Rechtsvergleichende Betrachtung präventiv-polizeilicher Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte in Deutschland und in den USA [1 ed.] 9783428513918, 9783428113910

Die Autorin befasst sich mit zur Kriminalprävention eingesetzten polizeilichen Videoüberwachungen an öffentlich zugängli

121 26 1MB

German Pages 276 Year 2004

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Rechtsvergleichende Betrachtung präventiv-polizeilicher Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte in Deutschland und in den USA [1 ed.]
 9783428513918, 9783428113910

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Schriften zum Internationalen Recht Band 141

Rechtsvergleichende Betrachtung präventiv-polizeilicher Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte in Deutschland und in den USA

Von

Verena Bartsch

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

VERENA BARTSCH

Rechtsvergleichende Betrachtung präventiv-polizeilicher Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte in Deutschland und in den USA

Schriften zum Internationalen Recht Band 141

Rechtsvergleichende Betrachtung präventiv-polizeilicher Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte in Deutschland und in den USA

Von

Verena Bartsch

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Mannheim hat diese Arbeit im Jahre 2003 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten (Allgäu) Printed in Germany ISSN 0720-7646 ISBN 3-428-11391-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2003 von der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Mannheim als Dissertation angenommen. Ich bedanke mich herzlich bei allen, die mich bei der Fertigstellung der Arbeit unterstützt und so zu ihrem Gelingen beigetragen haben. Besonders bedanke ich mich bei meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Schenke, für die wissenschaftliche Betreuung und Förderung. Die angenehme Atmosphäre und die hervorragenden Arbeitsbedingungen an seinem Mannheimer Lehrstuhl sowie ganz besonders die ständige Diskussionsbereitschaft aller Lehrstuhlmitarbeiter haben den Fortgang meiner Untersuchungen sehr erleichtert. An dieser Stelle gilt ein herzliches Dankeschön Herrn Prof. Dr. Josef Ruthig für seine stets hilfreichen Anregungen besonders hinsichtlich des rechtsvergleichenden Teils dieser Arbeit. Auch Herrn PD Dr. Kristian Fischer danke ich für seine Diskussionsbereitschaft zum Thema Videoüberwachung sowie für die zügige Erstattung des Zweitgutachtens. Bei dem Land Baden-Württemberg bedanke ich mich für die finanzielle Unterstützung durch die Gewährung eines Promotionsstipendiums. Darüber hinaus möchte ich mich bei allen meinen Freunden bedanken, die mir mit gemeinsamen, abwechslungsreichen Aktivitäten neue Kraft gegeben haben. Ein besonderes Dankeschön gilt Herrn Alexander Senge, LLM. (Kyushu University), der mich stets ermuntert hat, meine Arbeit erfolgreich fortzuführen. Nicht zuletzt danke ich meinen Eltern und meinem Bruder, deren voller Unterstützung ich jederzeit sicher sein konnte. Hannover, im Oktober 2003

Verena Bartsch

Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 Einleitung

17

A. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 B. Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Öffentlich zugängliche Orte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kamera-Monitor-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Unterscheidung zwischen Bildübertragung und Bildaufzeichnung. . . . . . . IV. Offenheit der Videoüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Datenabgleiche und Biometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18 18 19 20 20 21

C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

Kapitel 2 Polizeiliche Videoüberwachung im öffentlichen Raum in der Praxis

25

A. Entwicklung der Videoüberwachung im öffentlichen Raum in Deutschland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 B. Ermächtigungsgrundlagen zum Einsatz der Videotechnik in der präventiven Polizeiarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 C. Großbritannien und die USA als Vorreiter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 I. Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 II. USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 D. Gründe der zunehmenden Durchführung von Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einsatz technischer Hilfsmittel zur Effektivierung der Polizeiarbeit . . . . . II. „New Policing“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. „New Policing“ in den USA, insbesondere die New Yorker „NullToleranz-Strategie“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Neue Polizeistrategien in Deutschland nach amerikanischem Vorbild

33 34 36 36 40

E. Effektivität von Videoüberwachungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 I. Reduktion der Straßenkriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 II. Verhinderung terroristischer Anschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

8

Inhaltsverzeichnis

F. Aufnahme der Videoüberwachung in der Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsätzlich positive Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Befürchtung des Mißbrauchs der Videoüberwachungsanlagen durch die Polizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Befürchtung der Entwicklung hin zum „gläsernen Menschen“ . . . . . . . . . 1. Zunahme der Möglichkeiten zur polizeilichen Observation mit technischen Hilfsmitteln und zur computerunterstützten Auswertung von Daten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Summation der Videoüberwachungen durch Private und Polizei . . . . .

46 46 46 47

48 49

Kapitel 3 Verfassungsrechtlicher Privatsphären- und Persönlichkeitsschutz 51 in Deutschland und in den USA A. Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Art. 2 I i.V. m. 1 I GG . . . . . . . . . . . . . . . I. Entwicklung durch den BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anerkennung und Weiterentwicklung durch das BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutz der Privatsphäre als engerer persönlicher Lebenssphäre . . . . . . 2. Selbstdarstellungsrecht in der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52 52 54 55 56

B. Entwicklung des Privatsphärenschutzes in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. „Tort Privacy“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. „4th Amendment Privacy“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fundamentales Recht auf Schutz der Privatsphäre und der Persönlichkeitsentfaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60 60 61 62

C. Gemeinsamkeiten der Schutzkonzepte der USA und Deutschlands . . . . . . 62

Kapitel 4 Verfassungsrechtliche Bewertung von Videoüberwachungen im öffentlichen Raum in den USA

66

A. Rechtsprechung des US Supreme Court und anderer Gerichte . . . . . . . . . I. Privatsphärenschutz nach dem 4. Verfassungszusatz („Fourth Amendment Privacy“) in der Rechtsprechung des US Supreme Court . . . . . . . . . II. Rechtsprechung anderer Gerichte zu Fällen staatlicher Videoüberwachung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

72 74

B. Kritik durch die Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anerkennung einer „Public Privacy“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Charakter des öffentlichen Ortes und Art der Beobachtung . . . . . . . . . 2. Fehlende Perpetuierung des Wahrgenommenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anonymität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74 74 75 76 78

67

Inhaltsverzeichnis

9

4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 II. „Chilling Effect on Human Behavior“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

Kapitel 5 Staatliche Videoüberwachung und Persönlichkeitsschutz in Deutschland A. Recht auf informationelle Selbstbestimmung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsprechung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Volkszählungsurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Reaktion auf die Möglichkeiten elektronischer Datenverarbeitung b) Schutzumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beschränkbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhaltliche Weiterentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Interpretation durch die Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Recht auf informationelle Selbstbestimmung als allgemeines Abwehrrecht gegen Datenerhebung und -verwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, insbesondere durch faktische Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Meinungsstand zur Eingriffsqualität von Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufnahme erkennbarer Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufzeichnung von Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufnahme und Aufzeichnung von Übersichtsbildern . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufzeichnen von Übersichtsbildern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Parallelproblem: Übersichtsbilder von Versammlungen und Demonstrationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Übersichtsbilder von öffentlich zugänglichen Orten . . . . . . . . . b) Aufnahme von Übersichtsbildern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Parallele: Übersichtsbilder von Demonstrationen und Versammlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Übersichtsbilder von öffentlich zugänglichen Orten . . . . . . . . . (1) Eingriff wegen psychischen Überwachungsdrucks . . . . . . (2) Grundrechtsgefährdung wegen Vergrößerungs- und Aufzeichnungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Kein Grundrechtseingriff durch Übersichtsaufnahmen . . . (4) Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 I GG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verwendung der gewonnenen Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81 81 81 81 81 82 83 84 85 85 86 90 91 93 93 93 93 95 96 97 97 97 99 100 101 102 102

B. Recht am eigenen Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

10

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 6 Bewertung und rechtsvergleichende Überlegungen

105

A. Parallelen und Unterschiede der deutschen und amerikanischen Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 B. Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. . . . . . . . 109 I. Schutz persönlicher Informationen zur Sicherung der Entschluß- und Verhaltensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 II. Das Recht am eigenen Bild als Konkretisierung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 C. Grundrechtseingriffe durch die einzelnen Teilmaßnahmen der Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Videoaufnahme erkennbarer Personen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Aufzeichnung von Videobildern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Auswertung von Videobildern und Nutzung durch Videoüberwachungen gewonnener persönlicher Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Problematik: Übersichtsaufnahmen als Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kritik der Ansichten zur Frage des Grundrechtseingriffs bei bloßen Übersichtsaufnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allein subjektiv empfundene Beeinträchtigung begründet keinen Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundrechtsgefährdung bei der Übersichtsaufnahme? . . . . . . . . . . . 2. Eingriff bei Bestehen eines objektiv begründeten Überwachungsdrucks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

112 112 113 114 114 115 115 116 118

D. Grundrechtsverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

Kapitel 7 Ansätze zur Reglementierung polizeilicher Videoüberwachungen 125 öffentlicher Orte in den USA A. „American Bar Association Standards on Technologically Assisted Physical Surveillance (TAPS)“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 I. Allgemeine Regeln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 II. Standard 2-9.3 (b): Langfristige, offene Videoüberwachung im öffentlichen Raum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 B. Neuregelung: Chapter 25 of Title 24 of the District of Columbia Municipal Regulations (Public Space and Safety) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

Inhaltsverzeichnis

11

Kapitel 8 Spezielle Ermächtigungsgrundlagen zu präventiv-polizeilichen Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte in Deutschland

136

A. Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 B. Vergleich der Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Charakter des öffentlichen Ortes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Art der Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beobachtung mittels Bildübertragung und Aufzeichnung von Videobildern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dauer und Zweck der Aufbewahrung von Bildaufzeichnungen . . . . . . 3. Benachrichtigungspflicht bei Bildaufzeichnungen bzw. weiterer Verwendung der Aufzeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Offene und erkennbare Videoüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Organkompetenz zur Durchführung der Videoüberwachung . . . . . . . . . . . . IV. Insbesondere: Organkompetenz in Baden-Württemberg – Das Kooperationsmodell. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wortlaut des § 21 III BWPolG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Systematik der Zuständigkeiten im BWPolG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Historie des § 21 III BWPolG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Problematik: Ausgestaltung der Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kooperation durch Vollzugshilfe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kooperation durch bindenden Mitwirkungsakt der Ortspolizeibehörde? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Weitere Besonderheiten einzelner Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

137 137 138 138 140 141 142 142 145 145 145 146 147 149 150 152

Kapitel 9 Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe durch polizeiliche Videoüberwachungen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung

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A. Erfordernis einer Ermächtigungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 B. Verfassungsmäßigkeit der speziellen Ermächtigungsgrundlagen. . . . . . . . . I. Formelle Verfassungsmäßigkeit der speziellen Ermächtigungsgrundlagen: Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Doppelzuständigkeit der Polizei und Gesetzgebungskompetenz . . . . . . 2. Videoaufnahmen zur Abwehr konkreter Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufnahmen und Aufzeichnung zur Gefahrenvorsorge. . . . . . . . . . . . . . . 4. Aufzeichnung zur Strafverfolgungsvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verwendung von Videoaufzeichnungen im Strafverfahren. . . . . . . . . . .

159 159 159 160 161 161 167

12

Inhaltsverzeichnis 6. Ansichten in der Literatur: Aufspaltung der Regelung der Videoüberwachung oder einheitliche Regelung durch die Landesgesetzgeber? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Kritik der Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Materielle Verfassungsmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beachtung des Bestimmtheitsgebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bestimmung des Ortes der Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bestimmung materieller Eingriffsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . c) Zweckbestimmung gewonnener Daten, Bestimmungen über zulässige Zweckänderungen sowie über die zulässige Speicherdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Legitimer Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verhütung von Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vermittlung eines Sicherheitsgefühls für Passanten . . . . . . . . . cc) Wahrung der öffentlichen Ordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erforderlichkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Steigerung der Polizeipräsenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Stärkung der Sozialkontrolle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Veränderung der baulichen Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Bildaufnahme vor Bildaufzeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Übersichtsaufnahme vor Nahaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Verdeckte Videoüberwachung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Betroffenes Individualinteresse: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Intensität der Beeinträchtigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Gestaltung der Einschreitschwellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Qualität der Betroffenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Eingriffshäufigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Quantität der Betroffenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Widerstreitendes Allgemeininteresse: Der Schutz der öffentlichen Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Schutz der öffentlichen Sicherheit durch vorbeugende Kriminalitätsbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Schutz der öffentlichen Sicherheit durch die Abwehr konkret drohender Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verfahrens- und Organisationsvorkehrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kontrolle der Entscheidung über die Einrichtung von Videoüberwachungsanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz in Form der allgemeinen Leistungsklage (Unterlassungsklage) – Erfordernis

168 171 175 175 177 181

185 185 185 186 186 187 190 193 193 194 194 195 196 196 197 198 198 199 200 203 204 205 205 211 212 215

Inhaltsverzeichnis der Dokumentation der polizei- oder ordnungsbehördlichen Entscheidungsgründe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Behördenleiter- und Ministervorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Anhörungsrecht der Betroffenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Vorabkontrolle und Einschaltung von Datenschutzbeauftragten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kontrolle der Durchführung von Videoüberwachungen . . . . . . . . . . aa) Zweckbindung rechtmäßig erhobener Daten sowie Löschungsfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Benachrichtigungspflicht gegenüber dem Betroffenen . . . . . . . cc) Unterrichtung des Landesdatenschutzbeauftragten . . . . . . . . . . c) Erfolgs-/Wirksamkeitskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung und Beurteilung des bestehenden Schutzniveaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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216 217 220 226 226 227 230 233 234 236 237

C. Andere Ermächtigungsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 I. Polizeiliche Datenerhebungsgeneralklausel und § 100 c I Nr. 1 a StPO . . 237 II. Datenschutzgesetzliche Ermächtigung zur Videoüberwachung . . . . . . . . . . 238 D. Verhältnismäßigkeitsprinzip. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

Kapitel 10 Beeinträchtigung anderer Freiheitsrechte

242

A. Versammlungsfreiheit, Art. 8 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 B. Freizügigkeit, Art. 11 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248

Kapitel 11 Abschließender Rechtsvergleich und Zusammenfassung der Ergebnisse

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274

Abkürzungsverzeichnis BayPAG BbgDSG BbgPolG BerlASOG BerlDSG BGB BGH BlnBDA BremPolG BVerfG BVerwG BWDSG BWPolG CCTV DSG LSA DSG SH EGStPO GG HambDSB HambPolDVG HessSOG HGB KUG LfD NRW LVwG SH LVwVfG MVDSG MVSOG NGefAG NWDSG NWPolG OWiG RhPfDSG SaarDSG

Bayerisches Polizeiaufgabengesetz Brandenburgisches Datenschutzgesetz Brandenburgisches Polizeigesetz Berliner Allgemeines Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung Berliner Datenschutzgesetz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Berliner Bundesbeauftragter für den Datenschutz Bremisches Polizeigesetz Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht Baden-Württembergisches Datenschutzgesetz Baden-Württembergisches Polizeigesetz Closed Circuit Television Datenschutzgesetz Sachsen-Anhalt Datenschutzgesetz Schleswig-Holstein Einführungsgesetz zur Strafprozeßordnung Grundgesetz Hamburger Datenschutzbeauftragter Hamburger Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung Handelsgesetzbuch Kunsturhebergesetz Landesbeauftragter für den Datenschutz Nordrhein-Westfalen Landesverwaltungsgesetz Schleswig-Holstein Landesverwaltungsverfahrensgesetz Mecklenburg-Vorpommerisches Datenschutzgesetz Mecklenburg-Vorpommerisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung Niedersächsisches Gefahrenabwehrgesetz Nordrhein-Westfälisches Datenschutzgesetz Nordrhein-Westfälisches Polizeigesetz Ordnungswidrigkeitengesetz Rheinland-Pfälzisches Datenschutzgesetz Saarländisches Datenschutzgesetz

Abkürzungsverzeichnis SaarPolG SächsPolG SOG LSA StPO TB LfD Nds. ThürPAG VersG VG VwVfG

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Saarländisches Polizeigesetz Sächsisches Polizeigesetz Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung Sachsen-Anhalt Strafprozeßordnung Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für den Datenschutz in Niedersachsen Thüringisches Polizeiaufgabengesetz Versammlungsgesetz Verwaltungsgericht Verwaltungsverfahrensgesetz

Kapitel 1

Einleitung A. Gegenstand der Untersuchung Thema dieser Arbeit sind polizeiliche Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte in Deutschland und in den USA. Aus der Vielfalt der bestehenden und denkbaren Anwendungsfelder einer Videoüberwachung – zu denken ist hier etwa an Videoüberwachungen durch Private zur Sicherung ihres Eigentums oder zur Überwachung von Arbeitnehmern, an Videoüberwachungen durch Behörden im Rahmen der Wahrnehmung ihres öffentlich-rechtlichen Hausrechts oder auch an die polizeiliche Videoüberwachung besonders gefährdeter Objekte sowie öffentlicher Ansammlungen und Veranstaltungen – wird hier allein die Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte durch die Polizei im institutionellen Sinne (als Polizei- und Ordnungsbehörden bzw. in den USA durch law enforcement agencies) im Rahmen ihrer polizeirechtlichen Aufgabenerfüllung untersucht. Bei dieser Polizeimaßnahme handelt es sich um eine solche, die auf längerfristige Dauer angelegt ist, schon im Vorfeld konkret drohender Gefahren ansetzt und zum Ziel die Verhinderung der Begehung von Straftaten durch Abschreckung potentieller Straftäter hat. Sie kann daher als Maßnahme der Kriminalprävention charakterisiert werden. Daneben besteht der Zweck der Erleichterung der Aufklärung und Verfolgung von trotz Überwachung erfolgenden Straftaten durch die Aufzeichnung von Videobildern. Sie dient damit ebenfalls der Strafverfolgungsvorsorge. Solche Videoüberwachungen werden in Deutschland erst seit Mitte der 90er Jahre eingesetzt, finden jedoch immer häufigere Verbreitung. Seither wurden in fast allen Bundesländern entsprechende Ermächtigungsgrundlagen in das jeweilige Polizei- und Ordnungsgesetz aufgenommen. Mit dieser Entwicklung ist eine rege rechtspolitische sowie rechtliche Diskussion verbunden, in der Nutzen und Gefahren sowie datenschutz-, polizei- und verfassungsrechtliche Probleme dieser Videoüberwachungen kontrovers erörtert werden. Als Vorbilder der Nutzung von Videoüberwachungen als effektivem Mittel zur Kriminalprävention dienen in diesem Zusammenhang die Anwendung von Videoüberwachungstechnologien im öffentlichen Raum in Groß-

18

Kap. 1: Einleitung

britannien und in den USA, dort als Closed Circuit Television (CCTV)- Systeme bezeichnet, denen hier eine Vorreiterrolle zukommt. Dort werden öffentlich zugängliche Orte bereits seit längerer Zeit sowie in quantitativ wesentlich umfangreicherem Maße als in Deutschland eingesetzt. Auch was technische Neuerungen betrifft, etwa im Bereich der Leistungsfähigkeit von Überwachungskameras, biometrischer Verfahren oder anderer Technologien, so erfolgt deren Erforschung und Entwicklung und sodann deren Einsatz zunächst in diesen Ländern. Aufgrund dieser Vorreiter und Vorbildfunktion auch für die Praxis der Videoüberwachung in Deutschland wurde für diese Arbeit der rechtsvergleichende Ansatz gewählt. Soweit bislang in der deutschen Diskussion um polizeiliche Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte ein Hinweis auf die rechtliche Problematik dieser Maßnahmen in den USA oder auch in Großbritannien zu finden ist, so wird dabei auf die fehlende rechtliche Regulierung in diesen Ländern hingewiesen, die Videoüberwachungen uneingeschränkt erlauben und somit die weite Verbreitung ermöglichten. Ist dies im Grunde richtig, so wird doch außer Acht gelassen, daß sich gerade in den USA eine Rechtsansicht herausbildet, die rechtliche Begrenzungen des Einsatzes von Videoüberwachungen fordert, was nun auch auf die Ebene der Normsetzung durchzudringen beginnt. Diese Ansicht sowie die Ansätze einer rechtlichen Reglementierung sollen im Rahmen dieser Arbeit beleuchtet und in einen Vergleich mit der rechtlichen Bewertung polizeilicher Videoüberwachungen in Deutschland gesetzt werden. Durch diese Rechtsvergleichung sollen neue Aspekte für die rechtliche Beurteilung letzterer gewonnen werden.

B. Begriffsbestimmungen I. Öffentlich zugängliche Orte Die hier untersuchten polizeilichen Videoüberwachungen erfolgen ausschließlich im öffentlichen Raum. Nach dem Verständnis der deutschen polizeigesetzlichen Ermächtigungsnormen handelt es sich dabei um „öffentlich zugängliche Orte“1 bzw. „öffentlich zugängliche Flächen und Räume“2. Auch in den USA wird der Begriff public place in diesem Sinne verstanden. Zur Charakterisierung der „öffentlichen Zugänglichkeit“ sind 1 Vgl. § 21 III BWPolG; Art. 32 II BayPAG; § 31 III BbgPolG; § 29 III BremPolG; § 14 III HessSOG; § 32 III NGefAG; § 15 a NWPolG; § 27 II Nr. 1 SaarPolG; § 33 II ThürPAG.

B. Begriffsbestimmungen

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nicht die Eigentumsverhältnisse entscheidend3, so daß es sich auch um im Privateigentum stehende Orte handeln kann. Öffentlich zugänglich sind solche Orte, die dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind oder faktisch allgemein zugänglich sind4. Hierzu zählen daher neben Straßen und Plätzen auch zum Beispiel Tiefgaragen oder Einkaufspassagen.

II. Kamera-Monitor-Prinzip Die praktische Durchführung der polizeilichen Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte erfolgt in den USA und in Deutschland (dem Leipziger Modell5 folgend) meist im Kamera-Monitor-Prinzip6. Die mit einer stationär installierten Kamera gemachten Aufnahmen werden mittels Richtfunk in die Beobachtungszentrale einer Gefahrenabwehrbehörde übertragen. Dort werden sie von einem Beamten am Monitor verfolgt. Die dabei verwendeten Kameras sind meist schwenkbar, so daß sie das Geschehen innerhalb eines großen Radius erfassen können, außerdem sind sie in der Regel mit einem Zoom ausgestattet7. Die Überwachung in Leipzig, die häufig als Vorbild für Videoüberwachungen in Deutschland dient, ist weiterhin so konzipiert8, daß zunächst nur Übersichtsbilder gemacht werden, auf denen keine Personen identifizierbar sind. Erst bei Anhaltspunkten für die mögliche Begehung einer Straftat erfolgt eine Detailaufnahme durch Bildvergrößerung – das Heranzoomen einer bestimmten Person, die damit identifizierbar wird. Gleichzeitig werden von der Beobachtungszentrale Polizeibeamte informiert, die dann an Ort und Stelle einschreiten und möglicherweise sogar die Tat verhindern können.

2 § 32 III MVSOG und § 184 III LVwG SH. Allein § 38 II SächsPolG und § 16 II SOG LSA enthalten keine entsprechende Begrenzung der Orte, an denen Videoüberwachungen zulässig sind. 3 Brenneisen/Staack, DuD 1999, 447 (448). 4 Waechter, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 593; Brenneisen/Staack, DuD 1999, 447 (448); nach Königshofen, RDV 2001, 220, sind öffentlich zugängliche Räume nur solche, die nach dem erkennbaren Willen des Berechtigten von jedermann betreten werden können. 5 Siehe dazu unten Kapitel 2, A. 6 Für das amerikanische System: Nieto/Johnston-Dodds/Simmons, S. 3. 7 Zu den technischen Voraussetzungen polizeilicher Videoüberwachungen ausführlich Büllesfeld, S. 5 ff. 8 Siehe die entsprechenden Dienstanweisung des Leiters der Polizeidirektion Leipzig bei Müller, Die Polizei 1997, 77 (81).

20

Kap. 1: Einleitung

III. Unterscheidung zwischen Bildübertragung und Bildaufzeichnung Für die rechtliche Bewertung ist zwischen der Beobachtung mittels Bildübertragung und der Aufzeichnung von Bildern9 zu unterscheiden. Unter Bildübertragung oder auch Bildaufnahme10 ist nur die Herstellung von am Monitor erkennbaren Bildern zu verstehen, ohne daß deren Speicherung erfolgt. Bei einer Speicherung der gemachten Aufnahmen liegt eine Aufzeichnung der Bilder vor. In manchen Bundesländern erfolgt die Videoüberwachung in der Weise, daß eine Bildaufzeichnung erst dann erfolgt, wenn der Verdacht einer begonnenen oder unmittelbar bevorstehenden Straftat besteht11. In anderen Bundesländern besteht die Möglichkeit, die Aufnahmen ständig aufzuzeichnen und nach Ablauf einer bestimmten, in der Ermächtigungsnorm zur Videoüberwachung festgelegten Frist wieder zu löschen12. Erfolgt eine ständige Aufzeichnung der Videobilder, können diese noch zu späteren Zeitpunkten innerhalb der Speicherfrist ausgewertet werden. Ergeben sich erst nachträglich Anhaltspunkte für eine begangene Straftat, etwa durch Anzeige eines Opfers, kann mit Hilfe der Aufnahme der Tatvorgang möglicherweise rekonstruiert und der Täter identifiziert werden.

IV. Offenheit der Videoüberwachung Zu unterscheiden sind weiterhin offene, d.h. für den Betroffenen erkennbare, und heimliche Videoüberwachungen. Da mit der Installation von Kameras an öffentlich zugänglichen Orten eine präventive Wirkung erzielt werden soll, erfolgt hier die Überwachung offen. Durch die erkennbaren Kameras sollen potentielle Straftäter abgeschreckt und von ihrem Vorhaben 9 Diese terminologische Unterscheidung findet sich in § 21 III BWPolG, § 31 III BbgPolG, § 14 III, IV Nr. 1 HessSOG, § 32 III MVSOG, § 32 III NGefAG, § 15 a NWPolG, § 184 III LVwG SH und § 33 II ThürPAG. Art. 32 II BayPAG und § 38 II SächsPolG unterscheiden zwischen Bildaufnahme und -aufzeichnung. 10 Der Begriff „Bildaufnahme“ wird in der versammlungsrechtlichen und auch polizeirechtlichen Literatur teilweise als Oberbegriff für Bildübertragungen und Bildaufzeichnungen verstanden, vgl. etwa Wolf/Stephan, § 21, Rdnr. 9. Die Unterscheidung zwischen Bildaufnahme und Bildaufzeichnung in Art. 32 II BayPAG und § 38 II SächsPolG zeigt jedoch, daß hier „Bildaufnahme“ nicht als solcher Oberbegriff aufgefaßt wird. Unter „Bildaufnahme“ ist hier vielmehr die Bildübertragung ohne Aufzeichnung zu verstehen. 11 Vgl. § 15 a II NWPolG, § 31 III BbgPolG, § 32 III MVSOG, § 184 III LVwG SH. 12 Vgl. § 21 III BWPolG, Art. 32 II BayPAG, § 29 III BremPolG, § 14 III, IV Nr. 1 HessSOG, § 27 II, III SaarPolG, § 38 II, III SächsPolG, § 33 II ThürPAG.

B. Begriffsbestimmungen

21

abgehalten werden. Die meisten Landesgefahrenabwehrgesetze lassen auch ausdrücklich nur eine offene Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte zu13.

V. Datenabgleiche und Biometrie Ist eine Bildaufzeichnung erfolgt, besteht die Möglichkeit eines Datenabgleichs mit den hierdurch gewonnen Daten und bereits vorhandenen Dateien. Durch einen Abgleich mit Personenfahndungsdateien oder Sachfahndungsdateien können beispielsweise gesuchte Gegenstände oder Personen aufgespürt werden. Automatische Bildabgleiche, die heute noch technischen Schwierigkeiten begegnen, werden mit der rasch fortschreitenden Verbesserung der Technik immer einfacher möglich. In diesem Bereich werden einige Anstrengungen unternommen, neue Technologien zu entwickeln. Zu diesen zählt etwa der Einsatz von biometrischen Verfahren, wie sie in England, den USA und in verschiedenen anderen Ländern bereits entwickelt und erprobt werden14. Biometrie bedeutet die Verwendung einzigartiger körperlicher Charakteristika zur Identifikation einer Person15. Biometrische Verfahren sind beispielsweise die Fingerabdrucktechnik, als wohl der bekanntesten Anwendung, die Iris (Augen)-Musterung, die Musterung der Blutgefäße der Netzhaut, Stimmerkennungsverfahren, die Handbiometrie, bei der Hand und Finger dreidimensional vermessen werden oder der Verlauf der Venen am Handrücken festgehalten wird, Verfahren zur Erkennung von Körpergerüchen oder zur Erkennung charakteristischer Körperbewegungen, Gesichtserkennungs- und Wärmeidentifikationsverfahren sowie DNAAnalysen16. Die technische Definition eines biometrischen Merkmals ist „jede meßbare, stabile, einzigartige körperliche Charakteristik oder persönliche Eigenschaft einer Person, die dazu verwendet werden kann, diese Person zu identifizieren oder ihre Identität zu verifizieren“17. 13 § 21 III BWPolG, Art. 32 II BayPAG, § 31 III BbgPolG, § 29 III BremPolG, § 14 III, IV Nr. 1 HessSOG, § 32 III NGefAG, § 15 a NWPolG, § 27 II Nr. 1 SaarPolG, § 16 II S. 2 SOG LSA, § 33 II ThürPAG. 14 v. Lucius, Das Profil der Masse, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 01.08.2002. 15 Banisar, Bürgerrechte & Polizei/CILIP 61 (3/98), 19; Nieto/Johnston-Dodds/ Simmons, S. 4. 16 Banisar, Bürgerrechte & Polizei/CILIP 61 (3/98), 19 ff.; Milligan, 9 S. Cal. Interdis. L.J. 295, 304–309 (1999); Nieto/Johnston-Dodds/Simmons, S. 4 f. 17 Nieto/Johnston-Dodds/Simmons, S. 5. Übersetzung der Verfasserin.

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Kap. 1: Einleitung

Alle biometrischen Verfahren bestehen aus drei Komponenten: dem Prozeß der Sammlung biometrischer Proben, der Aufnahme solcher in eine Datenbank, als Erstellung einer „Schablone“, sowie dem Prozeß des Vergleichs einer biometrischen Probe mit einer (Verifikation) oder mehreren „Schablonen“ (Identifikation) in einer Datenbank18. Biometrische Systeme zur Verifikation der Identität einer Person in Verbindung mit CCTV-Systemen werden in den USA beispielsweise an Zugangskontrollen zu Computern, Sicherheitsbereichen oder zur Überprüfung von Paßdaten oder ähnlichem eingesetzt19. Gesichtserkennungsverfahren zur Identifikation von Personen in Verbindung mit CCTV-Systemen werden zur Erkennung gesuchter Krimineller und Terroristen an Flughäfen oder an anderen Grenzkontrollstellen erprobt20. Letzterer Anwendungsbereich biometrischer Verfahren zur automatischen Identifikation beobachteter Personen sind allgemein für polizeiliche Videoüberwachungen von Bedeutung21. Dies gilt auch für die sich in der Entwicklung befindlichen „intelligenten Kamerasysteme“, bei denen mit Hilfe von Computerprogrammen automatisch Bildaufnahmen hinsichtlich besonderer, auffälliger Verhaltensweisen von Personen ausgewertet werden können. So können diese Systeme am Verhalten einer Person erkennen, ob sich diese „normgerecht“ bewegt oder sich „verdächtig“ verhält22. Hierbei wird sich zu Nutze gemacht, daß bestimmte Bewegungsabläufe typisch für die Begehung bestimmter Straftaten, wie etwa ein Heranschleichen oder Flüchten bei Kraftfahrzeugdiebstählen, sind23. Durch solche „intelligente Kamerasysteme“ kann eine Erleichterung polizeilicher Videoüberwachungen herbeigeführt werden, da dabei nicht mehr ein Beamter das Geschehen am Monitor verfolgen und die Aufnahmen auswerten muß, sondern dies alles mit Hilfe von Computerprogrammen automatisch geschehen kann.

C. Gang der Untersuchung Vor Behandlung der rechtlichen Problematik polizeilicher Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte in Deutschland und in den USA soll zunächst in Kapitel 2 ein Überblick über die Praxis dieser Polizeimaßnahme gegeben werden. Hierbei wird zunächst die Entwicklung der Videoüberwachung im öffentlichen Raum in Deutschland allgemein in den Blick 18 19 20 21 22 23

Nieto/Johnston-Dodds/Simmons, S. 5. Nieto/Johnston-Dodds/Simmons, S. 5. Nieto/Johnston-Dodds/Simmons, S. 5. Milligan, 9 S. Cal. Interdis. L.J. 295, 306 (1999). Bäumler, in: Lisken/Denninger, HbdPolR, J, Rdnr. 654. Vgl. Büllesfeld, S. 16.

C. Gang der Untersuchung

23

genommen, die parallele Schaffung von Ermächtigungsgrundlagen hierzu sowie die Vorreiterstellung Großbritanniens und besonders der USA in diesem Bereich. Sodann sollen Gründe der zunehmenden Durchführung von Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte aufgezeigt werden. Weiterhin gilt eine Betrachtung der Effektivität dieser Polizeimaßnahme sowie der Aufnahme dieser in der Bevölkerung, insbesondere der hierbei bestehenden Bedenken. Mit Kapitel 3 beginnt die Erörterung rechtlicher Problematiken polizeilicher Videoüberwachungen. Diese ergeben sich in erster Linie aus dem Spannungsverhältnis von Sicherheit und Freiheit – konkret um das Spannungsverhältnis von Videoüberwachungen als Maßnahme der Kriminalprävention und Strafverfolgungsvorsorge und dem grundrechtlichen Persönlichkeitsschutz. In Deutschland handelt es sich dabei um das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts gem. Art. 2 I i.V. m. 1 I GG, in den USA um privacy nach dem 4. Zusatzartikel zur US-Verfassung. Als Ausgangspunkt der Überlegungen soll die Entwicklung und die Schutzrichtung dieser Grundrechte und ihre Vergleichbarkeit dargestellt werden (Kapitel 3). Sodann beschäftigen sich die Kapitel 4–6 mit der Frage der Beeinträchtigung der genannten Grundrechte durch Videoüberwachungen. Kapitel 4 behandelt die verfassungsrechtliche Problematik dieser Polizeimaßnahme in den USA, wobei die unterschiedlichen Ansichten von Rechtsprechung einerseits und Teilen der Literatur andererseits herauszustellen sind. Kapitel 5 befaßt sich mit der Diskussion um die Eingriffsqualität von Videoüberwachungen bezüglich des deutschen Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 I i.V. m. 1 I GG. In Kapitel 6 wird dann ausgehend von einem Vergleich der für Deutschland und für die USA herausgearbeiteten Argumentationen eine Bewertung des Meinungsstandes zur Eingriffsqualität polizeilicher Videoüberwachung in Deutschland vorgenommen. Anschließend werden in Kapitel 7 und 8 die bestehenden rechtlichen Normierungen präventiv-polizeilicher Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte in den USA (Kapitel 7) und in Deutschland (Kapitel 8) vorgestellt. Kapitel 9 befaßt sich mit der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der festgestellten Grundrechtseingriffe in das deutsche Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Hier gilt es zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen polizeiliche Videoüberwachungen in Deutschland rechtlich zulässig sind, wobei insbesondere die Anforderungen an die (in Kapitel 8 dargestellten) gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen zu betrachten sind. Bei alledem sollen auch die in den USA entwickelten (in Kapitel 7 dargestellten) Ansätze zur rechtlichen Reglementierung polizeilicher Videoüberwachungen im öffentlichen Raum in die Überlegungen mit einbezogen werden.

24

Kap. 1: Einleitung

Bevor in Kapitel 11 ein abschließender Rechtsvergleich und eine Zusammenfassung der gefundenen Ergebnisse erfolgt, beschäftigt sich Kapitel 10 mit der Beeinträchtigung anderer Freiheitsrechte durch polizeiliche Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte. Hier wird zum einen die Versammlungsfreiheit gem. Art. 8 GG und zum anderen die durch Art. 11 GG geschützte Freizügigkeit betrachtet.

Kapitel 2

Polizeiliche Videoüberwachung im öffentlichen Raum in der Praxis A. Entwicklung der Videoüberwachung im öffentlichen Raum in Deutschland Bereits im Jahre 1958 begann die Geschichte der polizeirechtlichen, optischen Überwachung im öffentlichen Raum in Deutschland1. Die ersten Videoüberwachungsanlagen dienten der Kontrolle der Verkehrsbelastung und der Verkehrslenkung. So übermittelten die 1958 in München an Verkehrsschwerpunkten installierten 17 Kameras Informationen über die aktuellen Verkehrsbelastungen an eine verbundene Zentrale. Zu demselben Zweck wurden in den folgenden Jahren in verschiedenen Großstädten weitere Kameras stationär installiert. 1976 erfolgte in Hannover der Einsatz 25 stationärer, ferngesteuerter, schwenkbarer Zoom-Kameras zur dauernden Videoüberwachung. Überwacht wurde seither nicht nur der Autoverkehr, auch „Rand- und Problemgruppen“ wurden in den Blick genommen. Ab 1964 verfügte die Polizei auch über erste mobile Fernsehaufnahmewagen. Mit deren Hilfe sollten Lücken in der Verkehrsüberwachung geschlossen werden, aber auch der Einsatz zur Überwachung von größeren Menschenansammlungen, wie Aufmärschen, Versammlungen unter freiem Himmel, Streiks, Krawallen oder ähnlichem, war damit möglich. Auch heute wird die Videotechnik häufig zur Überwachung von Versammlungen, wie Großdemonstrationen, und sonstigen Großveranstaltungen, wie Spielen der Fußballbundesliga, zur Verhinderung von Ausschreitungen gewaltbereiter Fans und Hooligans, eingesetzt. Seit 1996 werden Videokameras nun immer häufiger zur Überwachung von Innenstädten verwendet. Seitdem wird beispielsweise die Fußgängerzone von Westerland auf Sylt in jeder Hauptsaison mit Hilfe einer auf einem Geschäftshaus installierten, nicht schwenkbaren Kamera im Kamera1 Darstellung nach Weichert, Praxis und rechtliche Aspekte optischer Überwachungsmethoden – zum Einsatz moderner Videotechnik, in: Datenschutz-Nachrichten (DANA) 1988, Sonderheft Videoüberwachung, S. 4–57 (7 ff.), Weichert, Bürgerrechte und Polizei/CILIP 60 (2/98), 12 ff., Geiger, S. 59 f.

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Kap. 2: Polizeiliche Videoüberwachung in der Praxis

Monitor-Prinzip2 überwacht3. In Einzelfällen und bei Vorliegen von Hinweisen auf eine Straftat können bestimmte Personen herangezoomt werden. Aufzeichnungen werden nicht angefertigt. Mit dieser Überwachungsmaßnahme reagierten die Behörden auf die Störungen durch Punks, die diesen bestimmten Platz als Treffpunkt nutzten, dort auch übernachteten, Alkohol konsumierten und im Zusammenhang damit auch Straftaten begingen. Im selben Jahr wurde in Leipzig ein vierwöchiges Pilotprojekt zur Videoüberwachung von Kriminalitätsschwerpunkten in der Innenstadt gestartet4. Mit dieser Maßnahme sollte gegen den sich in der Leipziger Innenstadt etablierenden, offenen Drogenhandel und die damit verbundene Beschaffungskriminalität, wie Kraftfahrzeugaufbrüche, Raubdelikte und Taschendiebstähle, vorgegangen werden. Nach Durchführung eines weiteren sechsmonatigen Pilotprojektes erfolgt dort nun die Videoüberwachung als Dauermaßnahme an mehreren Plätzen, und zwar offen im Kamera-Monitor-Prinzip. Hinweisschilder informieren die betroffenen Bürger über die Durchführung. Die verwendeten Kameras verfügen über Zoom sowie einen Schwenk-Neigekopf. Außerdem besteht die Aufzeichnungsmöglichkeit der Aufnahmen. Nach diesem Vorbild erfolgt heute in immer mehr deutschen Großstädten eine Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze, zum Beispiel in Dresden, Halle5, Stuttgart und Mannheim6. Auch städtische Parkanlagen werden videoüberwacht7. Aber auch an anderen Orten, wie in öffentlichen Verkehrsmitteln, erfolgt immer häufiger der Videoeinsatz8. In Berlin wurde beispielsweise Ende 1999 mit einem Pilotprojekt der Videoeinsatz in Bussen, Straßenbahnen und U-Bahnen gestartet9. Auch öffentliche Einrichtungen bis hin zu Hochschulen setzen Videotechnik ein, um sich selbst mehr Sicherheit zu verschaffen10. Insbesondere soll hierdurch gegen Vandalismus vorgegangen werden, durch den immense Kosten entstehen.

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Zu diesem Begriff siehe oben Kapitel 1, B.II. Zwanzigster Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für den Datenschutz in Schleswig-Holstein, 1998, S. 36. 4 Dazu Müller, Die Polizei 1997, 77. 5 Siehe dazu VG Halle, LKV 2000, 164. 6 Siehe dazu VG Karlsruhe, VBlBW 2002, 131. 7 LfD NRW 15. Datenschutzbericht 2001, S. 64, V. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für den Datenschutz Sachsen-Anhalt, S. 69. 8 Siehe dazu LfD NRW 15. Datenschutzbericht 2001, S. 69; V. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für den Datenschutz Sachsen-Anhalt, S. 109 ff. 9 Garstka, DuD 2000, 192; Jahresbericht BlnBDA 1999, S. 32. 10 Weichert, Bürgerrechte und Polizei/CILIP 60 (2/98), 12 ff.; Der Thüringische Landesbeauftragte für den Datenschutz, 2. Tätigkeitsbericht, 1997, S. 103 ff. 3

B. Einsatz der Videotechnik in der präventiven Polizeiarbeit

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B. Ermächtigungsgrundlagen zum Einsatz der Videotechnik in der präventiven Polizeiarbeit Parallel zur Entwicklung der Anwendung der Videotechnik in der präventiven Polizeiarbeit wurden dazu auch Ermächtigungsgrundlagen geschaffen. Der Bundesgesetzgeber hat 1989 mit §§ 12 a, 19 a VersG die Zulässigkeit von Bild- und Tonaufnahmen bei öffentlichen Aufzügen und Versammlungen normiert. Dies erfolgte als Reaktion auf die zu dieser Zeit häufigen gewalttätigen Demonstrationen. Durch die Bild- und Tonaufnahmen sollte vor Gewalttätigkeiten abgeschreckt und die Strafverfolgung erleichtert werden11. Bei Versammlungen dürfen bei tatsächlichen Anhaltspunkten, daß von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen, Bildaufnahmen der Teilnehmer angefertigt und für eine bestimmte Zeit gespeichert werden. Für die außerhalb des Schutzbereichs des Art. 8 GG liegenden Veranstaltungen und Ansammlungen finden sich in den meisten Gefahrenabwehrgesetzen der Länder Ermächtigungsgrundlagen zur offenen Bild- und Tonaufzeichnung (§ 21 I BWPolG, Art. 32 I BayPAG, § 24 BerlASOG, § 31 I BbgPolG, § 8 I HambPolDVG, § 14 I, II HessSOG, § 32 I MVSOG, § 32 I NGefAG, § 15 NWPolG, § 27 I SaarPolG, § 38 I SächsPolG, § 16 I SOG LSA, § 184 I LVwG SH, § 33 I ThürPAG). Gebrauch gemacht wird von dieser Befugnis häufig bei Spielen der Fußballbundesliga. Aber auch der Videoeinsatz bei anderen Sportwettkämpfen, kulturellen Veranstaltungen, Musikfestivals, Volksfesten und ähnlichem kann auf diese Normen gestützt werden12. Zulässig sind nicht nur Bild- und Tonaufzeichnungen während der öffentlichen Veranstaltung oder Ansammlung, sondern auch vor deren Beginn oder nach deren Ende, soweit ein Zusammenhang zu ihr besteht. Konkretes Beispiel hierzu ist etwa die Videoüberwachung von gewaltbereiten Fußballfans auf ihrem Weg vom Bahnhof zum Stadion. Materielle Voraussetzung13 ist die Gefährlichkeit der Ansammlung und das Drohen eines bestimmten Schadens. Je nach Land werden Schäden für die öffentliche Sicherheit, die Verletzung der Strafgesetze oder auch von Ordnungswidrigkeitsgesetzen umfaßt. Auch hinsichtlich der Adressaten der Maßnahme variieren die Landesgesetze. Diese können Störer, gefährliche Personen, Teilnehmer der Ansammlung oder auch jede Person sein. Teilweise in den Gefahrenabwehrgesetzen der Länder geregelt ist auch die Videoüberwachung von besonders gefährdeten Objekten (§ 21 II 11 12 13

Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (78). Für § 21 I BWPolG: Wolf/Stephan, § 21, Rdnr. 4. Hierzu Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (78).

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Kap. 2: Polizeiliche Videoüberwachung in der Praxis

BWPolG, Art. 32 II BayPAG, § 8 II HambPolDVG, § 14 IV Nr. 2 HessSOG, § 27 II Nr. 2 SaarPolG, § 38 II SächsPolG, § 16 II S. 1 SOG LSA, § 33 II Nr. 2 ThürPAG). Diese sollen die Grundlage für die polizeiliche Videoüberwachung von Bahnhöfen, Flughäfen, U-Bahnstationen und auch Asylbewerberunterkünften bilden14. Bild- und Tonaufnahmen oder -aufzeichnungen von Personen können unter der Voraussetzung angefertigt werden, daß tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, daß an oder in Objekten diese Art Straftaten begangen werden sollen, durch die für Personen, diese Objekte oder die sich darin befindlichen Sachen eine Gefahr droht. Teilweise (§ 8 II HambPolDVG, § 16 II S. 1 SOG LSA) darf sich die Maßnahme nur gegen die für die Gefahr Verantwortlichen richten. In den letzten Jahren haben nun die meisten Landesgesetzgeber spezielle Ermächtigungsnormen zu der hier betrachteten Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte in ihren Polizei- und Ordnungsgesetzen geschaffen (§ 21 III BWPolG, Art. 32 II BayPAG, § 31 III BbgPolG, § 29 III BremPolG, § 14 III, IV Nr. 1 HessSOG, § 32 III MVSOG, § 32 III NGefAG, § 15 a NWPolG, § 27 II Nr. 1 SaarPolG, § 38 II SächsPolG, § 16 II S. 2 SOG LSA, § 184 III LVwG SH, § 33 II ThürPAG). Diese sind allerdings sehr unterschiedlich, wie in Kapitel 8 ausführlich dargestellt werden wird15. Des weiteren finden sich in einigen Landesdatenschutzgesetzen Ermächtigungsnormen zur optisch-elektronischen Beobachtung (Videoüberwachung) von öffentlich zugänglichen Räumen durch öffentliche Stellen zur Erfüllung ihrer Aufgaben sowie (gem. § 29 b NWDSG allein) zur Wahrung des Hausrechts16 (§ 31 b BerlDSG, § 33 c BbgDSG, § 37 MVDSG, § 34 RhPfDSG, § 30 DSG LSA, § 20 DSG SH). Bestehen daneben bereichsspezifische, gefahrenabwehrrechtliche Regelungen der Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume im Polizei- und Ordnungsgesetz eines Bundeslandes (so in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein), so tritt die datenschutzgesetzliche Ermächtigungsnorm hinsichtlich der polizeilichen Aufgabenerfüllung der Gefahrenabwehr dahinter zurück. Polizei und Ordnungsbehörde können in diesem Fall die datenschutzgesetzliche Ermächtigungsnorm allein für Videoüberwachungen zur Wahrung ihres Hausrechts in Anspruch nehmen.

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Keller, Kriminalistik 2000, 187 (189). Siehe unten Kapitel 8. 16 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die hessische Regelung des § 14 IV S. 2 HessSOG, die den Kreis der Gefahrenabwehrbehörden über die in § 1 I HessSOG genannten erweitert und dem Inhaber der öffentlichen Sachherrschafft die Überwachung durch Videoanlagen anvertraut. Siehe dazu v. Zezschwitz, DuD 2000, 670 (671). 15

C. Großbritannien und die USA als Vorreiter

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C. Großbritannien und die USA als Vorreiter I. Großbritannien Wesentlich verbreiteter und fortgeschrittener ist die polizeiliche Videoüberwachung des öffentlichen Raumes innerhalb Europas in Großbritannien17. Dort fand die Kameraüberwachung vor allem aus Angst vor Anschlägen der Irish Republican Army (IRA) große Verbreitung und auch Akzeptanz. Die Geschichte der Videoüberwachung18 vollzog sich ähnlich wie in Deutschland in den letzten 40 Jahren. Die ersten Kameras wurden zur Überwachung des Straßenverkehrs, zum Schutz der Angestellten von Verkehrsbetrieben vor Raubüberfällen und im Einzelhandel eingesetzt. Die existierenden Verkehrsüberwachungsanlagen wurden sodann auch zur Kontrolle von politischen Demonstrationen eingesetzt. Bis in die achtziger Jahre blieben Überwachungskameras jedoch eine Einzelerscheinung. Erst Mitte der neunziger Jahre fanden sie rasend schnell immer mehr Verbreitung. Heute überwachen in Großbritannien nicht nur hunderttausende von CCTV-Kameras (Closed Circuit Television)19 das Geschehen in den Städten auf öffentlichen Plätzen, Straßen, Bahnhöfen, in U-Bahnen und Einkaufszentren, sondern auch Fahrzeuge im Eurotunnel und an Zufahrtsstraßen zur Londoner Innenstadt werden mit elektronischen Überwachungssystemen kontrolliert. Die dazu verwendeten Kameras verfügen über Automatic Number Plate Reading, das die Fahrzeugkennzeichen vollautomatisch erfaßt und mit den Polizeidatenbanken abgleicht20. In Erprobung befinden sich biometrische Überwachungssysteme, die in der Lage sind, „normales“ von „verdächtigem“ Verhalten zu unterscheiden. Die Interpretation der Aufnahmen durch einen Menschen, wann eine bestimmte Person wegen einer möglichen Straftatbegehung herangezoomt werden soll und eine Aufzeichnung der Aufnahme erfolgt, wird damit entbehrlich21. Begünstigt wurde diese Entwicklung durch die fehlende rechtliche Regulierung22. Es existierten keinerlei gesetzliche Bestimmungen über Videoauf17 Vgl. die Einschätzung bei Burrows, 31 Val. U.L. Rev. 1079, 1101 (1997): England may well be considered the surveillance capital of the world. 18 Norris/Armstrong, Bürgerrechte und Polizei/CILIP 61 (3/98), 30 f.; Nieto/ Johnston-Dodds/Simmons, S. 9. 19 Unter Closed Circuit Television wird jede Form der elektronischen Live-Übertragung von Videoaufnahmen in eine Beobachtungszentrale verstanden. 20 Weichert, Bürgerrechte und Polizei/CILIP 60 (2/98), 12 ff.; Datenschutz-Nachrichten (DANA) 1997, Heft 4, S. 26 f. und Heft 3, S. 22. 21 Ulfkotte, Die kleinen Helfer des großen Bruders, Frankfurter Allgemeine Zeitung von 01.03.2001; Hefendehl, StV 2000, 270. 22 Norris/Armstrong, Bürgerrechte und Polizei/CILIP 61 (3/98), 30 ff.

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Kap. 2: Polizeiliche Videoüberwachung in der Praxis

nahmen im öffentlichen Raum bis zum Inkrafttreten des Data Protection Act am 1. März 2000. Ermächtigt durch dieses Gesetz, erließ die britische Datenschutzbeauftragte Mitte 2000 einen Code of Practice der CCTV-Überwachung.

II. USA Auch die USA sind Vorreiter im Bereich der Videoüberwachung23. Videoüberwachungstechnologie existiert dort seit 195624. Die ersten Anlagen zur Überwachung öffentlicher Straßen wurden Anfang der 70er-Jahre in den Staaten New Jersey und New York installiert, jedoch kurze Zeit später jeweils wieder wegen Ineffektivität abmontiert25. 1982 begann in Miami Beach, Florida, die Videoüberwachung von Einkaufsstraßen26. Auslöser hierfür war die steigende Kriminalitätsfurcht der meist älteren, eingesessenen Bevölkerung der Stadt aufgrund des Einzugs vieler armer, junger afro-amerikanischer oder hispanischer Flüchtlinge. Es wurde der Ruf nach vermehrter Polizeipräsenz an den Kriminalitätsschwerpunkten der Stadt laut, dem durch die Einrichtung der Videoüberwachungsanlagen entsprochen werden sollte, ohne mehr Polizeipersonal zu benötigen. Diese Anlagen arbeiteten im Kamera-Monitor-Prinzip und verfügten schon über Schwenk-Neigetechnik und Zoom. An den Monitoren arbeiteten keine Polizisten, sondern meist ältere Bürger als Gemeindeangestellte. Bereits 1984 wurde auch hier das Videoüberwachungssystem wieder außer Betrieb genommen. Gründe hierfür waren technische Schwierigkeiten sowie das Gefühl vieler Einwohner, die Videoüberwachung habe keinerlei Abschrekkungswirkung. Tatsächlich konnte kein einziger Straftäter durch die Maßnahme überführt werden. Erst in den 90er-Jahren mit Verbesserung der Technik setzte die immer häufigere Verwendung von Videokameras im öffentlichen Raum ein. 1999 wendeten über 60 Städte in den Vereinigten Staaten Videoüberwachungen an öffentlichen Orten zu Zwecken des law enforcement27 an28. Nach einem Gutachten der International Association of Chiefs of Police verwendeten im 23 In der amerikanischen Literatur zu diesem Thema findet sich allerdings häufig der Hinweis, daß Videoüberwachungen des öffentlichen Raumes in Europa schon länger und extensiver erfolgen. Hierbei ist jedoch immer nur die Praxis in Großbritannien angesprochen. 24 Burrows, 31 Val. U.L. Rev. 1079, 1080 (1997). 25 Burrows, 31 Val. U.L. Rev. 1079, 1103 (1997) m. w. N. 26 Siehe hierzu und zum folgenden Burrows, 31 Val. U.L. Rev. 1079, 1081–1082 (1997). 27 Wörtlich übersetzt bedeutet law enforcement die Durchsetzung der Rechtsanwendung. Dem Sinn nach handelt es sich dabei um die Wahrnehmung der Aufga-

C. Großbritannien und die USA als Vorreiter

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Jahr 2001 bereits 80% der 19.000 Polizeidienststellen in den USA Closed Circuit Television in ihrem Bezirk mit weiter steigender Tendenz29. Eines der expansivsten Videoüberwachungssysteme findet sich heute in Baltimore, Maryland30. Dort sind bestimmte Gebiete mit zentralgesteuerten Kamerasystemen ausgestattet, die Personen beobachtend verfolgen können, wo immer sie hingehen. Kombiniert sind diese Systeme mit Gesichtserkennungsverfahren, um Personen, die sich in diesen Gebieten bewegen, identifizieren zu können31. Auch in anderen amerikanischen Städten werden Videoüberwachungsanlagen mit Technologien zur Gesichtserkennung kombiniert32. Zuschauer von amerikanischen Sportgroßveranstaltungen müssen damit rechnen, am Stadioneingang von Kameras aufgenommen zu werden und daß ihre Gesichtszüge sodann automatisch mit Bildern aus der Verbrecherkartei verglichen werden, wie es beim Football-Endspiel Super Bowl im Januar 2001 in Tampa der Fall war33. Seit dem 11. September 2001 testen verschiedene Flughäfen ebenfalls diese Technik34. Das größte Netzwerk von Überwachungskameras in den Vereinigten Staaten von Amerika ist seit 2002 im District of Columbia im Entstehen35. Schon 2001 wurde dort durch das D.C. Metropolitan Police Department ein Joint Operations Command Center36 eingerichtet und am 11. September zum ersten Mal in Betrieb genommen. Dieses dient der Koordination der Videoüberwachungen durch das Metropolitan Police Department mit denen anderer law enforcement agencies37 des Bundes. In diesem Kommandozenben der Polizei, die im US-amerikanischen Recht nicht in präventive und repressive Tätigkeiten getrennt werden. 28 Milligan, 9 S. Cal. Interdis. L.J. 295, 301 (1999). 29 Hsu, D.C. Forms Network of Surveillance, Washington Post vom 17.2.2002. 30 So die Einschätzung von Hansen, 83 A.B.A.J. 44 (1997); Milligan, 9 S. Cal. Interdis. L.J. 295, 301 (1999). 31 Banisar, Bürgerrechte und Polizei/CILIP 61 (3/98), 19 ff. 32 Vgl. die Tabelle bei Nieto/Johnston-Dodds/Simmons, S. 14. 33 Ulfkotte, Die kleinen Helfer des großen Bruders, Frankfurter Allgemeine Zeitung von 01.03.2001. 34 Hsu, D.C. Forms Network of Surveillance, Washington Post vom 17.2.2002; v. Lucius, Das Profil der Masse, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 01.08.2002. 35 Siehe dazu Hsu, D.C. Forms Network of Surveillance, Washington Post vom 17.2.2002; Hsu, In D.C., Tuning In to the Streets, Washington Post vom 15.2.2002. 36 Gemeinsame Einsatzkommandozentrale (Übers. d. Verf.) 37 Zu den law enforcement agencies zählen in den USA eine Vielzahl von Behörden, welche Behörden des Bundes oder Behörden der Gliedstaaten sein können. Für das Thema dieser Arbeit sind hier insbesondere die lokalen Polizeidienststellen, den police departments, wie im obigen Beispiel das Metropolitan Police Department, von Relevanz.

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Kap. 2: Polizeiliche Videoüberwachung in der Praxis

trum werden die zwölf Überwachungskameras des Metropolitan Police Department mit bereits in der Stadt Washington vorhandenen Videokameras anderer lokaler und nationaler Behörden zu einem System verbunden. Mit über 200 Kameras – und es kommen immer mehr hinzu – können damit die Hauptverkehrsstraßen, Bahnstationen, Gebäude und Wahrzeichen der Vereinigten Staaten sowie Schulen überwacht werden. Damit ist es zum Beispiel möglich, im Falle eines biochemischen Anschlags in einer U-Bahn oder bei Schießereien in Schulen von außen zu sehen, was am Tatort geschieht38. Durch dieses Netzwerk ist die Überwachung weiter Teile der Stadt möglich sowie die digitale Speicherung der Videobilder. Geplant ist die Verknüpfung mit weiteren Überwachungssystemen und Datenbanken der Region. Das verwendete System befindet sich insgesamt auf dem neuesten Stand der Technik und ähnelt denen der National Aeronautics and Space Administration (NASA) oder den zur Landesverteidigung eingesetzten Systemen39. Genutzt werden soll dieses Netzwerk jedoch nur in besonderen Fällen, wie Großveranstaltungen in der Stadt oder erhöhter Alarmbereitschaft wegen aktueller Gefahr terroristischer Anschläge40. 2002 war das Joint Operations Command Center mehrfach in Betrieb, etwa zur Observation von Demonstrationen vor der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds im April oder den Feierlichkeiten zum amerikanischen Unabhängigkeitstag am 4. Juli41. Die 12 eigenen Kameras des Metropolitan Police Department stehen dem Netzwerk jederzeit zur Verfügung. Diese sind an den meistfrequentierten Orten der Stadt installiert, sind um 360º schwenkbar und verfügen über die Möglichkeit der 17fachen Vergrößerung gegenüber der Wahrnehmung durch das menschliche Auge42. Weitere Kameras sind nur auf Anforderung oder mit Zustimmung anderer für diese zuständigen Behörden aktivierbar. Eine permanente Videoüberwachung der National Mall mit ihren National- und Kriegsdenkmälern findet seit Herbst 2002 mit einem eigenen, mehrere hundert Kameras umfassenden CCTV-System der National Park Police statt, die unter der Aufsicht des National Park Service für die Sicherheit dieses Gebietes zuständig ist43. Grund hierfür ist die besondere Bedrohung dieser nationalen Einrichtungen durch den internationalen Terrorismus. 38 So die Auskunft des für dieses Projekt Verantwortlichen, Stephen J. Gaffigan; vgl. Hsu, D.C. Forms Network of Surveillance, Washington Post vom 17.2.2002. 39 So die Auskunft des für dieses Projekt Verantwortlichen, Stephen J. Gaffigan; vgl. Hsu, D.C. Forms Network of Surveillance, Washington Post vom 17.2.2002. 40 Vgl. McMillion, 1 ABA Journal eReport 12 (2002). 41 DeBose, Cameras to raise Mall security, The Washington Times vom 3.7. 2002. 42 Siehe Hsu, Rules Urged for Surveillance, Washington Post vom 23.3.2002.

D. Gründe der zunehmenden Durchführung von Videoüberwachungen

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Seit den terroristischen Anschlägen am 11. September 2001 in den USA hat die Verwendung von CCTV-Anlagen durch die law enforcement agencies eine weitere starke Schubwelle erfahren. In besonderem Maße angestiegen ist seither die Nachfrage nach Gesichtserkennungstechnologien44. Eine Besonderheit der Durchführung von Videoüberwachungen im öffentlichen Raum in den USA gegenüber der in Deutschland besteht darin, daß dort häufig Videoüberwachungssysteme durch Privatleute (mit-)finanziert werden und auch die Überwachung an den Monitoren durch Privatleute oder private Sicherheitsfirmen erfolgt45. Ein extremes Beispiel bietet hier Anchorage, Alaska,46 wo die Bilder von Überwachungskameras nicht an die Polizeidienststelle übertragen werden, sondern an private Computer von Einwohnern. Diese können Videoaufzeichnungen sowie Nahaufnahmen von Verdächtigen erstellen. Hieraus erstellte Fotos werden dann an Geschäftsinhaber und die Polizei in der Nachbarschaft verteilt. Auch werden dort Mitteilungsblätter mit den Fotos erwischter Straftäter herausgegeben. Weiterhin existieren in den USA (wie auch in Großbritannien) zahlreiche „real life“-Fernsehsendungen, in denen Überwachungsvideos, auch aus polizeilichen CCTV-Überwachungen, gezeigt werden47. Die immer häufigere Anwendung der Videotechnik zur Überwachung öffentlicher Orte in den USA und Großbritannien und weiteren unterstützenden technischen Neuerungen, wie biometrischer Verfahren48 zur Gesichtserkennung und automatischen Bildabgleichen, zeigen, wohin die Entwicklung geht. Es ist zu erwarten, daß in der Zukunft auch in Deutschland diese Techniken zur Effektivierung der Polizeiarbeit genutzt werden sollen.

D. Gründe der zunehmenden Durchführung von Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte Sowohl in Deutschland als auch in den USA sind polizeiliche Videoüberwachungen öffentlicher Orte im Zusammenhang mit zwei übergeordneten Entwicklungsströmen der Polizeiarbeit zu sehen, aus denen sich Gründe für die starke Zunahme des Einsatzes von Videotechnik im öffentlichen Raum 43 DeBose, Cameras to raise Mall security, The Washington Times vom 3.7. 2002; McMillion, 1 ABA Journal eReport 12 (2002). 44 Nieto/Johnston-Dodds/Simmons, S. 7. 45 Siehe dazu die zahlreichen Beispiele bei Burrows, 31 Val. U.L. Rev. 1079, 1103–1107 (1997). 46 Dazu Burrows, 31 Val. U.L. Rev. 1079, 1103 (1997). 47 Milligan, 9 S. Cal. Interdis. L.J. 295, 301 (1999). Vgl. auch Burrows, 31 Val. U.L. Rev. 1079, 1107,1109 (1997). 48 Siehe zu diesen oben Kapitel 1, B.V.

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Kap. 2: Polizeiliche Videoüberwachung in der Praxis

ableiten lassen. Hier ist zum einen der durch das Fortschreiten der Technik begünstigte, allgemein vermehrte Einsatz technischer Hilfsmittel in der Polizeiarbeit zu nennen und zum anderen die Umsetzung neuer Konzepte in der Sicherheitspolitik. Hierbei handelt es sich um Konzepte des „New Policing“, die in den USA entwickelt und erfolgreich umgesetzt wurden und deren Ansätze sich nun auch in polizeilichen Maßnahmen in Deutschland wiederfinden.

I. Einsatz technischer Hilfsmittel zur Effektivierung der Polizeiarbeit Sowohl die präventive als auch die repressive Polizeiarbeit wird heute vielfach durch technische Hilfsmittel erleichtert und effektiviert. Mit dem Fortschreiten der Technik werden diese Hilfsmittel immer höher entwickelt und leistungsfähiger. Zu denken ist hier insbesondere an den Technikeinsatz bei polizeilichen Überwachungen, aber auch allgemein an die Arbeitsvereinfachung durch den Einsatz von Computern49. Technische Hilfsmittel können bei polizeilichen Überwachungen eingesetzt werden zum Abhören oder Aufzeichnen des gesprochenen Wortes auf Tonträger50, zur Anfertigung von Bildaufnahmen oder -aufzeichnungen51, wozu Fotos, Film- oder Videoaufnahmen zählen, oder zur Lokalisierung von Personen oder Sachen52, etwa durch Alarmkoffer, Bewegungsmelder, Nachtsichtgeräte oder Peilsender53. Auch die Überwachung der Telekommunikation54 ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen. Mit der Verbesserung der Computertechnik wird die Errichtung immer umfangreicherer Dateien, wie Personen- oder Sachfahndungsdateien, und die Vernetzung solcher Dateien möglich55. Des weiteren entstehen neue und effizientere Möglichkeiten automatisierter Datenverarbeitung, wie automatischer Datenabgleiche von großen Datenmengen56. Zu denken ist hier im 49

Vgl. auch unten F.III.1. Vgl. etwa § 22 I Nr. 2 BWPolG; Art. 33 I Nr. 2 BayPAG; § 10 I HambDVPolG; § 185 I LVwG SH; sowie § 100 c I Nr. 2 StPO. 51 Vgl. etwa § 22 I Nr. 2 BWPolG; Art. 33 I Nr. 2 BayPAG; § 10 I HambDVPolG; § 185 I LVwG SH; sowie § 100 c Nr. 1 a StPO. 52 § 100 c I Nr. 1 b StPO. 53 Vgl. Bäumler, in: Lisken/Denninger, HbdPolR, J, Rdnr. 312; Hilger, NStZ 1992, 457 (461, Fn. 89). 54 § 100 a StPO. 55 Zu den verschiedenen Dateitypen ausführlich Bäumler, in: Lisken/Denninger, HbdPolR, J, Rdnr. 133 ff. 56 Banisar, Bürgerrechte und Polizei/CILIP 61 (3/98), S. 19 ff. 50

D. Gründe der zunehmenden Durchführung von Videoüberwachungen

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Zusammenhang mit Videoüberwachungen insbesondere an biometrische Verfahren, mit denen es möglich wird, Videobilder automatisiert mit Fahndungsfotos zu vergleichen57. Auch der heute vermehrte Einsatz von Videoanlagen zur Überwachung ist vor allem Verdienst der technischen Entwicklung. Die ersten mobilen Kameraanlagen wiesen noch stattliche Ausmaße auf. Die erste Anlage der Münchner Stadtpolizei aus dem Jahre 1964 war zum Beispiel auf einem 6-t-LKW-Gestell mit ausfahrbaren Bodenstützen installiert, hatte einen drei Meter hohen Kameramast und eine sieben Meter hohe Antenne58. Die mit ihr aufgenommenen Bilder konnten in ein Lagezentrum gefunkt und mit einem Bildspeicher festgehalten werden. Seither wurden die Kameras immer kleiner, leistungsfähiger59 (besseres Auflösungsvermögen, ferngesteuerte Zoom- und Schwenkfunktionen, Sichtbarmachung von Infrarotsignalen60) und auch billiger, so daß ihr Einsatz einfacher wurde und daher auch häufiger erfolgte. Mit kleinen, zoomfähigen Handkameras etwa können nun gestochen scharfe Detailaufnahmen gemacht werden61. Mit einer Fenstertechnik können die durch mehrere Kameras aufgenommenen Bilder auf einem Monitor dargestellt werden, was eine Reduzierung der zur Videoüberwachung benötigten Monitore erlaubt62. Auch die zunächst aufwendige Aufzeichnung und Auswertung der gemachten Aufnahmen wurde immer einfacher. Mit der Digitalisierung der Bilder wurden Speichertechniken entwickelt, die durch Datenkomprimierung und Differenzspeicherung bei bewegten Bildern eine wesentlich höhere Auslastung der verfügbaren Speicherkapazität erlauben63. Zur Auswertung der Aufnahmen ist es zum Beispiel möglich, Bildausschnitte nachträglich zu vergrößern. Der Auswertung der gemachten Aufnahmen dienen auch die bereits erwähnten, sich noch in der Entwicklung und Erprobung befindlichen biometrischen Verfahren64. Die Videoüberwachungstechnologie bietet die technische Verlängerung und Erweiterung der menschlichen Wahrnehmungsmöglichkeiten65. Mit 57 Bäumler, in: Lisken/Denninger, HbdPolR, J, Rdnr. 654; zu den biometrischen Verfahren siehe auch oben Kapitel 1, B.V. 58 Weichert, Bürgerrechte und Polizei/CILIP 60 (2/98), 12 ff. 59 Zum derzeitigen Stand der Videoüberwachungstechnik ausführlich Büllesfeld, S. 9 ff. 60 Jahresbericht BlnBDA 1999, S. 32. 61 Weichert, Bürgerrechte und Polizei/CILIP 60 (2/98), 12 ff.; Nieto/JohnstonDodds/Simmons, S. 4. 62 Jahresbericht BlnBDA 1999, S. 32. 63 Jahresbericht BlnBDA 1999, S. 32. 64 Siehe dazu schon oben Kapitel 1, B.V.

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Kap. 2: Polizeiliche Videoüberwachung in der Praxis

Hilfe von (entsprechend ausgerüsteten66) Kameras ist es beispielsweise möglich, auch bei Dunkelheit oder schlechten Witterungsverhältnissen das Geschehen auf Plätzen wahrzunehmen67. Durch die Vergrößerungsmöglichkeit der Bilder (Zoom) können auch weit entfernte Objekte detailgenau beobachtet werden. Außerdem eröffnet die Aufzeichnungsmöglichkeit des Beobachteten die Möglichkeit der Anfertigung von im Unterschied zur menschlichen Wahrnehmung unbestechlicher und damit für ein Strafverfahren besonders wertvoller Sachbeweise68. Die Grenzen, die die praktischen Schwierigkeiten der Videoüberwachung in der Vergangenheit setzten, werden damit durch den technischen Fortschritt immer weiter aufgehoben. Die moderne Technik bereitet daher den Boden sowohl für die qualitative als auch quantitative Zunahme von Videoüberwachungen in der Öffentlichkeit.

II. „New Policing“ 1. „New Policing“ in den USA, insbesondere die New Yorker „Null-Toleranz-Strategie“ Neue Konzepte der Kriminal- und Sicherheitspolitik, das New Policing, wurden in den USA in den 90er Jahren als Reaktion auf die steigende Kriminalitätsrate und den dazu parallelen Anstieg von Kriminalitätsfurcht in der Bevölkerung entwickelt. Schon in den 60er Jahren war die Kriminalitätsrate in den USA rapide angestiegen, verblieb dann allerdings bis Mitte der 80er Jahre auf unverändert hohem Niveau, worauf wieder ein dramatischer Anstieg der Jugendkriminalität, besonders bei den Tötungsdelikten, folgte, Gewaltdelikte durch über 25jährige jedoch abnahmen69. Viele der registrierten Delikte ereigneten sich im öffentlichen Raum, besonders in Großstädten wie New York oder Chicago. Dort waren manche Stadtteile in den Händen bewaffneter Gangs, die um Status, Gewinne aus 65

Weichert, Bürgerrechte und Polizei/CILIP 60 (2/98), 12 ff. Vgl. dazu Büllesfeld, S. 9, Fn. 30. 67 Nieto/Johnston-Dodds/Simmons, S. 4. 68 Weichert, Bürgerrechte und Polizei/CILIP 60 (2/98), 12 ff. Die Verwendung von Videobildern als Beweismittel birgt jedoch auch Unsicherheitsfaktoren in sich. So können digitalisierte Bilder verändert werden, ohne daß selbst ein Experte den Unterschied zu einem Original erkennen könnte. Auch besteht die Gefahr, wegen dieses scheinbar unumstößlichen Beweises gegen eine Person vorschnell Ermittlungen anzustellen, nur weil sie dem aufgezeichneten Täter ähnelt. Vgl. zu diesen Bedenken Burrows, 31 Val. U.L. Rev. 1079, 1127 (1997). 69 Heymann, 28 Fordham Urb. L.J. 407, 408 (2000); Eisner, S. 109, in: Ortner/ Pilgram/Steinert (Hrsg.), New Yorker „Zero-Tolerance“-Politik, 1998. 66

D. Gründe der zunehmenden Durchführung von Videoüberwachungen

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dem Drogenhandel oder Wettgewinne kämpften. Auch die New Yorker U-Bahn war zu einem unbenutzbaren Verkehrsmittel heruntergekommen70. Vorreiter in der Entwicklung neuer Polizeistrategien waren die Städte New York, Boston und Chicago, deren Konzepte sich allerdings stark voneinander unterscheiden. Gemeinsames Ziel ist jedoch die Verminderung der Kriminalität sowie der öffentlichen Unordnung und die Stärkung des Vertrauens der Bevölkerung in die Polizei71. Gemeinsam ist den Konzepten dabei die Verlagerung des Schwerpunkts polizeilicher Arbeit von der Strafverfolgung hin zur Prävention sowie die Einbindung der Bürger eines Stadtteils in die verschiedenen Stadien und Formen der Polizeiarbeit, das sogenannte community policing72. Die Chicago Alternative Policing Strategy73 betont besonders diesen zweiten Aspekt. Dagegen ist Schwerpunkt der New Yorker „Null-Toleranz-Strategie“ die Verhütung von Straftaten. Letztere Strategie basiert auf der sogenannten „Broken-Windows-Theorie“74, welche auf der Grundlage eines Ende der 60er Jahre durchgeführten psychologischen Experiments aufgestellt wurde. Bei diesem Experiment75 wurden zwei Autos mit geöffneter Motorhaube und abmontiertem Nummernschild auf der Straße abgestellt, das eine in der Bronx, das andere in einer kalifornischen Kleinstadt. Das Auto in der Bronx wurde schon nach zehn Minuten Ziel von Vandalen, nach 24 Stunden war es völlig verwüstet. Das Auto in der kalifornischen Kleinstadt dagegen war selbst nach einer Woche noch unversehrt. Erst nachdem durch den Versuchsleiter mit einem Vorschlaghammer eine Autoscheibe zertrümmert wurde, begangen Passanten, sich an dem Vandalismus zu beteiligen. Kurze Zeit später war auch dieses Auto zerstört. Ein Ergebnis dieses Experiments ist, daß durch die zerbrochene Scheibe signalisiert wird, daß hier Regelverstöße hingenommen werden und ungeahndet bleiben, so daß weitere folgenlos begangen werden können. 70

Vgl. Volkmann, NVwZ 1999, 225 (227). Heymann, 28 Fordham Urb. L.J. 407 (2000). 72 Vgl. die „twin poles of modern policing“, Heymann, 28 Fordham Urb. L.J. 407, 424 (2000). 73 Dazu Heymann, 28 Fordham Urb. L.J. 407, 424–429 (2000). 74 Wilson/Kelling, The Police and Neighborhood Safety: Broken Windows, The Atlantic Monthly, März 1982, 29–39; deutsche Fassung: Polizei und Nachbarschaftssicherheit: Zerbrochene Fenster, in: Dreher/Feltes (Hrsg.), Das Modell New York: Kriminalprävention durch „Zero Tolerance“, 1997, S. 43; Kelling/Cole, Fixing Broken Windows, 1996, S. 16 ff. Kritisch zu dieser Theorie: Harcourt, 97 Mich. L. Rev. 291 (1998). 75 Zum Ablauf des Experiments ausführlich Wilson/Kelling, in: Dreher/Feltes (Hrsg.), Das Modell New York: Kriminalprävention durch „Zero Tolerance“, 1997, S. 45; auch Volkmann, NVwZ 1999, 225 (226). 71

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Kap. 2: Polizeiliche Videoüberwachung in der Praxis

Kernaussage der „Broken-Windows-Theorie“ ist daher, daß schon erste Anzeichen öffentlicher Unordnung76 weiteren sozialen Verfall und letztlich die Begehung von Straftaten und die Zunahme der Kriminalitätsfurcht an den betroffenen Orten nach sich ziehen77. Schon sozial unerwünschte Verhaltensweisen auf öffentlichen Plätzen, wie Betteln, Müll liegen lassen, öffentliches Urinieren, Herumlungern in betrunkenem Zustand oder Schlafen auf Parkbänken, oder kleine Normverstöße können die soziale Kontrolle untergraben78. Dies zum einen durch das Hervorrufen von Angst oder anderweitigem Entmutigen verantwortungsbewußter Bürger, diese Orte aufzusuchen79. Zum anderen vermögen solche Verhaltensweisen zugleich Kriminelle zu ermutigen anzunehmen, daß Straftaten an diesen Orten straflos begangen werden können, da sich offensichtlich niemand der dort Anwesenden darum kümmert80. Davon ausgehend setzt die New Yorker „Null-Toleranz-Strategie“ den Beginn polizeilicher Straftatverhütung bereits mit der Kontrolle öffentlicher Unordnung gleich. Schon sogenannte misdemeanors werden konsequent verfolgt und streng geahndet, ziehen sogar oft Inhaftierungen nach sich81. Der Begriff misdemeanor findet im Deutschen keine vollständige Entsprechung82. Er umfaßt die schon oben erwähnten sozial unerwünschten Verhaltensweisen wie Betteln, Trunkenheit in der Öffentlichkeit, Schule schwänzen, unerbetenes Scheibenwischen an Straßenkreuzungen und ähnliches bis hin zu Vandalismus oder Straßenprostitution83. Verstärkt bekämpft wird auch der Drogenkleinhandel auf offener Straße84. Weiterhin werden Durchsuchungen von Personen häufiger durchgeführt, wodurch insbesondere das Entdeckungsrisiko bei illegalem Mitführen von Waffen erhöht wird oder Personen angehalten werden, die aus anderen Gründen bereits polizeilich gesucht wurden85. Verbunden mit all diesen Maßnahmen ist die verstärkte Polizeipräsenz an Kriminalitätsbrennpunkten im öffentlichen Raum86. 76

Disorder definieren Kelling/Cole, Fixing Broken Windows, 1996, S. 14 ff. Volkmann, NVwZ 1999, 225 (226); Eisner, S. 111, in: Ortner/Pilgram/Steinert (Hrsg.), New Yorker „Zero-Tolerance“-Politik, 1998. 78 Heymann, 28 Fordham Urb. L.J. 407, 429 (2000). 79 Heymann, 28 Fordham Urb. L.J. 407, 429 (2000). 80 Heymann, 28 Fordham Urb. L.J. 407, 429 (2000). 81 Heymann, 28 Fordham Urb. L.J. 407, 429 (2000); Binninger/Dreher, in: Dreher/Feltes (Hrsg.), Das Modell New York: Kriminalprävention durch „Zero Tolerance“?, 1997, S. 30 f. 82 Eisner, S. 111, in: Ortner/Pilgram/Steinert (Hrsg.), New Yorker „Zero-Tolerance“-Politik, 1998. 83 Eisner, S. 111, in: Ortner/Pilgram/Steinert (Hrsg.), New Yorker „Zero-Tolerance“-Politik, 1998. 84 Eisner, S. 111, in: Ortner/Pilgram/Steinert (Hrsg.), New Yorker „Zero-Tolerance“-Politik, 1998. 77

D. Gründe der zunehmenden Durchführung von Videoüberwachungen

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Des weiteren wurden in New York vermehrt technologische Hilfsmittel im Bereich polizeilicher Ermittlungen und in der Kriminalitätsbeobachtung, wie etwa die Kriminalitätsstatistik „Compstat“, eingesetzt87. Seit der konsequenten Umsetzung der „Null-Toleranz-Strategie“ nahm die Kriminalitätsrate in New York tatsächlich stark (um rund 50%) ab88. Es gelang, den öffentlichen Raum aus der Hand von Gangs zurückzuerobern, die Zahl der Gewaltverbrechen zu reduzieren und auch das Sicherheitsgefühl der Bürger zu stärken. Doch die „Null-Toleranz-Strategie“ weist auch Schattenseiten auf89. So kam es in New York zu einigen dramatischen Vorfällen von Übergriffen durch die Polizei90. Auch führt die vermehrte Verhängung von Haftstrafen zum Überquellen vieler Gefängnisse und einem extremen Anstieg der Ausgaben für den Strafvollzug91. Negativer Langzeiteffekt der Anwendung dieser Strategie kann auch sein, daß zahlreiche der wegen kleinerer Vergehen in Haft Genommenen aus psychologischen Gründen oder aufgrund der durch die Haft geschmälerten Aussichten im weiteren Leben später erneut Straftaten begehen werden92. Beachtet werden muß auch, daß andere amerikanische Städte mittlerweile mit weniger drastischen Maßnahmen Erfolge in der Kriminalitätsbekämpfung verzeichnen93. Für die verschiedenen Konzepte des New Policing ist allgemein fraglich, inwieweit der Rückgang der Kriminalitätsrate in den USA insgesamt seit den 90er Jahren ihr Verdienst ist94. Denn diese Entwicklung kann auch auf anderen Faktoren beruhen, wie dem anhaltenden Wirtschaftswachstum und dem damit verbundenen Rückgang der Arbeitslosenzahlen und der Armut 85

Heymann, 28 Fordham Urb. L.J. 407, 429 (2000). Vgl. Heymann, 28 Fordham Urb. L.J. 407, 430–431 (2000). 87 Dazu Eisner, S. 111, in: Ortner/Pilgram/Steinert (Hrsg.), New Yorker „ZeroTolerance“-Politik, 1998; Heymann, 28 Fordham Urb. L.J. 407, 431 (2000). 88 Zu den Erfolgen in New York Heymann, 28 Fordham Urb. L.J. 407, 432–434 (2000); Eisner, S. 109 f., in: Ortner/Pilgram/Steinert (Hrsg.), New Yorker „Zero-Tolerance“-Politik, 1998. 89 Siehe dazu Klingst, S. 174 f., in: Ortner/Pilgram/Steinert (Hrsg.), New Yorker „Zero-Tolerance“-Politik, 1998. 90 Volkmann, NVwZ 1999, 225 (227); Heymann, 28 Fordham Urb. L.J. 407, 432 (2000). 91 Volkmann, NVwZ 1999, 225 (227); vgl. Eisner, S. 112, in: Ortner/Pilgram/ Steinert (Hrsg.), New Yorker „Zero-Tolerance“-Politik, 1998. 92 Heymann, 28 Fordham Urb. L.J. 407, 418 (2000). 93 Volkmann, NVwZ 1999, 225 (227). 94 Ausführlich Heymann, 28 Fordham Urb. L.J. 407, 410–419 (2000); auch Eisner, S. 112, in: Ortner/Pilgram/Steinert (Hrsg.), New Yorker „Zero-Tolerance“-Politik, 1998; Binninger/Dreher, in: Dreher/Feltes (Hrsg.), Das Modell New York: Kriminalprävention durch „Zero Tolerance“?, 1997, S. 36 ff. 86

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Kap. 2: Polizeiliche Videoüberwachung in der Praxis

in den USA sowie der Zunahme der High School-Absolventen unter der schwarzen Bevölkerung95. Besonders der Rückgang von Tötungsdelikten unter Jugendlichen kann ebenso auf die Erfolge der Arbeit von Schulen und Kirchen zurückzuführen sein, die ihre Aufklärungs- und Präventionsbemühungen auf diesem Gebiet verstärkten96. Auch können Jugendliche von den Erfahrungen ihrer älteren Geschwister gelernt haben, die vielfach Freunde durch Schußwaffen verloren97. Speziell für New York ist weiterhin zu beachten, daß dort gleichzeitig eine Restrukturierung98 der Polizeiorganisation erfolgte, womit diese einheitlich koordiniert und flexibler wurde. Weiterhin wurden die Maßnahmen gegen Korruption im Polizeiapparat intensiviert. Diese Veränderungen innerhalb der New Yorker Polizei können ebenfalls zu einem großen Teil für die Erfolge in der Kriminalitätsbekämpfung verantwortlich sein. Auf der anderen Seite sprechen allerdings einige Gesichtspunkte für einen Zusammenhang zwischen dem New Policing und den sinkenden Kriminalitätszahlen99. Dies zum einen durch die Tatsache, daß dort der Rückgang der Kriminalität am stärksten war, wo am konsequentesten die neuen Konzepte ausgeführt wurden. Zum anderen scheint ein Zusammenhang zwischen bestimmten Aspekten der neuen Polizeitaktiken und der erfolgreichen Straftatprävention nicht zu verleugnen zu sein, wie beispielsweise der verschärften Überwachung des Besitzes von Schußwaffen und dem Rückgang der Gewaltdelikte mit Hilfe solcher. Auch die Wiederherstellung sozialer Kontrolle durch die Beseitigung öffentlicher Unordnung, wie in dem New Yorker Modell, zeigt zumindest kurzfristig Erfolge durch die Vertreibung Krimineller von diesen Orten und der Stärkung des Sicherheitsgefühls der Bürger. 2. Neue Polizeistrategien in Deutschland nach amerikanischem Vorbild Auch in Deutschland war ein stetiger Anstieg der Kriminalitätsrate in den letzten Jahrzehnten zu vermelden100. Durch den häufigeren Einsatz von Gewalt oder die Verwendung von Schußwaffen erfolgte eine Veränderung der Kriminalitätslage auch in qualitativer Hinsicht. 95

Heymann, 28 Fordham Urb. L.J. 407, 411–412 (2000). Heymann, 28 Fordham Urb. L.J. 407, 412 (2000). 97 Heymann, 28 Fordham Urb. L.J. 407, 412 (2000). 98 Dazu Eisner, S. 110 f., in: Ortner/Pilgram/Steinert (Hrsg.), New Yorker „ZeroTolerance“-Politik, 1998. 99 Ausführlich Heymann, 28 Fordham Urb. L.J. 407, 413–419 (2000). 100 Zur Kriminalitätsentwicklung seit 1970 siehe Falk, Kriminalistik 1998, 37 f. 96

D. Gründe der zunehmenden Durchführung von Videoüberwachungen

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Diese Entwicklung betraf vor allem auch die Sicherheitslage im öffentlichen Raum, insbesondere in den deutschen Großstädten. Hier ereigneten sich mehr und mehr Delikte, wie vor allem Drogendelikte und die damit verbundene Beschaffungskriminalität, Trick- und Taschendiebstahl, Diebstahl von oder aus Kraftfahrzeugen, Raub oder andere, auch rassistisch motivierte, Gewaltverbrechen101. Parallel zur Kriminalitätsrate in Deutschland stieg ebenfalls die Furcht der Bürger, Opfer einer Straftat zu werden102. Das Gefühl des Bedrohtseins gründet jedoch nicht allein auf der tatsächlichen Häufung von Straftaten in den Innenstadtbereichen und deren unmittelbarer Wahrnehmbarkeit, etwa bei der Etablierung einer offenen Drogenszene, sondern wird auch durch dort verbreitete, sozial unerwünschte Verhaltensweisen hervorgerufen103. Zu letzteren zählen etwa der öffentliche Alkoholkonsum, aggressives Betteln oder Pöbeleien gegenüber Passanten sowie öffentliches Urinieren. Hinzu kommen Vandalismusschäden, zum Beispiel mutwillig zerstörte Telefonzellen, Verunreinigungen von Straßen und Plätzen, Graffiti oder Parolen an Hauswänden. Diese Faktoren zusammen lassen manche Innenstädte als „gefährlich und abstoßend“ erscheinen104. Sie signalisieren, daß an diesen Orten die Regeln des Zusammenlebens, das heißt die Verhaltenserwartungen, über die allgemeiner Konsens besteht, zum Beispiel Höflichkeit, Hilfsbereitschaft oder Rücksichtnahme gegenüber anderen, nicht mehr gelten, daß dort keine Ordnung mehr herrscht105. Ausgehend von der Erkenntnis, daß diese mißbilligten Verhaltensweisen der Nährboden für weitere Kriminalität sind106, und mit Blick auf die Erfolge der New Yorker „Null-Toleranz-Strategie“ wurde Ende der 90er Jahre die Verbesserung der Sicherheitslage in den Innenstädten und die Stärkung des Sicherheitsgefühls der Bürger durch das frühzeitige und konsequente Vorgehen gegen die öffentliche Unordnung nach New Yorker Vorbild zum kriminal- und sicherheitspolitischen Ziel erklärt107. 101

Vgl. für die Stadt Leipzig: Müller, Die Polizei 1997,77. Zur Kriminalitätsfurcht in Deutschland siehe Kury/Obergfell-Fuchs, Kriminalistik 1998, 26. 103 Vgl. Volkmann, NVwZ 1999, 225; Volkmann, NVwZ 2000, 361. Die tatsächliche Bedrohungssituation deckt sich daher nicht mit den Befürchtungen. 104 So die Einschätzung des Hauptverbands des Deutschen Einzelhandels (Hrsg.), Gefährdung des Einzelhandels durch Kriminalität und Umfeldverschlechterung, Ergebnisse einer Umfrage des Hauptverbandes des deutschen Einzelhandels (HDE), Köln 1997; dazu auch Falk, Kriminalistik 1998, 37 (38). Zur vergleichbaren Situation in Großbritannien Norris/Armstrong, Bürgerrechte und Polizei/CILIP 61 (3/98), 30 ff. 105 Volkmann, NVwZ 1999, 225. 106 So die „Broken-Windows-Theorie“, siehe oben D.II.1. 102

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Zur Erreichung dieses Ziels werden zwei Strategien verfolgt108. Zum einen wird angestrebt, auffällige und unerwünschte Personen, wie Mitglieder der Drogenszene oder Obdachlose, von exponierten Standorten in den Innenstädten zu vertreiben109. Hierzu werden Platzverweise und Aufenthaltsverbote verfügt110. Normativ abgestützt werden soll diese Strategie durch das Verbot unerwünschter Verhaltensweisen111. So wurden von einigen Kommunen Polizeiverordnungen erlassen, die das aggressive Betteln112, den Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit113 oder das Herumlungern Betrunkener verbieten. Zum anderen sollen durch den Ausbau strategischer Polizeipräsenz Präventionseffekte im Gefahrenvorfeld erzielt werden114. Die Demonstration von Polizeipräsenz im öffentlichen Raum erfolgt vor allem durch Streifenfahrten oder Streifengänge durch die Polizei im formellen Sinne, kann aber auch durch den Bundesgrenzschutz erfolgen oder auf private Sicherheitsfirmen übertragen werden115. Durch polizeiliche Videoüberwachungen im öffentlichen Raum kann diese tatsächliche Anwesenheit von Überwachungspersonal zu einem großen Teil ersetzt oder intensiviert werden. In der Diskussion um diese Maßnahme findet sich daher auch häufig der Vergleich der installierten Überwachungskamera mit einem anwesenden Polizisten. Die offene Beobachtung mit Hilfe der Kamera sei nichts anderes, als wenn 107 Vgl. Volkmann, NVwZ 2000, 361 (362); Dolderer, NVwZ 2001, 130. Zur kriminalpolitischen Diskussion hierzu siehe Kerner, S. 243 ff., in: Ortner/Pilgram/Steinert (Hrsg.), New Yorker „Zero-Tolerance“-Politik, 1998; Behr, in: Dreher/Feltes (Hrsg.), Das Modell New York: Kriminalprävention durch „Zero Tolerance“?, 1997; S. 148 ff. 108 Zu den rechtlichen Problemen dieser Strategien Volkmann, NVwZ 2000, 361 (362 ff.); Dolderer, NVwZ 2001, 130. 109 Dolderer, NVwZ 2001, 130 ff. 110 Dazu die Entscheidungen VGH Mannheim, VBlBW 1997, S. 464 und S. 66; VG Stuttgart, NVwZ-RR 1996, 390 und 1998, 103; OVG Lüneburg, NVwZ 2000, 454; VGH München, NVwZ 2000, 454; OVG Bremen, NVwZ 1999, 314. Zu „bettelfreien“ Innenstadtbereichen Höfling, DV 2000, 207. 111 Dolderer, NVwZ 2001, 130. 112 Nach VGH Mannheim, DÖV 1998, 1015, ist das Verbot stillen Bettelns durch eine Polizeiverordnung nichtig. 113 Die Stadt Saarbrücken hatte eine straßenrechtliche Satzung erlassen, in der der Alkoholkonsum auf öffentlichen Straßen als erlaubnispflichtige Sondernutzung deklariert wurde. Das OLG Saarbrücken (NJW 1998, 251) erklärte die entsprechende Vorschrift in der Satzung für ungültig. Der Konsum von Alkohol auf öffentlichen Straßen stelle Gemeingebrauch dar. Die Einschränkung des Gemeingebrauchs sei unzulässig. 114 Dolderer, NVwZ 2001, 130. Zur strategischen Polizeipräsenz: Schröder, Die Polizei 1997, 258. 115 Volkmann, NVwZ 2000, 361 (362). Zu den rechtlichen Problemen der Privatisierung der öffentlichen Sicherheit in Fußgängerzonen: Krölls, NVwZ 1999, 233.

