Rechtskraft und Restitution: 1.Teil: Der Rechtsbehelf gem. § 826 BGB gegen rechtskräftige Urteile [1 ed.] 9783428444687, 9783428044689


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German Pages 325 Year 1979

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Rechtskraft und Restitution: 1.Teil: Der Rechtsbehelf gem. § 826 BGB gegen rechtskräftige Urteile [1 ed.]
 9783428444687, 9783428044689

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JOHANN BRAUN

Rechtskraft und Restitution Erster Teil

Schriften zum Prozessrecht Band 60

Vorwort Der hiermit vorgelegte erste Teil des auf zwei Bände geplanten Werks hat der Fakultät für Rechtswissenschaft in Mannheim im Sommersemester 1978 als Dissertation vorgelegen. Der zur Zeit noch in Arbeit befindliche zweite Teil, in dem der hier zunächst nur vorbereitete Ansatz systematisch entfaltet werden soll, wird in absehbarer Zeit folgen. Herrn Prof. Dr. Johannes Broermann danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die "Schriften zum Prozeßrecht". Frau Hannelore Grünberg und Frau Antje Limbach habe ich zu danken für die Betreuung des Manuskripts. Mein besonderer Dank gilt meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. Hans-Martin Pawlowski, für seine unermüdliche Geduld und Gesprächsbereitschaft und mehr noch für zahllose sachliche und vor allem methodische Hinweise. Mannheim, im Juni 1979

Johann Braun

Alle Rechte vorbehalten

© 1979 Duncker & Humblot. Berl1n 41

Gedruckt 1979 bei BUchdruckerei Bruno Luck. Berltn 65 Printed in Germany ISBN 3 428 04468 1

Rechtskraft und Restitution Erster Teil

Der Rechtsbehelf gern. §826 BGB gegen rechtskräftige Urteile

Von

lohann Braun

DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN

Inhal tsverzeichnis § 1. Einleitung .... ..... . . ........ ... . . ..... . . .......... .... .. . . .. . . .

13

I. Gegenstand und Ziel der Arbeit ....... ......... ..... . . . . . . . .

13

H. Kurzer Aufriß des Problems .... . .... . ... .. . . . ... . ... ... ... . 1. Das Prinzip der Rechtskraft .. .. .. .. ........ . .. ... . . . ... . . 2. Wege zur Durchbrechung der Rechtskraft . .. ...... .. . .... . a) Das Wiederaufnahmeverfahren der ZPO ..... . . . ...... b) Die quasi-Restitution gern. § 826 BGB .......... .. ......

17 17 19 20 23

HI. Der Gang der Untersuchung ........ .. . ... ........... .......

25

Erster Teil

Der Rechtsbehelf gern. § 826 BGB gegen rechtskräftige Urteile 1. Abschnitt

KRITISCHE BESTANDSAUFNAHME DER RECHTSPRECHUNG UND DES SCHRIFTTUMS § 2. Die Entwicklung des Recbtsbehelfs gern. § 826 BGB in der Recbt-

sprecllung ..... .. ....... . . . .. ...... ... .... . ... :.... . ... ... . .... . .

27

I. Urteilserschleichung zum Nachteil des Gegners .... .. ....... .

30 31 31 42 45

1. Die ältere Rechtsprechung bis 1945 ..... ... ..... . .. . .. ....

a) Urteilserschleichung durch positives Tun .............. b) Arglistiges Erschleichen von Scheidungsurteilen .. . .... c) Urteilserschleichung durch arglistiges Verschweigen . . . . d) Zusammenfassung . . . .. . .... ...... .. .... ... . . .. . ... ... 2. Die neuere Rechtsprechung seit 1945 ... ,.. .. .. ..... . . ..... a) Verbot bloßer Prozeßwiederholung . .. ...... . ..... .... . b) Keine Subsidiarität der Arglistklage ......... . .... .... c) Zusammenfassung ... ... . ........ ..... .... ... .. . . ... .. H. Urteilserschleichung Dritter

und Urteilssimulation zum Nachteil .................................................... .

1. Der Streit mehrerer Gläubiger um die Befriedigung. . . . . .

2. Rechtskrafterstreckung und Arglist .... .. ................. a) Der Treuhänder als Prozeßpartei . . ....... ... .. . . . . . . . . b) Gesetzliche Forderungsabtretung und Urteilserschleichung zum Nachteil des Zedenten ..... ... .. ... ... .... .

49

50 52 53 55 55 56 58 59 60

8

Inhaltsverzeichnis c) Urteilserschleichung gegen eine "Partei kraft Amtes" d) BAG AP Art. 9 GG (Arbeitskampf) Nr. 10 ....... . ...... e) Veräußerung der Streitsache und Rechtskrafterstrekkung ................................................. f) Rechtskrafterstreckung bei Gütergemeinschaft ......... g) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IH. Das simulierte Urteil im Verhältnis der Parteien untereinander ....................................................... 1. Simulierte Scheidung und Unterhalt nach der "wahren"

61 62 63 65 66 66

Rechtslage ............................................... 2. Der Verstoß gegen Vollstreckungsvereinbarungen ......... 3. Ausschaltung zwingender Vorschriften durch "Urteilssimulation" . . .. .......... . . ............... .. ..... ...... .. .... 4. Zusammenfassung .......................................

67 71

IV. Sittenwidrige Ausnutzung nicht erschlichener Urteile ........

84 84 87 87 88 90 92

1. Grunde und Hintergründe der Weiterentwicklung. . .. .... a) Das Aufkommen der Abstammungsgutachten ..... ..... b) Das Vollstreckungsmißbrauchsgesetz . ......... ..... ... c) "Fernwirkungen" der Novelle 1933 .................... d) Wirtschaftswandel und "nachträglicher Zinswucher" .,. e) Prozessuale Rechtskrafttheorie und "Schadenszufügung"

2. Zur arglistigen Ausnutzung unrichtiger Urteile im allgemeinen .... .. .................... .. ... ..... .............. 3. Ausnutzung unrichtiger Scheidungsurteile und Unterhaltspflicht unter geschiedenen Ehegatten .............. ..... .. a) Die ältere Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die neuere Entwicklung ...... . ................... ..... 4. Das Unterhaltsurteil zwischen dem nichtehelichen Kind und seinem Vater ............................................ a) Die ältere Rechtsprechung .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die neuere Entwicklung ........ . ............. . ........ 5. Zusammenfassung ..... .. .......... .... . ..... ... . .. . .....

83 84

93 96 97 100 102 102 109 119

§ 3. Die Stellungnahme der Wissensdlaft ........................ . .. .

120

I. Der Stil der Auseinandersetzung im allgemeinen ....... .... .

121

H. Das Schrifttum bis 1933 ... .. ..................... . ...... . ...

128 128 128

1. Die Anhänger der Rechtsprechung ........................ a) Anlehnung an die Begründung der Praxis .. . ... .. .. .. . b) Schadensersatz wegen Verschlechterung der prozessualen Situation .......................................... c) Schadensersatzanspruch gern. § 823 BGB und Bereicherungsklage ............................................ d) Urteilserschleichung und § 162 II BGB ............... . e) Gegenwärtige Arglist und Vollstreckungsgegenklage .,. f) "Historische" Begründungen ..........................

132 136 138 140 143

Inhaltsverzeichnis

9

2. Die Gegner der Rechtsprechung ......... .... ... ... .. ;.... a) Die Arglistklage als Verstoß gegen die Rechtskraft. . . . b) Rechtliche "Widersprüche" als Folge der Arglistklage " aa) Die Verschiedenheit der Klagefrist .. .............. bb) Das Erfordernis strafrechtlicher Verurteilung. . . . . . cc) Zuständigkeit und Verfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Arglistklage als Verstoß gegen den Sinn der §§ 580 tJ. ZPO .................................... .... .

144 145 147 148 148 149

III. Die Zeit zwischen 1933 und 1945 .................... . . . . . . . . .

153 155 155 157 159

1. Die Ausdehnung der Restitutionsklage ... ... ..... . .... . . . .

a) Die uneidliche Falschaussage als Restitutionsgrund . . . . b) Analoge Anwendung des § 580 Nr. 7 b ZPO .... .. ... ... 2. "Prozessuale Anpassung" des Rechtsbehelfs gern. § 826 BGB IV. Die neuere Entwicklung .................................... 1. Der Systematisierungsversuch Gauls .......... . ... . .......

a) Das Restitutionsprinzip .. . ............................ b) Unmittelbare praktische Folgerungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Restitutionsprinzip und der Rechtsbehelf gern. § 826 BGB ............ ... . . .............. ... . . . . ............ 2. Die Analyse des Anwendungsbereichs der Arglistklage durch Thumm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

151

161 163 165 167 169 170

2. Abschnitt

DISKUSSION EINZELNER THESEN § 4. Der Anwendungsbereidl der Arglistklage und die Restitutionsgründe des § 580 ZPO .. ... .. .................. . ..... . ..... . ....

I. "Erschlichenes Scheidungsurteil und Unterhalt" nach bisheri-

173

ger Rechtslage . . ......... .. .. . ... . .. .. .... . ... ..... .. . ......

175

II. Prozeßlügen bei Uberschreiten des Beweisthemas ............ 1. Die unvollständige Erfassung entscheidungsrelevanter Prozeßlügen durch die objektiven Straftatbestände ... .. .... . . 2. Der Rechtsbehelf gern. § 826 BGB bei nicht tatbestandsmäßigen Prozeßlügen ......... . .. . .. . ...... ... ... . ....... a) Prozeßlügen des Gegners .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prozeßlügen von Zeugen und Sachverständigen. . . . . . . . 3. Zusammenfassung ............... . . . ......... . ..... . .....

177

III. Anfängliche Zurechnungsunfähigkeit des dolosen Prozeßbeteiligten .... . .... . .. ... ..... .... .. ...................... . ...... 1. Anfängliche Zurechnungsunfähigkeit des dolosen Beteilig-

177 180 180 181 183 183

ten und Restitutionsklage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anfängliche Zurechnungsunfähigkeit und Arglistklage . . ..

183 184

3. Das Problem einer analogen Anwendung des § 581 I Hs. 2 ZPO ....... .. ........ ~.. ........ ..... .. .. ... .... ..... ....

186

10

Inhaltsverzeichnis IV. Einstellung des Strafverfahrens trotz Tatverdacht

V. Prozessuale Lüge und Prozeßbetrug .. . ..... ... .. .. .. ..... .. . 1. Die bisherige Entwicklung der Rechtsprechung zum Prozeß-

betrug....... . ........... . . . .... .. ....... ... ... . ......... a) Die ältere Auffassung.. .. ... .......... ...... .. .. .. ... b) Die Rechtsprechung nach Erlaß der Novelle 1933 ... . ..

2. Dolose Urteilserwirkung und Prozeßbetrug nach heutigem Recht .. ....... . .. ...... ...... .. .. .. .. .. ... .. ....... . .... . a) Der Vermögensschaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Absicht rechtswidriger Bereicherung ....... . ... . . . c) Zum Vergleich: Der spezifisch "prozessuale" Ansatz der Arglistklage ......................... .. .... .... .......

190 194 196 196 198 201 201 204 208

VI. Zusammenfassung und Rückblick .. . . .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

212

§ 5. "Prozessuale Elemente" im Ersdleinungsbild des Remtsbehelfs gem. § 826 BGB . ... . .. . ... . .. ...... .... .. . . .. . ..... . ... ... .. .. ..

214

I. Einführung in die Fragestellung .... .. . . .... . ................

214

II. Die "Restitutionsähnlichkeit" des Rechtsbehelfs gem. § 826 BGB im allgemeinen ........................ . ....... . .... . . .

216

1. Der prinzipielle Ausschluß von Bereicherungsansprüchen .

a) Urteilserschleichung und Bereicherungsrecht . ... .... ... b) Urteilsausnutzung und Bereicherungsrecht .. . .. . ... .. . 2. Der Gedanke der Subsidiarität ... .. .... .. .. .... .... . . ... .

217 217 222 223

III' Die Loslösung des Schadens begriffs vom materiellen Recht ..

228

1. Der Umfang des ersetzbaren "Schadens". ... ... ..... . ....

228

2. Die Ermittlung des zu ersetzenden "Schadens" .... . .......

231

IV. Die Verdrängung materiellrechtlicher Regeln durch prozessuale (speziellere Fragen) ..... . ... .. . . ...... . .... . ...... . ...... ...

235

1. Der Ausschluß der Schadensersatzklage wegen Versäumung

rechtzeitiger Geltendmachung .. . . .... . . . .. .. .......... . .. a) § 254 BGB oder § 582 ZPO .... .... ............ .. ... . .. b) Das Verbot der Wiederholung alter Behauptungen. .. .

235 235 237

2. §§ 935, 940 ZPO oder § 707 I ZPO . . .. . ... ... . . .. .. . .. .....

238

3. Das Einstehenmüssen für die Arglist von Vertretern. . . . . .

a) Das Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Rechtsprechung . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

239 241 242

V. Ergebnis . .... . .... .. ..... . ... ... ..... ..... ...... .. .. .. .. ....

245

§ 6. Das Prinzip der "Beweissimerheit" im Spiegel der Kritik . . . . . . . .

247

I. Vorbemerkung....... .. .. . .. .. ..... . . . ..... . . . .. . . . . . . . .. . . .

247

II. Beweissicherheit durch Urkunden? ..... .. .. . ........ .... ... .

251

Inhaltsverzeichnis 1. Auswertung der Gesetzesmaterialien . .... .. ... . . .... .. .. . a) Der Standpunkt des CPO-Gesetzgebers .......... . ..... b) Die Materialien zu § 641 i ZPO ... . . . ......... ...... . . . c) Zusammenfassung . . .... . ............................. 2. Die Rechtsprechung zu § 580 Nr. 7 bund § 641 i ZPO unter dem Aspekt der ..Beweissicherheit" .. .. .. .. .............. a) Die Restitution aufgrund neuer Vaterschaftsgutachten (§ 64li ZPO) ... .. ................. .. ....... .. .... . .... b) Die Restitution aufgrund neuer Urkunden (§ 580 Nr. 7 b ZPO) ............................................ . .... aa) Die ältere Rechtsprechung zu § 580 Nr. 7 b ZPO . .. . bb) Die neuere Rechtsprechung ......... . .............. 3. Würdigung ........... ... ....... .. . ....... . .. . . ... . . .... .

11 252 252 255 257 257 257 259 261 263 269

III. Beweiskraft und Restitution gern. § 580 Nr.1-5 ZPO ... .. .. .

271

1. "Formelle" und .. tatsächliche" Beweiskraft . .... .. ... . .... a) Die Gesetzesmaterialien zu § 581 I ZPO .. . ... .. .. .. ... . b) Strafurteil und "Beweiskraft" bei Gaul. . . . . . . . . . . . . . . .

273 274 277

2. Die "tatsächliche Beweiskraft" anderer Beweismittel im

Vergleich zu Strafurteilen ... . .... . ... .. ....... .. ... .. .... a) Disziplinarurteile ... .. ..... . ...... . ... .. .. . . ... .. . .. .. b) Augenscheinsobjekte ..... .. ...... ... .... .. . .. .... . .... aal Fotografien .. ...... ... . ...... .. . .... . . .... .. .. .... bb) .. Unbezweifelbare" Tatsachen .. . ... . ................ ce) ..Typischerweise" höhere Beweiskraft von Urkunden? ............ . ............. . ................... 3. Straferkenntnisse ohne besondere Beweiskraft, die gleichwohl einen Restitutionsgrund darstellen .................. a) Der Strafbefehl als Restitutionsgrund ................ . b) Erschütterung der "Vertrauenswürdigkeit" eines Prozeßbeteiligten .. ...... . . .. . . ...... . .... . ......... . . .... 4. "Erschütternde" Strafurteile, die keinen Restitutionsgrund darstellen .... . ... . .. .. . .... . .... ... .. . . . ... . .... ... .... . . 5. Würdigung .... . . ... .. . . . .. .. . . . .. . . . .. ...... . . .. .. .... . .

280 280 282 282 284 286 287 287 289 291 292

IV. Ergebnis ........ . .... .. .... . ......... . . . .... .. .... . .........

294

§ 7. Schluß des ersten Teils. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

296

I. Die dogmatische Bedeutung des Rechtsbehelfs gern. § 826 BGB in TÜckschauender Betrachtung. . . ..... .... . ... ... .... . ..... .

296

II. Einige Hinweise zur praktizierten Methode .. .. .... . ... . .... .

299

III. Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

301

Literaturverzeicltnis . . . ....... .. .... . .. . . ..... . . ...... ... ... . . . ......

