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German Pages 294 [296] Year 2017
Stefan Obkircher Raumentwicklung in Grenzregionen
Sozial- und Kulturgeographie
Band 15
Stefan Obkircher (Dr. rer. nat.), geb. 1982, ist in der Landesraumplanung des österreichischen Bundeslandes Vorarlberg tätig. Der Geograph promovierte an der Universität Innsbruck und forschte mehrere Jahre zu Themen der grenzüberschreitenden Raumentwicklung und Regional Governance.
Stefan Obkircher
Raumentwicklung in Grenzregionen Bedeutung und Wirkung von Planungsleitbildern und Governance-Prozessen
Gefördert durch das Land Vorarlberg und die Universität Innsbruck, Fakultät für Geo- und Atmosphärenwissenschaften.
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Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis | 7 Zusammenfassung | 9 1. Einleitung | 11
Ausgangssituation – Überblick über das Untersuchungsgebiet | 11 Verdichtung der Problemstellung | 15 Forschungsfragen und Zielsetzung | 17 Einordnung der Forschungsergebnisse | 25 2. Theorie | 29
Raumverständnis | 29 Leitbegriff „Grenzregion“ | 39 Leitbegriff „Zwischenstadt“ | 48 Leitbegriff „Regional Governance“ | 55 3. Werkzeugkasten | 73
Überblick zu den Methoden | 73 Zentrale Werkzeuge | 75 4. Grundlagen | 87
Exkurs zur Grenzgeschichte des Rheintals | 87 Grenzregion Rheintal | 91 Zwischenstadt Rheintal | 109 5. Top-Down-Raumbilder und Regional Governance im Rheintal | 121
Nationale Lupe: Österreich und Schweiz | 121 Transnationale Lupe: Europäischer Verflechtungsraum Bodenseeraum | 127 Regionale Lupe: Rheintal | 133 Handlungs- und Entscheidungsraum Vision Rheintal – Strukturen, Prozesse und regionaler Kontext | 146 Handlungs- und Entscheidungsraum Agglomerationsprogramm Rheintal – Strukturen, Prozesse und regionaler Kontext | 166 Exkurs: Einbeziehung der Gemeinden | 186
6. Bottom-Up-Raumbilder der Rheintalerinnen und Rheintaler | 195
Ankommen | 195 Das Raumbild Rheintal in den Köpfen ihrer Bewohnerinnen und Bewohner | 197 7. Schlussfolgerungen | 221
Fazit und Interpretation | 221 Nächste Schritte in Richtung gemeinsame Raumentwicklung im Rheintal | 241 8. Umsetzung der Erkenntnisse in der Planungspraxis | 247
Fehlschläge als Katalysator für die Weiterentwicklung | 247 Rheintaldialog – ein gemeinsamer Lernprozess | 250 Bekenntnis zu einem neuen Agglomerationsprogramm Rheintal | 258 Resümee und Ausblick | 262 Literaturverzeichnis | 265
Abkürzungsverzeichnis
AI – Kanton Appenzell Innerhoden APR – Agglomerationsprogramm Rheintal AR – Kanton Appenzell Ausserrhoden ARE – Bundesamt für Raumentwicklung AREG – Amt für Raumentwicklung und Geoinformation des Kantons St. Gallen EU – Europäische Union FL – Fürstentum Liechtenstein GF – Geschäftsführer IRR – Internationale Rheinregulierung IRKA – Internationale Regierungskommission Alpenrhein MIR – Mobil im Rheintal MIV – Motorisierter Individualverkehr NZZ – Neue Zürcher Zeitung ÖBB – Österreichische Bundesbahnen ÖROK – Österreichische Raumordnungskonferenz ÖV – Öffentlicher (Personennah-)Verkehr RGG – Rheintalische Grenzgemeinschaft SG – Kanton St. Gallen TAK – Tripartite Agglomerationskonferenz V bzw. VBG – Bundesland Vorarlberg VN – Vorarlberger Nachrichten VR – Vision Rheintal VSGR – Verein St. Galler Rheintal W – Werdenberg WVS – Wirtschaftsstelle Vorarlberg-Schweiz Der vorliegende Text orientiert sich an einer gendergerechten Schreibweise. An manchen Textstellen wird aus Gründen der Lesbarkeit darauf verzichtet.
Zusammenfassung
Das Rheintal ist ein dynamischer Raum. Die Grenzregion hat sich in den letzten 20–30 Jahren enorm entwickelt, insbesondere was die Bevölkerungsentwicklung betrifft. Und Prognosen geben in den nächsten Jahren ein weiteres Bevölkerungswachstum an. Damit gehen ein Siedlungswachstum in die Fläche, eine Verkehrszunahme und eine immer intensivere Nutzung des Lebensraums einher. Zudem gibt es immer mehr grenzüberschreitende Nutzungsansprüche an diesen Raum, wie zum Beispiel die Freizeitgestaltung. Der grenzübergreifende Lebensraum, den das St. Galler Rheintal und das Vorarlberger Rheintal gemeinsam bilden, besteht aus 41 Gemeinden mit gegenwärtig knapp 310.000 Einwohnern – im Vergleich dazu die Stadt Zürich, sie hat etwas mehr als 380.000 Einwohner (vgl. Obkircher et al. 2012). Zeitgleich werden Projekte gestartet und durchgeführt, welche sich der Herausforderungen der Raumentwicklung annehmen und eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit in den vielfältigen Themenbereichen forcieren. Inwiefern eine Zusammenarbeit möglich ist, hängt dabei vor allem von den Rahmenbedingungen und Planungsverständnissen in der Grenzregion ab. Derzeit ist die grenzüberschreitende Raumplanung im Untersuchungsgebiet geprägt von unterschiedlichen Strukturen und Prozessen, was eine Herausforderung für das gemeinsame Arbeiten darstellt. In diesem Zusammenhang stellt sich im Besonderen die Frage nach der Wahrnehmung der Region bzw. nach den „Bildern der Region“. Das Siedlungswachstum in die Fläche hat beiderseits des Rheins z.B. zu zwischenstädtischen Strukturen geführt, welche das Untersuchungsgebiet nur schwer greif- bzw. begreifbar machen. Dies betrifft nicht nur die Ebene der Entscheidungsträger (Top-Down-Raumbilder in den drei Betrachtungslupen transnational, national und regional), sondern auch die der Bewohnerinnen und Bewohner selber (Bottom-Up-Raumbilder mit Fokus auf die Teilregionen sowie unterschiedliche Generationen).
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Kapitel 1 führt in die Problemstellung ein. Aufbauend auf dieser Einführung werden im Anschluss die zentralen Thesen und Leitfragen der Forschungsarbeit erläutert. Kapitel 2 dient der intensiven Auseinandersetzung mit den theoretischen Leitplanken, welche dieser Arbeit zugrunde liegen. Leitbegriffe wie Raum, Grenze, Zwischenstadt und Regional Governance werden ausführlich erläutert und für die Verwendung in der Forschungsarbeit operationalisiert. Mit Kapitel 3 wird der methodische Werkzeugkasten vorgestellt. Wichtiges Merkmal der vorliegenden Forschungsarbeit ist der Mix an quantitativen und qualitativen Methoden. Ein wesentlicher methodischer Fokus der Arbeit liegt in diesem Zusammenhang auf den visuellen Methoden, welchen insbesondere für die Erhebung von Raumwahrnehmungen und Bedeutungszuweisungen ein hoher Stellenwert beigemessen wird. In Kapitel 4 folgt zunächst ein Rückblick auf die historische Entwicklung des Rheintals, bevor anschließend näher auf die gegenwärtige Ausgangslage der Grenzregion Rheintal sowie der Zwischenstadt Rheintal eingegangen wird. Kapitel 5 setzt sich im Anschluss mit den Top-Down-Raumbildern der grenzüberschreitenden Zwischenstadt auseinander und will darüber hinaus Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Raumentwicklung beiderseits des Rheins ausloten. Wie bereits erwähnt, dient hierzu die Brille „Regional Governance“. Mit Vision Rheintal (V) und dem Agglomerationsprogramm Rheintal (SG, V) stehen zwei Fallbeispiele im Vordergrund der Betrachtung. Die vorwiegend phänotypischen Beschreibungen durch die Top-DownRaumbilder werden mittels einer vertiefenden Betrachtung der Bottom-UpRaumbilder des Rheintals in Kapitel 6 ergänzt. Im Zentrum dieses Ergebniskapitels stehen die Handlungs- und die Wahrnehmungsebene der Bewohnerinnen und Bewohner. Abschließend werden in Kapitel 7 die zentralen Erkenntnisse zusammengefasst und Schlussfolgerungen für eine nachhaltige Raumentwicklung in der grenzübergreifenden Zwischenstadt Rheintal gezogen. Kapitel 8: Umsetzung der Erkenntnisse in der Planungspraxis.
1. Einleitung
AUSGANGSSITUATION – Ü BERBLICK ÜBER DAS U NTERSUCHUNGSGEBIET Das Alpenrheintal ist ein in vieler Hinsicht bedeutender Raum in den Alpen. Wenn man versucht, das Alpenrheintal bzw. das Rheintal in einführenden Worten zu charakterisieren, wird oft auf die Tatsache verwiesen, dass es eben dieses Grenztal ist, durch das zwei Eisenbahnlinien und zwei Autobahnen jeweils in Nord-Süd-Ausrichtung verlaufen, parallel zueinander und auf engstem Raum, in einem Abstand von weniger als zehn Kilometern. Dies ist natürlich eine spezielle Sichtweise auf die Region und die beschriebene Ausgangslage ist zurückzuführen auf politische Planungsentscheidungen des vorigen Jahrhunderts (vgl. Obkircher 2011). Und dennoch verdeutlichen diese zwei Autobahnen und diese zwei Eisenbahnlinien die gegenwärtige Ausgangsituation in der Forschungsregion sehr treffend: Das Alpenrheintal mag nach außen zwar als eine Region erscheinen, in der Innensicht zeigt sich jedoch seine Vielfalt, die u. a. zurückzuführen ist auf die Grenzsituation und die räumlichen Strukturen. Grenzsituation Das übergeordnete Untersuchungsgebiet ist die Grenzregion Alpenrheintal, in der die Kantone Graubünden und St. Gallen (CH), das Fürstentum Liechtenstein (FL) und das Bundesland Vorarlberg (A) aneinandergrenzen. Der spezielle Fokus der Forschungsarbeit liegt auf dem Vorarlberger sowie dem St. Galler Rheintal, die Teil des nördlichen Alpenrheintals sind. Die Region Alpenrheintal ist zunächst ein sprachliches Konstrukt. Es gibt weder eine anerkannte geographische Abgrenzung noch Institutionen, die das Alpenrheintal im Gesamten wahrnehmen (vgl. Eisinger u. Kurath 2006, S. 28).
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Grenzen auf den unterschiedlichsten Hierarchiestufen sind gegenwärtig eines der Charakteristika des Alpenrheintals (vgl. Meier 2011, S. 3; vgl. Obkircher et al. 2010). Das Alpenrheintal ist schon seit frühen Zeiten durch Grenzen geprägt. Obwohl es naturräumlich eine Einheit bildet, gibt es das Alpenrheintal in vielerlei Hinsicht nicht (vgl. Meier 2011, S. 123). Die Region ist ein sehr komplexes Gefüge, so ergänzen und überlagern sich Länder-, Kantons-, Bundesländer- und Gemeindegrenzen und führen zu einem kleingekammerten Raum mit vielfältigen Eigenschaften und Herausforderungen (vgl. auch Baecker 2009b, S. 21 – „Einheit als Vielfalt“). Als Grenzregion ist es gekennzeichnet durch das Spannungsverhältnis zwischen politischen Grenzen und zugehörigen Hoheitsbereichen einerseits und funktionalen Verflechtungen und gegenseitigen Abhängigkeiten andererseits (vgl. Obkircher et al. 2010). Diese funktionalen Verflechtungen sind beispielsweise am regen Pendleraustausch ablesbar. Zwei Drittel der Grenzgängerströme in der gesamten Bodenseeregion konzentrieren sich auf das Gebiet des Alpenrheintals (vgl. Fritsche u. Studer 2007, S. 57). Besonders ausgeprägt ist die Pendlerbewegung von Vorarlberg nach Liechtenstein und in den Kanton St. Gallen, sowie zwischen Liechtenstein und St. Gallen. Ca. 8.000 Vorarlbergerinnen und Vorarlberger pendeln täglich nach Liechtenstein und weitere 7.500 in die Schweiz, wobei 90 % davon in den Kanton St. Gallen pendeln. In Richtung Vorarlberg ist die Zahl der Arbeitspendler mit ca. 100 Personen gering (vgl. Rheintalkarten 2010, S. 22; vgl. Verein Agglomeration Werdenberg-Liechtenstein 2011). Eine weitere wichtige Kenngröße zur Beschreibung der funktionalen Verflechtung ist der Anteil der Pendlerinnen und Pendler innerhalb der jeweiligen Region. Im St. Galler und im Vorarlberger Rheintal sind es insgesamt jeweils rund 40 % der Beschäftigten, die innerhalb der Region täglich zu ihrem Arbeitsplatz pendeln (vgl. Rheintalkarten 2010, S. 22). Generell beginnen die Grenzen im Rheintal demzufolge „weicher” zu werden (vgl. Meier 2011, S. 68), ein „gemeinsames Bild der Region” ist allerdings noch nicht vorhanden. Die Region ist zudem durch die großräumige Nachbarschaft zu sehr dynamischen Wirtschaftsräumen (Zürich, Stuttgart, München, Mailand; vgl. Meier 2011, S. 114) und zu stark ländlichen sowie touristischen Räumen (Appenzellerland, Graubünden, Bregenzerwald) geprägt (vgl. Broggi 2005). Das Tal ist mit Blick in die Geschichte und die Gegenwart des Weiteren aber auch wichtiger Kreuzungspunkt, sowohl des Ost-West- (Wien–Zürich) als auch des Nord-SüdVerkehrs (Süddeutschland–Mailand) (vgl. Strittmatter et al. 2002, S. 24f). Vor allem die zwei Nord-Süd verlaufenden Autobahnen A13 in der Schweiz und A14 in Vorarlberg machen das Rheintal zu einem wichtigen Durchgangstal. Die Autobahnen besitzen für den Transit einen verbindenden Charakter zwischen dem nördlichen und dem südlichen Europa. Für den Ziel- und Quellverkehr in der
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Region selber ist vor allem hinsichtlich der grenzüberschreitenden Verbindung allerdings noch Entwicklungsbedarf gegeben (vgl. Konsensorientiertes Planungsverfahren „Mobil im Rheintal – am richtigen Weg“, 2012; vgl. Meier 2011, S. 95f). Abbildung 1: Herausforderungen für eine nachhaltige Entwicklung im Rheintal
Quelle: eigene Darstellung Coy u. Obkircher 2012
Räumliche Strukturen zwischen Stadt und Land Die Siedlungsstruktur ist trotz der frühen Industrialisierung im 19. Jahrhundert bis in das 20. Jahrhundert hinein eine ländliche, denn ein Großteil der Rheintalerinnen und Rheintaler lebte weiterhin in Bauernhäusern und betrieb nebenbei Landwirtschaft. Während der letzten Jahrzehnte hat ein dynamischer Wandel stattgefunden, sowohl auf gesellschaftlicher als auch räumlicher Ebene (vgl. auch Meier 2011, S. 87). Gegenwärtig ist das Alpenrheintal eines der wichtigsten Siedlungsgebiete im Alpenbogen, dementsprechend vielfältig und intensiv sind die Raumansprüche in der Region. Mit den steigenden Bevölkerungszahlen haben sich die Siedlungsflächen auf beiden Seiten des Rheins ausgedehnt. Aus einzelnen Dörfern und Kleinstädten hat sich ein Siedlungsband entwickelt, das
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großteils zusammenhängt und über Gemeindegrenzen hinweg verbunden ist (vgl. Rheintalkarten 2010, S. 10f). Abbildung 2: Die 12 Gemeinden des St. Galler Rheintals und die 29 Gemeinden des Vorarlberger Rheintals mit knapp 310.000 Einwohnern – Fokus der Untersuchung
Quelle: Land Vorarlberg 2017
Dies trifft auf das Alpenrheintal im Allgemeinen und auf das nördliche Alpenrheintal im Speziellen zu. „Die Gemeindegrenzen mitten im geschlossenen Siedlungsgefüge sind vielfach nur an den Ortstafeln erkennbar“ (Schindegger 2006, S. 44). Der vormals ländliche Raum wird von einer urbanen und suburbanen Expansion überprägt. Es entsteht eine Zwischenstadt. Zwischenstadt ist verlandschaftete Stadt oder verstädterte Landschaft (vgl. Sieverts 2006), in jedem Fall aber ein schwer greifbarer Raumtyp. „Die Menschen leben längst in urbanen
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Verhältnissen, viele wollen dies aber nicht wahrhaben und versuchen weiterhin, ihre alte dörfliche Identität zu wahren“ (Nübel 2007, S. 73). Hierbei zeigt sich aber auch erstmals, dass das Rheintal zumindest im Alltag als eine Region gelebt wird: „Man wohnt in Dornbirn, arbeitet in Bregenz, die Kinder gehen in Rankweil zur Schule […] Ohne dass man es merkt, lebt man mindestens in fünf bis sechs Gemeinden“ (Salzmann 2007, S. 6). Dies ist zurückzuführen auf eine polyzentrische Grundstruktur (vgl. z.B. Assmann u. Zech 2006c). Während von jeher ein klares Zentrum fehlt, hat sich über Generationen ein Netz von kleineren bis mittleren regionalen Zentren mit entsprechender Aufgabenteilung herausgebildet. Wichtige Einrichtungen in den Bereichen Wirtschaft, Kultur, Bildung, Verwaltung etc. konzentrieren sich nicht auf ein Zentrum, sondern sind auf mehrere Standorte verteilt und miteinander vernetzt. Eine Polyzentrik, die somit zu grenzübergreifenden „Alltagsräumen“ führt. Und eine Polyzentrik, die sich auf den Verkehr auswirkt. Insbesondere die kurzen Fahrdistanzen bis zu einer Viertelstunde haben zugenommen, wobei der Autoanteil sich mehr als verdoppelt hat (vgl. Eisinger u. Kurath 2006, S. 31f). Des Weiteren zeigt der Wandel Auswirkungen auf die Wirtschaft. Die vormals wichtige Textilindustrie hat eine Krise durchlebt, welche allerdings zu einem Strukturwandel in Richtung Maschinenund Metallindustrie sowie zu unternehmensnahen Dienstleistungen geführt hat. Im europäischen Kontext kann das Alpenrheintal heute als bedeutender Wirtschaftsstandort angesehen werden, der sowohl international bedeutende Unternehmen wie Doppelmayr, Alpla, Leica, Hilti etc. als auch eine gute Branchenvielfalt kleinerer bis mittlerer Betriebe beherbergt. Allerdings steht die Region gegenwärtig vor neuen Herausforderungen; so tritt der Wirtschaftsstandort Alpenrheintal zunehmend in den Wettbewerb mit anderen Regionen und hier vor allem mit Metropolregionen. Diesbezüglich wird mit dem Schlagwort „War of Talents“ etwa ein Mangel an Fachkräften von vielen Seiten beklagt (vgl. Saurwein 2010; OECD 2011).
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Diese Beschreibung der Ausgangslage bedingt einen verstärkten Blick über kommunale und nationale Grenzen hinweg, weil die räumlichen Herausforderungen nicht an der Grenze halt machen. Das Landschaftsbild des kantonalen Richtplans von St. Gallen verdeutlicht diesen Aspekt. In diesem Landschaftsbild ist auf dem Gebiet des St. Galler Rheintals ein Wildkorridor eingezeichnet, der direkt in das Abschussgebiet auf der anderen Uferseite im Vorarlberger Rheintal führt (vgl. Kanton St. Gallen 2012). Mit diesem Beispiel ist die Forderung nach
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einem stärkeren Fokus auf die funktional verflochtene Region Rheintal verbunden. In der Region muss also erst ein Bewusstsein für die Nachbarn entstehen. Leben in einer funktional verflochtenen Agglomeration fordert auch eine Auseinandersetzung mit den Problemen und Herausforderungen der Nachbarn, die in diesem Verständnis Teil der eigenen Wirklichkeit werden respektive sind. Oder ist die Entwicklung schon weiter? Hat die Grenzregion diese Herausforderungen schon gelöst und kann sie als ein Modellraum für grenzübergreifende Zusammenarbeit dienen, wie zum Beispiel die Internationale Rheinregulierung mit ihrer über 120-jährigen Geschichte oder Regionalentwicklungsprojekte wie Vision Rheintal und das Agglomerationsprogramm Rheintal vermuten lassen würden? Die ersten explorativen Beobachtungen und Analysen von interkommunalen bzw. grenzüberschreitenden Raumentwicklungsprojekten im Alpenrheintal zeigen, dass die Zusammenarbeit in Fragen der räumlichen Entwicklung zwei wesentliche Konfliktlagen aufweist. Die erste Konfliktlage zeigt sich in der unterschiedlichen Steuerung der Raumplanung. Die Raumplanung in der Grenzregion ist geprägt durch unterschiedliche Strukturen und Prozesse, was eine Herausforderung für das gemeinsame Arbeiten darstellt (vgl. Obkircher et al. 2012). Die zweite Konfliktlage bezieht sich auf die vielfältigen Raumbilder (der Begriff Raumbild wird im Theoriekapitel erläutert). Einerseits ergeben sich diese aufgrund der Grenzlage, denn in den jeweiligen Teilregionen herrschen zuweilen eigene Bilder der Region vor. „Man informiert sich über Planungsprozesse und bezieht sich gegenseitig in unterschiedliche Gremien und Planungsteams ein. Dabei hat sich oft gezeigt, dass die Wahrnehmung des Tales zum Teil recht unterschiedlich ist und manchmal nur recht vage Kenntnisse von der jeweils anderen Seite bestehen“ (Vision Rheintal 2011, S. 23). Andererseits lässt sich diese zweite Konfliktlage mit den gegenwärtigen räumlichen Strukturen begründen. Diese bewegen sich zwischen Stadt und Land, sind diffus und nur schwer greifbar. Die Begriffe sind brüchig geworden, was sich in einer gewissen Unschärfe der Raumbilder auswirkt, so die These (vgl. Schöffel et al. 2010). Dadurch entstehen gleichzeitig „räumliche Unsicherheiten“, verbunden mit den Fragen, was die eigentlichen Eigenschaften dieses Raumtyps sind, wie sie zu lesen sind und inwiefern sie Identität stiften können (vgl. Camenzind u. Feddersen 2011, S. 22). Zuletzt gründet die Vielfalt an Raumbildern, gemäß einer weiteren Forschungsthese, ebenso auf den unterschiedlichen Wahrnehmungen der Region durch Entscheidungsträger und Bevölkerung (vgl. Obkircher 2007 u. Obkircher 2011). In der Frage der Raumbilder wird im Rahmen der Forschungsarbeit deswegen differenziert nach Top-Down-Raumbildern die z.B. statistisch-analytische Beschreibungen, Raumkonzepte, räumliche Leitbilder etc. widerspiegeln und den Bottom-Up-Raumbildern, die als Wahrnehmungsbilder der Bewohnerinnen und
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Bewohner verstanden werden. Ergänzend dazu wird mittels einer Medienanalyse ein „Raumbild der Medien“ erstellt. Zudem bedienen sich die Top-DownRaumbilder meist einer phänotypischen Beschreibung des Raumes, ohne genauer auf die dahinterliegende Bedeutung der Merkmale einzugehen. Mittels der Bottom-Up-Raumbilder können über einen reinen Vergleich hinaus reichend, die Top-Down-Raumbilder folglich ebenso inhaltlich aufgewertet werden. Eine Untersuchung und Gegenüberstellung der Top-Down-Raumbilder mit den BottomUp-Raumbildern im Rheintal bietet des Weiteren hinsichtlich der Frage der räumlichen Abgrenzung interessante Einblicke für künftige gemeinsame Raumentwicklungsprojekte, weil „[…] so geprüft werden könnte, inwiefern sich die drei Teilräume als solche auch in der Wahrnehmung ihrer Bewohner wiederfinden, oder ob es sich dabei in erster Linie um eine planerisch-raumanalytische Einteilung handelt“ (vgl. Meier 2011, S. 121). In diesem Kontext muss festgehalten werden, dass nur wenige Informationen darüber existieren, wie sich das „Bild der Region“ z.B. nach Teilregionen, Alter oder Akteursgruppen unterscheidet und durch welche Faktoren es beeinflusst sowie verändert wird. Hinzu kommt, dass diese Thematik bislang kaum Berücksichtigung bei politischen und raumwirksamen Entscheidungen findet. Um künftig auf eine grenzübergreifende Raumentwicklung bauen zu können, werden ein gemeinsames Bild der Region und die Kenntnis über Planungs- und Prozessverständnisse als wichtige Voraussetzungen erachtet.
F ORSCHUNGSFRAGEN
UND
Z IELSETZUNG
Aus den beiden Konfliktlagen, der grenzübergreifenden Steuerung der Raumplanung und dem vielfältigen Bild der Region, lässt sich folgende zentrale Forschungsfrage ableiten: Gibt es das Alpenrheintal, und wenn ja wie viele? (in Anlehnung an den Philosophen und Publizisten Precht, 2007) Übergeordnetes Ziel ist, die beschriebenen Konfliktlagen mit Inhalten zu füllen, das Verständnis für das „Bild der Region“ sowie die Steuerung der Raumentwicklung zu schärfen und schlussendlich in eine gemeinsame Betrachtung zu bringen. Im Sichtbar machen der vielfältigen Handlungs- und Bedeutungszuweisungen und Bilder der Region liegt die Basis zu einem gemeinsamen Bild. Diese Arbeit will folglich die grenzüberschreitenden sowie räumlichen Wahrnehmungen von politischen Entscheidungsträgern, Planern und Bewohnern analysieren und gegenüberstellen. Mit anderen Worten schließt die gemeinsame Betrachtung die horizontale Betrachtungsebene zwischen dem Vorarlberger und dem St. Galler Rheintal sowie die vertikale Betrachtungsebene zwischen den Entscheidungsträgerinnen
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bzw. Entscheidungsträgern und der Bevölkerung mit ein. „Denn wenn sich ein nachhaltiger Impuls entwickeln soll, kann die Verantwortung für die Region nicht nur von der Politik und von Experten getragen werden“ (Obkircher 2011, S. 7). Ziel ist, ein Bewusstsein für regionale Differenzierungen von Entwicklungspotenzialen und -problemen hinsichtlich grenzüberschreitender nachhaltiger Entwicklung zu schaffen. Hierbei stellen gerade gemeinsame Sichtweisen und Bilder des Rheintals einen entscheidenden Beitrag zu konkreten grenzüberschreitenden Raumentwicklungskonzepten und Umsetzungsprojekten dar (vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung 2011, S. 78). Der regionale Wille für diesen Schritt scheint jedenfalls bereits vorhanden zu sein. „Bei all den Unterschieden und Gemeinsamkeiten, die beiderseits des Rheins erkennbar sind, kristallisiert sich letztlich ein zentraler Aspekt heraus: Das Rheintal ist bereits ein gemeinsamer Lebensraum, den es zusammen zu entwickeln gilt. Und auf beiden Seiten des Rheins herrscht Einigkeit“ (vgl. Rheintalkarten 2010, S. 5). Man will in Zukunft verstärkt nach gemeinsamen Lösungen suchen – über Gemeinde-, Landes-, Kantons- und Staatsgrenzen hinweg (vgl. Obkircher et al. 2012). Des Weiteren wird ein möglicher Zusammenhang bzw. eine Wechselwirkung zwischen den Raumbildern und der Steuerung der Raumplanung untersucht. Ein wesentlicher Ansatzpunkt der Forschung liegt hierbei in der kontextualen Dimension von Regional Governance und ihrer Bedeutung für die grenzübergreifende Raumentwicklung. Mit dem Projekt soll ein Beitrag zum besseren Verständnis des Raumtyps der „grenzübergreifenden Zwischenstadt“ geleistet werden, in dem Entwicklungsprozesse, Steuerungsansätze und Raumbilder in ihrer Wechselwirkung zueinander betrachtet werden und so ein Blick auf das gesamte und vor allem grenzübergreifende Rheintal entsteht. Im Modellvorhaben der Raumordnung des deutschen Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung wird im Zusammenhang mit Grenzregionen beispielsweise eine schlüssige Begriffsklärung gefordert, welche für die erfolgreiche Etablierung des Raumtyps „grenzübergreifende Verflechtungsräume“ im Kontext von Raumentwicklungskonzepten steht. „Davon hängen Resonanz und Akzeptanz im raumordnungspolitischen Diskurs sowie die Wahrnehmung grenzüberschreitender Verflechtungsräume […] ab“ (Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung 2011, S. 55). Durch die Auseinandersetzung mit der grenzübergreifenden Zwischenstadt Rheintal als eigenständigem Raumtyp sollen des Weiteren Inhalte und Schwerpunkte für einen Lernprozess in Richtung nachhaltiger Raumentwicklung definiert werden, im Sinne einer Nachhaltigkeit, die sich ebenso auf Prozesse der räumlichen Entwicklung und der (sozial-)räumlichen Bezüge der Bewohnerinnen und Bewoh-
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ner bezieht (vgl. Eisinger 2004, S. 100f). Die Herausforderung liegt insbesondere darin, diese Einblicke in die grenzübergreifende Zwischenstadt konstruktiv für die Raumentwicklung im Rheintal nutzbar zu machen. Außer Frage steht, dass räumliche Planung auf Informationen angewiesen ist, die „[…] Wirklichkeiten beinhalten, um angemessene zukünftige Möglichkeiten zu erschliessen und kreativ zu verwirklichen“ (Breckner 2006, S. 440). Die Ergebnisse sollen einen Beitrag zu einer Perspektiverweiterung leisten und eine weiterführende Diskussion über das Verständnis des Rheintals anregen. Abbildung 3: Zentrale Betrachtungsebenen der Forschungsarbeit
Quelle: eigene Darstellung 2013
Der Anspruch einer zukunftsfähigen und nachhaltigen Raumentwicklung macht es notwendig eine verstärkt integrative Sichtweise anzustreben. Integrativ bedeutet hierbei, alle betroffenen Akteure zu berücksichtigen. Gerade in einer zunehmend globalisierten Welt müssen letztlich die Bewohnerinnen und Bewohner ihre eigene regionale Verantwortung für ihre Lebenswelt wahrhaben. Unter diesem Gesichtspunkt verfolgt die vorliegende Arbeit zum einen das Ziel den gegenseitigen Wissenstransfer und die Bewusstseinsbildung bei den Akteuren der Entscheidungsebene und den Bewohnerinnen und Bewohner zu unterstützen. Dieser Transfer basiert auf dem Abgleich und der Gegenüberstellung der vielfältigen Raumbilder, der Aufarbeitung von Raumentwicklungsprozessen in der Untersuchungsregion und dem Aufzeigen relevanter Zusammenhänge zwischen beiden Aspekten. Dies erscheint deshalb von Bedeutung, weil die Entwicklungspotentiale, -interessen und -blockaden in der Grenzregion aus einem anderen Blickwinkel gelesen werden können. Dadurch soll ein integrativer Entscheidungsfin-
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dungsprozess ermöglicht werden. Zum anderen soll gerade die Auseinandersetzung mit den Bottom-Up-Raumbildern eine „qualitativ-inhaltliche“ Aufwertung der bislang phänotypisch-deskriptiven Top-Down-Raumbilder ermöglichen. Je mehr wir verstehen, wie Bewohnerinnen und Bewohner ihren Lebensraum sehen und begreifen und was sie wertschätzen, desto mehr können Planung und Verwaltungshandeln darauf eingehen. Analyse der Raumplanungsstrukturen und -prozesse in der Grenzregion Um die Entstehung und den Inhalt der Top-Down-Raumbilder verstehen zu können, braucht es zuerst Kenntnisse über die Raumplanungssysteme in der Grenzregion. Im Kontext des Paradigmenwechsels von der Raumplanung hin zur Raumentwicklung sind diese zunehmend von regionalen Steuerungsstrukturen, -prozessen sowie ihrer kontextualen Dimension geprägt und weniger von dogmatischen Masterplänen. Ziel dieser Analyse ist deshalb die jeweiligen Rahmenbedingungen, Prozessverständnisse bzw. Planungskulturen und Entscheidungsabläufe in der Grenzregion in eine gemeinsame Betrachtung zu bringen und dadurch Grundlagen für eine nachhaltige Raumentwicklung zu schaffen. Erkenntnisleitende Hypothesen und Leitfragen Raumentwicklung: • Die unterschiedlichen Planungsstrukturen bzw. Rahmenbedingungen sowie
Prozessverständnisse in der Grenzregion sind hemmende Faktoren für eine gemeinsame Raumentwicklung. Wichtige Voraussetzung für die nachhaltige Entwicklung von Grenzregionen ist ein gemeinsames Verständnis über die Strukturen und Prozesse der Raumentwicklung. • Raumbilder haben im Sinne der kontextualen Dimension von Regional Governance einen erheblichen Einfluss auf die grenzüberschreitende Raumentwicklung. • Gemeinsame Raumentwicklungsprozesse unterstützen das Lernen in der Region und die Erarbeitung gemeinsamer Sichtweisen. Um eine nachhaltige Wirkung zu erzeugen braucht es aber vor allem eine Institutionalisierung der Zusammenarbeit.
