Zeugenbedrohung und Zeugenschutz in Deutschland und den USA [1 ed.] 9783428498550, 9783428098552

Der Autor beschäftigt sich mit dem in Deutschland bisher wenig untersuchten kriminologischen Phänomen der Zeugenbedrohun

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German Pages 469 Year 2001

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Zeugenbedrohung und Zeugenschutz in Deutschland und den USA [1 ed.]
 9783428498550, 9783428098552

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WALTER BUGGISCH

Zeugenbedrohung und Zeugenschutz in Deutschland und den USA

Kriminologische und sanktionenrechtliche Forschungen Begründet als "Kriminologische Forschungen" von Prof. Dr. Hellmuth Mayer Herausgegeben von Prof. Dr. Detlev Frehsee und Prof. Dr. Eckhard Horn

Band 11

Zeugenbedrohung und Zeugenschutz in Deutschland und den USA

Von Walter Buggisch

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Buggiseh, Walter: Zeugenbedrohung und Zeugenschutz in Deutschland und den USA / von Walter Buggisch. - Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Kriminologische und sanktionenrechtliche Forschungen; Bd. 11) Zugl.: Erlangen, Nümberg, Univ., Diss., 1998/99 ISBN 3-428-09855-2

n2

Alle Rechte vorbehalten

© 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0933-078X ISBN 3-428-09855-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8

Vorwort Da eine wissenschaftliche Arbeit, die neben einer Analyse der rechtlichen Situation des Zeugenschutzes in Deutschland und den Vereinigten Staaten vor allem eine empirische Untersuchung des Phänomens Zeugenbedrohung und eine vergleichende Darstellung der rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten des polizeilich-präventiven Zeugenschutzes enthält, keinesfalls "im stillen Kämmerlein" verfaßt werden konnte, sondern vielmehr der Mitwirkung einer ganzen Reihe von Personen bedurfte, muß die Danksagung an dieser Stelle ausfilhrlicher ausfallen, als dies Ublicherweise der Fall sein mag. An erster Stelle möchte ich ganz besonders Herrn Professor Dr. Streng danken, der die Arbeit in vorbildlicher Weise betreute und ohne dessen Mithilfe insbesondere der empirische Teil dieser Untersuchung nicht hätte verwirklicht werden können. Für die Erstattung des Zweitgutachtens, aber auch filr viele fruchtbare Diskussionen über Aspekte des angloamerikanischen Rechts, bin ich Frau Professor Dr. Byrd zu besonderem Dank verpflichtet. Mein Dank gilt weiterhin all denjenigen Staatsanwälten und Polizeibeamten, die meine Arbeit durch das Ausftlllen der Erhebungsfragebögen bzw. durch ausftlhrliche Auskünfte über die Situation des Zeugenschutzes in Deutschland und in den USA unterstützten. Ganz besonders danken möchte ich in diesem Zusammenhang Herrn Richard W. Knighten vom U.S. Marshals Service, Herrn Kriminaloberrat Soukup vom Bundeskriminalamt, Herrn EKHK Hubel vom LKA Baden-Württemberg, Frau Dr. Griep vom LKA Sachsen, Herrn EKHK Solon von der Münchner Kriminalpolizei und Herrn Oberstaatsanwalt Krombacher von der Staatsanwaltschaft Stuttgart filr ausftlhrliche und fruchtbare Gespräche über die gegenwärtige Situation und mögliche Reformen im Bereich des Zeugenschutzes. Mein Dank gilt zudem allen Freunden und Kollegen, die mich bei der Durchftlhrung der Untersuchung und bei der Erarbeitung der endgültigen Fassung aktiv unterstützten. Namentlich nennen möchte ich an dieser Stelle insbesondere Herrn Dr. Christian Schneider und Frau Ulrike Knobel, die den Entstehungsprozeß dieser Arbeit mit konstruktiver Kritik begleiteten. Für die Unterstützung bei der Korrektur der Endfassung möchte ich Frau Bettina Kohn und Frau Susanne Koller danken, filr die zeitaufwendige Formatierung und Vorbereitung der Druckvorlage Herrn Robert Schönhofer.

Vorwort

VI

Danken möchte ich zudem Herrn Prof. Dr. Frehsee und Herrn Prof. Dr. Horn ftlr die Aufnahme der Arbeit in die Reihe "Kriminologische und Sanktionenrechtliche Forschungen". Gefbrdert wurde die vorliegende Arbeit durch den German MarshaI Fund und durch die Friedrich-Naumann-Stiftung mit Mitteln des Bundesministers ftlr Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technik. Ainring, 12.11.2000

Waller Buggisch

Inhaltsverzeichnis Einleitung ......................................................................................................................... 1 A. Zeugenbedrohung ........................................................................................................ 7 I. Einleitung............................................................................................................... 7 11. Untersuchungen zur Zeugenbedrohung in den Vereinigten Staaten .................... 11 1. Überblick ......................................................................................................... 11 2. Ergebnisse der Dunkelfelduntersuchungen ..................................................... 13 3. Untersuchung von Cannavale und Falcon (1973) ........................................... 14 4. Untersuchung des Vera Institute of lustice (1976) .......................................... 17 5. Untersuchung des Vera Institute of lustice und der Victim Services Agency (1981) ................................................................................................. 18 a) Methodik ..................................................................................................... 18 b) Untersuchungsergebnis ............................................................................... 19 6. Untersuchung der Victim Services Agency (1988) ......................................... 25 a) Methodik ..................................................................................................... 25 b) Untersuchungsergebnis ............................................................................... 26 7. Untersuchung des National Institute of lustice (1994) .................................... 31 a) Methodik ..................................................................................................... 31 b) Untersuchungsergebnis ............................................................................... 32 8. Auswertung und Gesamtbeurteilung ............................................................... 35 111. Zeugenbedrohung in Deutschland ...................................................................... 38 1. EinfUhrung....................................................................................................... 38 a) Dunkelfelduntersuchungen und Untersuchungen zum Anzeigeverhalten ... 38 b) Erkenntnisse zur Zeugenbedrohung im Bereich der organisierten Kriminalitllt ................................................................................................. 39 c) Erhebung der AG Kripo zur Schutzgelderpressung .................................... 41 2. Untersuchung zur Zeugenbedrohung in Deutschland ...................................... 43 a) Ziel der Untersuchung................................................................................. 43 b) Methodik..................................................................................................... 43 aal Die Befragungsmethode ........................................................................ 43 bb) Der Fragebogen .................................................................................... 44 cc) Die Befragung ....................................................................................... 45 dd) Methodische Probleme der Erhebung................................................... 47 ee) Auswertung des Materials ..................................................................... 48 c) Das Ergebnis der Untersuchung .................................................................. 49 aal Allgemeine Angaben ............................................................................. 49

VIII

Inhaltsverzeichnis

bb) Fallbezogene Angaben ......................................................................... 51 (1) Zeugenbedrohung und Zeugentyp .................................................. 52 (2) Zeugenbedrohung und Deliktsbereich ............................................ 53 (3) Zeugenbedrohung und organisierte Kriminalität ............................ 56 (4) Zeugenbedrohung und Ausländerbeteiligung ................................. 57 (5) Die Modalitäten der Zeugenbedrohung .......................................... 60 (6) Zeugenbedrohung und Zeugenschutz ............................................. 64 (7) Die Auswirkungen der Zeugenbedrohung ...................................... 66 cc) Auswertung der allgemeinen Fallangaben ............................................ 68 dd) Allgemeine Beurteilung der Zeugenbedrohung durch die Staatsanwälte ................................................................................................. 68 ee) Zusammenfassung ................................................................................. 72 (1) Untersuchungsergebnisse ............................................................... 72 (2) Typische Fallkonstellationen .......................................................... 73 IV. Zeugenbedrohung, Zeugengeflihrdung und subjektives Bedrohungsgefilhl ....... 78 1. Zeugenbedrohung ............................................................................................ 78 2. Zeugengeflihrdung und subjektives Bedrohungsgefilhl ................................... 78 B. Zeugenschutz............................................................................................................. 81 I. Einleitung und Vorüberlegung .............................................................................. 82 1. Einleitung ........................................................................................................ 82 2. Kriminalpolitische Überlegungen zur Bedeutung der Zeugenaussage im Rahmen der Strafverfolgung und des Strafverfahrens ..................................... 83 3. Die staatliche Pflicht zum Schutz bedrohter Zeugen ....................................... 86 a) Ausgangsüberlegung: Die Auferlegung der Zeugenpflicht als Ursache von Zeugengeflihrdungen ........................................................................... 87 b) Die Diskussion über die staatliche Schutzpflicht gegenüber Zeugen in den USA ................................................................................................... 90 aa) Die Haltung der Rechtsprechung zur staatlichen Zeugen schutzpflicht ................................................................................................... 90 bb) Die Entscheidung des Supreme Court im Fall In Re Quarles (1895) ... 91 cc) Die Rechtslage auf dem Gebiet einzelner Bundesstaaten ..................... 93 dd) Die Bundesrechtssprechung zum Anspruch auf Zeugenschutz bis 1989 ................................................................................................ 97 ee) Die Entscheidung Piechowicz v. United States (1989): ..................... 101 fi) Analyse und Kritik ............................................................................. 103 gg) Stellungnahme .................................................................................... 105 c) Der Anspruch auf staatlichen Zeugenschutz in Deutschland .................... 109 aa) Der Rechtsanspruch auf polizeiliches Tätigwerden im Sicherheitsund Polizei recht.. ............................................................................... 110 bb) Der Schutzanspruch gegenüber dem Staat aus verfassungsrechtlicher Sicht ........................................................... :............................. 115 (1) Die verfassungsrechtliche Begründung der staatlichen Schutzpflicht ........................................................................................... 116

Inhaltsverzeichnis

IX

(2) Die rechtlichen Folgen der staatlichen Schutzpflicht. ................... 120 (3) Zusammenfassung ........................................................................ 125 cc) Die staatliche Pflicht zum Schutz bedrohter Zeugen .......................... 125 (I) Die Stellungnahme Dietleins ........................................................ 126 (2) Die Stellungnahme Zacharias' ...................................................... 127 (3) Eigene Stellungnahme .................................................................. 128 (a) Die besondere Schutzpflicht des Staates aufgrund der Geflihrdung von Individualrechtsgütern durch die Auferlegung der Zeugenpflicht ..................................................... 130 (b) Die besondere Schutzpflicht des Staates infolge einer vorangegangenen Zusage ............................................................. 138 dd) Die Ausgestaltung der staatlichen Zeugenschutzpflicht ..................... 140 (I) Konsequenzen der staatlichen Schutzpflicht rur die Exekutive .... 141 (2) Konsequenzen der staatlichen Schutzpflicht rur die Judikative .... 143 (3) Konsequenzen der staatlichen Schutzpflicht rur die Legislative ... 144 ee) Zusammenfassung .............................................................................. 145 11. Der Zeugenschutz im Strafverfahren .................................................................. 146 1. Einleitung ...................................................................................................... 146 2. VorUberiegung zum prozessualen Zeugenschutz........................................... 147 a) Ziele des Zeugenschutzes .......................................................................... 147 b) Maßnahmen im Bereich des prozessualen Zeugenschutzes ...................... 148 3. Der prozessuale Zeugenschutz in den USA. .................................................. 151 a) Die Verdeckung der Zeugenidentität im Strafverfahren ............................ 151 aa) Die Möglichkeit der Nichtverwendung geflihrdeter Zeugen ............... 151 ab) Die Verdeckung der Zeugenidentität im Ermittlungsverfahren .......... 152 cc) Die Verdeckung von Personalien des Zeugen im Hauptverfahren ...... 155 b) Die Verwertbarkeit vorprozessualer Zeugenaussagen im Strafprozeß ...... 156 aa) Die Ausnahme der "Deposition" ........................................................ 157 bb) Sonstige Ausnahmen .......................................................................... 159 c) Organisatorische Maßnahmen im Bereich der Justiz ................................ 160 d) Sonstige Zeugenschutzmaßnahmen .......................................................... 162 aa) Der Ausschluß der Öffentlichkeit und von Verfahrensbeteiligten ...... 162 bb) Die "Protective Order" ........................................................................ 163 cc) Zeugenschutz durch Untersuchungshaft ............................................. 164 dd) Die "Material Witness Statutes" ......................................................... 165 4. Der prozessuale Zeugenschutz in Deutschland ............................................. 167 a) Einleitung .................................................................................................. 167 b) Die Abdeckung von Zeugen identität oder Zeugenanschrift ...................... 167 aa) Die Vertraulichkeitszusage ................................................................. 167 ( I) Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Vertraulichkeitszusage nach der Gemeinsamen Richtlinie der Justiz- und Innenminister......................................................................................... 169

x

Inhaltsverzeichnis (2) Die Konsequenzen der Vertraulichkeitszusage rur das Ennittlungsverfahren .............................................................................. 170 (3) Die Konsequenzen der Vertraulichkeitszusage rur das Hauptverfahren ...................................................................................... 170 (a) Verweigerung der Aussagegenehmigung gern. § 54 StPO ...... 171 (b) Verweigerung der Aktenherausgabe und Auskunftssperre ..... 173 (c) Stellungnahme ......................................................................... 174 (4) Auswirkungen der StPO auf die ZuUlssigkeit der Vertraulichkeitszusage ................................................................................... 177 (5) Gerichtliche Überprüfbarkeit der behördlichen Auskunftssperre ............................................................................................ 178 bb) Die Abdeckung von Zeugen identität und Zeugenanschrift im Ermittlungsverfahren .............................................................................. 180 (I) Verhinderung der Akteneinsicht .................................................. 181 (2) Verzicht auf Nennung der Zeugenanschrift in der Anklageschrift ........................................................................................... 182 (3) Geheimhaltung personenbezogener Daten gern. § 68 StPO ......... 183 cc) Die Abdeckung von Zeugen identität und Zeugenanschrift im Hauptverfahren ................................................................................... 184 (I) Geheimhaltung personenbezogener Daten gern. § 68 StPO ......... 184 (2) Optische und akustische Abschinnung des Zeugen in der Hauptverhandlung ........................................................................ 186 dd) Stellungnahme .................................................................................... 186 c) Die Konservierung der Zeugenaussage im deutschen Strafverfahren ....... 188 aa) Der Unmittelbarkeitsgrundsatz im deutschen Strafprozeßrecht .......... 189 bb) Ausnahmen vom Grundsatz der persönlichen Vernehmung ............... 189 cc) Die Verwertung früherer Aussagen bei Zeugenbedrohung odergefllhrdung.......................................................................................... 190 dd) Die Einbringung von Zeugenaussagen nach Erteilung einer Vertraulichkeitszusage ............................................................................. 193 ee) Stellungnahme .................................................................................... 194 d) Zeugenschutz durch das Gericht in der Hauptverhandlung ...................... 195 aa) Zeugenschutz durch prozessuale Maßnahmen .................................... 196 bb) Zeugenschutz durch organisatorische Maßnahmen ............................ 202 e) Sonstige Zeugenschutzmaßnahmen ........................................................... 203 aa) Die Verhaftung des Bedrohers wegen Verdunkelungsgefahr.............. 203 bb) Der Zeugenanwalt .............................................................................. 207 cc) Die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Gericht... ......................... 208 5. Zusammenfassung und Rechtsvergleich ........................................................ 209 III. Der präventive Zeugenschutz ............................................................................ 213 I. Einleitung ...................................................................................................... 213 2. Der präventive Zeugenschutz in den USA .................................................... 214 a) Das Witness Security Prograrn .................................................................. 214

