenschaft als Mandatsträger Beamter ist,266 als auch des sich ansonsten stellenden Problems, ob man die Abgeordnetentätigkeit überhaupt als Erwerbstätigkeit qualifizieren kann,267 um eine eventuelle Schutzverknüpfung des Bundestages als Dritten mit dem einzelnen Abgeordneten als Schuldner über § 811 Nr. 7 ZPO einerseits und § 811 Nr. 5 andererseits herleiten zu können. Dabei ist auch zu bedenken, daß die Nichtwahrnehmung von parlamentarischen Aufgaben des Abgeordneten im Hinblick auf dessen Integrations- und Mediatisierungsfunktion, die über die bloße Anwesenheit hinausgeht, auf den Umfang des Abgeordneteneinkommens keinen Einfluß hat. 268 Im Ergebnis also regelt der Rechtsbehelf der Erinnerung gemäß § 766 ZPO in Anbetracht von § 811 Nr. 5 und 7 ZPO nur ein zivilrechtliches Schutzerfordernis und kann somit zur Sicherung parlamentarischer Belange vor dem 263 Vgl. § 7 GOBT und die Erläuterungen zu Abs.1 bei Bücker, in: Ritzel / Bücker; Achterberg, Parlamentsrecht, S.122/123; Maunz, in: MDHS, Rd. 24 zu Art. 40. 264 Thomas / Putzo, § 811, Anm. 1 a. 265 Thomas / Putzo, § 811, Anm. 9c. 266 Dies ist eindeuhg zu verneinen. Vgl. dazu BVerfGE 40, 296, 316: " ... der Abgeordnete schuldet rechtlich keine Dienste, sondern nimmt in ... Unabhängigkeit sein Mandat wahr ... ; der ... Abgeordnete ist kein Beamter, steht also nicht ... unter den verfassungsrechtlichen gesicherten hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG)". Zwar verpflichtet die GOBT den Abgeordneten zur Teilnahme an Arbeiten des Bundestages. Von (dienst-)rechtlichen Konsequenzen ist eine Verletzung dieser Pflicht nur auf dem Gebiet des Diätenrechts begleitet. Siehe dazu im einzelnen Köttgen, S. 197 ff. und die weitere Literatur bei Achterberg, Grundzüge, Fn. 72 auf S. 31. 267 Eine Qualifizierung der Abgeordnetentätigkeit erscheint aus heutiger Sicht vor allem vor dem Hintergrund der Ausführungen des BVerfGE 40, 296ff. nicht eindeutig möglich. Vgl. insbesondere dazu S. 269: "Denn aus der in Art. 48 Abs. 3 GG geforderten Entschädigung, die einmal eine Entschädigung für besonderen, mit dem Mandat verbundenen Aufwand war, ist eine Alimentation des Abgeordneten und seiner Familie aus der Staatskasse geworden als Entgelt für die Inanspruchnahme des Abgeordneten durch sein zur Hauptbeschäfhgung gewordenes Mandat ... [er] erhäit nicht mehr bloß eine echte Aufwandsentschädigung; er bezieht aus der Staatskasse Einkommen." 268 Vgl. demgegenüber die Möglichkeit der Kürzung der Kostenpauschale wegen unentschuldigtem Fehlen des Abgeordneten an Sitzungstagen (§ 14 AbgG).
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A. Ir. Probleme der Immunität in der parlamentarischen Praxis
Hintergrund des Immunitätsschutzes nicht vom Bundestag herangezogen werden. Um aber der möglichen faktischen Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit durch eine allenfalls zivilprozessuale unrechtmäßige Pfändung der genannten Gegenstände gemäß § 811 ZPO unter Immunitätsgesichtspunkten begegnen zu können, könnte das Parlament die generelle Genehmigung der Pfändung wiederum mit einer Auflage zu Sicherungszwecken einschränken, wobei deren Umfang und Durchführung gleichsam die Gestalt an;;ehmen könnten, wie sie bereits bei der Beschlagnahme und Sicherstellung innerhalb des Ermittlungsverfahrens skizziert wurde, insbesondere dann, wenn es sich um Pfändungsmaßnahmen in Büro- und anderen Räumlichkeiten des Abgeordneten im Bundestag und seinen dazugehörenden Gebäuden handelt. 269 Andererseits ist gleichermaßen festzuhalten, daß die Notwendigkeit von Pfändungskontrollen in Räumen des Abgeordneten außerhalb seiner Arbeitsstätte in der Bundeshauptstadt, abgesehen von den bereits angesprochenen Problemen ihrer Organisation und Durchführung, wiederum selten gegeben ist. Denn die Beeinträchtigung durch unrechtmäßige Pfändung von für eine angemessene Wahrnehmung parlamentarischer Funktion erforderlichen Gerätschaften konkretisiert sich in entscheidendem Maße dort, wo er regelmäßig diese schwerpunktmäßig nutzt, nämlich in seinem Abgeordnetenbüro. Insoweit erscheint eine Pfändungsüberwachung außerhalb davon prinzipiell verzichtbar. Betrifft die Pfändung Sachen, die nicht für die Wahrung der parlamentarischen Funktionsfähigkeit des Abgeordneten relevant sind und somit auch die Belange des Bundestages als Ganzes nicht berühren, so bedarf es einer Sicherung in der genannten Art nicht. Insbesondere besteht keine Veranlassung, eine Auflage zu konzipieren, daß den Vollstreckungsbeamten aufgegeben werden kann, aus Immunitätsschutzgründen diese pfändbaren Gegenstände im Gewahrsam des Abgeordneten als Schuldner zu belassen (vgl. § 808 Abs. 2 ZPO). Schließlich besteht auch in Anbetracht der Pfändung von Schriftstücken und Dokumenten, die eine vermögenswerte Rechtsposition dokumentieren und somit ausschließlich für die Gläubigerbefriedigung von Bedeutung sind (vg. §§ 808, 821, 831 ZPO),270 vor dem Hintergrund des Vertrauensverhältnisses zwischen Bürger und Volksvertreter kaum Veranlassung, ein ähnlich gelagertes Kontrollrecht wie im Ermittlungsverfahren einzuräumen. Denn anders als zu der im Einzelfall möglicherweise schwierigen und somit nicht eindeutigen Qualifizierung der Beweiserheblichkeit von verkörperten Gedankenerklärungen dort, stellt bei einer Beschlagnahme in der Zwangsvollstreckung die Unterscheidung von verwertbaren Schriftstücken wie Wechsel, Schecks, Aktien, Inhaberschuldverschreibungen usw. Zu denken wäre insbesondere an das Abgeordnetenhochhaus "Langer Eugen". Vgl. zu Begriff und Arten von Wertpapieren Thomas / Putzo, § 821, Anm. I, 2 I; § 831, Anm. 1, 2. 269
270
12. Durchsuchung und Beschlagnahme bei der Pfändung nach der VwGO
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von vom Vertrauens schutz umfaßter Korrespondenz für den Vollstrekkungsbeamten regelmäßig kaum ein Problem dar, so daß eine dezidierte und differenzierte Beschlagnahme weitestgehend gewährleistet scheint. Die regelmäßig in allen Fällen nur vorübergehende Beeinträchtigung durch Durchsuchung und Pfändung in zeitlicher Hinsicht ist, wie bei den vergleichbaren Maßnahmen im Ermittlungsverfahren, vor dem Hintergrund der Verhältnismäßigkeit ebenso hinzunehmen. Damit gilt im Ergebnis, daß Durchsuchung und Pfändung durch einen modifizierten Parlamentsbeschluß generell freizugeben sind, wobei die Modifikation gleichzeitig festlegen kann und soll, daß Einschränkungen in Verbindung mit der vorliegenden Genehmigung des Bundestages mittels Auflage möglich sind, deren Inhalt in den Immunitätsgrundsätzen des zuständigen Ausschusses im einzelnen festzulegen ist. Dieser Inhalt könnte zur Vorbereitung einer unrechtmäßigen Pfändung von Gegenständen im Sinne des Immunitätszweckes das zur Diskussion gestellte Aussehen haben, daß dem Vollstreckungsorgan aufgegeben werden kann, die Anwesenheit und vor allem, gegebenenfalls die Verhinderung der Wegnahme von Sachen durch parlamentarische Kontrollpersonen zu dulden. 12. Generelle Genehmigung und Auflage im Rahmen öffentlich -rechtlicher Mobiliarvollstreckung All das im Hinblick auf die immunitätsrechtlichen Fragen bezüglich der Durchsuchung und Beschlagnahme im zivilprozessualen Zwangsverfahren Gesagte bezieht sich auch auf die Zwangsvollstreckung wegen öffentlichrechtlichen Geldforderungen, wenn sie durch verwaltungsgerichtliches Urteil festgelegt wurden, denn verwaltungs gerichtliche Entscheidungen werden grundsätzlich wie zivilgerichtliche vollstreckt. 271 § 167 Abs. 1 VwGO verweist auf §§ 704ff. ZPO. Ebenso verhält es sich mit der Vollstrekkung wegen öffentlich-rechtlicher Geldforderungen, insbesondere also Steuern, Gebühren, Beiträge, denen statt eines verwaltungsgerichtlichen Urteils nur der bloße Verwaltungsakt, der entsprechende Leistungsbescheid zugrunde liegt. 272 Denn ein solches Vollstreckungsverfahren richtet sich nach den Vorschriften der AO über die Betreibung, die sich ihrerseits eng an die Bestimmungen der ZPO anlehnen. 273 Danach erfolgt die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen gleichermaßen durch Pfändung. 274 Vgl. dazu die Ausführungen unter A. Ir. 1l. Dazu Erichsen / Martens, in: Erichsen / Martens, § 20: " ... die Verwaltungsbehörden (dürfen) ihre Verwaltungsakte selbst verwirklichen. Diese Art der Durchsetzung - eben die Verwaltungsvollstreckung - setzt ... ein gerichtliches Erkenntnisverfahren nicht voraus: Der Verwaltungsakt trägt - wie man treffend gesagt hat - seinen Titel in sich selbst". 273 Vgl. insbesondere § 5 Abs.l VwVG beziehungsweise die darin genannten Normen der AO, die sich zum Teil wortwörtlich mit den entsprechenden Paragraphen der ZPO decken. 271 272
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A. H. Probleme der Immunität in der parlamentarischen Praxis
13. Die generelle Genehmigung von Überwachungsmaßnahmen gemäß § 100a StPO und Art. 1 § 1 Abs. 1 G 10
Ein weiteres Problem für die immunitätsrechtliche Praxis des Bundestages stellt die Behandlung einer Überwachung des Fernmeldeverkehrs des Abgeordneten gemäß § 100a StPO beziehungsweise der Beschränkung seines Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses nach Art. 1 § 1 des Gesetzes zu Art. 10 Grundgesetz (G 10) dar. In welchen Fällen eine Überwachung des Fernmeldeverkehrs gemäß § 100a StPO 'durchgeführt werden darf, ist in dieser Bestimmung durch einen enumerativen Katalog aufgeführt. Unter welchen Voraussetzungen Beschränkungen im Sinne des G 10 angeordnet werden dürfen, wird in Art. 1 § 2 dieses Gesetzes geregelt. Dabei sind die Tatbestände teilweise identisch. Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen diesen beiden Normen ist die Tatsache, daß § 100a StPO für einen Beschuldigten, d.h., den Verdächtigen gilt, gegen den bereits ein Strafverfahren läuft, während es für die Anwendung des Art. 1 § 1 G 10 ausreicht, wenn gemäß Art. 1 § 2 Abs. 1 dieses Gesetzes tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht vorliegen, und somit schon aufgrund dessen im Vorfeld strafprozessualer Ermittlungen, also in "einem vorstaatsanwaltschaftlichen Raum", Eingriffe in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis möglich sind. 275 Während Schutzobjekt des § 100 a StPO die strafrechtliche Ordnung ist, handelt es sich bei dem geschützten Rechtsgut gemäß Art. 1 § 1 Abs.1 G 10 um die verfassungsmäßige Ordnung und die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Teilweise erfüllt letztere Vorschrift auch Strafverfolgungsinteressen insoweit, als sie ermächtigt, Maßnahmen zu treffen, damit die Grenze zur strafbaren Handlung erst gar nicht erreicht wird. 276 In der Hauptsache hat diese Vorschrift insgesamt einen rein präventiven Charakter. 277 Beiden Vorschriften ist jedoch gemein, daß sie tief in die Privatsphäre des einzelnen eindringen und darüber hinaus, wenn sich die dort festgelegten Maßnahmen gegen einen Abgeordneten richten, in erheblichem Maße das Vertrauensverhältnis zwischen Mandatsträger und Bürger tangieren können; insbesondere dann, wenn man davon auszugehen hat, daß der Betroffene (hier als Abgeordneter) nicht über die Beschränkungsmaßnahmen zu unterrichten ist, solange dadurch eine Gefährdung des Untersuchungs- beziehungsweise Beschränkungszweckes ausgeschlossen wird. Dies ist ein Umstand, der eine entscheidende Beeinträchtigung der für eine wirksame parlamentarische Repräsentation notwendigen Integrations- und Mediatisierungsfunktion des Abgeordneten darstellen würde. Trotzdem erscheint im Hinblick auf die immuni274 275
276 277
Siehe §§ 281, 286 AO und im Vergleich dazu §§ 803, 808 ZPO. KTÜckels, S.12, 14, Ziff. 3. Vgl. KTÜckels, S.12 m. W.N. Welp, DÖV 1970, S. 270.
13. Die generelle Genehmigung von Überwachungsmaßnahmen
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tätsrechtliche Handhabung der Überwachung des Fernmeldeverkehrs gemäß § 100a StPO, wozu der Fernsprech-, Fernschreib- und Funkverkehr mittels Fernmeldeanlagen gehören,278 eine generelle Genehmigung seitens des Bundestages, wie sie für die Durchsuchung und Beschlagnahme in den jeweiligen prozessualen Verfahren vorgeschlagen wurde, nicht stärkeren Bedenken ausgesetzt. Denn es gilt zu beachten, daß eine Überwachung des Fernmeldeverkehrs neben politischen und militärischen Straftaten nur bei einem Delikt der Schwerstkriminalität in Betracht kommt. 279 Hiermit hat der Gesetzgeber bei der Auswahl der Katalogtaten in § 100 a StPO selbst entschieden, in welchen Fällen die Anordnung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar erscheint. 28o Unter Würdigung dieser Auswahl scheint die Präferenz staatlicher Strafverfolgungsinteressen mit Hilfe der in diesen Fällen besonders notwendigen, ungehinderten Ermittlungstätigkeit, aber auch unter dem allgemeinen Gesichtspunkt der Vermeidung negativer Publizität, für eine vorherige Freigabe der Überwachung des Fernmeldeverkehrs zu sprechen. Gleichwohl hat das Parlamentsprivileg der Immunität zur Sicherung von Interessen des Bundestages nicht uneingeschränkt zurückzutreten, wenn dies unter Berücksichtigung der Folgen einer solchen Überwachung als unangemessen erscheint. Gerade unter Hervorhebung des Vertrauensschutzes zwischen Abgeordneten und Bürger gilt es zu beachten, daß sich bei der Überwachung des Fernmeldeverkehrs häufig nicht vermeiden läßt, daß auch Mitteilungen unbeteiligter Dritter (hier die sich an den Abgeordneten wendenden Bürger), die mit dem Gegenstand des Verfahrens in keiner Beziehung stehen, fixiert werden. Denn die Überwachung vollzieht sich in der Regel sowohl durch Aufnahme auf Tonträger, wie Tonbänder, Schallplatten und andere Vorrichtungen zur wiederholten Wiedergabe von Tonfolgen,281 als auch durch Aufnahme des Fernschreibverkehrs auf Schriftträger. 282 Insoweit sollte das Parlament wiederum das Recht zur Auflage mit einer generellen Genehmigung verknüpfen. Soll eine Überwachung durch Aufnahme auf Tonträger neben dem Zweck, dadurch einen bereits bestehenden Tatverdacht einer Katalogtat des Beschuldigten zu erhärten, vor allem auch dazu dienen, gerichtverwertbare Erkenntnisse zu erlangen,283 so könnte der Bundestag im Hinblick darauf ein Kontrollrecht dergestalt installieren, daß die Ermittlungsbehörde in Ausnahmefällen eine Überprüfung der gemachten Aufzeichnungen dulden müßte, um gegebenenfalls Kleinknecht, Rd. 2zu § 100a. Roxin, § 35 IV 3 a. 280 Kleinknecht, Rd. 7 zu § 100a. 281 Meyer, in: Löwe / Rosenberg, Rd. 4 zu § 100a. 282 KTÜckels, S. 8 m.w.N. 283 Nach BGHSt 27,135 kann entweder das Tonband im Wege des Beweises durch Augenschein abgespielt oder die Niederschrift über den Inhalt der Tonbandaufzeichnung im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden; zustimmend Gollwitzer, JR 1978, S.119f. 278 279
6 Wurbs
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A. 11. Probleme der Immunität in der parlamentarischen Praxis
einem Mißbrauch der Mitteilungen unbeteiligter Dritter vorzubeugen. 284 Zwar bestimmt § 100b Abs.5 StPO, daß solche gewonnenen Unterlagen unter Aufsicht der Staatsanwaltschaft zu vernichten sind, sobald sie für die Strafverfolgung nicht mehr benötigt werden. Jedoch sollte es schon von vornherein möglich sein, zu bewirken, daß solche Mitschnitte bereits zu einem möglichst frühen Zeitpunkt einer offensichtlich für die Klärung des Falles unnötigen Kenntnisnahme der Ermittlungsbehörde entzogen werden können. Auch durch den ermittelnden Beamten besteht die Gefahr unzulässiger Weitergabe. Kontrollorgane hätten wiederum Mitglieder der Fraktion und des Immunitätsausschusses zu sein, die berechtigt sind, eine Vernichtung der Aufzeichnungen verlangen zu können. Ist die Überwachung des Fernmeldeverkehrs gemäß § 100 a StPO unter dem Zusatz einer Ermächtigungsgrundlage zur Auflageerteilung generell zu genehmigen, so scheint hingegen eine solche vorherige Freigabe in Anbetracht der Maßnahmen des Art. 1 § 1 G 10 gegen einen Abgeordneten unangemessen. Denn im Gegensatz zu § 100 aStPO, wo der Richter oder der Staatsanwalt für die Anordnung der Überwachung des Fernmeldeverkehrs zuständig ist (vgl. § 100b Abs. 1 StPO), erteilt nach Art. 1 § 5 Abs. 1 G 10 unter anderem ein vom Bundeskanzler beauftragter Bundesminister die Anordnung der Überwachungsmaßnahmen, wobei zugleich in den meisten Fällen die zur Überwachung berechtigte Stelle dem Innen- beziehungsweise Verteidigungsminister untersteht. 285 Damit ist ein Regierungsmitglied (der beauftragte Minister) berechtigt, erhebliche Eingriffe in die Rechte des Abgeordneten durch ein ihm unterstehendes Exekutivorgan zu veranlassen;286 eine Konstellation die deutlich macht, daß dadurch verstärkt die Gefahr besteht, daß sich unter dem Deckmantel der Abwehr von Gefahren gegen die Grundordnung in unzulässiger Weise eine Kontrolle, insbesondere von Abgeordneten der Opposition, vollziehen läßt, indem man sich mittels einer Überwachung Informationen über politische Zielvorstellungen und Initiativen des Mandatsträgers und der mit ihm in Verbindung stehenden Personen verschafft. Ein Mißstand, der sich gerade in Zeiten starker politischer Auseinandersetzungen und Spannungen verstärkt konkretisieren könnte. Um dem vorzubeugen, müßte das Parlament in seiner Gesamtheit in Form einer parlamentarischen Debatte über die Genehmigung von Maßnahmen des Art. 1 § 1 G 10 beraten und entscheiden, da eine Aussprache des Plenums am ehesten einen eventuellen Mißbrauch des Anordnungsrechts des Ministers aufdecken kann, wenn man vor allem von der Überlegung ausgeht, daß der für die Überwachungsmaßnahmen gemäß Art. 1 § G 10 notwendige Verdacht eines Angriffs auf den Bestand oder die Sicherheit des 284 Vgl. im Hinblick auf das Überprüfungsgremium A. II. 8. b). 285 Vgl. Art. 1 § 2 Abs. 1 und § 4 Abs. 2, Nr.1 a, c, d G 10. 286 Siehe zu dem Begriff "vollziehende Gewalt" die Ausführungen bei v.