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Leitfragen: • Wie funktionieren regionale Governance-Prozesse in der grenzüberschreiten-
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den Raumentwicklung im Rheintal? Was sind die wesentlichen Charakteristika und Verständnisse? Was sind die politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen für das Gelingen von Regional Governance-Prozessen in der Grenzregion? Wie entstehen die Top-Down-Raumbilder und welchen Stellenwert haben sie? Welche Akteure werden berücksichtigt und was für Beteiligungs- und Mitwirkungsansätze werden in den Raumentwicklungsprojekten verfolgt? Wie beeinflussen Raumbilder die regionalen Governance-Prozesse? Was sind Konfliktlagen? Wie hat sich die Grenzregion Alpenrheintal als Handlungsebene bewährt? Welche Kultur der Zusammenarbeit zeigt sich in der Region? Wie funktioniert der Austausch in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit? Welche Formen institutionalisierter bzw. informeller grenzüberschreitender Kooperationen gibt es im Rheintal und wie haben sie sich etabliert? Welchen Grad der Formalisierung und Institutionalisierung braucht eine funktionierende grenzüberschreitende Zusammenarbeit?
Die Beantwortung der Fragen hat deshalb Relevanz, weil die grenzüberschreitende Raumentwicklung dadurch so gestaltet werden kann, dass in der Region ein Verständnis für die vielfältigen Zugänge und Wahrnehmungen entwickelt wird und darauf aufbauend die Interessen und Ansprüche der Region ganzheitlich betrachtet werden können. Analyse der Top-Down-Raumbilder in der grenzübergreifenden Zwischenstadt Rheintal Ein zweites Ziel der Arbeit ist, einen differenzierten Blick auf die Top-DownRaumbilder in der zwischenstädtischen Grenzregion bzw. grenzübergreifenden Zwischenstadt zu werfen. Dazu wird die Untersuchungsregion Rheintal zunächst anhand von raumrelevanten und soziodemographischen Grundlagendaten mit Fokus auf die beiden Aspekte „Zwischenstadt“ und „Grenzregion“ analysiert. Zur Unterstützung werden Statistiken, Luftbilder und Kartenwerke aus der Region herangezogen. Aufbauend auf der Analyse der Raumplanungsstrukturen und prozesse werden in einem nächsten Schritt die Raumkonzepte, räumlichen Leitbilder etc. mit Bezug zur Region herangezogen, um das von oben gesteuerte Raumbild der grenzübergreifenden Zwischenstadt Rheintal sichtbar zu machen.
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Hierbei geht es sowohl um phänotypische Beschreibungen als auch um die Bedeutungszuweisungen. Zu den drei zentralen Betrachtungslupen zählen die nationalen Top-Down-Raumbilder (ÖREK 2011 und Raumkonzept Schweiz), die transnationalen Top-Down-Raumbilder der Bodenseeregion (DACH+) und die regionalen Top-Down-Raumbilder für das Vorarlberger Rheintal (Vision Rheintal) bzw. das St. Galler Rheintal (Agglomerationsprogramm Rheintal). Um diesen Blick auf die Raumbilder zu ergänzen und offene Fragen zu klären, werden zudem Entscheidungsträger aus der Raumplanung und der Politik befragt, was schlussendlich auch eine wichtige Schnittstelle zu den Bottom-Up-Raumbilder darstellt. Abbildung 4: Räumliche Betrachtungslupen
Quelle: eigene Darstellung 2013
Analyse der Bottom-Up-Raumbilder in der grenzübergreifenden Zwischenstadt Rheintal Welche Bottom-Up-Raumbilder gibt es in der Region und wie konstituieren sich diese? Die Herausarbeitung der wahrgenommenen Bilder der grenzübergreifenden Zwischenstadt erfolgt über zwei Zugänge (vgl. auch Schöffel et al. 2010): einmal über Orientierungsmarken im Raum und die Frage, welche Merkmale und Eigenschaften für die Bewohnerinnen und Bewohner das Untersuchungsgebiet Rheintal auszeichnen bzw. prägend für sie sind und zum anderen über die individuellen Bedeutungszuweisungen mit den Fragen, welchen sozialen Sinn Merkmale und Eigenschaften im alltäglichen Leben der Bewohner haben und
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wie sie gedeutet werden: Wie nehmen die Bewohnerinnen und Bewohner die Region wahr? Was für Wahrnehmungsbilder zeigen sich und welche Bedeutungszuweisungen erfahren diese? Wie unterscheiden sich diese Wahrnehmungsbilder nach Generationen und Teilregionen? Kurz: Was ist das Bild der Region? Unterschiedliche räumliche Orientierungen und Wahrnehmungen sind vor allem in Grenzregionen von großer Bedeutung und bestimmen wesentlich die Umsetzungschancen nachhaltiger Regionalentwicklung (vgl. Grunwald u. Kopfmüller 2006; vgl. Keiner 2005; vgl. Brand 2000). Ziel ist es, die BottomUp-Raumbilder nach funktionalen, physisch-materiellen und symbolischen Merkmalen zu beschreiben (siehe Raumtriade). Die Bottom-Up-Raumbilder stehen in Verbindung mit der Frage der räumlichen Identifikation (vgl. Ipsen 1993). Im Verständnis der vorliegenden Arbeit sind Raumbilder die Brillen, mit denen diese Identifikation mit dem Raum gelesen werden können, weshalb anhand einer vertiefenden Analyse der Bottom-UpRaumbilder Rückschlüsse auf die regionalen Identitäten im Rheintal möglich werden. Warum ist das relevant für die vorliegende Fragestellung? Im Zusammenhang mit den Raumentwicklungsprozessen im Rheintal wird immer wieder der Stellenwert von regionalen Identitäten betont. Zum einen als Zielvorgabe eine solche zu stärken und zum anderen als ein wesentlicher Katalysator für die Handlungsfähigkeit der (Grenz-)Region (vgl. Obkircher 2011). „Einerseits gilt es, vorhandene Raumbilder und Identitäten sensibel aufzunehmen und produktiv zu nutzen, andererseits ist die Weiterentwicklung vorhandener und gegebenenfalls die Herausbildung neuer Raumbilder zu fördern und neue regionale Identitäten sind zu unterstützen“ (Hoffmann-Bohner u. Mettler 2008, S. 79). In diesem Zusammenhang fehlen zunächst jedoch detaillierte Kenntnisse über die Entstehung und Konstituierung von Raumbildern im Rheintal, speziell mit Blick auf die Grenzsituation und die Zwischenstadt, wodurch eine Berücksichtigung in der Raumentwicklung im Untersuchungsgebiet bislang nicht möglich ist. Um den Bottom-Up-Raumbildern des Rheintals eine Vergleichsebene geben zu können, werden die Ergebnisse den Bottom-Up-Raumbildern der S5-Stadt gegenübergestellt. Die S5–Stadt, Teil des Großraums Zürich, wurde im Rahmen eines interdisziplinären Forschungsprojektes erforscht. Ziel war es, identifikatorische Merkmale eines zwischenstädtischen Agglomerationsraumes herauszuarbeiten und mögliche Qualifizierungspotenziale für diesen Raumtyp aufzuzeigen (vgl. Schöffel et al. 2010).
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Erkenntnisleitende Hypothesen und Leitfragen Top-Down- und Bottom-UpRaumbilder: • Die Untersuchungsregion ist eine grenzüberschreitende Zwischenstadt. Grenze
und räumliche Struktur der Zwischenstadt sind jedoch ein hindernder Faktor für eine nachhaltige Raumentwicklung, weil sich sowohl durch die Unschärfen der Zwischenstadt als auch aufgrund der grenzbedingten Gegensätzlichkeiten, weder ein gemeinsames, einheitliches Bild noch eine klare Entwicklungsvorstellung im Rheintal etablieren konnte. • Ein wesentlicher Unterschied besteht dabei zwischen der von oben bestimmten Perspektive der Planung (Top-Down-Raumbilder) und der von unten wahrgenommenen Perspektive der Bewohnerinnen und Bewohner (Bottom-UpRaumbilder) sowie zwischen den Top-Down-Raumbildern beiderseits des Rheins. Ein weiterer Unterschied ergibt sich mit Blick auf die Maßstabsebenen national und transnational. • Im Bottom-Up-Raumbild der Bewohnerinnen und Bewohner zeigen sich markante Unterschiede mit Blick auf Alter und Teilregionen. • Diese Teilregionen decken sich wiederum nicht mit den projektspezifischen Gebietsabgrenzungen, denn der funktionale und wahrgenommene Raum der Menschen ist größer als der politisch-planerische Handlungsraum. Leitfragen grenzüberschreitende Zwischenstadt: • Was sind die wesentlichen Merkmale der Region Rheintal? • Was sind die raumstrukturellen Kennzeichen und Merkmale der Untersu-
chungsregion aus Top-Down-Sicht? Inwiefern wird eine Verbindung zur Grenzregion und zur Zwischenstadt hergestellt? • Wie wird die Untersuchungsregion Rheintal in der regionalen und in der nationalen Raumordnungspolitik sowie auf der Handlungsebene des europäischen Verflechtungsraums Bodensee beschrieben? • Wie nehmen die Bewohnerinnen und Bewohner die grenzübergreifende Zwischenstadt Rheintal wahr? Was sind die Merkmale und Besonderheiten? Wie beeinflussen die gebaute Umwelt bzw. Siedlungsstrukturen oder das soziale Umfeld diese Wahrnehmung? • Wo zeigen sich relevante Unterschiede zwischen der Top-Down- und der Bottom-Up-Sicht?
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Leitfragen Grenzen und Generationen: • Wie wirken sich Herkunftsregion und Alter auf die Bottom-Up-Raumbilder im
Speziellen aus? • Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten zeigen sich nach Teilregionen
und Generationen? Welche Stereotype liegen der Wahrnehmung zugrunde bzw. prägen diese? • Haben die Bewohnerinnen und Bewohner eine gemeinsames Raumbild bzw. eine gemeinsame regionale Identität für die Grenzregion Alpenrheintal entwickelt? Die Top-Down-Raumbilder und Bottom-Up-Raumbilder werden für das gesamte Alpenrheintal im Allgemeinen und für das nördliche Alpenrheintal im Speziellen erhoben. Um die Frage nach den Regional Governance-Prozessen in ihrer Komplexität entsprechend betrachten zu können, konzentriert sich die Forschungsarbeit hier auf zwei ausgewählte Beispiele im nördlichen Alpenrheintal, die zugleich aber die wesentlichen im Zusammenhang mit der Raumentwicklung in dieser Region sind. Zum Untersuchungsfeld gehört zum einen der Regionalentwicklungsprozess Vision Rheintal mit den 29 Gemeinden im Vorarlberger Rheintal. Zum anderen wird im Zuge der Untersuchung das Agglomerationsprogramm Rheintal als eine grenzüberschreitende Initiative, die das Gebiet von Vision Rheintal plus die 12 Gemeinden des St. Galler Rheintales umfasst, genauer betrachtet.
E INORDNUNG DER F ORSCHUNGSERGEBNISSE Insgesamt nehmen die Forschungsergebnisse sowohl auf die Thematik der Grenzregion Alpenrheintal als auch auf die Thematik der Zwischenstadt Alpenrheintal Bezug. Mit den erarbeiteten Forschungsergebnissen werden unterstützende Aspekte zur Weiterentwicklung des Wirtschafts-, Natur- und Lebensstandorts Alpenrheintal herausgearbeitet. Dadurch soll zum einen ein Beitrag zur künftigen Positionierung der Region im europäischen Kontext geleistet werden. Zum anderen steht ein Beitrag zur Stärkung nach innen im Mittelpunkt des Interesses. Die Ergebnisse und Produkte der Forschungsarbeit werden anhand dreier Leitlinien strukturiert. Leitlinie eins heißt Zwischenstadt sichtbar machen, Leitlinie zwei heißt Strukturen und Prozesse in der Grenzregion verstehen und die dritte Leitlinie heißt Räume nachhaltig entwickeln:
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Grenzübergreifende Zwischenstadt Rheintal sichtbar machen: • Grenzüberschreitende Planungsgrundlage: Im Zuge der Erarbeitung werden
die wesentlichen raumrelevanten Strukturen zur Beschreibung der Grenzregion in einer gemeinsamen Kartographie umgesetzt. Am Ende steht eine grenzüberschreitende Planungsgrundlage. • „Atlas“ Raumbilder der Region: Mit den Bottom-Up-Raumbildern vom Rheintal werden grenzüberschreitende Informationen zu den Besonderheiten und Merkmalen der Region sowie deren Bedeutungszuweisung und die räumlichen Orientierungsmuster (Freizeitorientierung, Aktionsräume etc.) herausgearbeitet. Die gewonnenen Erkenntnisse können dabei nach Generationen und Teilregionen unterschieden werden. Des Weiteren werden das eigenständige Sprachverständnis für den Raumtyp der Zwischenstadt weiterentwickelt und regionale Potentiale der Grenzregion aufgezeigt. • Bewusstseinsbildung: Unter dem Motto „Drei Lupen – eine Region“ werden die analysierten Top-Down-Raumbilder vom Rheintal gegenübergestellt und in eine gemeinsame Betrachtung gebracht (vertikal wie horizontal). • Phänotypisch-deskriptive Top-Down-Raumbilder werden mit qualitativen Wahrnehmungen der Bewohnerinnen und Bewohner aufgewertet. Strukturen und Prozesse in der grenzübergreifenden Zwischenstadt Rheintal verstehen: • Steuerungsstrukturen in der Grenzregion: Darstellung und Vergleich der ge-
setzlichen, politischen und institutionellen Rahmenbedingungen für eine grenzüberschreitende Raumentwicklung in der Region. • Prozesse in der Grenzregion: Vergleich der Prozessverständnisse, Planungskulturen mit besonderem Blick auf die Entscheidungsabläufe und auf die Mitwirkungsmöglichkeiten in der Untersuchungsregion. • Lernende Region Rheintal: Aufzeigen von Inhalten und Schwerpunkten für einen Lernprozess in Richtung nachhaltige Raumentwicklung. Rheintal nachhaltig entwickeln: • Kontextuale Dimension als entscheidender Faktor: Wechselwirkungen zwi-
schen dem „Bild der Region“ und regionalen Governance-Prozessen werden beleuchtet.
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• Zusammengefasst werden die Ergebnisse in sieben Denkanstößen für eine
nachhaltige Raumentwicklung von zwischenstädtischen Grenzregionen bzw. grenzübergreifenden Zwischenstadtregionen. Forschung ist zweifelslos kein wertfreies Feld. Umso wichtiger ist es, die gewählten theoretischen und methodischen Zugänge sowie das Forscher-Ich offen zu legen, damit die Leserinnen und Leser die Ergebnisse in dem der Forschungsarbeit zugrundeliegenden Kontext verstehen können. Dies trifft insbesondere auf Forschungen zur Wahrnehmung von Räumen und deren Identität zu, weshalb hier ein besonderes Maß an Selbstreflexivität angebracht ist. Die nachfolgenden Beobachtungen, Analyse und Interpretationen sollen sich aus diesem Grund nicht nur auf das Untersuchungsobjekt beziehen, sondern zunächst einen Einblick in das Untersuchungssubjekt, also das Forscher-Ich, gewähren (vgl. Pott 2007, S. 48). Kurz gesagt, ich möchte mich an dieser Stelle gerne vorstellen. Meine wissenschaftlichen Wurzeln liegen in der Geographie. Im Zuge der Forschungsarbeit hat sich ein Wechsel von der reinen Forscherperspektive hin zur Umsetzungsperspektive ergeben. Nach meiner Zeit als wissenschaftlicher Projektmitarbeiter am Institut für Raumentwicklung der HSR Rapperswil und am Institut für Geographie der Universität Innsbruck habe ich Mitte 2009 in der Raumplanungsabteilung des Bundeslandes Vorarlberg, Österreich, zu arbeiten angefangen, wo ich auch gegenwärtig noch tätig bin. Mein Arbeitsschwerpunkt liegt in der grenzübergreifenden Raumentwicklung, insbesondere in der Mitarbeit am Agglomerationsprogramm Rheintal. Aufgrund dieser Tätigkeit hatte ich die Chance, die unterschiedlichen „Raumplanungssprachen“, Verständnisse und Zugänge (in Vorarlberg, in St. Gallen, im Bodenseeraum sowie auf nationaler Ebene) kennenzulernen. Wie sich meine Arbeit in der Raumplanung auf den Forscheralltag auswirkt und wo Grenzen zwischen dem Forscher-Ich und dem Regionalentwickler-Ich gezogen werden können, werde ich v.a. im Kapitel zu den Werkzeugen erläutern. Wichtig festzuhalten ist, dass sich die in dieser Forschung dargestellten Interpretationen der Ergebnisse und Rückschlüsse für eine künftige Entwicklung nicht mit der Perspektive des Amtes der Vorarlberger Landesregierung decken müssen, sondern eine Forschungsperspektive darstellen. Der theoriegeleiteten Diskussion wird bei den folgenden Ausführungen ein gewichtiger Stellenwert beigemessen. Dabei geht es weniger um den Anspruch einer abschließenden theoretischen Reflexion von Raum, Regional Governance, Zwischenstadt oder Grenzregion, sondern vielmehr darum, den Leserinnen und Lesern durch eine fundierte Darstellung des theoretischen Ansatzes, nachstehende methodische und konzeptionelle Vorgehensweisen sowie Interpretationsmuster zugänglich zu machen. Des Weiteren fußt die vorliegende Forschungsarbeit
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auf weiteren empirischen Teilstudien und forschungsrelevanten Begleitprojekten des Autors: Studie „Wahrnehmungsbilder im Rheintal“ (2007), Studie „Das Alpenrheintal im Wandel“ (2011), Werkheft Rheintalkarten (2010), 3. Obergurgl Governance Symposium „Raum für Regional Governance“ (2009), Forschungsprojekt „Lebensraum S5-Stadt – Kontur eines Agglomerationsraumes“ (2009), Morgenlandfestival für eine enkeltaugliche Zukunft im Alpenrheintal (2011). Abbildung 5: Überblick zur Konzeption der Forschungsarbeit RAUMBILDER
REGIONAL GOVERNANCE
Top-Down Raumbilder Leitbilder, Konzepte
Raumentwicklung
Bottom-Up Raumbilder Wahrnehmungsbilder
Polyzentrische Zwischenstadt
Grenzraum
Mentale Landkarte Photobefragung Werkstätten Leitfadeninterviews Straßenbefragung
Quelle: eigene Darstellung 2017
Handlungs- und Entscheidungsraum
Literaturauswertung Teilnehmende Beobachtung Werkstätten Experteninterviews
2. Theorie
R AUMVERSTÄNDNIS Dieses Theoriekapitel gibt einen Überblick zu den zentralen Ansätzen und Begrifflichkeiten, welche in der vorliegenden Arbeit verwendet werden. Hierzu zählen der Raum und die Wahrnehmung von Raum sowie die für die Forschungsfrage wesentlichen Begriffe der Region und der Grenze. Zu Beginn wird jedoch die wissenschaftliche Einordnung der Arbeit diskutiert. Die Raumtriade Der Forschungsarbeit liegt zunächst eine gesellschaftszentrierte, sozial konstruierte und handlungsorientierte Raumkonzeption zu Grunde (vgl. Reutlinger u. Kessl 2008, Günzel 2007, Rolshoven 2003 oder Läpple 1991). Das Ziel ist das „Bild der Region“, also die Raumbilder der grenzübergreifenden Zwischenstadt Rheintal, nicht nur auf die physische-materielle Umwelt zu beziehen. Vielmehr soll ebenso ein Bezug zu den symbolisch-wahrgenommenen und sozialen Merkmalen der Region herausgearbeitet werden. Diese drei Sichtweisen lassen sich wiederum in ihrer gegenseitigen Wechselwirkung darstellen und beschreiben. Rolshoven (vgl. 2003) beschreibt diese Raumtriade als Interaktion des gelebten, gebauten und wahrgenommenen Raumes. Sie bezieht sich diesbezüglich u. a. auf die Arbeiten von Werlen (vgl. 2000a). Demnach wird der Raum durch die Überlagerung verschiedener Perspektiven definiert. Die Region wird nicht nur in ihrer physisch-materiellen Dimension betrachtet, sondern insbesondere auch in ihrer sozial-gelebten und symbolisch-wahrgenommenen Dimension. In anderen Worten könnte man auch sagen, der physische Raum ist der genutzte Raum. Der soziale Raum ist der produzierte Raum, der über Macht, Ideologien, Einstellungen, Regulationen oder Entwicklungskonzepte geformt wird. Dieser ist sowohl real als auch gedacht. Der mentale Raum ist ein Wahrnehmungsraum
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(vgl. Streich 2005). Mit diesem erweiterten Raumverständnis (vgl. Schöffel et al. 2010; vgl. auch Ipsen 1994) können die Bewohnerinnen und Bewohner in ihren alltäglichen Regionalisierungen (vgl. Werlen u. Reutlinger 2005, S. 56) und Identitätskonstruktionen umfassender verstanden werden. Die handelnden Subjekte rücken in den Fokus der Betrachtung. Abbildung 6: Raumtriade grenzübergreifende Zwischenstadt Rheintal
Quelle: eigene Darstellung 2017
Die drei Perspektiven auf das Rheintal umgelegt: Die Grenzregion Rheintal mit ihren 12 St. Galler Rheintalgemeinden und ihren 29 Vorarlberger Rheintalgemeinden kann im Rahmen des Agglomerationsprogrammes Rheintal als eine administrative Gebietseinheit betrachtet werden, die eine wesentliche Abgrenzung für die Untersuchungen im Rahmen der Forschungsarbeit darstellt. Des Weiteren ist die Zwischenstadt Rheintal und die Grenzregion Rheintal eine alltägliche, gelebte Größe mit Pendlerverflechtungen oder gemeinsamen Raumplanungsprojekten. In einem dritten Blickwinkel ist das Rheintal ebenso ein mentaler Raum. Dieser konstituiert sich über die Wahrnehmung der Bewohnerinnen und Bewohner dieses Untersuchungsgebiets (vgl. Schöffel et al. 2010, S. 53). Dieses Raumverständnis ist in weiterer Folge ebenso Grundlage für die Analyse von Regional Governance-Prozessen, wobei die Begrifflichkeiten dieses Handlungs- und Entscheidungsraumes im Vergleich zu der Raumtriade der grenzübergreifenden Zwischenstadt Rheintal etwas andere sind, inhaltlich aber daran anknüpfen können. Die Raumtriade wird hierbei als strukturelle Dimensi-
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on (politisch-administrative Region, Rahmenbedingungen, Verwaltung etc.), prozessuale Dimension (Wirkungsgefüge, Aktionsräume, Planungsverständnisse, Funktionen etc.) und kontextuale Dimension (lokale Kultur, Identität etc.) verstanden (vgl. hierzu auch Bauer-Wolf et al. 2008). Auch im Zusammenhang mit Regional Governance stehen diese drei Dimensionen des Raumverständnisses in Wechselwirkung zueinander. Im Theoriekapitel zu Regional Governance wird dieser Blickwinkel noch differenzierter erläutert. Abbildung 7: Raumtriade Regional Governance
Quelle: eigene Darstellung 2017
Wahrnehmung von Raum „Die Ursachen und erwarteten Wirkungen einer Handlung liegen nicht in der realen Welt, sondern müssen im mentalen Abbild der Welt im Bewusstsein der Akteure lokalisiert werden“ (Scharpf 2000, S. 110). Das Affordanz-Konzept, auch Wahrnehmungskonzept genannt, nach Gibson (vgl. 1969), beruht auf der Annahme, dass jeder Gegenstand einen bestimmten, auferlegten Angebotscharakter hat, die Nutzungs- und Verhaltensweisen ermöglichen oder hemmen (vgl. Fröhlich 2007, S. 42). Dieser entsteht durch vorangegangene Erfahrungen und unterliegt somit einem Lernprozess. „All perception has an element of inference which is wholly dependent on previous experience” (Gibson 1969, S. 21). Weitet man dieses Wahrnehmungskonzept auf nicht materielle Sachverhalte aus, bedeutet dies, dass der Akteur von sozialen Gegebenheiten geprägt wird und sich diese Prägung auf seine Wahrnehmung und Orientierung auswirkt (vgl. Hilfiker 1992,
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S. 195; vgl. Shamai u. Ilatov 2004, S. 474). Zudem bewirkt diese soziale Komponente eine unterschiedliche Intensität der Wahrnehmung von Raum (vgl. ebd.) und die Vielfalt der Wahrnehmung ein und desselben Raumes beruht laut Bühler und Kaspar auf der Vielfalt sozialer Identitäten (vgl. 2006, S. 94; vgl. auch Walser 2009, S. 357). Auf die sozialen, prägenden Gegebenheiten wird in der vorliegenden Arbeit unter anderem mit der Frage nach den Besonderheiten, Merkmalen und Eigenarten der Region Rheintal nachgegangen (vgl. Hahn u. Steinbusch 2004, S. 211; vgl. Obkircher 2011). In der Wahrnehmung der Umwelt werden positive, typische und idealerweise auch negative Sachverhalte registriert. Das Nebensächliche wird filtriert. Die Integration besteht darin, dass diese perlenartige Struktur der Wahrnehmung zu jenem Landschaftsbild verarbeitet wird, das dann als DIE Region gilt (vgl. Burckhardt 2006, S. 267 bzw. 307). Man kann in diesem Zusammenhang noch einen Schritt weitergehen und nach der sinnlichen Wahrnehmung der Bewohnerinnen und Bewohner fragen, also die Frage nach der Ästhetik eines Raumes stellen (vgl. Koll-Schretzenmayr 2007, S. 11; vgl. dazu auch Hauser u. Kamleithner 2006, die sich mit der Ästhetik der Agglomeration auseinandersetzen). Ästhetisches, sinnliches Raumerlebnis ist ein existentielles Bedürfnis eines Akteurs. Physisch-materielle Räume brauchen eine positive, emotionale Komponente um eine regionale Identität bewirken zu können. Der visuelle Charakter ist entscheidend, die reine Realität von Objekten reicht nicht aus (vgl. Broggi 2005, S. 296). Diese Erkenntnis bildet eine weitere Grundlage für die Auseinandersetzung mit dem Raumtyp der grenzüberschreitenden Zwischenstadt. Aus phänomenologischer Sicht betrachtet ist die erfahrene Welt ein essentieller Bestandteil der Realität, es gibt keine separate, unabhängige reale Welt (vgl. Holloway u. Hubbard 2001, S. 70f). Diesbezüglich ist eine Reduktion der Welt auf messbares und quantifizierbares suspekt. Es existiert keine Welt außerhalb der Wahrnehmung. „Der Mensch reagiert […] nicht oder zumindest nicht direkt auf die Wirklichkeit der physischen Geographie […] er reagiert nicht auf die Wirklichkeit, wie sie ist, sondern auf die Wirklichkeit wie sie ihm zu sein scheint, wie er glaubt, dass sie sei und wie er sie bewertet“ (Hard 1973, S. 188; zitiert nach Hilfiker 1992). Diese Aussage impliziert, dass Informationen der Umwelt selektiert und individuell bewertet werden (vgl. Mitzscherlich 1997, S. 44f): • Subjektivität der Wahrnehmung: unterschiedliche Menschen sehen Räume in
einer unterschiedlichen Art und Weise/Gesichtspunkte.
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• Subjektivität der Bewertung: ob z.B. frei oder beengend hängt von unter-
schiedlichen Maßstäben ab, die sich Menschen in ihrer individuellen Geschichte erworben haben. • Subjektivität der Bedeutung: man kann Heimat machen und Orte zur Heimat erklären um anderen und schlechteren Umständen zu entfliehen. Es kommt somit ebenso zu einer subjektiven aktiven Verzerrung der vermeintlich objektiven Realität. Räume sind aus dieser individuell-subjektiven Sicht keineswegs homogen (vgl. Gebhardt et al. 1992). Menschen bewerten dabei nicht aufgrund von vollständigen, genauen und objektiven Informationen der Umwelt, entscheidend ist die Wahrnehmung durch die Sinne und die Möglichkeit zur Verarbeitung im Gehirn. Das ist eine Erklärung dafür, warum Akteure Distanzen zwischen Ort A und Ort B unterschiedlich wahrnehmen. Die geometrische Distanz entspricht nicht der tatsächlichen Distanz. „Images“ sind dabei relativ stabil, verändern sich aber (vgl. Holloway u. Hubbard 2001, S. 42–45). Solche Veränderungen werden durch Lernen, zusätzliche Informationen oder Argumente bewirkt und sind in den meisten Fällen problembezogen. „So lernen auch Kinder nach und nach Raum zu erfassen. Dies hängt vor allem mit der Entwicklung der Sinnesorgane und mit der körperlichen Reichweite zusammen. Zunächst beschränkt sich der Blickwinkel auf unser Zuhause – auf unsere Gemeinde, doch spätestens mit dem Eintritt in die Schule wird die Perspektive unserer Umwelt unwiderruflich erweitert“ (Walser 2009, S. 357; vgl. auch Hart 2002). Die Idee, dass Akteure das Bild der eigenen Umwelt kontinuierlich modifizieren, um die komplexe Alltagswelt bewältigen zu können, stammt ursprünglich von Lynch (1960). Das Bild der Umwelt setzt sich in seinem Konzept aus den Komponenten Identität, Struktur und Bedeutung zusammen und dient primär der Orientierung im Raum. Er definierte in diesem Zusammenhang wesentliche Strukturmerkmale von sogenannten mentalen Landkarten: • Paths (Wege): Kanäle, durch die sich die Bewohnerin bzw. der Bewohner be• • • •
wegt. Edges (Ränder): Grenzlinie, Rand, seitliche Richtmarken. Districts (Bereiche): Bereich, zweidimensionale Gebiete. Nodes (Schnittpunkte): Brennpunkt, strategischer Punkt einer Stadt. Landmarks (Wahrzeichen): Merkzeichen, optische Bezugspunkte.
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Downs und Stea (1982) haben das Konzept von Lynch weiterentwickelt: • Das Bild von der Welt ist die Grundlage für das räumliche Verhalten. • Orte der Erinnerung sind prägend, sind Heimat. • Eine Manipulation der mentalen Landkarte erfolgt durch externe Beeinflus-
sung wie z.B. Medien, Photographien oder sozialen Druck. • Identitäten sind ein Teil der wahrgenommenen Welt, jeder Ort hat seine eigene
Identität welche eine Unterscheidung ermöglicht. Die Autoren verstehen Identität als objektives Kennzeichen. • Innere Abbildungen sind im Gehirn gespeichert. Die Art und Weise, in der räumliche Informationen strukturiert und gespeichert werden, wird Abbildungsmodus genannt. In diesem Verständnis findet die Wahrnehmungsgeographie ihren Ausgangspunkt somit im Wesentlichen auf den grundlegenden Arbeiten von Lynch (vgl. 1960) und Downs u. Stea (vgl. 1982). Akteure verhalten sich im Raum nach bestimmten Mustern. Jeder handelnde Mensch verwendet individuelle mentale Landkarten: „Sie spiegeln die Welt so wider, wie ein Mensch glaubt, dass sie ist, sie muss nicht korrekt sein“ (vgl. Downs u. Stea 1982, S. 24) und: „Die Wahrnehmung von Orten und Räumen ist ein subjektiver Prozess“ (Bühler u. Kaspar 2006, S. 91). Eine Analyse solcher mentaler Landkarten ist allerdings kritisch zu hinterfragen, weil jeder Akteur bzw. jede Akteurin eine individuelle Wahrnehmung seiner bzw. ihrer Umwelt hat (vgl. Klüter 1994, S. 154). Hierbei ist z.B. zu berücksichtigen, dass die Entscheidungsgrundlagen der Akteure von Erfahrungswerten und von der Einbeziehung ihrer individuellen Lebenssituation beeinflusst werden. Wie sich diese Landkarten dennoch als eine geeignete Methode erweisen, um das individuelle Abbild des konstruierten Raumes darzustellen (vgl. Walser 2009, S. 357; siehe dazu auch die Ausführungen von Schlögel 2003), wird im Kapitel zu den Methoden erläutert. Ebenso bestehen enge Verbindungen zwischen den Ansätzen der Wahrnehmungsgeographie und denen der Umweltpsychologie (vgl. Scheiner 2000, S. 49– 52; vgl. Stengel 1999, S. 173–186). Die Umweltpsychologie baut auf den Grundannahmen auf, dass die Umwelt als einheitliches Feld erlebt wird, die Akteure sowohl Eigenheiten, die aus der Umwelt resultieren, als auch individuell psychologische Eigenheiten haben, jede physikalische Umwelt in ein soziales System eingebettet ist, das Ausmaß des Einflusses der physikalischen Umwelt variiert, die Umwelt oft unterbewusst wirkt, die beobachtete Umwelt nicht notwendigerweise die reale Welt ist, die Umwelt kognitiv als eine Menge mentaler Vorstellungen erfasst wird und symbolische Bedeutung hat.