Inhaltsverzeichnis

XI

aa) Die historische Entwicklung des Witness Security Program............... 215 (I) Organisatorische Probleme im Innenverhältnis ............................ 219 (2) Rechtliche Probleme im Außenverhältnis ..................................... 222 (3) Änderungsvorschläge und -initiativen .......................................... 230 bb) Der Witness Protection Act 1984 ....................................................... 233 cc) Die gegenwärtige Situation des amerikanischen Zeugenschutzprogramms ............................................................................................... 237 dd) Die Erfolgsbilanz des Witness Security Program ............................... 240 b) Der allgemeine polizeilich-präventive Zeugenschutz ............................... 245 aa) Zeugenschutz auf Bundesebene ......................................................... 246 bb) Zeugenschutz im Bereich der Kommunen und der einzelnen Bundesstaaten ........................................................................................... 247 Exkurs: Polizeilicher Zeugenschutz in Italien - zentralisierter Zeugenschutz nach amerikanischem Vorbild ....................................................................... 249 3. Der präventive Zeugenschutz in Deutschland ............................................... 254 a) Die historische Entwicklung des polizeilichen Zeugenschutzes ............... 255 b) Die rechtlichen Grundlagen des polizeilichen Zeugenschutzes ................ 259 aa) Die Namensänderung .......................................................................... 262 bb) Die Ausstellung von Tarnpapieren ..................................................... 262 c) Der allgemeine polizeiliche Zeugenschutz ................................................ 270 d) Die polizeilichen Zeugenschutzprogramme .............................................. 272 aa) Der polizeiliche Zeugenschutz auf Landesebene ................................ 272 (1) Das Zeugenschutzverfahren im zentralen System ......................... 274 (a) Umsiedlung und Abdeckung der Zeugenanschrift .................. 275 (b) Identitätsabdeckung ................................................................ 281 (c) Sonstige Maßnahmen .............................................................. 281 (2) Das Zeugenschutzverfahren im dezentralen System ..................... 282 (3) Die Beendigung des Zeugenschutzes ............................................ 284 bb) Die Rolle des Bundeskriminalamts im polizeilichen Zeugenschutz ... 286 cc) Der Schutz in Haft befindlicher Zeugen ............................................. 287 dd) Internationale Zusammenarbeit im polizeilichen Zeugenschutz......... 288 ee) Rechtliche und organisatorische Probleme der Zeugenschutzprogramme ............................................................................................... 290 (I) Die Verbotsregelung des § 136 A IStPO ...................................... 290 (2) Rechtliche Probleme bei der Geheimhaltung der Zeugenanschrift ........................................................................................... 294 (3) Zivilrechtliche Problemstellungen ................................................ 294 (4) Grenzen der polizeilichen Zeugenschutzprogramme .................... 297 ft) Das "Lagebild Zeugenschutz" .............................................................. 298 4. Zusammenfassung und Rechtsvergleich ........................................................ 302 IV. Strafrechtlicher Zeugenschutz .......................................................................... 305 1. Einleitung ...................................................................................................... 305 2. Die strafrechtliche Beurteilung der Zeugenbedrohung in Deutschland ......... 307

XII

Inhaltsverzeichnis

a) Strafbarkeit des Bedrohers bei Gewaltanwendung gegenüber dem Zeugen ...................................................................................................... 307 b) Strafbarkeit des Bedrohers gern. §§ 240, 241 StGB ................................. 308 aa) Strafbarkeit wegen Nötigung gern. § 240 StGB .................................. 308 bb) Strafbarkeit wegen Bedrohung gern. § 241 StGB ............................... 309 c) Strafbarkeit des Bedrohers wegen Anstiftung zu einem Aussagedelikt gern. §§ 153 ff., 26 StGB .......................................................................... 310 d) Strafbarkeit des Bedrohers wegen Strafvereitelung gern. § 258 StGB ...... 311 e) Zusammenfassung ..................................................................................... 313 3. Die strafrechtliche Beurteilung der Zeugenbedrohung in den USA .............. 314 a) Strafrechtlicher Zeugenschutz durch allgemeine Straftatbestände ............ 314 b) Strafrechtlicher Zeugenschutz durch spezielle Straftatbestände ............... 314 aa) Model Penal Code ............................................................................... 315 bb) Recht der Einzelstaaten ...................................................................... 316 cc) Bundesrecht ........................................................................................ 317 dd) Zusammenfassung ................................................................ :............. 318 4. Strafrechtliche Reformvorschläge ................................................................. 319 V. Reformvorschläge .............................................................................................. 320 I. Einleitung ...................................................................................................... 320 2. Bisherige Reformvorschläge.......................................................................... 322 a) Reformvorschläge im Bereich des prozessualen Zeugenschutzes ............. 322 aa) Erweiterte Verdeckung der Identität oder personenbezogener Daten des Zeugen ......................................................................................... 322 bb) Gesetzliche Verankerung des Zeugenanwalts..................................... 323 cc) Erweiterte Möglichkeit des Ausschlusses Verfahrensbeteiligter und der Öffentlichkeit ............................................................................... 323 dd) Überlegungen zur Verbesserung des Beweiswertes anonymisierter Zeugen ................................................................................................ 324 b) Reformvorschläge im Bereich des polizeilich-präventiven Zeugenschutzes ..................................................................................................... 325 aa) Gesetzliche Regelung der Ausstellung von Tarnpapieren bzw. der Identitätsänderung .............................................................................. 325 bb) Schaffung eines bundeseinheitlichen Zeugenschutzgesetzes .............. 327 3. Situationsanalyse - Ziele einer Reform des Zeugenschutzes ......................... 328 a) Die einzelnen Fallgruppen ........................................................................ 329 b) Reformbedarfaus Sicht der einzelnen Fallgruppen .................................. 332 c) Weitere VorUberlegungen zur Reform des Zeugenschutzes ...................... 333 4. Eigene Reformvorschläge .............................................................................. 334 a) Änderungen im Bereich des prozessualen Zeugenschutzes ...................... 335 aa) Gesetzesänderungen ............................................................................ 335 (I) Verbesserte Geheimhaltung der Identität oder der Anschrift des Zeugen im Strafverfahren ............................................................. 335

Inhaltsverzeichnis

XIII

(a) Identitätsabdeckung mittels optischer und akustischer Tarnmaßnahmen ............................................................................. 335 (b) Verbesserte Geheimhaltung personenbezogener Daten in bezug auf § 68 StPO ............................................................... 338 (2) Verbesserter Zeugenschutz im Bereich der Hauptverhandlung .... 340 (a) Erweiterte Möglichkeit des Ausschlusses des Angeklagten .... 340 (b) Erweiterte Möglichkeit des Ausschlusses der Öffentlichkeit .. 341 (3) Rechtliche Verankerung des Zeugenanwaltes in der StPO ........... 342 (4) Sonstige Änderungsvorschläge ..................................................... 344 bb) Organisatorische Änderungen ............................................................ 345 b) Änderungen im Bereich des polizeilich-präventiven Zeugenschutzes ...... 348 aal Polizeiliche Zeugenschutzprogramme ................................................ 348 (I) Regelungsinhalte .......................................................................... 349 (a) Tarnpapiere und Identitätsänderung ........................................ 349 (b) Organisatorische Reformen und gesetzgeberische Konsequenzen ................................................................................... 354 (2) Regelungsstandort ........................................................................ 356 bb) Polizeilicher Zeugenschutz außerhalb der Zeugenschutzprogramme ............................................................................................... 359 c) Änderungen im Bereich des strafrechtlichen Zeugenschutzes .................. 360 5. Zusammenfassung .................................................................................................... 360 Anhang ......................................................................................................................... 363 Anhang I: Erhebungsfragebogen ............................................................................ 365 Anhang 2: Ergebnisse der Befragung (Tabellen) .................................................. 379 Anhang 3: Ergebnisse der Befragung (Fallbeispiele) ............................................ 403 Anhang 4: Bundesrechtliche Grundlagen des Zeugenschutzes in den USA ........... 411 Anhang 5: Strafrechtliche Regelungen zur Zeugenbedrohung in den USA ............ 426 Anhang 6: Gemeinsame Richtlinien ........................................................................ 433 Literaturverzeichnis ..................................................................................................... 440 Sachregister .................................................................................................................. 449

Abkünungsveneichnis a.A. a.a.O. ABA Abs. AG

andere Ansicht am angegebenen Ort American Bar Association (Amerikanische Juristenvereinigung) Absatz Arbeitsgemeinschaft AK Reihe Alternativkommentare Art. Artikel AT Allgemeiner Teil A.T.F. Alcohol, Tobacco and Firearms (US.-Strafverfolgungsbehörde, U.a. zuständig rur illegalen Waffenhandel) Aufl. Auflage AuslG Ausillndergesetz (Fassung vom 09.07.1990) AZR Ausillnderzentralregister AZRG Ausillnderzentralregistergesetz (Fassung vom 02.09.1994) BayPAG Bayerisches Polizeiaufgabengesetz BayPOG Bayerisches Polizeiorganisationsgesetz BBG Bundesbeamtengesetz (Fassung vom 27.02.1985) Bd. Band BGBI. Bundesgesetzblatt BGHSt Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen BKA Bundeskriminalamt BKAG Gesetz über die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes (Fassung vom 07.07.1997) BOP Bureau ofPrisons (amerikanische Bundesstrafvollzugsbehörde) BT Besonderer Teil (des Strafgesetzbuches) BTDrs. Bundestagsdrucksachen Betllubungsmittelgesetz (Fassung vom 01.03.1994) BtMG BVerfU Bundesverfassungsgericht BVerfUE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerwG Bundesverwaltungsgericht BVerwGE Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Cal.App. Califomia Appellate Reports (Entscheidungssamml. der kalifornischen Obergerichte) Cal.Rptr. West's Califomia Reporter (Entscheidungssamml. kalifomischer Gerichte) Cir. U.S. Court of Appeals (Bundesgericht 2. Instanz) Colorado Reports (Entscheidungssamml. der Gerichte Colorados) Colo. Colo.App. Colorado Court of Appeals Reports (Entscheidungssamml. der Obergerichte Colorados)

AbkUrzungsverzeichnis

xv

Drug Enforcement Administration (US-Drogenbehörde) Die Öffentliche Verwaltung Deutsche Polizeiblätter DPolB1 Deutsche Richterzeitung DRiZ Deutsche Verwaltungsblätter DVBI. ebenda ebd. Europäischer Gerichtshof fllr Menschenrechte EGMR Einl. ALR Einleitung Preußisches Allgemeines Landrecht eventuell evtl. folgende f., ff. F.2d, F.3d Federal Reporters (Entscheidungssamml. der US-Bundesobergerichte) Federal Bureau of Investigation (US-Bundespolizeibehörde) F.B.I. Fußnote Fn. Federal Tort Claims Act (1946) FTCA Festschrift FS Federal Supplement (Entscheidungssamml. der US Bundesgerichte) F.Supp. Goldammers Archiv fllr Strafrecht GA GAO General Accounting Office (etwa: US BundesrechnungsprUfungsbehörde) gern. gemäß Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland GG gegebenenfalls ggf. Gedächtnisschrift GS Gerichtsverfassungsgesetz (Fassung vom 09.05.1975) GVG h.L.,h.M. herrschende Lehre, herrschende Meinung Hrsg. Herausgeber LE. im Ergebnis LV.m. in Verbindung mit JA Juristische Arbeitsblätter Juristische Rundschau JR Juristische Ausbildung Jura Juristische Schulung JuS Juristenzeitung JZ Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum GerichtsKK verfassungsgesetz mit Einfllhrungsgesetz Landgericht LG Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch LK LKA Landeskriminalamt LR Löwe-Rosenberg, Kommentar zur StPO und zum GVG MDR Monatsschrift fllr deutsches Recht MEK Mobiles Einsatzkommando Bayerisches Meldegesetz (Fassung vom 21.10.1995) MeldeG MEPolG Musterentwurffllr ein Polizeigesetz Melderechtsrahmengesetz (Fassung vom 24.06.1994) MRRG m.w.N. mit weiteren Nachweisen North Eastem Reporter (Entscheidungssamml. verschiedener BundesN.E. staaten) Neue Juristische Wochenschrift NJW D.E.A.