Erichsen / Martens, § 1 II a.E.
Münch, in:
13. Die generelle Genehmigung von Überwachungsmaßnahmen
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Bundes durch oder mit Hilfe eines Abgeordneten vielfach mehr politischen als juristischen Bewertungen unterliegt, die typischerweise die Aussprache des Plenums erfordern. Dies verursacht aber eine Publizität, die den Zwekken einer Maßnahme nach Art. 1 § 1 G 10 widerspricht, da der betroffene Parlamentarier spätestens zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von einer Überwachungsanordnung, deren Genehmigung durch den Bundestag der zuständige Minister beim Bundestagspräsidenten zu beantragen hätte, erlangt. Eine Lösung dieses Dilemmas erscheint nur insoweit möglich, wenn ausnahmsweise in einem solchen Fall der Bundestag die Entscheidung über die Genehmigung auf ein kleineres Gremium delegiert. Eine solche Regelung hätte wiederum durch Einfügung in den Beschluß zu erfolgen. Die diesbezüglichen Durchführungsmodalitäten müßten in den Immunitätsgrundsätzen festgelegt werden. Insoweit wird vorgeschlagen, daß das genannte Gremium als Ausdruck eines entscheidungskompetenten Querschnitts des Bundestages und in Anbetracht der Tragweite der Entscheidung aus den Fraktionsvorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien, dem Vorsitzenden des Immunitätsausschusses und dem Bundestagspräsidenten oder dessen Stellvertretern zu bestehen hätte. Dieses Gremium sollte mit 2/3 Mehrheit entscheiden, weil dies eine, wenn auch nur bedingte Gewähr dafür bietet, daß die Umstände in deutlich überwiegender Einheitlichkeit beurteilt werden. Erfolgt die Genehmigung, dann sollte diesem Gremium darüber hinaus jederzeit das Recht zustehen, wenn die genehmigte Maßnahme nicht mehr den Erfordernissen des Schutzzweckes des Art. 1 § 1 G 10 entspricht, die Aufhebung der Beschränkung verlangen zu können. Für diese Entscheidung sollte die einfache Mehrheit genügen. Insgesamt gilt im Ergebnis, daß § 100a StPO einer generellen Genehmigung in Verbindung mit einer Ermächtigung zu Auflagen fähig ist, während hingegen Maßnahmen des Art. 1 Abs. 1 G 10 einer gesonderten Einzelgenehmigung mittels eines speziellen Gremiums bedürfen, wobei diesem Gremium darüber hinaus einerseits ein Auskunftsrecht, andererseits das Aufhebungsrecht einer genehmigten Maßnahme nach Art. 1 § 1 G 10 zustehen sollte.
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B. Die verfassungsrechtliche Bedeutung der Indemnität im Lichte innerparlamentarischer Ordnungsmaßnahmen 1. Grundsätzliche Erörterungen zum Rechtsinstitut der Indemnität
a) Der Regelungsgehalt des Art. 46 Abs. 1 GG Art. 46 Abs. 1 GG bestimmt, daß ein Abgeordneter zu keiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die er im Bundestage oder in einem seiner Ausschüsse getan hat, gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb des Bundestages zur Verantwortung gezogen werden darf. Einzig verleumderische Beleidigungen im Sinne der §§ 103,187, 187a Abs.2 StGB sind von der Verantwortung ausgenommen, bedürfen jedoch der vorherigen Aufhebung der Immunität. 287 Kurzgefaßt bedeutet Indemnität außerparlamentarische Unverantwortlichkeit des Abgeordneten für seine innerparlamentarische Tä tigkei t. 288 Ebenso wie die Immunität entstand die Indemnität in den Anfängen des Parlamentarismus als Ergebnis bewegter Kämpfe gegen absolute Herrschaftsansprüche. Ihren Anfang nahm sie als "freedom of speech" in England in der Bill of Rights, und vermittelt über Frankreich und Belgien entwickelte sich die Indemnität in Deutschland parallel zur Durchsetzung des Konstitutionalismus nach dem Ende der Befreiungskriege. 289 Gleichermaßen wie die Immunität sollte die Indemnität dazu dienen, die parlamentarische Arbeit von Einflußnahme des absoluten Monarchen mittels der ihm unterstellten Exekutive freizuhalten. Im Gegensatz zur Immunität jedoch wurde im Hinblick auf den zeitlichen Rahmen bereits in § 120 der Paulskirchenverfassung festgelegt, daß ein Mitglied des Reichstages zu keiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder Äußerung zur Verantwortung gezogen werden durfte; eine Regelung, die auch heute noch mittels Art. 46 Abs. 1 GG Bestand hat. Folglich schützt die Indemnität den Abgeordneten nicht nur zeitlich unbegrenzt, sondern ist darüber hinaus für ihn unverzicht- und für das Parlament unaufhebbar. Achterberg, Parlamentsrecht, S. 24l. Magiera, in: BK, Rd. 3 zu Art. 46. 289 Siehe zur geschichtlichen Entwicklung der Indemnität Hatschek, Dt. und Preuß. Staatsrecht, S. 515; ders., Englisches Staatsrecht, Bd. I, S. 420 - 426; Hubrich, S.15 26; Gneist, S. 219f.; Härth, S. 26 - 74; Bockelmann, S. 9f.; Rinck, JZ 1961, S. 248 und die bei allen vorzufindenden ausführlichen Nachweise. 287 288
1. Grundsätzliches zum Rechtsinstitut der Indemnität
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Geschützt sind nach dem Wortlaut des Art. 46 Abs. 1 GG Äußerungen des Abgeordneten in seiner Eigenschaft als Mitglied des Bundestages. Folglich werden Regierungsmitglieder, die nicht dem Bundestag angehören, vom Indemnitätsschutz nicht erfaßt. 29o Gleiches gilt auch für Bundestagsabgeordnete, die als Regierungsmitglieder in dieser Eigenschaft handeln,291 beispielsweise bei Beantwortung parlamentarischer Anfragen. 292 Eine solche Beschränkung wird teilweise als unangemessen erachtet und deswegen versucht, einen Indemnitätsschutz auch für Regierungsmitglieder aus dem Grundsatz herzuleiten, wenn sie in dieser Eigenschaft handeln. Zur Begründung wird einerseits der interne Charakter der Parlamentsverhandlungen herangezogen,293 andererseits die Tatsache der Integration von Parlament und Regierung. 294 Auch wird Indemnitätsschutz für Regierungsmitglieder unter dem Gesichtspunkt einer bestehenden allgemeinen Redefreiheit im Parlament angenommen. 295 Für die Regierungstätigkeit wesenstypisch ist die entscheidend vom Politischen her bestimmte Leitung der Verwaltung,296 für das Parlament hingegen die Setzung genereller abstrakter Rechtsnormen,297 welche aus dem Meinungsbildungsprozeß des Abgeordneten als Repräsentanten des Wählers resultieren. Folglich kommt im Rahmen dieses Meinungsbildungsprozesses der der Repräsentationsfunktion innewohnende, oben genannte Aspekt der Integrations- und Mediatisierungsaufgaben des Abgeordneten zum Tragen. Unter diesem Gesichtspunkt hat die Rede- und Abstimmungsfreiheit des Mandatsträgers ihre entscheidende Bedeutung und der Indemnitätsschutz in diesem Zusammenhang seine ureigenste Aufgabe, so daß eine Ausdehnung der Indemnität auf Regierungsmitglieder, die in dieser Eigenschaft handeln, der Zielrichtung der Indemnität nicht entsprechen würde. Letztlich sind Regierungsmitglieder im Hinblick auf die Redefreiheit nicht schutzlos. Diese können sich einerseits auf den Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB und andererseits darauf berufen, daß es sich, beispielsweise bei der Beantwortung von Anfragen, um einen parlamentsinternen Vorgang handle,298 der sich in der Regel in einer Äußerung einer Meinung erschöpft und eine rechtliche Außenwirkung nicht erzeugt. 299 290 Maunz, in: MDHS, Rd. 6 zu Art. 46; v. Mangoldt / Klein, Anm. II 2 zu Art. 46; a.A. Stern 11, S. 836; Rauball, in: v. Münch, Rd.13 zu Art. 46; Witte-Wegmann, DVBl 1974, S. 870. 291 Mende, S. 38; PfeiJfer, S. 63; Rauball, in: v. Münch, Rd. 8 zu Art. 46; SchmidtBleibtreu / Klein, Rd.4 zu Art. 46; Rinck, JZ 1961, S.250 in Fn.39; Maunz, in: MDHS, Rd. 8 zu Art. 46. 292 OVG Münster, DVBl1967, S. 51. 293 Helle, NJW 1961, S.1900; VG Köln, DVBl1965, S. 882. 294 Arndt, DVBl1965, S. 954f. 295 Witte-Wegmann, DVBl1974, S. 870 m.w.N. 296 ForsthoJf, S. 17. 297 ForsthoJf, S. 9; WolJf / Bachof, § 17 II b. 296 Vgl. Magiera, in: BK, Rd. 31 zu Art. 46.
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B. Die Indemnität im Lichte parlamentarischer Ordnungsmaßnahmen
Wenn Art. 46 Abs. 1 GG bestimmt, daß ein Abgeordneter wegen seiner parlamentarischen Mitwirkung weder gerichtlich oder dienstlich noch sonstig außerhalb des Bundestages zur Verantwortung gezogen werden darf, so umfaßt diese weite Formulierung neben strafrechtlichen, dienststrafrechtlichen auch ehrengerichtliehe und polizeiliche Maßnahmen. 30o Aufgrund der früheren Erörterungen zum Begriff des "Zur-Verantwortung-Ziehen"301 fragt sich, ob die Indemnität den Abgeordneten auch vor zivilgerichtlicher Verurteilung zu Unterlassung und Schadenersatz sowie gegen einstweilige Verfügungen schützt,302 "denn der Zivilrichter verfolgt nicht".303 Wären insoweit Unterlassungsklagen und Schmerzensgeldprozesse auf politische Beleidigungen eines Abgeordneten hin möglich, so bedeutete dies, daß im Wege des Zivilverfahrens der Zivilrichter in den politischen Meinungskampf eingreifen könne. 304 Allerdings wäre der Zivilrichter bei der Anwendung der §§ 823, 1004 BGB an die in den Grundrechtsbestimmungen verkörperte objektive Wertordnung des Gesetzgebers gebunden. Insoweit hätte er das besondere Gewicht der politischen Meinungsäußerungsfreiheit gegenüber dem Rechtsgut "Ehre" zu berücksichtigen. In den Fällen, in denen des Rechtsgut "Ehre" bei der richterlichen Güterabwägung das Übergewicht bekäme, müßte der Zivilrichter durch Unterlassungsurteil eine "Zensur" im politischen Meinungskampf vornehmen, obwohl die ehrverletzende Äußerung nur als politische Wertung verständlich und erklärlich ist. Maßgebend bei der Wahrnehmung des Individualgüterschutzes im Wege der Abwehr andauernder Rechtsgutverletzungen ist der objektive Zustand der Ehrenkränkung; auf die politische Intention des Äußernden kommt es nicht an. 305 Insoweit erscheint es fraglich, ob die Funktion des Zivilrichters bei Wahrnehmung des Rechtsgüterschutzes als Legitimation für die Auswirkungen seines Tuns auf die innerparlamentarische Auseinandersetzung ausreicht. Würde man eine solche Legitimation bejahen,306 würde man sich indirekt aufgrund der zivilgerichtlichen Sanktionsbefugnis des Zivilrichters des Indemnitätsschutzes begeben. Wie bereits an früherer Stelle erörtert, BVerfGE 13, 123, 125. Rinck, DVBI, S. 250. 301 Vgl. A. 11. 1. a). 302 Die h. M. bejaht den Schutz vor zivilrechtlichen Maßnahmen. Siehe dazu die ausführlichen Nachweise bei Schröder in Fn. 44a auf S. 34, der versucht, das Problem dadurch zu lösen, daß er die Ansprüche gegen Abgeordnete allgemein dem Verwaltungsrechtsweg zuweist. Vgl. dazu dessen Ausführungen auf den S.34ff. Härth, S.125f., hat jedoch zu Recht darauf hingewiesen, daß dieser Lösungsvorschlag nicht weiterhelfe, da nicht der Rechtsweg als solcher entscheidend sei, sondern die Tatsache, daß in beiden Fällen die Privatpartei das Verfahren in Gang setze. 303 Bockelmann, S. 48. 304 Siehe dazu Hemeyer, ZRP 1971, S.174ff. 305 Vgl. Hemeyer, S.175f. m.w.N. 306 So Ruland, S. 478ff. (486). 299
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münden mehrheitliche Anschauungen und Wertvorstellungen innerhalb des Parlaments in Rechtsetzungsakte, die allgemeine Bindungswirkung entfalten, so daß in Anbetracht dieser Konsquenz eine harte Auseinandersetzung nicht ausbleiben kann, ja vielmehr nicht ausbleiben darf. Im Rahmen solcher Debatten kommt es demzufolge zwangsläufig zu Behauptungen und (oder) Werturteilen über die Fähigkeiten beziehungsweise Unfähigkeiten des politischen Gegners oder über den Charakter oder den Inhalt der von ihm vertretenen Politik, die nicht selten in einer deutlichen Kundgabe der Mißachtung gipfeln. 307 Diesen Umstand bringt der politische Kampf um Mehrheit und Macht in einem demokratischen Staat unausweichlich mit sich. Eine diesbezügliche Zensur des Zivilrichters über den Zivilrechtsweg in Form einer Schadensersatz- oder Unterlassungsklage würde dem Sinn und Zweck der Indemnität widersprechen. Hält man sich vor Augen, daß eine einfache Beleidigung im Rahmen der innerparlamentarischen Debatte gemäß Art. 46 Abs. 1 unverfolgbar bleiben soll, so kann es nicht richtig sein, die solchermaßen garantierte Redefreiheit über den Weg des Schadensersatzprozesses zu eliminieren. Denn was nützt der Schutz der parlamentarischen Mitwirkungsrechte des Abgeordneten vor öffentlicher Verfolgung, wenn er jederzeit zivilrechtliche Konsequenz befürchten muß? Weitgehende Einigkeit besteht allerdings darüber, daß die Indemnität strafrechtlich als persönlicher Strafausschließungsgrund und nicht als Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgrund zu qualifizieren ist. 308 Da aber die Indemnität nicht nur für das Strafrecht Bedeutung hat, sondern mit ihr neben anderen auch zivilprozessuale Maßnahmen ausgeschlossen sein müssen, sollte man deshalb besser von einem persönlichen Verfolgungsausschlußgrund sprechen. 309
b) Die Bedeutung der Indemnität in der parlamentarischen Demokratie Wurde bereits oben festgestellt, daß die Indemnität im Anfang vor der monarchischen Exekutive schützen sollte, so lag der Beweggrund ihrer Verankerung im Grundgesetz maßgeblich wie bei der Immunität in der Befürchtung möglicher tendenziöser Verfolgung einzelner Abgeordneter durch die Regierung und ihre Organe und demzufolge in der Sicherstellung, daß die Versammlung bei ihren Beratungen der Beihilfe eines ihrer Mitglieder nicht entzogen werde. 310 Aufgrund jedoch der in der Verfassung Siehe B. 5. a). Vgl. Rinck, JR 1961, S. 250 und die Nachweise bei Magiera, in: BK, Rd. 53 zu Art. 46. 309 So der Terminus von Magiera, in: BK, Rd. 53 a.E. zu Art. 46. 310 So RGSt 23, 184,192 zu Art. 31 RV 1871. Im gleichen Sinne BayVerfGE 11, 146, 147. Siehe dazu auch die Erörterungen und Nachweise unter A. 1. 3. a). 307
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B. Die Indemnität im Lichte parlamentarischer Ordnungsmaßnahmen
bestimmten parlamentarischen Abhängigkeit der Regierung, der Gesetzesgebundenheit der Verwaltung und der Unabhängigkeit der Gerichte unterliegt die Indemnität den gleichen rechtlichen Einwendungen, wie sie bereits bei der Immunität angesprochen wurden. Denn ebenso wie dort sieht man die Indemnitätsgrundsätze unter anderem als verfassungsrechtlich überholt an. 311 "Innerhalb einer parlamentarischen Republik aber, wo die Regierung nichts als ein Ausschuß des Parlaments ist und unter der schärfsten Kontrolle der Opposition, ja der ganzen Öffentlichkeit steht, die Unabhängigkeit der Gerichte aber nicht minder garantiert ist als in der konstitutionellen Monarchie, hat es wohl wenig Sinn, das Parlament vor seiner eigenen Regierung zu schützen. Aber auch als Schutz der Minorität gegen Willkür der Majorität - ein Bedeutungswandel, den manche aus der konstitutionellen Monarchie übernommene Institutionen in der demokratischen Republik erfahren - kann das fragliche Privileg nicht ernstlich in Betracht kommen. "312
Zuzugeben ist solchen Einwendungen, daß die historische Begründung der Indemnität mit deren Bedeutung als Schutz für das Parlament gegenüber Willkürakten der Regierung kaum m~r zum tragen kommt. 313 Denn der frühere Gegensatz Parlament - Monarch beziehungsweise der heutige zwischen ersterem und Regierung ist weitgehend entschärft, da die Regierung vom Vertrauen der Mehrheit des Parlaments abhängig ist. Entscheidend für die parlamentarische Demokratie, wie sie sich heute in der Bundesrepublik darstellt, ist vielmehr das sich in Auseinandersetzungen und Entscheidungsprozessen dokumentierende Spannungsverhältnis zwischen Regierung und Regierungsparteien einerseits und Opposition andererseits. Gleichermaßen aber, wie dies bereits im Rahmen der Rechtfertigungsversuche der Immunität in Anbetracht der bestehenden Verfassungswirklichkeit dargelegt worden ist, kommt es für die Rechtfertigung der Indemnität nicht auf das Bestehen eines Spannungsverhältnisses zwischen Parlament und Exekutive beziehungsweise Regierung an, bei dem die Gefahr tendenziöser Verfolgungen des einzelnen Abgeordneten durch letztere zu besorgen wäre. 314 Vielmehr begründet sich die Daseinsberechtigung der Indemnität in der Sicherung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Abgeordneten und damit des Parlaments insgesamt zur Verwirklichung und Erhaltung des von der Verfassung vorgesehenen repräsentativen Parlamentarismus,315 indem sie als Schutz der von inhaltlichen Kontrollrnaßnahmen freien parlamentarischen Meinungs- und Willensbildung dient. Das Grundgesetz gewährleistet die Mitwirkungsrechte des Abgeordneten im Parlament durch Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG. Die Redefreiheit des Abgeordneten im Parlament ist eine in Siehe dazu die Nachweise in Fn. 6, 36 und 37. Kelsen, S. 4l. 313 Bockelmann, S. 11 ff. 314 Siehe dazu A. I. 3. b) dd). 315 Siehe dazu A. I. 3. b) bb) - dd). 311
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1. Grundsätzliches zum Rechtsinstitut der Indemnität
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der Demokratie unverzichtbare Kompetenz zur Wahrnehmung der parlamentarischen Aufgaben und dient mithin unmittelbar der Erfüllung der in der Verfassung normierten Staatsaufgaben. 316 Geistige Auseinandersetzung im dialektischen Zusammenspiel von Meinung und Gegenmeinung ist der Motor für die politische Willensbildung des Volkes und damit neben dem Wahlrecht der wichtigste Ausdruck der Volkssouveränität. Ist es die Aufgabe des Parlaments, in schöpferischer Diskussion allgemein verbindliche Antworten auf die Fragen existenzieller Bedeutung für Volk, Nation und Staat zu finden, so muß die parlamentarische Redefreiheit geradezu als eine unabdingbare Voraussetzung für das Funktionieren des Parlaments angesehen werden. 317 Um der parlamentarischen Rede- und Handlungsfreiheit willen verleiht die Verfassung den Abgeordneten die Priviliegien des Art. 46 GG, insbesondere die Indemnitätsvorschrift des Art. 46 Abs. 1 GG.318 c) Die Indemnität in Gegenüberstellung zu den Verfassungsregeln
der Gleichbehandlung und Funktionentrennung
Gleichermaßen wie man die Indemnität als verfassungsrechtlich überholt betrachtet, sieht man sie ebenso wie die Immunität als Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG sowie das Prinzip der Funktionentrennung gemäß Art. 20 Abs.2 S.2 GG.3 19 Dennoch kann nicht schlichtweg auf die früheren Darlegungen bezüglich der Rechtfertigung der Immunität gegenüber diesen Einwendungen verwiesen werden, da Struktur und Regelungsgehalt der Indemnität sich wesentlich von denen der Immunität unterscheiden. Gleichwohl soll an sie erinnert werden, weil nicht nur die dortigen Überlegungen zum Wesen und der Funktionalität des repräsentativen Parlamentarismus für die Rechtfertigung der Indemnität herangezogen werden, sondern insbesondere, um die unterschiedlichen Denkansätze und Grundvoraussetzungen für die Begründung ihrer Daseinsberechtigung in der gegebenen Verfassungsstruktur aufzuzeigen. 32o Daß zur Entkräftung des Einwandes, die Indemnität verstoße sowohl gegen den Gleichheitsgrundsatz als auch gegen das Prinzp der Funktionentrennung, von veränderten Grundvoraussetzungen auszugehen ist als bei den Erörterungen zur Immunität gegen die gleichlautende Kritik, soll aufgrund der nachfolgenden Überlegungen deutlich werden.