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Räumliche Orientierung Räumliche Orientierung ist ein weiterer Aspekt, der die Wahrnehmung von Räumen beeinflusst. Würde man die räumliche Orientierung der Menschen nur anhand von Karten abbilden, bliebe die „beliebige Aufladbarkeit“ durch individuelle Handlungszusammenhänge unberücksichtigt. Karten suggerieren, dass ausschließlich die dargestellte räumliche Information von Relevanz und absolut ist, was einer zu verkürzten Interpretation der Ergebnisse gleichkommt (vgl. Klüter 1987, S. 86f). Ziel der Forschungsarbeit ist es, die Beweggründe für die räumliche Orientierung der untersuchten Zielgruppe zu verstehen: Wieso kommt es zu einer bestimmten Orientierung? Wie wird diese beeinflusst? „Raum und Orientierung werden meist parallel gedacht: Räume, in denen man sich nicht orientieren kann, sind leer, dunkel undefinierbar“ (Klüter 1987, S. 86). Die Orientierung von Akteuren im Raum kann nur bedingt zurückgeführt werden auf die Orientierung anhand vorgegebener institutionalisierter und administrativer Bezugssysteme (vgl. Priebs 1987, S. 542). Daneben gibt es ebenso das Bedürfnis, die soziale und natürliche Umwelt kennenzulernen und zu erfahren. Es ist eines der grundlegenden menschlichen Begehren. Da es zu viel Information gibt, ist der Akteur gezwungen, durch Interaktion mit der Welt für ihn wesentliche Informationen zu extrahieren bzw. selektieren. Er oder sie kann also nicht alle möglichen Optionen objektiv einbeziehen. Diese Selektion ist vom Zeitpunkt und vom Ort abhängig, dabei herrscht eine Kombination von Wissen und Unwissen vor (vgl. Scharpf 2000). „Fundamental to a behavioural perspective is the idea that people’s knowledge of their surroundings is perceived through the senses and mediated by processes of the human mind“ (Holloway u. Hubbard 2001, S. 42). Die räumlichen Orientierungen in der Region Rheintal zeigen, wie später noch ausführlich erläutert, eindeutig die Merkmale einer selektiven Wahrnehmung der Umwelt. Nachbargemeinden ohne besonderen sozialen Bezug beispielsweise sind in der Wahrnehmung vermeintlich weiter entfernt als etwa Freizeitorte mit besonderer Bedeutung, aber geographisch weiterer Entfernung (vgl. Mayr 1997, S. 36). Raumbilder In der Beschreibung von Einflussfaktoren auf die Raumwahrnehmung wurde bereits auf die Raumbilder verwiesen. Was ist aber unter Raumbildern konkret zu verstehen? Welche Bedeutung haben sie für die Wahrnehmung von Räumen? Auf diese Fragen sollen in diesem Abschnitt Antworten gegeben werden. Die Ausführungen beziehen sich dabei im Wesentlichen auf Ipsen.
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Ipsen (vgl. 1997) bezeichnet Raumbilder als Dinge und Sachkonstellationen, die für Menschen sowohl Orientierungsfunktion haben als auch Bedeutungsträger sind. Kurz gesagt beschreiben Raumbilder die unterschiedlichen Bedeutungszuweisungen, die Menschen dem Raum aus ihrer individuellen sozialkulturellen Perspektive heraus mitgeben (vgl. dazu auch Schöffel et al. 2010 oder Bubenhofer 2010, S. 16). In dieser Orientierungsfunktion und in den Bedeutungszuweisungen liegt ein zentraler Schlüssel für die Frage nach räumlicher Identifikation. Mit anderen Worten ausgedrückt: Raumbilder sind die Brille mit der regionale Identitäten gelesen werden können.Menschen verpacken den Raum in allen seinen Dimensionen in Bilder, die sie interpretieren und bewerten können. Im Vordergrund stehen qualitative Aussagen „über die Charakteristika eines Raumes […] und nicht bildliche Vorstellungen“ (Fröhlich 2007, S. 49). Mit diesen Raumbildern wird es den Menschen erst möglich sich durch den Raum zu bewegen (vgl. hierzu auch Downs u. Stea 1982; vgl. Ipsen 1997, S. 7). Raumbilder entwickeln und erweitern sich mit dem Menschen, wobei neue Bilder auf alten Bildern aufbauen, und zeigen das Verhältnis zwischen dem Wahrnehmenden und seinem Raum (vgl. Ipsen 1997, S. 7; vgl. dazu auch Hahn u. Steinbusch 2004, S. 211). Die Bedeutung von Raumbildern entsteht in Anlehnung an Hahn und Steinbusch durch den alltäglichen Gebrauch und steht folglich in einer Wechselwirkung mit der Biographie der jeweiligen Akteure (vgl. Hahn u. Steinbusch 2006, S. 83f; vgl. auch Fröhlich 2007, S. 88f und Richner 2007). Folgende Eigenschaften können Raumbildern zugewiesen werden (vgl. Ipsen 1997, S. 12– 33): • Die Kraft der Raumbilder hängt von der symbolischen Wirkung und der loka-
len Geschichte eines Ortes ab. • Nicht nur einzelne Gebäude sondern auch komplexe materielle Ensembles
(z.B. die Altstadt) oder die soziale Dimension von Orten dienen als Bezugspunkt. • Je nach Verhaltens- und Lebensstil konstruieren die Menschen ihre Raumbilder unterschiedlich (vgl. dazu auch Pott 2007, S. 38). • Raumbilder belegen Räume und fördern oder behindern so mögliche Entwicklungen. Räume haben ein Gedächtnis (vgl. Kube et al. 2006, S. 146; vgl. dazu auch Pott 2007, S. 35). Manche Räume sind dabei stärker durch bestimmte historische Rahmenbedingen belegt als andere. „Die Analyse von Raumbildern ist die Deutung des sozialen Sinns bestimmter Bilder und die Suche nach der Kultur eines Raumes. […] In diesem Sinn ist Kultur das integrative Element, das eine Situation zu einem Bedeutungsganzen wer-
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den läßt“ (Ipsen 1997, S. 8). Wichtig ist dabei zu berücksichtigen, dass diese Analyse nur für eine bestimmte Zeit, einen bestimmten Raum und eine bestimmte Gesellschaft Gültigkeit besitzt. Raumbilder sind je nach Zeit und Gesellschaft unterschiedlich, haben manchmal weniger, manchmal mehr Wirkung, aber nie gar keine (vgl. Ipsen 1997, S. 11). „Im Wechsel der Bilder zeigt sich der Perspektivenreichtum der Gesellschaft. Denn dieser Perspektivenreichtum ist nicht der Natur der Sache oder der Vielfalt der Welt geschuldet, sondern der Fähigkeit der Gesellschaft, die jeweiligen Perspektiven einzunehmen und sichtbar zu machen“ schreibt Baecker in seinem Pflichtenheft „Raumplanung als Kulturentwicklung“ (2009a, S. 6). Welche Bedeutung hat eine Lokalität oder ein Ort für die Entstehung von Raumbildern? Orte sind mit Geschichten belegt, sie sind Orte der Erinnerung und haben deshalb ein Identifikationspotential. „Bedeutungsvolle Orte sind Geschichten […] uns ins Bewußtsein zu rufen, daß auch eine zerstörte und einigermaßen geschichtslos wieder aufgebaute Stadt voller Geschichte in Form von Geschichten ist. Zweifellos spielt dabei auch der Ort eine Rolle, wichtiger aber ist es, daß Geschichten selbst ins Bewußtsein gehoben werden“ (Burckhardt 2006, S. 299f). Gesichtslose Orte verlieren diese Eigenschaft, was zu einem Verlust der Identität führen kann (vgl. Bürklin u. Peterek 2006, S. 32, vgl. auch „NichtOrte“ von Augé 1994). Orte sind zudem erfahrbare und abgrenzbare Einheiten. Zuletzt sind Orte symbolisch aufgeladen. Deren Kontext verweist auf den Status der Person, die sich den Ort aneignet (vgl. Ipsen 2002). Schwierigkeiten einer eindeutigen Zuordnung ergeben sich bei Nutzungsüberlagerungen an ein und demselben Ort, wie sie im Zuge der Forschung auch im Rheintal festgestellt werden konnten. Ipsen differenziert zwischen dem „allgemeinen, besonderen“ und dem „eigenen“ Ort. Die Anzahl der besonderen und eigenen Orte lassen etwa die Komplexität der Region erkennen (vgl. Ipsen 1993, S. 12), wobei der besondere Ort der ist, „der von Einheimischen und Fremden als herausgehoben begriffen wird. Besondere Orte werden immer als historisch empfunden, sie sind mit Bedeutung aufgeladen. […] Die eigenen Orte sind dagegen die der Aneignung durch alltägliche Milieus, der Biergarten um die Ecke, die Laubenkolonie, Straßen und Märkte, ein typisches Gemisch von Läden, sichtbare Formen der Arbeit“ (Ipsen 1994, S. 238ff). Anders ausgedrückt sind die eigenen Orten mit spezifischen Lebensstilen verbunden, Orte also wie z.B. bestimmte Wohngebiete, Kneipen oder Badestrände. In allgemeinen Orten können sich hingegen alle Lebensstile zeigen und bis zu einem bestimmten Grad gelebt werden. Beispiele sind etwa Kinos, Parkplätze oder öffentliche Verkehrsmittel. Besondere Orte sind eine spezielle Ausprägung von allgemeinen Orten. „Sie sind herausgehoben durch ihre symbolische Bedeutung. In ihnen finden sich Raumbilder wieder…“
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(Ipsen 2002, S. 239), die auf die kollektive Geschichte der Region verweisen können. Ein Beispiel für das Rheintal wären etwa die ehemaligen Textilstandorte. In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff des „alltäglichen“ Ortes im Sinne des „eigenen“ Ortes verwendet, um sprachlich konsequenter an den Begriff des alltäglichen Agglomerationsmachens anknüpfen zu können (vgl. Schöffel et al. 2010, S. 62) und für die Leserinnen und Leser mögliche Verwirrungen bereits im Vorfeld auszuräumen. Besondere und allgemeine Orte bilden einen wichtigen Bestandteil für das Erhebungskonzept der vorliegenden Untersuchung. In Anlehnung an die Raumtriade müssen diese besonderen und alltäglichen Orte respektive die Merkmale des Alpenrheintals jeweils in einem interagierenden physisch-materiellen, sozialen und symbolischen Kontext gelesen werden (vgl. Schöffel et al. 2010, S. 58). Der Rhein hat als besonderer Ort beispielsweise nicht nur eine physische Komponente, er wird von den Bewohnern vielmehr auch in einem symbolischen – „Lebensader Rhein“ – und sozialen Zusammenhang – „am Sonntag Freunde treffen und am Alten Rhein grillen“ – benutzt. „Unsere Vorstellungen, was Stadt und was im Gegensatz dazu Land ist, sind heute von Johanna Spyri geprägt. Wir glauben an eine ländliche Idylle, obwohl die Alpaufzüge heute in Lastwagen stattfinden, das Heidiland eine Autobahnraststätte im Rheintal ist – bestenfalls noch ein Musical. Das einst vom Aussterben bedrohte Edelweiss ziert heute den Himmel, es ist eine CharterFluggesellschaft geworden“ (Bundesrat Moritz Leuenberger 2007 bei einem Vortrag in Basel, zitiert nach Frey 2008, S. 107). Laut Frey haben Einheimische einen vorwiegend funktionalen Zugang zur Landschaft, denn sie müssen in ihr leben und wirtschaften können. Wenn die Alpen jedoch mit dem ideologisierten Bild der „wilden Natur“ verbunden werden, dann geschähe dies in der sehnsüchtigen und mythologisch aufgeladenen Wahrnehmung von „Flachländern“ (vgl. Frey 2008, S. 106). Idylle und Wirklichkeit stehen im Widerspruch zur Realität. Hierbei muss allerdings berücksichtigt werden, dass sich Wahrnehmung und Bewertung von Räumen mit der Zeit ändern (vgl. Streich 2005, S. 297f). Die Wahrnehmung der Alpen war beispielsweise bis ins beginnende 19. Jahrhundert mit Schrecken und Fluch belegt (vgl. Ipsen 1993, S. 13; vgl. Burckhardt 2006, S. 277) und verwandelte sich dann in eine erhabene, romantische Bergwelt, die zudem als „Bollwerk der Freiheit“ erscheint (vgl. Backhaus et al. 2007, S. 34). Dieser Prozess der sich abwechselnden Auf- und Abwertung von Räumen, Regionen, Landschaften etc. hat eine große Bedeutung und führt zu einer veränderten Wahrnehmung von Räumen (vgl. Ipsen 1993, S. 13). Als Konsequenz ändern sich ferner die Rahmenbedingungen für räumliche Identifikation. Diese wird durch Raumbilder entweder erst möglich oder verändert sich mit den Raumbildern, wie das Beispiel der Alpen zeigt. Das Bedürfnis nach Identifikation kann
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umgekehrt auch einen „raumidentischen Menschen“ schaffen. Als Beispiel hierfür kann die Entwicklung im Zillertal genannt werden. Zillertaler waren bereits früh in Europa unterwegs um Produkte aus dem Tal zu verkaufen. Bald erkannten sie, dass sich mehr Geschäft machen lässt, wenn sie sich als Naturburschen mit Gamsbart am Hut und Jodelgesang präsentierten. Als der Tourismus einsetzte, waren sie aufgefordert den Gästen dieses Bild im Zillertal auch tatsächlich bieten zu können. „Die Identifizierung mit den Bildern schafft bildangepaßte Realitäten“ (Ipsen 1993, S. 14 auf Basis einer Arbeit von Jeggle o.A.). Merksatz Raumbild Unter dem Stichwort Raumbild werden die Bedeutungsdimensionen des Raumes, seiner Artefakte oder Erlebnisse verstanden. Raumbilder ergänzen auf der individuellen aber auch kollektiven Ebene die objektive Dimension der Raumgestalt um eine normative, kulturell beeinflusste Dimension. Die Wahrnehmung des Raumes eines Individuums aus seinem Daseinskontext und seinen Erfahrungen heraus prägt das Verstehen der eigenen Lebenswelt und damit das sich Orientieren und Handeln im Raum (vgl. auch Reutlinger u. Schöffel, unveröff. Projektskizze 2007).
L EITBEGRIFF „G RENZREGION “ Dieser Abschnitt widmet sich einer vertiefenden, theoriegeleiteten Auseinandersetzung mit den Begriffen „Region“ und „Grenze“. Nachstehende Fragen dienen diesbezüglich als roter Faden: Was bedeutet Region? Was sind Merkmale der neuen Regionalisierung? Welche Bedeutung haben Grenzen für die Definition von einer Region? Eine Auseinandersetzung mit diesen Fragen erscheint insofern wichtig, weil sie das „Bild der Region“ und die grenzübergreifenden Raumentwicklungsprozesse im Rheintal im Wesentlichen mitbestimmen. Die Region Der Begriff der Region gilt in der Wissenschaftstheorie oft als „offener Begriff“, da es keine eindeutige Definition gibt (vgl. Bahrenberg u. Kuhm 2000, S. 623). Es gibt zum einen folgende zwei generelle Unterteilungen von Regionen. Die erste Gruppe der Definitionen orientiert sich an einem administrativ-politischen Verständnis, die zweite Gruppe versucht Homogenitätskriterien und Komplexitäts- bzw. Verflechtungsprinzipien Rechnung zu tragen (vgl. Maier und Tödtling 1996, S. 17). Des Weiteren, wie bei Krätke zu lesen ist, lässt sich zwischen ei-
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nem alten und einem neuen Regionalismus unterscheiden (vgl. 1995, S. 219). Der alte Regionalismus tendierte dazu sich zu isolieren, während der neue Regionalismus in dieser positiven Sichtweise Interaktion und Weltoffenheit suggeriert. „The ,new regionalism’ is predicated on a link between the region and the international or European order…“ (Keating 1998, S. 90). Bei ersterem wird die Region immer noch als ein Raum einer Gesellschaft mit traditionellen und homogenen Wertvorstellungen gesehen. Regionen werden sozusagen von Regionalisten, in Anlehnung an Nationalisten geprägt und gestaltet. In deren Vorstellung stellt die Region eine natürliche Entität dar (vgl. dazu auch Becker-Marx 1999, S. 177). Ein solcher Fundamentalismus im Europa der Regionen bedingt somit die Fortsetzung des Nationalstaates auf regionaler Ebene. „Gewöhnlich wird eine Region als ein abgegrenzter Raum unterhalb der nationalen Ebene verstanden. Die Grenzen werden entweder kulturell begründet […] oder naturgeographisch [...]“ (Ivanisin 2006, S. 17; vgl. auch Blotevogel, Heinritz u. Popp 1989, S. 70). In einem Beschluss der Vorarlberger Landesregierung von 1971 wird die Region beispielsweise als ein überörtlicher Teil eines Bundeslandes verstanden (vgl. Tiefenthaler o.A.). Der Ansicht, dass eine Region bzw. Regionalisierung nur die Aufteilung einer größeren Einheit auf mehrere kleinere Einheiten ist und immer aus einer den Regionen übergeordneten Perspektive gemacht wird, ist in diesem Verständnis jedoch zu widersprechen. Regionalisierung passiert nicht in sogenannten Container-Räumen. Regionalisierung entsteht durch Handlungen und Prozesse, die an physisch-materiellen Schauplätzen stattfinden. „Je nachdem, was wir gerade tun, nehmen wir auch unterschiedliche Regionalisierungen vor“ (Werlen 2000b, S. 611; vgl. auch Werlen u. Reutlinger 2005, S. 56; vgl. auch Fröhlich 2007, S. 62–64) – oder mit anderen Worten: Regionen bilden den strukturierenden Hintergrund des Handelns und strukturieren das Handeln durch Gliederung in Regionen (vgl. Holzinger 2007). Die Frage der Regionalisierung ist also keine Frage, die rein auf Größe und Strukturierung basiert (vgl. Bahrenberg 1987, S. 156). „Physical space may condition social interactions but it does not determine them. Nor does physical space constitute the whole meaning of territory as a factor in politics“ (Keating 1998, S. 7). Regionalisierung kann in weiterer Folge als ein Phänomen beschrieben werden, welches auf verschiedenen Ebenen stattfindet (nach Ivanisin 2006, S. 37f): • Politisch-ideologische Ebene im Sinne von Widerstand und Konkurrenz gegen
Zentralismus. • Emanzipatorische Ebene als Option gegen eine einseitige Entwicklung der
Weltgesellschaft.
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• Wirtschaftlich-kulturelle Ebene mit dem Zweck der Abgrenzung durch beson-
dere Eigenschaften und Merkmale. • Psychologische Ebene.
Neben diesen Ebenen ist laut Maier und Tödtling des Weiteren die Art der Vernetzung der Gebiete eine hilfreiche Bestimmungsgröße (vgl. Maier u. Tödtling 1996, S. 15ff), weshalb die Autoren zwischen sub-, supra- und transnationalen Regionalisierungen unterscheiden. Letztere orientieren sich nicht an nationalstaatlichen Grenzen. Die gegenwärtige Aufwertung der regionalen Handlungsebene basiert laut Fürst hingegen auf vier Hintergründen (vgl. 2003, S. 441). Die Region bietet spezifische Vorteile für wirtschaftliche Aktivitäten. „Regionen erweisen sich als die entscheidenden Basiseinheiten für wirtschaftliche Entwicklungsprozesse“ (Weichhart 2000, S. 549). Der Staat zieht sich auf Kernfunktionen respektive aufgaben zurück (vgl. dazu Stiens 2000, S. 531). Lösungsansätze für die neuen Herausforderungen sind nur auf regionaler Ebene umsetzbar. Und zu guter Letzt erfolgt eine Vernetzung der Menschen über die Gemeindegrenzen hinaus. Keating (vgl. 1998, S. 178) bringt zudem die „Paradiplomacy“ mit in die Diskussion über die Region als Handlungs- und Entscheidungsebene in einem grenzübergreifenden Zusammenhang. Die Regionen unterhalten dabei Kooperationen zueinander und stehen somit in Konkurrenz zu den transnationalen Beziehungen auf Ebene der Staaten. Scherer nennt darüber hinaus zwei wesentliche Merkmale, welche die Entwicklung der regionalen Handlungsebene begleiten. Zum einen kommt es zu einer Verlagerung der Kompetenzen. Mit der Verlagerung von unten nach oben werden kommunale Aufgaben an übergeordnete interkommunale bzw. regionale Institutionen übergeben. Mit der Verlagerung von oben nach unten werden staatliche Aufgaben auf regionale Ebene übertragen (vgl. Scherer 2006, S. 76). Gegenwärtig ist aufgrund der Wirtschaftskrise in Europa wieder eine Diskussion weg vom regionalen Föderalismus hin zur Zentralisierung und somit zu mehr Staat festzustellen. Zum anderen füllt die regionale Handlungsebene eine Lücke. In den Agglomerations- und Metropolräumen findet ein Auseinanderfallen von Problemraum und Handlungsraum statt (vgl. auch Fassmann 2010; Vortrag Standortgespräche in Dornbirn). „Die Probleme machen nicht an den bestehenden politisch-administrativen Grenzen halt und es entstehen sog. ,structural holes‘, die zu Steuerungsdefiziten führen (können)“ (Scherer 2006, S. 80). Gleichzeitig entstehen Gremien, Institutionen, Zweckverbände die versuchen diese Lücken zu füllen, was laut Scherer sowohl Chance als auch Herausforderung für
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Governance-Prozesse darstellt (Scherer 2006, S. 248; siehe auch Kapitel zur Regional Governance): • Strukturelle Lücken bieten die Möglichkeit zur Selbststeuerung, weil der
Themenbereich noch nicht von anderen Institutionen besetzt ist (vgl. 2006). • Ein Problem ist die fehlende politische Legitimation. Es entstehen neue, regi-
onale Eliten bzw. sogenannte „Regionenmacher“. Obwohl diese eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz in der Region haben können und stark verwurzelt sind (Scherer 2006, S. 231), haben sie keine eigentliche Legitimation im demokratie-politischen Sinne. • Ein weiteres Problem der regionalen Handlungsebene ist, dass diese stark territorialorientiert sind und wie bisher auf politisch-administrativen Raumeinheiten aufbauen (Bsp. Agglomerationsprogramme in der Schweiz). Abbildung 8: Anpassung der Planungspraxis an die aktuelle Funktionalregion
Quelle: Weichhart 2000, eigene Darstellung 2013
Merksatz Region Regionalisierung bedeutet mehr als die Grenzziehung auf einer Karte. Regionen konstituieren sich auch aus funktionalen Beziehungen oder politischen Aktivitäten, die diesem Raum die notwendige Bedeutung geben (vgl. Keating 1998, S. 8 u. S. 79). Die Region kann diesbezüglich als ein „Sinnbereich“ für das Handeln von Menschen verstanden werden (vgl. Werlen u. Reutlinger 2005, S. 56f). Wenn man diesen Umstand dahingehend interpretiert, dass die Region praktisch erfahrbar ist, erlangt sie im Spannungsfeld der Globalisierung eine Bedeutung für das Entstehen von Identität (vgl. Ipsen 1994). Denn
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trotz Globalisierungserscheinungen und der damit verbundenen Pluralisierung der Lebensstile kommt es im Zuge der Regionalisierung zur erneuten Aufwertung des Regionalen bzw. Lokalen (vgl. Lindner 1994, vgl. Werlen 2000b; vgl. Ahrens 2010, S. 223f). Massey etwa schreibt in einem Aufsatz mit dem Titel „Keine Entlastung für das Lokale“, dass das Globale lokal an Orten geschaffen wird (vgl. Massey 2006, S. 30). Folglich muss das politische und räumliche Handeln in diesem Kontext betrachtet werden, frei nach dem Motto „Think global, act local“. Die zentrale Bedeutung von Regionalisierungen, wie sie im Kanton St. Gallen vorangetrieben werden bzw. in Vorarlberg als Maßstabsebene für unterschiedliche Projekte dienen, kann folglich nicht in der bloßen Abgrenzung als administrative Gebietskörperschaft liegen. Die Grenze Welche Eigenschaften hat eine Grenze? Leimgruber (vgl. 1994) gibt folgende Antwort: Eine Grenze ist eine Linie, die zwei Dinge materiell oder geistig voneinander trennt (vgl. auch Wigger 2010, S. 81f). „Das Jenseitige hinter der Grenze ist geliebt und gefürchtet zugleich“ (Sahr u. Wardenga 2005, S. 157). Die Grenzen von Regionen sind, anders ausgedrückt, symbolische bzw. materielle Markierungen des Randes, wobei die physische Markierung eine Form der materiellen Repräsentation symbolischer Abgrenzung ist (vgl. Werlen u. Reutlinger 2005, S. 56; vgl. Werlen 2000b, S. 621) und sich beispielsweise in einem kollektiven sozio-räumlichen Bewusstsein äußern kann (vgl. Paasi 2005, S. 15). Aber erst wenn die Grenzen sichtbar gemacht werden, zeigen sie Wirkung. „Grenzen sichern Identitäten, beschreiben Beziehungen und schaffen so gemeinsame Räume, die von anderen – oft allerdings sehr ähnlichen Räumen – getrennt sind“ (vgl. Brix 2009, S. 43). Allein die Tatsache, dass Grenzen im Sinne der Territorialität einen Einfluss auf das Wir-Gefühl und die gemeinsame Identität haben können, verdeutlicht deren Relevanz. Grenzen bringen eine Region also gewissermaßen in Form und halten das Konstrukt zusammen, bis veränderte Rahmenbedingungen, wie z.B. die Förderung grenzüberschreitender Zusammenarbeit durch INTERREG-Programme, zum Verlust ihrer Selbstverständlichkeit führen (vgl. Schneidewind 2009, S. 47). Eine mitunter ebenso feststellbare Bedeutungslosigkeit von administrativen Grenzen zeigt sich hingegen in jenen Regionen, wo die Grenzen im Nachhinein installiert worden sind. Geprägt durch eine vorangegangene, gemeinsame Sozialisation nehmen die Menschen das Gebiet immer noch als Einheit war (vgl. Holloway u. Hubbard 2001, S. 96). Bereits mit diesen ersten Sichtweisen auf die Grenzen wird die Komplexität deutlich. Im
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Folgenden werden weitere Aspekte wie die Konstruktion von Grenzen, Ende und Trennungsgrad von Grenzen und die Grenze als Raum vertiefend betrachtet. Grenzen als konstruiertes Ordnungsprinzip Grenzen sind ein wichtiger Forschungsbereich der Geographie, sowohl in der physischen wie in der Humangeographie. Die Gliederung eines Landes in Naturräume oder die Definition von kulturellen Regionen sind Beispiele dafür. Dahinter steht letztlich ein Ordnungsprinzip (vgl. Werlen 1993). Die Regionalisierung, ob physisch, ökonomisch oder sozio-kulturell bedingt, betont auf verschiedenen Maßstabsebenen das Gemeinsame vor dem Trennenden, fasst also gleichartige (räumliche) Phänomene zu übergeordneten (räumlichen) Einheiten zusammen. In der EU erfolgt die Regionalisierung beispielsweise anhand von NUTSRegionen, ein Zugang der für die statistische Vergleichbarkeit im Rahmen der Strukturfondspolitik von Bedeutung ist (vgl. Heintel u. Waack 2009, S. 116f). Die Grenze hat aber auch einen psychologischen Hintergrund, denn sie ist ein Ordnungsfaktor für das Leben des Menschen. Dieser sucht sich einen umgrenzten, definierbaren Raum, mit dem er sich identifizieren, in dem er sich heimisch fühlen kann. Der Mensch besitzt eine Bindung an einen bestimmten Raum. Daraus entsteht die Territorialität, die Verbundenheit mit einem überschaubaren Raum, in dem man sich der Verfügungsgewalt und Zuständigkeit bewusst ist (vgl. Leimgruber 1994). Wie bereits an anderer Stelle erläutert ist diese Territorialität aber nicht zwingend mit einem Containerraum gleichzusetzen. Eine Grenze ist demnach kein statisches, unveränderliches Konstrukt. Abhängig vom zeitlichen und räumlichen Maßstab der Betrachtung sind Grenzen labile Gebilde, welche trotz ihrer „semipermeablen Wahrnehmungsbarrieren der Identifikations- und Aktionsräume“ das Gefühl einer Einheit vermitteln können (vgl. Keating 1998). Aus dem Ordnungsprinzip der klassischen Geographie lassen sich im Bereich menschlichen Handelns verschiedene Arten von Grenzen ableiten (vgl. Gebhardt 1985, S. 349; vgl. Leimgruber 1994): • politische Grenzen als Zuständigkeitsbereiche von Gemeinden und Staaten; • • • •
Grenzen von Planungs- und Entwicklungsgebieten administrative Grenzen als Zuständigkeitsgebiete von Verwaltungen Kulturgrenzen als Bereiche „kultureller Eigenart“ Wirtschaftsgrenzen im Sinne von Marktgebieten soziale, psychologische bzw. kognitive Grenzen, die sich als „Grenze in den Köpfen“ der Menschen zeigen (Ego-, bekannter, erlebter Raum)
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Diese Aufzählung soll zeigen, dass Grenzen sowohl objektiv begründet als auch subjektiv definiert werden. Allen Definitionen gleich ist die Konstruktion der Grenze durch die handelnden Personen. „Grenzen sind gesellschaftliche Definitionsleistungen, das heißt: Grenzen entstehen durch die Kommunikation darüber, wo die Grenze liegt und woran sie zu erkennen ist“ (Ipsen 2002, S. 242). Oder wie schon bei Georg Simmel zu lesen war: „Die Grenze ist nicht eine räumliche Tatsache mit soziologischen Wirkungen, sondern eine soziologische Tatsache, die sich räumlich formt“ (Simmel zitiert nach Kaltarar et al. 2008, S. 34). Die Grenze wird im Simmelschen Konzept erst durch die Praktiken der Grenznachbarn aktualisiert. Grenzziehungsprozesse machen dabei Markierungsprozesse des Fremden sichtbar (vgl. Kessl u. Reutlinger 2009). Und „boundaries are not merely physical, empirical lines or zones that can be frozen on maps and atlases as naturalized entities. Instead they are social, cultural and political constructs that are made meaningful and exploited by human beings as part of the institutionalization process of territories“ (Paasi 2001, S. 22). In diesem Kontext gelten selbst die Grenzen naturräumlicher Einheiten als vom Menschen nach seinen Kriterien und Kategorien festgelegt. Gerade diese Eigenschaft der Grenze bzw. der Grenzregionen ein soziales Konstrukt zu sein, macht aber einen Vergleich schwierig, weil sich ein solcher nicht auf rein quantitative Indikatoren reduzieren lässt (vgl. Heintel u. Waack 2009, S. 117). Trennende oder doch verbindende Grenze? Die Grenze als trennendes Element zu sehen trifft dann zu, wenn man eine räumliche Differenzierung bezweckt, in der regionale Gegensätze vor Gemeinsamkeiten gestellt werden. Mitentscheidend für die trennende oder verbindende Wirkung einer Grenze ist die Art des politischen Einflusses bzw. die Art des Einflusses von Entscheidungsträgern generell (vgl. Meusburger 1975, S. 305). Die politische Wertung kann dies fördern und z.B. den Verkehr über die Trennlinie hinweg erschweren bzw. ganz verhindern (vgl. Leimgruber 1994). Bei Meusburger (vgl. 1975, S. 305f) besitzt die „trennende“ Grenze die Eigenschaft Marktnetze zu beschneiden, wirtschaftliche Verflechtungen zu zerstören und andere Aktivitäten zu hemmen. Daneben ist die Grenze aber auch ein Ort, der Potential zu grenzüberschreitenden Beziehungen hat (vgl. Strittmatter et al. 2002, S. 7), abhängig u. a. von den Infrastrukturen am und zum Grenzübergang (vgl. Bruns et al. 2009, S. 81). In Anlehnung an eine Systematisierung in trennende und verbindende Wirkungen von Grenzen lassen sich nach Meier indessen drei Grenztypen unterscheiden (Meier-Dallach o. A., S. 4–6). Zum einen gibt es sogenannte Scheidegrenzen, die für eine räumliche Trennung stehen. Die Grenze ist hierbei als
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Schutz, Abwehr oder Distanz notwendig, um die Chancen für die Entwicklung des Eigenen zu wahren und offen zu halten. Grenzüberschreitungen werden in diesem Kontext oft zu einem Abenteuer und ein sich auf der Grenze Bewegen ist in den seltensten Fällen möglich. Hierbei spielt insbesondere der Schmuggel im Untersuchungsgebiet Rheintal eine bedeutende Rolle, was v.a. bei der älteren Generation ein prägendes Element der Beziehung zwischen dem St. Galler und dem Vorarlberger Rheintal darstellt. „Der Schmuggel war ein großes Geschäft, man durfte sich aber nicht ertappen lassen“, erinnert sich etwa Frau Baldauf (81) aus Götzis. Herr Buchner (86) und Herr Küng (86) erzählen mehr vom Schmuggeln über die Grenzen des Rheintals: „Zuerst musste man schauen, dass man es über den neuen Rhein schafft, dann ist man halb auf der Grenze gewesen. Auf der Grenze waren Bäume, da konnte man sich verstecken.“ Dann gibt es die Passgrenze, welche eine räumlich verbindende Passage darstellt. Menschen unterschiedlicher Kultur oder Zugehörigkeit lernen einander durch Grenzüberschreitungen kennen. Die Grenze ist nicht länger Barriere, sondern wird als Chance erkannt um Eigenes mit Fremdem zu vergleichen. Durch Austausch kann sich jeder Bewohner und jede Bewohnerin mehr Wissen zugänglich machen, als dies durch Absetzung erfolgen kann (vgl. auch Fritsche u. Studer 2007, S. 76). Dieser Passansatz ist für geopolitisch zentralistische Reiche an den Rändern gefährlich, weil sich eine vielfältige Kultur entwickeln kann. Zuletzt nennt Meier noch die Niederschlagsgrenze, die dort entsteht „wo gerade etwas passiert“. Verkehr, Projekte, Austauschanlässe schaffen ständig neue Grenzen, die situativ je nach „Wetterlage“ verschiedene Gebiete einschließen oder ausschließen. Menschen sind dadurch ständig mit unvorhersehbaren Grenzerfahrungen konfrontiert. Beim Treffen der Bürgermeister und Gemeindepräsidentinnen und Gemeindepräsidenten des Rheintals grenzt sich die Region Rheintal mit ihren 41 Gemeinden in Moment des Treffens als Einheit nach außen ab. Wie aber schaut die Region am Folgetag aus dem Fenster der Bürgermeisterbüros betrachtet aus? Eine Sichtweise, in der die Grenze als verbindendes Element betrachtet wird, muss nach Leimgruber (vgl. 1994) folgende Punkte berücksichtigen: • Raumvorstellung: Die Verschiedenheiten zu beiden Seiten der Grenze müssen
von der Bevölkerung wahrgenommen werden. • Informationsfluss: Die Bevölkerung muss das Kontaktpotential erkennen kön-
nen. • Handlungsentscheidung: Darauf aufbauend müssen die Menschen einen positiven Entscheid zur Kontaktnahme fällen. • Operationalisierung: Sie müssen in der Lage sein, diesen Entscheid in die Tat umzusetzen (rechtliche Möglichkeiten, Verkehrsmittel).