D6v

XVI NStZ NVwZ N.Y. N.Y.S. OCCA OK OrgKG

Abkürzungsverzeichnis

Neue Zeitschrift rur Strafrecht Neue Zeitschrift rur Verwaltungsrecht New York Reports (Entscheidungssamml. New York) West's New York Supplement (Entscheidungssamml. New York) Organized Crime Control Act (1970) Organisierte Kriminalität Gesetz zur Bekämpfung des Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität (vom 15.07.1992) PStG Personenstandsgesetz (Fassung vom 08.08.1957) Rdnr. Randnummer Rechtsprechung Rspr. RuP Recht und Politik Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz (vom 22.07.1913) RuStAG Seite S. Supreme Court Reporter (Entscheidungssammlung des US Supreme Court) S.Ct. SEK Sondereinsatzkommando Session (Sitzungsperiode) Sess. Systematischer Kommentar SK s.o. siehe oben sogenannt sog. Southem Reporter (Entscheidungssamml. verschiedener Bundesstaaten) So.2d Staatsanwaltschaft StA Strafgesetzbuch (Fassung vom 10.03.1987) StGB StPO Stmfprozeßordnung (Fassung vom 07.04.1987) StV Strafverteidiger StVG Straßenverkehrsgesetz StVollzG Strafvollzugsgesetz (vom 16.03.1976) unter anderem u.a. United States Reporter (Entscheidungssammlung des US Supreme Court) U.S. United States Code (Gesamtausgabe der Bundesgesetze) U.S.C. U.S.C.A. United States Code Annotated (Kommentierte Gesamtausgabe der Bundesgesetze) USMS U.S. Marshals Service unter Umständen u.U. vergleiche vgl. VVDStRL Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer VwGO Verwaltungsgerichtsordnung (Fassung vom 10.03.1991) WitSec Witness Security Prograrn (Bundeszeugenschutzprogramm) Wirtschaftsverwaltung WiVerw WPP Witness Protection Program (Bundeszeugenschutzprogramm) z.B. zum Beispiel ZPO Zivilprozeßordnung (Fassung vom 12.09.1950) ZRP Zeitschrift rur Rechtspolitik ZSEG Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (Fassung vom 01.10.1969) z.T. zum Teil

Einleitung

"Ich kann mich an nichts erinnern", sagte der Schaffuer. "Bei meiner Mutter selig, ich kann mich an nichts erinnern. In diesem Augenblick kann ich mich an nichts erinnern" (Leonardo Sciascia, Der Tag der Eule) Der Versuch, Zeugen durch Bedrohung oder die Zusage von VergUnstigungen zugunsten einer bestimmten Prozeßpartei zu beeinflussen, ist sicherlich so alt wie der Zeugenbeweis selbst. Erste dokumentierte Hinweise auf eine unzulässige Beeinflussung von Zeugen in Strafverfahren finden sich vor allem im Bereich organisierter Kriminalitätsformen. So ergibt sich aus Gerichtsakten des 19. Jahrhunderts, daß die sizilianische Mafia sich zur Sicherung ihrer Machtposition bereits zu dieser Zeit der systematischen Einschüchterung - und notfalls auch Beseitigung - von Belastungszeugen bedientel. Auch die verschiedenen Gruppierungen des amerikanischen "organized crime" waren schon früh dafUr bekannt, Belastungszeugen in oft sehr brutaler Weise zu beseitigen oder zu einer Abänderung ihrer Aussage zu bewegen2 • Dokumentierte Fälle von Zeugenbedrohung finden sich allerdings nicht allein im Bereich der klassischen organisierten Kriminalität, sondern beispielsweise auch im Bereich der Staatsund Regierungskriminalität. So bedienten sich viele totalitäre Regierungen und Diktaturen im Laufe des 20. Jahrhunderts der Einschüchterung und Beeinflussung von Zeugen, um in öffentlichen Prozessen mit Hilfe erpreßter oder verfllischter Zeugenaussagen Regimegegner oder sonstige unliebsame Personen auszuschalten. Exemplarisch sei hierfilr der Fall des Oberkommandierenden des deutschen Heeres, Werner Freiherr von Fritsch, genannt, der 1938 mit Hilfe einer - offensichtlich von den Polizeibehörden auf Anordnung der nationalsozialistischen Staatsregierung erpreßten - falschen Zeugenaussage angeblicher homosexueller Aktivitäten überfllhrt werden sollte3 • Während in den USA und in Italien die Beeinflussung von Zeugen zumindest im Bereich der organisierten Kriminalität schon früh als Problem fUr die Verfolgung und Aburteilung von Straftaten wahrgenommen wurde, ist die ZeugenbeVgl. Hess, 1988, S. I I3 ff., 144. Vgl. hierzu die Fallbeispiele bei Graham, 1985, S. 3 f. 3 Kielmansegg, 1949, S. 94 f. Es stellt sich allerdings die Frage, ob das nationalsozialistische Hitlerregime nicht eigentlich doch unter den Begriff "Organisiertes Verbrechen" subsumiert werden kann. I

2

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Einleitung

drohung in Deutschland erst seit Mitte der 80er Jahre in das Blickfeld von Polizei, Justiz und Wissenschaft gelangt. Auch die Tatsache, daß es in 'ganz normalen' Strafverfahren ohne politischen Bezug und ohne jeden Bezug zur organisierten Kriminalität mehr oder weniger häufig zu Versuchen kommt, Zeugen durch Bedrohung und Einschüchterung zu einer Rücknahme oder Abänderung ihrer Aussage zu bewegen, fand in Deutschland erst injUngster Zeit Beachtung4• Mitte der 80er Jahre wurde in Deutschland daher zu Recht beklagt, daß die Interessen gefllhrdeter bzw. bedrohter Zeugen im Strafverfahren viel zu wenig Beachtung fänden und daß Maßnahmen zum Schutz von Zeugen kaum getroffen WOrden: "Zeugenschutzmaßnahmen, ... , werden in Deutschland, sofern es sie überhaupt gibt, mehr als stiefinütterlich behandelt. Wenn sich wo was tut, dann überhaupt nur bei der Polizei, die zwar den konkreten Problemen am nächsten ist, die aber von der Justiz und - mehr noch - der Rechtspolitik weitgehend allein gelassen wird"s. Rechtsprechung und Gesetzgebung, aber auch Rechtslehre und kriminologische Forschung befaßten sich bis Mitte der 80er Jahre allenfalls am Rande mit den Interessen und Problemen des Zeugen im allgemeinen und den Bedürfhissen des bedrohten oder gefährdeten Zeugen im besonderen6 ; das Stichwort "Zeugenschutz" wurde in den einschlägigen Kommentaren und Lehrbüchern in der Regel erst seit der Neufassung der zeugenschützenden Regelung in § 68 StPO im Jahre 1993 eingehender diskutiert'. Mittlerweile hat sich die rechtswissenschaftliche Forschung in Deutschland vermehrt mit den Bedürfhissen und der rechtlichen Stellung des Zeugen im Strafverfahren befaßt und sich dem Problem des Zeugenschutzes - vor allem im Bereich des Strafprozeßrechts - verstärkt zugewandt8•. Der 'Schutz' des Zeugen vor Beeinträchtigungen, die durch seine Beteiligung am Strafverfahren hervorgerufen werden, wird dabei vor allem in drei Teilbereichen diskutiert. Der Schwerpunkt der Diskussion über den Schutz von Zeugen liegt seit dem Erscheinen der Arbeit von Gomolla9 1986 im Bereich des Schutzes von (Belastungs)zeugen vor einer Beeinträchtigung oder unzulässigen Beeinflussung durch den Beschuldigten oder dritte Personen; in der Literatur wurden inzwiVgl. BTDrs. 13/5034 und BTDrs. 13/8156. Hanunes, 1986,57. 6 Gomolla, 1986, S. I ff. 7 Vgl. beispielsweise KleinknechtlMeyer, 1993, § 68; Roxin, 1993, S. 187 f.; anders dagegen Peters (Peters, 1985, S. 359 f.), der sich bereits früher etwas intensiver mit Problemen des Zeugenschutzes befaßte. S BDttcher sieht den Grund ftlr die verstllrkte Berücksichtigung der Rechte und Interessen des Zeugen in einem gewandelten Verstllndnis des Verhältnisses Bürger Staat: "In diesem neuen Verstllndnis spielen die Gedanken der Mitwirkung und der Mitverantwortung des Bürgers eine größere Rolle. Der Gedanke der Verfllgbarkeit des Bürgers ftlr staatliche Zwecke tritt dementsprechend zurück" (Böttcher, 1985, S. 28). 9 Gomolla, 1986, S. I ff. 4

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Einleitung

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sehen verschiedene - in erster Linie prozessuale - Möglichkeiten zum Schutz geflthrdeter oder bedrohter Zeugen erörtert, was mittlerweile auch zu einigen Änderungen der StPO in Hinblick auf einen verbesserten Zeugenschutz ftlhrte lO• Neben dem Schutz des geflthrdeten oder bedrohten Zeugen wurde zudem dem Schutz des Zeugen vor einer Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts beispielsweise durch eine entehrende oder herabwOrdigende Befragung im Rahmen der Hauptverhandlung - vermehrt Beachtung geschenktli. Es wurde betont, daß dem Recht des Angeklagten auf eine hinreichende Prüfung der GlaubwOrdigkeit des Zeugen ein Anspruch des Zeugen auf Schutz seiner Persönlichkeit vor Ehrverletzungen und öffentlicher Bloßstellung gegenüberstehe l2 ; gleichzeitig wurde allerdings darauf hingewiesen, daß ein Schutz des Zeugen vor einer Beeinträchtigung persönlicher Interessen aufgrund wichtiger verfassungsrechtlicher und strafprozeßrechtlicher Prinzipien in der Regel nur sehr begrenzt möglich sei \3 • In jüngster Zeit hat ein weiterer Aspekt des Zeugenschutzes erheblich an Bedeutung gewonnen. Im Zuge verschiedener Strafverfahren, in denen - überwiegend körperlich mißhandelte oder sexuell mißbrauchte - Kinder und Jugendliche durch ihre wiederholten Zeugenaussagen und durch die Konfrontation mit dem Beschuldigten bei Vernehmungen im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung erheblichen psychischen Belastungen ausgesetzt worden waren, stellte sich die Frage, wieweit solche psychischen Belastungen durch prozessuale (Schutz)maßnahmen verhindert oder zumindest eingeschränkt werden können; zu den in diesem Zusammenhang erörterten Maßnahmen gehören beispielsweise eine Vermeidung wiederholter belastender - Vernehmungen des jugendlichen Zeugen durch die Konservierung früher Vernehmungen (mittels einer ton- und bildtechnischen Aufzeichnung) oder der Verzicht auf eine Konfrontation des jugendlichen Zeugen mit dem Beschuldigten durch die Vernehmung des Zeugen in einem getrennten, mit dem Gerichtssaal durch eine Videoleitung verbundenen Vernehmungszimmerl4. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll allein der Schutz von Zeugen vor Bedrohungen oder Geflthrdungen durch den Beschuldigten oder dritte Personen berücksichtigt werden. Obwohl gerade in Bezug auf die strafprozessualen Möglichkeiten des Zeugenschutzes bereits einige Veröffentlichungen vorliegen, die sich mit der rechtlichen Situation des Zeugenschutzes de lege lata und de lege 10 Die Gesetzgebung reagierte auf das vermehrte Bekanntwerden von Fällen von Zeugenbedrohung bzw. -geOOlrdung mit der Neufassung des § 68 StPO (siehe hierzu unten S. 183 fl). 11 Vgl. z.B. Dähn, 1979; Böttcher, 1985. 12 Peters, 1985, S. 359. 13 Böttcher, 1985, S. 30 ff., 46 f. 14 Vgl. hierzu: Ballof, 1992; Volbert/Pieters, 1993; Streng, 1997, S. 445 ff.; Berufsverband deutscher Psychologen, 1969. Zur Situation im anglo-amerikanischen Rechtsbereich vgl. Scottish Law Commission, 1988; Report, 1989.

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ferenda befassen, wurde die Problematik des Zeugenschutzes bisher weder in Hinblick auf die gegenwärtige Rechts- und Sachlage noch in Hinblick auf mögliche Reformen erschöpfend behandelt. Wenig Klarheit besteht gegenwärtig z.B. darüber, wie häufig und in welchen Deliktsbereichen Zeugen aufgrund ihrer Zeugenstellung durch den Beschuldigten oder dritte Personen bedroht oder geflihrdet werden, in welcher Weise Zeugen bedroht werden und welche Auswirkungen eine (konkrete) Bedrohung oder eine (abstrakte) Geflihrdung des Zeugen auf den Verlauf des Strafverfahrens haben kann lS • Das Wissen Ober Umfang, Modalitäten und Auswirkungen der Bedrohung bzw. Geflihrdung von Zeugen beschränkt sich derzeit - zumindest in Deutschland - weitgehend auf Einzelfallkenntnisse aus der täglichen Praxis der Polizeibehörden und Gerichte l6 , die jedoch keine Aussagen Ober das Phänomen der Zeugenbedrohung zulassen, die ohne weiteres verallgemeinert werden können; statistische Materialien gibt es bisher allenfalls in bestimmten Teilbereichen (organisierte Kriminalität, Schutzgelderpressung I7). Eine Diskussion Ober Möglichkeiten des Zeugenschutzes de lege lata bzw. de lege ferenda setzt jedoch gewisse Kenntnisse darüber voraus, in welcher Weise Zeugen seitens des Beschuldigten oder dritter Personen bedroht werden, in welchen Fallkonstellationen eine Geflihrdung des Zeugen aufgrund seiner Zeugenstellung zu erwarten ist und welche Auswirkung die Bedrohung bzw. Geflihrdung von Zeugen auf den Verlauf des Ermittlungs- und des Hauptverfahrens haben kann. Einzelfallkenntnisse können hier zwar in gewissem Umfang weiterhelfen, präzise Aussagen Ober die Effektivität gegenwärtig - d.h. nach geltendem Recht praktizierter Zeugenschutzmaßnahmen und Ober den Nutzen bestimmter organisatorischer Reformen oder gesetzlicher Änderungen zur Verbesserung des Zeugenschutzes lassen sich ohne eine genauere empirische Untersuchung des Phänomens der Zeugenbedrohung und -geflihrdungjedoch kaum gewinnen. Im ersten Teil der vorliegenden Arbeit wird daher zunächst der gegenwärtige Kenntnisstand Ober Umfang, Modalitäten und Relevanz der Zeugenbedrohung dargelegt. Da der größte Teil der bisherigen empirischen Erkenntnisse zur Zeugenbedrohung in den 80er Jahren in den USA gewonnen wurde, werden in diesem Zusammenhang schwerpunktmäßig die Ergebnisse amerikanischer Studien dargestellt. Darüber hinaus werden die Ergebnisse einer vom Verfasser in den Jahren 1996/97 durchgeftlhrten Befragung von Staatsanwälten an verschiedenen deutschen Gerichten wiedergegeben, bei der erstmals umfassenderes Datenmaterial Ober die Bedrohung von Zeugen, Ober die Auswirkungen der Zeugen-

IS V gI. hierzu die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion (BTDrs. 13/5034) vom 02.07.1997; BTDrs. 13/8156. 16 Vgl. beispielsweise Stratmann, 1992,787; Sielaff, 1986,58 ff. 17 AG Kripo, 1995.