BVerfGE 60, 374, 380. Rinck, JZ 1961, S. 249. 318 BVerfG, NJW 1982, S. 2233. 319 Vgl. dazu die Nachweise und Verweisungen auf die Quellen unter A. 1. 2. u. A. 1. 3. a). 320 Vgl. daher A. 1. 2. 316
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B. Die Indemnität im Lichte parlamentarischer Ordnungsmaßnahmen
aal Das Spannungsverhältnis zwischen Art. 46 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG Ist, wie erwähnt, der Indemnitätsschutz für den Abgeordneten unverzichtund für das Parlament unaufhebbar und damit nicht disponibel, so billigt im Gegensatz dazu die Immunität dem Parlament eine Entscheidungskompetenz derart zu, darüber zu befinden, ob gegen eines seiner Mitglieder ermittelt werden darf, beziehungsweise es gerichtlichen oder disziplin arrechtlichen Sanktionen ausgesetzt ist. Daraus folgt, daß das durch die Immunität gewährleistete Recht kein Sonderrecht ist, welches zur Disposition des Abgeordneten im Sinne eines subjektiven öffentlichen Rechts gestellt ist, und er zu keiner Zeit im Rahmen der Immunitätsgrundsätze anderen Trägern öffentlicher Gewalt als anspruchsberechtigt gegenübersteht. Demzufolge konnte der Kritik, die Immunität verstoße gegen das Gleichbehandlungsverbot von Normalbürger und Mandatsträger, entgegengehalten werden, daß wegen der dem Parlament durch die Immunität eingeräumten Entscheidungskompetenz nur dieses in seiner Gesamtheit, als Körperschaft, als Sonderrechtsträger dem Normalbürger gegenübersteht und nicht der einzelne Abgeordnete, so daß dieser gemäß Art. 3 Abs. 1 GG nicht als Vergleichsmaßstab gegenüber dem gemeinen Bürger in Betracht kommt. 321 Kann die Unverfolgbarkeit des Abgeordneten im Sinne der Immunität nur ein Rechtsreflex des dem Parlament gewährten Entscheidungsprivilegs sein, so gewährt die Indemnität dem Abgeordneten eine Rechtsposition, die von der Rechtswirkung her direkt auf ihn durchschlägt. Damit ist der Abgeordnete unmittelbar per Verfassung Träger eines Rechts und im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG dem Nichtmandatsträger gegenüber vergleichbar. Demnach besteht im Gegensatz zur Immunität ein Spannungsverhältnis zwischen Indemnität und dem Gleichbehandlungsgebot. bb) Das Spannungsverhältnis zwischen Art. 46 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatspdnzip Im Gegensatz zur Immunität besteht bei der Indemnität weniger ein Spannungsverhältnis zum Prinzip der Funktionentrennung gemäß Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG als vielmehr zum Rechtsstaatsprinzip im allgemeinen. Wurde nämlich angesichts der Immunität ein Verstoß gegen das Prinzip der Funktionentrennung mit der Begründung verneint, daß das Entscheidungsrecht des Parlaments gegen die Verfolgung und Sanktionierung von Rechtsverstößen seiner Mitglieder weder die Aufgabenkompetenz der Strafverfolgungsbehörde noch die der Judikative elementar berührt, weil dadurch die genannten Maßnahmen nur aufgeschoben aber nicht aufgehoben werden,322 321 322
Siehe A. I. 2. a). Vgl. A. I. 2. b).
1. Grun'dsätzliches zum Rechtsinstitut der Indemnität
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so muß die Begründung der vertretenen Ansicht, auch die Indemnität verstoße nicht gegen Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG insoweit eine andere sein, weil die Indemnität eine abschließende Wirkung entfaltet. Denn da die Indemnität für den Abgeordneten unverzicht- und für das Parlament unaufhebbar ist, werden demzufolge sowohl die Ermittlungsbehörden an der Verfolgung als auch die durch die Rechtsprechung möglichen Sanktionen nicht nur zeitlich begrenzt, sondern überhaupt gehindert. Auf dem Boden der kritisch gewürdigten herrschenden Kernbereichslehre wird demzufolge ein Eingriffstatbestand, sieht man einmal von der Zuordnungsproblematik angesichts der Ermittlungsbehörden bezüglich der genannten drei Gewalten gemäß Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ab, zumindestens in den Kern des Funktionsbereichs der Judikative nicht von der Hand zu weisen sein. Selbst wenn man anhand der im Grundgesetz den einzelnen Funktionsträgern ausdrücklich zugesprochenen Kompetenzen prüft, welche Funktionsinhalte dessen Vorstellungen am nächsten kommen,323 kann ein Verstoß gegen das Prinzip der Funktionentrennung vermittels der Immunität per se nicht zweifelhaft sein. Denn das daraus folgende Argument, die Verfolgung und Sanktionierung von Beleidigungsdelikten sei durch die in der Verfassung verankerte Indemnität dem Funktionsbereich der Ermittlungsbehörde und der Judikative nicht nur nicht ausdrücklich zugesprochen, sondern vielmehr ausdrücklich entzogen, kann dann nicht zur verfassungsmäßigen Rechtfertigung der Indemnität herangezogen werden, wenn man die Indemnität im Hinblick auf die Frage, inwieweit diese gegen das Prinzip der Funktionentrennung verstoße, als verfassungswidriges Verfassungsrecht erachtet. Demzufolge bliebe nur unter Berücksichtigung der vorgegebenen Verfassungsstruktur insgesamt zu prüfen, welche Funktioneninhalte deren Prinzipien von den Aufgaben der Ermittlungsorgane und der Rechtsprechung einerseits und der Legislative andererseits am nächsten kommen,324 wenn ein verfassungsrechtliches Spannungsverhältnis zwischen Indemnität und dem Prinzip der Funktionentrennung zu lösen wäre. Bei genauerer Betrachtungsweise jedoch stellt sich heraus, daß die Indemnität nicht dem Prinzip der Funktionentrennung des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG entgegensteht. Weist nämlich die Verfassung über Art. 46 Abs. 1 GG dem Gesetzgebungsorgan weder Entscheidungskompetenz über das Ob und Wie hinsichtlich der Ermittlungen von Beleidigungsdelikten noch ihrer Sanktionierung durch die Gerichte zu, da die Indemnität für das Parlament nicht disponibel ist, so stellt sich demnach die Frage der Rechtfertigung einer etwaigen Funktionenverschränkung nicht. Nimmt im Rahmen der Indemnität das Parlament keine Funktion einer anderen Gewalt wahr, da es nicht über die Verfolgung oder Sanktionierung von Straftaten durch seine Mitglieder zu entscheiden hat, so wäre demzufolge die Rechtmäßigkeit des Instituts der Indemnität nunmehr unter dem Aspekt 323 324
Achterberg, Funktionenlehre, S. 203. Achterberg, Funktionenlehre, S. 203.
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B. Die Indemnität im Lichte parlamentarischer Ordnungsmaßnahmen
zu untersuchen, ob jenes nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip im allgemeinen verstößt, indem es (mögliches) Unrecht in Form der Verwirklichung von Beleidigungsdelikten der Verfolgung durch die Ermittlungsbehörde beziehungsweise der Vergeltung durch die Gerichte entzieht, obgleich dies die Strafgesetze vorsehen. cc) Die Rechtfertigung der Indemnität gegenüber dem Grundsatz der Gleichbehandlung und dem Rechtsstaatsprinzip Bejaht man aufgrund der obigen Erörterungen im Gegensatz zur Immunität bei der Indemnität ein Spannungsverhältnis zu Art. 3 Abs. 1 GG gleichermaßen, wie man die Indemnität in Abweichung zur Immunität nicht im Gegensatz zum Prinzip der Funktionentrennung, sondern zum Rechtsstaatsprinzip im allgemeinen begreift, so kann eine Rechtfertigung der Indemnität lediglich durch Wertigkeitsanalyse ihrer Bedeutung gegenüber den genannten entgegenstehenden Verfassungsprinzipien im Verhältnis zueinander unter Berücksichtigung der Verfassungsstruktur im allgemeinen möglich sein. In Anbetracht des Spannungsverhältnisses zwischen Indemnität und dem Gleichheitsgrundsatz ist dabei gleichermaßen wie bei der Erörterung der Frage, inwieweit die Immunität gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, zu berücksichtigen, daß das Postulat des Gleichheitsgrundsatzes, wesentlich Gleiches und somit Vergleichbares gleich zu behandeln (unter Berücksichtigung von Unterscheidungskriterien, die Ausfluß eines sich verändernden Wertsystems sind), eine Ungleichbehandlung erforderlich und rechtmäßig macht, solange diese einem legitimen öffentlichen Interesse dienP25 Ein solches Interesse resultiert aus der Rechtsform der parlamentarischen Demokratie und ist zugleich die Basis, die auch die Daseinsberechtigung der Indemnität unter Berücksichtigung des Rechtsstaatsprinzips begründet, da es der in der Verfassung festgelegten Staatsform der repräsentativen Demokratie immanent ist. Deren Sinn und Zweck ist der übergreifende Aspekt, der die Indemnität gegenüber dem Art. 3 Abs. 1 und dem Rechtsstaatsprinzip rechtfertigt und die bereits an früherer Stelle bezüglich der Immunität aufgestellten These stützt, daß die Indemnität nicht beziehungslos zum übrigen verfassungsrechtlichen Normengewebe des Grundgesetzes steht, sondern von einer Wechselbeziehung und -wirkung zu ihm geprägt ist. 326 Daß das angesprochene legitime Interesse dem repäsentativen Parlamentarismus immanent ist, folgt daraus, daß das Parlament Ziele und Wertvorstellungen des Volkes, mögen sie auch noch so unterschiedlich sein, in seiner Gesamtheit aktualisiert und integriert. Zwangsläufig ist, wie bereits an 325 Vgl. nochmals Stein, § 23 12 und in Anlehnung daran die Ausführungen unter A. I. 2. a). 326 Vgl. A. I. 2. a).
1. Grundsätzliches zum Rechtsinstitut der Indemnität
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früherer Stelle erwähnt, die Staatsform der repräsentativen Demokratie geprägt vom politischen Kampf um Mehrheit und Macht, der unausweichlich mit sich bringt, daß sich die Beteiligten dabei nicht selten der deutlichen Kundgabe von Mißachtung des politischen Gegners bedienen. 327 In Anbetracht dessen gilt jedoch zu bedenken, daß der Schutz der persönlichen Ehre um so mehr zurückzustehen hat, je mehr es sich nicht um eine unmittelbar gegen die Ehre eines anderen gerichtete Äußerung im privaten, namentlich im wirtschaftlichen Verkehr für die Verfolgung eigennütziger Ziele, sondern um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf handelt. Je weniger es bei dem Angriff auf einen Gegner um dessen Person als solche geht, je eindeutiger vielmehr ein politisches Ziel im Vordergrund steht, und sei es das Ziel seiner Ausschaltung aus der Politik oder seiner Behinderung, in ein bestimmtes Amt zu gelangen, um so eindeutiger spricht die Vermutung für die Zulässigkeit der ausgesprochenen Werturteile. Gilt diese Feststellung bereits in der außerparlamentarischen Auseinandersetzung unter Beachtung des § 193 StGB, so muß diese Prämisse erst recht in Anbetracht innerparlamentarischer Auseinandersetzung gelten. Denn anders als im ersten Fall münden hier Anschauungen und Wertvorstellungen in Rechtsetzungsakte, die Bindungswirkung für alle Bürger entfalten. Diese Konsequenz fördert nicht nur zwangsläufig, sondern verlangt gerade nach einer parlamentarischen Auseinandersetzung in großer Schärfe. Einer solchen Auseinandersetzung wäre es nicht förderlich, müßte sich der betroffene Abgeordnete des Vorwurfs der Beleidigung ausgesetzt sehen, mit all den damit verbundenen rechtlichen Konsequenzen. Einer solchen durch Gesetz konkretisierbaren Wertentscheidung zugrunde liegende Konfrontation muß frei sein von Einschränkungen, die insbesondere auch in der Macht des politischen Gegners liegen. Würde man die Beurteilung der Frage, ob es sich bei innerparlamentarischen Äußerungen um eine Beleidigung oder üble Nachrede handelt, den Gerichten überlassen, so hätten diese nicht darüber zu befinden, ob die Zielrichtung des Angreifers sachlich zu billigen ist, sondern nur, ob die von ihm gewählte Form des Angriffs rechtlich noch zulässig ist. 328 Mag eine solche Überprüfung durch Gerichte möglich sein, so kann jedoch der angegriffene politische Gegner entscheiden - denn die in Frage stehenden Delikte sind Antragsdelikte - ob der "Beleidigende" etwaigen Sanktionen durch die Gerichte ausgesetzt sein soll oder nicht. Dieser Umstand öffnet der Gefahr Tür und Tor, politisch mißliebige Gegner zumindest mit dem Vorwurf der Beleidigung zu überziehen. Gerade aber die Gefahr des Mißbrauchs des Beleidigungsvorwurfs und insbesondere die Überprüfung zweifelhafter Beleidigungsanschuldigungen sollen zur Sicherung der parlamentarischen Auseinandersetzung mittels der Indemnität ausgeschaltet werden. Der harten und oft zum Zwecke der Transparenz ver327 328
Vgl. B. 1. a). BVerfG, NJW 1958, S. 257.
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B. Die Indemnität im Lichte parlamentarischer Ordnungsmaßnahmen
gröbernden Auseinandersetzung räumte der Verfassungsgeber im Rahmen des repräsentativen Parlamentarismus den Vorrang ein gegenüber dem Schutz der persönlichen Integrität des politisch anders denkenden Parlamentskollegen. Die Präferenz erfolgte zu Recht, denn in Anbetracht einer im Verhältnis zu anderen Straftaten relativ geringen Unrechtsverwirklichung durch die Erfüllung der Delikte der Beleidigung und der üblen Nachrede hat deren Verfolgung und Sanktionierung einer unbeeinträchtigten Willensund Meinungsbildung im Parlament, dem bedeutendsten Staatsorgan für die gesamtstaatliche Entwicklung, zurückzustehen. Nach alldem rechtfertigt sich die Indemnität als erforderliche Ergänzung zum Sinn und Zweck des durch die Verfassung kodifizierten repräsentativen Parlamentarismus in der Gegenüberstellung zu den Verfassungsprinzipien des Gleichbehandlungsgebots sowie der Rechtsstaatlichkeit.
d) Erörterungen zur Ausdehnung der Indemnität auf außerparlamentarische Äußerungen des Abgeordneten Mag aufgrund der obigen Erörterungen der Schutzzweck der Indemnität, den Abgeordneten bei seiner parlamentarischen Arbeit von außerparlamentarischer Verfolgung freizustellen, legitimiert sein, so könnte darüber hinausgehend zu bedenken sein, ob der Schutzbereich der Indemnität auf lediglich innerparlamentarische Äußerungen im Hinblick auf die gesellschaftspolitische Wirklichkeit parlamentarischer Demokratie in der Prägung des Grundgesetzes nicht zu eng durch Art. 46 Abs. 1 GG gefaßt ist. Durch das Eingreifen des modernen Sozialstaates in immer weitere gesellschaftliche Bereiche und die sich gleichzeitig vollziehende immer stärkere Teilhabe gesellschaftlicher Kräfte an der staatlichen Willensbildung ist auch der Wirkungsbereich des Parlaments erweitert. Eine grundsätzliche Trennung hoheitlich staatlicher Willensbildung und gesamtgesellschaftlicher Interessenvertretung erscheint damit fraglich. Der Abgeordnete nimmt im Entscheidungsmechanismus des modernen Parteienstaats insofern eine veränderte Stellung ein als der Abgeordnete früherer Zeiten im Entscheidungsmechanismus der liberalen repräsentativen Demokratie. 329 Auf diesen ist aber der Indemnitätsschutz des Art. 46 Abs. 1 GG zugeschnitten. Bei ihm war die Beschränkung der parlamentarischen Redefreiheit auf den engeren parlamentarischen Bereich sinnvoll, da sich der Entscheidungsprozeß im wesentlichen parlamentsintern vollzog. Es konnte klar zwischen gesellschaftlicher Stellung des Abgeordneten und seiner parlamentarischen Tätigkeit unterschieden werden. Heute jedoch läßt sich die engere parlamentarische Tätigkeit nicht mehr scharf von einer parlaments bezogenen politischen Tätigkeit in der Öffentlichkeit trennen. 330 Einerseits ist der 329 Badura, in: BK, Rd. 26 zu Art. 38. 330
Vgl. A. 1. 3. b) cc).