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Damit lässt sich die Grenze unter einem verhaltens- bzw. wahrnehmungswissenschaftlichen Gesichtspunkt betrachten. Die Frage nach der Wahrnehmung und den Auswirkungen der Grenze auf die räumlichen Beziehungen rückt den Menschen in den Mittelpunkt (vgl. Leimgruber 1994). Grenzschaum oder Grenzraum? In der gegenwärtigen Globalisierung beginnen Grenzen sich aufzulösen (vgl. Sahr u. Wardenga 2005, S. 159). Sie sind aber noch nicht gänzlich verschwunden. Ortstafeln, Grenztafeln oder Bildungssprengel (vgl. Paasi 2005, S. 12; Bildung ist nach wie vor von der nationalstaatlichen Grenze beeinflusst, obwohl laut Paasi ein großes Potential zur Zusammenarbeit gegeben ist) markieren nach wie vor ein solches Ende, eine Grenze. Verkehrsschilder oder andere Rechtsordnungen mit räumlichem Geltungsbereich können hingegen nur noch selten einen Hinweis auf die Grenze geben, denn im Nachbargebiet sind es mitunter die gleichen Rechtsordnungen und Verkehrsschilder (vgl. Schneidewind 2009, S. 49). Schneidewind vergleicht die gegenwärtige Eigenschaft der Grenze deshalb mit Schaum, in Anlehnung an Peter Sloterdijk. Grenzen werden wie die Wände der Schaumblasen durch deren innere Spannung gebildet, der Rand eines Schaumes kann nicht ausgemacht werden. „Die Territorialität bezieht sich auf die Lage und die Dichte der Blasen im sozialen Schaum. Die Blasen des Schaums sind verortbar, ja sind die Orte der Gesellschaft, nicht aber deren Wände. Wo die Grenzen der Blasen sind, ist weder feststellbar noch von Interesse“ (Schneidewind 2009, S. 51). Diese Idee von Grenzen sieht Schneidewind auch im Leitbild der EU zur territorialen Kohäsion (vgl. 2009, S. 51). Ein anderer wichtiger Charakter einer Grenze ist der Grenzsaum bzw. der Grenzraum, verstanden als eine Übergangszone zwischen zwei Bereichen. Diese Grenzräume sind oft Peripherieräume (vgl. Gebhardt 1985, S. 349), welche auf verschiedene Zentren ausgerichtet sind und im nationalen Kontext oftmals übersprungen werden oder als Transitraum dienen. Grenzüberschreitende Kontakte beiderseits der Grenze etablieren sich vielmehr auf einem eher lokalen bis regionalen Niveau. Dies bringt dem Grenzraum zum einen aus wirtschaftlicher Sicht Vorteile (vgl. Saurwein 2010). Zum anderen hat dies aber insbesondere für die persönlichen Beziehungen unter den Bewohnerinnen und Bewohnern positive Effekte, denn der lokale Aktionsradius wird erweitert und die Grenze verliert ihre einschränkende Funktion. Ein entsprechendes Beispiel ist die Regio Basiliensis, die seit 1963 eine stete Zunahme grenzüberschreitender Zusammenarbeit kennt und Vorbild für weitere Kooperationsvorhaben im Raum des Ober- und Hochrheines geworden ist (vgl. Leimgruber 1994). Damit erhält der Grenzraum eine besondere Bedeutung: Er kann ein Gebiet sein, in dem sich vielfältige
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Netzwerke bilden können. Zudem verstehen Menschen, die sich auf beiden Seiten der Grenze bewegen, die Grenze nicht als Linie sondern als Raum – als gemeinsamen Raum (vgl. Schlegel 2006). Obwohl dies in den Grenzräumen durchaus ungleich bzw. einseitig geschehen kann (vgl. Seger 1994, S. 277). Die Grenze muss in diesem Verständnis also unter mehreren Blickwinkeln betrachtet werden: als Linie, als Zone, als Trennung und als Verbindung oder als Raum. Bereits Ratzel stellte fest, dass die Untersuchung von Grenzräumen anstatt von Grenzlinien zu bevorzugen sei, damit die Problematik einer Grenzregion in ihrer gesamten Komplexität erfasst werden kann (vgl. Ratzel 1892; zitiert nach Meusburger 1975).
L EITBEGRIFF „Z WISCHENSTADT “ Überblick zur Zwischenstadt Unterstützt durch den Bedeutungsgewinn des Individualverkehrs, neue technische Kommunikationsmöglichkeiten sowie dem steigenden Flächenanspruch dehnen sich die Siedlungen über ihre alten Grenzen in ihr Umland aus und kreieren neue Formen „verstädterter Landschaft“ bzw. „verlandschafteter Stadt“ (vgl. Sieverts 2000). Sie sind weder Stadt noch Land, sie besitzen Eigenschaften von beidem. Zudem verschwimmen durch dieses räumliche Zusammenwachsen und die funktionalen Verflechtungen vorhandene Siedlungsgrenzen. Es entstehen Räume, deren sozio-ökologische und physische Grenzen noch nicht klar sind oder nicht mehr klar sind (vgl. Davy 2002). Sieverts bezeichnet dieses neue Gebilde als „Zwischenstadt“, die aus Feldern unterschiedlicher Nutzungen, Bebauungsformen und Topographien besteht und sowohl städtische als auch landschaftliche Elemente beinhaltet (vgl. Sieverts 1997). Charakterisiert werden kann die Zwischenstadt zunächst durch eine relativ „diffuse, ungeordnete Struktur unterschiedlicher Stadtfelder mit einzelnen Inseln […] eine Struktur ohne eindeutige Mitte, dafür aber mit vielen mehr oder weniger stark funktional spezialisierten Bereichen, Netzen und Knoten (vgl. ebd., S. 15). Dabei ist zu erkennen, dass sich zentrale Funktionen vom Stadtzentrum in die Peripherie verlagern und in der Folge die Zwischenstadt von der einstigen Kernstadt unabhängig wird. Eine Zwischenstadt zeichnet aber vor allem eines aus: Sie besitzt keine eigene Sprache. Es fehlen bislang eigenständige Begriffe, um diesen Raumtyp beschreiben zu können. Thomas Sieverts stieß mit seinen Ausführungen zur Zwischenstadt zu Beginn nicht auf große Gegenliebe. Zwischenstadt, Agglomeration etc. stand und
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steht in Verbindung mit Zersiedelung und gilt deshalb als „böses“ Gegenstück zur „guten“, kompakten Europäischen Stadt (Sieverts im Rahmen des S5-Stadt Projekts 2008). Zwischenstadt ist Synonym für Unübersichtlichkeit, Bildlosigkeit und dysfunktionalen Wirrwarr (vgl. Koll-Schretzenmayr 2007, S. 5). „Die Peripherien der globalen Stadtregionen füllen sich mit gesichtslosen Einkaufskisten und Verkehrsstrassen“ (Bürklin u. Peterek 2006, S. 28f). Gerade die Einkaufszentren werden vielfach als neue Zentren der Zwischenstadt verkauft (vgl. KollSchretzenmayr 2007, S. 7), wobei zu beachten ist, dass die Wahrnehmung der Zwischenstadt in erster Linie aus der Autofahrerperspektive geprägt ist. Ein Aspekt dieser Gesichtslosigkeit spiegelt sich in der Identifikation mit der Zwischenstadt wider. Gerade weil Städte heutzutage fragmentiert und zersiedelt sind, orientieren sich deren Bewohnerinnen und Bewohner laut Bürklin und Peterek (vgl. 2006) weniger an einer lokalen Gemeinschaft, sondern positionieren sich anhand globaler Lifestyles. „Die Zwischenstadt hat weder in der Vorstellung ihrer Bewohner noch als Feld der Politik eine eigenständige Identität“ (Sieverts 1997, S. 23). Eine Begründung, warum dieser Zustand der gesichtslosen Zwischenstadt nicht akzeptiert werden sollte, liefern Reutlinger, Lingg und Stiehler in einem Aufsatz zu Nachbarschaften in Agglomerationsräumen (vgl. 2009, S. 38). Wie die Autoren schreiben, haben persönliche Beziehungen nach wie vor eine Relevanz für die Menschen, damit diese die Herausforderungen des Alltags bewältigen können. Gerade deswegen braucht es räumliche Rahmenbedingungen, die den Aufbau, Erhalt und die Weiterentwicklung von persönlichen Beziehungen ermöglichen und somit zur Lebensqualität beitragen. Ein anderer Aspekt findet sich in der Polyzentrik. Die polyzentrische Struktur der Zwischenstädte bewirkt eine hohe Mobilität, weil die Bewohnerinnen und Bewohner der Region hier arbeiten, dort wohnen und wiederum woanders ihre Freizeit verbringen (vgl. dazu auch Salvi 2007, S. 155). Stadtbewohner haben zum Beispiel eine engere räumliche Verknüpfung der Funktionen Wohnen und Arbeiten (vgl. Läpple u. Stohr 2010, S. 35ff). Diese Koordination des Alltagslebens über Zeit und Raum ist eine ständige Herausforderung, welche immer aufs Neue ausgeglichen werden muss (vgl. Reutlinger, Schöffel u. Lingg 2010, S. 26). Schlussendlich bleibt weniger Zeit den jeweiligen Raum wirklich kennen zu lernen (vgl. Camenzind u. Feddersen 2011, S. 23; vgl. auch Eisinger 2010, S. 6), was nicht unbedingt förderlich für die Identifikation mit dem Gebiet ist. Obwohl Vorurteile und negative Assoziationen wie etwa „Siedlungsbrei“, „Zersiedelung“ oder „gesichtslose Siedlungswüste“ häufig mit der Zwischenstadt in Verbindung gebracht werden, kann insbesonders diese dezentrale Vielfalt der Zwischenstadt, die Besonderheit und den Reiz dieses Siedlungstyps
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ausmachen (vgl. Sieverts 1997, S.65). Des Weiteren kann die enge Verzahnung von Freiraum und Siedlung eine Qualität sein, die der Siedlungstyp Zwischenstadt hervorbringen kann. Denn ein wesentlicher Vorteil von Zwischenstädten ist die Nähe zur Natur, die entweder eingebettet in die Siedlungsgebiete (noch) vorhanden ist (vgl. Rheintalkarten 2010) oder auf kurzem Wege am Siedlungsrand zur Verfügung steht (vgl. Camenzind u. Feddersen 2011, S. 23). Camenzind und Feddersen schlagen vor, diese in ihrer Entwicklung zu fördern: „Die Ausdehnung des „Agglomerationsparks“ vom Siedlungsrand in die Wohn- und Arbeitsgebiete hinein könnte eine Möglichkeit sein, dieses Ziel zu erreichen“ (Camenzind u. Feddersen 2011, S. 24) – oder statt den Verlust respektive den Mangel eines Zentrums negativ zu bewerten, sollen die Netzwerkstrukturen als Potential erkannt werden (vgl. Sieverts 1997, S. 65). Nach Sieverts ist es daher besonders wichtig, die Zusammenhänge in der Zwischenstadt so zu kommunizieren, dass Bürgerinnen und Bürger sich mit ihr identifizieren und stolz auf die Region sein können (vgl. Sieverts 1997, S. 120). Argumente gegen eine unbegrenzte, diffuse Verstädterung bringen auch Lampugnani und Noell mit in die Diskussion ein. Einmal bedeutet die Zersiedelung für sie den Ausverkauf der Landschaft und wirtschaftliche Fehlinvestitionen auf der grünen Wiese, weil etwa infrastrukturelle Folgekosten schwer abschätzbar sind. Für die Gesellschaft sehen sie die Gefahr einer „Zerstörung des Gemeinsinns“. Entscheidender Grund gegen eine weitere Ausfransung ist jedoch der demographische Wandel (vgl. Lampugnani u. Noell 2007). Überalterung und weniger Bevölkerungswachstum fordern neue Siedlungsformen ein, das (leerstehende) Einfamilienhaus an der Peripherie kann nicht die nachhaltigste Lösung sein. Um diesem Raumtyp nachträglich gestalterische Qualitäten mitzugeben, schlagen sie die Schaffung von Identifikationsorten vor, die Etablierung eines ganzheitlichen, vernetzten Entwicklungsansatzes oder die Stärkung des öffentlichen Raums, um das Zusammenleben zu fördern (vgl. Lampugnani u. Noell 2007; vgl. hierzu auch Boczek 2011). Gewisse Ergebnisse der Stadt-LandVeränderungen sind hinzunehmen und anstatt sich dagegen zu wehren, macht es mehr Sinn diese Prozesse zu gestalten. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass die Planer sich in ihrem eigenen Betätigungsfeld nicht mehr auskennen, weil die Entwicklung in den Zwischenstädten sie überholt hat und für sie als Planer unlesbar geworden ist (vgl. dazu auch Hahn u. Steinbusch 2006, S. 82). Kurz: Es besteht die Gefahr einer planerischen Blackbox (vgl. Eisinger 2010, S. 6, der diese Gefahr in den Schweizer Agglomerationen als schon gegeben sieht). Zwischenstädte sind schwer lesbar. Warum? Die Raumplanung und Raumentwicklung greift bewusst oder unbewusst auf Vorstellungen über ein bestimmtes Bild der Region zurück, sobald sie Entwicklungsvorstellungen erarbeitet oder
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auch nur eine Ausgangslage skizziert (vgl. Schöffel et al. 2010, S. 53). Die Wahrnehmung oder Beschreibung von materiellen oder sozialen Sachverhalten verharrt in einer gewohnten Form. „Es ist also letztlich das Beobachtungsschema, mit dessen Hilfe erst hervorgebracht wird, was als existent beschrieben wird“ (Pott 2007, S. 40). Über die Jahre der persönlichen Entwicklung und Sozialisierung hat man gelernt das Typische zu entdecken. Der Buchstabe A z.B. kann sich noch so verändern, wir sehen den Buchstaben immer als zwei Schenkel die sich an der Spitze treffen und von einem Querbalken zusammengehalten werden. Durch diesen Gewohnheitsblick besteht die Gefahr, andere respektive neue Sachverhalte und Gegebenheiten zu übersehen (vgl. Hahn u. Steinbusch 2006, S. 78; mit Verweis auf den Wissenschaftstheoretiker Ludwik Fleck). Auch in der Disziplin der Geographie gilt laut Lucius Burckhardt Ähnliches, das Gesehene ist mitunter ein wissenschaftliches Konstrukt: „Der Geograph ist auf der Suche nach dem „Typischen“, er schafft die Kriterien dessen, was eine Heide, ein Hochmoor oder eine Industrielandschaft sei…“ (Hard o. A.; zitiert nach Burckhardt 2006, S. 258). Raumplaner bilden diesbezüglich keine Ausnahme. Zur Beschreibung von Zwischenstädten gibt es keine einheitliche, eigene „Sprache“ – im Sinne eindeutiger Begrifflichkeiten. Die Bewohnerinnen und Bewohner bedienen sich der Merkmale und der entsprechenden Begriffe von Stadt und Land. Insofern entspricht die Sprache dem, wie die Menschen Agglomeration leben: In drei Metaphern (vgl. Schöffel et al. 2010) kann dies beschrieben werden als • janusköpfige Deutung (Kippfigur; vgl. Hahn, Steinbusch 2006, S. 80). Die
Menschen pendeln zwischen modernem Mainstream der globalen Welt und dem nahen, greifbaren Lebensraum mit seiner Intimität und seinen sozialen Beziehungen (vgl. Meier-Dallach 2009, S. 7). • Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigkeit (arkadische Harmonievorstellung, Corboz et al. 2001; vgl. auch Baecker 2009a, S. 11) oder Weder-Noch-Raum (Interview Strauss 2012, AREG). • Alltägliches-Farb-Mischen als zusammenfassendes Bild, täglich nach Opportunität neu disponieren zu können mit den Wahlmöglichkeiten zwischen Städtischem und Ländlichem, aus einer reichhaltigen Farbpalette. Zwischenstädte weisen also städtische, vorstädtische und ländliche Merkmale auf, in einem Ausdruck von Gleichzeitigkeit und Vielzeitigkeit (vgl. Reutlinger, Lingg u. Stiehler 2009, S. 35). Entscheidend ist aber die Akzeptanz der Zwischenstadt als eigenständiger Raumtyp, denn noch wird der Blick verstellt durch eine klassische Vorstellung von Stadt. Deshalb fordert Sieverts in seinen Aus-
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führungen zur Zwischenstadt, diese als neues Phänomen zu fassen, mit eigenen Begriffen und dabei die gewohnten Stadtbegriffe zurückzulassen (vgl. Sieverts 1997; vgl. Hahn u. Steinbusch 2006; vgl. Schöffel et al. 2010). Diesbezüglich „[…] bedarf es der Konstruktion von Zwischenstadt als ein eigenständiges Phänomen räumlicher Ordnung […]“, wie Hahn und Steinbusch schreiben (2006, S. 80). Man muss den Sinn des Gesehenen erkennen können, um ihn wieder zu einem Planungsgegenstand machen zu können. „Ohne begriffliche Beherrschung ist aber die planerische nicht möglich“ (Hahn u. Steinbusch 2006, S. 82). Konsequenzen für die Raumplanung und -entwicklung Die Existenz der Zwischenstadt braucht eine fachliche Auseinandersetzung, man dürfe sie nicht ignorieren, meint etwa Sieverts (vgl. 1997). Bisweilen hat die Zwischenstadt vielfältige Ausprägungen und je nach Blickwinkel, ist sie einmal mehr Landschaft, das andere Mal mehr Siedlung. Im Mittelpunkt der Befassung mit Zwischenstadt stehen meist Gestaltungs- und Funktionsdefizite. „Das unangefochtene Kennzeichen der Zwischenstadt ist der Mangel: Mangel an ,Ästhetik‘, Mangel an ,Qualität‘, Mangel an ,Nachhaltigkeit‘ […] Mangel an ,Identität‘ […] und nicht zuletzt die Planlosigkeit, mit der all dies dort draussen geschaffen wird“ (Koll-Schretzenmayr 2007, S. 7). Und wenn KollSchretzenmayr davon schreibt, dass bislang mehr kritische Fragen als Lösungsvorschläge zur Weiterentwicklung der Zwischenstadt gestellt worden sind, dann will die vorliegende Arbeit insbesondere zu letzterem Punkt einen Beitrag leisten, in dem Qualitäten der Zwischenstadt aufgezeigt werden. Planen zielt nicht mehr „[…] auf eine generalstabsmäßige Bewältigung von Wachstum, sondern darauf, Qualitäten zu erkennen und zu schützen, sie zu fördern und zu ermöglichen“ (Hahn u. Steinbusch 2004, S. 210), wobei sich diese Qualitäten immer auch auf die Wahrnehmungen und Erfahrungen der Zwischenstadt durch die Bewohnerinnen und Bewohner beziehen sollen und nicht nur auf eine Top-Down-Perspektive der Planer und Entscheidungsträger. Um diese Qualitäten also erfassen zu können, darf die Zwischenstadt nicht länger von außen betrachtet, sondern soll von innen heraus beschrieben werden. Der Frage, wie die Bewohnerinnen und Bewohner einer Zwischenstadt ihre Heimat beschreiben, welche Plätze, physisch-materielle Artefakte, Objekte oder soziale Zusammenhänge für sie zur Orientierung dienen und identitätsstiftend sind, wurde bisher kaum nachgegangen (vgl. Schöffel et al. 2010, S. 53). Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die Menschen „ihrer Region“ einen eigenständigen Ausdruck von unten zuweisen. Denn obwohl die einzelnen Gemeinden zusammenwachsen und ihre Lesbarkeit verlieren, wie das Beispiel Rheintal zeigt, kön-
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nen neue Raumbilder mit Identifikationswert entstehen (vgl. Bölling u. Christ 2006). Nur fehlt bisher sowohl das Wissen über dieses „Bottom-Up“Verständnis, als auch über die Kommunikation mit der Planung und damit die Erweiterung der vorherrschenden „Top-Down“-Perspektive (vgl. Schöffel et al. 2010, S. 53f). Die Bewohnerinnen und Bewohner einzubeziehen ist also deshalb entscheidend, weil sie in der Zwischenstadt leben und somit eine Perspektive einbringen können, die der Planer durch Analysen, Kartierungen und Bestandsaufnahmen nicht durchdringen kann (vgl. Hahn u. Steinbusch 2004, S. 210f; vgl. hierzu auch Schöffel et al. 2010). Durch die Öffnung und das Zugänglichmachen der Bedeutungszuweisungen in der grenzübergreifenden Zwischenstadt Alpenrheintal wird den Entscheidungsträgern und Planern in gewisser Weise ein Hilfsmittel mitgegeben. „Sich entscheiden, und Verantwortung übernimmt man gegenüber bewohnten und bedeutsamen Umwelten von Menschen. Eine als kluges Handeln ausgewiesene Planung ist nämlich die, deren disziplinäre Begriffslogik der Ordnung menschlicher Lebenswelten zu folgen vermag“ (vgl. Hahn u. Steinbusch 2004, S. 213). Neue Begriffselemente zur Unterstützung der Zwischenstadt Das Ladenburger Kolleg „Mitten am Rand – Zwischenstadt. Zur Qualifizierung der verstädterten Landschaft“ hat sich zwischen 2001 und 2004 mit dem Phänomen der Zwischenstadt aus unterschiedlichen Perspektiven beschäftigt. Ziel war es Zwischenstadt anhand ihrer (eigenständigen) Besonderheiten greifbar zu machen, um Ansätze für eine qualifizierte Veränderung zu entwickeln. Als ein Ergebnis der Forschung entstanden Elemente für eine neue Begrifflichkeit der Zwischenstadt – wie z.B. Ränder, Klone, blinde Flecken, temporäre Urbanität oder Hybridisierung (vgl. Sieverts et al. 2005, S. 42–48): Bei den Forschungsprojekten des Ladenburger Kollegs steht eine intuitive und kreative Beschreibung der Raumverhältnisse in der Zwischenstadt im Vordergrund. Sie verlangen weniger eine erschöpfend ausgearbeitete Systematisierung, sondern konzentrieren sich auf einzelne Besonderheiten und beweisen so den „Mut zur Lücke“. Sieverts et al. bebezeichnen die Elemente als „beschreibbare, aber nicht abschliessend definierbare Eigenschaften“ und sie seien, so die Autoren weiter, auch „räumlich nicht scharf abzugrenzen“ (2005, S. 33f). Zusammenfassend wird aber angemerkt, dass auch die neuen Begriffselemente Widersprüchlichkeiten aufwerfen, wie z.B. Multifunktionalität vs. Monofunktionalität, blinde Flecken vs. Identifikationspotentiale, Vernetzung vs. Partikularinteressen bzw. funktionale Entflechtung. Aus diesem Grund erscheint es sinnvoll, für die eigenen Erhebungen einen explorativen, offenen Zugang zu wählen und
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die bisherigen Kategorien zunächst beiseite zu legen. Im übertragenen Sinn heißt das einen Schritt zurückgehen und sich zunächst auf das „Leben in dieser grenzübergreifenden Zwischenstadt“ fokussieren, auf die individuelle Handlungs-, Aneignungs- oder Bedeutungsebene (vgl. Schöffel et al. 2010, S. 54). Das bedeutet, die Fragen sind offen zu formulieren und aus den Wahrnehmungen und Antworten der Bewohnerinnen und Bewohner werden Bottom-Up, eigene Kategorien abgeleitet. Merksatz Zwischenstadt Zwischenstädte erscheinen uns heute noch immer eher gesichtslos, vielleicht kann man sie auch als ein schwer zu fassendes Wesen bezeichnen. Sie werden nach wie vor als Anhängsel der alten Kernstädte betrachtet und nicht als Raumeinheit mit eigenständigen Entwicklungsfragen und -problemen. Zwar wird mittlerweile versucht die Zwischenstadt neben Stadt und Land als eigenständigen Raumtyp zu positionieren, allerdings sind ihre identitätsstiftenden Merkmale bisher weitgehend unbeschrieben und eindeutige Begrifflichkeiten nicht etabliert. Zwischenstadt ist nicht mit den Begriffen Stadtregion bzw. Agglomeration zu verwechseln, diese definieren sich neben der Bebauungsdichte über einen mehr oder weniger rein funktionalen Zugang (z.B. Pendlerverflechtung).