304

§ 1. Einleitung I. Gegenstand und Ziel der Arbeit Die folgenden Untersuchungen bewegen sich thematisch im Umkreis des Wiederaufnahmerechts der ZPO, insbesondeI:e des Restitutionsrechts. Das bedarf insofern der Hervorhebung, als die überlegungen zunächst nicht bei irgendwelchen Auslegungsproblemen d,er §§ 578 ff. ZPO ansetzen, sondern bei einer Gruppe von Fällen, die formal nur wenig damit zu tun haben: Der erste Hauptteil der Arbeit wird sich gana: überwiegend mit der bekannten "Schadensersatzklage gern. § 826 BGB gegen rechtskräftige Urteile" befassen. Diese Klage steht nunmehr seit J ahrnehnten im Mittelpunkt zahlreicher Auseinandersetzungen über Wert und Bedeutung der materiellen Rechtskraft. Klarheit herrscht weder über ihre tatbestandlichen Voraussetzungen noch über ihre Zulässigkeit überhaupt noch über die dogmatischen Konsequenzen, die ihre Zulass\.lJng für andere Rechtsbehelfe nach sieh ziehen muß. Einigkeit besteht allenfalls darüber, daß diese Klage ein Problem aufgibt, dessen Lösung man bis heute noch nicht viel näher gekommen ist. Der Sache nach kann es sich dabei nur um ein Problem aus dem Umkreis des Wiederaufnahmerechts handeln; denn wenn auch die Klage gern. § 826 BGB materiellrech.tlich begründet wird, so ist sie doch gegen die materielle Rechtskraft von Urteilen gerichtet. Das kann heute jedenfalls nicht mehr ernsthaft bestritten werden. Aber damit ist das Problem entgegen einer veI'lbreiteten Meinung noch nicht gelöst, nicht einmal hinreichend formuliert, sondern bestenfalls erkannt. Nach der hier vertretenen Auffassung betrüft die Klage gern. § 826 BGB gegen rechtskräftige Urteile das Wiederaufnahmerecht nicht bloß am Rande, sie ist auch keineswegs nur der mittlerweile obsolet gewordene Wegbereiter der bislang auffälligsten Änderung des Restitutionsrechts, des § 641 i ZPO; sie rührt vielmehr nach wie vor unmittelbar an die Kernfrage der §§ 578 ff. ZPO: Wann und warum muß die Rechtskraft "zessieren"? Ob man es wahrhaben will oder nicht: Unter dem Aspekt des ,,§ 826 BGB" ist über diese Frage mehr nachgedacht und geschrieben worden als unter jedem anderen Gesichtspunkt. Dies einm,al zugegeben, gilt aber auch, daß jede Auseinandersetzung mit den Grundlagen des Wiederaufnahmerechts, die die tatsächliche Entwicklung ihres Problems nicht einfach ignorieren will, dazu zwingt, sich zunäcllst einmal mit der Rechtsprechung zu §826 BGB zu befassen. Wer den Knoten dieser Rechtsprechung löst, besitzt den Schlüssel zur Erfassung des "wirklichen" Restitutionsrechts, nicht

14

§ 1.

Einleitung

umgekehrt. Dies ist der Grund dafür, weshalb der Klage ~m. § 826 BGB im folgenden ein so entscheidendes Gewicht eingeräumt wird. Den zahlreichen diesem Thema bereits gewidmeten Abhandlungen eine weitere hinzuzufügen, mag allerdings vielleicht nicht ganz ohne Grund als ein müßiges Unterfangen erscheinen. Alle Fragen scheinen bereits gestellt, alle Antworten bis zum überdruß bereits erörtert zu sein. Aus. der Fülle der bisherigen Stellungnahmen zu folgern, daß das Thema "ausdiskutiert" sei, wäre indessen vorschnell. Es läßt sich nämlich nicht leugnen, daß die Standpunkte allen Bemühungen zum Trotz scheinbar unverrückt einander gegenüberstehen und - zumindest auf den ersten Blick - keinerlei Beruhrungspunkte aufweisen. Hinzu kommt, daß man sich auf seiten der Rechtsprechung heute noch auf dieselben Argumente be,ruft, die vor Jahrzehnten bereits widerlegt wurden, während man auf der Gegenseite immer noch zu glauben scheint, man könne gegen eine nunmehr fast humertjähI"'1ge kontinuierliche Rechtspraxis damit ankämpfen, daß man nachweist, daß es sie nach dem Willen des Gesetzgebers von 1877 eigentlich ,gar nicht geben dürfte. Auch ohne PrüfuIlig der Sache selbst ergibt sich daher bereits ein Befund, der auf tiefer liegende Grunde verweist oder wenigstens vermuten läßt, daß das Problem eben doch noch nicht unter allen Aspekten durchdacht worden ist, sei es, daß man auf der einen oder anderen Seite mit weitreichenden Basisbehauptungen allzu sorglos umgegangen ist, sei es, daß man in dem abstrakten "Theorienstreit" die konkreten Probleme, um die es von Fall zu Fall zu tun war, gar nicht recht zur Kenntnis genommen hat oder aus welchen Gründen auch immer. Hier liegt der Punkt, an dem die vorliegende Arbeit ansetzt. Bestlimmend für Akzentuierung und Stil ist zunächst die Einsicht, daß im Rahmen der herkömmlichen Fragestellungen die Diskussion nicht mehr wesentlich vorangebracht werden kann. Insoweit sind die Dinge in der Tat ausdiskutiert, und die verschiedenen Positionen lassen sich allenfalls noch schärfer voneinander abgrenzen, nicht aber miteinander vermitteln. Wer zur Vermittlung heute noch etwas beitragen will, muß einen Zweifrontenkrieg riskieren. Nach Lage der Dinge kann dabei die entscheidende Aufgabe nur darin bestehen, ein neues kategoriales Raster zu erarbeiten, das eine für beide Lager sinnvolle Fragestellung allere,rst wieder zuläßt. Das versucht die vorliegende Untersuchung auf eine doppelte Weise: einmal dadurch, daß sie schrittweise die prozessuale Substanz freilegt, die die Rechtsprechung zur Rechtskraftdurchbrechung gem. § 826 BGB unter ihrer materiell rechtlichen Oberfläche aufweist, zum anderen dadurch, daß sie den begrifflichen Rahmen dies Restitutionsrechts nicht einfach als vOl'gegeben übernimmt, um ilie Rechtsprechung daran zu messen und auf Abweichungen zu untersuchen, sondern ein neues restitution:srechtliches Koordinatensystem erstellt, in das die-

I. Gegenstand und Ziel der Arbeit

15

jentgen prozessualen Erkenntnisse emgearbeitet sind, die bei der Analyse und dogmatischen Aufarbeitung der Rechtsprechung zu § 826 BGB allererst anfallen. Um zunächst eines der Ergebnisse vorwegzunehmen: Von wenigen Ausnahmen1 abgesehen, die bisher praktisch unbeachtet geblieben sind, hat sich d!i.e bisherige Diskussion des Problems weniger an dem "objektiven Gehalt" der ergangenen Entscheidungen als vielmehr an dem darin zum Ausdruck kommenden Selbstverständnis der Gerichte orientiert. Verbal jedoch hat sich die Rechtsprechung zur Klage aus § 826 BGB immer eng an das materielle Recht angelehnt. Von daher ergab sich also nur die Alternative, entweder den Vorrang der Rechtskraft gegenüber den "BiUig.keitserwägungen" der gängigen Rechtspraxis zu betonen oder aber den Einbruch materiellrechtlichen Denkens in ~­ fisch prozeSSUJale Zusammenhänge zu akzeptieren - eine a.w die Dauer sterile Fragestellung, wie die Geschichte der bisherigen Auseinandersetzung beweist. Wenn sich jedoch zwei Auffassungen von einer Sache einander so beharrlich gegenüberstehen, so ist das meist ein Zeichen dafür, daß jede der beiden Auffassungen zwar richtige Gesich1spunkte enthält, sie jedoch voreilig verallgemeinert oder übemaupt in einen falschen Kontext einbringt. Aufdecken lassen sich verfehlte Weichenstellungen dieser Art nur durch eine sorgfältige Analyse und Nachkonstruktion des Problems und seiner Geschichte. Dieser vielleicht etwas umständliche Weg, sich der Sache selbst zu nähern, wiJrd im Verlauf des ersten Teils der Arbeitz u. a. zu der Erkenntnis führen, daß die übliche Beschreibung der Klage aus § 826 BGB gegen rechtskräftige Urteile als eine aus dem materiellen Recht entlehnte "echte Schadensernatzklage" an der Realität vorbeigeht. Unrichtig ist diese gängige Problembeschreibung nicht nur deshalb, weil die "Kla,ge aus § 826 BGB" nur als Antwort auf eine prozessuale Fragestellung verstanden werden kann, sondern auch deshalb, weil die Rechtsprechung dabei t>rozessualen Erwägungen, wenn auch unter der Hand, mindestens in demselben Umfang Rechnung trägjt wie materiellrechtlichen überlegungen. Der Kontext, in dem sich die Rechtsprechung der Sache nach bewegt, ist der Tendenz nach sogar spezifisch restitutionsrechtlicher Natur. Das läßt sich ungeachtet aller gegenteiligen Behauptungen Punkt für Punkt nachweisen3 • Was weiter die Erarbeitung des restitutionsrechtlichen Bezugsrahmens anbetrifft, so bemüht sich die folgende Untersuchung darum, die bekannte methodologische Einsicht, daß der maßgebliche Sinn einer Nomn -c- hier: des § 580 ZPO - nicht ausschließlich, nicht einmal unbe1 2

3

Vgl. dazu näher unten § 3 III 2. Vgl. vor allem unten §§ 3, 4 und 5. Vgl. dazu insbesondere unten § 5.

16

§ 1. Einleitung

dingt maßgeblich, aus "ihr selbst" bestimmt werden kann, praktisch werden zu lassen. Eine juristische Auslegungslehre, die sich auf die Analyse isolierter sprachlicher Gebilde beschränkt, gelangt zwangsläufig zu einem substanzlosen Gesetzespositivismus oder sieht sich genötigt, ihr Ungenügen durch Aufnahme unvel'brämter Irrationalismen ("Wesensschau", "Wertung" u. ä. m.) zu kaschieren. Will man beides vermeiden, so muß man von vornherein berücksichtigen, daß jede Rechtsnorm über ihren Wortlaut hinaus einmal bezogen ist auf das rechtliche System, das durch sie mitkonstituiert wird, zum andern auf die Rechtsprobleme einer sich fortwährend verändernden Welt, die - ob vom Gesetzgeber vorhergesehen oder nicht - mit ihrer Hilfe gelöst werden müssen. Diese Rechtsprobleme, um deren Lösung es letztlich überhaupt nur geht, sind also kein reines Produkt der Nol'm selbst, sondern entstehen nicht zuletzt dUll'Ch das freie und an sich unvorhersehbare Handeln von Menschen, die mit- und gegeneinander agieren und sich dabei auf unterschiedliche "Berechtigungen" berufen, kurz: alle Rechtsprobleme existieren nur im Kontext der durch sie ausgelösten rechtlichen Diskussion. Nur durch permanente Bezugnahme auf diese Diskussion, in der Gesetze, Präjudizien, wissenschaftliche Erkenntnisse sowie Parteihandlungen und -auffassungen zulässige und in gewissem Sinn sogar gleichwerti.ge Argumentationsmittel darstellen\ kann auch die einzelne Norm mit konkretem Inhalt erfüllt und auf wechselnde Streitfälle "anwendbar" gemacht werden. Aspekte dieses im eigentlichen Sinn "dialektischen" Prozesses sind gelegentlich etwas vereinfachend, aber sehr anschaulich als ein "Hin- und Herwandern des Blicks" beschrieben worden5 • Für uns ergibt sich damm die Aufgabe, die Diskussion über.die umstrittene Rechtsprechung zu § 826 BGB bei der Behandlung des duTCh die SchlaJgworte "Rechtskraft und Restitution" umrissenen Problems nicht einfach außer acht zu lassen, sondern als die tatsächliche ArgumentatiOIliSgeschichte des Problems auf "phänomenologische" Weise in seine Lösung miteinzubeziehen', m. a. W.: mit der Klage aus § 8k6 BGB zugleich auch die §§ 578 ff. ZPO auf den " Begriff " zu bringen. Wie ein solcher Reftexionsprozeß im einzelnen auszusehen hat, läßt sich freilich nicht ein für allemal abstrakt angeben7 • Insoweit kann 8IIl dieser Stelle nur auf den weiteren Verlauf der gesamten Arbeit verwiesen werden.

, Vgl. dazu Bernhardt, ZZP Bd.66 (1953), 82; siehe allgemein auch Pawlowski, Allgemeiner Teil des BGB, 17 fI. S Vgl. Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, 15; LaTenz, Me-

thodenlehre der Rechtswissenschaft, 264 f. , Darin liegt kein Bekenntnis zu Hegel, wohl aber eine gewisse Bezugnahme auf ihn. 7 Vgl. jedoch LaTenz (Fn. 5), 189 fI.

11.

Kurzer Aufriß des Problems

17

11. Kurzer Aufriß des Problems Obgleich wir die Grundlinien des Restitutionsrechts an sich erst erarbeiten wollen, so wird doch bereits dadurch, daß wir die Rechtsprechung zur Klage gern. § 826 BGB ebenfalls in den Kontext von Rechtskraft und Restitution stellen, ein Bezugsrahmen (oder, wenn man so will: ein Vorverständnis) vorausgesetzt, der die weitere Diskussion entscheidend bestimmen muß. Auf die damit zusammenhängenden Fragen werden wir erst im zweiten Hauptteil näher eingehen können. Es empfiehlt sich aber, daß wir uns diesen allgemeinen Hintergrund bereits hier kurz vergegenwärtigen. 1. Das Prinzip der Reclltskraft

Ohne auf die philosophischen Dimensionen des Rechtskraftproblems näher eingehen zu wollen, läßt sich dach sagen, daß die Rechtskraft die Verfo1gung des "Rechts" nicht einfach abschneidet, sondern selbst mit zum Recht gehört. Auch wer nach so sehr betont, daß es bei einer rechtlichen Entscheidung in erster Linie auf ihre "Richtigkeit" und nicht auf den Abbruch des Streitens ankQmmt, muß auf der anderen Seite doch einräumen, daß die Rechtskraft "vom Recht se~bst gebOlten [wi,rrl], weil dieses ohne Rechtskraft nicht wirklich werden kann"8. Es wäre daher nicht bloß "unzweckmäßig"O, sondern auch "unrichtig", wenn die unterlegene Partei jederzeit, also auch noch nach Jahr und Tag, unterschiedslos jedes Urteil an:greifen und die entschiedene Frage noch einmal zur Entscheidung bringen könnte. Aber selbst dann, wenn man dies im Interesse der "Wahrheit" an sich gar nicht unrichtig finden sollte, so würde doch wenigstens die Veränderlichkeit der verfügbaren Beweismittel - Augenscheinsobjekte verändern sich, werden zerstört, Zeugen verlieren die Erinnerung oder versterben usw. - dazu zwingen, das streitige Recht im Prozeß nicht bloß in einer jederzeit revidierbaren Weise zu "erkennen", sondern im eigentlichen Sin:n des Wortes "festzustellen". Eine prinzipiell endlose Wahrheitssuche mag eine heroische Vorstellung sein; ein auch nur potentiell endloser Rechtsstreit wäre ein Schreckgespenst. Die Rechtsordnung muß daher von vornherein Vorkehrungen dafür treffen, daß der einzelne einen Rechtsstreit nicht nur führen, sondern vor allem auch wieder von ihm loskommen kann. Das wichtigste Mittel hierfür ist die Rechtskraft. Sie erst verleiht, wie ihr Name sagt, dem bloß möglichen, jedel7Jeit angreifbaren Recht die Kraft eines Wirklichen, 8 So zutreffend Johannsen, FDJT, 85; ähnlich Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 483 f.; Wurzer, Die Rechtskraft, eine Idee im Dienste des Rechts, 6 ff. U So freilich Bernhardt, ZZP Bd. 66 (1953), 78. 2 Braun I

18

§ 1. Einleitung

das nicht mehr ohne weiteres geleugnet, sondern allenfalls unter erschwerten Bedingungen noch einmal beseitigt werden kann. Ihren klassischen Ausdruck haben Notwendigkeit und Wirkungsweise der Rechtskraft in der AGO von 1793 gefunden: "Die Ruhe und Ordnung in der bürgerlichen Gesellschaft gestattet es nicht, daß die Prozesse verewigt und die von dem Richter nach gesetzmäßiger Untersuchung anerkannten und festgestellten Rechte der Parteien unter irgendeinem Vorwande weiter angefochten werden. Ein unter den gesetzmäßigen Erfordernissen gefälltes rechtskräftiges Urteil sichert also den, der es erstritten hat, für immer wider alle fernere Anfechtung seines Gegners und derjenigen, die an dessen Stelle treten 10." Etwas mehr von der technischen Seite her gesehen, kann man zwei Wirkungsweisen der Rechtskraft unterscheiden: Als formelle oder äußere Rechtskraft (Unangreifbarkeit) stellt sie unmittelbar nur den formellen Bestand des rechtskräftigen Urteils sicher und verbietet jede Fortführung des einmal abgeschlossenen VerfahreIlJS; als materielle oder innere Rechtskraft (Maßgeblichkeit) sichert sie die inhaltliche Geltung des Urteils auch in anderen Verfahren und hindert, soweit sie reicht, jede abweichende Beurteilung der entschiedenen Fragel l • Ob die Rechtskraft von Amts wegen oder nur auf eine Parteirüge hin zu beachten ist, hat da·m it unmittelbar nichts zu tun und war denn auch in den einzelnen Rechtsordnungen sehr unterschiedlich geregelt. Während das ältere deutsche Recht hier offenbar von sehr strengen Grundsätzen geprägt warl2 , wogegen im gemeinen Prozeß I3 sowie in den partikularen Prozeßrechten des 19. Jahrhundertsl4 bis hin zur CPO von 187715 eine Einrede verlangt wurde, wird die Rechtskraft im geltenden Recht wieder UDEinleitung §§ 65 f. AGO. Zur Begrifflichkeit vgl. statt aller Grunsky (Fn. 8), 484 f.; Stein / Jonas, ZPO, 19. Aufl., § 322 Anm. I 1. 12 DernbuTg, DJZ 1905, ~5 berichtet von einem capitulare Karls des Großen aus dem Jahr 803, wonach jeder, der eine bereits abgeurteilte Sache nochmals vor Gericht zu bringen wagte, mit einer Geldbuße von 15 Solidi bzw. mit 15 Schlägen bestraft wurde. IS Vgl. dazu WetzelZ, System des ordentlichen Zivilprozesses, 162; Oberappellationsgericht Lübeck SeuffArch Bd.5 (1851) Nr.238 - U. v. 22. 12. 1824. Weitere Nachweise bei Bülow, AcP Bd.83 (1894), 21 Fn.24; siehe auch dessen kritische Bemerkungen 20 ff., 114. 1& Vgl. Art. 78 § 1 b Oldenburgische Bürgerliche Prozeßordnung vom 2.11. 1857; Art. 57 VI Coburgisches Gesetz die Verbesserung des Civilproceßverfahrens betreffend vom 1. 12. 1858; Oberappellationsgericht Jena BIRpflThür Bd. 26 (1879), 114 (116 f.) - U. v. 20. 12. 1878; trotz Tit.5 § 6 II!, Tit.9 § 6 AGO siehe auch Obertribunal zu Berlin StriethArch Bd. 42 (1862), 80 - U. v. 15. 5. 1861. 15 In der CPO wird über die Beachtung der Rechtskraft unmittelbar zwar nichts gesagt. Die dem Gesetz zugrunde liegende Auffassung kommt jedoch darin zum Ausdruck, daß in § 247 I! Nr. 3 von der "Einrede der Rechtshängigkeit" die Rede ist. Im allgemeinen wird die Rechtshängigkeit im vorstehenden Zusammenhang nämlich nicht anders behandelt als die Rechtskraft. 10 11