E. Effektivität von Videoüberwachungen

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sich ein uniformierter Polizist auf dem Platz befinde und das Geschehen wahrnehme116. Das Heranzoomen einer Person sei mit dem genaueren Hinsehen des Polizisten vergleichbar117. Daß durch den Videokameraeinsatz einer angespannten Personalsituation begegnet werden kann, wird auch als „wertvoller Nebeneffekt“ der Maßnahme bewertet118. Die Demonstration von Polizeipräsenz kann auch quantitativ durch die Videotechnik erhöht werden, denn mit ihrer Hilfe ist es der Polizei möglich, an vielen verschiedenen Orten gleichzeitig präsent zu sein. Grund für die zunehmende Verbreitung von Videoüberwachungssystemen im öffentlichen Raum sind daher auch die mit dieser Technik verbundenen Vorteile gegenüber der direkten, im Rahmen der aufgezeigten neuen Polizeistrategien an Bedeutung gewinnenden Überwachung durch Polizisten, insbesondere deren Rationalität.

E. Effektivität von Videoüberwachungen I. Reduktion der Straßenkriminalität Polizeiliche Videoüberwachungen öffentlicher Plätze scheinen durchaus ein effektives Mittel zur Straftatprävention an den überwachten Gebieten zu sein. Die Stadt Leipzig berichtete schon nach Durchführung ihres vierwöchigen Pilotprojekts im Jahre 1996 von enormen Erfolgen der Videoüberwachung119. Im Überwachungszeitraum gingen der Diebstahl von und aus Kraftfahrzeugen sowie der Taschendiebstahl um ca. 50% zurück. Auch Fälle von Raub oder räuberischer Erpressung ereigneten sich wesentlich seltener. Betäubungsmitteldelikte wurden hingegen häufiger festgestellt, was allerdings mit der verstärkten polizeilichen Kontrolltätigkeit in Zusammenhang gebracht werden kann. Diese Kriminalitätsentwicklung innerhalb eines Zeitraums von vier Wochen kann jedoch nur begrenzt etwas über die Effektivität von Videoüberwachungen aussagen. Hierzu sind vielmehr Erhebungen über einen Zeitraum von mehreren Monaten oder Jahren erforderlich, welche in Deutschland (und auch in den USA120) bislang nicht erfolgt sind. Vielfach beriefen sich die deutschen Gesetzgeber vor Einführung der Videoüberwachung als 116 VG Halle, LKV 2000, 164 f.; Bay. Staatsministerium des Innern, Die Polizei 2000, 120. 117 VG Halle, LKV 2000, 164 f. 118 Keller, Kriminalistik 2000, 187 (190). 119 Siehe dazu Müller, Die Polizei 1997, 77 (80 f.). 120 Nieto/Johnston-Dodds/Simmons, S. 13.

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polizeiliche Maßnahme auf die positiven Erfahrungen in Großbritannien, wo die Videoüberwachung schon seit über 15 Jahren praktiziert wird121. Die noch Anfang der 90er Jahre in Großbritannien vermeldeten Erfolge von einem Rückgang der Kraftfahrzeug-Vergehen bis zu 97% oder dem Rückgang der Kriminalität allgemein um 74% wurden allerdings durch nachfolgende, unabhängige Studien widerlegt122. Doch auch diese Studien bestätigten weitgehend die Effektivität von Videoüberwachungen zur Straftatbekämpfung und zur Stärkung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung. Eine durch das Scottish Office in Auftrag gegebene Studie123 ergab, daß im schottischen Airdrie im Zeitraum von zwei Jahren nach Einführung der CCTV-Überwachung im November 1992 21% weniger Straftaten begangen wurden als in den zwei Jahren davor. Am stärksten sank die Zahl der Fälle von Diebstahl von und aus Kraftfahrzeugen, Kaufhausdiebstahl sowie die Zahl von Einbrüchen in Häuser (ca. 48%). Brandstiftung und Vandalismus erfolgten um 19% seltener. Die Aufklärungsquote von Straftaten stieg um 16%. Hinweise dahingehend, daß eine Verdrängung der Kriminalität stattgefunden hätte, konnten nicht gefunden werden. Zu weniger eindeutigen Ergebnissen kamen allerdings andere britische Studien124. In manchen Städten konnte nur ein relativ geringer Rückgang der Kriminalität in den Innenstädten festgestellt werden, während die Zahl der Gewaltdelikte teilweise gleich blieb oder sogar anstieg. In manchen Städten wurde auch ein deutlicher Verdrängungseffekt festgestellt. In Doncaster stieg etwa die Zahl der verzeichneten Delikte in den Außenbezirken zum Teil um 31% an. Zu einem erstaunlich negativen Ergebnis kam die ebenfalls durch das Scottish Office initiierte Studie zur Effektivität von Videoüberwachungen in Glasgow125. Dort wurde zwar in den 12 Monaten nach Installation der Überwachungskameras im November 1994 ein Rückgang der an den überwachten Orten begangenen Straftaten verzeichnet, unter Berücksichtigung des generellen Rückgangs der Kriminalität mußte jedoch festgestellt werden, daß nur bezüglich mancher Arten von Straftaten ein Präventionseffekt 121

Vgl. Landtag Baden-Württemberg, LT-Drs. 12/4988, S. 4. Norris/Armstrong, Bürgerrechte & Polizei/CILIP 61 (3/98), 30 ff. 123 The Scottish Office, Does Closed Circuit Television Prevent Crime? An Evaluation of the Use of CCTV Surveillance Cameras in Airdrie Town Centre, Crime and Criminal Justice Research Findings No. 8 (1995); abrufbar unter: http:// www.scotland.gov.uk/cru/resfinds/crf08-00.htm. 124 Siehe dazu Norris/Armstrong, Bürgerrechte & Polizei/CILIP 61 (3/98), 30 ff. 125 The Scottish Office, The Effect of Closed Circuit Television on Recorded Crime Rates and Public Concern about Crime in Glasgow, Crime and Criminal Justice Research Findings No. 30 (1999); abrufbar unter: http://www.scotland.gov.uk/ cru/resfinds/crf30-00.htm. 122

E. Effektivität von Videoüberwachungen

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der Überwachungskameras angenommen werden kann. Es fanden sich dagegen keine Hinweise, daß die Kriminalitätsbelastung in der Innenstadt allgemein durch die Kameras reduziert wurde. Auch die Aufklärungsquote von Straftaten stieg hier nicht. Auch die Studie des Innenministeriums zur Videoüberwachung in Birmingham kam zu dem Ergebnis, daß durch die Überwachung der Innenstadt das allgemeine Kriminalitätsniveau nicht gesenkt werden konnte126. Trotz Kameras ereigneten sich dort mehr Diebstähle und Raubüberfälle. Bei einem Vergleich dieser sehr unterschiedlichen Ergebnisse muß berücksichtigt werden, daß die Bestimmung des Kriminalitätsrückgangs durch CCTV mit einigen Schwierigkeiten verbunden ist. Das Hauptproblem besteht darin, etwas messen zu wollen, das gerade nicht mehr passiert. Beachtet werden muß dabei insbesondere, daß eine Veränderung der Kriminalitätsbelastung an einem kameraüberwachten Ort auch durch andere Faktoren als die Tatsache der Überwachung allein hervorgerufen wird. Zu denken ist hier an die Kriminalitätsentwicklung in einer Stadt oder einem Land allgemein, die Einbindung der CCTV-Überwachung in ein System verschiedener Präventionsmaßnahmen sowie andere, nicht kriminalitätsbezogene Veränderungen an dem Ort der Überwachung127. Der Rückgang von Kfz-Diebstählen, zum Beispiel, könnte auch mit der zunehmenden Ausstattung der Fahrzeuge mit Wegfahrsperren begründet sein128. Weiterhin führen verschiedene Meßmethoden zu unterschiedlichen Ergebnissen, je nachdem welche Daten zugrunde gelegt und welche Fragen gestellt werden129. Die Betrachtung dieser unterschiedlichen Ergebnisse zeigt jedoch, daß polizeiliche Videoüberwachungen des öffentlichen Raumes in Innenstädten keinesfalls notwendigerweise eine Reduktion der Kriminalitätsbelastung herbeiführen. Die Effektivität dieser Maßnahme kann vielmehr in verschiedenen Städten sehr unterschiedlich ausfallen. Weiterhin ist eine unterschiedliche Wirkung von Videoüberwachungen auf verschiedene Arten von Delikten festzustellen. Eine Reduktion der Diebstähle von oder aus Kraftfahrzeugen, Taschendiebstählen sowie der Fälle von Vandalismus erscheint nach diesen Studien wahrscheinlicher als die Reduktion von Gewaltdelikten. Eine Verdrängung der Kriminalität in andere Stadtbezirke, vor allem im Bereich der Drogendelikte, kann nicht ausgeschlossen werden. 126 127 128 129

Norris/Armstrong, Bürgerrechte & Polizei/CILIP 61 (3/98), 30 ff. Nieto/Johnston-Dodds/Simmons, S. 10. Vgl. Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (79, Fn. 18). Nieto/Johnston-Dodds/Simmons, S. 10.

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Kap. 2: Polizeiliche Videoüberwachung in der Praxis

II. Verhinderung terroristischer Anschläge In den USA werden seit dem 11. September 2001 vermehrt Videoüberwachungsanlagen als Reaktion auf die Gefahren des internationalen Terrorismus eingerichtet130. Die Effektivität von Videoüberwachungen in den Innenstädten zur Verhinderung terroristischer Anschläge erscheint jedoch zweifelhaft131. Zu allem bereite (Selbstmord-)Attentäter werden sich von solchen Anlagen nicht abschrecken lassen. Sie werden sich vor ihrer Tat unauffällig verhalten und ihre Waffen versteckt mit sich führen, so daß auch die Entdeckung durch Polizeibeamte am Monitor ausgeschlossen sein wird, bis es zu spät ist. Allein in dem Fall, daß der Polizei bereits Hinweise auf einen Anschlag durch eine bestimmte Person vorliegen, könnten Videoüberwachungsanlagen zur Entdeckung dieser beitragen, insbesondere bei der Kombination der Videoüberwachung mit Gesichtserkennungstechnologien, wie sie in den USA erprobt werden.

F. Aufnahme der Videoüberwachung in der Bevölkerung I. Grundsätzlich positive Reaktionen Wie sich aus verschiedenen Umfragen132 ergab, steht ein Großteil der Bevölkerung, sowohl in Deutschland als auch in den USA, der polizeilichen Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte grundsätzlich positiv gegenüber. Es überwiegt die Ansicht, daß hierdurch die Kriminalität in den überwachten Gebieten wirkungsvoll bekämpft wird, diese also tatsächlich und auch nach dem Gefühl der Bürger sicherer werden.

II. Befürchtung des Mißbrauchs der Videoüberwachungsanlagen durch die Polizei Es bestehen gleichzeitig jedoch auch ernsthafte Bedenken. Befürchtet wird vor allem der Mißbrauch dieser Technik durch die überwachenden Beamten, insbesondere bei der Auswahl ihrer Überwachungsob130

Z. B. in Washington, D.C., siehe oben C.II. Siehe auch die Kritik bei Goodheart, Public cameras accost privacy, USA Today vom 22. Juli 2002. 132 Für Deutschland vgl. Jahresbericht BlnBDA 2000, S. 25. Siehe auch Müller, Die Polizei 1997, 77 (81); Opaschowski, DuD 2001, 678 (680). Für die USA: The Harris Poll #49, vom 3. Oktober 2001, abrufbar unter: http:// www.harrisinteractive.com/harris_poll; BusinessWeek Online, „Privacy: What Americans Think“, November 5, 2001, abrufbar unter: http://www.businessweek.com. 131

F. Aufnahme der Videoüberwachung in der Bevölkerung

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jekte133. So wird die Gefahr gesehen, daß Beamte einzelne Personen allein aus voyeuristischen Motiven134 gezielt und mit Detailaufnahmen beobachten oder Personen nur wegen ihrer Hautfarbe oder Ethnie in den Fokus der Überwachungskameras geraten135, da angenommen wird, daß sich unter den Angehörigen bestimmter ethnischer Gruppen oder Nationalitäten häufiger Straftäter befinden. In den USA wird letzteres unter dem Stichwort „racial profiling“ diskutiert136. Dort betrifft dies besonders Afro-Amerikaner oder Hispano-Amerikaner. Aber auch für Deutschland ist ähnliches denkbar, wobei dieses Problem der diskriminierenden Auswahl der Überwachungsobjekte Angehörige von Randgruppen verschiedenster Art betreffen kann. Diese Befürchtung der überproportionalen Überwachung von Randgruppen findet eine Stütze in einer in Großbritannien durchgeführten Untersuchung, in der festgestellt wurde, daß tatsächlich bestimmte Personengruppen allein wegen ihres äußeren Erscheinungsbildes häufiger als andere gezielt beobachtet werden, ohne daß sie sich sonst verdächtig verhalten hätten137. Auch wurde in Großbritannien eine hohe Anzahl voyeuristisch motivierter Überwachungen festgestellt. Hier ist die Rede von einer Mißbrauchsrate von 10%138.

III. Befürchtung der Entwicklung hin zum „gläsernen Menschen“ Weiterhin bestehen Bedenken gegen eine zu weite Verbreitung der Videoüberwachung im öffentlichen Raum. Befürchtet wird die Entwicklung hin zu einem Überwachungssstaat139 und zur lückenlosen Überwachung des „gläsernen Menschen“. Immer wieder finden sich in der Diskussion Hinweise auf George Orwells „1984“, in dessen Schreckensszenario die Überwachung des öffentlichen Raumes enthalten ist140. Genährt wird diese Furcht zum einen durch den zunehmenden Einsatz technischer Hilfsmittel 133 Vgl. Norris/Armstrong, Bürgerrechte & Polizei/CILIP 61 (3/98), 30 ff.; DeBose, ACLU, NAACP oppose police cameras, The Washington Times vom 14.6.2002; The Harris Poll #49, vom 3. Oktober 2001, abrufbar unter: http:// www.harrisinteractive.com/harris_poll. 134 Milligan, 9 S. Cal. Interdis. L.J. 295, 329 (1999); Nieto/Johnston-Dodds/Simmons, S. 11. 135 Milligan, 9 S. Cal. Interdis. L.J. 295, 328 (1999); Nieto/Johnston-Dodds/Simmons, S. 11. 136 Dazu Gross/Livingston, 102 Colum. L. Rev. 1413 (2002). Racial profiling bei Überwachungen im öffentlichen Raum ist gem. dem general equal protection-clause des 14. Zusatzartikels zur US-Verfassung verboten. 137 Norris/Armstrong, Bürgerrechte & Polizei/CILIP 61 (3/98), 30 ff. 138 Vgl. Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (84). 139 Vgl. Milligan, 9 S. Cal. Interdis. L.J. 295, 297-298 (1999).

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Kap. 2: Polizeiliche Videoüberwachung in der Praxis

in der Polizeiarbeit und der rasanten Weiterentwicklung des technisch Möglichen und zum anderen aus der in manchen Städten fast ständigen Erfassung von Personen durch Videokameras. 1. Zunahme der Möglichkeiten zur polizeilichen Observation mit technischen Hilfsmitteln und zur computerunterstützten Auswertung von Daten Mußte sich die Polizei früher bei ihrer Überwachungstätigkeit auf das Beobachten mit bloßem Auge oder höchstens mit Hilfe eines Fernglases begnügen und mußte ein Polizist, um Gespräche zu belauschen, sich unmittelbar in die Nähe des Belauschten begeben, so stehen dazu heute vielfältige technische Hilfsmittel zur Verfügung. Hierzu zählen neben den Videokameras beispielsweise Richtmikrophone, Abhöranlagen, Peilsender (als solcher kann auch ein vom Überwachten mitgeführtes Mobiltelefon dienen) oder GPS als satellitengestütztes Ortungssystem. Dabei schreitet der technische Fortschritt immer weiter voran. Mit Hilfe von Infrarotgeräten ist es inzwischen möglich, unter bestimmten Umständen durch Kleidung und Wände zu sehen. Die Luft- und Satellitenüberwachung könnte in Zukunft dazu eingesetzt werden, Grundstücke zu überwachen oder Fahrzeuge verfolgend zu beobachten. Dies sind alles nur Beispiele für bisher angewendete Überwachungsmethoden und für die Zukunft denkbare141, sie lassen aber schon den Trend zur ständigen Erweiterung und Verbesserung dieser Methoden erkennen. Der Polizei stehen damit viele Möglichkeiten zur Verfügung, das Verhalten eines einzelnen auszuforschen, ohne daß dieser überhaupt etwas davon bemerkt. Durch die Verwendung von zunehmend leistungsfähigeren Computern eröffnen sich außerdem neue Möglichkeiten der Weiterverwendung der gewonnenen Daten. Mit Hilfe der Computertechnik lassen sich selbst in riesigen Informationsmengen Datenabgleiche vornehmen oder Beziehungen und Muster herausfinden. Hilfreich zur Datenverarbeitung sind auch biometrische Verfahren, die die physiologischen Merkmale eines Menschen nutzen, um ihn eindeutig identifizieren zu können. Mit Computersystemen lassen sich selbst aus Menschenmengen Gesichter herausfiltern, deren biometrische Daten dann mit Datenbanken in kürzester Zeit abgeglichen werden können142. Damit werden Routine- und Massenüberwachungen immer leichter, wobei der Überwachte allenfalls, bei offe140 Vgl. Waechter, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 593; Opaschowski, DuD 2001, 678 (680). 141 Zu den hier aufgeführten Beispielen und noch weiteren Banisar, Bürgerrechte und Polizei/CILIP 61 (3/98), 19 ff.; Weichert, Bürgerrechte und Polizei/CILIP 60 (2/98), 12 ff. 142 Weichert, Bürgerrechte und Polizei/CILIP 60 (2/98), 12 ff.

F. Aufnahme der Videoüberwachung in der Bevölkerung

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nen Maßnahmen, die Tatsache einer Überwachung erkennen kann, nicht aber das Ausmaß der weiteren Verwendung der möglicherweise von ihm erlangten persönlichen Daten. Gerade dieser Umstand begründet die Angst vor der ausufernden Anwendung dieser Überwachungstechniken. Hinzu kommen die in Deutschland immer wieder entbrennenden Diskussionen über die Anlage bestimmter Datenbanken, wie DNA-Datenbanken nicht nur mit den Daten von (Sexual-)Straftätern, sondern von allen männlichen Bürgern oder der Aufnahme biometrischer Daten in Ausweispapiere. Werden solche Vorschläge zwar wohlmeinend zum Kampf gegen Kriminalität oder den Terrorismus angeregt, so bringen sie auch berechtigte Befürchtungen bezüglich einer zunehmenden Katalogisierung des einzelnen mit sich und einer Ausweitung der Befugnisse zur Verwendung dieser bestehenden Datensammlungen. In den USA sind solche Datenbanken vielfach bereits Wirklichkeit143. In Kalifornien und New York ist etwa die Abnahme von Fingerabdrücken Voraussetzung für den Bezug von Sozialhilfe, in Kalifornien auch für die Ausstellung von Führerscheinen. Viele Staaten verlangen DNA-Proben von verurteilten Straftätern, die in einer zentralen Datenbank des FBI gesammelt werden144. Zur Furcht vor dem Entstehen eines Überwachungsstaates führen damit besonders die denkbaren Verknüpfungsmöglichkeiten dieser Überwachungstechniken und der Techniken zur Datenauswertung, denn damit besteht zumindest technisch die Möglichkeit zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen. 2. Summation der Videoüberwachungen durch Private und Polizei Im öffentlichen Bereich werden nicht nur Straßen, Plätze, Unterführungen, Parks oder öffentliche Verkehrsmittel mit Kameras überwacht, auch in Kliniken, Umkleideräumen von Schwimmbädern145 und anderen öffentlichen Einrichtungen findet die Videotechnik Einsatz. Aber auch die Videoüberwachung durch Private hat in den letzten Jahren rasant zugenommen146. Kaufhäuser, Supermärkte, Juweliergeschäfte aber auch andere kleinere Geschäfte, Tankstellen, Parkhäuser, Banken, Cafés, Spielotheken und Bahnhöfe werden videoüberwacht. Dasselbe erfolgt an manchen Arbeitsplätzen147, in Eingangsbereichen, Fahrstühlen und Tiefgaragen von Wohn143 Was dort wegen fehlender datenschutzrechtliche Bestimmungen rechtlich möglich ist. 144 Banisar, Bürgerrechte und Polizei/CILIP 61 (3/98), 19 ff. 145 LfD NRW 15. Datenschutzbericht 2001, S. 62. 146 Siehe dazu XV. TB LfD Nds. 1999/2000, S. 24 ff. 147 Roggan, NVwZ 2001, 134; Tammen, RDV 2000, 15.

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Kap. 2: Polizeiliche Videoüberwachung in der Praxis

anlagen148 und auf Spielplätzen. In manchen Städten hat dies dazu geführt, daß sich eine Person auf ihrem Weg durch die Stadt fast ständig im Blickfeld irgendeiner Kamera befindet, womit die Möglichkeit, sich der Kameraüberwachung zu entziehen, immer geringer wird149, was auch noch dadurch erschwert wird, daß manche Kameras als solche überhaupt nicht erkennbar sind („Dome-Kameras“) oder Hinweisschilder oft nur klein sind, an schwer wahrnehmbaren Orten und nur vereinzelt angebracht sind. Wenn auch all diese Kameras unabhängig voneinander von verschiedenen Personen betrieben werden und eine Verbindung der Aufnahmen nicht erfolgt, so ist diese Situation doch geeignet, dem Bürger ein Gefühl des Überwachtseins zu vermitteln und Unbehagen auszulösen. Eine Überwachungskamera allein an einem bestimmten kriminellen Brennpunkt löst damit keine Angst vor staatlicher Überwachung aus, es ist vielmehr die immer häufigere Anwendung dieser Technik und auch der Fortschritt bei weiteren Überwachungstechnologien. Diese schüren die Befürchtung einer eines Tages „flächendeckenden“ Überwachung und lassen den Ruf nach klaren rechtlichen Regulierungen laut werden.

148 17. Tätigkeitsbericht 1998/1999 HambDSB, S. 139 f.; XV. TB LfD Nds. 1999/2000, S. 27. 149 Vgl. hierzu das Szenario in Jahresbericht BlnBDA 2000, S. 25 ff.

Kapitel 3

Verfassungsrechtlicher Privatsphärenund Persönlichkeitsschutz in Deutschland und in den USA Die verfassungsrechtliche Problematik polizeilicher Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte besteht in erster Linie aufgrund des Konfliktes dieser Maßnahme mit dem grundrechtlich gewährleisteten Privatsphärenund Persönlichkeitsschutz. Explizit enthält weder die US-amerikanische Verfassung noch das deutsche Grundgesetz ein Recht auf Privatsphäre oder ein allgemeines Persönlichkeitsrecht. Im Grundgesetz finden sich allein Spezialgrundrechte, die die Privatsphäre in Form von Teilgewährleistungen schützen1. Dies sind die Unverletzlichkeit der Wohnung, Art. 13 GG, das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, Art. 10 GG, die Meinungsfreiheit, Art. 5 I GG, sowie die Glaubens- und Gewissensfreiheit, Art. 4 I und II GG. In der Literatur werden auch Art. 6, 8 und 9 GG als spezielle Gewährleistungen der Privatsphäre angesehen2. Darüber hinaus wurde jedoch sowohl in Deutschland als auch in den USA richterrechtlich ein umfassender verfassungsrechtlicher Privatsphärenbzw. Persönlichkeitsschutz entwickelt. Das BVerfG konzipierte mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I i.V. m. 1 I GG richterrechtlich ein „unbenanntes“ Freiheitsrecht, das die „speziellen (benannten) Freiheitsrechte, die, wie etwa die Gewissensoder Meinungsfreiheit, ebenfalls konstituierende Elemente der Persönlichkeit schützen3“, ergänzt. Zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht hat das BVerfG zahlreiche Konkretisierungen herausgearbeitet, von denen im Bereich der Videoüberwachung insbesondere das Recht am eigenen Bild und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung von Bedeutung sind. In den USA ist ein beschränktes right to privacy anerkannt, das sich als Ausfluß einer Kombination verschiedener Verfassungszusätze, nämlich dem 1., 3., 4., 5., 9. und 14. Amendment, ergibt4. Daneben gewährt der 1 2 3

Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, in: HStR VI, § 129 Rdnr. 3. Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, in: HStR VI, § 129 Rdnr. 3, m. w. N. BVerfGE 54, 148 (153).

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Kap. 3: Verfassungsrechtlicher Privatsphären- und Persönlichkeitsschutz

4. Verfassungszusatz Schutz bei staatlichen Durchsuchungen, Verhaftungen und Beschlagnahmen (search and seizure), wenn eine berechtigte Erwartung von Privatsphäre (reasonable expectation of privacy), besteht5. Diese Gewährleistung wird bei der verfassungsrechtlichen Untersuchung der Videoüberwachung öffentlicher Plätze von besonderer Bedeutung sein. Für die Bestimmung des Inhalts dieser Rechte ist es hilfreich, deren Entwicklung durch die Rechtsprechung in den Blick zu nehmen. Hierbei wird sich zeigen, daß Grund und Verlauf dieser Entwicklung in Deutschland und in den USA sehr ähnlich waren, was eine Rechtsvergleichung der dadurch entstandenen Ansätze zum Schutz der Persönlichkeit und der Privatsphäre möglich macht.

A. Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Art. 2 I i.V. m. 1 I GG I. Entwicklung durch den BGH In Deutschland wurde das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 I i.V. m. 1 I GG zunächst durch die zivilrechtliche Rechtsprechung des BGH begründet6. Das Reichsgericht hatte ein solches Recht noch strikt abgelehnt7. Allerdings hatte es auch schon den damals bestehenden Schutz von Persönlichkeitsrechten (z. B. § 12 BGB, §§ 17 ff. HGB, §§ 12, 13, 14, 18 III, 22 KUG) als unzureichend empfunden und einen Ausgleich dadurch geschaffen, daß es den Schutzbereich der bestehenden besonderen Persönlichkeitsrechte ausdehnte8. Im Anschluß an Forderungen in der Literatur9 war es dann der BGH, der in der Leserbriefentscheidung vom 25.05.195410 erstmals ein verfassungsmäßiges Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit aus den Art. 1 und 2 GG ableitete und als sonstiges Recht im Sinne des § 823 I BGB anerkannte. In nachfolgenden Entscheidungen11 bestätigte der 4

Gormley, 1992 Wis. L. Rev. 1335, 1391 ff. Gormley, 1992 Wis. L. Rev. 1335, 1357 ff. 6 Dazu ausführlich Gottwald, S. 59 ff.; Küchenhoff, in: Festschrift für Geiger, 1974, 45 (48 ff.). 7 RGZ 69, 401 (403); 79, 397 (398); 113, 413 (414); 139, 87 (92). 8 RGZ 69, 401 (403 f.); 79, 397 (398); siehe dazu auch Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, in: HStR VI, § 129 Rdnr. 7. 9 Vgl. Coing, SJZ 1947, S. 641 ff.; Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, 1953, S. 89 f.; zahlreiche weitere Nachweise bei Gottwald, S. 5; siehe auch Holzhauer, in: Erichsen/Kollhosser/Welp, Recht der Persönlichkeit, 1996, S. 51 ff. 10 BGHZ 13, 334 (338). 11 BGHZ 15, 249; 24, 72; 24, 200 (208); 26, 349 (355); 27, 284 (286, 288); 30, 7 (11); 50, 133 (136 f.); 73, 120 (124); 80, 25 (42); 81, 75 (80). 5

A. Allgemeines Persönlichkeitsrecht

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BGH die Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und bestimmte es als „Recht des einzelnen auf Achtung seiner Menschenwürde und Entfaltung seiner individuellen Persönlichkeit“12. Ein Grund für die Abkehr von der Rechtsprechung des Reichsgerichts war insbesondere die Fortentwicklung der technischen Möglichkeiten13. Mit Hilfe der sich in der Nachkriegszeit verbreitenden Filmkameras, Teleobjektiven, Tonband- und Abhörgeräten wurde es möglich, immer tiefer in den persönlichen Bereich des einzelnen einzubrechen. Dies geschah vor allem durch den Sensationsjournalismus und die Presse, die immer stärker in den Persönlichkeitsbereich Prominenter eindrangen14. Es mußte deshalb ein Schutz der Privatsphäre gegen Indiskretion und gegen das Eindringen in das Privatleben durch die moderne Technik gefunden werden. Weitere Gründe waren die durch das Grundgesetz geänderte Verfassungsrechtslage sowie die gesellschaftliche Entwicklung zur pluralistischen Massengesellschaft, in der mit der zunehmenden Anonymität des einzelnen der Schutz von Einzelinformationen bedeutsamer wurde15. Denn der Mensch war nun immer weniger in eine Familien-, Dorf- oder sonstige Gemeinschaft eingebunden, in welcher ein umfassendes und sich nur langsam veränderndes Gesamtbild über ein Gemeinschaftsmitglied bestand16. Ein solches Gesamtbild, in das Einzelinformationen über eine Person eingeordnet werden können, fehlt in der heutigen zunehmend anonymen Massengesellschaft. Hier wird allein schon anhand positiver oder negativer Einzelinformationen eine Gesamteinschätzung über einen Menschen vorgenommen17. Die Einzelinformation gewann damit mit der gesellschaftlichen Veränderung an Bedeutung. Zu berücksichtigen ist des weiteren die Entwicklung von einem weitreichenden allgemeinen gesellschaftlichen Wertekonsens zum Wertepluralismus18. Der Mensch ist hier verschiedenen und vor allem auch gegensätzlichen Verhaltenserwartungen ausgesetzt, die er nicht gleichzeitig erfüllen kann, womit die Rückzugsmöglichkeit in eine private Sphäre besonders wichtig wird19. 12

BGHZ 24, 72 (76); 27, 284. Geiger, S. 89; Aulehner, S. 362; im Anschluß an Brossette, S. 114 ff.; Gottwald, S. 133 ff.; Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, in: HStR VI, § 129 Rdnr. 7; Vogelgesang, S. 39. 14 Siehe beispielsweise BGHZ 26, 349 (355); 30, 7; Aulehner, S. 362; Deutsch, S. 37 weist ebenfalls darauf hin. 15 Aulehner, S. 362 f.; im Anschluß an Brossette, S. 116 f. 16 Aulehner, S. 362. 17 Aulehner, S. 362. 18 Aulehner, S. 363. 19 Aulehner, S. 363. 13

54

Kap. 3: Verfassungsrechtlicher Privatsphären- und Persönlichkeitsschutz

II. Anerkennung und Weiterentwicklung durch das BVerfG In seiner Soraya-Entscheidung20 hat das BVerfG das durch den BGH entwickelte allgemeine Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 I i.V. m. 1 I GG ausdrücklich gebilligt. Es stellte fest, daß „die für die moderne Gesellschaft charakteristischen Formen der Publizität und Reklame, die immer stärkere Betonung des Rechts (des Einzelnen wie der Gesellschaft) auf Information, die Vervollkommnung der Nachrichtenmittel und anderer technischer Geräte Möglichkeiten des Einbruchs in den persönlichen Bereich des Einzelnen geschaffen [haben], die für den Gesetzgeber des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht vorstellbar waren“21. „Das allgemeine Persönlichkeitsrecht füllt Lücken im Persönlichkeitsschutz aus, die hier trotz Anerkennung einzelner Persönlichkeitsrechte verblieben und im Laufe der Zeit aus verschiedenen Gründen immer fühlbarer geworden waren“22. Das BVerfG23 hielt seither in ständiger Rechtsprechung am allgemeinen Persönlichkeitsrecht fest, wobei dieses immer weiter fortentwickelt wurde24. Denn sein Tatbestand ist, wie das BVerfG betont25, entwicklungsoffen zu verstehen, womit sein Schutzbereich immer wieder an neue Gefahren für die Persönlichkeitsgüter angepaßt werden kann26. Hiervon hat das BVerfG in seiner Rechtsprechung häufig Gebrauch gemacht. Der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann deshalb nicht abschließend beschrieben werden. Es lassen sich aber drei Fallgruppen zum Schutz der Persönlichkeit unterscheiden27, die allerdings nicht starr zu verstehen sind, sondern fließende Übergänge aufweisen: zum einen der Schutz der Möglichkeit autonomer Selbstentfaltung durch die Gewährung eines abgeschirmten Bereichs privater Lebensgestaltung, zum anderen der Schutz der Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit, einschließlich des Schutzes der persönlichen Ehre, sowie die Sicherung der Grundbedingungen für die Persönlichkeitsentfaltung28. 20

BVerfGE 34, 269. BVerfGE 34, 269 (271). 22 BVerfGE 34, 269 (281). 23 Z. B. BVerfGE 35, 202; 63, 131; 72, 155; 82, 236 (269); 90, 263; 99, 185; 101, 361. 24 Zur Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Rechtsprechung des BVerfG: Jarass, in: Erichsen/Kollhosser/Welp (Hrsg.), Recht der Persönlichkeit, 1996, S. 89 ff. 25 Z. B. BVerfGE 54, 148 (153); 65, 1 (41); 72, 155 (170); 79, 256 (268). 26 DiFabio, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, Band I, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 147. 27 DiFabio, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, Band I, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 148. 21

A. Allgemeines Persönlichkeitsrecht

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1. Schutz der Privatsphäre als engerer persönlicher Lebenssphäre Die Entwicklung dieser Kategorien erfolgte in der Weise, daß das BVerfG zunächst mit der Forderung eines Indiskretionsschutzes einen Schutz der Privatsphäre als engerer persönlicher Lebenssphäre anerkannte. Dem einzelnen solle ein Bereich persönlicher Entfaltung zur Verfügung stehen, ein Raum, in dem er unbeobachtet sich selbst überlassen ist oder mit Personen seines besonderen Vertrauens ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Verhaltenserwartungen verkehren kann29. Hier geht es um das Recht, in seiner Privatsphäre als Rückzugsbereich in Ruhe gelassen zu werden30. Das BVerfG entwickelte zu dieser ersten Fallgruppe die sogenannte Sphärentheorie31. Danach läßt sich der persönliche Lebensbereich in drei verschieden geschützte Sphären, die Intim-, die Privat- oder Geheimsphäre und den Öffentlichkeitsbereich32, unterscheiden. Die Intimsphäre als innerste Sphäre ist der „letzte, unantastbare Bereich menschlicher Freiheit . . ., der der Einwirkung der gesamten öffentlichen Gewalt entzogen ist“33. Sie ist der Innenraum, der dem einzelnen um der freien und selbstverantwortlichen Entfaltung seiner Persönlichkeit willen verbleiben muß34. Eingriffe in die Intimsphäre sind stets unzulässig, eine Abwägung nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip findet nicht statt35. Um diesen unantastbaren Kern liegt die Privat- oder Geheimsphäre, der die Lebensumstände unterfallen, die der einzelne nicht der Öffentlichkeit bekanntgeben möchte, die aber einem bestimmten oder beschränkbaren Personenkreis zugänglich sind. Hierzu gehören insbesondere Fälle der Kommunikation mit anderen, wie etwa ein Gespräch36 oder ein Brief37. Die Privatsphäre unterliegt zwar den Schranken des Art. 2 I GG, Eingriffe sind aber nur unter strenger Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig38. Außerhalb der Privatsphäre liegt der Öffentlich28 Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band I, 1996, Art. 2 I, Rdnr. 50; Murswieck, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Art. 2, Rdnr. 68 ff. Andere Einteilung bei Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, in: HStR VI, § 129 Rdnr. 33 ff., 44 ff.; Degenhart, JuS 1992, 361 (363 ff). 29 Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band I, 1996, Art. 2 I, Rdnr. 51; BVerfGE 27, 1 (6); 44, 197 (203). 30 Murswieck, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Art. 2, Rdnr. 70. 31 Vgl. dazu die Darstellungen bei Vogelgesang, S. 42 ff.; Aulehner, S. 364; Geis, JZ 1991, 112 f. 32 Hier ist zum Teil auch von Sozialsphäre oder Öffentlichkeitssphäre die Rede. Siehe DiFabio, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, Band I, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 160. 33 BVerfGE 6, 32 (41); 38, 312 (320); 33, 367 (376). 34 BVerfGE 27, 1 (6). 35 BVerfGE 34, 238 (245). 36 BVerfGE 33, 367 (377). 37 BVerfGE 35, 35 (39).

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Kap. 3: Verfassungsrechtlicher Privatsphären- und Persönlichkeitsschutz

keitsbereich, der den Teil der Persönlichkeit betrifft, mit dem sich die Person in der Öffentlichkeit bewegt. In diese Sphäre darf unter weniger strengen Anforderungen eingegriffen werden. 2. Selbstdarstellungsrecht in der Öffentlichkeit Von diesem Schutzkonzept ausgehend entwickelte das BVerfG sodann ein aus dem Intim- und Privatsphärenschutz abgeleitetes Selbstbestimmungsrecht über persönliche Angelegenheiten39. Es handelte sich dabei um ein abgestuft wirkendes Selbstbestimmungsrecht, das nur bezüglich persönlicher Güter innerhalb der geschützten Intim- und Privatsphäre bestand40. Im Öffentlichkeitsbereich sollte auch für das Selbstbestimmungsrecht kein sphärenspezifischer Schutz wirken41. In der Soraya-Entscheidung42 und im Lebach-Urteil43 wurden zwar ein erfundenes Interview und die Darstellung der Lebensgeschichte eines Strafgefangenen in einer Fernsehdokumentation, also Sachverhalte mit deutlichem Bezug zur Öffentlichkeit, unter den Schutz des Selbstbestimmungsrechts gestellt, als betroffen wurde hierbei aber die Privatsphäre und nicht der Öffentlichkeitsbereich angesehen. Das BVerfG führt im Lebach-Urteil als Begründung an, daß jedem einzelnen ein autonomer Bereich privater Lebensgestaltung, in der er seine Individualität entwickeln und wahren kann, zukommt. Hierzu gehöre auch das Recht, in diesem Bereich „für sich zu sein“, „sich selber zu gehören“, ein Eindringen oder einen Einblick durch andere auszuschließen. Dies umfasse auch das Verfügungsrecht über Darstellungen der Person. Jedermann dürfe grundsätzlich selbst und allein bestimmen, ob und wieweit andere sein Lebensbild im ganzen oder bestimmte Vorgänge aus seinem Leben öffentlich darstellen dürfen. Diese beiden Entscheidungen zeigen die Schwierigkeit, die Persönlichkeit durch Anwendung der Sphärentheorie zu schützen, wo der einzelne in Kontakt zur Außenwelt tritt, wenn also nicht in den geschützten privaten Lebensbereich eingegriffen wird, sondern allein das Recht des einzelnen betroffen ist, über die Offenbarung persönlicher Dinge zu entscheiden, wo es also um seine Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit geht44. Dies führte 38 BVerfGE 27, 344 (31), 32, 373 (379); 33, 367 (377); 35, 35 (39); 38, 312 (320 f.); 44, 353 (373). 39 Vogelgesang, S. 45 ff.; Aulehner, S. 373; vgl. auch DiFabio, in: Maunz/Dürig/ Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, Band I, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 166 f. 40 Vogelgesang, S. 46. 41 Vogelgesang, S. 46. 42 BVerfGE 34, 269. 43 BVerfGE 35, 202. 44 Vogelgesang, S. 49 f.

A. Allgemeines Persönlichkeitsrecht

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dazu, daß das BVerfG in der Eppler-Entscheidung45 den Persönlichkeitsschutz dadurch erweiterte, daß es ein sphärenunabhängiges Selbstbestimmungsrecht anerkannte. In dieser Entscheidung führte das BVerfG aus, daß es einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht darstelle, wenn jemandem Äußerungen in den Mund gelegt würden, die er nicht getan hat und die seinen von ihm selbst definierten sozialen Geltungsanspruch beeinträchtigten46. Dies folge aus dem dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zugrundeliegenden Gedanken der Selbstbestimmung: Der einzelne solle, ohne Beschränkung auf seine Privatsphäre, grundsätzlich selbst entscheiden können, wie er sich Dritten oder der Öffentlichkeit gegenüber darstellen will, ob und inwieweit von Dritten über seine Persönlichkeit verfügt werden kann47. Das BVerfG stellte fest, daß hier die Privat-, Geheimoder Intimsphäre nicht betroffen war, erkannte aber in diesem Fall dennoch ein, also sphärenunabhängiges, Recht auf Selbstdarstellung an. Was es in seiner späteren Rechtsprechung48 bestätigte. Der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erweiterte sich damit von einem Privatsphärenschutz im Sinne des Indiskretionsschutzes im abgeschirmten Privatbereich um einen weiteren Aspekt, die selbstbestimmte Darstellung der eigenen Person in der Öffentlichkeit. Der Inhalt dieser zweiten Fallgruppe läßt sich zusammenfassen als Schutz vor verfälschender, entstellender oder unautorisierter Präsentation der eigenen Person in der Öffentlichkeit. Nach der Rechtsprechung des BVerfG soll der einzelne selbst darüber befinden dürfen, wie er sich gegenüber Dritten oder der Öffentlichkeit darstellen will, was seinen sozialen Geltungsanspruch ausmachen soll und ob oder inwieweit Dritte über seine Persönlichkeit verfügen können, indem sie diese zum Gegenstand öffentlicher Erörterung machen49. Darüber hinaus hat jeder die Befugnis, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden50. Art. 2 I i.V. m. 1 I GG enthält jedoch kein allgemeines und umfassendes Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person. Das BVerfG betonte mehrfach, daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht dem einzelnen nicht den Anspruch gibt, nur so von anderen dargestellt zu werden, wie er sich selber sieht oder gesehen werden möchte51. 45

BVerfGE BVerfGE 47 BVerfGE 48 BVerfGE 49 BVerfGE 50 BVerfGE 51 BVerfGE 391 (403); 99, 46

54, 148. 54, 148 (155). 54, 148 (155). 56, 37 (41); 63, 131 (142). 35, 202 (220); 54, 148 (155 f.); 63, 131 (142). 65, 1 (42); 80, 367 (373); 85, 219 (224); 96, 171 (181). 101, 361 (380); vgl. auch BVerfGE 82, 236 (269); 97, 125 (149); 97, 185 (194).

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Kap. 3: Verfassungsrechtlicher Privatsphären- und Persönlichkeitsschutz

In dieser Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts hat das BVerfG insbesondere als Konkretisierungen das Recht am eigenen Bild52, das bei der rechtlichen Bewertung der Videoüberwachung öffentlicher Plätze zu berücksichtigen ist, und am eigenen Wort53 entwickelt. Diese gewähren Schutz des Bildes bzw. des gesprochenen Wortes einer Person im Hinblick auf dessen Verbreitung in der Öffentlichkeit54 sowie Schutz vor unerbetener heimlicher Wahrnehmung55. Eine für die Untersuchung der Videoüberwachung öffentlicher Plätze besonders wichtige Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, von dem erstmals im Volkszählungsurteil56 die Rede war. Es handelt sich dabei um ein Selbstbestimmungsrecht über personenbezogene Informationen57. Der einzelne hat das Recht, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen58. Das BVerfG reagierte mit der Anerkennung dieses Rechts auf die Gefahren, die staatliche Informationseingriffe verbunden mit elektronischer Datenverarbeitung mit sich bringen. Diese bestehen insbesondere in der jederzeitigen Verfügbarkeit, beliebigen Transferierbarkeit und grenzenlosen Kombinationsmöglichkeit der einmal erhobenen Einzeldaten, womit sich die Möglichkeit des Erstellens von Persönlichkeitsprofilen ergibt59, sowie in der Fehlerhaftigkeit des Ergebnisses eines Datenverarbeitungsprozesses, wenn die eingespeisten Daten inhaltlich falsch sind60. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung weist Überschneidungen mit verschiedenen der oben erörterten Fallgruppen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf61. Es wurde zwar aus dem Recht auf Selbstdarstel52 BVerfGE 34, 238 (246); 35, 202 (220); 54, 148 (154); 87, 334 (340); 97, 228 (268 f.); 101, 361 (381). 53 BVerfGE 54, 148 (155); 54, 208 (217 f.); 34, 238 (246). 54 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 I, Rdnr. 32. 55 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 377. 56 BVerfGE 65, 1. Seither ständige Rechtsprechung: BVerfGE 67, 100 (142 f.); 78, 77 (84); 84, 192 (194); 92, 191 (197); 96, 171 (181); 101, 106 (121); 103, 21 (29); BVerfG, NVwZ 2001, 185; BVerfG, NJW 2001, 503 (505); BVerfG, EuGRZ 2001, 249 (252). 57 DiFabio, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, Band I, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 175. 58 BVerfGE 65, 1 (43). 59 BVerfGE 65, 1 (42); Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band I, 1996, Art. 2 I, Rdnr. 52. 60 BVerfGE 65, 1 (42). Vogelgesang, S. 27 ff.; siehe zu diesen Gefahren auch Benda, in: Festschrift für Geiger, 1974, 23 (36 f.) 61 Es liege quer zu den herkömmlichen Fallgruppen, Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band I, 1996, Art. 2 I, Rdnr. 52.

A. Allgemeines Persönlichkeitsrecht

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lung entwickelt, ist aber nicht mit diesem identisch62. Die Fallgruppe „Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit“ dient dem Schutz vor Verzerrung und Entstellung des Persönlichkeitsbildes. Schwerpunkt der Schutzrichtung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist dagegen die genaue und zutreffende Erstellung eines solchen Persönlichkeitsbildes63. Der Schutz persönlicher Informationen erfolgt durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung daher unabhängig von der Darstellung dieser Informationen in der Öffentlichkeit64. Mit der ersten Fallgruppe, dem Schutz eines abgeschirmten Bereichs privater Lebensgestaltung weist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung insoweit eine Überschneidung auf, als es sich bei persönlichen Informationen häufig um solche handelt, die dieser engeren persönlichen Lebenssphäre zugehören und an deren Schutz daher ein besonderes Interesse besteht. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung beschränkt sich jedoch nicht auf die dieser Sphäre zuzuordnenden Informationen, sondern erfaßt persönliche Informationen jeglicher Art. Es kommt nicht auf den persönlichen Charakter der Information an65. Hieraus läßt sich schließen, daß das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht eine weitere Konkretisierung neben den schon zuvor anerkannten darstellt, sondern zu diesen „quer liegt“66. Die Informationen betreffende Konkretisierungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind zu Aspekten des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung geworden67. Dies gilt insbesondere für das Recht am eigenen Bild, das auch vom Recht auf informationelle Selbstbestimmung umfaßt wird. Neben den hier erwähnten bestehen eine Vielzahl weiterer Konkretisierungen des stark verzweigten allgemeinen Persönlichkeitsrechts, auf die im Hinblick auf das Thema dieser Arbeit jedoch nicht genauer eingegangen werden soll. Es sei an dieser Stelle auf die zahlreichen Darstellungen in der Literatur zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht verwiesen68.

62 So aber Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, in: HStR VI, § 129 Rdnr. 31: „Die zweite Fallgruppe umfaßt das Recht auf Selbstdarstellung des Menschen in der Umwelt im Sinne einer Selbstgestaltung seines sozialen Geltungsanspruchs, auch Recht auf informationelle Selbstbestimmung genannt.“, Rdnr. 76 ff. 63 Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band I, 1996, Art. 2 I, Rdnr. 52. 64 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 I, Rdnr. 32. 65 Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band I, 1996, Art. 2 I, Rdnr. 52. 66 So Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band I, 1996, Art. 2 I, Rdnr. 52; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar, Band I, Art. 2, Rdnr. 38. 67 Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar, Band I, Art. 2, Rdnr. 38. Vgl. auch Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 377: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist Auffangrecht der speziellen Selbstdarstellungsrechte. 68 Siehe etwa DiFabio, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, Band I, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 127 ff., m. w. N.

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Kap. 3: Verfassungsrechtlicher Privatsphären- und Persönlichkeitsschutz

B. Entwicklung des Privatsphärenschutzes in den USA I. „Tort Privacy“ In den USA wurde ein right to privacy zuerst im Bereich des tort law (Deliktsrecht) entwickelt. Katalysator hierzu waren die Ausführungen von Warren und Brandeis in ihrem Aufsatz „The Right to Privacy“ aus dem Jahre 189069. Sie setzten sich darin für ein „Recht in Ruhe gelassen zu werden“, the „right to be let alone“, ein. Der Inhalt dieses Rechts kann zusammengefaßt werden als das Recht, in Ruhe gelassen zu werden, was die Erhebung und Verbreitung von Informationen über eine Person, insbesondere durch unerlaubte Veröffentlichung, durch das Fotografieren oder durch die Medien, anbelangt70. Mit ihrem Aufsatz reagierten Warren und Brandeis in erster Linie auf die in dieser Zeit sich häufenden Exzesse durch Zeitungen und Fotografen. Das ausgehende 19. Jahrhundert war die Blütezeit des „yellow journalism“ in den Vereinigten Staaten71. Als Reaktion auf die gesellschaftliche Veränderung durch die Industrialisierung nach der Zeit des Bürgerkrieges und die damit einhergehende Urbanisierung der Gesellschaft veränderte sich auch der amerikanische Journalismus. Die „penny press“ der 1830er wurde neu belebt mit dem Ziel der Massenpublikation72. Hinzu kamen verbesserte technische Möglichkeiten, wie schnellere Pressen, Farbdrucke, Fotografien oder neue Formatierungsmöglichkeiten, die der Entwicklung der Massenmedien Vorschub leisteten73. Dieser „neue Journalismus“, auch als „keyhole journalism“ bezeichnet74, drang bei seiner Suche nach Sensationen, Klatsch und Tratsch immer häufiger in den privaten Bereich einzelner ein. Probleme bereitete jedoch nicht nur das Veröffentlichen von Skandalen und Klatschgeschichten, sondern auch die ungefragte Verwendung von Fotos oder die Abbildung einzelner Personen, meist prominenter Persönlichkeiten, zu Werbezwecken in den Medien, also die Verwendung zu persönlichem Profit, was beides die Individualität des einzelnen gefährdete75. Die zu diesem Zeitpunkt bestehende Rechtslage war nicht gewappnet, dieser Kollision des Bürgers mit seiner Umwelt Herr zu werden76. 69 70 71 72 73 74 75 76

Warren/Brandeis, 4 Harv. L. Rev. 193 (1890). Gormley, 1992 Wis. L. Rev. 1335, 1357. Gormley, 1992 Wis. L. Rev. 1335, 1350. Gormley, 1992 Wis. L. Rev. 1335, 1350. Gormley, 1992 Wis. L. Rev. 1335, 1350 f. Mott, S. 444. Gormley, 1992 Wis. L. Rev. 1335, 1353. Gormley, 1992 Wis. L. Rev. 1335, 1352.

B. Entwicklung des Privatsphärenschutzes in den USA

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Warren und Brandeis kritisierten, daß Fotografen und Zeitungen nun in die heiligen Bereiche des privaten und häuslichen Lebens eindrangen und zahlreiche mechanische Hilfsmittel drohten, die Vorhersage wahr werden zu lassen, daß das, was im stillen Kämmerlein geflüstert wird, eines Tages von den Dächern herabgeschrien wird77. Die gesellschaftliche Veränderung, die mit der fortschreitenden Zivilisation einhergehende Komplexität des Lebens und die neuen Gefahren für den einzelnen durch Veröffentlichungen hätten einen Rückzugsbereich und die Privatsphäre des einzelnen essentieller werden lassen78. Politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen zögen die Anerkennung neuer Rechte nach sich79. Durch das right to privacy könnten diese neuen Gefahren gebannt werden.

II. „4th Amendment Privacy“ Brandeis war es auch, der nach seiner Ernennung zum Richter am US Supreme Court den 4. Verfassungszusatz80 mit einem verfassungsrechtlichen Privatsphärenschutz verknüpfte81. Mit seinem abweichenden Votum in Olmstead v. United States82 legte er den Grundstein zur verfassungsrechtlichen Verankerung von privacy. Dieser Fall betraf das Abhören von Telefongesprächen durch den Staat mit Hilfe neu entwickelter Technologien. Brandeis vertrat den Standpunkt, daß das Abhören auch ohne physisches Betreten eines privaten Bereichs oder die Beschlagnahme von Eigentum eine illegale search and seizure im Sinne des 4. Verfassungszusatzes darstelle83. Er argumentierte, der 4. Verfassungszusatz enthalte ein right to be let alone, wie er es bereits im Deliktsrecht entwickelt hatte84. Um dieses Recht zu schützen, müsse jedes unberechtigte Eindringen durch den Staat in die Privatsphäre eines einzelnen, gleichgültig mit welchen Mitteln, als Verletzung des 4. Verfassungszusatzes bewertet werden85. Auch hier spielte die technische Entwicklung eine Rolle, durch die der Staat in die Lage versetzt wurde, einfacher in die persönliche Sphäre eines Individuums einzudringen86. 77

Warren/Brandeis, 4 Harv. L. Rev. 193, 195 (1890). Warren/Brandeis, 4 Harv. L. Rev. 193, 196 (1890). 79 Warren/Brandeis, 4 Harv. L. Rev. 193 (1890) . 80 Zum Wortlaut dieses „4th Amendment“ siehe unten Kapitel 4, A.I. 81 Vgl. hierzu Gormley, 1992 Wis. L. Rev. 1335, 1357 ff. Siehe auch unten Kapitel 4, A.I. 82 Olmstead v. United States, 277 U.S. 438 (1928). 83 Olmstead v. United States, 277 U.S. 438, 471–473 (1928). 84 Olmstead v. United States, 277 U.S. 438, 471–473 (1928). 85 Olmstead v. United States, 277 U.S. 438, 478–479 (1928). 78

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Kap. 3: Verfassungsrechtlicher Privatsphären- und Persönlichkeitsschutz

In Olmstead v. United States teilten die übrigen Richter noch nicht die Meinung Brandeis’. Erst in Katz v. United States87 fand sich eine Mehrheit zur expliziten Anerkennung eines right to privacy aus dem 4. Verfassungszusatz. Dies ist wiederum als Reaktion auf die in schnellem Tempo weiter fortschreitende technische Entwicklung zu sehen. Überwachungstechniken wurden immer höher entwickelt und einfacher erhältlich, womit der staatliche Einsatz dieser Techniken die persönlichen Rückzugsmöglichkeiten mehr und mehr gefährdeten88.

III. Fundamentales Recht auf Schutz der Privatsphäre und der Persönlichkeitsentfaltung Des weiteren hat der US Supreme Court auf Verfassungsebene ein begrenztes right to privacy aus einer Zusammenschau des 1., 3., 4., 5., 9. und 14. Verfassungszusatzes anerkannt89. Dieses right to privacy umfaßt die generelle Selbstbestimmung im Bereich intimer Lebensentscheidungen, wie Zeugungsfragen90, Abtreibung91 und die sexuelle Selbstbestimmung im Bereich der häuslichen Privatsphäre92.

C. Gemeinsamkeiten der Schutzkonzepte der USA und Deutschlands Der deutschen und auch der amerikanischen Rechtsordnung liegt das Menschenbild eines freien und zur Selbstbestimmung fähigen Individuums zugrunde93. Aus der Menschenwürde, die nicht erst aufgrund des Grundgesetzes bzw. der US-Verfassung gewährt wird, sondern diesen als Bestandteil einer überpositiven Rechtsordnung vorgegeben ist94, folgt der Gedanke personaler grundrechtlicher Autonomie95. 86

Gormley, 1992 Wis. L. Rev. 1335, 1361. Katz v. United States, 389 U.S. 347 (1967). 88 Gormley, 1992 Wis. L. Rev. 1335, 1362. 89 Hierzu ausführlich Gormley, 1992 Wis. L. Rev. 1335, 1391 ff., der dieses Recht als „fundamental-decision privacy“ bezeichnet; Brugger, Grundrechte, S. 104 ff.; Brugger, Einführung, S. 114 ff. 90 Griswold v. Connecticut, 381 U.S. 479 (1965). 91 Roe v. Wade, 410 U.S. 113 (1973). 92 Bowers v. Hardwick, 478 U.S. 186 (1986). 93 Vgl. Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, Band I, Art. 1 Abs. 1, Rdnr. 18. 94 Benda, Rdnr. 3, m. w. N., in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts, § 6; BVerfGE 1, 14 (17). 87

C. Gemeinsamkeiten der Schutzkonzepte der USA und Deutschlands

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Durch den beschriebenen technischen Fortschritt und gesellschaftlichen Wandel, die, wie oben beschrieben, zwar in Deutschland erst später als in den USA einsetzten, aber ansonsten sehr ähnlich verliefen, wurde diese personale Autonomie gefährdet. Die besondere Gefahr ergab und ergibt sich auch heute noch daraus, daß technische Geräte ein Eindringen in den persönlichen Bereich des einzelnen immer einfacher und umfassender ermöglichen. Ein abgeschirmter persönlicher Bereich als Rückzugsmöglichkeit wird in der modernen industriellen Massengesellschaft jedoch besonders bedeutsam. Der Mensch muß die Möglichkeit haben, sich zurückzuziehen oder auch sich gehen zu lassen, um die unterschiedlichsten Erwartungen, die an ihn im Alltag gestellt werden, erfüllen zu können96. Eine abgeschirmte Persönlichkeitssphäre ist Voraussetzung für die freie Entfaltung des Menschen in der Gesellschaft97. Die bestehenden Verfassungsrechtslagen in Deutschland und in den USA, die nur Teilgewährleistungen zum Schutz der Privatsphäre enthielten, boten hier keinen ausreichenden Schutz mehr. Grund hierfür war, daß diese sich an dem Verständnis von Privatsphäre gleich dem häuslich-privaten Leben im Familien- oder engen Bekanntenkreis ausrichteten98. In den USA wurde der Grundsatz „a man’s house is his castle“ aus dem englischen Recht übernommen, der sich im 4. Zusatz zur US-Verfassung, dem Verbot willkürlicher Durchsuchungen und Beschlagnahmen, wiederfindet99. Eine Entsprechung hierzu findet sich in Art. 13 GG, der Bestimmung zur Unverletzlichkeit der Wohnung. Der Schutzbereich „Wohnung“ reichte jedoch zum Privatsphärenschutz nicht mehr aus, als mit technischen Neuentwicklungen Eingriffe einfacher und intensiver möglich wurden100. Das Abhören oder das Belauschen privater Gespräche an beliebigem Ort etwa ließ sich nicht als Eingriff in eine räumlich abgegrenzte Sphäre erfassen101. Sowohl in Deutschland als auch in den USA war es die Rechtsprechung, die auf diese Situation mit der Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bzw. des right to privacy102 reagierte, die beide aufgrund ihres 95 DiFabio, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, Band I, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 130; Degenhart, JuS 1992, 361 (368); Burrows, 31, Val. U.L. Rev. 1079, 1125 (1997). 96 Benda, Rdnr. 27, in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts, § 6; Aulehner, S. 363; Westin, S. 35. 97 DiFabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Band I, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 129. 98 Schmitt Glaeser, in: HStR VI, § 129 Rdnr. 11. 99 Cooley, S. 299 f., Gormley, 1992 Wis. L. Rev. 1335, 1359 f. 100 Schmitt Glaeser, in: HStR VI, § 129 Rdnr. 11. 101 Schmitt Glaeser, in: HStR VI, § 129 Rdnr. 11. 102 Zum Schutz vor staatliche Maßnahmen aus dem 4. Verfassungszusatz sowie zum Schutz vor Beeinträchtigungen durch Private aus dem tort law.

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Kap. 3: Verfassungsrechtlicher Privatsphären- und Persönlichkeitsschutz

Schutzzweckes, der Sicherung der Autonomie des Menschen, nahe der Menschenwürde angesiedelt sind. So wird in Deutschland Art. 1 I GG ausdrücklich neben Art. 2 I GG als Grundlage des allgemeinen Persönlichkeitsrechts angeführt. Als subjektive Gewährleistung ergibt sich das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I GG103. Art. 1 I GG dient hierbei als Interpretationsrichtlinie zur Bestimmung von Inhalt und Gewährleistungsumfang dieses Grundrechts104. Eine abschließende Bestimmung des Inhalts des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist aber nicht möglich. Wie das BVerfG immer wieder betont, ist der Tatbestand vielmehr entwicklungsoffen zu verstehen105. Dies ermöglicht im Sinne eines effektiven Grundrechtsschutzes, neue Gefahren für die Persönlichkeit aufgrund technischer oder gesellschaftlicher Entwicklung durch die Ausarbeitung weiterer Konkretisierungen dieses Grundrechts zu erfassen106. Der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts läßt sich heute daher nur unter Heranziehung der umfangreichen Kasuistik des BVerfG bestimmen, wodurch sich dieses Recht durch eine starke Verästelung auszeichnet. Ähnliches gilt für das amerikanische right to privacy, das seine Schöpfer Warren und Brandeis mit dem Recht, in Ruhe gelassen zu werden, definierten. In der Literatur wurden zahlreiche weitere Versuche einer Definition des Begriffs „privacy“ unternommen107: Privacy wurde teilweise als Ausdruck der Persönlichkeit gesehen, als Recht des Individuums, sein Wesen zu definieren108. Andere sahen privacy als Freiheit des Individuums zu denken, zu handeln und Entscheidungen zu treffen, womit die Autonomie des einzelnen im Mittelpunkt steht109. Ein weiterer Ansatz sieht privacy als die Möglichkeit, persönliche Informationen zu regulieren und so die Beziehung zu anderen Menschen zu kontrollieren. Dem Individuum steht nach dieser Auffassung das Recht zu, zu entscheiden, wann, wie und in welchen Umfang persönliche Informationen anderen mitgeteilt werden110. Wieder an103

Murswieck, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, Art. 2, Rdnr. 63. Murswieck, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, Art. 2, Rdnr. 63; Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band I, 1996, Art. 2 I, Rdnr. 50; DiFabio, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, Band I, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 128. 105 Z. B. BVerfGE 54, 148 (153); 65, 1 (41); 72, 155 (170); 79, 256 (268). 106 Vogelgesang, S. 41; DiFabio, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, Band I, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 127; BVerfGE 54, 148 (153); 65, 1 (41). 107 Siehe dazu Gormley, 1992 Wis. L. Rev. 1335, 1337 f. 108 Pound, 28 Harv. L. Rev. 343 (1915); Freud, Address to the American Law Institute (May 23, 1975), zitiert in 52 A.L.I. Proc. 574–575 (1975); w. N. bei Gormley, 1992 Wis. L. Rev. 1335, 1337, Fn. 13. 109 Henkin, 74 Colum. L. Rev. 1410, 1425 (1974); Feinberg, 58 Notre Dame L. Rev. 445 (1983); Ortiz, 12 Harv. J.L. & Pub. Pol’Y 91 (1989); Perry, 71 NW. U.L. Rev. 417, 440 (1976). 104

C. Gemeinsamkeiten der Schutzkonzepte der USA und Deutschlands

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dere versuchen privacy auf wenige wesentliche Komponenten wie „secrecy“, „anonymity“ und „solitude“111 zurückzuführen112. Keine dieser Definitionen erfaßt jedoch privacy in ihrem gesamten Umfang. Eine einheitliche Definition ist nicht möglich, da privacy kein statisches Konzept darstellt113. Seit ihrer ersten Anerkennung haben sich verschiedene Ausprägungen entwickelt, um mit den Anforderungen der sich ändernden gesellschaftlichen Situation Schritt zu halten114. Ebenso wie sich die Gesellschaft weiter fortentwickelt, tut dies auch das Konzept der privacy115. Die in diesen Definitionsversuchen des Begriffes „privacy“ enthaltenen Aspekte bilden eine Parallele zu den Ausformungen des deutschen allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 I i.V. m. 1 I GG. Auch in Deutschland erfolgt Persönlichkeitsschutz durch die Gewährung eines „Rechts, in Ruhe gelassen zu werden“ durch den Schutz der engeren persönlichen Lebenssphäre als Intim- und Privatsphäre. Das BVerfG gewährt dem einzelnen einen vor der Umwelt geschützten Rückzugsbereich und billigt ihm damit ein „Recht auf Einsamkeit“116 zu. Das Recht, zu entscheiden, wann, wie und in welchem Umfang persönliche Informationen anderen mitgeteilt werden, findet sich im allgemeinen Persönlichkeitsrecht mit dem Schutz der Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit. Des weiteren dient das allgemeine Persönlichkeitsrecht, wie bereits erörtert, der Ermöglichung freier Persönlichkeitsentfaltung, was mit dem autonomiebetonenden Ansatz, der Freiheit des Individuums zu denken, zu handeln und Entscheidungen zu treffen, korrespondiert. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I i.V. m. 1 I GG mit seinen verschiedenen Konkretisierungen sowie das right to privacy aus dem 4. Zusatzartikel zur US-Verfassung die aus der Menschenwürde folgende Autonomie des einzelnen zum Schutzgut haben. Die bisher anerkannten Konkretisierungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und privacy weisen weiterhin einige parallele Ansätze auf. Ein effektiver Schutz wird durch die Entwicklungsoffenheit dieser Rechte gewährleistet, die eine Anpassung an aktuelle gesellschaftliche Veränderungen oder technischen Fortschritt und die damit verbundenen neuen Gefahren für die Persönlichkeit ermöglichen.

110 111 112 113 114 115 116

Westin, S. 7; Fried, 77 Yale L.J. 475, 477–478 (1968). In etwa: Heimlichkeit, Anonymität und Einsamkeit. Gavison, 89 Yale L.J. 421, 433 (1980). Gormley, 1992 Wis. L. Rev. 1335, 1342. Gormley, 1992 Wis. L. Rev. 1335, 1340. Gormley, 1992 Wis. L. Rev. 1335, 1342. Aulehner, S. 365.

Kapitel 4

Verfassungsrechtliche Bewertung von Videoüberwachungen im öffentlichen Raum in den USA In den USA wird die Videoüberwachung öffentlicher Orte durch law enforcement agencies zur Kriminalprävention sowie zum Zweck der Erleichterung der Verfolgung trotz Überwachung begangener Straftaten1, wie schon in Kapitel 2 beschrieben, sehr verbreitet eingesetzt. Zu den law enforcement agencies gehören in den USA eine Vielzahl von Behörden, welche Behörden des Bundes oder Behörden der Gliedstaaten sein können. In beiden Fällen ist zur verfassungsrechtlichen Bewertung von Videoüberwachungsmaßnahmen dieser Behörden die US-Verfassung als Maßstab heranzuziehen2. Denn die Bill of Rights-Garantien (die ersten zehn Zusatzartikel zur US-Verfassung) binden, bis auf wenige Ausnahmen, über den 14. Verfassungszusatz die Gliedstaaten in gleichem Umfang wie die nationale Gewalt3.

A. Rechtsprechung des US Supreme Court und anderer Gerichte Ein spezielles Recht auf Schutz der Privatsphäre (right to privacy) enthält die US-amerikanische Verfassung nicht4. Der Supreme Court der Vereinigten Staaten hat in seiner Rechtsprechung5 jedoch ein beschränktes right to privacy als Ausfluß einer Kombination verschiedener Verfassungszusätze (Amendments), nämlich dem 1., 3., 4., 5., 9. und 14. Verfassungszusatz, an1 Eine Trennung der Aufgaben der Polizei in präventive und repressive Tätigkeiten existiert im US-amerikanischen Recht nicht. Das Recht des law enforcement wird allgemein dem Strafprozeßrecht zugeordnet. 2 Die US-Verfassung gibt hier den Mindeststandard vor. Den Gliedstaaten steht es frei, durch ihre eigenen Verfassungen ein höheres Schutzniveau zu errichten. 3 Vgl. Brugger, Einführung, § 9 II. 4 Siehe dazu schon oben Kapitel 3. 5 Griswold v. Connecticut, 381 U.S. 479 (1965); Roe v. Wade, 410 U.S. 113 (1973); Whalen v. Roe, 429 U.S. 589 (1977); Bowers v. Hardwick, 478 U.S. 186 (1986).

A. Rechtsprechung des US Supreme Court und anderer Gerichte

67

erkannt6. Dieses Recht ist jedoch beschränkt auf den Privatsphärenschutz und die Persönlichkeitsentfaltung im Bereich intimer Lebensentscheidungen, wie beispielsweise Abtreibung oder sexuelle Selbstbestimmung zumindest in der häuslichen Privatsphäre. Im Fall der Videoüberwachung im öffentlichen Raum würde der US Supreme Court dieses right to privacy nicht als einschlägig ansehen7. Daneben besteht aber auch ein richterrechtlich entwickelter Privatsphärenschutz nach dem 4. Verfassungszusatz, der bei polizeilichen Maßnahmen herangezogen wird.

I. Privatsphärenschutz nach dem 4. Verfassungszusatz („Fourth Amendment Privacy“8) in der Rechtsprechung des US Supreme Court Fälle polizeilicher Überwachungsmaßnahmen mißt der US Supreme Court am 4. Verfassungszusatz (Fourth Amendment)9. Dieser lautet: „The right of the people to be secure in their persons, houses, papers, and effects, against unreasonable searches and seizures, shall not be violated, and no warrants shall issue but upon propable cause, supported by oath or affirmation, and particularly describing the place to be searched and the persons or things to be seized.“10

Der 4. Verfassungszusatz schützt nach dem Wortlaut vor willkürlicher Durchsuchung, Verhaftung und Beschlagnahme, „unreasonable search and seizure“. Search und Seizure bedürfen grundsätzlich eines richterlichen Beschlusses (warrant), um nicht willkürlich (unreasonable) zu erfolgen. Denn dabei entscheidet ein unabhängiger und unparteiischer Richter über das Vorliegen eines hinreichenden Grundes für die Durchführung der Maßnahme11. Ausnahmen zu dem Erfordernis eines richterlichen Beschlusses 6 Hierzu ausführlich Gormley, 1992 Wis. L. Rev. 1335, 1391 ff., der dieses Recht als „fundamental-decision privacy“ bezeichnet; Brugger, Grundrechte, S. 104 ff. 7 Ausführlich dazu Burrows, 31 Val. U.L. Rev. 1079, 1090–1094 (1997) 8 Zur Entwicklung durch die Rechtsprechung des US Supreme Court siehe Gormley, 1992 Wis. L. Rev. 1335, 1357 ff. Zur dogmatischen Struktur siehe Junker, 79 J. Crim. L. & Criminology 1105 (1989); Power, 80 J. Crim. L. & Criminology 1 (1989). 9 Der 4. Verfassungszusatz gilt über den 14. Verfassungszusatz als Mindestschutz auch in den Gliedstaaten; Mapp v. Ohio, 367 U.S. 643 (1961). 10 „Das Recht des Volkes auf Sicherheit der Person und der Wohnung, von Urkunden und Eigentum gegen willkürliche Durchsuchung, Verhaftung und Beschlagnahme darf nicht verletzt werden, und Haussuchungs- und Haftbefehle dürfen nur bei Vorliegen eines eidlichen oder eidesstattlich erhärteten Grundes ausgestellt werden und müssen die zu durchsuchende Örtlichkeit und die in Gewahrsam zu nehmenden Personen oder Gegenstände genau bezeichnen.“ Übersetzung nach Fraenkel, Das amerikanische Regierungssystem, 1976, S. 349 ff.

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Kap. 4: Verfassungsrechtliche Bewertung von Videoüberwachungen

sind möglich, aber auch dann muß ein hinreichender Grund für die Maßnahme gegeben sein12. Ein Verstoß gegen den 4. Verfassungszusatz führt zu einem Verwertungsverbot der durch diese Maßnahmen erlangten Beweise im Strafverfahren13. Der Schutzbereich des 4. Verfassungszusatzes bestimmt sich daher danach, welche Polizeimaßnahmen search oder seizure im Sinne dieses Verfassungszusatzes darstellen. Der US Supreme Court vertrat bei der Interpretation des 4. Verfassungszusatzes zunächst einen formalistischen, eng am Wortlaut orientierten Standpunkt14. Unter search wurde nur ein körperliches Eindringen in einen traditionell als privat geschützten Bereich, wie der häusliche Privatbereich, verstanden. Dagegen sollten im Privateigentum stehende, aber nicht umschlossene Grundstücke, sog. open fields, vom Wortlaut „houses“ nicht umfaßt sein. Das Erfordernis eines körperlichen Eindringens in den geschützten Bereich beschränkte den Anwendungsbereich des 4. Verfassungszusatzes dahingehend, daß Observationen oder andere zwar in den Privatbereich reichende, aber aus der Ferne erfolgende Maßnahmen nicht erfaßt wurden. So wurde das Abhören von Telefongesprächen in Olmstead v. United States15 nicht als eine Durchsuchung im Sinne des 4. Verfassungszusatzes bewertet, da es bei der rein elektronischen Überwachung an einem solchen körperlichen Eindringen fehle. In Katz v. United States16, einer Entscheidung zum Abhören und Aufzeichnen eines von einer öffentlichen Telefonzelle geführten Telefongesprächs, änderte der US Supreme Court jedoch seine Ansicht17 und stellte fest, daß der 4. Verfassungszusatz Menschen schütze und nicht Räume18. Alles, was eine Person aktiv versuche, privat zu halten, solle geschützt sein, selbst in einem öffentlich zugänglichen Umfeld. Dagegen sei jede Informa11

Pierce/Shapiro/Verkuil, § 8.2.3, S. 404; LaFave, § 3.1 (c), S. 548 f. Pierce/Shapiro/Verkuil, § 8.2.3, S. 404 ff. 13 Siehe ausführlich Junker, 79 J. Crim. L. & Criminology 1105, 1111–1118 (1989). 14 Hierzu Power, 80 J. Crim. L. & Criminology 1, 6–8 (1989). 15 Olmstead v. United States, 277 U.S. 438 (1928). 16 Katz v. United States, 389 U.S. 347 (1967). 17 Seit dieser sowie der zweiten grundlegenden Entscheidung des Supreme Court hierzu, Berger v. New York, 388 U.S. 41 (1967), erstreckt sich der Schutz der Privatsphäre nach dem 4. Verfassungszusatz auf Telefone. Die sich damit ergebenden verfassungsrechtlichen Vorgaben für elektronische Überwachungen des gesprochenen Wortes sind im bundesstaatlichen Recht im sog. „Title III“ (18 United States Code 2510 ff.) umgesetzt. „Title III“ ist auch in den Bundesstaaten als Mindesterfordernis bei elektronischen Überwachungen zu beachten. 18 „For the Fourth Amendment protects people, not places.“ Katz v. United States, 389 U.S. 347, 351 (1967). 12

A. Rechtsprechung des US Supreme Court und anderer Gerichte

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tion, die bewußt der Öffentlichkeit preisgegeben werde, nicht vom Schutzumfang erfaßt19. Justice Harlan faßte dies in seinem zustimmenden Votum zu dieser Entscheidung in folgendem Grundsatz zusammen: Ein Eindringen, egal ob körperlich oder rein elektronisch, in einen Bereich, in dem die betroffene Person eine verfassungsrechtlich geschützte berechtigte Erwartung von Privatsphäre (reasonable expectation of privacy) hat, und dieses mangels Durchsuchungsbeschluß (search warrant) willkürlich erfolgt, verletzt den 4. Verfassungszusatz20. Zur Feststellung, wann eine solche berechtigte Erwartung von Privatsphäre besteht, wendet der US Supreme Court seither eine zweistufige Prüfung an: Erstens muß die betroffene Person subjektiv die Privatsphäre erwarten, und zweitens muß dieses Privatsphäreninteresse objektiv in der Gesellschaft als berechtigt anerkannt sein. An sich kann hiernach auch eine Überwachung außerhalb des häuslichen Privatbereichs, wie sie bei polizeilichen Videoüberwachungen öffentlicher Orte erfolgt, einen Eingriff in den 4. Verfassungszusatz darstellen. Es ist jedoch festzustellen, daß einer Person außerhalb ihrer Wohnung nach der Rechtsprechung der US-Gerichte nur eine eng begrenzte Erwartung von Privatsphäre als berechtigt zugestanden wird. So hat der US Supreme Court in einer Vielzahl von Fällen eine berechtigte Erwartung von Privatsphäre außerhalb des häuslichen Privatbereichs abgelehnt und den 4. Verfassungszusatz für irrelevant gehalten. Er wendet auch weiterhin die open fields doctrine an21, wonach private, aber durch die Öffentlichkeit zugängliche Gebiete nicht unter den verfassungsrechtlichen Schutz des 4. Amendment fallen. Des weiteren ist festzustellen, daß der US Supreme Court in Katz v. United States zwar von dem Erfordernis des körperlichen Eindringens abgerückt ist, aber dennoch in späteren Entscheidungen an seiner plain view doctrine festhielt, durch die der Schutzbereich des 4. Verfassungszusatzes wieder eingeschränkt wird22. Danach stellt es keine Durchsuchung im Sinne dieses Verfassungszusatzes dar, wenn ein Vertreter des Staates von einem Ort aus, an dem er sich rechtmäßigerweise aufhält, im Rahmen seiner Kompetenzen Informationen sammelt, die frei wahrnehmbar sind. Darüber hinaus dürfen Dinge, die hierbei zufällig entdeckt wurden, sofort ohne weitere Voraussetzungen, also insbesondere ohne richterlichen Beschluß (warrant), beschlagnahmt werden.

19

Katz v. United States, 389 U.S. 347, 351 (1967). Katz v. United States, 389 U.S. 347, 360, 361 (1967) (concurring opinion of Mr. Justice Harlan). 21 Oliver v. United States, 466 U.S. 170 (1983); United States v. Dunn, 480 U.S. 294 (1987). 22 Junker, 79 J. Crim. L. & Criminology 1105, 1125–1126 (1989). 20

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Kap. 4: Verfassungsrechtliche Bewertung von Videoüberwachungen

Unproblematisch anwendbar ist die plain view doctrine in den Fällen, in denen die Observation von einem öffentlich zugänglichen Aussichtspunkt aus erfolgt und keine technischen Hilfsmittel eingesetzt werden23. Wie der US Supreme Court immer wieder betont, muß der Betroffene unter diesen Umständen damit rechnen, daß die Dinge im plain view durch andere gesehen werden. Der Betroffene hat diesbezüglich keine berechtigte Erwartung von Privatsphäre. In United States v. Knotts24 stellte der US Supreme Court fest, daß ein Autofahrer auf öffentlicher Straße keine berechtigte Erwartung von Privatsphäre hinsichtlich der Fahrt von einem Ort zum anderen habe. Er teile dabei nämlich jedem möglichen Beobachter freiwillig mit, daß er eine bestimmte Straße, in eine bestimmte Richtung benutzt, welche Zwischenstops er einlegt und wo er die öffentliche Straße verläßt25. In diesem Fall wurde die Autofahrt des Betroffenen nicht tatsächlich durch die Polizei beobachtet, sondern das Fahrzeug konnte mit Hilfe eines Peilsenders geortet werden. Mit der Aussage, daß die Polizei hier nur das wahrnahm, was jeder zufällige Beobachter hätte wahrnehmen können, dehnt der US Supreme Court seine plain view doctrine auch auf hypothetische Beobachtungen aus26. In Texas v. Brown inspizierte ein Polizeibeamter den Innenraum eines Autos durch ein Fenster mit Hilfe einer Taschenlampe27. Der US Supreme Court stellte fest, daß bezüglich des von Außen aus einsehbaren Teils des im öffentlichen Raum abgestellten Wagens, sei es durch neugierige Passanten oder auch durch die Polizei, keine berechtigte Erwartung von Privatsphäre bestehe28. Daß hierbei eine Taschenlampe zur Beleuchtung des Innenraums eingesetzt wurde, ändere an dieser Bewertung nichts. Hier liegt die Auffassung zugrunde, daß durch die Lampe lediglich das sichtbar wird, was bei Tageslicht ohnehin unmittelbar sichtbar gewesen wäre29. Auch ein Bereich, mit dem normalerweise Privatsphäre assoziiert wird, kann vom Schutz des 4. Verfassungszusatz ausgenommen sein, wenn nicht genügend Anstrengungen unternommen werden, diesen Bereich privat zu halten. So ist zum Beispiel die Observation von Industrieanlagen oder Wohnanlagen, also privatem Gelände, vom Luftraum aus nach der Recht23

Junker, 79 J. Crim. L. & Criminology 1105, 1106 und 1126 (1989). United States v. Knotts, 460 U.S. 276 (1983). Der Fall betraf die Verfolgung eines Wagens unter Einsatz eines Peilsenders („beeper device“). 25 United States v. Knotts, 460 U.S. 276, 281–282 (1983). 26 Junker, 79 J. Crim. L. & Criminology 1105, 1128 (1989). 27 Texas v. Brown, 460 U.S. 730 (1983). 28 Texas v. Brown, 460 U.S. 730, 740 (1983). 29 Power, 80 J. Crim. L. & Criminology 1, 44 f. (1989). 24

A. Rechtsprechung des US Supreme Court und anderer Gerichte

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sprechung des US Supreme Court in der Regel keine Durchsuchung im Sinne des 4. Verfassungszusatzes, selbst wenn sie aus geringer Höhe erfolgt30. Es bestehe nämlich keine berechtigte Erwartung von Privatsphäre dahingehend, daß diese Anlagen nicht überflogen werden und die Polizei dabei das wahrnimmt, was jeder mit bloßem Auge aus dieser Perspektive hätte wahrnehmen können31. Auch die Anfertigung von Fotografien ändere an dieser Beurteilung nichts. Der Einsatz einer handelsüblichen Fotoausrüstung, mit der die natürlichen menschlichen Sinne nur etwas verstärkt werden, verursache keine verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten32. Etwas anderes könne bei einem Einsatz von nicht allgemein erwerblichen technischen Hilfsmitteln zur Überwachung der Fall sein, wie beispielsweise dem Einsatz von Satellitentechnologie33. Gewöhnliche Hilfsmittel zur visuellen Überwachung, die die natürlichen menschlichen Sinne verstärken, wie zum Beispiel Taschenlampen oder Ferngläser, schließt der US Supreme Court dagegen generell vom Schutzbereich des 4. Verfassungszusatzes aus. Erfaßt werden nur technisch hochentwickelte Überwachungsgeräte, die nicht auch der Allgemeinheit zur Verfügung stehen34. Auch in California v. Greenwood35 lehnte der US Supreme Court eine berechtigte Erwartung von Privatsphäre ab. In diesem Fall ging es um das Einsammeln und Durchwühlen von vor einem Privatgrundstück für die Müllabfuhr bereitgestellten Müllsäcken durch die Polizei. Da die Müllsäcke freiwillig in einem Bereich plaziert wurden, in dem deren Inspektion durch die Öffentlichkeit möglich war, sei eine eventuelle subjektive Erwartung von Privatsphäre hinsichtlich des Inhalts der Säcke nicht auch objektiv berechtigt gewesen36. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß der US Supreme Court, davon ausgehend, daß Personen im öffentlichen Raum damit rechnen müssen, 30 Dow Chemical Co. v. United States, 476 U.S. 227 (1986); California v. Ciraolo, 476 U.S. 207 (1986); Florida v. Riley, 488 U.S. 445 (1989). In letzterer Entscheidung wurde die Beobachtung von einem Hubschrauber aus gemacht, der in nur geringer Höhe flog, die aber nicht gegen gesetzliche Vorschriften verstieß. Der Beobachter befand sich daher an einem rechtmäßigen Aussichtspunkt. 31 Dow Chemical Co. v. United States, 476 U.S. 227, 238 (1986); California v. Ciraolo, 476 U.S. 207, 213–214 (1986); Florida v. Riley, 488 U.S. 445, 450–451 (1989). 32 Dow Chemical Co. v. United States, 476 U.S. 227, 238 (1986). 33 Dow Chemical Co. v. United States, 476 U.S. 227, 238 (1986). 34 Junker, 79 J. Crim. L. & Criminology 1105, 1137 (1989); Power, 80 J. Crim. L. & Criminology 1, 44 f. (1989). 35 California v. Greenwood et al. 486 U.S. 35 (1988). 36 California v. Greenwood et al. 486 U.S. 35, 40–41 (1988).

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Kap. 4: Verfassungsrechtliche Bewertung von Videoüberwachungen

von anderen beobachtet zu werden, hier keine berechtigte Erwartung von Privatsphäre anerkennt. Auch der Einsatz von allgemein erhältlichen technischen Hilfsmitteln, wozu auch Videokameras zählen, läßt die Überwachung nicht zu einer search im Sinne des 4. Verfassungszusatzes werden. Aufgrund dieser Präzedenzrechtsprechung müßte der US Supreme Court auch in einem Fall der Videoüberwachung öffentlicher Plätze zu dem Ergebnis kommen, daß diese Maßnahme nicht dem 4. Verfassungszusatz unterliegt.

II. Rechtsprechung anderer Gerichte zu Fällen staatlicher Videoüberwachung Einige Fälle staatlicher Videoüberwachungen wurden von nachgeordneten Bundesgerichten entschieden. Bejaht wurde die berechtigte Erwartung von Privatsphäre im Fall der Videoaufzeichnung einer Person im Büro eines Dritten37 und auch bei einer Videoüberwachung eines privaten Gartens über einen längeren Zeitraum hinweg38. In letzterer Entscheidung wies das Gericht das Argument der klageführenden US-Regierung zurück, daß der Garten des Beklagten aus verschiedenen Blickwinkeln problemlos eingesehen werden konnte und dort daher keine berechtigte Erwartung von Privatsphäre bestand. Der Tenth Circuit Court of Appeals befand in United States v. Mesa-Rincon39, daß in dem Gebäude, in dem die zu beurteilende heimliche Videoüberwachung von Geldfälschern stattfand, eine „mittelgroße“ (medium) Erwartung von Privatsphäre bestand40. Das Gericht bestätigte jedoch die Rechtmäßigkeit der Anordnung der Videoüberwachung unter Abwägung dieser mittelgroßen Erwartung von Privatsphäre mit der Notwendigkeit der Videoüberwachung in diesem speziellen Fall, wie sie die klagende US-Regierung geltend machte41. Eine solche Abwägung von der Notwendigkeit der Videoüberwachung mit dem Grad des Eindringens in die Privatsphäre (bestimmt nach Abwägung der Art der verfolgten Straftat und dem Charakter des überwachten Ortes) nahm schon der Seventh Circuit Court of Appeals in United States v. Torres42 vor. In diesen beiden Entscheidungen stellten die Gerichte jedoch auch heraus, daß der Einsatz von Videokameras die Privatsphäre in besonders starkem Maße beeinträchtigen kann43, noch 37 38 39 40 41 42

United United United United United United

States States States States States States

v. v. v. v. v. v.