1. Grundsätzliches zum Rechtsinstitut der Indemnität
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Abgeordnete innerhalb des Parlaments durch seine Beteiligung an der Gesetzgebung sowie Fraktions-, Ausschuß-, Plenararbeit und schließlich durch Wahrnehmung seines Stimmrechtes unmittelbar an der staatlichen Willens bildung beteiligt, andererseits ist er außerhalb des Parlaments durch seine in Art. 38 Abs. 1 S. 2 und Art. 21 Abs. 2 S. 1 GG umschriebene verfassungsrechtliche Stellung besonders legitimiert, an der politischen Willensbildung teilzunehmen. 331 Er hat die Stimmung im Wahlkreis zu beobachten und gegebenenfalls Anregungen aus der Öffentlichkeit in die parlamentarische Willensbildung hineinzutragen. Er beeinflußt die öffentliche Meinungsbildung, indem er - als Abgeordneter der Regierungspartei - die politischen Entscheidungen der Regierungen vertritt oder - als Abgeordneter der Oppositionspartei - Alternativen zur Regierungspolitik aufzeigt. 332 Dabei sind wesentlicher Inhalt der Öffentlichkeitsarbeit der Abgeordneten wertende politische Äußerungen in Wahrnehmung seiner politischen Meinungsä ußerungsfreihei t. Mag man die politische Meinungsäußerungsfreiheit des Abgeordneten nach alldem als unverzichtbaren Bestandteil des Abgeordnetenstatus begreifen und demzufolge in Erwägung ziehen, den Indemnitätsschutz auch auf den außerparlamentarischen Bereich auszudehnen,333 so steht dem jedoch der eindeutige Wortlaut des Art. 46 Abs.1 GG entgegen. Daraus folgt, daß eine solche Ausdehnung, möge sie sich aus dem engen Zusammenhang von Art. 38 Abs. 1 S. 2, Art. 46 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 2 GG rechtfertigen lassen, nur über eine entsprechende Änderung des Art. 46 Abs. 1 GG verwirklicht werden könnte. 334 Ob jedoch eine Ausdehnung des Indemnitätsschutzes auf außerparlamentarische Äußerungen im Wege der Verfassungsänderung vonnöten ist, erscheint fraglich. Zwar beschreiben die obigen Erörterungen zur Rechtfertigung des Indemnitätsschutzes auch für außerparlamentarische Meinungsäußerungen des Abgeordneten den gewandelten Status des Mandatsträgers zutreffend, jedoch können sie so die Notwendigkeit einer Änderung des Art. 46 Abs. 1 GG nicht begründen. Eine ausdehnende Änderung des Art. 46 Abs. 1 GG wäre nur dann in Erwägung zu ziehen, wenn der Abgeordnete wegen außerparlamentarischer Äußerungen zur Verantwortung gezogen werden könnte und insoweit eine Regelungslücke bestünde. Dies ist jedoch nicht der Fall, denn nunmehr greift der Schutz der Immunität gemäß Art. 46 Abs. 2 GG. Zwar gilt die Immunität nicht wie die Indemnität unbegrenzt, so daß der Abgeordnete wegen beleidigender Äußerungen außerhalb des Bundestages nach Beendigung seiner Mandatsträgerschaft noch zur Verantwortung gezogen werden kann. Allerdings rechtfertigen sich gerade in Ansehung der obigen Erörterungen, 331 332 333 334
BVerfGE 7, 212; Hesse, Rd. 599. Vgl. das Zitat von Willy Brandt unter A. 1. 3. b) ce). So Hemeyer, ZRP 1971, S.177. Hemeyer, ZRP 1971, S.l77f.
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B. Die Indemnität im Lichte parlamentarischer Ordnungsrnaßnahmen
wonach der Abgeordnete im Entscheidungsmechanismus des modernen Parteienstaates eine hervorragende Stellung einnimmt, Äußerungen, die die persönliche Integrität in beleidigender Weise des politisch Andersdenkenden berühren, regelmäßig im Wege der Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB. Eine Erweiterung des Indemnitätsschutzes auf außerparlamentarische Äußerungen des Abgeordneten durch eine Änderung des Art. 46 Abs. 1 GG scheint demnach nicht angebracht. e) Der eigenständige Schutzbereich der Indemnität gegenüber der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG
Akzeptiert man die Indemnität als verfassungsgemäß und in ihrer konkreten Ausgestaltung durch Art. 46 Abs. 1 GG als ausreichend, so könnte man sie jedoch in Anbetracht des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG als überflüssig erachten,335 sichern doch beide Normen im Grundsatz die freie Meinungsäuße-
rung.
Art. 5 Abs. 2 GG sieht jedoch weitgehende Einschränkungen in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und - hier besonders bedeutungsvoll- in dem Recht der persönlichen Ehre vor, wogegen Art. 46 Abs. 1 GG nur die Einschränkung der verleumderischen Beleidigung kennt. 336 Dies folgt daraus, daß die Redefreiheit des Abgeordneten im Parlament nicht die Freiheit des Bürgers gegenüber dem Staat wie Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG schützen will, sondern eine in der Demokratie unverzichtbare Kompetenz zur Wahrnehmung der parlamentarischen Aufgaben, die den Status des Abgeordneten wesentlich mitbestimmt,337 so daß demzufolge auch in Anbetracht der Regelung des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG Art. 46 Abs. 1 GG sein eigener Stellenwert zukommt. Allerdings stellt sich die Frage, ob der Schutzzweck der Indemnität nicht faktisch ins Leere geht. Sicherlich läßt sich nicht leugnen, daß der Abgeordnete nicht mehr dem Ideal einer die Aktivbürgerschaft repräsentierenden freien Persönlichkeit entspricht, sondern zunehmend zu einem Exponenten seiner politischen Partei geworden und weitgehend in deren Abhängigkeit geraten ist. Dies beweist ein wachsender mehr oder minder straff gehandhabter Fraktionszwang bei Abstimmungsvorgängen. 338 Folglich könnte man argumentieren, daß die Indemnität ein Recht schützt, daß der Abgeordnete gar nicht mehr wahrnimmt oder wahrnehmen kann. Diese Überlegung aber macht deutlich, daß die vermehrte Vereinnahmung und Bindung des einzelnen Abgeordneten durch seine Fraktion ein politisches und nicht ein rechtliDazu Linden, S. 57 ff. Vgl. dazu Härth, S. 94. 337 BVerfGE 60, 374 (380). 338 Vgl. Rinck, JZ 1961, S.249, in Anlehnung an Bockelmann, S.18f. Siehe zu diesem Problem im Hinblick auf die Indemnität Witte-Wegmann, DVBl1974, S. 868. 335
336
2. Entstehungsvoraussetzungen und zeitliche Geltung der GOBT
97
ches Problem darstellt. Entscheidend für die Rechtfertigung der Indemnität ist der durch sie bezweckte Schutz des Abgeordneten vor rechtlichen Konsequenzen und somit dem damit verbundenen Zugriff anderer hoheitlicher Gewalten wegen Äußerungen und Abstimmungen. Diesbezüglich will die Indemnität nur die Grundlage für die Rede- und Abstimmungsfreiheit des Abgeordneten schaffen. Inwieweit er sie im Rahmen seiner fraktionellen Einbindung gebraucht, ist eine andere Frage. Zwar wird Karrieredenken dem Abgeordneten nicht viel Freiraum lassen, allzu häufig gegen den Strom der politischen Ziele seiner Fraktion zu schwimmen, um nicht in die politische Isolation zu geraten. Aber Aufgabe des Art. 46 Abs. 1 GG als Rechtsnorm ist es und kann es nur sein, den juristischen Freiraum im Sinne des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG zu schaffen. Auf Opportunismus hat er keinen Einfluß. Betrachtungswürdiger scheint die Bedeutung des Indemnitätsschutzes im Lichte des innerparlamentarischen Ordnungsrechts der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zu sein. Wenn an früherer Stelle auch festgestellt wurde, daß der Abgeordnete im Rahmen des Indemnitätsschutzes weder strafrechtlich, dienststrafrechtlich, ehrengerichtlich, mittels polizeilicher Maßnahmen oder zivilgerichtlich in irgendeiner Form herangezogen werden kann, so bleibt er aber jederzeit Maßnahmen der autonomen Ordnungsgewalt des Parlaments ausgesetzt. 339 2. Entstehungsvoraussetzungen und zeitliche Geltung der GOßT
Das Recht des Parlaments, sich eine Geschäftsordnung zu geben, bedarf einer Ermächtigungsgrundlage, weil im innerstaatlichen (Außen- oder Innen-) Bereich Rechtsetzung nur aufgrund verfassungsrechtlicher Ermächtigung gestattet ist. 34o Ermächtigungsgrundlage für die Geschäftsordnungsgebung des Bundestages ist Art. 40 Abs.l S.2 GG. Über das Verfahren der Geschäftsordnungsgebung ist im Grundgesetz nichts bestimmt mit der Folge, daß der Bundestag insoweit eigenverantwortlich darüber befinden kann, ob er sie unter Durchführung mehrerer Beratungen in einem gesetz gebungsähnlichen Verfahren oder durch schlichten innerparlamentarischen Rechtsakt erlassen will. 341 Auf jeden Fall ist ein Mehrheitsbeschluß des Parlaments für die Wirksamkeit der Geschäftsordnung notwendig, denn "weder der Ältestenrat, noch ein Ausschuß, noch ein anderes Organ des Parlaments ist aus eigener Machtvollkommenheit befugt, für das Parlament als Ganzes eine Geschäftsordnungsregelung zu treffen. "342 339 340 341 342
Rinck, JZ 1961, S. 250 m.w.N. Achterberg, Parlamentsrecht, S. 325. Achterberg, Parlamentsrecht, S. 327. Achterberg, Parlamentsrecht, S. 327.
7 Wurbs
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B. Die Indemnität im Lichte parlamentarischer Ordnungsmaßnahmen
Die Geschäftsordnung gilt nur bis zum Ende des Parlaments, gleichgültig ob bedingt durch ordentlichen Ablauf der Wahlperiode oder außerordentlich durch Auflösung. 343 Die Diskontinuität begründet sich insbesondere darauf, daß kein Parlament autonom ein anderes verpflichten kann, nach einer von ihm erlassenen Geschäftsordnung zu verfahren. 344 Allerdings braucht sich der Bundestag für die jeweils neue Legislaturperiode keine neue Geschäfsordnung zu geben, sondern kann die der vorangegangenen übernehmen. 345 Die Rezeption entspricht parlamentarischer Übung des Bundestages, da dieser zu Beginn der jeweiligen Wahlperiode regelmäßig die Geschäftsordnung der vorangegangenen allenfalls mit geringfügigen Veränderungen übernommen hat. Noch in der geltenden Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages sind Bestimmungen zu finden, deren Geltung über die Geschäftsordnung des Reichstages bis zur Geschäftsordnung des Preußischen Abgeordnetenhauses zurückzuverfolgen sind. 346 Eine erste größere Änderung der Geschäftsordnung erfolgte in der 5. Wahlperiode, und nach teilweiser Vorbereitung in den vom jeweiligen Präsidenten, vor allem in der 7. Wahlperiode, eingesetzten Kommissionen zur Reform der Geschäftsordnung hat der Bundestag auf Beschluß des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität eine neue Geschäftsordnung beschlossen, die am 1. Oktober 1980 in Kraft trat. 347 Insbesondere die Entwicklung des Geschäftsordnungsrechts während der ersten Legislaturperioden des Deutschen Bundestages zeigte, daß parlamentarische Verfahrensregeln sich stärker bewahrten als Verfassungen und Gesetze, und Reformen nur insoweit vorgenommen wurden, als eine pragmatische Anpassung an veränderte Gegebenheiten zur Rationalisierung der Arbeit diese erforderlich erscheinen ließen. 348 3. Die Rechtsnatur der GOßT Die Geschäftsordnung stellt eine Rechtsetzung abstrakt individueller Natur mit Innenwirkung dar. 349 Umstritten ist dabei, welche Form kodifizierten Rechts sie darstellt. Nach einer Auffassung stelle die Geschäftsordnung eine "interne Rechtsvorschrift ohne Rechtssatzcharakter" dar, welche in Verbindung mit nicht kodifizierten internen Parlamentsakten "autonomes Parlamentsrecht" bilde und aus einem mitgliedschaftsähnlichen Verhältnis herzuleiten sei, das dem besonderen Gewaltverhältnis ähnele. 350 Ob 343 BVerfGE 1, 148; v. Mangoldt / Klein, Art. 40 Anm. IV 2; Maunz, in: MDHS, Rd. 19 zu Art. 40. 344 Achterberg, Parlamentsrecht, S. 330. 345 BVerfGE 1, 148; v. Mangoldt / Klein, Art. 40, Anm. IV 2; Maunz, in: MDHS, Rd.19 zu Art. 40; K. F. Arndt, S. 95. 346 Bücker, in: Ritzel / Bücker, Einl. GOBT. 347 Vgl. dazu im einzelnen Bücker, in: Ritzel / Bücker, Einl. zur GOBT. 348 So die Einschätzung von Loewenberg, S. 260ff. 349 Achterberg, Parlamentsrecht, S. 322.
3. Die Rechtsnatur der GOBT
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man jedoch der Geschäftsordnung Rechtssatzcharakter absprechen kann, erscheint zumindest zweifelhaft insoweit, als sie nicht nur als Gewebe bloßer Moral- und Sozialnormen ohne Bindungswirkung zu begreifen ist, das ohne jegliche Rechtsfolgen durchbrochen werden kann 351 und einer Überprüfung unter Rechtmäßigkeitsgesichtspunkten kaum zugänglich ist. Dagegen kann unter anderem der einzelne Abgeordnete im Hinblick auf die Geschäftsordnung gemäß § 63 in Verbindung mit § 13 Nr. 5 BVerfGG beim Bundesverfassungsgericht eine Nachprüfung beantragen, ob er oder das Organ beziehungsweise das Organteil durch eine Maßnahme oder eine Unterlassung des Antragsgegners in seinen, ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und pflichten352 verletzt oder unmittelbar gefährdet ist. 353 Insoweit ist die Rechtsverbindlichkeit und damit der Rechtssatzcharakter der Geschäftsordnung nicht anzuzweifeln, weil dasjenige Organ, beziehungsweise derjenige Organteil oder das einzelne Mitglied des Parlaments, das (der) dadurch in seinen Rechten verletzt wird, diese in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren durchsetzen kann. 354 Nach heute überwiegender Auffassung hat die GOBT Satzungscharakter. 355 Dem wird jedoch entgegengehalten, Satzungen gäben sich nur Selbstverwaltungskörperschaften, während es sich beim Bundestag um ein Verfassungsorgan handele, und die Gemeinsamkeiten zwischen beiden nur darin bestünden, daß sie jeweils Rechtsetzungsautonomie besitzen. 356 Allerdings wird dieser Kritik entgegnet, daß die Natur der Satzung nicht dadurch gehindert werde, daß diese von Selbstverwaltungskörperschaften erlassen werde, denn diese seien, da die Funktionentrennung im autonomen keineswegs so scharf durchgeführt sei wie im staatlichen Bereich, immer auch Selbstgesetzgebungskörperschaften und demzufolge der Akzent nicht auf "Verwaltung" sondern auf "Körperschaft" gelegt werden müsse. 357 Vielmehr spreche gegen den Satzungscharakter der Geschäftsordnung des Bundestages, daß sie ein Rechtsetzungsakt eines Staatsorganes, eines staatlichen Rechtssubjektes darstelle und nicht der einer juristischen Person, eines lediglich unterstaatlichen Rechssubjekts, das einer, wenn auch auf eine Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkten Staatsaufsicht mit entsprechenden Aufsichtsmitteln 350 K. F. Arndt, S.156ff. Diese Ansicht ähnelt der früher bereits vertretenden Meinung, die Parlamentsgeschäftsordnung bilde eine Summe von bloßen Konventionalregeln ohne Rechtsverbindlichkeit. Vgl. dazu die ausführlichen Erörterungen bei Achterberg, Parlamentsrecht, S. 43 ff. 351 Achterberg, Parlamentsrecht, S. 322. 352 Nach BVerfGE 2, 143, 164 ergibt sich die Aktivlegitimation u.a. bereits aus Art. 38 Abs.1 GG. 353 Bücker, in: Ritzel/ Bücker, Ein!. zur GOBT. 354 BVerfGE 1, 148f. 355 BVerfGE 1, 148; v. Mangoldt / Klein, Art. 40, Anm. IV 4; Hesse, Rd. 577; Maunz / Zippelius, § 38 II 1 b; Bücker, in: Ritzel / Bücker, Ein!. zur GOBT. 356 Stern II, § 26 III 6. 357 Achterberg, Parlamentsrecht, S. 54.
7'
100
B. Die Indemnität im Lichte parlamentarischer Ordnungsmaßnahmen
unterliegt. 358 Einer solchermaßen gearteten Überprüfbarkeit ist die Geschäftsordnungsgebung und -anwendung aber gerade nicht unterworfen, sondern unterliegt demgegenüber, wie oben ausgeführt, der Kontrolle der Judikative in Gestalt des Bundesverfassungsgerichts. Nach alldem scheint es dem Charakter der Geschäftsordnung des Bundestages am nächsten zu kommen, wenn man sie als intraparlamentarisches Rechtsnormengebilde begreift,359 weil ihr Regelungsbereich sich nur auf die intraparlamentarischen Rechtsbeziehungen zwischen dem Parlament und seinen Organen (-Teilen), insbesondere seinen einzelnen Mitgliedern erstrecke, ohne dabei "Inter-Organ-Verhältnisse", beispielsweise zur Regierung, mit einzubeziehen. 360 Insbesondere aber wird der Charakter der Geschäftsordnung als (intra-) parlamentarische Innenrechtsnorm dadurch deutlich, daß sie in keiner Weise das Rechtsverhältnis des Außenbereichs zum Staatsbürger eigenständig erfaßt. 361 Dieses Ergebnis ändert sich auch nicht in Anbetracht des § 7 Abs. 2 S. 1 GOBT, wonach dem Bundestagspräsidenten das Hausrecht und die Polizeigewalt übertragen sind. Zwar wirken das Hausrecht und die Polizeigewalt des Bundestagspräsidenten gegenüber jedermann, jedoch bestimmt sich die jeweilige Rechtswirkung nach außen ausschließlich nach Art. 40 Abs. 2 S. 1 GG, der von § 7 Abs. 2 S. 1 GOBT etwas anders formuliert lediglich wiedergegeben wird. 362 Ebenso deutlich wird der Charakter der GOBT als parlamentarische Innenrechtsnorm dadurch belegt, daß ein Gesetz, welches nur in zwei statt in drei Lesungen beraten wurde und damit unter Verstoß gegen § 78 Abs. 1 GOBT zustande kam, gleichwohl gültig ist, also Abweichungen von einem ausschließlich den Innenbereich regelndem Rechtssatz die Wirksamkeit eines Hoheitsaktes nach außen nicht berühren. 363 4. Das Regelungsverhältnis der Indemnität zum Disziplinarrecht der GOßT In der GOBT geben insbesondere die Regelungen der §§ 3'6 - 38 eine Handhabe, das Rederecht des Abgeordneten als Teil seines Statusrechtes gemäß Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG einzuschränken. Es handelt sich dabei um Ordnungsrnaßnahmen, die vom bloßen Ordnungsruf (§ 36 GOBT) über die Wortentziehung (§ 37 GOBT) bis zum Ausschluß von Mitgliedern des Bundestages für die Dauer einer Sitzung reichen (§ 38 GOBT). Wie sich aus den Regelungen der §§ 36ff. GOBT im einzelnen ergibt, dienen diese Sanktionen dazu, den Abgeordneten zu einem ordnungsgemäßen 358
359 360
361 362 363
Achterberg, Parlamentsrecht, S. 54f. m.w.N. So Achterberg, Parlamentsrecht, S. 59. Achterberg, Parlamentsrecht, S. 61. Achterberg, Parlamentsrecht, S. 61. Troßmann, Rd. 41 zu § 7; Bücker, in: Ritzel / Bücker, Anm. Ir a. v. Mangoldt / Klein, Art. 40, Anm. IV 2; Maunz, in: MDHS, Rd. 23 zu Art. 40.