II. Kurzer Aufriß des Problems

19

streitig von Amts wegen berücksichtigt18. Als ein nicht zuletzt auch im öffentlichen Interesse bestehendes Rechtsinstitut soll die Rech!tskraft der Verfügung der Parteien iIliSgesamt entzogen sein; ein rechtskräftiges UI1teil kann also prinzipiell selbst dann nicht mehr in Frage gestellt oder sOIliStwie überspielt werden, wenn die Parteien dies übereinstimmend wollenl1 • 2. Wege zur Durcbbrecbung der Rechtskraft

Nun hat freilich selbst ein so entschiedener Verfechter des Rechtskraftprinzips wie Hellwig einmal einräumen müssen, daß es um die Rechtsordnung traurig bestellt wäre, wenn sie keinerlei Mittel böte, um die Richtigkeit eines Urteils anzugreifen18. In der Tat kommt es immer wieder zu Urteilen, durch dJeren ExisteIliZ und Ve.I1bindlichkeit die "Ruhe und Ordnung in der bürgerlichen Gesellschaft" stärker beeinträchtigt würde als durch ihre Aufhebung oder Nichtbeach.tung19. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird oft genug Gelegenheit sein, Entscheidungen dieser Art näher kenne~ulernen. Soll die Rechtskraft nicht auch. solche Urteile decken und damit sich selbst in Mißkredit bringen, so muß sie angemessen begrenzt werden. Dies geschieht im geltenden Recht einmal dadurch, daß der objektive Umfang der Rechtskraft im Verhältnis zu früheren Rechten von vornherein stark eingeschränkt i:gt2o, als auch dadurch, daß die Geltung der Rechtskraft in bestimmten Fällen im nachhinein durchbrochen werden kann. Von Interesse ist hier allein das letztere. 11 Markiert wird der Wendepunkt durch die energische Kritik von Bülow, AcP Bd. 83 (1894), 1 ff. und Schwartz, "Absolute Rechtskraft" und heutiges Deutsches Recht, 24 ff. In der Folgezeit setzte sich die Konzeption der "absoluten Rechtskraft" mehr und mehr durch, vgl. etwa HeUwig, Wesen und subjektive Begrenzung der Rechtskraft, 10 ff.; Pagenstecher, Zur Lehre von der materiellen Rechtskraft, 342 ff.; Weiss, Festschr. f. Wach, Bd. 2,203 ff.; Wurzer (Fn. 8), 26 ff.; Förster / Kann, ZPO, 3. Aufl., § 322 Anm. 6 a; zögernd noch Seuffert, CPO, 9. Aufl., § 322 Anm.2; siehe auch noch RGZ 135, 33 (34) - U. v. 11. 1. 1932. (Zum heutigen Standpunkt der Rechtsprechung vgl. BGH LM § 21 VAG Nr.2 - U. v. 15. 12. 1951; BAG AP § 322 ZPO Nr. 1 - U. v. 28. 12. 1955; BGHZ 53, 332 [334] - U. v. 16.3. 1970.) 17 Unberührt bleibt selbstverständlich die Möglichkeit der Parteien, über das rechtskräftig festgestellte Recht selbst zu disponieren 18 HeUwig, Recht 1910,723 f. 19 Diesen Gedanken zieht Johannsen, FDJT, 88, zutreffend zur Rechtfertigung der Wiederaufnahmeklagen heran. In auffälliger übereinstimmung versucht Bernhardt (Fn. 4), 90, die Klage aus § 826 BGB mit einem Hinweis darauf zu rechtfertigen, "daß die Aufrechterhaltung eines auf unsittliche Weise herbeigeführten Urteils eine schwerere Erschütterung des Rechtsgefühls mit sich bringt als die Aufhebung einer solchen Entscheidung". 20 Vgl. dazu näher Zeuner, Die objektiven Grenzen der Rechtskraft im Rahmen rechtlicher Sinnzusammenhänge.

§ 1. Einleitung

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a) Das Wiederaufnahmeverfahren der ZPO Sieht man von dem besonderen F8ill des § 323 ZP021 einmal ab, so stellt die ZPO für den Anlgriff auf ein rechtskräftiges Urteil vor allem das in den §§ 578 ff. ZPO geregelte Wiederaufnahmeverfahren zur Verfügung!!.

Das Bemerkenswerte an diesem Verfahren ist zunächst seine evidente Abweichung vom gemeinen Prozeß. Während in diesem sog. "UrteilsnichtiJgkeiten" - sieht man von den zunehmend~ Einschränkungen der Nichtigkeitslehre einmal ab - nicht nur "principaliter" durch eine besondere Klage, sondern auch "incidenter" (einredeweise) geltend gemacht werden konntenZ3, kennt die ZPO einen unmittelbaren (informellen) Angriff auf die materielle Rechtskraft allein nicht mehr. Nach der in der ZPO getroffenen Reglung ist es also nicht möglich, daß jemand einen Rechtsstreit ohne Rücksicht auf ein präjudizielles Urteil durchführt und den EiDIWand der Rechtskraft einfach durch einen Hinweis auf die Fehlerhaftigkeit der Vorentscheidung ausräumt. Die Unrichtigkeit eines rechtskräftigen Urteils kann vielmehr nur dann geltend gemacht werden, wenn dieses Urteil im Wiederaufnahmeverfahren formell aufgehoben worden ist. Die materielle Rechtskraft ist mithin eng mit der formellen Rechtskraft vellkoppelt und kann IliUr mit dieser zusammen zu Fall gebracht werden. Nicht weniger wichtig als die Frage, in welchem Verfahren ein rechtskräftiges Urteil nur angegriffen werden kann, ist die weitere Frage, an welche tatbestand lichen Voraussetzungen ein solcher Angriff geknüpft ist. Hier zeigt sich vor allem, wie es um den Wert der Rechtskraft in Wahrheit bestellt ist. Die verschiedenen Prozeßrechte lassen hier ein sehr buntes Bild erkennen. Für lange Zeit bestimmend war der römische und später der gemeine Prozeß, in dem rechtskräftige Urteile nicht viel anders als nachteilige Folgen rechtsgeschäftlicher Handlungen mit der restitutio in integrum beseitigt werden konnten24 • In gewissem Um21

Der Sache nach gehören hierher auch die §§ 1382 VI, 1587 d 11, 1587 g 111,

1587 i 111 BGB.

22 Zu einer Durchbrechung der Rechtskraft kann es daneben auch dann kommen, wenn gegen die Versäumung einer Rechtsmittel-, Einspruchs- oder Rechtsmittelbegründungsfrist um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nachgesucht wird, § 233 ZPO. Historisch geht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf dieselbe Wurzel zurück wie die Restitutionsklage (die prozessuale restitutio in integrum richtete sich sowohl gegen einzelne Prozeßhandlungen als auch gegen rechtskräftige Urteile); sachlich kann sie hier jedoch ganz vernachlässigt werden, weil sie auch in den Fällen, wo sie letztlich gegen ein bereits rechtskräftig gewordenes Urteil gerichtet ist, eine irgendwie geartete "Unrichtigkeit" der angegriffenen Entscheidung nicht voraussetzt. 23 Vgl. näher Endemann, Das deutsche Zivilprozeßrecht, 941 fI.; Schwalbach, AcP Bd. 63 (1880), 125ff.; Skedl, Die Nichtigkeitsbeschwerde in ihrer geschicht. lichen Entwicklung, 100 ff., 172 ff.

11. Kurzer Aufriß des Problems

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fang scheint auch die actio de dolo möglich gewesen zu sein2,. Daneben gab es, vor allem im kanonischen Prw.eß, noch umfangreiche Kataloge mit Gründen, die ein Urteil nach dem Sprachgebl'auch dieser Zeit überhaupt als "nichtig" erscheinen ließen (sententiae, quae nunquam transeunt in rem iudicatam)2B. Die weitere Entwicklung ist demgegenüber dadurch gekennzeichnet, daß diese zahlreichen Möglichkeiten im Laufe der Zeit zunehmend eingeschränkt wurden. Der letzte Schritt in d~eser Richtung vollzog sich im 19. Jahrhundert, wo sich in den partikularen Prozeßoronungen die Tendenz zeigte, die Restitution wegen neuer Tatsachen und/oder Beweismittel auf Urkunden zu beschränken und die Restitution wegen doloser Handlungen nur dann zuzwlassen, wenn der Betreffende zuvor rechtskräftig verurteilt worden ist. Den Schlußstein dieser Entwicklung bildet die Wiederaufnahmeregelung der ZPO, der man ihre Herkunft in vielen Punkten auch heute noch anmerken kann. Im Anschluß an die gemeinrechtliche Doktrin unterscheidet die ZPO in § 578 zunächst zwischen Nichttgkeits- und Restitutionsklage und bestimmt über deren Zuläsigkeit in ihrer heutigen Fassung dann folgendes: § 579

(I) Die Nichtigkeitsklage findet statt:

1. wenn das· erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; 2. wenn ein Richter bei der Entscheidung mitgewirkt hat, der von der Aus-

übung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hindernis mittels eines Ablehnungsgesuchs oder eines Rechtsmittels ohne Erfolg geltend gemacht ist; 3. wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt h~tt, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war; 4. wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat. (11) In den Fällen der Nummern 1, 3 findet die Klage nicht statt, wenn die Nichtigkeit mittels eines Rechtsmittels geltend gemacht werden konnte. § 580

Die Restitutionsklage findet statt: 1. wenn der Gegner durch Beeidigung einer Aussage, auf die das Urteil gegründet ist, sich einer vorsätzlichen oder fahrlässigen· Verletzung der Eidespflicht schuldig gemacht hat; H Vgl. v. Bethmann-Hollweg, Der Civilprozeß des gemeinen Rechts in geschichtlicher Entwicklung, Bd. 2,712 ff.; Endemann (Fn. 23), 962 ff.; Kaser, Das römische Zivilprozeßrecht, 394 f,; Wenger, Institutionen des römischen Zivilprozeßrechts, 202; Wetzell (Fn.13), 674 ft. 25 Vgl. näher Bunge, Die arglistige Herbeiführung der Rechtskraft, 37 ft.; Böttgers, Die Stellung des römischen und heutigen Richters gegenüber der sittenwidrigen Ausbeutung der Rechtskraft, 13 ft., 25ft. 28 Zur Rechtsprechung der Rota Romana vgl. insoweit die ausführliche Untersuchung von Puza, Res iudicata, 59 ft.

22

§ 1. Einleitung

2. wenn eine Urkunde, auf die das Urteil gegründet ist, fälschlich angefertigt oder verfälscht war; 3. wenn bei einem Zeugnis oder Gutachten, auf welches das Urteil gegründet ist, der Zeuge oder Sachverständige sich einer strafbaren Verletzung der Wahrheitspflicht schuldig gemacht hat; 4. wenn das Urteil von dem Vertreter der Partei oder von dem Gegner oder dessen Vertreter durch eine in Beziehung auf den Rechtsstreit verübte Straftat erwirkt ist; 5. wenn ein Richter bei dem Urteil mitgewirkt hat, der sich in Beziehung auf den Rechtsstreit einer strafbaren Verletzung seiner Amtspflichten gegen die Partei schuldig gemacht hat; 6. wenn das Urteil eines ordentlichen Gerichts, eines früheren Sondergerichts oder eines Verwaltungsgerichts, auf welches das Urteil gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftiges Urteil aufgehoben ist; 7. wenn die Partei a) ein in derselben Sache erlassenes, früher rechtskräftig gewordenes Urteil oder b) eine andere Urkunde aufflndet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. § 581

(I) In den Fällen des vorhergehenden Paragraphen Nummern 1 bis 5 findet die Restitutionsklage nur statt, wenn wegen der Straftat eine rechtskräftige Verurteilung ergangen ist oder wenn die Einleitung oder Durchführung eines Strafverfahrens aus anderen Gründen als wegen Mangels an Beweis nicht erfolgen kann. (11) Der Beweis der Tatsachen, welche die Restitutionsklage begründen, kann durch den Antrag auf Parteivernehmung nicht geführt werden. Richtet man den Blick einmal über den Text dieser Vorschriften hinaUlS, so hat es freilich den Anschein, als ob die soeben skizzierte Entwicklung seit Erlaß der ZPO zum Teil wieder rückläufig ist. Jedenfalls scheint der den §§ 580 f. ZPO eigentümliche Formalismus bei den neueren Zivilprozeßgesetzgebern des deutschsprachigen Raumes nicht überall auf Gegenliebe gestoßen zu sein. Zum Teil ist bei der Restitution wegen doloser Handlungen auf das Erfordernis vorheriger rech·tskräftiger Verurteilung verzichtet worden%1, häufiger noch aber hat man bei %1 Vgl. § 163 I Nr. 1 der neuen ZPO der DDR v. 19. 6. 1975 (GBI DDR I, 533), wo die Wiederaufnahme wegen doloser Handlungen der an keinerlei formelle Voraussetzungen gebundenen Beweismittelrestitution prinzipiell gleichgestellt wird; lediglich bei einer Straftat eines mitwirkenden Richters, Schöffen oder Sekretärs ist gern. § 163 I Nr.4 noch eine rechtskräftige Verurteilung erforderlich. Der E 1931 hatte demgegenüber an dem Erfordernis vorheriger Verurteilung zwar festgehalten (§ 547 I), wollte jedoch gern. § 546 Nr.6 die Restitutionsklage auch dann zulassen, "wenn eine Partei die Rechtskraft eines Urteils durch arglistige Täuschung erschlichen hat". Im Falle einer unbeeidigten Vernehmung eines Zeugen oder einer Partei (wofür es damals keine entsprechenden Straftatbestände gab) sollte es überdies genügen, wenn der Betreffende "seine Aussage... zur Niederschrift eines Gerichts widerruft", § 546 Nr.7 E 1931.

11. Kurzer Aufriß des Problems

23

der Beweismittelrestitution von der Urkundenform abgesehen und die Wiederaufnahme aufgrund aller neuen Beweismittel zugelassen28 • In der ZPO freilich blieb lange Zeit alles beim alten. Erst das Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder9 hat dann § 641 i ZPO neu eingefügt, dessen erster Absatz wie folgt lautet: Die Restitutionsklage gegen ein rechtskräftiges Urteil, in dem über die Vaterschaft entschieden ist, findet außer in Fällen des § 580 statt, wenn die Partei ein neues Gutachten über die Vaterschaft vorlegt, das allein oder in Verbindung mit den in dem früheren Verfahren erhobenen Beweisen eine andere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Davon abgesehen haben sich die §§ 578 ff. ZPO gegenüber all€D. Anfeindungen bis heute behauptet. Unverändert gilt auch die zeitweise sehr heftig umstrittene Fristenregelung dies § 586 ZPO, wonach eine Wiederaufnahmeklage vor Ablauf der Notfrist eines Monats, ,gerechnet ab Kenntnis des Anfechtungsgrundes, zu erheben ist und nach Ablauf einer Ausschlußfrist von 5 Jahren ab Eintritt der Rechtskraft überhaupt unzulässig wird30• b) Die quasi-Restitution gem. § 826 BGB

An sich sollte diese komplizierte Regelung erwarten lassen, daß die Probleme des geltenden Wiederaufnahmerechts seit Erlaß der CPO im wesentlichen darin bestehen, die Kasuistik des Gesetzes aufzuhellen und die zahlreichen Einzelbestimmungen sinnvoll voneinander abzugremen. Ein Blick auf den tatsächlichen Verlauf der Entwicklung macht indessen schnell deutlich, daß man die Wiederaufnahmevorschriften des Gesetzes als "Ausnahmeregeln" einer wissenschaftlichen Durchdringung jahrzehntelang entzogen hat; bis zu Gaul galten sie so z. B. im wesentlichen auch a'ls nicht analogiefähig'll. Sehr früh schon und scheinbar UllJoorührt von den §§ 578 f. ZPO hat sich jedoch an ganz anderer Stelle eine Entwicklung angebahnt, die die Regelung des Gesetzes nach Meinung kompetenter Beobachter geradezu aus den Angeln zu heben droht. In aufsehenerregenden Entscheidungen hat es die Rechtsprechung nämlich zugelassen, rechtskräftige Urteile in bestimmten Fällen - vor allem solchen, die den Restitutionstatbeständen ähneln - mit einer auf § 826 BGB gestützten Schadens28 Vgl. § 530 I Nr. 7 Österreichische ZPO vom 1. 8. 1895 (RGBl Nr. 113); § 137 lit. b Schweizer Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 16. 12. 1943 (Systematische Sammlung des Bundesrechts 173. 110); § 163 I Nr. 1 ZPO DDR. 29 G. vom 19. 8. 1969, BGBI I, 1243. 30 Lediglich im Falle des § 579 I Nr. 4 ZPO gilt gern. § 586 III ZPO eine abweichende Regelung und bei einer Restitutionsklage nach § 641 i ZPO findet § 586 ZPO überhaupt keine Anwendung (§ 641 i III ZPO). 31 Vgl. näher Gaul, Grundlagen, 24 H.