Taketa, 923 F.2d 665, 677 (9th Cir. 1991). Cuevas-Sanchez, 821 F.2d 248 (5th Cir. 1987). Mesa-Rincon, 911 F.2d 1433 (10th Cir. 1990). Mesa-Rincon, 911 F.2d 1433, 1443 (10th Cir. 1990). Mesa-Rincon, 911 F.2d 1433, 1444–1445 (10th Cir. 1990). Torres, 751 F.2d 875 (7th Cir. 1984).

A. Rechtsprechung des US Supreme Court und anderer Gerichte

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stärker als die sonst vergleichbaren Abhörmaßnahmen44. Es bestehe die Gefahr, daß Videoüberwachungen mißbraucht werden, die Privatsphäre, wie sie in modernen westlichen Nationen verstanden wird, zu beseitigen45. Wie der US Supreme Court gehen die Bundesgerichte jedoch auch von der Grundannahme aus, daß im öffentlichen Raum keine berechtigte Erwartung von Privatsphäre besteht. Darüber hinaus stellte der United States Court of Appeals for the Ninth Circuit fest, daß die Videoüberwachung als solche ebenfalls nicht die berechtigte Erwartung von Privatsphäre verletzt. Die Aufzeichnung Verdächtiger im öffentlichen Raum, wie zum Beispiel Banken, verletze nicht den 4. Verfassungszusatz. Denn alles, was die Polizei normalerweise mit bloßem Auge wahrnehmen könne, dürfe sie auch aufzeichnen46. Das Gericht geht damit davon aus, daß mangels berechtigter Erwartung von Privatsphäre im öffentlichen Raum polizeiliche Beobachtungen und Videoaufzeichnungen von Personen nicht dem 4. Verfassungszusatz unterliegen. In diesen Rahmen paßt auch eine Entscheidung zur Videoüberwachung des Third District Court of Appeals of Florida. Dieser hielt die Erwartung von Privatsphäre in einem Fall der Videoüberwachung eines öffentlichen Parkplatzes mit einer zoomfähigen Kamera für unberechtigt47. Zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen die Gerichte bei der Bewertung einer berechtigten Erwartung von Privatsphäre in öffentlichen Toiletten. Als Entscheidungskriterien werden hier insbesondere die bauliche Gestaltung und Ausstattung der Anlage (mit oder ohne Türen etc.) und die Art der Observation (heimlich oder plain view) herangezogen. Bei einer heimlichen Überwachung trotz Türen wurde zugunsten der berechtigten Erwartung von Privatsphäre entschieden48. Sind keine Türen vorhanden oder ist eine Beobachtung durch Spalte oder über oder unter Türen hindurch möglich, so bestehe keine berechtigte Erwartung von Privatsphäre, die durch eine, auch heimliche oder mit Videokameras erfolgende, Überwachung verletzt werden könnte49. 43

Dies wurde besonders deutlich bei der in United States v. Mesa-Rincon überprüften Videoüberwachung, bei der auch ein unbekannter Mann beim Masturbieren gefilmt wurde. Das Gericht führte dazu aus, daß keine andere Überwachungsmethode dieses äußerst private Verhalten so detailliert aufgezeichnet hätte, weshalb der Einsatz von Videokameras eine sehr stark eingreifende Methode darstelle. 44 United States v. Mesa-Rincon, 911 F.2d 1433, 1437 (10th Cir. 1990); United States v. Torres, 751 F.2d 875, 882 (7th Cir. 1984). 45 United States v. Torres, 751 F.2d 875, 882 (7th Cir. 1984). 46 United States v. Taketa, 923 F.2d 665, 677 (9th Cir. 1991). 47 State v. Abislaiman (Fla. App.) 437 S.2d 181 (1983). 48 People v. Dezek, 107 Mich. App. 78, 308 N.W.2d 627 (Mich. Ct. App. 1981); People v. Kalchik, 160 Mich. App. 40, 407 N.W.2d 627 (Mich. Ct. App. 1987).

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Kap. 4: Verfassungsrechtliche Bewertung von Videoüberwachungen

III. Zwischenergebnis Die Rechtsprechung lehnt eine berechtigte Erwartung von Privatsphäre im öffentlichen Raum generell ab. Die Videoüberwachung öffentlicher Plätze, bei der die law enforcement agencies nur das beobachten und gegebenenfalls aufzeichnen, was jedermann hätte wahrnehmen können, unterliegt nicht dem 4. Verfassungszusatz und ist nach der bestehenden Rechtslage ohne verfassungsrechtliche Beschränkungen zulässig50.

B. Kritik durch die Literatur I. Anerkennung einer „Public Privacy“ An der kategorischen Ablehnung einer berechtigten Erwartung von Privatsphäre im öffentlichen Raum wird jedoch zunehmend Kritik geübt. Diese „Alles-oder-Nichts-Entscheidung“ der Gerichte wird als zu starr abgelehnt und die Anerkennung auch einer public privacy gefordert, denn auch im öffentlichen Raum könne eine berechtigte Erwartung von Privatsphäre bestehen51. Zwar sei es richtig, daß jeder damit rechnen müsse, im öffentlichen Raum von anderen gesehen zu werden, weshalb dort nicht dasselbe Maß an Privatsphäre erwartet werden könne wie in der eigenen Wohnung52. Privatsphäre im öffentlichen Raum könne jedoch auch nicht völlig negiert werden, sondern sei in graduellen Abstufungen anzuerkennen53. Verschiedene Faktoren gewährleisteten eine solche Privatsphäre von unterschiedlichem Niveau. Hierzu zählten der exakte Charakter des öffentlichen 49 Young v. State 849 P. 2d 336, 342 (Nev. 1993); Buchanan v. State, 471 S.W.2d 401 (Tex. Crim. App. 1971). 50 Videoüberwachungen innerhalb der durch den 4. Verfassungszusatz geschützten Privatsphäre unterliegen dagegen nach der Rechtsprechung den gleichen Erfordernissen aus „Title III“ (18 U.S.C. 2510 ff.) wie elektronische Überwachungen oraler Kommunikation; U.S. v. Biasucci, 786 F.2d, 504 (2d Cir. 1986). 51 Burrows, 31 Val. U.L. Rev. 1079, 1129 (1997); Milligan, 9 S. Cal. Interdis. L.J. 295, 333 (1999); McClurg, 73 N.C.L. Rev. 989, 1041 (1995); Paton-Simpson, 50 Univ. of Toronto L.J. 305, 321 (2000); Sim, 22 Loy. L.A. Ent. L.J. 443 (2002). Gefordert wird dies in der das Verfassungsrecht betreffenden Debatte zur Videoüberwachungen im öffentlichen Raum durch den Staat und auch in der das Deliktsrecht betreffenden Problematik des Foto- oder Videografierens anderer Personen durch Private in der Öffentlichkeit, das bis zum „Video-Voyeurismus“ ausarten kann, einem sehr aktuellen Problem in den USA, siehe dazu Rothenberg, 49 Am. U.L. Rev. 1127 (2000); Calvert/Brown, 18 Cardozo Arts & Ent LJ 469 (2000); Pope, 17 J. Marshall J. Computer & Info. L.1167 (1999). 52 Paton-Simpson, 50 Univ. of Toronto L.J. 305, 321 (2000). 53 McClurg, 73 N.C.L. Rev. 989, 1041 (1995); Paton-Simpson, 50 Univ. of Toronto L.J. 305, 321 (2000); Sim, 22 Loy. L.A. Ent. L.J. 443, 468–469 (2002).

B. Kritik durch die Literatur

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Ortes, die Anonymität des einzelnen in der Öffentlichkeit und die nur begrenzte Aufmerksamkeit dem Verhalten anderer gegenüber, bei höchstens kurzzeitiger, vorübergehender Beobachtung eines anderen ohne Perpetuierung des Wahrgenommenen54. 1. Charakter des öffentlichen Ortes und Art der Beobachtung Ein öffentlicher Ort, worunter in den USA jeder öffentlich zugängliche Ort verstanden wird, könne selbst mehr oder weniger „öffentlich“ oder auch „privat“ sein55. Dies hänge davon ab, inwieweit man an einem öffentlich zugänglichen Ort auch der Wahrnehmung durch andere ausgesetzt sei. Es komme damit darauf an, ob es sich um einen abgelegenen oder um einen durch andere Personen mehr oder weniger stark frequentierten Ort handele. Privatsphäre sei dadurch gewährleistet, daß der einzelne nach Einschätzung der „Öffentlichkeit“ in diesem Sinne, also nach Einschätzung, wer und wie viele Personen ihn beobachten könnten, sein Verhalten dieser Situation anpassen könne56. Dadurch könne er selbst regulieren, wie viele Informationen über seine Persönlichkeit er anderen preisgebe. Privatsphäre sei außerdem dadurch gewährleistet, daß eine Musterung durch andere im öffentlichen Raum im Normalfall bloß kurz und oberflächlich durch eine begrenzte Anzahl von Personen stattfinde. Die durch die Öffentlichkeit wahrnehmbaren Aktivitäten eines Einzelnen seien so über Zeit und Raum verteilt, daß ein Beobachter immer nur einen kleinen Teil davon sehe57. Mit einer darüber hinausgehenden Beobachtung rechne man vernünftigerweise nicht58. Hier bestehe die Erwartung, daß eine über dieses normale Maß hinausgehende Beobachtung auch nicht erfolge. Diese berechtigte Erwartung von Privatsphäre werde bei einer systematischen, längere Zeit dauernden oder auch heimlichen Überwachung verletzt. Gezielte Beobachtungen von Personen im öffentlichen Raum könnten nicht mit dem bloßen „Gesehenwerden“ in der Öffentlichkeit gleichgesetzt werden59, wie dies der US Supreme Court tue. Durch systematische Observationen würden Informationen über eine Person angesammelt, durch die sich ein relativ detailliertes Bild vom Leben einer Person erstellen lasse und 54

Paton-Simpson, 50 Univ. of Toronto L.J. 305, 321 (2000). Paton-Simpson, 50 Univ. of Toronto L.J. 305, 322 (2000); Sim, 22 Loy. L.A. Ent. L.J. 443, 471 (2002). 56 Paton-Simpson, 50 Univ. of Toronto L.J. 305, 322 (2000). 57 Reiman, 11 Computer & Tech. L.J. 27, 29 (1995). 58 Vgl. Paton-Simpson, 50 Univ. of Toronto L.J. 305, 323 (2000). 59 McClurg, 73 N.C.L. Rev. 989, 1041 (1995); Burrows, 31 Val. U.L. Rev. 1079, 1129 (1997). 55

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Kap. 4: Verfassungsrechtliche Bewertung von Videoüberwachungen

Rückschlüsse auf ihre Persönlichkeit über die gesammelten Fakten hinaus zuließen60. Hierdurch sei die Privatsphäre der überwachten Person ernsthaft betroffen61. Dies sei noch mehr der Fall, wenn die Überwachung heimlich erfolge. Der Überwachte habe hier nämlich nicht die Möglichkeit, sein Verhalten anzupassen, wie er es sonst unter Beobachtung tun würde, und so selbst zu beeinflussen, welche Informationen er über sich preisgibt62. Noch verstärkt werden könne die Beeinträchtigung der Privatsphäre beim Einsatz moderner Technik. Mit mit Zoom ausgestatteten Kameras etwa könnten Dinge auch aus größeren Entfernungen wahrgenommen werden wie es mit bloßem Auge nicht möglich wäre, zum Beispiel der geschriebene Text eines Briefes63. Hierbei erfolge eine Beobachtung, wie sie der Betroffene nicht vorhersehen könne. Die meisten Menschen seien sich der Möglichkeiten moderner Überwachungstechniken auch gar nicht bewußt. Sie rechneten daher beispielsweise auch nicht damit, genau beobachtet zu werden, wenn sie sich in einer Ansammlung von Menschen befinden64. Menschen rechneten vielmehr damit, nicht aus weiten Entfernungen detailliert gemustert zu werden oder nicht aus ungewöhnlichen Perspektiven65. Insbesondere würden heimliche Überwachungsmaßnahmen durch technische Hilfsmittel erleichtert66. Mit Hilfe mehrerer versteckter Videokameras etwa sei es möglich, Personen über mehrere Häuserblöcke verfolgend zu überwachen, ohne daß diese etwas davon bemerkten67. 2. Fehlende Perpetuierung des Wahrgenommenen Eine berechtigte Erwartung von Privatsphäre bestehe auch dahingehend, daß keine dauerhaften Aufzeichnungen davon gemacht würden, was man in der Öffentlichkeit nur kurz preisgebe68. Die Annahme, Fotografien seien nichts anderes als eine detaillierte Personenbeschreibung, wie sie jeder Be60 Es kann beispielsweise beobachtet werde, wie eine Person ihr Geld verdient, wie sie ihre Freizeit gestaltet oder welche Freunde sie hat. Hiervon ausgehend, könnten dann möglicherweise weitere Schlüsse über die Person gezogen werden, etwa über ihre Pünktlichkeit oder Zuverlässigkeit. Vgl. Reiman, 11 Computer & Tech. L.J. 27, 29 (1995). 61 Paton-Simpson, 50 Univ. of Toronto L.J. 305, 324 (2000); Reiman, 11 Computer & Tech. L.J. 27, 29 (1995). 62 Paton-Simpson, 50 Univ. of Toronto L.J. 305, 330 (2000). 63 Vgl. Burrows, 31 Val. U.L. Rev. 1079, 1128 (1997). 64 Milligan, 9 S. Cal. Interdis. L.J. 295, 319 (1999). 65 Paton-Simpson, 50 Univ. of Toronto L.J. 305, 330 (2000). 66 Paton-Simpson, 50 Univ. of Toronto L.J. 305, 330 f. (2000). 67 Vgl. Burrows, 31 Val. U.L. Rev. 1079, 1128 (1997); Milligan, 9 S. Cal. Interdis. L.J. 295, 326 (1999). 68 Paton-Simpson, 50 Univ. of Toronto L.J. 305, 327 (2000).

B. Kritik durch die Literatur

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obachter hätte aufnehmen können69, sei deshalb nicht haltbar70. Der entscheidende Unterschied zwischen einer Beobachtung mit bloßem Auge und der Anfertigung von Fotografien liege in der durch letztere erfolgende Perpetuierung des Wahrgenommenen71. Der Beobachter sei hierdurch zum einen in der Lage, einen Teil des Objektes mitzunehmen, womit dessen Selbstbestimmungsmöglichkeit eingeschränkt werde72. Durch das Festhalten einer Person im Bild werde deren genaue Musterung zeitlich unbegrenzt möglich, was bei einer bloßen Beobachtung in der Öffentlichkeit nicht der Fall wäre. Zum anderen sei eine intensivere Betrachtung des Objektes möglich. Durch das genaue Studieren des Bildes könnten Informationen über die abgebildete Person gesammelt werden, die sonst bei einer nur kurzen, vorübergehenden Beobachtung unentdeckt bleiben würden73. Des weiteren sei es möglich, das aufgenommene Bild einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, womit sich die Auswirkung des ursprünglichen Eingriffes verstärkten74. Dies könne auch dadurch geschehen, daß das Bild nicht einer größeren, aber anderen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werde, da manches Verhalten in der einen Umgebung adäquat, in einer anderen aber peinlich oder unangemessen erscheinen könne75. Der Unterschied zwischen bloßer Beobachtung und Bildaufzeichnungen sei noch größer, wenn Videoaufzeichnungen angefertigt würden76. Dabei handele es sich ja nämlich nicht nur um eine Momentaufnahme einer Person, sondern um bewegte Bilder, die viel über deren Persönlichkeit verraten könnten77. Von Haltung, Gesten, Gesichtsausdruck oder auch Gesprochenem könnten beispielsweise Rückschlüsse auf Stimmung, physische und psychische Verfassung oder das Verhalten gegenüber anderen Personen geschlossen werden78. 69 So Prosser, 48 Cal. L. Rev. 383, 391–392, (1960), der mit seinen Ausführungen einen Grundstein zur Rechtsprechung zum Privatsphärenschutz im Deliktsrecht gelegt hat. 70 McClurg, 73 N.C.L. Rev. 989, 1041 (1995); Sim, 22 Loy. L.A. Ent. L.J. 443, 470 (2002). 71 Burrows, 31 Val. U.L. Rev. 1079, 1129 (1997); McClurg, 73 N.C.L. Rev. 989, 1041 (1995); Paton-Simpson, 50 Univ. of Toronto L.J. 305, 327 f. (2000). 72 McClurg, 73 N.C.L. Rev. 989, 1041 (1995). 73 McClurg, 73 N.C.L. Rev. 989, 1042 (1995). 74 McClurg, 73 N.C.L. Rev. 989, 1042 (1995). 75 Als Beispiel hierzu kann etwa das Tragen von Badebekleidung angeführt werden. Eine Person, die sich freiwillig am Strand oder im Schwimmbad in Badesachen präsentiert, mag dennoch nicht wollen, so von einem anderen Publikum oder in anderem Umfeld gesehen zu werden. (Beispiel nach McClurg, 73 N.C.L. Rev. 989, 1041 (1995).) 76 McClurg, 73 N.C.L. Rev. 989, 1043 (1995). 77 Burrows, 31 Val. U.L. Rev. 1079, 1129 (1997); McClurg, 73 N.C.L. Rev. 989, 1041 (1995).

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Kap. 4: Verfassungsrechtliche Bewertung von Videoüberwachungen

Eine Person müsse auf öffentlicher Straße zwar damit rechnen, gesehen und möglicherweise auch kurzzeitig von anderen beobachtet zu werden, nicht jedoch mit einer eingehenden Musterung anhand Fotografien oder Videos. Es bestehe daher keine berechtigte Erwartung, in der Öffentlichkeit nicht beobachtet zu werden. Im Unterschied dazu sei jedoch die Erwartung, daß solche Beobachtungen nicht auf Video aufgezeichnet würden, berechtigt79. Auch Videoaufzeichnungen von Personen auf öffentlichen Plätzen griffen daher in die berechtigte Erwartung von Privatsphäre einer Person ein. 3. Anonymität Weiterer Faktor, der einen gewissen Grad an Privatsphäre im öffentlichen Raum gewähre, sei Anonymität80. Die meisten Menschen, die sich auf der Straße begegneten, kennten die Identität des anderen nicht. Dies sei vor allem in Städten der Fall, aber auch dann, wenn eine Person sich in eine fremde Umgebung begebe, die sie nicht gewöhnlich aufsuche. Informationen, die Fremde über eine Person aufnähmen, könnten dann nicht mit einer bestimmten Identität in Verbindung gebracht werden und würden für gewöhnlich auch schnell wieder vergessen. Einem Fremden gegenüber offenbarten viele daher freier persönliche Informationen, da sie sicher seien, daß der Fremde wieder aus ihrem Leben verschwände81. Die Möglichkeit, sich anonym in der Öffentlichkeit zu bewegen, stelle aus diesen Gründen einen wichtigen Aspekt der Privatsphäre dar82. Verbunden mit dem Aspekt Anonymität sei auch die Möglichkeit, in der Öffentlichkeit unbehelligt und für sich zu sein, die Öffentlichkeit somit als Ruhebereich zu nutzen83. Videoüberwachung stelle hierfür eine Gefahr dar, denn mit Hilfe von Videobildern sei es möglich, eine Person zu identifizieren und so persönliche Informationen zu erhalten. Durch den Einsatz biometrischer Gesichtserkennungsverfahren könne dies noch einfacher erfolgen84. Nach der bisherigen Rechtsprechung gewährt der 4. Verfassungszusatz kein Recht auf Anonymität85. Die Gerichte gehen davon aus, daß alles, was 78

McClurg, 73 N.C.L. Rev. 989, 1043 (1995). Sim, 22 Loy. L.A. Ent. L.J. 443, 469 (2002). 80 Hierzu Paton-Simpson, 50 Univ. of Toronto L.J. 305, 325 f. (2000); Slobogin, 10 Harv. J. Law & Tech 383, 409 (1997). 81 Vgl. Westin, S. 31 f. 82 Paton-Simpson, 50 Univ. of Toronto L.J. 305, 325 f. (2000); Westin, S. 31 f. 83 Privacy als „right to solitude“, vgl. Sim, 22 Loy. L.A. Ent. L.J. 443 (2002). 84 Milligan, 9 S. Cal. Interdis. L.J. 295, 326 (1999). 85 Junker, 79 J. Crim. L. & Criminology 1105, 1129 (1989). 79

B. Kritik durch die Literatur

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wissentlich in der Öffentlichkeit offenbart wird, nicht geschützt ist86. Unter „Öffentlichkeit“ ist hierbei nicht „alle“ oder „die meisten Menschen“ zu verstehen, sondern es genügt, daß eine Information nicht gänzlich geheim gehalten wird87. Gegen diese Rechtsprechung wird jedoch eingewandt, daß auch bei einer solch wissentlichen Preisgabe von Informationen oder Gegenständen die Erwartung bestehen kann, daß diese nicht genau untersucht oder nicht mit der Identität einer bestimmten Person in Verbindung gebracht werden88. Ein Beispiel hierzu sei etwa das Bereitstellen von Müllsäcken für die Müllabfuhr, wie im Fall California v. Greenwood89, oder auch die Autofahrt auf einer öffentlichen Straße, wie im Fall United States v. Knotts90. In diesen Fällen bestehe eine berechtigte Erwartung von Anonymität91. 4. Zwischenergebnis Aufgrund dieser Argumente wird gefordert, auch im öffentlichen Raum eine berechtigte Erwartung von Privatsphäre in dem erörterten Umfang anzuerkennen. Polizeiliche Observationen, die dort heimlich oder gezielt über eine gewisse Dauer oder systematisch erfolgen oder bei denen technische Hilfsmittel eingesetzt werden, wären dann an verfassungsrechtliche Vorgaben aus dem 4. Verfassungszusatz gebunden. Dies würde auch für polizeiliche Videoüberwachungen öffentlicher Orte gelten.

II. „Chilling Effect on Human Behavior“ In der Literatur wird außerdem argumentiert, daß Videoüberwachung das Privatleben dadurch negativ beeinflußt, daß sie bei Menschen eine Verhaltensänderung hervorruft92. Menschen, die annähmen, sich im Blickfeld einer Überwachungskamera zu befinden, verhielten sich unbewußt vorsichtiger, da sie nicht die Aufmerksamkeit des unsichtbaren Beobachters auf sich ziehen wollten. Das Bewußtsein, daß ihr Erscheinungsbild auch mit ihrer Identität verknüpft werden kann, und die Unsicherheit, was mit möglichen Videoaufzeichnungen geschieht, hemme ihr Verhalten noch verstärkt. Sie 86

Die Gerichte sprechen hier von „knowingly exposure“. Junker, 79 J. Crim. L. & Criminology 1105, 1158 (1989). 88 Junker, 79 J. Crim. L. & Criminology 1105, 1158 (1989). 89 California v. Greenwood et al. 486 U.S. 35 (1988); siehe oben A.I. 90 United States v. Knotts, 460 U. S. 276 (1983); siehe oben A.I. 91 Junker, 79 J. Crim. L. & Criminology 1105, 1154 (1989). 92 Milligan, 9 S. Cal. Interdis. L.J. 295, 327 (1999); Burrows, 31 Val. U.L. Rev. 1079, 1125 (1997); für die American Bar Association Task Force on Technology and Law Enforcement siehe Slobogin, 10 Harv. J. Law & Tec 383, 409 (1997). 87

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Kap. 4: Verfassungsrechtliche Bewertung von Videoüberwachungen

versuchten, sich so wie alle anderen zu verhalten, um nicht aufzufallen. Videoüberwachung führe damit zu einem angepaßten Verhalten der Bürger und bedeute eine Einschränkung ihrer Autonomie93, die als Ausfluß von Menschenwürde und Individualität Wesensmerkmal des Menschen sei94. Dies möge vielen, die sich mit der Tatsache, videoüberwacht zu werden, abgefunden hätten, überhaupt nicht mehr bewußt sein. Sie seien der Einschränkung ihrer Freiheit gegenüber gleichgültig geworden95. Der durch die Videoüberwachung erzeugte Druck könne soweit reichen, daß Personen von der Ausübung ihrer Grundrechte absähen, um nicht negativ aufzufallen. Dies betreffe insbesondere die im 1. Verfassungszusatz verankerte Meinungs- und Versammlungsfreiheit (freedom of speech and association)96. Der einzelne könnte davon Abstand nehmen, an politischen Aktivitäten teilzunehmen oder seine Meinung frei in der Öffentlichkeit zu äußern. Daneben wird teilweise auch das Recht auf Freizügigkeit (right to travel97) als beeinträchtigt angesehen, da man sich nicht mehr frei im öffentlichen Raum bewegen könne98. Der einzelne werde damit in seinen Grundfreiheiten beschränkt, und auch die Gesellschaft verändere sich dadurch, daß der Charakter und die Spontaneität einer freien und dynamischen Bürgerschaft zerstört würden99.

93 Milligan, 9 S. Cal. Interdis. L.J. 295, 327 (1999). Diese Hemmung, frei zu handeln, wird als „chilling effect“ auf das menschliche Verhalten bezeichnet. 94 Burrows, 31 Val. U.L. Rev. 1079, 1125 (1997). 95 Milligan, 9 S. Cal. Interdis. L.J. 295, 327 (1999). 96 Milligan, 9 S. Cal. Interdis. L.J. 295, 330 (1999); Granholm, 64 U. Det. L. Rev. 687, 710 (1987); Slobogin, 10 Harv. J. Law & Tec 383, 409 (1997). 97 Dazu Lockhart et al., S. 565–571. 98 Burrows, 31 Val. U.L. Rev. 1079, 1126 (1997). 99 Milligan, 9 S. Cal. Interdis. L.J. 295, 330 (1999); Granholm, 64 U. Det. L. Rev. 687, 708 (1987); Slobogin, 10 Harv. J. Law & Tec 383, 409 (1997).

Kapitel 5

Staatliche Videoüberwachung und Persönlichkeitsschutz in Deutschland Im deutschen Recht stellt sich das Problem, inwieweit polizeilichen Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 I i.V. m. 1 I GG verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt werden. Auch könnte diese Maßnahme das Recht am eigenen Bild betreffen.

A. Recht auf informationelle Selbstbestimmung I. Rechtsprechung des BVerfG 1. Das Volkszählungsurteil a) Reaktion auf die Möglichkeiten elektronischer Datenverarbeitung Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wurde durch das BVerfG im Volkszählungsurteil1 im Hinblick auf die Gefahr für das Persönlichkeitsrecht durch die neuartigen Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung entwickelt, durch welche Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person (personenbezogene Daten) unbegrenzt speicherbar und jederzeit verfügbar werden2. Diese Daten könnten mit anderen Datensammlungen kombiniert werden, so daß es möglich werde, ein umfassendes Persönlichkeitsbild zu erstellen, ohne daß der Betroffene die Richtigkeit der Daten oder deren Verwendung ausreichend kontrollieren könne3. Nach Ansicht des BVerfG wird dadurch auf das Verhalten des einzelnen durch den psychischen Druck öffentlicher Anteilnahme eingewirkt, was die individuelle Selbstbestimmung beeinträchtigt: „Wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffende Informationen in bestimmten Bereichen seiner 1 2 3

BVerfGE 65, 1. BVerfGE 65, 1 (42). BVerfGE 65, 1 (42).

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Kap. 5: Staatliche Videoüberwachung und Persönlichkeitsschutz

sozialen Umwelt bekannt sind und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden. Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen.“4 Hierdurch sieht das BVerfG nicht nur die Entfaltungschancen des einzelnen beeinträchtigt, sondern auch eine Beeinträchtigung für das Gemeinwohl, da Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens darstelle5. b) Schutzumfang Aus diesen Überlegungen heraus entwickelte das BVerfG zur Sicherung der freien Entfaltung der Persönlichkeit das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das den Schutz des einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten beinhaltet6. Hier knüpfte das BVerfG ausdrücklich7 an seine frühere Rechtsprechung zum Selbstbestimmungsrecht8 als Ausformung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts an, in der es die aus dem dem Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts zugrundeliegenden Gedanken der Selbstbestimmung folgenden Befugnis des einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden, bereits andeutete9. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung erfasse persönliche Daten jeglicher Art. Durch die Verarbeitungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten der Informationstechnologie könne jedes für sich gesehen unbedeutende Datum einen neuen Stellenwert erhalten, daher gebe es „unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung kein ,belangloses‘ Datum 4

BVerfGE 65, 1 (43). BVerfGE 65, 1 (43). 6 BVerfGE 65, 1 (1. Leitsatz und 43). 7 BVerfGE 65, 1 (42). 8 BVerfGE 54, 148 (155); 27, 1 (6); 27, 344 (350); 32, 373 (379); 35, 202 (220); 44, 353 (372). Siehe dazu auch oben Kapitel 3, A.II.2. Kritisch zu diesem Verweis des BVerfG auf seine frühere Rechtsprechung: Kunig, Jura 1993, 595 (596). 9 BVerfGE 54, 148 (155). 5

A. Recht auf informationelle Selbstbestimmung

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mehr“10. Ob Informationen sensibel seien, könne daher nicht danach bestimmt werden, ob sie intime Vorgänge beträfen, vielmehr sei der Verwendungszusammenhang entscheidend11. Das BVerfG macht hier noch einmal die Sphärenunabhängigkeit des Selbstbestimmungsrechts deutlich, wovon es seit der Eppler-Entscheidung12 im Unterschied zu seiner früheren Rechtsprechung13, nach der nur der Intim- oder Privatsphäre zugehörige Informationen geschützt sein sollten, ausgeht14. c) Beschränkbarkeit Wie das BVerfG weiter ausführt15, kommt dem einzelnen eine absolute Herrschaft über „seine“ Daten aber nicht zu. Aufgrund der Gemeinschaftsgebundenheit und -bezogenheit der Person, stellten personenbezogene Informationen ein Abbild sozialer Realität dar, das nicht ausschließlich dem Betroffenen allein zugeordnet werden könne, weshalb der einzelne Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen müsse. Beschränkungen bedürften nach Art. 2 I GG einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergäben und die damit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entsprächen. Der Gesetzgeber habe bei seinen Regelungen ferner den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Im Rahmen dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung spielt die Sphärenzugehörigkeit von Daten auch weiterhin eine Rolle, da anhand dieser in Kombination mit der Verwendungsintensität der Daten die Eingriffstiefe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht festgestellt werden kann16. Wie das BVerfG feststellt, könne ein überwiegendes Allgemeininteresse an persönlichen Daten nur dann bestehen, wenn es sich um Daten mit Sozialbezug handele unter Ausschluß unzumutbarer intimer Angaben und Selbstbezichtigungen17. Wegen der Gefährdungen durch die Nutzung der automatischen Datenverarbeitung habe der Gesetzgeber jedoch bei solchen Beschränkungen 10

BVerfGE 65, 1 (45). BVerfGE 65, 1 (45). 12 BVerfGE 54, 148 (155). Siehe auch oben Kapitel 3, A.II.2. 13 BVerfGE 27, 1 (6 f.); 27, 344 (350 f.); 32 373 (379); 35, 202 (220); 44, 353 (372). 14 BVerfGE 56, 37 (41); 63, 131 (142). 15 BVerfGE 65, 1 (43 f.). 16 Hubert, S. 87; BVerfGE 80, 367 (373 ff.). 17 BVerfGE 65, 1 (46). 11

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Kap. 5: Staatliche Videoüberwachung und Persönlichkeitsschutz

mehr als früher auch organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen, welche der Gefahr einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts entgegenwirkten18. Weiterhin müsse der Gesetzgeber den Verwendungszweck erhobener persönlicher Daten bereichsspezifisch und präzise bestimmen19. 2. Inhaltliche Weiterentwicklung Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wurde im Volkszählungsurteil mit Blick auf die Gefahren der elektronischen Datenverarbeitung kreiert, dann aber auch auf Fälle der Informationssammlung ohne EDV ausgedehnt20. Wie das BVerfG21 ausführt, haben zwar die Gefahren der automatischen Datenverarbeitung die Notwendigkeit eines Schutzes persönlicher Daten deutlicher werden lassen, sind aber nicht Grund und Ursache ihrer Schutzbedürftigkeit. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung setze daher nicht voraus, daß die erhobenen persönlichen Daten der automatischen Datenverarbeitung zugeführt würden. Es schütze vielmehr wegen seiner persönlichkeitsrechtlichen Grundlage generell vor staatlicher Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten. Auch muß die Datenerhebung nicht zwangsweise erfolgen22, wie es im speziellen Fall der Volkszählung gewesen war23. Spricht das BVerfG in neueren Entscheidungen von einem „Grundrecht auf Datenschutz“24, so bezieht sich dieses allein auf den Schutz von elektronisch gespeicherten Daten, also nur auf einen Teilbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung.

18

BVerfGE 65, 1 (44). BVerfGE 65, 1 (46). 20 BVerfGE 78, 77 (84); 80, 367. 21 BVerfGE 78, 77 (84). 22 BVerfGE 67, 100 (142 f.); in dieser Entscheidungen wird auf das Merkmal der zwangsweisen Erhebung verzichtet. 23 Vgl. auch Schlink, Der Staat 25 (1986), 233 (246 f.). 24 BVerfGE 84, 239 (280); BVerfG, StV 1991, 556. 19

A. Recht auf informationelle Selbstbestimmung

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II. Interpretation durch die Literatur 1. Recht auf informationelle Selbstbestimmung als allgemeines Abwehrrecht gegen Datenerhebung und -verwendung Die Rechtsprechung des BVerfG im Volkszählungsurteil ist in der Literatur zunächst auf einige Kritik gestoßen. Nun ist jedoch allgemein anerkannt, daß das Grundgesetz grundsätzlich die informationelle Selbstbestimmung25 schützt26. Hinsichtlich der Bestimmung des Schutzbereichs und des Eingriffs dieses Grundrechts bestehen jedoch nach wie vor einige Unklarheiten. Feststellen läßt sich, daß nach ganz herrschender Meinung27 das Recht auf informationelle Selbstbestimmung allgemein ein Abwehrrecht gegen jegliche staatliche Datenverwendung, von der Datenerhebung über deren Speicherung bis zur Nutzung und Weitergabe, darstellt. Es beinhaltet damit die allgemeine Integrität persönlicher Daten28 bzw. Informationen29, worunter Einzelangaben über persönliche oder sächliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person verstanden werden30. Einzelangaben sind Informationen, die sich auf eine bestimmte, einzelne natürliche Person beziehen oder geeignet sind, einen Bezug zu ihr herzustellen, insbesondere eine Identifizierung der Person zu ermöglichen31. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützt damit generell vor Datenverwendungen unabhängig von ihrer Art, insbesondere unabhängig davon, ob die erhobenen Daten einer automatisierten Datenverarbeitung zugeführt werden. Der Begriff der Verwendung ist daher technikneutral. Ebensowenig kommt es darauf an, wie persönlich der Inhalt einer Informa25 Einige Bundesländer haben das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in ihre Verfassungen aufgenommen, so Art. 21 b Verfassung von Berlin, Art. 11 Verfassung des Landes Brandenburg, Art. 6 I Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Art. 4 Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, Art. 2 Verfassung des Saarlandes, Art. 33 Verfassung des Freistaates Sachsen, Art. 6 I der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt und Art. 6 II Thüringer Verfassung. 26 Vgl. Kunig, Jura 1993, 595 (596 f.). 27 A.A. Aulehner, S. 397 ff., 399 ff., 448 ff., der sich auch eingehend mit der herrschenden Meinung kritisch auseinandersetzt. 28 Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz, Band 1, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 108. 29 Die beiden Begriffe werden hier synonym gebraucht. DiFabio, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, Band I, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 175. 30 § 3 I BDSG; Kunig, Jura 1993, 595 (600); Schmalz, Grundrechte, Rdnr. 428. 31 VG Halle, LKV 2000, 164, Vogelgesang, S. 25.

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Kap. 5: Staatliche Videoüberwachung und Persönlichkeitsschutz

tion ist. Wie es das BVerfG formuliert, gibt es kein „belangloses“ Datum wegen der bestehenden Verknüpfungsmöglichkeiten verschiedener bereits gesammelter persönlicher Informationen. Die Daten müssen nicht von vornherein individualisiert sein, es genügt, wenn diese individualisierbar sind. 2. Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, insbesondere durch faktische Maßnahmen Wie das BVerfG im Volkszählungsurteil ausführt, schützt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vor unbegrenzter Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe von persönlichen Daten32. Eine weitere Aussage zu der Frage, welcher Art die Datenerhebung oder die weitere Verwendung sein müssen, um einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darzustellen, findet sich jedoch nicht. Die Literatur hat sich daher intensiv mit dieser offenen Frage auseinandergesetzt und unterschiedliche Konzepte entwickelt. Legte man den sog. klassischen Eingriffsbegriff zugrunde, der noch heute den festen, allgemein anerkannten Kern der Eingriffsdogmatik bildet33 und nach dem nur hoheitliche, rechtsförmige, finale und unmittelbare Beeinträchtigungen eines Rechtsguts einen Eingriff darstellen, wäre allein der rechtlich durchsetzbare, rechtsförmig abgeforderte, unmittelbar beabsichtigte Zugriff auf ein personenbezogenes Datum zu Zwecken seiner Aufnahme in eine Datei als Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu qualifizieren34. Die Speicherung, Verwendung und Weitergabe der persönlichen Daten kann aber, entgegen der Intention des BVerfG im Volkszählungsurteil, nicht erfaßt werden35. Ebensowenig Datenerhebungen ohne Rechtszwang, wie sie im Bereich der inneren Sicherheit aber häufig vorkommen, etwa durch heimliche Observationen oder mittels V-Leuten36. Gerade wegen der Unzulänglichkeit des klassischen Eingriffsbegriffs, solches staatliche Handeln nicht erfassen zu können, das nicht alle vier klassischen Voraussetzungen kumulativ erfüllt, aber dennoch eine ebenso, wenn nicht noch intensivere und nachhaltigere Belastung für das Schutzgut darstellt wie ein klassischer Eingriff, ist in der ganz herrschenden Literatur und Rechtsprechung heute ein erweiterter Eingriffsbegriff anerkannt37. Alle 32

BVerfGE 65, 43. Isensee, in: HStR V, § 111, Rdnr. 61. 34 Kunig, Jura 1993, 595 (600). 35 Kunig, Jura 1993, 595 (600); Mayer-Metzner, S. 102 f. 36 Vgl. Schlink, Der Staat 25 (1986), 233 (239). 37 Siehe zur Wandlung des Eingriffsbegriffs Isensee, in: HStR V, § 111, Rdnr. 61 ff.; Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, S. 64 ff.; Roth, W., S. 7 ff. 33

A. Recht auf informationelle Selbstbestimmung

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vier Voraussetzungen des klassischen Eingriffsbegriffs werden dabei erweitert. Eingriff kann nun definiert werden als jedes staatliche Handeln, das dem einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht, gleichgültig ob diese Wirkung final oder unbeabsichtigt, unmittelbar oder mittelbar, rechtlich oder tatsächlich (faktisch, informal), mit oder ohne Befehl und Zwang erfolgt38. Eingriffe können damit auch faktische und ungewollte Beeinträchtigungen sowie mittelbare Einwirkungen darstellen. Voraussetzung ist aber, daß die beeinträchtigende Wirkung von einem ursächlichen und zurechenbaren Verhalten der öffentlichen Gewalt ausgeht39. Problematisch ist jedoch, daß unter diese weite Definition Grundrechtsbeeinträchtigungen von verschiedenster Wirkungsintensität fallen, sowie solche, die als Fern- oder Folgewirkungen staatlichen Handelns oder Unterlassens nur entfernt dem staatlichen Verantwortungsbereich zugeordnet werden können40. Im Bereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung unter Berücksichtigung der Vorgaben des BVerfG, daß der einzelne vor der Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten zu schützen sei und daß wegen der beliebigen Kombinierbarkeit kein persönliches Datum belanglos sein könne, hieße das, daß eine Fülle staatlicher Aktivitäten als Eingriffe zu werten wären. Eine grundrechtsrelevante Datenerhebung würde schon jegliche Kenntnisnahme personenbezogener Informationen darstellen. Ein solch weites Eingriffsverständnis wurde in der Literatur auch teilweise angenommen41. Eine Unterwerfung all dieser Beeinträchtigungen unter den grundrechtlichen Rechtfertigungszwang wird jedoch als impraktikabel und als für einen sinnvollen Grundrechtsschutz ungeeignet kritisiert42. Denn die Differenzierungsfähigkeit rechtsstaatlicher Gewährleistungen und die Wirksamkeit staatlichen Handelns würden beeinträchtigt43. Es sei insbesondere zu beachten, daß Staat und Verwaltung ohne eine Vielzahl auch persönlicher Informationen in verschiedenen Lebensbereichen nicht auskommen könnten44. 38

Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 240. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 240; BVerfGE 66, 39 (60). 40 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, S. 65. 41 Schwan, VerwArch. 66 (1975), 120 (127 ff.); Schwan, Amtsgeheimnis, S. 4 ff.; Kowalczyk, S. 48 ff. Ausführliche Kritik dazu bei Mayer-Metzner, S. 105; Deutsch, S. 131 f. 42 Vgl. Isensee, in: HStR V, § 111, Rdnr. 65; Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, S. 66. Vgl. auch Roth, W., S. 33 mit zahlreichen weiteren Nachweisen 43 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, S. 66. 44 Vgl. Benda, Rdnr. 27, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, § 6. 39

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Kap. 5: Staatliche Videoüberwachung und Persönlichkeitsschutz

Dem Eingriffstatbestand müsse daher durch Begrenzungen Kontur gegeben werden. Denn Grundrechte schützten nicht vor jeder nachteiligen Betroffenheit des einzelnen45. Weite Teile der Literatur fordern daher in diesem Zusammenhang die Berücksichtigung einer Relevanzschwelle bzw. eines Bagatellvorbehalts46. Danach seien Eingriffe von bloßen Belästigungen abzugrenzen. Belästigungen als zeitlich und inhaltlich unbedeutende Verhinderungen der Grundrechtsausübung stellten keinen Eingriff dar. Ein Eingriff setze erst ein, wenn die Schwelle von der bloßen Belästigung zur Beeinträchtigung überschritten werde. Zur Bestimmung dieser Relevanzschwelle sei das konkrete grundrechtliche Schutzanliegen Ausgangspunkt. Die Qualität und Empfindlichkeit des Schutzgutes, die Intensität der Gefahr sowie herrschende gesellschaftliche Anschauungen, die Sozialadäquanz, seien als Indikatoren heranzuziehen47. Für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bedeute dies, daß nicht jegliche Datenerhebung und Verwendung als Eingriff zu qualifizieren sei, sondern nur solche, die geeignet seien, eine Informationsverunsicherung bei dem betroffenen Bürger, dem Schutzanliegen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, herbeizuführen48. Eine solche könne bei einzelnen Arten des Informationsaustausches zwischen Bürger und Verwaltung nicht befürchtet werden. Als bloße „Bagatelle“ auszuschließen sei beispielsweise die Aufnahme von Daten durch eine Behörde im Rahmen alltäglicher Trivialkonversation49. Unterhalb der Relevanzschwelle liege auch etwa das Notieren des Namens eines Antragstellers in einer Akte oder das Festhalten des Inhalts eines Gesprächs oder eines Telefonanrufs50. Auch das (ungezielte) Beobachten einer Person im öffentlichen Raum durch eine Polizeistreife könne unterhalb dieser Relevanzschwelle liegen51. Hierbei könnten zwar personenbezogene Sachverhalte in nicht unerheblichem Umfang wahrgenommen werden, diese Datenerhebung sei aber grundrechtlich irrele45

BVerwGE 71, 183 (192); vgl. Roth, W., S. 33 m. w. N. Isensee, in: HStR V, § 111, Rdnr. 66; Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, S. 67; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 248; Kunig, Jura 1993, 595 (600); Kloepfer, S. 23 ff.: alleinige Relevanz eingriffsgleicher Belastungen; Dörschuck, S. 21: Rückbesinnung auf den Begriff der Wesentlichkeit bzw. der Erheblichkeit; Hoppe, S. 51 ff.; Mayer-Metzner, S. 107; jeweils m. w. N. Vgl. auch Roth, W., S. 34 mit zahlreichen weiteren Nachweisen. A.A. Schwan, Amtsgeheimnis, S. 14 ff.; Kowalczyk, S. 49 m. w. N. 47 Isensee, in: HStR V, § 111, Rdnr. 66. 48 Kunig, Jura 1993, 595 (601); Schmitt Glaeser, in: HStR VI, § 129, Rdnr. 97; vgl. auch Rosenbaum, Jura 1988, 178 (180). 49 Kunig, Jura 1993, 595 (601). 50 Beispiele aus Vogelgesang, S. 62. 51 Fischer, VBlBW 2002, 89 (92). 46

A. Recht auf informationelle Selbstbestimmung

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vant52. Die Person, die sich in die Öffentlichkeit begebe, müsse damit rechnen, von anderen, auch von einer Polizeistreife, wahrgenommen zu werden. Die Annahme einer Bagatellgrenze für relevante Grundrechtsbeeinträchtigungen wird von anderen Teilen der Literatur allerdings abgelehnt53. Staatliche Einwirkungen auf grundrechtliche Schutzgegenstände büßten nicht deshalb ihre abwehrrechtliche Beachtlichkeit als Grundrechtsbeeinträchtigung ein, weil sie, etwa aus Sicht des Staates, als geringfügig einzustufen wären54. Für eine solche Relativierung des Grundrechtsschutzes gäbe es keinen verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkt55. Die in Art. 1 III GG verpflichtete Staatsgewalt müsse die Grundrechte in vollem Umfange und nicht nur fast vollständig beachten56. Die Geringfügigkeit sei daher keine praktikable Kategorie zur Begrenzung grundrechtlich relevanten Staatshandelns, unabhängig davon, ob es sich um sog. klassische, imperative Rechtsakte oder sonstige Beeinträchtigungen handele57. Dogmatisch richtig sei es dagegen, das grundrechtsrelevante Staatshandeln dadurch abzugrenzen, daß die Schutzgegenstände der einzelnen grundrechtlichen Abwehrrechte selbst so bestimmt werden, daß „Bagatellen“ schon aus dem Schutzgegenstand ausgeschlossen sind58. So ließe sich für den Bereich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung tangierender, staatlicher Informationssammlungen formulieren, daß das „Normalmaß“ öffentlicher Kommunikation – alles das, was an personenbezogenen Informationen von jedermann (und damit auch von einer Polizeistreife) bei einfacher Beobachtung wahrgenommen werden kann – grundsätzlich vom Schutzbereich dieses Rechts ausgenommen ist59. Ist die Bewertung der grundrechtlichen Irrelevanz der Wahrnehmung von Personen durch Polizeistreifen allgemeine Ansicht, so bleibt es dennoch schwierig, eine Abgrenzung von solchen grundrechtsirrelevanten Wahrneh52

Deutsch, S. 143; Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, § 23 1. Höfling, in: Möller/v. Zezschwitz (Hrsg.), Videoüberwachung – Wohltat oder Plage?, 2000, 29 (33 f.); Sachs, in: Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, S. 209 f. 54 Höfling, in: Möller/v. Zezschwitz (Hrsg.), Videoüberwachung – Wohltat oder Plage?, 2000, 29 (33). 55 Höfling, in: Möller/v. Zezschwitz (Hrsg.), Videoüberwachung – Wohltat oder Plage?, 2000, 29 (33). 56 Höfling, in: Möller/v. Zezschwitz (Hrsg.), Videoüberwachung – Wohltat oder Plage?, 2000, 29 (33 f.); Sachs, in: Stern, Staatsrecht für die Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, S. 209 f. 57 Höfling, in: Möller/v. Zezschwitz (Hrsg.), Videoüberwachung – Wohltat oder Plage?, 2000, 29 (33 f.). 58 Höfling, in: Möller/v. Zezschwitz (Hrsg.), Videoüberwachung – Wohltat oder Plage?, 2000, 29 (34). 59 So Hoppe, S. 52. 53

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Kap. 5: Staatliche Videoüberwachung und Persönlichkeitsschutz

mungen zu eingreifenden Observationen vorzunehmen. Allgemeine Kriterien lassen sich kaum aufstellen60. Ein Ansatz einer Abgrenzung besteht hier in der Heranziehung der Zweckrichtung der Informationsgewinnung als Abgrenzungskriterium. Als grundrechtsrelevante Datenerhebung wird nur ein gezieltes, auf Kenntniserlangung von personenbezogenen Informationen gerichtetes staatliches Handeln angesehen61. Eine nur zufällige Wahrnehmung von Personen genüge dagegen nicht, wie sie etwa typischerweise bei dem polizeilichen Streifengang erfolge62. Weiterhin werden die Systematik, Intensität und Dauer einer gezielten Beobachtung als Abgrenzungskriterien gewertet63. Grundrechtseingriff ist daher jedenfalls eine systematische, gezielte Beobachtung von einiger Intensität und gewisser Dauer64.

III. Meinungsstand zur Eingriffsqualität von Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte In der Literatur haben sich zahlreiche Autoren mit der rechtlichen Problematik von polizeilichen Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte, insbesondere auch mit ihrer Eingriffsqualität bezüglich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung befaßt. In der Rechtsprechung finden sich momentan lediglich zwei Entscheidungen zu diesem Problem. Das VG Karlsruhe entschied eine allgemeine Leistungsklage betreffend der Videoüberwachung in Mannheim65, das VG Halle befaßte sich mit einem Antrag auf Untersagung der polizeilichen Videoüberwachung des Marktplatzes in Halle im Wege der einstweiligen Anordnung66. Diese Ansichten in Literatur und Rechtsprechung bezüglich der Eingriffsqualität von Videoüberwachungen unterscheiden sich in einigen, umstrittenen Punkten stark voneinander. Zur Beantwortung der Frage, ob Videoüberwachungen öffentlicher Orte in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen, wird diese Maßnahme in ihren einzelnen Schritten getrennt betrachtet. Videoüberwachungen können in der Weise erfolgen, daß zunächst nur Übersichtsaufnahmen, also solche auf denen einzelne Personen nicht identifiziert werden können, gemacht und in eine Beobachtungszentrale übertragen werden. 60

Deutsch, S. 144. Waechter, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 514. 62 Deutsch, S. 143; Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, § 23 1; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 179. 63 Hoppe, S. 52. 64 Deutsch, S. 144. 65 VG Karlsruhe, VBlBW 2002, 131. 66 VG Halle, LKV 2000, 164. 61

A. Recht auf informationelle Selbstbestimmung

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Hiervon unterschieden wird die Aufzeichnung solcher Übersichtsbilder. Des weiteren werden die Aufnahme von identifizierbaren Personen, also deren bloße Beobachtung mittels einer Kamera ohne Speicherung der Bilder, die Aufzeichnung dieser Aufnahmen von Personen sowie die spätere Verwendung der mit der Überwachung gewonnenen Daten getrennt voneinander bewertet. 1. Aufnahme erkennbarer Personen Bei einer Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte ist es möglich, Personen als erkennbare und identifizierbare Individuen zu beobachten, wodurch sich personenbezogene Informationen über diese sammeln lassen. Denn das Sich-Aufhalten an einem bestimmten öffentlich zugänglichen Ort zu einer bestimmten Zeit stellt einen persönlichen Lebenssachverhalt dar. Diese Wahrnehmung erfolgt ohne rechtlichen Zwang, so daß hier das oben erörterte Problem der Eingriffsqualität faktischer Wahrnehmung personenbezogener Informationen durch polizeiliche Beobachtung aufgeworfen wird. Die bloße Beobachtung öffentlicher Orte mittels Videokamera wird häufig mit der Situation der Anwesenheit eines (Streifen-)Polizisten an diesem Ort verglichen67. Die Kamera werde lediglich als „Auge der Polizei“ eingesetzt. Durch sie werde nur die Raumsituation am Monitor sichtbar gemacht. Es würden nur solche Informationen über Personen wahrgenommen, wie dies auch durch Streifenbeamte möglich wäre. Eine nur zufällige Wahrnehmung von Personen durch eine Polizeistreife stelle aber nach allgemeiner Ansicht keine grundrechtsrelevante Datenerhebung dar68. Polizeibeamte, die „wachen Auges“ durch die Straßen gehen, erhöben keine personenbezogenen Daten69, solange sie nicht gezielt gegen eine bestimmte Person vorgingen70. Es stellt sich damit die Frage, ob die bloße Wahrnehmung von Personen im Rahmen der allgemeine Beobachtung eines öffentlichen Platzes mit Hilfe von Videokameras ebenso als grundrechtsirrelevante Beobachtung zu qualifizieren ist, solange nicht eine bestimmte Person gezielt in den Blickpunkt der Kamera gerät. Denn dann kann eine finale Erhebung persönlicher 67

Siehe etwa VG Halle, LKV 2000, 164 (165); Koch, S. 123. Siehe etwa Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 179; Bäumler, in: Lisken/Denninger, HbdPolR, J, Rdnr. 58; Koch, S. 41; Deutsch, S. 143; Drews/Wacke/ Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, § 23 1. 69 Bäumler, in: Lisken/Denninger, HbdPolR, J, Rdnr. 58. 70 Koch, S. 41; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 179; Schwabe, DVBl. 2000, 1815 (1817); Bäumler, in: Lisken/Denninger, HbdPolR, J, Rdnr. 58. 68

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Kap. 5: Staatliche Videoüberwachung und Persönlichkeitsschutz

Daten nicht bestritten werden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn von bloßen Übersichtsaufnahmen zur Detailaufnahme einer Person durch Heranzoomen übergegangen wird, etwa weil konkrete Anhaltspunkte für die Begehung einer Straftat vorliegen. Diese gezielte Beobachtung ist nach allgemeiner Ansicht als Grundrechtseingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu werten. Aber auch die allgemeine Videoaufnahme von Personen an öffentlichen Orten wird zunehmend als grundrechtsrelevante Datenerhebung angesehen71. Im Unterschied zur Polizeistreife liege bei der Überwachung durch fest installierte Kameras eine zielgerichtete Beschaffung von Informationen vor, da alle Personen, die einen bestimmten Bereich betreten, aufgenommen werden72. Weiterer wesentlicher Unterschied sei der Quantitäts- und Qualitätssprung der Videoüberwachung gegenüber der Beobachtung mit bloßem Auge aufgrund der modernen Technik73. Das technische Gerät ermögliche zum einen eine wesentlich intensivere und umfassendere Beobachtung74. Zum anderen könne bei einer Beobachtung mit technischen Mitteln, wie der Videoüberwachung, der Betroffene unter einen Überwachungsdruck geraten75, insbesondere da er nicht erkennen könne, ob nur eine reine Beobachtung oder auch eine Aufzeichnung seines Bildes erfolge76. Die Videoüberwachung und der normale Streifengang der Polizei seien aus diesen Gründen nicht ohne weiteres vergleichbar. Die Videoaufnahme erkennbarer Personen sei damit keine bloße Bagatellbeeinträchtigung. Können Datenerhebungen durch Beobachtung nur dann als Grundrechtseingriff angesehen werden, wenn aufgrund ihrer Finalität, Intensität, ihres Umfangs oder ihrer Dauer die Schwelle zur eingriffsgleichen Belastung überschritten ist77, so wird dies aufgrund dieser Argumente als erfüllt angesehen78. 71

Dolderer, NVwZ 2001, 130 (131); Kloepfer/Breitkreuz, DVBl. 1998, 1149 (1152); BVerwG, DVBl. 1989, 201; Geiger, S. 186; Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (79); Koch, S. 123; Zeitler, Versammlungsrecht, Rdnr. 401. A.A. VG Halle, LKV 2000, 164 (165). 72 Koch, S. 123. 73 Robrecht, NJ 2000, 348 (350); Fischer, VBlBW 2002, 89 (92). 74 Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (79); Geiger, S. 181; Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (207). 75 Kloepfer/Breitkreuz, DVBl. 1998, 1149 (1152); BVerwG, DVBl. 1989, 201; Geiger, S. 181, der allerdings ein aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitetes Recht, vor staatlicher Überwachung mit technischen Mitteln verschont zu bleiben, als betroffen ansieht. 76 Koch, S. 123; Zeitler, Versammlungsrecht, Rdnr. 401. 77 Kloepfer/Breitkreuz, DVBl. 1998, 1149 (1152); Deutsch, S. 144; Fischer, VBlBW 2002, 89 (92); vgl. auch Schwabe, DVBl. 2000, 1815 (1819). 78 Kloepfer/Breitkreuz, DVBl. 1998, 1149 (1152); Fischer, VBlBW 2002, 89 (92).

A. Recht auf informationelle Selbstbestimmung

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2. Aufzeichnung von Personen Die Aufzeichnung von Bildern von zumindest identifizierbaren Personen macht deren personenbezogene Informationen abrufbar und stellt damit eine Datenspeicherung dar79. Die Aufzeichnung von Personen mittels Videogerät wird damit ebenfalls als Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung qualifiziert80. Diese Bewertung von Bildaufnahmen und -aufzeichnungen, die Personen identifizierbar machen, ist heute herrschende Meinung. 3. Aufnahme und Aufzeichnung von Übersichtsbildern Sehr umstritten ist dagegen die Eingriffsqualität von Aufnahme und Aufzeichnung von Übersichtsbildern, also solchen Bildern, auf denen keine Personen oder personenbezogene Merkmale erkennbar sind. Einzelne Personen sind nicht unmittelbar identifizierbar. Zumindest bei der bloßen Aufnahme von Übersichtsbildern werden daher (noch) keine personenbezogenen Informationen erhoben. Dies war nach bisherigem Verständnis jedoch immer Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Umstritten ist nun die Frage, ob dieses Grundrecht auch auf den Fall der Übersichtsaufnahme erweitert werden soll, oder, anders formuliert, ob das Recht auf informationelle Selbstbestimmung so ausgelegt werden kann, daß auch die Anfertigung von Übersichtsbildern einen Eingriff darstellt. Zur Klärung dieses Problems ist zwischen der reinen Aufnahme von Übersichtsbildern, wie sie etwa bei der Bildübertragung im Kamera-Monitor-Prinzip in eine Beobachtungszentrale erfolgt, und deren Speicherung, also deren Aufzeichnung, zu differenzieren. a) Aufzeichnen von Übersichtsbildern aa) Parallelproblem: Übersichtsbilder von Versammlungen und Demonstrationen Das Problem der Eingriffsqualität von Übersichtsaufnahmen und -aufzeichnungen wurde zuerst im Rahmen der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 I GG diskutiert. Anlaß dazu gab die polizeiliche Praxis, zu Zwecken der Einsatzleitung oder zur Dokumentation für möglicherweise folgende Ermitt79

Fischer, VBlBW 2002, 89 (92); Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (79). Geiger, S. 187; VG Halle, LKV 2000, 164. Vgl. schon BVerfG, NStZ 1983, 84; BGH, StV 1998, 169 (170). 80

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Kap. 5: Staatliche Videoüberwachung und Persönlichkeitsschutz

lungsverfahren, Demonstrationen oder Versammlungen mittels Videokameras zu überwachen. Dabei entstand Streit darüber, ob in der Aufzeichnung von Übersichtsbildern ein Grundrechtseingriff in Art. 8 I GG erblickt werden könne. Vom Schutzbereich des Art. 8 I GG umfaßt ist auch die innere Entschlußfreiheit, an einer Versammlung teilzunehmen81. Eine staatliche Überwachungsmaßnahme greift dann in die innere Entschlußfreiheit ein, wenn die Angst vor staatlicher Überwachung dazu führt, daß der einzelne lieber auf die Grundrechtsausübung verzichtet82. Das BVerfG hat daher einen Eingriff bei „exzessive(n) Observationen und Registrierungen“ angenommen83. Unklar bleibt jedoch, wann eine Überwachung als „exzessiv“ zu bewerten ist und welche Ängste, die ja auch bei „normaler“ Überwachung entstehen können, berücksichtigt werden müssen84. Hiervon ausgehend reicht nach teilweise vertretener Ansicht85 die Aufzeichnung bloßer Übersichten, die nicht auf die Erfassung einzelner Demonstranten abzielen, nicht zur Begründung eines Grundrechtseingriffs. Der einzelne fungiere hier im Bildkontext lediglich als anonymes Bildelement. Er werde lediglich als Bestandteil einer Menschenmenge aufgezeichnet, wobei jeder personale Bezug fehle86. Ein Grundrechtseingriff komme erst in dem (späteren) Zeitpunkt der tatsächlichen Individualisierung der Person in Betracht. Denn das besondere Schutzbedürfnis setze dort ein, wo der Betroffene als Person individuell erfaßt ist87. Eine andere Ansicht88 bejaht schon bei Übersichtsaufzeichnungen einen Eingriff in Art. 8 I GG mit dem Argument, daß das aufgezeichnete Videomaterial personenbezogen ausgewertet werden könne. Denn aufgrund der heutigen Technik mit ihren Bildverbesserungs- und Bildvergrößerungsmöglichkeiten sei es möglich, einzelne, von den Übersichten erfaßte Personen nachträglich zu individualisieren. Im übrigen sei es für die Beeinträchtigung der von Art. 8 I GG umfaßten Entschlußfreiheit überhaupt unerheblich, ob die Aufzeichnungen später zur 81

Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 706. BVerfGE 65, 1 (43). 83 BVerfGE 69, 315 (349). 84 Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 706. 85 Krüger, Versammlungsrecht, S. 90; Götz, NVwZ 1990, 112 (114); Niethammer, BayVBl. 1990, 513 (514). 86 Krüger, Versammlungsrecht, S. 90. 87 Krüger, Versammlungsrecht, S. 90. 88 Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 12 a, Rdnr. 13; Zeitler, Versammlungsrecht, Rdnr. 396; Riegel, NVwZ 1990, 745; Kloepfer/Breitkreuz, DVBl. 1998, 1149 (1152); VG Bremen, NVwZ 1989, 896; Kniesel, in: Lisken/Denninger, HbdPolR, H, Rdnr. 482. 82

A. Recht auf informationelle Selbstbestimmung

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Identifizierung einzelner Demonstrationsteilnehmer benutzt werden sollen oder nicht89. Denn durch staatliche Überwachung, deren Zweck und Ausmaß von den Betroffenen nicht erkannt werden könne, könnten diese von der Ausübung ihrer Grundrechte abgeschreckt werden90. bb) Übersichtsbilder von öffentlich zugänglichen Orten Mit denselben Argumenten wird die Diskussion zur Eingriffsqualität der Aufzeichnung von Übersichten im Rahmen der Videoüberwachung öffentlicher Orte bezüglich des allgemeineren Rechts auf informationelle Selbstbestimmung geführt. Nach wohl herrschender Ansicht91 kommt es für die Eingriffsqualität von Videoaufzeichnungen nicht darauf an, ob diese nur Übersichtsbilder oder Bilder unmittelbar identifizierbarer Personen enthalten. Maßgeblich sei nicht der Zeitpunkt der tatsächlichen Individualisierung, sondern es genüge vielmehr die Sammlung von individualisierbaren Daten für das Vorliegen eines Eingriffs. Bei aufgezeichneten Übersichtsaufnahmen sei es durch Bildvergrößerungen und Computerunterstützung möglich, nachträglich die Bilder personenbezogen auszuwerten und so Personen zu identifizieren. Die Aufzeichnung von Übersichtsaufnahmen trage daher schon den „Erhebungskern“ in sich92 und stelle daher schon einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Hierbei soll es keine Rolle spielen, ob bei der Aufzeichnung schon feststeht, daß das Videomaterial später verarbeitet und genutzt werden soll oder nicht93. Als Begründung wird angeführt, daß der Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung schon im Moment der Aufzeichnung von Übersichten tangiert sei, da der einzelne damit die Möglichkeit verliere, 89

Zeitler, Versammlungsrecht, Rdnr. 396. Zeitler, Versammlungsrecht, Rdnr. 396; Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 12 a, Rdnr. 14; Braun, Die Polizei 1990, 49 (50 f.). 91 Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 186; Fischer, VBlBW 2002, 89 (92); Robrecht, NJ 2000, 348 (349); Kloepfer/Breitkreuz, DVBl. 1998, 1149 (1152), Höfling, in: Möller/v. Zezschwitz (Hrsg.), Videoüberwachung – Wohltat oder Plage?, 2000, 29 (35 f.); Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (206 f.); Roggan, NVwZ 2001, 134 (136 f.); Hasse, ThürVBl. 2000, 169 (171); Maske, NVwZ 2001, 1248 (1149); Weichert, DuD 2000, 662 (663); BVerwG, DVBl. 1989, 200 (201); VG Halle, LKV 2000, 164. Siehe auch BGH, NJW 1995, 1955 (1957); LG Braunschweig, NJW 1998, 2457 f.; BGH NJW 1998, 1237 f. 92 Robrecht, NJ 2000, 348 (349). Teilweise wird in der Aufzeichnung von Übersichtsbildern schon direkt eine Erhebung personenbezogener Daten gesehen; so Riegel, NVwZ 1990, 745. 93 Robrecht, NJ 2000, 348 (349); Hasse, ThürVBl. 2000, 169 (171). 90

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Kap. 5: Staatliche Videoüberwachung und Persönlichkeitsschutz

selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Dies hänge nämlich nur noch davon ab, in welcher technischen Weise die gewonnenen Informationen weiter genutzt werden, ohne daß der einzelne hierauf Einfluß nehmen könne94. Auch ließe sich das verfassungsrechtliche Konstrukt der Grundrechtsgefährdung instrumentalisieren, nach welchem der Grundrechtsschutz schon im Moment der Schutzbereichsgefährdung einsetzt95. Nach anderer Ansicht96 wird durch die Aufzeichnung von Übersichten, die nicht im Hinblick auf die spätere Auswertung aufgenommen werden, die Eingriffsschwelle noch nicht überschritten, da sich die Maßnahme bloß gegen ein anonymes Geschehen richte und daher keinen individuellen Eingriff darstellen könne97. Erst eine gezielte Beobachtung einer Person oder die Aufzeichnung der Bilder zwecks Identifizierung von Personen stelle einen Eingriff dar98. In der nachträglichen Bearbeitung und Auswertung der Aufzeichnungen von Übersichtsbildern im Rahmen der Videoüberwachung öffentlicher Plätze könne dann aber ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung erblickt werden. Nach dieser Ansicht ist also die tatsächliche Individualisierung des Aufgenommenen und nicht die bloß bestehende technische Möglichkeit dazu entscheidend. b) Aufnahme von Übersichtsbildern Höchst umstritten ist die Frage, ob die bloße Videoaufnahme von Übersichtsbildern ohne deren Aufzeichnung einen Grundrechtseingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt. Eine Erhebung personenbezogener Daten liegt hier eindeutig nicht vor und ist, anders als bei einer Aufzeichnung der Bilder, auch später nicht möglich. Aus diesem Grund erscheint es fraglich, ob durch diese Maßnahme der Schutzbereich des informationellen Selbstbestimmungsrechts berührt wird.

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Hasse, ThürVBl. 2000, 169 (171). Hasse, ThürVBl. 2000, 169 (171). 96 Keller, Kriminalistik 2000, 187 (188); Dörschuck, S. 26; weitere Nachweise bei Robrecht, NJ 2000, 348 (349). 97 Tetsch/Temme, Eingriffsrecht, S. 256 f. 98 Keller, Kriminalistik 2000, 187 (188). 95

A. Recht auf informationelle Selbstbestimmung

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aa) Parallele: Übersichtsbilder von Demonstrationen und Versammlungen Wie bereits oben geschildert, entfachte sich die Diskussion zur Eingriffsqualität von Übersichtsaufnahmen zunächst an der polizeilichen Videoüberwachung von Demonstrationen und Versammlungen. Im Rahmen dieser Diskussion wird die bloße Übertragung von Übersichtsbildern in eine Beobachtungszentrale meist nicht als Eingriff in Art. 8 I GG bewertet99. Hierbei würden lediglich Personen in der Menge bzw. die Menge als solche nur im Monitor sichtbar gemacht, was sich nicht von der Situation unterscheide, in der das Versammlungsgeschehen mit einem Fernglas beobachtet wird100. Von einer in Art. 8 I GG eingreifenden, „exzessiven“ Überwachung könne hier daher nicht gesprochen werden. Von anderen wird als Argument für die Bejahung eines Grundrechtseingriffs in Art. 8 I GG die Möglichkeit einer Verhaltensänderung der betroffenen Personen allein aufgrund der Beobachtungssituation angeführt101. Insbesondere da der Betroffene Art und Umfang seiner Erfassung nicht kennen könne, könne er von der Ausübung seiner Demonstrations- bzw. Versammlungsfreiheit abgehalten werden. Hierin könne ein Eingriff in den von Art. 8 I GG beinhalteten Aspekt der Entschlußfreiheit102 erblickt werden. bb) Übersichtsbilder von öffentlich zugänglichen Orten (1) Eingriff wegen psychischen Überwachungsdrucks Eben diese Argumentation wird auch auf den Fall der Videoüberwachung öffentlicher Orte übertragen. Durch die Videoüberwachung könne ein psychischer Überwachungsdruck entstehen, der das Verhalten des Betroffenen verändern und so die freie Entfaltung der Persönlichkeit beeinträchtigen könne, so daß ein Eingriff in Art. 2 I i.V. m. 1 I GG zu bejahen sei103. 99 Siehe Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 12 a, Rdnr. 13; Riegel, NVwZ 1990, 745. Ebenso die Stimmen, die schon im Falle der Aufzeichnung von Übersichtsbildern einen Grundrechtseingriff ablehnen: Krüger, Versammlungsrecht, S. 90; Götz, NVwZ 1990, (112) 114; Niethammer, BayVBl. 1990, 513 (514). 100 Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 12 a, Rdnr. 13. 101 Vgl. Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (78); Keller, Kriminalistik 2000, 187 (188). 102 Bzw. ein Eingriff in die sog. „innere Versammlungsfreiheit“, vgl. Keller, Kriminalistik 2000, 187 (188). 103 Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (207); Hasse, ThürVBl. 2000, 169 (171); Robrecht, NJ 2000, 348 (349); Roggan, NVwZ 2001, 134 (136); Büllesfeld, S. 123;

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Kap. 5: Staatliche Videoüberwachung und Persönlichkeitsschutz

Dieser psychische Überwachungsdruck entstehe dadurch, daß eine Person, die den überwachten öffentlichen Ort betritt, weder wissen noch beeinflussen könne, inwieweit sie Objekt der polizeilichen Beobachtung ist. Selbst bei Aufklärung über die praktische Durchführung der Videoüberwachung sei dies nicht möglich104. Denn insbesondere könne die betroffene Person nicht feststellen, ob eine bloße Übersichtsaufnahme oder schon eine Aufzeichnung erfolgt105, ob sie bei einer Nahaufnahme eines potentiellen Straftäters mit ins Visier gerät oder ob sie selbst aufgrund (ungewollt) verdächtigen Verhaltens gezielt beobachtet wird106. Die beiden letzten Beispiele zeigten, daß selbst rechtstreue Bürger ihre Erfassung durch ihr eigenes Verhalten nicht ausschließen könnten. Durch diese Unsicherheit entstehe – völlig unabhängig von einer Aufzeichnung der Bilder – ein psychischer Überwachungsdruck, der zu einem „kamera-orientierten“ Verhalten der Betroffenen und einem ungewollten Verzicht der Grundrechtswahrnehmung führen könne107. Auch in der reinen Aufnahme von Übersichtsbildern sei daher ein Grundrechtseingriff zu erblicken. Als dogmatische Begründung dieser Ansicht wird angeführt, daß zur Feststellung eines Eingriffs auch subjektive Beeinträchtigungen zu berücksichtigen seien und nicht allein objektive Umstände, wie es jedoch die Gegenansicht tue108. Nicht entscheidend sei die objektive Zweckrichtung des staatlichen Handelns, sondern die beeinträchtigende Wirkung beim Betroffenen, die auch als subjektiv empfundene Beeinträchtigung grundrechtsrelevant sei. Der Eingriffsbegriff sei insofern zu erweitern. Die Vertreter dieser Ansicht sehen sich im Einklang mit der Rechtsprechung des BVerfG im Volkszählungsurteil. Dort hatte das Gericht ausgeführt, daß die neuartigen Möglichkeiten der Einsicht- und Einflußnahme sich auf das Verhalten des einzelnen durch den psychischen Druck öffentlicher Anteilnahme auswirken können. Die individuelle Selbstbestimmung setze aber voraus, daß der einzelne sich frei von solch psychischem Druck entscheiden könne, eine Handlung vorzunehmen oder nicht und auch entsprechend dieser Entscheidung zu handeln109. Das BVerfG habe damit auch subjektive Empfindungen zur Höfling, in: Möller/v. Zezschwitz (Hrsg.), Videoüberwachung – Wohltat oder Plage?, 2000, 29 (37 f.); vgl. auch BGH NJW 1995, 1955 (1957). 104 Robrecht, NJ 2000, 348 (349). 105 Dies wird auch von Keller, Kriminalistik 2000, 187 (188), zugestanden, der dennoch die Eingriffsqualität von Übersichtsaufnahmen ablehnt. 106 Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (207). 107 Robrecht, NJ 2000, 348 (349). 108 Roggan, NVwZ 2001, 134 (136); Robrecht, NJ 2000, 348 (349). Vgl. auch Kloepfer/Breitkreuz, DVBl. 1998, 1149 (1152); Roos, Kriminalistik 1994, 674 (675). 109 BVerfGE 65, 1 (42).

A. Recht auf informationelle Selbstbestimmung

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Begründung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung herangezogen110. Die Ansichten von Höfling111 und Büllesfeld112, die im Ergebnis ebendies vertreten, unterscheiden sich in ihrem dogmatischen Ansatz von der oben erörterten Ansicht, indem sie zunächst eine differenzierte Betrachtung des Schutzbereichs des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung vornehmen. Dabei erzielen sie das Ergebnis, daß dieses Grundrecht auch die Abwesenheit von Gefährdungen ihrer identitätsstiftenden Selbstbestimmungsfreiheit zum Schutzgegenstand hat. Eine solche liege jedoch bei Videoüberwachungen auch in Form reiner Übersichtsaufnahmen aufgrund des psychisch vermittelten Überwachungsdrucks vor, so daß hierin ein Grundrechtseingriff zu erblicken sei. Büllesfeld113 geht sogar soweit, darüber hinaus auch bei einem Aufstellen von Kameraattrappen, die keinerlei Bildaufnahmen oder gar Bildaufzeichnungen ermöglichen, oder „Placebohinweistafeln“ aufgrund des dennoch denkbaren Überwachungsdrucks einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung anzunehmen. (2) Grundrechtsgefährdung wegen Vergrößerungsund Aufzeichnungsmöglichkeiten Befürworter eines Grundrechtseingriffs durch Übersichtsaufnahmen begründen dies des weiteren mit der bei den meisten Videoüberwachungssystemen prinzipiell bestehenden technischen Möglichkeit der Vergrößerung und Aufzeichnung während der Aufnahme114 und der davon ausgehenden Grundrechtsgefährdung115. Soweit Überwachungskameras über Zoom bzw. Aufzeichnungsmöglichkeiten verfügen, bestehe bereits in dem Moment der Übersichtsaufnahme die Gefahr der Grundrechtsverletzung durch Aufzeichnung oder Heranzoomen von Personen. Diese Gefahr sei wegen des Überwachungszweckes, der gerade eine solche Datenerhebung indiziere, nicht gering zu schätzen116. 110

Roggan, NVwZ 2001, 134 (136). Höfling, in: Möller/v. Zezschwitz (Hrsg.), Videoüberwachung – Wohltat oder Plage?, 2000, 29 (37 f.). 112 Büllesfeld, S. 122 f. 113 Büllesfeld, S. 123. 114 Hasse, ThürVBl. 2000, 169 (171); Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 ff.; siehe auch Informationen, Videokontrolle als effektive Verbrechensbekämpfung?, DRiZ 2001, 85 (88). 115 Fischer, VBlBW 2002, 89 (92); Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (206 f.), die jedoch selbst zu bedenken geben, daß das Konstrukt der Grundrechtsgefährdung nicht ganz unumstritten sei. 111

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Kap. 5: Staatliche Videoüberwachung und Persönlichkeitsschutz

Hauptziel der Überwachung öffentlicher Plätze sei die Verhinderung und Bekämpfung von Kriminalität durch Abschreckung potentieller Straftäter von der Tatbegehung. Lediglich durch die Anfertigung von Übersichtsaufnahmen ohne Identifikationsmöglichkeit könne dieses Ziel jedoch nicht erreicht werden. Die präventiv abschreckende Wirkung der Videoüberwachung würde entfallen, wenn der potentielle Straftäter nicht mit einer Aufzeichnung rechnen müßte. Denn zur Abschreckung sei es notwendig, daß eine schnelle und effiziente Strafverfolgung drohe, wozu die Aufzeichnung der beobachteten Vorgänge erforderlich sei117. Die Möglichkeit der Identifizierung der im Bild erfaßten Personen sei damit schon mit dem Überwachungszweck angelegt118. Ein effektiver Grundrechtsschutz müsse deshalb schon im Moment der Anfertigung von Übersichtsaufnahmen einsetzen. (3) Kein Grundrechtseingriff durch Übersichtsaufnahmen Nach anderer Ansicht119 stellt die Übersichtsaufnahme ohne Aufzeichnung keinen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Häufig wird diese Form der Überwachung als schlicht hoheitliches Handeln eingestuft120. Hauptargument dieser Ansicht ist, daß bei der Übertragung von Übersichtsaufnahmen in eine Beobachtungszentrale noch keine Erhebung persönlicher Daten erfolgt121. Die Personen sind nicht identifizierbar, ihre Anonymität bleibt gewahrt. Die technische Möglichkeit, jederzeit von Übersichtsaufnahmen zu Detailaufnahmen oder Aufzeichnungen überzugehen, ändere an dieser Bewertung nichts. Die hiervon ausgehende Grundrechtsgefährdung könne (noch) nicht einem faktischen Grundrechtseingriff gleichgestellt werden122. 116

Vgl. Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (206). Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (206); Informationen, Videokontrolle als effektive Verbrechensbekämpfung?, DRiZ 2001, 85 (88). 118 Informationen, Videokontrolle als effektive Verbrechensbekämpfung?, DRiZ 2001, 85 (88). 119 Keller, Kriminalistik 2000, 187 (188); Wohlfarth, RDV 2000, 101 (102); Maske, NVwZ 2001, 1248 (1249); Müller, Die Polizei 1997, 77 (78); Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (78); Weichert, DuD 2000, 662 (663); Dolderer, NVwZ 2001, 130 (131), der aber einen Eingriff in das allgemeine Freiheitsrecht nach Art. 2 I GG bejaht; VG Halle, LKV 2000, 164; VG Karlsruhe, VBlBW 2002, 131 (132). 120 Müller, Die Polizei 1997, 77 (78) für die PD Leipzig; Keller, Kriminalistik 2000, 187 (188); Wohlfarth, RDV 2000, 101 (102). 121 VG Halle, LKV 2000, 164; Dolderer, NVwZ 2001, 130 (131); Müller, Die Polizei 1997, 77 (78). 117

A. Recht auf informationelle Selbstbestimmung

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Des weiteren wird häufig argumentiert, die Übersichtsaufnahme liege unterhalb der vom Bürger zu tolerierenden Bagatellgrenze123. Hier wird der Vergleich zur Beobachtung durch auf dem öffentlichen Platz tatsächlich anwesende Polizeibeamte gezogen124. Wie oben schon erörtert, wird bei anwesenden Polizeibeamten ein Grundrechtseingriff durch Beobachtung erst dann angenommen, wenn dabei eine bestimmte Person gezielt in den Blickpunkt gerät. Die bloß beobachtende Gegenwart eines Polizisten, wie etwa bei einer Polizeistreife, genügt nach allgemeiner Ansicht dazu nicht. In der Öffentlichkeit beobachtet zu werden, gehöre zum allgemeinen Lebensrisiko. Wer sich in der Öffentlichkeit aufhalte, müsse auch damit rechnen, von anderen wahrgenommen zu werden125. Nichts anderes geschehe bei der Fernbeobachtung mittels Kamera-Monitor-Prinzip, die sich in ihrer Auswirkung auf den beobachteten Bürger nicht von der bloß beobachtenden Gegenwart eines Polizisten unterscheide126. Die einen Grundrechtseingriff bejahende Gegenansicht setze sich zu diesem Befund in Widerspruch. Denn bei Einbeziehung subjektiver Empfindungen zur Feststellung eines Grundrechtseingriffs müßte konsequenterweise auch der Fall der bloßen Gegenwart eines Polizisten als Eingriff gewertet werden, da der Bürger eine Datenerhebung durch diesen vermuten und sich beeinträchtigt fühlen könnte127. Die Berücksichtigung subjektiver Komponenten individualisiere den Eingriffsbegriff daher zu sehr und lasse ihn konturlos werden. Auch wird argumentiert, daß aufgrund öffentlich wahrnehmbarer Hinweise der Bürger die Möglichkeit habe, den beobachteten Bereich zu umgehen. Daher könne keine eingriffsgleiche Belastung wegen eines entstehenden Überwachungsdrucks angenommen werden128. (4) Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 I GG Einen weiteren Ansatz verfolgt Dolderer129. Er lehnt mangels Datenerhebung einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch Übersichtsaufnahmen ab, hält aber den von der Videoüberwachung ausgehenden Anpassungsdruck auf die Betroffenen für grundrechtlich rele122 123 124 125 126 127 128 129

Dolderer, NVwZ 2001, 130 (131). Wohlfarth, RDV 2000, 101 (102); Maske, NVwZ 2001, 1248 (1249). VG Halle, LKV 2000, 164 f.; Maske, NVwZ 2001, 1248 (1249). Vgl. Wohlfarth, RDV 2000, 101 (102). Maske, NVwZ 2001, 1248 (1249). Keller, Kriminalistik 2000, 187 (188). Wohlfarth, RDV 2000, 101 (102). Dolderer, NVwZ 2001, 130 (131 f.).

102

Kap. 5: Staatliche Videoüberwachung und Persönlichkeitsschutz

vant. Dieser Überwachungsdruck könne dazu führen, daß die Betroffenen von der Ausübung ihrer grundrechtlichen Freiheiten Abstand nähmen und sich statt dessen zum ordnungsgemäßen, polizeigerecht-disziplinierten Freiheitsgebrauch verpflichtet sähen. Die Videoüberwachung stelle daher einen psychisch übermittelten, faktischen Grundrechtseingriff in das allgemeine Freiheitsrecht aus Art. 2 I GG dar130. 4. Verwendung der gewonnenen Daten Die Auswertung und weitere Nutzung der bei der Videoüberwachung erhobenen Daten, beispielsweise bei einem Datenabgleich, sowie deren Weitergabe an andere Stellen stellt nach allgemeiner Ansicht erneut einen Grundrechtseingriff dar. Sein Eingriffscharakter ergibt sich aus der Vertiefung der durch die Erhebung erfolgten Beeinträchtigung131. Die besondere Eingriffstiefe ergibt sich daraus, daß der Betroffene hiervon nichts erfährt. 5. Zusammenfassung Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß Aufnahme und Aufzeichnung identifizierbarer Personen nach heute herrschender Meinung einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellen. Gleiches gilt für die Aufzeichnung von Übersichtsbildern aufgrund nachträglicher Bildvergrößerungs- und Identifizierungsmöglichkeiten. Sehr umstritten ist dagegen die Frage, ob in der bloßen Übersichtsaufnahme ein Grundrechtseingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht liegt. Da hierbei noch keine Erhebung personenbezogener Daten erfolgt und auch keine nachträgliche Identifizierung möglich ist, wird dies zum Teil abgelehnt. Andere sehen schon hier einen Grundrechtseingriff, da aufgrund eines bestehenden Überwachungsdrucks bereits das informationelle Selbstbestimmungsrecht beeinträchtigt werde und wegen der technischen Möglichkeiten der Aufzeichnung und Weiterverwendung der gewonnenen Daten eine dem Eingriff gleichzustellende Grundrechtsgefährdung vorliege.

130 A.A.: VG Karlsruhe, VBlBW 2002, 131 (133). Zweifelnd wohl auch Fischer, VBlBW 2002, 89 (92). 131 Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (79); Geiger, S. 188.

B. Recht am eigenen Bild

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B. Recht am eigenen Bild In der Literatur zur Videoüberwachung öffentlicher Plätze wird weiterhin, wenn auch meist nur sehr knapp, die Relevanz dieser Polizeimaßnahme für das Recht am eigenen Bild überlegt132. Dieses Recht entwickelte das BVerfG in seiner Rechtsprechung als Konkretisierung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts133. Sein Inhalt läßt sich beschreiben als Verfügungsbefugnis hinsichtlich der Anfertigung und Verwendung von bildlichen Aufzeichnungen134. Wie das BVerfG ausführt, gewährleistet das Recht am eigenen Bild dem einzelnen Einfluß- und Entscheidungsmöglichkeiten, soweit es um die Anfertigung und Verwendung von Fotografien oder Aufzeichnungen seiner Person durch andere geht, unabhängig davon, ob diese den einzelnen in privaten oder öffentlichen Zusammenhängen zeigt135. Das BVerfG sieht die Gefahr für die Persönlichkeit insbesondere darin, daß das Bild einer breiteren als der überschaubaren Öffentlichkeit, in der der einzelne sich bei normalem Auftreten bewegt, präsentiert wird, da der einzelne diese breitere Öffentlichkeit selbst nicht wahrnehmen und auch nicht einschätzen könne136. Außerdem könne sich mit dem Wechsel des Kontextes, in dem das Bild reproduziert wird, auch der Sinn der Bildaussage ändern137. Das Schutzbedürfnis ergebe sich vor allem aus der Möglichkeit, das Erscheinungsbild eines Menschen in einer bestimmten Situation von diesem abzulösen, datenmäßig zu fixieren und jederzeit vor einem unüberschaubaren Personenkreis zu reproduzieren138. Voraussetzung für die Eröffnung des sachlichen Schutzbereichs des Rechts am eigenen Bild ist demnach das Vorliegen eines Bildnisses, mit dem die äußere Erscheinung einer Person von ihr losgelöst festgehalten wird. Dies ist nicht der Fall, wenn eine Überwachungskamera allein zur Beobachtung von Personen eingesetzt wird, das heißt, wenn lediglich Bildaufnahmen ohne Aufzeichnung angefertigt werden. Bei einer solchen Beobachtung mittels Videobildübertragung geht das Beobachtete sofort wieder un132

Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (206); Fischer, VBlBW 2002, 89 (91). BVerfGE 34, 238 (246); 35, 202 (220); 54, 148 (154); 87, 334 (340); 97, 228 (268 f.); 101, 361 (381). 134 BVerfGE 97, 228 (268 f.); BVerfGE 101, 361 (381); DiFabio, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, Band I, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 193. 135 BVerfGE 101, 361 (381). 136 BVerfGE 101, 361 (381). 137 BVerfGE 101, 361 (382). 138 BVerfGE 101, 361 (381). 133

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Kap. 5: Staatliche Videoüberwachung und Persönlichkeitsschutz

widerruflich verloren. Die äußere Erscheinung einer Person wird damit nicht von ihr losgelöst festgehalten, womit kein Bildnis im Sinne dieses Grundrechts vorliegt139. Unabhängig davon fehle hier der Öffentlichkeitsbezug als weiterer Tatbestandsvoraussetzung140 des Rechts am eigenen Bild141. Der Schutzbereich dieses Grundrechts werde allein dann berührt, wenn eine öffentliche Darstellung des Bildnisses stattfindet142. Da bei Videoüberwachungen öffentlicher Plätze die Bilder nur für die am Monitor tätigen Beamten bestimmt sind, sei das Recht am eigenen Bild bei dieser Maßnahme nicht betroffen143. Werden dagegen Videoaufzeichnungen von Personen angefertigt, durch die diese identifiziert werden können, sieht ein Teil der Literatur den Schutzbereich des Rechts am eigenen Bild betroffen144. Durch solche Aufzeichnungen werde die Erscheinung einer Person losgelöst von ihr fixiert. Der Überwachende gewinne die Verfügungsbefugnis über das Abgebildete. Dies gelte aufgrund der technischen Möglichkeiten der Bildvergrößerung grundsätzlich auch dann, wenn nur Übersichtsaufnahmen gespeichert werden. Eine nachträgliche Identifizierung der aufgenommenen Person bleibe dadurch nämlich möglich145. Die Speicherung sowie jede weitere Nutzung und Verwendung oder Übermittlung an andere Behörden des durch die Videoaufzeichnung gewonnenen Bildnisses stelle einen neuen Eingriff in das Recht am eigenen Bild dar146. Teilweise wird aber auch in diesem Zusammenhang argumentiert, daß auch bei Bildaufzeichnungen durch Videoüberwachungen nicht das Recht am eigenen Bild „im Vordergrund stehen dürfte“, da es nicht um die Darstellung des aufgezeichneten Bilds in der Öffentlichkeit gehe147.

139

Geiger, S. 186; Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (206); Büllesfeld, S. 125. A.A. Weichert, Datenschutz-Nachrichten (DANA) 1988, Sonderheft Videoüberwachung, S. 28; Amelung/Tyrell, NJW 1980, 1560 (1561). 140 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rdnr. 31. 141 Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (206); wohl auch Fischer, VBlBW 2002, 89 (91, Fn. 22). 142 Vgl. Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (206). 143 Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (206). 144 Büllesfeld, S. 127; Geiger, S. 179. 145 Geiger, S. 187. 146 Geiger, S. 187 ff. 147 So Fischer, VBlBW 2002, 89 (91, Fn. 22).