4. Das Verhältnis zwischen Indemnität und Disziplinarrecht
101
Gebrauch seiner parlamentarischen Mitwirkungsrechte anzuhalten und haben demzufolge disziplinarrechtlichen Charakter. 364 Inhaber der parlamentarischen Disziplinargewalt ist der Bundestag selbst. Zu ihrer Ausübung ist der jeweils amtierende Präsident berufen. 365 Daß die Disziplinierungsmaßnahmen dazu dienen sollen, eine angemessene und effektive innerparlamentarische Arbeit zu sichern, ändert nichts an der Tatsache, daß das Interesse des Parlaments an einer effektiven Aufgabenerledigung ein dehnbarer Begriff ist, der es ermöglicht, das Mitwirkungsrecht des Abgeordneten in mißbräuchlicher Weise zu beschneiden. Denn wie sich zeigen wird, gehen die Möglichkeiten des Ordnungsrechtes im Hinblick auf das Rederecht des Abgeordneten sehr weit. Nicht nur an der ordnungsrechtlichen ultima ratio, dem Sitzungsausschluß von Mitgliedern des Bundestages gemäß § 38 GOBT, oder der Möglichkeit des Wortenzuges nach § 37 GOBT wird dies augenscheinlich. Schon die Möglichkeit des amtierenden Präsidenten, den Redner zur Sache zu verweisen, wenn dieser vom Verhandlungsgegenstand abschweift (§ 36 GOBT), macht deutlich, daß das Rederecht des Abgeordneten jederzeit Eingriffen des Bundestagspräsidenten ausgesetzt ist. Da der Präsident Mitglied seiner Fraktion ist, besteht die Möglichkeit, daß er von den Fraktionsmitgliedern gedrängt wird, bei Rednern anderer Parteizugehörigkeit einen strengeren ordnungsrechtlichen Maßstab anzulegen als bei den eigenen. Daß diese Gefahr bei allen Fraktionen besteht, ändert nichts an dem prinzipiellen Problem der unzulässigen Rechtsausübung gegenüber dem einzelnen Mandatsträger im Hinblick auf seine Redefreiheit. Darüber hinaus gilt zu bedenken, daß nach bisheriger Praxis die stärkste Fraktion, in der Regel die Regierungsfraktion, mindestens zwei Präsidenten stellt, nämlich den Präsidenten selbst und einen Stellvertreter. 366 Bei Regierungskoalitionen wird ein Übergewicht gegenüber den anderen Fraktionen gleichermaßen deutlich, da entsprechend der Zahl der koalierenden Parteien ein Stellvertreter hinzu kommt. Somit ist die naheliegende Gefahr nicht zu leugnen, daß parlamentarische Minderheiten wie fraktionslose Abgeordnete unter dem Vorwand des amtierenden Präsidenten, die parlamentarische Ordnung aufrechtzuerhalten, gezielt in ihren Mitwirkungsrechten beschnitten werden. Diese Problematik wird verstärkt durch den Umstand deutlich, daß zwar der amtierende Präsident nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen über das Ob und den Umfang einer Disziplinarmaßnahme zu entscheiden hat,367 diese Entscheidung - abgesehen von der Ausnahmeregelung des § 39 GOBT - aber nicht der Nachprüfung durch den Bundestag oder seine Organe unterliegt. Weder das Bundestagspräsidium noch der Ältestenrat sind befugt, die Entscheidung rückgängig zu machen oder auch nur zu bean364 365
366 367
Bücker, in: Ritzel / Bücker, Vorb. 1 a zu den §§ 36 - 41. Bücker, in: Ritzel / Bücker, Vorb.1 b zu den §§ 36 - 41. Dazu im einzelnen Bücker, in: Ritzel / Bücker, Anm. I c und d zu § 2. Bücker, in: Ritzel / Bücker, Vorb. 1 b zu den §§ 36 - 41.
102
B. Die Indemnität im Lichte parlamentarischer Ordnungsmaßnahmen
standen. 368 Ebenso gibt es grundsätzlich - von der Einspruchsmöglichkeit nach § 39 GOBT abgesehen - dagegen keine Rechtsbehelfe. 369 Eine Debatte über Ordnungsrnaßnahmen durch das Plenum ist nicht vorgesehen. Nicht einmal Kritik an einer zweifelhaften Disziplinarentscheidung des Präsidenten durch das betroffene oder andere Mitglieder des Bundestages ist möglich. Vielmehr würde diese ihrerseits eine Ordnungsverletzung darstellen. 370 Mag der betroffene Abgeordnete gemäß § 39 GOBT gegen den Ordnungsruf oder den Sitzungsausschluß bis zur nächsten Plenarsitzung schriftlich begründeten Widerspruch einlegen, so wird dieser zwar Gegenstand jener Tagesordnung, jedoch entscheidet auch hier der Bundestag über den Widerspruch, der darüber hinaus keine Suspensivwirkung hat, ohne Aussprache (vgl. § 39 GOBT). Zwar kann der von der Abstimmung betroffene Abgeordnete oder ein anderes Parlamentsmitglied, obgleich keine Aussprache stattfindet, das Wort zu einer tatsächlichen oder persönlichen Erklärung gemäß der §§ 31 und 32 GOBT vom Bundestagspräsidenten erteilt werden. 371 Jedoch gilt zu bedenken, daß der Gegenstand der Erklärung, abgesehen von ihrer zeitlichen Begrenzung auf fünf Minuten und der laut § 32 GOBT vorgesehenen Notwendigkeit ihrer vorherigen schriftlichen Mitteilung an den Bundestagspräsidenten, weder die Darlegung des politischen Standpunktes des Erklärenden noch Kritik an der Entscheidung, also Kritik an der Amtsführung des Präsidenten beinhalten darf. 372 Allerdings erscheint auf den ersten Blick die Herausarbeitung des Spannungsverhältnisses zwischen Ordnungsrecht und Indemnität aufgrund der eindeutigen Regelung des Art. 46 Abs. 1 GG neben der Sache zu liegen. Denn die Indemnität schützt den Abgeordneten nur vor Maßnahmen außerhalb des Bundestages, so daß im Rahmen der autonomen Ordnungsgewalt der Versammlung im Sinne von Art. 40 GG Ordnungsrnaßnahmen mittels der Geschäftsordnung innerhalb des Parlaments zulässig sind, wenn man an dem Wortlaut des Art. 46 Abs. 1 GG nicht rütteln will. Denn eine Änderung des Regelungsinhaltes dieser Norm müßte dann zum Inhalt haben, daß die Mitwirkung des Abgeordneten auch innerparlamentarischer und somit Bücker, in: Ritzel / Bücker, Vorb. 1 b zu den §§ 36 - 4l. Bücker, in: Ritzel / Bücker, Vorb.l d zu den §§ 36 - 4l. 370 Bücker, in: Ritzel / Bücker, Vorb.l d zu den §§ 36 - 4l. 371 Bücker, in: Ritzel / Bücker, Anm.l b zu § 31, ist der Auffassung, daß aus der Formulierung "nach Schluß der Aussprache" in § 31 GOBT entnommen werden müsse, daß eine Erklärung zur Abstimmung unzulässig sei, wenn die Aussprache selbst unzulässig sei und nennt für einen solchen Fall das Beispiel des Einspruchs gegen einen Ordnungsruf. Jedoch erscheinen die Ausführungen Achterbergs, Die parlamentarische Verhandlung, S.135, einsichtiger, wonach Erklärungen zur bloßen Abstimmung im Sinne des § 31 GOBT ebenfalls zulässig sein sollen, weil die Vorschrift des § 31 GOBT, daß Erklärungen erst nach der Aussprache erlaubt sind, nicht so zu verstehen sei, daß solche nicht gestattet wären, wenn überhaupt keine Aussprache stattgefunden habe, sondern ihrem Sinn und Zweck in der Weise zu deuten seien, daß solche nicht bereits während der Aussprache zulässig sind. 372 Bücker, in: Ritzel / Bücker, Anm. 1 c und 2 b zu § 32. 368 369
4. Das Verhältnis zwischen Indemnität und Disziplinarrecht
103
geschäftsordnungsrechtlicher Maßnahmen entzogen ist. Soweit aber kann der Indemnitätsschutz nicht gehen, da dies eine Majorisierung des Rederechts zur Folge hätte, die der Effektivität der parlamentarischen Aufgabenbewältigung nicht zuträglich sein kann. Denn auch ein Mißbrauch der Redefreiheit durch den Abgeordneten gilt es zu verhindern.3 73 Dennoch darf das verfassungsgemäße Recht des Bundestages, sich eine Verfahrensordnung zu geben, nicht dazu führen, daß darin Maßnahmen verankert werden, die es ermöglichen, innerparlamentarische Mitwirkungsrechte des Mandatsträgers so zu disziplinieren, daß sie unangemessen verkürzt werden. Das hätte letztlich in Anbetracht der Gegenüberstellung von Art. 40 und Art. 46 Abs. 1 GG zur Folge, daß ein Abgeordneter des Parlaments zwar zur Verantwortung gezogen werden kann, jedoch die Indemnität von ihrem Sinn und Zweck her insoweit ins Leere laufen kann, als solche Äußerungen durch Maßnahmen des innerparlamentarischen Ordnungsrechts gar nicht oder zumindest nur in erheblich eingeschränktem Maße möglich sind. Als Beispiel für diese Überlegung braucht man sich nur die Bestimmung des § 38 Abs. 1 S. 1 GOBT vor Augen zu halten, wonach ein Mitglied des Bundestages bis zu dreißig Sitzungs tagen ausgeschlossen werden kann. Das bedeutet eine erhebliche Beschneidung der öffentlichen Darstellungsmöglichkeiten politischer Überzeugungen des Abgeordneten und damit einen Eingriff in dessen Repräsen tationsfunktion. Die Diskrepanz zwischen innerparlamentarischem Ordnungsrecht und Indemnität wird deutlich in den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts, wonach vorstellbar sei, daß Äußerungen eines Abgeordneten die Ordnung des Parlaments verletzen und eine Sanktion nach sich zögen, obschon sie sich in den Grenzen der Meinungsfreiheit des Art. 5 GG gehalten haben. 374 Wurde zwar bereits oben erläutert, daß das Rederecht des Abgeordneten nicht dem Schutzbereich des Art. 5 GG unterfällt, sondern Grundlage und Kompetenz für dessen Möglichkeit der Wahrnehmung parlamentarischer Aufgaben gemäß Art. 38 Abs. 1 S.2 GG darstellt, so erscheint es doch bemerkenswert, daß der Abgeordnete im Bundestag unter parlamentsordnungsrechtlichen Gesichtspunkten in seinem Äußerungsrecht weniger frei ist als der Bürger draußen im Lande, wenn er jederzeit mit Disziplinarmaßnahmen des Bundestagspräsidenten rechnen muß. Darüber hinaus bleibt festzuhalten, daß ein ordnungsrechtlicher Sitzungsausschluß in Form des § 38 Abs. 1 S. 3 GOBT (bis zu 30 Tagen) die gleiche Wirkung hat wie beispielsweise eine außerparlamentarische Verhaftung. Diese Überlegungen sollen nicht dazu dienen, die Notwendigkeit einer Parlamentsgeschäftsordnung anzuzweifeln, denn wie jede andere Gemeinschaft braucht auch die der Parlamentsmitglieder einen normierten Verhaltensmaßstab, der sich an 373 Bezeichnend dafür ist die in weiten Teilen der Bevölkerung vorgenommene Bezeichnung des Bundestages als "Quasselbude der Nation". 374 BVerfGE 60, 374, 380.
104
B. Die Indemnität im Lichte parlamentarischer Ordnungsmaßnahmen
der Notwendigkeit orientiert, die Aufgabenerfüllung des Parlaments garantieren zu helfen. 375 Sie sollen vielmehr deutlich machen, daß zwar die Gefährdung der Mitwirkungsfreiheit des einzelnen Abgeordneten verfassungsrechtlich durch Art. 46 Abs. 1 GG von außerparlamentarischen Gewalten weitgehend unterbunden wird, eine solche Gefährdung jedoch geschäftsordnungsrechtlich, sozusagen aus dem Inneren des Parlaments selbst, entspringen kann. Wenn auch die Gefahr des Mißbrauchs von Rechtsnormen allein nicht dafür herangezogen werden kann, diese im Grundsatz in Frage zu stellen, wurde doch an früherer Stelle bereits darauf hingewiesen, daß Rechtsnormen nur eine Idee, eine regelnde Zielrichtung verkörpern, deren Umsetzung in die Rechtspraxis abhängig ist von ihrer Akzeptanz innerhalb der Rechtsgemeinschaft, 376 so ändert dies allerdings nichts an der Möglichkeit und dem Erfordernis, die GOBT in der Weise zu gestalten, daß ihre rechtmäßige Umsetzung und Handhabung weitestgehend gesichert werden. Wenn festgestellt wurde, daß der Bundestagspräsident durch die GOBT legitimiert, ordnungsrechtliche Eingriffe aufgrund individueller, ihm allein vorbehaltener, kaum angreifbarer Machtbefugnisse vornehmen kann, so stellt dies eine Rechtslage dar, deren Rechtfertigung nicht allein mit der Geschäftsordnungsautonomie des Parlaments zu begründen ist, wenn sie mit dem Sinn und Zweck der Indemnität nicht harmoniert. Denn in jedem Fall gilt zu bedenken, daß für die Geschäftsordnungsgebung der Vorbehalt der Verfassung besteht. 377 Die Beachtung der Prinzipien der Verfassung ist auch im staatlichen Innenbereich erforderlich, sollen extra- und möglicherweise sogar kontrakonstitutionelle Entwicklungen verhindert werden, so daß die Einheitlichkeit der staatlichen Normsetzung auch die Rückführung der Geschäftsordnung des Bundestages auf die Verfassung verlangt. 378 Unterblieb eine Überprüfung der geschäftsordnungsrechtlichen Maßnahmen in Anbetracht der Indemnität, so begründet sich dies auf der Erkenntnis, daß grundsätzlich die Redefreiheit des Abgeordneten im Parlament durch Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG gewährleistet und somit allenfalls ein Spannungsverhältnis zwischen Ordnungsrecht und dem durch Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG gewährten Recht und der Pflicht der Erfüllung von in der Verfassung normierten Staatsaufgaben gesehen wird. 379 Das widerspricht jedoch nicht der gewonnenen Erkenntnis, daß die Bedeutung der Indemnität sich danach bestimmt, wie das innerparlamentarische Ordnungsrecht in seiner Handha375 Insoweit auch Bücker, in: Ritzel / Bücker, Einl. zur GOBT: "Kein Parlament, das diesen Namen zu Recht verdient, kann ohne eine Geschäftsordnung zur Regelung bestimmter Funktionen des Gesetzgebungsorgans auskommen." 376 Siehe die Ausführungen unter A. 1. 3. a). 377 v. Mangoldt / Klein, Art. 40, Anm. IV 2; Maunz, in: MDHS, Rd. 32 zu Art. 40. 378 Achterberg, Parlamentsrecht, S. 325. 379 Bücker, in: Ritzel / Bücker, Vorb. 1 e zu §§ 36 - 41 in Anlehnung an BVerfGE 60, 374,380.
4. Das Verhältnis zwischen Indemnität und Disziplinaurecht
105
bung der Kompetenz des Abgeordneten im Sinne von Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG Rechnung trägt. Dienen die Disziplinarmittel der GOBT der Wahrung einer angemessenen Aufgabenbewältigung des Parlaments, so schaffen sie dadurch die erforderliche Ergänzung der Indemnität, weil erst das im Interesse der Arbeitsfähigkeit des Parlaments ausgesprochene Verbot des Art. 46 Abs. 1 GG es gerechtfertigt erscheinen läßt, einen Abgeordneten wegen einer Äußerung im Bundestag außerhalb desselben zur Verantwortung zu ziehen. 380 Folglich ist das Ordnungsrecht der GOBT nicht nur Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, sondern auch dem Sinn und Zweck der Indemnität gegenüberzustellen. Eine mißbräuchliche Disziplinierung verstößt nicht nur gegen Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, sondern entzieht damit gleichzeitig der Regelung des Art. 46 Abs. 1 GG die Grundlage. Der Schutz der Mitwirkungsrechte des Abgeordneten vor außerparlamentarischer Verfolgung wird vermehrt dann bedeutungslos, wenn dieses Recht innerparlamentsrechtlich blockiert wird, da damit einhergehend der Schutzgrund für die Indemnität entfällt. Nimmt man zur Verdeutlichung dieser Überlegungen das Beispiel der Möglichkeit des amtierenden Bundestagspräsidenten, gemäß § 38 Abs. 1 S. 3 GOBT ein Mitglied des Bundestages bis zu dreißig Tagen von Sitzungen auszuschließen, so verliert, abgesehen von der Problematik dieser Maßnahmen angesichts des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, der Abgeordnetenschutz der Indemnität erheblich an Bedeutung. Folglich hängt nicht nur die Erfüllung der Idee des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG von der Rechtmäßigkeit geschäftsordnungsrechtlicher Maßnahmen ab, sondern auch die Relevanz des Art. 46 Abs. 1 GG, da beide Normen im Kern die Sicherung des freien Mitwirkungsrechts des einzelnen Parlamentariers bezwecken. Daher hat eine Überprüfung geschäftsordnungsrechtlicher Maßnahmen auf die Möglichkeit ihres Mißbrauchs gleichermaßen wie im Hinblick auf Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG im Lichte der Intention der Indemnität zu erfolgen, wenn man davon ausgeht, daß die parlamentarische Disziplinargewalt die in Art. 46 Abs. 1 GG normierte parlamentarische Indemnität ergänzen sol1.381 Demzufolge sind die Ordnungsrnaßnahmen der §§ 36ff. GOBT dergestalt zu prüfen, ob sie in der jetzigen Form eine die Indemnität ergänzende Struktur haben und darüber hinaus Regelungen beinhalten, die einem Mißbrauch zugänglich sind, der dem Sinn und Zweck des Art. 46 Abs.l GG zuwiderläuft. Damit ergibt sich die Notwendigkeit, das Regelungsverhältnis von Indemnität und Ordnungsrecht vor dem Hintergrund ihrer Bedeutung für einen funktionierenden repräsentativen Parlamentarismus zu beleuchten.