§ 1. Einleitung

24

ersatzklage bzw. Einrede in Frage zu stellen. Wenngleich diese Klage von Anfang an nicht auf fonnelle Beseitigung des angegriffenen Urteils, sondern "nur" auf Ersatz des dadurch verursachten Schadens gerichtet war, so war damit im Ergebnis doch ein in wesentlichen Punkten funktionsgleicher "Rechtsbehelf" neu geschaffen worden, dessen Zulässigkeit sich nach ganz anderen Grundsätzen richtete: Weder ist dem Rechtsbehelf gem. § 826 BGB eine einredeweise Geltendmachung verwehrt noch setzt er eine vorherige Verurteilung des dolosen Beteiligten voraus noch ist er schließlich an die kurzen Fristen des § 586 ZPO gebunden. Wurzert fühlte sich denn auch gleich an eine Festung erinnert, deren Tore fest verschlossen sind, die jedoch eine bequeme offene Hintertür für den Feind hat. Mehr noch: Der Rechrtsbehelf gem. § 826 BGB ist ein Einfalltor, von dem aus nicht nur die Rechtskraft eines Urteils, sondern die ganze Regelnmg der §§ 578 ff., 641 i ZPO j'ederzeit praktisch aus den Angeln gehoben werden lmnn. Das ist die Situation, in der sich das Wiederaufnahmerecht seit vielen Jahrzehnten befindet. Der in seiner Abstraktheit sicherlich richtige Hinweis, daß die Schadensersatzklage gem. § 826 BGB "an sich" durch die Rechtskraft ausgeschlossen sei, verschlägt demgegenüber nicht viel. Obschon von Larenz83 zu den nicht geglückten richterlichen Rechtsfortbildungen gerechnet, war doch für HedemannM bereits 1933 "an dem Sieg der vom BGB herübergedrungenen Generalklausel . .. nicht mehr zu zweifeln". Daß die Klage gern. § 826 BGB mit zum Restitutionsrecht gehört, räumen ungewollt auch die Gegner der Rechtsprechung ein, wenn sie einerseits ZJWar den Weg über § 826 BGB bekämpfen, andererseits jedoch regelmäßig auf eine Änderung der §§ 578 ff. ZPO dringen, die im Ergebnis dem gleichkommt, was nach § 826 BGB unzulässig und verderblich sein soll. Bei nüchterner Betrachtung liegt daher der Gedanke nahe, daß das wirklich ,geltende Restitutionsrecht durch die Vorschriften der §§ 580 ff. ZPO heute nicht mehr vollständig beschrieben wird. Mit dieser Feststellung soll keineswegs der Versuch in die Wege geleitet werden, die Rechtsprechung zu § 826 BGB auf der Basis der durrch sie geschaffenen Tatsachen im nachhinein einzusegnen. Wohl aber soll daran eriIliDert werden, daß die Rechtswissenschaft aiIs pr~tische Wissenschaft es sich auf die Dauer nicht leisten ka,nn, sich von der Praxis zu isolieren UIIld auf die Deutung vergilbter Texte zurückzuziehen. Von daher gesehen sind nicht wenige Arbeiten zur Schadensersatzklage gem. § 826 BGB schief gelaufen, haben sie sich doch oft genug damit begnügt, sich mit Fra'gen auseinanrlerzusetzen, mit denen lediglich ein von vom3Z

33 U

JherJB Bd. 65 (1915), 367. Kennzeichnen geglückter richterlicher Rechtsfortbildungen, 6, 11. Die Flucht in die Generalklauseln, 25.

III. Der Gang der Untersuchung

25

herein festliegendes "Bekenntnis" abgefragt werden sollte. Will man nicht in den gleichen Fehler verfallen, so muß daher zunächst der auf diese Weise angehäufte Schutt hinweggearbeitet und die Praxis auf ihre immanenten PrinziJpien befragt werden. Handelt es sich bei der Klage au:s § 826 BGB der Sache nach um eine Restttutionsklage, so müssen weiter ihre Prinzipien entsprechend formuliert und zusammen mit der RestitutionskLage gern. §§ 580 ff. ZPO auf einer gemeinsamen Ebene diskutiert werden. Nur so ist es möglich, Lösungsvorsch:läge für Restitutionsprobleme zu erarbeiten, die sowohl den Konsistenzan1:orderungen der Prozeßtheorie als auch den berechtigten Anliegen der Praxis gerecht werden.

111. Der Gang der Untersuchung

Im ersten Teil der Arbeit soll zunächst nur versucht werden, das praktische Problem einzukreisen und zugleich den Boden für eine angemessene Diskussion, vor allem durch eine Destruktion der überkommenen Betrachtungsweise, vorzubereiten. Der erste Abschnitt ist daher einer breiten Bestandsaufnahme gewidmet, in der Rechtsprechung und Schrifttum zur "Rechtskraftdurchbrechung gern. § 826 BGB" kritisch aUJfgearbeitet werden. Dadurch soll einerseits gewährleistet wercren, daß sich die weitere Auseinandersetzung nicht an Scheinproblemen orientiert, die keinen realen Hintergrund haben; zum andern sollen schon hier eine Reihe von Fragen abgeschichtet werden, die nach dem bisherigen Verlauf der Diskussion nicht mehr sinnvoll gestellt werden können. Beides wird die folgenden Untersuchungen entlasten und auf das Wesentliche konzentrieren. Im zweiten Abschnitt des ersten Teils werden dann einige ausgewählte Thesen, von denen bisher das Problemverständnis maßgeblich bestimmt worden ist, näher untersucht werden. Vor allen Dingen wird es hier darum gehen, die auf beiden Seiten festgefahrenen Fronten aufzureißen und eine sinnvolle Fragestellung allererst wieder vorzubereiten. Die hier gewonnenen Einsichten werden es möglich und zugleich notwendig machen, im weiteren Verlauf Bezugsebene und Sprache zu wechseln und das der Rechtsprechung zu § 826 BGB zugrundeliegende Problem als ein Problem der §§ 580 ff. ZPO zu verstehen, zu formulieren und zu behandeln. Im zweiten Teil sollen dann hierauf aufbauend auf einer abstrakteren Ebene die GrundzÜige eines neuen Restitutionssystems erarbeitet werden. Dieses System wird sich von dem gegenwärtigen dadurch unterschetden, daß es die gängige Praxis zu § 826 BGB nicht einfach ins Unrecht verweist, sondern als eine Art "Wirkung" der den §§ 580 ff. ZPO innewohnenden Mängel zusammen mit den Tatbeständen des Gesetzes auf einen adäquaten Begriff bringt.

Erster Teil

Der Rechtsbehelf gern. § 826 BGB gegen rechtskräftige Urteile 1. Abschnitt

Kriti8che Be8tand8aufnahme der Recht8prechung und de8 Schrifttum8 § 2. Die Entwicklung des Rechtshehelfs gern. § 826 BGB in der Rechtsprechung Das durch die Formel "Rechtskraft und Arglist" umschriebene Problem hat eine 1ange und verwickelte Geschichte. Auch die Rechtsprechung zur argl.isttgen Urteilserschleichung bZlw. -aIUSIlutzung, die wir im folgenden darstellen wollen, scheint keineswegs bloß auf die Zeit der Geltung des BGB oder der ZPO beschränkt zu sein. Einige ältere Urteile lassen vielmehr vermuten, daß ihre Wurzelrn bis in das Recht der Partikularstaaten dies 19. Jahrhunderts zurückreichen1 • Es kann freilich nicht Aufgabe der vorliegenden Darstellung sein, die Ursprunge der umstrittenen Rechtsprechung bis in die letzten historischen Verästelungen zurückzuverfolgen. Für unsere Zwecke genügt es, wenn wir mit unserer Betrechtung bei der Rechtsprechung des RG einsetzen, von dem nicht nur die immer noch gängige Beschreibung der Klage gegen rechtskräftige Urteile stammt, sondern das auch die bislang bedeutsamsten Impulse für ihre dogmatische Weiterentwicklung gegeben hat. Das Thema "Rechtskraft und Schadensersatz" klingt bereits in einer der ersten Entscheidungen des RG 2 an. Mit den später nach § 826 BGB 1 Das RG wollte seine Judikatur ganz offensichtlich in einen solchen Zusammenhang gestellt wissen, wenn es sich verschiedentlich (so etwa RGZ 36, 249 [251] - U. v. 30. 11. 1895; 61, 359 [365] - U. v. 14. 10. 1905) auf einige Entscheidungen des preußischen Obertribunals berufen hat, in denen in der Tat ähnliche Gedanken anklingen, wie sie von der späteren Rechtsprechung - ob zu Recht oder zu Unrecht, sei hier dahingestellt - auf § 826 BGB gestützt worden sind. Vgl. StriethArch Bd.6 (1853), 261 (265) - U. v. 13. 7. 1852; ObTrib Bd. 45 (1861), 426 - U. v. 15. 5. 1861; Bd.52 (1865) 1 (5 ff.) - U. v. 11. 7. 1864; siehe jedoch auch StriethArch Bd.93 1875),162 - U. v. 28. 1. 1875. Im Schrifttum ist darüber hinaus verschiedentlich auf Tit. 16 § 24 AGO hingewiesen worden, wo bei Meineid des Gegners eine normale Schadensersatzklage als selbstverständlich vorausgesetzt ist. Vgl. näher hierzu Obertribunal Berlin ObTrib Bd.35 (1857), 194 - U. v. 29. 1. 1857; Bd.69 (1873), 143 - U. v. 28.3.1873.

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§ 2. Die Entwicklung des Rechtsbehelfs gern. § 826 BGB

entschiedenen Fällen hat dieses Urteil allerdings noch wenig Ähnlichkeit, wenngleich es zumindest als Vorläufer der späteren Rechtsprechung anzusehen isfI. Es ging dabei um folgenden Sachverhalt: Der spätere Beklagte hatte im Vorprozeß ein durch einen ihm zugeschobenen Eid bedingtes Zahlungsurteil erwirkt und dagegen Appellation eingelegt, weil er eine unbedingte Verurteilung erreichen wollte; sein Gegner hatte das Urteil gegen sich rechtskräftig werden lassen. Während die Sache noch beim Appellationsgericht schwebte, spiegelte der Kläger dem Beklagten vor, er habe den Eid bereits geleistet, und veranlaßte ihn dadurch zur Zahlung. Nachdem daraufhin der Rechtsstreit durch Urteil in der Hauptsache für erledigt erklärt worden war, verlangte der getäuschte Beklagte in einem neuen Prozeß die Rückzahlung der von ihm geleisteten Urteilssumme. Warum dieses Urteil im vorstehenden Zusammenhtang erwähnt wird, zeigt sehr schnell seine BegI'Ündung: Das RG unterschied bei seinen AusführuIlJgen streng zwischen Kondiktions- und .DeHktsrecht. Soweit der Rückforderungsanspruch auf Kondiktion gestützt war, ließ es ihn bereits an der Rechtskraft des VorurteiLs scheitern'. D8i{llelgen hielt es die actio doli für geeignet, "alle diejenigen Veränderungen wieder aufzuheben, welche durch angeblich betrügliches Handeln des Beklagten herbeigeführt waren, namentlich also den jetzigen Kläger wieder in den Besitz der ilun angeblich abgeschwindelten Klagesumme zu setzen... Denn darüber kann kein Zweifel sein, daß der betrügerisch Handelnde jeden durch seine Arglist herbeigeführten Nachteil, welcher Art er auch sei, auszugleichen hat ... "5. Ob diese Begründung sachlich zutreffend war, insbesondere ob der geltend gemachte Rückforderungsanspruch in der Tat mit der rechtskräftigen Feststellung kollidierte, ist hier nicht weiter von Belange. Eines nämlich zeigt die Entscheidung auch so sehr deutlich: daß das RG von Anfang an geneigt war, das Verhältnis einer Arglistklage zur Rechtskraft eines früheren Urteils anders zu beurteilen als RGZ 1, 94 - U. v. 12. 12. 1879. Vgl. etwa den Hinweis in RGZ 46, 75 (79) - U. v. 26. 4. 1900. Auch im Schrifttum ist dieses Urteil meist dem später unter dem Aspekt des § 826 BGB behandelten Problemkreis hinzugerechnet worden, vgl. Büttner, Die Möglichkeit außerprozessualer Rechtsbehelfe gegen ein erschlichenes rechtskräftiges Zivilurteil, 35; Bunge, Die arglistige Herbeiführung der Rechtskraft, 14 fl'.; v. Hake, Rechtskraft und gute Sitten, 2 f.; Hamburger, Treu und Glauben im Verkehr, 114; Henke, Kann ein rechtskräftiges materiell falsches Urteil mit der Bereicherungsklage oder mit einer Schadensersatzklage aus § 826 BGB angegriffen werden?, 19; Oertmann, ArchBürgR Bd. 42 (1916), 1 Fn. 2 a; Wendt, AcP Bd. 100 (1906), 304 f.; Zwanziger, Die Ausbeutung der Rechtskraft gegen die guten Sitten, 9 f.; anders vor allem Kohler, AcP Bd. 114 (1916), 272 Fn. 1, der die Urheberschaft an der Klage aus § 826 BGB für sich selbst in Anspruch nahm, und Thumm, Die Klage aus § 826 BGB gegen rechtskräftige Urteile, 42. Zu Thumm vgl. auch unten Fn. 7. , RGZ 1, 95f. 5 AaO, 97. 6 Zur Kritik der Entscheidung vgl. etwa Bunge (Fn. 3), 66 f. 2

S

§ 2. Die Entwicklung des Rechtsbehelfs gern. § 826 BGB

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das Verhältnis zwischen der Rechtskraft und einer sonstigen Klage, insbesondere einer Kondiktionsklage7 • In der Folge sollten die Gerichte noch sehr oft Gelegenheit haben,

sich mit den hier angesprochenen Fragenauseinanderzusetzen. Die Be-

nutzung der gleichen oder doch ähnlicher Vokabeln kann indessen nicht darüber hinwegtäuschen, daß es dabei um sehr unterschiedlich gelagerte Probleme zu tun war. Schon ein kurzer überblick über die Rechtspre~ chung zeigt, daß die zunächst nur für arglistige Urteilserschleichung bzw. Urteilsausnutzung entwickelten Grundsätze im Laufe der Zeit auch mit mehr oder weniger großen Erfolg in anderem Zusammenhang diskutiert wurden, so z. B. bei Prozeßvergleichen8 , Zwangsvergleichen9 , Zuschlagsbeschlüssenlo , vollstreckbaren Urkundenl 1, FGG-BeschlÜ8sen12 u. ä. m. 13• Wir werden all diese Erscheinungen bei der folgenden Danstel7 Ob Thumm (Fn.3), 42, zuzustimmen ist, wenn er geltend macht, daß es sich in dieser Entscheidung nicht um "einen auf die Unrichtigkeit eines rechtskräftigen Urteils gestützten Schadensersatzanspruch" handle, kann dahinstehen. Unzutreffend erscheint es jedoch, wenn Thumm das Urteil aus dem Problemkreis von "Rechtskraft und Arglist" überhaupt ausscheiden will. Das macht er übrigens selbst deutlich, wenn er S. 18 Fn. 63 die Entscheidung gerade in diesem Zusammenhang zitiert. Vgl. auch oben Fn. 3. 8 RG GruchB Bd.52 (1908), 1027 U. v. 15. 10. 1907; RGZ 84, 131 - U. v. 6. 2. 1914; Obergericht Danzig SeuffArch Bd.85 (1931), 75 - U. v. 4. 11. 1930; BGH LM § 826 (Fa) BGB NI'. 3 - U. v. 27. 11. 1952; LAG Düsseldorf DB 1953, 191 - u. v. 23. 12. 1952; BGH LM § 826 (Fa) BGB Nr. 18 - U. v. 22. 5. 1968; BGH LM § 826 (Fa) BGB Nr. 19 - U. v. 5. 5. 1969; BGB FamRZ 1973, 182 U. v. 8. 11. 1972. D RG ZRpflBay 1907, 46 U. v. 19. 11. 1906; RG HRR 1930, Nr. 611 - U. v. 2. 1. 1930; RGZ 158, 79 - v. 26. 7. 1938. 10 Vgl. hier insbesondere OLG Karlsruhe OLGRspr 11,324 U. v. 7. 7.1905; RGZ 69, 277 - U. v. 17. 10. 1908; RG HRR 1933 Nr.588 - U. v. 5. 10. 1932; KG DR 1940, 646 m. Anm. Herschel - U. v. 30. 11. 1939; BGHZ 53, 47 = LM § 48 ZVG Nr.2 m. Anm. Mattern - U. v. 7. 11. 1969 (vgl. dazu auch Häsemeyer, KTS 1971,22); BGH LM § 74 a ZVG Nr.2 - U. v. 19.3. 1971. 11 RG JW 1938, 1264 f. U. v. 24. 2. 1938; OLG Dresden SächsArch Jg. 16 (1939), 68 f. - B. v. 9. 12. 1938; OLG Köln JMBINRW 1950, 139 f. - U. v. 24.2. 1950; BGHZ 1, 181 = LM § 1718 BGB Nr.1 (LS) m. Anm. R. - U. v. 19.2. 1951; LG Münster MDR 1952, 746 - B. v. 22. 7.1952; OLG München DAVorm XXIX (1956/57), 41 - B. v. 12. 3. 1956. n RAG JW 1930, 1023 m. Anm. Jonas - U. v. 2. 2.1929; BGH LM § 826 (Fa) BGB Nr.1O = WM 1960, 610 - U. v. 9. 3. 1960; BGH DB 1960, 1334 - U. v. 13. 7. 1960; vgl. auch schon Riezler, JherJB Bd. 66 (1916),452. 13 Einstweilige Verfügung: RG HRR 1935 Nr.665 U. v. 20. 12. 1934; Schiedsspruch: RG JW 1928, 1853 - U. v. 15. 5.1928; Entmündigungsbeschluß: RG WarnRspr 1922 Nr.46 - U. v. 13. 6. 1921 ; Konkursfeststellung: RG Recht 1914 Nr 920 - U. v. 23. 1. 1914; Rechtsmittelverwerfungsbeschluß: BGH LM § 826 (Fa) Nr.12 - U. v. 27. 5. 1963; Aufwertungsanmeldung: OLG Kiel SchlHA 1930, 105 - U. v. 23. 10. 1929; Entschuldungsplan: LG Oppeln DJ 1939, 753 - U. v. 31. 1. 1939; Entscheidungen im Prüfungsverfahren gern. §§ 24 ff. Wertpapierbereinigungsgesetz: BGH WM 1968, 969 - U. v. 29. 6. 1968; Entschließung des Amtes für Verteidigungslasten gern. Art. 11 I Ausführungsgesetz zum NATO-Truppenstatut vom 8. 8. 1961: BGH VersR 1970, 665 - U. v. 20. 11. 1969; preisbehördliche Genehmigung einer Mieterhöhung: BGH LM § 242 (C d) BGB Nr. 95 - U. v. 30. 10. 1963.