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bedrohung auf das Strafverfahren und über die gegenwärtige Zeugenschutzpraxis der Justiz- und Polizeibehörden gewonnen wurde. Im zweiten Teil der Arbeit wird - unter Einbeziehung der in der empirischen Untersuchung und in den amerikanischen Studien gewonnenen Erkenntnisse dargelegt, welche Maßnahmen nach der geltenden Rechtslage zum Schutz gefllhrdeter oder bedrohter Zeugen getroffen werden können und wieweit die derzeit bestehenden Möglichkeiten tatsächlich umgesetzt werden. Neben den Zeugenschutzmöglichkeiten im Bereich des eigentlichen Ermittlungs- und Strafverfahrens werden vor allem Maßnahmen des polizeilich-präventiven Zeugenschutzes einer ausfUhrlichen Analyse unterzogen. Während nämlich die rechtlichen Möglichkeiten des Zeugenschutzes im Rahmen des Ermittlungs- und Hauptverfahrens mittlerweile recht ausfUhrlich dokumentiert wurden l8 , blieben polizeirechtlich-präventive Aspekte des Zeugenschutzes - hierzu gehören insbesondere die in den USA schon seit den 70er Jahren praktizierten Zeugenschutzprogramme - bisher in wissenschaftlichen Untersuchungen weitgehend außer Betrache 9 • Bisher ebenfalls weitgehend außer acht gelassen - und daher im Rahmen der vorliegenden Arbeit ausfUhrlicher behandelt - wird die Frage, ob nicht strafrechtliche Strafandrohungen und Sanktionen - de lege lata bzw. de lege ferenda - zum Schutz gefllhrdeter oder bedrohter Zeugen beitragen können. Da dem Strafrecht grundsätzlich die Aufgabe zukommt, "die elementaren Grundwerte des Gemeinschaftslebens zu sichern, die Erhaltung des Rechtsfriedens im Rahmen der sozialen Ordnung zu gewährleisten und das Recht im Konfliktsfall gegenüber dem Unrecht durchzusetzen,,20, und das Strafrecht demnach ein ganz wesentliches Instrument zum Schutze gefllhrdeter - allgemeiner und individueller - Rechtsgüter ist, sollte es auch zum Schutze von Zeugen vor einer unzulässigen Beeinflussung durch den Beschuldigten oder dritte Personen eingesetzt werden. Im dritten, abschließenden Teil der Arbeit wird untersucht, ob und in welcher Weise organisatorische Reformen und Gesetzesänderungen zu einer Optimierung des Schutzes bedrohter oder gefllhrdeter Zeugen fUhren können, ohne daß dabei andere schützenswerte Rechtspositionen - d.h. in erster Linie Rechte des Beschuldigten bzw. Angeklagten - in unzulässiger Weise beeinträchtigt werden. In diesem Zusammenhang werden insbesondere die Ergebnisse der verschiedenen empirischen Studien zur Zeugenbedrohung berücksichtigt; neben verfas-

18 Gomolla, 1986, S. 8 ff.; Krey, 1990, S. 239 ff.; RebmannlSchnarr, 1989, 1185; Zacharias, 1997, S. 195 ff. 19 Eine kurze Darstellung findet sich bei Zacharias, 1997, S. 157 ff. 20 Wesseis, 1996, Rdnr. 6; BVerfGE 51, 324 (343).

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Einleitung

sungs- und strafverfahrensrechtlichen Aspekten sollen vor allem praktische Erwägungen in die Reformdiskussion eingebracht werden21 • Aufgrund der langjährigen Erfahrungen der amerikanischen Polizei- und Ermittlungsbehörden mit der Bedrohung von Zeugen und deren Schutz22 und aufgrund der Tatsache, daß sich die Gerichte und die kriminologische bzw. strafrechtliche Forschung in den USA bereits seit einigen Jahren mit den Themen Zeugenbedrohung und Zeugenschutz beschäftigen, bietet es sich bei einer empirischen Untersuchung des Phänomens Zeugenbedrohung, aber auch bei einer reformbezogenen Analyse der gegenwärtigen Situation des Zeugenschutzes in Deutschland an, die in den USA gewonnenen Erkenntnisse zu verwerten. Im Rahmen der Untersuchung des Phänomens Zeugenbedrohung und im Rahmen der Darstellung der gegenwärtigen Situation des Zeugenschutzes werden daher zunächst die Sach- und Rechtslage in Deutschland und die Verhältnisse in den USA einander gegenUbergestellt. Der durchgehend verwendete rechtsvergleichende Ansatz dient schließlich dazu, die in den USA vorhandenen Erkenntnisse auf die in Deutschland bestehende Situation anzuwenden und in bestimmten Bereichen - zumindest auch auf diesen Erkenntnissen basierende Verbesserungsvorschläge zu entwickeln23 . Der vom Bundesland Rheinland-Pfalz initiierte und vom Bundesrat am 05.02.1999 beschlossene Gesetzesentwurf "Entwurf eines Gesetzes zur Regel-

ung des Schutzes geflihrdeter Zeugen,,24, in dem vor allem Verbesserungen im Bereich des polizeilich-präventiven Zeugenschutzes vorgeschlagen werden, konnte im Rahmen dieser Arbeit nicht mehr berUcksichtigt werden.

21 Zu diesem Zweck wurden vom Verfasser außerdem eine Reihe von Interviews mit Beamten der Staatsanwaltschaft und verschiedener polizeilicher Zeugenschutzdienstste1len gefllhrt; die dort gewonnenen Erkenntnisse wurden sowohl fllr die Darstellung der gegenwartigen Sach- und Rechtslage als auch fllr die Entwicklung verschiedener Reformvorschläge verwendet. 22 Vgl. beispielsweise Adam, 1978,369. 23 Dem rechtsvergleichenden Ansatz läßt sich auch nicht - wie Böttcher meint - der Einwand entgegenhalten, er filrdere lediglich die Erkenntnis, daß auch andere Länder Probleme mit dem Schutz geflihrdeter Zeugen hätten (Böttcher, 1993, S. 552). Gerade im Bereich des polizeilich-präventiven Zeugenschutzes können die langjährigen amerikanischen Erfahrungen mit der organisatorischen und gesetzlichen Ausgestaltung des Bundeszeugenschutzprogramms wertvolle Anregungen rur eine Reform des Zeugenschutzes in Deutschland geben. 24 BTDrs. 14/638.

A.~ugenbedrohung

J. Einleitung Das Problem des Zeugenschutzes und das Phänomen der Bedrohung und Beeinflussung von Zeugen ist erst in den letzten Jahren - und zunächst fast ausschließlich im Bereich der organisierten Kriminalität - in das Blickfeld von Justiz und Wissenschaft gerUckt. Während die rechtliche Problematik des Schutzes bedrohter oder gefllhrdeter Zeugen im Strafprozeß bereits seit Mitte der 80er Jahre mit zunehmender AusfUhrlichkeit diskutiert wird248 und das Thema Zeugenschutz zur Zeit Literatur und Gesetzgebung beschäftigf4b, gibt es in Deutschland bisher weder (verwertbares) statistisches Datenmaterial der Justizoder Polizeibehörden noch empirische Untersuchungen, die sich mit dem Phänomen der Zeugenbedrohung befassen. Die bisher in einzelnen Strafverfahren - vor allem aus dem Bereich der organisierten Kriminalität - publik gewordenen Fälle25 von Zeugenbedrohung sagen wenig darüber aus, ob die Zeugenbedrohung tatsächlich als erhebliches Problem zu bewerten ist bzw. in welchem Umfang die Bedrohung von Zeugen in Strafverfahren in Deutschland eine Rolle spielt - die bekanntgewordenen Fälle belegen lediglich, daß im Bereich der (organisierten) Kriminalität Zeugenbedrohung überhaupt vorkommt. Gerade in Anbetracht zunehmender Überlegungen des Gesetzgebers, Gesetzesänderungen mit dem Ziel der Verbesserung des Zeugenschutzes vorzunehmen, und einer allgemein zunehmenden Diskussion der Möglichkeiten und Probleme des Zeugenschutzes erscheint es unerläßlich, zunächst einmal einen Überblick über die tatsächliche Bedeutung des Phänomens Zeugenbedrohung und -gefllhrdung zu gewinnen. Ziel des ersten Teils der hier vorliegenden Untersuchung ist es daher, die gegenwärtige Situation der Zeugenbedrohung zu beleuchten. Zu diesem Zweck werden zunächst die Ergebnisse verschiedener in den USA durchgefUhrter empirischer Studien wiedergegeben und analysiert (Kapitel I). Anband dieser Studien kann - am Beispiel der USA - ein erster Überblick über die grundsätzlichen Gegebenheiten der Zeugenbedrohung gewonnen werden. Im Gegensatz zur Situation in Deutschland beschäftigt das Phänomen der Zeugenbe24. 24b 25

Vgl. beispielsweise: Gomolla, 1986; RebmannlSchnarr, 1989, 1185. Vgl. zur Gesetzgebung BGBI. 1992, 1302. Vgl. beispielsweise Ahrens, 1986,355.

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A. Zeugen bedrohung

drohung in den USA nämlich bereits seit Anfang der 80er Jahre die Wissenschaft. Mit Hilfe verschiedener empirischer Studien, in denen der Umfang und die Umstände der Zeugenbedrohung untersucht wurden, läßt sich ein relativ gutes Bild über die Situation der Zeugenbedrohung und -gefährdung - zumindest filr Großstädte, wie beispielsweise New York - gewinnen. Die in den amerikanischen Untersuchungen gefundenen Ergebnisse lassen sich - wenn auch mit gewissen Einschränkungen - ergänzend und vergleichend zur Analyse der Situation der Zeugenbedrohung in Deutschland heranziehen. Im Anschluß daran wird die Situation der Zeugenbedrohung in Deutschland einer genaueren Untersuchung unterzogen (Kapitel 11). Im Rahmen dieser Untersuchung werden in erster Linie die Ergebnisse einer empirischen Studie zur Zeugenbedrohung wiedergegeben, die der Verfasser im Jahr 1996 an verschiedenen Staatsanwaltschaften (in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Sachsen) durchgeftlhrt hat; anband des dort gewonnenen Materials wird gewissermaßen ein "Lagebild Zeugenbedrohung" erstellt. Aufgrund der technisch sehr begrenzten Möglichkeiten, Material über das Phänomen der Zeugenbedrohung zu gewinnen, und aufgrund des zu erwartenden sehr großen Dunkelfelds in diesem Bereich26 kann die hier dargestellte Studie zwar nicht den Anspruch erheben, repräsentative Ergebnisse zum tatsächlichen Umfang und zur Bedeutung der Zeugenbedrohung in Deutschland zu liefern. Dennoch bietet die Studie zumindest einige Anhaltspunkte, anband derer sich bestimmte Tendenzen feststellen und - zumindest eingeschränkte - Aussagen zum Phänomen der Zeugenbedrohung machen lassen. Vor einer Wiedergabe und Analyse der empirischen Untersuchungsergebnisse muß allerdings noch der im Titel der Arbeit verwendete und rur die folgende Untersuchung zentrale Begriff der "Zeugenbedrohung" geklärt werden. Zeugenbedrohung - im Amerikanischen "witness intimidation" - wird von Graham folgendermaßen definiert: "Witness intimidation refers to threats made or actions taken by defendants or others acting on their behalf or independently to dissuade or prevent victims or eyewitnesses of crimes from reporting those crimes, assisting in the investigation or giving testimony at a hearing or trial"27; eine Zeugenbedrohung liegt somit in den Fällen vor, in denen Angeklagte bzw. auf deren Veranlassung oder auch unabhängig handelnde Dritte Drohungen äußern oder Handlungen vornehmen, die darauf abzielen, das Opfer bzw. den Augenzeugen davon abzuhalten, eine Straftat anzuzeigen, den Behörden bei ihren Ermittlungen zu helfen oder in einer Vernehmung oder einem Strafprozeß (richtig) auszusagen.

26 27

Siehe auch unten S. 13. Graharn, 1985, S. 4.

I. Einleitung

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Diese Defmition der "witness intimidation" entspricht weitgehend der in dieser Arbeit verwendeten Definition der Zeugenbedrohung. Der Begriff "Zeugenbedrohung" ist somit nicht eingeschränkt - z.B. rechtstechnisch im Sinne des § 241 StGB - zu verstehen, sondern umfaßt vielmehr eine Vielzahl von Handlungen und Vorgehensweisen, die darauf abzielen, die Kooperation eines Zeugen mit den Strafverfolgungsbehörden und seine Aussage im Strafverfahren zu unterbinden. Unter den hier verwendeten Begriff der Zeugenbedrohung fallen demzufolge auch die Fälle, in denen - vor allem im häuslichen und familiären Nahbereich - psychischer oder ökonomischer Druck auf einen (potentiellen) Zeugen ausgeübt wird, um diesen von einer Strafanzeige oder Zeugenaussage abzuhalten28 • Zu den vom Begriff der Zeugenbedrohung umfaßten Handlungsweisen gehören nicht nur solche Maßnahmen, die sich - wie beispielsweise das Aussprechen von Drohungen oder die Einschüchterung durch Gewaltanwendung - auf die Kooperationsbereitschaft des Zeugen auswirken, sondern auch Handlungen, die auf die Beseitigung des Beweismittels Zeuge selbst abzielen29 • Zu dem Personenkreis, der Gegenstand bzw. Opfer einer Zeugenbedrohung werden kann, gehören nicht nur Zeugen im Sinne der Strafprozeßordnung (wie beispielsweise Opfer- oder Augenzeugen), sondern auch Tatbeteiligte, die - gerade in Fällen aus dem Bereich der organisierten Kriminalität - gegen ihre ehemaligen Komplizen aussagenJo. Zur Klärung der im folgenden verwendeten Begriffe sei hier kurz folgendes angemerkt: Von der Kategorie "Opferzeuge" werden im folgenden - und in der in Kapitel 11 dargestellten empirischen Untersuchung - diejenigen Zeugen

28 Vgl. hierzu folgendes, von der Stuttgarter Staatsanwaltschaft berichtetes Fallbeispiel: In einem Verfahren wegen des Verdachts der unerlaubten Ablagerung umweItgefllhrdender Abfillle und der unerlaubten Beseitigung großer Mengen unzureichend gereinigter Abwässer eines Metallentlackungsbetriebs drohte der technische Betriebsleiter einem von der Polizei geladenen Mitarbeiter damit, im Falle einer "falschen" Aussage umgehend filr dessen Entlassung zu sorgen. 29 Eine Zeugenbedrohung liegt damit auch in folgenden, von der Staatsanwaltschaft in Nümberg 1996 und einem amerikanischen lustizbeamten 1979 berichteten Fällen vor: - In einem Nürnberger Strafverfahren versuchte der Täter, aus der Untersuchungshaft heraus die Ermordung eines Zeugen zu organisieren. Die beiden "Ansprechpartner" des Täters filhrten die ihnen angetragene Tat jedoch nicht aus; einer von ihnen wandte sich an die Polizei, wodurch der gesamte Sachverhalt bekannt wurde. - In einem Strafverfahren in Philadelphia sagte ein älterer Mann als Augenzeuge in einem Raubprozeß aus. An dem Nachmittag, an dem das an die erste Instanz zurUckverwiesene Verfahren erneut verhandelt werden sollte, wurden der Mann und seine Frau vor dem Fernseher tot aufgefunden - beide waren von hinten in den Kopf geschossen worden (zitiert nach Graham, 1985, S. 4). 30 Gerade in Fällen, in denen eine Kronzeugenregelung (z.B. nach § 31 BtMgg) eingreift, spielt sehr häufig die Bedrohung des aussagebereiten Tatbeteiligten und der daraufhin erforderlich werdende Zeugenschutz eine Rolle.