380
381
BückeT, in: Ritzel/ Bücker, Vorb. 1 a zu §§ 36 - 41. Vgl. nochmals BückeT, in: Ritzel / Bücker, Vorbem.1 a zu §§ 36 - 41.
106
B. Die Indemnität im Lichte parlamentarischer Ordnungsmaßnahmen
5. Die Ordnungsmaßnahmen der GOßT
Zur Wiederherstellung der Ordnung bei Störungen in der Plenarsitzung stehen dem Bundestagspräsidenten folgende Maßnahmen zur Verfügung: die Rüge, der Ruf zur Sache,
§ 36 GOBT,
Der Ordnungsruf,
§ 36 GOBT,
die Wortentziehung,
§ 37 GOBT,
der Ausschluß eines Abgeordneten von der Sitzung,
§ 38 GOBT,
die Unterbrechung oder Aufhebung der Sitzung wegen störender Unruhe.
§ 40 GOBT.382
a) Die parlamentarische Rüge Die Rüge ist in der Geschäftsordnung des Bundestages nicht geregelt. Sie entspricht einem parlamentarischen Brauch.3 83 Kennzeichnend für die Rüge ist ihr präventiver, hinweisender Charakter. 384 Von der Rüge als mildestem Mittel zur Aufrechterhaltung der parlamentarischen Ordnung kann der amtierende Präsident Gebrauch machen, um den Abgeordneten darauf hinzuweisen, die parlamentarischen Gepflogenheiten zu beachten. 385 Denen entspricht es nicht, wenn in einer parlamentarischen Auseinandersetzung, die vom Primat der Sachlichkeit bestimmt sein sollte, Abgeordnetenkollegen als "Dreckschleuder", "Taschenspieler" oder mit einem "schweren Dachschaden behaftet" tituliert werden. 386 Die Würde des Andersdenkenden ist kein Hemmnis der Redefreiheit. Insoweit ist die Rüge erforderlich und angemessen und daher unter ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten kaum zweifelhaft.
b) Der Ordnungsruf und der Verweis auf die Sache gemäß § 36 GOBT Gleichermaßen wenig einschneidend wie die Rüge ist der bloße Ordnungsruf gemäß § 36 GOBT. Allerdings schafft der Ordnungsruf die Grundlage in Verbindung mit seiner zweimaligen Wiederholung für den Wortentzug gemäß § 37 GOBT. Insoweit kommt dem Ordnungsruf eine nicht unerheb382
41.
383 384 385 386
Vgl. dazu die Ausführungen bei Bücker, in: Ritzel / Bücker, Vorb.1 c zu §§ 36 -
Bücker, in: Ritzel/ Bücker, Vorb. 1 c zu §§ 36 - 41. BVerfG, DVBl1982, S. 780f. Bücker, in: Ritzel/ Bücker, Vorb. 2 c zu §§ 36 - 41. Beispiele aus Härth, S. 136.
5. Die Ordnungsrnaßnahmen der GOBT
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liche Bedeutung ZU. 387 Ansonsten erscheinen in Anbetracht seiner Anwendungsvoraussetzungen die Grenzen zur bloßen Rüge fließend, so daß die Entscheidung, ob ein Ordnungsverstoß nur zu rügen oder mit einem Ordnungsruf zu belegen ist, in den seltensten Fällen eindeutig ausfallen kann. Zwar sieht man als Anlaß für einen Ordnungsruf: - grob kränkende, abwertende oder provokative Bemerkungen oder sonstige der parlamentarischen Ordnung widersprechende Unhöflichkeiten, - Beschimpfungen der Mehrheit/Minderheit des Hauses, des Staatswesens, des Staatsoberhauptes oder bestimmter Volksgruppen, - beleidigende Handlungen (§§ 185ff. StGB), auch wenn sie von dem Indemnitätsschutz des Art. 46 Abs. 1 GG gedeckt sind oder in Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB erfolgen; dazu gehört auch die Wiedergabe beleidigender Zitate, - andere strafbare Handlungen, wie beispielsweise Nötigung, Drohung und Verteilung verfassungswidrigen Propagandamaterials. 388 Jedoch zeigen die Beispiele für Ordnungsverletzungen durch Abgeordnete im Verhältnis zu den oben aufgeführten Verstößen, die nur gerügt werden, die Schwierigkeiten der jeweiligen Zuordnung zu der entsprechenden Ordnungsmaßnahme durch den amtierenden Präsidenten. 389 Ebenso rechtlich unproblematisch wie die Rüge und der Ordnungsruf ist der Verweis des Abgeordneten auf die Sache gemäß § 36 GOBT. Der Sachruf dient dazu, den Redner darauf aufmerksam zu machen, daß er in seinen Ausführungen vom Verhandlungsgegenstand abschweift und hat zum Ziel zu gewährleisten, daß sich dessen Beiträge nur auf den jeweiligen Beratungsgegenstand beziehen. 390 Insoweit stellen der Sachruf wie der Ordnungsruf und die Rüge keine Einschränkung der Redefreiheit dar, weil das Wort gemäß § 27 GOBT nur zu dem jeweiligen Verhandlungsgegenstand erteilt wird. 391 c) Die Wortentziehung gemäß § 37 GOBT
Gleichermaßen wie der Ordnungsruf kann der dreimalige Verweis auf die Sache die Wortentziehung gemäß § 37 GOBT nach sich ziehen. Die Konsequenz der Wortentziehung stellt ohne Zweifel einen deutlichen Eingriff in Siehe dazu die Ausführungen unter B. 5. cl. Aufstellung entnommen aus HäTth, S. 136, in Anlehnung an BückeT, in: Ritzel / Bücker, Erl. 2c zu § 36. 389 Deutlich wird das beispielsweise daran, daß bei den von BückeT, in: Ritzel / Bücker, Erl. 3 zu § 36, aufgezählten Ausdrücken auch der der "Dreckschleuder" zu finden ist, der nach Härth, S. 136, in einem anderen Fall nur gerügt wurde. 390 Bücker, in: Ritzel / Bücker, Erl. 1 a zu § 36. 391 Nelamischkies, S. 62. 387
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B. Die Indemnität im Lichte parlamentarischer Ordnungsmaßnahmen
die Redefreiheit des Abgeordneten dar, insbesondere, da einem Redner, dem nach § 37 GOBT das Wort entzogen wurde, nach dem ausdrücklichen Wortlaut dieser Vorschrift das Wort in derselben Aussprache zu demselben Debattengegenstand nicht wieder erteilt werden darf, und es sich dabei um dieselbe Aussprache zu demselben Gegenstand noch handelt, wenn die Aussprache sich über mehrere Sitzungstage erstreckt. 392 Zwar kann ein andauerndes Fehlverhalten des Parlamentariers während seiner Rede in Form von Beleidigungen, Beschimpfungen oder durch laufendes Abweichen vom Debattengegenstand angesichts einer effektiven Aufgabenverteilung des Parlaments nicht hingenommen werden und verlangt somit die Möglichkeit einer wirksamen Sanktion. Jedoch gilt zu bedenken, daß die Entscheidung über das Vorliegen eines Fehlverhaltens eines Abgeordneten im Ermessen des amtierenden Präsidenten liegt. Insoweit ist die Gefahr nicht zu übersehen, daß aufgrund dieser Entscheidungsfreiheit der Präsident auch verhältnismäßig unbedeutende Ordnungsverstöße des Redners zum Anlaß nehmen kann - gegebenenfalls schon in vorgefaßter Absicht - einen unbequemen Redner durch Wortenzug in dessen Ausführungen zu hindern. Die in § 37 GOBT vorgesehene dreimalige Ermahnung mit dem erforderlichen Hinweis auf die mögliche Konsequenz des Wortentzuges erstarrt dabei zur bloßen Formalität. Die Gefahr einer mißbräuchlichen Wortentziehung gemäß § 37 GOBT wird vor allem durch den Umstand augenscheinlich, daß diese Ordnungsmaßnahme nur äußerst eingeschränkt rechtlich überprüfbar ist und schon gar nicht, wie bereits erwähnt, der Nachprüfung durch den Bundestag oder seine Organe unterliegt. 393 Insbesondere ist sie dem Rechtsbehelf des Einspruches gemäß § 39 GOBT nicht ausgesetzt, da sich aus dem klaren Wortlaut dieser Norm ergibt, daß ein Einspruch gegen die Wortentziehung nicht möglich ist. 394 Allerdings ist es für den Verlauf und die Leitung der parlamentarischen Auseinandersetzung nicht zuträglich, die dafür erforderliche Autorität des Bundestagspräsidenten in der Weise zu beschneiden, daß man jegliche Ordnungsmaßnahme überprüfbar macht. Gerade angesichts der Wortentziehung erscheint dies nicht erforderlich. Auch wenn festzuhalten bleibt, daß der Wortentzug das Rederecht des Abgeordneten blokkiert, so ändert dies nichts an dem Recht des betroffenen Parlamentariers, über den Tagesordnungspunkt, zu dem sich zu äußern ihm verwehrt ist, abzustimmen. Für Entscheidungen des Parlaments in Form von Abstimmungen und Beschlüssen, den Kernstücken parlamentarischer Repräsentation, hat die Wortentziehung folglich keine Bedeutung. Einfluß auf Entscheidungsvorgänge im Parlament hat jedoch die ultima ratio des innerparlamentarischen Ordnungsrechts, der Sitzungsausschluß. 395 392 393 394
Plate, S. 152. Vgl. dazu B. 4. BückeT, in: Ritzel / Bücker, Erl.1 a zu § 39.
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d) Der Sitzungsausschluß gemäß § 38 GOBT in Verbindung mit § 39 GOBT
Der Sitzungsausschluß kann, auch ohne daß ein Ordnungsruf ergangen ist, erfolgen, wenn ein Abgeordneter die parlamentarische Ordnung in gröblicher Weise verletzt. Abstrakt versteht man unter einer solchen Ordnungsverletzung diejenige, die einen solchen Grad erreicht hat, daß andere Disziplinarmittel nicht mehr ausreichen. 396 Konkret erachtet man als darunterfallend beispielsweise: - Behinderungen der Amtshandlung des Präsidenten, namentlich durch dauerndes Schreien, Behinderung eines Redners durch fortgesetzte Unterbrechungen seiner Rede, Weigerung des Redners, die Rednertribüne nach der Wortentziehung zu verlassen, - Tätlichkeiten, grobe Beschimpfungen des Präsidenten oder der Abgeordneten, grobe Beleidigungen gegenüber Bundesorganen. 397 § 38 GOBT gibt dem Präsidenten nicht nur das Recht, den betroffenen Abgeordneten für den Sitzungstag von der Debatte auszuschließen, an dem dieser durch sein Verhalten die Ordnung verletzt hat, sondern darüber hinaus, wie bereits angesprochen, bis zu dreißig Sitzungstagen. Wenn in beiden Fällen in dieser Zeit Abstimmungs- oder Beschlußentscheidungen anstehen, hat das nicht nur zur Folge, daß dem ausgeschlossenen Abgeordneten grundsätzlich die Teilnahme daran verwehrt ist, sondern er gemäß § 38 GOBT während der Dauer des Ausschlusses nicht an Ausschußsitzungen teilnehmen darf. Allerdings kann das betroffene Bundestagsmitglied gemäß § 39 GOBT bis zum nächsten Sitzungstag schriftlich begründeten Widerspruch beim Bundestagspräsidenten einlegen. Da aber, wie bereits oben erwähnt, gemäß § 39 GOBT der Einspruch keine aufschiebende Wirkung hat, vollziehen sich somit alle Entscheidungen des Parlaments mindestens bis zum Zeitpunkt der durch diese Norm vorgesehenen Abstimmung über den Einspruch durch das Plenum ohne den ausgeschlossenen Abgeordneten. Demzufolge ist es wegen des fehlenden Suspensiveffektes dem Abgeordneten auch nicht möglich, an der Abstimmung über seinen Einspruch teilzunehmen. 398 Wenn die Entscheidungsgrundlage für 395 Vgl. dazu den Sitzungsausschluß der Abgeordneten Reents und Fischer (Grüne) durch Vizepräsident Stücklen am 18.10.1984, Steno Ber., S. 6692 A, 6698 B. 396 V. Brentano, S. 49. 397 Aufstellung entnommen bei Bücker, in: Ritzel/ Bücker, Erl. 1 a zu § 38. 39B Bücker, in: Ritzel / Bücker, Erl. 4 zu § 39.
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B. Die Indemnität im Lichte parlamentarischer Ordnungsmaßnahmen
das Parlament der Einspruch ist, kann somit der Bundestag entweder nur dem Einspruch stattgeben oder ihn zurückweisen. Eine inhaltliche Abänderung der Disziplinarmaßnahme in Form des zeitlichen Umfanges eines Sitzungsausschlusses etwa, ist ihm nicht möglich. 399 Gibt der Bundestag dem Einspruch statt, so hebt er mit dieser Entscheidung gleichzeitig die Disziplinarmaßnahme des Präsidenten auf,40o so daß vom Zeitpunkt der Stattgabe des Einspruchs an der ausgeschlossene Abgeordnete wieder an den Sitzungen teilnehmen kann, auch wenn der Ausschluß durch den Präsidenten über den Tag der Abstimmung hinausgeht. Wenn dem Einspruch des betroffenen Abgeordneten stattgegeben wird, so bewertet der Bundestag damit den Ausschluß gleichzeitig als ermessensfehlerhaft 401 und folglich als rechtlich unzulässig. Sieht man aufgrund dieser Tatsache die Ausschlußmaßnahme des Präsidenten als von Anfang an nichtig an,402 so würde dies bedeuten, daß der ausgeschlossene Abgeordnete rechtswidrig von seinen Mitwirkungsrechten entbunden worden wäre, welche ihm durch Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG gewährt werden. Zwar können die Rechte des Abgeordneten durch das verfassungsrechtliche Selbstgestaltungsrecht des Parlaments eingesc:hränkt werden (vgl. Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG), jedoch nicht durch dessen rechts fehlerhafte Anwendung. Somit stellt sich die Frage, wie die Ausschlußmaßnahme des Bundestagspräsidenten im Hinblick auf ihre konkrete Wirkung auf das Mitwirkungsrecht des Betroffenen bis zum Zeitpunkt der dem Einspruch stattgebenden Abstimmung zu behandeln ist. aa) Der rechtswidrige Ausschluß im Lichte des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG und § 39 GOBT Der rechtswidrige Ausschluß eines Abgeordneten stellt eine unzulässige Manipulation der vom Wähler bestimmten Mehrheitsverhältnisse des Parlaments dar. Handelt es sich beispielsweise bei einer Entscheidung um einen Gesetzesbeschluß, so verstößt der rechtswidrige Ausschluß gegen die ratio des Art. 77 Abs.l S. 2 GG, wonach Bundesgesetze vom Bundestag derart zu beschließen sind, daß die Legislative in der vom Volk bestimmten, von rechtswidrigen Eingriffen freien Zusammensetzung entscheidet. Eine unzulässige Abstimmungskonstellation der Volksvertretung verstößt gegen die Prinzipien des repräsentativen Parlamentarismus und somit gegen einen unabdingbaren Grundsatz der demokratischen Ordnung 403 und kann die unter solcher Voraussetzung getroffenen Entscheidungen und Beschlüsse BückeT, in: Ritzel/ Bücker, Erl. 3b zu § 39. BückeT, in: Ritzel / Bücker, Erl. 3 c zu § 39. 401 Wie schon an früherer Stelle erwähnt, trifft der amtierende Bundestagspräsident Ordnungsmaßnahmen nach pflichtgemäßen Ermessen. 402 BückeT, in: Ritzel / Bücker, Erl. 3 c zu § 39. 403 BVerfGE 1, 144, 151. 399
400
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des Bundestages nicht formellrechtlich wirksam entstehen lassen. Bei den Wahlen fällt die Entscheidung für die repräsentative Demokratie. Die damit zum Ausdruck kommende Willensentscheidung des Volkes muß die Grundlage der Staatsbildung sein. 404 Auch wenn nach der Wahl die Bildung des staatlichen Willens (konkret vermittels der Gesetze) durch das verfaßte Organ (Parlament) erfolgt, so übt das Volk durch die Bestimmung der Mehrheitsverhältnisse im Parlament sein Recht als Verfassungs- und Kreationsorgan im Sinne von Art. 20 Abs. 2 S.l GG aus. 405 Bei einer rechtswidrig manipulierten Veränderung der Zusammensetzung des Parlaments würde die durch die Verfassung vorgesehene Staatsgewalt des Volkes untergraben. Dies ist nicht nur bei knappen Mehrheitsverhältnissen problematisch, denn abgesehen davon, daß unter solchen Voraussetzungen nicht nur die rechtswidrige Hinderung, sondern schon der rechtmäßige Ausschluß von Abstimmungsvorgängen ganz entscheidenden Einfluß auf den jeweiligen parlamentarischen Entscheidungsakt haben kann, sind Rechtsverstöße nicht deswegen unerheblich, weil ihre tatsächlichen Auswirkungen regelmäßig eine untergeordnete Rolle spielen. Im Hinblick auf den Sitzungsausschluß gemäß § 38 GOBT erscheint eine solche Wertung gerade zweifelhaft, stellt man weniger auf den quantitativen als auf den qualitativen Aspekt ab. Dabei ist zu berücksichtigen, daß dem parlamentarischen Rechtsetzungsakt im Wege der Abstimmung, gerade im Rahmen der Gesetzgebungsverfahren gemäß § 78 GOBT, die Plenarberatung und die Einzelberatung im Ausschuß vorausgeht. In entscheidendem Maße findet hier die Integration und Mediatisierung von politischen Wertvorstellungen unterschiedlicher Art statt, also die bereits an früherer Stelle für die unter anderem zur Rechtfertigung der Immunität und Indemnität genannte bedeutsame geistige Auseinandersetzung über Fragen existenzieller Bedeutung für Volk, Nation und Staat. Entscheidend im Beratungsstadium manifestiert und konkretisiert sich das Prinzip der repräsentativen Demokratie, das Wesen des repräsentativen Parlamentarismus im Sinne der Verfassung. Damit tritt die Bedeutung der Vollziehung solcher Beratungsergebnisse im Sinne von Gesetzgebungsbeschlüssen gegenüber der ihnen zugrundeliegenden Auseinandersetzung für die Verwirklichung und Erhaltung dieser Verfassungsprämisse zurück, weil die parlamentarische Auseinandersetzung die Triebfeder für die politische Willensbildung des Volkes und damit ein wesentlicher Ausdruck der Volkssouveränität ist. 406 Ist die parlamentarische Auseinandersetzung geprägt vom dialektischen Zusammenspiel von Meinung und Gegenmeinung, dann ist die Wertvorstellung und Sachkenntnis des einzelnen Abgeordneten relevant und kann nicht selten erheblichen Einfluß auf die Entscheidungsgrundlage parlamentarischer Rechtsetzungsakte haben. Dieser Umstqnd 404 405
406
BVerfGE 1, 141. Schmidt-Bleibtreu / Klein, Rd. 8 zu Art. 20. Vgl. B. 1. b).