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§ 2. Die Entwicklung des Rechtsbehelfs gern. § 826 BGB

lung prinzipiell außer acht lassen und uns stattdessen auf die Arglistklage gem. § 826 BGB gegen rechtkräftige Urteile bzw. Vollstreckungsbescheide konzentrieren. Aber auch die hiernach nur in Betracht kommenden Fälle sind keineswegs alle gleich gelagert. Will man nicht unterschiedliche Probleme über ein und denselben Kamm scheren, wie dies in der Pr:axis nicht selten geschehen ist, so muß man auch hier noch nach typischen Fallgruppen unterscheiden und diese jeweils für sich behandeln. Diese Ansicht hat sich vor allem im Schrifttum weitgehend durchgesetzt l4 • Etwas abweichend von dem meist üblichen Schema, das nur zwischen Urteilserschleichung und arglistiger Urteilsausnutzung differenziert, sollen im folgenden vier große Fallgruppen unterschieden werden: Urteilserschleichung zum Nachteil des Gegners, Urteilserschleichung zum Nachteil Dritter, Urteilssimulation und arglistige Urteilsaus-

nutzung.

I. Urteilserschleichung zum Nachteil des Gegners Am bekanntesten sind ohne Zweifel die Fälle, in denen eine der Parteien ein ihr günstiges Urteil durch eine arglistige Beeinflussung des Gerichts oder ihres Gegners - also durch ein verwerfliches Prozeßverhalten - "erschlichen" hat und der andere Teil sich dann gegen die rechtskräftig gewordene Entscheidung zur Wehr setzt. Vom T,atbestJand her ging es zunächst meist um die Vereitelung des rechtlichen Gehörs sowie um die Verfälschung von Beweismitteln15 , im Zusammenhang mit der allmählichen Hel1ausarbeitung einer proz.essualen Wahrheitspflicht kamen dann auch Fälle der einfachen Prozeßlüge 18 und des Verschweigens hinzu17 • Ebenso wie später bei den "AusnutzU!llgsfällen" kann man im übrigen auch bei dieser Fallgruppe bereits beobachten, daß die "Verteidigung" der zunächst unterlegenen Partei je nach ihrer Stellung im ersten Verfahren und dem gegenwärtigen Stand der Vollstreckung verschiedene Formen annimmt: Ist sie im Vorverfahren als Kläger mit U Vgl. vor allem Bresch, GrünhutsZ Bd.38 (1911), 654 ff.; Thumm (Fn.3). 15 Darauf scheinen OLG Hamburg HansGZ Jg.45 (1924), Beiblatt 99 (100) U. v. 28. 3. 1924 - und RG HRR 1933 Nr. 813 - U. v. 20. 2. 1933 - die Klage auf Schadensersatz wegen Urteilserschleichung überhaupt beschränken zu wollen. Die hier wie auch noch an anderen Stellen zum Ausdruck kommenden einschränkenden Tendenzen können freilich nur vor dem Hintergrund von RGSt 34, 279 (282 f.) - U. v. 6. 6. 1901 - recht verstanden werden. In dieser Entscheidung hat der 1. Strafsenat des RG die Klage gern. § 826 BGB gegen rechtkräftige Urteile in viel weiterem Umfang bejaht, als dies die Zivilsenate jemals getan haben. Dementsprechend haben die einschränkenden Zusätze in den späteren Entscheidungen oft nur den Zweck, klarzustellen, daß von einer Rechtskraftdurchbrechung nach dem in RGSt 34, 282 f. vorgezeichneten Muster nicht die Rede sein könne. Zur Kritik dieser Entscheidung vgl. auch Pagenstecher, Zur Lehre von der materiellen Rechtskraft, 396 ff. lS So z. B. bereits OLG Colmar ElsLothZ Jg.35 (1910), 311 U. v. 12. 10. 1909; anders noch RG Recht 1920 Nr. 2854 - U. v. 22. 4. 1920. 17 Vgl. dazu näher unten § 2 I 1 c.

I. Urteilserschleichung zum Nachteil des Gegners

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einer LeistUiIlJgskla;ge ganz oder teilweise abgewiesen worden, so wird sie versuchen, doch noch etWlaS zugesprochen zu bekommen; war sie Beklagter und ist zur Leistung verurteilt worden, so wird sie skh vor der Vollstreckung des Urteils bemühen, die Vollstreckung zu verhindern, danach wird sei versuchen, das Beigetriebene wieder zurückzubekommen. Im Kern dreht es sich bei all diesen Fallgestaltungen jedoch immer um dasselbe Problem: ob nämlich die arglistige "Erschleichung" eines Urteils es rechtfertlgt, daß eine bereits rechtskräftig entschiedene Frage ungeachtet der Rechtskraft noch einmal zum Gegenstand eines neuen Verfahrens gemacht wird. 1. Die ältere Rechtsprechung bis 194518

a) Urteilserschleichung durch positives Tun In dem ersten U hier einschlägigen Urteil des RG 20 ging es um einen Fall, wo der Schadensersatzkläger eine sachdienliche Rechtsverteidigung im Vorprozeß nur deshalb unterlassen hatte, weil er von seinem Gegner entsprechiend unter Druck ·g esetzt worden war. Etwas vereinfacht lag dem Urteil folgender Sachverhalt ~ugrunde: Der spätere Beklagte hatte sich von den Klägern für ein wucherisches Darlehen einen Wechsel geben und eine Hypothek einräumen lassen. Nach Fälligkeit des Wechsels hatte er ein Versäumnisurteil erwirkt und daraus vollstreckt. Später verlangten die Kläger die Rückzahlung der beigetriebenen Summe. Sie behaupteten, sie hätten im Vorprozeß den Einwand des Wuchers geltend machen wollen, hätten dann aber Abstand hiervon genommen, weil der Beklagte ihnen erklärt habe, er werde den Wechsel nur pro forma einklagen und das Urteil dann liegenlassen ; sollten die Kläger jedoch Widerspruch erheben, so werde er wegen der ihm eingeräumten Hypothek die Zwangsversteigerung ihres Grundstücks betreiben21 • Das RG lehnte es zunächst entschieden ab, der Klage bereits deshalb stattzugeben, weil das angegriffene Urteil auf einer wegen Wuchers 18 Vgl. dazu auch die Darstellungen von Bresch, GrünhutsZ Bd. 38 (1911), 645 ff.; SchuZtz, Rechtsgang Bd. 1 (1913),349 ff.; Thumm (Fn. 3),20 ff. 19 Befaßt worden ist das RG mit einem ähnlichen Fall auch schon vorher; allerdings ist diese Entscheidung nicht veröffentlicht: Eine auf arglistige Erschleichung eines rechtskräftigen Vollstreckungsbescheids gestützte Schadensersatzklage war von OLG Stuttgart WürttJ Bd. 7 (1895), 60 - U. v. 5. 1. 1894mit "schulgerechten" Argumenten abgewiesen worden. Laut redaktioneller Anmerkung hat das RG die dagegen eingelegte Revision zurückgewiesen, indem es sich der auf die Unvollständigkeit der klagebegründenden Ausführungen gestützten HiZfsbegründung des OLG Stuttgart angeschlossen hat. %0 RGZ 39, 142 U. v . 6. 10. 1897; Besprechung von Leyersan, ArchBürgR Bd.17 (1900), 107; zur Kritik der Entscheidung vgl. auch Wurzer, JherJB Bd. 65 (1915), 388 ff. 21 Hierdurch unterscheidet sich der Fall von BayObLG SeuffArch Bd.47 (1892), Nr. 298 - U. v. 5. 10. 1891. Dort ging es zwar ebenfalls um eine wucherische Forderung; jedoch war deren Geltendmachung formell nicht weiter zu beanstanden.

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nichtigen Forderung beruhte 22 • Die Rechtskraft -so führte es aus verbiete es vielmehr, jetzt noch Einwendungen zuzu1assen, die nur darauf abmelten, den rechtlichen Bestand der festgestellten Forderung in Frage zu stellen23 • Anders sollten dagegen solche Ansprüche zu beurteilen sein, die "auf einen von den ursprünglichen Verträgen unabhängigen Grund gestützt werden könnten". Einen solchen Grund wollte das RG im vorliegenden Fall vor allem dann als gegeben ansehen, wenn der Beklagte dadurch, daß er die Kläger zum Stillhaaten gebracht hatte, ihre Notlage erneut ausgebeutet hatte, wenn also m. a. W. die gerichtliche Geltendmachung des Wucherdarlehens sich lediglich als "Fortsetzung des wucherischen Treibens" darstellte24 • Ausdrücklich hob das Gericht hervor, auch "zivilprozessualische Handlungen" könnten das Mittel sein, durch welches der Wucherer die NoUage seines Schuldners ausbeute. Nur desha·lb und auch nur soweit dies jeweils der Fall war, sollte eine Schadensersat1Jklage zulässig sein. Das Bestreben, die Rechtskraft dolos erwirkter Urteile mit besonderen Maßstäben zu messen, ze.iJgt sich auch an einer Entscheidung des RG aus dem Jahr 190025 , die materiell noch auf dem ALR beruht. Anders als in dem eben behandelten Fall ging es hier ausschließlich um eine Täuschung des erkennenden Gerichts: Der Vater des späteren Beklagten hatte gegen den Vater des Klägers eine Jahre zuvor schon bezahlte Forderung eingeklagt und ein obsiegendes Urteil erlangt, nachdem er über die Frage der Erfüllung einen Meineid geleistet hatten. Seine Rechte aus dem Urteil trat er an einen Sohn, dieser trat sie an 22 Das ist von den Kritikern dieser Entscheidung bisher nicht selten verkannt worden, vgl. etwa Jauernig, ZZP Bd. 66 (1953), 410. !S RGZ 39, 144 f. Es geht daher an dem Selbstverständnis des Gerichts vorbei, wenn Thumm (Fn. 3), 21, zu dem Urteil bemerkt, das RG habe den Klägern "nicht einen Schadensersatzanspruch im Sinne des heute geltenden Rechts zuerkannt, sondern eher einen Bereicherungsanspruch". Gegenüber Bereicherungsansprüchen hat das RG grundsätzlich an der Rechtskraft festgehalten. Vgl. nur RGZ 36, 202 (205) - U. v. 17. 1. 1896, wo das RG ausdrücklich hervorhebt: "Die Zulassung der condictio würde die Rechtskraft illusorisch machen; es würde auf diesem Wege stets eine früher versäumte Einrede trotz der Bestimmung des § 686 CPO [= § 767 ZPO n. F.] geltend gemacht, die rechtskräftige Entscheidung mit der condictio angefochten werden können." In Beziehung auf RGSt 34, 279 (282) - U. v. 6. 6. 1901 - wäre Thumms Bemerkung vielleicht eher berechtigt. In diesem Urteil hatte der 1. Strafsenat des RG die Voraussetzungen des § 826 BGB bereits dann bejaht, wenn jemand bewußt von einem sachlich unrichtigen Urteil Gebrauch macht. In der Rechtsprechung der Zivilgerichte sind solche Entscheidungen jedoch nur äußerst selten zu finden. (Beispiel: LG Magdeburg NaumbKZtg 1905, 59 (60) - U. v.

2.5.1905). 24 25

AaO, 145 f. RGZ 46, 75 - U. v. 26. 4. 1900. Kritisch dazu Wurzer, JherJB Bd. 65 (1915),

385 f.

28 Auf Fälle, wo ein rechtskräftiger Titel mit der Behauptung angegriffen wurde, die zugesprochene Forderung sei bereits bezahlt gewesen, stößt man in der Rechtsprechung zu § 826 BGB noch öfter, vgl. ArbG Berlin AP § 826

I. Urteilserschleichung zum Nachteil des Gegners

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seinen Bruder - den Beklagten - ab. Beide Brüder wußten von der Vorgeschichte. Nadldem der Beklagte das Urteil gegen den Kläger als den Erben des früheren Beklagten vollstreckt hatte, wurde der Vater des Beklagten etwa 10 Jahre nach der Tat - wegen Meineids und Betruges verurteilt und starb 'noch in demselben Jahr. Der Kläger erhob daraufhin Klage auf Rückzahlung der beigetriebenen Urteilssumme. Auch hier lehnte das RG einen Bereicherungsanspruch vorweg abn . Dagegen bejahte es einen Anspruch wegen unerlaubter Handlung, wobei es das rechtskräftige Urteil mit der Bemerkung beiseite schob, die "RechtskraftwirkuDJg [vermöge] nicht den fundamentalen Rechtssatz außer Kraft zu setzen, wonach die vorsätzliche Rechtsverletzung zwn Ersatze des daraus entstehenden Schadens verpflichtet"!8. Ob durch die unerlaubte Handlung zunächst prozessuale Akte der Gegenpartei veranlaßt wurden oder ob das Urteil unmittelbar durch Täuschung des Richters erwirkt worden sei, mache dabei keinen Unterschied. Eine solche Schadensersatzklage sei auch nicht durch die Wiederaufnahmebestim.. mungen der ZPO ausgeschlossen. Diese regelten lediglich die Zulässigkeit einer Anfechtung rechtskräftiger Urteile "auf prozessualem Gebiet"; bei der SchadensersatzkJJage handle es sich aber "nicht darum, den Bestand des rechtskräftigen Urteiles an sich wieder in Frage zu stellen, sondern darum, eine Ausgleichung des eben durch diesen Bestand und dessen formelle Rechtsfolgen verursachten Schadens herbeizuführen"fU. Die weitere Begründung will dann aber schon nicht mehr so ganz in das BGB Nr. 12 - U. v. 30. 6. 1967; AG Frankfurt a. M. DGVZ 1975, 191 - U. v. 15. 7. 1975; OLG Colmar ElsLothZ Jg 35 (1910), 311 - U. v. 12. 10. 1909; OLG Kiel SchlHA 1930, 105 - U. v. 23. 10. 1929. In der zuletzt genannten Entscheidung hat das OLG Kiel der .auf § 826 BGB gestützten Einwendung deshalb nicht stattgegeben, weil der Kläger dem Beklagten gegenüber "offen" aufgetreten war und nicht etwa dessen Verteidigungsmöglichkeiten durch eine Erschleichung der öffentlichen Zustellung verkürzt hatte. Das ist ein Gesichtspunkt, der auch in OLG Colmar ElsLothZ Jg.36 (1911), 488 (492) - U. v. 13. 10. 1910 anklingt. Beide Male ging es jedoch nicht darum, die Schadensersatzklage gegen rechtskräftige Urteile im Gegensatz zu RGZ 46, 75 auf Fälle der Zustellungserschleichung zu beschränken, sondern allein darum, einer Partei die nachträgliche Berufung auf § 826 BGB gegenüber der gegen sie ergangenen Versäumnisentscheidung dann zu verwehren, wenn sie es während des Verfahrens aus bloßer Nachlässigkeit versäumt hatte, sich gegen eine erkennbar unbegründete Klage zur Wehr zu setzen Eine einengende Definition der Erschleichungshandlung war für diesen Zweck freilich von vornherein ein nur wenig taugliches Mittel. Naheliegender war eine Heranziehung des § 254 BGB oder des § 582 ZPO Dies war dann auch der Weg, den die Rechtsprechung im allgemeinen eingeschlagen hat. Vgl. dazu näher unten § 5. Berechtigter war das Argument des "offenen Auftretens" dort, wo es die Funktion erfüllte, die Anwendung der zu § 826 BGB entwickelten Grundsätze auf einverständlich erwirkte "Scheinurteile" ablehnen zu können, vgl. etwa RG Warn Rspr 1914, 392 ff. - U. v. 28. 5. 1914. n AaO, 77f. 28 AaO, 79. Ebenso OLG Colmar ElsLothZ Jg. 35 (1910), 311 - U. v. 12. 10. 1909. 29 AaO, 79 f. 3 Braun I