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L EITBEGRIFF „R EGIONAL G OVERNANCE “ Raumplanung im Wandel In der Literatur werden verschiedene Stufen des sich ändernden Planungsverständnisses beschrieben, z.B. von der Anpassungsplanung, über die Entwicklungsplanung bis hin zum Prozessmanagement (vgl. Streich 2004; vgl. Selle u. Klemme 2009, S. 8). Fürst beschreibt den Wandel folgendermaßen, wobei er betont, dass dieser Wandel keinesfalls eindimensional und linear erfolgt, sondern sich überlagern kann (vgl. 2005, S. 21f; vgl. dazu auch Schnur u. Drilling 2009; vgl. auch Selle 1999; vgl. auch Selle u. Klemme 2009, S. 11 – „Mix der Instrumente“): • Vom Denken in technischen Plänen zum Denken in Planungsprozessen. • Vom Anhörungsverfahren zur Mobilisierung der Betroffenen (z.B. partizipati-
ve und kollektive Leitbildentwicklung). • Vom staatlichen Ordnungsdenken zum regionalkooperativen Entwicklungsdenken. • Von der verwissenschaftlichten Planung zur Planung mit Augenmaß. • Von der bestimmenden Steuerung (Gott-Vater-Modell) zur moderierenden, verhandelnden Steuerung (Governance-Modell). Die Raumplanung wird laut Fürst bislang weitgehend von Fachleuten der Raumplanung gestaltet und kontrolliert. Ein Wandel in diesen „selbstreferenziellen Systemen“ kann entweder über einen Paradigmenwechsel (z.B. eine neue Generation von Planern oder ein Wertewandel in der Gesellschaft) oder über „neue materielle Herausforderungen, für die neue Problemlösungen gesucht werden müssen“ passieren (vgl. Fürst 2005, S. 19), wobei Fürst feststellt, dass insbesondere die regionale Ebene flexibel und anpassungsfähig ist. Er führt dies darauf zurück, dass der Wissenstransfer auf regionaler Ebene schneller abläuft und die Regionalplanerinnen und -planer experimentierfreudiger sind, auch weil sie ihre Relevanz erhöhen wollen (vgl. Fürst 2005, S. 19). Woran kann dieser Paradigmenwechsel nun festgemacht werden? Was sind die neuen Herausforderungen? An dieser Stelle kann kein umfassendes Bild gezeichnet werden. Wie aber bereits beschrieben, war die räumliche Planung zu Beginn und noch bis in die 1990er-Jahre gekennzeichnet von Top-DownZugängen. Ab den 1990er ist ein Wechsel hin zu einer zunehmend Bottom-Upmitgetragenen und -gestalteten Planung zu bemerken. Begründet werden kann dies u. a. mit dem Rückzug des Zentralstaates von einem Leistungsstaat hin zu
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einem Gewährleistungsstaat, von der öffentlichen Verwaltung zur unternehmerischen Verwaltung mit Public-Private-Partnership Projekten und mit dem Wechsel von Government zu Governance (vgl. auch Fürst, Lahner u. Pollermann 2006, S. 58). Die Rolle des Staates hat sich also maßgeblich verändert. Deregulierung und Einbeziehung „nicht-staatlicher“ Akteure treten zunehmend in den Vordergrund (vgl. Krajasits 2007; vgl. Jessop 1997), wobei speziell Governance alle Ebenen koordinieren und die bisherige Trennung der Akteure überwinden will (vgl. Schnur u. Drilling 2009). Mit diesem Paradigmenwechsel ist ebenso eine sprachliche Änderung verbunden, von Raumordnung und Planung hin zur Raumentwicklung und Regional Governance (vgl. Thierstein 2002, S. 10). Regional Governance wird somit ein Ausdruck für die sich verändernden Bedingungen der Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Assmann, Projektleiter von Vision Rheintal, meint im Rahmen des DoktorandInnenkollegs für nachhaltige Raumentwicklung von 2008 in Obergurgl im Zusammenhang mit dem Paradigmenwechsel in der Raumplanung etwa: „Die Zeit der großen Entwürfe ist vorbei, Planung ist gleich Sammeln und zusammenfügen von Mosaiksteinchen, Schritt für Schritt“. Gemeint ist damit, dass sich Projekte nicht auf umfassende Programme und Masterpläne fokussieren sollen, sondern sich vielmehr punktuell weiterentwickeln. Das erlaubt es die verschiedenen Themenbereiche wie Siedlung, Verkehr, Landschaft, Nachbarschaften etc. spezifischer und „vor Ort“ zu integrieren (vgl. Selle 1999, S. 58). Denn gerade die Raumentwicklung wird maßgeblich durch sektorale Planungen (Verkehrsinfrastrukturen etc.) und Förderungen (Wohnbauförderung, Wirtschaftsförderung) beeinflusst. Wenn also nicht mehr der Plan im Mittelpunkt steht, sondern die Projekt- und Prozessorientierung, dann heißt das ebenso, dass Projekte „[…] bis in die Realisierungs-, wo nötig sogar bis in die Nutzungsphase aktiv[…]“ zu begleiten sind. Regionalplanung weitet somit ihren zeitlichen Wirkungsbereich aus, in dem sie sich in die Vorbereitung bzw. die Projektentwicklung und in die Umsetzung einbringt (vgl. ebd.). Aber auch das Verständnis von Raum an sich beginnt sich zu ändern. Schindegger schreibt deshalb von der Krise der Raumplanung, weil nicht mehr nur der physische Raum der eigentliche Planungsgegenstand ist, sondern gleichermaßen die physischen, sozioökonomischen Strukturen und funktionellen Beziehungen im Raum an Bedeutung für die Raumplanung gewinnen (Schindegger 2009, S. 162). „Die Entwicklung einer sozialen Perspektive wird zukünftig zum Erfolgsfaktor von räumlicher Planung. Diese wird umso bedeutender mit Blick auf die oftmals negativen Folgeerscheinungen der globalen Prozesse des ökonomischen, sozialen und politischen Wandels […]“ (NUL 2001, S. 3). Vorsicht ist jedenfalls geboten, wenn bei der Diskussion um den Wandel in der Raumplanung oder im
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Planungsverständnis von einer Verallgemeinerung ausgegangen wird. Vielfach bleiben die alten Herausforderungen der Planung existent, die nach wie vor mit den alten Planungsansätzen gut bearbeitet werden können (vgl. Selle u. Klemme 2009, S. 6). Governance – ein Einstieg Um die ursprüngliche Herkunft des Governance-Ansatzes herleiten zu können, ist ein Blick auf die Ökonomie interessant, obwohl er in diesem Rahmen nur ein flüchtiger sein kann. In der Welt der Wirtschaft sehen sich die Akteure seit jeher mit erheblichen Interessenskonflikten (Lohnverhandlungen, Gewinnmaximierung oder Billigangebote) konfrontiert, trotzdem sind gravierende Auseinandersetzungen laut Frey selten: „Man verhandelt und einigt sich – immer freiwillig, meist stillschweigend […] Eine übergeordnete Instanz als Planer und Koordinator braucht es nicht“ (2008, S. 237). Ob diese Darstellung uneingeschränkte Gültigkeit besitzt, muss hier nicht geklärt werden, wichtig für das weitere Verständnis ist jedoch, dass dieses partnerschaftliche Funktionieren über Spielregeln gesteuert wird. Diese Spielregeln können Gesetze, Verordnungen oder freiwillige, selbstbindende Vereinbarungen sein und ermöglichen es somit, eine Kooperation transparent und fair zu gestalten. Governance ist in diesem Kontext aber nicht mit Government zu verwechseln. Government bezieht sich auf die staatlichen Institutionen und deren formale Regeln, Gesetze und Verfahren zur politischen Lenkung und Verwaltung. Governance hingegen bedient sich zwar Regeln, z.B. für einen partnerschaftlichen Umgang (vgl. NUL 2001, S. 27f), steht im eigentlichen Sinn jedoch für „Prozesse und Strukturen zur Steuerung und Koordinierung“ (Bieker et al. 2004, S. 37; vgl. Meier 2011, S. 41). Als Herausforderung kann hierbei sicherlich das Spannungsfeld gesehen, in dem sich die jeweiligen gesetzgebenden Institutionen bewegen. Zum einen sollen sie bei Governance-Prozessen Akteure auf gleicher Augenhöhe sein, zum anderen sind sie für die Spielregeln verantwortlich und sollen dabei nicht den Anschein einer obrigen Instanz vermitteln (vgl. Frey 2008, S. 237). Diesbezüglich kann eine externe Begleitung die Zusammenarbeit im Sinne eines „Schiedsrichters“ erleichtern und neue Impulse liefern (vgl. dazu auch Selle 1999, S. 59). Die Governance-Debatte ist von der ökonomischen Ebene auf die räumliche Ebene übertragen worden. Eine Fragestellung in diesem räumlichen Kontext lautet: „Wie kann gewährleistet werden, dass die Politiker und die öffentliche Verwaltung der verschiedenen Ebenen das tun, was die Bürger möchten?“ (Frey 2008, S. 237). In den letzten Jahren wurde der räumliche Governance-Ansatz vor
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allem auf der europäischen Ebene unterstützt, mit dem Ziel einer Förderung des territorialen Zusammenhalts und einer Vernetzung europäischer Raumakteure im Sinne der europäischen Raumentwicklung (vgl. Meier 2011, S. 44). „Territorialer Zusammenhalt kann nur in einem intensiven und kontinuierlichen Dialog aller Akteure der räumlichen Entwicklung angegangen werden“ (Rat der für Raumordnung zuständigen Minister 2007, S. 5). Dabei entstehen solche Governance-Ansätze im Planungsalltag aber nicht als Gegensatz zur hierarchischen Government-Strukturen in der räumlichen Planung, sondern parallel dazu (vgl. Schnur u. Drilling 2009; vgl. Selle u. Klemme 2009, S. 10). Scherer nennt Governance in diesem Zusammenhang einen informellen und kooperativen Ansatz, der die bestehenden institutionalisierten Strukturen ergänzt (vgl. 2006). Raum für Governance „Der gemeinsame Nenner […] raumbezogene[r] Governance ist die Frage, wie Städte und Regionen ihre künftige räumliche Entwicklung steuern, koordinieren und organisieren können, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und sich in Richtung Nachhaltigkeit zu entwickeln“ (Pütz 2007, S. 22). Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, hat die Region als Handlungsebene für eine nachhaltige räumliche Entwicklung seit den 1980er-Jahren kontinuierlich an Bedeutung gewonnen – vor allem was die Umsetzung nachhaltiger Entwicklungsstrategien betrifft (vgl. Diller 2005; vgl. Pütz 2004, vgl. Benz u. Fürst 2003). Die Herausbildung eines „New Regionalism“ steht für diesen neuen Stellenwert der Region (vgl. Keating 1998). Der Regional Governance-Begriff ist stark mit den dynamischen Prozessen dieser Regionalisierung verbunden (vgl. Diller 2005; vgl. Nischwitz u. Molitor 2003), denn trotz der zu beobachtenden „Aufwertung des Regionalen“ bleiben die Regionen Teil eines Mehrebenensystems und Kenntnisse über die Verknüpfungen bzw. Wechselwirkungen dieser Ebenen (vgl. Pütz 2007, S. 24) sind entscheidend für die Strategie der nachhaltigen Regionalentwicklung. Bei Regional Governance geht es darum, Entscheidungen verschiedener Ebenen so aufeinander abzustimmen, dass eine nachhaltige Entwicklung ermöglicht wird. Zusätzlich zum Bemühen um Dezentralisierung (ein oder mehrere „organisatorische Kerne“ nach Fürst, Lahner u. Pollermann 2006, S. 32ff) ist in dieser Konsequenz gleichermaßen die Veränderung der Handlungsformen von einer vertikalen hin zu einer mehr horizontalen Struktur von Bedeutung (vgl. Diller 2005; vgl. Pütz 2004). Mit anderen Worten bezeichnet Regional Governance schwach institutionalisierte, netzwerkartige Kooperationsformen regionaler Akteure (staatliche, privatwirtschaftliche und zivilgesellschaftliche) für Aufgaben der Regionalentwick-
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lung (Fürst 2001, vgl. Fürst, Lahner u. Pollermann 2006, S. 1) und ist gemäß Pennekamp eher eine neue Sichtweise auf Zusammenarbeit, denn eine neue Form. Gerade das scheint aber wertvoll, denn mit einer anderen Brille können raumwirksame Prozesse und Handlungen neu gedacht werden, wobei mit den Regionalkonferenzen, Regionalforen usw. auch neue Elemente und Instrumente zur Anwendung kommen (vgl. Pennekamp 2011, S. 247). Die Chance von Regional Governance liegt darin, das „dynamische Zusammenwirken von Akteuren und Institutionen“ (Pütz 2009) bzw. deren wechselseitige Abhängigkeiten aufzuzeigen (vgl. dazu auch Selle u. Klemme 2009, S. 7), das kreative Potential einer Region zu wecken, eine vielfältige Sichtweise auf die Herausforderungen und Konflikte zu erhalten sowie neue Kommunikationsprozesse bzw. Öffentlichkeitsbeteiligung in der Region zu etablieren (vgl. Pfefferkorn 2011a). Wichtig ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass die Beteiligung über formelle sowie informelle Netzwerke erfolgen kann (vgl. Franz et al. 2007; Fürst, Lahner u. Pollermann 2006, S. 168f). Governance übernimmt in seiner räumlichen Dimension also die Funktion einer kollektiven und schwach institutionalisierten Steuerungsform für Fragen und Herausforderungen der räumlichen Entwicklung. In diesem Kontext stellt sich die Frage, inwiefern Governance traditionelle (raum-)politische Strukturen ersetzen bzw. ergänzen kann (vgl. Diller 2005). Auf der einen Seite führt Regional Governance zu einer zunehmenden Reibung mit den alten Institutionsstrukturen, verlangt jedoch auf der anderen Seite eine neue Form der Institutionalisierung (vgl. Fürst 2007) bzw. ein Mindestmaß an Institutionalisierung (vgl. Diller 2005; vgl. Fürst 2003). Schindegger beschreibt dies als „institutionalisierte Orte der Auseinandersetzung“ für eine interkommunale oder grenzüberschreitende Zusammenarbeit (vgl. 2006, S. 49), wobei die Organisationsform genauso temporär bzw. projektorientiert sein kann (vgl. Schnur u. Drilling 2009). Wird dieses Mindestmaß allerdings überschritten, kann es sich nachteilig auswirken. Laut den Forschungsergebnissen einer Studie von Fürst et al. (vgl. 2004) lassen sich dann nämlich Formen von Co-Governance beobachten. Gründe hierfür liegen laut den Autoren weniger in der mangelnden Bereitschaft der Mitarbeit von Akteuren respektive Bewohnerinnen und Bewohner, sondern vielmehr in den dominanten institutionellen Rahmenbedingungen, welche den effektiven Einfluss der beteiligten Personen wiederum limitiert. Besonders Grenzregionen stehen vor der Herausforderung, räumliche Entwicklungsprozesse grenzüberschreitend steuern und koordinieren zu können. Dabei bildet Regional Governance ein grundlegendes Konzept der grenzüberschreitenden Handlungsfähigkeit (vgl. Diller 2005; vgl. Gualini 2003; vgl. Wiechmann 2003), weil es als Konsensbildung „nach innen“ und als Wettbe-
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werbsorientierung „nach außen“ verstanden werden kann. Ersteres ist gerade deshalb von Bedeutung, weil regionale Unterschiede meist in institutionellen bzw. rechtlichen Systemen und weniger in topographischen oder ökonomischen Disparitäten zu finden sind (vgl. Pelinka 2008, vgl. Schremmer 2007, vgl. Krajasits 2007, vgl. Scherer 2006). Des Weiteren stellen die unterschiedlichen kulturellen Rahmenbedingungen, (fachlichen) Sprach- und Planungsverständnisse eine Herausforderung für Governance in Grenzregionen dar (vgl. auch Scherer u. Zumbusch 2011, S. 105; vgl. hierzu auch NUL 2001, S. 33 die schreiben, dass die Zusammenarbeit von einem gemeinsamen Sprachverständnis lebt). Die Schwierigkeit ist, „[…] dass aufgrund unterschiedlicher staatlicher Administration sich oft Akteure gegenüber stehen, die zwar die gleiche Sachkompetenz haben, jedoch in unterschiedlichen Hierarchien oder Steuerungslogiken stehen“ (Heintel u. Waack 2009, S. 125), wobei die Regionen unterschiedliche Fähigkeiten mitbringen, solche Gemeinsamkeiten zu entwickeln. Aus diesem Grund laufen Governance-Prozesse von Region zu Region unterschiedlich ab (vgl. Fürst 2001, S. 374; vgl. auch Selle u. Klemme 2009, S. 15). Für Scherer zeigt sich gerade in Grenzregionen, wie trotz vergleichbarer Problemstellungen in den jeweiligen Teilregionen, „[…] gänzlich unterschiedliche Steuerungsmodalitäten und -strukturen entstanden sind und wie stark dabei der Einfluss der jeweils dominierenden regionalen Steuerungsstile war“ (Scherer 2006, S. 99). Ein weiteres Charakteristikum von grenzüberschreitenden regionalen Governance-Prozessen ist, dass diese keine neuen administrativen Ebenen bedingen, keine rechtlichen Kompetenzen delegieren, meist privatrechtlich organisiert sind (z.B. Verein) und die Zusammenarbeit auf freiwilliger, hierarchieloser Basis stattfindet (vgl. Rölle u. Lang 2008, S. 7; vgl. Meier 2011, S. 43). Gerade diese Freiwilligkeit fehlt laut Heintel aber in der gegenwärtigen neoliberalen Gesellschaft (vgl. 2009). Dadurch können laut den Forschungsergebnissen des Projektes „new urban landscapes“ komplexe Aufgaben allerdings nicht bewältigt werden. Umgelegt auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, können diese „weichen“ Kooperationsformen deshalb nur am Anfang des Prozesses einen Impuls geben. Für das Angehen konkreter Projekte, wie z.B. einer regional abgestimmten Siedlungsentwicklung nach innen oder Festlegung von Betriebsgebietsstandorten, braucht es Verlässlichkeit, Kontinuität sowie Sicherheit in Bezug auf die Umsetzung. Eine in diesem Fall geforderte verbindliche Institutionalisierung soll allerdings immer auf die regionale Ausgangslage abgestimmt sein (vgl. auch NUL 2001, S. 23). In Grenzregionen gibt es unterschiedliche Problemkonstellationen von grenzüberschreitender Governance. Scherer und Zumbusch beschreiben insgesamt drei Zugänge (vgl. 2011, S. 113f), welche für die Analyse im Rheintal interessant erscheinen. Zunächst gehen sie von einer symmetrischen Problemkons-
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tellation aus. Hier gibt es ein gemeinsames Gut mit gemeinsamen Problemen, in diesem Fall beziehen sich die Autoren auf den Bodensee. Die zweite Problemkonstellation ist ebenfalls eine symmetrische, ist jedoch nicht durch gemeinsame sondern durch gleiche Probleme gekennzeichnet. Am Beispiel des Rheintals kann diesbezüglich die Zersiedelung genannt werden. Als dritte Problemkonstellation von grenzüberschreitender Governance wird die asymmetrische Problemkonstellation beschrieben. Eine Region ist im besonderen Maße abhängig von raumplanerischen Aktivitäten oder Nicht-Aktivitäten der anderen Region. Im weiteren Sinne sind in diesem Zusammenhang die Rheinregulierungen bzw. Hochwasserschutzmaßnahmen an den Flussabschnitten des südlichen Alpenrheins und an den Zuflüssen des Rheins gute Beispiele, weil sie unmittelbare Auswirkungen auf die Siedlungsgebiete im nördlichen Rheintal haben. In der Bodenseeregion zeigt sich laut Scherer und Zumbusch grundsätzlich ein Mix an Problemkonstellationen, wobei das gemeinsame Gut im Vordergrund steht. In diesem Fall ist es das Wasser. Scherer und Zumbusch führen an, dass diese Gemeinsamkeit allerdings vorwiegend einer subjektiven Wahrnehmung entspricht und nicht zwingend der objektiven Realität (z.B. Trinkwasser; für die Schweiz hat der Bodensee nicht den gleichen Stellenwert wie für Deutschland) (vgl. Scherer u. Zumbusch 2011, S. 116). Eine andere, asymmetrische Problemkonstellation ergibt sich anhand der Eisenbahnverbindung zwischen der Ostschweiz – Vorarlberg – Südbayern. Die Bahnbrücke St. Margrethen – Lustenau verbindet die Schweiz mit Bayern und hat für die Eidgenossenschaft höchste Priorität, in Deutschland aber nicht, weil sie nicht im TEN-Korridor liegt (Transeuropäische Netzwerke). Da die Schweiz den größten Profit daraus zieht, aber die geringsten Kosten hat, ergeben sich Diskussionen bezüglich der Finanzierung – was unter anderem dazu geführt hat, dass die Schweiz einen Teil der Finanzierung der Bahnelektrifizierung auf bundesdeutschem Gebiet finanziert (vgl. Scherer u. Zumbusch 2011, S. 118f). „Spatial planning and concepts concerning the spatial development in the littoral regions show important interfaces. Therefore a stronger coordination of these concepts and spatial structures will be needed in the coming years. In this context also conflicts and contradictory objectives and strategies have to be explicitly addressed” (Scherer u. Zumbusch 2011, S. 119). Wirkung von Regional Governance Eine systemische Sicht der multisektoralen, Mehr-Ebenen-Politik zeigt, dass nicht alles gesteuert werden kann bzw. dass Prozesse nur begrenzt steuerbar sind. Grund ist ein begrenztes Wissen über die das System beeinflussenden Faktoren und ein Grundinteresse zum Erhalt des eigenen Systems (vgl. Pfefferkorn
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2010). Warum trotzdem Regional Governance? Die Leistung von Regional Governance liegt in der Möglichkeit, dass Regionen die Möglichkeit erhalten im Kollektiv eine regional-integrierte Problemlösung zu finden (vgl. Fürst, Lahner u. Pollermann 2006, S. 196; Diller 2005) und die Interaktion der einzelnen Städte und Gemeinden somit auf eine regionale Betrachtungs- und Handlungsebene zu heben. Ziel des Interesses ist dabei die Erhaltung und Verbesserung der Lebensqualität, im Sinne einer Neubewertung, über lokale bzw. regionale Selbststeuerungsprozesse zu gewährleisten (vgl. Sieverts 2000). Eine Begründung für diese Sichtweise ist in der Komplexität der interkommunalen, grenzübergreifenden oder transnationalen Zusammenarbeit zu finden. Im Bereich von Verkehrslösungen geht es etwa längst nicht mehr um die Umsetzung reiner Verkehrsinfrastrukturen, sondern um die Berücksichtigung von Interessen unterschiedlicher Handlungsebenen (Gemeinde, Land und Nachbarregionen) sowie Themenbereiche (Umweltschutz, Langsamverkehr, Landwirtschaft etc.). Das mag früher auch so gewesen sein. Traditionelle Regelungs- und Steuerungsmodelle stoßen wegen dem Anspruch an eine integrative Sichtweise hier allerdings an ihre Grenzen. Ein weiterer Grund liegt in den Beweggründen der regionalen Zusammenarbeit. In einigen Regionen im Alpenraum zwingen unterschiedliche „Leidensdrücke“ die Gemeinden, Städte und Länder zur Kooperation. Hierbei ist die eigene Standortsicherung im Kontext der Globalisierung abhängig von der Aufwertung der gesamten Region bzw. der regionalen Ebene (vgl. hierzu auch NUL 2001, S. 28f). „Wir sind zur Zusammenarbeit verurteilt“ (Pfefferkorn 2009) oder wie Fürst et al. festhalten: „Über Handlungsdruck werden Situationsdeutungen und Notwendigkeit des gemeinsamen Handelns leichter in gleichgerichtete Wahrnehmungen gelenkt“ (2006, S. 190). Gemeinden mit schlechter Ausgangslage bringen sich hierbei tendenziell eher auf regionaler Ebene ein (vgl. ÖROK 2009b). Aber das alleine reicht nicht aus. In der Region muss die konkrete Situation, z.B. Leidensdruck durch Zersiedelung, erkannt werden (Scherer 2006, S. 216). In anderen Regionen sind finanzielle Anreize Auslöser für das Entstehen einer gemeinsamen regionalen Handlungsebene (vgl. Heintel 2009; vgl. auch Scherer 2006, S. 237). Beides verlangt eine besondere Steuerungssensibilität um einen langfristigen Effekt zu bewirken, denn gerade die Langfristigkeit bzw. Kontinuität ist entscheidend für eine nachhaltige Raumentwicklung (vgl. hierzu auch Selle 1999, S. 59, der insbesondere die personelle Kontinuität für die notwendigen Lernprozesse unterstreicht). Hinzu kommt, dass die Konsens- und Entscheidungsfindung bei Regionalentwicklungsprozessen gegenwärtig vielfach durch Aushandlung passiert (vgl. dazu auch Frey 2002). Somit müssen viele Beteiligte und eine Vielfalt an Interessen berücksichtigt werden. Die Handlungsfähigkeit heterogener Akteure in der Regionalentwicklung hängt diesbezüglich
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von der Qualität partizipativer Planungsmethoden ab (vgl. Heintel 2010). Eine andere Antwort zum „Warum“ findet sich in der zunehmenden Orientierung am Nachhaltigkeitsleitbild (vgl. NUL 2001, S. 28f), für die Regional Governance aus einer normativen Sicht heraus nahezu prädestiniert zu sein scheint. Dimensionen von Regional Governance Es gibt laut Pütz kein allgemeines Verständnis darüber ob Regional Governance ein Instrument, ein Konzept oder eine Theorie ist (vgl. 2007, S. 23), was aber nicht die entscheidende Frage für diese Forschungsarbeit ist. Interessanter erscheint ein Blick auf die unterschiedlichen Dimensionen von Regional Governance. Plakativ ausgedrückt kann Regional Governance in seiner räumlichen Ausprägung zunächst nach einer funktionalen und nach einer territorialen Dimension unterschieden werden. Die funktionale bezieht sich auf regionale Herausforderungen oder Themen, die territoriale auf eine abgegrenzte Region (vgl. Pütz 2007, S. 23). Überdies hat Regional Governance aber vor allem eine analytische und eine normative Dimension. Die normative Dimension von Governance steht für Schlagworte wie Partizipation, Verantwortung, Transparenz, Offenheit oder Kohärenz – ganz im Sinne von „Good“ und „Bad“ Governance (vgl. Meier 2011, S. 41). Als Steuerungsrahmen bzw. Instrument von Regionalentwicklungsprozessen im Sinne der Nachhaltigkeit verstanden (vgl. Nischwitz u. Molitor 2003), zielt Regional Governance einerseits darauf ab, staatliches/kommunales Handeln im Sinne der „Dienstleistungsfunktion für die Region“ zu optimieren und richtet sich andererseits darauf, Privatwirtschaft und zivilgesellschaftliche Organisationen in die Verantwortung für die Region mit einzubeziehen. Governance wird so zu einem konstitutiven Element des sich ändernden Raumplanungsansatzes, charakterisiert durch verstärkte Kooperation, Kommunikation und Dialog (vgl. Hohn u. Neuer 2006). Der analytische Zugang setzt sich mit den veränderten Steuerungsstrukturen, Planungs- und Prozessverständnissen sowie mit den Entscheidungsfindungen in der räumlichen Planung auseinander. „Governance-Erfolge lassen sich indirekt beobachten über die Etablierung von geeigneten Strukturen und Vernetzungen und der sich damit verbindenden Akteurskonstellation“ (Fürst, Lahner u. Pollermann 2006, S. 44). Um die analytische Dimension von Regional Governance differenziert untersuchen zu können, werden in Anlehnung an Scherer drei Subdimensionen als Bezugsrahmen vorgeschlagen (vgl. Scherer 2006, S. 111): strukturelle Dimension, prozessuale Dimension und kontextuale Dimension, wobei diese Dreiteilung nicht dogmatisch zu sehen ist, da die Dimensionen interdependent sind und sich überlagern können.
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Der regionale Kontext wird bei Scherer als „Lebenslauf“ eines GovernanceSystems verstanden (vgl. ebd.) und umfasst die endogenen Rahmenbedingungen und lokalen Eigenarten bzw. den Eigensinn (vgl. hierzu auch „place-based approach“ nach der OECD; vgl. 2011), die sich auf die regionale Steuerungsfähigkeit und Lernfähigkeit auswirken. Zum regionalen Kontext gehören beispielsweise Leistungsfähigkeit der politisch-administrativen Institutionen bzw. deren Steuerungsstil, Prozessverständnisse, lokale Kultur und Planungskultur, Geschichte und Tradition, das Sozialkapital in der Region oder die regionale Identität und Mentalität (vgl. Scherer 2006, S. 111f). Hinzu kommen „Interessen, Wertvorstellungen und Wahrnehmungsgewohnheiten“ welche in die „Interpretation von Rahmenbedingungen und Aufgaben einfliessen“ (Selle u. Klemme 2009, S. 15). Hierbei wichtig ist gemäß Scherer eine Differenzierung nach regionalem Kontext und aktueller Situation bzw. situativen Faktoren (vgl. 2006; vgl. auch Benz u. Fürst 2003, S. 36). Regional Governance berücksichtigt und integriert in diesem Verständnis regionale Eigenschaften und ermöglicht so einen problem- und akteursspezifischen Zugang zur regionalen Steuerung räumlicher Entwicklungsprozesse (vgl. Pütz 2007 und 2005, siehe auch Fürst 2003). Ebenso verweisen etwa Hamedinger (vgl. 2009) oder Meier (vgl. 2011, S. 46) auf die Bedeutung einer Berücksichtigung von kontextualen Faktoren. Welche Bedeutung hat die regionale Identität in Bezug auf die kontextuale Dimension von Governance? Gerade regionale Identität hat einen zentralen Einfluss auf das gesamte gesellschaftliche Interaktionssystem in der Region. Sie ist zum einen historisch bedingt, zum anderen aber auch sensibel auf aktuelle Veränderungen in den Rahmenbedingungen (vgl. Scherer 2006, S. 111f; vgl. hierzu auch Castells 2002). „Regionale Kooperationen werden durch das Fehlen einer gewachsenen, gemeinsamen regionalen Identität sowie durch das Fehlen einer Vertrauensbasis erschwert“ (ÖROK 2009b, S. 110). Trotzdem, so merkt Scherer des Weiteren an, darf der regionale Kontext für sich alleine nicht überbewertet werden. Z.B. hat der Bodenseeraum seinen Erkenntnissen nach kaum eine regionale Identität und nur ein geringes Sozialkapital, gleichwohl gelang es kooperative Projekte zwischen den Gemeinden und Städten umzusetzen (vgl. 2006). Darüber hinaus sind persönlichkeitsgebundene Faktoren schwer operationalisierbar (vgl. Umfrageergebnisse zur „Planungskultur“ von Selle u. Klemme 2009, S. 16). Trotzdem sind sie von Bedeutung, weil sie die entscheidenden Katalysatoren darstellen, die Prozesse behindern oder ermöglichen können (vgl. ebd.). Um mehr Klarheit über den Stellenwert von regionalen Kontexten in Bezug auf die räumliche Entwicklung zu erhalten, oder wie von Selle und Klemme in diesem Fall als „ortsspezifische Ausprägungen harter und weicher Rahmenbedingungen sowie ihrer Wahrnehmungen“ genannt, regen die Autoren weiterfüh-
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rende und vertiefende Untersuchungen an. Dadurch soll der „unaufgeklärte Rest“ greifbarer werden (vgl. 2009, S. 15). Was aus Sicht der vorliegenden Forschungsarbeit in Bezug auf die kontextuale Dimension von Regional Governance noch fehlt, ist die Berücksichtigung des Raumes. Gerade unterschiedliche Wahrnehmungen und Vorstellungen vom Raum haben einen erheblichen Einfluss auf die Raumentwicklung, insbesondere die grenzüberschreitende Raumentwicklung. Genau hier können Raumbilder unterstützen, indem sie die verschiedenen Sichtweisen auf den Raum offen legen und lesbar machen. Raumbilder helfen gewissermaßen den regionalen Kontext zu „verorten“. Wichtig für die vorliegende Arbeit erscheint des Weiteren vor allem die Orientierung an strukturellen und prozessualen Faktoren (vgl. Scherer 2006; vgl. auch Pütz 2009). Erstere sind z.B. institutionelle bzw. übergeordnete Rahmenbedingungen (z.B. EU-Regionalpolitik, Agglomerationspolitik, Landesverwaltung etc.), raumplanerische Rahmenbedingungen (Flächenwidmung, Richtpläne, Landesraumpläne etc.), räumliche Abgrenzungen oder Regel- und Verwaltungssysteme, welche die räumlichen Entwicklungen limitieren und kanalisieren. Zu den prozessualen Faktoren sind gemäß Scherer Steuerungsfunktionen, Art und Umfang von Beteiligung, Entscheidungsprozesse, Funktionen und Aufgaben der teilnehmenden Akteure, Lerneffekte, etc. zu zählen (vgl. 2006, S. 109). Weitere Analysefaktoren nach Scherer beziehen sich auf die Akteure und deren Handlungsorientierungen, auf die Akteurskonstellation, die Machtverhältnisse sowie die Interaktionsorientierung (vgl. ebd.). Die vorliegende Forschungsarbeit bezieht sich auf die analytische Perspektive von Governance. Für die vertiefende Analyse von Regional Governance in der Untersuchungsregion des grenzübergreifenden Rheintals liegt der Schwerpunkt auf den drei Regional Governance-Dimensionen Struktur, Prozess und Kontext. Gerade das Alpenrheintal mit seiner Vielzahl an Gebietskörperschaften und Grenzziehungen bietet ein geeignetes Untersuchungsumfeld für die Frage der kontextualen Dimension von regionaler Selbststeuerung. So zeigen bereits durchgeführte Studien etwa die Vielschichtigkeit der vorherrschenden Raumbezüge bzw. Raumbilder in den Teilregionen auf (vgl. Obkircher 2007; Obkircher 2011 oder Meier 2011; vgl. Fritsche u. Studer 2007). Partizipation bei Regional Governance-Prozessen Die Raumentwicklung setzt sich im Kontext der Debatten über eine nachhaltige Raumentwicklung zunehmend mit Fragen der Partizipation und Verantwortung für den (Lebens-)Raum (vgl. Häußermann 2005) bzw. mit dem „Blick von unten“ auseinander (vgl. Lang 2000). Es brauche eine aktivierende und frühzeitige
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Beteiligung sowohl der relevanten Akteure, z.B. über Arbeitskreise oder Fachgruppen, als auch der Bürgerinnen und Bürger, um diese bereits in den Findungsprozess von Raumentwicklungsprojekten einzubinden (vgl. NUL 2001, S. 24f). Worin liegt eine mögliche Begründung? Idealerweise werden durch eine verstärkte raumbezogene Beteiligung das Regionsbewusstsein gefördert, Bindungen stabilisiert und die Basis für eine nachhaltige und innovative Entwicklung der Region geschaffen. Zudem können soziale Akzeptanz und Vertrauen hergestellt (vgl. Franz et al. 2007), sowie die Effektivität öffentlichen Handelns verbessert werden (vgl. Hamedinger 2009; vgl. Eberle et al. 2008, S. 173). Beteiligungsprozesse erhöhen zudem die Verbindlichkeit und üben einen positiven, motivierenden Druck auf die Politik aus (ÖROK 2009b, S. 215). Im Kontext von Regional Governance ist vor allem entscheidend, dass langfristig erst dann eine Stabilität von Governance erzeugt werden kann, wenn die Bewohner integriert werden und ein kollektiver Raumbezug entsteht (vgl. Fürst 2003). „Die Steuerungskunst der Planer liegt darin, nicht reaktiv auf Raumnutzungen zu antworten, sondern Raumnutzer in einen konstruktiven Prozess einzubinden“ (Fürst 2005, S. 25). Relevant sind laut Boczek insbesondere jene Akteure, die für eine Entscheidungsfindung gebraucht werden, wie z.B. Grundeigentümer oder Banken als Kapitalgeber (vgl. 2011, S. 21), weil sie eine „erhebliche Raumwirksamkeit entfalten können“ (Selle u. Klemme 2009, S. 14). Es zeigt sich immer wieder, dass das Eigentum an Boden ein nicht unerheblicher Machtfaktor ist (vgl. Boczek 2011, S. 21). Wer sind eigentlich die beteiligten Personen bei Raumentwicklungsprozessen und was sind ihre Rollen? Folgende Überlegungen zur Rollenzuordnung von Akteuren sind zunächst hypothetisch, dienen in diesem Kontext aber vor allem dazu, die teilweise vorhandenen Schwierigkeiten mit der eigenen Position zu verdeutlichen: • Investoren, Bauträger: Wissen was sie wollen und haben auch andere Orte, wo
sie investieren können. • Planer: Wissen teilweise was sie wollen, basierend auf einem erlernten Wis-
sen, bewegen sich aber im Spannungsfeld zwischen Planer und Mediator, weshalb sie eigentlich nur schwer Position beziehen können. • Politiker: Verspüren den Konsensgedanken, der es ihnen abverlangt alle zufriedenzustellen, insbesondere die Wähler und die Partei. • Bewohnerinnen und Bewohner (ausgenommen jene, die aufgrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen beteiligt werden müssen): Stellen sich die Frage des tatsächlichen, realen Einflusses auf den Prozess und sind vielfach nicht repräsentativ ausgewählt.