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B. Die Indemnität im Lichte parlamentarischer Ordnungsmaßnahmen
wiegt insbesondere um so mehr, wenn man sich klar macht, daß in vielen Beratungen, vor allem in den Ausschüssen, über Gesetzesinitiativen zur Regelung ganz spezifischer gesellschaftspolitischer Sachverhalte die Ansicht des politischen Gegners einfließt und Berücksichtigung findet, wenn sie unter Sachgesichtspunkten nutzbar ist. Dies ist eine Tatsache, die nicht auf der Hand zu liegen scheint, beurteilt man die parlamentarische Auseinandersetzung lediglich aufgrund der medienträchtigen Plenardebatten, die mehr Trennendes als Verbindendes zwischen den politischen Gruppierungen im Bundestag dokumentieren (sollen). Wenn man sich demzufolge vor Augen hält, daß im Wege des § 38 GOBT ein Abgeordneter bis zu dreißig Sitzungstagen ausgeschlossen werden kann und damit einhergehend während dieser Zeit nicht an Ausschußsitzungen teilnehmen darf, dann stellt die rechtsmißbräuchliche Anwendung dieser Norm einen erheblichen innerparlamentarischen Eingriff und Angriff auf den verfassungsrechtlichen Grundsatz der repräsentativen parlamentarischen Demokratie dar und kann einen unter solchen Umständen zustandegekommenen Rechtsetzungsakt aus den oben genannten Gründen nicht rechtswirksam entstehen lassen. 407 Dies hätte zur Konsequenz, daß diese Abstimmungen und Beschlüsse mit dem zu Unrecht ausgeschlossenen Abgeordneten, um verfassungsrechtlich unbedenklich zu sein, wiederholt werden müssen. Damit einhergehend aber würde man den vom § 39 GOBT nicht vorgesehenen Suspensiveffekt des Einspruchs faktisch nachträglich wieder herstellen, wenn auch unter der Bedingung, daß dem Einspruch stattgegeben wird. Legt nämlich § 39 GOBT fest, daß ein Einspruch des betroffenen Abgeordneten keine aufschiebende Wirkung haben soll, so besteht diese Regelung aus gutem Grund. Die Gefahr, sich einem sofort vollziehbaren und damit umgehend wirkenden Sitzungsausschluß auszusetzen, soll dazu dienen, den Abgeordneten von grob ungebührlichem Verhalten im Parlament abzuhalten. Eine Suspensivwirkung des Einspruchs gegen den Ausschluß würde dem präventiven Zweck des § 38 GOBT zuwiderlaufen. Zwar müßte der Abgeordnete jederzeit damit rechnen, daß bei Zurückweisung seines Einspruchs seine parlamentarischen Mitwirkungsrechte blockiert werden, an seinen unge407 Demzufolge könnte man in Anlehnung an die früheren Erörterungen zum Innenrechtscharakter der GOBT (vgl. B. 3.) folgern, daß insoweit das Disziplinarrecht im Hinblick auf ihre rechtmäßige oder rechtwidrige Anwendung selbständig über die Wirksamkeit von Rechtsetzungsakten, insbesondere in Form von Gesetzesbeschlüssen Außenwirkung zeitigt. Dem ist nicht so, denn nach BVerfGE 44, 308, 314ff. darf sich die GOBT ihren Inhalt nach" weder zu ausdrücklichen Regelungen des Grundgesetzes, noch zu den allgemeinen Verfassungsprinzipien und den der Verfassung immanenten Vorentscheidungen in Widerspruch setzen." Daraus folgt, daß durch die GOBT zwar Disziplinarmaßnahmen festgelegt werden dürfen, jedoch die mit ihrer Anwendung verbundenen Konsequenzen im Sinne einer Außenwirkung unter dem Aspekt der Bindungswirkung von fehlerhaften Rechtsetzungsakten wegen Mißbrauchs von Geschäftsordnungsrecht bestimmt die GOBT nicht selbständig, sondern in Anbetracht grundgesetzlicher Beurteilung und damit lediglich vermittels der Verfassung.
5. Die Ordnungsrnaßnahmen der GOBT
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hinderten Mitwirkungsrechten bis zum Zeitpunkt der Abstimmung, selbst bei einer Zurückweisung des Einspruchs, würde das nichts ändern. Erachtet man insgesamt den Verzicht der aufschiebenden Wirkung des Einspruchs gemäß § 39 GOBT als zweckmäßig und angemessen, so wird deutlich, daß eine sofort vollziehbare Ausschlußentscheidung unter präventiven Gesichtspunkten im Kern erhalten bleiben muß. Insoweit wäre ein Suspensiveffekt "durch die Hintertür" in Form von mit dem zu Unrecht ausgeschlossenen Abgeordneten zu wiederholenden Abstimmungen keine adäquate Lösung. Darüber hinaus gilt zu bedenken, daß eine solche Verfahrensweise die Parlamentsarbeit nicht unerheblich verzögern und damit behindern würde. Gleichwohl aber können aus den genannten Gründen die durch rechtswidrig veränderte Abstimmungskonstellationen zustandegekommenen Entscheidungen des Parlaments, insbesondere Gesetzesbeschlüsse, nicht hingenommen werden. Auf diesem Ergebnis beruht die Erkenntnis, daß die zeitliche Diskrepanz zwischen Ausschluß durch den Präsidenten und Abstimmung über den Einspruch des betroffenen Parlamentariers durch den Bundestag das Problem darstellt. Zielvorgabe der Problemlösung muß daher sein, den Sitzungsausschluß einerseits unter dem Aspekt der Prävention als sofort vollziehbar bestehen zu lassen, andererseits durch eine sofortige Beurteilung des Ausschlusses als rechtmäßig oder rechtswidrig, unzulässige Abstimmungskonstellationen im Sinne von Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG zu verhindern. bb) Zwei Änderungsvorschläge zum Regelungsverhältnis zwischen § 38 und § 39 GOBT Als Lösungsansatz käme in Betracht, daß man das Parlament entweder selbst umgehend über einen Sitzungsausschluß entscheiden läßt, und der Präsident nur einen Antrag auf Abstimmung über die Ordnungsmaßnahme des Sitzungsausschlusses stellt, oder man die Disziplinarentscheidung weiterhin in den Händen des Bundestagspräsidenten beläßt, indem man sie mit der Regelung verbindet, daß der betroffene Abgeordnete nicht, wie in § 39 GOBT vorgesehen, bis zum nächsten Plenarsitzungstag schriftlich begründeten Einspruch einzulegen hat, sondern am gleichen Sitzungstag, unverzüglich nach der Entscheidung des Präsidenten, mit knapper mündlicher Begründung, wozu ihm das Recht einer persönlichen Erklärung einzuräumen ist. Beide Varianten würden einerseits erreichen, daß der aufgrund der jetzigen Regelung des § 39 GOBT bestehende Zeitraum zwischen Ausschluß und Abstimmung entfiele, und somit die mit der zeitlichen Diskrepanz verbundenen, oben erörterten Probleme eliminiert würden. Zum anderen bliebe darüber hinaus, je nach dem, ob das Parlament direkt im Sinne der ersten Variante für einen Sitzungsausschluß des störenden Abgeordneten B Wurbs
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B. Die Indemnität im Lichte parlamentarischer Ordnungsmaßnahmen
votiert oder dessen unverzüglich einzulegenden Einspruch verwirft, die Disziplinarmaßnahme weiterhin sofort vollziehbar, da unter dem Gesichtspunkt der Prävention die Vollzugsregelungen des § 39 GOBT unangetastet bleiben sollen. Insoweit würde, vorausgesetzt man entschiede sich für die zweite Variante, die Regelung des § 39 GOBT, wonach ein Einspruch keine Suspensivwirkung entfaltet, überflüssig und damit hinfällig. Demzufolge stellt sich die Frage, welche Variante die geeignetste für die Problemlösung ist. Die Entscheidung darüber, welcher Variante der Vorzug zu geben ist, hängt unter anderem davon ab, wie man grundsätzlich die intraparlamentarische Ordnungsmaßnahme des Sitzungsausschlusses bewertet, auch wenn er rechtmäßig im Sinne der GOBT verhängt wurde. Unbestritten ist sein Erfordernis als Sanktion zur Beendigung und vor allem Verhinderung grob ungebührlichen Verhaltens von Abgeordneten, um eine weitgehend sachliche Auseinandersetzung des Parlaments sichern zu helfen. Insoweit muß der geschäftsordnungsrechtliche Sitzungsausschluß unangetastet bleiben. Problematisch könnte weniger die Sanktion selbst, als vielmehr der an früherer Stelle bereits genannte Umstand sein, daß die Geschäftsordnung in jetziger Gestalt durch § 38 GOBT allein dem (amtierenden) Bundestagspräsidenten die Machtbefugnis für eine solche Maßnahme einräumt. Denn die Individualisierung von Sanktionsbefugnissen verstärkt die Gefahr ihres Mißbrauchs. Je mehr an der Umsetzung und Kontrolle von geschriebenem Recht beteiligt sind, um so weniger besteht die Gefahr des Rechtsmißbrauchs durch ein in der Rechtsanwendung weitgehend freies unkontrolliertes Individuum. Der kollektive Konsens über die Rechtsanwendung hat zumindest die Vermutung ihrer Rechtmäßigkeit für sich. Diesem Gedanken trägt der in § 39 GOBT vorgesehene Rechtsbehelf des Einspruchs Rechnung. Denn das in dieser Norm mit dem Einspruch verbundene Erfordernis, daß über diesen durch das Parlament abgestimmt werden muß, regelt die nachträgliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Sitzungsausschlusses durch den Präsidenten. Erachtet das Plenum mittels der Stattgabe des Einspruchs den Sitzungsausschluß als rechtlich unzulässig, so entstehen dem ausgeschlossenen Bundestagsmitglied keine Nachteile in seinen Statusrechten, wenn man davon ausgeht, daß die bis zum Zeitpunkt der Abstimmung getroffenen Entscheidungen des Parlaments ohne den zu Unrecht ausgeschlossenen Abgeordneten aus den bereits genannten Gründen zu wiederholen wären. Insoweit wäre die Gefahr des mißbräuchlichen Sitzungsausschlusses weitgehend gebannt. Demzufolge besteht kein Anlaß, zwecks Eindämmung der durch die individualisierte Sanktionsbefugnis bedingte verstärkten Gefahr des Mißbrauchs, das Ausschlußrecht des Bundestagspräsidenten auf den Bundestag zu verlagern. Auch ansonsten besteht keine Notwendigkeit zu einer solchen Neuregelung. Die alleinige dem Präsidenten vorbehaltene Sanktionsgewalt hat sich bis heute bewährt. Die daraus erwachsende Autorität des Präsidenten sorgte bis heute fast aus-
5. Die Ordnungsrnaßnahmen der GOBT
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nahmslos dafür, daß durch ihn die Ordnung im Parlament und damit eine angemessene Aufgabenerledigung desselben gewahrt wurde, ohne daß es dabei zu außer aller Verhältnis stehenden Reaktionen des Bundestagspräsidenten gekommen ist. 40S Aus alldem folgt, daß man die Sanktionsbefugnis des Bundestagspräsidenten gemäß § 38 GOBT unangetastet lassen sollte. Allein problematisch ist aus den oben genannten Gründen die in § 39 GOBT verankerte zeitliche Diskrepanz zwischen dem Sitzungsausschluß durch den Präsidenten und dessen parlamentarischer Kontrolle, indem das Bindeglied zwischen beiden, der Einspruch, gemäß dieser Norm erst bis zum nächsten Sitzungstage zu erfolgen hat. Folglich reicht es aus, nur diese zeitliche Diskrepanz zu beseitigen, indem man nach der zweiten Variante verfährt. Danach soll, um es noch einmal zu wiederholen, der ausgeschlossene Abgeordnete am gleichen Sitzungstag unverzüglich nach der Entscheidung des Präsidenten unter knapper mündlicher Begründung in Form einer persönlichen Erklärung Einspruch einlegen. Allerdings muß man bei diesem Lösungsvorschlag einen wesentlichen Gesichtspunkt der in § 39 GOBT vorgesehenen Zeitspanne mit berücksichtigen. Man kann sich vorstellen, daß ein Sitzungsausschluß als schärfster innerparlamentarischer Eingriff in die Statusrechte des Abgeordneten nicht nur höchste Erregung bei dem Betroffenen hervorruft, sondern auch Überreaktionen seiner Fraktionskollegen oder anderer, die sich mit ihm solidarisieren, erwarten lassen. Diese wiederum bewirken Gegenreaktionen derer, die die Maßnahme des Präsidenten als richtig erachten. Die Gefahr von Tumulten ist somit nicht zu übersehen. Eine unter diesen Umständen sofortige, von Emotionen freie Einspruchsbegründung ist ebensowenig zu erwarten wie eine sich an den Einspruch anschließende, primär von sachlichen Erwägungen getragene Plenarabstimmungo Insoweit dient die Verzögerung des Einspruchs und die darauf bezogene Abstimmung im Sinne des § 39 GOBT zur "Abkühlung erhitzter Gemüter", um sowohl eine möglichst von Sachlichkeit beseelte Einspruchsbegründung des Abgeordneten als auch Abstimmung des Plenums gewähren zu helfen. Allerdings ändert diese praxisorientierte Intention der Regelung des § 39 GOBT zum einen nichts an dem damit verbundenen und zu lösenden Problem. Zweitens gibt die Geschäftsordnung noch eine weitere Möglichkeit an die Hand, die den Neuvorschlag der zweiten Variante auch unter dem soeben erörterten Gesichtspunkt praktikabel macht. Kommt es aufgrund des vom Bundestagspräsidenten verhängten Sitzungsausschlusses zu Tumulten oder vergleichbaren Störungen, die den Fortgang der parlamentarischen Verhandlung in Frage stellen, so kann der Präsident gemäß § 40 GOBT die Sitzung wegen störender Unruhen auf bestimmte Zeit unterbrechen. 409 Auch die Sitzungsunterbrechung gemäß § 40 GOBT dient dazu, die 408 Siehe zu den Aufgaben und Pflichten des Bundestagspräsidenten die Erläuterungen bei BückeT, in: Ritzel / Bücker, Er!. 2 zu § 7.
S'
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B. Die Indemnität im Lichte parlamentarischer Ordnungsmaßnahmen
Wogen mittels Zeitablauf zu glätten, damit die parlamentarische Verhandlung nach der Unterbrechung sachgerecht und angemessen fortgeführt werden kann und ist demzufolge in Anbetracht der zweiten Variante nutzbar. Aber nicht nur in bezug auf diesen Aspekt ergänzt sich § 40 GOBT mit der zweiten Variante. Entscheidend ist vielmehr, daß durch die Unterbrechung der Sitzung der Fortgang des Plenums in der Tagesordnung für bestimmte Zeit ausgesetzt wird und dadurch keine Entscheidungen durch den Bundestag getroffen werden können, bevor nicht der Einspruch und die Abstimmung darüber erfolgt sind. Da nach Wiedereröffnung der Sitzung als erstes der Einspruch durch den ausgeschlossenen Abgeordneten mündlich in Form einer persönlichen Erklärung einzulegen ist, und umgehend daraufhin die Abstimmung darüber zu erfolgen hat, so wird unabhängig davon, ob der Einspruch abgelehnt oder ihm stattgegeben wird, eine sofortige eindeutige innerparlamentarische Rechtslage und damit die Grundlage geschaffen, daß das Parlament in der Tagesordnung weitergehen kann. Wird der Einspruch verworfen und damit der Sitzungsausschluß durch den Präsidenten seitens des Parlaments bestätigt, so greift die Ordnungsmaßnahme unverzüglich auf die Mitwirkungsrechte des betroffenen Abgeordneten, da weiterhin nach der Vorschrift des § 38 GOBT zu verfahren ist. 6. Das Ergänzungsverhältnis zwischen geschäftsordnungsrechtlichen Disziplinarmaßnahmen und der Indemnität Unter Berücksichtigung einer Modifikation des § 39 GOBT im soeben erläuterten Sinne stellt das Ordnungsrecht insgesamt in wirksamer und angemessener Weise eine sachgerechte parlamentarische Arbeit sicher. Denn es garantiert die verfassungsgemäße Funktionalität des Parlaments und bietet aufgrund seiner Struktur kaum Angriffsflächen für ihre mißbräuchliche Handhabung. Insoweit sind die von Verfassungs wegen garantierten Statusrechte des Abgeordneten auch innerparlamentsrechtlich bedingten unzulässigen Eingriffen nicht ausgesetzt, sondern das Ordnungsrecht regelt in angemessener Weise das Zusammenwirken aller parlamentarischen Gruppen. Somit stellt das Disziplinarrecht der GOBT die geforderte Ergänzung zum Recht der Indemnität dar und schafft damit die Grundlage für deren Aufgabe, die parlamentarischen Mitwirkungsrechte des Abgeordneten vor außerparlamentarischem Zugriff zu bewahren. Damit einhergehend schafft das innerparlamentarische Ordnungsrecht der GOBT die Grundlage für den Sinn und Zweck der Indemnität und folglich die Basis für deren Rechtfertigung im verfassungsrechtlichen Kontext des Grundgesetzes. 409 So verfuhr Vizepräsident Stücklen nach dem Sitzungsausschluß des Abgeordneten Fischer (vgl. Fn. 395).
Schluß betrachtung Die Rechtfertigung von Immunität und Indemnität basiert nicht mehr auf dem Spannungsverhältnis zwischen Legislative und Exekutive zu Zeiten des Konstitutionalismus, sondern liegt begründet in den Repräsentationsaufgaben des Parlaments vermittels aller seiner Mitglieder. Die Repräsentation bezeichnet eine Fülle von Abgeordnetenaufgaben, deren uneingeschränkte Wahrnehmung von exekutiven Zwangsmaßnahmen freigehalten werden muß, wenn diese den Abgeordneten in seiner Eigenschaft als Mandatsträger beschränken. Anhand einer eingehenden Überprüfung des Aufgabenverständnisses des Abgeordneten führt die Arbeit angesichts des Schutzumfanges der Immunität zu dem Ergebnis, daß alle Maßnahmen staatlichen Zwanges grundsätzlich dem Genehmigungsvorbehalt des Parlaments zu unterliegen haben und dieser nicht auf diejenigen Maßnahmen zu beschränken ist, die allein auf die körperlich-räumliche Bewegungsfreiheit des Abgeordneten abzielen. Darauf begründet sich für die Erarbeitung von Lösungsvorschlägen für die bestehenden Handhabungsprobleme angesichts der Durchsuchung, Beschlagnahme sowie der Überwachung des Telefon- und Fernmeldeverkehrs in der parlamentarischen Praxis vor dem Hintergrund des Bundestagsbeschlusses betr. Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Bundestages in Verbindung mit den parlamentarischen Grundsätzen in Immuni tä tsangelegenheiten folgendes Resulta t: 1. Durchsuchung und Beschlagnahme sollten von der generellen Genehmi-
gung der Ziffer 1 des Beschlusses betr. Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Bundestages mit umfaßt sein. Im Hinblick auf die Beschlagnahme erscheint es jedoch aufgrund der damit zu besorgenden Auswirkungen auf die parlamentarische Arbeit des Abgeordneten angebracht, neben der generellen Freigabe einem Fraktionskollegen des Beschuldigten, sowie einem Mitglied des Immunitätsausschusses, zugehörig einer anderen Fraktion, als Kontrollpersonen das Recht zu ihrer Beschränkung durch Auflage einzuräumen, wenn dies im Einzelfall erforderlich erscheint.