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materiell-rechtliche Schema passen. Sieht man nämlich den Grund dafür, daß einer Schadensersatzklage die Rechtskraft des Vorurteils nicht entgegensteht, wirklich in dem "materiell schädigenden" Verhalten des Gegners, so ist der Schadensersatzanspruch allemal nur gegen diesen gerichtet bzw. - wenn er stirbt - gegen seinen Erben als Gesamtnachfolgero. Das RG stellte jedoch nicbit auf die Erbenstellun.g des Beklagten ab; vielleicht war er nicht Erbe des früheren Klägers, vielleicht war der Nachlaß zu gering, um die Urteilssumme aufzuwiegen, vielleicht auch hatte das Berufungsgericht in dieser Beziehung noch keine Feststellungen getroffen. Gleichwohl wollte das Gericht die Schadensersatzklage im Ergebnis durchgreifen lassen. In der Sache ging es dabei um nichts anderes als um die Frage, ob ein restitutionsähnlicher Rechtsbehell auch gegen den EinzelrechtsIliachfolger des Ge,gners gerichtet werden kann. Nach wiederaufnahmerechtlichen Grundsätzen hätte man diese Frage wohl bejahen können31 ; auf Schwierigkeiten stieß man allein in dem schadensersatzrechtlichen Argumentationszusammenhang. Das RG behalf sich damit, daß es - zumindest auch - auf das Wissen und Wollen des Beklagten abstellte, der das Urteil selbst gar nicht erwirkt hatte, sondern lediglich beim Erwerb der Forderung von den näheren Umständen seines Zustanidekommens wußte, und sah dessen Vollstreckung als eine "unerlaubte, gegen die guten Sitten verstoßende und rechtswidrige" Handlung ·a n3l!. Das ist hier deshalb auffallend, weil der Satz, daß auch die wissentliche Vollstreckung eines nicht erschlichenen unrichtigen Urteils zum Schadensersatz verpflichten kann, von den Zivilsenaten des RG erst viel später aufgestellt wurde33 • Offenbar war sich das Gericht über die entscheidenden Zusammenhänge hier selbst noch nicht ganz klar geworden. Zwei Fälle, die das RG im Jahr 1905 zu entscheiden hatteB', gleichen einander insofern, als es beide Male darum ging, daß der Beklagte in einem früheren Verfahren durch Erschleichen der öffentlichen Zustellung35 ein Versäumnisurteil erwirkt hatte. Im ersten FalPs, der dem 2. Senat zur Entscheidung vorlag, hatte der Kläger behauptet, die Beklagte habe gegen ihn ein sachlich unrichtiges VersäumVgl. Bernhardt, ZZP Bd. 66(1953), 91 unten. So RGZ 57, 285 - U. v. 26. 3. 1904; dahingestellt von BGHZ 29, 329 (330 f.) = LM § 578 ZPO Nr. 3 (LS) m. Anm. Johannsen - U. v. 19. 2. 1959. S2 AaO, 81. aa Vgl. dazu näher unten § 2 IV. B' 'RG JW 1905, 234 -U. v. 3. 3. 1905; RGZ 61, 359 - U. v. 14. 10. 1905. 35 Wie leicht die öffentliche Zustellung bisweilen zu erwirken war, zeigt ein praktischer Fall, der Kohler zur Begutachtung vorgelegt wurde, PrVerwBI Jg.37 (1916), 605: Eine Ehe war zweimal hiIlltereinander geschieden worden, wobei einmal an die Frau, dann an den Mann eine öffentliche Zustellung erfolgt war! Vgl. auch den kuriosen Fall, den Pfleger, DJZ 1925, 655 mitteilt. 30

a1

I. UrteiIserschleichung zum Nachteil des Gegners

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nisurteiI erlangt, indem sie durch Vorlage einer Zeitungsnotiz wider besseres Wissen die öffentliche Zustellung zunächst der Ladung und dann auch des Urteils erwirkt habe. Das Gericht prüfte diesen Vortrag unter einem doppelten Gesichtspunkt. Was zunächst die Frage anbelangt, ob die Beklagte das Gericht über die klagebegründenden T'a tsachen in der Sache getäuscht hatte, so verneinte es einen Betrug, weil es im Versäumnisverfahren nicht auf die überzeugung des Richters ankomme, sondern der benachteiligende Erfolg lImit gesetzlicher Notwendigkeit" eintrete37• Das entsprach zwar der damaligen Strafrechtsprechung zum Prozeßbetrug38, wonach eine strafrechtlich relevante Täuschung des Gerichts38 nur dann a·n zunehmen war, wenn die Partei ihrem unwahren Vorbringen durch Beweismittel den Anschein der Wahrheit gegeben hatte40 - was im Rahmen eines Versäumnisverfahrens praktisch nicht in Betracht kam - , war aber doch insofern etwas verwunderlich, als die Schadensersatzklage gerade die Möglichkeit bot, sich von den strafrechtlich bedingten Einschränkungen der Restitutionsklage zu lösen. In RGZ 46, 75 (81)41 hatte denn auch der 6. Senat noch betont, daß "die "strafrechtliche Beurteilung der fraglichen Handlungen ... hier nicht entscheiden" könne. Erstaunlicher noch ist, daß das Gericht nicht einmal eine Erschleichung der öffentlichen Zustellung als gegeben annahm. Zur Bewilligung der öffentlichen Zustellung, so führte es aus, genüge es nicht, daß der Kläger den Aufenthalt des Beklagten nicht kenne; es sei vielmehr erforderlich, daß dessen Aufenthalt "überhaupt unbekannt" sei, und hierüber habe das die öffentliche Zustellung bewilligende Gericht selbst nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Wenn das RG dieses Ermessen im vorliegenden Fall nicht 'a ls ver1etzt ansah, so wo1lte es sich damit offenbar an RGZ 59, 259ft anschließen. Dort hatte es die Wirksamkeit der öffentlichen Zustellung nämlich allein davon abhängig gemacht, ob sich das bewilligende Gericht im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens gehalten habe; darauf, ob der beantragenden Partei der Aufenthalt des Gegners insgeheim doch bekannt war, sollte es für die Wirksamkeit der Zustellung nicht weiter ankommen. Das war freilich ersichtlich ein anderer 38 RG JW 1905, 234. Ähnlich OLG Colmar ElsLothrZ Jg. 36 (1911), 488 (490 f.) ZZP Bd.41 (1911), 407 - U. v. 13. 10. 1910. 38 Vgl. dazu näher unten § 4 VI. 39 Anders bei einem Prozeßbetrug durch Täuschung des Gegners, vgl. den Sachverhalt von OLG Stuttgart WürttJ Bd.7 (1895), 60 ff. - U. v. 5. 1. 1894, wo eine entsprechende Verurteilung erwähnt wird. 40 RGSt 1, 227 (228 f.) U. v. 25. 2. 1880; RGSt 5, 321 (322) - U. v. 30. 12. 1881; RGSt 20, 391 (392) - U. v. 12. 5. 1890. 41 U. v. 26. 4. 1900. ft U. v. 2. 12. 1904. 37



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Problemzusammenhang. Im vorliegenden Fall berief sich der Kläger nicht auf die Unwirksamkeit der öffentlichen Zustellung - dann hätte er versuchen müssen, das alte Verfahren durch Einlegung von Rechtsmitteln weiter zu betreiben _43, er wollte also auch nicht wissen:, ob er sich dann gegen die öffentliche Zustellung hätte wenden können, wenn sein Aufenthalt lediglich der Beklagten unbekannt gewesen wäre - die entsprechenden Ausführungen des RG liegen daher neben der Sache-; er behauptete vielmehr, der Beklagten dürfe die öffentliche Zustellung im Ergebnis jedenfalls dann nicht zugute kommen, wenn sie seinen Aufenthalt entgegen ihrer Behauptung gekannt habe. Für die Beurteilung dieser Frage kam es nicht auf das Verhalten des Gerichts, sondern allein auf das der Beklagten an. Hätte man deren Verhalten hier ebenso wie bei der Frage der Wirksamkeit der Zustellung für unbeachtlich erklärt, so hätte man der unterlegenen Partei jede Möglichkeit abgeschnitten, sich gegen das Urteil zur Wehr zu setzen: Eine Restitutionsklage wegen Prozeßbetrugs in der Sache schied nach der damaligen Strafrechtsprechung aus. Nachdem die Grundsätze dieser Rechtsprechung hier auch auf die Schadensersatzklage wegen betrügerischer Urteilserschleichung übertragen worden waren, konnte sich die unterlegene Partei nur noch auf die Zustellungserschleichung berufen. Sollte sie nicht völlig wehrlos gestellt sein, so durfte ihr diese Möglichkeit nicht genommen werden. Das hat auch das RG nicht ganz verkannt. Es wollte nämlich wenigstens die alLgemeinen Betrugsgrundsätze der Strafgerichte auch auf die Zustellungserschleichung anwenden. Eine angemessene Lösung war dadurch freilich noch nicht gewährleistet; die bloße wahrheitswidrige Behauptung, den Aufenthalt des Gegners nicht zu kennen, konnte damit nämlich nach wie vor nicht erfaßt werden. Im übrigen ging das RG im konkreten Fall sogar so weit, daß es trotz Vorlage der er;wähnten Zeitungsnotiz eine Täusch:U!llg des Gerichts Ü1ber die Zustellungsvoraussetzungen verneinte. Obwohl weitere Beweismittel von dem früheren Kläger offenbar nicht vOI'lgelegt woroen waren, meinte es, es sei "nicht ohne weiteres anzunehmen", daß das Gericht sich seine überzeugung aufgrund dieser Zeitungsnotiz gebildet habe. Im Ergebnis lief das Urteil daher auf eine Einladung hinaus, bei jeder Klageerhebung zunächst einmal mit falschen Angaben auf eine öffentliche Zustellung hinzuwirken. 43 So in der Tat der Beklagte in RGZ 59, 259. Dementsprechend konnte in dieser Entscheidung die Frage, "ob der Beklagte etwa eine Restitutionsklage oder einen Schadensersatzanspruch gegen die Klägerin wegen arglistigen Verhaltens erheben könnte", dahingestellt bleiben (266). In dem von Pfleger, DJZ 1925, 655, berichteten, in der Sache ganz ähnlichen Fall - ebenfalls einer Ehesache - soll ein bayrisches LG die Restitutionsklage gern. § 580 Nr. 7 b ZPO zugelassen haben (die übervorteilte Beklagte konnte durch Posteinzahlungsscheine beweisen, daß der Kläger fortwährend an sie Unterhalt gezahlt hatte).

I. Urteilserschleichung zum Nachteil des Gegners

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Es ist daher nicht weiter veI"WUnderlich, daß schon wenige Monate darauf der 1. Senat des RG in einem parallel liegenden Fall" ganz anders argumentierte45 • Es ging dabei um eine einstweilige Verfügung gem. §§ 935, 940 ZPO, durch die der Beklagten bis zur Entscheidung in der Hauptsache die Zwangsvollstreckung aus einem gegen den Kläger erlangten rechtskräftigen Versäumnisurteil untersagt werden sollte. Zur Begründung des Verfügungsanspruchs trug der Kläger vor, die Beklagte habe ihn im Vorprozeß aufgrund einer wucherischen Forderung in Anspruch genommen. Obwohl ihr sein genauer Aufenthaltsort in Südafrika bekannt gewesen sei, habe sie unter Vorlage einer ungenauen polizeilichen Abmeldebescheinigung die öffentliche Zustellung von Klage und Ladung erwirkt und auf diese Weise ein rechtskräftiges Urteil über die nichtige Forderung herbeigeführt. Wie schon in RGZ 39, 142 erklärte das RG auch hier den Nachweis, daß das Urteil auf nichtigen Rechtsgeschäften beruhe, für bedeutungslos. Anders wollte es den geltend gemachten Anspruch wiederum insofern beurteilen, als das arglistige Prozeßverhalten der Beklagten in F~age stand. Gehe man nämlich einmal davon aus, daß die Beklagte den wumerischen Charakter der eingeklagten Forderung gekannt habe und daß sie mit ihrer Klage so lange gewartet habe, bis sie wider besseres Wissen eine öffentliche Ladung habe erreichen können, so sei in den Maßnahmen zur Erlangung des Judikats eine "vorsätzliche rechtswidrige und gegen die guten Sitten verstoßende Handlung" zu finden, aus der die Beklagte keine Rechte herleiten könne, sondern zum Schadensersatz verpflichtet sei". In deutlichem Gegensatz zu RG JW 1905, 234, wo das bessere Wissen des die öffentliche ZustellUIlJg beantragenden Klägers als solches für unbeachtlich erklärt worden war, führte das RG nunmehr aus, daß "das, was die Beklagte getan hat, namentlich das Verschweigen des ihr bekannten WohnsitZJeS des Klägers", ein Verhalten sei, "welches gemeinrechtlich die actio de dolo begründen würde und jetzt die Anwendung des § 826 BGB rechtfertigt, die Berufung auf die Rechtskraft aber als eine gegen die guten Sitten verstoßende Ausbeutung derselben erscheinen läßt"c7. Bemerkenswert ist dabei auch, daß das RG zur Begründung hier erstmals" auf die neue Vorschrift des § 826 BGB verwies, wonach die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung zum Schadensersatz 44

RGZ 61, 359 -

1109.

U. v. 14. 10. 1905. Vgl. nazu auch Rehbein, DJZ 1905,

45 Auf RGZ 61, 359 stützt sich später auch OLG Kiel SchlHA 1927, 279 U. v. 18. 7. 1927 - in einem Fall, wo das durch Zustellungserschleichung erwirkte Versäumnisurteil nicht rechtskräftig geworden war und es nur um den Ersatz der entstandenen Kosten ging. 46 AaO, 364 f. 47 AaO, 365 f. 48 Ebenso jedoch bereits der 1. Strafsenat in RGSt 34, 279 (282 f.) U. v. 6. 6. 1901.

38

§ 2. Die Entwicklung des Rechtsbehelfs gern. § 826 BGB

verpflichtet. Damit legte es den Angelpunkt, um den sich die Rechtsprechung bis auf den heutigen Tag dreht, fonnell fest49 und lenkte den bisher mehr oder weniger "problemorientierten" Blick unmittelbar auf die Auslegung einer materiellrechtlichen Vorschrift. Das Gericht übersah keineswegs, daß .auch eine Schadensersat:~ldage gern. § 826 BGB wegen der Rechtskl1aft des Vorurteils an sich unzulässig war. Noch deutlicher als in RGZ 46, 75 räumte es jedoch die Rechtskraft mit einem Satz beiseite, der in der Folgezeit ebensoviel Zustimmung wie Ablehnung finden sollte und der ungeachtet aller Kritik zu einer stereotypen Begründtmgsfonnel wurde, die sich in zahlreichen späteren Entscheidungen50 nachweisen läßt: "Die Wirkung der Rechtskraft muß da zessieren, wo sie bewußt rechtswidrig zu dem Zwecke herbeigeführt ist, dem, was nicht Recht ist, den Stempel des Rechts zu gebens1 ." 1912 hatte auch der 6. Senat des RG5'2 Gelegenheit, einen Fall zu entscheiden, in dem die Klägerin die Vollstrecktmg aus einem durch Zustellungserschleichung gegen sie erwirkten Versäummsurteil rü~ängig zu machen suchte: Der Beklagte hatte in einem Vorprozeß gegen die Klägerin auf Löschung eines eingetragenen Nießbrauchsrechts geklagt und war damit rechtskräftig abgewiesen worden. Daraufhin hatte er sich mit dem gleichen Antrag an ein anderes Gericht gewandt und unter Verschweigung des ergangenen Urteils die öffentliche Zustellung erwirkt, obgleich ihm aus dem ersten Verfahren bekannt war, daß die Klägerin einen Generalbevollmächtigten bestellt hatte. Das nunmehr stattgebende Versäumnisurteil hatte er benutzt, um den Nießbrauch löschen zu lassen. Die Klägerin verlangte mit ihrer Klage im wesentlichen die Einwilligung zur Wiedereintragung. Auch der 6. Senat gab der auf Zustellungserschleichung gestützten Schadensersat2lklage unbedenklich statt. Er begründete dies wie schon der 1. Senat58 vor ihm nicht mit der durch Vorlage von Beweismitteln verübten Irreführung des Gerichts, sondern allein mit dem verschwiegenen besseren Wissen des Gläubigers, der das rechtskräftige Urteil "hinter dem Rücken des Schuldners in Kenntnis des tatsächlichen oder rechtlichen Nichtbestehens seiner ForderuIlig durch eine öffentliche Zustellung der Klage und Ladung erlangt hatte, von der er voraussetzte, daß sie den Gegner nicht er~eichen würde, wä:hrend er wußte, wo dieser sich 49 Vgl. auch RG JW 1903, 432 f. U. v. 5. 11. 1903; OLG Augsburg ZRpflBay 1905, 135 (ohne Datum). 50 So z. B. OLG Colmar ElsLothZ Jg. 32 (1907), 119 (124) U. v. 16. 2. 1906 - und ElsLothZ Jg. 35 (1910), 311 (312) - U. v. 12. 10. 1909; RGZ 78, 389 (393) - U. v. 29. 2. 1912; RG WarnRspr 1922 Nr. 45 - U. v. 19. 12. 1921. 51 AaO, 365. Vgl. dazu auch Gadow, ZZP Bd. 61 (1939), 318. 52 RGZ 78, 389 U. v. 29. 2. 1912. Kritisch zu dieser Entscheidung Wurzer, JherJB Bd. 65 (1915), 386 f. 58 RGZ 61, 365 f.

1.

Urteilserschleichung zum Nachteil des Gegners

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aufhielt oder daß er durch einen Bevollmächtigten vertreten war"fi4. Interessant ist vor allem der Passus der Begründung, wo das RG sich mit der Frage befaßt, ob die Schadensersatzkla:ge nicht an der Rechtskraft des Vorurteils scheitert. Der 1. Senat hatte, wie wir gerade gesehen haben, die materielle Rechtskraft ausdrücklich aufgehoben. Der 6. Senat schloß sich dem zunächst anfi5 ; dann aber stellte er, ohne dies recht deutlich zu machen, auf die formelle Rechtskraft um und vertrat die scheinbar entgegengesetzte These, daß die Schadensersatzklage den Bestand des Ersturteils gar nicht in Frage stelle, sondern lediglich eine AusgleichUlIlg des dadurch verursachten Schadens herbeiführe". Diese These, die keineswegs galltZ neu warfi7 , wurde ähnlich wie die Redeweise vom "Zessieren der Rechtskraft" in zahlreichen späteren Entscheidungen58 ziemlich unbesehen übernommen. An sich war der dahinterstehende Gedanke gar nicht falsch, denn anders als eine Wiederaufnahmeklage gem.§§ 578 ff. ZPO ließ die Arglistklage die formelle Rechtskraft in der Tat unaIlJgetastet und hob nur die materielle Rechtskraft auf. In Verruf geraten ist die These nur deshalb, weil sie häufig dazu mißbraucht wurde, den Eindruck zu erwecken, als ob die Arglistkla:ge mit der Rechtskraft überhaupt nicht kollidiere. 1m vorliegenden Fall zog sie das RG zu einem anderen Zweck heran, der indessen nicht minder zweifelhaft ist: In RG 78, 389 tauchte erstmals in der reichsgerichtlichen Rechtsprechung 59 die Frage auf, ob der Schuldner, nachdem er von der ZustellungserschleichuIlJg erfahren hatte, gegen die Versäumung der Einspruchsfrist nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hätte beantragen müssen. Eine Restitutionsklage wäre ihm nach Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist gern. § 582 ZPO versagt ,g ewesen. Hätte man die "RestitutionsähIlJlichkeit" der SchadeIlJSersatzklage offen zUJgegeben, so hätte für sie nichts anderes gelten können. Das RG benutzte jedoch den Umstand, daß die Schadensersatzklage das angegriffene Urteil formell bestehen ließ, dazu, um eineIlJ grundlegenden Unterschied zwischen beiden Rechtsbehelfen zu konstruieren, der es rechtfertigen sollte, daß die Arglistklage insoweit nicht den für die Restitutionsklage geltenden Grundsätzen unterstellt wurde. Der formelle Unterschied mußte also herhalten, die sachlichen ParaLlelen zu überspielen und die Schadensersatzklage gern. § 826 BGB "auch dann zuzulassen, wenn das auf unrechtmäßige Weise erwirkte Urteil selbst u 55

58 67

RGZ 78, 393. AaO, 393. AaO, 393.