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A. Zeugen bedrohung

erfaßt, die Opfer einer Straftat und damit gleichzeitig (potentieller) Zeuge geworden sind. Täterzeugen sind die Personen, die selbst an einer Straftat beteiligt waren und aufgrund dieser Beteiligung den Strafverfolgungsbehörden Informationen liefern (bzw. liefern könnten). Es handelt sich bei diesen Täterzeugen zwar nur zum Teil um Zeugen im strafprozessualen Sinne31 , da sie in vielen Fällen selbst als (Mit)angeklagte vor Gericht stehen32 ; da die Bedrohung von tatbeteiligten Informanten im wesentlichen jedoch dieselben Probleme aufwirft wie die Bedrohung "echter" Zeugen, wird im folgenden nicht zwischen Angeklagten und Zeugen im prozessualen Sinn unterschieden. Zufallszeugen sind nach der hier gewählten Definition nur die Zeugen, die weder Opfer der betreffenden Straftat geworden sind, noch aufgrund einer - wie auch immer gearteten - Tatbeteiligung Kenntnis von strafbaren Sachverhalten erlangten33 • Eine Zeugenbedrohung liegt somit - in Anlehnung an Graham - immer dann vor, wenn der Angeklagte bzw. (unabhängig oder auf dessen Veranlassung handelnde) Dritte Drohungen äußern, Handlungen vornehmen oder Maßnahmen organisieren, die darauf abzielen, Opferzeugen, Zufallszeugen oder Tatbeteiligte davon abzuhalten bzw. daran zu hindern, eine Straftat anzuzeigen, mit den (Strafverfolgungs)behörden zu kooperieren oder im Rahmen eines Strafverfahrens oder Strafprozesses auszusagen. Die Drohungen, Handlungen oder Maßnahmen müssen sich nicht direkt gegen den Zeugen richten; es genügt jede Drohung, Handlung oder Maßnahme, durch die der Zeuge unmittelbar oder mittelbar betroffen wird und die darauf abzielt, die Kooperation des Zeugen mit den (Strafverfolgungs)behörden zu unterbinden. Zur Unterscheidung von anderen Maßnahmen der Zeugenbeeinflussung (wie z.B. dem Anbieten oder Auszahlen von Schweigegeldern) ist zudem erforderlich, daß die Auswirkungen der gegen den Zeugen gerichteten Maßnahmen und Handlungen objektiv oder aus Sicht des Zeugen als negativ bzw. belastend zu bewerten sind34•

31 Vgl. hierzu KK-Pelchen, 1993, Vor § 48 Rdnr. 6 ff.; KleinknechtlMeyer-Goßner, 1999, Vor § 48 Rdnr. 20 ff. m.w.N. 32 Tatbeteiligte können - soweit ihr Verfahren zum Zeitpunkt ihrer Aussage bereits abgeschlossen ist oder soweit Verfahren nicht nach §§ 2 ff., 237 StPO verbunden sind durchaus Zeugen im strafprozessualen Sinn sein (KleinknechtiMeyer-Goßner, 1999, Vor § 48 Rdnr. 21 f.). 33 Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Tätermilieu reicht nach der gewählten Definition regelmäßig aus, um einen Zeugen als Täterzeugen und nicht als Zufallszeugen zu qualifizieren. 34 Die verschiedenen Möglichkeiten der Zeugenbeeinflussung sind oft nicht ohne weiteres zu trennen; in einigen Fällen wurde beispielsweise das Angebot eines Schwei· gegeldes mit Drohungen gegen den Zeugen kombiniert.

11. Untersuchungen zur Zeugenbedrohung in den Vereinigten Staaten

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11. Untersuchungen zur Zeugenbedrohung in den Vereinigten Staaten 1. Überblick In den Vereinigten Staaten wurde - verglichen mit Deutschland - schon frühzeitig auf erhebliche Defizite bei der Behandlung von Zeugen vor allem in Strafverfahren hingewiesen. Eine Studie der American Bar Association (ABA) deckte bereits 193835 erhebliche Mängel im Umgang der Justiz mit Zeugen auf: Ungenügende Zeugenentschädigung, wiederholte - z.T. überflüssige - Ladung zu Gerichtsterminen, aber auch Bedrohung von Zeugen zur Beeinflussung ihrer Aussage; die Zeugenbedrohung wurde von der ABA sogar als "supreme disgrace of our Justice,,36 bezeichnet. Eine andere Studie kam 16, Jahre später (1954) immer noch zu folgendem Ergebnis: "In recent years, the distinction of being the 'Forgotten Man ofthe Judicial System' seems to have devolved on the trial witness. Although the literature of the law bursts with erudition conceming methods of examining, cross-examining, impeaching, discrediting his reliability and indeed trying and convicting him, there is an astonishing paucity of material with regard to the attitude of the witness toward the judicial process, his criticisms ofit and his suggestions for its improvement"37. Trotz vereinzelter Aufrufe, die Probleme von Zeugen wahrzunehmen und Reformen in deren Interesse durchzuftlhren, geschah lange Zeit nichts 38 . Erst Anfang der 70er Jahre rückte die Rolle des Zeugen als wichtiges Element der Strafverfolgung und des Strafprozesses in den Blickpunkt erhöhten Interesses. Vor allem die mangelnde Berücksichtigung der Bedürfuisse von Zeugen im Bereich der Strafverfolgung rief Kritik hervor39. Es wurde beklagt, daß das gesamte System des Strafprozesses und der Strafverfolgung zu sehr am Beschul-

3S Recommendations of the Committee on Improvements in the Administration of Justice of the Section of Judicial Administration of the American Bar Association (as approved by the Assembly and House of Delegates, July 27, 1938); zitiert nach: Ash, 1972,386. 36 Ash, 1972, 386. 37 "Es scheint, daß in letzter Zeit die Auszeichnung, die ,vergessene Person des Verfahrens' zu sein, auf den Zeugen vor Gericht übergegangen ist. Während die Rechtsliteratur hinsichtlich der Methoden des Verhörs, des Kreuzverhörs, der Infragestellung der Aussage, der Diskreditierung der Glaubwürdigkeit und sogar der Anklage und Verurteilung des Zeugen ausufert, gibt es einen erstaunlichen Mangel an Material über die Einstellung des Zeugen zum gerichtlichen Verfahren, seine Kritik und seine Verbesserungsvorschläge"; Institute of ludicial Administration, Trial Witnesses 1-5 (Unofficial Study 2-066, July 1, 1954), S. 1; zitiert nach: Ash, 1972,387. 38 Ash, 1972, 388. 39 Vgl. Ash, 1972,386 ff.

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A. Zeugenbedrohung

digten bzw. Angeklagten40 orientiert sei und anderen Beteiligten - vor allem den Zeugen - allgemein zu wenig Beachtung geschenkt werde. Hingewiesen wurde auch darauf, daß die fehlende BerUcksichtigung elementarer Zeugen interessen erhebliche negative Folgen bezüglich der Effektivität der Strafverfolgung haben könnte: Schlechte Erfahrungen mit der Justiz könnten die zukünftige Kooperationsbereitschaft von Zeugen erheblich reduzieren. Ein Zeuge, der nicht entschädigt wird, der unnötig Zeit im Gericht verbringt oder der vor einer Bedrohung durch den Beschuldigten nicht geschützt wird, werde beim nächsten Mal wahrscheinlich nicht mehr kooperieren. Auch könne durch negative Erfahrungsberichte Betroffener die allgemeine Bereitschaft zu Zeugenaussagen reduziert werden41 • Neben der Belastung von Zeugen durch mangelnde Entschädigung, durch fehlende Information und fehlende Betreuung wurde die "witness intimidation" als z.T. erhebliches Problem erkannt. Vor allem im Bereich der organisierten Kriminalität, aber auch in anderen Deliktsfeldern waren viele Einzeifillle von Gewalt und Einschüchterungsversuchen gegenüber Zeugen bekanntgeworden42 . Zunächst fehlte es jedoch generell an wissenschaftlichen Untersuchungen zur Lage der Zeugen im Strafverfahren; so auch zur Frage nach dem Umfang und der Bedeutung des Problems "witness intimidation": "Nowhere is there hard data on witnesses in criminal cases. This absence is part of a larger pattern of blindness and neglect. In a real sense, our system does not 'see' witnesses in their human dimension. Consequently, we are neglectful of their interests and problems,,43. Nachdem der Mangel an empirischem Datenmaterial sowohl zur Frage der Nichtkooperation von Zeugen als auch zur Problematik der Zeugenbedrohung erkannt worden war, wurden diese Themenbereiche seit 1970 in mehreren Studien untersucht. Anhand dieser Studien, die sich zum Teil allgemein mit der Frage beschäftigten, aus welchen Gründen Zeugen in vielen Fällen nicht dazu bereit sind, mit den Strafverfolgungsbehörden zu kooperieren, sich zum Teil aber auch speziell mit dem Phänomen der Zeugenbedrohung auseinandersetzten, läßt sich - zumindest filr den Bereich der amerikanischen Großstädte ein Überblick über die dortige Situation der Zeugenbedrohung und -gefilhrdung gewinnen. Weitere Anhaltspunkte filr die Häufigkeit von Zeugenbedrohungen 40 Mit der Bezeichnung "Angeklagter" ist im folgenden der amerikanische "defendant" gemeint und nicht der Beschuldigte i.S.d. deutschen Strafprozeßrechts (vgl. KleinknechtlMeyer-Goßner, 1999, Einleitung Rdnr. 76). 41 Ash, 1972,388. 42 Graham, 1985, S. 3 ff. 43 "Es gibt kein Datenmaterial tiber Zeugen in Strafverfahren. Dieses Fehlen von Material ist Teil eines größeren Schemas von Blindheit und Vernachlässigung. In einem gewissen Sinne 'sieht' unser System Zeugen nicht in ihrer menschlichen Dimension. Folglich vernachlässigen wir ihre Interessen und Probleme"; Ash, 1972,399.

11. Untersuchungen zur Zeugenbedrohung in den Vereinigten Staaten

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erhält man zudem aus den Ergebnissen amerikanischer Dunkelfelduntersuchungen zum Anzeigeverhalten von Opfern und Zeugen; in einigen dieser Dunkelfelduntersuchungen zeichnete sich ab, daß die Zeugenbedrohung in einer Reihe von Fällen Einfluß auf das Anzeigeverhalten (und damit letztlich auf die Kooperationsbereitschaft) von Zeugen haben kann. Im folgenden sollen zunächst die Ergebnisse einiger dieser Dunkelfelduntersuchungen angesprochen werden. Danach erfolgt eine Darstellung der Studien, die sich ganz oder teilweise mit dem Problem der Zeugenbedrohung befassen. Die beiden ersten hier dargestellten Studien von Cannavale und Falcon (1973) und des Vera Institute o[ Justice (1976) untersuchen allgemein die Frage, aus welchen GrUnden Zeugen nicht dazu bereit sind, in Strafverfahren mit den Behörden und Gerichten zu kooperieren. Die folgenden drei Studien, durchgeftlhrt vom Vera Institute 0/ Justice in Zusammenarbeit mit der Viclim Services Agency 1981, von der Victim Services Agency 1988 und im Auftrag des National Institute 0/ Justice 1994, konzentrieren sich speziell auf die Untersuchung und Darstellung des Problems der "witness intimidation". 2. Ergebnisse der Dunkelfelduntersuchungen Aus den Erkenntnissen der Dunkelfeldforschung zum Anzeigeverhalten von Opfern und Tatzeugen lassen sich gewisse Anhaltspunkte fllr das Vorhandensein von Zeugen bedrohung durch Beschuldigte oder Dritte (die mit diesen in Verbindung stehen) gewinnen. Die Furcht vor Repressalien seitens des Täters ist nämlich - wie die nachfolgend zitierten Untersuchungen aufzeigen zumindest eine der Ursachen dafllr, daß begangene Straftaten erst gar nicht angezeigt werden. Und es liegt nahe, anzunehmen, daß in einer Reihe von Fällen, in denen Straftaten aus Furcht vor Repressalien nicht angezeigt werden, Zeugen vom Beschuldigten oder Dritten bedroht wurden; häufig dUrften subjektive Befllrchtungen, die zu einem Verzicht auf eine Strafanzeige fllhren, auf konkrete Erfahrungen des Zeugen - beispielsweise in Form einer direkten Konfrontation mit dem Täter - zurUckzuftlhren sein. In den USA wurden in den 60er und Anfang der 70er Jahre einige solcher Dunkelfelduntersuchungen durchgeftlhrt; Untersuchungsziel war es herauszufinden, warum begangene Straftaten durch die Opfer oder andere Tatzeugen nicht angezeigt wurden. Eine opferbezogene Studie der Law Enforcement Assistance Administration (LEAA)44 fand in einer 1973 durchgeftlhrten landesweiten Untersuchung heraus, daß lediglich 33 % aller Straftaten aus den Bereichen Vergewaltigung, Raub, Gewaltandrohung (assault), Autodiebstahl und Diebstahl (larceny) den Strafverfolgungsbehörden mitgeteilt wurden. Neben GrUnden wie 44

CannavalelFalcon, 1976, S. 10.