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• Abgehängte: Hierzu zählen jene Bewohnerinnen und Bewohner die nicht teil-
nehmen können oder wollen. Aber auch Professionen wie die Sozialarbeiterinnen und -arbeiter, die entweder zu spät, mit zu geringen Mitteln (finanziell sowie personell) oder mit zu geringen Kompetenzen in den Prozess eingebunden werden. Partizipation ist gerade in der Anfangsphase von Raumentwicklungsprojekten entscheidend und hilft z.B. gemeinsam getragene Leitbilder für eine künftige Raumentwicklung zu erarbeiten, indem durch eine breite Partizipation vor allem die Komplexität der räumlichen Herausforderungen erfasst wird. Je mehr Menschen beteiligt werden, desto mehr Ideen, Lösungsvorschläge, Ressourcen und Lösungskompetenzen sind vorhanden. Beteiligung fördert sozusagen das Wissen vor Ort zu Tage (vgl. Selle 1999). Was steckt hinter dieser Forderung? Durch die Berücksichtigung aller betroffenen Entscheidungsträger, über administrative und sektorale Grenzen hinweg sowie der Bewohnerinnen und Bewohner (Alteingesessene, Menschen mit Migrationshintergrund, Arbeitspendler usw.) können zum Beispiel die multifunktionalen Ansprüche an die grenzübergreifende Zwischenstadt Rheintal aufgezeigt werden können. Multifunktional ist in diesem Sinne eine Freizeiteinrichtung auf einem Betriebsgelände oder die Naturschutzfunktion von landwirtschaftlichen Flächen (vgl. Boczek 2011, S. 19). Eine solche Multifunktionalität erhöht die Resilienz der Region (vgl. Perlik 2009) und es wird ein Beitrag für die soziale Verträglichkeit der politischen, gesellschaftlichen Region geleistet (vgl. NUL 2001, S. 16). Die dadurch erstellten räumlichen Leitbilder können dann zwar nicht konsequent eingehalten werden, da vielfach eine rechtliche Verbindlichkeit fehlt, trotzdem erlauben sie zu einem späteren Zeitpunkt ein Monitoring, eine Beurteilung was „falsch“ bzw. „richtig“ gemacht worden ist und wird (vgl. Heintel 2010). Somit kann über breite Partizipation ein Lernprozess in der Region initiiert werden (vgl. auch Ergebnisse des 3. Obergurgl Governance Symposiums 2009). Factbox Place-Making Unter Place-Making ist ein kollektiver, partizipativer Prozess der Raumgestaltung zu verstehen, bei dem Orte produziert werden, unter Berücksichtigung individueller Raumbilder. Ziel ist die lokale oder regionale Raum- und Lebensqualität zu verbessern und sich den Raum sozio-emotional anzueignen, wobei idealerweise eine Übernahme von Verantwortung für diesen Raum stattfindet (vgl. Fürst, Lahner u. Pollermann 2006, S. 13; Franz et al. 2007). Der Begriff wurde von Healey in die Diskussion der Raumentwicklung eingeführt. (vgl. 2006). Wie kann man sich diesen Prozess vorstellen? In Anleh-
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nung an Fürst et al. ermöglicht Place-Making aus den unterschiedlich wahrgenommenen Raumbildern, jene Schnittmenge herauszufiltern und zu stärken, die das Potential hat, von den beteiligten Personen als „Gemeinschaftsgut“ angesehen zu werden. Die so entstehenden kollektiven Raumbilder der Region sind jedoch anfällig und instabil. Es braucht demnach schon vorab eine gewisse Gemeinsamkeit, die etwa im kulturellen Bereich, in historischen und traditionellen Hintergründen, etc. zu finden ist (vgl. ebd.). Außerdem können durch wertgeladene Raumbilder die Potentiale der Region besser aktiviert und die damit verbundene sozio-emotionale Bindung genutzt werden, um ein Gemeinschaftsinteresse für Maßnahmen der nachhaltigen Regionalentwicklung zu wecken (vgl. hierzu auch Pollermann 2009). Neben einer Bindung an den Raum kommt es ebenso zu einer Bindung an die Gemeinschaft und zur Stärkung des Sozialkapitals, allerdings erst in einem mittel- bis langfristigen Prozess (vgl. Fürst, Lahner u. Pollermann 2006, S. 15 u. 174f; vgl. auch Tausz 2008). Dies bewirkt z.B. eine subjektive Neueinschätzung von KostenNutzen-Verhältnissen für anstehende Projekte. Höhere „Kosten“ werden in Kauf genommen. In den USA wird mit diesem Ansatz erfolgreich dem Freiflächenverbrauch entgegengewirkt (vgl. Ye et al. 2005). Aber auch eine von unten gestaltete Regional- bzw. Raumentwicklung im Sinne von Regional Governance steht nicht gänzlich außer Kritik. Bürgerbeteiligungsprozesse sind gemäß Lang vielfach fern vom Alltagsleben, weil sie unnatürlich in ihrem Ablauf sind und Planer sich nicht die Mühe machen, die Wahrnehmung der Bewohnerinnen und Bewohner zu verstehen, sondern denken, dass es mit dem Einbringen im World Café getan ist (vgl. Lang 2000, S. 64). Elsner meint des Weiteren etwa, dass aus dem ursprünglichen Gedanken einer partizipatorischen Regionalisierung längst eine neoliberale Regionalisierung geworden ist (vgl. 2000). Ein Beispiel dafür ist etwa, wenn Investoren die Kontrolle über die Regionalentwicklungsprojekte übernehmen und den Prozess aktiv gestalten. Governance Prozesse in den Händen von Akteuren mit klaren Zielvorstellungen sind ein gefährliches Instrument. Hinzu kommt, dass die Entscheidungsgewalt eine Umverteilung in Richtung regionale Ebene erfährt, ohne dass diese eine politische Legitimation hat (vgl. Heintel 2010; vgl. ÖROK 2009b, S. 32ff). Die Ausblendung bestimmter Gruppen ist ein weiteres Problem und betrifft nicht nur die Zivilgesellschaft, sondern auch andere Bereiche, wie z.B. die Medien. Eine bewusste Ausblendung ist sicherlich nicht im Sinne von Regional Governance. Allerdings muss ebenso selbstkritisch hinterfragt werden, ob denn überhaupt immer alle beteiligt werden wollen. Es wird nicht hinterfragt, ob die gegenwärtig vermeintlich feststellbare Beteiligungseuphorie mitunter nur auf einer idealisier-
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ten Vorstellung beruht. Die allgemeine Bevölkerung will vielleicht gar nicht beteiligt werden und verlangt nur eine transparente und nachvollziehbare Entscheidungsfindung. Wenn eine Motivation für Beteiligung gegeben ist, kommt die Frage hinzu wie diese über einen längeren Zeitraum, über die Anfangsphase hinausgehend, aufrechterhalten werden kann (vgl. Pennekamp 2011, S. 255) – nicht zu vergessen auf die personellen und zeitlichen Ressourcen, die Beteiligte einbringen müssen. Denn obwohl auch Regional Governance-Prozesse ein Ende haben, sind sie mitunter aufwendiger und langwieriger als traditionelle Planungsansätze (vgl. Diller 2005). Studienergebnisse von Fürst, Lahner u. Pollermann (vgl. 2006) ergeben, dass sich unterschiedliche Zusammensetzungen von Regional Governance-Beteiligten zeigen. Einerseits zeigt sich eine Dominanz kommunaler Akteure in strategischen Fragen, andererseits ist eine breite Beteiligung in konkreten Projekten feststellbar (vgl. hierzu auch Selle u. Klemme 2009, S. 8). Der Bereich der Zivilgesellschaft sowie der allgemeinen Bevölkerung ist weniger gut vertreten. Politik und Verwaltung bilden „von Amts wegen“ den Kern. Zudem ist eine Konzentration auf organisierte Partner festzustellen, wobei die Wirtschaft in einzelnen Projekten ein Partner ist. Insgesamt, so kann anhand von Untersuchungen festgestellt werden, bildet sich durch fortwährende Dauer von Regional Governance-Prozessen ein „organisatorischer Kern“, welcher handelt ohne eine Legitimation durch politische Wahlen zu besitzen (vgl. Fürst, Lahner u. Pollermann 2006, S. 13). Das Problem bei der Partizipation liegt folglich darin, dass teilweise eine Geschlossenheit erforderlich ist um Effektivität und Entscheidungskraft zu erreichen. Das lässt aber Potentiale ungenützt und entspricht nicht den Anforderungen einer demokratie-politischen Legitimation, denn Kontrollmöglichkeiten und kritische Opposition sind unter diesen Umständen schwer möglich. Diesbezüglich muss man sich auch mit der Frage von Kompromissfähigkeit und Machtverhältnissen auseinandersetzen (vgl. Healey 2002). Wie kann sich die Ausübung von Macht in der Zusammenarbeit bei Raumentwicklungsprojekten zeigen? Z.B. dienen Argumente in der Diskussion als strategische Durchsetzung von Macht, werden Teilnehmerinnen und Teilnehmer begrenzt oder Themen vorab festgelegt (vgl. Pütz u. Rehner 2007). Macht ist in diesem Kontext relational und zeigt sich nur durch das Handeln von Personen (vgl. Foucault 1980, S. 89; zitiert nach Pütz u. Rehner 2007). Die Rolle von Macht ist bislang allerdings wenig kritisch hinterfragt. Klar scheint nur, dass Machtunterschiede nur bedingt durch Moderation von Raumentwicklungsprozessen ausbalanciert werden können (vgl. Franz et al. 2007). Die Frage nach den Machtverhältnissen kann helfen zu klären, wie Regional Governance-Strukturen im Detail funktionieren, denn Macht repräsentiert die sozialen Komplexitäten in einer Region und
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ihren Antrieb (z.B. regionale Identität). Für Selle steht indes fest, dass Kooperation auf die „Attitüde der Macht“ gänzlich verzichten muss. Das sei unentbehrlich (Selle 1999, S. 58). Machtverhältnissen, Wahrnehmungen und Identitäten wird bei Regional Governance ein entscheidender Einfluss auf die Raumentwicklung zugestanden (vgl. dazu auch Franz et al. 2007). Die interessante Frage lautet also nicht mehr ob der Raum seine Bedeutung als Bezugs- und Orientierungssystem verloren hat, sondern ob die geschaffenen Strukturen für Beteiligung geeignet sind und welche Gruppen sich beteiligen können? Raumordnung und Raumplanung müssen die Möglichkeit zur Raumbildung für alle Bewohnerinnen und Bewohner sicherstellen. Stolpersteine für Regional Governance Mögliche Stolpersteine für Regional Governance können wie folgt zusammengefasst werden (nach Pfefferkorn 2009 u. 2010 bzw. Heintel 2010, wenn nicht anders angegeben): • Es gibt bei den Entscheidungsträgern nur ein geringes Verständnis für Vor-
gangsweisen und Strukturen. Die Organisation der Kooperation wird unterschätzt, zumeist steht zu wenig Geld für die Prozessgestaltung zur Verfügung. Des Weiteren haben politische Verantwortungsträger bislang wenig Vertrauen in die Selbstorganisation von Arbeitsgruppen. Zumeist überwiegt das Kontrollbedürfnis und die Haltung, dass gute Informationsarbeit im Sinne von Beteiligung ausreichend ist (vgl. Tausz 2008, S. 11). • Es gibt nur ein geringes Verständnis für den langwierigen, zeit- und kostenintensiven Prozess. Der vermeintlich höhere Aufwand bietet aber durchaus eine Umweg-Rentabilität (NUL 2001, S. 29). • Es besteht mitunter eine Abhängigkeit von Einzelpersonen. Vor allem in Bezug auf grenzübergreifende Zusammenarbeit haben diese als „Promotoren“ (Katalysatoren, Regionenmacher) eine Bedeutung (vgl. Pennekamp 2011, S. 247). Eine Gefahr besteht dann, wenn Aufgaben nur noch „abgeschoben“ werden (vgl. NUL 2001, S. 27f) oder diese Personen aus dem Prozess ausscheiden (vgl. ÖROK 2009b). • Zunehmende Professionalisierung und Institutionalisierung von Prozessen. Prozesse beginnen sich im Verlauf der Zeit zu formalisieren und die eigentlichen Chancen und Vorteile der flexiblen Kooperationen gehen verloren (vgl. ÖROK 2009b, S. 110). Aus lose gekoppelten Institutionen, werden fest gekoppelte Institutionen, welche sich wiederum primär territorial ausrichten (vgl. Scherer 2006, S. 240f).
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• Zu viel „Stabilität“ hemmt den Prozess. Es braucht zum einen bewusste Irrita-
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tion und Widersprüche. Zum anderen sind Wettbewerb und Projektaufrufe, Konkurrenz sowie offene Lernprozesse notwendig, in denen Lösungsansätze erst gemeinsam gefunden werden müssen (vgl. NUL 2001, S. 31; vgl. Selle 1999, S. 58). Zugleich kann eine zu große Offenheit der Prozesse dazu führen, dass keine bindenden Vereinbarungen getroffen werden können (vgl. Fürst, Lahner u. Pollermann 2006, S. 35). Regionen dürfen keine fixen Einheiten sein, sondern sollen auch die Dynamiken funktionaler Verflechtungen berücksichtigen. „Weder sind Räume, in denen Governance praktiziert wird, genau abzugrenzen, noch sind die Bevölkerungen dieser Räume in ihren Alltagshandlungen auf einen administrativen abgrenzbaren Raum festgelegt“ (Perlik 2009, S. 81). Verantwortlichkeiten sind nicht klar definiert, deshalb ist die Umsetzung erschwert. Hinzu kommt eine Abhängigkeit vom Konsens. Wird einmal kein Konsens erzielt, ist das Entscheidungssystem blockiert (vgl. Kübler 2006, S. 268f). Leadership und Problemownership sind nicht deckungsgleich. Zusammenarbeit wird durch gemeinsame Werte, Ideen und Vertrauen gefördert. Vertrauen ist dabei von längerfristigen Austauschbeziehungen abhängig (vgl. Pennekamp 2011, S. 247). Der Vertrauensgrundsatz trifft besonders bei grenzüberschreitenden Regional Governance-Prozessen zu – Stichwort mentale Grenze (vgl. Heintel 2010). Vertrauen wird bei größeren Regionen zunehmend vom Faktor Macht ersetzt (vgl. Fürst, Lahner u. Pollermann 2006). Zudem wird die regionale Handlungsebene durch ein Hineinregieren gestört und es kommt zu einer Verquickung von Politik und Verwaltung. Dominanz des kommunalen Eigensinns bzw. die Angst vor Kompetenzverlusten (vgl. ÖROK 2009b, S. 32ff). Letzteres kann zu einer Abwehrhaltung gegenüber der Zusammenarbeit führen (vgl. ebd. S. 109). Einflussfaktor Größe: Mit zunehmender Größe der Region nimmt auch der Austausch ab und oft „[…] gibt es in größeren Regionen auch eine größere Zahl von Teilregionen mit eigener Identität, welche die Motivation zur Arbeit für die Ge-samtregion erschwert“ (Fürst, Lahner u. Pollermann 2006, S. 158). Es wird schwieriger ein gemeinsames Bewusstsein zu erzeugen (vgl. Fürst, Lahner u. Pollermann 2006, S. 197). In diesem Kontext wird die Frage, ob und wie die kritische Größe festgelegt werden kann sowohl in der Wissenschaft als auch in der Raumplanungspraxis intensiv diskutiert (vgl. Ergebnisse des Workshops III im Rahmen des 3. Obergurgl Governance Symposiums 2009). Laut ÖROK kann aber zumindest eine ideale Größe nicht fixiert werden. Die-
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se ist von der Aufgabenstellung und von den einzelnen Personen abhängig (vgl. 2009b, S. 210). Merksatz Regional Governance „Regional Governance bezeichnet komplexe regionale Steuerungs- und Koordinationsstrukturen und umfasst dabei formelle und informelle Elemente, staatliche und nicht-staatliche Akteure sowie hierarchische, kompetitive und kooperative Akteursbeziehungen“ (Pütz 2007, S. 23). Kennzeichnend ist ein Mix an Steuerungsformen, bei dem mehrere unterschiedliche Handlungsebenen (Politik, Wirtschaft, Gesellschaft bzw. Land, Region, Gemeinden) gleichzeitig eingebunden sind. Gerade Grenzregionen stehen diesbezüglich vor der Herausforderung, dass die Abstimmung von Entscheidungen immer komplexer wird. Mit ein Grund sind aktuelle räumliche Herausforderungen, welche die Unvereinbarkeiten zwischen den bestehenden administrativen Gebietskörperschaften einerseits und den funktionalen Alltagsräumen andererseits aufzeigen. Die Leistung von Regional Governance besteht darin, dass Regionen die Möglichkeit erhalten im Kollektiv eine regional integrierte Problemlösung zu finden, um räumliche Entwicklungsprozesse steuern und koordinieren zu können. Hierbei sind die Wirkungen von politischen und strukturellen Rahmenbedingungen, Handlungsprioritäten und -limitationen auf unterschiedlichen Maßstabsebenen und die Prozessverständnisse in Bezug auf die Regionalplanung zu berücksichtigen. Dies ist wichtig, um Regional Governance so zu gestalten, dass die verschiedenen Akteursgruppen ein gemeinsames Bild der Region entwickeln können und darauf aufbauend die Interessen und Ansprüche der Region ganzheitlich betrachten. Ein Beispiel zum Einfluss der politischen und strukturellen Rahmenbedingungen: Regional GovernanceModelle stehen zwangsläufig im Konflikt mit den vorhandenen politischen Rahmenbedingungen, wie z.B. das Interesse von Gemeinden, zunächst die eigene Position stärken zu wollen. Diese „alten“ Strukturen und institutionellen Rahmenbedingungen haben eine hemmende Wirkung auf das Bestreben die Region als Ganzes zu entwickeln. Gleichzeitig sind die Regionalentwicklungsprojekte auf die institutionelle Verankerung ihrer regionalen Entscheidungs- und Umsetzungskompetenzen angewiesen, um langfristig entsprechend raumwirksam zu werden und der regionalen Handlungsebene die notwendige Stabilität mitzugeben.
3. Werkzeugkasten
Ü BERBLICK ZU DEN M ETHODEN Einstieg Im Wesentlichen bedient sich das Forschungsvorhaben des vielfältigen Methodeninstrumentariums der empirischen Sozial- und Regionalforschung. Dabei soll ein Mix zwischen quantitativen und vorrangig qualitativen Vorgehensweisen zum Einsatz kommen. Dies erscheint dem Charakter der zu untersuchenden Fragestellungen am ehesten angemessen. Warum? Wie beschrieben lässt sich das Raumkonzept als dynamisch und relational beschreiben und ist durch die Handlungen der Menschen produziert (vgl. Löw 2001). Der gelebte, der gebaute und der wahrgenommene Raum stehen in einer dynamischen, interaktiven Verbindung. Dieser Perspektivenwechsel impliziert ein Forschungsverständnis, welches zum Ziel hat „ohne euphemisierende Beschreibung der „neuen“ stadtregionalen Landschaften deren soziale, funktionale und gestalterische Probleme und Knackpunkte zu benennen“ (vgl. Bürklin u. Peterek 2006, S. 29). Deskriptive Ansätze entfernen sich in diesem Zusammenhang von der Vorstellung die Bevölkerung in einer funktional verflochtenen Region statisch und ortsbezogen beschreiben zu wollen, vielmehr rücken deren Handlungen oder räumliche Orientierungen in den Fokus (vgl. Reutlinger, Schöffel u. Lingg 2010, S. 26). Befragungen und Interviews sind der vermeintlich geeignetste Weg um herauszufinden, welche Wahrnehmungen oder Raumbilder die Menschen besitzen. Der Blickwinkel dabei entspricht aber immer einer Momentaufnahme durch die Brille des Jetzt und deckt mitunter nicht die Vielfalt der Wahrnehmungen ab. Das bedeutet, dass zusätzlich zu diesen Befragungen und Interviews noch ergänzende Methoden verwendet werden müssen, um ein alle relevanten Aspekte durchdringendes Verständnis über die Raumbilder im Rheintal zu erarbeiten (vgl. Burtscher 2009, S. 35). Als ergänzende Methoden für die Erhebungen im
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Untersuchungsgebiet werden demzufolge die Photobefragung und das Zeichnen von mentalen Landkarten verwendet. Bei der Photobefragung geht es darum, dass die Menschen Photos von „ihrem“ Rheintal machen. Die einzelnen Photos ergeben dann wie in einem Puzzle mit vielen Teilen das Gesamtbild der Region. Mit diesem qualitativen Zugang wird ebenfalls versucht Antworten auf das „warum“ und „wie“ zu finden. Vom Individuellen auf das Kollektive Rückschlüsse zu ziehen, birgt immer die Gefahr wichtige Zusammenhänge, welche erst durch Austausch und Kommunikation sichtbar werden, zu übersehen. Um auf diese Herausforderung eingehen zu können, wird bei den Erhebungen für diese Arbeit neben Einzelinterviews auch die Methode der Gruppendiskussion bzw. World Café verwendet, mit dem Ziel in einem Diskussionsprozess kollektive Perspektiven zu erfassen. Die Raumentwicklung setzt sich zunehmend mit Fragen der Partizipation und Verantwortung für den Raum (vgl. Häußermann 2005) bzw. mit dem „Blick von unten“ auseinander (vgl. Lang 2000). Bisher bedienen sich sogenannte Bestandsaufnahmen, so die Kritik von Lang, nur einer Auflistung harter (Struktur-) Daten wie Statistiken, Befragungen oder Kartierung und wenn die Bevölkerung befragt wird, dann meist mittels standardisiertem Fragebogen und ohne subjektive Bedeutungen, alltägliche Orientierungen und Verhaltensspuren zu erfragen. Eine Bestandsaufnahme ist aus diesem Grund nur ein kurzer Blick aus Augenhöhe, der umgehend wieder zu einem Überblick wird. Im Gegensatz zur „dichten Beschreibung“ fehlt der Bestandsaufnahme das Atmosphärische des Raumes, die Reflexion und die Frage nach der eigentlichen Bedeutung (vgl. ebd., S. 58–62). „Anstatt sich aus Augenhöhe und aus der Erfahrung auf den konkreten Ort einzulassen, operiert die Planung mit allgemeingültig-abstrakten und idealistischen Leitbildern“ (Lang 2000, S. 64; vgl. auch Paasi 2003, S. 480, der sich mit gleichen Argumenten auf die grenzüberschreitenden Kooperationen bezieht). Der Blick auf gleicher Augenhöhe ist deshalb entscheidend für die Analyse der Wahrnehmung der grenzübergreifenden Zwischenstadt Rheintal durch die Bewohnerinnen und Bewohner im Rahmen dieser Arbeit. Für die Erarbeitung der Wahrnehmungsbilder im Rheintal wird ein explorativer Forschungszugang mit offenen Fragen gewählt. Ziel ist es, sich über die alltäglichen Regionalisierungen und subjektiven Bedeutungszuweisungen der Bewohnerinnen und Bewohner dem Wesen der grenzübergreifenden Zwischenstadt Rheintal zu nähern (vgl. Schöffel et al. 2010). Des Weiteren muss in diesem Kontext berücksichtigt werden, dass es neben positiven Gefühlen auch negative Konnotationen mit einer Region gibt (vgl. Shamai u. Ilatov 2004, S. 469; vgl. dazu auch Paasi 2001, S. 23). Es ist folglich wichtig vertiefend auf die persönlichen und emotionalen Wahrnehmungen der befragten Personen einzugehen (vgl.
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Paasi 2003, S. 481). Wie kann man Wahrnehmungen von Menschen erfragen? Man muss Hilfsgrößen definieren, welche die Wahrnehmung der Akteure (Raumbezug, Orientierung etc.) messbar machen. Das Räumliche ist dabei Mittel zum Zweck. Solche Indikatoren können das Image der Region, die Gefühlswelt der Akteure, Alltags- und Zukunftsbedeutung, räumliche Orientierungsmuster und Abgrenzung „meiner“ Region, sowie eine Verbindung zwischen der individuellen und der regionsspezifischen Geschichte im Sinne eines Vergangenheitsbezuges beinhalten (vgl. Lindstaedt 2006, S. 150). Als ergänzende Indikatoren für die Forschung dienen die Raumgestalt, Wahrzeichen und Symbole (vgl. Ipsen 1994) sowie die Frage nach Beteiligungsmöglichkeiten der Bewohnerinnen und Bewohner.
Z ENTRALE W ERKZEUGE Der verwendete Werkzeugkasten umfasst Methoden zur Erhebung der TopDown-Raumbilder sowie zur Erhebung der Bottom-Up-Raumbilder im Rheintal. Nachstehend wird das verwendete methodische Werkzeug vertiefend beschrieben. Im Wesentlichen bedient sich das Forschungsvorhaben des vielfältigen Methodeninstrumentariums der empirischen Sozial- und Regionalforschung. Das Hauptaugenmerk liegt bei einer qualitativen Vorgehensweise und der Erhebung mittels qualitativer Interviews, welche durch statistische Daten ergänzt werden soll. Generell ist festzuhalten, dass qualitative Methoden zur Erforschung von Raumbezügen und Bedeutungszuweisungen besonders geeignet erscheinen (vgl. hierzu auch Aring et al. 1989). Relevante Indikatoren, die für die Operationalisierung der Fragestellung herangezogen werden, wurden im vorigen Abschnitt bereits beschrieben. Statistische Analyse des Untersuchungsgebietes Die grenzüberschreitende Zwischenstadt Alpenrheintal wird zunächst mit Hilfe von statistischen Daten analysiert. Hierzu zählen Indikatoren zur funktionalen Verflechtung und zur Siedlungsentwicklung bzw. Siedlungsstruktur in der Untersuchungsregion. Diese Daten werden mit geographischen Informationssystemen (GIS) ausgewertet und kartographisch visualisiert. Zur vertiefenden Interpretation der räumlichen Strukturen werden Raumplanungsdokumente, Raumkonzepte und Leitbilder herangezogen, um die Top-Down-Raumbilder lesbar machen zu können. Die Auswertung berücksichtigt diesbezüglich sowohl den Ist-Stand als auch die Zukunftsorientierung. Der Betrachtungsmaßstab wird an-
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hand der drei Lupen transnationaler Raum, nationaler Raum, Grenzregion Alpenrheintal mit Fokus auf das St. Galler und das Vorarlberger Rheintal festgelegt. Insgesamt werden dadurch alle wesentlichen Wirkungsebenen von Raumkonzepten und Leitbilder in der Grenzregion Alpenrheintal berücksichtigt: EU, Staat, Bundesland/Kanton, Region und Gemeinde. In einem weiteren Schritt wird die theoriegeleitete Diskussion zur Zwischenstadt anhand wissenschaftlicher Literatur analysiert und die wesentlichen Merkmale und Indikatoren zur Beschreibung dieses Raumtyps herausgearbeitet. Begehung und Spaziergang Die Methode der Begehung bzw. des Spazierganges (vgl. Burckhardt 2006) dient dem ersten Einblick in die Region, um die räumliche Situation einordnen und insbesondere die Fragestellungen schärfen zu können. Erst durch Bewegung wird man zum wahrnehmenden Subjekt im Raum (vgl. Selle 2004, S. o. A.), denn die Raumwahrnehmung erfolgt nur zu einem bestimmten Teil über die visuelle Ebene. Ein anderer bedeutender Teil der Raumerfahrung findet über Bewegung, Berührung und Geräusche statt. Über diese Vielzahl der unterschiedlichen Raumaneignungen wird das Raumbewusstsein konstruiert (vgl. Sabatin 2008, S. 8f). Das Untersuchungsgebiet Rheintal wird dabei im wahrsten Sinne des Wortes vom Kopf auf die Füße gestellt, wie es Burckhardt beschreibt (vgl. 2006, S. 293). Wie von ihm vorgeschlagen, wird die Begehung im Vorfeld strukturiert und organisiert (vgl. ebd.). Zusätzlich zu eigenen Begehungen im Grenzgebiet wurden ebenso Begehungen mit Interviewpartnern vor Ort durchgeführt. Vor Ort bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die befragten Personen den Spaziergang möglichst zu ihren besonderen, eigenen und alltäglichen Orten hinleiten sollten. Dieser aktiv-beteiligende Ansatz ermöglichte es, dass die befragten Personen Wissen über ihre Lebenswelt in einem alltagsnahen Umfeld, in einer gewohnten Gesprächssituation vermitteln konnten. „Es geht darum, die Bilder in den Köpfen der Bewohner langsam einzukreisen und greifbar zu machen“, um an dieser Stelle ein Zitat aus der Arbeitsgruppe des S5-Stadt-Projektes zu verwenden. Da dieser Ansatz nicht mit allen Interviewpartnerinnen und – partnern umgesetzt werden konnte, ging es mehr darum, die Methode für künftige Zwischenstadtforschungen weiterzuentwickeln und auszureifen. Teilnehmende Beobachtung Durch die Anstellung beim Amt der Vorarlberger Landesregierung, Abteilung Raumplanung und Baurecht und die damit verbundene Tätigkeit in der grenz-
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überschreitenden Raumentwicklung hat sich die Methode der teilnehmenden Beobachtung angeboten (vgl. Meier Kruker u. Rauh 2005; vgl. dazu auch Scherer 2006). Dieser Ansatz ermöglichte forschungsrelevante Einblicke in die Strukturen und Prozessabläufe grenzüberschreitender Raumentwicklung. Die Erhebung erfolgte mit Zustimmung der beteiligten Akteure. Die wesentlichen Arbeitsschwerpunkte lagen hierbei auf der Moderation von Arbeitssitzungen bzw. Austauschtreffen, was eine hilfreiche Forscherposition zur Bearbeitung der Forschungsfragen ermöglicht. Teilweise ist die Position des Forschers identisch mit der Position des Angestellten bei der Abteilung Raumplanung. Eine entsprechende Kennzeichnung bei der Auswertung der Ergebnisse und Reflexion dieser Überschneidungen kann die notwendige Transparenz der Forschungserkenntnisse allerdings gewährleisten. Die Dokumentation der Arbeitssitzungen und Workshops erfolgte in Form von schriftlichen Protokollen, unter anderem um die Gesprächssituation mit den Entscheidungsträgern nicht zu stören. Erfahrungen aus anderen Projekten zeigen, dass wesentliche Inhalte und Meinungen insbesondere nach Abschalten des Aufnahmegerätes geäußert werden (vgl. Lindstaedt 2006). Explorative Straßenbefragung Mittels einer explorativen Straßenbefragung konnte einen ersten Einblick in das Rheintal gewonnen werden. Anhand ausgewählter Befragungsstandorte in der gesamten Region wurden Passanten mit offenen Fragen zu ihrem Bild der Region, Besonderheiten der Region, zur räumlichen Orientierung und zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit konfrontiert: Was fällt dir spontan zum „Rheintal“ ein? Was sind die Besonderheiten der Region – positiv oder negativ? Wo verbringst du deine Freizeit und welche Empfehlungen für die Region hast du? Wie würdest du die Region abgrenzen: Wo fängt sie für dich an und wo hört sie auf? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es in der Region? Was fällt dir zum Nachbar Schweiz/Österreich/Liechtenstein ein? Die Antworten halfen zum einen bei der weiteren Verfeinerung der Fragestellungen (vgl. Schöffel et al. 2010), zum anderen wurden sie mittels darauf aufbauender Interviews einer vertiefenden Analyse unterzogen (vgl. Meier-Dallach 1987; zitiert nach Lindstaedt 2006, S. 149). Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurden zwischen Herbst 2009 und Frühjahr 2010 insgesamt 329 Alpenrheintalerinnen und Alpenrheintaler in einer Straßenbefragung interviewt. Zusätzlich wurden noch 66 Personen aus bzw. in den Nachbarregionen (Talschaft Walgau, Montafon und in der Stadt Lindau) befragt. Diese stehen bei den vorliegenden Auswertungen stellvertretend für eine Außensicht auf die Region Rheintal. Die Erhebung fand an publikumsintensiven
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Standorten statt, darunter werden beispielsweise Fußgängerzonen, Parkanlagen, Einkaufszentren etc. verstanden. Die Auswahl der Passanten erfolgte per Zufallsstichprobe. Interviews Bei der Auswahl der Interviewpartnerinnen und -partner sowohl für die BottomUp-Perspektive als auch für die Expertenbefragung handelte es sich um eine bewusste und zielgerichtete Auswahl, was nach Schnell, Hill u. Esser ein zulässiges Auswahlverfahren ist (vgl. 2004, S. 279–324). Die Auswahlkriterien müssen dabei transparent gestaltet und überprüfbar sein (vgl. Klemme 2002, S. 85). Die Experteninterviews für die vorliegende Forschungsarbeit wurden im Sommer 2012 mit Entscheidungsträgern aus den Bereichen Verwaltung bzw. Raum- und Regionalentwicklung geführt. Zum einen bilden diese Experteninterviews den „Blick von oben“ auf die grenzüberschreitende Raumentwicklung im Untersuchungsgebiet ab. Zum anderen erlaubt die Auswahl der Experten einen Vergleich der schweizer mit der österreichischen Perspektive. Aufgrund von Projektrecherchen und arbeitsbedingten Einblicken in die regionalen Prozessabläufe im Rheintal können die ausgewählten Experten als die für die Beantwortung der Forschungsfragen maßgeblichen bezeichnet werden. Neben den eigentlichen Interviews wurden ebenso Informationsgespräche mit ausgewählten Fachpersonen aus der Region geführt, die informell und weniger strukturiert waren (vgl. hierzu auch Scherer 2006). Für den Blick „von unten“ wurden 22 vertiefende Leitfadeninterviews mit insgesamt 29 Gesprächspartnern geführt. Die Interviewdauer betrug zwischen 90 und 120 Minuten, vereinzelt auch länger und wurde sowohl als Tonaufzeichnung mitgeschnitten, als auch in Stichworten mitprotokolliert. Im Ergebnisteil der vorliegenden Arbeit verwendete Zitate wurden aus Gründen der Lesbarkeit in ein Schriftdeutsch übersetzt. Der Zugang zu den insgesamt 29 Interviewpartnerinnen und –partner für die Bottom-Up -Sicht auf die Untersuchungsregion ist über Vereine erfolgt und basierend auf der Annahme, dass das Vereinswesen zum einen die vielfältigen gesellschaftlichen Aspekte der Region (traditionell, verankert, modern, dynamisch etc.) widerspiegelt. Zum anderen wird bei Menschen, die in einem Verein aktiv sind (knapp 45 % der Vorarlberger engagieren sich in organisierter Form in Vereinen oder Organisationen; vgl. Büro für Zukunftsfragen 2010, S. 5), von der Bereitschaft ausgegangen, ihre Meinung zu raumrelevanten Fragestellungen und Herausforderungen zu äußern sowie im Sinne von Regional Governance in Raumentwicklungsprozesse einzubringen (vgl. Obkircher 2011, S. 18). Durch beide Aspekte lässt sich die Auswahl auf geeignete
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Weise mit den theoretischen Überlegungen und den Leitfragen zusammenbringen. Zudem ist dieser Ansatz bereits bei den Forschungen zum S5-Stadt Projekt angewandt worden, was einen Vergleich beider Ergebnisse ermöglicht. Ein anderer Grund ist pragmatischer Natur. Vereine ermöglichen z.B. über deren Internetauftritt einen einfachen Zugang zu Kontaktdaten (vgl. Schöffel et al. 2010, S. 55). Die Befragungen mit Bewohnerinnen und Bewohnern im Untersuchungsgebiet berücksichtigt insbesondere das Alter (Generationenvergleich) und aus welcher Teilregion die Personen kommen (St. Galler Rheintal, Vorarlberger Rheintal, Werdenberg, Liechtenstein, Churer Rheintal). Des Weiteren wird ebenso der Faktor Wohndauer (Alteingesessene und Zugezogene) miteinbezogen. Als „Alteingesessene“ werden im Kontext dieser Forschungsarbeit solche Personen verstanden, die in der Region aufgewachsen sind oder zumindest den überwiegenden Teil ihres Lebens in der Region verbracht haben (vgl. Schöffel et al. 2010, S. 57). Mit der Analyse eines möglichst breiten Altersquerschnitts will die Forschungsarbeit der Frage nachgehen, wie das Alpenrheintal in den unterschiedlichen Generationen wahrgenommen und erlebt wird und vor allem, wie sich die Beziehung zu den jeweiligen Nachbarregionen in Abhängigkeit vom Alter verändert. Das Altersspektrum reicht von Interviews mit jungen Erwachsenen bis zu einem informativen Abend in einem Seniorenheim, bei dem die älteste Gesprächspartnerin 91 Jahre alt war (vgl. Obkircher 2011, S. 19). Die genannten Auswahlkriterien stellen sicher, dass die für die Forschungsfrage relevanten Merkmalskombinationen vertreten sind. Dabei geht es nicht um eine Repräsentativität, sondern darum, die Komplexität und die unterschiedlichen Facetten der grenzübergreifenden Zwischenstadt Rheintal aufzuzeigen (vgl. Fretz u. Olloz 2006, S. 714). Die Personen wurden für eine erste Kontaktaufnahme per Mail oder postalisch angeschrieben. In diesem Schreiben wurde kurz in die Fragestellung eingeführt, Sinn und Zweck der Erhebung offen gelegt und der Ablauf des Interviews erklärt. Bei positiver Rückmeldung wurde mit den Interviewpartnern ein Treffpunkt für das Interview ausgemacht. Befragungszeitraum war das Frühjahr 2010. Ergänzend zu diesen Interviews kann auf eine vorangegangene Befragung von Jugendlichen aus dem Rheintal zurückgegriffen werden. Hierbei sind insgesamt 21 Schülerinnen und Schüler zwischen 15 und 17 Jahren aus der Region mittels Gruppendiskussion befragt worden. Des Weiteren ist in diesem Kontext eine quantitative Fragebogenerhebung an den zwei Oberstufenschulen im Rheintal durchgeführt worden (vgl. Obkircher 2007). Sowohl bei den Experteninterviews als auch bei den vertiefenden Interviews mit den Bewohnerinnen und Bewohnern des Rheintals wurde ein Gesprächsleitfaden verwendet. Ein Vorteil, der sich dadurch ergibt, ist die Möglichkeit einer
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offenen Gesprächsführung, z. T. auch narrativ, was den Interviewten im Vergleich zu standardisierten Gesprächen erweiterte Antwortspielräume gibt (vgl. Bohnsack, Przyborski, u. Schäffer 2006). Der Erzählstrang sollte möglichst nicht unterbrochen, sondern höchstens moderiert bzw. angeregt werden. Zudem konnte flexibler auf die Gesprächssituation oder den „persönlichen Rucksack“ der Interviewpartner eingegangen werden. Gerade Bedeutungszuweisungen (Stichwort Raumbild bzw. „Bild der Region“) können am besten durch Interviews mit einem narrativen-geschichtenfähigen Ansatz zugänglich gemacht werden (vgl. Hahn u. Steinbusch 2004, S. 211; vgl. hierzu auch die Ausführungen Griese u. Griesehop 2007 zur narrativ konstruierten Identität, S. 42). Der Leitfaden garantiert trotzdem, dass die Abhandlung aller vorgesehenen Themenkomplexe gewährleistet wird und eine zulässige Vergleichbarkeit der Interviews gegeben ist (vgl. Klemme 2002, S. 86). Wesentlich bei Leitfadengesprächen ist, zentrale Fragen im geeigneten Moment einzubringen (vgl. Atteslander 2000, S. 154). Geeignet muss in diesem Zusammenhang heißen, dass die authentische Gesprächssituation nicht unterbrochen wird. Visuelle Methoden: Mentale Landkarten und Photobefragung Visuelle Erhebungsmethoden sind wichtige, ergänzende Praktiken für die Befragung der Bewohnerinnen und Bewohner des Rheintals. Zudem können über visuelle Werkzeuge die Fragen, Herausforderungen, Problemstellungen und komplexen Zusammenhänge räumlicher Entwicklung für die Rückkoppelung mit den Entscheidungsträgern bzw. für den Wissenstransfer besser aufbereitet, sozusagen lesbar gemacht werden (vgl. Förster 2009; vgl. Förster 2010; vgl. Leuthold et al. 2007; vgl. Müller 2006). Ein wesentlicher Methodenschwerpunkt ist die Erhebung von Informationen in Form von mentalen Landkarten (vgl. Lynch 1960; vgl. Downs u. Stea 1982; vgl. Weichhart 2008, S. 170–212). Solche Karten haben einen erheblichen Anteil am Verständnis der räumlichen Umwelt bzw. können Perspektiven, Aktionsräume, Nutzungsgrenzen oder Orientierungen in ihrer Relativität erfassen. „Mentale Repräsentationen als Ordnungsleistungen legen aber auch fest, was oder wer in welcher Beziehung ein- oder ausgeschlossen ist“ (Fretz u. Olloz 2006, S. 722). Das Forschungsvorhaben bedient sich bei der Anwendung von mentalen Landkarten insbesondere eines phänomenologischen Forschungszuganges, dieser lässt sich als eine Art Zwischenstadt-Ethnographie beschreiben (vgl. Schöffel et al. 2010, S. 55; vgl. auch Fretz u. Olloz 2006). Arbeiten wie etwa von Greverus (vgl. 1994), Hengartner (vgl. 2000) oder Loewens (vgl. 2005) dienen dabei als Orientierungshilfe, weil sie einen Bezug zur praktischen Anwendbarkeit herstel-
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len und hilfreiche Hinweise zu Stolpersteinen und Potentialen für die Anwendung dieser Methoden bieten. Wie Mallot (vgl. 2003) darstellt, fasst die Orientierung im Raum eine Reihe unterschiedlicher Verhaltensleistungen zusammen. Der Autor beschreibt die kognitive Karte eines Akteurs als ein deklaratives Ortsgedächtnis. Die einfachste Organisationsform ist die eines Netzwerkes aus „Landmarken“ und Aktionen, die von einer Landmarke zur anderen führen. Kognitive Fähigkeiten ermöglichen es Informationen über die räumliche Umwelt zu systematisieren und zu einem späteren Zeitpunkt wieder abzurufen (vgl. Downs u. Stea 1982, S. 23–31). Kognition bezieht sich demnach auf Prozesse, die eine repräsentative Beziehung zur Welt der „Tatsachen“ haben (vgl. Stengel 1999, S. 120). Bettet man dieses gezeichnete Bild in einen geographischen Raum mit Koordinatensystem ein, so bemerkt man, dass das sogenannte individuelle Überblickswissen zu einer Raumverzerrung führt (vgl. Weixlbaumer 1994, S. 28). Der individuell wahrgenommene Raum deckt sich dabei nicht zwangsläufig mit dem physischmateriellen Raum. „Der Fokus liegt also auf der Wechselbeziehung zwischen Mensch und Raum und beleuchtet das Spannungsverhältnis, das sich gegenseitig Beeinflussen“ (Loewens 2005, S. 159). Mentale Landkarten werden des Weiteren mit jeder neuen Informationsaufnahme weiterentwickelt, neu gezeichnet. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten mentale Landkarten von Interviewpartnern zeichnen zu lassen. Für diese Arbeit werden die Ansätze von Kumar (vgl. 2002) herangezogen, insbesondere die Idee der „Dream Map“. Mit Hilfe dieser Karten können Wünsche und Vorstellungen der Bewohnerinnen und Bewohnern verbildlicht werden. An dieser Stelle sollen mit Verweis auf Downs und Stea noch drei wesentliche Merkmalszüge skizziert werden, die bei der Umsetzung und Interpretation von mentalen Landkarten Berücksichtigung finden. Zum einen ist kognitives Kartieren ein alltäglicher Prozess, der an jedem Ort stattfindet. Menschen verwenden mentale Landkarten für die Orientierung im Raum, es funktioniert quasi wie ein Navigationsgerät. Wo liegt mein Ziel und wie komme ich dahin? Entfernungen und Richtungen in einer mentalen Landkarte sind dabei immer als relativ zu betrachten. Zum anderen sind sie ein Zeiger für die räumliche Konzentration von Aktivitäten. Allerdings erheben mentale Landkarten nicht den Anspruch mit dem physisch-materiellen Raum zu korrelieren. Jeder Mensch besitzt unterschiedliche zeichnerische Fähigkeiten. Die Frage der Vergleichbarkeit solcher Karten ist nur zielführend, wenn man den funktionalen Gebrauchswert und nicht die Genauigkeit der räumlichen Verortung betrachtet (vgl. Downs und Stea 1982, S. 72–75). Die Methode der mentalen Landkarten wurde bei der Befragung von Jugendlichen im Rheintal verwendet (vgl. Obkircher 2007) und war Bestandteil der 29 vertiefenden Interviews.