Kapitel 6

Bewertung und rechtsvergleichende Überlegungen A. Parallelen und Unterschiede der deutschen und amerikanischen Argumentation Sowohl in Deutschland als auch in den USA wird versucht, Polizeipräsenz auf öffentlichen Straßen und Plätzen durch Videoüberwachungen zu ersetzen. Ausgangspunkt der grundrechtlichen Bewertung dieser Maßnahme ist daher zunächst der Vergleich mit einem an dem überwachten Ort tatsächlich anwesenden Polizeibeamten. Davon ausgehend, daß jeder, der sich in die Öffentlichkeit begibt, damit rechnen muß, von anderen wahrgenommen zu werden, wird eine zufällige Beobachtung durch Polizeibeamte nicht als Eingriff in die Privatsphäre angesehen. Die Kenntnisnahme persönlicher Informationen durch eine kurzzeitige, ungezielte Beobachtung im öffentlichen Raum berührt nicht die Grundrechte einer Person. Sie ist vielmehr allgemeines Lebensrisiko, mit dem jeder rechnen muß. Qualitativ darüber hinausgehende staatliche Observationen im öffentlichen Raum, auch unter Einsatz von Videotechnik, sind in den USA bislang ebenso unproblematisch möglich, da eine berechtigte Erwartung von Privatsphäre in der Öffentlichkeit nicht anerkannt wird. In Deutschland dagegen sind durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Grenzen gesetzt. In diesem sind diejenigen Aspekte enthalten, auf die amerikanische Rechtsgelehrte ihre Forderung der Anerkennung einer public privacy stützen. Dies gilt zum einen für das Argument, daß Privatsphäre im öffentlichen Raum dadurch gewährleistet werde, daß im Normalfall eine Musterung durch andere nur kurz und oberflächlich erfolge und daher die wahrnehmbaren Aktivitäten einer Person so über Zeit und Raum verteilt seien, daß ein einzelner Beobachter immer nur einen kleinen Teil davon sehen könne. Polizeiliche Observationen, bei denen Informationen über eine Person angesammelt werden, durch die sich ein relativ datailliertes Bild vom Leben einer Person erstellen läßt und Rückschlüsse auf ihre Persönlichkeit über die gesammelten Fakten hinaus möglich sind, beeinträchtigen daher nach dieser Ansicht die Privatsphäre der betroffenen Person. Gezielte, systemati-

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Kap. 6: Bewertung und rechtsvergleichende Überlegungen

sche, längere Zeit andauernde oder auch heimliche Überwachungen im öffentlichen Raum stellten aus diesem Grund eine Beeinträchtigung von privacy dar, insbesondere dann, wenn technische Hilfsmittel zur Verstärkung der menschlichen Sinne eingesetzt würden, wie etwa zoomfähige Kameras. Wie oben beschrieben, stellt auch nach deutschem Recht eine bloß zufällige Wahrnehmung personenbezogener Informationen keinen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Gezielte Observationen von gewisser Dauer, Systematik und Intensität werden dagegen als eine eingreifende Datenerhebung gewertet. Eine solche wird insbesondere bei Einsatz von Videokameras bejaht. Zum anderen findet das amerikanische Argument der fehlenden Perpetuierung des Wahrgenommenen bei nur kurzer Beobachtung mit bloßem Auge ebenfalls im deutschen Recht auf informationelle Selbstbestimmung mit dem Schutz vor unbegrenzten Datenerhebungen und -speicherungen eine Parallele. In der amerikanischen Literatur wird argumentiert, mit der Anfertigung einer Fotografie oder einer Videobildaufzeichnung werde der Beobachter in die Lage versetzt, einen Teil seines Überwachungsobjektes mitzunehmen, womit dessen Selbstbestimmungsmöglichkeit eingeschränkt werde. Durch das Festhalten einer Person im Bild werde deren zeitlich unbegrenzte und genaue Musterung möglich. Hierdurch könnten Informationen gewonnen werden, die bei einer kurzen, vorübergehenden Beobachtung unentdeckt geblieben wären. Dies gelte insbesondere bei Videobildaufzeichnungen, die als bewegte Bilder besonders viel über die beobachtete Person aussagen könnten. Weiterhin wird die Gefahr gesehen, daß das Bild einer Person einer größeren oder anderen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden könnte. Mit nahezu gleichen Argumenten beschreibt das BVerfG den Schutzbereich des Rechts am eigenen Bild, das, wie noch erörtert werden wird1, nichts anderes als eine spezielle Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist. Das Recht am eigenen Bild schützt vor Datenerhebung und Datenspeicherung in einer besonderen, nämlich bildlich fixierten Form. Nach dem BVerfG liegt das Schutzbedürfnis des eigenen Bildes vor allem in der Möglichkeit, das Erscheinungsbild eines Menschen in einer bestimmten Situation von diesem abzulösen, datenmäßig zu fixieren und jederzeit vor einem unüberschaubaren Personenkreis zu reproduzieren. Durch dieses Grundrecht wird damit den Gefahren begegnet, die durch den Verlust der Verfügungsbefugnis über das eigene Bild und die darin enthaltenen persönlichen Informationen sowie die damit verbundene Gefahr der Veröffentlichung des Bildes in anderem Zusammenhang, gegenüber einem anderen oder größeren Publikum bestehen. Eine weitere Gefahr, die 1 Zum Verhältnis des Rechts am eigenen Bild zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung siehe unten B.II.

A. Parallelen und Unterschiede

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mit der Perpetuierung eines Bildes einer Person im Zusammenhang steht, ist die Möglichkeit der Gewinnung persönlicher Informationen anhand der Auswertung des Aufgezeichneten. Dieser Aspekt ist mit dem Schutz vor unbegrenzter Datenerhebung, Datenspeicherung und Datenverwendung ebenfalls durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung abgedeckt. Weiterhin gilt dies auch für den in der amerikanischen Diskussion angeführten Aspekt der Privatsphäre im öffentlichen Raum durch Anonymität. Die Aufhebung der Anonymität durch eine Identifizierung einer bestimmten Person durch das Verbinden von Informationen mit dieser sowie eine Speicherung der personenbezogenen Informationen stellen Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Es läßt sich damit feststellen, daß in Deutschland durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bereits ein Schutz der Persönlichkeit und Privatsphäre besteht, wie er in den USA mit der Anerkennung einer public privacy gefordert wird. In Deutschland besteht damit insgesamt ein höheres Schutzniveau bezüglich des Schutzes personenbezogener Informationen, wenn diese im öffentlichen Raum offenbart und wahrgenommen werden, als in den USA. Anzumerken ist weiterhin, daß in den USA bislang auch der Einrichtung staatlicher Datenbanken, in denen personenbezogene Informationen gesammelt werden, sowie der weiteren Verwendung dieser Daten durch das Verfassungsrecht keine Grenzen gesetzt sind2. Neben der Forderung der Anerkennung einer public privacy zur rechtlichen Regulierung staatlicher Überwachungsmaßnahmen (wie der Videoüberwachung öffentlicher Orte) findet sich in den USA daher unter Rechtsgelehrten auch die Forderung der verfassungsrechtlichen Verankerung des Datenschutzes und der informationellen Selbstbestimmung3. Grund hierfür ist vor allem die von einer unbegrenzten Schaffung staatlicher (und auch privater) Datenbanken ausgehende Gefahr für die Privatsphäre des einzelnen4. Aufgrund der modernen technischen Möglichkeiten der Datensammlung, -speicherung und Datenverarbeitung werde es möglich, Persönlichkeitsprofile zu erstellen und das Leben des Individuums auszuforschen5. Wegen der Unwissenheit des Betroffenen darüber, wer welche Informationen über ihn gespeichert hat, wer Zugang zu solch bestehenden Datenbanken hat und ob diese Informationen ihm 2 Auch einfachgesetzlicher Datenschutz besteht nur unzureichend. Vgl. Roch, 12 Computer & High Tech. L.J. 71 (1996). 3 Flaherty, 41 Case V. Res. 831, 852 (1991). 4 Weitere Ursache der in den USA aufkommenden Datenschutzdiskussion sind wirtschaftliche Nachteile, die in Europa tätige amerikanische Firmen aufgrund der hohen datenschutzrechtlichen Anforderungen der EU erleiden. Siehe dazu Roch, 12 Computer & High Tech. L.J. 71, 93 (1996). 5 Flaherty, 41 Case V. Res. 831, 835–836 (1991).

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Kap. 6: Bewertung und rechtsvergleichende Überlegungen

zum Nachteil gereichen könnten, bestehe die begründete Befürchtung, daß kein ausreichender Persönlichkeitsschutz gewährleistet ist6. Der Schutz von privacy müsse auch den Schutz persönlicher Daten, als informational privacy umfassen7. Als Vorbild wird hierbei ausdrücklich das durch das BVerfG im Volkszählungsurteil8 mit den im wesentlichen selben Argumenten entwickelte deutsche Recht auf informationelle Selbstbestimmung angesehen9. In den USA wird damit Schutz vor Gefahren für die Persönlichkeit gefordert, wie er in Deutschland bereits durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleistet wird. Durch die Anerkennung einer, wenn auch begrenzten, public privacy wäre bei polizeilichen Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte der 4. Verfassungszusatz zu beachten. In diesem Fall, wie auch bei der Schaffung eines verfassungsrechtlich verankerten Datenschutzrechts bzw. Rechts auf informationelle Selbstbestimmung wäre vor Durchführung einer Videoüberwachungsmaßnahme auf öffentlichen Straßen und Plätzen eine Abwägung der widerstreitenden Interessen erforderlich10. Es bleibt jedoch zu bemerken, daß in den USA über die erwähnten Aspekte hinaus auch der durch offene Videoüberwachungen entstehende chilling effect on human behavior als grundrechtsrelevant angesehen wird. Dies ist ein Aspekt, der sich auch in der deutschen Diskussion unter dem Stichwort „Entstehung eines psychischen Überwachungsdruckes“ oder „Anpassungsdruckes“ findet. Dort ist jedoch, wie schon oben beschrieben11, insbesondere im Zusammenhang mit reinen Übersichtsaufnahmen von öffentlich zugänglichen Orten, aber auch von Demonstrationen und Versammlungen, die Grundrechtsrelevanz bezüglich Art. 2 I i.V. m. 1 I bzw. 8 I GG des rein subjektiv empfundenen Überwachungsdrucks sehr umstritten. Bevor eine Bewertung dieses Meinungsstreits sowie der Eingriffsqualität polizeilicher Videoüberwachungen insgesamt vorgenommen werden kann, ist zunächst noch einmal der Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung als Ausgangspunkt weiterer Überlegungen zu beleuchten.

6

Roch, 12 Computer & High Tech. L.J. 71, 72 (1996). Flaherty, 41 Case V. Res. 831, 834 (1991); vgl. auch United States Department of Justice v. Reporters Committee for Freedom of the Press, 489 U.S. 749 (1989). 8 BVerfGE 65, 1. 9 Flaherty, 41 Case V. Res. 831, 841–843 (1991); Roch, 12 Computer & High Tech. L.J. 71, 77 (1996). 10 Vgl. Flaherty, 41 Case V. Res. 831, 854 (1991). 11 Siehe oben Kapitel 5, A.III.3. 7

B. Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung

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B. Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung I. Schutz persönlicher Informationen zur Sicherung der Entschluß- und Verhaltensfreiheit Im Volkszählungsurteil definiert das BVerfG selbst das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Befugnis des einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen12. Es schütze den einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten13. Diese beiden Formeln wiederholt das Gericht zur Beschreibung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung in seinen späteren Entscheidungen immer wieder14. Der Schutz persönlicher Daten ist jedoch kein Selbstzweck. Wie es der Entwicklung dieses Rechts aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht entspricht, steht hinter dem Schutz persönlicher Daten der Schutz der Persönlichkeit15. Auch beim Recht auf informationelle Selbstbestimmung geht es darum, die Entscheidungs- und Verhaltensfreiheit des einzelnen zu schützen. Es soll garantieren, daß jeder aus eigener Selbstbestimmung planen und entscheiden kann16. Wie das BVerfG ausführt, setzt die individuelle Selbstbestimmung die Entscheidungsfreiheit des einzelnen über vorzunehmende oder zu unterlassende Handlungen voraus, einschließlich der Möglichkeit, sich entsprechend dieser Entscheidung tatsächlich zu verhalten17. Mit der Heranziehung der Empfindungen des Betroffenen bei Ungewißheit über das Ausmaß staatlicher Informationssammlung18 begründet das 12

BVerfGE 65, 1 (1. Leitsatz und 43). BVerfGE 65, 1 (1. Leitsatz und 43). 14 BVerfGE 67, 100 (142 f.); 78, 77 (84); 84, 192 (194); 92, 191 (197); 96, 171 (181); 101, 106 (121); 103, 21 (29); BVerfG, NVwZ 2001, 185; BVerfG, NJW 2001, 503 (505); BVerfG, EuGRZ 2001, 249 (252). Diese betrafen jeweils Fälle, in denen es um die Erhebung, Speicherung oder Verwendung von persönlichen Informationen ging. 15 Bzw. Schutz der Privatsphäre, vgl. Schmitt Glaeser, in: HStR VI, § 129, Rdnr. 76. Die Begriffe „Privatsphäre“ und „Persönlichkeit“ werden im Schrifttum synonym gebraucht. Ipsen, Staatsrecht II (Grundrechte), Rdnr. 300. 16 Schmitt Glaeser, in: HStR VI, § 129, Rdnr. 86. 17 BVerfGE 65, 1 (42). 18 BVerfGE 65, 1 (43): Wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffenden Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt 13

110

Kap. 6: Bewertung und rechtsvergleichende Überlegungen

BVerfG diese Aussage weiter und beschreibt das Schutzanliegen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Staatliche Informationssammlung birgt die Gefahr in sich, daß Bürger von abweichenden Verhaltensweisen und damit von einem mutmaßlich mißliebigen Freiheitsgebrauch Abstand nehmen19. Es gilt daher zu verhindern, daß der Bürger aufgrund der Ungewißheit, ob sein Verhalten registriert wird und ihm deshalb Nachteile drohen, unter den Druck psychischer Anteilnahme gerät, der seine Entschlußfreiheit beeinträchtigen und so sein Verhalten beeinflussen kann20. Dieser Zustand, vor dem der Einzelne geschützt werden muß, kann mit Informationsunsicherheit beschrieben werden21. Das BVerfG hat das Recht auf informationelle Selbstbestimmung damit als Gefährdungstatbestand konstruiert. Der Schutz dieses Rechts setzt nicht erst an, wenn die Verhaltensfreiheit des einzelnen tatsächlich beeinträchtigt ist, sondern umfaßt wegen der beschriebenen Gefährdung freier Persönlichkeitsentfaltung, die durch die Ungewißheit der Bürger über Art und Umfang der Datenerhebung und ihrer Verwendung entsteht, den gesamten Vorgang der Datenerhebung bis zur Datenverarbeitung22.

II. Das Recht am eigenen Bild als Konkretisierung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung Das Recht am eigenen Bild gewährleistet dem einzelnen Entscheidungsund Einflußmöglichkeiten hinsichtlich der Gestattung von Anfertigung und Verwendung von Fotografien und ähnlichen bildlichen Aufzeichnungen seiner Person durch andere23. Hierdurch soll die Persönlichkeit vor den Gefahren geschützt werden, die sich aus der Möglichkeit ergeben, das Erscheinungsbild eines Menschen in einer bestimmten Situation von diesem abzuwerden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden. Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. 19 BVerfGE 65, 1 (43); siehe dazu Sachs, in: Stern, Das Staatsrecht der BRD, Bd. III/2, S. 214. 20 Vgl. BVerfGE 65, 1 (43), sowie Rosenbaum, Jura 1988, 178 (180). 21 Schmitt Glaeser, in: HStR VI, § 129, Rdnr. 85. 22 Scholz/Pitschas, S. 83; Rosenbaum, Jura 1988, 178 (180). 23 BVerfGE 97, 228 (268 f.); BVerfGE 101, 361 (381); DiFabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Band I, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 193; siehe auch oben Kapitel 5, B.

B. Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung

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lösen, datenmäßig zu fixieren und jederzeit vor einem unüberschaubaren Personenkreis zu reproduzieren24. An dieser Formulierung des BVerfG wird deutlich, daß das Recht am eigenen Bild als eine Konkretisierung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zu sehen ist25. Mit dem Bildnis einer Person liegen personenbezogene Daten in einer bestimmten, eben bildlich fixierten, Form vor26. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung umfaßt den Schutz von der Anfertigung solcher Bildnisse als Datenerhebung und Speicherung bis hin zu deren weiteren Verwendung. Eine solche Verwendung würde auch eine Veröffentlichung des Bildes darstellen, worin das BVerfG die besondere Gefahr für die Persönlichkeit erblickt27. Die Verbreitung des Bildnisses in der Öffentlichkeit oder zumindest die Absicht hierzu bei einer Bildaufzeichnung ist für die Betroffenheit des Rechts am eigenen Bild jedoch nicht relevant. Dies wurde noch in früherer Rechtsprechung des BGH28 vertreten mit Blick auf die zivilrechtlichen Wurzeln des Rechts am eigenen Bild, der §§ 22–24 KUG aus dem Jahre 190729. Dies erscheint jedoch unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des BGH30 sowie insbesondere des BVerfG31 nicht mehr vertretbar. So werden nun ausdrücklich auch Einfluß- und Entscheidungsmöglichkeiten hinsichtlich der Anfertigung von Abbildungen der eigenen Person durch andere in das Recht am eigenen Bild einbezogen32. Die verfassungsrechtliche Bedeutung des Rechts am eigenen Bild geht damit heute über seine zivilrechtliche Grundlage hinaus. 24

BVerfGE 101, 361 (381). So auch explizit DiFabio, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, Band I, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 193; Waechter, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 513. A.A. etwa Geiger, S. 186; Büllesfeld, S. 127 ff.; Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (206), die das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Recht am eigenen Bild als nebeneinander bestehende Konkretisierungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sehen. 26 Bei Anfertigung und Verwendung von solchen Bildern durch die Polizei wird diese gerade an den daraus ersichtlichen personenbezogenen Daten und nicht an dem Bild als solchem interessiert sein. 27 Eine Veröffentlichung der durch Videoüberwachungen öffentlicher Plätze gewonnenen Bilder wird in der Regel nicht erfolgen. Ausgeschlossen ist sie aber nicht. Die durch die Polizei gewonnenen Aufnahmen könnten beispielsweise zu Werbezwecken für die eigene Stadt durch die für Tourismus und Öffentlichkeitsarbeit zuständigen Ämter ins Internet eingespielt werden. Vgl. Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201. 28 Vgl. BGHZ 26, 349 (354 f.); 24, 200 (208 ff.). 29 Zur Entwicklung des Rechts am eigenen Bild ausführlich Geiger, S. 96 ff. 30 Siehe BGH, NJW 1995, 1955 (1956 f.). 31 BVerfGE 101, 361 (381). 32 BVerfGE 101, 361 (381). 25

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Kap. 6: Bewertung und rechtsvergleichende Überlegungen

Die Verfügungsbefugnis hinsichtlich der Anfertigung und Verwendung bildlicher Aufzeichnungen, wie sie das Recht am eigenen Bild beinhaltet, ist schon vollständig im Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Befugnis, über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu entscheiden, enthalten. Das Recht am eigenen Bild konkretisiert damit einen Teil des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Die Betrachtung des Rechts am eigenen Bild behält damit allein Bedeutung bei der Bestimmung dieses Teilgehalts.

C. Grundrechtseingriffe durch die einzelnen Teilmaßnahmen der Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte I. Videoaufnahme erkennbarer Personen Die gezielte Beobachtung einer Person mit Hilfe von Überwachungskameras, wie sie insbesondere durch Heranzoomen einer sich verdächtig verhaltenden Person erfolgt, ist als Erhebung personenbezogener Daten ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Auch eine allgemeine Anfertigung von Videoaufnahmen, bei denen Personen auf dem Überwachungsmonitor erkennbar abgebildet sind, können nicht der Beobachtung durch Streifenpolizisten gleichgesetzt werden. Hierbei erfolgt insofern eine gezielte Datenerhebung als alle Personen, die den überwachten Ort betreten, Objekt der Überwachung werden. Der Einsatz technischer Hilfsmittel ermöglicht eine sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht wesentlich umfassendere Überwachung. Dies ist insbesondere bei fest installierten Videokameras der Fall. Aufgrund der besonderen Dauer, Systematik und Intensität der Beobachtung ist hier eine grundrechtsrelevante Datenerhebung zu bejahen. Durch diese Beobachtung mittels Videokamera kann weiterhin ein größerer Überwachungs- und Anpassungsdruck für den Betroffenen als bei einer zufälligen Beobachtung durch Polizeistreifen entstehen33. Bei letzterer kann der Beobachtete den Umfang seiner Erfassung besser erkennen. Er kann erkennen, ob „das Auge der Polizei“ ihn verfolgt oder genauer in den Blick nimmt. Dies ist bei einer Kameraüberwachung nicht der Fall. Passanten können hier immer nur die Kamera wahrnehmen. Sie wissen jedoch nicht, ob sie selbst gerade ins Visier des am Monitor tätigen Beamten geraten sind oder gar nicht beobachtet werden. Sie müssen daher zu ihrem eigenen Persönlichkeitsschutz davon ausgehen, daß eine Überwachung ihrer Person stattfindet und ihr Verhalten daran anpassen. Videoüberwachungen können damit durch Her33

Zu diesem Argument ausführlich unten IV.2.

C. Grundrechtseingriffe durch die einzelnen Teilmaßnahmen

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vorrufen eines psychischen Überwachungsdrucks, zu dessen grundrechtlicher Relevanz sogleich unten noch ausführlich Stellung genommen wird, den einzelnen in seiner Verhaltensfreiheit hemmen. Eben aufgrund dieser Gefahr wurde das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Volkszählungsurteil des BVerfG entwickelt34.

II. Aufzeichnung von Videobildern Werden Bilder individualisierbarer Personen bei einer Videoüberwachung aufgezeichnet, liegt darin eine Speicherung persönlicher Informationen und damit ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Auch in dem Fall der Aufzeichnung von Übersichtsbildern verlieren die davon betroffenen Personen die Kontrollmöglichkeit über die persönlichen Informationen, die durch nachträgliche Bildvergrößerungen gewonnen werden können. Mit dem Verlust der Verfügungsmöglichkeit über diese persönlichen Daten wird in ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen. Der Bemühung des Konstrukts der Grundrechtsgefährdung zur Begründung eines Eingriffs bedarf es hier daher nicht mehr35. Durch Videoaufzeichnungen identifizierbarer Personen wird deren Erscheinung von ihnen losgelöst fixiert, womit der Überwachende die Verfügungsmöglichkeit über das Abgebildete erhält. Damit ist das Recht am eigenen Bild, als Entscheidungs- und Einflußmöglichkeit hinsichtlich der Anfertigung und Verwendung von Bildnissen der eigenen Person durch andere, betroffen. Versteht man das Recht am eigenen Bild jedoch, wie hier, als Teil des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, so führt die Betroffenheit des Rechts am eigenen Bild durch Videoüberwachungen öffentlicher Plätze zu keinem selbständig zu berücksichtigenden weiteren Grundrechtseingriff neben einem festgestellten Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Mit der Feststellung eines Eingriffs in das Recht am eigenen Bild durch Videoaufzeichnungen oder deren Verwendung kann jedoch der Befund des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bestätigt werden. Festzustellen ist aber, daß es sich bei diesem Grundrechtseingriff durch die Speicherung von Übersichtsbildern im Vergleich zur Speicherung von Detailbildern um einen geringeren Eingriff handelt, solange keine Bildvergrößerung verbunden mit der Möglichkeit zur personenbezogenen Auswertung der Bilder erfolgt. 34 35

BVerfGE 65, 1 (42 f.). So aber Hasse, ThürVBl. 2000, 169 (171); siehe oben Kapitel 5, A.III.3.a)bb).

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Kap. 6: Bewertung und rechtsvergleichende Überlegungen

Zu beachten bleibt weiterhin, daß der Fall eintreten kann, daß eine Detailaufzeichnung einer bestimmten Person nach Heranzoomen dieser auch eine Bildaufzeichnung eines unbeteiligten Dritten36, der nur zufällig mit ins Bild gerät, mit sich bringen kann. Auch bezüglich dieses Dritten erfolgt hier eine Speicherung seiner persönlichen Daten, die als grundrechtsrelevant zu werten ist. Dieser Grundrechtseingriff ist aber aufgrund seines Charakters als ungezielter Nebenfolge des polizeilichen Handelns als weniger intensiv einzustufen, was wiederum geringere Anforderungen an eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung zur Folge hat37.

III. Auswertung von Videobildern und Nutzung durch Videoüberwachungen gewonnener persönlicher Daten Die Auswertung von Videoaufzeichnungen im Rahmen der Videoüberwachung öffentlicher Plätze, insbesondere durch Identifikation aufgenommener Personen, die Durchführung von Datenabgleichen, die sonstige Verwendung der gewonnenen Informationen sowie deren Weitergabe an andere Stellen, stellen als Datenverwendungen selbständige weitere Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar.

IV. Problematik: Übersichtsaufnahmen als Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung? Wie oben beschrieben, ist die Beurteilung der Eingriffsqualität von Übersichtsaufnahmen sehr strittig. Zur Begründung eines Grundrechtseingriffs wird hierbei insbesondere mit der Entstehung eines Überwachungsdrucks argumentiert. Mit einer Erweiterung des Eingriffsbegriffs im Rahmen des informationellen Selbstbestimmungsrechts, der auch Beeinträchtigungen durch den durch Überwachungskameras entstehenden Anpassungsdruck umfassen soll, wird hier die Eingriffsqualität von Übersichtsaufnahmen befürwortet. Als weiteres Argument wird die einem Eingriff gleichzusetzende Grundrechtsgefährdung angeführt. Diese Argumente sowie die in der Literatur dazu vorgebrachten Gegenargumente sollen im folgenden genauer untersucht werden.

36 Mit der Problematik unvermeidbar betroffener Dritter befaßt sich Schönstedt, Kriminalistik 1996, 503. 37 Siehe dazu unten Kapitel 9.

C. Grundrechtseingriffe durch die einzelnen Teilmaßnahmen

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1. Kritik der Ansichten zur Frage des Grundrechtseingriffs bei bloßen Übersichtsaufnahmen Die Beurteilung der Grundrechtsrelevanz von Videoüberwachungen, insbesondere von Übersichtsaufnahmen als Teilmaßnahme, erfolgt zumeist am Merkmal des „Grundrechtseingriffs“, ohne daß zuvor eine Bestimmung des Schutzbereichs des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung erfolgt38. So finden sich häufig allein Formulierungen, wie daß das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch Videoüberwachungen „betroffen“39 oder „berührt“40 sei. Als gemeinsamer Ausgangspunkt der Überlegungen der verschiedenen Ansichten in der Literatur zur Frage des Grundrechtseingriffs bei bloßen Übersichtsaufnahmen scheint daher die Interpretation des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung als allgemeines Abwehrrecht gegen Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten, wie es von der herrschenden Ansicht verstanden wird41. Für die Eröffnung des Schutzbereichs ist nach diesem Verständnis entscheidend, daß solche persönlichen Informationen vorliegen. Ein Eingriff kann grundsätzlich erst dann angenommen werden, wenn die Verfügungsmöglichkeit über diese von den betroffenen Personen losgelöst wird. Dies ist frühestens mit der Erhebung solcher Daten der Fall, nicht aber schon bei Übersichtsaufnahmen. a) Allein subjektiv empfundene Beeinträchtigung begründet keinen Eingriff Trotz objektiv nicht erfolgter Datenerhebung wird versucht, durch Einbeziehung subjektiver Empfindungen, dennoch einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu begründen. Es genüge, wenn sich der einzelne aufgrund der potentiellen Möglichkeit des Registriertwerdens beeinträchtigt fühle42. Gegen diese Argumentation ist jedoch einzuwenden, daß die allein subjektive Annahme einer grundrechtlichen Beeinträchtigung nie allein zur Annahme eines Eingriffs genügen kann. Zwar ist heute der Eingriffsbegriff weit zu verstehen und auch faktische und psychisch vermittelte Beeinträchtigungen sind zu berücksichtigen. Doch müssen diese den Schutzbereich des betroffenen Grundrechts immer tatsächlich, also objektiv, 38 Dies kritisieren auch Höfling, in: Möller/v. Zezschwitz (Hrsg.), Videoüberwachung – Wohltat oder Plage?, 2000, 29 (32 f.); Büllesfeld, S. 121. 39 Etwa Pitschas, DV 2000, 111 (129). 40 Saeltzer, DuD 1997, 462. 41 Vgl. dazu oben Kapitel 5, A.II.1. 42 Zu dieser Ansicht siehe oben Kapitel 5, A.III.3.b)bb)(1).

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Kap. 6: Bewertung und rechtsvergleichende Überlegungen

verkürzen. Ein rein subjektives Gefühl der Beeinträchtigung allein kann staatliches Handeln nicht zu einem Eingriff werden lassen. Das lediglich subjektive Gefühl, es könnte gerade eine staatliche Datenerhebung erfolgen, genügt nicht. Denn wie sollten dabei auch Grenzen gezogen werden? Bürger können aus verschiedensten Anlässen eine Erhebung und Speicherung personenbezogener Informationen durch polizeiliche Beobachtung befürchten, etwa bei einer vorbeifahrenden oder vorbeigehenden Polizeistreife, Kameraattrappen oder Hinweisschildern auf eine Kameraüberwachung, die tatsächlich überhaupt nicht erfolgt43, oder auch ohne jeglichen konkreten Anlaß aufgrund der alleinigen (möglicherweise schon paranoiden) Befürchtung verdeckter, polizeilicher Informationssammlung. Den Kritikern dieser Ansicht ist daher zuzugeben, daß durch die Anerkennung einer allein subjektiv empfundenen Beeinträchtigung der Eingriffsbegriff an Kontur verliert und für einen sinnvollen Grundrechtsschutz daher impraktikabel ist. b) Grundrechtsgefährdung bei der Übersichtsaufnahme? Weiterhin wird zur Begründung eines Grundrechtseingriffs durch Übersichtsaufnahmen das Konstrukt der Grundrechtsgefährdung herangezogen. Wie oben dargestellt, wird argumentiert, die Aufnahme von Übersichtsaufnahmen stelle eine einem Grundrechtseingriff gleichzustellende Grundrechtsgefährdung dar, da dabei die technische Möglichkeit bestehe, Bilder aufzuzeichnen und personenbezogen auszuwerten. Die Übersichtsaufnahme berge daher die Gefahr in sich, unbeeinflußbar durch den Betroffenen zu einem Grundrechtseingriff durch Datenerhebung und Datenspeicherung zu führen. Doch auch dieses Argument erscheint dogmatisch fragwürdig. Nach der Rechtsprechung des BVerfG44 liegt eine bloße Grundrechtsgefährdung im allgemeinen noch im Vorfeld verfassungsrechtlich relevanter Grundrechtsbeeinträchtigungen. Unter bestimmten Voraussetzungen bestehe aber die Möglichkeit, eine Grundrechtsgefährdung einer Grundrechtsverletzung gleichzusetzen. Welche Voraussetzungen dies sind, hat das Gericht jedoch nicht abschließend entschieden. Gemeinsam ist den entschiedenen Fällen jedoch, daß eine Gleichsetzung in den Fällen erwogen wurde, in denen aus der Grundrechtsgefährdung irreparable Gesundheitsschäden bis hin zur Einbuße des Lebens drohten. Sie betrafen somit eine ernsthafte Gefahr für besonders wichtige Rechtsgüter. Zum Schutz dieser bedeutenden Rechtsgüter vor irreparablen Schäden muß ein effektiver Grundrechtsschutz bereits bei einer Grundrechtsgefährdung ansetzen. 43 Büllesfeld, S. 123, nimmt in den beiden letztgenannten Fällen tatsächlich Grundrechtseingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung an. 44 BVerfGE 51, 324 (346 f.); 52, 214 (220); 66, 39 (58); 77, 170 (220).

C. Grundrechtseingriffe durch die einzelnen Teilmaßnahmen

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Orientiert man sich an dieser Rechtsprechung, so kommt eine Gleichsetzung von Grundrechtsgefährdung und Grundrechtsverletzung nur in besonderen Ausnahmefällen in Frage. Es muß eine Parallele zur Irreversibilität der Schäden an Leib und Leben bestehen45. Das Konstrukt der Grundrechtsgefährdung46 beinhaltet somit nicht generell, daß ein effektiver Grundrechtsschutz bereits in dem Moment anzusetzen hat, in dem eine Grundrechtsverletzung droht bzw. der Grundrechtsschutzbereich gefährdet ist47. Es bleibt vielmehr bei dem Grundsatz, daß Gefährdungen im verfassungsrechtlich irrelevanten Vorfeld von Grundrechtsbeeinträchtigungen liegen und nur ausnahmsweise in besonderen Fällen eine Gleichstellung gerechtfertigt sein kann. Unter welchen Voraussetzungen dies möglich ist, d.h. welche Intensität die beeinträchtigende Gefährdung haben muß, ist für jedes Grundrecht gesondert zu prüfen. Im konkreten Falle der Anfertigung von Übersichtsaufnahmen von öffentlichen Plätzen mit Videokameras verhält es sich so, daß in diesem Moment keine personenbezogene Datenerhebung erfolgt. Auch bei einer Aufzeichnung von Übersichtsbildern ist dies unmittelbar noch nicht der Fall, sondern erst bei einer Bildvergrößerung der Aufzeichnung und einer Auswertung dieser Bilder durch die Polizeibehörde oder bei einem Heranzoomen während der Aufnahme sowie Detailaufzeichnungen. Es ist weiterhin zu beachten, daß eine personenbezogene Auswertung der Bilder in den wenigsten Fällen erfolgen wird und es in den meisten Fällen bei Übersichtsaufnahmen oder -aufzeichnungen, die ohne weitere Auswertung wieder gelöscht werden, bleiben wird. Von einer besonderen Gefahr für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung kann im Moment der Übersichtsaufnahme daher noch nicht gesprochen werden. Die Intensität der beeinträchtigenden Gefährdung ist nur gering. Auch droht keine Beeinträchtigung von besonderem Gewicht, die mit irreversiblen Schäden von Leib und Leben verglichen werden könnte. Aufgenommene Daten könnten beispielsweise ohne weitere Beeinträchtigung wieder gelöscht werden. Eine Gleichstellung von Gefährdung und Beeinträchtigung erscheint hier daher nicht gerechtfertigt. 45

Vgl. Mayer-Metzner, S. 104; Aulehner, S. 454. Siehe dazu auch Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 92. In der Rechtsprechung des BVerfG zur materiellen Seite der Grundrechte findet sich das Konstrukt der Grundrechtsgefährdung zunächst im Zusammenhang mit grundrechtlichen Schutzpflichten (BVerfGE 49, 89 (141 f.)). Es wurde dann aber bald auch auf die abwehrrechtliche Dimension der Grundrechte übertragen (BVerfGE 51, 324 (356 f.)). Dazu Sachs, in: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, S. 210 f. 47 So aber Hasse, ThürVBl. 2000, 169 (171); Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (206). 46

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Kap. 6: Bewertung und rechtsvergleichende Überlegungen

2. Eingriff bei Bestehen eines objektiv begründeten Überwachungsdrucks Die Heranziehung allein subjektiver Empfindungen sowie des Konstrukts der Grundrechtsgefährdung zur dogmatischen Begründung eines Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch Übersichtsaufnahmen überzeugen vom Ausgangspunkt der Interpretation des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung als Abwehrrecht gegen Datenerhebung und -verwendung jeweils für sich genommen daher nicht. Als Ursache hierfür ist allerdings die fehlende Auseinandersetzung mit dem Schutzbereich dieses Grundrechts zu sehen. Die Bestimmung des Schutzbereichs sowie des Grundrechtseingriffs sind zwar eng miteinander verknüpft und bedingen sich gegenseitig, dennoch ist es unerläßlich, vor einer Auseinandersetzung mit der Eingriffsqualität staatlicher Maßnahmen zu evaluieren, was den Inhalt des geprüften Grundrechts ausmacht und welches Schutzanliegen diesem zugrunde liegt. Erst wenn dies erfolgt ist, kann mit ausreichender Präzision festgestellt werden, ob die staatliche Maßnahme diesen Schutzbereich verkürzt und daher einen Grundrechtseingriff darstellt. Berücksichtigt man dies, wird deutlich, daß ein bei Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte entstehender psychischer Überwachungs- oder Anpassungsdruck nicht erst im Rahmen der Eingriffsprüfung eine Rolle spielt, sondern schon die Bestimmung des Schutzbereichs dieses Grundrechts betrifft. Denn bereits die Betrachtung des Schutzanliegens des informationellen Selbstbestimmungsrechts läßt es erforderlich erscheinen, einen bei Videoüberwachungen öffentlicher Plätze entstehenden Überwachungsdruck als grundrechtsrelevant anzusehen48. Wie bereits beschrieben, dient das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausformung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts dem Schutz der Persönlichkeit. Es gilt, die Autonomie des einzelnen zu sichern. Zum Schutz der Persönlichkeit zählt daher auch der Schutz der Entscheidungs- und Verhaltensfreiheit. So zieht das BVerfG in seiner Begründung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im Volkszählungsurteil ausdrücklich die Gefahr eines psychischen Drucks öffentlicher Anteilnahme für die Verhaltensfreiheit des einzelnen heran49. Aufgrund der Unsicherheit, wer wann welche Informationen über die eigene Person besitzt, könne der Betroffene in seiner Freiheit, aus eigener Selbstbestimmung zu planen und zu entscheiden, wesentlich gehemmt werden50. Dadurch würden die Entfaltungschancen des einzelnen beeinträchtigt51. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist damit 48 Ähnlich Höfling, in: Möller/v. Zezschwitz (Hrsg.), Videoüberwachung – Wohltat oder Plage?, 2000, 29 (35 f.); Büllesfeld, S. 121 ff. 49 BVerfGE 65, 1 (42 f.). 50 BVerfGE 65, 1 (43).

C. Grundrechtseingriffe durch die einzelnen Teilmaßnahmen

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mehr als nur ein Abwehrrecht gegen Datenerhebung, -speicherung und -verwendung. Es beinhaltet auch den Schutz vor Beeinträchtigungen der Verhaltensfreiheit wegen des Drucks psychischer Anteilnahme, der durch das Nichtwissen um Art und Ausmaß von staatlichen Datensammlungen hervorgerufen werden kann. Auch bei Videoüberwachungen öffentlicher Plätze kann ein solcher, die Entschluß- und Verhaltensfreiheit hemmender Überwachungsdruck entstehen. Die Betrachtung des Zwecks dieser Maßnahme könnte zwar zu einer anderen Auffassung führen. Denn diese Maßnahme dient der Verhinderung von Straftaten an den überwachten Orten durch Abschreckung potentieller Straftäter. Der so angestrebte Zugewinn an Sicherheit soll sich auch auf das Empfinden der sich dort aufhaltenden rechtstreuen Bürger auswirken. Der objektive Rückgang der Kriminalität und das subjektive Sicherheitsempfinden sollen den Bürgern gerade einen ungestörteren Freiheitsgebrauch an den bewachten Orten ermöglichen. Doch neben dieses positive Gefühl des Bewachtwerdens kann auch das Gefühl des Überwachtwerdens treten. Der sich an einem solchen Ort aufhaltende Bürger kann immer nur höchstens wahrnehmen, daß eine Überwachung stattfindet, entweder weil Hinweistafeln ihn darauf aufmerksam machen oder weil die Überwachungskameras sichtbar montiert sind. Nie ersichtlich ist dagegen die Intensität der Überwachung in einem bestimmten Moment. Der Bürger kann nicht erkennen, ob nur eine reine Übersichtsaufnahme erfolgt, Bilder aufgezeichnet werden oder ob sogar mittels Zoom Detailaufnahmen seiner Person angefertigt werden. Dies kann er auch kaum durch sein eigenes Verhalten beeinflussen, da jeder zusammen mit einem sich verdächtig verhaltenden anderen ins Visier geraten kann. Zum Schutz der eigenen Persönlichkeit muß jeder daher von dem stärksten Fall der Überwachung, der konkreten Beobachtung der eigenen Person und der eventuellen Bildspeicherung, ausgehen und sein Verhalten dementsprechend anpassen. Hierdurch können auch rechtstreue Bürger in ihrer Entschluß- und Verhaltensfreiheit gehemmt werden, da sie versuchen werden, sich möglichst unauffällig und polizeikonform zu verhalten. Allein so können sie verhindern, selbst aufgrund ungewollt verdächtig wirkenden Verhaltens gezielt beobachtet zu werden sowie bei einer solchen individuellen Beobachtung persönliche Informationen ungewollt preiszugeben52. 51

BVerfGE 65, 1 (43). Daß es nicht in der Hand des Betroffenen liegt, die Beobachtung seiner eigenen Person zu verhindern, zeigen auch Untersuchungen aus Großbritannien, in denen festgestellt wurde, daß bestimmte Personengruppen allein wegen ihres äußeren Erscheinungsbildes häufiger gezielt beobachtet werden als andere, ohne daß sie sich sonst verdächtig verhalten hätten. Angehörige sozialer Randgruppen und Minderhei52

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Kap. 6: Bewertung und rechtsvergleichende Überlegungen

Für die grundrechtliche Relevanz des durch Videoüberwachungen entstehenden Überwachungsdrucks spricht auch der Vergleich mit der rechtlichen Bewertung dieser Maßnahme durch die amerikanische Rechtsliteratur. Auch dort werden die Gefahren für die Autonomie des Menschen aufgrund eines solchen psychischen Drucks gesehen. Dort ist die Rede von einem „chilling effect on human behavior“, was im Deutschen der Hemmung der Verhaltensfreiheit des einzelnen entspricht. In den USA mögen Videoüberwachungen einen stärkeren Anpassungsdruck auslösen als dies in Deutschland der Fall ist, da dort bislang Defizite im gesetzlichen Datenschutz bestehen und die Unsicherheit der Bürger, was weiter mit den über sie gesammelten Informationen geschieht, noch größer sein muß. Doch geht es auch dort um den Zustand der „Informationsunsicherheit“, der auch in Deutschland aufgrund der Unkenntnis über die Intensität der Überwachung entstehen kann. Die Hemmung der Entschluß- und Verhaltensfreiheit wird damit sowohl in Deutschland als auch in den USA als Einschränkung der Autonomie des einzelnen gewertet, die es durch die Persönlichkeitsrechte 53 zu schützen gilt. Das in diesem Zusammenhang vorgebrachte Argument, der einzelne könne sich durch Umgehen der überwachten Orte einer Beeinträchtigung seiner Persönlichkeit entziehen, ist abzulehnen. Das Nichtbetreten dieser Plätze wegen der Gefahr für die Persönlichkeit durch mögliche Datensammlung stellt gerade das befürchtete Ergebnis der Verhaltenshemmung aufgrund des Überwachungsdrucks dar. Darin liegt selbst schon eine grundrechtsrelevante Beeinträchtigung. Hierdurch wird jedoch nicht, wie teilweise angenommen54, die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 I GG berührt. Es besteht ja nach wie vor die Möglichkeit, die überwachten Orte aufzusuchen. Niemand wird dadurch in seiner Bewegungsfreiheit beschränkt. Betroffen ist vielmehr die Entschlußfreiheit, die, wie oben beschrieben, Aspekt des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist. Beinhaltet das Recht auf informationelle Selbstbestimmung also auch den Schutz vor Beeinträchtigungen der Verhaltensfreiheit wegen eines psychischen, die Autonomie hemmenden Anpassungsdrucks, so darf jedoch nicht ten werden häufiger intensiv beobachtet. In Großbritannien gilt dies nach einer Studie insbesondere für junge Männer schwarzer Hautfarbe. Siehe Norris/Armstrong, Bürgerrechte & Polizei/CILIP 61 (3/98), 30 ff. Die überproportionale Überwachung von Randgruppen ist auch in Deutschland nicht auszuschließen. 53 In den USA geht es hier um das „right to privacy“ aus dem 4. Verfassungszusatz, in Deutschland um das Allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I i.V. m. 1 I GG in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung. 54 Dolderer, NVwZ 2001, 130 (131 f.); siehe oben Kapitel 5, III.3.b)bb)(4); vgl. auch Fischer, VBlBW 2002, 89 (92), sowie Burrows, 31 Val.U.L. Rev. 1079, 1126 (1997) zum amerikanischen „right to travel“.

C. Grundrechtseingriffe durch die einzelnen Teilmaßnahmen

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außer acht gelassen werden, daß dieses Grundrecht nur vor solchen Beeinträchtigungen der Verhaltensfreiheit schützt, die von einer Informationsunsicherheit herrühren. Der Druck psychischer Anteilnahme muß damit durch das Nichtwissen um Art und Ausmaß von staatlichen Datensammlungen hervorgerufen werden. Die grundrechtliche Relevanz eines subjektiv empfundenen, psychisch vermittelten Anpassungsdrucks ist daher immer im Zusammenhang mit staatlichen Datenerhebungen zu sehen. Daher genügt auch hier ein lediglich subjektives Empfinden einer Beeinträchtigung der Verhaltensfreiheit nicht, wenn ein solcher Zusammenhang nicht auch objektiv besteht. Ein subjektiv empfundener Anpassungsdruck kann daher allein dann als Beeinträchtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gewertet werden, wenn für diesen ein objektiver Grund durch eine schon erfolgende oder zu erwartende Datenerhebung besteht. Eine solche objektive Grundlage des bei Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte entstehenden, die Entschlußfreiheit hemmenden, subjektiv empfundenen Überwachungsdrucks besteht in den technischen Möglichkeiten des Heranzoomens und des Aufzeichnens von Videobildern. Die Befürchtung der Datensammlung und Speicherung durch die Polizei ist hier objektiv berechtigt und aufgrund des Zwecks der Maßnahme sogar naheliegend. Es ist den eine Grundrechtsgefährdung bejahenden Stimmen zuzugeben, daß durch den Überwachungszweck die Datenerhebung indiziert wird. Um den gewünschten Abschreckungseffekt zu erzielen, ist es erforderlich, jederzeit von Übersichtsaufnahmen zu Detailaufnahmen oder zu einer Aufzeichnung der Bilder, soweit sie nicht generell erfolgt, überzugehen. Es besteht damit tatsächlich jederzeit die Gefahr eines Grundrechtseingriffs durch Datenerhebung. Allein dogmatische Bedenken führten oben zur Ablehnung der Gleichstellung dieser Gefährdung mit einem Eingriff. Es ist damit gleichsam die Verbindung der in der Literatur angeführten Argumente „Überwachungsdruck“ und „Grundrechtsgefährdung wegen Vergrößerungs- und Aufzeichnungsmöglichkeiten“, die hier die Begründung des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ermöglichen. Subjektive Empfindungen allein vermögen keinen Grundrechtseingriff begründen. Anderes kann jedoch angenommen werden bei einer Hemmung der durch das informationelle Selbstbestimmungsrecht zu schützenden Entschluß- und Verhaltensfreiheit aufgrund subjektiv empfundener Beeinträchtigungen, für die auch ein objektiver Grund besteht. Ein solcher Grund liegt hier in der objektiv bestehenden Grundrechtsgefährdung. Bei diesem Ansatz lassen sich die Fälle ausgrenzen, in denen das verwendete Kamerasystem technisch nichts anderes als Übersichtsaufnahmen erlaubt oder es sich um eine bloße Kameraattrappe handelt. Hier könnte

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Kap. 6: Bewertung und rechtsvergleichende Überlegungen

sich der einzelne zwar einem Überwachungsdruck ausgesetzt sehen, die Befürchtung der Grundrechtsbeeinträchtigung durch die Erhebung und Speicherung persönlicher Daten ist jedoch nicht objektiv begründet. Dies gilt auch für den oft bemühten Vergleichsfall der Beobachtung durch eine Polizeistreife. Soweit keine objektiven Anhaltspunkte für eine über rein zufällige Beobachtung hinausgehende Tätigkeit der Beamten vorliegen, bleibt es bei deren Grundrechtsirrelevanz, selbst wenn der Betroffene sich beobachtet fühlen und eine Datenerhebung befürchten sollte.

D. Grundrechtsverzicht Weiterer Überlegungen bedarf die Frage, ob bei offenen Videoüberwachungen öffentlicher Plätze ein Grundrechtsverzicht den Eingriffscharakter dieser Maßnahme entfallen läßt. Denn in diesem Fall wissen die Betroffenen schließlich um die Überwachung und die damit möglicherweise einhergehende Datenerhebung. Betreten sie dennoch den überwachten Platz, könnte darin ein konkludenter Grundrechtsverzicht liegen. Voraussetzung eines solchen ist neben der deutlichen Erkennbarkeit die Freiwilligkeit55, die wiederum durch die Verzichtbarkeit des grundrechtlichen Schutzes bedingt ist. Hieran mangelt es im Falle der Videoüberwachung öffentlicher Plätze. Das Betreten dieser ist häufig eine faktische Notwendigkeit, beispielsweise um zu bestimmten Einrichtungen, wie Post oder Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel, oder Arbeitsstellen zu gelangen oder um bestimmte Erledigungen zu tätigen, wie der Besuch von Banken, Geschäften usw.. Von einem freiwilligen Grundrechtsverzicht kann daher nicht generell ausgegangen werden56. Diejenigen Personen, die diese Plätze trotz Kenntnis der Überwachung aus faktischer Notwendigkeit betreten, verzichten nicht auf ihr Grundrecht. Gleiches gilt für die Personen, die von der Videoüberwachung trotz Hinweisschildern keine Kenntnis genommen haben. Ohne Kenntnis von der Betroffenheit seiner Grundrechte, kann niemand auf diese verzichten. Ein Grundrechtsverzicht kann allenfalls in den Fällen angenommen werden, in denen Personen gerade wegen der Tatsache der Videoüberwachung einen bestimmten Ort aufsuchen, etwa weil sie von der besonderen Sicherheit dieser Orte ausgehen57. 55 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, S. 913 f.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 136; Sachs, Verfassungsrecht II, Grundrechte, A 8, Rdnr. 41. 56 So auch Hasse, ThürVBl. 2000, 169 (171); Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (207). 57 Hasse, ThürVBl. 2000, 169 (171).

E. Zusammenfassung

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Im amerikanischen Recht stellt sich ein ähnliches Problem. Dort ist die Frage zu beantworten, ob Personen, die sich im öffentlichen Raum aufhalten, auf ihr right to privacy verzichten58. Dies wird von der Rechtsprechung bejaht. Wie oben beschrieben, lehnt diese eine berechtigte Erwartung von Privatsphäre im öffentlichen Raum generell ab, aufgrund der Kenntnis des einzelnen von einer möglichen Beobachtung durch andere. Begibt sich eine Person trotz dieser Kenntnis in die Öffentlichkeit, verzichte sie konkludent auf ihr right to privacy. Diese Ansicht wird in der Literatur jedoch kritisiert mit dem Hinweis darauf, daß Kenntnis einer möglichen Beeinträchtigung des right to privacy nicht mit einem konkludenten Verzicht dieses Rechts gleichgesetzt werden könne59. Auch findet sich hier die Argumentation, das für einen Rechtsverzicht notwendige Element der Freiwilligkeit (voluntariness) fehle, da es im allgemeinen keine freie Willensentscheidung eines Individuums darstelle, sich den Blicken anderer in der Öffentlichkeit auszusetzen. Das sich zeitweise Aufhalten an öffentlichen Orten sei vielmehr eine alltägliche Notwendigkeit.

E. Zusammenfassung Polizeiliche Videoüberwachungen mit zoomfähigen oder aufzeichnungsfähigen Kameras verursachen schon bei reinen Übersichtsaufnahmen wie auch bei Übersichtsaufzeichnungen sowie Aufnahmen und Aufzeichnungen erkennbarer Personen (Nahaufnahmen, Detailaufzeichnungen) rechtfertigungsbedürftige Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der beobachteten Personen. Diese Eingriffe unterscheiden sich jedoch in ihrer Intensität, was wiederum im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung dieser Eingriffe zu berücksichtigen sein wird. Die am wenigsten intensive Teilmaßnahme ist die bloße Beobachtung mittels Videobildübertragung von Übersichtsbildern, bei der noch keine Erhebung personenbezogener Daten erfolgt, ein Grundrechtseingriff aber schon aufgrund des Hervorrufens eines durch die technischen Möglichkeiten zur Datenerhebung objektiv begründeten Anpassungsdrucks vorliegt. Werden solche Übersichtsbilder schon aufgezeichnet, liegt ein intensiverer Grundrechtseingriff aufgrund der Möglichkeit der späteren Auswertung der Bilder durch Vergrößerung vor, womit eine personenbezogene Auswertung der dabei gewonnenen Informationen möglich wird. Gezielte Nahaufnahmen bestimmter (oder prinzipiell aller) Personen greifen als unmittelbare Datenerhebungen noch intensiver ein. Am 58 Vgl. zu dieser gesamten Problematik Paton-Simpson, 50 Univ. of Toronto L.J. 305, 332–339 (2000). 59 Vgl. Paton-Simpson, 50 Univ. of Toronto L.J. 305, 332–339 (2000).

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Kap. 6: Bewertung und rechtsvergleichende Überlegungen

stärksten beeinträchtigt wird das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch Bildaufzeichnungen erkennbarer Personen, da hierbei neben der Datenerhebung auch eine Datenspeicherung erfolgt. Weniger intensiv ist jedoch die Grundrechtsbeeinträchtigung bei unvermeidbar betroffenen Dritten, deren Bild ungewollt mit aufgezeichnet wird. Auswertungen, anderweitige Speicherungen und sonstige Verwendungen der Bilder und der aus ihnen gewonnenen personenbezogenen Informationen stellen weitere Grundrechtseingriffe dar.

Kapitel 7

Ansätze zur Reglementierung polizeilicher Videoüberwachungen öffentlicher Orte in den USA Wie in Kapitel 4 beschrieben, bestehen in den USA kaum verfassungsrechtliche Beschränkungen für polizeiliche Überwachungen von Personen im öffentlichen Raum, selbst wenn dabei technische Hilfsmittel eingesetzt werden. Wie gezeigt, sind Videoüberwachungen sogar völlig unbegrenzt zulässig. Auch unterhalb der Verfassungsebene ist die polizeiliche Verwendung von Überwachungstechnik weitgehend ungeregelt. Gesetze oder Rechtsverordnungen hierzu fehlen. Erst in der letzten Zeit entwickelte sich das Bewußtsein, daß Reglementierungen dieser Polizeimaßnahmen erforderlich sind1. So finden sich erste Normierungen der polizeilichen Videoüberwachung öffentlicher Orte nun in den District of Columbia Municipal Regulations2 (siehe unten Abschnitt B). Als Richtlinie bei der Schaffung solcher Regeln auch für andere law enforcement agencies auf Bundes- sowie Bundesstaatenebene können die Standards on Technologically Assisted Physical Surveillance3 (TAPS) der American Bar Association (ABA)4 dienen.

A. „American Bar Association Standards on Technologically Assisted Physical Surveillance (TAPS)“ Unter der Erkenntnis, daß dem positiven Effekt der Effektivierung der Polizeiarbeit durch den Einsatz technischer Hilfsmittel drohende Schäden 1

Vgl. Hsu, Rules Urged for Surveillance, Washington Post vom 23.3.2002. Kommunale Rechtsverordnungen des District of Columbia (Übersetzung d. Verf.). 3 Unter technically assisted physical surveillance sind solche Überwachungen zu verstehen, bei denen Bewegungen, Aktivitäten oder Umstände zum Zeitpunkt ihres Erfolgens mit technischen Hilfsmitteln observiert oder entdeckt werden. Technische Hilfsmittel können Videokameras, Teleskope oder technische Geräte zur Verfolgung von Bewegungen oder zur Beleuchtung sein. 4 Criminal Justice Section, American Bar Association, „Electronic Surveillance: Part B: Technologically-Assisted Physical Surveillance“; Standards abrufbar unter: http://www.abanet.org/crimjust/standards/taps_blk.html. 2

126 Kap. 7: Ansätze zur Reglementierung polizeilicher Videoüberwachungen

der Gesellschaft gegenüberstehen, wurde schon 1995 eine Task Force on Technologie and Law Enforcement der American Bar Association eingesetzt, die in zweijähriger Arbeit in einem Entwurf Standards zur Schließung dieser Regelungslücke entwickelte5. Diese Standards wurden 1998 durch das ABA House of Delegates mit wenigen Änderungen als allgemeine Richtlinien der American Bar Assosiation angenommen. Ausgangspunkt der Überlegungen der ABA Task Force on Technology and Law Enforcement waren die nach ihrer Ansicht durch technisch unterstützte, visuelle Überwachungen bestehende Gefahren für die Gesellschaft. Neben Beeinträchtigungen der Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und dem Recht auf Freizügigkeit bestünden diese auch in der Verkürzung des Privatsphärenschutzes. Entgegen der Rechtsprechung des US Supreme Court könne privacy auch in der Öffentlichkeit bestehen. Privacy in ihren Ausprägungen Anonymität, Einsamkeit und Gewährung eines Ruhebereichs könnten Menschen auch im öffentlichen Raum suchen6. Daher könne jede polizeiliche Überwachung in der Öffentlichkeit die Privatsphäre verkürzen7. Dies gelte selbst für Observationen die nur mit Hilfe von Ferngläsern durchgeführt werden8.

I. Allgemeine Regeln Die ABA Task Force on Technology and Law Enforcment entwickelte zunächst allgemeine Kriterien zur Gewichtung dieser widerstreitenden Interessen9. Auf Seiten des Interesses der Effektivität des polizeilichen Handelns sind dies die Art des Zwecks der Überwachungsmaßnahme, der Umfang der Erreichbarkeit dieses Zweckes durch die Maßnahme sowie die Ernsthaftigkeit des zu bekämpfenden Kriminalitätsproblems. Auf der anderen Seite ist die Intensität der Beeinträchtigungen der privacy sowie der Freiheiten aus dem 1. Zusatzartikel der US Verfassung zu berücksichtigen. Faktoren zur Bestimmung der Beeinträchtigung der privacy sind dabei (1) die Art des Ortes oder der beobachteten Aktion, (2) der Aufwand einer Person, privacy an diesem Ort oder bei ihrer Aktion zu schützen, (3) die Rechtmäßigkeit des Beobachtungspostens unter Berücksichtigung, ob hierbei ein körperliches Eindringen in die Privatsphäre erfolgt, (4) die Handelsüblichkeit sowie die technischen Möglichkeiten der Überwachungstechnologie, (5) das 5

Slobogin, 10 Harv. J. Law & Tec 383 (1997). Siehe dazu oben Kapitel 4, B.; Slobogin, 10 Harv. J. Law & Tec 383, 408 (1997). 7 Slobogin, 10 Harv. J. Law & Tec 383, 409 (1997). 8 Slobogin, 10 Harv. J. Law & Tec 383, 409 (1997). 9 Ausführlich Slobogin, 10 Harv. J. Law & Tec 383, 404–413 (1997). 6

A. „American Bar Association Standards on TAPS‘‘

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Ausmaß der Verstärkung der menschlichen Sinne durch diese Technologie, (6) die Anstrengung, die Überwachung einer Person möglichst kurz und räumlich begrenzt durchzuführen, (7) die Anstrengung, möglichst keine unbeteiligten Dritten mitzuüberwachen sowie (8) die Unterscheidung zwischen offener und heimlicher Überwachung. In diesen Faktoren finden sich die durch den US Supreme Court in seiner Rechtsprechung zum 4. Zusatzartikel zur US-Verfassung entwickelten Kriterien, wann eine Verletzung der reasonable expectation of privacy angenommen werden kann, wieder10, die hier noch um weitere ergänzt wurden. Darüber hinaus soll auch berücksichtigt werden, ob die angewendete Überwachungstechnik unter verschiedenen gleich effizienten und effektiven Mitteln die die Grundrechte schonendste ist. Die durch die American Bar Association aufgestellten Standards beinhalten weiterhin allgemeine Regeln zur Durchführung von Überwachungsmaßnahmen und zur Preisgabe von Überwachungsergebnissen an andere Stellen11 sowie Regelungen über die Verantwortlichkeit und Sanktionen bei Verletzung dieser Bestimmungen12. Durch die Regeln der Durchführung der Überwachungsmaßnahmen soll insbesondere ein Mißbrauch ausgeschlossen werden. So wird ausdrücklich angeordnet, daß (1) die Überwachungsobjekte nicht in willkürlicher oder diskriminierender Weise ausgesucht werden sollen, (2) Überwachungen nur zu einem bestimmten, vorher determinierten legitimen Zweck erfolgen soll und bei Zweckerreichung zu beenden ist, (3) die Überwachungstechnik für diesen Zweck tauglich ist und nur von mit der Anwendung vertrauten Polizisten (officers) durchgeführt werden dürfen. Auch ist eine Benachrichtigungspflicht gegenüber den Betroffenen und eine Protokollierung der Vornahme einer Observation vorgesehen. Ist Hauptziel einer Überwachung die Abschreckung von Straftätern, hat schon vor Beginn der Maßnahme eine Bekanntgabe zu erfolgen. Die American Bar Association stellt des weiteren fest, daß verschiedene Stellen an der Regulierung des Einsatzes technischer Hilfsmittel bei der Überwachung von Personen mitwirken sollten. Gemeint sind hier die Gerichte, der Gesetzgeber, die Verwaltung, die Staatsanwaltschaften, die Polizei sowie die Bevölkerung. Auch wird die Schaffung von Verwaltungsvorschriften zur Anleitung der die Überwachung durchführenden Polizeiangehörigen gefordert, die die durch die American Bar Association entwickelten Standards beinhalten.

10 11 12

Siehe dazu oben Kapitel 4, A.I. Preisgabe nur zu „designated lawful purposes“. Ausführlich Slobogin, 10 Harv. J. Law & Tec 383, 404–413 (1997).

128 Kap. 7: Ansätze zur Reglementierung polizeilicher Videoüberwachungen

II. Standard 2-9.3 (b): Langfristige, offene Videoüberwachung im öffentlichen Raum Mit Standard 2-9.3 (b)13 wurde eine spezielle Regelung der offenen, über einen längeren Zeitraum erfolgenden Videoüberwachung im öffentlichen Raum (long-term overt video surveillance) getroffen. Danach ist diese nur zulässig unter der Voraussetzung, daß keine privaten Handlungen oder Umstände in den Blick genommen werden und daß berechtigterweise erwartet werden kann, daß durch sie ein legitimes Ziel der Polizeiarbeit erreicht werden kann. Standard 2-9.3 (b) spricht hier von „reasonably likely to achieve a legitimate law enforcement objective“. Durch dieses Tatbestandsmerkmal wurde eine einschränkende Voraussetzung für solche Maßnahmen aufgestellt, die mangels Anerkennung einer reasonable expectation of privacy im öffentlichen Raum nicht unter den 4. Zusatzartikel zur US-Verfassung fallen, aber wegen der dort dennoch bestehenden Gefahren für die Privatsphäre der Einschränkung bedürfen14. Nach der Definition des Standards 2-9.2 (d)15 ist dieses Tatbestandsmerkmal erfüllt, wenn deutliche Gründe (articulatable reasons) zur Annahme bestehen, daß einer der legitimen Zwecke der Polizeiarbeit – Entdeckung, Aufklärung, Abschreckung oder Verhinderung von Straftaten, Schutz vor drohenden Schäden oder Ergrei13 Standard 2-9.3. Video surveillance [. . .] (b) Overt video surveillance for a protracted period not governed by Standard 2-9.3 (a) [video surveillance of a private activity or condition] is permissble when: (i) a politically accountable law enforcement official or the relevant politically accountable governmental authority concludes that the surveillance (A) will not view a private activity or condition; and (B) will be reasonably likely to achieve a legitimate law enforcement objective; and (ii) in cases where deterrence rather than investigation is the primary objective, the public to be affected by the surveillance: (A) is notified of the intended location and general capability of the camera; and (B) has the opportunity, both prior to the initiation of the surveillance and periodically during it, to express its views of the surveillance and propose changes in its execution, through a hearing or some other appropriate means. (c) All video surveillance not governed by Standard 2-9.3 (a) or (b) is permissible when a supervisory law enforcement official, or the surveilling officer when there are exigent circumstances, concludes that the surveillance: (i) will not view a private activity or condition; and (ii) will be reasonably likely to achieve a legitimate law enforcement objective. 14 Vgl. Slobogin, 10 Harv. J. Law & Tec 383, 438 (1997). 15 Standard 2-9.2. Definitions. [. . .] (d) Legitimate law enforcement objective. Detection, investigation, deterrence or prevention of crime, or apprehension and prosecution of a suspected criminal. An action by a law enforcement officer is „reasonably likely to achieve a legitimate law enforcement objective“ if there are articulatable reasons for concluding that one of these objectives may be met by taking the action.

A. „American Bar Association Standards on TAPS‘‘

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fung und Verfolgung Verdächtiger – durch die Maßnahme erreicht werden kann. Videoüberwachungen sind damit nur zu einem dieser Zwecke zulässig16. Es müssen deutliche Gründe zur Annahme vorliegen, daß durch sie eine Straftat entdeckt wird, aufgeklärt werden kann, von der Begehung einer solchen abgeschreckt wird oder Gefahren abgewehrt werden können. Dieses Erfordernis hat zum Beispiel zur Folge, daß Videoüberwachungen vor einem Regierungsgebäude unproblematisch zulässig sind, nicht jedoch die Überwachung einer Parkanlage, nur um festzustellen, welche Personen sich zu welchem Zeitpunkt dort aufhalten17. Auch genügt zur Legitimation einer Videoüberwachung nicht, daß generell durch diese Maßnahme Verbrecher abgeschreckt werden18. Das Tatbestandsmerkmal „reasonably likely to achieve a legitimate law enforcement objective“ ist erst dann erfüllt, wenn diese Maßnahme zur Abschreckung von Straftätern an Orten mit signifikanten Kriminalitätsproblemen eingesetzt wird19. Damit wird durch diese Voraussetzung verhindert, daß permanente, offene Videoüberwachungen zur Abschreckung flächendeckend erfolgen, was zu einem ernsthaften Verlust von privacy im Sinne von Anonymität und Ruhe führen sowie andere Freiheitsrechte beeinträchtigen würde. Und es wird damit, wie es Slobogin formuliert, auch Freiheit vor dieser Art staatlicher Unterdrückung gewährleistet20. Die Entscheidung darüber, ob diese Voraussetzungen vorliegen, obliegt einem staatlich verantwortlichen Beamten (politically accountable law enforcement official), worunter etwa der Polizeibehördenleiter (department head) oder ein Staatsanwalt (prosecutor) zu verstehen ist21, oder einer staatlich verantwortlichen Regierungsbehörde (politically accountable governmental authority).

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In Ausnahmefällen kann auch ein anderer als ein mit der Kriminalitätsbekämpfung verknüpfter Zweck ausreichen. Etwa wenn bei einer Videoüberwachung des öffentlichen Raumes beobachtet wird, daß sich ein Passant aus gesundheitlichen Gründen in einer Notlage befindet. Vgl. Slobogin, 10 Harv. J. Law & Tec 383, n153 (1997). 17 Slobogin, 10 Harv. J. Law & Tec 383, 417–418 (1997). 18 Slobogin, 10 Harv. J. Law & Tec 383, 418 (1997). 19 Slobogin, 10 Harv. J. Law & Tec 383, 418 und n158 (1997). Offene Videoüberwachungen zur Abschreckung von Straftätern können nicht nur bei Vorliegen einer signifikanten Anzahl von Straftaten im zu überwachenden Bereich veranlaßt werden, sondern auch, wenn die befürchteten Straftaten einen signifikanten Schaden erwarten lassen. Letzteres ist etwa vorstellbar bei terroristischen Anschlägen bei Sportgroßveranstaltungen, wie Olympischen Spielen. 20 Slobogin, 10 Harv. J. Law & Tec 383, 418 (1997): freedom from a sense of oppression. 21 So die Definition nach Standard 2-6.2 (g).

130 Kap. 7: Ansätze zur Reglementierung polizeilicher Videoüberwachungen

Weiterhin ist die Öffentlichkeit über den beabsichtigten Ort der Videoüberwachungsmaßnahme sowie die allgemeinen technischen Möglichkeiten der verwendeten Kamera zu informieren. Denjenigen, die durch die Maßnahme betroffen werden, wozu etwa die in der unmittelbaren Nähe lebenden oder sich dort häufig aufhaltenden Bürger zählen22, muß Gelegenheit gegeben werden, vor und in periodischen Abständen während der Durchführung der Maßnahme ihre Ansichten dazu kundzutun oder Änderungen vorzuschlagen. Dies soll etwa durch eine Anhörung erfolgen. Den Bürgern kommt damit jedoch kein Vetorecht zu23. Die Polizei wird damit nicht gehindert, bei Ablehnung der Maßnahme durch die Bevölkerung diese dennoch durchzuführen. Nicht angesprochen sind außerdem diejenigen, die nur gelegentlich, etwa bei besuchsweisem Aufenthalt im Überwachungsbereich, von dieser Maßnahme betroffen werden. Eine Benachrichtigungspflicht der tatsächlich überwachten Personen besteht bei offenen, im Unterschied zu heimlichen, Observationen nicht. Auffällig an diesem Standard 2-9.3 ist des weiteren, daß die langfristige, offene Videoüberwachung öffentlicher Orte strikter reglementiert ist als die dort vorgenommene verdeckte Videoüberwachung, die nicht zum Zweck der Abschreckung sondern zur Strafverfolgung erfolgt.

B. Neuregelung: Chapter 25 of Title 24 of the District of Columbia Municipal Regulations (Public Space and Safety) Einige der oben erörterten Standards finden sich nun im 25. Kapitel des 24. Titels der District of Columbia Municipal Regulations (DCMR)24 wieder, die der Chief des Metropolitan Police Department25 zur Regelung der Anwendung von CCTV (closed circuit television) im District of Columbia im Juli 2002 erlassen hat. Wie schon in Kapitel 2 beschrieben, entstand in Washington, D.C., im Jahr 2002 ein Netzwerk von Videoüberwachungssystemen in einem bis dahin unbekannten Ausmaß. In diesem Kontext fand im März eine Anhörung im Kongreß statt, wo Rechts- und Sicherheitsexperten forderten, die immer 22

Slobogin, 10 Harv. J. Law & Tec 383, 419 (1997). Vgl. Slobogin, 10 Harv. J. Law & Tec 383, 443 (1997). Für ein „Vetorecht“ wohl Burrows, 31 Val. U.L. Rev. 1079, 1133–1134 (1997). 24 Kommunale Rechtsverordnungen des District of Columbia (Übersetzung d. Verf.). 25 Seine Ermächtigung hierzu ergibt sich aus Title I des District of Columbia Administrative Procedure Act. 23

B. Neuregelung: Chapter 25 of Title 24

131

häufiger erfolgende Durchführung von Videoüberwachungen im öffentlichen Raum zu regulieren, eine Auffassung, die auch einige Kongreßmitglieder teilten. Als Muster solcher Regelungen wurden hier ausdrücklich die TAPS der American Bar Association genannt26. Diesem Bedürfnis einer Regulierung des Gebrauchs von CCTV durch law enforcement agencies wurde nun mit der Neufassung des 25. Kapitels im 24. Titel der District of Columbia Municipal Regulations entsprochen. Der Erlaß solcher Rechtsverordnungen wird jedoch nur als erster Schritt gesehen, dem schließlich die Regelung der Materie durch Gesetz folgen soll27. In Kapitel 25 DCMR werden als Zweck der Anwendung von CCTV der Schutz des District of Columbia, die Erhöhung der öffentlichen Sicherheit und die Verbesserung der Straftatverhinderung sowie die Verringerung der Angst vor Kriminalität herausgestellt28. Die Durchführung der Videoüberwachung hat in der Weise zu erfolgen, daß nur Orte observiert werden, die durch die Öffentlichkeit einsehbar sind und an denen keine berechtigte Erwartung von Privatsphäre besteht29. Ein Fokussieren auf Flugblätter oder ähnliches, die dort unter dem Schutz kommunikativer Freiheit gem. dem 1. Amendment30 verteilt werden, wird ausgeschlossen31. Ebenso die Observation einzelner allein aufgrund ihrer Rasse, ihres Geschlechts, ihrer Ethnie, sexuellen Orientierung, Behinderung oder anderen durch das Gesetz geschützten Klassifizierungen32. Bei unautorisiertem Gebrauch oder Mißbrauch des CCTV müssen die dafür Verantwortlichen mit strafrechtlichen und/oder dienstrechtlichen Sanktionen rechnen33. Videoaufzeichnungen erfolgen nicht ununterbrochen. Außer unter dringenden Umständen (exigent circumstances)34, bedürfen Aufzeichnungen der vorherigen schriftlichen Genehmigung des Chief of Police35. Werden Auf26 McMillion, 1 ABA Journal eReport 12 (2002); Hsu, Rules Urged for Surveillance, Washington Post vom 23.3.2002. 27 So etwa die Aussage des D.C. Council Mitglieds Kathy Patterson (zitiert in: Hsu, Rules Urged for Surveillance, Washington Post vom 23.3.2002. 28 2501.1, 2501.2, 2501.3 DCMR; 2504.1 DCMR. 29 2503.2 DCMR. 30 Siehe dazu Brugger, Grundrechte, S. 216 ff.; Brugger, Einführung, S. 157 ff. 31 2503.3 DCMR. 32 2503.1 DCMR. 33 2503.4 DCMR. 34 Nach der Definition in 2599.1 DCMR sind damit solche Situationen gemeint, die ungewöhnliches oder unmittelbares Handeln erfordern. Dies gelte insbesondere für verdeckte Ermittlungen.

132 Kap. 7: Ansätze zur Reglementierung polizeilicher Videoüberwachungen

zeichnungen angefertigt, ist dies zu dokumentieren. Aufzeichnungen werden zehn Arbeitstage aufbewahrt, bevor sie überspielt oder vernichtet werden36. Eine längere Aufbewahrung ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Chief of Police zu Ausbildungszwecken, zu Zwecken der Strafverfolgung oder zur Verwendung in zivilrechtlichen Haftungsfällen möglich37. Tonaufzeichnungen sind nicht erlaubt38. In Wohngegenden oder Geschäftszentren ist eine CCTV-Überwachung nur zulässig, wenn dort erfahrungsgemäß bestimmte Straftaten im öffentlichen Raum begangen werden und die Überwachung zur Aufdeckung oder Verhinderung dieser beitragen kann39. Bevor die Installation von Videoüberwachungsanlagen in diesen Gebieten erfolgt, ist die Öffentlichkeit durch den Chief of Police zu informieren mit der Möglichkeit von Stellungnahmen innerhalb von 30 Tagen40. Stellungnahmen bezüglich einer bestimmten eingerichteten CCTV-Anlage oder bezüglich des CCTV-Systems allgemein sind jederzeit möglich. Bei seiner Entscheidung, ob die Videoüberwachungsmaßnahme durchgeführt werden soll, hat der Chief of Police diese Stellungnahmen der Öffentlichkeit zu berücksichtigen und letztere wiederum über seine Entscheidung zu unterrichten und diese zu begründen41. Zu all diesen Bestimmungen existieren Ausnahmen für besondere Fälle, in denen ungewöhnliches42 oder unmittelbares Handeln der Polizei erforderlich ist43, sowie für Überwachungen nach gerichtlichem Beschluß44. Wird eine CCTV-Überwachung durchgeführt, hat das Municipal Police Department die Öffentlichkeit über die generellen technischen Fähigkeiten des verwendeten CCTV-Systems zu informieren sowie über dessen Gebrauch und die generelle Ausrichtung der Kameras, ohne (aus Sicherheitsgründen für diese45) deren genauen Standort angeben zu müssen46. 35

2502.1 DCMR. 2505.1 DCMR. 37 2505.2 DCMR. 38 2502.4 DCMR. 39 2507.2 DCMR. 40 2507.3, 2507.4 DCMR. 41 2507.5 DCMR. 42 Zum Beispiel verdeckte Ermittlungen; 2599.1 DCMR. 43 2507.6 DCMR. 44 2507.7 DCMR. 45 Die Furcht vor Zerstörung von CCTV-Kameras ist nicht unbegründet, wie etwa die Veröffentlichung des „Guide to Closed Circuit Television (CCTV) destruction“ im Internet (http://rtmark.com/cctv/) zeigt. In Camden, New Jersey, mußten Videokameras mit schußsicheren Gehäusen versehen werden, da versucht wurde, 36

C. Zusammenfassung

133

Am Ort der Überwachung sind durch das Municipal Police Department Hinweisschilder aufzustellen47. Des weiteren ist vorgesehen, die Öffentlichkeit halbjährlich bei Versammlungen der Gemeinde über den neuesten Stand der CCTV-Überwachung zu informieren48. Außerdem hat das Municipal Police Department in seinen jährlichen Bericht, Informationen bezüglich des CCTV-Systems und seiner Anwendung aufzunehmen49. Ausgenommen sind auch hier Informationen, die bei gerichtlich angeordneter Überwachung gewonnen wurden, sowie solche, die bei aktuellen strafprozessualen Ermittlungen verwendet werden. Das Municipal Police Department ist autorisiert, Abkommen mit anderen öffentlichen oder privaten Stellen über den Zugang zu deren Videoüberwachungsanlagen zu treffen. Das MPD darf nur im Rahmen ihrer gesetzlichen Ermächtigung Videoüberwachungsdaten anderer Behörden oder sonstiger Stellen empfangen und hat dabei die Regelungen des Kapitels 25 DCMR zu beachten50.

C. Zusammenfassung In den USA wird im öffentlichen Raum keine berechtigte Erwartung von Privatsphäre anerkannt, so daß der Schutz des 4. Zusatzartikels zur US Verfassung versagt bleibt. Dennoch setzt sich die Erkenntnis durch, daß Videoüberwachungen im öffentlichen Raum die Privatsphäre verkürzen können. Daneben wird die Beeinträchtigung weiterer Freiheitsrechte, vor allem der Meinungs- und der Versammlungsfreiheit befürchtet. Daher wird die Notwendigkeit gesehen, die Anwendung der Videoüberwachungstechnologie im öffentlichen Raum durch die law enforcement agencies zu reglementieren. Es bedarf Rechtsnormen, die die widerstreitenden Interessen an einer effektiven Polizeiarbeit einerseits und der Sicherung der Grundrechte andererseits zu einem gerechten Ausgleich bringen. Die Ansätze zur Normierung von Videoüberwachungsmaßnahmen weisen folgende Merkmale auf: – Zum einen wird danach unterschieden, ob der Betroffene eine berechtigte Erwartung von Privatsphäre an dem Ort der Überwachung hat. Die zur diese durch Schüsse gebrauchsuntauglich zu machen. Siehe dazu Burrows, 31 Val. U.L. Rev 1079, 1104 (1997). 46 2507.8 DCMR. 47 2507.9 DCMR. 48 2507.10 DCMR. 49 2507.11 DCMR. 50 2501.5 DCMR ff.

134 Kap. 7: Ansätze zur Reglementierung polizeilicher Videoüberwachungen

Straftatverhütung im öffentlichen Raum durchgeführte Videoüberwachung darf nicht verwendet werden, um vom Privatsphärenschutz des 4. Verfassungszusatzes umfaßte Sachverhalte aufzunehmen. – Videoüberwachungen sind nur zu legitimen Zwecken des law enforcement zulässig. Die Erreichung des verfolgten Zweckes muß durch die Maßnahme möglich sein. Diese ist zu beenden, wenn der legitime Zweck erreicht wurde. – Weiterhin wird bei Videoüberwachungen im öffentlichen Raum nach verdeckten und offenen Observationen differenziert. Verdeckte Überwachungen, deren Zweck in der Aufklärung und Verfolgung von Straftaten liegt, und offene, zu präventiven Zwecken erfolgende Überwachungen werden an unterschiedliche Voraussetzungen geknüpft. Für offene, langfristige Videoüberwachungen im öffentlichen Raum gilt folgendes: – Zum Schutz der Privatsphäre ist eine flächendeckende Videoüberwachung zu verhindern. Dies wird erreicht durch die Begrenzung der zulässigen Orte dieser Maßnahme auf Kriminalitätsschwerpunkte. Nach dem Ansatz der TAPS dient hierzu die Einführung des Tatbestandsmerkmals „reasonably likely to achieve a legitimate law enforcement objective“. Nach der Formulierung in den District of Columbia Municipal Regulations muß es sich um Orte handeln, an denen erfahrungsgemäß bestimmte Straftaten verübt werden und die Überwachung zur Aufdeckung oder Verhinderung dieser beitragen kann. – Die Öffentlichkeit ist über die technischen Möglichkeiten sowie die Orte der Überwachung zu informieren, auch wenn hierbei nicht alle Details aufgedeckt werden müssen. An den überwachten Orten sind Hinweisschilder aufzustellen. – Die Entscheidung über die Durchführung der Maßnahme liegt beim Behördenleiter oder einem anderen politically accountable law enforcement official oder einer politically accountable governmental authority. – Auch die durch die Maßnahme unmittelbar betroffenen Bürger sind bei der Entscheidung über die Durchführung der Maßnahme mit einzubeziehen. Sie müssen die Möglichkeit zur Abgabe von Stellungnahmen haben, die in den Entscheidungsprozeß einfließen müssen. Ein Vetorecht kommt den Bürgern jedoch nicht zu. – Die Durchführung von Videoüberwachungen darf nur durch geschulte Beamte erfolgen. Die Objekte der Überwachung dürfen nicht in diskriminierender Weise ausgewählt werden. Zum Schutz der Freiheiten aus dem 1. Verfassungszusatz ist ein Heranzoomen auf Flugblätter und ähnliches nicht erlaubt.

C. Zusammenfassung

135

Bei Verstoß gegen diese Bestimmungen drohen strafrechtliche oder dienstrechtliche Sanktionen. – Des weiteren sind Regelungen über die Speicherung (Aufzeichnung) von Videobildern, deren Aufbewahrung sowie über die Nutzung und Übermittlung an andere Behörden zu treffen.

Kapitel 8

Spezielle Ermächtigungsgrundlagen zu präventiv-polizeilichen Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte in Deutschland A. Normen In Deutschland ist seit der in den letzten Jahren zunehmenden Verbreitung polizeilicher Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte eine rege Gesetzgebungstätigkeit bezüglich dieser Polizeimaßnahme zu verzeichnen. In Baden-Württemberg (§ 21 III BWPolG1), Bayern (Art. 32 II BayPAG2), Brandenburg (§ 31 III BbgPolG3), Bremen (§ 29 III BremPolG4), Hessen (§ 14 III, IV Nr. 1 HessSOG5), Mecklenburg-Vorpommern (§ 32 III MVSOG), Niedersachsen (§ 32 III NGefAG6), Nordrhein-Westfalen (§ 15 a NWPolG7), Sachsen (§ 38 II SächsPolG), Sachsen-Anhalt (§ 16 II S. 2 SOG LSA), Schleswig-Holstein (§ 184 III LVwG SH), Thüringen (§ 33 II Nr. 1 ThürPAG8) und im Saarland (§ 27 II Nr. 1 SaarPolG9) haben die Landesgesetzgeber in ihren Polizeigesetzen spezielle Ermächtigungsnormen zur Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte geschaffen. Allein in Berlin, Hamburg und Rheinland-Pfalz fehlen zum heutigen Zeitpunkt entsprechende polizeigesetzliche Regelungen.

1

Eingeführt durch Gesetz vom 19.12.2000, GBl. S. 752. Absatz 2 eingefügt durch Gesetz vom 24.7.2001, GVBl. S. 348. 3 Eingefügt durch Gesetz vom 19.12.2000, GVBl. I S. 179. 4 Eingeführt durch Gesetz vom 12.9.2001, GBl. S. 271. 5 Absätze 3 und 4 angefügt durch Gesetz vom 22.5.2000, GVBl. I S. 278. 6 Neuregelung des Absatz 3 durch Gesetz vom 25.10.2001, GVBl. S. 664. Zuvor war in Absatz 5 die Beobachtung mittels Bildübertragung geregelt. 7 Eingeführt durch Art. 3 des Gesetzes zur Änderung des nordrhein-westfälischen Datenschutzgesetzes vom 9.5.2000, GVBl. S. 459. 8 Eingeführt durch Gesetz vom 20.6.2002, GVBl. S. 248. 9 Neugefaßt durch Gesetz vom 25.10.2000, Amtsbl. 2001, I, S. 146. 2

B. Vergleich der Regelungen

137

B. Vergleich der Regelungen Die genannten Regelungen ermächtigen zu polizeilichen Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte als längerfristiger Maßnahme, die schon im Vorfeld konkret drohender Gefahren eingesetzt werden kann. Im einzelnen weisen diese speziellen Ermächtigungsgrundlagen einige Unterschiede auf. Dies ist insbesondere hinsichtlich der Bestimmung des Ortes, an dem diese Maßnahme durchgeführt werden darf, der Möglichkeit der Bildaufzeichnung, der Aufbewahrung des Bildmaterials sowie hinsichtlich der Organkompetenz zur Durchführung der Videoüberwachung der Fall.

I. Charakter des öffentlichen Ortes Die genannten Ermächtigungsgrundlagen betreffen alle allein öffentlich zugängliche Orte. Darüber hinaus ist, außer in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein sowie in Niedersachsen nur hinsichtlich von Videoaufzeichnungen nicht aber der Beobachtung mittels Bildübertragung, Voraussetzung, daß der zu überwachende Ort einen gefährlichen Ort, einen sog. Kriminalitätsschwerpunkt, darstellt. Die Definitionen hierzu unterscheiden sich in Einzelheiten, gemeinsam ist ihnen aber, daß es sich um einen Ort handeln muß, an dem wiederholt Straftaten begangen worden sind und tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen bzw. Tatsachen für die Annahme sprechen, daß die Begehung weiterer Straftaten droht10. Teilweise bedient sich der Gesetzgeber zur Festlegung dieser Voraussetzung der Verweisungstechnik11 auf die Regelungen der Identitätsfeststellung an gefahrenträchtigen Orten. Dies sind nach § 26 I Nr. 2 BWPolG, Art. 13 I Nr. 2 BayPAG 10 Vgl. § 31 III BbgPolG („wenn und solange auf der Grundlage von Lageerkenntnissen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß an diesen Orten Straftaten drohen“); § 29 III BremPolG („Orte, an denen vermehrt Straftaten begangen werden oder bei denen auf Grund der örtlichen Verhältnisse die Begehung von Straftaten besonders zu erwarten ist); § 14 IV Nr. 1 HessSOG (Plätze, auf denen wiederholt Straftaten begangen worden sind, sofern tatsächliche Anhaltspunkte für weitere Straftaten bestehen) bzw. § 14 III HessSOG, der verlangt, daß tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, daß an dem zu überwachenden Ort Straftaten drohen; § 32 III S. 2 NGefAG („wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort künftig Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden“), § 15 a NWPolG (Orte, an denen wiederholt Straftaten begangen wurden, solange Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß dort weitere Straftaten begangen werden), § 27 II Nr. 1 SaarPolG (Orte, von denen auf Grund von Tatsachen anzunehmen ist, daß dort Straftaten verabredet, vorbereitet oder verübt werden), § 33 II ThürPAG („soweit tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass dort Straftaten verabredet, vorbereitet oder verübt werden sollen“).

138

Kap. 8: Spezielle Ermächtigungsgrundlagen zu Videoüberwachungen

und § 38 II SächsPolG Orte, an denen erfahrungsgemäß (bzw. aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, daß dort) Straftäter sich verbergen, Personen Straftaten verabreden oder verüben, sich ohne erforderliche Aufenthaltserlaubnis treffen oder der Prostitution nachgehen. Nach § 20 II Nr. 1 SOG LSA betrifft dies nur Orte, von denen auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte erfahrungsgemäß anzunehmen ist, daß dort Personen Straftaten verabreden, vorbereiten oder verüben oder sich Straftäter verbergen. Nach § 38 II SächsPolG dürfen an den in § 19 I Nr. 2 SächsPolG genannten Orten Videoaufnahmen oder -aufzeichnungen nur angefertigt werden, soweit tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, daß an Orten dieser Art Straftaten begangen werden sollen, durch die Personen oder Sach- oder Vermögenswerte gefährdet werden. Gem. Art. 32 II Nr. 3 BayPAG sind in Bayern dagegen Videoüberwachungen auch an Orten zulässig, an denen tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, daß dort Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung begangen werden. Art. 32 II Nr. 1 BayPAG und § 14 III HessSOG lassen daneben Videoüberwachungen durch Bildübertragung und Bildaufnahmen zur Abwehr konkreter Gefahren unabhängig von einem gefährlichen Charakter des öffentlich zugänglichen Ortes zu.

II. Art der Durchführung 1. Beobachtung mittels Bildübertragung und Aufzeichnung von Videobildern Die landesgesetzlichen Befugnisnormen differenzieren innerhalb der Videoüberwachungsmaßnahme zwischen der Beobachtung mittels Bildübertragung und der Aufzeichnung von Videobildern. Alle diese Normen, außer § 27 II SaarPolG und § 38 II SächsPolG regeln zunächst die Zulässigkeit der permanenten (offenen12) Beobachtung mittels Bildübertragung der genannten Orte. Das Fehlen einer solchen Bestimmung in § 27 II SaarPolG und § 38 II SächsPolG ist mit der Rechtsauffassung der Gesetzgeber zu erklären, reine Bildübertragungen hätten keine Eingriffsqualität, da hierbei keine Datenerhebung im Sinne des jeweiligen Polizeigesetzes vorliege, womit es für Bildübertragungen keiner Befugnisnorm bedürfe, sondern vielmehr die polizeiliche Aufgabennorm als Rechtsgrundlage ausreiche13. So 11

Vgl. § 21 III i.V. m. § 26 I Nr. 2 BWPolG, Art. 32 II Nr. 2 i.V. m. Art. 13 I Nr. 2 BayPAG, § 38 II i.V. m. § 19 I Nr. 2 SächsPolG, § 16 II S. 2 i.V. m. § 20 II Nr. 1 SOG LSA. 12 Siehe dazu unten 4.