Vgl. bereits RGZ 46, 75 (79 f.) -

U. v. 9. 2. 1911.

U. v. 26. 4. 1900; RGZ 75, 213 (216) -

58 Vgl. etwa RGZ 88, 290 (293) U. v. 6. 6. 1916; RG JW 1934, 613 28. 11. 1933; BGHZ 50, 115 (118) - U. v. 27. 3. 1968. 59 Zu KGBI 1911, 9 U. v. 27. 10. 1910 - vgl. sogleich unten.

U. v.

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§ 2. Die Entwicklung des Rechtsbehelfs gern. § 826 BGB

noch durch rechtzeitige Anwendung prozessualer Rechtsbehelfe wie durch Wiederaufnahme des Verfahrens nach den §§ 578 ff. oder, wie im gegebenen Falle, durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist gegen das Versäumnisurteil nach § 233 Abs.2 ZPO zu beseitigen gewesen wäre"GO. Neben delI" Verortung des Problems bei § 826 BGB liegt hier ein weiterer wichtiger Grund dafür, weshalb es bis heute nicht gelungen ist, die Arglistklage dogmatisch in den Griff zu bekommen. Bezieht man einmal die untergerichtliche Rechtsprechung in die Betrachtung mit ein, so zeigt sich schnell, daß das RG mit diesen Ausführungen keineswegs allein dastand, nicht unbedingt einmal wegbereitend war. Es schloß sich lediglich einer Entwicklung an, die durch die Wahl der nUIlimehr eindeutig materiellrechtlichen Argumentationsgrundlage fast zwingend vOl'lgjeZe'i.chnet war. Bereits vor ihm hatte sich das KG in einem Urteil aus dem Jahr 191Qtl auf denselben Standpunkt gestellt. Es ging dabeU. um einen ganz anders gelagerten Sachverhalt: Die spätere Beklagte hatte einen Vertrag, den sie mit ihrem durch einen Pfleger vertretenen Kind geschlossen hatte, angefochten und einen Teil des aufgrund des Vertrages Geleisteten zurückverlangt. Der Vormundschaftsrichter, der mit der Rückgewähr nicht einverstanden war, hatte den Pfleger angewiesen, das Mündel wegen dieses Anspruchs von der Mutter verklagen zu lassen. Dem war der Pfleger formell zwar nachgekommen; um die vormundschaftsrichterliche Anordnung zu unterlaufen, hatte er mit der Mutter jedoch vereinbart, den Klageanspruch anzuerkennen. Nachdem das daraufhin ergangene Anerkenntnisurteil rechtskräftig geworden war, wurde dem Kind umgehend ein anderer Pfleger bestellt. Dieser klagte gegen die Mutter auf Feststellung, daß sie nicht berechtigt sei, aus dem Urteil Rechte herzuleiten.

Das LG hatte die Kla:ge abgewiesen, weil der Kläger noch die Möglichkeit gehabt habe, das ergangene Urteil im Wege der Restitutionsklage zu beseitigen. Diesen Schluß von der Versäumung der Restitutionsklage auf die Versäumung der Arglistklage hielt das KG nicht für zutreffend. Wie später das RG beurteilte es die Arglistklage vielmehr als eine rechtliche selbständige Möglichkeit, deren Voraussetzungen sich insgesamt nach materiellem Recht richteten, und gab der Klage statt. Bemerkenswert ist die Entscheidung aber auch wegen des zugrunde80 AaO, 393 f. Der Hinweis des HG (aaO, 394) auf RGZ 61, 362 und 75, 216 ist nur teilweise berechtigt. In beiden Urteilen war entschieden worden, daß die Wiederaufnahmeklage die Möglichkeit einer Schadensersatzklage prinzipiell nicht ausschließt (in RGZ 75, 216 mit der schon in RGZ 46, 79 herangezogenen Erwägung, daß die Wiederaufnahmevorschrüten die Anfechtung rechtskräftiger Urteile "auf prozessualem Gebiete" regelten, während die Arglistklage die Anfechtung der materiellen Folgen betreffe). In RGZ 78, 389 ging es demgegenüber erstmals um die Frage, ob die Arglistklage, wenn man sie zuläßt, nicht wenigstens· gewissen restitutionsrechtlichen Grundsätzen zu unterwerfen ist. 11 KGBlI911 - U. v. 27. 10. 1910.

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liegenden Sachverhalts. Bei den meisten Ar.glistklagen gegen rechtskräftige Urteile geht es darum, daß der Klä:~r dem Gegner, seltener auch einem Zeugen, ein arglistiges Prozeßverhalten vorwirft. Hier war der Kläger - das Mündel- von seinem eigenen Vertreter im Zusammenwirken mit dem Gegner hintergangen word~. Die Ahnlichkeit mit dem in § 580 Nr.4, 1. Alternative ZPO geregelten Sachverhalt ist wenn man von der Frage der Strafbarkeit einmal absieht - nicht zu übersehen. Wie schon die bisher behandelten Entscheidungen macht daher auch dieser Fall deutlich, daß die Schadensersatzklage wegen Urteilserschleichung bei aller Verschiedenheit der im Laufe der Zeit entschiedenen Fallgestaltungen sich im wesentlichen in dem durch die RestitutionsgTÜnde des § 580 Nr.1-5 ZPO vorgezeichneten Rahmen hält. Einer wiederum etwas anderen Modalität der Urteilserschleichung begegnen wir in einer Entscheidung des RG aus dem Jahr 1921°: Dem Kläger war im Vorprozeß wegen eines Unfalls Schadensersatz in Form einer Rente zuerkannt worden. Mit seiner neuen Klage betrieb er die Erhöhung der Rente gem. § 323 ZPO. Die Beklagte verlangte im Wege der Widerklage, dem Kläger jeden Schadensersatzanspruch überhaupt abzusprechen. Sie behauptete, der Kläger habe dauernde Folgen für seine Gesundheit gar nicht davongetragen und das ihm günstige Urteil nur durch eine Täuschung der Ärzte erschlichen, auf deren Gutachten die Entscheidung beruhe. Die Besonderheit des Falles besteht darin, daß der Kläger eine unmittelbare Täuschungshandlung nicht gegenüber dem Gericht, sondern nur gegenüber den Sachverständigen vorgenommen hatte. Läßt man dieses Verhalten einmal außer acht, so hätte man vielleicht schon die dem Gericht gegenüber aufgestellten falschen Tatsachenbehauptungen für eine Urteilserschleichung genügen lassen können. Darz;u hätte man sich freilich mit der damals noch sehr verbreiteten Meinung auseinaooersetzen müssen, daß es dem Kläger nicht verboten sei, unwahre Behauptungen aufzustellen, weil ohnehin alles erst bewiesen werden müsse. Bei einem Versäumnisurteil oder einem Vollstreckungsbescheid83 wäre diese Auseinandersetzung nicht vermeidbar gewesen. Anders im vorliegenden Fall. Hier stellte das RG nicht auf die Prozeßlüge, sondern auf den dolosen Eingriff in das Beweisverfahren ab und führte aus, "der Tatbestand der Täuschung des Richters und Erschleichung des Urteils" könne "auch vorliegen, wenn die Täuschungshandlungen nicht unmittelbar den Richtern gegenüber vorgenommen worden sind, sondern gegenüber den Sachverständigen als Gehilfen des Richters geübt worden sind, auf deren Gutachten das Urteil sich aufbaut"". 1%

83 64

RG WarnRspr 1922 Nr. 45 - U. v. 19. 12. 1921. Vgl. OLG Colmar ElsLothZ Jg. 35 (1910), 311 - U. v. 12. 10. 1909. Ebenso bereits derselbe Senat in WarnRspr 1922 Nr. 46 - U. v. 13. 6.

1921.

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§ 2. Die Entwicklung des Rechtsbehelfs gern. § 826 BGB

Einen ähnlichen Fall wie bereits in RGZ 39, 14285 , wo die Zwangslage des Schuldners dazu benutzt worden war, um für eine nichtige Forderung einen rechtskräftigen Titel zu erwirken, hatte das RG auch noch einmal im Jahre 1931 zu entscheiden66 • Das beklagte Elektrizitätswerk hatte gegen den Eigentümer eines FabrikgrunJdstücks erhebliche rückständige Forderungen wegen Installationsarbeiten und Stromlieferung, die zu realisieren keine Aussicht bestand. Es legte den Fabrikbetrieb durch Unterbrechung der Licht- und Kraftstromzufuhr lahm und machte die Weiterlieferung davon abhängig, daß eine Hypothekengläubigerin - die spätere Klägerin -, welche die Zwangsverwaltung des Grundstücks betrieb, die rückständigen Forderungen bezahlen würde. Nachdem die Fabrik mittlerweile in Konkurs gefallen war, ließ sich die Klägerin notgedrungen auf einen entsprechenden Vertrag ein. Da sie jedoch die vereinbarten Zahlungen auf die Installationsschuld nicht leistete, erwirkte das Elektrizitätswerk im Bewußtsein ihrer fortdauernden Zwangslage gegen sie verschiedene Vollstreckungsbefehle über insgesamt 37000 Mark und ließ daraus vollstrecken. Bei der späteren Zwangsversteigerung des Fabrikgrundstücks fiel die Klägerin mit ihrer Hypothek aus. Daraufhin klagte sie gegen das Elektrizitätswerk auf Herausgabe der Vollstreckungsbefehle und Rückzahlung der beigetriebenen Summe. Das RG ging bei seinen überlegungen davon aus, daß Gas- und Elektrizitätswerke im Konkurs die Weiterlieferung nicht von der Bezahlung der Rückstände als Masseschulden abhängig machen dürfen. Das war damals nicht ganz unbestritten87 ; damit gewann das RG aber die Möglichkeit, die Weigerung der Weiterbelieferung auch in der Zwangsverwaltung als eine sittenwidrige Handlung i. S. des § 826 BGB beurteilen zu können88 • Der unter dem Druck der Lieferungssperre geschlossene Vertrag war daher nichtig oder wenigstens anfechtbar. Der Fall stellte sich für das RG also so dar, daß die Beklagte die Zwangslage der Klägerin dazu ausgenutzt hatte, um für sachlich angreifbare Forderungen rechtskräftige Titel zu erwirken. Wie schon in RGZ 39, 142 ließ sich das RG auch hier wieder von dem Bestreben leiten, den materiell-rechtlichen Schutz des Schuldners gegen eine Ausnutzung seiner Zwangslage "p'rozeßfest" zu machen, und gab der auf § 826 BGB gestützten SchadeIlJSersatzklage statt. b) Arglistiges Erschleichen von Scheidungsurteilen

Eine über die bisher behandelten Fälle hinausgehende praktische Bedeutung er1angte die Schadensersatzklage gern. § 826 BGB schon bald 65 Vgl. dazu oben bei FN 20. 6' RGZ 132, 273 = JW 1931, 3102 m. Anm. Kisch, EssHnger und Nipperdey - U. v. 24. 3. 1931. fI7 In JW 1930, 1402 m. Anm. Geiler U. v. 8. 10. 1929 - hatte der gleiche Senat die Denkfigur des Wiederkehrschuldverhältnisses noch abgelehnt. Vgl. auch die Nachweise bei EssHnger und Nipperdey, JW 1931, 3103 f. 68 RGZ 132, 275.

I.

Urteilserschleichung zum Nachteil des Gegners

43

in Scheidungssachen - einer Fallgruppe, für welche die in den §§ 578 ff. ZPO vorgesehene Regelung mehr als unangemessen war. Nach damaligem RechtszUJStand konnte nämlich der den Umfang der nachehelichen Unterhaltsansprüche maßgeblich bestimmende Schuldausspruch des Scheidungsurteils im Wiederaufnahmeweg nur dann geändert werden, wenn zUJgleich auch der Scheidungsausspruch aufgehoben wurde. Damit aber lebte die frühere Ehe automatisch wieder auflD ; die gegen den SchuldJausspruch angehende Pa'rtei war also - jedenfalls zunächst - mit ihrem früheren Partner wieder verheiratet, hatte sie zwischenzeitlich erneut geheiratet, so lebte sie in Doppelehe usw. Lange bevor die Rechtsprechung eine Wiederaufnahmeklage zur Änderung bloß des Schuld ausspruchs und unter Aufrechterhaltung der Scheidung selbst zuließ 70, schuf hier die Klage gern. § 826 BGB Abhilfe und ermöglichte eine auf die vermögensrechtlichen Folgen beschränkte "Urteilskorrektur". Dabei kam der Schadensersatzklage der Umstand, daß sie das angegriffene Urteil formell bestehen läßt und nUT gegen die weiteren Folgen angeht, gerade hier zustatten. Formelle Aufrechterhaltung des Urteils hieß nämlich nichts anderes als Aufrechterhaltung der Scheidung, so daß der Schadensersatmnspruch sich von vornherein nur auf die an den Schuldausspruch anknüpfenden weiteren Folgen bezog. Daß dieses Ergebnis hier allein sinnvoll war, wird man kaum bestreiten wollen. All diese BesondeI1heiten hätten es unter Umständen erleichtern können, den Rechtsbehelf gem. § 826 BGB auf diesem speziellen Gebiet im System des überkommenen Restitutionsrechts besser zu verankern, als dies in anderen Fällen möglich war. Die Rechtsprechung hat indessen das erschlichene Scheidungsurteil anderen erschlichenen Urteilen prinzipiell gleichgestellt und dem zu Unrecht Unterlegenen vermögensrechtlich unterschiedslos mit der üblichen Argumentation aus § 826 BGB geholfen: der unterlegenen Frau mit einem Schadensersat~anspruch71, dem unterlegenen Mann vor dem Unterhaltsprozeß mit einer negativen Feststellungsklage7!, im Unterhaltsprozeß mit dem Al'glisteinwand73 und gegen die Vollstreckung des bereits erlangten Unterhaltstitels mit einer besonderen Arglistklage auf UnterlassUIllg der Zwangsvollstreckung74 • ID Nur ganz vereinzelt wurde im Schrifttum die Auffassung vertreten, daß die W.iederaufnahmeklage in Ehesachen von vornherein auf die vermögensrechtliche Seite beschränkt sei, vgl. Wurzer, JherJB Bd. 70 (1920), 187 m. w. N. 70 RGZ 171,39 (42) = DR 1943,848 m. Anm. v. Scanzoni U. v. 24. 3. 1943; OGH BrZ NJW 1950, 65 - U. v. 11. 11. 1949; ablehnend noch Grunz, JR 1949,33.

Vgl. RG SeuffArch Bd. 89 (1935), 340 (342' - U. v. 3. 6. 1935. Vgl. KG JW 1937, 2972 - U. v. 17. 8. 1937; LG Berlin DR 1939, 771 U. v. 15. 4. 1939. 73 Vgl. OLG Düsseldorf HRR 1941 Nr. 480 U. v. 8. 1. 1941. 74 Vgl. RGZ 155, 55 U. v. 3. 5. 1937; OLG Kiel HRR 1939 NI". 641 - U. v. 13. 1. 1939; OLG Köln DR 1940, 2107 - U. v. 31. 7. 1940. 71

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§

2. Die Entwicklung des Rechtsbehelfs gern. § 826 BGB

Zunächst scheint das RG freilich gezögert zu haben, die zur Urteilserschleichung entwickelten Grundsätzauch auf Scheidungsurteile anzuwenden'5• In dem ersten eiIliSchlägigen Fall, der vom RG zu entscheiden war'8, räumte das Gericht zwar ein, die Einrede des im Scheidungsverfahren verurteilten Mannes gegen den Unterhaltsanspruch der Frau entspreche "allerdings den Rechtsgrundsätzen, welche in dem ... Urteile des VI. Zivilsenats des RG vom 26. April 190077 ausgesprochen sind"; trotzdem meinte es, dem Revisionskläger könne "doch darin nicht beigetreten werden, daß die Verschiedenheit des gegenwärtigen Falles von dem in dem Urteile vom 26. April 1900 behandelten Falle in rechtlicher wie in tatsächlicher Beziehung für das Ergebnis einflußlos sei"78. Im folgenden Jahr konnte das Gericht die Frage in RGZ 59, 26610 noch einmal dahinstehen lassen. Aber wenige Jahre später wa,r es daIlill doch erneut mit einem eiIliSchlägigen Fall befaßt80. Dieses Mal war die Frau der im Vorprozeß unterlegene Teil: Die Ehe der Parteien war aus Alleinverschulden der Frau rechtskräftig geschieden worden. In der Folgezeit klagte die Frau auf Unterhalt, der ihr unter diesen Voraussetzungen an sich nicht zustand. Zur Begründung trug sie vor, der Mann habe das Scheidungsurteil in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise zu Unrecht herbeigeführt. In der Sache brauchte das RG hier nicht zu entscheiden, weil es die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht für ausreichend hielt, um die Anwendung des § 826 BGB zu begründen. Doch es ließ keine Zweifel darüber bestehen, daß es der Klage a,ndernfalls stattgegeben hätte. Ohne sein früheres Urteil81 auch nur zu erwähnen, trug das RG nunmehr "kein Bedenken, einen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB g,egenüber einem rechtskräftigen Ehescheidungsurteile zuzulassen"82. In einem Fall wie dem vorliegenden, wo eine Scheidung an sich gar nicht hätte erfolgen dürfen, wollte es dabei den Schadensersatzanspruch der Frau nach dem vollen Unterhaltsanspruch einer nicht geschiedenen Ehefrau bemessen83 • 75 Aus RG GruchB Bd. 33 (1889), 916 - U. v. 4. 4. 1889 - folgt nichts Gegenteiliges. Dieses Urteil betrifft vielmehr einen Fall der einverständlichen Scheidung, bei dem sich eine der Parteien an die mit dem Gegner insgeheim getroffene Vereinbarung nachher nicht halten wollte. Die Beurteilung derartiger Fälle richtet sich nach ganz anderen Kriterien. Vgl. näher unten § 2 Ur. 76 RG :rw 1903, 432 f. - U. v. 5. 11. 1903. 17 RGZ 46, 75. 78 JW 1903, 433. 10 U. v. 2. 12. 1904. 80 RGZ 75, 213 - U. v. 9. 2. 1911. Kritisch dazu Wurzer, JherJB Bd. 65 (1915), 391 fI. 81 Die Entscheidung RG JW 1003, 432 - U. v. 5. 11. 1903 - war vom gleichen Senat gefällt worden. 82 AaO,215.