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A. Zeugenbedrohung

"nothing could be done/lack of proot" (34 %) und "not important enough" %tS gaben immerhin 2 % der Befragten an, sie seien "afraid of reprisal" bzw. fUrchteten Übergriffe des Täters. Eine andere Studie, in den 60er Jahren durchgeftlhrt fUr die Presidents Commission on Law Enforcement and Administration of Justice46, kam zu ähnlichen Ergebnissen: "two percent feared either physical reprisal by the defendant or economic reprisal,,47. Auch andere - z.T. nicht ausreichend valide - Untersuchungen belegen die Tatsache, daß in einigen Fällen Straftaten aus Furcht vor dem Täter nicht angezeigt werden; hieraus lassen sich auch einige Rückschlüsse hinsichtlich der Existenz von Fällen der Zeugenbedrohung ziehen.

(28

3. Untersuchung von Cannavale und Falcon (1973) Die Untersuchung von Cannavale und Falcon aus dem Jahre 1973 konzentrierte sich auf die Frage, in welchem Umfang und aus welchen Gründen Zeugen von Straftaten nicht dazu bereit sind, mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenzuarbeiten48 . Zur Zeit der Durchftlhrung der Studie war das Problem der Nichtkooperation von Zeugen (witness non-cooperation) durchaus bekannt und z.T. auch schon untersucht worden. So ergab z.B. eine Studie des Institute for Law and Social Research (INSLA W), basierend auf einer Fallstudie von 1547 schweren Straftaten (Mord, Raub, Vergewaltigung), daß 23 % der bekanntgewordenen Straftaten wegen mangelnder Kooperation von Zeugen nicht weiter verfolgt wurden; die Hälfte aller Ermittlungs- und Verfahrenseinstellungen (51 %) beruhten auf der fehlenden Mitarbeit von Zeugen49 • Die Studie von Cannavale und Falcon sollte anband neuer Untersuchungsmethoden den Umfang und die Bedeutung des Problems der Nichtkooperation untersuchen, die Gründe fUr die fehlende Bereitschaft zur Unterstützung der Behörden aufzeigen und mögliche Lösungsansätze fUr das Problem benennen. Schwerpunkt der in Washington D.C. durchgefilhrten Studie war die Befragung

4S "Es kann ohnehin nichts getan werdenIMangei an Beweisen"; "nicht wichtig genug". 46 CannavalelFalcon, 1976, S. 10/11. 47 "Zwei Prozent fllrchteten die Anwendung körperlicher Gewalt oder wirtschaftlichen Drucks durch den Angeklagten". 48 CannavalelFa\con, 1976, S. 10/11. 49 Zitiert nach CannavalelFalcon, 1976, S. 21.

11. Untersuchungen zur Zeugenbedrohung in den Vereinigten Staaten

15

von 922 Zeugen, die im Laufe des Jahres 1973 in Strafverfahren mit der Staatsanwaltschaft zusammenarbeiteten bzw. zusammenarbeiten sollten50• Der zur Befragung der Zeugen verwendete Fragebogen, der darauf abzielte, Erkenntnisse über Ursachen fehlender Kooperationsbereitschaft von Zeugen zu gewinnen, lieferte - was hier allein von Interesse ist - auch Informationen über das Problem der "witness intimidation". Aus den Antworten der befragten Zeugen auf die Frage "What changes do you think would make witnesses more cooperative?"sl ergaben sich Anhaltspunkte fUr das subjektive Bedrohungsgeftlhl der Befragten - dieses wiederum kann zumindest indiziell die Bedeutung des Problems der Zeugenbedrohung kennzeichnen. Während etwa zwei Drittel der Zeugen organisatorische Verbesserungen und eine effektivere finanzielle Entschädigung forderten, gaben 28 % der befragten Zeugen an, sie wUrden sich einen besseren Schutz vor (potentiellen) Beeinflussungen und Bedrohungen durch den Angeklagten wUnschen s2 (vgl. Grafik 1). Diese Äußerungen indizieren - so Cannava/e/Fa/con -, daß diese 28 % Angst vor Übergriffen des Täters ("fear of reprisal") aufgrund ihrer Zeugenaussage hatten. Im Rahmen einer weitergehenden Analyse ergab sich, daß in etwa die gleiche Anzahl von Opferzeugen und "normalen" Zeugen Angst vor Übergriffen hatten.

so Die Zeugen wurden mit Hilfe des staatsanwaltschafUichen Informationssystems PROMIS (Prosecutor's Management and Information System) ausgesucht. PROMIS erfaßt neben anderen Informationen auch Daten darUber, aus welchen GrUnden Verfahren eingestellt wurden; zu diesen GrUnden gehört z.B. auch die - zumindest von der Staatsanwaltschaft angenommene - mangelnde Kooperation potentieller Zeugen. Anhand dieser PROMIS-Daten wurden aus insgesamt 6266 Strafverfahren mit Zeugenbeteiligung in einem bestimmten Zeitraum 1941 Verfahren ausgewählt. Von den 2997 an diesen Verfahren beteiligten Zeugen konnten 922 Zeugen ermittelt werden, die zur Zusammenarbeit im Rahmen der Untersuchung bereit waren. Es wurden zwei etwa gleich große Untersuchungsgruppen gebildet; die erste (453 Zeugen) bestand aus Zeugen, die von der Staatsanwaltschaft als kooperativ bezeichnet worden waren, die zweite (462 Zeugen) aus so bezeichneten nichtkooperativen Zeugen. Zweck dieser Einteilung war es - was zumindest rur die hier vorliegende Arbeit nicht von Interesse ist - in erster Linie festzustellen, wieweit sich die Aussagen von durch die Staatsanwaltschaft als kooperativ bzw. nichtkooperativ bezeichneten Zeugen unterschieden. Das in der untersuchten Zeugengruppe vorgegebene Verhältnis zwischen als kooperativ und als nichtkooperativ bezeichneten Zeugen (etwa I: I) entspricht allerdings nicht den tatsächlichen Verhältnissen. Aus den PROMIS-Daten ergibt sich vielmehr ein Verhältnis von 3:1 (vgl. Cannavale/Falcon, 1976, S. 28 f.). SI "Welche Änderungen wUrden Ihrer Ansicht nach die Kooperationsbereitschaft von Zeugen fördern?"; vgl. CannavalelFalcon, 1976, S. 55. S2 In diese Antwortkategorie fielen drei Typen von Antworten: (aa) Wunsch nach allgemein besserem Schutz; (bb) Wunsch nach besserer Identitätsabdeckung während des Strafverfahrens; (cc) besserer Zeugenschutz nach Beendigung der Zeugenaussage.

16

A. Zeugenbedrohung

Grafik I: Verbesserungsvorschläge der Zeugen in Prozent (N = 922)

30

25 20 15

10 5 o~--~~~--~~--~~~--~~--~~

(a)

(b)

(c)

(d)

(e)

(a) Besserer Zeugenschutz (b) Bessere Behandlung der Zeugen durch das Gericht (c) Schnellere Verfahren (d) Bessere Zeugenentschadigung (e) Organisatorische Verbesserungen

Grafik 2: Prozentsatz der Zeugen, die eine Gefährdung durch den Täter berurchten (N=922)

35 30 25 20 15 10 5 0 (a)

31

30

29

(b)

(c)

(a) Alle Zeugen (b) links: Opferzeugen rechts: andere Zeugen (c) links: in der Nahe des Täters wohnende Zeugen (residents) rechts: nicht in der Nahe des Taters wohnende Zeugen (nonresidents) (d) links: Manner rechts: Frauen

(d)

11. Untersuchungen zur Zeugenbedrohung in den Vereinigten Staaten

17

Zeugen aus der persönlichen Umgebung oder Nachbarschaft des Angeklagten ftlrchteten eine Bedrohung erheblich öfter als Zeugen, die in einer größeren räumlichen Entfernung vom Angeklagten lebten. Der Anteil der weiblichen Zeugen, die Übergriffe des Angeklagten ftlrchteten, war etwas größer als der Anteil der männlichen Zeugen (vgl. GrafIk 2)53. Aus diesen Zahlen ergibt sich zumindest, daß ein relativ hoher Prozentsatz von Zeugen die Beftlrchtung hatte, aufgrund der Zeugenposition vom Angeklagten bedroht zu werden, bzw. Repressalien seitens des Angeklagten ftlrchtete. Dies sagt zwar noch nichts über die HäufIgkeit der Fälle aus, in denen Zeugen tatsächlich vom Angeklagten bedroht wurden. Man wird allerdings davon ausgehen können, daß die Angst vor Repressalien zumindest zum Teil auf konkreten Erfahrungen von Zeugen mit durch den Angeklagten veranlaßten Bedrohungshandlungen beruhte54 •

4. Untersuchung des Vera Institute oe Justice (1976) Das Vera Institute 01 Justice untersuchte (unter Mitwirkung der New Yorker Victim Services Agency) zwischen 1976 und 1980 in einer Studie ebenfalls" ... the causes, effects, and cures of victimlwitness disaffection and noncooperation,,55. Zu diesem Zweck wurden zwischen Juli und August 1976 unter anderem 295 Zeugen interviewt, deren Fall in diesem Zeitraum bei dem Strafgericht in Brooklyn anhängig war. Neben recht interessanten Ergebnissen zu Ursachen und Wirkungen der Nichtkooperation von Zeugen - die ftlr die vorliegende Arbeit nicht relevant sind - zeigte die Studie des Vera Institute of Justice, daß Zeugen in einem bisher nicht vermuteten Umfang durch den Täter oder dritte Personen bedroht wurden. Von den befragten Zeugen - bei denen es sich in etwa 94 % der Fälle um Opferzeugen handelte - gaben 39 % an, sie hätten Angst davor, daß der Angeklagte aufgrund ihrer Zeugenstellung gegen sie vorgehen würde. Immerhin 26 % der Zeugen berichteten, sie seien vom Angeklagten tatsächlich bedroht worden. Zumindest im Einzugsbereich der Brooklyner Strafgerichtsbarkeit scheint die Bedrohung von Zeugen - jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt - somit an der Tagesordnung gewesen zu sein. Angesichts der großen Anzahl von Fällen, in

CannavalelFalcon, 1976, S. 55 fT. Ein statistischer Zusammenhang zwischen (Nicht-)Kooperationsbereitschaft und subjektivem Bedrohungsgefühlließ sich in der Studie von CannavalelFalcon allerdings nicht beweisen (CannavalelFalcon, 1976, S. 56); vgl. zum subjektiven Bedrohungsgefühl unten S. 79 f. 55 " ••• Ursachen, Folgen und Beseitigung der Unzufriedenheit und fehlenden Kooperationsbereitschaft von Opfern bzw. Zeugen"; Davis/Russell/Kunreuther, 1980. 53

54

2 Buggisch

A. Zeugen bedrohung

18

denen Zeugen tatsächlich bedroht wurden, und der Anzahl der Fälle, in denen Zeugen Repressalien des Täters aufgrund ihrer Zeugenstellung filrchteten, läßt sich auch ohne eine weitere Analyse vennuten, daß konkrete Zeugenbedrohungen und subjektive Ängste der Zeugen in irgendeiner Weise (negative) Auswirkungen auf das Funktionieren der Strafrechtspflege haben müssen.

5. Untersuchung des Vera Institute of Justice und der Victim Services Agency (1981) Die Untersuchung des Vera Institute 0/ Justice in Zusammenarbeit mit der New Yorker Victim Services Agency (VSA) aus dem Jahre 1981 s6 beschäftigte sich speziell mit dem Problem der Zeugenbedrohung: "Tbe study sought to gather infonnation about who is threatened, how threats are made, the criminal justice system's response to threats and the impact of this response"S1. Dabei ging es vor allem darum, das trotz der vorangegangenen Studien immer noch dürftige Untersuchungsmaterial zur Zeugenbedrohung zu ergänzen und genauere statistische Daten zu gewinnen.

a) Methodik Die Untersuchung wurde an einem der am stärksten belasteten Strafgerichte der USA, dem Brooklyn Criminal Court, durchgefilhrt. Schwerpunkt der Studie war die Befragung von 109 Zeugen, die im Laufe eines Strafverfahrens zur Beeinflussung ihrer Aussage psychisch oder physisch bedroht worden waren. Die interviewten Zeugen wurden aus einer Liste von 1365 Zeugen selektiert, die in einem bestimmten Zeitraum vor dem Brooklyn Criminal Court ausgesagt hatten. Diese 1365 Zeugen wurden - soweit erreichbar - telefonisch kontaktiert und gefragt, ob sie in Verbindung mit ihrem jeweiligen Strafverfahren bedroht worden seien. Die 109 Zeugen, die angaben, bedroht worden zu sein, wurden daraufhin ausfllhrlich telefonisch interviewtS8 . 72 % der interviewten Zeugen waren sowohl Opfer als auch Zeuge der zugrundeliegenden Straftat; in 59 % der Fälle kam es bei der Straftat zu Gewalttätigkeiten gegenüber den Opferzeugen ("assault" bzw. "robbery"). Von den befragten Zeugen war etwa die Hälfte

56

ConnickIDavis, 1983,439.

n "Diese Studie versuchte Infonnationen darüber zu sammeln, wer bedroht wird, in

welcher Weise bedroht wird, wie die Strafverfolgungsbehörden auf Bedrohungen reagieren und welche Ergebnisse diese Reaktionen zeitigen"; ConnickIDavis, 1983,441. sa ConnickIDavis, 1983, 441.

11. Untersuchungen zur Zeugenbedrohung in den Vereinigten Staaten

19

weiblich, 38 % waren Schwarze, 17 % hispanischer Herkunft, und 47 % der bedrohten Zeugen waren mit dem Beschuldigten bekanntS9• Neben den Zeugeninterviews wurde noch eine Befragung von elf mit der Verfolgung und Aburteilung von Straftaten beschäftigten Beamten durchgeftlhrt [Richter, Staatsanwälte, "detective investigators" (Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft mit Ermittlungsaufgaben) und Mitarbeiter der VSA). Diese Interviewten wurden in erster Linie gefragt, wie sie Umfang und Bedeutung des Problems der Zeugenbedrohung einschätzten, welche Möglichkeiten des Zeugenschutzes den Behörden zur Verfilgung stUnden und wie der Schutz von Zeugen verbessert werden könnte60 •

b) Untersuchungsergebnis

(a) Interessant erscheint zunächst bereits die Erkenntnis, daß von den 1365 identifizierten Zeugen immerhin 109, d.h. 8 %, angaben, bedroht worden zu sein. Dies bestätigt auf jeden Fall die Annahme, daß zumindest am Brooklyn Criminal Court die Bedrohung von Zeugen wesentlich häufiger vorkam, als dies die oben zitierten Dunkelfelduntersuchungen vermuten lassen. Zumindest in diesem urbanen, stark mit Kriminalität belasteten Gerichtsbezirk ist somit die Bedrohung von Zeugen im Zusammenhang mit Strafverfahren ein relativ häufig vorkommendes Phänomen. (b) Von noch größerem Interesse sind allerdings die Ergebnisse, die sich aus den telefonisch durchgeftlhrten Zeugen interviews hinsichtlich der Art und Weise und der äußeren Umstände der Bedrohungen ergaben.