B. Vergleich der Regelungen

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regelt § 38 II SächsPolG auch erst den Fall, daß durch Bildaufnahmen gezielt Daten über eine Person erhoben werden. Diese, insoweit schwer verständliche, Vorschrift ist in der Weise zu verstehen, daß eine Datenerhebung mittels Videoaufnahme nur bei Personen erfolgen darf, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte hinsichtlich der Begehung der genannten Straftaten (Straftaten, durch die Personen, Sach- oder Vermögenswerte gefährdet werden) vorliegen14. Andere Personen dürfen als Dritte nur erfaßt werden, wenn dies unvermeidbar ist, § 38 III S. 2 SächsPolG. § 27 II SaarPolG enthält dagegen keinerlei Regelung über Bildaufnahmen. In Sachsen-Anhalt ermächtigt § 16 II S 2 SOG LSA allein zu polizeilichen Beobachtungen mittels Bildübertragung. Die Vorschriften der anderen Bundesländer sehen dagegen auch Videoaufzeichnungen vor. In BadenWürttemberg, Bayern, Bremen, Hessen, Thüringen und im Saarland sind Videoaufzeichnungen an den genannten Orten generell ohne weitere einschränkende Voraussetzung zulässig. Ähnliches gilt in Niedersachsen. Dort dürfen Videobilder an Kriminalitätsschwerpunkten auch aufgezeichnet werden. Durch diese Regelung erfolgt gegenüber der an jeglichen, öffentlich zugänglichen Orten zulässigen Bildübertragung eine örtliche Beschränkung der Zulässigkeit von Bildaufzeichnungen. In Brandenburg15, Mecklenburg-Vorpommern16, Nordrhein-Westfalen17, und Schleswig-Holstein18 sind Videoaufzeichnungen nur zulässig, wenn im Einzelfall Tatsachen für die Begehung von Straftaten sprechen. Nach § 32 III S. 1 MVSOG und § 32 III S. 2 NGefAG muß es sich dabei um Straftaten von erheblicher Bedeutung (§ 49 MVSOG) handeln, nach § 184 III LVwG SH um Straftaten i. S. d. § 179 II LVwG SH, womit Verbrechen gemeint sind oder Vergehen, die gewerbsmäßig oder gewohnheitsmäßig begangen werden oder begangen werden sollen. Auch § 38 II S. 1 SächsPolG ist in der Weise zu verstehen, daß nur Personen aufgezeichnet werden dürfen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte hinsichtlich der Begehung von 13

Vgl. Belz, Polizeigesetz des Freistaates Sachsen, § 38, Rdnr. 9 und 5. Belz, Polizeigesetz des Freistaates Sachsen, § 38, Rdnr. 10. 15 § 31 III BbgPolG: Über Personen, bei denen auf der Grundlage ihres gegenwärtigen Verhaltens [. . .] Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß sie dort Straftaten begehen wollen, darf die Polizei Daten erheben [. . .]. 16 Siehe § 32 III i.V. m. § 33 II MVSOG. Persönliche Daten dürfen bei Videoaufzeichnungen über Personen erhoben werden, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß sie erhebliche Straftaten (§ 49 MVSOG) begehen werden, an diesen beteiligt sind oder mit den vorgenannten Personen hierzu in Verbindung stehen (§ 32 III S. 4 i.V. m. § 33 II MVSOG). 17 § 15 a II NWPolG: bei Verdacht einer begonnenen oder unmittelbar bevorstehenden Straftat. 18 § 184 III LVwG SH. 14

140

Kap. 8: Spezielle Ermächtigungsgrundlagen zu Videoüberwachungen

Straftaten, durch die Personen, Sach- oder Vermögenswerte gefährdet werden, vorliegen19. In Bayern und Sachsen sind auch Tonaufnahmen und -aufzeichnungen möglich. 2. Dauer und Zweck der Aufbewahrung von Bildaufzeichnungen Auch die Höchstdauer der Aufbewahrung von Bildaufzeichnungen ist sehr unterschiedlich geregelt. Am strengsten ist die Regelung des § 15 a II S. 3 NWPolG, wonach Aufzeichnungen unverzüglich zu löschen sind, wenn sie nicht zum Zweck der Strafverfolgung benötigt werden. Nach § 21 IV S. 2 BWPolG und § 29 III BremPolG ist die Löschung oder Vernichtung der Aufzeichnungen spätestens nach 48 Stunden vorzunehmen, gem. § 27 II Nr. 1 SaarPolG spätestens nach 2 Wochen und nach § 31 III BbgPolG sowie § 33 III S. 2 ThürPAG nach einem Monat. Die längste Dauer der Aufbewahrung von 2 Monaten sehen Art. 32 IV BayPAG, § 14 I S. 2 HessSOG, § 32 IV NGefAG und § 38 II SächsPolG vor (in Bayern und Sachsen gilt dies auch für Tonaufzeichnungen). Eine darüber hinausgehende Aufbewahrung ist allgemein nur möglich, soweit das Material zur Verfolgung von Straftaten benötigt wird. Teilweise muß es sich dabei um die Verfolgung erheblicher Straftaten handeln (§ 15 a NWPolG). Nach anderen Landesregelungen wird auch die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung (Art. 32 II BayPAG; § 27 II Nr. 1 SaarPolG) bzw. Ordnungswidrigkeiten allgemein (§ 21 IV BWPolG; § 29 III BremPolG; § 14 I S. 2 HessSOG; § 38 II SächsPolG; § 33 III S. 2 ThürPAG) erfaßt. Nach § 21 IV S. 2 i.V. m. S. 1 BWPolG sowie § 38 III SächsPolG ist auch die weitere Aufbewahrung zum Zweck der Verwendung zur Geltendmachung öffentlich-rechtlicher Ansprüche oder zum Schutz privater Rechte (§ 2 II), insbesondere zur Behebung einer bestehenden Beweisnot, möglich. Nach § 32 IV NGefAG sind weitere Speicherungen, Veränderungen oder Nutzungen der durch die Bildaufzeichnung gewonnenen personenbezogenen Daten möglich, wenn zu den in §§ 38 und 39 NGefAG genannten Zwecken erforderlich. Hiermit wird auf die allgemeinen Regeln über die Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten nach dem Zweckbindungsgrundsatz sowie zu anderen Zwecken verwiesen. Keine spezielle Regelung zur Aufbewahrung bzw. Löschung der Videoaufzeichnungen finden sich im MVSOG sowie im LVwG SH. Hier ist daher auf die allgemeine Regelung über die Löschung von Daten in § 45 II 19

Belz, Polizeigesetz des Freistaates Sachsen, § 38, Rdnr. 10.

B. Vergleich der Regelungen

141

MVSOG bzw. § 196 II LVwG SH zurückzugreifen. Danach sind unter anderem solche Daten zu löschen, die zu dem Zweck, zu dem sie erhoben wurden, nicht mehr benötigt werden. Zur Prüfung, ob die weitere Aufbewahrung von Daten erforderlich ist, sehen § 46 MVSOG und § 196 III LVwG SH eine Frist von längstens 5 Jahren vor. 3. Benachrichtigungspflicht bei Bildaufzeichnungen bzw. weiterer Verwendung der Aufzeichnungen Benachrichtigungspflichten nach erfolgter Videobildaufzeichnung finden sich in Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und NordrheinWestfalen. Eine Benachrichtigungspflicht gegenüber den Betroffenen nach Abschluß der Maßnahme bei Bildaufzeichnungen mit personenbezogenen Daten enthält § 32 III S. 3 und S. 4 i.V. m. § 34 V und VI MVSOG20. Eine Benachrichtigung hat dann zu erfolgen, wenn dies ohne Gefährdung des Zwecks der Maßnahme geschehen kann (§ 34 V S. 1 MVSOG). Die Pflicht zur Unterrichtung entfällt, wenn Bildaufzeichnungen mit personenbezogenen Daten unverzüglich nach Beendigung der Maßnahme gelöscht wurden (§ 34 VI S. 1 MVSOG). Die Unterrichtung des Betroffenen unterbleibt auch, wenn sich an die Bildaufzeichnung ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen diesen anschließt (§ 34 VI S. 2 MVSOG). Entsprechendes gilt in Schleswig-Holstein gem. § 184 III S. 3 i.V. m. § 186 VI, V LVwG SH. § 15 a III NWPolG enthält ebenfalls eine Benachrichtigungspflicht. Werden aufgezeichnete Daten einer bestimmten Person zugeordnet und verarbeitet (was nach II S. 2 allein zum Zweck der Verfolgung von Straftaten zulässig ist), so ist die betroffene Person davon zu benachrichtigen (III S. 1). Überwiegt das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung das Benachrichtigungsrecht des Betroffenen, kann von der Benachrichtigung abgesehen werden (III S. 2).

20 Bildaufzeichnungen sind in Mecklenburg-Vorpommern nur zulässig, wenn Anhaltspunkte für die Begehung von erheblichen Straftaten bestehen (§ 32 III S. 2 i.V. m. § 49 MVSOG). Persönliche Daten dürfen dabei über Personen erhoben werden, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß sie solche Straftaten begehen werden, an diesen beteiligt sind oder mit den vorgenannten Personen hierzu in Verbindung stehen (§ 32 III S. 4 i.V. m. § 33 II MVSOG).

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Kap. 8: Spezielle Ermächtigungsgrundlagen zu Videoüberwachungen

4. Offene und erkennbare Videoüberwachung § 21 III BWPolG, Art. 32 II BayPAG, § 31 III BbgPolG, § 29 III BremPolG, § 14 III und IV HessSOG, § 32 III NGefAG, § 15 a NWPolG, § 27 II Nr. 1 SaarPolG, § 16 II S. 2 SOG LSA und § 33 II ThürPAG verlangen ausdrücklich die Offenheit polizeilicher Videoüberwachung. Nach Art. 32 II BayPAG, § 27 II Nr. 1 SaarPolG und § 33 II S. 2 ThürPAG sind darüber hinaus Hinweise auf die Anfertigung von Bild- und Tonaufnahmen bzw. -aufzeichnungen erforderlich. Auch § 15 a NWPolG und § 29 III BremPolG verlangen die Erkennbarkeit der Überwachungsmaßnahme. Damit enthalten allein § 32 III MVSOG, § 38 II SächsPolG und § 184 III LVwG SH keinen Hinweis darauf, daß die polizeiliche Videoüberwachung öffentlicher Plätze offen durchzuführen ist. In diesen Bundesländern ergibt sich die Offenheit von Videoüberwachungen aus der systematischen Betrachtung der Regeln über die Datenerhebung. Die Subsidiaritätsklauseln § 178 II LVwG SH, § 26 II MVSOG und § 37 V SächsPolG bestimmen, daß Datenerhebungen grundsätzlich offen zu erfolgen haben und hiervon nur eine Ausnahme gemacht werden darf, wenn bei offener Durchführung der polizeilichen (bzw. ordnungsbehördlichen) Maßnahme die Erfüllung polizeilicher (bzw. ordnungsbehördlicher) Aufgaben gefährdet wäre oder wenn anzunehmen ist, daß die verdeckte Durchführung den überwiegenden Interessen der betroffenen Personen entspricht21. Weiterhin wird gem. § 36 II Nr. 2 SächsPolG, § 184 I Nr. 2 a LVwG SH bzw. § 33 I Nr. 2 MVSOG der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und -aufzeichnungen als besonderes Mittel der Datenerhebung definiert. Dessen Einsatz ist gem. §§ 39, 40 SächsPolG, § 185 II LVwG SH bzw. § 33 II MVSOG an besondere Voraussetzungen gebunden, die für die längerfristige Überwachung öffentlich zugänglicher Orte zum Zweck der Verhinderung noch nicht konkret drohender Straftaten nicht vorliegen22.

III. Organkompetenz zur Durchführung der Videoüberwachung In den meisten Bundesländern wird die Organkompetenz zur Einrichtung und Durchführung der polizeilichen Videoüberwachung öffentlicher Plätze der Vollzugspolizei23 eingeräumt, Art. 32 II BayPAG, § 31 III BbgPolG, 21

Vgl. hierzu Brenneisen/Staack, DuD 1999, 447 (449). Vgl. zur Rechtslage in Sachsen Belz, Polizeigesetz des Freistaates Sachsen, § 38, Rdnr. 2. A.A. zur Rechtslage in Schleswig-Holstein Kobza/Kripgans, in: Schipper (Hrsg.), Polizei- und Ordnungsrecht in Schleswig-Holstein, Rdnr. 234: Bei Beobachtungen mittels Videobildübertragung sei es unerheblich, ob die Kameras offen oder verdeckt installiert seien. 22

B. Vergleich der Regelungen

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§ 29 III BremPolG, § 15 a NWPolG, § 27 II Nr. 1 SaarPolG, § 38 II SächsPolG, § 16 II S. 2 SOG LSA sowie § 33 II ThürPAG. Nach § 29 III S. 2 BremPolG darf die Anordnung der Bildübertragung nur durch den Behördenleitung erfolgen. Weiter ist in regelmäßigen Abständen zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Anordnung noch vorliegen (S. 3). Die Orte der Videoüberwachung sind im Benehmen mit dem Senator für Inneres, Kultur und Sport festzulegen (S. 4). In Brandenburg besteht die Besonderheit, daß über die Einrichtung der Videoüberwachung das Ministerium des Innern auf Vorschlag des Polizeipräsidenten entscheidet, § 31 III S. 5 BbgPolG, die dann von der Polizei durchgeführt wird. Die Grundentscheidung, ob die Videoüberwachung eingeführt wird, verbleibt damit beim Ministerium des Innern24. In Thüringen bedarf die polizeiliche Videoüberwachung gem. § 33 III S. 3 ThürPAG der Zustimmung des für die Polizei zuständigen Ministeriums. In Hessen werden sowohl die Polizei als auch die Gefahrenabwehrbehörden zur Videoüberwachung öffentlicher Plätze ermächtigt. Nach § 14 III HessSOG können die Polizeibehörden Videoüberwachungen durchführen. Dies zum einen zur Abwehr konkreter Gefahren oder um drohende Straftaten zu unterbinden, wobei die Polizei aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu dem Schluß gekommen sein muß, daß an dem Ort der Überwachung Straftaten drohen25. Daneben sind auch Videoüberwachungen durch Gefahrenabwehrbehörden nach § 14 IV Nr. 1 HessSOG an Gefahrenbrennpunkten möglich. Wegen der fehlenden Zuständigkeit zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten, die nach § 1 VI HessSOG nur den Polizeibehörden zukommt, kommt für die allgemeinen Gefahrenabwehrbehörden jedoch nur die Durchführung der Videoüberwachung zur Abwehr konkreter Gefahren in Betracht26. Gefahrenabwehrbehörden sind gem. § 1 I S. 1 HessSOG die allgemeinen Verwaltungsbehörden (§§ 82 ff. HessSOG) und die Ordnungsbehörden (§§ 85 ff. HessSOG). Die Zuständigkeit zur Videoüberwachung liegt hier auf kommunaler Ebene, nämlich bei den Gemeinden als Verwaltungsbehörden (§ 82 I HessSOG) und den Bürgermeistern (Oberbürgermeistern) als örtlichen Ordnungsbehörden (§ 85 I Nr. 4 HessSOG)27. 23

Die dem Trennungssystem folgenden Bundesländer sprechen hier einfach von der „Polizei“. Die dem Einheitssystem folgenden Länder Bremen, Saarland und Sachsen räumen die Kompetenz der „Vollzugspolizei“ bzw. dem „Polizeivollzugsdienst“ ein. 24 Vgl. Fischer, VBlBW 2002, 89 (91, Fn. 16). 25 v. Zezschwitz, DuD 2000, 670; Hornmann, HSOG Kommentar, § 14 Erg, Rdnr. 11. 26 v. Zezschwitz, DuD 2000, 670; Hornmann, HSOG Kommentar, § 14 Erg, Rdnr. 13.

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Kap. 8: Spezielle Ermächtigungsgrundlagen zu Videoüberwachungen

Ähnliches gilt in Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Nach § 32 III MVSOG bzw. § 32 III NGefAG sind Videoüberwachungen zur Gefahrenabwehr, wozu auch der Vorsorgebereich einschließlich der Strafverfolgungsvorsorge gezählt wird28, zulässig. Zur Gefahrenabwehr sind in diesen Bundesländern sowohl die Verwaltungsbehörden als auch die Polizei zuständig, die hier beide ermächtigt werden29. Die Zuständigkeitsabgrenzung erfolgt in der Weise, daß im Bereich der Abwehr konkreter Gefahren grundsätzlich die Verwaltungsbehörden zuständig sind und der Polizei nur eine subsidiäre Zuständigkeit zukommt30. Für den Vorsorgebereich besitzt dagegen die Polizei eine originäre Kompetenz31. Zur Aufzeichnung von Videobildern ist nach § 32 III S. 2 NGefAG allein die Polizei ermächtigt. In Schleswig-Holstein sind Videoüberwachungen allgemein zugänglicher Flächen und Räume zur Gefahrenabwehr (§ 162 LVwG SH), welche gem. § 163 I LVwG SH den Ordnungsbehörden und der Polizei obliegt, zulässig. Auch in diesem Bundesland sind nach § 165 I LVwG SH die Ordnungsbehörden grundsätzlich vor der Polizei zuständig, soweit nicht eine Rechtsvorschrift die sachliche Zuständigkeit der Polizei überträgt. Die Kernregelung über die sachliche Zuständigkeit der Polizei vor den Ordnungsbehörden stellt § 168 LVwG SH dar32. Gem. § 168 I Nr. 1 LVwG SH hat die Polizei Gefahren für die öffentliche Sicherheit festzustellen und aus gegebenem Anlaß zu ermitteln. Fällt diese Prüfung positiv aus, ist die zuständige Ordnungsbehörde zu informieren, damit diese eingreifen kann. Unaufschiebbare Maßnahmen kann die Polizei gem. § 168 I Nr. 3 LVwG SH selbst vornehmen. Die Unaufschiebbarkeit einer Maßnahme ist dann gegeben, wenn diese zur Abwehr einer konkreten Gefahr zeitlich dringlich ist sowie, nach Rechtsprechung und Rechtslehre, auch im Falle eines Funktionsmangels, womit Fälle gemeint sind, in denen die Ordnungsbehörde wegen fehlenden Personals, fehlender Sachmittel oder Information tatsächlich nicht in der Lage ist, die Gefahr zu beseitigen33. Letzteres soll insbesondere für kriminalpolizeiliche Vorbeugungsprogramme und sonstige Maßnahmen der Verbrechensverhütung gelten34. 27

Vgl. Hornmann, HSOG Kommentar, § 14 Erg, Rdnr. 14. Vgl. § 1, § 7 I Nr. 4 MVSOG; § 1 I NGefAG. 29 So ausdrücklich § 32 III S. 1 NGefAG. 30 Waechter, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 291 ff. 31 Waechter, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 296. S. § 1 I S. 3 NGefAG, § 7 I Nr. 4 MVSOG. 32 Siehe dazu Kobza/Kripgans, in: Schipper (Hrsg.), Polizei- und Ordnungsrecht in Schleswig-Holstein, Rdnr. 157. 33 Kobza/Kripgans, in: Schipper (Hrsg.), Polizei- und Ordnungsrecht in Schleswig-Holstein, Rdnr. 160. 28

B. Vergleich der Regelungen

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IV. Insbesondere: Organkompetenz in Baden-Württemberg – Das Kooperationsmodell 1. Wortlaut des § 21 III BWPolG In Baden-Württemberg sind nach dem Wortlaut des § 21 III BWPolG der Polizeivollzugsdienst „und“ die Ortspolizeibehörden (die Gemeinden nach § 62 IV S. 1 BWPolG mit der Organkompetenz des Bürgermeisters) zur Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte zuständig. Diese Formulierung wirft das Problem auf, ob hiermit ein notwendiges Zusammenwirken der Behörden gemeint ist35, oder ob jeder jeweils allein die Befugnis zur Videoüberwachung eingeräumt wird. Versteht man § 21 III BWPolG im letzteren Sinne, also als Ermächtigung von Ortspolizeibehörde und Polizeivollzugsdienst nebeneinander36, wird damit jedoch die Frage aufgeworfen, warum diese Regelung in § 21 III BWPolG getroffen wurde und nicht über die Systematik des § 60 BWPolG herbeigeführt wurde. 2. Systematik der Zuständigkeiten im BWPolG Nach § 60 I BWPolG sind grundsätzlich die Polizeibehörden zur Wahrnehmung der Aufgaben der Gefahrenabwehr zuständig. Die Zuständigkeit des Polizeivollzugsdienstes beschränkt sich auf die in Rechtsvorschriften ausdrücklich vorgeschriebenen Fälle (§ 60 I BWPolG), auf die Ausführung von Vollzugshilfe bzw. Vollzugshandlungen gem. § 60 IV BWPolG sowie auf die subsidiäre Zuständigkeit in Eilfällen gem. § 60 II BWPolG, in denen ein sofortiges Tätigwerden (durch den Polizeivollzugsdienst) erforderlich erscheint. Hier tritt eine eigene Zuständigkeit des Polizeivollzugsdienstes an die Stelle der an sich zuständigen Polizeibehörde. § 60 BWPolG kennt jedoch auch Zuständigkeiten von Polizeibehörde und Polizeivollzugsdienst im Sinne eines Nebeneinander. In § 60 III BWPolG wird für die dort aufgeführten Maßnahmen eine Parallelzuständigkeit37 von Polizeibehörde und Polizeivollzugsdienst, als konkurrierende Zuständigkeit, begründet. Für die meisten polizeilichen Standardmaßnahmen 34 Kobza/Kripgans, in: Schipper (Hrsg.), Polizei- und Ordnungsrecht in Schleswig-Holstein, Rdnr. 160. Vgl. auch Brenneisen/Staack, DuD 1999, 447 (448). 35 So Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht in Baden-Württemberg, Rdnr. 604. 36 So Belz/Mußmann, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, § 21, Rdnr. 2 u. 31 f.; Fischer, VBlBW 2002, 89 (91). 37 Siehe dazu Belz/Mußmann, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, § 60, Rdnr. 7; Wolf/Stephan, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, § 60, Rdnr. 11 f.;

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Kap. 8: Spezielle Ermächtigungsgrundlagen zu Videoüberwachungen

sowie für Datenerhebungen und -übermittlungen wird dem Polizeivollzugsdienst eine eigene Zuständigkeit eingeräumt, die neben der Zuständigkeit der Polizeibehörden besteht. Eine parallele Zuständigkeit im Fall der Videoüberwachung öffentlicher Plätze hätte daher auch über § 60 III BWPolG geregelt werden und so in die Systematik der Zuständigkeiten im BWPolG eingepaßt werden können. Daß der Gesetzgeber diesen Weg nicht gegangen ist und in § 21 III BWPolG die Zuständigkeit zur Videoüberwachung extra angeordnet hat, spricht dafür, daß er damit anderes als eine Parallelzuständigkeit i. S. d. § 60 III BWPolG regeln wollte. Auffällig bei dieser Regelung ist auch, daß § 21 III BWPolG nicht von den „Polizeibehörden“ spricht, sondern ausdrücklich nur die „Ortspolizeibehörde“ ermächtigt. 3. Historie des § 21 III BWPolG Zur Klärung dieses Problems ist ein Blick auf die Gesetzesmaterialien der Neuregelung des § 21 III BWPolG zu werfen. In einer Stellungnahme des Innenministeriums in den Landtagsdrucksachen Baden-Württemberg38 heißt es, daß die Zulässigkeit der Anordnung der Videoüberwachung an Kriminalitätsbrennpunkten nicht auf den Polizeivollzugsdienst beschränkt werden, sondern auch die Ortspolizeibehörden hierfür ermächtigt werden sollen. Denn während es für die sonstigen allgemeinen und besonderen Polizeibehörden an einem Bedürfnis für Videoüberwachungsmaßnahmen fehle, könnten diese zur sachgerechten Erfüllung der Aufgaben der Ortspolizeibehörden durchaus in Betracht kommen. Als Beispiel wird die Einbindung der Videoüberwachung in Projekte der kommunalen Kriminalprävention genannt. Aus dieser Passage könnte man ableiten, daß der Gesetzgeber eine Regelung im Sinn hatte, die zunächst grundsätzlich den Polizeivollzugsdienst ermächtigt. Eine ausschließliche Zuständigkeit des Polizeivollzugsdienstes würde sich auch eher in den § 21 BWPolG einfügen, der auch in den Absätzen 1 und 2 eine solche für offene Bild- und Tonaufzeichnungen bei öffentlichen Veranstaltungen und Ansammlungen bzw. an besonders gefährdeten Objekten anordnet. Daneben sollen jedoch ausnahmsweise die Ortspolizeibehörden, nicht aber die Polizeibehörden allgemein, zur Videoüberwachung öffentlicher Orte ermächtigt werden, da diese Maßnahme nur zur Aufgabenerfüllung auf kommunaler Ebene in Betracht kommt. Bei dieser Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht in Baden-Württemberg, Rdnr. 227; Zeitler, Polizeirecht für Baden-Württemberg, Rdnr. 88. 38 LT-Drs. 12/5347, S. 5.

B. Vergleich der Regelungen

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Sicht würde dann die Frage aufgeworfen, ob der nur ausnahmsweise ermächtigten Ortspolizeibehörde das Weisungsrecht nach § 74 I BWPolG zukommt. Im Falle der ausschließlichen Zuständigkeit des Polizeivollzugsdienstes besteht dieses nämlich nicht, ist für den Fall der Parallelzuständigkeit dagegen umstritten39. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich jedoch weiterhin, daß der Gesetzgeber der Ansicht war, die Einsatzkonzeption zur effektiven Durchführung offener Videoüberwachung an Kriminalitätsbrennpunkten müßte in enger Abstimmung zwischen Polizeivollzugsdienst und Kommune erfolgen40. Die Videoüberwachungsmaßnahme dürfe nur nach Absprache von Ortspolizeibehörde und Polizeivollzugsdienst angeordnet werden41. Hieraus läßt sich erkennen, daß der Gesetzgeber bei der Regelung des § 21 III BWPolG ein gemeinsames Handeln von Polizeivollzugsdienst und Ortspolizeibehörde im Sinn hatte. Die Zuständigkeit von Polizeivollzugsdienst und Polizeibehörde sollte daher nicht im Sinne eines Nebeneinander als Parallelzuständigkeit gem. § 60 III BWPolG ausgestaltet werden, womit dem Polizeivollzugsdienst auch eine originäre Anordnungskompetenz gegeben worden wäre. Vielmehr soll hierbei eine Abstimmung zwischen Polizeivollzugsdienst und Ortspolizeibehörde erfolgen. Dieser Ansatz erscheint auch sinnvoll, wenn man bedenkt, daß so ausgeschlossen wird, daß durch den Polizeivollzugsdienst an den verschiedensten Stellen in einer Gemeinde Überwachungsanlagen installiert werden, ohne daß die Gemeinde hierauf Einfluß nehmen könnte. Die Kooperation beider ist damit nicht nur in der Praxis notwendig42, wenn es um die Frage geht, ob und an welchen Orten Videogeräte zu installieren sind, sondern sie ist auch rechtlich durch § 21 III BWPolG angeordnet. 4. Problematik: Ausgestaltung der Kooperation Wie der Vergleich mit den Ermächtigungsgrundlagen zur Videoüberwachung öffentlicher Plätze in den übrigen Bundesländern zeigt, stellt dieses Erfordernis eines Zusammenwirkens von Polizeivollzugsdienst und Ortspolizeibehörde eine Besonderheit der baden-württembergischen Regelung dar. Auch im BWPolG selbst ist dieses Kooperationsmodell eine Neuheit. 39

Siehe dazu Wolf/Stephan, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, § 74, Rdnr. 2; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht in Baden-Württemberg, Rdnr. 220; Jelden/Fischer, BWVPr 1992, 103 (105). 40 LT-Drs. 12/4988, S. 3; 12/5347, S. 3; 12/5706, S. 7 f. 41 Vgl. LT-Drs. 12/5765, S. 3. 42 So Belz/Mußmann, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, § 21, Rdnr. 31; vgl. auch zum „Mannheimer-Modell“ Fischer, VBlBW 2002, 89 (91).

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Kap. 8: Spezielle Ermächtigungsgrundlagen zu Videoüberwachungen

Offen bleibt jedoch, wie diese Kooperation zu erfolgen hat, wovon auch prozessuale Probleme wie die Frage nach dem richtigen Klagegegner – die Gemeinde als Trägerin der Ortspolizeibehörde oder gegen das Land BadenWürttemberg als Träger des Polizeivollzugsdienstes – abhängen und wie sie dogmatisch zu begründen ist. Schwierigkeiten in der Praxis können sich dann ergeben, wenn Ortspolizeibehörde und Polizeivollzugsdienst über die Einrichtung und Durchführung der Videoüberwachungsmaßnahme uneinig sind. Wenn etwa der Polizeivollzugsdienst im Gegensatz zur Ortspolizeibehörde diese durchführen möchte. Oder im umgekehrten Fall, in dem die Gemeinde die Videoüberwachung anordnet, der Polizeivollzugsdienst diese Maßnahme aber nicht durchführen möchte (etwa aus Kostengründen) und sich damit die Frage nach einem Weisungsrecht der Ortspolizeibehörde stellt. Die Landtagsdrucksachen zu § 21 III BWPolG zeigen, daß der Gesetzgeber sich zu diesem Problem weiter keine Gedanken gemacht hat43. Im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip kann diese Kooperation nicht als gleichberechtigtes Zusammenwirken „nach außen“ bei Anordnung und Durchführung der Videoüberwachung erfolgen44. Denn aus dem im Rechtsstaatsprinzip angesiedelten Grundsatz der Verantwortungszurechenbarkeit folgt, daß jede Verwaltungsmaßnahme einem bestimmten Verwaltungsträger zugeordnet sein muß45. Es muß Klarheit darüber herrschen, wem eine Maßnahme materiell zuzurechnen ist. Und damit auch, aus prozessualer Sicht, gegenüber wem, Land oder Gemeinde, Rechtsschutz zu suchen ist46. Rechtlich zulässig, und möglicher Ansatzpunkt zur Lösung dieses Problems, ist jedoch eine Kooperation von Ortspolizeibehörde und Polizeivollzugsdienst als Zusammenarbeit von Verwaltungsorganen, wie sie dem Verwaltungsrecht bekannt ist. Dies ist das Zusammenwirken in den Formen der Mitverwaltung und der Amtshilfe47. Für eine Kooperation im Sinne des § 21 III BWPolG in Betracht kommende Unterfälle sind die mit der Amtshilfe eng verwandte Vollzugshilfe48 sowie bindende Mitwirkungsakte wie das behördliche Einvernehmen oder die Zustimmung. 43 In Mannheim erfolgte die Kooperation in der Weise, daß die Videoüberwachung in einem Gemeinderatsbeschluß gebilligt wurde, die tatsächliche Durchführung dem Polizeivollzugsdienst übertragen wurde, die Gemeinde sich aber an den Kosten beteiligt. 44 Fischer, VBlBW 2002, 89 (91). 45 Fischer, VBlBW 2002, 89 (91). Vgl. zum rechtsstaatlichen Gebot der Kompetenzklarheit Sobota, S. 139 f., sowie Schmidt-Aßmann, in: HStR I, § 24, Rdnr. 79. 46 Vgl. Fischer, VBlBW 2002, 89 (91). 47 Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 13 Rdnr. 41. 48 Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 409; Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 146; a. A. Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 13 Rdnr. 41; Belz/Mußmann, Polizeigesetz für Baden-Württemberg: Vollzugshilfe als besondere Form der Amtshilfe.

B. Vergleich der Regelungen

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a) Kooperation durch Vollzugshilfe? Zur Möglichkeit der Annahme einer Vollzugshilfe durch den Polizeivollzugsdienst für die Ortspolizeibehörde bei der Durchführung der Maßnahme führt die Aufteilung des Zusammenwirkens nach Aufgabenbereichen gemäß dem BWPolG. Wie schon oben erörtert, liegt die generelle Zuständigkeit für Gefahrenabwehrmaßnahmen bei den Polizeibehörden (§ 60 I BWPolG). Der Polizeivollzugsdienst ist (vorbehaltlich anderer Regelungen) nur für Eilmaßnahmen (60 II BWPolG) und für Vollzugshandlungen (§ 60 IV BWPolG) zuständig49. Für die Anordnung von dauerhaften Maßnahmen (oder zumindest für nicht eilbedürftige Maßnahmen) sind daher die Polizeibehörden (nach § 66 II BWPolG in der Regel die Ortspolizeibehörden) zuständig. Übertragen auf die Polizeimaßnahme „Videoüberwachung“ bedeutet dies, daß die Entscheidung über das „Ob“ der Maßnahme die Ortspolizeibehörde zu treffen hat. Mit der Ausführung der Maßnahme dagegen kann der Polizeivollzugsdienst betraut werden. Dies ist möglich über ein Vollzugshilfeersuchen der prinzipiell zuständigen Ortspolizeibehörde gem. § 60 IV BWPolG, soweit für eine Vollzugshandlung die besonderen Fähigkeiten, Kenntnisse oder Mittel des Polizeivollzugsdienstes benötigt werden. Unter Vollzugshandlungen sind diejenigen polizeilichen Handlungen zu verstehen, die unmittelbar, notfalls zwangsweise, der Durchführung von Rechtsvorschriften, gerichtlichen oder behördlichen Anordnungen dienen50. Teilweise wird dies, wegen des Elements der Unmittelbarkeit in bezug auf Personen, Sachen und Geschehen in der Umwelt, auch als „polizeiliche Tätigkeitsakte in der Außenwelt“ umschrieben51. Bei der Durchführung der Videoüberwachung handelt es sich, nach dem hier erläuterten Ansatz, um eine polizeiliche Handlung gegenüber der Außenwelt, mit der die Anordnung durch die Ortspolizeibehörde durchgeführt wird. Das Tätigwerden des Polizeivollzugsdienstes – und nicht der Ortspolizeibehörde selbst – empfiehlt sich aufgrund seiner besonderen Fähigkeiten auf dem Gebiet der Überwachung und der Auswertung von Daten52. Weitere Voraussetzung der Vollzugshilfe nach § 60 IV BWPolG ist jedoch das Nichtbestehen eines Weisungsverhältnisses zwischen ersuchender und ersuchter Behörde53. Dies könnte hier wegen § 74 I S. 1 BWPolG frag49

Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 448. So der RegE, LT-Drs. 10/5230. 51 Siehe Wolf/Stephan, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, § 60, Rdnr. 15, m. w. N. 52 Vgl. Belz/Mußmann, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, § 21, Rdnr. 31. 50

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Kap. 8: Spezielle Ermächtigungsgrundlagen zu Videoüberwachungen

lich sein, wonach die Ortspolizeibehörden im Rahmen ihrer Zuständigkeit den Polizeidienststellen Weisungen erteilen können. Da jedoch auch der Umfang der Zuständigkeit der Ortspolizeibehörde nach § 21 III BWPolG bislang nicht geklärt werden konnte, läßt sich das Bestehen eines Weisungsrechts an dieser Stelle nicht eindeutig feststellen oder ablehnen. Nimmt man aber ein Weisungsrecht an, so ist Vollzugshilfe nach § 60 IV BWPolG ausgeschlossen. Die Vornahme der Vollzugshandlung durch den Polizeivollzugsdienst könnte dann jedoch kraft Weisungsrecht nach § 74 I S. 1 BWPolG durch die Ortspolizeibehörde direkt angeordnet werden54. Löst man das Problem der durch § 21 III BWPolG angeordneten Kooperation in der Weise, daß zur Anordnung der Maßnahme die Ortspolizeibehörde und zur Durchführung der Polizeivollzugsdienst im Wege der Vollzugshilfe zuständig ist, verbleibt die Frage nach der Verantwortlichkeit nach außen gegenüber betroffenen Bürgern bzw. das prozessuale Problem des Klagegegners im Falle eines Rechtsschutzersuchens. Hierzu muß festgestellt werden, daß die Anordnung durch die Ortspolizeibehörde nur im Innenverhältnis gegenüber dem Polizeivollzugsdienst, nicht jedoch nach außen, wirken kann. Rechtsschutz ist daher gegen die Durchführung der Maßnahme, für die der Polizeivollzugsdienst verantwortlich ist55, zu suchen. Gegen diese Lösung, die geforderte Kooperation als Fall der Vollzugshilfe zu qualifizieren, sprechen jedoch die schon oben angesprochenen Argumente der Systematik des § 21 BWPolG sowie der Historie. Der Vergleich mit § 21 I und II BWPolG verdeutlicht, daß die polizeiliche Kompetenz zur Anfertigung von offenen Bild- und Tonaufzeichnungen grundsätzlich ausschließlich bei dem Polizeivollzugsdienst liegt, und hier damit eine Ausnahme zur grundsätzlichen Zuständigkeit der Polizeibehörden nach § 60 I BWPolG gegeben ist. Dies spricht dafür, auch § 21 III BWPolG in der Weise auszulegen, daß Anordnungs- und Durchführungskompetenz zur offenen Videoüberwachung öffentlicher Plätze beim Polizeivollzugsdienst liegen sollen. b) Kooperation durch bindenden Mitwirkungsakt der Ortspolizeibehörde? Die Passagen der Gesetzesmaterialien, in denen von enger Kooperation mit den Gemeinden bzw. von einer Abstimmung zwischen Polizeivollzugs53 Belz/Mußmann, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, § 60, Rdnr. 14; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht in Baden-Württemberg, Rdnr. 175. 54 Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht in Baden-Württemberg, Rdnr. 175. 55 Vgl. Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 153; Würtenberger/ Heckmann/Riggert, Polizeirecht in Baden-Württemberg, Rdnr. 177.

B. Vergleich der Regelungen

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dienst und Ortspolizeibehörde die Rede ist, können dann so interpretiert werden, daß zur Anordnung dieser Polizeimaßnahme ein bindender Mitwirkungsakt der Ortspolizeibehörde erforderlich ist. Als solche kennt das Verwaltungsrecht etwa das Einvernehmen oder die Zustimmung56. Nur bei positiver Entscheidung der Ortspolizeibehörde dürfte der Polizeivollzugsdienst dann Videoüberwachungen vornehmen, nicht aber bei negativem Ergebnis der Mitwirkung. Auch dieser Ansatz würde den beschriebenen Überlegungen gerecht werden, daß die Polizeibehörden aufgrund ihrer fachlichen Möglichkeiten zur Vornahme der Videoüberwachung befugt sein sollen, die Entscheidung des „Ob“ einer solchen Maßnahme bzw. an welchem Ort jedoch nur in Zusammenarbeit von Polizeivollzugsdienst und Ortspolizeibehörde getroffen werden kann. Zuzurechnen ist die Videoüberwachungsmaßnahme nach diesem Ansatz dem Polizeivollzugsdienst. Ein von der Videoüberwachung betroffener Bürger müßte daher im Falle einer Klage gegen das Land Baden-Württemberg als Träger des Polizeivollzugsdienstes vorgehen. Dieser zweite Lösungsansatz scheint damit den gesetzgeberischen Intentionen besser gerecht zu werden und ist auch aufgrund der genannten systematischen Überlegung vorzuziehen. Zu erwähnen bleibt allerdings, daß sich im Bereich der Verwaltung immer öfter sogenanntes informelles Verwaltungshandeln, also solche Verwaltungshandlungen, die sich nicht unter die herkömmlichen rechtlich formalisierten Handlungsformen der Verwaltung fassen lassen, findet57. Es ist daher auch denkbar, daß, wenn in den Gesetzesmaterialien von „Abstimmung“ zwischen zwei Behörden die Rede ist, eine Form des Zusammenwirkens sui generis gemeint ist, diese also nicht den bestehenden Mitarbeitsformen wie Einvernehmen bzw. Zustimmung oder Vollzugshilfe zugeordnet werden kann. Festzustellen ist jedoch, daß nach allen Lösungen die Durchführung der Videoüberwachung – im Gegensatz zu ihrer Anordnung – in den Händen des Polizeivollzugsdienstes liegt. Nach außen, gegenüber dem Bürger, wird damit der Polizeivollzugsdienst tätig. Der Bürger wird Rechtsschutz gegen die Durchführung der Maßnahme zu suchen haben, so daß richtiger Gegner einer Klage das Land Baden-Württemberg als Träger des Polizeivollzugsdienstes ist58.

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Siehe dazu Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 13, Rdnr. 43 f. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 15, Rdnr. 14 ff. 58 So war es auch richtigerweise im Fall der Klage gegen die Videoüberwachung in Mannheim. VG Karlsruhe, VBlBW 2002, 131. 57

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Kap. 8: Spezielle Ermächtigungsgrundlagen zu Videoüberwachungen

V. Weitere Besonderheiten einzelner Regelungen § 31 III S. 6 BbgPolG sieht eine Aufbau- und Erprobungsphase von 5 Jahren vor, nach der die Landesregierung einen umfassenden Bericht über Einsatz und Auswirkung der Maßnahme zu erstatten hat, um eine Entscheidungsgrundlage für den Landtag über den Fortbestand der Regelung zu schaffen. § 33 III S. 4 ThürPAG ordnet ausdrücklich die Unterrichtung des Landesbeauftragten für den Datenschutz durch das für die Polizei zuständige Ministerium an, welches seine Zustimmung zur polizeilichen Videoüberwachung erteilen muß (S. 3). § 33 IV ThürPAG enthält eine Bestimmung über die technische Ausstattung der Aufzeichnungs- und Übertragungsgeräte zur Gewährleistung einer hohen Datensicherheit und eines hohen Datenschutzes.

Kapitel 9

Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe durch polizeiliche Videoüberwachungen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Die polizeiliche Videoüberwachung öffentlicher Orte bedarf als Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Wie das BVerfG im Volkszählungsurteil ausführt1, sind Einschränkungen dieses Grundrechts im überwiegenden Allgemeininteresse zulässig. Sie bedürfen einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage, die dem Gebot der Normenklarheit entspricht und das Verhältnismäßigkeitsprinzip wahrt. Des weiteren sind zum Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung verfahrensrechtliche und organisatorische Vorkehrungen zu treffen.

A. Erfordernis einer Ermächtigungsgrundlage Das Erfordernis einer formell und materiell verfassungsmäßigen Ermächtigungsgrundlage folgt aus dem rechtsstaatlichen Vorbehalt des Gesetzes2. Dieser verlangt eine gesetzliche Grundlage für grundrechtseingreifendes Verwaltungshandeln3. Erfaßt werden hierbei nicht nur klassische Eingriffe. Der Vorbehalt des Gesetzes ist nicht ausschließlich „befehlsorientiert“, sondern erfaßt grundsätzlich auch faktische Eingriffe4. Mit der Ausdehnung des Grundrechtsschutzes auch auf faktische und mittelbare Beeinträchtigungen ist zugleich auch der Gesetzesvorbehalt ausgedehnt worden5. Dies erfolgte nicht allein im Interesse des Schutzes subjektiver Rechte, sondern auch zur Stärkung der parlamentarischen Verantwortung und damit der demokratischen Legitimation staatlichen Handelns6. Wegen dieser teilweise 1

BVerfGE 65, 1 (44). Siehe dazu v. Münch, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar, Band 1, Vorb. Art. 1–19 GG, Rdnr. 54. 3 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 273; Degenhart, Staatsrecht I, Rdnr. 319. 4 Roth, W., S. 598 ff.; Höfling, in: Möller/v. Zezschwitz (Hrsg.), Videoüberwachung – Wohltat oder Plage?, 2000, 29 (37). 5 BVerfG, NJW 2002, 2626 (2629). 6 BVerfG, NJW 2002, 2626 (2629). Vgl. auch Roth, W., S. 599. 2

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

unterschiedlichen Gründe für die Ausweitung des Grundrechtsschutzes einerseits und des Gesetzesvorbehalts andererseits ist es jedoch nicht selbstverständlich, daß der Gesetzesvorbehalt zwangsläufig mit der Ausweitung des Schutzes auf faktische und mittelbare Beeinträchtigungen von Grundrechten in jeder Hinsicht mitgewachsen ist7. So finden sich verschiedene Ansichten zur Einschränkung des Gesetzesvorbehalts bei faktischen Grundrechtseingriffen. Im Hinblick auf die Praktikabilität und die Effizienz staatlichen Handelns wird argumentiert, der Gesetzesvorbehalt passe nur auf finale Eingriffe8 oder zumindest nur für vorhersehbare und nicht untypische Erfolge9. Nach anderer Ansicht sind auch faktische Eingriffe insgesamt dem Vorbehalt des Gesetzes zu unterstellen10. In diesem Kontext ist auch eine neueste Entscheidung des BVerfG zu betrachten. In seinem Beschluß vom 26.06.02 bezüglich Informationen der Bundesregierung über religiöse und weltanschauliche Vereinigungen führt das BVerfG aus11, daß mittelbar-faktische Beeinträchtigungen, die im Rahmen staatlicher Aufgabenerfüllung erfolgen, nach dem Vorbehalt des Gesetzes keiner darüber hinausgehenden besonderen Ermächtigung durch den Gesetzgeber bedürften, es sei denn, die Maßnahme stelle sich nach der Zielsetzung und ihren Wirkungen als Ersatz für eine staatliche Maßnahme dar, die als Grundrechtseingriff im herkömmlichen Sinne zu qualifizieren sei. Durch Wahl eines solchen funktionalen Äquivalents eines Eingriffs könne das Erfordernis einer besonderen gesetzlichen Grundlage nicht umgangen werden. Das BVerfG begründet seine Ansicht damit, daß die Anforderungen an eine gesetzliche Ermächtigung dadurch mitbestimmt würden, ob diese dazu beitragen könnten, die im Rechtsstaats- und im Demokratieprinzip wurzelnden Anliegen des Gesetzesvorbehalts zu erfüllen. Dies hänge auch von den hierauf bezogenen Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten des Gesetzgebers ab. Der Sachbereich müsse staatlicher Normierung zugänglich sein. Ob und inwieweit das der Fall sei, lasse sich nur im Blick auf den jeweiligen Sachbereich und auf die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes beurteilen. Die Aufgabe staatlichen Handelns könne der Gesetzgeber ohne weiteres festlegen. Ebenso könne er die Voraussetzungen gezielter und unmittelbarer Eingriffe normieren. Für die faktisch-mittelbaren Wirkungen staatlichen Handelns gelte dies regelmäßig nicht. Hier liege die Beeinträchtigung nicht in einem staatlicherseits geforderten Verhalten 7

BVerfG, NJW 2002, 2626 (2629). Isensee, in: HStR V, § 111, Rdnr. 68, 70. 9 Bleckmann, Staatsrecht II – Die Grundrechte, § 12, Rdnr. 44; Heintzen, VerwArch. 81 (1990), 532 (537, Fn. 29; 542, Fn. 45); Roth, A., S. 176, 348 ff. 10 Roth, W., S. 600 mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 11 BVerfG, NJW 2002, 2626 (2629). 8

A. Erfordernis einer Ermächtigungsgrundlage

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des Normadressaten, sondern in den Wirkungen staatlichen Handelns für einen Dritten, die insbesondere vom Verhalten anderer Personen abhingen. Die Beeinträchtigung entstehe aus einem komplexen Geschehensablauf, bei dem Folgen grundrechtserheblich würden, die indirekt mit dem eingesetzten Mittel oder dem verwirklichten Zweck zusammenhingen. Derartige faktisch-mittelbare Wirkungen entzögen sich typischerweise einer Normierung. Dieser Meinungsstreit über das Erfordernis einer Ermächtigungsgrundlage bei faktischen Grundrechtseingriffen durch staatliches Handeln ist auch bei der Beurteilung polizeilicher Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte von Bedeutung, da die damit verbundenen Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der beobachteten Personen nicht rechtsförmig erfolgen und somit als faktische Eingriffe zu qualifizieren sind. Werden bestimmte Personen durch Nahaufnahmen gezielt beobachtet oder erfolgt eine Bildaufzeichnung, so liegt hierin ein finaler Grundrechtseingriff durch die Erhebung bzw. auch Speicherung personenbezogener Daten. Nach allgemeiner Ansicht bedarf ein solcher Eingriff einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Anders liegt es jedoch im Fall bloßer Beobachtungen von öffentlich zugänglichen Orten mittels Übertragung von Übersichtsbildern. Diese bedeuten einen Grundrechtseingriff, wie oben ausführlich dargestellt12, aufgrund des Entstehens eines objektiv begründeten Überwachungs- und Anpassungsdrucks durch die polizeiliche Beobachtung mittels zoomfähiger und zumeist auch zu Bildaufzeichnungen fähiger Videosysteme. Diese Eingriffe liegen jedoch nicht in der Intention der die Maßnahme durchführenden Polizeiund Ordnungsbehörden. Ziel der Maßnahme ist die Abschreckung potentieller Straftäter. Ein entstehender Überwachungsdruck bei anderen Personen, der zur Einschränkung ihrer Verhaltensfreiheit führen kann, ist nicht beabsichtigt. Dieser Eingriff ist vielmehr eine ungewollte aber unvermeidbare Folge einer Videoüberwachung, die allerdings typisch und vorhersehbar ist. Diese Grundrechtsbeeinträchtigung erfolgt unmittelbar, da es sich bei der permanenten Videoüberwachung durch die Übertragung von Übersichtsbildern um eine Maßnahme handelt, die ihrer Art nach ohne Einschränkung gegen alle Personen gerichtet ist, die den überwachten Ort betreten. Beobachtungen mittels Übertragung von Übersichtsbildern stellen damit einen nicht finalen, unmittelbaren, faktischen Grundrechtseingriff dar. Hier ist nach allen obigen Ansichten eine Ermächtigungsgrundlage erforderlich, außer nach der erstgenannten, welche dies nur bei finalen Eingriffen fordert. Diese Ansicht ist aber mit Blick auf die Funktionen des Geset12

Siehe oben Kapitel 6, C.IV.2.

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

zesvorbehalts abzulehnen13. Diese bestehen zum einen in der rechtsstaatlichen, grundrechtsschützenden und Rechtsschutz gewährleistenden Funktion14. Der Gesetzesvorbehalt erfüllt zunächst eine Substanzerhaltungsfunktion, in dem er die Substanz des grundrechtlichen Gewährleistungssatzes erhält15. Er ist damit als solcher schon Ausdruck des Übermaßverbots16. Weiterhin kommt dem Gesetzesvorbehalt die Funktion zu, die gerichtliche Kontrolle über die Grundrechtsbegrenzung zu eröffnen, was als Kontrolleröffnungsfunktion umschrieben werden kann17. Zum anderen erfüllt der Gesetzesvorbehalt eine demokratische Funktion18. Ihm kommt eine Flexibilitätsfunktion zu, indem er die Möglichkeit der sachbezogenen Reaktion des Gesetzgebers auf die vielfältigen Anforderungen der Lebenswirklichkeit offenhält, aber auch einfordert19. Diese Funktionen müssen auch bei nicht finalen, faktischen Grundrechtseingriffen erfüllt werden können, so daß der Gesetzesvorbehalt auch bei diesen eingreifen muß. Denn gerade bei solchen Eingriffen fehlen rechtsstaatliche Begleitsicherungen, weshalb sie dem Gesetzesvorbehalt, insbesondere wegen seiner grundrechtsschützenden Funktion, zu unterwerfen sind20. Für den konkreten Fall der Videoüberwachung durch Anfertigung von Übersichtsaufnahmen ist dies der Fall, da diese durch den strategischen Einsatz technischen Überwachungsgeräts eingreifende Maßnahme die besondere Gefahr der Entstehung einer „flächendekkenden“ staatlichen Überwachungsstruktur in sich birgt, womit wiederum auch psychologische und gesellschaftliche Gefahren verbunden sind21. In diesem Fall ist zu verlangen, daß der Gesetzgeber die Voraussetzungen der Videoüberwachung in allen ihren Teilmaßnahmen als wesentliche Entscheidung im Bereich der Grundrechtsausübung (Wesentlichkeitstheorie 22) selbst 13 Büllesfeld, S. 150; Roth, W., S. 600. Vgl. dazu auch Höfling, in: Möller/ v. Zezschwitz (Hrsg.), Videoüberwachung – Wohltat oder Plage?, 2000, 29 (37 f.); Roth, A., S. 336 ff.; Sachs, in: Stern, Staatsrecht für die Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, S. 392 f. 14 Vgl. BVerfG, NJW 2002, 2626 (2630). 15 Höfling, in: Möller/v. Zezschwitz (Hrsg.), Videoüberwachung – Wohltat oder Plage?, 2000, 29 (38). 16 Höfling, in: Möller/v. Zezschwitz (Hrsg.), Videoüberwachung – Wohltat oder Plage?, 2000, 29 (38). 17 Höfling, in: Möller/v. Zezschwitz (Hrsg.), Videoüberwachung – Wohltat oder Plage?, 2000, 29 (38). 18 Vgl. BVerfG, NJW 2002, 2626 (2630). 19 Höfling, in: Möller/v. Zezschwitz (Hrsg.), Videoüberwachung – Wohltat oder Plage?, 2000, 29 (38). 20 Büllesfeld, S. 150 im Anschluß an Höfling, in: Möller/v. Zezschwitz (Hrsg.), Videoüberwachung – Wohltat oder Plage?, 2000, 29 (37 f.). 21 So auch Büllesfeld, S. 150. 22 Nach der Wesentlichkeitstheorie muß der Gesetzgeber „in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, soweit diese staat-

A. Erfordernis einer Ermächtigungsgrundlage

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regelt. Auch das polizeiliche Beobachten öffentlich zugänglicher Orte mittels Übertragung von Übersichtsbildern untersteht damit dem Gesetzesvorbehalt und bedarf daher der gesetzlichen Ermächtigung23. Ein weiteres Problem stellt sich dadurch, daß bei einer gezielten Beobachtung mittels Bildübertragung und Bildaufzeichnung gegenüber einer bestimmten Person die Möglichkeit besteht, daß dabei unbeabsichtigt aber unvermeidbar auch personenbezogene Informationen eines Dritten mit erhoben und gespeichert werden. Dies kann etwa dadurch geschehen, daß eine Person zufällig durchs Bild läuft oder aber daß die Aufzeichnung ein Opfer oder einen Begleiter mit erfaßt. Hier ist fraglich, ob es bezüglich dieser Datenerhebung und -speicherung von Drittbetroffenen einer gesetzlichen Ermächtigung bedarf. Solche Ermächtigungen finden sich in § 31 III S. 3 BbgPolG, § 38 II S. 2 SächsPolG, § 16 II S. 2 i.V. m. I S. 2 SOG LSA und § 33 III S. 1 ThürPAG. In § 33 III S. 1 ThürPAG wird etwa formuliert: „Die Datenerhebung darf auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden.“ Entsprechendes regelt § 38 II S. 2 SächsPolG mit nur geringfügig abweichendem Wortlaut. Nach § 31 III S. 3 BbgPolG „dürfen auch personenbezogene Daten über andere Personen erhoben werden, soweit dies erforderlich ist, um eine Aufzeichnung nach Satz 2 durchführen zu können.“ Eine ähnliche Aussage enthält § 16 II S. 2 i.V. m. I S. 2 SOG LSA für den Fall der Datenerhebung durch Beobachtung mittels Bildübertragung ohne Bildaufzeichnung. In den anderen Bundesländern enthalten die Normierungen der polizeilichen Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte keine solchen Passagen. Soweit in diesen anderen Bundesländern zu Bildaufzeichnungen nur im Einzelfall bei tatsächlichen Anhaltspunkten für die Begehung einer Straftat ermächtigt wird, findet sich dennoch keine Aussage über den Adressatenkreis dieser Maßnahme. Dies ist ebensowenig der Fall in den Bundesländern, die schon an die Bildaufzeichnung keine weitere Voraussetzung als an eine Beobachtung mittels Bildübertragung knüpfen. Bei der Datenerhebung und -speicherung durch die ungewollte aber unvermeidbare Aufzeichnung des Bildes eines Dritten handelt es sich um einen nicht finalen, faktischen Grundrechtseingriff. Allerdings ist dieser als vorhersehbar und als typische Nebenfolge des gegen die andere Person gezielt erfolgenden Eingriffs zu charakterisieren. Nach Ablehnung des Finalitätskriteriums als Voraussetzung des Eingreifens des Vorbehalts des Gesetzes müßte man hier mit den übrigen der oben genannten Ansichten zu dem licher Regelung zugänglich sind, alle wesentlichen Entscheidungen selbst . . . treffen“; BVerfGE 61, 269 (275); 88, 103 (116); Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 264. 23 So auch Büllesfeld, S. 150; Dolderer, NVwZ 2001, 130 (132).

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

Ergebnis kommen, daß hier auch eine gesetzliche Ermächtigung erforderlich ist. Anderes könnte sich allerdings aus einer Betrachtung dieses Problems im Hinblick auf die Funktionen des Vorbehalts des Gesetzes sowie der Heranziehung der Überlegungen des BVerfG in seiner Entscheidung zur Informationstätigkeit der Bundesregierung über religiöse und weltanschauliche Vereinigungen24 ergeben. Dort vertritt das Gericht, wie schon oben dargelegt, die Ansicht, bei mittelbar-faktischen Eingriffen sei eine gesetzliche Ermächtigung nicht erforderlich, soweit sich das staatliche Handeln im Rahmen einer zugewiesenen Aufgabe bewegt und der Eingriff kein funktionales Äquivalent für einen Eingriff im klassischen Sinne darstellt25. Die dieser Entscheidung zugrundeliegende Situation einer Drittbetroffenheit durch staatliche Informationstätigkeit unterscheidet sich allerdings von derjenigen durch Videobildaufzeichnungen in der Weise, daß die Beeinträchtigung bei ersterer mittelbar durch das Verhalten anderer Personen, nämlich der informierten Bürger, herbeigeführt wird, während im Falle der Videobildaufzeichnung die Beeinträchtigung unmittelbar von der polizeilichen Handlung ausgeht. Doch auch dort wird der Eingriff durch ein Verhalten eines anderen initiiert, weshalb von einer Drittbetroffenheit gesprochen werden kann. Dieses Verhalten einer anderen Person, im konkreten Fall ein verdächtiges Verhalten hinsichtlich der Begehung von Straftaten, kann im Tatbestand einer Ermächtigungsgrundlage normiert werden. Eine gezielte Videobildaufzeichnung gegenüber einer konkreten Person kann jedoch nicht durchgeführt werden, wenn hierbei nicht auch Dritte bei Unvermeidbarkeit betroffen werden dürften. Denn hier ist es immer und gerade bei Videoüberwachungsmaßnahmen an öffentlich zugänglichen und vielfrequentierten Orten, wie innerstädtischen Straßen und Plätzen, möglich, daß ein Dritter in den Bildausschnitt einer Kamera läuft oder daß ein Dritter schon neben der aufzuzeichnenden Person steht und ein Zuwarten, bis dieser sich entfernt, den Überwachungszweck zunichte machen würde. Eine solche Drittbetroffenheit ist daher eine unvermeidbare Nebenfolge der gezielten Bildaufzeichnung, mit der immer gerechnet werden muß. Hierin liegt die Begründung für die Feststellung in den genannten Ermächtigungsnormen, daß die Maßnahme auch bei unvermeidbarer Datenerhebung gegenüber Dritten durchgeführt werden darf. Diese Gesetzespassagen beschränken sich jedoch auf solche allgemein gehaltenen Formulierungen, ohne eine weitere, dem Grundrechtsschutz Dritter oder der demokratischen Funktion des Gesetzesvorbehalts dienende tatbestandliche Ausgestaltung vorzunehmen. Durch den Gesetzgeber wird hier keine weitere Entscheidung zu der zu regelnden Materie getroffen. Dies ist typischerweise der Fall bei einer Normierung einer 24 25

BVerfG, NJW 2002, 2626. BVerfG, NJW 2002, 2626 (2629).

B. Verfassungsmäßigkeit der speziellen Ermächtigungsgrundlagen

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unbezweckten aber unvermeidbaren Nebenfolge einer bereits gesetzlich geregelten staatlichen Maßnahme. Im Hinblick auf die Funktionen des Gesetzesvorbehalts erscheint es daher nicht erforderlich, eine Ermächtigung auch zu unbezweckten, unvermeidbar Dritte betreffenden Nebenfolgen einer staatlichen Maßnahme zu fordern, soweit letztere, wie hier, im Bereich der Aufgabenwahrnehmung und auf Grundlage einer Befugnisnorm erfolgt. In dem hier betrachteten Fall muß jedoch weiterhin bedacht werden, daß der Eingriff gegenüber einem Dritten durch die Speicherung personenbezogener Daten erfolgt. In seiner Wirkung unterscheidet sich dieser nicht von anderen Eingriffen durch Datenspeicherungen. Es besteht hier die Möglichkeit der Eingriffsvertiefung durch Folgeeingriffe durch eine weitere Verarbeitung dieser Daten. Es ist damit zwingend, daß eine Pflicht zur Löschung nicht benötigter Daten normiert ist, womit auch die Pflicht zur Festlegung des Verwendungszwecks verbunden ist. Erst diese Pflichten begründen einen effektiven Schutz der Grundrechte von durch Datenerhebungen und -speicherungen betroffener Dritter.

B. Verfassungsmäßigkeit der speziellen Ermächtigungsgrundlagen Um als Ermächtigungsgrundlage für grundrechtseingreifende polizeiliche Videoüberwachungen zu dienen, müssen die polizeigesetzlichen Normierungen dieser Maßnahme selbst formell und materiell verfassungsmäßig sein.

I. Formelle Verfassungsmäßigkeit der speziellen Ermächtigungsgrundlagen: Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer Bedenken an der formellen Rechtmäßigkeit dieser speziellen Ermächtigungsgrundlagen in den Polizeigesetzen könnten hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz der Länder bestehen26. 1. Doppelzuständigkeit der Polizei und Gesetzgebungskompetenz Den Polizeibehörden kommt eine Doppelzuständigkeit zu: Sie haben Aufgaben der Gefahrenabwehr sowie der Strafverfolgung wahrzunehmen. Für den Bereich der Gefahrenabwehr, die traditionell die Abwehr konkreter 26 Vgl. Fischer, VBlBW 2002, 89 (90); Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 185; Röger/Stephan, NWVBl 2001, 201 (205); Roggan, NVwZ 2001, 134 (138 f.); Vahle, NVwZ 2001, 165 (166 f.).

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

Gefahren für die öffentliche Sicherheit beinhaltet, liegt die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz bei den Bundesländern. Für den Bereich der Strafverfolgung besteht dagegen nach Art. 72, 74 I Nr. 1 GG eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Polizeiliche Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte berühren beide diese Aufgabenfelder. Zielrichtung der Maßnahme ist zunächst die Abschreckung potentieller Straftäter von der Begehung einer Straftat. Diese Abschreckungswirkung soll sich zum einen aus der einfachen Tatsache der offenen Beobachtung eines Ortes ergeben, kann zum anderen aber auch durch Videoaufzeichnungen verstärkt werden. Denn mit der Aufzeichnung der Videobilder erhöht sich die Aufklärungschance einer trotz Überwachung begangenen Straftat. Hiermit ist schon der weitere Zweck der Videoüberwachung aufgezeigt: Die Videoaufzeichnung erleichtert auch die Aufklärung und Verfolgung von Straftaten. Die Videoüberwachung als Gesamtmaßnahme läßt sich daher nicht eindeutig in den durch die Bundesländer zu regelnden Bereich der Gefahrenabwehr einordnen. Auch berührt ist der Bereich der Strafverfolgung, für den nach Art. 72, 74 I Nr. 1 GG dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zukommt. Die Gesetzgebungskompetenz der Länder erscheint daher bezüglich dieses Teils der Videoüberwachung problematisch. Zur Klärung dieser Kompetenzfrage ist die Zielrichtung von Videoaufnahmen und Videoaufzeichnung öffentlicher Plätze genau zu analysieren und sodann eine Zuordnung zu der vom Grundgesetz vorgegebene Kompetenzordnung vorzunehmen. 2. Videoaufnahmen zur Abwehr konkreter Gefahren Durch die Beobachtung öffentlich zugänglicher Orte im Kamera-Monitor-Prinzip ist es möglich, Gefahren für die öffentliche Sicherheit frühzeitig zu erkennen. Von der Beobachtungszentrale aus können dann Polizeibeamte informiert werden, die an Ort und Stelle einschreiten und eine drohende Gefahr abwehren oder weiteren Schaden verhindern können27. Hierbei handelt es sich unzweifelhaft um einen Fall der Gefahrenabwehr, als Abwehr einer konkreten Gefahr, für deren Regelung die Landesgesetzgeber zuständig sind28.

27 Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (78); vgl. Landtag von Baden-Württemberg, LTDrs. 12/5347. 28 Fischer, VBlBW 2002, 89 (90).

B. Verfassungsmäßigkeit der speziellen Ermächtigungsgrundlagen

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3. Aufnahmen und Aufzeichnung zur Gefahrenvorsorge Hauptziel der polizeilichen Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte ist jedoch die allgemeine Verhinderung von Straftaten. Sie setzt nicht erst bei Vorliegen einer tatsächlich bestehenden Gefahr, sondern bereits in deren Vorfeld an. Durch die von Videoaufnahmen und insbesondere von der Möglichkeit von Videoaufzeichnungen29 ausgehende Abschreckungswirkung auf potentielle Straftäter soll schon das Entstehen einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit verhindert werden30. Die Videoüberwachung ist somit eine Maßnahme der Gefahrenvorsorge31. Die Gefahrenvorsorge32 wird traditionell aber auch zur polizeilichen Aufgabe der Gefahrenabwehr gerechnet und unterliegt damit ebenfalls der Gesetzgebungskompetenz der Länder33. Das Verhüten von Straftaten ist Prävention, es gehört als Verhinderung eines Schadenseintritts zum Kernstück polizeilicher Gefahrenabwehr34. 4. Aufzeichnung zur Strafverfolgungsvorsorge Durch Videoaufzeichnungen kann jedoch nicht nur der beschriebene Abschreckungseffekt vergrößert werden. Durch diese Aufzeichnungen werden auch Informationen gesammelt, die der Aufklärung und Verfolgung trotz Videoüberwachung begangener Straftaten und Ordnungswidrigkeiten dienen. § 21 III BWPolG, Art. 32 II BayPAG, § 29 III BremPolG, § 14 III, IV Nr. 1 HessSOG, § 27 II Nr. 1 SaarPolG, § 38 II SächsPolG sowie § 33 II ThürPAG erlauben generell die Bildaufzeichnung im Rahmen der Videoüberwachung. Hier ist es der Polizei möglich, ununterbrochen die Überwachungsbilder aufzuzeichnen und für einen bestimmten Zeitraum35 aufzube29 Anders Vahle, NVwZ 2001, 165 (166), für § 15 a II NWPolG: die Aufzeichnung diene allein der Strafverfolgung. Siehe auch Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (78): „Der Zweck der Speicherung liegt eindeutig in der Vorsorge für die Strafverfolgung. Zur Gefahrenabwehr erscheint die Speicherung nicht sinnvoll. Allerdings führt jede Erhöhung des Verfolgungsdrucks auch stets präventive (hier vor allem generalpräventive) Wirkungen mit sich.“ 30 Siehe etwa Landtag von Baden-Württemberg, LT-Drs. 12/5706. 31 Fischer, VBlBW 2002, 89 (90). 32 Oder Verhinderungsvorsorge, Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht in Baden-Württemberg, Rdnr. 179. 33 Denninger, in: Lisken/Denninger, HbdPolR, E, Rdnr. 164; Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 86; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 10; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht in Baden-Württemberg, Rdnr. 180; MVVerfG, LKV 2000, 345 (347). 34 Denninger, in: Lisken/Denninger, HbdPolR, E, Rdnr. 164. 35 Zur Dauer der Aufbewahrung siehe oben Kapitel 8, B.II.2.

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

wahren. Es ist dann möglich, innerhalb dieser Zeitspanne die Bilder auszuwerten, etwa aufgrund einer bei der Polizei eingehenden Strafanzeige, und dadurch wichtige Informationen zur Aufklärung und Verfolgung von Straftaten zu erhalten. Die vorsorgliche allgemeine Aufzeichnung dient damit der Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten. Problematisch erscheint, ob dies auch für die Fälle der Videoaufzeichnung gilt, die erst dann erfolgt, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten bestehen, wie dies § 31 III BbgPolG, § 32 III MVSOG, § 15 a II NWPolG, § 32 III S. 2 NGefAG sowie § 184 III LVwG SH vorsehen. Hier könnte der Bereich der Verfolgungsvorsorge bereits verlassen sein und es sich schon um eine Maßnahme im Rahmen der Strafverfolgung handeln36. Soweit jedoch Aufzeichnungen erfolgen, ohne daß ein Anfangsverdacht i. S. d. § 152 II StPO angenommen werden kann, dienen diese der Strafverfolgungsvorsorge. Auch die Aufbewahrung von Bildaufzeichnungen zur Aufklärung noch nicht begangener Straftaten fällt unter die Vorsorge für die Strafverfolgung37. Wem die Gesetzgebungskompetenz in diesem Bereich zukommt, ist sehr umstritten38. Teilweise39 wird dieser zum gerichtlichen Verfahren i. S. d. § 74 I Nr. 1 GG gerechnet, womit der Bund konkurrierend zur Gesetzgebung zuständig ist. Nach anderer, wohl noch herrschender, Ansicht40 gehört die Strafverfolgungsvorsorge zum allgemeinen Polizeirecht, für welches die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder besteht. Die Problematik ergibt sich daraus, daß sich solche Vorsorgemaßnahmen nicht in die traditionell unterschiedenen Kategorien der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung einordnen lassen41, für die die Gesetzgebungskompetenzen zweifelsfrei feststehen. Strafprozeßrecht kann verstanden werden als Recht der Aufklärung und Aburteilung begangener Straftaten42. Für die 36

Dazu siehe sogleich unten 5. Fischer, VBlBW 2002, 89 (90). 38 Zu dieser Problematik eingehend Albers, S. 265 ff. 39 BVerfG, NJW 2001, 879; Albers, S. 265 ff.; Bäumler, in: Lisken/Denninger, HbdPolR, J, Rdnr. 531 ff.; Denninger, in: Lisken/Denninger, HbdPolR, E, Rdnr. 154 ff.; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 30 ff.; Schoreit, KritV 1988, 157 (172 f.); Siebrecht, JZ 1996, 711 ff.; Waechter, DÖV 1999, 138 (140); Wolter, in: SK-StPO, vor § 151, Rdnr. 160 f.; Zöller, RDV 1997, 163 (166 f.). 40 BayVerfGH, NVwZ 1996, 166 (167); SächsVerfGH, LKV 1996, 273 (275); BrandVerfG, LKV 1999, 450 (451); MVVerfG, LKV 2000, 345 (347); Ahlf, KritV 1988, 136 (146); Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 86 ff.; Gusy, StV 1993, 269 (271 f.); Kniesel, ZRP 1987, 377 (380); Vahle, VR 1990, 46 f.; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht in Baden-Württemberg, Rdnr. 181. 41 Siehe Siebrecht, JZ 1996, 711 (712); Zöller, RDV 1997, 163 (166). 37

B. Verfassungsmäßigkeit der speziellen Ermächtigungsgrundlagen

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Zuordnung einer Maßnahme zur Strafverfolgung ist daher das Vorliegen eines konkreten Anfangsverdachts einer bestimmten Straftat Mindestvoraussetzung (§ 152 II StPO). Ein solcher fehlt im Falle der Strafverfolgungsvorsorge, da sie erfolgt, bevor überhaupt eine bestimmte Straftat begangen wurde. Es fehlt damit an einem konkreten Bezug zu einer verfolgbaren Straftat43, weshalb die Strafverfolgungsvorsorge nicht dem so verstandenen Strafverfahren zugerechnet werden kann. Des weiteren wird durch Strafverfolgungsvorsorge auch keine konkrete Gefahr abgewehrt. Von der ebenfalls im Vorfeld ansetzenden Gefahrenvorsorge unterscheidet sie sich in ihrer Zielrichtung. Durch sie soll vorgesorgt werden für die Aufklärung und Verfolgung später begangener Straftaten. Es soll also keine Prävention betrieben werden, indem eine Straftat gänzlich verhindert wird. Die Strafverfolgungsvorsorge zählt damit auch nicht zur Gefahrenabwehr. Die polizeiliche Vorsorgetätigkeit wird daher auch teilweise als „dritte Säule der Polizeiarbeit“ neben der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung gesehen44. Zur Klärung der Frage der Gesetzgebungskompetenz für den Bereich der Strafverfolgungsvorsorge ist von der Kompetenzordnung des Grundgesetzes auszugehen. Nach Art. 70 I GG liegt die Gesetzgebungskompetenz grundsätzlich bei den Ländern. Der Bund ist nur zur Gesetzgebung zuständig, soweit das Grundgesetz dies bestimmt. In Art. 72, 74 I Nr. 1 GG wird dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz unter anderem für das „Strafrecht und den Strafvollzug“ und das „gerichtliche Verfahren“ eingeräumt. Zum gerichtlichen Verfahren zählt unstreitig sowohl das eigentliche strafgerichtliche Verfahren sowie das in dessen Vorfeld erfolgende Ermittlungsverfahren45. Als Begrenzung des Strafverfahrens dient das Erfordernis eines konkreten Anfangsverdachts nach § 152 II StPO. Das Strafverfahren setzt erst ein, wenn tatsächliche Anhaltspunkte festgestellt werden konnten, die den Verdacht einer Straftat begründen46. Wie schon erwähnt, kann die Strafverfolgungsvorsorge mangels einer bestimmten, bereits begangenen Straftat, bezüglich deren Begehung ein Anfangsverdacht bestehen könnte, nicht unter das so einfachgesetzlich definierte Strafverfahren subsumiert werden. Von diesem Befund 42

Gusy, StV 1993, 269 (271). Ahlf, KritV 1988, 136 (148). 44 Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 15 f.; Gusy, StV 1993, 269 (270); Weßlau, S. 110 ff.; dagegen: Kniesel, ZRP 1987, 377 (380). 45 Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, Bd. IV, Art. 74, Rdnr. 79; Siebrecht, JZ 1996, 711 (714). 46 Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, Bd. IV, Art. 74, Rdnr. 82. 43

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

ausgehend, wird von einem Teil der Rechtsprechung47 und Literatur48 die Strafverfolgungsvorsorge der Gesetzgebungskompetenz der Länder zugerechnet. Diese Einordnung erfolgt allein nach formellen Kriterien bzw. der „Subtraktionsmethode“49: Was nicht Strafverfolgung ist, kann nicht der Bundeskompetenz nach Art. 72, 74 I Nr. 1 GG zugeordnet werden. Es bleibt daher bei der grundsätzlich bestehenden Länderzuständigkeit. Wegen dieser negativen Kompetenzabgrenzung im Grundgesetz ist eine genaue Zuordnung der Strafverfolgungsvorsorge zur traditionellen Gefahrenabwehr zur Begründung der Zuständigkeit der Länder dann gar nicht mehr nötig50. Es wird lediglich festgestellt, die Strafverfolgungsvorsorge könne zwar nicht zum Polizeirecht im engeren Sinne gezählt werden, gehöre aber zum historisch gewachsenen Aufgabenfeld der Gefahrenabwehr51. Gegen diese Ansicht wendet sich das BVerfG in einer jüngeren Entscheidung52. Die Kompetenzregelung des Art. 74 I Nr. 1 GG enthalte keine Einschränkung dahin, daß Maßnahmen, die sich auf zukünftige Strafverfahren beziehen, von der Zuweisung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz nicht erfaßt sein sollten. Die Kompetenzfrage sei allein anhand des Gegenstandes eines Gesetzes zu beantworten. Nicht maßgeblich seien sein Anknüpfungspunkt oder seine inhaltliche Rechtmäßigkeit. Daher sei ohne Belang, ob der Bundesgesetzgeber inhaltlich befugt sei, strafverfahrensrechtliche Normen zu schaffen, die schon eingreifen, bevor der Anfangsverdacht einer Straftat vorliege. Es komme allein darauf an, ob Ziel und Rechtsfolge einer Maßnahme das Strafverfahren betreffen. Der Zusammenhang von Strafverfolgungsvorsorge und Strafverfahren aufgrund ihrer Zielrichtung wurde schon häufig in der Literatur als materielles Kriterium zur Begründung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 72, 74 I Nr. 1 GG für die Strafverfolgungsvorsorge herangezogen53. Auch diese Ansicht erkennt an, daß die Strafverfolgungsvorsorge mangels konkreter Straftat, auf das sich ein gerichtliches Verfahren richten könnte, nicht den engeren Bereich des Strafverfahrens im Sinne des Art. 74 I Nr. 1 GG betrifft. Aufgrund der Zielrichtung der Strafverfolgungsvor47 BayVerfGH, NVwZ 1996, 166 (167); SächsVerfGH, LKV 1996, 273 (275); BrandVerfG, LKV 1999, 450 (451); MVVerfG, LKV 2000, 345 (347). 48 Kniesel, ZRP 1987, 377 (380); Ahlf, KritV 1988, 136 (146); Vahle, VR 1990, 46 f.; Gusy, StV 1993, 269 (271 f.); Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 86 ff. 49 Ahlf, KritV 1988, 136 (147 f.); Gusy, StV 1993, 269 (272); Kniesel, ZRP 1989, 329 (331). 50 Gusy, StV 1993, 269 (272). 51 Kniesel, ZRP 1987, 377 (380). 52 BVerfG, NJW 2001, 879. 53 Vgl. Siebrecht, JZ 1996, 711 (712 f.); Albers, S. 269 jeweils m. w. N.

B. Verfassungsmäßigkeit der speziellen Ermächtigungsgrundlagen

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sorge, die die Ermöglichung und Erleichterung potentieller späterer Strafverfahren bezweckt, bestehe für die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Bereich der Strafverfolgungsvorsorge jedoch eine Annexkompetenz54. Die Annexkompetenz ist heute als eine ungeschriebene Kompetenzzuweisung neben der grundsätzlich abschließenden Kompetenzordnung des Grundgesetzes anerkannt55. Sie beinhaltet die Ausweitung eines ausdrücklichen Kompetenztitels für Regelungen, die notwendig und ergänzend innerhalb einer zugewiesenen Materie zu treffen sind, durch Einbeziehung der Stadien der Vorbereitung und Durchführung56. Entscheidend für die Annahme einer Annexkompetenz ist ein „unlösbarer“, funktionaler Zusammenhang zwischen der zu treffenden Regelung und dem ausdrücklich zugewiesenen Sachbereich57. Die beabsichtigte Regelung muß sich in ihrer Zielsetzung ausschließlich auf letzteren beziehen58. Die Anerkennung der Kompetenz zur Regelung der Strafverfolgungsvorsorge als Annexkompetenz zu Art. 72, 74 I Nr. 1 GG setzt daher einen funktionalen Zusammenhang zwischen Strafverfolgungsvorsorge und Strafverfahren voraus. Ein solcher wird in Teilen der Literatur aufgrund der Zielrichtung der Strafverfolgung bejaht. Die zu Vorsorgezwecken erfolgende Speicherung von Daten sei kein Selbstzweck, sondern beziehe sich auf eine künftige möglicherweise anstehende Strafverfolgung59. Zwischen Strafverfolgungsvorsorge und Strafverfahren bestehe damit ein Sachzusammenhang, der es rechtfertige, die Strafverfolgungsvorsorge zum unmittelbaren Vorfeld des gerichtlichen Verfahrens zu zählen60.61 Durch Verfolgungs54 Albers, S. 268 ff.; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 11; Schoreit, KritV 1988, 157 (172). Für Siebrecht, JZ 1996, 711 (713), ergibt sich die Gesetzgebungskompetenz direkt aus Art. 72, 74 I Nr. 1 GG ohne Annahme einer Annexkompetenz oder Kompetenz kraft Sachzusammenhang. 55 Vgl. BVerfGE 8, 104 (118); 8, 143 (149); 77, 288 (299); 88, 203 (331); Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, Art. 70, Rdnr. 30, 34 ff.; Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 2, Art. 70 I, Rdnr. 46; Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, Bd. IV, Art. 70, Rdnr. 49. 56 Albers, S. 221; Degenhart, Staatsrecht I, Rdnr. 135; Rozek, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 2, Art. 70 I, Rdnr. 46; Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, Bd. IV, Art. 70, Rdnr. 49. 57 Degenhart, Staatsrecht I, Rdnr. 135; Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, Art. 70, Rdnr. 34; Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 2, Art. 70 I, Rdnr. 46; vgl. BVerfGE 77, 288 (299); 88, 203 (331). 58 Degenhart, Staatsrecht I, Rdnr. 135. 59 Albers, S. 271; Rachor, S. 170 ff. 60 Vgl. Albers, S. 269. 61 Mit selbiger Begründung nimmt Siebrecht, JZ 1996, 711 (714) eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Regelung der Strafverfolgungsvorsorge direkt aus

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

vorsorge gewonnene Daten sollen im Falle einer tatsächlich erfolgenden Strafverfolgung die Ermittlungen fördern und fließen so in das Ermittlungsund Hauptverfahren ein62. Über diesen Einfluß könnten Regelungen in der StPO getroffen werden, welche wiederum den Nutzen einer Vorsorgemaßnahme beeinflussen könnten, weshalb ein nicht nur loser Zusammenhang von Verfolgungsvorsorge und Strafverfolgung gegeben sei63. Des weiteren ginge es bei der Strafverfolgungsvorsorge nicht allein um Vorkehrungen für die Aufklärung künftiger Delikte, sondern auch um die Vorsorge für die künftige Aufklärung von bereits begangenen (noch unbekannten) Straftaten64, wobei der Sachzusammenhang zur Strafverfolgung nicht bezweifelt werden könne. Die Strafverfolgungsvorsorge zum Zweck der Aufklärung künftiger Straftaten und die zum Zweck der Aufklärung bereits begangener dürfe nicht auseinandergerissen werden65. Auch sei festzustellen, daß auch die Präventivpolizei befugt ist, im Vorfeld der klassischen Gefahrenabwehr Vorsorgemaßnahmen zu treffen, wie etwa das Speichern der Daten von Notärzten, Dolmetschern usw.66 Diese präventivpolizeiliche Gefahrenvorsorge entspreche der strafprozessualen Vorsorge der Strafverfolgungsbehörden für die künftige Strafverfolgung als Vorbereitung für das Handeln in Fällen der Aufklärung von zukünftigen Straftaten (Strafverfolgungsvorsorge)67. Außerdem wird argumentiert, die zur Vorsorge gespeicherten Daten stammten meist aus zuvor geführten Ermittlungs- oder Strafverfahren, weshalb ein enger Zusammenhang zum Strafverfahren bestehe68. Letzteres kann jedoch zur Begründung der Annexkompetenz nicht entscheidend sein. Gerade der hier zu klärende Fall der Videoüberwachung öffentlicher Plätze zeigt, daß die gesammelten Daten nicht notwendig aus zuvor Art. 72, 74 I Nr. 1 GG an: „Tätigkeiten, die mit dem klassischen Ermittlungsverfahren innerlich zusammengehören, [müssen] auch zusammen geregelt werden, wenn sie dem gleichen Ziel dienen.“ [. . .] „Neue Regelungsmaterien müssen dort ihren Standort haben, wo die im direkten Sachzusammenhang stehenden Fragen geregelt sind. Dies ist für die Strafverfolgungsvorsorge das Strafverfahrensrecht, das zum Kompetenzbereich des Bundesgesetzgebers gehört.“ 62 Albers, S. 271. 63 Albers, S. 271. 64 Schoreit, DRiZ 1991, 320 (324); Wolter, in: SK-StPO, vor § 151, Rdnr. 160a; Zöller, RDV 1997, 163 (166). 65 Wolter, in: SK-StPO, vor § 151, Rdnr. 160a. 66 Wolter, in: SK-StPO, vor § 151, Rdnr. 160a; Zöller, RDV 1997, 163 (167). 67 Denninger, CuR 1988, 51 (54); Wolter, in: SK-StPO, vor § 151, Rdnr. 160a; Zöller, RDV 1997, 163 (167). 68 Siebrecht, JZ 1996, 711 (713); Wolter, in: SK-StPO, vor § 151, Rdnr. 160a; Zöller, RDV 1997, 163 (166).

B. Verfassungsmäßigkeit der speziellen Ermächtigungsgrundlagen

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erfolgten Strafverfahren herrühren. Außerdem sagt die Herkunft der Daten aus Strafverfahren nur etwas über den bis dahin bestehenden Zusammenhang der Datensammlung mit dem Strafverfahren aus, nichts dagegen über den Zusammenhang mit zukünftigen Strafverfahren. Letzterer kann allein mit dem verfolgten Ziel der weiteren Datenspeicherung begründet werden. Die übrigen Argumente zeigen jedoch, daß sich der Zweck einer Strafverfolgungsvorsorge auf eine möglicherweise später erfolgende Strafverfolgung richtet. Primärer Zweck ist die Erleichterung künftiger Ermittlungsverfahren gegen die Personen, über die im Rahmen der Vorsorge Informationen gesammelt wurden69. Ist die tatsächliche Verwendung in einem künftigen Strafverfahren auch ungewiß, so ändert dies nichts an dem Zweck der vorsorgenden Datensammlung70. Die Vorsorge geschieht damit nicht um ihrer selbst Willen, sondern es besteht ein funktionaler Zusammenhang zur Strafverfolgung. Bejaht man die Kompetenz des Bundes zur Regelung der Strafverfolgungsvorsorge als Annexkompetenz zu Art. 72, 74 I Nr. 1 GG, so bleibt dennoch die Möglichkeit der Regelung durch die Länder, solange der Bund von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz keinen Gebrauch gemacht hat. Eine Regelung der offenen Erstellung von Bildaufzeichnungen zur Strafverfolgungsvorsorge wurde durch den Bundesgesetzgeber bislang nicht erlassen. § 100 c I Nr. 1 a StPO betrifft die verdeckte Erstellung von Bildaufzeichnungen im Rahmen eines Ermittlungs- oder Strafverfahrens, also unter der Voraussetzung des Vorliegens eines Anfangsverdachts nach § 152 II StPO. Es bleibt daher auch bei Annahme der Bundesgesetzgebungskompetenz für den Bereich der Strafverfolgungsvorsorge Raum für landesgesetzliche Regelungen offener Bildaufzeichnungen zu diesem Zweck. 5. Verwendung von Videoaufzeichnungen im Strafverfahren Die Videoaufzeichnungen können letztlich auch Fahndungsansätze zur Aufklärung einer konkreten Straftat liefern oder Verwendung in einem konkreten Strafprozeß als Beweismittel finden71. Berücksichtigt man dies, so 69 Siehe Albers, S. 272, die weiterhin feststellt, bei der Strafverfolgungsvorsorge nach jüngeren polizeilichen Konzeptionen gehe es jedoch auch um die Schaffung einer Wissensbasis, etwa im Zuge der Handhabung der organisierten Kriminalität. Hier fehle es zwar nicht an einem Bezug zum Strafverfahren überhaupt, aber doch an näheren Bezügen zu einzelnen Strafverfahren hinsichtlich konkretisierter Straftaten gegen bestimmte Personen. Die Verfolgungsvorsorge gewinne in Teilen und in bestimmten Umfang Eigenständigkeit, könne aber nicht ganz von der Strafverfolgung entkoppelt werden (S. 273). 70 So auch Albers, S. 272.