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Die qualitativen Interviews werden des Weiteren mit einer sogenannten (Auto-) Photobefragung ergänzt, welche als eine methodische Erweiterung der mentalen, subjektiven Landkarten verstanden werden kann. Nachstehende Fragestellung wurde den Interviewpartnerinnen und -partner im Vorfeld des Interviews mitgegeben: „Bevor ich Sie interviewe, bitte ich Sie, dass Sie in den Tagen vor unserem Interview Photos von ,ihrer‘ Region machen: Photos von besonderen Orten, alltäglichen Orten, Unorten, Gebäuden, Umgebungen, Treffpunkten etc. – Sowohl negative, positive als auch alltägliche Beispiele ,ihrer‘ Region! Stellen Sie sich dabei einfach vor, Sie müssten mir die Region so vorstellen, wie Sie sie sehen!“ (Zitat aus dem Anschreiben der Interviewpartner, Obkircher 2009; wenn den Teilnehmern nicht klar war, was unter „ihrer“ Region zu verstehen ist, folgten ergänzende Erklärungen). Die Interviewpartnerinnen und -partner wurden dabei im Vorfeld aufgefordert eigenständig Photos zur genannten Themen- bzw. Fragestellung zu machen (vgl. Moore et al. 2008, S. 52f). Dies erforderte eine bewusste Auseinandersetzung mit dem persönlichen Blick auf den Raum und dessen Nutzung (Nutzungsgrenzen, räumliche Orientierung, Lebensqualität etc.). Im weiteren Verlauf, also beim eigentlichen Interview, wurden die Wahrnehmungen und Raumbezüge gemeinsam mit den Interviewpartnern interpretiert (vgl. Moore et al. 2008, S. 61; vgl. Overdick 2002). Während der Interviews waren sie folglich aufgefordert ihre Gedanken zu den Bildern zu äußern, eigene Interpretationen zu kommunizieren und zu erklären (vgl. Deinet u. Krisch 2010; vgl. auch Weixlbaumer 1994, S. 31ff, er verweist hier allerdings auf einen Ansatz, der auf der Bewertung von vorgelegten Bildern beruht). Ziel war es Rückschlüsse auf die Bedeutungszuweisungen zu den Besonderheiten und Merkmalen der grenzübergreifenden Zwischenstadt Rheintal zu erhalten. Bedenken bezüglich der Wissenschaftlichkeit von Photobefragungen werden vorwiegend bei der Anwendung quantitativer Studien geäußert, bei der vorliegenden Arbeit wird das Photomaterial jedoch ausschließlich in Zusammenhang mit ergänzenden qualitativen Interviews verwendet und bei der Auswertung gleichzeitig auf mögliche Fehlerquellen hingewiesen (siehe dazu auch Klüter 1994 oder Hilfiker 1992). Burckhardt macht zum Beispiel ausdrücklich auf den mehrdeutigen Charakter von Bildern aufmerksam (vgl. 2006, S. 219f). Und wie Moore et al. schreiben: „A photograph captures a particular moment […] There is no knowledge of what happened before or after that moment“ (Moore et al. 2008, S. 60). Die Methode der (Auto-)Photobefragung war Bestandteil der vertiefenden Interviews mit den Bewohnerinnen und Bewohner des Alpenrheintals, wobei insgesamt acht Photobefragungen zur weiterführenden Interpretation herangezogen werden konnten.
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Werkstattgespräche Ziel von themenzentrierten Gruppendiskussionen (vgl. Atteslander 2000; vgl. Bohnsack, Przyborski u. Schäffer 2006) – in der vorliegenden Forschung in Form von Werkstattgesprächen angewandt – war die vielfältigen Meinungen und Facetten der Thematik im Diskussionsprozess offen zu legen und nicht Übereinstimmung zu erzielen (vgl. hierzu auch Baumfeld et al. 2008, S. 174–177). Die Gruppendiskussion aus der Perspektive von Teilnehmerinnen und Teilnehmer betrachtet: Meinungen, Wahrnehmungen und Einstellungen werden über Kommunikation sozial konstruiert (vgl. Littig u. Wallace 1997, S. 10). Gruppendiskussionen bieten einerseits eine geeignete Möglichkeit selbständige Meinungen zu entwickeln und zu äußern. Andererseits verläuft der Diskussionsprozess in einer Situation, welche eine Auseinandersetzung und Rückkoppelung mit anderen Meinungen verlangt (vgl. Hart 2002, S. 45). In diesem Verständnis kommt das Setting in einer Gruppendiskussion einer gewohnten, natürlichen Gesprächssituation sehr nahe. Durch die Anwesenheit mehrerer, untereinander bekannter Personen wird zudem der soziale Druck, sprechen zu müssen, genommen (vgl. Altrichter, Posch u. Somekh 1998, S. 101–109). Natürlich ist ebenso Gegenteiliges vorstellbar, dass die Gruppenkonstellation eine authentische Diskussion hemmt, dass keine Rückkoppelung erfolgt. Seitens der Soziologie ist ohnehin Skepsis gegenüber den wahren Ansichten von Personen geboten (vgl. Littig u. Wallace 1997, S. 3–9). Trotzdem wird die Individualität der einzelnen Personen bei dieser Form des Interviews nicht unterdrückt. Vielmehr kann die Aussage eines Teilnehmers den Impuls für die Aussage eines anderen Teilnehmers bedeuten (vgl. Altrichter, Posch u. Somekh 1998, S. 102f; vgl. Bohnsack 2005, S. 370f). Die Gruppendiskussion aus der Perspektive des Interviewers betrachtet: Die Leitung und Moderation des Diskussionsprozesses steht im Vordergrund, nicht der Eingriff in Inhalte (vgl. Littig u. Wallace 1997, S. 4; vgl. Atteslander 2000, S. 153). Um die Diskussionsbereitschaft am Leben zu erhalten, sind immanente Fragen den Fragen zu neuen Themenstellungen vorzuziehen. Damit bleibt der Spannungsbogen aufrecht und die Diskussion wird nicht künstlich abgebrochen (vgl. Bohnsack 2005, S. 381ff). Im Rahmen der Forschung wurde speziell die Methode des World Cafés angewendet, eine besondere Form der Gruppendiskussion (vgl. Baumann u. Detlefsen 2005). Wesentlich hierbei ist das räumliche Setting in Form von mehreren Arbeitstischen und mehreren, aufeinanderfolgenden Diskussionsrunden, bei denen sich die Diskussionsgruppen im Laufe des World Cafés mehrfach neu mischen können. Dieser methodische Ansatz wurde bei den Treffen der Bürgermeister und Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten des Rheintals (2011), beim „Morgenlandfestival – für eine enkel-
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taugliche Zukunft im Alpenrheintal“ (2011) und bei der Befragung der Jugendlichen (2007) angewendet. Exkurs Morgenlandfestival Im Mai 2011 fand in Liechtenstein das „Morgenland Festival für eine enkeltaugliche Zukunft des Alpenrheintals“ statt. Unter dem Motto „Gibt es das Alpenrheintal – und wenn ja, wie viele? Wir denken unsere Region neu – dies- und jenseits des Alpenrheins und darüber hinaus“ wurde ein Workshop veranstaltet, an dem insgesamt 23 Personen aus der Region teilnahmen. Der Workshop bestand insgesamt aus drei Teilschritten. Für den ersten Teil wurde eine „Bodenkarte“ der Region vorbereitet, auf der sich alle anhand von Leitfragen verorten sollten. Ziel war es, ein Kennenlernen zu ermöglichen und gemeinsam einen ersten Überblick über die räumliche Orientierung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu gewinnen. Die Fragen, anhand derer sich die Personen auf der Karte verorten sollten, waren „Wo wohnen Sie?“, „Wo arbeiten Sie?“, „Wo ist Ihr Lieblingslokal?“ Der zweite Teil bestand aus einem World Café mit unterschiedlichen Thementischen: Umwelt und Lebensqualität, Kultur und Freizeit, Wohnen und Einkaufen, Politik und Mitgestaltung, Arbeiten und Mobilität (dieser Thementisch ist aufgrund von mangelndem Interesse nicht zustande gekommen). An den Thementischen wurde jeweils ausgehend von den folgenden drei Kernfragen frei diskutiert: Was sind die Besonderheiten, Merkmale? Wie wirken sich Grenzen aus und was sind Herausforderungen? Was sind Chancen und Potentiale? Die Diskussionsbeiträge und -ergebnisse wurden auf vorbereiteten Kartengrundlagen schriftlich und zeichnerisch festgehalten. Übergeordnete Zielsetzung des Workshops war, das erhobene Bottom-Up-Raumbild des nördlichen Rheintals mit einer Liechtensteiner Perspektive zu ergänzen und auf Konsistenz zu prüfen. Umgesetzt und ausgewertet haben den Workshop Benno Gratt (Politikwissenschaftler/Helsinki), Josiane Meier (Stadt- und Regionalplanung/Berlin), Stephanie Bee (Diplompädagogin/Konstanz), Julia Scharting (Geographin/Innsbruck) und Stefan Obkircher (Geograph/Innsbruck). Auswertung Durch die Analyse regionsbezogener Literatur, hier insbesondere der grauen Literatur, der publizierten Planungsdokumente sowie der Fachliteratur zur Raumplanung und -entwicklung in der Grenzregion Rheintal mit Schwerpunkt auf Vision Rheintal und das Agglomerationsprogramm Rheintal, wird versucht eine umfassende Perspektive über das Untersuchungsgebiet und die raumrelevanten
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Prozesse zu erreichen (vgl. Klemme 2002, S. 90f). Zur Analyse der Texte wird ein interpretativ-verstehendes Vorgehen angewandt. Trotz der Problematik einer subjektiven Auslegung und Interpretation scheint diese Methode für den Zweck der Untersuchung eine sinnvoller Zugang (vgl. dazu auch Gebhardt 1992). Um die grenzüberschreitende Raumentwicklung in der Region St. Gallen und Vorarlberg in ihrem historischen Kontext einordnen zu können, werden außerdem Dokumente aus dem „Tiefenthaler-Archiv“ analysiert. Helmut Tiefenthaler war Raumplaner des Landes Vorarlberg und in seiner Funktion unter anderem zuständig für die grenzüberschreitenden Kontakte mit den Nachbarregionen. Während seiner Tätigkeit in der Raumplanung hat er ein umfassendes Dokumenteund Literaturarchiv angelegt. Das Archiv wurde im Zuge der Forschungen gesichtet und nachstehende, von Tiefenthaler systematisierte Themenfelder zur vertiefenden Analyse aufbereitet: Heimat und Lebensqualität, Rheintal, Grenzen, Regionalplanung und Methodik. Die Ergebnisse fließen in die Arbeit ein. Während der gesamten Forschungsphase wurde ein Feldtagebuch geführt. Dieses half wichtige Erkenntnisse z.B. aus Beobachtungen oder Begehungen zu erfassen, ergänzende Notizen aus den Interviews und Werkstattgesprächen festzuhalten, den Forschungsprozess in seiner zeitlichen Entwicklung nachvollziehbar zu machen sowie die eigene Position des Forschers – sprich die Doppelrolle – zu reflektieren. Gerade das Feldtagebuch war bei dem gewählten qualitativen Forschungszugang somit eine wichtige Hilfestellung für die Auswertung und Interpretation der Daten. Den übergeordneten wissenschaftstheoretischen Rahmen für die Analyse der Daten bildet zunächst ein hermeneutisch-phänomenologischer Ansatz. Ziel ist es, wie bereits beschrieben, das „Wesen der Dinge“ in seinen unterschiedlichen Dimensionen zu erfassen (vgl. Meier Kruker u. Rauh 2005, S. 78), wie sie den Bewohnerinnen und Bewohner erscheinen und wie sie erfahren werden (vgl. Baecker 2009a, S. 6). „Eine solche Analyse ist aber immer auch subjektiv von der jeweiligen Forschungsperspektive des Forschers beeinflusst“ (Burtscher 2009, S. 35). Aus diesem Grund ist es wichtig diese Abhängigkeiten zwischen Forscher und Untersuchungsobjekt zu reflektieren und für die Leserinnen und Leser transparent zu machen. Burtscher schlägt zudem vor, die entwickelten Konzepte und Kategorien anhand anderer Fallbeispiele zu überprüfen (vgl. Burtscher 2009, S. 35), was in diesem Fall mit dem S5-Stadtprojekt erfolgt ist (vgl. Schöffel et al. 2010). Zur konkreten Auswertung und Interpretation der in dieser Arbeit erhobenen Daten wird die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (vgl. 2000 und 2003) verwendet. Vorteil dieser Methode ist eine möglichst „naturalistische, gegenstandsnahe Abbildung des Materials ohne Verzerrung durch Vorannahmen“ (Mayring 2003, S. 75–76).
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Merksatz Qualitative Erhebungsmethoden Zur Erhebung der Bottom-Up-Raumbilder im Alpenrheintal wird ein explorativer Forschungszugang gewählt. Ziel ist es, sich über die subjektiven Bedeutungszuweisungen und alltäglichen, räumlichen Orientierungen der Menschen dem Wesen der Grenzregion zu nähern. Indikatoren wie Vergangenheitsbezug, Zukunftsorientierung, Abgrenzung „meiner“ Region oder Freizeitverhalten geben den Befragungen und Interviews die notwendige Struktur. Das methodische Werkzeug besteht aus einem Mix an qualitativen Interviews und Werkstattgesprächen, Photobefragungen und dem Erarbeiten von mentalen Landkarten.
4. Grundlagen
E XKURS
ZUR
G RENZGESCHICHTE
DES
R HEINTALS
Dieses Kapitel erhebt nicht den Anspruch einer lückenlosen Skizzierung der Geschichte, vielmehr wird bewusst auf ausgewählte und wichtige historische Einschnitte in der Region Bezug genommen. Dadurch sollen die Rahmenbedingungen respektive die historischen Wirkgefüge für die aktuellen grenzübergreifenden Raumentwicklungsprozesse aufgezeigt werden. Das „Hintergrundrauschen“ der Aussagen, Antworten und Informationen aus den Gesprächen und Interviews wird lesbarer. 890 wurde der sogenannte Rheingau erstmals namentlich genannt. Dazu gehörte die beiderseits des Rheins situierte Ortschaft Höchst, wobei das Gebiete heutige Teile von St. Margrethen im Kanton St. Gallen umfasste, und die Ortschaften Lustenau, Dornbirn (beide heutiges Vorarlberg) sowie Berneck, Altstätten und Marbach (heutiger Kanton St. Gallen). Der Name Rheingau verschwand 980 wieder aus den Urkunden (vgl. Niederstätter 2009, S. 233). Hugo von Tübingen kam um 1150 an die Macht (vgl. Reding 2008, S. 72), auf ihn ist das heutige Landeswappen von Vorarlberg zurückzuführen. Seine Söhne gründeten die Stadt Feldkirch, wobei der jüngere Sohn sich ab Anfang 1200 Hugo I. von Montfort nannte (vgl. Niederstätter 2009, S. 237). Hugo I. baute die Stadt weiter aus, errichtete die Schattenburg und damit ein neues Zentrum für das Rheintal (vgl. Tiefenthaler 2006, S. 12). „Feldkirch entwickelte sich durch starken Zuzug aus der Ostschweiz und dem Bodenseeraum zu einem deutschen Zentrum in einem mehrheitlich romanisch besiedelten Gebiet“ (Brzezinski et al. 1988, S. 18). 1291 schließlich wurde das „Rintal“ erstmals urkundlich erwähnt. Die Besiedelung des Tales folgte zu dieser Zeit den Gesetzmäßigkeiten des Flusses. Bevorzugt wurden Siedlungsstandorte auf den Schwemmfächern der Rheinzuflüsse, was anhand der Siedlungsstrukturen bis in die heutige Zeit ablesbar ist, und auf den fruchtbaren Schwemmböden in den Auen entlang des Rheins angelegt. Man
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muss dabei bedenken, dass der damalige Fluss eine Breite von bis zu 300 Meter hatte und die Auenlandschaft ebenso eine Erstreckung zwischen 1.200 und 1.800 Metern Breite aufwies (vgl. Kaiser 2005, S. 274ff). Handwerk und Gewerbe entstand überwiegend in den Siedlungen am Bergfuß, die Flächen nahe dem Rhein wurde hingegen für die Landwirtschaft genutzt. Es begann ein reger Austausch quer zur Talrichtung, der über Fährverbindungen betrieben wurde. Die Zölle des Transitverkehrs stellten zu dieser Zeit eine wichtige Einnahmequelle dar, zusätzlich wurde der Rhein selber als Transportweg genutzt, denn ab Chur wurden Waren auf Flößen talwärts transportiert. Der Verlauf und die Wahrnehmung von Grenzen waren im Alpenrheintal einer kontinuierlichen Veränderung unterworfen, wobei der Rhein nicht von Beginn an das Merkmal des Grenzflusses einnahm. Mit anderen Worten ausgedrückt, war der Rhein nicht seit jeher die Grenze zwischen Österreich, der Schweiz und Liechtenstein. Vielmehr reichten einzelne Gemeindegebiete anfänglich über den Fluss hinweg. Schweizer Bauern besitzen und bewirtschaften bis in die heutige Zeit Landwirtschaftsflächen auf österreichischem Grund (vgl. Wanner 1999, S. 31). Namensgebungen wie das „Schweizer Ried“ in Lustenau zeugen davon. Burmeister nennt in seiner Geschichte Vorarlbergs u. a. die drei großen Kriege, die Österreich 1445/46, 1460 und 1499 mit den Eidgenossen geführt hat, mit als Grund für die zunehmende Ausprägung des Rheins als Grenze in der Region (vgl. 1980). 1499 wird in der Literatur auch als „Schweizerkrieg“ bezeichnet und gilt als eine der größten Schlachten, die auf Vorarlberger Gebiet geschlagen wurde (vgl. Niederstätter 2005, S. 2). Der Rhein war fortan eine Trennungslinie. Bis zum 19. Jahrhundert gab es keine fixen Brückenverbindungen, sondern lediglich den bereits erwähnten Fährverkehr zwischen den beiden Seiten (vgl. Zaffignani 1997). Durch den Bau erster Hochwasserdämme wurden die Voraussetzungen für Brückenköpfe geschaffen. Mit den ersten Brückenverbindungen folgte auch die Installation einer Eisenbahnverbindung zwischen Bregenz und St. Margrethen. Was waren weitere Hintergründe für diesen Brückenschlag? Um 1900 bestanden bereits enge wirtschaftliche Beziehungen und grenzüberschreitende Regionalwirtschaften zwischen der Schweiz und dem Bundesland Vorarlberg: „Infolge der verkehrsgeographischen Abgeschlossenheit dieser landschaftlichen Einheit sind die gegenseitigen wirtschaftlichen Verflechtungen der beiden Rheintalhälften auch nach der im Jahre 1499 eingeleiteten politischen Zweiteilung dieses Raumes stets sehr eng geblieben…“ (Meusburger 1975, S. 306). Diese bezogen sich zum einen auf die Förderung der Textilindustrie auf Vorarlberger Gebiet und zum anderen auf den Absatz von Exportgütern in der
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Schweiz. Daraus folgten die genannten Investitionen in grenzüberschreitende Infrastruktur wie Eisenbahn und Brückenbau. Drei Eckpfeiler in der neueren Geschichte der Grenzregion Rheintal Kanton „Übrig“: Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Ende der Habsburger Monarchie versuchten mehrere Teilregionen sich ihren Nachbarstaaten anzuschließen. In Vorarlberg stimmten am 11. Mai 1919 82 % der Bevölkerung für die Bildung eines Kantons Vorarlberg ab. In der NZZ Ausgabe vom 14. Mai 1919 wird über das Abstimmungsergebnis wie folgt Bericht erstattet: „Die Volksabstimmung vom letzten Sonntag hat eine Vierfünftelmehrheit zugunsten des Anschlusses an die Schweiz ergeben. […] Die Führung der Opposition hatte das sogenannte „Schwabenkapitel“ übernommen, eine Vereinigung mit unverkennbar alldeutschem Einschlag alten Stils, also eine Geistesrichtung, die uns besonders antipatisch ist…“ (NZZ 23. Oktober 2008). In Vorarlberg herrschte zur damaligen Zeit also eine in Zahlen belegbare Stimmung pro Schweiz. Für Burmeister lässt sich der Wunsch nach Eingliederung in die Schweiz zu einem gewichtigen Teil aus der damaligen Not der Vorarlberger erklären (vgl. Burmeister 1980, zitiert nach Mörth 2008, S. 133). Die Eingliederungsversuche blieben trotz mehrheitlicher Zustimmung des Vorarlberger Stimmvolkes erfolglos. Ein gewichtiger Grund für das Scheitern war die Ablehnung des Antrags durch die Siegermächte des Ersten Weltkriegs (vgl. Barnay 2011, S. 21–25). Internationale Rheinregulierung: Das Rheintal war im 18. und 19. Jahrhundert von Armut, Kriegen, Hungersnöten und Überschwemmungen geprägt. Mangels Bau- und Heizmaterial wurden die Auwälder entlang des Rheins gerodet und damit der natürliche Hochwasserschutz gemindert. Es folgten Überschwemmungen. „Die Geburtsstunde der staatlichen Hilfe für den Rheinuferschutz in Vorarlberg ist im Jahr 1824 anzusetzen. Die Rhein-Not des 19. Jh., verursacht durch die verheerenden Überschwemmungen des Rheins und seine Laufverlagerungen, wurde aber erst ab 1892 durch die gemeinsam mit der Schweiz durchgeführte Rheinregulierung dauerhaft beseitigt“ (www.alpen rhein.net). Seit dem Jahr 1892 verhindert die Rheinregulierung die periodischen Überschwemmungen im Rheintal (vgl. Schindler et al. 2008, S. 3; vgl. auch Strittmatter et al. 2002, S. 10). Der Alpenrhein, wie er sich heute zeigt, ist das Ergebnis von grenzüberschreitenden Rheinregulierungsprojekten über mehrere Jahrhunderte. Bislang wurden insgesamt drei Staatsverträge zwischen Österreich und der Schweiz zur Rheinregulierung von der Illmündung bis zum Bodensee geschlossen (1892, 1924, 1954). Dem ersten Staatsvertrag von 1892 gingen bei-
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nahe 70 Jahre Verhandlungen zwischen den beiden Staaten voraus (vgl. Bergmeister u. Kalt 2006). Zeitgleich mit dem ersten Staatsvertrag wurde die Internationale Rheinregulierung (IRR) ins Leben gerufen. Sie ist institutionelle Grundlage für die Projekte und Maßnahmen entlang des internationalen Rheinabschnitts zwischen der Illmündung bei Feldkirch und dem Bodensee. Der Sitz des gemeinsamen Büros ist seit Ende 2011 in St. Margrethen, zuvor war er zweigeteilt in Lustenau (V) und Rorschach (SG). Zudem gibt es die Plattform der internationalen Regierungskommission Alpenrhein (IRKA). Im Jahre 1995 gegründet, bietet sie die Möglichkeit zum Informationsaustausch zwischen den vier Regierungen von Graubünden, St. Gallen, Fürstentum Liechtenstein und Vorarlberg. Mit dem Entwicklungskonzept Alpenrhein, das 2005 von der IRKA und der IRR gemeinsam verabschiedet worden ist, liegt erstmals ein umfassendes und grenzübergreifendes Gesamtkonzept zur Entwicklung des Alpenrheins vor (vgl. IRKA u. IRR 2005). Grenzgänger im Rheintal: Bereits vor dem Ersten Weltkrieg hat es Grenzgänger im Rheintal gegeben. Die ersten Nennungen von Vorarlbergern, die in der Schweiz ihren Arbeitsplatz hatten, können bis in das 16. Jahrhundert zurückdatiert werden. Wichtiger Grund für die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Vorarlberg und der Ostschweiz zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Textilindustrie. Vor allem Unternehmer aus dem Kanton St. Gallen standen in engem Zusammenhang mit der Entwicklung der Vorarlberger Textilindustrie (vgl. Witzig 1974). Die zentrale Lage in Europa an wichtigen Nord-Süd- bzw. Ost-WestVerbindungen liegend, und günstige Voraussetzungen für Textilproduktion waren entscheidende Gründe dafür, warum die Industrialisierung in der Region erfolgreich fortschritt. Die dabei entstandene und stetig wachsende Textilindustrie benötigte viele Arbeitskräfte (vgl. Wanner 1990). Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Beziehungen zwischen den beiden angrenzenden Ländern wieder intensiviert. Im September 1945 wurde die Wirtschaftsstelle Vorarlberg-Schweiz (kurz WVS) gegründet, welche fortan u. a. die Abwicklung des Grenzgängerwesens verantwortete und reglementierte. Bis Ende der 1950er-Jahre war der Umtausch des Frankenlohns in Schilling ein Muss und „zusätzlich zum Verdienst war es den Grenzgängern auch möglich, täglich eine bestimmte Menge Lebensmittel bzw. Tabak nach Vorarlberg einzuführen und diese im Lande zu verkaufen“ (Alge u. Fechtig 2010, S. 16). Die Zahl der Grenzgänger von Vorarlberg in die Schweiz und nach Liechtenstein stieg bis 1960 wieder auf 6.000 Personen. Bis in die 1980er-Jahre wuchs die Zahl der Grenzgänger von Vorarlberg in die Schweiz stetig an und erreichte 1990 einen Höchststand von 13.000. Da sich die Wirtschaft in Vorarlberg in den 1990er-Jahren ebenfalls gut entwickelte, beendeten viele Vorarlberger ihre Grenztätigkeit, wodurch sich das Niveau wieder im
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Bereich 7.000 bis 8.000 einpendelte. Der Großteil der Grenzgänger ist im Kanton St. Gallen beschäftigt. Im Gegensatz zur Schweiz hat sich die Pendlerzahl in Richtung Liechtenstein laufend erhöht, ohne wesentlichen Einbruch, und liegt gegenwärtig bei knapp 7.500 Auspendlern (vgl. auch Verein Agglomeration Werdenberg-Liechtenstein 2011, S. 18).
G RENZREGION R HEINTAL Räumliche Zuordnungen – ein Versuch Vorweggenommen, wenngleich das (Alpen-)Rheintal naturräumlich eine Einheit bildet, gibt es das Alpenrheintal in vielerlei Hinsicht noch nicht. „Obwohl der Begriff ‚Alpenrheintal‘ in Fachpublikationen verwendet wurde und wird, ist er in Fachkreisen auch umstritten: Insbesondere weil er nicht in der Bevölkerung verwurzelt ist […]“ (Meier 2011, S. 54). Am Anfang der Forschungsreise stellt sich für den Geographen die Frage der Abgrenzung des Untersuchungsgebietes, in diesem Fall wie groß das Rheintal ausfallen soll. Eine erste Ideensammlung hat dabei viele Möglichkeiten und Zugänge hervorgebracht. Eine Möglichkeit besteht in der Verwendung von naturräumlichen Merkmalen oder von administrativen Grenzen unter Berücksichtigung von Grenzgemeinden, Talgemeinden sowie Hanggemeinden im Rheintal. Eine andere räumliche Definition orientiert sich an dem zusammenhängenden Siedlungsgebiet (vgl. Güller u. Güller 2006, S. 41). Daneben gibt es aber auch statistische Ansätze wie der Bezug auf die Arbeitsplatz- und Bevölkerungsdichte, die Unterscheidung zwischen bedeutenden Pendlerbeziehungen, weniger bedeutenden Pendlerbeziehungen, selbstbezüglichen Pendlerbeziehungen (vgl. www.s5-stadt.ch), Kaufkraftgefälle (vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung 2011, S. 41) oder die Analyse der Mietspiegel (vgl. hierzu Koll-Schretzenmayr 2007, S. 9) sowie eine Darstellung der täglichen Fahrten mit dem Öffentlichen Verkehr (ÖV) oder dem motorisierten Individualverkehr (MIV). Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die Menschen direkt zu fragen und sie ihre besonderen und alltäglichen Orte in einer Karte einzeichnen lassen. Zusammengefasst gibt es politisch-administrative, analytische-funktionale und lebensräumliche (Wahrnehmungsregion, Identitätsregion) Ansätze um eine Region abzugrenzen. In der Alltagspraxis werden allerdings meist politischadministrative Abgrenzungen verwendet, ohne auf den Funktionalraum zu achten. Das führt dazu, dass die Problemräume nicht mehr mit den (politischen) Handlungs- und Entscheidungsräumen übereinstimmen (vgl. Scherer 2006, S.