ConnicklDavis, 1983, 442. Es sollte hier noch angemerkt werden, daß eine Studie mit dem Ziel, Umfang und Erscheinungsformen der Zeugenbedrohung zu untersuchen, von vornherein sehr wahrscheinlich mit einer hohen Dunkelziffer belastet ist. Es ist nämlich anzunehmen, daß viele Fälle erfolgreicher Zeugenbedrohung den Interviewern überhaupt nicht bekannt werden. Auch den Wissenschaftlern, die diese Untersuchung durchfilhrten, war klar, daß die Befragung einer repräsentativen Gruppe betroffener Zeugen nicht möglich war: "Witnesses who were the most frightened would probably be the most difficult to contact (because they had moved or changed their phone number), and would have most likely refused to be interviewed. Thus, the sampie of interviewed witnesses probably represents the less severe side of the spectrum of witness intimidation" ("Diejenigen Zeugen, die am verängstigten waren, würden wahrscheinlich die am schwierigsten zu kontaktierenden sein (z.B. weil sie umgezogen sind oder ihre Telefonnummer geändert haben) und am ehesten ein Interview ablehnen. Somit repräsentieren die interviewten Zeugen wahrscheinlich den weniger schwerwiegenden Teil aller bedrohter Zeugen"); ConnickIDavis, 1983, 441-442. 59 60

2*

A. Zeugenbedrohung

20

Dabei wurden im wesentlichen folgende Aspekte untersucht: - AufweIche Art und Weise werden Zeugen bedroht? - Wo werden Zeugen von den Beschuldigten oder Dritten bedroht? - Meldeten die Zeugen die Bedrohungshandlungen an die Behörden weiter, und wie reagierten die Behörden auf solche Mitteilungen? - Waren die von den Behörden ergriffenen Maßnahmen zum Schutz von Zeugen erfolgreich? Im einzelnen kam die Studie dabei zu folgenden Ergebnissen: (aa) Die Methoden, die zur Bedrohung von Zeugen angewandt wurden, waren recht vielfilltig: "The threats received by the witnesses ranged from ominous looks and gestures to rumors circulated around the neighborhood, to direct verbal or physical confrontations,,61. Tabelle J

Art und Weise der Bedrohung (N = 109 al ) Art der Bedrohung

Hiufigkeit

prozentuale Hiufigkeit bl

Blicke oder Gesten

5

5%

Schriftliche Mitteilungen

2

2%

Telefonanrufe

25

23%

Indirekte mündliche Bedrohung

12

11%

Direkte mündliche Bedrohung

70

64%

Diebstahl, Beschädigung oder Zerstörung von Eigentum

19

17%

Zeigen von Waffen

7

6%

Körperliche Angriffe

8

7%

.) die Zahl N gibt die Anzahl der Fälle wieder, in denen Angaben zur jeweils gestellten Frage gemacht wurden. 6) aufgrund der teilweise kombinierten Maßnahmen zur Bedrohung von Zeugen summieren sich die Zahlen der prozentualen Häufigkeit bei dieser und den folgenden Tabellen auf über 100 %.

61 "Die Drohungen gegenüber Zeugen reichten von ominösen Blicken und Gesten über in der Nachbarschaft zirkulierende GerUchte bis zur direkten verbalen oder körperlichen Konfrontation"; Connick/Davis, 1983, 442.

11. Untersuchungen zur Zeugenbedrohung in den Vereinigten Staaten

21

Die meisten Zeugen (64 %; N=109) wurden bei einer direkten Konfrontation mit dem Beschuldigten mündlich bedroht (Der Bedroher äußerte beispielsweise: ''I'm going to get you"; "You'll be sorry"); in 23 % der Fälle erhielten die Zeugen - z.T. anonyme - Telefonanrufe. 11 % der Befragten erklärten, sie seien indirekt mündlich (z.B. durch GerUchte in der Nachbarschaft) bedroht worden; so berichtete eine Frau: "I heard in the neighborhood that he was looking for me and wanted to get back at me,,62. Bedenklich ist nach Ansicht der Verfasser der Studie, daß sich die Bedrohung häufig nicht auf verbale oder schriftliche Äußerungen beschränkte. Es fand vielmehr oft eine sekundäre Viktimisierung von Verbrechensopfern bzw. eine - wenn auch seltenere - primäre Viktimisierung von "normalen" Zeugen durch Bedrohungshandlungen seitens des Beschuldigten oder Dritter statt: "Another distressing fmding was the large number of witnesses against whom new crimes were committed. We have expected to fmd few cases in which threats went beyond mere words or gestures. Instead, 23 percent63 of the witnesses were revictimized, Le., vandalized, burglarized, threatened with a weapon, or attacked again by the same defendant. In several instances there was no waming before retaliatory acts occurred,,64 (vgl. Tabelle 1). In den meisten Fällen (61 %) wurden die Zeugen öfters als nur einmal bedroht, über ein Drittel der Zeugen wurden sechsmal oder sogar öfter bedroht. 80 % der Bedrohungshandlungen gingen direkt vom Beschuldigten aus, in 20 % der Fälle war die Bedrohung auf Handlungen Dritter zurUckzufUhren. (bb) Bei der Frage danach, wo die Bedrohungen stattgefunden hatten, ergab sich folgendes Bild: In 22 Fällen (20 %; N=109) erfolgte die Bedrohung am Tatort selbst, in 12 Fällen (11 %) bei der Verhaftung des Beschuldigten und in 16 Fällen (15 %) im Gerichtsgebäude. Die weitaus meisten Bedrohungshandlungen (78 Fälle = 72 %) fanden allerdings zu Hause, in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz oder an der Ausbildungsstelle statt (Tabelle 2). 62 "Ich hörte in der Nachbarschaft, daß er nach mir suchte und mich kriegen wollte"; Connick/Davis, 1983, 442. 63 Die genannte Prozentzahl weicht von der sich aus der Addition der in der Tabelle 1 genannten Einzelwerte ergebenden Gesamtzahl (30 %) ab, da wegen der Mehrfachnennungen unterschiedliche Methoden der Zeugenbedrohung teilweise gleichzeitig angewandt wurden. 64 "Eine andere besorgniserregende Erkenntnis lag in der großen Zahl von Zeugen, gegen die neue Straftaten begangen wurden. Wir erwarteten ursprUnglieh nur wenige Fälle, in denen Drohungen über einfache Gesten oder mündliche Bedrohungen hinausgehen würden. Statt dessen wurden 23 % der Zeugen wiederholt viktimisiert, d.h. sie wurden Opfer von Sachbeschädigungen, EinbrUchen, Bedrohungen mit einer Waffe oder einer körperlichen Attacke durch den selben Angeklagten. In einigen Fällen gab es keine Warnung, bevor Vergeltungsakte stattfanden"; Connick/Davis, 1983,443.

A. Zeugenbedrohung

22

Tabelle 2

Ort der Bedrohung (N = 109) Ort der Bedrohung

Hlufigkeit

prozentuale Hllufigkeit

Am Tatort

22

20%

Bei der Verhaftung des Täters

12

11%

Im Gerichtsgebäude

16

15%

In der Wohnung oder Nachbarschaft

46

42%

In der Schule oder am Arbeitsplatz

16

15%

Über Telefonanrufe oder Post

27

25%

Dies ist - aus Sicht der Verfasser der Studie - vor allem deswegen bedenklich, weil in diesem "privaten" Bereich eine Einflußnahme der Strafverfolgungsbehörden kaum stattfmden kann. Erstaunlich sei außerdem, daß ein erheblicher Anteil der Zeugen, die im "privaten" Bereich bedroht wurden, den Beschuldigten nicht persönlich kannten6s • Die Verfasser ziehen daraus die Schlußfolgerung, daß "it is likely that in many of these cases the witness and defendant lived in the same neighborhood and it took little effort for the defendant to leam where the witness lived,,66. (ce) 69 der befragten Zeugen (= 63 %; N=109) berichteten die gegen sie gerichteten Bedrohungshandlungen den Strafverfolgungsbehörden (Polizei, Staatsanwaltschaft, Richter); 33 Zeugen (= 21 %) meldeten die Bedrohung nicht weiter, sagten aber vor Gericht aus. Lediglich sieben Zeugen gaben an, aufgrund der gegen sie gerichteten Bedrohung nicht ausgesagt zu haben; damit war die Bedrohung nur bei 6 % der Zeugen erfolgreich. In den meisten Fällen (61 %; N = 69) wurden die Beschuldigten von der Polizei, von der Staatsanwaltschaft oder vom Gericht davor gewarnt, die Zeugen weiter zu belästigen. Meist erfolgte diese Ermahnung in Verbindung mit einer sog. "Order ofProtection" seitens des Gerichts 67; in einigen Fällen wurde

65 60 % der Zeugen, die den Täter nicht persönlich kannten, wurden im privaten Wohnbereich bedroht; bei den Zeugen, die den Täter kannten, waren es 82 %. 66 "Es ist wahrscheinlich, daß in vielen dieser Fälle der Zeuge und der Angeklagte in der selben Nachbarschaft lebten und es dem Angeklagten nur wenig Schwierigkeiten bereitete, den Wohnort des Zeugen herauszufinden"; ConnicklDavis, 1983,443. 67 Die "Order of Protection" ist eine Anordnung des Richters an den Angeklagten, über einen bestimmten Zeitraum hinweg bestimmte Handlungen zu unterlassen oder vom Gericht angeordnete Auflagen einzuhalten (siehe unten S. 163).

11. Untersuchungen zur Zeugenbedrohung in den Vereinigten Staaten

23

der Beschuldigte lediglich von der Polizei infonnell ennahnt. Eine Bestrafung wegen der Erftlllung des speziellen Straftatbestandes der "Witness Intimidation" ("tampering with a witness"68) erfolgte in keinem der untersuchten Fälle; lediglich in zwei Fällen erfolgte eine Strafverfolgung wegen der Erftlllung anderer Straftatbestände (Körperverletzung o.ä.)69. Aktive Maßnahmen zum Schutz der Zeugen, wie z.B. das Eskortieren des Zeugen durch die Polizei oder eine verstärkte Bestreifung der Wohnung, wurden nur in wenigen Fällen durchgefilhrt. Nur 4 % der Zeugen, die die Bedrohung gemeldet hatten, wurden in dieser oder ähnlicher Weise geschützt. Über ein Drittel der Zeugen gab an, der Beamte, an den sie die Vorflille gemeldet hätten, hätte lediglich eine Aktennotiz angefertigt, die Zeugen beruhigt oder die Meldung an andere Stellen weitergegeben (Tabelle 3). Tabelle 3 Reaktion der Behörden auf die Bedrohung (N = 69) Reaktion auf die Zeugenbedrohung Beruhigung bzw. Beratung des Zeugen oder Information anderer Behörden über die Bedrohung Ermahnung des Angeklagten oder seiner Familie Polizeilicher Zeugenschutz (Personenschutz o.ä.) Weitere Ermittlung gegen den Angeklagten, Verhaftung des Angeklagten oder erhöhtes Strafmaß

Häufigkeit

Prozentuale Häufigkeit

25

36%

42

61 %

3

4%

4

6%

(dd) Nachdem die bedrohten Zeugen die Vorflille gemeldet hatten, kam es in 22 % der Fälle zu weiteren Bedrohungssituationen. Allerdings kam eine fortgesetzte Bedrohung in den Fällen, in denen der Zeuge den Beschuldigten kannte, weit häufiger vor als dann, wenn dies nicht der Fall war (30 % der Fälle gegenüber 12 % der Fälle). Erfolgreichstes Mittel zum Schutz der Zeugen war offensichtlich die Ennahnung des Beschuldigten durch den Richter (in Verbindung mit einer "Order of 68 Die "Witness Intimidation" ist in den USA in den meisten Bundesstaaten und auf Bundesebene ein eigener Straftatbestand, in dem die unzulässige Beeinflussung von Zeugen unter Strafe gestellt wird (siehe hierzu unten S. 314 tT.). 69 Dies kann - so die Verfasser - allerdings auch auf die schwierige Beweislage in solchen Fällen zurUckzufilhren sein.

24

A. Zeugen bedrohung

Protection"): "It was heartening to fmd that admonishments by judges ... were associated with a reduction in problems, both in cases involving strangers and in cases involving acquaintances,,7o. 58 % der Zeugen, die die Bedrohung gemeldet hatten, hatten den Eindruck, daß die Meldung zumindest teilweise positive Folgen hatte; entweder weil keine weiteren Bedrohungen erfolgten oder weil zumindest das subjektive SicherheitsgefUhl durch die Kenntnis der Behörden von den VorflUlen erhöht wurde. Etwa ein Drittel der Zeugen kritisierte allerdings das Vorgehen der Behörden. Ihrer Ansicht nach wurde nicht genug getan, um weitere Bedrohungen zu verhindern, Informationen Ober den Verfahrensverlaufwurden nicht rechtzeitig genug weitergeleitet; in einigen Fällen sei die gegen sie gerichtete Bedrohung des Täters nicht ausreichend im verhängten Strafmaß berücksichtigt worden. (c) Die im Rahmen der Studie zusätzlich durchgefUhrte Befragung von Beamten der Strafverfolgungsbehörden (s.o.) kam zu keinen wesentlich abweichenden Ergebnissen. Allerdings gaben die meisten der interviewten Fachleute zu, die Zahl der Fälle, in denen Zeugenbedrohung vorkomme, nicht genau benennen zu können. Schätzungen hinsichtlich der Häufigkeit von Zeugenbedrohung reichten von 3 % bis 50 % aller Fälle mit Zeugenbeteiligung. Eine Schätzung - so die Beamten - sei schon deshalb schwierig, weil die Dunkelziffer sicherlich hoch sei: "the most frightened witnesses seek to avert danger by remaining silent" 71 • Hinsichtlich der Maßnahmen, die zum Schutz bedrohter Zeugen ergriffen werden, unterschieden sich die Angaben der elflnterviewten z.T. erheblich von dem, was die befragten Zeugen wirklich an Hilfe erhalten hatten; neben den auch von der Gruppe der befragten Zeugen angegebenen Zeugenschutzmaßnahmen benannten die Beamten zudem u.a. die Beschleunigung des Verfahrens, den Widerruf einer ausgesetzten Kaution und das Abhören von Telefonen 72 • Fast einhellig waren die elf Befragten der Ansicht, daß die Bedrohung von Zeugen ein erhebliches Problem fUr die Strafverfolgung darstellt: "there was virtual unanimity that witness intimidation was a significant problem and that

70 "Es war eine Erleichterung herauszufinden, daß die Ennahnung durch Richter sowohl in den Fällen, in denen Zeuge und Angeklagter sich kannten, als auch in den Fällen, in denen dies nicht der Fall war, eine Reduzierung der Probleme mit sich brachte"; ConnicklDavis, 1983, 445. Die Verfasser weisen allerdings darauf hin, daß diese Zahlen keine besonders hohe Reliabilität aufweisen, da die Ennahnungen - anders als in einem "echten" Experiment - nicht wahllos ausgesprochen wurden. 71 " ••• die am stärksten verängstigten Zeugen versuchen, der Gefahr aus dem Weg zu gehen, indem sie (die Bedrohung) nicht berichten"; ConnicklDavis, 1983,445. 72 Diese Maßnahmen scheinen allerdings nur in besonders gravierenden Fällen eingesetzt zu werden (Connick/ Davis, 1983, 446).