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

dient schon die Aufzeichnung der Bilder auch dem rein repressiven Zweck der Strafverfolgung. Für diesen Teil der Videoüberwachung besteht daher die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 72, 74 I Nr. 1 GG. Der Bund hat von seiner Gesetzgebungskompetenz im Bereich des Strafverfahrens mit dem Erlaß der StPO, dem EGStPO sowie dem OWiG Gebrauch gemacht. Für den Bereich der Strafverfolgung enthält die StPO eine abschließende Regelung (§ 6 EGStPO). Regelungen der Länder auf diesem Gebiet sind daher nicht mehr möglich. Eine Rechtsgrundlage für die Videoaufzeichnung zu Zwecken der Strafverfolgung müßte daher durch den Bund geschaffen werden. Selbiges gilt für den Fall, daß Videoaufzeichnungen angefertigt werden, nachdem tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung einer Straftat vorliegen. Denn hier besteht ein Anfangsverdacht i. S. d. § 152 II StPO, womit der Beginn der Strafverfolgung nach der StPO festgelegt ist. 6. Ansichten in der Literatur: Aufspaltung der Regelung der Videoüberwachung oder einheitliche Regelung durch die Landesgesetzgeber? Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte verfolgt damit sowohl präventive als auch repressive Zwecke. Sie ist damit eine doppelfunktionale Maßnahme der Polizei. Bezüglich der Gesetzgebungskompetenz wurde festgestellt, daß die Aufnahme von Videobildern als rein präventives Handeln allein durch die Landesgesetzgeber zu regeln ist. Schwierigkeiten bereitet die Einordnung der Videoaufzeichnung. Diese dient, wie erörtert, auch der Strafverfolgungsvorsorge sowie der Strafverfolgung, wofür die Gesetzgebungskompetenz beim Bund liegt. Solange der Bund von seiner Kompetenz zur Regelung der Videoaufzeichnung zu Zwecken der Strafverfolgungsvorsorge keinen Gebrauch gemacht hat, können die Länder Vorschriften hierzu erlassen. Anders liegt es jedoch für den Fall der Videoaufzeichnung zum Zwecke der Strafverfolgung. Hier könnte allein der Bundesgesetzgeber tätig werden. Länderregelungen diesbezüglich wären nichtig. Im Schrifttum zur Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte72 wird daher teilweise argumentiert, durch die Regelung der Videoaufzeichnung seien die Landesgesetzgeber in die Bundeskompetenz zur Regelung des Strafverfahrens nach Art. 72, 74 I Nr. 1 GG eingedrungen. 71

Vgl. Fischer, VBlBW 2002, 89 (90). Roggan, NVwZ 2001, 134 (139); Vahle, NVwZ 2001, 165 (166 f.) bzgl. § 15 a II NWPolG. 72

B. Verfassungsmäßigkeit der speziellen Ermächtigungsgrundlagen

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Vahle73 hält § 15 a II NWPolG für formell rechtswidrig, da diese Vorschrift Aufzeichnungen bei Verdacht einer begonnenen oder unmittelbar bevorstehenden Straftat erlaube. Hier sei jedoch allein die ausschließlich durch den Bund in der StPO zu regelnde Strafverfolgung betroffen. Neben § 100 c I Nr. 1 a StPO sei kein Platz für eine parallele landesrechtliche Befugnisnorm. Weiterhin bemängelt er, daß § 15 a II NWPolG diese bundesrechtliche Regelung sogar noch einschränke, indem er Aufzeichnung und Verwertung von Videobildern nur bei Straftaten von „erheblicher“ Bedeutung zuläßt. Roggan74 hält die Ermächtigungen zur Videoaufzeichnung durch die Landesgesetzgeber generell für formell rechtswidrig. In den Polizei- und Ordnungsgesetzen könne allein die Videoaufnahme geregelt werden. Für die Aufzeichnung und Aufbewahrung von Videobildern als (nicht nur nebenher) repressive Maßnahme müsse dagegen eine Ermächtigungsgrundlage in der StPO geschaffen werden. Denn, wie er weiterhin ausführt, handele es sich bei der polizeilichen Videoüberwachung um eine Maßnahme, bei der Gefahrenabwehr durch Strafverfolgung bewirkt werden solle75. Die abschreckende Wirkung von Videoüberwachungen aufgrund des erhöhten Entdeckungsrisikos durch die Ermöglichung und Erleichterung der Strafverfolgung durch Videobilder sei deckungsgleich mit dem Strafzweck der Generalprävention76. Es sei Anspruch des Strafrechts, durch die Bestrafung von Tätern weiteren Straftaten vorzubeugen und sie damit zu verhindern77. Im Recht der Gefahrenabwehr habe dieses Fernziel jedoch nichts verloren78. Rechtsgrundlagen, bei denen Prävention durch Repression erfolgen soll, dürften daher ausschließlich bundesrechtlicher Natur sein79. Diese Ansichten verlangen damit eine Aufspaltung der Regelungen zur Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte. Die Aufnahme könnte danach in den Polizeigesetzen geregelt werden, die Videoaufzeichnung dagegen nur in der StPO. Nach anderer Ansicht im Schrifttum80 ist die Frage der Gesetzgebungskompetenz zur Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte nach dem Gesamtcharakter dieser Maßnahme zu entscheiden. Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze verfolge sowohl präventive als auch repres73 74 75 76 77 78 79 80

Vahle, NVwZ 2001, 165 (166 f.). Roggan, NVwZ 2001, 134 (139). Roggan, NVwZ 2001, 134 (139). Roggan, NVwZ 2001, 134 (139). Roggan, NVwZ 2001, 134 (139). Roggan, NVwZ 2001, 134 (139); Vahle, NVwZ 2001, 165. Roggan, NVwZ 2001, 134 (139). Fischer, VBlBW 2002, 89 (91); Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (205).

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

sive Zwecke, sei also eine doppelfunktionale Maßnahme. Ihr Schwerpunkt liege jedoch in der Prävention und nicht in der Aufklärung begangener Straftaten81. Denn die Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte diene vorrangig der Abschreckung potentieller Straftäter und damit der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten bzw. der Gefahrenvorsorge82. Eine einheitliche Regelung dieser Polizeimaßnahme könne daher nur der Landesgesetzgeber treffen83. Es sei zu beachten, daß jeder präventiven Maßnahme stets ein „Stück“ möglicher Sanktion und damit Repression immanent sei, da vorbeugende Abschreckung ihre innere Autorität durch das Wissen des Täters um eine mögliche Verfolgung gewinne84. Eine Aufspaltung der Ermächtigungsgrundlage zur Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte, wie sie die Gegenansicht fordert, wird als willkürliches Auseinanderreißen der Polizeimaßnahme „Videoüberwachung“ kritisiert85. Bildaufnahme und -aufzeichnung stellten zwei aufeinander bezogene Facetten dieser Maßnahme dar86. Die Ermächtigungen zur Aufnahme und zur Aufzeichnung seien in ihren Tatbeständen aufeinander abgestimmte Regelungen, die in einem untrennbaren Regelungszusammenhang stünden87. Es sei daher unerläßlich, daß der Landesgesetzgeber im Rahmen der präventiven Videoüberwachung die Aufzeichnung (und Aufbewahrung des Bildmaterials) mitregele88. Dogmatisch könne hier die umfassende Gesetzgebungskompetenz der Länder für die Regelung der polizeilichen Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze mit einer Zuständigkeit kraft Sachzusammenhang begründet werden89. Nach dieser Ansicht ist damit der Landesgesetzgeber zur umfassenden Regelung der Videoüberwachung, von der Aufnahme bis zur Aufzeichnung und Aufbewahrung der Bilder, befugt. An der formellen Rechtmäßigkeit der in den Polizeigesetzen der Länder hierzu geschaffenen Ermächtigungsgrundlagen bestehen nach dieser Ansicht daher keine Zweifel.

81

Fischer, VBlBW 2002, 89 (91); Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (205). Fischer, VBlBW 2002, 89 (91) unter Verweis auf die Gesetzesmaterialien in Baden-Württemberg (LT-Drs. 12/5706) sowie VG Karlsruhe, VBlBW 2002, 132. 83 Fischer, VBlBW 2002, 89 (91); Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (205). 84 Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (205 f.). 85 Fischer, VBlBW 2002, 89 (91). 86 Fischer, VBlBW 2002, 89 (91). 87 Fischer, VBlBW 2002, 89 (91). 88 Fischer, VBlBW 2002, 89 (91). 89 Fischer, VBlBW 2002, 89 (91). 82

B. Verfassungsmäßigkeit der speziellen Ermächtigungsgrundlagen

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7. Kritik der Ansichten Die Ansicht von Roggan90, die Ermächtigungsgrundlagen seien mangels Gesetzgebungskompetenz der Länder für die Videoaufzeichnung formell rechtswidrig, überzeugt nicht. Dieser konstatiert, der Bundesgesetzgeber allein könne eine Regelung der Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze treffen, soweit bei dieser Maßnahme Gefahrenabwehr allein durch Strafverfolgung erfolgt. Roggan betont ganz besonders die Notwendigkeit der eindeutigen Trennung von Prävention und Repression, die er durch die bestehenden Ermächtigungsgrundlagen in den Polizeigesetzen der Länder als nicht gewahrt sieht. Er geht davon aus, daß die Abschreckung potentieller Straftäter wegen des erhöhten Entdeckungsrisikos und der Erleichterung der Strafverfolgung durch die Videoüberwachungsmaßnahme nicht dem Polizeirecht zugerechnet werden könne. Dies betreffe nämlich die Strafverfolgungsvorsorge, die, nach seiner Ansicht91, dem in die Bundeskompetenz fallenden Bereich der Repression zuzurechnen sei. Bei seiner Forderung nach einer Regelung dieses Aspekts der Videoüberwachung durch den Bundesgesetzgeber übersieht er jedoch, daß im Falle der konkurrierenden Bundeskompetenz Raum für landesgesetzliche Regelungen bleibt, solange der Bund seine Gesetzgebungskompetenz nicht ausübt. Wie schon oben gezeigt92, bleiben daher Länderregelungen der offenen Videoaufzeichnung zur Strafverfolgungsvorsorge möglich. Des weiteren kann die präventive Wirkung von Videoüberwachungen nicht mit dem Strafzweck der Generalprävention gleichgesetzt werden. Die abschreckende Wirkung dieser Maßnahme wird nicht erst durch die Erleichterung der Strafverfolgung durch Videobilder ausgelöst. Diese Wirkung resultiert vielmehr schon aus der reinen Beobachtungssituation, denn mit dem Umstand der polizeilichen Observation erhöht sich das Entdeckungsrisiko. Insofern ist der Vergleich mit einer an dem überwachten Ort tatsächlich anwesenden Polizeistreife berechtigt. Polizeipräsenz an einem Ort, sei es auch durch Kameras, wirkt auf potentielle Straftäter abschreckend und dient so der vorbeugenden Gefahrenabwehr, wie sie im Polizeirecht verstanden wird. Die Möglichkeit der effektiveren Strafverfolgung aufgrund Videoaufzeichnungen verstärkt noch diesen Effekt. Wie es Röger/Stephan93 formulieren, gewinnt die vorbeugende Abschreckung ihre innere Autorität durch das Wissen des Täters um die mögliche Strafverfolgung. Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte bezweckt als doppelfunktionale Maß90 91 92 93

Roggan, NVwZ 2001, 134 (139). Zum Meinungsstreit zu diesem Problem siehe oben 4. Siehe oben 4. Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (205 f.).

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

nahme sowohl Prävention als auch Repression. Es steht aber nicht die Aufklärung von Straftaten, die nur eine generalpräventive Wirkung mit sich bringt94, im Vordergrund. Vielmehr liegt der Schwerpunkt dieser Maßnahme, wie es die Gegenstimmen richtig erkennen, in der Prävention. Weiterhin läßt sich hieraus schließen, daß auch die Regelung der Bildaufzeichnung zu präventiven Zwecken erfolgt, was letztlich allein ausschlaggebend für die Gesetzgebungskompetenz der Länder ist. Denn der Zweck einer Polizeimaßnahme ist für die Gesetzgebungskompetenz zu ihrer Regelung entscheidend. Wie Fischer zutreffend feststellt, stellen Aufnahme und Aufzeichnung zwei Facetten einer einheitlichen Maßnahme dar95, so daß eine eindeutige Trennung in einen rein präventiven und einen rein repressiven Teil nicht möglich ist. Wie schon erörtert96, verstärkt die Möglichkeit von Aufzeichnungen den abschreckenden Effekt der Videoaufnahme und verhilft ihr damit zu effektiver präventiver Wirkung. Die präventiv abschreckende Wirkung der Videoüberwachung wäre kraftlos, wenn der potentielle Straftäter eine Aufzeichnung nicht befürchten muß97. Ohne Aufzeichnung der beobachteten Vorgänge wäre eine spätere Identifizierung des Täters nur schwer möglich, was einer schnellen und effizienten Strafverfolgung abträglich ist. Aufnahme und Möglichkeit der Aufzeichnung zusammen vermögen dagegen einen unmittelbar abschreckenden Effekt auf potentielle Straftäter an dem überwachten Ort hervorzurufen. Ihr Ziel ist damit die unmittelbare Verhinderung von Straftaten an diesem bestimmten Ort. Hier liegt der Unterschied zu polizeilichen Informationssammlungen, die nur zur Strafverfolgungsvorsorge erfolgen. Letztere zielen allein auf die Effektivierung der Aufklärung späterer Straftaten und auf die Strafverfolgung ab. Der hierbei von der Datenspeicherung ausgehende Abschreckungseffekt aufgrund eines höheren Entdeckungsrisikos kann nur als Nebeneffekt der Repression über die Strafdrohung gesehen werden98. Videoaufzeichnungen im Rahmen der polizeilichen Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte ist dagegen ein unmittelbarer präventiver Zweck immanent. Dies gilt auch dann, wenn die polizeigesetzliche Norm Aufzeichnungen nur dann erlaubt, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung einer Straftat vorliegen. Videoaufzeichnungen bezwecken damit auch, ebenso wie Videoaufnahmen, die Gefahrenvorsorge. Zur Regelung dieses Aspekts der Videoauf94

Waechter, NdsVBl. 2001, 78. Fischer, VBlBW 2002, 89 (91). 96 Siehe oben Kapitel 6, C.IV.2., sowie unten II.2.c). 97 Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (206); Informationen, Videokontrolle als effektive Verbrechensbekämpfung?, DRiZ 2001, 85 (88). 98 Vgl. Siebrecht, JZ 1996, 711 (712). 95

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zeichnungen sind daher die Länder befugt. Ihnen kommt damit die Gesetzgebungskompetenz für polizeiliche Videoaufnahmen und Aufzeichnungen von öffentlich zugänglichen Orten zum Zwecke der Gefahrenvorsorge zu99. Zur Regelung von Videoaufzeichnungen zu repressiven Zwecken bleibt dagegen die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz beim Bund100. Die Begründung der Gesetzgebungskompetenz der Länder auch für den repressiven Aspekt der Videoüberwachung kraft Sachzusammenhang, wie dies Fischer101 vertritt, erscheint hier dann nicht mehr geboten. Eine Kompetenz kraft Sachzusammenhang102 wird dann angenommen, wenn eine durch die Kompetenzordnung des Grundgesetzes ausdrücklich zugewiesene Materie nicht sinnvoll geregelt werden kann, ohne gleichzeitiger Regelung einer nicht zugewiesenen Materie. Der notwendige Regelungszusammenhang von Aufnahme und Aufzeichnung hinsichtlich ihrer präventiven Zielrichtung wird jedoch nicht gebrochen, da dem Landesgesetzgeber hierzu die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz zukommt. Auch sind keine Gründe ersichtlich, die eine Ausnahme von der zwischen Prävention und Repression trennenden Kompetenzordnung erforderlich werden lassen. Die Verwendung der aufgrund polizeirechtlicher Ermächtigung gewonnenen Videobilder bzw. der daraus ersichtlichen personenbezogenen Daten im Strafverfahren bedarf dann jedoch einer strafprozessualen Ermächtigung103. Die Landesgesetzgeber können aber die Verwendung der im Rahmen der Gefahrenabwehr erhobenen Daten zum Zweck der Strafverfolgung beschränken oder auch ganz ausschließen104. Ihre Gesetzgebungskompetenz zur Regelung von Datenerhebungen zu präventiven Zwecken ermächtigt sie auch, darüber zu bestimmen, ob diese präventiv erhobenen Daten zu anderen Zwecken, wie der Strafverfolgung, umgewidmet werden können105. Denn die Möglichkeit, die erhobenen Daten zu einem anderen als dem Erhebungszweck zu nutzen, läßt schon den primären Eingriff intensiver werden106. Um die Schwere des primären Eingriffs festzulegen, muß daher der99

So auch Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 11. Was natürlich, wie erörtert, landesrechtliche Regelungen nicht ausschließt, solange der Bund von seiner Kompetenz keinen Gebrauch gemacht hat. Dies gilt hier für die Videoaufzeichnung zur Strafverfolgungsvorsorge. 101 Fischer, VBlBW 2002, 89 (91). 102 Dazu Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, Art. 70, Rdnr. 38 ff. 103 Papier, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Art. 13, Rdnr. 106. 104 Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 208; MVVerfG, LKV 2000, 345 (347). 105 MVVerfG, LKV 2000, 345 (347). 106 Papier, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Art. 13, Rdnr. 106. 100

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jenige Gesetzgeber, der die Eingriffsbefugnis normiert, auch über die Kompetenz zur Entscheidung über Zweckänderungen verfügen107. Die Verwendung der zur Gefahrenabwehr erhobenen Daten im Strafverfahren ist damit an zwei Voraussetzungen geknüpft. Zum einen muß der Landesgesetzgeber eine solche zulassen, zum anderen muß eine strafverfahrensrechtliche Ermächtigung zu dieser Verwendung im Strafverfahren existieren108. Diese zwei hintereinandergeschalteten Voraussetzungen werden plastisch mit dem Bild einer „doppelten Tür“ umschrieben, die durch die beschriebenen zwei Ermächtigungen geöffnet werden muß109. In diesem Sinne, als Bestimmungen über die Zweckänderung, sind die landesrechtlichen Regelungen zur Videoüberwachung öffentlicher Plätze zu verstehen, die eine weitere Aufbewahrung von Videoaufzeichnungen nur zu Zwecken der Strafverfolgung bzw. der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten vorsehen110 oder eine Aufzeichnung, also eine Speicherung der gewonnenen Informationen, nur zulassen, wenn im Einzelfall tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten vorliegen111. Die Landesgesetzgeber greifen hier daher nicht in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ein. Sie treffen vielmehr eine Regelung über die Möglichkeit der Verwendung der durch die präventivpolizeiliche Maßnahme der Videoüberwachung gewonnenen persönlichen Informationen zu anderen als präventiven Zwekken. Hier zeigt sich, daß auch der Kritikpunkt Vahles, § 15 a II NWPolG schränke § 100 c I Nr. 1 a StPO unzulässigerweise ein112, nicht berechtigt ist. Der Landesgesetzgeber kann eben nicht allein die Verwertung präventivrechtlich erlangter Daten nur für den Zweck der Prävention ausschließen, 107 Papier, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Art. 13, Rdnr. 106. 108 Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 31; Papier, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Art. 13, Rdnr. 106; Nack, in: Pfeiffer, Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung, § 100 f StPO, Rdnr. 7. 109 Papier, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Art. 13, Rdnr. 106; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 31. Dies ist allerdings nicht unumstritten. Zur a. A. vgl. Paeffgen, FS Roxin, S. 1305 ff. Dort wird die umgekehrte Situation betrachtet, daß zur Regelung der Datenerhebung eine Bundeskompetenz besteht und fraglich ist, wem die Kompetenz zur Regelung einer Umwidmung zu Zwecken der Gefahrenabwehr zukommt. Paeffgen vertritt hier die Ansicht, daß eine solche Umwidmung allein durch die Länder zu regeln sei, welche auch die materiell-rechtlichen Fragen der Schranken, namentlich der Verhältnismäßigkeit zu behandeln hätten. Dem Bund bleibe es umgekehrt vorbehalten, die Verwendung von anderweitig erhobenen Daten (etwa aus dem Bereich der Gefahrenabwehr) für konkrete Strafzwecke zu regeln. 110 Dazu siehe oben Kapitel 8, B.II.2. 111 Dazu siehe oben Kapitel 8, B.II.1. 112 Vahle, NVwZ 2001, 165 (167).

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sondern auch auf diesen Zweck beschränken und damit die Verwendung dieser Daten zum Zweck der Strafverfolgung ausschließen. Die Speicherung der gewonnenen Daten zu Zwecken der Strafverfolgungsvorsorge richtet sich gem. § 484 IV StPO nach den Polizeigesetzen. Die speziellen Ermächtigungsgrundlagen zu polizeilichen Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte schließen diese jedoch in der Regel aus113. Aus alledem ergibt sich, daß zur Regelung der polizeilichen Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte die Länder befugt sind. An der formellen Rechtmäßigkeit der speziellen Ermächtigungsgrundlagen in den Polizeigesetzen der Länder bestehen keine Bedenken.

II. Materielle Verfassungsmäßigkeit Um auch materiell verfassungsgemäß zu sein, müssen die gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen weiterhin das Bestimmtheitsgebot und das Verhältnismäßigkeitsprinzip beachten sowie zu einem effektiven Grundrechtsschutz verfahrensrechtliche und organisatorische Schutzvorkehrungen vorsehen. 1. Beachtung des Bestimmtheitsgebots Das aus Art. 20 III GG folgende Bestimmtheitsgebot114 verlangt, daß Gesetze in Tatbestand und Rechtsfolge klar und bestimmt gefaßt sind, so daß die Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können115. Bestimmtheit einer Norm bedeutet jedoch nicht maximale Regelungspräzision116. Wie es das BVerfG mehrfach betonte, zwingt das Bestimmtheitsgebot den Gesetzgeber nicht, einen Tatbestand mit genau erfaßbaren Merkmalen zu umschreiben. Gesetzliche Vorschriften bräuchten nur so bestimmt zu sein, wie dies nach der Eigenart des zu regelnden Sachverhaltes mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist117. So steht die Auslegungsbedürftigkeit eines Gesetzes, die Verwendung unbestimmter 113 Zu zulässigen Speicherzwecken nach den verschiedenen landesrechtlichen Ermächtigungen siehe oben Kapitel 8, B.II.2. 114 Siehe zu den Einzelheiten etwa Schnapp, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar, Band 2, Art. 20, Rdnr. 25 ff.; Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Art. 20, VII, Rdnr. 63. Eingehend Sobota, S. 132 ff. 115 BVerfGE 21, 73 (79); 31, 255 (264); 59, 104 (114); 78, 205 (212); 87, 234 (263). 116 Vgl. Neumann, S. 146 f. 117 BVerfGE 49, 89 (133); 49, 168 (181); 59, 104 (114); 78, 205 (212); 87, 234 (263).

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

Rechtsbegriffe, die Gewährung von Ermessen oder der Gebrauch von Generalklauseln dem Bestimmtheitsgebot noch nicht entgegen. Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe oder Generalklauseln ist häufig sogar unvermeidlich, um der Vielfalt der Anwendungsfälle eines Gesetzes oder der Dynamik des zu regelnden Sachverhalts gerecht zu werden118. Mögliche Nachteile einer unvermeidbaren Unbestimmtheit einer gesetzlichen Regelung für den Betroffenen können nach Ansicht des BVerfG bis zu einem gewissen Grade durch rechtsstaatliche Verfahren, insbesondere durch gerichtlichen Rechtsschutz, ausgeglichen werden119. Für die Einhaltung des Bestimmtheitsgebots ist entscheidend, ob durch Auslegung das Wesentliche der Norm – ihr Inhalt, Zweck und Ausmaß – präzisiert werden kann120. Eine einheitliche Festlegung der Anforderungen an die Bestimmtheit ist jedoch nicht möglich. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie in der einschlägigen Literatur finden sich Differenzierungsansätze hinsichtlich der notwendigen Bestimmtheit einer Norm insbesondere danach, welche Grundrechte betroffen sind, nach der Eingriffsintensität sowie der Eigenart des zu regelnden Sachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck121. So hat auch das BVerfG im Volkszählungsurteil die besonderen Bestimmtheitserfordernisse von Befugnisnormen zu informationellen Eingriffen herausgestellt122. Aus dem dort formulierten Grundsatz der Zweckbestimmungen von Datensammlungen und der Unzulässigkeit der Sammlung nicht anonymisierter Daten auf Vorrat zu unbestimmten Zwecken ergibt sich, daß der Gesetzgeber mit hinreichender Bestimmtheit den Zweck der Datensammlung, den betroffenen Personenkreis, die Art der zu speichernden Daten, die Voraussetzungen der Informationsübermittlung sowie die Dauer der Aufbewahrung festlegen muß123. Die landesrechtlichen speziellen Ermächtigungsnormen zur Videoüberwachung müßten danach regeln, wann und zu welchem Zweck persönliche Informationen durch Videoaufzeichnungen gespeichert werden dürfen, wie lange diese Speicherung andauern kann und zu welchen Zwecken eine Verwendung der Daten erfolgen darf. 118 Vgl. dazu die Ausführungen bei Neumann, S. 146 f.; Hoppe, S. 185 jeweils m. w. N. 119 BVerfGE 49, 168 (181 f.) m. w. N. Siehe auch MVVerfG, LKV 2000, 149 (155). 120 Hoppe, S. 185 f.; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht Band 1, § 31, Rdnr. 13; BVerfGE 21, 73 (79); 54, 143 (144 f.). 121 Höfling, in: Möller/v. Zezschwitz (Hrsg.), Videoüberwachung – Wohltat oder Plage?, 29 (39); Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht Band 1, § 31, Rdnr. 13. Vgl. dazu Sobota, S. 132 ff.; Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 200 ff., 396 ff. 122 BVerfGE 65, 1 (43 ff.). 123 Neumann, S. 145.

B. Verfassungsmäßigkeit der speziellen Ermächtigungsgrundlagen

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Grundrechtsrelevant ist jedoch nicht erst die Datenspeicherung mit den mit ihr verbundenen Problemen der Zweckbestimmung, womit sich das Volkszählungsurteil befaßt, sondern schon die Erhebung personenbezogener Daten durch Videoaufnahmen oder -aufzeichnungen sowie die Beobachtung von Personen mittels Videokamera an sich. Die Ermächtigungsgrundlagen müssen daher ebenso Bestimmungen darüber enthalten, an welchen Orten und in welcher Art und Weise Videoüberwachungen durchgeführt werden dürfen, damit die Betroffenen, wie es das BVerfG formuliert, die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können. Im folgenden sollen die landesrechtlichen Befugnisnormen im einzelnen hinsichtlich dieser Bestimmtheitsanforderungen überprüft werden. a) Bestimmung des Ortes der Überwachung Die landesrechtlichen Ermächtigungsnormen zur Videoüberwachung, mit Ausnahme von § 32 III S. 1 MVSOG und § 184 III S. 1 LVwG SH sowie § 32 III S. 1 NGefAG bezüglich bloßer Bildübertragungen, beschränken die Zulässigkeit dieser örtlich auf öffentlich zugängliche Kriminalitätsschwerpunkte124. Die Beurteilung dessen, welche Orte Kriminalitätsschwerpunkte darstellen, obliegt den zur Einrichtung von Videoüberwachungen kompetenten Polizei- oder Ordnungsbehörden125. Es muß sich um Orte handeln, an denen wiederholt Straftaten126 verübt wurden und an denen nach einer Prognose der Polizei mit weiteren Straftaten zu rechnen ist. Die gesetzlichen Regelungen knüpfen diese Prognose an das Vorliegen konkreter, tatsächlicher Anhaltspunkte127 bzw. an das Vorliegen von Tatsachen128/129. Bloße Vermutungen, daß an einem Ort künftig Straftaten verübt werden könnten, genügen daher nicht130. Damit wird der Ort der Überwachung hinreichend 124

Zu den Einzelheiten der Regelungen siehe oben Kapitel 8, B.I. Zur Frage der Organkompetenz siehe oben Kapitel 8, B.III. und IV. 126 In Bayern sind Videoüberwachungen auch an Orten zulässig, an denen wiederholt Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung begangen wurden, Art. 32 II Nr. 3 BayPAG. 127 Vgl. Art. 32 II Nr. 2 i.V. m. 13 BayPAG; Art. 32 II Nr. 3 BayPAG; § 14 III und IV Nr. 1 HessSOG; § 38 II SächsPolG; § 16 II i.V. m. § 20 II Nr. 1 SOG LSA; § 33 II ThürPAG. Ähnlich auch § 21 III i.V. m. § 26 I Nr. 2 BWPolG, wo auf das Erfahrungswissen der Polizei abgestellt wird. 128 § 31 III S. 1 BbgPolG; § 32 III S. 2 NGefAG; § 15 a I S. 1 NWPolG; § 27 II SaarPolG. 129 Zu den Begriffen „tatsächliche Anhaltspunkte“ und „Tatsachen“ Rachor, in: Lisken/Denninger, HbdPolR, F, Rdnr. 173 ff. m. w. N. 130 Zur praktischen Schwierigkeit der Abgrenzung von Mutmaßungen mit realem Hintergrund und tatsächlichen Anhaltspunkten vgl. Roggan, NVwZ 2001, 134 (137) unter Verweis auf Rachor, in: Lisken/Denninger, HbdPolR, F, Rdnr. 177. 125

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

konkretisiert. Daß hier eine Prognose der Polizei erforderlich bleibt, schadet nach den oben erörterten Anforderungen des Bestimmtheitsgebots nicht. Unschädlich ist auch, wenn in der Befugnisnorm zur Videoüberwachung hinsichtlich der örtlichen Zulässigkeit auf andere Normen, wie die Bestimmungen über die Identitätsfeststellung, verwiesen wird, wie gem. § 21 III BWPolG, § 32 II Nr. 2 BayPAG, § 38 II SächsPolG und § 16 II SOG LSA. Auch aus dieser Verweisung wird die Beschränkung auf Kriminalitätsschwerpunkte deutlich131. Problematisch hinsichtlich der Bestimmtheit erscheint § 29 III BremPolG, in dem eine Anknüpfung der polizeilichen Prognose an tatsächliche, konkrete Anhaltspunkte für die Begehung weiterer Straftaten an einem bestimmten Ort fehlt. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift muß es sich um einen Ort handeln, an dem vermehrt Straftaten begangen werden oder bei dem auf Grund der örtlichen Verhältnisse die Begehung von Straftaten besonders zu erwarten ist. Auch diese Vorschrift muß in dem Sinne ausgelegt werden, daß bloße Vermutungen der Polizei nicht genügen, sondern vielmehr die Einstufung als Kriminalitätsschwerpunkt aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte getroffen werden muß. Wie es das Bestimmtheitsgebot verlangt, muß für den Betroffenen erkennbar sein, wann er mit einem Grundrechtseingriff zu rechnen hat. Die Erfüllung dieses Erfordernisses erscheint jedoch problematisch, wenn die Entscheidung darüber, welche Orte als Kriminalitätsschwerpunkte videoüberwacht werden können, allein durch die Polizei vorgenommen wird. Der Bürger hat keinen Einblick in diesen Prozeß und kann daher in der Regel nicht wissen, welche Orte einer Stadt als gefährlich eingestuft wurden. Die möglichen Orte einer polizeilichen Videoüberwachung sind durch den einzelnen selbst daher unbestimmbar. Die Erkennbarkeit videoüberwachter Orte für den betroffenen Bürger ergibt sich jedoch aus der Offenheit dieser Maßnahme132. Die offene Durchführung von Videoüberwachungen, wie sie die meisten gesetzlichen Grundlagen ausdrücklich vorsehen133, bedeutet, daß die Überwachungskameras für jeden sichtbar angebracht werden müssen oder durch Hinweisschilder auf die Überwachung deutlich hingewiesen werden muß134. 131

Vgl. für § 21 III BWPolG VG Karlsruhe, VBlBW 2002, 131 (132). Für § 21 III BWPolG vgl. Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht für Baden-Württemberg, Rdnr. 608. 133 Vgl. oben Kapitel 8, B.II.4. § 38 II SächsPolG enthält das Tatbestandsmerkmal der Offenheit von Videoüberwachungsmaßnahmen an Kriminalitätsschwerpunkten nicht. Die Offenheit als Voraussetzung ergibt sich hier jedoch aus der systematischen Betrachtung der Datenerhebungsvorschriften des SächsPolG, siehe auch hierzu oben Kapitel 8, B.II.4. 134 Zur Offenheit der Videoüberwachung siehe näher unten 2.b). 132

B. Verfassungsmäßigkeit der speziellen Ermächtigungsgrundlagen

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Diese Voraussetzung der Offenheit der Videoüberwachungsmaßnahme ist nicht nur im Hinblick auf die Bestimmtheit der gesetzlichen Grundlage gefordert, sondern folgt schon aus dem Grundsatz der Offenheit staatlichen Handelns, welchen Rechtsstaats- und Demokratieprinzip gebieten,135 sowie, wie noch zu erörtern ist136, aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip in seiner Ausprägung der Geeignetheit der Maßnahme, da allein von einer offenen Überwachung der intendierte Abschreckungseffekt ausgehen kann. Sehr problematisch erscheinen die Regelungen der § 32 III S. 1 MVSOG, § 32 III S. 1 NGefAG und § 184 III S. 1 LVwG SH. Diese erlauben polizeiliche Videoüberwachungen (in Niedersachsen nur Beobachtungen mittels Bildübertragung) ohne weitere Beschränkung an allgemein öffentlich zugänglichen Orten (bzw. in der Terminologie der § 32 III MVSOG und § 184 III LVwG SH an allgemein öffentlich zugänglichen Flächen und Räumen). § 32 III MVSOG und § 184 III LVwG SH137 verlangen darüber hinaus auch nicht die Offenheit von Videoüberwachungsmaßnahmen, was diese Regelungen hinsichtlich ihrer Bestimmtheit besonders bedenklich erscheinen läßt. Videoüberwachungen könnten nach dem Wortlaut dieser Normen an jedem öffentlich zugänglichen Ort auch ohne besondere Hinweise an die Öffentlichkeit durchgeführt werden. Für den Bürger wäre in keiner Weise erkennbar, welche Orte videoüberwacht werden. Er könnte nicht wissen, wo er mit staatlichen Eingriffen in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht rechnen muß und wäre damit nicht in der Lage, sein Verhalten auf diese Situation einzustellen. Auch nach diesen Vorschriften ist jedoch nur eine offen durchgeführte längerfristige Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte zur Verhütung und vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten zulässig. Verdeckte Videoüberwachungen wären als besondere Mittel der Datenerhebung gem. § 185 I Nr. 2 a bzw. § 33 I Nr. 2 MVSOG an die engen Voraussetzungen des § 185 II LVwG SH bzw. § 33 II MVSOG gebunden, die in diesem Fall nicht gegeben sind. Damit wird auch hier durch die offene Durchführung der Maßnahme für den einzelnen ersichtlich, auf welchen öffentlich zugänglichen Orten eine Videoüberwachung erfolgt.

135 Dazu Deutsch, S. 13 ff. Speziell aus dem Schrifttum zur polizeilichen Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte siehe Fischer, VBlBW 2002, 89 (94); Roggan, NVwZ 2001, 134 (137). 136 Siehe unten 2.b). 137 Durch diesen weiten Tatbestand wird erreicht, daß Videoüberwachungen zum Zweck der Gefahrenabwehr sowohl an Kriminalitätsschwerpunkten wie auch im Umfeld gefährdeter Objekte oder an Verkehrsknotenpunkten erfaßt werden. Vgl. Kobza/Kripgans, in: Schipper (Hrsg.), Polizei- und Ordnungsrecht in Schleswig-Holstein, Rdnr. 234.

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

Die weitere Problematik dieser Vorschriften, die örtlich unbeschränkt zulässige Videoüberwachung im öffentlichen Raum, besteht jedoch weiterhin. Wie noch im Rahmen der Überprüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Angemessenheit) dieser Polizeimaßnahme näher auszuführen sein wird138, stellt die Beschränkung auf sog. Kriminalitätsschwerpunkte ein notwendiges Tatbestandsmerkmal dar. Durch dieses wird die Entstehung einer flächendeckenden Überwachungsstruktur verhindert, welche nicht mit dem freiheitlichen Menschenbild des Grundgesetzes, wie es in Art. 2 I und 1 I GG gewährleistet ist, in Einklang zu bringen wäre. Durch eine Durchdringung des Alltags mit Kameras wäre die Freiheit des einzelnen im öffentlichen Raum von vornherein unter staatliche Kontrolle gestellt. Dies wäre unvereinbar mit der objektiven Wertentscheidung des Grundgesetzes, daß Freiheitsausübung und persönliche Entfaltung grundsätzlich ohne staatliche Kontrolle erfolgen sollen. Mit Blick auf die US-amerikanischen Überlegungen zu der Problematik flächendeckender Videoüberwachungen, die sich dort ebenso aufgrund des Konfliktes mit dem der US-Verfassung zugrunde liegenden freiheitlichen Menschenbild entfaltet, könnte hier sogar von einer Art staatlicher Unterdrückung gesprochen werden139. Fraglich ist, ob dieses Tatbestandsmerkmal der räumlichen Beschränkung von Videoüberwachungen auf Kriminalitätsschwerpunkte im Wege der verfassungskonformen Auslegung in § 184 III S. 1 LVwG SH, § 32 III S. 1 MVSOG und § 32 III S. 1 NGefAG hineininterpretiert werden kann, wie dies teilweise in der einschlägigen Literatur gesehen wird140. Dies erscheint jedoch unter dem Gesichtspunkt problematisch, daß der Wortlaut dieser Bestimmungen, der allein von einer Beobachtung „öffentlich zugänglicher Orte“ bzw. „öffentlich zugänglicher Flächen und Räume“ ausgeht, keinen einer einschränkenden Auslegung zugänglichen unbestimmten Rechtsbegriff enthält141. Auch das in diesen Bestimmungen enthaltene Erforderlichkeitskriterium genügt zu einer solchen räumlichen Beschränkung nicht. Dieses Kriterium ist, wie sogleich unter b) dargestellt wird, vielmehr als reines Scheintatbestandsmerkmal zu charakterisieren und zu kritisieren, denn die Erforderlichkeit zur polizeilichen Aufgabenerfüllung ist Mindestvoraussetzung jeder Polizeimaßnahme. Bei den hier untersuchten Regelungen kann daher bezüglich des Ortes der Überwachung nicht mehr von einem klar und bestimmt gefaßten Tatbestand gesprochen werden. Betrachtet man die Normbestimmtheit noch im Zusammenhang mit dem rechtsstaatlichen Gesetzesvorbehalt und der in diesem Zusammenhang entwickelten Wesentlich138

Siehe unten 2.d). Vgl. oben Kapitel 7, A.; sowie Slobogin, 10 Harv. J. Law & Tec 383, 418 (1997). 140 So Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (82); Fischer, VBlBW 2002, 89 (94, Fn. 46). 141 Vgl. Büllesfeld, S. 185. 139

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keitstheorie des BVerfG142, wonach wesentliche Entscheidungen im Bereich der Grundrechtsausübung durch den Gesetzgeber selbst zu regeln sind, so muß festgestellt werden, daß diese Regelungen mangels der als wesentlich einzustufenden tatbestandlichen räumlichen Beschränkung von Videoüberwachungen diesen Anforderungen nicht genügen. § 184 III S. 1 LVwG SH, § 32 III S. 1 MVSOG sowie § 32 III S. 1 NGefAG sind damit nicht mit dem Grundsatz der Normbestimmtheit zu vereinbaren143. b) Bestimmung materieller Eingriffsvoraussetzungen Die verschiedenen Teilmaßnahmen der Videoüberwachung – Übersichtsaufnahme, Nahaufnahme sowie Bildaufzeichnung – stellen Grundrechtseingriffe von unterschiedlicher Intensität dar, die jeweils einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. Die hier untersuchten speziellen Ermächtigungsnormen unterscheiden daher zwischen der Beobachtung mittels Bildübertragung bzw. Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen, wenngleich die Regelung dieser Teilmaßnahmen in einigen landesrechtlichen Normen in einem einzigen Satz erfolgt. Zur Beobachtung mittels Bildübertragung finden sich häufig Regelungen wie etwa in Mecklenburg-Vorpommern. In § 32 III S. 1 MVSOG heißt es: „Allgemein zugängliche Flächen und Räume dürfen mit technischen Mitteln zur Bildüberwachung beobachtet werden, wenn dies zur Aufgabenerfüllung nach § 1 erforderlich ist.“ § 32 III S. 1 NGefAG, § 184 III S. 1 LVwG SH und auch § 15 a I S. 1 NWPolG sowie § 16 II SOG LSA (bei beiden letzteren allerdings mit der Beschränkung auf Gefahrenschwerpunkte) enthalten vergleichbare Bestimmungen. § 21 III BWPolG, Art. 32 II Nr. 2 und 3 BayPAG, § 29 III S. 1 BremPolG, § 14 III HessSOG sowie § 33 II Nr. 1 ThürPAG enthalten ähnliche Regelungen über die Bildübertragung, erlauben allerdings darüber hinaus in gleicher Weise auch Bildaufzeichnungen. § 27 II SaarPolG enthält eine entsprechende Regelung allein für Bildaufzeichnungen. Durch diese Regelungen werden Videoüberwachungen durch Bildübertragung bzw. auch Bildaufzeichnungen gegenüber jedermann ermöglicht. Adressaten dieser Maßnahme sind damit nicht nur Störer, wie es die klassische Polizeirechtsdogmatik vorsieht, sondern alle, die sich an dem Überwachungsort aufhalten. Es kann hier von einer Ortshaftung gesprochen werden144. 142

BVerfGE 61, 269 (275); 88, 103 (116). So auch Büllesfeld, S. 186 bezüglich § 184 III S. 1 LVwG SH, § 32 III S. 1 MVSOG sowie § 32 V NGefAG, der jedoch im Wortlaut der Neuregelung des § 32 III S. 1 NGefAG entspricht. 143

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

Weiterhin werden keine materiellen Voraussetzungen aufgestellt, unter denen ein Grundrechtseingriff zulässig ist. Videobildübertragungen sowie Bildaufzeichnungen von Personen können nach diesen Regelungen unabhängig von dem Vorliegen einer konkreten Gefahr sowie unabhängig von einem bestimmten Verhalten der überwachten Personen durchgeführt werden. Insbesondere fehlen Voraussetzungen für eine Steigerung der Eingriffsintensität, wie den Übergang von einer Übersichtsaufnahme zur Nahaufnahme145. Als einziges Tatbestandsmerkmal enthalten diese Ermächtigungsnormen teilweise neben der, wie oben beschriebenen, Bestimmung über den Ort der Überwachung die Erforderlichkeit der Maßnahme zur Aufgabenerfüllung gem. der polizeigesetzlichen Aufgabennorm (so § 29 III BremPolG, § 32 MVSOG, § 32 III NGefAG, § 184 III LVwG SH). § 15 a I S. 1 NWPolG erlaubt Bildübertragungen „zur Verhütung von Straftaten“, gem. § 33 II ThürPAG sind Beobachtung durch Bildübertragung sowie die Bildaufzeichnung zur „Gefahrenabwehr“ zulässig, gem. § 21 III BWPolG ist dies zur Abwehr von Gefahren, durch die die öffentliche Sicherheit146 bedroht wird, oder zur Beseitigung von Störungen der öffentlichen Sicherheit möglich. Auch diese Vorschriften erlauben Videoüberwachungen nicht erst bei Vorliegen einer konkreten Gefahrensituation, sondern schon in deren Vorfeld147. Es genügt eine bloß drohende Gefahrenlage, was allerdings Mindestvoraussetzung für jegliches polizeiliche Handeln ist148. Die Aufnahme solcher Zweckbestimmungen in eine spezielle Ermächtigungsgrundlage, wie auch der pauschale Verweis auf die polizeiliche Aufgabennorm, stellt damit kein echtes begrenzendes Tatbestandsmerkmal dar. Die hier untersuchten Normen können insofern als scheintatbestandlich kritisiert werden149. Einzi144

Vgl. etwa Brenneisen/Staack, DuD 1999, 447 (448). Roggan, NVwZ 2001, 134 (137). Für § 21 III BWPolG vgl. Würtenberger/ Heckmann/Riggert, Polizeirecht in Baden-Württemberg, Rdnr. 608. 146 An der Bestimmtheit des Begriffs der öffentlichen Sicherheit kann heute nicht mehr ernstlich gezweifelt werden. Vgl. VG Karlsruhe, VBlBW 2002, 131 (132) m. w. N. 147 Für § 21 III BWPolG: Belz/Mußmann, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, § 21, Rdnr. 37. A.A. bzgl. § 184 III LVwG SH Bäumler, in: Lisken/Denninger, HbdPolR, J, Rdnr. 655: Im LVwG SH sei lediglich von Gefahrenabwehr als polizeilicher Aufgabe die Rede, die Aufgabe der Vorbeugung finde dagegen keine Erwähnung, weshalb sie nicht von der Aufgabe der Gefahrenabwehr umfaßt sei. § 184 III LVwG SH ermächtige daher nur zu Videoüberwachungen zur Abwehr konkreter Gefahren. Nach der Gegenauffassung, die sich auf die amtliche Begründung zum Novellierungsentwurf des LVwG SH stützt, wird auch in Schleswig-Holstein die vorbeugende Verbrechensbekämpfung von der Aufgabe der Gefahrenabwehr erfaßt; so: Brenneisen/Staack, DuD 1999, 447 (448); Kobza/Kripgans, in: Schipper: Polizei- und Ordnungsrecht in Schleswig-Holstein, Rdnr. 234. 148 Belz/Mußmann, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, § 21, Rdnr. 37. 145

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ges Regulativ dieser weiten und unbestimmten Regelungen ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip150, das die Beachtung weiterer Eingriffsvoraussetzungen nach verfassungskonformer Auslegung dieser Ermächtigungsnormen erforderlich werden läßt151. Das Ersetzen eines echten Tatbestandes durch Zweckbestimmungen, wie hier, ist typisch für polizeiliche Vorfeldbefugnisse. Im Vorfeld konkreter Gefahren lassen sich in der Regel keine Verhaltensweisen herausfiltern, an die Eingriffsvoraussetzungen geknüpft werden müssen, weshalb auf Zweckbestimmungen zurückgegriffen wird152. Die Befugnisnormen erhalten dadurch eine finale Struktur, welche sich durch ihre Unbestimmtheit auszeichnet153. Bei solch typischerweise unbestimmten Rechtsgrundlagen sind die Interessen der von der polizeilichen Maßnahme Betroffenen besonders durch organisations- und verfahrensrechtliche Regelungen zu schützen154. Weiterhin ist die Gewährung effektiven Rechtsschutzes in besonderem Maße zu beachten155. § 31 III BbgPolG enthält in S. 1 eine den soeben erörterten Normen entsprechende Regelung über die Beobachtung mittels Bildübertragung, regelt in S. 2 allerdings in vorbildlicher Weise, über welche Personen Daten erhoben werden dürfen und damit, wann eine Nahaufnahme erfolgen darf. Dies ist der Fall, wenn auf Grundlage des gegenwärtigen Verhaltens einer Person 149 Vgl. Belz/Mußmann, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, § 21, Rdnr. 37; Höfling, in: Möller/v. Zezschwitz (Hrsg.), Videoüberwachung – Wohltat oder Plage?, 29 (40). Auch Volkmann, NVwZ 2000, 361 (366) kritisiert die §§ 32 III MVSOG, 184 III LVwG SH und 32 V NGefAG a. F. (jetzt § 32 III S. 1 NGefAG) als weitgehend tatbestands-, adressaten- und damit konturenlos. Diese Vorschriften wollten einen Eingriff ermöglichen, ohne ihn an bestimmte Voraussetzungen zu binden. 150 Wie Denninger/Petri, in: Bäumler (Hrsg.), Polizei und Datenschutz, 1999, S. 19, bemerken, droht die Regulativfunktion des Verhältnismäßigkeitsprinzips überstrapaziert zu werden, wenn und soweit sie die Aufgabe einer Ermächtigungsgrundlage übernehmen muß, etwa weil der Gesetzgeber die Bestimmtheitsanforderungen an die Tatbestandsmerkmale absenkt. In diesem Zusammenhang muß auch das Prinzip des Gesetzesvorbehalts in die Überlegung mit einbezogen werden, das nach der vom BVerfG entwickelten Wesentlichkeitstheorie für die verfassungsrechtlich erforderlichen Bestandteile einer gesetzlichen Regelung zum Parlamentsvorbehalt ausgeweitet wurde. Denn bei solch tatbestandlich unbestimmten Normen wird die gesetzgeberische Entscheidung über die Eingriffsvoraussetzungen auf behördliche Entscheidungen im Rahmen der Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips delegiert. Dazu eingehend: Neumann, S. 144 ff. 151 Siehe dazu im einzelnen unten 2. 152 Waechter, DÖV 1999, 138 (142). 153 Waechter, DÖV 1999, 138 (142). 154 Vgl. MVVerfG, LKV 2000, 149 (156). 155 Vgl. BVerfGE 49, 168 (181 f.).

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß diese an dem Ort der Überwachung Straftaten begehen will. Daß hierzu eine Prognose der Polizei erforderlich ist, ist auch hier für die Beachtung des Bestimmtheitsgebots unschädlich. Eine ähnliche Regelung findet sich in § 38 II SächsPolG. Dort wird jedoch allein die Datenerhebung geregelt, womit die bloße Übertragung von Übersichtsbildern noch nicht erfaßt wird. Auch diese Modalität der Videoüberwachung bedarf als grundrechtsrelevante Maßnahme jedoch der gesetzlichen Grundlage. Eine entsprechende Problematik besteht für § 27 II SaarPolG. Dort ist allein die Bildaufzeichnung normiert. Zu Bildaufnahmen findet sich keinerlei Regelung. Diese Normen können jedoch in der Weise ausgelegt werden, daß unter denselben Voraussetzungen wie für Bildaufzeichnungen (in Sachsen auch Nahaufnahmen) die geringer eingreifenden Teilmaßnahmen als notwendige und mildere Vorstufen zulässig sind (argumentum a maiore ad minus)156. Hinsichtlich der Aufzeichnung von Videobildern finden sich in einigen Polizeigesetzen detaillierte Regelungen. In einigen Bundesländern ist diese Form der Speicherung personenbezogener Daten nur zulässig, wenn im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte für die Begehung einer Straftat (in Mecklenburg-Vorpommern nur solche von erhebliche Bedeutung, in Schleswig-Holstein nur bei Verbrechen und Vergehen, die gewerbsmäßig oder gewohnheitsmäßig begangenen werden sollen) vorliegen, siehe § 31 III S. 2 BbgPolG, § 32 III S. 2 MVSOG, § 15 a II NWPolG, § 184 III LVwG SH. Bildaufzeichnungen sind hier damit nur gegenüber bestimmten Personen, bei einem bestimmten Verhalten dieser zulässig. Auch hier ist eine Einschätzung der konkreten Situation durch die observierenden Polizeibeamten erforderlich. Diese ist jedoch unter der Anknüpfung an das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte hinsichtlich des Bestimmtheitsgebots unbedenklich. § 31 III S. 3 BbgPolG statuiert ausdrücklich, daß bei einer Datenerhebung durch Bildaufnahmen und -aufzeichnungen gegenüber einer sich hinsichtlich der Begehung von Straftaten verdächtig verhaltenden Person auch Daten über unbeteiligte Dritte erhoben werden dürfen. Ähnliche Vorschriften über die Datenerhebung bei unvermeidbar betroffenen Dritten finden sich auch in § 38 II S. 2 SächsPolG, § 16 II i.V. m. I S. 2 SOG LSA und § 33 III S. 1 ThürPAG. Solche Regelungen sind zwar unschädlich, aber ebensowenig durch das Bestimmtheitsgebot gefordert, da es für solche un156 Möchte man die Datenerhebung durch Nahaufnahmen nicht als Minusmaßnahme zur Datenerhebung durch Bildaufzeichnung bei gleichzeitiger Datenspeicherung begreifen, so stellt sich die Frage, ob als Rechtsgrundlage für bloße Bildaufnahmen die Datenerhebungsgeneralklausel herangezogen werden kann. Zu dieser Problematik siehe unten C.I.

B. Verfassungsmäßigkeit der speziellen Ermächtigungsgrundlagen

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beabsichtigten Nebenfolgen eines Grundrechtseingriffs gegenüber einer anderen Person keiner gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedarf157. c) Zweckbestimmung gewonnener Daten, Bestimmungen über zulässige Zweckänderungen sowie über die zulässige Speicherdauer Die hier untersuchten Normen enthalten weiterhin, wie schon oben in Kapitel 8, B.II.2. dargestellt, Bestimmungen über Speicherdauer und Verwendungszweck der durch die Videoüberwachung gewonnenen Daten, wie dies das Bestimmtheitsgebot verlangt. 2. Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips Der in den Grundrechten158 sowie dem Rechtsstaatsprinzip159 verankerte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt, daß eine staatliche Maßnahme zur Erreichung des angestrebten, legitimen Zweckes geeignet ist (Kriterium der Geeignetheit), keine milderen, aber gleich wirksamen Mittel zur Erreichung dieses Zweckes zur Verfügung stehen (Kriterium der Erforderlichkeit) sowie daß Eingriff und Zweck in einem recht gewichteten und wohl abgewogenen Verhältnis zueinander stehen (Kriterium der Angemessenheit oder der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne160). a) Legitimer Zweck In den amtlichen Begründungen161 zu verschiedenen polizeigesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen wird als Zweck der polizeilichen Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte die Verhütung von Straftaten sowie die Vermittlung eines Sicherheitsgefühls für Passanten angeführt. Ziel ist danach die Schaffung „angstfreier Räume“162 durch die vorbeugende Bekämpfung der Kriminalität an bestimmten öffentlich zugänglichen Orten. 157

Siehe oben A. Vgl. BVerfGE 19, 342 (348 f.); Schnapp, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar, Band 2, Art. 20, Rdnr. 27. 159 Vgl. BVerfGE 23, 127 (133); 69, 161 (169); 76, 256 (359). 160 Dieses Kriterium wird abgelehnt von Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 289 ff., sowie Schlink, in: Festschrift 50 Jahre BVerfG, 2001, Bd. 1, S. 445 (460 ff.). 161 Vgl. etwa Hessischer Landtag, LT-Drs. 15/848; Landtag von Nordrhein-Westfalen, LT-Drs. 12/4780, S. 65. 162 Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (207). 158

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

aa) Verhütung von Straftaten Konkret geht es dabei um die Senkung der Kriminalitätsbelastung an den überwachten Orten durch die präventive Abschreckung potentieller Straftäter. Bekämpft werden sollen die Arten der Kriminalität, die sich in der Öffentlichkeit ereignen, wobei es sich vor allem um Eigentumsdelikte bezüglich sich in der Öffentlichkeit befindender Gegenstände (Kfz, Handtaschen u. ä.) sowie um Drogenkriminalität handelt163. Durch Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte kann jedoch nicht nur ein Beitrag zur Gefahrenvorsorge geleistet werden. Ihr Zweck kann vielmehr auch die Abwehr konkreter Gefahren sowie die Strafverfolgungsvorsorge sein164. All diese sind legitime Zwecke, die in die Abwägung mit den Belangen des einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung eingestellt werden müssen. bb) Vermittlung eines Sicherheitsgefühls für Passanten Die Vermittlung eines Sicherheitsgefühls für Passanten dagegen erscheint als legitimer Zweck problematisch165. Zwar kann die Angst vor Verbrechen auf öffentlichen Straßen und Plätzen die Freiheit der Person nicht unerheblich einschränken. Sie kann dazu führen, daß manche öffentlichen Orte gar nicht mehr betreten werden oder zumindest nicht nachts oder nur in Begleitung. Werden als bedrohlich empfundene Orte dennoch aufgesucht, so führt Furcht häufig zu einer Veränderung des Verhaltens, wie etwa die Beschleunigung des Schrittes und die Vermeidung von unnötigen Aufenthalten. Personen lassen sich aus Mißtrauen gegenüber anderen an diesen Orten nicht ansprechen und versuchen, sich möglichst unauffällig zu verhalten, um (vermeintliche) potentielle Straftäter nicht auf sich aufmerksam werden zu lassen. Verbrechensfurcht kann damit zu einer eingeschränkten Ausübung eigener Grundrechte führen. Deckt sich diese Angst mit der tatsächlichen Bedrohungssituation an bestimmten Orten ist sie auch rechtlich relevant166. Der Gesetzgeber darf sie bei seinen Überlegungen im Gesetzgebungsverfahren mit einbeziehen und ihre Beseitigung neben der Beseitigung der Kriminalität an den in Frage stehenden Orten als Ziel formulieren. 163 164 165 166

Vgl. dazu schon oben Kapitel 2, D.II.2. Siehe dazu ausführlich oben B.I. Vgl. dazu die Bedenken bei Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (79). Waechter, DVBl. 1999, 809 (810).

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Problematisch wird es jedoch, wenn die Furcht vor Verbrechen nicht mit der Bedrohungssituation deckungsgleich ist, sondern diese übersteigt. Diese objektiv unbegründete Furcht darf der Gesetzgeber nicht in seine Abwägung mit einstellen. Anderenfalls würde er einen Abwägungsfehler begehen durch die im Rechtsstaat unzulässige Berücksichtigung falscher Tatsachen (objektiv nicht in diesem Ausmaß bestehende Bedrohungslage) über den Umweg subjektiv wahrgenommener Befindlichkeiten167. Diese Situation der zum Teil unbegründeten Kriminalitätsangst tritt besonders auch bezüglich öffentlicher Orte auf. Gerade auf innerstädtischen Straßen und Plätzen tragen neben sich tatsächlich ereignenden Straftaten (die eine Bandbreite von Delikten, wie Drogen-, Eigentums- oder Körperverletzungsdelikte bis hin zu die Grenze der Nötigung überschreitendem aggressiven Betteln, umfaßt) und Ordnungswidrigkeiten besonders auch dort auftretende, sozial unerwünschte Verhaltensweisen zu einem Gefühl des Bedrohtseins bei Passanten bei168. Zu letzteren zählen etwa der öffentliche Alkoholkonsum169, Bettelei 170 etwa durch Obdachlose, das Herumlungern Betrunkener oder das Schlafen auf Parkbänken. Anzeichen der Verwahrlosung dieser öffentlichen Orte durch Sachbeschädigungen können die Angst der Passanten noch verstärken. Die Beseitigung der Furcht von Passanten vor objektiv nicht nachweisbaren Gefahren im öffentlichen Raum kann aus den genannten Gründen nicht legitimes Ziel einer Polizeimaßnahme sein. In der Praxis stellt sich damit die Schwierigkeit festzustellen, bis zu welchem Grad solche Ängste begründet bzw. unbegründet sind. Da eine begründete Kriminalitätsfurcht jedoch immer dann vorliegt, wenn sie die tatsächliche Bedrohungslage widerspiegelt, kann das legitime Ziel der Stärkung des Sicherheitsgefühls von Passanten dann gewählt werden, wenn dies im Zusammenhang mit dem Ziel der (vorbeugenden) Bekämpfung von Straftaten geschieht. cc) Wahrung der öffentlichen Ordnung Nimmt man auch darüber hinaus die Stärkung des Sicherheitsgefühls von Passanten als eigenständiges Ziel von polizeilichen Videoüberwachungen ernst, so könnte dieses dadurch verfolgt werden, daß die, wie oben geschildert, mit zur Furcht beitragenden sozial unüblichen Verhaltensweisen im öffentlichen Raum unterbunden und unerwünschte Personen, wie Bettler oder Obdachlose, aus den Innenstädten verbannt werden171. Es geht hierbei 167 168 169 170

Waechter, DVBl. 1999, 809 (812). Siehe dazu schon oben Kapitel 2, D.II.2. Vgl. dazu VGH Mannheim, VBlBW 1999, 101. Vgl. dazu VGH Mannheim, NVwZ 1999, 560.

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um die Verhinderung solchen Verhaltens, das nicht gegen Rechtsnormen verstößt, womit das Problem der Wahrung der öffentlichen Ordnung als legitimem Zweck polizeilicher Videoüberwachungen angesprochen ist. Die öffentliche Ordnung ist in allen Polizei- und Ordnungsgesetzen als Schutzgut genannt, außer in Niedersachsen (siehe §§ 1 I, 2 Nr. 1 NGefAG), Bremen (siehe § 1 I BremPolG), Schleswig-Holstein (siehe § 162 I LVwG SH), im Saarland (siehe § 1 II SaarPolG) sowie in Nordrhein-Westfalen im Polizeigesetz (siehe § 1 NWPolG), anders als im dortigen Ordnungsbehördengesetz (siehe § 1 I S. 1 NWOBG). Die öffentliche Ordnung umfaßt die Gesamtheit der ungeschriebenen, sozialen Normen über das Verhalten des einzelnen in der Öffentlichkeit, deren Beachtung nach Anschauung der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung unerläßliche Voraussetzung eines gedeihlichen staatsbürgerlichen und menschlichen Zusammenlebens ist172. Bei diesen sozialen Normen handelt es sich nicht um Rechtsnormen, sondern um ungeschriebene Regeln der Sitte und der Moral, in denen sich die sozialen und ethischen Anschauungen einer Gemeinschaft widerspiegeln173. Gegen die öffentliche Ordnung als Schutzgut sind in der Rechtsliteratur vielfach verfassungsrechtliche Bedenken geäußert worden174. In erster Linie wird hier argumentiert, daß in einer rechtsstaatlichen Demokratie das Setzen freiheitsbeschränkender Normen alleinige Sache des staatlichen Gesetzgebers sein müsse175. Die polizeiliche Durchsetzung herrschender Sozialnormen verstoße gegen die demokratischen Prinzipien des Minderheitenschutzes, der Pluralität und der Toleranz176. Aufgrund der unterschiedlichen Anschauungen zu Sitte und Moral in einer pluralistischen Gesellschaft ließen sich herrschende Auffassungen hierzu nur schwer feststellen. Bei der Konktretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs „öffentliche Ordnung“ entstünden daher immense Schwierigkeiten, womit der Mangel der Prognostizierbarkeit für den Bürger einhergehe. Der Begriff „öffentliche Ordnung“ sei daher nicht mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot vereinbar177. 171 Zum Zusammenhang von Videoüberwachungen und der Bekämpfung öffentlicher Unordnung im Rahmen neuer Polizeistrategien, siehe oben Kapitel 2, D.II. 172 Vgl. etwa die Legaldefinitionen in § 3 Nr. 2 SOG LSA und § 54 Nr. 2 ThürOBG sowie bereits die Begründung zu § 14 PreußPVG von 1931, Nachweis bei Störmer, DV 1997, 233, Fn. 1. 173 Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 63. 174 Siehe dazu die Streitdarstellungen bei Störmer, DV 1997, 233 ff.; Waechter, NVwZ 1997, 729 f.; Erbel, DVBl. 2001, 1714 (1717). 175 Denninger, in: Lisken/Denninger, HbdPolR, E, Rdnr. 26; Hill, DVBl. 1985, 88 (91 f.). 176 Denninger, in: Lisken/Denninger, HbdPolR, E, Rdnr. 26.

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Teile der Literatur lehnen die öffentliche Ordnung als polizeirechtliches Schutzgut daher ganz ab. Auch die oben aufgeführten Länder haben aufgrund dieser rechtsstaatlichen Bedenken auf das Schutzgut „öffentliche Ordnung“ in ihren Polizeigesetzen verzichtet. Die übrigen Bundesländer halten jedoch weiter an ihm fest. Sie befinden sich dabei im Einklang mit Rechtsprechung und herrschender Fachliteratur. Wie das BVerfG feststellte, sind die die öffentliche Ordnung enthaltenden polizeilichen Generalklauseln hinsichtlich ihrer Bestimmtheit verfassungsrechtlich unbedenklich, da sie „in jahrzehntelanger Entwicklung durch Rechtsprechung und Lehre nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend präzisiert, in ihrer Bedeutung geklärt und im juristischen Sprachgebrauch verfestigt“ seien178. In der Literatur wird vielfach darauf verwiesen, daß das Grundgesetz selbst (Art. 35 II S. 1 und Art. 13 III GG) sowie andere einfache Gesetze (z. B. §§ 45 I AuslG, 15 I VersG, 71 a GewO, 19 GastG) und internationale Normen (Art. 33 EUV; Art. 30, 39 III, 46 I EGV; Art. 8 II, 9 II, 10 II, 11 II EMRK) die öffentliche Ordnung enthalten und offensichtlich von der Unentbehrlichkeit dieses Auffangtatbestandes ausgehen179. Dieser Streit verlor im letzten Jahrzehnt zunächst an Relevanz, da das Schutzgut „öffentliche Ordnung“ im Zuge der Pluralisierung und Liberalisierung einen Bedeutungsschwund erfuhr180. Vieles was früher noch als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung gesehen wurde – vor allem auf dem Gebiet der Sexualität –, wird heute als sozialverträgliches Verhalten toleriert. Zu einem Bedeutungsschwund der öffentlichen Ordnung kam es weiter dadurch, daß die rechtliche Ordnung des sozialen Lebens ein Ausmaß erreichte, das immer weniger Raum für außerrechtliche soziale Normen ließ181. Durch die zunehmende Verrechtlichung bot nun das Rechtsgut „öffentliche Sicherheit“ in vielen Fällen ausreichend Schutz182. Doch in neuerer Zeit ist die Diskussion um die öffentliche Ordnung wieder aufgelebt. Dies vor allem im Rahmen der Diskussion um die Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf öffentlichen Straßen und im gesamten öffentlichen Verkehrsraum183. Es mehrten sich die Versuche in Literatur und Rechtsprechung, über die öffentliche Ordnung gegen die – schon oben angesprochenen – altbekannten, aber unerwünschten Er-

177 Bäumler, NVwZ 1992, 638 (639); Hill, DVBl. 1985, 88 (92); Lisken, ZRP 1990, 15 (17). 178 BVerfGE 54, 143 (144 f.). 179 Schoch, JuS 1994, 570 (575); auch Erbel, DVBl. 2001, 1714 (1717); Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 65. 180 Störmer, DV 1997, 233 (237). 181 Störmer, DV 1997, 233 (237). 182 Waechter, NVwZ 1997, 729 ff., geht sogar davon aus, daß der Begriff öffentliche Ordnung vollständig im Begriff der öffentlichen Sicherheit aufgeht. 183 Götz, NVwZ 1998, 679 (685).

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scheinungen wie die Bettelei, den Alkohol- und Drogenkonsum in der Öffentlichkeit oder den Daueraufenthalt von Stadtstreichern vorzugehen184. In den Bundesländern, die nach wie vor die öffentliche Ordnung als Schutzgut kennen, wäre es daher denkbar, daß polizeiliche Videoüberwachungen öffentlicher Plätze auch zum Zweck der Wahrung der öffentlichen Ordnung durchgeführt werden, um Personen von unerwünschten Verhaltensweisen abzuschrecken. Wegen der Problematik der Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs „öffentliche Ordnung“ durch die Schwierigkeit in einer pluralistischen Gesellschaft festzustellen, was die herrschende Auffassung hinsichtlich sozialer und ethischer Werte ist, ist aber eine restriktive Anwendung geboten185. Als keinen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung einzustufen ist daher etwa das stille Betteln186, der öffentliche Alkoholkonsum187 und auch die (freiwillige) Obdachlosigkeit, soweit nicht besondere Modalitäten hinzukommen188. Die Unterbindung solcher zu tolerierenden Verhaltensweisen stellt daher kein legitimes Ziel polizeilicher Tätigkeit dar. In den meisten Bundesländern, die auch die „öffentliche Ordnung“ als polizeiliches Schutzgut kennen, sind Videoüberwachungen zu diesem Zweck jedoch durch die speziellen Ermächtigungsgrundlagen ausgeschlossen. So nennt § 21 III BWPolG allein das Schutzgut „öffentliche Sicherheit“. In Bayern, Brandenburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen erfolgt die Zweckbegrenzung in der Weise, daß Videoüberwachungen ausdrücklich nur an Kriminalitätsschwerpunkten durchgeführt werden dürfen, so daß der Zweck der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten immer im Vordergrund steht. Damit bleiben allein in Mecklenburg-Vorpommern nach dem Wortlaut des § 32 III MVSOG Videoaufnahmen zur Wahrung der öffentlichen Ordnung möglich. Videoaufzeichnungen sind dagegen auch in diesem Bundesland an Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten (sogar nur solcher von erheblicher Bedeutung) gebunden. b) Geeignetheit Das Verhältnismäßigkeitsprinzip verlangt, daß die in Frage stehende Maßnahme zur Erreichung des legitimen Zwecks geeignet ist. Zweifel an der Geeignetheit der Videoüberwachungsmaßnahme zur Verhütung von Straftaten könnten aus dem Grund bestehen, daß fraglich ist, ob 184 185 186 187 188

Störmer, DV 1997, 233 (238). Siehe auch oben Kapitel 2, D.II.2. Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 65. VGH Mannheim, VBlBW 1999, 101 (104). VGH Mannheim, VBlBW 1999, 101 (103). Siehe dazu Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 66.

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durch Kameras überhaupt Gefahren abgewehrt werden können, da mit ihnen nicht direkt in ein Geschehen eingegriffen werden kann189. Eine unmittelbar bevorstehende Straftat könnte trotz Kameraüberwachung begangen werden. Sie könnte allenfalls durch das rechtzeitige Eingreifen von durch die Videoüberwachung aufmerksam gewordenen Polizeibeamten verhindert werden. Das Aufstellen von Kameras allein genügt daher nicht, sondern es bedarf einer permanenten Beobachtung des Geschehens am Monitor, um die Möglichkeit der Abwehr von Gefahren zu haben. Auf diese Abwehr konkreter Gefahren zielen Videoüberwachungen öffentlicher Orte jedoch, wie schon oben erörtert190, nur sekundär ab. Hauptsächlich wird eine präventive Wirkung durch die Erhöhung des Entdekkungsrisikos für Straftäter und den dadurch erzeugten Abschreckungseffekt bewirkt. Auf diese Weise vermögen Videoüberwachungen öffentlicher Orte Straftaten im überwachten Bereich zu verhüten191. Ein solcher Abschrekkungseffekt kann allerdings allein von einer offen, also erkennbar durchgeführten Überwachungsmaßnahme ausgehen. Eine heimliche Videoüberwachung wäre zu diesem Zweck ungeeignet192. Die Offenheit ist damit verfassungsrechtlich gebotene Voraussetzung der präventiv-polizeilichen Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte193. Die Offenheit der Videoüberwachung setzt voraus, daß diese für den Bürger erkennbar ist. Dies kann zum einen der Fall sein, wenn die Überwachungskameras für jeden deutlich sichtbar angebracht sind oder zum anderen wenn durch Hinweisschilder am Ort der Überwachung auf diese hingewiesen wird. Letztere Möglichkeit ist allerdings der ersten vorzuziehen, da Kameras allein – vor allem auf großflächigen öffentlichen Plätzen – nur schwer wahrgenommen werden können. Dies gilt insbesondere, wenn Kameras auf oder an mehrstöckigen Gebäuden angebracht sind. Um diese zu entdecken, müßte der einzelne den Ort sehr genau absuchen, weshalb hier Bedenken bezüglich der tatsächlichen Offenheit der Maßnahme bestehen. Es ist daher zu fordern, daß ausreichend große, gut sichtbare Hinweisschilder auf die Kameraüberwachung aufmerksam machen. Teilweise werden hier sogar mehrsprachige Hinweisschilder verlangt194. Den Bedürfnissen von Personen, die der deutschen Sprache oder des Lesens nicht mächtig sind, könnte auch durch Piktogramme Rechnung getragen werden. Nicht ausreichend für die 189

Vgl. Roggan, NVwZ 2001, 134 (137 f.). Siehe oben I.2. und 3. 191 Zur Effektivität von Videoüberwachungen im öffentlichen Raum siehe oben Kapitel 2, E. 192 Vgl. Fischer, VBlBW 2002, 89 (94); Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (84). 193 Zur Voraussetzung der Offenheit nach den einzelnen Ermächtigungsgrundlagen siehe oben Kapitel 8, B.II.4. 194 Belz/Mußmann, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, § 21, Rdnr. 41. 190

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Wahrung der Offenheit ist es jedenfalls, wenn Hinweise auf die Videoüberwachung bloß durch Zeitungsanzeigen, durch Bekanntmachung im Amtsblatt, durch Anschlag am Rathaus oder ähnliches erfolgen195. Die Überwachung muß in jedem Fall unmittelbar am Ort der Durchführung für jeden erkennbar sein. Gegen die Geeignetheit dieser Maßnahme wird des weiteren häufig eingewandt, daß durch Videoüberwachungen Straftaten nicht gänzlich verhindert werden, sondern die Tatorte nur aus den überwachten Bereichen hinaus in andere Gebiete verschoben werden, so daß lediglich eine örtliche Verlagerung der Kriminalität bewirkt wird196. Tatsächlich kann ein solcher Verdrängungseffekt, vor allem für den Bereich der Drogendelikte, nicht ausgeschlossen werden, wie die Erfahrungen in manchen Städten gezeigt haben197. Dennoch schließt dies die Geeignetheit der Videoüberwachung zur Straftatverhütung an öffentlichen Orten nicht aus. Dies zum einen, da diese Maßnahme auf die Bekämpfung von Kriminalität an bestimmten, besonders betroffenen Orten und nicht einen flächendekkenden Erfolg abzielt198. Ob Videoüberwachungen zur Straftatverhütung an den überwachten Orten zum Preis des Anstiegs der Kriminalität in anderen Bereichen durchgeführt werden dürfen, ist daher weniger Frage der Geeignetheit sondern Problem der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne dieser Maßnahme. Zum anderen kann auch bei einer Gesamtbetrachtung der Kriminalität ein Verhinderungseffekt durch Videoüberwachungen einzelner öffentlicher Orte nicht ausgeschlossen werden. Dies gilt insbesondere für ortsgebundene Straftaten, für die eine Verlagerung an andere Orte nur begrenzt möglich ist. Aber auch die Zerschlagung von punktuell gehäuft auftretender Kriminalität an videoüberwachten Gefahrenschwerpunkten kann zur Reduktion der Gesamtkriminalität führen, da gerade die Bündelung von Kriminalität an einem Ort weitere Straftaten bedingt. Ein Erfolg bei der Straftatverhütung kann daher auch selbst dann bestehen, wenn durch die Überwachung eine Verdrängung an verschiedene andere Orte bewirkt wird. Es ist zuzugeben, daß bei der Beurteilung der Effektivität von Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte zur Verhütung von Straftaten einige Unsicherheiten bestehen199. Dem Gesetzgeber steht jedoch bei der 195 Vgl. Belz/Mußmann, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, § 21, Rdnr. 41; Fischer, VBlBW 2002, 89 (94). 196 Vgl. Roggan, NVwZ 2001, 134 (140). 197 Siehe oben Kapitel 2, E. 198 Vgl. Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (207).

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Normsetzung ein weiter Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zu. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Ausprägung der Geeignetheit ist nur dann verletzt, wenn die Maßnahme objektiv oder evident untauglich ist200. Dies kann im Fall der Videoüberwachung jedoch, wie die obige Argumentation zeigt, nicht angenommen werden201. c) Erforderlichkeit Im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung stellt sich die Frage, ob das Ziel der Verhütung von Straftaten an den überwachten Orten nicht durch ein milderes, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in geringerem Maße beeinträchtigendes, gleich effektives Mittel erreicht werden könnte. aa) Steigerung der Polizeipräsenz Videoüberwachungen öffentlicher Orte erfolgen in gewisser Weise als Ersatz für die präventive Polizeipräsenz an diesen Orten. Durch die Steigerung letzterer könnte daher ebenfalls das Ziel der Verhütung von Straftaten sowie die Stärkung des Sicherheitsgefühls von Passanten erreicht werden202. Die tatsächliche Anwesenheit von Polizisten hätte sogar einen Vorteil gegenüber Videoüberwachungen im Kamera-Monitor-Prinzip, da die Beamten bei Gefahrensituationen sofort einschreiten und drohende Gefahren abwehren könnten. Die Steigerung der Polizeipräsenz ist gegenüber der Verwendung von Kameras zur Beobachtung ein milderes Mittel, da die beobachtende Gegenwart eines Polizisten allein noch keinen Grundrechtseingriff begründet. Dies liegt, wie oben ausführlich erörtert, anders im Falle der (auch übersichtsartigen) Beobachtung von öffentlichen Orten mit Hilfe von Videokameras, insbesondere aufgrund der technischen Möglichkeiten des Heranzoomens und des Aufzeichnens. Die Anwendung der Videotechnik, die im Vergleich zur einfachen Polizeipräsenz das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in stärkerem Maße beeinträchtigt, bringt allerdings auch besondere Vorteile mit sich. So kann der angestrebte Abschreckungseffekt auf potentielle Straftäter durch Zoom- und Aufzeichnungsmöglichkeiten (womit das Entdeckungsrisiko besonders gesteigert wird) noch erhöht werden, womit Videoüberwachungen gegenüber einfacher Polizeipräsenz in dieser Hinsicht als effektiveres Mittel eingestuft werden können203. Beide weisen damit hinsichtlich ihrer Effektivität zur 199 200 201 202

Siehe zum Vergleich entsprechender Studien oben Kapitel 2, E. BVerfGE 17, 306 (317); 39, 210 (230); 47, 109 (117). Siehe auch Fischer, VBlBW 2002, 89 (93). Vgl. Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (207).

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Gefahrenabwehr einen Vor- und einen Nachteil auf. In dieser Situation ist es dem Gesetzgeber zu überlassen, im Rahmen seines Gestaltungsspielraums zu entscheiden, welche Maßnahme er als die effektivere ansieht und gesetzlich regelt. bb) Stärkung der Sozialkontrolle Öffentlich zugängliche Orte könnten weiterhin auch ohne polizeiliche Überwachung sicherer gemacht werden, in dem die Sozialkontrolle der Bürger untereinander gestärkt wird. Von dieser geht auch eine abschreckende Wirkung aus, durch die Verhaltensweisen verhindert werden, die die allgemein anerkannten Regeln des Zusammenlebens verletzen. Als geringer belastendes Mittel zur Gefahrenvorsorge wird im Schrifttum204 daher die Stärkung der Bereitschaft zur Zivilcourage angedacht. Bürger selbst sollen die Regeln des Zusammenlebens gegenüber Rechtsbrechern durchsetzen. Problematisch an diesem Ansatz ist jedoch zum einen, daß an manchen Orten eine solche Sozialkontrolle nicht stattfinden kann, wie etwa an menschenleeren Haltestellen zur Nachtzeit205. Aber auch an belebten Orten kann eine solche Sozialkontrolle der Bürger untereinander wegen der Anonymität des menschlichen Umgangs ausfallen206. Zum anderen ist die Sozialkontrolle nicht notwendig geringer belastend als eine staatliche Kontrolle207. Zusammenfassend ist daher festzustellen, daß eine Stärkung der Sozialkontrolle im Vergleich zu polizeilichen Videoüberwachungen mit weniger hoher Wahrscheinlichkeit das angestrebte Ziel der Verhütung von Straftaten herbeiführt. Sie kann daher nicht als ebenso effektives und auch nicht als milderes Mittel angesehen werden. cc) Veränderung der baulichen Gestaltung Als Alternative zu polizeilichen Videoüberwachungen zur Entschärfung von Gefahrenschwerpunkten könnte eine Veränderung der baulichen Gestaltung, wie etwa der Einbau von Geschäften in Bahnhöfen oder Unterführungen, in Betracht kommen208. Zwar haben Erfahrungen gezeigt, daß durch 203

Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (208). Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (80). 205 Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (80). 206 Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (80). 207 Siehe dazu Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (80). Waechter führt hier das Beispiel an, daß die Bildübertragung auf einen Großbildschirm zur Beobachtung durch Passanten als Übermittlung personenbezogener Daten an die Öffentlichkeit eine ebenso das Recht auf informationelle Selbstbestimmung beeinträchtigende Maßnahme darstellt. 204

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diese nicht eingreifende Maßnahme die Sicherheitslage verbessert werden kann, doch ist das Ausmaß eines Erfolges ungewiß. Die gesetzgeberische Entscheidung für polizeiliche Videoüberwachungen öffentlicher Orte als effektiverem Mittel kann hier daher nicht beanstandet werden. dd) Bildaufnahme vor Bildaufzeichnung Bestehen damit gegen die Erforderlichkeitseinschätzung von polizeilichen Videoüberwachungen an öffentlich zugänglichen Orten an sich keine Bedenken, so ist doch weiterhin auch bei der Durchführung von Videoüberwachungen das Erforderlichkeitsgebot zu beachten. Wie oben ausführlich erörtert, ist innerhalb dieser Polizeimaßnahme zwischen Bildaufnahme und -aufzeichnung zu differenzieren, wobei letztere aufgrund der zusätzlichen Speicherung persönlicher Daten die intensiver eingreifende Teilmaßnahme darstellt. Die grundrechtsbelastende Wirkung für den Bürger könnte hier daher in der Weise minimiert werden, daß grundsätzlich nur Aufnahmen angefertigt werden und nur im Ausnahmefall eine Bildaufzeichnung erfolgt209. Eine entsprechende Regelung findet sich in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und SchleswigHolstein. Von einer reinen Bildaufnahme zur Aufzeichnung darf in diesen Ländern nur dann übergegangen werden, wenn im Einzelfall Tatsachen für die Begehung von Straftaten sprechen210. Dagegen lassen Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Thüringen und das Saarland die intensiver eingreifende Bildaufzeichnung als ständige Maßnahme zu211. Die ständige Bildaufzeichnung bietet die Möglichkeit, auch nachträglich – innerhalb des gesetzlich festgelegten Aufbewahrungszeitraums – die Bilder auszuwerten, etwa aus Anlaß einer bei der Polizei eingehenden Strafanzeige. Die ständige Bildaufzeichnung effektiviert damit die Strafverfolgungsvorsorge. Mit dieser Erhöhung des Verfolgungsrisikos verbunden ist weiterhin die Steigerung des Abschreckungseffekts auf potentielle Straftäter. Die zwar belastendere ständige Bildaufzeichnung erscheint damit als die zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten effektivere Maßnahme, so daß die Landesgesetzgeber sie als erforderlich ansehen durften. Die tatsächliche Auswertung der Aufzeichnungen hinsichtlich einer bestimmten Person ist auch in diesem Fall jedoch nur 208 Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (80); Waechter, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 593. 209 Fischer, VBlBW 2002, 89 (93). 210 Zu den Einzelheiten siehe oben Kapitel 8, B.II.1. 211 Siehe oben Kapitel 8, B.II.1.

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erforderlich, wenn hierdurch ein in der Ermächtigungsgrundlage statuierter Verwendungszweck verfolgt wird212. ee) Übersichtsaufnahme vor Nahaufnahme Aber auch die Teilmaßnahme Beobachtung mittels Bildübertragung allein läßt sich weiter unterteilen in Übersichtsaufnahmen und Nahaufnahmen mit der Identifikationsmöglichkeit von Personen, wobei letztere den intensiveren Grundrechtseingriff darstellen. Es stellt sich damit die Frage, ob bzw. wie lange bloße Übersichtsaufnahmen zur Verhütung von Straftaten genügen oder ob bzw. wann Nahaufnahmen erforderlich sind. Die meisten Ermächtigungsgrundlagen enthalten, wie schon oben erörtert213, keine Bestimmungen zu dieser Frage. Allein § 31 III BbgPolG und § 38 II SächsPolG bestimmen, daß Datenerhebungen durch Nahaufnahmen erst dann erfolgen dürfen, wenn Anhaltspunkte für die Begehung einer Straftat sprechen. Auch die übrigen Ermächtigungsnormen sind mit Blick auf das Erforderlichkeitsprinzip in diesem Sinne auszulegen214. Grundsätzlich genügt zur Beobachtung des Geschehens an einem öffentlich zugänglichen Ort die weniger eingreifende Übersichtsaufnahme. Erst bei tatsächlichen Anhaltspunkten für das Vorliegen einer konkreten Gefahr, wie der bevorstehenden Begehung einer Straftat oder beispielsweise dem Eintritt eines Unglücksfalls, wird das Heranzoomen des Bildes zur Verifikation dieser Situation erforderlich. ff) Verdeckte Videoüberwachung Teilweise wird in der Literatur215 überlegt, ob nicht eine verdeckte Videoüberwachung gegenüber der offenen eine mildere Maßnahme darstelle, da so aufgrund der Unkenntnis der Beobachtungssituation kein zu einer Verhaltensänderung führender Anpassungsdruck entstehen könne. Dieser Gedanke wird jedoch einstimmig wieder verworfen. Zum einen, da der einzelne nur bei offener Videoüberwachung sein Verhalten auf diese einstellen kann und da die Rechtsschutzmöglichkeiten bei verdeckten Maßnahmen stark eingeschränkt sind, so daß die verdeckte Maßnahme nicht als die mildere angesehen werden kann216. Und zum anderen, da allein offene Video212

Zu den Verwendungszwecken siehe oben Kapitel 8, B.II.2. Siehe oben 1.b). 214 Für § 21 III BWPolG so auch Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht in Baden-Württemberg, Rdnr. 608. 215 Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht in Baden-Württemberg, Rdnr. 607; Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (84). 216 Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht in Baden-Württemberg, Rdnr. 607; Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (84). 213

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überwachungen zur Erreichung des Ziels der Verhütung von Straftaten geeignet sind217. d) Angemessenheit Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt weiterhin, daß die Einbußen an grundrechtlich geschützter Freiheit nicht in unangemessenem Verhältnis zu den Gemeinwohlzwecken stehen, denen die Grundrechtsbeschränkung dient218. Zwar hat der einzelne aufgrund der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person Einschränkungen seiner Grundrechte hinzunehmen, wenn überwiegende Allgemeininteressen dies rechtfertigen219, zwischen Allgemein- und Individualinteressen muß der Gesetzgeber aber einen angemessenen Ausgleich herbeiführen220. Hierbei steht dem Gesetzgeber allerdings ein weiter Ermessensspielraum zu. Die gesetzgeberische Entscheidung ist daher nur auf die Einhaltung der äußeren Grenzen dieses Ermessensspielraums hin überprüfbar. Die äußeren Grenzen sind insbesondere dann überschritten, wenn evidente Disproportionalitäten in der Abwägung bestehen. Das BVerfG hat für die Beurteilung der Angemessenheit des Ausgleichs zwischen Allgemein- und Individualinteressen bei gefahrenabwehrrechtlichen Normen verschiedene Kriterien herausgearbeitet. Auf grundrechtlicher Seite spielt eine Rolle, unter welchen Voraussetzungen welche und wieviele Grundrechtsträger wie intensiven Beeinträchtigungen ausgesetzt sind221. Kriterien sind damit die Gestaltung der Einschreitschwellen, die Zahl der Betroffenen und die Intensität der Beeinträchtigungen222. Auf Seiten der Gemeinwohlinteressen ist das Gewicht der verfolgten Belange maßgeblich, welches insbesondere davon abhängt, wie groß die Gefahren sind, denen begegnet werden soll, und wie wahrscheinlich ihr Eintritt ist223.224

217

Siehe oben im Rahmen der Prüfung der Geeignetheit der Maßnahme, b). BVerfGE 100, 313 (375 f.). 219 BVerfGE 65, 1 (44). 220 BVerfGE 100, 313 (376). 221 BVerfGE 100, 313 (376). 222 BVerfGE 100, 313 (376). Dem folgend MVVerfG, LKV 2000, 149 (153). 223 BVerfGE 100, 313 (376). Dem folgend MVVerfG, LKV 2000, 149 (153). 224 Eine ausführliche Prüfung der Angemessenheit polizeilicher Videoüberwachung anhand dieser Kriterien findet sich bei Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (80 ff.). 218

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aa) Betroffenes Individualinteresse: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Als Individualinteresse in die Abwägung einzustellen ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. (1) Intensität der Beeinträchtigung Durch Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte wird allein das Sozialverhalten des einzelnen erfaßt. Die wahrnehmbaren personenbezogenen Informationen sind somit solche der Sozialsphäre. Die Intimsphäre des einzelnen wird nicht tangiert, so daß hier prinzipiell die Einschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse möglich ist225. Denn wie das BVerfG im Volkszählungsurteil226 feststellte, kann ein Gemeinwohlinteresse an personenbezogenen Informationen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nur dann überwiegen, wenn es sich bei diesen Informationen um solche der Sozialsphäre des einzelnen handelt, nicht jedoch um solche der Intimsphäre. Entsprechend der unterschiedlichen Intensität von Grundrechtseingriffen sind unterschiedlich gewichtige Allgemeininteressen geeignet, das Individualinteresse zu überwiegen. Je nach Teilmaßnahme wird durch polizeiliche Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte unterschiedlich tief in das Recht des einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen. Die am wenigsten intensive Teilmaßnahme ist die bloße Beobachtung mittels Videoübertragung von Übersichtsbildern, bei der noch keine Erhebung persönlicher Daten erfolgt, ein Grundrechtseingriff aber schon aufgrund des Hervorrufens eines durch die technischen Möglichkeiten zur Datenerhebung objektiv begründeten Anpassungsdrucks vorliegt. Nahaufnahmen sowie Bildaufzeichnungen stellen als Erhebung personenbezogener Informationen tiefere Eingriffe dar. Am stärksten beeinträchtigt wird das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch Bildaufzeichnungen, da hierbei neben der Datenerhebung auch eine Datenspeicherung erfolgt. Zur Intensität der Beeinträchtigung ist weiterhin festzustellen, daß es in der Regel bei einem nur geringen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des einzelnen durch polizeiliche Videoüberwachungen bleiben wird. Gemäß der hier untersuchten Ermächtigungsgrundlagen unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips in Form des Erforder225 Zur Beschränkbarkeit des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung siehe oben Kapitel 5, A.I.1.c). 226 BVerfGE 65, 1 (46).

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lichkeitsgebots sind Videoüberwachungen zunächst als Beobachtung mittels Übertragung von Übersichtsbildern vorzunehmen, die allerdings je nach landesrechtlicher Regelung auch schon aufgezeichnet werden können. Eine Eingriffsvertiefung durch Nahaufnahmen identifizierbarer Personen darf erst bei Anhaltspunkten für das Vorliegen einer konkreten Gefahrensituation erfolgen. In einigen Ländern gilt dies auch generell für die Aufzeichnung von Videobildern. Die Auswertung der auf diese Weisen gewonnenen persönlichen Informationen samt Identifizierung aufgenommener oder aufgezeichneter Personen erfolgt nur in den wenigsten Fällen und nur bei Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten bzw. von Ordnungswidrigkeiten, je nach Landesregelung227. Gewährleistet wird diese das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schonende Behandlung personenbezogener Informationen des weiteren durch die in den Ermächtigungsgrundlagen228 vorgesehenen speziellen Löschungspflichten sowie der engen Bestimmungen über zulässige Verwendungszwecke, die die Zulässigkeit der Datenverwendung als Folgeeingriff begrenzen229. (2) Gestaltung der Einschreitschwellen Neben der Intensität der Beeinträchtigung ist auf Seite des Individualinteresses auch die Gestaltung der Einschreitschwellen relevant, womit die Ausgestaltung des Tatbestands der Ermächtigungsnormen in den Blick zu nehmen ist. Dort finden sich die Bestimmungen über die Qualität der Eingriffsadressaten sowie über weitere Voraussetzungen eines Eingriffs, welche dann einen Schluß auf die Eingriffshäufigkeit ermöglichen. Die Eingriffshäufigkeit spielt für die Feststellung der Eingriffsintensität eine Rolle, da auch ein der Art nach geringfügiger Eingriff zu einem schweren werden kann, wenn dieser gegenüber einer Person besonders oft erfolgt. Denn dadurch wird zum einen die abwehrrechtliche Seite des Grundrechts stärker betroffen, zum anderen aber auch seine objektiv-rechtliche Dimension230. Art. 2 I GG beinhaltet die objektive Wertentscheidung, daß der Bürger seine Freiheit grundsätzlich ohne staatliche Kontrolle und Aufsicht ausüben kann. Wie es Waechter231 formuliert, folgt daraus das 227 In Baden-Württemberg und Sachsen können darüber hinaus Bildaufzeichnungen auch zur Geltendmachung öffentlich-rechtlicher Ansprüche oder zum Schutz privater Rechte verwendet werden. Zu den Verwendungszwecken siehe oben Kapitel 8, B.II.2. 228 Zu den Einzelheiten siehe oben Kapitel 8, B.II.2. 229 Zur Minderung der Eingriffsintensität durch organisations- und verfahrensrechtliche Schutzvorschriften siehe ausführlich unten 3., insbesondere b)aa). 230 Vgl. Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (83). 231 Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (83).