2. Im Gegensatz zur jetzigen Regelung sollte der Bundestag seinen Genehmigungsanspruch auch für das Ordnungswidrigkeitenverfahren zum Ausdruck bringen, indem er es in Ziffer 1 des Beschlusses aufnimmt. Die damit gleichzeitig zum Ausdruck kommende generelle Genehmigung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens ist ebenso wie im Strafverfahren
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Schlußbetrachtung
sowohl als Interessenausgleich zwischen den Ermittlungsbehörden und dem Parlament sowie unter dem Gesichtspunkt seiner Entpublizierung ratsam. Daraus folgt, daß auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren Durchsuchung und Beschlagnahme von der generellen Genehmigung mit umfaßt sind, allerdings mit der Einschränkung, daß beide nur dann in Betracht kommen sollten, wenn die Voraussetzungen von ganz erheblichen Verstößen, beispielsweise bei sehr schwerwiegenden Verkehrs- oder Wirtschaftsordnungswidrigkeiten, gegeben sind, und darüber hinaus ein ganz erheblicher Tatverdacht vorliegt. 3. Für die Behandlung des Disziplinarverfahrens in der parlamentarischen Praxis gilt im wesentlichen das zu Ziffer 2 Gesagte. Im Gegensatz zum Ordnungswidrigkeitenverfahren jedoch kann die generelle Genehmigung von Disziplinarverfahren eine damit verbundene (mögliche) Durchsuchung und Beschlagnahme unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht umfassen und verlangt demnach diesbezüglich eine gesonderte Entscheidung des Plenums über den konkreten Einzelfall. 4. Wie bei den genannten Ermittlungsverfahren sollten auch Durchsuchung und Beschlagnahme im Rahmen der zivilprozessualen Zwangsvollstrekkung von der Genehmigung des Parlaments abhängig sein, auch wenn der Bundestag bis heute davon noch nicht ausgeht. Ebenso sollten Durchsuchung und Pfändung generell freigegeben werden, wobei die Beschränkungsmöglichkeit nur im Hinblick auf die Pfändung erforderlich erscheint, und zwar bei Pfändungsgegenständen, die zur Erledigung parlamentarischer Aufgaben für den Abgeordneten unbedingt notwendig sind. All das hat auch in Anbetracht einer öffentlich-rechtlichen Mobiliarvollstreckung zu gelten. 5. Die Telefonüberwachung gemäß § 100a StPO sollte der Bundestag generell genehmigen. Dies rechtfertigt sich insbesondere in Anbetracht der Katalogtaten dieser Norm. Gleichwohl sollten damit einhergehende Kontrollrechte mittels Auflage kodifiziert werden, um in besonders gelagerten Fällen dem Vertrauensschutz zwischen Bürger und Abgeordneten Rechnung tragen zu können. Im Gegensatz dazu sollte die Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses nach Art. 1 § 1 G 10 nicht der generellen Genehmigung unterliegen. Solcherlei Maßnahmen bedürfen einer gesonderten Einzelgenehmigung durch das Parlament mittels eines speziellen Gremiums, wobei diesem Gremium darüber hinaus einerseits ein Auskunftsrecht, andererseits das Aufhebungsrecht einer genehmigten Maßnahme nach Art. 1 § 1 G 10 zustehen sollte.
Schlußbetrachtung
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Ausgehend von der Überlegung, daß das durch die Indemnität grundgesetzlich verankerte Verbot, einen Abgeordneten wegen einer Äußerung im Parlament außerhalb des Bundestages zur Verantwortung zu ziehen, nur dann tatsächlich seine Daseinsberechtigung hat, wenn die parlamentarische Disziplinargewalt die erforderliche Ergänzung zu Art. 46 Abs. 1 GG darstellt, wurden die Ordnungsmaßnahmen der GOBT im Hinblick auf ihren Regelungsgehalt, insbesondere in Anbetracht der Möglichkeit ihres Mißbrauchs durch den Bundestagspräsidenten, untersucht. Dabei stellt sich die Notwendigkeit einer Modifikation des Regelungssystems der §§ 38 und 39 GOBT heraus, für die zwei Varianten als Diskussionsgrundlage erarbeitet wurden. Unter Berücksichtigung dessen führt die Überprüfung zu dem Ergebnis, daß das Disziplinarrecht der GOBT die innerparlamentarische Grundlage für die Aufgaben der Indemnität schafft und damit deren Daseinsberechtigung im verfassungsrechtlichen Kontext des Grundgesetzes rechtfertigt.
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Anhang Beschluß des Deutschen Bundestages betr. Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Bundestages* 1. Der Deutsche Bundestag genehmigt bis zum Ablauf dieser Wahlperiode die Durch-
führung von Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder des Bundestages wegen Straftaten, es sei denn, daß es sich um Beleidigungen (§§ 185, 186, 187 a Abs. 1 StGB) politischen Charakters handelt.
[Vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist dem Präsidenten des Deutschen Bundestages und, soweit nicht Gründe der Wahrheitsfindung entgegenstehen, dem betroffenen Mitglied des Bundestages Mitteilung zu machen; unterbleibt eine Mitteilung an das Mitglied des Bundestages, so ist der Präsident auch hiervon unter Angabe der Gründe zu unterrichten. Das Recht des Deutschen Bundestages, die Aussetzung des Verfahrens zu verlangen (Artikel 46 Abs. 4 GG), bleibt unberührt.] 2. Diese Genehmigung umfaßt nicht a) die Erhebung der öffentlichen Klage wegen einer Straftat und den Antrag auf Erlaß eines Strafbefehls oder einer Strafverfügung, b) im Verfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten den Hinweis des Gerichts, daß über die Tat auch aufgrund eines Strafgesetzes entschieden werden kann (§ 81 Abs. 1 Satz 2 OWiG), c) freiheitsentziehende und freiheitsbeschränkende Maßnahmen im Ermittlungsverfahren. 3. Zur Vereinfachung des Geschäftsganges wird der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung beauftragt, bei Verkehrsdelikten eine Vorentscheidung über die Genehmigung in den Fällen der Nummer 2 zu treffen. Dasselbe gilt für Straftaten, die nach Auffassung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung als Bagatellangelegenheiten zu betrachten sind. Die Ermächtigung zur Strafverfolgung gemäß § 197 Satz 2 StGB bei Beleidigungen des Deutschen Bundestages kann im Wege der Vorentscheidung erteilt werden. 4. Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer Erzwingungshaft (§§ 96, 97 OWiG) bedürfen der Genehmigung des Deutschen Bundestages. Zur Vereinfachung des Geschäftsganges wird der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung beauftragt, eine Vorentscheidung über die Genehmigung der Vollstreckung zu treffen, bei Freiheitsstrafen nur, soweit nicht auf eine höhere Freiheitsstrafe als drei Monate erkannt ist oder bei einer Gesamtstrafenbildung (§§ 74, 79 StGB, § 460 StPO) keine der erkannten Einzelstrafen drei Monate übersteigt . • Dieser Beschluß wird jeweils zu Beginn einer Wahlperiode vom Deutschen Bundestag übernommen.
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Anhang
5. Bei Vorentscheidungen werden die Beschlüsse des Ausschusses dem Bundestag durch den Präsidenten schriftlich mitgeteilt, ohne auf die Tagesordnung gesetzt zu werden. Sie gelten als Entscheidung des Deutschen Bundestages, wenn nicht innerhalb von sieben Tagen nach Mitteilung schriftlich beim Präsidenten Widerspruch erhoben wird.
Grundsätze in Immunitätsangelegenheiten und in Fällen der Genehmigung gemäß § 50 Abs. ;) StPO und § 382 Abs. 3 ZPO sowie bei Ermächtigungen gemäß § 90b Abs. 2, § 194 Abs. 4 StGB* A. Grundsätze in Immunitätsangelegenheiten
1. Antragsberechtigung Berechtigt zur Stellung eines Antrages auf Aufhebung der Immunität sind a) die Staatsanwaltschaften, Gerichte, Ehren- und Berufsgerichte öffentlich-rechtlichen Charakters sowie berufsständische Einrichtungen, die kraft Gesetzes Standesaufsicht ausüben, b) im Privatklageverfahren das Gericht, bevor es nach § 383 StPO das Hauptverfahren eröffnet, c) der Gläubiger im Vollstreckungsverfahren, soweit das Gericht nicht auch ohne dessen Antrag tätig werden kann, d) der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung.
2. Mitteilung an den Präsidenten des Bundestages und Einreichen der Anträge a) Hat der Bundestag für die Dauer einer Wahlperiode die Durchführung von Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder des Bundestages wegen Straftaten genehmigt, so ist vor der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens dem Präsidenten des Bundestages und, soweit nicht Gründe der Wahrheitsfindung entgegenstehen, dem betroffenen Mitglied des Bundestages Mitteilung zu machen; unterbleibt eine Mitteilung an das Mitglied des Bundestages, so ist der Präsident auch hiervon unter Angabe der Gründe zu unterrichten. Das Recht des Bundestages, die Aussetzung des Verfahrens zu verlangen (Artikel 46 Abs. 4 des Grundgesetzes), bleibt unberührt. b) Die Staatsanwaltschaften und Gerichte richten ihre Anträge an den Präsidenten des Bundestages auf dem Dienstweg über den Bundesminister der Justiz, der sie mit der Bitte vorlegt, eine Entscheidung herbeizuführen, ob die Genehmigung zur Strafverfolgung oder Beschränkung der persönlichen Freiheit eines Mitgliedes des Bundestages oder der sonst beabsichtigten Maßnahme erteilt wird. c) Der Gläubiger (Nummer 1 Buchstabe c) kann seinen Antrag unmittelbar an den Bundestag richten .
• Die Grundsätze gemäß § 107 Abs. 2 werden vom Ausschuß für Wahlpriifung, Immunität und Geschäftsordnung jeweils zu Beginn einer Wahlperiode beschlossen.
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3. Stellung der betroffenen Mitglieder des Bundestages In Immunitätsangelegenheiten soll das betroffene Mitglied des Bundestages im Bundestag das Wort zur Sache nicht erhalten; von ihm gestellte Anträge auf Aufhebung seiner Immunität bleiben unberücksichtigt.
4. Beweiswürdigung Der Bundestag darf nicht in eine Beweiswürdigung eintreten. Das Immunitätsrecht bezweckt, die Funktionsfähigkeit und das Ansehen des Bundestages sicherzustellen. Die Entscheidung über die Aufrechterhaltung oder Aufhebung der Immunität ist eine politische Entscheidung und darf ihrem Wesen nach kein Eingriff in ein schwebendes Verfahren sein, bei dem es um die Feststellung von Recht oder Unrecht, Schuld oder Nichtschuld geht. Der Kern der erwähnten politischen Entscheidung beruht auf einer Interessenabwägung zwischen den Belangen des Parlaments und den Belangen der anderen hoheitlichen Gewalten. Es darf somit nicht in eine Beweiswürdigung hinsichtlich der Erfüllung eines Unrechttatbestandes eingetreten werden.
5. Beleidigungen politischen Charakters Beleidigungen politischen Charakters sollen in der Regel nicht zur Aufhebung der Immunität führen. Die Staatsanwaltschaft darf zur Vorbereitung einer Entscheidung darüber, ob ein Antrag auf Entscheidung über die Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gestellt werden soll, dem Mitglied des Bundestages die Anschuldigung mitteilen und ihm anheimstellen, hierzu Stellung zu nehmen. Feststellungen der Staatsanwaltschaft über die Persönlichkeit des Anzeigeerstatters sowie über andere für die Beurteilung der Ernsthaftigkeit einer Anzeige wichtige Umstände bedeuten kein "zur Verantwortung ziehen" im Sinne des Artikels 46 Abs. 2 des Grundgesetzes. Artikel 46 Abs. 1 des Grundgesetzes bestimmt, daß ein Mitglied des Bundestages wegen einer Abstimmung oder einer Äußerung, die es im Bundestage oder in einem seiner Ausschüsse getan hat, gerichtlich oder dieiJ.stlich nicht zur Verantwortung gezogen werden kann, mit Ausnahme bei verleumderischen Beleidigungen (Indemnität). Das bedeutet aber, daß es z.B. wegen einfacher Beleidigung, die im Parlament erfolgt ist, nicht strafrechtlich verfolgt werden kann. Hieraus wird der Grundsatz hergeleitet, daß bei einfachen Beleidigungen, die außerhalb des Bundestages vorgekommen sind, auch die Immunität nicht aufgehoben werden soll, soweit die Beleidigung politischen Charakters ist und keine Verleumdung darstellt. Als "außerhalb des Bundestages" gilt auch eine beleidigende Äußerung, die ein Mitglied des Bundestages als Zeuge vor einem Untersuchungsausschuß getan hat, da das Mitglied des Bundestages hier jedem anderen Staatsbürger, der als Zeuge vernommen wird, gleichgestellt ist.
6. Festnahme eines Mitgliedes des Bundestages bei Begehung der Tat Bei Festnahme eines Mitgliedes des Bundestages bei Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages bedarf die Durchführung des Strafverfahrens oder eine Verhaftung, soweit sie bis spätestens "im Laufe des folgenden Tages" erfolgt, keiner Genehmigung (Artikel 46 Abs. 2 des Grundgesetzes).
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Eine erneute Vorführung oder Verhaftung nach vorheriger Freilassung und Verstreichen des der Tat folgenden Tages bedarf dann wieder der Genelunigung des Bundestages; denn hierin liegt eine Beschränkung der persönlichen Freiheit (Artikel 46 Abs.2 des Grundgesetzes), die in keinem Zusammenhang mit der Festnahme "auf frischer Tat" steht.
7. Verhaftung eines Mitgliedes des Bundestages a) Die für die Dauer einer Wahlperiode erteilte Genehmigung zur Durchführung von Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder des Bundestages wegen Straftaten sowie die Genehmigung zur Erhebung der öffentlichen Klage wegen einer Straftat umfaßt nicht zugleich auch die Genehmigung zur Verhaftung (Artikel 46 Abs. 2 des Grundgesetzes) oder zwangsweisen Vorführung. b) Unter Verhaftung (Artikel 46 Abs.2 des Grundgesetzes) ist nur die Untersuchungshaft zu verstehen; die Verhaftung zur Strafvollstreckung bedarf wieder einer besonderen Genehmigung. c) Die Genehmigung zur Verhaftung schließt die Genehmigung zur zwangsweisen Vorführung ein. d) Die Genehmigung zur zwangsweisen Vorführung schließt nicht die Genehmigung zur Verhaftung ein.
8. Vollstreckung von Freiheitsstrafen oder von Erzwingungshaft (§§ 96, 97 OWiG)
Die Genehmigung zur Erhebung der öffentlichen Klage wegen einer Straftat berechtigt nicht zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe. Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer Erzwingungshaft (§§ 96, 97 OWiG) bedürfen der Genehmigung des Bundestages. Zur Vereinfachung des Geschäftsganges ist der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung beauftragt, eine Vorentscheidung über die Genehmigung der Vollstreckung zu treffen, bei Freiheitsstrafen jedoch nur, soweit nicht auf eine höhere Freiheitsstrafe als drei Monate erkannt ist oder bei einer Gesamtstrafenbildung (§§ 53, 55 StGB, § 460 StPO) keine der erkannten Einzelstrafen drei Monate übersteigt.
9. Disziplinarverfahren Die Aufhebung der Immunität zur Durchführung eines Disziplinarverfahrens gilt nicht zur Durchführung eines Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft wegen des gleichen Sachverhalts. Umgekehrt gilt die Aufhebung der Immunität zur Durchführung eines Strafverfahrens nicht für die Durchführung eines Disziplinarverfahrens. Die Vollstreckung von Disziplinarmaßnahmen bedarf keiner erneuten Genehmigung des Bundestages.
10. Ehren- und Berufsgerichtsverfahren Verfahren vor Ehren- und Berufsgerichten, die öffentlich-rechtlichen Charakter haben, können nur nach Aufhebung der Immunität durchgeführt werden.
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11. Verfahren bei Verkehrsdelikten Bei Verkehrsdelikten soll die Genehmigung grundsätzlich erteilt werden. Zur Vereinfachung des Geschäftsganges ist der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung beauftragt, bei allen Fällen von Verkehrsdelikten eine Vorentscheidung zu treffen.
12. Verfahren bei Bagatellsachen Bei Anträgen, die nach Auffassung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung eine Bagatellsache zum Gegenstand haben, ist der Ausschuß beauftragt, eine Vorentscheidung (Nummer 13) zu treffen.
13. Vereinfachtes Verfahren (Vorentscheidungen) Hat der Ausschuß aufgrund der ihm erteilten Ermächtigung (Nummern 8, 11, 12, B. und C.) eine Vorentscheidung getroffen, wird diese dem Bundestag durch den Präsidenten schriftlich mitgeteilt, ohne auf die Tagesordnung gesetzt zu werden. Sie gilt als Entscheidung des Bundestages, wenn nicht innerhalb von sieben Tagen nach Mitteilung Widerspruch erhoben wird.
14. Genehmigungspflicht in besonderen Fällen Die Genehmigung des Bundestages ist erforderlich: a) Zur Vollstreckung von Ordnungshaft zur Erzwingung einer Unterlassung oder Duldung (§ 890 ZPO). Wird in einem Urteil oder einer einstweiligen Verfügung, gerichtet auf eine Unterlassung oder Duldung, für den Fall der Zuwiderhandlung eine Strafe angedroht, so stellt die Androhung die Festsetzung einer Norm dar. Die Prüfung, ob diese Norm, die den Schuldner zur künftigen Erfüllung der Unterlassungspflicht anhalten soll, verletzt ist, bedeutet daher ein "zur Verantwortung ziehen" im Sinne des Artikels 46 Abs. 2 des Grundgesetzes wegen Verletzung "einer mit Strafe bedrohten Handlung". Dabei ist es unerheblich, ob in dem Verfahren Ordnungshaft oder -geld angestrebt wird. b) Zur Vollstreckung der Haft zur Erzwingung der eidesstattlichen Versicherung des Schuldners (§ 901 ZPO). Da lediglich die Vollstreckung des Haftbefehls eine Beschränkung der persönlichen Freiheit im Sinne des Artikels 46 Abs. 2 des Grundgesetzes ist und daher der Genehmigung des Deutschen Bundestages bedarf, steht der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung auf dem Standpunkt, daß die Durchführung des Verfahrens zur Erzwingung der eidesstattlichen Versicherung gegen ein Mitglied des Bundestages als Schuldner und auch die Anordnung der Haft durch das Gericht zur Erzwingung der Leistung der eidesstattlichen Versicherung noch kein "zur Verantwortung ziehen" bedeuten und daher keiner Genehmigung des Deutschen Bundestages bedürfen.
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