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Bei den hier ausgesprochenen Grundsätren sollte es dann auch blei-

ben84 • Freilich wurde die Rechtsprechung ror Urleilserschleichung in der

Folgezeit gerade hier von den zur Urteilsausnutzung entwickelten Grundsätzen überlagert. Ein angemessenes Bild von der SchadeIllSersatzklage gegen erschlichene Scheidungsurteile erhält man daher nur dann, wenn man diese weitere Fallgruppe in die Betrachtung miteinbezieht85 • c) Urteilserschleichung durch arglistiges Verschweigen

Während den bisher behandelten Entscheidungen Fälle zugrunde lagen, wo der rechtskräftige Titel durch ein positives Verhalten erschlichen worden war, lassen sich auch einige Urteile nachweisen, in denen es der Sache nach um ein arglist1ges Verschweigen tatsächlicher Umständeiu tun war. Zwar taucht hier - ähnlich wie beim Betrug regelmäßig sogleich die Frage auf, ob es sich wirklich um ein Verschweigen und nicht bloß um ein konkludentes Vorspiegeln ha,ndelt. Was die betreffenden Urteile interessant macht, ist jedoch weniger das VerschJweigen als solches aJs vielmehr der Umstand, daß hier über die Frage zu entscheiden war, ob auch das nicht durch Beweismittel unterstützte Pa,rteiverhalten die Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllen kann. An sich stellte sich dieselbe Frage zwar auch im Mahn- und Versäumnisverfahren. Während sie dort jedoch meist mit dem weiteren Problem verquickt war, daß die unterlegene Partei eine sachgemäße Verteidigung aus Nachlässj,gkeit versäumt hatte (abgesehen von den Fällen der Zustellungserschleichung war der arglistig Handelnde in den entschiedenen Fällen seinem Gegner gegenüber "offen" aufgetreten, hatte also positive Behauptungen aufgestellt und ihm damit die Möglichkeit gegeben, sie zu bestreiten), stand sie hier gleichsam isoliert zur Entscheidung. Bereits 1905 hatte das LG Magdeburg8& einen derartigen Fall zu entscheiden: 83 Auf dieser Linie liegt es, daß der Schadenersatzanspruch ,bei bloß unrichtigem Schuldausspruch nach dem hypothetisch richtigen Schuldausspruch zu gewähren war. In dem weiteren möglichen Fall, daß die Frau eine Scheidung aus Alleinverschulden des Mannes erschlichen hat, während in Wahrheit ein Scheidungsgrund nicht vorlag, mußte die schadensersatzrechtliche Begründung des RG jedoch auf Schwierigkeiten stoßen. Hätte man den Mann hier vermögensrechtlich so stellen wollen, als wäre das Scheidungsurteil überhaupt nicht ergangen, so wäre er nämlich ebenfaUs zur Zahlung von (ehelichem) Unterhalt verpflichtet gewesen. Der Sache nach konnte die Klage gern. § 826 BGB hier jedoch nur das Ziel haben, gar keinen Unterhalt leisten zu müssen. 84 Vgl. RG JW 1912, 37 U. v. 30. 10. 1911; OLG Stuttgart Württz Jg. 64 (1922) Spruchbeilage 65 - U. v. 20. 2. 1920; RG SeuffArch Bd. 89 (1935), 340 (342) - U. v. 3. 6. 1935; KG JW 1938, 1168 - B. v . 23. 8. 1937. Siehe auch Kohler, ArchBürgR Bd. 42 (1916) 119 f.; ders., PrVerwBI Jg. 37 (1916), 605. 85 Vgl. dazu insbesondere unten § 2 IV 3. 88 LG Magdeburg NaumbKZtg 1905, 59 U. v. 2. 5. 1905.

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§ 2. Die Entwicklung des Rechtsbehelfs gern. § 826 BGB

Die Klägerin hatte dem bei ihr beschäftigten Beklagten mit 14tägiger Frist gekündigt. Mit der Behauptung, als Werkmeister habe ihm eine Kündigungsfrist von 6 Wochen zugestanden, hatte der Beklagte in der Folge auf weiteren Lohn geklagt. Dabei hatte er verschwiegen, daß er in der fraglichen Zeit bereits andere, wenn auch geringere Verdienste hatte. Infolgedessen war ihm der verlangte Lohn voll zugesprochen worden. Nach Bekanntwerden des wahren Sachverhalts klagte die Klägerin, die mittlerweise gezahlt hatte, auf Herausgabe der anderweitigen Verdienste87 •

Das LG gab der Klage statt, wobei es sein Urteil mit einer doppelten Begründung abstützte. In erster Linie meinte es, das rechtskräftige Vorurteil (richtiger wohl: § 767 II ZPO) habe der Klägerin mvar die einredeweise Geltendmachung ihres in § 615 S. 2 BGB aufgestellten Gegenrechts abgeschnitten, die selbständige klageweise Geltendmachung dieses Gegenrechts - ähnlich wie im Fall der versäumten Prozeßaufrechnung - jedoch unberührt gelassen. Der Einwand der Rechtskraft greife daher überhaupt nicht durch. Hilfsweise - und erst damit gerät die Entscheidung in den vorstehenden Zusammenhang - versetzte es sich sodann auf den Standpunkt, daß die Vorentscheidung sachlich unrichtig sei, und gab der Klage unter dem Gesichtspunkt des § 826 BGB statt. Dabei lehnte es sich j,edoch nicht an die Rechtsprechung der Zivilsenate des RG an, sondern an RGSt 34, 282 88 , wo ausgeführt ist, daß schon das Gebrauchmachen von einem offenbar zu Unrecht ertgangenen Urteil zum Schadensel1satz verpflichtet. Führt man die Begründung des LG auf die von der Rechtsprechung zur Urteilserschleichung vorgezeichnete Linie zurück, so bleibt als arglistiges Prozeßverhalten nur das Verschweigen des anderweitigen Verdienstes übrig. Aufschlußreicher ist eine Entscheidung des OLG Frankfurt89 aus dem

Jahr 19239°:

Das klagende Kind hatte im Vorprozeß gegen den Beklagten als seinen Erzeuger auf Unterhalt geklagt. Der Beklagte hatte Mehrverkehr eingewandt und der von ihm benannte Mehrverkehrszeuge hatte dies bestätigt. Der Kläger hatte die Klage daraufhin nicht mehr weiter betrieben und war rechtskräftig abgewiesen worden. Nachträglich erfuhr der Vormund, daß der Beklagte die Kindesmutter in sittenwidriger Weise zu dem Mehrverkehr bestimmt hatte, um sich für alle Fälle die Mehrverkehrseinrede gegen den 87 Fälle, wo ein Kläger anderweitiges Einkommen oder Leistungen Dritter, die seinen geltend gemachten Anspruch gemindert hätten, verschwiegen hatte, waren auch in der jüngeren Vergangenheit noch zu entscheiden, vgl. OLG Celle VersR 1961, 241 - U. v. 4. 5. 1959; LG Köln VersR 1967, 92 - U. v. 22. 9. 1966. 88 U. V. 6. 6. 1901. 89 OLG Frankfurt/M. JW 1925, 383 m. Anm. Brandis U. v. 5. 7. 1923. Vgl. auch die Besprechung von Jose!, JW 1925,2107. 90 Sachlich hierher gehört an sich auch RG GruchB Bd. 57 (1913), 722 U. v. 19. 10. 1912. In diesem F'all waren jedoch die subjektiven Voraussetzungen der Urteilserschleichung von der Vorinstanz bindend verneint worden.

1.

Urteilserschleichung zum Nachteil des Gegners

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Unterhaltsanspruch zu verschaffen 91 • Er klagte daher auf Schadensersatz in Höhe der entgangenen Alimente. Der Fall liegt iIliSOfern etwas schwierig, als die Erschleichung der Mehrverkehrseinrede bereits materieHrechtlich nicht leicht zu beurteilen war: Stammte das Kind klar von dem ersten Beihälter ab, so konnte die Mehrverkehrrseinrede von vornherein keinen Erfolg haben, dem Kinid. also auch durch die Bestimmung der Kimesmutter zur Zweitbeiwohnung kein Schaden entstanden sein. Aber auch soweit in Betnacht kam, daß das Kind erst durch die arglistig herbeigeführte Zweitbeiwohnung erzeugt worden war, stanid. damit keineswegs fest, daß es gegen den ersten Beihälter einen Schadensersatzanspruch hatte. An sich hätte man dazu erst den Einwand ausräumen müssen, daß es nicht gut durch einen Alkt geschädigt sein kOIliIlte, dem es möglicherweise seine Existenz verdankte. Das OLG Frankfurt sah es bei seiner Entscheidung als erwiesen. an, daß das Kind von dem Beklagten. gezeugt worden war. Weiter ging es davon aus, daß das Kind dies auch schon im Vorprozeß hätte beweisen können und diesen Beweis auch nicht unterlassen hätte, wenn es nur von den näheren Zusammenhängen Kenntnis ,gehabt hätte. Der Fall stellte sich dem Gericht also so dar, daß der Beklagte im Vorprozeß bloß deshalb erfolgreich war, weil er das genauere ZU5tandekommen seiner Mehrverkehrseinrede verschwiegen. hatte. Eben dieses Venschweigen beurteilte das Gericht als ein arglistiges Prozeßverhalten i. S. der bisherigen Rechtsprechung zur Urteilserschleichung. Es versagte dem BeklJa:gten daher das Recht, sich auf die Rechtskraftwir~ung "zu berufen", und gab der Klage des Kindes dem Grunde nach statt. Um ein Verschweigen tatsächlicher Umstände ging es auch in einem Urteil des OLG Hamburg vom 30. 6. 193692 : Der Kläger war von einem mit den Beklagten geschlossenen Kaufvertrag zurückgetreten und hatte anderweitig verkauft. Die Beklagten hatten den Rücktritt für unberechtigt gehalten und daher eine für den Fall der Nichterfüllung vereinbarte Vertragsstrafe verlangt. Diese war ihnen im Vorprozeß rechtskräftig zuerkannt worden. Mit der Behauptung, er habe nachträglich erfahren, daß die Beklagten zur Zeit des Erstprozesses wegen völliger Mittellosigkeit gar nicht in der Lage gewesen seien, ihre eigenen Vertragspflichten zu erfüllen, und daher auch keinen Anspruch auf eine sonst verwirkte Vertragsstrafe gehabt hätten, klagte der Kläger auf Unzulässigerklärung der Zwangsvollstreckung93 und Herausgabe des Titels.

In einer älteren Entscheidung94 hatte das OLG Hamburg eine Urteilserschleichung durch Verschweigen noch abgelehnt. Zwischenzeitlich 91 Das war damals kein seltener Fall, vgl. etwa LG Königsberg JW 1923, 425 - U. v. 10. 7. 1922; LG Fürth JW 1924, 334 - U. v. 25. 5. 1923; geradezu kurios OLG München SeuffArch Bd. 70 (1915), 143 - U. v. 22. 1. 1915. 92 JW 1936, 2809. 93 Nach BGHZ 26, 391 (394) U.v. 5. 3. 1958 - hätte er richtigerweise beantragen müssen, die Zwangsvollstreckung zu unterlassen.

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§ 2. Die Entwicklung des Rechtsbehelfs gern. § 826 BGB

hatte sich die Rechtslage insofern geändert, als mittler:weile durch. den 1933 eingefügten § 138 I ZPO den Parteien ausdrücklich die Pflicht auferlegt worden wa'r, ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände "vollständig und der Wahrheit gemäß" abzugeben. Daß eine Partei prinzipiell verpflichtet sein kann, Nachteiliges zu offenbaren, brauchte also nicht mehr eigens begl"Ündet zu werden. Das Gericht knüpfte denn auch an § 138 I ZPO an und führte aus, daß ein ",gegen die guten Sitten verstoßendes Verhalten unter Umständen auch schon dann vorliegen kann, wenn die nach § 138 ZPO. zur vollständigen und wahrhaften Abgabe ihrer El'klärungen verpflichtete Partei tatsächliche Angaben verschweigt, bei deren Kenntnis das Gericht zu einer anderen Beurteilung kommen würde". Auf dieser Grundlage hielt es den Vortrag des Klägers prinzipiell für geeignet, eine SchadeIllSematzklage zu begründen. Zurückhaltender war die Rechtsprechung bei der Frage, ob auch ein

Scheidungsurteil als "erschlichen" angesehen werden kann, wenn der obsiegende Teil eigene Verfehlungen verschwiegen hat. Auch nach Ein-

führung der "Wahrheits- und. Vollständilgkeitspflicht" im Jahr 1933 zei.gten die Gerichte hier wenig Neigung, den Parteien eine Pflicht zur Offenbarung eigener Verfehlungen aufzuerlegenus. Das RG ging in seiner Zurückhaltung sogar so weit, daß es nicht einmal ein positives Verhalten, das von eigenen Verfehlungen ablenken sollte, als einen Verstoß gegen prozessuale Verhaltenspflichten beurteilte. So lehnte es in einem Fall, wo die in Scheidung lebende Frau ihrem Mann ,gegenüber Krankheit vOl'geschützt hatte, während sie in WabJ.heit von einem anderen Mann schwanger war, eine Urteilserschleichung mit der Begründung ab, daß die Frau "in keiner Weise verpflichtet [war], durch Mitteilung ihrer Schwangerschaft ihm [dem Ehemann] im Prozesse eine Widerklage begründen zu helfen"". In einem anderen Fall verneinte es eine UrteilsU4 OLG Hamburg HansGZ Jg. 45 (1924) Beiblatt 99 U. v. 28. 3. 1924. Hier hatte die eine Partei gegen die andere zunächst ein Urteil auf Verschaffung bestimmter Sachen erstritten, wobei sie verschwiegen hatte, daß sie diese Sachen bereits in Besitz hatte. Nach Fristsetzung gern. § 283 BGB und erfolglosem Fristablauf verlangte sie Schadenersatz wegen Nichterfüllung. Dagegen wandte der Gegner Urteilserschleichung ein. Das OLG verneinte eine Urteilserschleichung, weil die Klägerin des Vorprozesses weder "falsche Beweismittel vorgebracht" noch "Anstalten getroffen" hatte, "um dem Gegner die Verteidigung abzuschneiden" (100). Daß die "Aufstellung einer bewußt unwahren Behauptung" die Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllen kann, wurde damals noch ausdrücklich verneint. 9S Vgl. OLG Stuttgart WürttZ Jg. 64 (1922) Spruchbeilage 65 (67) U. v. 24.2. 1920; OLG Kassel JW 1937, 2768 (2769) m. Anm. Roquette - U. v. 8. 7. 1937; KG JW 1937, 2972 - U. v. 17. 8. 1937; RGZ 156, 265 (269) = JW 1938,_ 513 (514 f.) m. Anrn. Bemha'Tdt = DJ 1938, 951 (952) rn. Anm. K'Tame'T - U. v. 14. 12. 1937; RG HRR Nr. 662 - U. v. 10. 3. 1938; LG Berlin DR 1939, 771 U. v. 15. 4. 1939; OLG Köln DR 1940, 2107 (2108) m. Anm. Lindemann U. v. 3l. 7. 1940. 96 RG WarnRspr 1920 Nr. 110 U. v. 23. 2. 1920.

I. Urteilserschleichung zum Nachteil des Gegners

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erschleichung, obwohl die auf Scheidung klagende Frau die unrichtige Aussage eines Zeugen, mit dem sie Ehebruch begangen hatte, bestätigt und darüber hinaus - wenn auch erfolglos - ihre und des Zeugen Vereidigung beantragt hatte97 ; nur bei einem planmäßigen Zusammenwirken mit dem Zeugen sollte etwas anderen gelten. Selbst in einem Fall, wo die mehrmals ehebrüchige Frau durch die "beim Leben ihrer Kinder" ausgesprochene Beteuerung, sie sei ihm nie untreu gewesen, den Mann dazu bestimmt hatte, sich im Scheidungsprozeß nicht vertreten zu lassen, nahm das RG98 keine Urteilserschleichung an09 • Die prinzipiell "großzügige" Behandlung der Offenbarungspflicht in Eheverfahren kann freilich nur vor dem HinteI1grund der neueren Rechtsprechun.g ZUT "Urteilsausnutzung'