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quantitative Prinzip „mehr Freiheit als Staat“. Bei jeder Erhöhung staatlicher Kontrolle im Bereich der Freiheit des einzelnen muß dieser objektivrechtliche Grundsatz beachtet werden. Dies gilt insbesondere auch bei anlaßunabhängigen Kontrollmaßnahmen. Gerade für polizeiliche Vorfeldbefugnisse ist typisch, daß diese nicht an ein bestimmtes, einer Person zurechenbares Verhalten anknüpfen und somit ohne konkreten Anlaß wahrgenommen werden können. Dies gilt auch für Beobachtungen von jedermann an öffentlich zugänglichen Orten mittels Videobildübertragung sowie der gleichzeitigen Aufzeichnung der Übersichtsaufnahmen, soweit dies nach der landesrechtlichen Ermächtigungsnorm zulässig ist232. Solch anlaßlosen Eingriffen kann der einzelne nicht entgehen, da er diese nicht durch Anpassung seines Verhaltens (Anlaßvermeidung) ausschließen kann233. Die Anlaßunabhängigkeit als Kriterium der Einschreitschwelle ist somit ebenfalls zur Beurteilung der Eingriffsintensität relevant. (a) Qualität der Betroffenen Von polizeilichen Beobachtungen öffentlich zugänglicher Orte mittels Videobildübertragung (je nach Landesrecht auch von der ständigen Aufzeichnung der übertragenen Aufnahmen234) wird jeder betroffen, der diesen Ort aufsucht, unabhängig von einem bestimmten Verhalten und unabhängig von dem Bestehen einer konkreten Gefahr. Es handelt sich hier daher um eine Maßnahme der Gefahrenvorsorge, durch die jedermann belastet werden kann. Eine solche bedarf einer strengen Überprüfung ihrer Angemessenheit. Aus den Grundrechten, insbesondere aus Art. 2 I und Art. 3 I GG, sowie dem daneben im Rechtsstaatsprinzip verankerten Verhältnismäßigkeitsprinzip folgt das Verbot willkürlicher Belastungen des einzelnen mit Handlungsoder Duldungspflichten durch staatliche Maßnahmen. Es muß ein sachlicher Grund bestehen, der es rechtfertigt, eine solche Belastung einer bestimmten Person aufzuerlegen. Im klassischen Gefahrenabwehrrecht ist daher Voraussetzung, daß Adressat einer polizeilichen Maßnahme ein für die Gefahr verantwortlicher Störer ist. Nur unter den qualifizierten Voraussetzungen des polizeilichen Notstands können auch Nichtstörer in Anspruch genommen werden. Im Vorfeld konkret drohender Gefahren ist diese Unterscheidung zwischen Störern und Nichtstörern jedoch nicht möglich. Mangels konkreter Gefahr kann hier niemand als für eine Gefahr Verantwortlicher in Anspruch genommen werden. Aber auch für Maßnahmen im Gefah232

Vgl. dazu oben Kapitel 8, B.II.1. Vgl. Mahlmann, LKV 2001, 102 (107). Mahlmann sieht hier die durch die Grundrechte als Abwehrrechte erzeugte Machtbalance von Individuum und Staat zu Ungunsten des Individuums verschoben. 234 Vgl. dazu oben Kapitel 8, B.II.1. 233

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renvorfeld müssen mit Rücksicht auf Art. 2 I und Art. 3 I GG entsprechende Kriterien entwickelt werden, die eine willkürliche und ungleiche Belastung eines einzelnen als unangemessen ausschließen. So muß grundsätzlich ein Bezug der belasteten Person zur Gefährdungssituation, die durch die Vorsorgemaßnahme verhindert werden soll, bestehen. Belastungen Unbeteiligter müssen im Grundsatz ausgeschlossen sein. Es muß, anders formuliert, ein Zurechnungszusammenhang zwischen der zu verhütenden Gefahr und der belasteten Person bestehen235. Diesem Gedanken wird in den Polizeigesetzen unter anderem dadurch Rechnung getragen, daß der Adressatenkreis von Vorfeldmaßnahmen auf gefährliche Personen, Kontaktoder Begleitpersonen oder gefährdete Personen sowie Personen in deren Umfeld beschränkt wird. Läßt sich eine zu verhütende Gefahr jedoch nicht mit bestimmten Personen in Verbindung bringen, sondern ergibt diese sich aus einer zeitlichen oder örtlichen Sondersituation, so kann ein Zurechnungszusammenhang auch bei einer Maßnahme, wie etwa einer Identitätsfeststellung, gegenüber jedermann – und damit auch gegenüber Unbeteiligten – bejaht werden. Grundsätzlich unangemessen sind dagegen Vorfeldmaßnahmen gegenüber jedermann, die nicht durch einen solchen Zurechnungszusammenhang legitimiert sind236. Eine Ausnahme ist lediglich bei nur geringfügigen Eingriffen möglich237. Solch ein Ausnahmefall könnte im Falle der Videoüberwachung bestehen, soweit nur eine Beobachtung mittels Bildübertragung stattfindet, da hier keine Daten gespeichert werden und keine Individualisierung der beobachteten Personen stattfindet238. Hierzu ist jedoch festzustellen, daß aufgrund des Einsatzes der Videotechnologie und ihren intensiven Beobachtungsmöglichkeiten sowie dem Umstand, daß bei dieser Maßnahme, wie noch erörtert werden wird239, eine große Eingriffshäufigkeit besteht und die Quantität der Betroffenen ebenfalls hoch ist, der Grundrechtseingriff durch 235 Ausführlich dazu Waechter, DÖV 1999, 138 (144 ff.) sowie allgemein zur Zurechnung im Gefahrenabwehrrecht Waechter, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 350 ff. Das MVVerfG, LKV 2000, 149 (153) sieht den Zurechnungszusammenhang als verfassungsrechtliche Grenze staatlicher Eingriffe. Diese Ansicht kritisiert Engelken, DVBl. 2000, 269 (270): Das MVVerfG verallgemeinere hier einen einzelnen Abwägungsgesichtspunkt und erhebe ihn in Verfassungsrang, was die Verfassung selbst jedoch nicht gebiete. 236 Waechter, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 370. Vgl. auch Lisken, NVwZ 1998, 22 (26) sowie Hoppe, S. 201: Vorfeldermittlungen, soweit Unbeteiligte von ihnen betroffen sein können, dürfen nur ausnahmsweise und unter engen Voraussetzungen erfolgen. 237 Waechter, DÖV 1999, 138 (146). 238 So noch Waechter, DÖV 1999, 138 (146). 239 Siehe unten (b).

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

Beobachtung mittels Bildübertragung nicht nur als geringfügig angesehen werden kann. Diese Eingriffe können daher nur bei Bestehen eines Zurechnungszusammenhangs als angemessen bewertet werden. Dies gilt erst recht, wenn nicht nur Bildaufnahmen angefertigt werden, sondern eine ständige Bildaufzeichnung erfolgt, bei welcher Daten gespeichert werden. Für polizeiliche Vorfeldmaßnahmen im öffentlichen Raum kann, wie schon erwähnt, ein solcher Zurechnungsgrund aufgrund einer örtlichen Sondersituation bestehen, wie dies bereits für polizeiliche Maßnahmen, wie Identitätsfeststellungen, an „verrufenen“ oder „gefährdeten“ Orten anerkannt ist240. An diesen Orten können typischerweise Gefahren auftreten, so daß zumindest eine Gefährdungslage vorliegt241. Dieser aus dem Aufenthalt an einer gefahrenträchtigen Örtlichkeit folgende Zurechnungsgrund kommt auch für polizeiliche Videoüberwachungen in Betracht. Wie die meisten Ermächtigungsgrundlagen dies vorsehen, ist diese Maßnahme zur Kriminalprävention an Orten, an denen vermehrt Straftaten242 verübt wurden und mit deren Begehung auch in der Zukunft weiter zu rechnen ist, vorzunehmen. Ihr Ziel ist die Steigerung der Sicherheit an solchen Kriminalitätsschwerpunkten. Eine hinreichende Legitimation für Grundrechtseingriffe gegenüber jedermann durch polizeiliche Videoüberwachungen besteht damit nur, wenn diese an nachgewiesen überdurchschnittlich kriminalitätsbelasteten Orten vorgenommen werden243. Fraglich ist allerdings, nach welcher Vergleichsgröße die durchschnittliche Kriminalitätsbelastung zu bestimmen ist. Soll es hierbei auf den Landesdurchschnitt ankommen oder die durchschnittliche Belastung innerhalb einer bestimmten Ortschaft? Diese Frage ist im letzteren Sinne zu entscheiden. Videoüberwachungen zielen darauf ab, Kriminalitätsschwerpunkte innerhalb einer Ortschaft zu entschärfen. Es soll den Gefahren begegnet werden, die dort aufgrund der örtlichen Besonderheiten bestehen. Nicht maßgeblich ist daher, wie diese örtliche Gefahrenbelastung im Verhältnis zum Landesdurchschnitt zu sehen ist244. Es muß allerdings beachtet werden, daß ein Ort nur dann als Kriminalitätsschwerpunkt betrachtet werden kann, wenn die dortige Kriminalitätsbelastung diejenige anderer Gebiete innerhalb derselben Ortschaft deutlich überwiegt und die andauernde Gefährlichkeit dieses Ortes nachgewiesen werden kann. Solche Kriminalitätsschwerpunkte können daher nicht in jeder Ortschaft festgestellt werden. Ebensowenig ist es zulässig, einen ganzen Ortsteil oder gar eine 240 241 242 243 244

Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (82); MVVerfG, LKV 2000, 149 (153). MVVerfG, LKV 2000, 149 (153). Vgl. oben Kapitel 8, B.I. Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (82); auch Fischer, VBlBW 2002, 89 (93 f.). Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (82 f.).

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gesamte Ortschaft als Gefahrenschwerpunkt zu betrachten. Konsequenz des Erfordernisses der räumlichen Begrenzung von Videoüberwachungen auf so definierte Kriminalitätsschwerpunkte ist damit, daß diese Polizeimaßnahme nur im Einzelfall und nur punktuell durchgeführt werden darf. Nicht zulässig sind daher flächendeckende Überwachungen, wie sie etwa in Großbritannien erfolgen245. Diese Voraussetzung der überdurchschnittlichen Kriminalitätsbelastung muß nicht nur bei Anordnung der Videoüberwachungsmaßnahme erfüllt sein, sondern auch während ihrer gesamten Durchführung. Entfällt die ursprüngliche „Gefährlichkeit“ eines Ortes, etwa als Folge der Videoüberwachung, ist diese Maßnahme abzubrechen246. (b) Eingriffshäufigkeit Wie bereits erörtert, gestatten die hier untersuchten Ermächtigungsgrundlagen intensiv eingreifende Nahaufnahmen und Identifikationen von Personen nur unter besonderen Voraussetzungen, deren Eintreten der einzelne durch sein eigenes Verhalten sogar weitgehend selbst steuern kann247. Eingriffe durch diese Teilmaßnahmen sind somit für den einzelnen selten. Anderes gilt jedoch für Beobachtungen mittels Bildübertragung und deren unmittelbarer Aufzeichnung, soweit letztere nach der jeweiligen Ermächtigungsnorm zulässig ist. Jedermann, der den überwachten Ort betritt, wird von dieser Maßnahme betroffen. Da es sich bei diesen Orten oft um solche handelt, welche Personen in ihrem täglichen Leben häufig aufsuchen müssen, besteht hier eine hohe Eingriffshäufigkeit248. Als Beispiel zu nennen ist etwa die Situation, daß eine Person angrenzend an den überwachten Ort ihre Wohnung oder ihren Arbeitsplatz hat oder auf dem täglichen Weg zur Arbeit einen überwachten Ort betreten muß, wie etwa kameraüberwachte Fußgängerunterführungen. Aber auch bei Videoüberwachungen von Fußgängerzonen oder innerstädtischen Plätzen besteht eine hohe Eingriffshäufigkeit. Die Grundrechtsbeeinträchtigung durch eine an sich nur leicht eingreifende Beobachtung mittels Bildübertragung wird damit aufgrund der hohen Eingriffshäufigkeit intensiviert. 245

Vgl. Fischer, VBlBW 2002, 89 (93). So auch Fischer, VBlBW 2002, 89 (94); Keller, Kriminalistik 2000, 187 (190); vgl. auch Vahle, NVwZ 2001, 165 (166). 247 Ganz ausschließen kann der einzelne sie jedoch nicht, da auch ein ungewollt verdächtiges Verhalten das Augenmerk der Polizei anziehen kann. 248 Auch Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (83). 246

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

(3) Quantität der Betroffenen Mit dem Charakter des videoüberwachten Ortes verknüpft ist weiterhin auch die Anzahl der betroffenen Personen. Findet eine Videoüberwachung an belebten, innerstädtischen Orten statt, was ihren Hauptanwendungsfall darstellt, ist die Quantität der Betroffenen hoch. Denn betroffen wird zwangsläufig jeder, der den überwachten Ort betritt. Mit der Rechtsprechung des BVerfG249 ist daher das Individualinteresse im Rahmen der Interessenabwägung stärker zu gewichten. Wie Waechter dies ausführlich erörtert250, erscheint jedoch die dogmatische Herleitung der Heranziehung der Anzahl der Betroffenen als Kriterium der Intensität eines Eingriffs fragwürdig. Denn bei den Grundrechten als subjektiven Abwehrrechten kommt es allein auf die Intensität der individuellen Betroffenheit des einzelnen in seinen Rechten an. Die Anzahl der Betroffenen insgesamt kann dagegen nur bei Beeinträchtigungen von Kollektivrechtsgütern eine Rolle spielen. Schon im Volkszählungsurteil erkannte das BVerfG dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung auch einen über das Individualinteresse hinausgehenden Gemeinwohlbezug zu251: Selbstbestimmung stelle eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens dar. Beeinträchtigungen des einzelnen in seinem informationellen Selbstbestimmungsrecht bedeuteten daher auch Beeinträchtigungen des Gemeinwohls. Hierauf Bezug nehmend, hält das BVerfG in seinem Urteil zur strategischen Überwachung des Fernmeldeverkehrs durch den Bundesnachrichtendienst (BND) nicht nur die individuellen Beeinträchtigungen einer Vielzahl einzelner Grundrechtsträger für relevant, sondern sieht die Kommunikation der Gesellschaft insgesamt als beeinträchtigt252. Hierin liegt die verfassungsgerichtliche Begründung der Berücksichtigung der Quantität der Betroffenen als Kriterium der Eingriffsintensität. Dieser Weg des BVerfG wird von Waechter kritisiert253: Im Zusammenhang mit in der Regel objektiv-rechtlich gefaßten Kollektivrechtsgütern müsse an die institutionellen Garantien gedacht werden. Der Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung werde jedoch allein aufgrund seiner Wichtigkeit für die Demokratie nicht institutionalisiert, wovon das BVerfG – seiner Meinung nach – jedoch wohl ausgehe. Ebensowenig könne die informelle 249 250 251 252 253

BVerfGE 100, 313 (376). Und dem folgend MVVerfG, LKV 2000, 149 (153). Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (83). BVerfGE 65, 1 (43). BVerfGE 100, 313 (381). Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (83).

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Freiheit eine Einrichtungsgarantie sein. Er hält es vielmehr für näherliegend, den objektiv-rechtlichen Charakter der Grundrechte für die Begründung der Anzahl der Betroffenen als Kriterium der Angemessenheit heranzuziehen. Art. 2 I GG enthalte als objektive Wertentscheidung das quantitative Prinzip „mehr Freiheit als Staat“. Die Freiheit der Bürger solle sich zunächst ohne staatliche Aufsicht und Kontrolle entfalten. Mit diesem Verständnis von Art. 2 GG sei es nicht vereinbar, wenn relevante Bereiche der Freiheit von vornherein unter die Kontrolle des Staates gestellt würden. Mit dieser Interpretation werde deutlich, daß die Zahl der betroffenen Personen bei der Beurteilung der Angemessenheit eine Rolle spiele. Flächendeckende und anlaßunabhängige staatliche Überwachungen der Freiheitsausübung stünden im Widerspruch zu dieser objektiv-rechtlichen Grundsatzwirkung. Ob das BVerfG die informelle Freiheit institutionalisiert, wie dies Waechter kritisiert, mag bezweifelt werden. Die Beantwortung der Frage, welcher dieser beiden Ansätze zur Einbeziehung der Quantität der Betroffenen als Kriterium der Intensität eines Eingriffs der überzeugendere ist oder ob nicht beide für eine solche Begründung herangezogen werden können, verlangt die Klärung des Problems, ob Gemeinwohlaspekte eines Grundrechts Einrichtungsgarantien sein müssen, um im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne berücksichtigt werden zu können. Diesem weit in die Grundrechtsdogmatik führenden Problem soll hier jedoch nicht weiter nachgegangen werden. Festgestellt werden kann allerdings, daß mit der Zahl der durch einen Eingriff Betroffenen die Beanspruchung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zumindest in seiner objektiv-rechtlichen Dimension steigt. bb) Widerstreitendes Allgemeininteresse: Der Schutz der öffentlichen Sicherheit (1) Schutz der öffentlichen Sicherheit durch vorbeugende Kriminalitätsbekämpfung Widerstreitendes Allgemeininteresse ist nach dem primären Zweck polizeilicher Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte der Schutz der öffentlichen Sicherheit durch die vorbeugende Kriminalitätsbekämpfung sowie daneben die Strafverfolgungsvorsorge. Der Verhinderung und Aufklärung von Straftaten kommt nach dem Grundgesetz hohe Bedeutung zu254. Dem Rechtsstaat, der eine verfaßte Friedensordnung gewährleisten soll, obliegt es, seine Bürger zu schützen255 und ihnen durch die Gewährleistung 254

(154).

BVerfGE 77, 65 (76) m. w. N.; 80, 367 (375); MVVerfG, LKV 2000, 149

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von öffentlicher Sicherheit zu ermöglichen, ihre Freiheitsrechte auszuüben. Denn der Schutz der öffentlichen Sicherheit kann individuelle Freiheiten nicht nur beschränken, sondern ist andererseits auch eine Voraussetzung der Freiheitsausübung256. Diese Pflicht des Staates, Gefahren abzuwehren und den einzelnen vor einer Beeinträchtigung seiner Grundrechte durch Dritte zu schützen257, folgt aus der Garantiefunktion der Grundrechte in ihrer objektiv-rechtlichen Dimension258. Die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten stellt daher einen gewichtigen Belang des Allgemeinwohls dar, der sich auch im Wege einer polizeilichen Eingriffsbefugnis gegen den einzelnen durchsetzen kann259. Es muß aber beachtet werden, daß bei Maßnahmen der Vorbeugung die herkömmlichen polizeilichen Eingriffsschwellen – das Vorliegen einer konkreten Gefahr im Recht der Gefahrenabwehr sowie das Vorliegen eines Anfangsverdachts im Strafverfahrensrecht – unterschritten werden. Zwar bedeutet das Fehlen dieser Einschreitschwellen nicht zwangsläufig die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Regelung, wie dies teilweise vertreten wurde260, doch begegnet die Ausweitung polizeilicher Befugnisse in den Vorfeldbereich von konkret drohender Gefahr und Anfangsverdacht rechtsstaatlichen Bedenken. So mahnte das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern261 im Zusammenhang mit der Befugnis zu verdachts- und ereignisunabhängigen Personenkontrollen, der sog. „Schleierfahndung“, daß solche, die rechtsstaatlichen Eingriffsschwellen unterschreitende Vorfeldbefugnisse nur ausnahmsweise zugelassen werden dürfen262. Das Gericht stellte in dieser 255

MVVerfG, LKV 2000, 149 (154). Vgl. BVerfGE 49, 24 (56 f.); BVerwGE 49, 202 (209). 256 BbgVerfG, LKV 1999, 450 (453); MVVerfG, LKV 2000, 149 (154). 257 Vgl. BVerfGE 7, 198 (204 f.); 21, 362 (371 f.); 39, 1 (44); 46, 160 (164); 56, 54 (80 ff.). 258 Teilweise wird aus dieser staatlichen Schutzpflicht ein eigenständiges „Grundrecht auf Sicherheit“ konstruiert (so Scholz/Pitschas, S. 110 ff.; Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983), was jedoch bedenklich erscheint. Zu diesem Streit Hoppe, S. 192 f. Vgl. auch zu den Kriterien der Annahme einer staatlichen Schutzpflicht Aulehner, S. 460 ff. 259 MVVerfG, LKV 2000, 149 (154). 260 Vgl. BVerfGE 100, 313 (383). 261 MVVerfG, LKV 2000, 149 (154). 262 MVVerfG, LKV 2000, 149 (154). Vgl. auch BVerfGE 100, 313 (383): Dort stellt das BVerfG fest, daß das Fehlen von Einschreitschwellen, wie sie traditionell die konkrete Gefahr im Bereich der Gefahrenabwehr und der hinreichende Tatverdacht im Bereich der Strafverfolgung darstellen, im G 10 (Gesetz zu Artikel 10 GG) aufgrund unterschiedlicher Zwecke der bundesnachrichtendienstlichen Beobachtung der Fernmeldekommunikation einerseits und des Polizei- oder Strafprozeß-

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Entscheidung weiterhin fest, daß diesen Ausnahmecharakter auch der Gesetzgeber in seinen Normierungen deutlich machen müsse, um zu verhindern, daß polizeiliche Befugnisse zu Blankoermächtigungen werden, die ein Einfallstor zu polizeilicher Allmacht sein können263. Das Allgemeininteresse an der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten könne das Individualinteresse nur dann überwiegen, wenn sie auf die Verhinderung von Straftaten abziele, deren besondere Schwere und Begehungsweise es rechtfertige, nicht erst bei Vorliegen eines Anfangsverdachts oder einer konkreten Gefahr, sondern schon vorher gegen diese vorzugehen264. Das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern kam im konkreten Fall der sog. „Schleierfahndung“ daher zu dem Schluß, die Befugnis zu Identitätsfeststellungen auf Durchgangsstraßen sei nur zur vorbeugenden Bekämpfung der organisierten grenzüberschreitenden Kriminalität wegen deren besonderen Bedrohungspotentials265 zulässig, nicht jedoch zur Bekämpfung jeder grenzüberschreitenden Kriminalität266. Diese Entscheidung des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern ist in der Literatur zum Teil entschieden kritisiert worden267. Hauptkritikpunkt ist dabei, das Gericht erliege in seinem Urteil der Gefahr der Überdehnung der Verfassung268. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn das Gericht die systematischen Voraussetzungen des herkömmlichen Verfahrensrechts, die eine Gefahr bzw. einen Anfangsverdacht voraussetzen, als „rechtsstaatliche Eingriffsschwelle“ bezeichne und sie damit mehr oder weniger verabsolutiere als Verfassungsanforderungen, deren Unterschreiten nur „ausnahmsweise“ zugelassen werden könne269. Diese „Einschreitschwellen“ ergäben sich jedoch nicht aus der Verfassung, sondern seien Teil der Systematik des Polizeirechts270. Dieses einfachgesetzliche System dürfe der Gesetzgeber jedoch weiterentwickeln, wenn er dabei die Grundrechte und die dafür geltenden verfassungsrechtlichen Anforderungen einhalte271. rechts andererseits gerechtfertigt ist. Hieraus folgt im Umkehrschluß, daß diese Einschreitschwellen im Polizei- und Strafprozeßrecht nach wie vor grundsätzlich beachtet werden müssen. 263 MVVerfG, LKV 2000, 149 (154) mit Hinweis auf SächsVerfGH, LKV 1996, 273. 264 MVVerfG, LKV 2000, 149 (154). 265 Siehe dazu auch Hoppe, S. 191 f. 266 MVVerfG, LKV 2000, 149 (154 f.). 267 Kritik üben Engelken, DVBl. 2000, 269 ff.; Kastner, VerwArch. 92 (2001), 216 (240 ff.); Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 121. 268 Engelken, DVBl. 2000, 269 (270); Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 121. 269 Engelken, DVBl. 2000, 269 (270). 270 Engelken, DVBl. 2000, 269 (270).

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Kritisiert wird weiterhin auch die Forderung eines spezifischen Straftatenkatalogs in der Ermächtigungsnorm, zugeschnitten auf die organisierte grenzüberschreitende Kriminalität272. Das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern orientiere sich hier an den Anforderungen, die das BVerfG in seinem Urteil zur bundesnachrichtendienstlichen Überwachung des Fernmeldeverkehrs aufgestellt hat. Das BVerfG beschäftige sich dort jedoch mit wesentlich schwerwiegenderen Grundrechtseingriffen, die nicht mit den relativ geringfügigen Eingriffen im Rahmen der sog. „Schleierfahndung“ verglichen werden könnten. Das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern verabsolutiere in seinem Urteil diese in anderem Zusammenhang gewonnenen Erkenntnisse. Richtigerweise müsse im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne eine Gesamtabwägung vorgenommen werden, bei welcher auf Seiten der abzuwägenden Gemeinwohlinteressen auch weniger gewichtige Straftaten und Gefahren zur Bejahung der Verhältnismäßigkeit genügten, soweit auf grundrechtlicher Seite nur geringe Beeinträchtigungen ins Gewicht fielen273. Dieser Kritik ist im wesentlichen zuzustimmen. Es ist insbesondere zuzugeben, daß der Gesetzgeber frei ist, im Rahmen der geltenden verfassungsrechtlichen Anforderungen das einfachgesetzliche System des Polizeirechts weiterzuentwickeln. Es muß aber bedacht werden, daß mit der Ausdehnung polizeilicher Befugnisse auf den Vorfeldbereich von konkreter Gefahr, die herkömmlichen Grenzen staatlicher Eingriffsmöglichkeiten, welche eine Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Anforderungen aus dem Rechtsstaatsprinzip – insbesondere des Verhältnismäßigkeitsprinzips – darstellen274, überschritten werden. Zur Wahrung der rechtsstaatlichen Prinzipien muß dieser Verzicht auf die Einschreitschwelle der konkret drohenden Gefahr durch sachliche Gründe gerechtfertigt werden können. Eingriffsbefugnisse im Bereich der Gefahrenvorsorge müssen damit nach strengem Maßstab auf ihre Angemessenheit hin überprüft werden275. Die Loslösung vom Gefahrenbegriff führt zu einer starken Ausweitung der Eingriffstatbestände, da es an der Statuierung anderer eingrenzender tatbestandlicher Voraussetzungen fehlt276. Dies folgt einerseits aus der 271

Engelken, DVBl. 2000, 269 (270). Engelken, DVBl. 2000, 269 (270). Siehe auch Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 121. 273 Engelken, DVBl. 2000, 269 (271). 274 Vgl. Möstl, DVBl. 1999, 1394 (1398): Die traditionellen Eingriffsschwellen markierten die Regelanforderungen für verhältnismäßige Gefahrenabwehreingriffe und strafprozessuale Ermittlungseingriffe. 275 Vgl. Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 10. Auch Möstl, DVBl. 1999, 1394 (1398). 276 Hoppe, S. 194. 272

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Schwierigkeit zu definieren, wie weit das Vorfeld einer Gefahr reicht277. Zum anderen aber auch aus der Schwierigkeit, Vorfeldbefugnisse an bestimmte, in einem Tatbestand faßbare Verhaltensweisen von Personen zu knüpfen278. Als begrenzendes Tatbestandsmerkmal wird dafür die Zweckbestimmung einer polizeilichen Maßnahme eingeführt, welche allerdings häufig ebenfalls sehr weit gefaßt ist279. Die Frage der Angemessenheit polizeilicher Maßnahmen im Vorfeldbereich verengt sich damit auf die Frage, welche Zwecke – d.h. für den Bereich der Gefahrenvorsorge, die Verhütung welcher bzw. wie gewichtiger Straftaten und Gefahren – die in Frage stehenden Individualinteressen überwiegen können280. Es bedarf damit einer genauen und strengen Abwägung der Gewichtigkeit des angestrebten Ziels mit der Intensität der durch die Maßnahme entstehenden Grundrechtsbeeinträchtigungen281. Polizeiliche Videoüberwachung zielt, wie schon geschildert, auf die Verhütung typischer Straßenkriminalität ab, wobei es sich vor allem um Drogendelikte, Diebstahl, Raub, Körperverletzungen sowie Sachbeschädigungen handelt. Als Ziel läßt sich damit der Schutz der verfassungsrechtlich verankerten Rechtsgüter Gesundheit und Eigentum feststellen. Dem Rechtsgut „Gesundheit“ kommt nach dem Grundgesetz ein besonderer Stellenwert zu, verbunden mit besonderen staatlichen Schutzpflichten282. Drogendelikte und Körperverletzungsdelikte gefährden die Gesundheit. Zwar ist im Bereich der Drogendelinquenz ein hohes Maß an Selbstgefährdung festzustellen, andererseits ist jedoch auch zu bedenken, daß durch den Drogenkonsum nachhaltige gesundheitliche Beeinträchtigungen hervorgerufen werden können sowie daß dieser negative Folgen für die gesamte Lebensführung einer Person zur Folge haben kann283. Die Gefahr für ein solch gewichtiges Rechtsgut kann grundsätzlich auch häufige und anlaßunabhängige Grundrechtseingriffe zur Gefahrenvorsorge rechtfertigen. Dies gilt auch für die der Art nach geringen Eingriffe durch Videobildübertragung, selbst wenn diese Bilder sofort aufgezeichnet werden, Folgeeingriffe gegenüber Nichtstörern, wie hier, jedoch ausgeschlossen werden284. 277 Vgl. Hoppe, S. 193; Denninger, in: Lisken/Denninger, HbdPolR, E, Rdnr. 194 sowie Denninger, Leviathan, S. 436. 278 Zu dieser Problematik siehe oben 1.b). 279 Vgl. schon oben 1.b). 280 Siehe auch Möstl, DVBl. 1999, 1394 (1398). 281 Zur Problematik der Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne bei Vorfeldbefugnissen, deren Zwecksetzung nur unscharf formuliert sind siehe Hoppe, S. 194; Neumann, S. 130 ff. 282 Siehe dazu etwa Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 406 ff. 283 Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (83 und 84).

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

Gleiches ist anzunehmen für Vermögensdelikte, die wegen ihrer Begehungsweise eine besondere Schwere aufweisen, wie Raub, wegen der Gefahren für Leib und Leben einer Person durch das eingesetzte Raubmittel, oder qualifizierter Diebstahl, wie Diebstahl mit Waffen oder Bandendiebstahl. Dagegen erscheint die Rechtfertigung fraglich, wenn es um die Verhütung einfachen Diebstahls oder einfacher Sachbeschädigungen geht. Gerade im Zusammenhang mit dem Diebstahl von Handtaschen oder Portemonnaies ist zu bedenken, daß hier weitgehende Selbstschutzmöglichkeiten bestehen, die ausgeschöpft werden sollten, bevor Unbeteiligte mit Grundrechtseingriffen belastet werden285. Auch aus diesem Grund muß für polizeiliche Videoüberwachungen Voraussetzung sein, daß diese nur an Kriminalitätsschwerpunkten erfolgen dürfen. Denn dann gilt es, solche Delikte zu verhindern, die besonders häufig begangen wurden und deren Begehung auch in der Zukunft weiter zu erwarten ist. Aus der Häufung der genannten Delikte folgt eine besondere Gefährdungssituation, aus welcher sich ein besonderes Einschreitbedürfnis ergibt. Hier besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit für jeden einzelnen, durch diese Delikte in seinem Eigentum bzw. in seiner Gesundheit geschädigt zu werden. Weiterhin wird auch eine große Anzahl von Personen gefährdet. Aufgrund dieser Faktoren ist das Gemeinwohlinteresse, auch bezüglich der Verhütung von einfachem Diebstahl oder Sachbeschädigungen an Kriminalitätsschwerpunkten, höher zu gewichten. Die hier in Frage stehenden Eingriffe durch Videoüberwachungen können daher zur Erreichung dieses Ziels als angemessen bewertet werden. Für die Beurteilung der Angemessenheit ist damit das Verhältnis von der Gewichtigkeit des bedrohten Rechtsguts und der Deliktshäufigkeit entscheidend. Steht die Angemessenheit der Maßnahme zum Schutze eines geringer gewichtigen Rechtsguts auf dem Prüfstand, so muß dies durch eine besondere Quantität der zu bekämpfenden Delikte aufgewogen werden. Hiervon ausgehend, erscheint der Einsatz polizeilicher Videoüberwachung allein zur Verhütung von Ordnungswidrigkeiten sehr problematisch. Ordnungswidrigkeiten, gleichgültig welcher Schwere, besitzen generell im Vergleich zu Straftaten einen geringeren ethischen Unwertgehalt286, was insbesondere auch dadurch deutlich wird, daß der Gesetzgeber hier als Unrechtsfolge nicht die Strafe sondern die Geldbuße bestimmt. Es ist als unangemessen zu bewerten, zur Verhinderung nur relativ geringen Unrechts schon im Gefahrenvorfeld eine Vielzahl von Unbeteiligten mit einem 284 285 286

(30).

Vgl. oben aa)(1). Vgl. auch Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (83 f.). Denninger, in: Lisken/Denninger, HbdPolR, E, Rdnr. 201; BVerfGE 27, 18

B. Verfassungsmäßigkeit der speziellen Ermächtigungsgrundlagen

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Grundrechtseingriff zu belasten. Die Angemessenheit polizeilicher Videoüberwachungen zur Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten kann daher nur dann bejaht werden, wenn es sich um Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung handelt, daß heißt solchen, die eine besondere Sozialschädlichkeit aufweisen und schon eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit darstellen. Hinzukommen muß, daß an dem zu überwachenden Ort auch in quantitativer Hinsicht die Begehung solcher Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung besonders wahrscheinlich ist. Aus diesen Überlegungen folgt, daß polizeiliche Videoüberwachungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung unzweifelhaft unverhältnismäßig wären287. Sie dürfen damit nicht eingesetzt werden, um allein von sozial unüblichen, aber nicht verbotenen Verhaltensweisen abzuschrecken. Sind damit polizeiliche Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte nur zur Verhütung von Straftaten und unter Umständen auch von Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung an Kriminalitätsschwerpunkten angemessen, so läßt sich in der Praxis nicht verhindern und kann folglich nicht beanstandet werden, daß parallel auch eine Abschreckung von der Begehung von einfachen Ordnungswidrigkeiten oder sozial unüblichen Verhaltensweisen erfolgen kann. Konsequenz dieser Voraussetzung ist aber eine Konkretisierung dessen, welche Orte als Kriminalitätsschwerpunkte videoüberwacht werden können: Es muß sich um Orte handeln, an denen deutlich überdurchschnittlich häufig Straftaten begangen wurden, durch die Personen, Sach- oder Vermögenswerte gefährdet wurden288 und tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung weiterer solcher Straftaten bestehen. Soll die Videoüberwachung der Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung dienen, so muß eine in besonders hohem Maße häufige Begehung dieser aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten sein. Videoüberwachung durch Beobachtung mittels Bildübertragung und gegebenenfalls gleichzeitiger Aufzeichnung ist damit an diesen Kriminalitätsschwerpunkten zur Verhütung der genannten Taten angemessen. (2) Schutz der öffentlichen Sicherheit durch die Abwehr konkret drohender Gefahren Zweck polizeilicher Videoüberwachungen ist neben der Gefahrenvorsorge auch die Gefahrenabwehr im klassischen Sinne. Denn, wie schon oben erörtert, kann, sobald eine konkret drohende Gefahr für die öffentliche 287 288

So auch Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (84). Vgl. § 38 II SächsPolG.

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

Sicherheit oder schon eine Störung dieser am Monitor erkannt wird, ein Polizeieinsatz zur Gefahrenabwehr erfolgen. Nahaufnahmen dürfen, wie schon im Rahmen der Erforderlichkeit erörtert, erst erfolgen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer konkreten Gefahrensituation bestehen. Nach der Polizeirechtsdogmatik handelt es sich hierbei um das Vorliegen einer Gefahr oder zumindest eines Gefahrenverdachtes289, bei welchem Gefahrerforschungsmaßnahmen durchgeführt werden dürfen. Um nichts anderes handelt es sich, wenn eine Datenerhebung über vermutliche Störer durch Nahaufnahmen erfolgt. Die Angemessenheit dieses Grundrechtseingriffs gegenüber dem für die Gefahr Verantwortlichen zum Zweck der klassischen Gefahrenabwehr kann nicht bezweifelt werden. Dies gilt hier, im Unterschied zur Situation der Beobachtung des allgemeinen Geschehens am überwachten Ort mittels Videobildübertragung zur Gefahrensvorsorge, auch, wenn es um die Abwehr von Gefahren für geringer gewichtige Rechtsgüter geht. Ebensowenig kann die Angemessenheit der Anfertigung von Bildaufzeichnungen, die erst bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für die Begehung einer (gewichtigen) Straftat290 erfolgen darf, bezweifelt werden. 3. Verfahrens- und Organisationsvorkehrungen Grundrechtsschutz wird weitgehend auch durch die Gestaltung von Verfahren bewirkt, wie das BVerfG291 in ständiger Rechtsprechung nachdrücklich hinweist292. Demgemäß beeinflussen die Grundrechte nicht nur das gesamte materielle, sondern auch das Verfahrensrecht, wenn und soweit dies für einen effektiven Grundrechtsschutz von Bedeutung ist293. Ob und inwieweit in einem konkreten Fall Garantien für das Verwaltungsverfahren grundrechtlich gefordert sind, richtet sich zum einen nach Art und Intensität des Eingriffs, darüber hinaus aber auch danach, inwieweit der Grundrechtsschutz und die nachträgliche Kontrolle der Gerichte gewährleistet ist294. Es kann daher von einem kompensatorischen Komplementärverhältnis zwischen materieller Grundrechtsgewährleistung, grundrechtlich geprägtem 289

Dazu etwa Denninger, in: Lisken/Denninger, HbdPolR, E, Rdnr. 38. Kritisch zum Gefahrenverdacht Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 83 ff. 290 Siehe § 31 III S. 2 BbgPolG, § 32 II S. 2 MVSOG, § 15 a II S. 1 NWPolG, § 38 II S. 1 SächsPolG, § 184 III LVwG SH. Vgl. zu den einzelnen landesrechtlichen Regelungen oben Kapitel 8, B.II.1. 291 BVerfGE 53, 30 (65); 84, 34 (45 f.). 292 Eingehend zur Grundrechtswirkung für Organisation und Verfahren Stern, Das Staatsrecht für die Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, S. 953 ff. 293 BVerfGE 53, 30 (65); 84, 34 (45 f.). 294 BVerfGE 84, 34 (45 f.).

B. Verfassungsmäßigkeit der speziellen Ermächtigungsgrundlagen

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Verwaltungsverfahren und verwaltungsgerichtlicher Kontrolle gesprochen werden295. So können Defizite materieller Grundrechtsgewährleistungen durch verfahrensrechtliche Schutzvorkehrungen sowie durch die Gewährung eines effektiven nachträglichen Rechtsschutzes kompensiert werden. Dieser Aspekt gewinnt insbesondere im Zusammenhang mit notwendig tatbestandlich unbestimmten Normen Bedeutung296. Der Gesetzgeber ist vielfach gezwungen, tatbestandlich weitgefaßte, generalklauselartige Befugnisnormen zu schaffen, um die Vielfalt und Dynamik der zu regelnden Sachverhalte erfassen zu können und eine ausreichende Anpassungsfähigkeit des Rechts zu gewährleisten297. Die Konkretisierung dieser durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe gekennzeichneten Normen wird hierbei von der Ebene der Gesetzgebung auf die der gesetzesanwendenden Organe, also auf die vollziehende sowie die rechtsprechende Gewalt verlagert298, welchen aufgrund der nur schwachen materiellen Vorgaben eine Vielzahl von Entscheidungsmöglichkeiten offen stehen. Als Kompensation der Einbuße an inhaltlicher Determination durch den Gesetzgeber und insbesondere zur Disziplinierung und ergänzenden Kontrolle der Entscheidungen der gesetzesanwendenden Organe kommt dem Verfahren eine besondere Bedeutung zu299. Des weiteren kann durch verfahrensrechtliche Vorschriften eine Effektivierung des Rechtsschutzes herbeigeführt werden, indem dieser schon in das Verfahren vorverlagert wird300. Denn bereits in frühen Verfahrensstadien können entscheidende Weichenstellungen vorgenommen werden, durch die vollendete Tatsachen geschaffen werden können, setzt nicht eine frühzeitige Verfahrenskontrolle ein301. Sind Eingriffe gänzlich der richterlichen Kontrolle entzogen, wie dies insbesondere bei heimlichen Informationseingriffen der Fall ist, müssen diese im Verwaltungsverfahren einer Nachprüfung unterliegen, welche „materiell und verfahrensmäßig der gerichtlichen Kontrolle gleichwertig, insbesondere mindestens ebenso wirkungsvoll ist“302. 295 So Höfling, in: Möller/v. Zezschwitz (Hrsg.), Videoüberwachung – Wohltat oder Plage?, 2000, 29 (41). 296 Vgl. BVerfGE 49, 168 (181 f.). 297 Schenke, VBlBW 1982, 313 (314); Neumann, S. 146 f. m. w. N. 298 Schenke, VBlBW 1982, 313 (314). 299 Schenke, VBlBW 1982, 313 (314); Neumann, S. 180 f. 300 Schenke, VBlBW 1982, 313 (315). 301 Schenke, VBlBW 1982, 313 (315). 302 BVerfGE 30, 1 (23); Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz, Band 1, Art. 10, Rdnr. 74.

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

Weiterhin kann durch verfahrensrechtliche Schutzvorkehrungen eine Reduktion der Intensität oder Quantität eines Eingriffs und damit die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips bewirkt werden. Gleichzeitig können Verfahrensvorschriften Schutzvorkehrungen gegen Befugnismißbrauch darstellen303. Das Erfordernis organisatorischer und verfahrensrechtlicher Grundrechtssicherungen wurde auch insbesondere im Zusammenhang mit staatlichen Informationseingriffen hervorgehoben304. So verlangte das BVerfG in seinem Volkszählungsurteil zum Schutze des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, daß der Gesetzgeber „mehr als früher auch organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen“ treffen muß, „welche der Gefahr einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts entgegenwirken“305. Zu solchen verfahrensrechtlichen Vorkehrungen zählen insbesondere Regelungen über die Zweckbindung rechtmäßig erhobener Daten, Überprüfungs- bzw. Löschungsfristen, Auskunftsansprüche bzw. Benachrichtigungspflichten und die Kontrolle der Informationserhebung und ihrer Verwendung durch unabhängige Datenschutzbeauftragte306. Bei der Umsetzung der Verfahrensanforderungen kommt dem Gesetzgeber allerdings ein weiter Gestaltungsspielraum zu307. Vorgegeben sind ihm ein bestimmtes Schutzziel und ein bestimmtes Schutzniveau als verfassungsrechtlich gebotenes Minimum, nicht aber das einzelne Mittel und seine Ausgestaltung308. Die durch den Gesetzgeber vorgesehenen Mittel müssen aber in ihrem Zusammenwirken das verfassungsrechtlich gebotene Schutzniveau garantieren309. Der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum kann sich allerdings in manchen Fällen zu einem Gebot des Vorhaltens eines bestimmten Verfahrensinstruments verdichten310. Dies kann insbesondere aus Gründen der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie bei der Festlegung von Kontrollorganen der Fall sein311. 303

Vgl. Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (85). BVerfGE 65, 1 (44), unter Hinweis auf BVerfGE 53, 30 (65); 63, 131 (143). Siehe auch Höfling, in: Möller/v. Zezschwitz (Hrsg.), Videoüberwachung – Wohltat oder Plage?, 2000, 29 (41); Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz, Band 1, Art. 10, Rdnr. 73. 305 BVerfGE 65, 1 (44). 306 Bäumler, in: Lisken/Denninger, HbdPolR, J, Rdnr. 45 ff.; Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz, Band 1, Art. 10, Rdnr. 75. 307 SächsVerfGH, DVBl. 1996, 1423 (1433); Neumann, S. 181. 308 SächsVerfGH, DVBl. 1996, 1423 (1433). Vgl. auch Deutsch, S. 273 f. 309 SächsVerfGH, DVBl. 1996, 1423 (1433). 310 Nach Ansicht des SächsVerfGH, DVBl. 1996, 1423 (1433) kann dies nur in den seltensten Fällen angenommen werden. 311 Vgl. Schenke, DVBl. 1996, 1393 (1394). 304

B. Verfassungsmäßigkeit der speziellen Ermächtigungsgrundlagen

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a) Kontrolle der Entscheidung über die Einrichtung von Videoüberwachungsanlagen Die Einrichtung von Videoüberwachungsanlagen wird durch die landesrechtlichen Ermächtigungsnormen, wie schon oben beschrieben312, allein an die Eigenschaft des überwachten Ortes als Kriminalitätsschwerpunkt sowie teilweise an die Erforderlichkeit der Maßnahme zur polizeilichen Aufgabenerfüllung geknüpft. Die Eigenschaft des überwachten Ortes als Kriminalitätsschwerpunkt ist, wie oben geschildert, von besonderer Wichtigkeit für die Beurteilung der Angemessenheit dieser Maßnahme, die unterhalb der klassischen Einschreitschwelle der konkreten Gefahr einsetzt und eine Vielzahl von Personen anlaß- und verhaltensunabhängig erfaßt. Die Beurteilung des Vorliegens dieser Voraussetzungen erfolgt durch die zur Einrichtung von Videoüberwachungsanlagen kompetenten Polizei- oder Ordnungsbehörden. Auch die Durchführung der Videoüberwachung als Beobachtung mittels Bildübertragung bei ggf. gleichzeitiger Aufzeichnung ist nach den Ermächtigungsnormen weitgehend an keine materiellen Eingriffsvoraussetzungen gebunden313. Es handelt sich hierbei damit – wie dies für polizeiliche Maßnahmen der Gefahrenvorsorge typisch ist314 – um weitgehend tatbestandlich unbestimmte Normen, deren Konkretisierung durch die gesetzesanwendenden Organe zu erfolgen hat. Ist eine Videoüberwachungsanlage installiert, bieten sich verschiedene Optionen der Beobachtung, mit denen unterschiedlich intensive Grundrechtseingriffe verbunden sind. Die reine Beobachtung mittels Bildübertragung ohne Aufzeichnung und ohne Identifikation bestimmter Personen ist der Art nach zunächst nur ein geringer Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen. Zu bedenken ist jedoch, wie schon oben erörtert, daß durch diese polizeiliche Maßnahme eine Vielzahl von Nichtstörern betroffen wird, sowie eine hohe Eingriffshäufigkeit für den einzelnen besteht. Aufgrund dieser Faktoren ist auch die Eingriffsintensität reiner Beobachtungen mittels Bildübertragung höher zu bewerten. Dies gilt erst recht, wenn eine permanente Bildaufzeichnung und damit eine Datenspeicherung erfolgt. Weiterhin muß beachtet werden, daß die Einrichtung von Videoüberwachungsanlagen die Möglichkeit intensiver Überwachungen einer einzelnen Person samt Speicherung der gewonnenen Informationen und Identifizierungsmöglichkeit bietet.

312

Oben 1.a) und b). Siehe dort auch zu Ausnahmen im einzelnen. Etwas anders stellen sich die Regelungen zu Bildaufzeichnungen dar, die erst bei Vorliegen von Anhaltspunkten für die Begehung einer Straftat erfolgen dürfen. 314 Siehe oben 1.b). 313

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

Aus diesen Gründen besteht im Hinblick auf einen effektiven Grundrechtsschutz das Bedürfnis der Kontrolle der Verwaltungsentscheidung über die Einrichtung von Videoüberwachungen sowie deren Durchführung. Es ist daher zu prüfen, ob durch ausreichende verfahrensrechtliche Schutzvorkehrungen oder Rechtsschutzmöglichkeiten die beschriebenen Mängel der materiellen Bestimmtheit der Ermächtigungsnormen kompensiert werden. aa) Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz in Form der allgemeinen Leistungsklage (Unterlassungsklage) – Erfordernis der Dokumentation der polizei- oder ordnungsbehördlichen Entscheidungsgründe Videoüberwachungen sind offen durchzuführen, so daß jeder Betroffene, also jeder, der den überwachten Ort betritt, von dieser Maßnahme Kenntnis erlangen kann. Es besteht für diesen daher sodann die Möglichkeit, gegen die Videoüberwachung gerichtlich vorzugehen. Richtige Klageart ist die allgemeine Leistungsklage in Form der Unterlassungsklage, da es sich bei der Videoüberwachung mangels rechtlicher Regelung nicht um einen Verwaltungsakt sondern um einen Realakt handelt315. Die Videoüberwachung entfaltet selbst keine Rechtsfolgen, sondern zielt auf die Förderung und Überwachung der Einhaltung strafrechtlicher Vorschriften316. Sie ist damit auf die Herbeiführung eines tatsächlichen, nicht aber rechtlichen Erfolges gerichtet, was jedoch für die Annahme einer „Regelung“ i. S. d. § 35 S. 1 VwVfG Voraussetzung ist317. Das Verwaltungsgericht überprüft im Falle einer Klage, ob von der polizeigesetzlichen Ermächtigung zu Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht wurde. Da es hierbei um die Überprüfung der langfristigen Durchführung dieser Maßnahme an einem bestimmten Ort geht, wird durch das Gericht geprüft, ob die Voraussetzungen für die Einrichtung der Videoüberwachung vorlagen. So muß es feststellen, ob die Einschätzung der zuständigen Polizei- oder Ordnungsbehörde über den Charakter des überwachten Ortes als Kriminalitätsschwerpunkt sowie ggf. über die Erforderlichkeit der Maßnahme zur polizeilichen Aufgabenerfüllung rechtsfehlerfrei erfolgte. Diese behördliche Entscheidung wird aufgrund polizeilicher Erkenntnisse getroffen, in die Außenstehende keinen Einblick haben. Um eine effektive nachträgliche gerichtliche Kontrolle des Entscheidungsprozesses zu gewährleisten, ist es daher notwendig, daß die 315 316 317

VG Karlsruhe, VBlBW 2002, 131; Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (203). Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (203). Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (203).

B. Verfassungsmäßigkeit der speziellen Ermächtigungsgrundlagen

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Entscheidungsgründe in den Polizeiakten niedergelegt wurden318. So muß sich aus diesen vor allem ergeben, daß die Gefahrenbelastung am Ort der Videoüberwachung diejenige anderer Orte tatsächlich deutlich übersteigt319. Eine entsprechende Regelung findet sich in § 29 III i.V. m. § 30 S. 3 und 4 BremPolG. Danach ist die Anordnung der Videoüberwachung aktenkundig zu machen, wobei insbesondere gem. § 30 S. 4 Nr. 3 BremPolG die Tatsachen niedergelegt werden müssen, die den Einsatz der Maßnahme begründen. bb) Behördenleiter- und Ministervorbehalt Als verfahrensrechtliche Schutzvorkehrungen kennt das Polizeirecht weiterhin die Verlagerung der Anordnungskompetenz bezüglich einer polizeilichen Maßnahme auf eine höhere Ebene innerhalb der Verwaltung durch Behördenleiter- oder Ministervorbehalte. Solche Anordnungerfordernisse320 finden sich in den Polizeigesetzen generell im Kontext mit nur schwach materiell determinierten Befugnisnormen321, welche jedoch mit schwerwiegenden Grundrechtseingriffen verbunden sind. So stehen etwa die längerfristige Observation, der verdeckte Einsatz technischer Mittel, der Einsatz verdeckter Ermittler und V-Personen sowie die polizeiliche Beobachtung unter einem Behördenleitervorbehalt322. Die Zustimmung des Innenministeriums wird für die Rasterfahndung, das automatisierte Abrufverfahren sowie das Aufstellen von Errichtungsanordnungen für Dateien verlangt323. In einigen Ländern ist auch die Errichtung einer Kontrollstelle vom ministeriellen Zustimmungserfordernis umfaßt324. Hierbei sowie im Falle der Rasterfahndung wird besonders deutlich, daß Ministervorbehalte insbesondere dann gewählt werden, wenn eine Vielzahl Unbeteiligter betroffen wird und daher die gesellschaftspolitischen Auswirkungen der Maßnahmen besonders bedacht werden müssen325. §§ 31 III S. 5 BbgPolG, 29 III S. 2 BremPolG und § 33 III S. 3 ThürPAG enthalten nun solche Anordnungserfordernisse auch für polizeiliche Videoüberwachungen öffentlicher Plätze: In Brandenburg liegt die Ent318 So schon Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (85). Vgl. auch MVVerfG, LKV 2000, 149 (156). 319 So schon Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (85). 320 Ausführlich zu diesen in den Polizeigesetzen der Länder Koch, S. 206 ff. 321 Vgl. Lisken/Mokros, NVwZ 1991, 609 (613). 322 Koch, S. 206. 323 Koch, S. 206 f. 324 Koch, S. 207. 325 Vgl. Koch, S. 213 f.

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

scheidung über die Einrichtung der Videoüberwachung beim Ministerium des Innern nach Vorschlag durch den Polizeipräsidenten oder dessen Vertreter. In Bremen steht die Anordnung der Videoüberwachung unter einem Behördenleitervorbehalt. Der Ort der Überwachung ist dort im Benehmen mit dem Senator für Inneres, Kultur und Sport festzulegen. In Thüringen bedarf die Videoüberwachung der Zustimmung des für die Polizei zuständigen Ministeriums. Das Erfordernis der Anordnung durch den Behördenleiter bzw. der Zustimmung durch das Innenministerium (bzw. den Innensenator) dient als verfahrensrechtlicher Ausgleich der materiellen Regelungsdefizite dieser Normen326. Eine verfahrensrechtliche Sicherung erfolgt in der Weise, daß die Entscheidungskompetenz über die Vornahme einer Polizeimaßnahme auf eine Person übertragen wird, die in ihrem Fachgebiet polizeiliche und juristische Kompetenz und Verantwortungsbewußtsein bewiesen sowie die notwendige Erfahrung gesammelt hat. Sie hat damit zum einen die Qualifikation aufgrund ihres polizeilichen Fachwissens und ihrer Erfahrung entscheiden zu können, ob eine Maßnahme, die einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff mit sich bringen kann, ausreichende Aussicht auf Erfolg hat, das angestrebte Ziel zu erreichen327. Weiterhin ist sie aufgrund ihrer juristischen Schulung in der Lage, die Befugnisnormen korrekt anzuwenden und soweit erforderlich in verfassungskonformer Weise auszulegen328. Durch ein Anordnungserfordernis wird somit eine vorsorgliche rechtliche Kontrolle erreicht329. Darüber hinaus hat der Leiter der Polizeibehörde wie auch der Innenminister eine besondere Verantwortung für das Ansehen der Polizei in der Öffentlichkeit330. Es ist daher zu erwarten, daß diese in zurückhaltender und besonnener Weise von ihren Befugnissen Gebrauch machen331. Für das Innenministerium kommt hinzu, daß dort eine besondere Nähe zur Politik be326

Vgl. Lisken/Mokros, NVwZ 1991, 609 (613). Koch, S. 210. 328 Koch, S. 210; Lisken/Mokros, NVwZ 1991, 609 (613). Allerdings ist zu bedenken, daß auch juristisch geschulte Behördenleiter oder Minister bei mangelnder Normenklarheit und tatbestandlicher Unbestimmtheit von Befugnisnormen in Auslegungs- und Anwendungsschwierigkeiten geraten können. Es findet sich in der Literatur (siehe Lisken/Mokros, NVwZ 1991, 609 (613)) daher die kritische Frage, ob die Kompetenzverschiebung auf höhere Ebenen innerhalb der Verwaltung tatsächlich deutliche materielle Regelungsdefizite ausgleichen könne. Der inhaltliche Gesetzgebungsauftrag könne rechtsdogmatisch ohnehin nicht durch eine Kompetenzverschiebung erfüllt werden. 329 Vgl. Lisken/Mokros, NVwZ 1991, 609 (613). 330 Koch, S. 210; Lisken/Mokros, NVwZ 1991, 609 (613). 331 Koch, S. 210. 327

B. Verfassungsmäßigkeit der speziellen Ermächtigungsgrundlagen

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steht und daher das Bewußtsein für gesellschaftspolitische Auswirkungen einer Maßnahme stärker ausgeprägt ist332. Polizeiliche Videoüberwachungen, die vor allem durch Bildaufzeichnungen intensive Grundrechtseingriffe verursachen, an die Anordnung durch den Behördenleiter zu knüpfen, erscheint aufgrund obiger Erwägungen als verfahrensrechtliche Schutzvorkehrung sinnvoll. Da durch diese Maßnahme eine Vielzahl von Personen betroffen wird, die keinen Anlaß für eine Beobachtung durch die Polizei gegeben haben, sind hier auch in starkem Maße gesellschaftliche Auswirkungen zu berücksichtigen. Dies kann am besten durch das Erfordernis der Zustimmung durch das Innenministerium gewährleistet werden. Die Regelungen in Brandenburg und Bremen, die für die Einrichtung von Videoüberwachungsanlagen an öffentlich zugänglichen Orten sogar eine Kombination von Behördenleitervorbehalt und Zustimmungserfordernis durch das Innenministerium bzw. den Innensenator vorsehen, bieten damit eine sinnvolle Verfahrensregelung zum effektiven Grundrechtsschutz. Gleiches gilt für das ministerielle Zustimmungserfordernis in Thüringen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß auch in den USA nach den Standard on Technologically Assisted Physical Surveillance (TAPS) der American Bar Association die Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen einer langfristigen, offenen Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte und deren Einrichtung durch einen politically accountable law enforcement official, wie Behördenleiter oder Staatsanwalt, oder durch eine politically accountable governmental authority, also durch eine Regierungsbehörde, vorzunehmen ist333. In den District of Columbia Municipal Regulations wird diese Entscheidung dem Chief of Police als Behördenleiter übertragen334. Ähnlich wie im deutschen Recht geht es dabei darum festzustellen, ob ein Ort einen Kriminalitätsschwerpunkt darstellt (dies ist zumindest Voraussetzung für Videoüberwachungen in Wohngegenden und Geschäftszentren) und ob eine Videoüberwachung zur Aufdeckung und Verhinderung der dort erfahrungsgemäß begangenen Straftaten beitragen kann. Auch in den USA wird damit die Entscheidung über die Einrichtung einer Videoüberwachungsanlage Personen mit besonderer politischer Verantwortung übertragen.

332 333 334

Koch, S. 210. Siehe oben Kapitel 7, A.II. Siehe oben Kapitel 7, B.

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

cc) Anhörungsrecht der Betroffenen Aus den vorstehenden Überlegungen heraus, daß es bei der Entscheidung über die Einrichtung von Videoüberwachungsanlagen im öffentlichen Raum gilt, die grundrechtlichen Interessen der Vielzahl von Betroffenen sowie die gesellschaftspolitischen Auswirkungen der Maßnahme ausreichend zu berücksichtigen, kann die These formuliert werden, daß hier – alternativ oder kumulativ – die Einbeziehung der Betroffenen selbst eine effektive verfahrensrechtliche Grundrechtssicherung bewirken kann. Denn wer ist geeigneter, die individuellen Interessen zu vertreten, als das Individuum selbst? Hinzu kommt, daß auf beiden Seiten der hier zu berücksichtigenden widerstreitenden Interessen auch subjektive Empfindungen der Bürger von Bedeutung sind. So soll zum einen durch polizeiliche Videoüberwachungen das Sicherheitsgefühl der Bürger gestärkt werden. Zum anderen kann durch diese Maßnahme ein subjektiv empfundener Anpassungsdruck aufgrund der Beobachtungssituation entstehen und zu einem eingeschränkten Freiheitsgebrauch führen. Die genaue Evaluation dieser Ängste kann daher eine wertvolle Unterstützung im Entscheidungsprozeß über die Vornahme einer Videoüberwachung darstellen. Wie in Kapitel 7 geschildert335, ist nach der US-amerikanischen Musterregelung die Öffentlichkeit vor Installation einer Videoüberwachungsanlage zu informieren. Diejenigen, die durch die Maßnahme betroffen werden, müssen Gelegenheit haben, Stellungnahmen und Änderungsvorschläge bezüglich der Videoüberwachung abzugeben. Diese sind sodann bei der Entscheidung über die Einrichtung der Überwachungsanlage zu berücksichtigen. Zu den Betroffenen zählen zumindest diejenigen, die in unmittelbarer Nähe des Überwachungsortes leben oder sich dort, etwa aus beruflichen Gründen, häufig aufhalten. Nicht anzuhören sind nach den ABA Standards jedoch diejenigen, die nur gelegentlich, etwa bei besuchsweisem Aufenthalt im Überwachungsbereich, von der Videoüberwachung betroffen werden. Ein entsprechendes Beteiligungsrecht der Bürger könnte auch in Deutschland bei polizeilichen Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte in Betracht kommen. Ein allgemeiner Vergleich der Ausgestaltung des Verfahrensgedankens im Verwaltungsrecht im deutschen sowie anglo-amerikanischen Rechtskreis zeigt allerdings, daß dieser im Verwaltungsrecht der USA wesentlich stärker ausgeprägt ist336. So finden sich dort auch wesentlich häufiger Fälle zwingender Öffentlichkeitsbeteiligung, insbesondere im Bereich exekutiver Normsetzung, für welchen in Deutschland eine Bürgerbeteiligung grund335 336

Siehe oben Kapitel 7, A.II; B. Ehlers, Jura 1996, 617.

B. Verfassungsmäßigkeit der speziellen Ermächtigungsgrundlagen

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sätzlich nicht vorgesehen ist337. Weniger gravierend sind dagegen die Unterschiede zwischen deutschem und amerikanischem Verwaltungsrecht im Bereich der Anhörungsrechte vor Erlaß von Einzelfallentscheidungen338. In Deutschland ist das Anhörungsrecht und die damit korrespondierende Pflicht staatlicher Instanzen zur Anhörung der Beteiligten im Verwaltungsverfahren verfassungsrechtlich im Rechtsstaatsprinzip verankert339. Daneben kann auch die Pflicht des Staates zur Achtung der Menschenwürde, welche es verbietet, den Menschen zu einem Objekt staatlichen Handelns zu machen, als Basis herangezogen werden340. Außerdem kann ein Ableitungszusammenhang zu den Grundrechten in ihrer allgemeinen verfahrensrechtlichen Schicht, dem in ihnen angelegten status activus processualis341, sowie einzelnen Grundrechtsgewährleistungen hergestellt werden342. So ist das Anhörungsrecht zum Kern der grundrechtlichen Verfahrensgarantien zu zählen343. Der durch eine Verwaltungsmaßnahme möglicherweise in seinen Grundrechten Betroffene muß die Möglichkeit haben, zu allen Tatsachen Stellung zu nehmen, auf die die Behörde ihre Entscheidung zu stützen gedenkt344. Diese Möglichkeit der Stellungnahme muß zu einer Zeit und in einer Art bestehen, die diese für die Verwaltungsentscheidung noch folgenreich macht345. Die Behörde ist dabei verpflichtet, die Stellungnahmen der Betroffenen entgegenzunehmen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen346. Ist dies dem Grundsatz nach anerkannt, so bestehen doch große Schwierigkeiten bei der Beantwortung der Frage, welche Einzelausgestaltungen dieses Rechts in den nach Zweckrichtung und Struktur verschiedenen Verwaltungsverfahren durch die Verfassung gefordert sind347. Festgestellt werden kann jedoch, daß nur eine mögliche unmittelbare rechtliche Beeinträchtigung einer Person durch das Verfahrensergebnis ein Anhörungsrecht aus337

Ehlers, Jura 1996, 617. Ehlers, Jura 1996, 617 (618). 339 Siehe statt vieler Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, Bd. V, Art. 103 I, Rdnr. 62 m. w. N. BVerfG, NJW 2000, 1709; BVerwG, NVwZ 2001, 94 (95). 340 Siehe statt vieler Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, Bd. V, Art. 103 I, Rdnr. 62 m. w. N. 341 Vgl. Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 493. 342 Zu dieser Problematik siehe statt vieler Laubinger, VerwArch. 73 (1982), 60 ff.; Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 373 ff.; Grimm, NVwZ 1985, 865 ff. 343 Laubinger, VerwArch. 73 (1982), 60 (74); Grimm, NVwZ 1985, 865 (869); Neumann, S. 186; SächsVerfGH, DVBl. 1996, 1423 (1433), 344 Laubinger, VerwArch. 73 (1982), 60 (74). 345 Grimm, NVwZ 1985, 865 (869); Neumann, S. 186. 346 Laubinger, VerwArch. 73 (1982), 60 (74). 347 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, Bd. V, Art. 103 I, Rdnr. 62; Ehlers, Jura 1996, 617 (619). 338

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

löst348. Dagegen begründet eine „mehrfach vermittelte Fernwirkung“ eines Verfahrensergebnisses nicht zwangsläufig ein Anhörungsrecht349. Insgesamt ist bei der Einzelausgestaltung des Anhörungsrechts eine Differenzierung nach Intensität und Art der Beeinträchtigung zu unterscheiden350. Weiterhin ist auch zwischen verschiedenen Verwaltungsverfahren zu differenzieren, die etwa als Einzelfallentscheidung, komplexe Genehmigungen oder Planfeststellungen mit einer Vielzahl von Beteiligten sehr unterschiedlich strukturiert sein können351. Ebensowenig ist eine allgemeine Aussage über Ausnahmen der Anhörungspflicht für alle Verwaltungsverfahren möglich352. Die landesgesetzlichen Ermächtigungsnormen zur polizeilichen Videoüberwachung enthalten keine Bestimmungen über eine Anhörung der von dieser Maßnahme Betroffenen. Wie oben in Kapitel 6353 eingehend ausgeführt, wird jedoch durch eine Videoüberwachung unabhängig von der Art ihrer Durchführung in den Rechtskreis der in den Überwachungsbereich gelangenden Personen unmittelbar eingegriffen. Hier wird ohne Einschränkung jeder, der den überwachten Ort betritt, in seinem Grundrecht aus Art. 2 I i.V. m. 1 I GG beeinträchtigt. Deshalb ist grundsätzlich eine Pflicht zur Anhörung der potentiell Betroffenen vor Einrichtung einer Videoüberwachungsanlage354 zu bejahen. Allerdings ist zu bedenken, daß der einzelne, der einen videoüberwachten Ort betritt, in der Regel nur in geringem Maße in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn nur eine Übersichtsaufnahme des Geschehens gemacht wird und keine Bildaufzeichnung erfolgt. Bei solch geringer Eingriffsintensität ist eine Ausnahme der Anhörungspflicht vertretbar. Nicht jeder, der potentiell von der Maßnahme betroffen wird, muß daher angehört werden. In stärkerem Maße betroffen werden jedoch diejenigen Bürger, die besonders häufig in das Blickfeld der Kamera geraten müssen. Was insbesondere für Personen gilt, die am Ort der Überwachung 348

Vgl. Schenke, VBlBW 1982, 313 (320). Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, Bd. V, Art. 103 I, Rdnr. 63. 350 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, Bd. V, Art. 103 I, Rdnr. 63. 351 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, Bd. V, Art. 103 I, Rdnr. 62. 352 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, Bd. V, Art. 103 I, Rdnr. 63. 353 Siehe oben Kapitel 6, C. 354 Eine individuelle Anhörung einer Person unmittelbar vor Erfolgen eines konkreten Eingriffs in ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung durch eine Videoaufnahme oder -aufzeichnung ihrer Person kommt hier allein schon aus praktischen Gründen nicht in Betracht. Anderenfalls könnte die Videoüberwachung nicht zweckmäßig erfolgen und wäre geradezu sinnlos. 349

B. Verfassungsmäßigkeit der speziellen Ermächtigungsgrundlagen

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ihren Wohnsitz oder Arbeitsplatz haben. Für sie intensiviert sich der Eingriff in ihr Allgemeines Persönlichkeitsrecht, da sie einer besonders hohen Eingriffshäufigkeit ausgesetzt sind. Dies gilt besonders dann, wenn eine permanente Bildaufzeichnung erfolgt, wie dies in manchen Bundesländern möglich ist. Damit ist, wie dies auch nach der amerikanischen Regelung vorgesehen ist, eine Differenzierung zwischen den verschieden intensiv betroffenen Personengruppen vorzunehmen. Für diejenigen, die als Anwohner oder aus sonstigen Gründen besonders häufig und damit intensiver von der Maßnahme betroffen werden, ist ein Anhörungsrecht verfassungsrechtlich geboten. Die Ermächtigungsgrundlagen zur polizeilichen Videoüberwachung sind daher dahingehend in verfassungskonformer Weise auszulegen. Denkbar und möglich ist auch, ein solches Anhörungsrecht über eine Analogie zu § 28 LVwVfG355 zu begründen. § 28 LVwVfG gilt unmittelbar nur für den Erlaß von Verwaltungsakten als Verwaltungsverfahren im Sinne des LVwVfG (§ 9 LVwVfG). Als Konkretisierung des sich aus dem Rechtsstaatsprinzip sowie den betroffenen grundrechtlichen Garantien ergebenden Anhörungsrechts und daher als Ausdruck allgemeiner Rechtsgedanken ist die Regelung des § 28 LVwVfG analog auch für andere Maßnahmen der Verwaltung, durch die zielgerichtet in den Rechtskreis des Betroffenen eingegriffen werden, heranzuziehen, insbesondere bei bestimmten Realakten356. Die polizeiliche Videoüberwachung kann als ein solcher eingreifender Realakt qualifiziert werden. Die Situation unterscheidet sich allerdings von dem Grundfall des § 28 LVwVfG, dem Erlaß eines eingreifenden Verwaltungsakts als Einzelfallentscheidung, dadurch, daß sich die Videoüberwachung nicht gegen eine konkrete Person richtet. Betroffen werden können vielmehr eine (vorher unbekannte) Vielzahl von Personen. Damit ist der Fall der Videoüberwachung aber vergleichbar mit dem ebenso von § 28 LVwVfG erfaßten Fall der Allgemeinverfügung als Unterfall des Verwaltungsakts (§ 35 S. 2 VwVfG). Die Videoüberwachung richtet sich, wie es auch bei der Allgemeinverfügung möglich ist, gegen einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis, nämlich gegen alle Personen, die den überwachten Ort betreten. Ein Anhörungsrecht der Betroffenen kann daher nach § 28 LVwVfG analog grundsätzlich bejaht werden.

355 Die verschiedenen LVwVfG enthalten hier inhaltsgleiche Bestimmungen. Teilweise verweisen sie auf das Bundesverwaltungsverfahrensgesetz, woraus sich mit der Anwendung des § 28 VwVfG inhaltlich jedoch kein Unterschied ergibt. Für Schleswig-Holstein gilt hier § 87 LVwG SH. 356 Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 28, Rdnr. 4.

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

§ 28 II LVwVfG kennt jedoch zahlreiche Ausnahmen der Anhörungspflicht357. Nach dieser Vorschrift kann die Behörde nach ihrem Ermessen von der Anhörung absehen, wenn diese nach den Umständen des Einzelfalles nicht geboten ist. Dies ist insbesondere dann möglich, wenn einer der in dieser Vorschrift aufgelisteten Ausnahmegründe vorliegt. Gem. § 28 II Nr. 1 LVwVfG kann von der Anhörung abgesehen werden, wenn eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug (sog. „Eilfälle“) oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint. Dieser Ausnahmegrund ist gerade im Polizeirecht von besonderer Bedeutung. Denn hier besteht häufig die Situation, daß ein polizeiliches Handeln sofort, ohne zeitliche Verzögerung zu erfolgen hat, da anderenfalls die Maßnahme zu spät käme und der verfolgte Zweck nicht mehr oder nur eingeschränkt erreicht werden könnte. Auch von dieser Ausnahmeregelung erfaßt wird der für das Polizeirecht ebenso wichtige Fall, daß durch eine Anhörung der mit der Entscheidung verfolgte Zweck oder zumindest das damit verbundene öffentliche Interesse ganz oder zu einem nicht unwesentlichen Teil vereitelt zu werden droht358. In diesem Zusammenhang zu nennen sind vor allem solche Polizeimaßnahmen, die einen Überraschungseffekt ausnutzen bzw. notwendigerweise ohne Vorwarnung erfolgen. Dieser Ausnahmegrund ist im Falle polizeilicher Videoüberwachungen jedoch nicht einschlägig. Weder wird die Zweckerreichung durch eine vorherige Anhörung gefährdet noch ist Gefahr im Verzug. Die Vornahme einer polizeilichen Videoüberwachung, die schon im Vorfeld konkret drohender Gefahren ansetzt, bedarf in jedem Fall einer vorausgehenden, wohlüberlegten Entscheidung, deren Ergehen nicht an einen bestimmten Termin gebunden ist. Weiterhin kann nach § 28 II Nr. 4 LVwVfG von einer Anhörung abgesehen werden, wenn die Behörde eine Allgemeinverfügung oder gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen will359. Dieser Ausnahmegrund dient insbesondere der Effektivität der Verwaltung. Es soll hier den besonderen Schwierigkeiten und Problemen begegnet werden, die in Verfahren mit einer Vielzahl von Beteiligten oder bei Verwendung von Datenverarbeitungsanlagen u. ä. hinsichtlich der Gewährung rechtlichen Gehörs auftreten können360. Dieser Ausnahmegrund könnte im Falle der Videoüberwachung aufgrund der oben geschilderten Vergleichbarkeit mit einer Allgemeinverfü357

Bonk/Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 28, Rdnr. 47 ff.; Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 28, Rdnr. 44 ff. 358 Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 28, Rdnr. 58 m. w. N. 359 Siehe dazu Bonk/Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 28, Rdnr. 57 ff.; Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 28, Rdnr. 66 ff. 360 Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 28, Rdnr. 66.

B. Verfassungsmäßigkeit der speziellen Ermächtigungsgrundlagen

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gung analog angewendet werden. Die Ausnahmevorschrift des § 28 II Nr. 4 LVwVfG ist im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Wurzeln des Anhörungsrechts jedoch in der Weise auszulegen, daß sie allein Anwendung finden kann, wenn die zu treffende Verwaltungsentscheidung Sachverhalte betrifft, die erfahrungsgemäß nicht kontrovers sind und bei denen dem rechtlichen Gehör auch keine besondere Bedeutung zukäme361. Dagegen wäre eine Entscheidung ohne Anhörung in der Regel ermessensfehlerhaft, wenn wesentliche Rechte der Beteiligten auf dem Spiel stehen könnten und nicht auszuschließen ist, daß die Anhörung der Betroffenen zu einer anderen Beurteilung der Dinge führt362. Gleiches gilt, wenn die Entscheidung einzelne Bürger in besonderer Weise betrifft363. Wie schon geschildert, werden die Personen, die den von Videokameras überwachten Ort häufig aufsuchen, etwa weil sie dort angrenzend wohnen oder arbeiten, in besonderem Maße von dieser Polizeimaßnahme beeinträchtigt, so daß gegenüber diesen Personen ein Absehen von einer Anhörung nach § 28 II Nr. 4 LVwVfG analog als ermessensfehlerhaft einzustufen wäre. § 28 LVwVfG verlangt keine bestimmte Form der Anhörung. Möglich ist insbesondere auch, den anzuhörenden Personen, die Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme einzuräumen. Kann dieses verfassungsrechtlich gebotene Anhörungsrecht der von der polizeilichen Videoüberwachung besonders betroffenen Personen über eine verfassungskonforme Auslegung oder eine Analogie zu § 28 LVwVfG begründet werden, so wäre eine Aufnahme entsprechender Bestimmungen in die Ermächtigungsnormen zu dieser Maßnahme dennoch sinnvoll. Dies zum einen aus Gründen der Rechtsklarheit. Zum anderen bestünde dabei die Möglichkeit festzulegen, in welcher Weise das Anhörungsverfahren durchzuführen ist. Da es hier vorkommen kann, daß eine große Anzahl von Personen gehört werden muß, kann damit ein großer Verwaltungsaufwand verbunden sein. Wie dies auch in anderen Verwaltungsverfahren mit einer Vielzahl von Betroffenen364 vorgesehen ist, ist hier denkbar, die individuelle Benachrichtigung durch eine öffentliche Bekanntmachung (im amtlichen Veröffentlichungsblatt der Behörde und zudem in der örtlichen Tageszeitung) zu ersetzen, verbunden mit der Möglichkeit der Stellungnahme 361

Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 28, Rdnr. 69. Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 28, Rdnr. 69; ähnlich Bonk/ Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 28, Rdnr. 58; Grünewald, in: Obermayer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 28, Rdnr. 56; Weides, JA 1984, 648 (655); OVG Koblenz, DÖV 1985, 368. 363 Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 28, Rdnr. 69; OVG Koblenz, DÖV 1985, 368. 364 Zu den sog. Massenverfahren siehe Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 19, Rdnr. 7. 362

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

durch die Betroffenen innerhalb eines festgesetzten Zeitraumes, ähnlich wie dies auch in den District of Columbia Municipal Regulations365 vorgesehen ist. dd) Vorabkontrolle und Einschaltung von Datenschutzbeauftragten In einigen Bundesländern bedürfen Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte der Vorabkontrolle gem. den Landesdatenschutzgesetzen, wie in Baden-Württemberg gem. § 12 BWDSG i.V. m. § 48 BWPolG366, Brandenburg gem. § 7 III BbgDSG, in Mecklenburg-Vorpommern gem. § 19 MVDSG, im Saarland gem. § 11 SaarDSG und in Schleswig-Holstein gem. § 9 DSG SH. Danach muß vor Einsatz eines automatisierten Verfahrens zur Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständige Behörde sichergestellt werden, daß Gefahren für das Persönlichkeitsrecht nicht bestehen oder durch technische oder organisatorische Maßnahmen verhindert werden. Ergebnis und Begründung sind aufzuzeichnen und dem behördlichen Datenschutzbeauftragten367 zu übergeben. Wenn ein solcher nicht bestellt ist, ist das Ergebnis der Überprüfung dem Landesbeauftragten für den Datenschutz368 zuzuleiten. Auch in Zweifelsfällen hat ein behördlicher Datenschutzbeauftragter sich an den unabhängigen Landesbeauftragten für den Datenschutz zu wenden. Durch die Vorabkontrolle erfolgt eine zusätzliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit des behördlichen Handelns. b) Kontrolle der Durchführung von Videoüberwachungen Auch die Durchführung von Videoüberwachungen bedarf verfahrensrechtlicher Schutzvorkehrungen. Zu kompensieren sind hier insbesondere die Defizite im Grundrechtsschutz, die sich daraus ergeben, daß der Bürger keinen Einblick in die tatsächliche Anwendung der Videoüberwachung hat. Für ihn ist nicht ersichtlich, ob von seiner Person personenbezogene Daten durch Nahaufnahmen oder Bildaufzeichnungen erhoben bzw. auch gespeichert wurden sowie ob diese weiter verwendet wurden. Damit verbunden ist die faktische Unmöglichkeit der Wahrnehmung gerichtlichen Rechtsschutzes gegen solche intensiven Grundrechtseingriffe. Als verfahrensrecht365 366 367

Siehe dazu oben Kapitel 7, B. Belz/Mußmann, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, § 21, Rdnr. 43. Zur Kontrolle durch interne Datenschutzbeauftragte Riegel, DuD 1988, 277

(278). 368 Zur Kontrolle durch externe, unabhängige Datenschutzbeauftragte Riegel, DuD 1988, 277 (279 f.); Bäumler, in: Lisken/Denninger, HbdPolR, J, Rdnr. 98 ff.

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licher Ausgleich dieser Defizite bieten sich Benachrichtigungspflichten (bb) gegenüber dem Betroffenen von personenbezogener Datenerhebung und -verwendung sowie eine Kontrolle der polizeilichen Durchführung von Videoüberwachungen durch externe und unabhängige Datenschutzbeauftragte (cc) an. Weiterhin sind Beeinträchtigungen des informationellen Selbstbestimmungsrechts durch Bestimmungen über die Zweckbindung erhobener Daten sowie Löschungsfristen (aa) zu minimieren. aa) Zweckbindung rechtmäßig erhobener Daten sowie Löschungsfristen Zu einem wirksamen Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gehören als verfahrensrechtliche Schutzvorschriften insbesondere Regelungen über die Zweckbindung rechtmäßig erhobener Daten sowie Überprüfungs- bzw. Löschungsfristen. Die Pflicht zur Löschung personenbezogener Daten muß zu einem effektiven Grundrechtsschutz dann bestehen, wenn diese personenbezogenen Daten dem absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit zuzuordnen sind, in sonstiger Weise rechtswidrig erlangt wurden sowie wenn sie zu dem mit der Erhebung verfolgten Zweck nicht mehr benötigt werden369. Dogmatisch läßt sich diese Löschungspflicht mit dem verfassungsrechtlich garantierten Folgenbeseitigungsanspruch370 begründen, wonach von Anfang an rechtswidrige sowie auch nachträglich rechtswidrig werdende Grundrechtsbeeinträchtigungen zu beseitigen sind371. Videoaufzeichnungen des Geschehens an öffentlich zugänglichen Orten dienen verschiedenen Zwecken. Permanente Aufzeichnungen, wie dies die Regelungen in Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen, Sachsen, Thüringen und im Saarland gestatten, vermögen den mit der Überwachungsmaßnahme verfolgten Zweck der Gefahrenvorsorge durch Abschreckung effektiver zu erreichen als bloße Bildübertragungen372. Gleichzeitig mit der Aufzeichnung und der damit einhergehenden Datenerhebung wird dieser Präventionszweck jedoch schon erfüllt. Die Aufbewahrung der gewonnenen Informationen ist daher an sich zur Gefahrenvorsorge schon nicht mehr erforderlich. Es tritt nun allein der Zweck der Verfolgungsvorsorge in den Vordergrund. Dieser liegt 369 Vgl. SächsVerfGH, DVBl. 1996, 1423 (1443); Schenke, DVBl. 1996, 1393 (1395 f.). 370 Zur verfassungsrechtlichen Begründung finden sich in Rechtsprechung und Literatur verschiedene Ansätze. Siehe zu den unterschiedlichen Auffassungen Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 30, Rdnr. 5; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 294 ff.; Schoch, VerwArch. 79 (1988), 1 (34 f.); BVerwGE 82, 76 (95). 371 Schenke, DVBl. 1996, 1393 (1396). 372 Siehe dazu oben 2.b).

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

darin, das gesamte Geschehen vorsorglich aufzuzeichnen, um bei nachträglich eingehenden Strafanzeigen oder aufgrund anderer Hinweise oder eigenen Beobachtungen trotz Überwachung erfolgte Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten zu rekonstruieren und aufzuklären, Täter zu identifizieren und Beweise für Straf- oder Bußgeldverfahren zu erhalten. Es gilt hier damit, die vorsorglich erhobenen persönlichen Informationen dahingehend auszuwerten, ob sie für ein anschließendes Straf- oder Bußgeldverfahren benötigt werden. Entsprechendes gilt für die landesrechtlichen Regelungen, die Aufzeichnungen nur bei Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten vorsehen. Auch hier ist nach der damit verbundenen Datenerhebung zu prüfen, ob diese Daten tatsächlich für eine sich gegebenenfalls anschließende Strafverfolgung relevant sind. Ist eine solche Zweckänderung auszuschließen, besteht kein Anlaß diese weiter aufzubewahren, da sie zu den der Erhebung zugrunde liegenden Zwecken nicht mehr benötigt werden373. Es besteht dann die Pflicht zur Löschung der Aufzeichnungen. Alle landesrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen zur polizeilichen Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte enthalten dementsprechende Bestimmungen darüber, zu welchen Zwecken Videobilder von Personen aufgezeichnet werden dürfen374 sowie in welchen Fällen eine Zweckänderung erfolgen darf. Letztere ist nur in begrenzten Fällen zulässig. Je nach Landesregelung gehört dazu die weitere Verwendung zur Verfolgung von Straftaten von erheblicher Bedeutung, Straftaten allgemein oder auch von Ordnungswidrigkeiten bzw. Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung375. Verbunden mit diesen Regelungen über die Verwendungszwecke sind Regelungen über die Löschung bzw. Aufbewahrungsdauer der gespeicherten Bilder. Alle landesrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen, außer § 32 III MVSOG und § 184 III LVwG SH, enthalten diesbezüglich spezielle Regelungen. Mit einigen Unterschieden im Einzelnen376 sehen diese die Löschung aller Bildaufzeichnungen nach einem festgeschriebenen Zeitraum vor, soweit diese nicht weiter zu den genannten Zwecken der Straftatoder Ordnungswidrigkeitenverfolgung benötigt werden. Die Frist zur Prü373

Vgl. Koch, S. 229. Unterschiede bestehen hier insbesondere zwischen den Regelungen, die eine permanente Bildaufzeichnung zulassen und denen, die nur bei Anhaltspunkten für die Begehung einer Straftat Bildaufzeichnungen der sich verdächtig verhaltenden Person erlauben. Vgl. oben Kapitel 8, B.II.1. zu den Einzelheiten. 375 Zu den unterschiedlichen Regelungen im einzelnen siehe oben Kapitel 8, B.II.2. 376 Dazu oben Kapitel 8, B.II.2. Unterschiede bestehen insbesondere bei der Löschungsfrist sowie bei den Bestimmungen über die zulässigen Zweckänderungen. 374

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fung, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen einer solchen Zweckänderung vorliegen und ob die Daten zu diesem anderen Zweck genutzt werden sollen, wurde von den einzelnen Landesgesetzgebern allerdings sehr unterschiedlich bemessen. Sie variiert von „unverzüglich“ bis zu zwei Monaten. Es erscheint erstaunlich, daß hier eine solch unterschiedliche Bewertung dessen vorgenommen wird, welche Zeitspanne die Polizei- und Ordnungsbehörden zu dieser Prüfung benötigen. Genügt etwa in Baden-Württemberg aufgrund polizeilicher Erfahrung ein Zeitraum von 48 Stunden, um zum Beispiel Straftäter zu identifizieren oder um nachträglich angezeigte Straftaten rekonstruieren zu können377, so ist fraglich, warum hierzu in anderen Bundesländern eine Frist von 2 Monaten erforderlich sein soll. Wegen der Notwendigkeit des Abstellens auf Erfahrungswerte ist hier allerdings den Landesgesetzgebern ein Spielraum bei der Bemessung dieser Prüffrist zuzugestehen. Keine Bestimmung über die Löschung der durch Videoaufzeichnungen gewonnenen personenbezogenen Daten enthalten § 32 III MVSOG und § 184 III LVwG SH. Hier ist daher auf die allgemeine Regelung über die Löschung von Daten in § 45 II MVSOG bzw. § 196 II LVwG SH zurückzugreifen. Danach sind unter anderem solche Daten zu löschen, die zu dem Zweck, zu dem sie erhoben wurden, nicht mehr benötigt werden. Zur Prüfung, ob die weitere Aufbewahrung von Daten nötig ist, sehen § 46 MVSOG sowie § 196 III LVwG SH eine Frist von längstens 5 Jahren vor. Sowohl § 32 III MVSOG als auch § 184 III LVwG SH gehören zu der Gruppe von Ermächtigungsnormen, die eine Bildaufzeichnung nur im Einzelfall zulassen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten von erheblicher Bedeutung bestehen. Damit besteht hier nur eine sehr eingeschränkte Möglichkeit zu Bildaufzeichnungen. Dennoch existiert auch hier die Pflicht zur schnellstmöglichen Überprüfung, ob diese Aufzeichnungen tatsächlich zu einer Strafverfolgung benötigt bzw. zu dieser genutzt werden sollen, wie dies auch in den entsprechenden Ermächtigungsnormen der anderen Bundesländer vorgesehen ist. Die allgemeine Überprüfungsfrist von 5 Jahren ist aufgrund der Intensität der hier vorliegenden Grundrechtsbeeinträchtigung als deutlich zu lang anzusehen. Diese beiden Vorschriften bedürfen daher einer entsprechenden verfassungskonformen Auslegung. Von dieser Löschungspflicht umfaßt ist nicht nur die Pflicht zur Löschung der Videoaufzeichnungen, sondern auch die Vernichtung der daraus gefertigten Unterlagen. Anderenfalls würde diese Schutzvorschrift leerlaufen378. 377

Belz/Mußmann, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, § 21, Rdnr. 54.

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

Eine Besonderheit bei den Zweckbestimmungen einer weiteren Aufbewahrung von Bildaufzeichnungen enthalten § 21 IV S. 2 i.V. m. S. 1 BWPolG sowie § 38 III SächsPolG. Nach diesen Regelungen ist eine Löschung von Bildaufzeichnungen auch dann nicht geboten, wenn eine weitere Aufbewahrung zum Schutz privater Rechte erforderlich ist, insbesondere zur Behebung einer bestehenden Beweisnot. In diesem Fall ist eine weitere Speicherung nach Maßgabe des § 2 II BWPolG bzw. SächsPolG zulässig. Dies bedeutet, daß ein Antrag des zivilrechtlich Berechtigten erfolgen muß, gerichtliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist und ohne polizeiliche Hilfe die Gefahr bestünde, daß die Verwirklichung dieses Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert wird379. Diese Vorschriften erscheinen jedoch fragwürdig380. In dieser Situation ist eine weitere polizeiliche Speicherung der Daten nicht geboten381, sondern es besteht allenfalls ein Interesse an einer Übermittlung der Daten an den zivilrechtlich Berechtigten382. bb) Benachrichtigungspflicht gegenüber dem Betroffenen Als weitere verfahrensrechtliche Schutzvorschriften finden sich in § 32 III i.V. m. § 34 V, VI MVSOG, § 184 III i.V. m. § 186 IV, V LVwG SH und § 15 a III NWPolG Benachrichtigungspflichten gegenüber Betroffenen383. Die nordrhein-westfälische Regelung sieht eine Benachrichtigung dann vor, wenn aufgezeichnete Daten einer bestimmten Person zugeordnet und verarbeitet werden. § 32 III S. 3 MVSOG ordnet die Unterrichtung der Betroffenen nach Abschluß der Maßnahme an, wobei hier der Zusammenhang zu S. 2 dieser Norm zu beachten ist, worin die Befugnis zu Bildaufzeichnungen im Einzelfall384 eingeräumt wird, sowie der Verweis auf die §§ 33 II und 34 V, VI MVSOG. Aus diesen Normen ergibt sich, daß von der Videoüberwachung Betroffene, von denen Aufzeichnungen mit personenbezogenen Daten erstellt wurden, nach Abschluß der Maßnahme zu unterrichten sind, sobald dies ohne Gefährdung des Zwecks der Maßnahme möglich ist. 378 Vgl. für Baden-Württemberg Belz/Mußmann, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, § 21, Rdnr. 55, 46. 379 Vgl. Belz/Mußmann, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, § 21, Rdnr. 49. 380 Vgl. die kritischen Anmerkungen bei Fischer, VBlBW 2002, 89 (94); Belz/ Mußmann, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, § 21, Rdnr. 49. Fischer weist darüber hinaus auf die praktische Bedeutungslosigkeit dieser Regelung hin. 381 Fischer, VBlBW 2002, 89 (94); Belz/Mußmann, Polizeigesetz für BadenWürttemberg, § 21, Rdnr. 49. 382 Belz/Mußmann, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, § 21, Rdnr. 49. 383 Siehe schon oben Kapitel 8, B.II.3. 384 Zu den Einzelheiten siehe oben Kapitel 8, B.II.3.