11. Untersuchungen zur Zeugenbedrohung in den Vereinigten Staaten

25

greater efforts were needed to combat it't73. Allerdings seien die Möglichkeiten, der Bedrohung von Zeugen effektiv zu begegnen, relativ beschränkt. Vor allem fehle das nötige Personal und eine ausreichende finanzielle Ausstattung, auch stünden oft prozessuale Bedenken einem wirksamen Zeugenschutz entgegen. (d) Am Ende der Studie kommen die Verfasser zu dem Ergebnis, daß eine wesentliche Verbesserung des Zeugenschutzes kaum möglich ist: "Without an influx of resources, it is doubtful that the response to witness intimidation in Brooklyn Criminal Court can be radically improved,,74. Neben Verbesserungen im Bereich der Ermittlungstätigkeit und einer abgeänderten Vorgehensweise beim Erscheinen der Zeugen vor Gericht (z.B. Trennung von Zeugen und Beschuldigten bei der Vernehmung) schlagen die Autoren vor allem eine verstärkte Nutzung der richterlichen Anordnung und Ermahnung gegenüber dem Beschuldigten vor, da die vorgelegte Studie zumindest die Vermutung nahelege, daß diese Ermahnungen in vielen Fällen eine wiederholte Zeugenbedrohung verhindern können7S.

6. Untersuchung der Victim Services Agency (1988) Die in der 1981 durchgefilhrten Studie gewonnenen Erkenntnisse wurden 1988 durch eine zweite - wiederum von der Victim Services Agency veranlaßte und diesmal im Stadtteil Bronx durchgefilhrte - Untersuchung zur Zeugenbedrohung in Strafverfahren ergänzt. Ziel dieser zweiten Untersuchung war es "to measure the prevalence of witness intimidation among victims and witnesses in the Bronx Criminal Court, ... , to assess its consequences for victims and its impact on case outcomes,,76.

a) Methodik Im Rahmen der Studie wurden zunächst im Zeitraum zwischen Februar und September 1988 260 nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Zeugen (sowohl Opfer- als auch Augenzeugen) interviewt, die im Bronx Criminal Court Strafanzeige erstattet hatten oder von einem Staatsanwalt im Zuge eines Ermittlungs73 "Es bestand eine weitgehende Einigkeit darüber, daß Zeugenbedrohung ein erhebliches Problem war und größere Anstrengungen zu ihrer Bekämpfung notwendig waren"; Connick/Davis, 1983, 446. 74 "Ohne einen Anstieg der Mittel ist es zweifelhaft, ob die Reaktion auf Zeugenbedrohung im Brooklyn Criminal Court erheblich verbessert werden kann"; Connick/ Davis, 1983, 446. 75 Connick/Davis, 1983, 446. 76 Davis/Smith/Henley, 1990, Vorwort.

26

A. Zeugenbedrohung

verfahrens vernommen worden waren. Die im Interview gestellten Fragen zielten zunächst darauf ab festzustellen, ob die Zeugen am Tatort oder auf der Polizeistation bedroht worden waren. Im Falle einer positiven Antwort wurden die Zeugen zu Details der jeweiligen Zeugenbedrohung befragt. Nach Abschluß des sie betreffenden Strafverfahrens wurden 136 der befragten Zeugen77 ein zweites Mal von Mitarbeitern der VSA (telefonisch oder schriftlich) interviewt. Im Rahmen des zweiten Interviews wurde untersucht, ob die Zeugen nach ihrer ersten Befragung (nochmals oder erstmals) bedroht worden waren, wie die Bedrohung stattfand und ob die Zeugen auf die Drohung hin ihre Anzeige zurückziehen wollten ("whether they had wanted to drop charges, and, if so, whether it was the result ofthreats"78).

b) Untersuchungsergebnis (a) 89 % der insgesamt interviewten Zeugen waren das Opfer einer Straftat, lediglich 11 % waren ausschließlich Augenzeugen ohne eigenen Schaden. Der größte Teil der Zeugen war zwischen 21 und 40 Jahren alt (62 %), weiblich (62 %) und hispanischer bzw. afro-amerikanischer Herkunft (86 %). Die meisten der Zeugen hatten die High School besucht; das durchschnittliche Jahreseinkommen lag unter $ 15,000. 38 % der Zeugen gaben an, bereits vorher in Strafverfahren involviert gewesen zu sein; 22 % waren bereits einmal das Opfer einer Straftat, 10 % waren Tatzeugen und 6 % gaben zu, bereits als Angeklagte vor Gericht gestanden zu haben. (b) Die interviewten Opferzeugen waren meist Opfer einer Gewaltandrohung (assault), eines Raubüberfalls (robbery) oder eines widerrechtlichen Eindringens (Burglaryf9 (Tabelle 4). In 44 % der berichteten Fälle kam es bei dem Opfer zu körperlichen Schäden; die entstandenen Sach- oder Vermögensschäden reichten von geringen Geldbeträgen bis zu Schäden von über $ 5.000. 65 % der Opferzeugen waren mit dem Täter verwandt oder bekannt. (c) Die Frage, ob der Täter sie am Tatort oder auf dem Polizeirevier bedroht oder in anderer Weise versucht habe, sie von einer Anzeige abzubringen, wurde im ersten Interview von 37 % der befragten Zeugen bejaht80 ; 32 % gaben an, bedroht worden zu sein, während die restlichen 5 % erklärten, der Täter habe

77 Die restlichen 124 Zeugen konnten nicht interviewt werden, da sie unter der von ihnen angegebenen Adresse nicht angetroffen wurden oder auf eine schriftliche Anfrage nicht reagierten. 78 DavisiSmithlHenley, 1990, S. 6. 79 "Burglary" ist genaugenommen das widerrechtliche Eindringen in ein Gebäude oder Haus mit dem Vorsatz, dort eine Straftat zu begehen. 80 N = 253; DavisiSmithlHenley, 1990, S. 12.

II. Untersuchungen zur Zeugen bedrohung in den Vereinigten Staaten

27

auf andere Weise (z.B. durch Überredung) versucht, sie von einer Anzeige abzubringen. Tabelle 4

Art der angezeigten Straftat (N= 162) Art der Straftat

Prozentzahl

Gewaltandrohung (Assault)

28%

Raub (Robbery)

19%

Diebstahl (Theft)

15%

Widerrechtliches Eindringen (Burglary)

13%

Belästigung (Harassment*)

6%

Sonstiges

19%

In 90 % der Bedrohungsfälle (N = 81) drohte der Täter dem Zeugen an, "to cause physical harrn to the (witness) or the (witness) property,,81. Bei vielen dieser mündlichen Bedrohungen äußerte der Täter deutlich seine Gewaltbereitschaft: - "He said he'll smash me into the window" - "He broke the phone from the wall and said he'd kill me if I called (the police)" - "He told me I was going to pay for having him arrested and told the police officer he'd better be on duty tomorrow night because he's going to kill me when he gets out,,82 6 % der Zeugen berichteten, der Täter habe sie bedroht, indem er sie körperlich angegriffen habe. 4 % der Zeugen gaben an, der Täter habe sie mittels "menacing looks or gestures,,83 bedroht (Tabelle 5). Von den Zeugen, die weder bedroht noch in sonstiger Weise beeinflußt worden waren (N=138) gaben

81 " ••• dem Zeugen oder seinem Eigentum physischen Schaden zuzufllgen" (Davis/ SmithlHenley, 1990, S. 10). 82 "Er sagte, er werde mich in die Fensterscheibe werfen"; "Er riß das Telefon aus der Wand und erklärte, er werde mich töten, wenn ich die Polizei riefe"; "Er sagte mir, ich werde dafllr büßen müssen, seine Verhaftung veranIaßt zu haben, und äußerte dem Polizeibeamten gegenüber, dieser solle nächste Nacht besser im Dienst sein, weil er mich töten werde, sobald er wieder herauskomme". 83 "belästigende Blicke oder Gesten"; Davis/SmithlHenley, 1990, S. 12.

28

A. Zeugenbedrohung

immerhin 57 % an, sie fUrchteten - obwohl sie nicht bedroht worden waren Repressalien durch den Täter oder dritte Personen. Tabelle 5

Art der Zeugenbedrohung (I. Interview; N=81) Art der Zeugenbedrohung

Prozentzahl

Mündliche Bedrohung mit Gewalt gegen Personen oder gegen Sachen

90%

Körperliche Gewaltanwendung

6%

Bedrohliche Blicke (menacing looks)

4% Tabelle 6

Modalitäten der im 2. Interview berichteten Bedrohungen (N=2S) Ort der Zeugen bedrohung

Prozentzahl

In der Nachbarschaft

47%

Am Telefon (daheim oder bei der Arbeit)

22%

Am Tatort

20%

Im Polizeirevier oder bei Gericht

Il%

Art der Zeugenbedrohung

Prozentzahl

Direkte mündliche Bedrohung

46%

Bedrohung am Telefon

22%

Bedrohung mittels körperlicher Gewalt

13%

Bedrohung mit einer Waffe

7%

Bedrohliche Blicke

6%

Beschädigung von Sachen

6%

Person des Bedrohers

Prozentzahl

Angeklagter (defendant)

69%

Familie oder Freunde des Angeklagten

31%

11. Untersuchungen zur Zeugenbedrohung in den Vereinigten Staaten

29

(d) Auf die Frage, ob sie in der Zeit zwischen dem ersten und dem zweiten Interview bedroht worden war, gaben 25 der befragten Zeugen (19 %; N = 136) an, sie seien (erstmals oder nochmals 84) Opfer einer Bedrohung geworden. Bei einer Kombination der Daten aus dem ersten und dem zweiten Interview ergab sich folgendes Bild: In insgesamt 41 % der Fälle gab es Versuche seitens des Täters oder dritter Personen, den Zeugen - durch Drohungen oder anderweitig (z.B. durch Überredung) - zu beeinflussen. Nach Abzug der Fälle, in denen lediglich Beeinflussungsversuche ohne Bedrohung im eigentlichen Sinne berichtet worden waren, stieg die Zahl der Zeugenbedrohungsfl1lle von 34 % (1. Interview) auf 36 % (2. Interview) an. Fast 70 % (N=25) der im zweiten Interview berichteten Drohungen ereigneten sich in der Nachbarschaft der Wohnung des Zeugen oder in der Wohnung selbst. In 30 % der Fälle ereignete sich die Bedrohung am Tatort, auf dem Polizeirevier oder im Gericht. Am häufigsten kam es zu (direkten oder telefonischen) mündlichen Bedrohungen (68 % der Fälle); zur Gewaltanwendung oder Bedrohung mit einer Waffe kam es in 20 % der Fälle. In den meisten Fällen bedrohte der Angeklagte selbst den Zeugen, etwa in einem Drittel der Fälle gingen die Drohungen von der Familie oder Verwandten des Zeugen aus (Tabelle 6). Zwölf der bedrohten Zeugen hatten die Bedrohung der Polizei oder Justiz gemeldet. Alle bis auf einen gaben an, zur Verhinderung weiterer Bedrohungen seien Maßnahmen seitens der Behörden ergriffen worden; diese Maßnahmen beinhalteten beispielsweise weitergehende Ermittlungen, die Warnung des Angeklagten und die Gewährung von Zeugenschutz. (e) Anhand des gewonnenen Datenmaterials wurde in einem zweiten Schritt untersucht, inwieweit die Bedrohung von Zeugen sich auf deren Bereitschaft, vor Gericht auszusagen, ausgewirkt hat. Im Rahmen des zweiten Interviews ergab sich, daß 33 % der bedrohten Zeugen große Angst ("very much afraid") und 29 % zumindest Bedenken hatten, vor Gericht auszusagen; nur einer der 25 Zeugen wurde jedoch aufgrund der Bedrohung tatsächlich von der Zeugenaussage abgehalten. Bei einem Abgleich der Fälle, in denen Zeugen zu irgendeinem Zeitpunkt des Verfahrens ihre Anzeige zurückziehen wollten, mit den Fällen, in denen Zeugen bedroht worden waren, ergab sich allerdings ein eindeutiger statistischer Zusammenhang: "victims who had been threatened were nearly three times more likely than victims who were not threatened to decide to drop

84 Es gab sowohl Fälle, in denen Zeugen erstmals bedroht wurden, als auch Fälle, in denen Zeugen, die bereits im ersten Interview eine gegen sie gerichtete Bedrohung berichtet hatten, nochmals bedroht wurden.

30

A. Zeugenbedrohung

charges sometime during their case (32 % versus 12 %),,85. Die eindeutige Beziehung zwischen der Neigung, die Anzeige zurückzuziehen, und der Bedrohung von (Opfer)zeugen ergab sich dabei unabhängig von der zwischen dem Zeugen und dem Angeklagten bestehenden persönlichen Beziehung (vgl. Grafik 3); die Korrelation zwischen den Fällen, in denen bedroht wurde, und den Fällen, in denen Zeugen die Anzeige zurückziehen wollten, lag auch unter BeTUcksichtigung der Beziehung zwischen Angeklagtem und Zeugen bei 0.23, p