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Entsprechendes ergibt sich für Schleswig-Holstein aus § 184 III S. 3 i.V. m. § 186 IV, V LVwG SH. In allen diesen drei Bundesländern sind Ausnahmen zu den Benachrichtigungspflichten vorgesehen. Nach § 15 a III NWPolG kann von einer Benachrichtigung abgesehen werden, solange das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung das Benachrichtigungsrecht der betroffenen Person erheblich überwiegt. Auch in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein kann nach § 32 III i.V. m. § 34 VI S. 2 MVSOG bzw. § 184 III S. 3 i.V. m. § 186 V S. 2 LVwG SH eine Unterrichtung des Betroffenen unterbleiben, wenn sich an den auslösenden Sachverhalt ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die betroffene Person anschließt. Werden die Aufzeichnungen mit personenbezogenen Daten unverzüglich nach Beendigung der Maßnahme vernichtet, ist ebenfalls eine Unterrichtung nicht geboten (§ 34 IV S. 1 MVSOG bzw. § 186 V S. 1 LVwG SH). Entsprechende Benachrichtigungspflichten finden sich in keiner der anderen landesrechtlichen Vorschriften zur polizeilichen Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte. Die nordrhein-westfälische, mecklenburg-vorpommersche und schleswig-holsteinische Regelungen erscheinen auch insofern ungewöhnlich, als Benachrichtigungspflichten in den verschiedenen Polizeigesetzen grundsätzlich nur bei verdeckten Informationserhebungen durch die Polizei vorgesehen sind385. Bei solchen ist aus Gründen eines effektiven Rechtsschutzes gem. Art. 19 IV GG und zur Effektivierung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung eine nachträgliche Offenlegung erforderlich386. Denn zum einen fehlt heimlichen Polizeimaßnahmen im Gegensatz zu offenen Maßnahmen mangels Bemerkbarkeit durch den Betroffenen ein Rechtsschutzinitiativeffekt387, der durch die spätere Benachrichtigung kompensiert werden muß. Zum anderen steht die verdeckte polizeiliche Informationstätigkeit in besonderem Konflikt zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 I i.V. m. 1 I GG, da der Betroffene von dieser nichts merkt und damit nicht wissen kann, welche Informationen über ihn gesammelt wurden. Wie es im Volkszählungsurteil aber heißt, wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß, mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht vereinbar388. Durch nachträgliche Benachrich385

§ 32 III MVSOG und § 184 III LVwG SH lassen allerdings auch verdeckte Videoüberwachungen zu. Das Vorsehen einer Benachrichtigungspflicht erfolgt dort wohl aus diesem Grund. 386 Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht in Baden-Württemberg, Rdnr. 694; Deutsch, S. 18 ff. 387 Deutsch, S. 19 f. 388 BVerfGE 65, 1 (43).

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

tigungen bei verdeckten Informationserhebungen kann diese Informationsunsicherheit beseitigt und damit das Recht auf informationelle Selbstbestimmung effektiviert werden. Die nachträgliche Benachrichtigung dient daher dem Ausgleich der Beeinträchtigungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und des effektiven Rechtsschutzes, die sich aus der Unbemerkbarkeit der verdeckten Polizeimaßnahmen für den Betroffenen ergeben. Die hier untersuchten polizeilichen Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte haben jedoch immer offen zu erfolgen389, so daß jeder grundsätzlich die Überwachung seiner Person durch Videobildübertragung bemerken kann. Die Statuierung einer Benachrichtigungspflicht bei Videoüberwachungen als offener Maßnahme erscheint daher an sich nicht erforderlich. Es muß jedoch beachtet werden, daß von einer Videoüberwachung Betroffene aufgrund sichtbarer Kameras oder Hinweisschilder allein die Tatsache der Durchführung dieser Maßnahme erkennen können, nicht aber, ob sie nur einer reinen Bildaufnahme (als Übersichtsaufnahme oder schon als Detailaufnahme der eigenen Person) ausgesetzt sind oder ob gerade auch Aufzeichnungen ihrer Person angefertigt werden. Auch in den Bundesländern, die eine permanente Videoaufzeichnung gestatten, kann ein Betroffener nicht wissen, ob eine Detailaufzeichnung seiner Person oder lediglich eine schwächer eingreifende Übersichtsaufnahme erfolgt oder ob eine solche sodann hinsichtlich seiner Person ausgewertet wird. Selbst offen durchgeführte Videoüberwachungen zeigen daher in ihrer Teilmaßnahme der Videoaufzeichnung wegen der ungewissen Tiefe des Eingriffs Parallelen zu verdeckten Polizeimaßnahmen. Aus diesem Grund eine Benachrichtigungspflicht bezüglich aller von dieser Maßnahme Betroffenen zu fordern, wäre jedoch im Hinblick auf die Wahrung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung widersinnig. Denn von der Maßnahme der polizeilichen Videoüberwachung betroffen sind zunächst unbekannte Personen, deren Identifizierung in den meisten Fällen auch nicht erfolgt und deren durch Videoaufzeichnungen gespeicherte Bildnisse nach der festgelegten Höchstspeicherungsdauer wieder gelöscht werden. Eine Benachrichtigungspflicht würde hier bedeuten, daß doch eine Identifizierung dieser Personen erfolgen müßte, welche den Grundrechtseingriff jedoch noch vertiefen würde390. 389 Die Offenheit der Videoüberwachungsmaßnahme ist entweder ausdrücklich in den speziellen Ermächtigungsgrundlagen angeordnet (so auch in Nordrhein-Westfalen) oder ist in diese im Wege der verfassungskonformen Auslegung zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips hineinzulesen (so in Mecklenburg-Vorpommern). Siehe auch oben Kapitel 8, B.II.4. sowie Kapitel 9, B.II.2.b).

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Anderes gilt jedoch für die Benachrichtigung der Personen, deren personenbezogene Informationen durch Bildaufzeichnungen gespeichert wurden und die von der Polizei identifiziert wurden. Wegen der Unbemerkbarkeit dieser Teilmaßnahme für die Betroffenen ist hier die nachträgliche Unterrichtung dieser Personen, wie dies § 15 a III NWPolG, § 32 III i.V. m. §§ 33 II, 34 V, VI MVSOG und § 184 III i.V. m. § 186 IV, V LVwG SH vorsehen, zur Effektivierung ihres Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes erforderlich. Die Benachrichtigung hat in diesem Fall zu erfolgen, sobald dies ohne Gefährdung des Zwecks der Maßnahme möglich ist. Ausnahmen von dieser Benachrichtigungspflicht sind jedoch möglich. Von einer Benachrichtigung kann dann abgesehen werden, wie dies auch § 32 III i.V. m. § 34 VI S. 2 MVSOG und § 184 III i.V. m. § 186 V S. 2 LVwG SH regeln, wenn sich an die Auswertung des Bildmaterials hinsichtlich einer konkreten Person ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen diese anschließt391. In diesen Fällen überwiegt das öffentliche Interesse an der Ermöglichung nachfolgender Strafverfolgungsmaßnahmen und an einer effektiven Kriminalitätsbekämpfung gegenüber dem Recht des Betroffenen auf Unterrichtung392. Ebenfalls nicht zu beanstanden ist eine Ausnahmeregelung, nach der nach Ablauf von mehr als fünf Jahren seit Beendigung der Maßnahme von einer Unterrichtung abgesehen werden kann, soweit für die hierdurch entstehende Beeinträchtigung der Rechtsschutzgarantie eine verwaltungsinterne Kontrollmöglichkeit geschaffen wurde, wie etwa die Benachrichtigung des Landesbeauftragten für den Datenschutz (vgl. § 34 V MVSOG, § 186 IV LVwG SH)393. cc) Unterrichtung des Landesdatenschutzbeauftragten Die Einhaltung der Datenschutzvorschriften durch die Polizeibehörden bei Datenerhebung und -verarbeitung im Rahmen der polizeilichen Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte unterliegt der allgemeinen Kontrolle durch die unabhängigen Landesbeauftragten für den Datenschutz, wie sie die Landesdatenschutzgesetze vorsehen394. 390

Auch rein praktische Gesichtspunkte würden einer solchen allgemeinen Benachrichtigungspflicht im Wege stehen, wegen des enormen Aufwandes der Identifizierung aller aufgezeichneten Personen. 391 Für das weitere Vorgehen gelten dann die strafverfahrensrechtlichen Regelungen. 392 Koch, S. 202. 393 Koch, S. 202 f.

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

§ 33 III S. 4 ThürPAG sieht ausdrücklich eine Unterrichtung des Landesbeauftragten für den Datenschutz schon nach der gem. § 33 III S. 3 ThürPAG erforderlichen Zustimmung zur Videoüberwachung durch das für die Polizei zuständige Ministerium vor. Hierdurch wird die Kontrollmöglichkeit durch den unabhängigen Landesdatenschutzbeauftragten effektiviert. Diese Kontrolle ist von besonderer Bedeutung, da die konkrete Datenerhebung, -speicherung und -verwendung dem Einblick der Betroffenen entzogen ist, und damit die Wahrnehmung von Rechtsschutzmöglichkeiten gegen diese Grundrechtseingriffe weitgehend ausgeschlossen ist, soweit nicht, wie oben unter (2) beschrieben, eine Benachrichtigung der Betroffenen erfolgt. c) Erfolgs-/Wirksamkeitskontrolle Gem. § 31 III S. 6 BbgPolG ist nach einer Aufbau- und Erprobungsphase von 5 Jahren der Landesregierung ein umfassender Bericht über den Einsatz und die Auswirkungen der Maßnahme zu erstatten, um eine Entscheidungsgrundlage für den Landtag über den Fortbestand der Regelung zu schaffen. Eine solche Erfolgs-/Wirksamkeitskontrolle bei Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte ist insbesondere sinnvoll wegen der Schwierigkeiten einer ex-ante Beurteilung der Effektivität dieser Maßnahme. So haben sich, wie schon in Kapitel 2 beschrieben395, die Erfolge der Videoüberwachung in verschiedenen Städten sehr unterschiedlich gezeigt. Stellen sich die von dieser Maßnahme erhofften Erfolge nicht ein, was erst nach einer Langzeitbetrachtung festgestellt werden kann, so wird die Verhältnismäßigkeit (Geeignetheit)396 dieser grundrechtseingreifenden Polizeimaßnahme in Frage gestellt. Eine Gesetzesfolgenanalyse durch Evaluations- und Berichtspflichten kann daher zu einer im Interesse des Freiheitsschutzes liegenden Rationalisierung polizeilichen Handelns führen397. Ist die Erfolgs-/Wirksamkeitskontrolle polizeilicher Videoüberwachungsmaßnahmen aus den genannten Gründen zwar sinnvoll, so ist sie dennoch nicht verfassungsrechtlich geboten398. Im Grundgesetz vorgeschrieben ist 394 Siehe dazu allgemein Bäumler, in: Lisken/Denninger, HbdPolR, J, Rdnr. 98 ff.; Riegel, DuD 1988, 277 ff. 395 Siehe oben Kapitel 2, E. 396 Vgl. oben 2.b). 397 Höfling, in: Möller/v. Zezschwitz (Hrsg.), Videoüberwachung – Wohltat oder Plage?, 2000, 29 (42). Auch Trute, DV 1999, 73 (93). 398 Höfling, in: Möller/v. Zezschwitz (Hrsg.), Videoüberwachung – Wohltat oder Plage?, 2000, 29 (42).

B. Verfassungsmäßigkeit der speziellen Ermächtigungsgrundlagen

235

eine Berichtspflicht an die Parlamente in Art. 13 VI GG für das spezifische Schutzgut „Wohnung“, in Anlehnung an die amerikanischen „Wire-Tap-Reports“399. Diese parlamentarische Kontrolle wird dort wegen der Gewichtigkeit dieses Schutzgutes und der besonderen Intensität des Grundrechtseingriffes durch Wohnraumüberwachungen mit technischen Mitteln als verfassungsrechtlich geboten angesehen400. Polizeiliche Videoüberwachung im öffentlichen Raum steht dagegen sowohl in der Eingriffsintensität sowie in der Gewichtigkeit des dort betroffenen Schutzguts, des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, dahinter zurück. In diesem Fall kann eine Berichtspflicht über Einsatz und Auswirkung der Maßnahme nicht als verfassungsrechtlich zwingend angesehen werden. Sinnvoll sind Berichtspflichten zu einem effektiven Grundrechtsschutz auch aus dem Grund, daß durch sie Transparenz bei solchen polizeilichen Maßnahmen geschaffen werden kann, die dem Einblick der Betroffenen entzogen sind und bei denen daher eine externe Kontrolle, insbesondere durch die Wahrnehmung von Rechtsschutzmöglichkeiten, weitgehend ausgeschlossen ist. Weiterhin kann durch eine Berichtspflicht einem extensiven Gebrauch grundrechtsintensiver Überwachungsmaßnahmen entgegengewirkt werden. Durch die Einbindung einer Maßnahme in Verfahrensvorschriften, wie Berichtspflichten aber auch etwa Behördenleiter- oder Ministervorbehalte, wird mit dieser Maßnahme ein größerer bürokratischer Aufwand verbunden, welcher die Polizeibehörden weitgehend davon abhält, extensiv von diesen Überwachungsmaßnahmen Gebrauch zu machen. Dies gilt etwa für die oben erwähnten Abhörmaßnahmen von Wohnungen, dem sog. „Großen Lauschangriff“, in Deutschland wie auch in den USA401. Diese Argumentation läßt sich aber auch auf polizeiliche Videoüberwachungen des öffentlichen Raumes übertragen. Durch diese sind aufgrund der technischen Möglichkeiten des Heranzoomens und der Datenspeicherung keine geringen Gefahren für die Grundrechte potentiell Betroffener verbunden, zudem ist der tatsächliche Einsatz dieser Möglichkeiten einem Einblick der Öffentlichkeit entzogen. Aus diesen Gründen wurde bereits die Erforderlichkeit einer Kontrollmöglichkeit durch unabhängige Datenschutzbeauftragte begründet. Hier ist es darüber hinaus ebenso sinnvoll, einen effektiven Grundrechtsschutz durch eine Berichtspflicht zu sichern. Ein vergleichender Blick auf die amerikanischen Regelungen zu polizeilichen Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte zeigt, daß auch dort, nach den District of Columbia Municipal Regulations, diese Maß399 Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar, Band 1, Art. 13, Rdnr. 51. Vgl. zu den „Wire-Tap-Reports“ ferner Raum/Palm, JZ 1994, 447 (449). 400 Gornig, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner Grundgesetz, Bd. 1, Art. 13, Rdnr. 147. 401 Vgl. Raum/Palm, JZ 1994, 447 (449).

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

nahme durch regelmäßige Informationen der Öffentlichkeit über den neuesten Stand der CCTV-Überwachung sowie durch jährliche Berichte über eingerichtete CCTV-Systeme und ihre Anwendung transparent gemacht werden soll402. d) Zusammenfassung und Beurteilung des bestehenden Schutzniveaus In den Ermächtigungsgrundlagen zur polizeilichen Videoüberwachung sind, gegebenenfalls nach verfassungskonformer Auslegung, ausreichend verfahrensrechtliche Schutzvorschriften zur Kontrolle der Einrichtung sowie der Durchführung der Videoüberwachung im Sinne eines effektiven Grundrechtsschutzes enthalten. Zu diesen zählen im Bereich der Kontrolle der Entscheidung über die Einrichtung einer Videoüberwachungsanlage die vorherige Anhörung der quantitativ besonders betroffenen Bürger sowie die Pflicht zur Dokumentation der polizei- oder ordnungsbehördlichen Entscheidungsgründe zur Effektivierung der nachträglichen, gerichtlichen Kontrolle im Rahmen einer allgemeinen Leistungsklage. Ein besonderes Schutzniveau wird in Thüringen, Brandenburg und Bremen durch die Verlagerung der Entscheidungskompetenz auf Behördenleiter- und bzw. oder Ministerebene errichtet. Besonders das Erfordernis der ministeriellen Anordnung oder Zustimmung erscheint wegen der besonderen gesellschaftspolitischen Auswirkungen der Videoüberwachung sinnvoll, ist jedoch nicht verfassungsrechtlich zwingend. Ähnliches gilt für behördeninterne Vorabkontrollen durch Datenschutzbeauftragte. Notwendige verfahrensrechtliche Schutzvorkehrungen im Bereich der Durchführung von Videoüberwachungen sind zum einen Bestimmungen über die Zweckbindung und Zweckänderung rechtmäßig erhobener Daten sowie über die Pflicht zur Löschung nicht mehr benötigter Daten nach einer angemessenen Prüffrist. Zum anderen hat eine Benachrichtigung zu erfolgen, wenn aufgezeichnete Daten einer bestimmten Person zugeordnet und verarbeitet wurden und ein öffentliches Interesse an der Ermöglichung nachfolgender Strafverfolgungsmaßnahmen und an einer effektiven Kriminalitätsbekämpfung das individuelle Recht auf Unterrichtung nicht überwiegt. Weiterhin unterliegt die Einhaltung der Datenschutzvorschriften der Kontrolle der unabhängigen Landesdatenschutzbeauftragten. Eine Erfolgs-/Wirksamkeitskontrolle der Videoüberwachung mit einer Berichtspflicht gegenüber den Landtagen ist sinnvoll, aber verfassungsrechtlich nicht geboten.

402

Vgl. oben Kapitel 7, B.

C. Andere Ermächtigungsgrundlagen

237

4. Zwischenergebnis Die untersuchten speziellen Ermächtigungsgrundlagen zu polizeilichen Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte sind damit, mit Ausnahme der §§ 184 I S. 1 LVwG SH, 32 III S. 1 MVSOG sowie 32 III S. 1 NGefAG mangels Bestimmtheit dieser Normen, auch materiell verfassungsmäßig, bedürfen jedoch teilweise einer verfassungskonformen Auslegung. Aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ergeben sich die Voraussetzungen, daß Videoüberwachungen in der Weise durchzuführen sind, daß grundsätzlich eine Beobachtung mittels Übertragung bloßer Übersichtsbilder stattfindet, die allerdings, je nach Landesregelung, auch aufgezeichnet werden können. Eine Nahaufnahme durch Heranzoomen einer konkreten Person ist erst bei Vorliegen von Anhaltspunkten für das Bestehen einer konkreten Gefahr zulässig. Weiterhin ist Voraussetzung, daß es sich bei dem Ort der Überwachung um einen sog. Kriminalitätsschwerpunkt handelt. Es muß sich dabei um einen Ort handeln, an dem eine überdurchschnittlich hohe Kriminalitätsbelastung besteht. Je geringer die Wertigkeit der dadurch gefährdeten Rechtsgüter ist, desto höher sind die Anforderungen an die Quantität der begangenen und aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte weiter zu erwartender Delikte zu stellen. Dies ist insbesondere zu beachten, wenn, wie nach Art. 32 II Nr. 3 BayPAG, Videoüberwachungen zur Verhütung von Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung eingesetzt werden sollen. Videoüberwachungen zur Verhütung anderer Ordnungswidrigkeiten oder allein zum Schutz der öffentlichen Ordnung sind unverhältnismäßig. Videoüberwachungen zur Kriminalprävention sind immer offen durchzuführen. Hierzu sind deutlich sichtbare Hinweistafeln aufzustellen. Darüber hinaus sind zu einem effektiven Grundrechtsschutz die soeben oben dargestellten notwendigen verfahrens- und organisationsrechtlichen Schutzvorschriften zu beachten.

C. Andere Ermächtigungsgrundlagen I. Polizeiliche Datenerhebungsgeneralklausel und § 100 c I Nr. 1 a StPO In den Bundesländern, die bislang keine spezielle Ermächtigungsgrundlage zur polizeilichen Videoüberwachung geschaffen haben (welche zur Zeit nur noch Berlin, Hamburg und Rheinland-Pfalz sind), könnte erwogen werden, eine Beobachtung mittels Videobildübertragung von öffentlich zugänglichen Orten auf die polizeiliche Datenerhebungsgeneralklausel (die

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

polizeiliche Generalklausel scheidet mangels konkreter Gefahr als Ermächtigungsgrundlage aus) zu stützen403 und eine Bildaufzeichnung zur Feststellung einer bestimmten Straftat auf § 100 c I Nr. 1 a StPO404. Wie schon die Untersuchung der speziellen Ermächtigungsgrundlagen gezeigt hat, sind an diese aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip einige Anforderungen zu stellen. Zusammen mit dem Bestimmtheitsgrundsatz und dem grundrechtlichen Gesetzesvorbehalt ergibt sich daraus, das die polizeiliche Generalklausel über die Datenerhebung als Legitimation von Beobachtungen mittels Bildübertragung nicht ausreicht405. Wie es Höfling formuliert, sind, wenn und soweit das Übermaßverbot auch Geltung gegenüber dem grundrechtsbegrenzenden Gesetzgeber beansprucht, in einem „Abwägungsgesetz“ die zur Rechtfertigung für die Grundrechtsbeeinträchtigung ins Auge gefaßten „Gegengründe“ in einer Weise zu benennen, die eine einigermaßen rationale Abwägung ermöglichen406. Nur so lasse sich die Kontrollfunktion der grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte realisieren407.

II. Datenschutzgesetzliche Ermächtigung zur Videoüberwachung In Berlin und Rheinland-Pfalz finden sich in § 31 b BerlDSG bzw. § 34 RhPfDSG Ermächtigungen zur Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung). Eine solche ist dort nur zulässig, soweit sie zur Aufgabenerfüllung oder zur Wahrnehmung des Hausrechts erforderlich ist und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, daß schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen (§ 31 b I BerlDSG, § 34 I RhPfDSG). Der Umstand der Beobachtung und die verantwortliche Stelle sind durch geeignete Maßnahmen erkennbar zu machen (§ 31 b II BerlDSG, § 34 II RhPfDSG). Die Verarbeitung der durch die Videoüberwachung erhobenen Daten ist zulässig, wenn sie zum Erreichen des verfolgten Zweckes erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, daß schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen. Für einen anderen Zweck dürfen sie nur verarbeitet werden, soweit dies zur Abwehr von 403 Vgl. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 513 d; Hasse, ThürVBl. 2000, 169 (173), 197 (197 ff.). 404 Müller, Die Polizei 1997, 77 (78); Keller, Kriminalistik 2000, 187 (190); Wohlfarth, RDV 2000, 101 (104 f.). 405 Höfling, in: Möller/v. Zezschwitz (Hrsg.), Videoüberwachung – Wohltat oder Plage?, 29 (39); kritisch zu diesem Ansatz auch Fischer, VBlBW 2002, 89 (93). 406 Höfling, in: Möller/v. Zezschwitz (Hrsg.), Videoüberwachung – Wohltat oder Plage?, 29 (39). 407 Höfling, in: Möller/v. Zezschwitz (Hrsg.), Videoüberwachung – Wohltat oder Plage?, 29 (39).

D. Verhältnismäßigkeitsprinzip

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Gefahren für die staatliche und öffentliche Sicherheit sowie zur Verfolgung von Straftaten erforderlich ist (§ 31 b III BerlDSG, § 34 III RhPfDSG). Bei Zuordnung der erhobenen Daten zu einer bestimmten Person ist diese zu benachrichtigen, wobei jedoch Ausnahmen möglich sind, insbesondere dann, wenn eine Abwägung ergibt, daß das Benachrichtigungsrecht des Betroffenen hinter dem öffentlichen Interesse der Geheimhaltung aus zwingenden Gründen zurücktreten muß (§ 31 b IV BerlDSG, § 34 IV i.V. m. § 18 RhPfDSG). Die Daten sind unverzüglich zu löschen, wenn sie zur Erreichung des Zwecks nicht mehr erforderlich sind oder schutzwürdige Interessen der Betroffenen einer weiteren Verarbeitung entgegenstehen (§ 31 b V BerlDSG, § 34 V RhPfDSG). Da in diesen beiden Bundesländern keine spezielle, die datenschutzrechtliche Vorschrift verdrängende Ermächtigung zu polizeilicher Videoüberwachung in den Polizeigesetzen (BerlASOG bzw. RhPfPolG) besteht, könnte erwogen werden, § 31 b BerlDSG bzw. § 34 RhPfDSG als Ermächtigungsgrundlage hierzu heranzuziehen. Die Videoüberwachung zur Gefahrenabwehr und Gefahrenvorsorge kann unter die Beobachtung mit optisch-elektronischen Einrichtungen zur (polizeilichen) Aufgabenerfüllung subsumiert werden. Allerdings ist zu beachten, daß sowohl § 31 b BerlDSG als auch § 34 RhPfDSG nur die Überwachung öffentlich zugänglicher „Räume“ regeln. Nicht erfaßt werden dagegen auch die öffentlich zugänglichen „Flächen“ oder allgemein alle öffentlich zugänglichen „Orte“. Eine Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze kann daher nicht auf diese Vorschriften gestützt werden.

D. Verhältnismäßigkeitsprinzip In Art. 2 I i.V. m. 1 I GG eingreifende polizeiliche Videoüberwachungen müssen, um verfassungsrechtlich gerechtfertigt zu sein, das Verhältnismäßigkeitsprinzip beachten. Dies ist zu bejahen, wenn die konkrete Maßnahme sich im Rahmen des durch die verfassungsgemäße (ggf. verfassungskonform interpretierte) Ermächtigungsnorm geregelten typischen Falls hält, dessen Voraussetzungen oben eingehend erörtert wurden. Zu bemerken bleibt zum einen, daß das Erfordernis der strikten räumlichen Beschränkung von Videoüberwachungen auf öffentlich zugängliche Kriminalitätsschwerpunkte auch bei der Ausrichtung der Kameras zu beachten ist408. Im Sichtbereich einer Kamera und ihres Zooms darf allein ein solcher durch die Öffentlichkeit nutzbarer Ort liegen. Ein „Eindringen“ in einen speziell geschützten Freiheitsraum ist hinsichtlich Art. 2 I i.V. m. 1 I 408

Fischer, VBlBW 2002, 89 (94).

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Kap. 9: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Eingriffe

GG, ggf. sogar auch hinsichtlich Art. 13 GG unzulässig409. So darf im durch eine Kamera und Zoom beobachtbaren Bereich etwa kein Gebäude liegen, bei dem ein besonderes Interesse des einzelnen an einem unbeobachteten Betreten angenommen werden kann410. Was dann der Fall ist, wenn von diesem Betreten oder Verlassen einer Örtlichkeit sowie der Verweildauer Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Beobachteten möglich sind und dadurch personenbezogene Informationen gewonnen werden können, die nicht für die Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit bestimmt waren und daher einer stärker geschützten Sphäre des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts als der Sozialsphäre zuzuordnen sind. Zu denken ist in diesem Zusammenhang etwa an die Beobachtung des Eingangsbereichs von Drogen- oder Aids-Beratungsstellen411, bestimmter medizinischer oder psychologischer Einrichtungen, Pfand- oder Leihhäuser412 oder auch Etablissements des erotischen Gewerbes413. Des weiteren dürfen die technischen Möglichkeiten der Kamerasysteme, wie insbesondere die Möglichkeit des Heranzoomens auch weit entfernter Objekte414, nicht zur Beobachtung von Objekten außerhalb des zu überwachenden Kriminalitätsschwerpunktes eingesetzt werden. Zum anderen muß besonders darauf geachtet werden, daß die Beobachtungsmöglichkeiten durch zoomfähige Kameras nicht aus voyeuristischen Motiven heraus mißbraucht werden. Nahaufnahmen von Personen dürfen erst bei Vorliegen einer konkreten Gefahr erfolgen415. Eindeutig rechtswidrig ist ein solches gezieltes Beobachten allein zur Unterhaltung oder Belustigung der beobachtenden Beamten. Dadurch werden die Beobachteten zu einem Objekt degradiert, womit sogar die Annahme eines Verstoßes gegen die Menschenwürdevorschrift des Art. 1 I GG nicht fernliegt416. Der Ausschluß solch rechtswidriger Anwendung einer polizeilichen Maßnahme ist an sich eine Selbstverständlichkeit. Die Praxis der Videoüberwachung in Großbritannien hat allerdings gezeigt, daß diese Maßnahme besonders anfällig für einen Mißbrauch ist. So soll dort die Auswahl von bis zu 10% 409

Fischer, VBlBW 2002, 89 (94). Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (208, Fn. 70). 411 Fischer, VBlBW 2002, 89 (94). 412 Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (208, Fn. 70). 413 Fischer, VBlBW 2002, 89 (94); Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (208, Fn. 70). 414 Als Beispiel kann hier etwa die Videoüberwachung in Mannheim angeführt werden: Dort findet eine Videoüberwachung des Paradeplatzes statt. Mit den dort installierten Kameras ist es technisch aber auch möglich, zu beobachten, wer sich auf dem Balkon des einige hundert Meter entfernten Schlosses aufhält. 415 Zu dieser Voraussetzung siehe oben 2.c). 416 Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (85). 410

D. Verhältnismäßigkeitsprinzip

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der gewählten Bildsubjekte voyeuristisch motiviert sein417. Ähnliche Bedenken bestehen auch in den USA und können auch für Deutschland nicht ausgeschlossen werden418. Es ist daher zu fordern, daß Schutzvorkehrungen gegen einen Mißbrauch geschaffen werden. Diese könnten etwa in organisatorischen Regelungen über den Personaleinsatz bestehen, wie etwa den gemeinsamen Einsatz von männlichen und weiblichen Beamten am Monitor419. Weiterhin ist bei jedem Einsatz neuer technischer Verfahren zur Unterstützung der Polizeiarbeit bei Videoüberwachungen die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips besonders zu überprüfen. Dies gilt etwa für einen Einsatz „intelligenter“ Kamerasysteme, die mittels biometrischer Verfahren selbständig verdächtiges und unverdächtiges Verhalten unterscheiden können und damit eine ständige Beobachtung der Monitore durch Beamte obsolet werden lassen können. Eine permanente, rein maschinelle Videoüberwachung droht jedoch den anlaßlos beobachteten Menschen zu einem bloßen Objekt zu degradieren, womit der Konflikt mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1 I GG aufgezeigt ist420. Auch tritt bei solch einem Verfahren der Aspekt der Kriminalprävention in den Hintergrund, da es hier in erster Linie auf die Erkennung von Straftätern und damit auf die Erleichterung einer Strafverfolgung ankommt. Die Verwendung solch „intelligenter“ Systeme kann daher nicht mehr als geeignete Maßnahme zur Straftatenprävention eingestuft werden421. Sie kann daher nicht auf die Ermächtigungsnormen zur präventiv-polizeilichen Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte gestützt werden. Unverhältnismäßig wäre auch der Einsatz von Techniken, die die Möglichkeit bieten, unter Oberflächen zu blicken (Millimeter- oder Mikrowellentechnik422), denn damit wären gravierende Eingriffe in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht bis hinein in den Intimbereich verbunden423. Außerdem käme diese Maßnahme einer Durchsuchung (etwa auf Waffen oder Drogen unter Kleidungsstücken) gleich, welche jedoch nach den Polizeigesetzen an besonders enge Voraussetzungen gebunden ist, die hier unzulässigerweise umgangen werden würden424.

417 418 419 420 421 422 423 424

Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (84). Vgl. hierzu schon oben Kapitel 2, F.II. Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (85). Vgl. Büllesfeld, S. 229 f. So auch Büllesfeld, S. 229 f. Ausführlich hierzu Büllesfeld, S. 12 f. Büllesfeld, S. 230. Büllesfeld, S. 230.

Kapitel 10

Beeinträchtigung anderer Freiheitsrechte Polizeiliche Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte könnten auch in andere Freiheitsrechte eingreifen, je nachdem, welche Sachverhalte hierbei beobachtet werden. An öffentlich zugänglichen Orten und gerade an den häufig videoüberwachten belebten Innenstadtbereichen ereignen sich vielfältige Aktivitäten, die einem speziellen Grundrechtsschutz unterliegen. Solche besonderen Geschehnisse, die sich im Überwachungsbereich ereignen können, sind insbesondere durch Art. 8 GG geschützte Versammlungen und Demonstrationen oder auch das Lagern Obdachloser, welches als Wahl des Aufenthaltsortes durch das Recht auf Freizügigkeit gem. Art. 11 GG geschützt wird.

A. Versammlungsfreiheit, Art. 8 GG Art. 8 GG schützt die Versammlungsfreiheit. Unter Versammlung ist ein Zusammenkommen mehrerer Personen, zwischen denen eine innere Verbindung durch gemeinsame Zweckverfolgung besteht, zu verstehen. Dadurch sind Versammlungen von Ansammlungen abzugrenzen, bei welchen Menschen zusammentreffen, die alle den gleichen, aber keinen gemeinsamen Zweck verfolgen, was zum Beispiel bei den Zuhörern eines Konzertes oder einem Menschenauflauf nach einem Verkehrsunfall der Fall ist. Auch Ansammlungen können allerdings zu Versammlungen werden, wenn sich ein gemeinsamer Zweck nachträglich einstellt1. Die weiteren Merkmale einer Versammlung sind umstritten2. So besteht Uneinigkeit darüber, ob der gemeinsame Zweck in gemeinsamer Meinungsbildung und -äußerung liegen muß, und darüber, ob diese Meinung öffentliche Angelegenheiten betreffen muß oder ob die Erörterung irgendwelcher Angelegenheiten (privater oder öffentlicher Art) ausreicht. Weiterhin besteht Streit über das Erfordernis einer bestimmten Teilnehmerzahl. Hier differieren die Ansichten zwischen einer Teilnehmerzahl von mindestens 3 oder 7 Personen in Anlehnung an die bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen 1 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 689; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar, Band 1, Art. 8, Rdnr. 14. 2 Siehe dazu im einzelnen Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 690 ff.

A. Versammlungsfreiheit, Art. 8 GG

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zum Verein (§§ 56, 73 BGB) und den allgemeinen Sprachgebrauch sowie der vom Wortlaut gedeckten Teilnehmerzahl von 2 Personen. Der sachliche Schutzbereich des Art. 8 GG umfaßt unter anderem öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel, wie sie auf öffentlichen Straßen und Plätzen stattfinden können. Unerheblich ist, ob die Versammlung nur an einem bestimmten Ort stattfindet. Geschützt werden daher auch Demonstrationszüge3. Der Umfang der Gewährleistung des Art. 8 GG reicht von der Organisation und Vorbereitung der Versammlung über die Wahl des Versammlungsorts und -zeitpunktes, die An- und Abreise bis hin zur Leitung und Teilnahme an der Versammlung. Geschützt wird dabei auch die innere Entschlußfreiheit, an einer Versammlung teilzunehmen. Staatliche Überwachungsmaßnahmen stellen einen Eingriff in letztere dar, wenn die Angst vor solcher Überwachung dazu führt, daß man lieber auf die Grundrechtsausübung verzichtet4. Nach der Rechtsprechung des BVerfG sind daher „exzessive Observationen und Registrierungen“ als Eingriff zu werten5. Solch ein Eingriff ist dann anzunehmen, wenn es um die Beobachtung und Registrierung der Versammlung oder der Versammlungsteilnehmer gerade in dieser Eigenschaft geht6. Versammlungsbezogene Videoüberwachungen sind daher als Eingriff in die von Art. 8 GG geschützte innere Entschlußfreiheit, an einer Versammlung teilzunehmen, zu qualifizieren. Dies gilt für jegliche Art der Durchführung einer Videoüberwachung. Die Eingriffsqualität reiner Übersichtsaufnahmen oder auch Übersichtsaufzeichnungen ist zwar, wie schon oben dargestellt7, umstritten, muß hier aber, ebenso wie bezüglich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung festgestellt8, bejaht werden. Für solche versammlungsspezifischen Videoüberwachungen besteht mit §§ 12 a, 19 a VersG eine spezielle, bundesgesetzliche9 Ermächtigungsgrundlage. Die landesrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen zur polizeilichen Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte zur Gefahrenabwehr und -vorsorge werden dadurch verdrängt und können nicht zu einer ver3

Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 8, Rdnr. 3. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 706; BVerfGE 65, 1 (43). 5 BVerfGE 69, 315 (349). 6 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 706; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 8, Rdnr. 11; Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, Bd. I, Art. 8, Rdnr. 87. 7 Siehe oben Kapitel 5, A.III.3.a)aa) und b)aa). 8 Siehe oben Kapitel 6, C.IV. 9 Dem Bund kommt nach Art. 74 I Nr. 3 GG die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für das Gebiet des Versammlungsrechts zu. 4

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Kap. 10: Beeinträchtigung anderer Freiheitsrechte

sammlungsbezogenen Videoüberwachung herangezogen werden. Die Überwachung von Versammlungen fällt damit nicht in den Regelungsbereich der landesrechtlichen Ermächtigungsnormen zur polizeilichen Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte10. Damit ist jedoch noch nichts über den Konflikt gesagt, der besteht, wenn an einem Ort, der zur allgemeinen Kriminalprävention videoüberwacht wird, bei Gelegenheit eine Versammlung stattfindet und die Videoüberwachung ohne Zweckänderung fortgeführt wird. Diese erfolgt dabei folglich nicht zur Abwehr versammlungsspezifischer Gefahren, sondern weiterhin zur Gefahrenvorsorge bezüglich der ortsspezifischen Kriminalität. Von einer solchen, auf die jeweilige landesrechtliche Ermächtigungsnorm zu stützende, polizeiliche Videoüberwachung eines öffentlich zugänglichen Ortes, geht jedoch ebenso ein Überwachungsdruck aus, der den einzelnen von der Ausübung seiner Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG abhalten kann. Sie unterscheidet sich in ihrer Wirkung nicht von einer versammlungsbezogenen Videoüberwachung. Daher kann auch in diesem Fall der Schutzbereich des Art. 8 GG betroffen sein. Weiterhin ist auch die Schwierigkeit zu beachten, in einem solchen Fall tatsächlich zwischen einer Beobachtung zur Abwehr versammlungsspezifischer Gefahren sowie anderer, ortsspezifischer Gefahren zu trennen. Zur Vermeidung dieser Konfliktsituation von vornherein wird teilweise befürwortet, die Überwachungskameras für die Zeit der Versammlung abzuschalten11. Entsprechendes wird auch in der Praxis vorgesehen, wie die Dienstanweisung des Polizeipräsidiums Mannheim vom 23.07.2001 zeigt12. Nach dieser ist bei öffentlichen Veranstaltungen und Versammlungen im überwachten Bereich die Videoüberwachung abzuschalten und eine Videoaufzeichnung nur im Einzelfall, wenn die Voraussetzungen der §§ 12 a, 19 a VersG vorliegen, anzuordnen. Nach anderer Ansicht13 ist ein solches Abschalten nicht erforderlich. Das Problem des Konkurrenzverhältnisses der Freiheitsrechte in dem Fall, daß zunächst allein das Recht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen ist, durch eine Sondersituation aber der Schutzbereich eines weiteren, speziellen Grundrechts (hier des Art. 8 GG) eröffnet ist, sei zugunsten des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zu entscheiden. Die Annahme eines Spezialitätsverhältnisses im Sinne einer Verdrängung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung durch spezielle Freiheitsrechte überzeuge 10 § 32 III S. 3 NGefAG stellt ausdrücklich das Unberührtbleiben der §§ 12 a und 19 a VersG fest. 11 Fischer, VBlBW 2002, 89 (94, Fn. 47). 12 Vgl. VG Karlsruhe, VBlBW 2002, 131 (133). 13 Büllesfeld, S. 236 ff.

A. Versammlungsfreiheit, Art. 8 GG

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nur in den Fällen, in denen sich staatliche Maßnahmen auf die Ausübung dieser speziellen Freiheitsrechte beziehen14. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung werde daher nur durch solche polizeilichen Überwachungsmaßnahmen verdrängt, die sich im konkreten Fall primär auf die Ausübung des speziellen Freiheitsrechts bezögen. In dem hier untersuchten Fall bleibt nach dieser Ansicht allein das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Maßstab, selbst wenn in dem überwachten Bereich spezielle Grundrechte ausgeübt werden15. Die sonstigen Freiheitsrechte spielten jedoch bei der Frage nach dem Vorliegen eines Grundrechtseingriffs durch die Videoüberwachung eine Rolle und hätten auch bei der Frage der Verhältnismäßigkeit einer Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze in die Erwägungen mit einzufließen. Die Tatsache, daß in bestimmten Situationen auch die Schutzbereiche anderer Freiheitsrechte berührt seien, erhöhe insofern die Schwelle für Gesetzgeber und Verwaltung zur Regelung und Durchführung einer präventiv-polizeilichen Videoüberwachung öffentlicher Räume. Als Begründung des Zurücktretens der Versammlungsfreiheit hinter dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung in diesem Fall werden zum einen die unüberwindbaren rechtlichen Probleme angeführt, die bestünden, würde sich die Überwachung ab dem Moment der Ausübung spezieller Freiheitsrechte plötzlich nach deren Einschränkungsmaßstäben richten16. Genannt werden hier die Änderung der Zuständigkeit für die Überwachung aufgrund spezieller Rechtsgrundlagen für Versammlungen sowie das Erfordernis einer umfassenden neuen Grundrechtsprüfung. Würde diese Prüfung die Unzulässigkeit einer Videoüberwachung ergeben, so müßten die Überwachungskameras und Hinweisschilder für die Zeit der Versammlung gänzlich entfernt werden, da durch ihre bloße Installation schon ein psychischer Druck auf die Entschlußfreiheit zur Grundrechtsausübung entstehen könne. Diese Argumentation erscheint recht fragwürdig. Einerseits schon aus dem Grund, daß in der polizeilichen Praxis selbst diese Probleme wohl nicht als „unüberwindbar“ angesehen werden, wie die Dienstanweisung des Polizeipräsidiums Mannheim zeigt. Andererseits ist auch fraglich, ob zur Vermeidung eines grundrechtseingreifenden Überwachungsdruckes ein völliges Entfernen von Kameras und Hinweisschildern erforderlich ist. Zutreffend ist die Überlegung, daß sich aus subjektiver Sichtweise der Versammlungsteilnehmer auch bei abgeschalteten Kameras nicht erkennen läßt, ob und in welcher Weise eine Videoüberwachung stattfindet. Diesem Problem könnte jedoch dadurch begegnet werden, daß ebenso deutlich wie auf eine 14 15 16

Büllesfeld, S. 238. Büllesfeld, S. 240. Büllesfeld, S. 239.

246

Kap. 10: Beeinträchtigung anderer Freiheitsrechte

grundsätzliche Überwachung des betreffenden Ortes ein Hinweis auf das Aussetzen dieser Überwachung im Falle einer Versammlung erfolgt, was lediglich bei Spontanversammlungen ein unüberwindbares Problem darstellen würde. Weiterhin erscheint problematisch, aufgrund praktischer Schwierigkeiten des Schutzes der Versammlungsfreiheit Rückschlüsse auf das Konkurrenzverhältnis der Grundrechte untereinander zu ziehen. Außerdem findet sich die Begründung, daß es nicht einzusehen sei, daß diejenigen, die auf einem nach allgemeinen Polizeirecht rechtmäßig überwachten Platz spezielle Grundrechte ausübten, sich auch auf den vermeintlich „besseren“ Schutz dieser Spezialgrundrechte vor allgemeinen, d.h. nicht versammlungsbezogenen Überwachungsmaßnahmen berufen können sollten17. Aufgrund der Offenheit der präventiv-polizeilichen Videoüberwachung sei ihnen ja von Anfang an bewußt, daß sie sich in einem überwachten Bereich aufhalten. Unter diesen Voraussetzungen seien die Teilnehmer einer Versammlung nicht als schutzwürdiger anzusehen als der Passant, der sich allein im Rahmen seiner allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG in dem überwachten Bereich bewegt. Dies ist das Argument, daß eine rechtmäßig eingerichtete Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte als permanente, offene Maßnahme schon von Beginn einer speziellen Freiheitsausübung bestand und bekannt war, so daß jeder sein Verhalten an diesen Umstand anpassen kann. Doch betrachtet man das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gem. Art. 8 GG in seiner Funktion und seinem Schutzbereich genauer, so zeigt sich, daß in dieser Situation mehr als nur die persönlichkeitsrechtlichen Komponenten, wie sie auch von Art. 2 I i.V. m. 1 I GG gewährleistet werden, beeinträchtigt sind. Die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG dient einerseits der „ungehinderten Persönlichkeitsentfaltung“ und unterstützt andererseits die Einflußnahme auf den Prozeß der politischen Willensbildung18, sie bietet die Möglichkeit zur Entwicklung pluralistischer Initiativen und Alternativen oder auch zu Kritik und Protest19. Sie bildet damit ein „wesentliches Element demokratischer Offenheit“20. Kennzeichnend für eine dem Schutzbereich des Art. 8 GG unterfallende Versammlung ist daher, daß sie „Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung“ ist21. Die Versammlungsfreiheit kann als Freiheit zu kollektiver Meinungskundgabe verstanden werden22. Sie schützt das Sich-Versammeln als eine Form der 17 18 19 20 21

Büllesfeld, S. 239. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 8, Rdnr. 1. BVerfGE 69, 315 (346 f.). BVerfGE 69, 315 (344 ff.); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 8, Rdnr. 1. BVerfGE 69, 315 (342 f.); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 8, Rdnr. 2.

A. Versammlungsfreiheit, Art. 8 GG

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Kommunikation mit anderen und zählt so neben Art. 5 GG und Art. 9 GG zu den Kommunikationsgrundrechten23. Zur Ermöglichung der Kommunikation mit anderen und zur Einflußnahme auf die politische Willensbildung ist die Wahl des Versammlungsortes von zentraler Bedeutung, welche aus diesem Grund vom Gewährleistungsumfang des Art. 8 GG umfaßt wird. Es liegt entscheidend im Interesse der Versammlungsteilnehmer, sich dort zu versammeln, wo sie und ihre Botschaft von anderen wahrgenommen werden. Als Ort für öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel werden daher meist zentrale, vielfrequentierte, innerstädtische Plätze und Straßen gewählt. Werden präventiv-polizeiliche Videoüberwachungen in einer Stadt durchgeführt, so betreffen sie meist gerade solche Orte. Die Versammlungsteilnehmer werden, wenn diese Videoüberwachung im Falle einer Versammlung nicht abgeschaltet wird, vor die Alternative gestellt, ihre Versammlung trotzdem durchzuführen und sich so einer möglicherweise umfassenderen24 als der nach §§ 12 a, 19 a VersG erfolgenden Videoüberwachung auszusetzen, was einige Personen von ihrer Teilnahme ganz abhalten könnte, oder aber die Versammlung an einen anderen, nicht präventiv-polizeilich videoüberwachten Ort zu verlegen. Mit dieser zweiten Alternative ist dann aber unter Umständen ein Ausweichen auf weniger zur kollektiven Meinungskundgabe geeignete Orte innerhalb eines Stadtgebiets verbunden. Ein Umgehen der Videoüberwachung bedeutet aus diesem Grund eine Einschränkung der Ortswahlmöglichkeit. Das Fortführen der Videoüberwachungsmaßnahme auch im Falle einer Versammlung kann daher nicht nur die innere Entschlußfreiheit zur Teilnahme an einer Versammlung, sondern auch die nach Art. 8 GG geschützte Wahl des Versammlungsortes beeinträchtigen. Es besteht hier somit ein besonderer Konflikt zwischen präventiv-polizeilicher Videoüberwachung und Versammlungsfreiheit, der sich nicht mit dem Konflikt dieser Maßnahme und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung vollständig deckt, sondern darüber hinausgeht. Aus diesem Grund kann Art. 8 GG in dem hier betrachteten Fall nicht hinter Art. 2 I i.V. m. 1 I GG zurücktreten. Art. 8 GG muß im Falle einer Versammlung an einem präventiv-polizeilich videoüberwachten Ort als Maßstab herangezogen werden. Wegen der besonderen Bedeutung dieses Grundrechts in unserer freiheitlich demokratischen Staatsordnung und der beschriebenen Gefahren für die22

BVerfGE 69, 315 (344 f.). Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 688. 24 Vgl. hier die Landesregelungen, die eine ständige Videobildaufzeichnung zulassen. Siehe dazu oben Kapitel 8, B.II.1. 23

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Kap. 10: Beeinträchtigung anderer Freiheitsrechte

ses durch Videoüberwachungen ist zu fordern, daß eine solche Polizeimaßnahme nur auf Grundlage der §§ 12 a, 19 a VersG durchgeführt wird. Die allgemeine polizeiliche Videoüberwachung zur ortsspezifischen Kriminalprävention ist im Falle einer Versammlung auszusetzen.

B. Freizügigkeit, Art. 11 GG Art. 11 GG schützt die Freizügigkeit als Freiheit, an jedem Ort innerhalb des Bundesgebietes Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen25. Für die Reichweite dieses Grundrechtes ist der Begriff des „Aufenthalts“ entscheidend, da der Begriff „Wohnsitz“ gegenüber diesem der speziellere ist26. Unter Aufenthalt ist das Verweilen an einem bestimmten Ort zu verstehen. Welche Anforderungen an dieses Verweilen zu stellen sind, ist allerdings umstritten. Teilweise wird eine mehr oder minder weitreichende Bedeutung des Aufenthalts (von Relevanz für die Persönlichkeit27; einem „Lebenskreis“ entsprechend28) oder eine gewisse Dauer („mehr als flüchtig“29; einschließlich einer Übernachtung30) verlangt. Teilweise wird jede Beschränkung abgelehnt31. Bei dieser Frage geht es um die Abgrenzung der Freiheit der Freizügigkeit von der durch Art. 2 II S. 2 GG geschützten Fortbewegungsfreiheit, da jede Fortbewegung auch als eine Folge von Augenblicken des Verweilens aufgefaßt werden kann32. Für diese Abgrenzung muß entscheidend sein, ob der Aufenthalt der Fortbewegung willen geschieht oder umgekehrt die Fortbewegung des Aufenthalts willen, was sowohl durch Dauer als auch Bedeutung des Aufenthaltes indiziert wird33. Im letzteren Fall ist Art. 11 GG einschlägig. Art. 11 GG schützt die Freiheit des Ziehens, d.h. die Fortbewegung speziell um der Wohnsitz- oder Aufenthaltsnahme willen. Ebenso geschützt ist die negative Freizügigkeit, d.h. die Freiheit einen Ortswechsel nicht vorzunehmen, also am Ort der Wahl zu bleiben. Anderenfalls wäre das Recht, an den Ort der Wahl zu ziehen, entscheidend entwertet34. 25

BVerfGE 2, 266 (273); 80, 137 (150). Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 11, Rdnr. 2. 27 Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar, Band 1, Art. 11, Rdnr. 13. 28 Randelzhofer, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 11, Rdnr. 28 ff. 29 Rittstieg, Alternativkommentar zum Grundgesetz, Band 1, Art. 11, Rdnr. 33. 30 Merten, S. 43 f. 31 Pernice, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band I, Art. 11, Rdnr. 13. 32 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 791. 33 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 791. 34 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 800. 26

B. Freizügigkeit, Art. 11 GG

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Im Falle einer polizeilichen Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte ist denkbar, daß Obdachlose, die ihren Aufenthalt an einem videoüberwachten Ort nehmen möchten, aufgrund dieser Maßnahme von ihrem Vorhaben abgehalten werden, oder daß Obdachlose, die schon zuvor am Ort der Überwachung lagerten, vertrieben werden35. Es ist fraglich, ob hierdurch in ihr Recht auf Freizügigkeit nach Art. 11 GG eingegriffen wird. Eingriffe in die Freizügigkeit sind Behinderungen oder Beeinträchtigungen des freien Ziehens36. Nach verbreiteter Auffassung genügen jedoch hierbei bloße mittelbare Behinderungen und Beeinträchtigungen nicht37. Art. 11 GG bietet vielmehr allein Schutz gegen unmittelbare, imperative Eingriffe38. In dem hier betrachteten Fall, liegt ein solcher direkter, imperativer Eingriff nicht vor. Die Möglichkeit der Aufenthaltsnahme im überwachten Bereich wird weder tatsächlich noch rechtlich beschränkt. Jedermann darf sich weiterhin an diesem Ort sanktionslos aufhalten. Allein das Gefühl des Beobachtetseins kann hier zu einem Absehen von einer Aufenthaltsnahme führen. Diese rein psychisch vermittelte Beeinträchtigung genügt nicht, um von einer Behinderung oder Beeinträchtigung des freien Ziehens gem. Art. 11 GG zu sprechen39.

35 Was zwar nicht alleiniges Zweck einer Videoüberwachung sein darf, aber häufig als Nebeneffekt durchaus gewünscht ist. Vgl. dazu oben 2.a)cc). 36 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 801. 37 Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar, Band 1, Art. 11, Rdnr. 19; Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz, Art. 11, Rdnr. 49; vgl. BVerwGE 64, 153 (159). 38 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 11, Rdnr. 7. 39 So auch Röger/Stephan, NWVBl. 2001, 201 (208); Büllesfeld, S. 236, der allerdings schon den Schutzbereich des Art. 11 GG als nicht eröffnet ansieht.

Kapitel 11

Abschließender Rechtsvergleich und Zusammenfassung der Ergebnisse I. 1. Polizeiliche Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte werden in Deutschland nach britischem sowie amerikanischem Vorbild seit Mitte der neunziger Jahre in zunehmendem Maße eingesetzt. In den USA erfolgen sie bereits seit längerer Zeit und in größerem Umfang, weshalb die USA als ein Vorreiter im Bereich der Videoüberwachung bezeichnet werden können. Diese auf längere Dauer angelegte Maßnahme hat die Verhinderung der Begehung von Straftaten durch Abschreckung potentieller Täter zum Ziel. Hierbei geht es darum, solche Delikte zu verhindern, die sich typischerweise im öffentlichen Raum ereignen, wie den Diebstahl von und aus Kraftfahrzeugen, Trick- und Taschendiebstahl oder Raub sowie Drogendelikte. Polizeiliche Videoüberwachung ist damit eine Maßnahme der Kriminalprävention, die schon im Vorfeld konkret drohender Gefahren ansetzt. Daneben kann durch die Aufzeichnung von Videobildern die Aufklärung und Verfolgung trotz Überwachung begangener Straftaten erleichtert werden. Die polizeiliche Videoüberwachung dient damit ebenfalls der Strafverfolgungsvorsorge. 2. Grund der zunehmenden Anwendung polizeilicher Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte ist zum einen die fortschreitende technische Entwicklung, durch die Videosysteme immer leistungsfähiger sowie auch kostengünstiger werden und durch die sich des weiteren auch die Möglichkeiten zur automatischen Auswertung von Videobildern (durch leistungsfähigere Computer sowie insbesondere durch biometrische Verfahren) verbessern. Ein weiterer Grund liegt in einem Wandel der Konzepte der Kriminal- und Sicherheitspolitik, in den USA als „New Policing“ bezeichnet. Ein wichtiger Aspekt hierbei ist die stärkere Gewichtung der präventiven Polizeiarbeit, mit der die Verlagerung polizeilicher Tätigkeit schon in das Vorfeld konkret drohender Gefahren verbunden ist. Präventionseffekte im Gefahrenvorfeld sollen insbesondere durch strategische Polizeipräsenz im öffentlichen Raum erzielt werden. Diese kann durch Videoüberwa-

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chungsanlagen zu einem großen Teil ersetzt sowie in quantitativer und qualitativer Hinsicht noch intensiviert werden. Hinzu kommt das Anliegen, schon gegen sozial unerwünschte Verhaltensweisen vorzugehen („Null-Toleranz-Strategie“) und das Sicherheitsgefühl der Bürger zu stärken. 3. Die Effektivität von Videoüberwachungen als Mittel zur Kriminalprävention läßt sich, wie die im Ergebnis sehr unterschiedlichen britischen Studien zeigen, nur schwer beurteilen. Langzeituntersuchungen zu dieser Frage fehlen bislang sowohl in Deutschland als auch in den USA. Es läßt sich jedoch feststellen, daß zum einen die Effektivität der Maßnahme in verschiedenen Städten sehr unterschiedlich ausfallen kann und zum anderen eine unterschiedliche Wirkung auf verschiedene Arten von Delikten ausgeht. Eine Reduktion von Eigentumsdelikten, wie Taschendiebstahl, Diebstahl von und aus Kraftfahrzeugen sowie Sachbeschädigungen, erscheint wahrscheinlicher als eine Reduktion von Gewaltdelikten. Im Bereich der Drogendelikte ist eine bloße Verdrängung in andere Stadtbezirke wahrscheinlicher als eine Verhinderung dieser. Die Verhinderung terroristischer Anschläge durch polizeiliche Videoüberwachungen öffentlicher Straßen und Plätze, wie sie in den USA häufig angestrebt wird, erscheint sehr zweifelhaft. 4. Die Reaktion in der Bevölkerung auf den Einsatz von Videoüberwachungen fällt sowohl in den USA als auch in Deutschland grundsätzlich positiv aus. Es bestehen jedoch auch ernsthafte Bedenken. So wird zum einen der Mißbrauch der Videotechnik durch die überwachenden Beamten befürchtet, insbesondere bei der Auswahl der Überwachungsobjekte. Befürchtet wird hier eine voyeuristisch motivierte Beobachtung oder eine diskriminierende, überproportional häufige Überwachung von Randgruppenangehörigen. Zum anderen wird im Zusammenhang mit der Zunahme der Möglichkeiten zu polizeilichen Observationen mit technischen Hilfsmitteln sowie zur computerunterstützten Auswertung von Daten die Befürchtung der Entwicklung hin zu einem „Überwachungsstaat“ und zum „gläsernen Menschen“ laut. Diese Furcht einer lückenlosen Überwachung des einzelnen begründet sich des weiteren auch aus der Summation von Videoüberwachungen durch Polizei und Private.

II. 1. In verfassungsrechtlicher Hinsicht stehen polizeiliche Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte zur Kriminalprävention im Konflikt mit den grundrechtlich geschützten Persönlichkeitsrechten. In Deutschland handelt es sich hierbei um das Allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I i.V. m. 1 I GG in seiner Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbst-

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Kap. 11: Abschließender Rechtsvergleich und Zusammenfassung

bestimmung. In den USA geht es um das right to privacy nach dem 4. Zusatzartikel zur US-Verfassung. Sowohl bei dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht als auch bei dem right to privacy handelt es sich um ein Grundrecht, das nicht explizit in der Verfassung verankert ist, sondern richterrechtlich entwickelt wurde. Schutzgut dieser Grundrechte ist die aus der Menschenwürde folgende Autonomie des einzelnen. Sie sind daher beide nahe der Menschenwürdegarantie angesiedelt. Weiterhin wird bei beiden ein effektiver Grundrechtsschutz durch die Entwicklungsoffenheit ihrer Tatbestände gewährleistet, die eine Anpassung an aktuelle gesellschaftliche Veränderungen oder technischen Fortschritt und die damit verbundenen neuen Gefahren für die Persönlichkeit ermöglichen. 2. Bei präventiv-polizeilichen Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte besteht eine Gefahr für diese Rechte durch die Möglichkeit der Sammlung und Speicherung persönlicher Informationen durch Videobildaufnahmen und -aufzeichnungen. Des weiteren kann eine solche Videoüberwachung einen Überwachungs- und Anpassungsdruck auslösen, der dazu führen kann, daß der einzelne an den überwachten Orten von der Wahrnehmung seiner Freiheitsrechte Abstand nimmt. In den USA wird dies mit dem Begriff „chilling effect on human behavior“ bezeichnet. a) In Deutschland stellen die Aufnahme und Aufzeichnung von Videobildern, auf denen Personen erkennbar abgebildet sind, nach allgemeiner Ansicht Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar, welches den einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten schützt. Strittig ist dagegen die Eingriffsqualität der Aufnahme sowie der Aufzeichnung bloßer Übersichtsbilder, auf denen keine Personen erkennbar dargestellt sind, da hier noch nicht von einer Erhebung personenbezogener Daten gesprochen werden kann. Im Falle der Aufzeichnung solcher Übersichtsbilder ist aber wegen der technischen Möglichkeit einer nachträglichen Bildvergrößerung, durch welche eine Identifizierung von Personen möglich wird, schon ein Grundrechtseingriff im Moment der Aufzeichnung zu bejahen, da schon hier eine Sammlung und Speicherung individualisierbarer Daten erfolgt. Der einzelne verliert schon in diesem Moment die Kontrollmöglichkeit über die Informationen zu seiner Person, die durch die nachträgliche Bildvergrößerung gewonnen werden können. Bei einer Aufnahme bloßer Übersichtsbilder besteht diese Möglichkeit der nachträglichen Identifizierung nicht. Dennoch ist auch hier ein Grundrechtseingriff wegen des Hervorrufens eines die Entschluß- und Verhaltensfreiheit hemmenden und damit die Autonomie des einzelnen beeinträchtigenden, psychischen Überwachungsdrucks anzunehmen. Voraussetzung ist allerdings das Bestehen eines objektiven Grundes für das Entstehen des rein subjektiv emp-

Kap. 11: Abschließender Rechtsvergleich und Zusammenfassung

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fundenen Anpassungsdrucks. Im Falle der Übersichtsaufnahme im Rahmen der polizeilichen Videoüberwachung liegt diese objektive Begründung in den technischen Möglichkeiten der verwendeten Kamerasysteme, die durch Zoom oder Bildaufzeichnung jederzeit eine Erhebung und Speicherung personenbezogener Informationen ermöglichen. Die polizeiliche Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte in Deutschland bedarf damit insgesamt, in allen ihren Teilmaßnahmen, als Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 I i.V. m. 1 I GG der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. b) In den USA unterfallen polizeiliche Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte dagegen nach den durch die Rechtsprechung, insbesondere den US Supreme Court, aufgestellten Grundsätzen nicht dem Schutz des right to privacy aus dem 4. Zusatzartikel zur US-Verfassung. Dieses schützt vor unreasonable search and seizure (willkürlicher Durchsuchung, Verhaftung und Beschlagnahme) in Bereichen, in dem die betroffene Person eine verfassungsrechtlich geschützte berechtigte Erwartung von Privatsphäre (reasonable expectation of privacy) hat. Eine solche berechtigte Erwartung von Privatsphäre hat der US Supreme Court, und diesem folgend auch die übrige Rechtsprechung, jedoch bisher für den öffentlichen Raum stets abgelehnt. Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte, bei der die law enforcement agencies lediglich das beobachten und gegebenenfalls aufzeichnen, was jedermann ebenso hätte wahrnehmen können, unterliegt danach nicht dem 4. Verfassungszusatz. Diese kategorische Ablehnung einer berechtigten Erwartung von Privatsphäre im öffentlichen Raum trifft jedoch in der Literatur auf zunehmende Kritik. Die „Alles-oder-Nichts-Entscheidung“ der Rechtsprechung wird als zu starr abgelehnt und die Anerkennung einer public privacy gefordert, denn auch im öffentlichen Raum könne eine berechtigte Erwartung von Privatsphäre bestehen. Public privacy werde durch verschiedene Faktoren gewährleistet. Zu diesen zählten der exakte Charakter des öffentlichen Ortes, die Anonymität des einzelnen in der Öffentlichkeit und die nur begrenzte Aufmerksamkeit dem Verhalten anderer gegenüber, bei höchstens kurzzeitiger, vorübergehender Beobachtung eines anderen ohne Perpetuierung des Wahrgenommenen. Polizeiliche Videoüberwachungen im öffentlichen Raum, die vor allem durch den Einsatz von Zoom eine gezielte oder längere Zeit andauernde Beobachtung einer Person ermöglichen und die durch Bildaufzeichnungen das Wahrgenommene perpetuieren sowie eine Identifizierung der beobachteten Personen ermöglichen, stellen Beeinträchtigungen der public privacy dar. Diese sind nach dieser Literaturmeinung daher am 4. Verfassungszusatz zu messen. Weiterhin wird mit dem negativen Einfluß von Videoüberwachungen argumentiert, der darin besteht, daß sie einen die

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Autonomie des einzelnen einschränkenden chilling effect on human behavior auslösen. Hiervon ausgehend wird daher auch in den USA eine rechtliche Regulierung polizeilicher Videoüberwachungen im öffentlichen Raum gefordert.

III. 1. Unter der Erkenntnis, daß allgemein mit dem positiven Effekt der Effektivierung der Polizeiarbeit durch den Einsatz technischer Hilfsmittel drohende Schäden der Gesellschaft verbunden sind, wurden durch eine Task Force der American Bar Association Musterregelungen zu technisch unterstützten, physischen Überwachungsmaßnahmen (Standards on Technologically Assisted Physical Surveillance – TAPS) aufgestellt. Diese enthalten auch eine Musterregelung langfristiger, offener Videoüberwachungen im öffentlichen Raum (long-term overt video surveillance), welche als Richtlinie bei der im Jahr 2002 erfolgenden Neufassung des 25. Kapitels im 24. Titel der District of Columbia Municipal Regulations diente. In dieser Rechtsverordnung findet sich eine erste rechtliche Normierung polizeilicher Videoüberwachungen im öffentlichen Raum für die Stadt Washington, D.C. Der Erlaß dieser Rechtsverordnung wird jedoch nur als erster Schritt gesehen, dem schließlich Regelungen der Materie durch Gesetz folgen sollen. 2. Im deutschen Recht sind die Grundrechtseingriffe durch polizeiliche Videoüberwachungen, die durch alle Teilmaßnahmen, auch durch reine Übersichtsaufnahmen, verursacht werden, verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn sie auf einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage basieren, die dem Gebot der Normenklarheit entspricht und das Verhältnismäßigkeitsprinzip wahrt. Des weiteren sind zum Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung verfahrensrechtliche und organisatorische Vorkehrungen zu treffen. In allen Bundesländern, außer Berlin, Hamburg und Rheinland-Pfalz, sind spezielle Ermächtigungsnormen zur präventiv-polizeilichen Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte in das jeweilige Polizei- und Ordnungsgesetz aufgenommen worden. a) Diese Ermächtigungsgrundlagen sind zum einen formell verfassungsgemäß. Die Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte ist eine doppelfunktionale Polizeimaßnahme. Sie erfolgt sowohl zu präventiven Zwecken, der Gefahrenvorsorge und Gefahrenabwehr, sowie zu repressiven Zwecken, der Strafverfolgungsvorsorge und auch der Strafverfolgung. Während bei einer reinen Videobildaufnahme ohne Bildspeicherung der Aspekt der Prävention

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eindeutig überwiegt, erscheint dies bei Bildaufzeichnungen zweifelhaft, da hier der Aspekt der Erleichterung der Strafverfolgung mit in den Vordergrund rückt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Bildaufzeichnungen durch die Landesregelung nur erlaubt werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung einer Straftat vorliegen. Die Feststellung, wem zur Regelung dieser Maßnahme die Gesetzgebungskompetenz zukommt, dem Bund oder den Bundesländern, bereitet daher Schwierigkeiten und wird in der Literatur kontrovers erörtert. Bildaufnahme und Bildaufzeichnung sind jedoch als zwei Facetten einer einheitlichen Maßnahme zu sehen, deren primärer Zweck in der Prävention liegt. Auch Videoaufzeichnungen ist ein unmittelbarer präventiver Zweck durch die Verstärkung der Abschreckungswirkung auf potentielle Straftäter immanent. Zur Regelung der Videoüberwachung in allen ihren Teilmaßnahmen als Maßnahme zur Gefahrenvorsorge ist daher der Landesgesetzgeber kompetent. Weiterhin ist zu bemerken, daß der Landesgesetzgeber auch Videoaufzeichnungen zum Zweck der Strafverfolgungsvorsorge regeln kann, selbst wenn man mit einer teilweise vertretenen Ansicht für diesen Bereich eine Annexkompetenz des Bundes zu Art. 72, 74 I Nr. 1 GG annimmt. Solange der Bund von dieser konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz keinen Gebrauch gemacht hat, wie im Falle der offenen Erstellung von Bildaufzeichnungen zur Strafverfolgungsvorsorge, bleibt die Möglichkeit einer Regelung durch die Länder. Allein die Verwendung der aufgrund polizeirechtlicher Ermächtigung gewonnener Videobilder bzw. der daraus ersichtlichen personenbezogenen Daten in einem Strafverfahren bedarf einer durch den Bundesgesetzgeber vorzunehmenden strafprozessualen Ermächtigung. Die Landesgesetzgeber können aber die Verwendung der im Rahmen der Gefahrenabwehr erhobenen Daten zum Zwecke der Strafverfolgung beschränken oder ganz ausschließen. In diesem Sinne, als Bestimmungen über die Zweckänderung, sind die landesrechtlichen Regelungen zur Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte zu verstehen, die eine weitere Aufbewahrung von Videoaufzeichnungen nur zu Zwecken der Strafverfolgung (bzw. auch der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten) vorsehen oder eine Bildaufzeichnung nur zulassen, wenn im Einzelfall tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung einer Straftat vorliegen. b) Zum anderen sind die speziellen Ermächtigungsgrundlagen zu polizeilichen Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte auch materiell verfassungsgemäß, bedürfen allerdings teilweise der verfassungskonformen Auslegung. Eine Ausnahme bilden § 184 III S. 1 LVwG SH, § 32 III S. 1 MVSOG und § 32 III S. 1 NGefAG, die als tatbestandlich unbestimmte Regelungen nicht dem Gebot der Normenklarheit entsprechen. Auch die anderen Ermächtigungsnormen weisen im Rahmen der Regelung der Beobachtung mittels Bildübertragung (Bildaufnahmen) Defizite bei der Regelung

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materieller Eingriffsvoraussetzungen auf. Dies ist Folge der Eigenschaft der präventiv-polizeilichen Videoüberwachung als Vorfeldmaßnahme. Ihr Einsatz ist nicht an das Vorliegen einer konkret drohenden Gefahr geknüpft und erfolgt daher zu einem Zeitpunkt, in dem sich in der Regel keine Verhaltensweisen herausfiltern lassen, an die Eingriffsvoraussetzungen geknüpft werden können. So können Videoaufnahmen von jedermann angefertigt werden, der sich an dem zu überwachenden Ort aufhält ohne daß dieser hierzu einen weiteren Anlaß gegeben hätte. Es kann hier daher von einer Ortshaftung gesprochen werden. Hier ist zur Begrenzung der grundrechtseingreifenden Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte in besonderem Maße das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten. Weiterhin sind zu einem effektiven Grundrechtsschutz organisations- und verfahrensrechtliche Schutzvorschriften aufzustellen. 3. Die sich hieraus ergebenden Voraussetzungen polizeilicher Videoüberwachungen öffentlicher Straßen und Plätze finden einige Parallelen in den in den USA aufgestellten (Muster-)Regelungen. a) Dies gilt insbesondere für das Erfordernis der örtlichen Begrenzung. Ein flächendeckender Einsatz polizeilicher Videoüberwachungen wäre als eine Form ständiger staatlicher Kontrolle nicht mit dem sowohl dem Grundgesetz als auch der US-Verfassung zugrunde liegenden freiheitlichen Menschenbild vereinbar. Videoüberwachungen dürfen daher nur punktuell an besonders kriminalitätsbelasteten Orten erfolgen. In Deutschland ergibt sich diese Voraussetzung aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip im engeren Sinne (Angemessenheit). Bei polizeilichen Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte wird jedermann, unabhängig von seiner Störereigenschaft zumindest durch eine Beobachtung mittels Bildübertragung in Anspruch genommen. In diesem Fall kann der erforderliche Zurechnungszusammenhang zwischen zu verhütender Gefahr und der belasteten Person aufgrund einer örtlichen Sondersituation angenommen werden, wenn es sich bei dem überwachten Ort um einen solchen mit einer überdurchschnittlichen Kriminalitätsbelastung handelt. Weiterhin ist die Videoüberwachung von dem Bestehen einer sonst im Polizeirecht erforderlichen konkret drohenden Gefahr unabhängig. Bei einer solchen Vorfeldmaßnahme bedarf es einer besonders strengen Abwägung der Gewichtigkeit des angestrebten Ziels mit der Intensität der durch die Maßnahme entstehenden Grundrechtsbeeinträchtigungen. Nahaufnahmen und Videobildaufzeichnungen von Personen stellen tiefe Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Aber auch an sich nur gering eingreifende Übersichtsaufnahmen werden durch die hierbei an stark frequentierten, innerstädtischen Straßen und Plätzen bestehende besondere Eingriffshäufigkeit intensiviert. Die Videoüberwachung ist daher nur zu ge-

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wichtigen Zwecken angemessen. Das Gewicht des angestrebten Ziels ist abhängig von dem Gewicht des zu schützenden Rechtsguts sowie von dem Grad der Gefährdung dieses Rechtsguts auch in quantitativer Hinsicht. Für die Videoüberwachung zur Kriminalprävention ergibt sich daraus, daß diese Maßnahme allein zur Verhinderung von Straftaten, die besonders gewichtige Rechtsgüter, wie Leib und Leben, gefährden, oder Straftaten, die demgegenüber weniger gewichtige Rechtsgüter betreffen, wie das Eigentum, aber quantitativ in besonderem Maße drohen, angemessen ist. Videoüberwachungen zur Verhinderung besonders bedeutsamer Ordnungswidrigkeiten können nur angemessen sein, wenn diese in besonders starker Häufigkeit zu erwarten sind. Videoüberwachungen zur Verhinderung einfacher Ordnungswidrigkeiten oder allein zur Wahrung der öffentlichen Ordnung sind in jedem Fall unangemessen. Mit dieser Voraussetzung der Beschränkung von Videoüberwachungen auf Kriminalitätsschwerpunkte ist des weiteren verbunden, daß diese Maßnahme abzubrechen ist, sobald sich der Charakter des überwachten Ortes gewandelt hat und keine überdurchschnittliche Kriminalitätsbelastung mehr besteht. Die örtliche Begrenzung ist weiterhin auch bei der Ausrichtung der Überwachungskameras zu beachten. Ihr Blickfeld muß sich auf den öffentlich zugänglichen und durch die Öffentlichkeit einsehbaren Bereich beschränken und nur den als Kriminalitätsschwerpunkt eingestuften Ort betreffen. Damit ist insbesondere ein Hineinblicken in nicht öffentlich zugängliche Räumlichkeiten durch Türen und Fenster unzulässig sowie eine Beobachtung anderer Bereiche, an denen ein besonderes Interesse an Privatsphäre besteht. In den USA wird in diesem Zusammenhang die Voraussetzung aufgestellt, daß mit der Videoüberwachung keine Bereiche erfaßt werden dürfen, an denen eine berechtigte Erwartung von Privatsphäre (reasonable expectation of privacy), wie sie in der US Rechtsprechung verstanden wird, besteht. b) Sowohl in Deutschland als auch in den USA wird weiterhin Grundrechtsschutz bezüglich des aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 I i.V. m. 1 I GG abgeleiteten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung bzw. bezüglich des right to privacy durch eine größtmögliche Transparenz polizeilicher Videoüberwachungen gesucht. So dürfen diese allein offen und durch deutliche Hinweisschilder kenntlich gemacht durchgeführt werden. Allein eine solche offene Überwachung ist überhaupt zu dem verfolgten Zweck der Kriminalprävention durch Abschreckung potentieller Straftäter geeignet. In den USA ist darüber hinaus Voraussetzung, die Öffentlichkeit im vorhinein über die technischen Möglichkeiten und die Orte der Überwachung zu informieren. Die durch die Maßnahme verstärkt betroffenen Bürger,

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wozu etwa diejenigen zählen, die angrenzend an einen überwachten Ort ihren Wohnsitz oder Arbeitsplatz haben und damit besonders häufig einer Überwachung ausgesetzt sind, sind schon bei der Entscheidung über die Durchführung der Videoüberwachung mit einzubeziehen. Sie müssen Gelegenheit zu Stellungnahmen haben, die im Entscheidungsprozeß mitzuberücksichtigen sind. Ein entsprechendes Beteiligungsrecht dieser besonders betroffenen Personen ergibt sich in Deutschland aus dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Anhörungsrecht der Beteiligten im Verwaltungsverfahren. Allerdings enthält keine der landesrechtlichen Ermächtigungsnormen zu polizeilichen Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte ein solches Anhörungsrecht. Dieses kann jedoch über eine verfassungskonforme Auslegung oder eine Analogie zu § 28 LVwVfG begründet werden. Gleichwohl wäre die Aufnahme einer entsprechenden Bestimmung in die Ermächtigungsnormen aus Gründen der Rechtsklarheit sinnvoll. Zudem bestünde dabei die Möglichkeit, ein besonderes Verfahren für die Anhörung der Vielzahl von Betroffenen festzulegen. Ein solches könnte, ähnlich der amerikanischen Regelung, in einer öffentlichen Bekanntmachung verbunden mit der Möglichkeit der Stellungnahme durch die potentiell besonders Betroffenen innerhalb eines festgesetzten Zeitraums bestehen. Die eingehenden Stellungnahmen sind dann bei dem Prozeß der Entscheidungsfindung und in der Entscheidungsbegründung mitzuberücksichtigen. Die Dokumentation der polizei- oder ordnungsbehördlichen Entscheidungsgründe ist auch aus Gründen eines effektiven nachträglichen gerichtlichen Rechtsschutzes erforderlich. Weiterhin ist die ansonsten dem Einblick der Öffentlichkeit entzogene Durchführung der Videoüberwachungsmaßnahme, soweit möglich, transparent zu machen. Nach den District of Columbia Municipal Regulations ist aus diesem Grund halbjährlich die Öffentlichkeit im Rahmen einer Gemeindeversammlung über den neuesten Stand der Videotechnik zu informieren sowie jährlich ein Polizeibericht über die CCTV-Systeme und ihre Anwendung anzufertigen. In Deutschland sind solche Berichte an die Öffentlichkeit nicht vorgesehen. Allein im brandenburgischen Polizeigesetz ist eine umfassende Berichtspflicht über Einsatz und Auswirkungen der Videoüberwachung an die Landesregierung nach einer Erprobungsphase von 5 Jahren vorgesehen, um eine Entscheidungsgrundlage für den Landtag über den Fortbestand der Regelung dieser Polizeimaßnahme zu schaffen. Eine solche parlamentarische Erfolgs-/Wirksamkeitskontrolle ist hier allerdings verfassungsrechtlich nicht geboten. Sie ist jedoch sinnvoll, da eine Gesetzesfolgenanalyse durch Evaluations- und Berichtspflichten zu einer im Interesse des Freiheitsschutzes liegenden Rationalisierung polizeilichen Handelns führen kann.

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Erforderlich ist, aus Gründen der Möglichkeit eines nachträglichen, effektiven Rechtsschutzes, dagegen eine Benachrichtigungspflicht nach Abschluß der Maßnahme gegenüber denjenigen, deren aufgezeichnete Daten ihrer Person zugeordnet und verarbeitet wurden. Eine Ausnahme kann jedoch dann gemacht werden, wenn sich an diese Datenverarbeitung ein strafrechtliches (Ermittlungs-)Verfahren anschließt, da in diesem Fall das öffentliche Interesse an einer effektiven Strafverfolgung das Individualinteresse überwiegt. Eine solche Benachrichtigungspflicht ist allerdings in den wenigsten deutschen Ermächtigungsnormen vorgesehen und ist auch in den amerikanischen Regelungen für offene Videoüberwachungen, im Gegensatz zu heimlichen, ausgenommen. c) In den USA ist des weiteren vorgesehen, daß die Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen einer langfristigen, offenen Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte und deren Einrichtung durch einen politically accountable law enforcement official, wie Behördenleiter oder Staatsanwalt, oder durch eine politically accountable governmental authority, also eine Regierungsbehörde, vorzunehmen ist. Eine vergleichbare Verlagerung der Entscheidungskompetenz auf Behördenleiter- und bzw. oder Ministerebene sind auch teilweise in den deutschen Ermächtigungsnormen (so in Thüringen, Brandenburg und Bremen) vorgesehen. Wegen der besonderen gesellschaftspolitischen Auswirkungen einer Videoüberwachung erscheint es hier sinnvoll, diese Maßnahme an das Erfordernis einer ministeriellen Anordnung oder Zustimmung zu knüpfen. Ein solcher Ministervorbehalt, wie auch ein Behördenleitervorbehalt, ist jedoch nicht verfassungsrechtlich zwingend. d) Für Deutschland ergibt sich weiterhin aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip eine Einschränkung der Durchführung einer Beobachtung mittels Bildübertragung von öffentlich zugänglichen Kriminalitätsschwerpunkten. Aus dem Erforderlichkeitsprinzip folgt, daß grundsätzlich bloße Übersichtsaufnahmen anzufertigen sind (die allerdings schon aufgezeichnet werden dürfen, wenn dies nach der jeweiligen Landesregelung möglich ist). Erst bei Anhaltspunkten für das Bestehen einer konkreten Gefahr im Einzelfall ist ein Übergang zu intensiver eingreifenden Nahaufnahmen durch das Heranzoomen auf bestimmte Personen zulässig. e) Zu einem wirksamen Schutz des deutschen Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gehören darüber hinaus Bestimmungen über die Zweckbindung rechtmäßig erhobener Daten sowie die Pflicht zur Löschung nicht weiter benötigter Daten. Videobildaufzeichnungen und auf deren Grundlage gefertigte Unterlagen sind nach einer angemessenen Prüffrist zu löschen, wenn sie nicht weiter zum Zwecke der Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten benötigt werden.

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Auch in den District of Columbia Municipal Regulations ist eine entsprechende Löschungsfrist sowie eine Bestimmung über eine weitere Aufbewahrung zu bestimmten weiteren Zwecken vorgesehen. f) Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte haben sich als besonders mißbrauchsanfällige Polizeimaßnahme erwiesen. Die District of Columbia Municipal Regulations enthalten aus diesem Grund sogar ein explizites Verbot der Observation einzelner allein aufgrund ihrer Rasse, ihres Geschlechts, ihrer Ethnie, sexuellen Orientierung, Behinderung oder anderer gesetzlich geschützter Klassifizierungen. Für den Fall eines Mißbrauchs der CCTV-Systeme werden straf- sowie dienstrechtliche Sanktionen angedroht. Auch in Deutschland sind Schutzvorkehrungen gegen den drohenden Mißbrauch der Videotechnik zu fordern. Diese können in Dienstanweisungen oder polizeiinternen, organisatorischen Regelungen über den Personaleinsatz bestehen. Ein gemeinsamer Einsatz männlicher und weiblicher Einsatzkräfte am Monitor kann beispielsweise eine geschlechtsspezifische, voyeuristisch motivierte Beobachtung verhindern.

IV. 1. Präventiv-polizeiliche Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte können die Versammlungsfreiheit gem. Art. 8 GG beeinträchtigen, wenn eine durch dieses Grundrecht geschützte Versammlung an dem überwachten Ort stattfindet. Einzelne Personen könnten aufgrund der Überwachung von einer Teilnahme und damit von ihrer Grundrechtsausübung absehen. Weiterhin besteht dann ein Konflikt zwischen Versammlungsfreiheit und langfristiger, präventiv-polizeilicher Videoüberwachung, wenn letztere an einem stark frequentierten, innerstädtischen Ort stattfindet, der ebenso für die kollektive Meinungskundgabe, wie sie Art. 8 GG als Kommunikationsgrundrecht schützt, von besonderer Bedeutung ist. Mit einer Fortführung der Videoüberwachung auch im Falle einer Versammlung kann hier die Beeinträchtigung der vom Schutzumfang des Art. 8 GG umfaßten freien Ortswahl einhergehen. Die präventiv-polizeiliche Videoüberwachung ist daher im Falle einer Versammlung an dem überwachten Ort auszusetzen. Eine Videoüberwachung der Versammlung als solcher kann dann jedoch unter den Voraussetzungen der §§ 12 a, 19 a VersG erfolgen. 2. Die durch Art. 11 GG geschützte Freizügigkeit wird durch präventivpolizeiliche Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte nicht betroffen. Die von dieser Maßnahme ausgehenden rein psychischen Beeinträchtigungen durch eine Beobachtung während einer Aufenthaltsnahme begründen noch keinen Eingriff in dieses Grundrecht. Rechtlich und tatsächlich

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darf sich jedermann weiterhin sanktionslos an dem überwachten Ort aufhalten.

V. Auf Grundlage der vorstehenden Ergebnisse läßt sich folgende Schlußfolgerung ziehen: Polizeiliche Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte dürfen nicht uneingeschränkt rechtlich möglich sein, wie dies lange in den USA angenommen und praktisch umgesetzt wurde. Insbesondere der sich dort vollziehende Wandel in der rechtlichen Bewertung verdeutlicht das zwingende Bedürfnis rechtlicher Regulierungen. Diese sind zur Sicherung der mit dem grundrechtlichen Persönlichkeitsrecht geschützten und aus der Menschenwürde folgenden Autonomie des einzelnen notwendig. Bei Beachtung der oben herausgearbeiteten materiellen Voraussetzungen des Einsatzes und der Durchführung von Videoüberwachungen sowie der dargestellten verfahrensrechtlichen Schutzvorkehrungen können die mit dieser Maßnahme verbundenen Eingriffe in die Grundrechte des einzelnen gerechtfertigt werden. Die Entstehung einer flächendeckenden, staatlichen Überwachung und die Realisierung des „gläsernen Menschen“ ist unter diesen Voraussetzungen nicht zu befürchten.

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Sachwortverzeichnis Adressat 155, 157, 181, 200 allgemeine Handlungsfreiheit 101, 120 allgemeines Persönlichkeitsrecht 51, 52 Anhörungsrecht 220 Anonymität 78, 100, 107, 126 Autonomie, personale 63, 80, 118 Behördenleitervorbehalt 217 Benachrichtigungspflicht 127, 130, 141, 214, 230 Berichtspflicht 234, 236 Bestimmtheitsgebot 175, 188 Bildaufnahme siehe Bildübertragung 91 Bildaufzeichnung 20, 77, 93, 106, 111, 113, 139–141, 161, 181, 227, 230, 238 Bildübertragung 20, 91, 96, 103, 138, 181, 195–196 Biometrie 21 Broken-Windows-Theorie 37 chilling effect on human behavior 79, 108, 120 Closed Circuit Television (CCTV) 22, 29, 32, 44, 130, 236 Datenschutzbeauftragte 214, 226, 233 Dokumentationspflicht 216 Drittbetroffenheit 157 Eingriffsschwelle siehe Einschreitschwelle 96 Einschreitschwelle 199, 206, 215 Erfolgskontrolle 234

Freizügigkeit 80, 248 Gefahrenabwehr 159–161, 211 Gefahrenvorfeld 42, 161, 182–183, 201, 210 Gefahrenvorsorge 161, 194, 208 Gesetzesvorbehalt 153, 180, 238 Gesetzgebungskompetenz – Gefahrenabwehr 160 – Gefahrenvorsorge 161 – Strafverfolgungsvorsorge 162 Grundrechtseingriff – Bagatellgrenze siehe Relevanzschwelle 101 – Begriff 86 – faktischer 87, 153 – Relevanzschwelle 88 Grundrechtsgefährdung 96, 99–100, 116, 121 Grundrechtsverzicht 122 Hausrecht 28, 238 Hinweisschilder 26, 133, 178, 191, 245 Kameraattrappe 99, 116, 121 Kamera-Monitor-Prinzip 19, 26, 30, 160 Katz v. United States 62, 68 Kriminalitätsschwerpunkt 134, 137, 177, 202, 210, 239 Löschungsfrist 140, 227 Löschungspflicht 159, 199, 227 Menschenwürde 53, 62, 80, 240 Ministervorbehalt 217

Sachwortverzeichnis Nahaufnahme 91, 183, 196, 240 New Policing 36 Null-Toleranz-Strategie 36, 41 öffentliche Ordnung 187 öffentliche Sicherheit 160, 212, 239 open fields doctrine 68–69 Organkompetenz 142, 145 Ortshaftung 181 plain view doctrine 69, 70 privacy, informational 108 public place 18 public privacy 74, 105 reasonable expectation of privacy 52, 69, 127 Recht am eigenen Bild 58, 103, 106, 110, 113 Rechtsschutz, gerichtlicher 216 right to privacy 51, 60, 62–63, 66, 123

275

search and seizure 52, 61, 67 Selbstbestimmung, informationelle 58, 81, 105, 109 Strafverfolgungsvorsorge 161 Übersichtsaufnahme 93, 104, 114, 196, 243 Überwachungsdruck 92, 97, 101–102, 108, 114, 118, 244 Versammlungsfreiheit 93, 97, 242 Verwendungszweck 84, 140, 159, 185, 196, 227 Volkszählungsurteil 58, 81, 84, 86, 98, 108–109, 153, 176, 198, 204, 214, 231 Vorfeldmaßnahme 200 Wirksamkeitskontrolle 234 Zugänglichkeit, öffentliche 18 Zurechnungszusammenhang 201 Zweckbindung 227