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30f; vgl. dazu auch Fassmann 2011, S. 48). Durch eine zusätzliche Berücksichtigung der Wahrnehmungsregion könnte die Region als lebendiges Konstrukt verstanden werden (vgl. Scherer 2006). Mit der vorliegenden Arbeit wird deshalb neben der politisch-administrativen Abgrenzung insbesondere der Fokus auf die funktionale und die wahrgenommene Abgrenzung der Region Rheintal gerichtet. Abbildung 9: Die Region Rheintal im Vergleich zu anderen europäischen Städten
Quelle: eigene Skizze 2012
Das Tal ist also ein vielfältiger, komplexer Grenzraum. Fokus dieser Forschungsarbeit bilden das St. Galler und das Vorarlberger Rheintal. Beide Regionen liegen im nördlichen Alpenrheintal und werden im weiteren Verlauf der Arbeit als Rheintal bezeichnet. Dieser Zuschnitt des Rheintals basiert zum einen auf dem Projekt Vision Rheintal, zum anderen auf dem Agglomerationsprogramm Rheintal. Deren Abgrenzungen orientieren sich zwar an den Pendlerverflechtungen, sind letztlich aber politisch bestimmt. Im Alpenrheintal, zwischen Chur und Bodensee, wohnen mehr als 450.000 Einwohner, wovon der Großteil im nördlichen Alpenrheintal wohnt. Als Einheit verstanden kann das Alpenrheintal zwischen Städten wie Innsbruck (120.000 EW), Salzburg (150.000 EW), Zürich (380.000 EW) und Stuttgart (600.000 EW) oder München (1.330.000 EW) eingeordnet werden. Die gesamte Region des nördlichen Alpenrheintals hat gegenwärtig ca. 309.000 Einwohner. Davon leben mit ungefähr 245.000 Ein-
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wohnern vier Fünftel im Vorarlberger Rheintal und mit 64.000 Einwohnern ein Fünftel im St. Galler Rheintal (vgl. Rheintalkarten 2010, S. 6–8). Um diese Zahlen im Kontext des Kantons St. Gallen sowie des Bundeslandes Vorarlberg einordnen zu können sind folgende Vergleiche interessant. 245.000 Einwohner entsprechen etwa 65 % der Bevölkerung Vorarlbergs. 64.000 Einwohner sind ca. 15 % der Bevölkerung des Kantons St. Gallen. In den letzten 140 Jahren kam es insbesondere im nördlichen Alpenrheintal zu einem markanten Bevölkerungsanstieg. Insgesamt hat sich die Einwohnerzahl im St. Galler Rheintal in diesem Zeitraum verdoppelt und im Vorarlberger Rheintal sogar vervierfacht. Zum Vergleich, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist die Bevölkerungszahl im Vorarlberger Rheintal von knapp 120.000 Einwohnern (1950) auf 245.000 Einwohner (2007) gestiegen. Das entspricht einem Wachstum von über 100 %. Ein besonders starkes Wachstum kann in den 1960er- und 1970er-Jahren verzeichnet werden. Insgesamt liegt das Wachstum weit über dem Durchschnitt von Österreich (1950 bis 1990: 12 %; vgl. Kopf 2001, S. 5). Im St. Galler Rheintal ist das Wachstum etwas flacher ausgeprägt, von ca. 38.000 Einwohnern (1950) auf etwas mehr als 62.000 (2008). Das entspricht einem Wachstum von 60 % (vgl. Rheintalkarten 2010, S. 10). In der Gesamtschweiz beträgt das Wachstum im gleichen Zeitraum 65 % (vgl. www.bfs.admin.ch; Bevölkerungsdaten im Zeitvergleich 1950–2009; bis 2001 Volkszählung, danach neue Zählweise), in Österreich hingegen nur 20 % (vgl. www.statistik.gv.at; Bevölkerung Österreichs seit 1869 nach Bundesländern; die Daten bis 2001 wurden im Rahmen einer Volkszählung erhoben, die Daten von 2006 basieren auf einer Proberegisterzählung). Bezogen auf das ganze Alpenrheintal betrug das durchschnittliche Bevölkerungswachstum zwischen 1960 und 2000 4.200 Personen pro Jahr. Die Schweizer Teilregionen des Alpenrheintals wiesen zusammen ein unterdurchschnittliches Bevölkerungswachstum aus, weshalb der Anteil an der Gesamtbevölkerung in diesem Zeitraum sank (vgl. Strittmatter et al. 2002, S. 13). Mit seinen 245.000 Einwohnern wäre das Vorarlberger Rheintal für sich gerechnet nach Wien und Graz die drittgrößte Stadt in Österreich. Grenzen im Rheintal Die Grenzlage ist ein Einflussfaktor für den Lebensalltag im Alpenrheintal. Um die Ausgangslage im Untersuchungsgebiet einordnen zu können, werden zunächst die wichtigsten statistischen Kennzahlen aufgelistet. Die Überblickskarte soll die Vielfalt an Grenzen anhand von vier Bezugsebenen aufzeigen, hier mit Blick auf das gesamte Alpenrheintal. Im nördlichen Alpenrheintal durchzieht mit
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der EU-Außengrenze eine Grenze höchsten Ranges die Region. Trotzdem gibt es einen intensiven Austausch über die Grenzen hinweg, wie noch aufgezeigt werden kann. Des Weiteren grenzen die drei Staaten Liechtenstein, Schweiz und Österreich aneinander. Auf der nächsten Ebene haben wir die Landes- und Kantonsgrenzen mit dem Bundesland Vorarlberg, den Kantonen St. Gallen und Graubünden. Der Kanton St. Gallen ist ein sogenannter Ringkanton, weil er die Kantone Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden umgibt. Weitere angrenzende Kantone sind Zürich, Schwyz, Glarus, Graubünden und Thurgau bzw. das Fürstentum Liechtenstein, das Land Vorarlberg, das Land BadenWürttemberg und der Freistaat Bayern. Insgesamt macht das elf Nachbarn (vgl. Eichenberger 1992, S. 92). Wichtig ist noch zu erwähnen, dass der Kanton St. Gallen „Teil von Europa“ ist. Zwar ist die Schweiz kein EU-Mitglied, kann aufgrund bilateraler Verträge mit den EU-Staaten aber zur „politischen Sphäre der Union“ zugerechnet werden (vgl. Schneidewind 2009, S. 48). Wie sich das konkret auf die Zusammenarbeit auswirkt, wird an anderer Stelle analysiert. Das Bundesland Vorarlberg ist das westlichste Bundesland von Österreich, es grenzt an das Bundesland Tirol, die Schweizer Kantone Graubünden und St. Gallen, das Fürstentum Liechtenstein sowie an das Land Baden-Württemberg und den Freistaat Bayern. Das macht insgesamt sechs Nachbarn. Die Gemeindeebene im Alpenrheintal umfasst insgesamt über 75 Gemeinden, je nach Abgrenzung des Rheintals. Vorarlberg hat einen Umfang von 329 Kilometern. 80 % der Vorarlberger Landesgrenze sind Staatsgrenzen. Davon verlaufen rund 38 Kilometer oder 11,5 % der Grenze mit dem Kanton St. Gallen. Der Kanton St. Gallen hat einen räumlichen Umfang von 350 Kilometern, davon bilden ein Fünftel die Staatsgrenzen mit dem Fürstentum Liechtenstein, Österreich und Deutschland. 66 Kilometer entfallen auf Vorarlberg und Liechtenstein und ca. 10 Kilometer verlaufen im Bodensee, wobei speziell die Grenzziehung im Bereich des Bodensees immer wieder zu Diskussionen führt und hier keine eindeutige Definition gegeben ist. So wird in einer Sonderausgabe der Vorarlberger Landeskorrespondenz (VLK) vom 7. Juli 1992 die Frage gestellt, wem der Bodensee eigentlich gehört.
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Abbildung 10: Vielfalt an Grenzen im Alpenrheintal
AR
CH AT
Nicht-EU
EU
FL
AI
SG
V
FL
GR EUAußengrenze
Nationalstaaten
Kantone, Bundesland
Gemeinden
Quelle: www.dachplus.org; eigene Darstellung 2017
Neun plus sieben, so viele Gemeinden im Vorarlberger und im St. Galler Rheintal liegen direkt an der Grenze, sind also direkte Nachbarn. Zu den neun Vorarlberger Rheintalgemeinden, die an den Kanton St. Gallen grenzen, gehören Gaissau, Höchst, Lustenau, Hohenems, Altach, Mäder, Koblach, Meiningen und Feldkirch. Auf der gegenüberliegenden Seite sind es die sieben St. Galler Rheintalgemeinden St. Margrethen, Au, Widnau, Diepoldsau, Oberriet, Rüthi und Altstätten. Beinahe jede Gemeinde findet so ein direktes Gegenüber. Die Stadt Feldkirch bildet ein Dreiländereck mitten im Rheintal. Sie grenzt sowohl an das Fürstentum Liechtenstein, als auch an den Kanton St. Gallen. Die Bevölkerungsverteilung im Grenzgebiet kann statistisch wie folgt beschrieben werden: 105.000 ist die Anzahl der Rheintalerinnen und Rheintaler, die in unmittelbarer Grenznähe wohnen. Für diese Definition wird ein Radius von 2,5 Kilometer verwendet. Das entspricht einem Anteil von ungefähr 36 % aller Bewohnerinnen und Bewohner des Rheintals. Knapp 52.000 wohnen einen Kilometer von der Grenze entfernt. Nimmt man einen Radius von fünf Kilometern sind es ca. 171.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Elf Grenzübergänge, die das Rheintal verbinden Die Grenzen sind in der Region Rheintal nicht nur eine trennende Linie, sie haben auch etwas Verbindendes. Zwischen dem Kanton St. Gallen und Vorarlberg gibt es elf offizielle Möglichkeiten um die Staatsgrenze zu überqueren. Das
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ergibt im Schnitt alle 3,4 km einen Grenzübergang. Diese Dichte ist sicherlich einzigartig und ein Alleinstellungsmerkmal des Rheintals. Grenzerlebnisse werden somit zum Bestandteil der Alltagskultur in dieser Grenzregion (vgl. Schneidewind 2009, S. 47) – angefangen vom Nervenkitzel an den Grenzübergängen, ob die IKEA-Taschen aus St. Gallen wohl nicht doch zu voll sind oder der Stau am Grenzübergang Lustenau-St. Margrethen wegen einer wieder einmal überlasteten LKW-Zollabfertigung. Grenzübergang ist dabei nicht Grenzübergang. Alle haben einen unterschiedlichen Charakter. Im Rheintal gibt es z.B. Grenzübergänge für den Alltagsverkehr. Hier rollen täglich der offizielle Transitverkehr und die Pendler durch. Daneben gibt es aber auch die kleinen „Juwele“. Als solche können Grenzübergänge bezeichnet werden, die von der Bevölkerung genutzt werden, um dem alltäglichen Verkehrsstau auszukommen, aber auch um einer Zollkontrolle zu entgehen. Seit 2008 ist die Schweiz in den SchengenRaum integriert. Dies umfasst allerdings nur den Personen-, nicht den Warenverkehr. Darüber hinaus regeln die Bestimmungen des Kleinen Grenzverkehrs den Grenzübertritt in der Grenzregion Rheintal. Grenzübergänge im Rheintal haben immer auch eine hohe Symbolkraft. Diese zeigt sich heute noch anhand der Brücken über den Rhein. Um im Rheintal offiziell auf die andere Seite der Grenze zu kommen, führt der Weg immer über Brücken: Brücken über den kanalisierten Rhein, den Alten Rhein oder Brücken über die Grenzlinie der Autobahn. Jede dieser Brücken ist verbunden mit einer eigenen Geschichte. Zu erwähnen ist etwa die emotionale Diskussion in den regionalen Medien aufgrund des drohenden Abrisses über die Rheinbähnlebrücke – einer alten Steinbruchbahn für den Transport von Rohstoffen zwischen Vorarlberg und St. Gallen, oder der Neubau der ÖBB-Bahnbrücke zwischen St. Margrethen (SG) und Lustenau (V), oder die kürzlich erfolgte Sanierung der letzten Holzbrücke über den Rhein bei Vaduz. Und zuletzt gibt es noch die „Grüne Grenze“ entlang des Alten Rheins mit ihrer besonderen Bedeutung für das Rheintal, z.B. für die Freizeitnutzung: „Von Altach bis Lustenau blieb entlang der weiten ,Hohenemser Kurve‘ fast nur in Flußmitte, an der Staatsgrenze, ein ganz schmaler Kiesdamm übrig. Heute nutzen Freibäder einen Teil der Wasserfläche…“ (vgl. Tiefenthaler o. A.). Die „Grüne Grenze“ ist ebenso ein wichtiger Zeuge der Geschichte des Rheintals (vgl. Barnay 2011, S. 62f). Arbeitspendlerverflechtung in der Grenzregion Die grenzüberschreitende Pendlerverflechtung hat in Europa eine große Bedeutung. Anhand folgender Überblickszahlen kann diese Bedeutung skizziert werden. Ca. 30 % des EU-Raumes können als Grenzgebiet einstuft werden. Und von
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den 362 offiziellen Regionen Europas sind 140 sogenannte Grenzregionen. In diesen Grenzgebieten leben in etwa 30 % der EU-Bevölkerung (vgl. Hartz, Damm u. Köhler 2010, S. 500). „Zwar sind lediglich 7 % der europäischen Bevölkerung innerhalb der EU in dem Sinne mobil, dass sie im Laufe ihres Lebens in einem anderen Staat wohnen oder arbeiten – aber über 80 % dieses insgesamt sehr relativen Phänomens findet in den Grenzregionen statt“ (Beck 2010, o. A.). Was passiert im Grenzraum Rheintal? Wie schaut es gegenwärtig im Rheintal mit dem Austausch über die Grenzen hinweg aus? Dazu gibt es nachstehende Pendlerzahlen. Die Daten stammen aus dem Werkheft Rheintalkarten (vgl. 2010), welches die Raumplanungsabteilung des Landes Vorarlberg und Vision Rheintal zusammen mit dem Kanton St. Gallen und dem Verein St. Galler herausgebracht haben: • Grenzgänger über den Rhein: Heute pendelt laut Statistik ungefähr jede/r •
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zehnte Beschäftigte im Alpenrheintal täglich über eine der Staatsgrenzen. Laut Statistik der EUREGIO Bodensee (2001) pendeln mehr als 6.000 Personen pro Tag vom österreichischen Grenzraum in den Kanton St. Gallen. Umgekehrt sind es nur ca. 100 Personen. Insgesamt ca. 9 % der Vorarlberger Rheintaler pendeln nach Liechtenstein bzw. in den Kanton St. Gallen (vgl. auch Rheintalkarten 2010, S. 22; vgl. Atlas Werdenberg-Liechtenstein 2011, S. 18f). Mit einer Anzahl von ca. 17.000 Pendlern bei knapp 33.000 Arbeitsplätzen im Fürstentum Liechtenstein, pendeln jeden Tag mehr als die Hälfte der Beschäftigten zu (vgl. Wülser 2009, S. 14). Die Pendlerverflechtungen innerhalb der Regionen St. Galler und Vorarlberger Rheintal beträgt je ca. 40 %. Das bedeutet, dass beinahe jeder zweite Arbeitnehmer täglich von seinem Wohnort zu seiner Arbeitsstätte in einen anderen Ort pendelt.
Abschließend kann festgehalten werden, dass ein wesentlicher Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen Anreizen einzelner Regionen im Rheintal und den Pendlerströmen gegeben ist. Verwiesen sei an dieser Stelle auf das Beispiel Liechtenstein. Des Weiteren birgt das Arbeitspendeln in der Grenzregion auch Risiken. „Der wirtschaftliche Anreiz der Pendlerströme in der Bodenseeregion wird aufgrund unterschiedlicher Währungen durch die Wechselkursentwicklung beeinflusst. Deshalb stellt eine gewisse Risikobereitschaft eine Voraussetzung für grenzüberschreitende Pendlerströme dar“ (Studer 2006, S. 33). Studer gibt in ihrem Resümee an, dass das Arbeitspendeln in der Bodenseeregion auch von nicht-monetären Faktoren gehemmt wird. Z.B. müssen die Arbeitnehmer ihren
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sozialen Status im Zielland neu aufbauen. Ob die ebenfalls erwähnte Heimatverbundenheit aber tatsächlich ein Hemmnis ist (vgl. 2006, S. 32f), kann nicht weiter belegt werden. Abbildung 11: Tagespendler – Verflechtungen im Rheintal
Quelle: Rheintalkarten 2010
Freizeitverhalten und Freizeitorientierung in der Grenzregion Der Blick auf die Zahlen der grenzüberschreitenden Arbeitspendler im Rheintal liefert wertvolle Erkenntnisse zu den funktionalen Verflechtungen in der Region, lässt allerdings keine allgemeingültige Aussage zu, ob das Rheintal in der Wahrnehmung der Bewohnerinnen und Bewohner als ein Lebensraum betrachtet und gelebt wird. Dazu braucht es einen breiteren Ansatz, der zum Beispiel in einer Analyse der Freizeitorientierung oder des Einkaufsverhaltens liegen kann. Gera-
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de die Freizeitorientierung ist ein hilfreicher Indikator, weil er nicht nur von monetären Aspekten beeinflusst ist, sondern gleichermaßen vom Angebot oder von Qualitätsmerkmalen der jeweiligen Region bzw. Orte abhängt. Zudem werden Freizeitaktivitäten, wie im Kapitel Werkzeuge beschrieben, eher in einem Identifikationsraum geplant als außerhalb. Insgesamt geben die unterschiedlichen Beweggründe in der Freizeitorientierung der BewohnerInnen und Bewohner die Möglichkeit, der Frage, ob das Rheintal in der alltäglichen Regionalisierung als ein Lebensraum betrachtet wird, näher zu kommen. Abbildung 12: Freizeitorientierung nach Staaten
Quelle: eigene Darstellung 2013, n = 329
Diese Statistik zeigt die Freizeitorientierung nach Staaten. Als Freizeit werden in diesem Zusammenhang sportliche Aktivitäten bzw. (Nah)Erholung betrachtet. Neben den Staaten wurden die Orte „Bodensee“ und „Rhein“ gesondert ausgewiesen, weil sie die häufigsten Einzelnennungen waren. Zum Freizeitverhalten im Alpenrheintal hat es bereits Studien und Projekte gegeben (vgl. Obkircher 2007; vgl. Land Vorarlberg 2004). Zwei wesentliche Erkenntnisse aus diesen Projekten sollen als Rahmenbedingung für die vorliegende Fragestellung dienen. Zum einen nehmen die Freizeitbedürfnisse in der Region zu und die Nachfrage nach Erholung in der freien Landschaft hat einen sehr hohen Stellenwert. Ebenso weitet sich der Aktionsradius aufgrund erhöhter Mobilität der Bewohnerinnen und Bewohner aus. Zum anderen ist die Vielfalt an Erholungs- und Freizeitanlagen im Alpenrheintal groß, den Bewohnerinnen und Bewohnern aber nicht bekannt. Es kommt somit kaum zu einer grenzüberschreitenden Nutzung. Um einen vertiefenden Blick auf die Beweggründe zu erhalten, wurde im Rahmen der Straßenbefragung und der vertiefenden Interviews mit den Rheintalerinnen und Rheintalern explizit nach deren Freizeitorientierung gefragt.
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Vorarlberger Rheintaler unterwegs in der Grenzregion Was steckt hinter diesen Zahlen? Welche Wahrnehmung haben die Bewohnerinnen und Bewohner der Untersuchungsregion? „Über die Grenze von Vorarlberg geht man nicht unbedingt, aber das ist einfach mal etwas Spannendes weiter hinaus zu gehen. Das einzige, was in der Schweiz stört, ist, dass man Schweizer Franken braucht. Die meisten bleiben schon auf dieser Seite. Am Wochenende kann es schon sein, dass man einmal in die Schweiz fährt“, so nimmt Frau Lampert, 36 Jahre aus Altach, das typische Freizeitverhalten der Vorarlberger wahr. Die Ergebnisse der Straßenbefragung bestätigen sie in ihrer Analyse, dass sich die Vorarlberger großteils auf Vorarlberg fokussieren. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwiefern dieses Bild bei der älteren Generation der befragten Vorarlberger Rheintaler zutrifft. „Nachteil in der Schweiz ist, dass es relativ teuer ist beim Essen und Trinken. […] Natürlich ist es eine Grenze, aber ich habe auch nicht das Bedürfnis rüber zu gehen. Wenn zum Beispiel in der Schweiz mehr los wäre als in Österreich, dann würden wir vielleicht schon rüber gehen“, so Herr Klien, 61 Jahre aus Altach. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Erzählungen von Frau Müller, 61 Jahre aus Mäder: „Wir nutzen vor allem Vorarlberg oder den süddeutschen Raum. Ausflüge in die Schweiz sind für uns aus Kostengründen eher schwierig. […] Einmal waren wir im Appenzell. Das war der einzige Schweizausflug in den [letzten] drei Jahren.“ Weitere Beispiele belegen, dass sich der Freizeitraum der befragten Vorarlberger auf Vorarlberg selber konzentriert. Zum einen sehen sie keine „Notwendigkeit“ in die Schweiz zu gehen, weil sie kein zusätzliches Angebot nutzen können. Herr Amann (65 Jahre) z.B. hat im Vorarlberger Rheintal so viele Möglichkeiten zu erwandern, dass er noch nicht den Bedarf hatte, über die Grenze zu gehen. Zum anderen ist die Präsenz der Grenze in der Wahrnehmung der befragten Personen ein bestimmender Faktor. Frau Oberhauser, 42 Jahre aus Götzis dazu: „Ich bin immer in Richtung Schweizer Zoll spaziert auf einem speziellen Weg. Dann kommt man zum Alten Rhein und kann dort baden. Das ist eigentlich nicht erlaubt. Vor vielen Jahren wurden wir gestellt, mussten also den Pass zeigen. Jetzt kann man dort einfach spazieren, auf der Schweizer Seite, ohne Pass. Es gibt aber immer noch dieses Gefühl, darf man oder darf man nicht? Man merkt, wie es in den Knochen steckt, diese Trennung. Und die Gefahr, dass man mit der Waffe bedroht werden könnte. Einem Freund von mir ist das passiert. Sie hatten gemeint sie wären bereits über die Grüne Grenze. […] Ich glaube, die Grenze löst sich erst auf. Für uns ist das über der Grenze immer noch etwas anderes. Mich zieht es überhaupt nicht in diese Gegend, zum Laufen vielleicht. Ich habe das Gefühl, ich habe hier noch nicht so viel entdeckt.“ Herr Kopf, 42 Jahre aus Fußach, erzählt als Grenzgänger von ähnlichen Erfahrungen:
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„Es kann passieren, dass ich am Morgen ausreise und am Abend einreise und jedes Mal ein anderer [Anmerkung: Zöllner] an der Grenze steht. Dann möchte er wissen, was ich mache und wenn ich morgen komme, dann möchte er schon wieder wissen, was ich mache. Dann kann ich zu ihm sagen: ,Das haben wir doch gestern schon kontrolliert, was soll der Quatsch?‘ Dann geht er wieder und kontrolliert die Papiere. Auf der einen Seite macht man es einfacher, auf der anderen Seite gibt es wieder neue Hürden.“ St. Galler Rheintaler und Liechtensteiner unterwegs in der Grenzregion „Ganz große Veranstaltungen sind natürlich in Dornbirn. Für große Sachen ist Österreich für uns näher als Zürich – Joe Cocker zum Beispiel. Wir sind ja in zehn Minuten drüben. An und für sich ist das kulturelle Angebot in Österreich sehr, sehr groß. Je nachdem sogar größer als wie hier. Mittlerweile wird es auch mehr genutzt. Meine Kinder sind im Cineplexx. Das hat nichts mit einer Grenze zu tun, sondern mit dem Angebot. Für etwas Ähnliches müssten wir nach St. Gallen gehen, das hat es hier einfach nicht. Zum Einkaufen gibt es in Hohenems noch den New Yorker, das sind Geschäfte, die Junge ansprechen“, so Frau Schneider, 48 Jahre aus Diepoldsau, über ihre Erfahrungen, was das Freizeitverhalten ihrer Familie betrifft. „Als Liechtensteiner geht man sehr gern nach Feldkirch in den Ausgang. Ganz Liechtenstein ist in das STOP [Anmerkung: ehemalige Diskothek in Feldkirch] gepilgert, lieber als nach Chur oder nach St. Gallen. Wenn, dann sind wir nach Zürich, dort hat es dann die richtigen Clubs gegeben. Das waren Erlebnisse, die man bei uns nicht hatte, nicht so wie in einer Stadt. Dornbirn, Bregenz oder Feldkirch sind auch schon Städte. Es ist auch billiger in Österreich, das spielt eine Rolle […]“, erzählt Herr Hilti aus Schaan. Eine vergleichbare Begründung der Freizeitorientierung zeigt sich bei der älteren Generation der St. Galler Rheintaler. „Wir sind sehr viel auf beiden Seiten, zur Hälfte ist man auf der anderen Seite des Rheins. Wir profitieren unglaublich, das wäre schlimm, wenn wir nicht mehr die ganze Gegend einbeziehen könnten. Zum Beispiel beim Wandern, Velo fahren oder sogar Einkaufen. Wir fühlen uns wohl grenzüberschreitend. [...] Der Messepark ist natürlich ein Anziehungspunkt und dann, sind wir ganz ehrlich, dann oft auch die Preise, beim Fleisch zum Beispiel. Unabhängig vom Preis haben wir zum Beispiel die Teebutter sehr gerne, die etwas härter ist als unsere Butter. […] Wir waren mit unseren Kindern schon vor zwanzig, dreißig Jahren unterwegs in Feldkirch im Tierpark, in der Rappenlochschlucht oder zum Schnitzel in der Schattenburg.“ Die Schilderung von Herrn Busch, 67
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Jahre aus Marbach, gibt einen ersten guten Einblick in die Freizeitorientierung der befragten St. Galler Rheintaler. Das vorhandene Angebot und das gegenwärtig niedrige Preisniveau im Vorarlberger Rheintal sind wesentliche Anziehungsfaktoren für die St. Galler Rheintaler und bestimmen die Orte Freizeitgestaltung mit (nicht nur beim Einkaufen). Ihre Orientierung in Richtung Nachbarland bedeutet aber nicht, dass sich der Stellenwert der „eigenen“ Region auflöst. Nach wie vor konzentriert sich ein Großteil der Freizeitorientierung auf die Schweiz, wie ebenfalls anhand der kartographischen Auswertung verdeutlicht wird. Und trotz einer starken Orientierung über die Grenze nach Vorarlberg wird das Rheintal aus Schweizer Sicht nicht unbedingt als ein gemeinsamer Lebensraum wahrgenommen, sondern gerade auf Grund seiner Heterogenität geschätzt – wie eine weitere Aussage von Herrn Walde, 52 Jahre aus Altstätten, verdeutlicht: „Man ist sofort in den Ferien, das geht mir heute noch so. Feldkirch Altstadt, man hat das Gefühl, man ist in den Ferien. Die Laubengänge usw. ergeben ein anderes Bild und ein anderes Gefühl. Beispiel die Zeitungsständer, wo man zahlen sollte, es aber nicht tut, das kennt man in Vorarlberg seit 30 Jahren.“ Hört die Freizeitorientierung der Jugendlichen an der Grenze auf? Ist die Grenze Rhein ein Hindernis? Jugendlichen aus dem St. Galler Rheintal zeigen wie die Erwachsenen eine ausgeprägte Freizeitorientierung in Richtung der Nachbarregion, die Vorarlberger Rheintaler hingegen nehmen das Gegenüber kaum wahr. Zur Einschätzung der jeweiligen Nachbarregion gefragt, haben 70 % der Vorarlberger Jugendlichen allerdings keine konkrete Vorstellung „was drüben geht“. Aus Sicht der befragten Jugendlichen ist dieses der fehlenden Informationen geschuldet, was allerdings vielmehr als Holschuld, denn als Bringschuld gewertet werden kann. Umgekehrt sind die St. Galler Jugendlichen jedoch durchaus gut informiert über die Situation in Vorarlberg (vgl. Obkircher 2007). Vielmehr sind die befragten österreichischen Jugendlichen wegen eines Mangels an Informationen und Angebot nicht motiviert für einen Grenzübertritt und es entwickelt sich das Gefühl einer schwer erreichbaren und abgrenzten Nachbarschaft. „Es ist sehr kompliziert in die Schweiz zu kommen und eigentlich wissen wir auch nicht wie man das am besten organisieren kann. Es ist drüben schon kompliziert, hier ist es einfacher“, so Matthias, 16 Jahre aus Koblach. Die Frage der Erreichbarkeit bezieht sich hierbei auf den Öffentlichen Verkehr. „Man braucht ein Auto, um in die Schweiz zu kommen. Ab 18 Jahren kann man sicher öfters in die Schweiz gehen!“ Und: „In die Schweiz zu kommen dauert, alles ist weit weg!“ Dadurch entsteht ein gewisses Desinteresse gegenüber dem vorhandenen Freizeitangebot in der Schweiz. Wenn die Schweizer Freizeitorientierung hingegen stärker auf Österreich ausgerichtet ist, dann hauptsächlich des-
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wegen, weil es auf der Schweizer Seite weniger Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung gibt: „Gute Läden wie New Yorker in Hohenems“, Kathrin, 15 Jahre aus Altstätten und „es gibt wenig Angebot für Jugendliche ohne Hobby“, so Markus, 16 Jahre aus Lüchingen im St. Galler Rheintal. Im Grenzraum SchweizÖsterreich ergeben sich aus Sicht der befragten Vorarlberger Jugendlichen des Weiteren offensichtliche Hürden aufgrund eines unterschiedlichen Preisniveaus und einem starken Frankenkurs. Diese Hürden waren aber nicht Gegenstand einer vertiefenden Untersuchung. Abbildung 13: Mentale Freizeitkarten des Rheintals
Quelle: Obkircher 2007, S. 120
Diese mentalen Landkarten von zwei Jugendlichen visualisieren exemplarisch die Freizeitorientierung in der Grenzregion. Der Jugendliche aus dem St. Galler Rheintal hat einen grenzüberschreitenden Blick auf die Region (Karte links). Die mentale Landkarte des Jugendlichen aus dem Vorarlberger Rheintal zeigt eine deutliche Grenze. Das St. Galler Rheintal bleibt in seiner Wahrnehmung ein weißer Fleck (Karte rechts). Wie sieht es mit der Häufigkeit aus? Nur 12 % der Befragten aus Vorarlberg geben an, dass sie ihre Freizeit oft über der Grenze verbringen, hingegen sagt mehr als die Hälfte selten in der Nachbarregion unterwegs zu sein. Auf St. Galler Seite sind es hingegen über 30 %, die ihre Freizeit oft über der Grenze verbringen und nur jeder Fünfte ist der eigenen Einschätzung nach selten über der Grenze.
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Bündner Rheintaler unterwegs in der Grenzregion Hat das nördliche Rheintal auch für die Bewohnerinnen und Bewohner aus dem Bündner Rheintal eine Bedeutung? Dazu das Beispiel von Frau Reutlinger, welches gemäß den Fragebogenergebnissen und den Antworten aus den Interviews exemplarisch für das Bündner Rheintal steht. Für Frau Reutlinger, 49 Jahre aus Chur, hat das nördliche Rheintal gegenwärtig kaum einen Stellenwert bei ihrer Freizeitgestaltung. Sie fährt hin und wieder einmal mit dem Fahrrad bis nach Bad Ragaz, das am südlichen Ende des Sarganserlandes liegt, „aber weiter komme ich nicht“. Ihr Hauptzentrum sieht sie in Chur und Umgebung. Sie genießt die breite Fülle des Angebots. Von dort aus orientiert sie sich in ihrer Freizeitgestaltung ebenso in Richtung Lenzerheide, Davos, Klosters oder Zürich. Zürich spielt für sie aufgrund des kulturellen Angebots eine wesentliche Rolle und die Tatsache, dass man eine schnelle Verbindung hat und nur knapp eine Stunde mit dem Zug bzw. mit dem Auto braucht, erhöht für sie die Erreichbarkeit. Nach St. Gallen bzw. ins Rheintal braucht sie gefühlsmäßig länger, denn „es ist ein Bummelzug“. Gefragt ob sie den Bodensee als Freizeitort nutzt, meint sie „wir gehen nach Flims und haben einen wunderbaren Badesee. Deshalb brauchen wir nicht unbedingt an den Bodensee. Ich denke, die Festspiele in Bregenz sind sicher ein Magnet und der Bodensee an sich auch. Aber der Bodensee kommt mehr zum Tragen für die Leute ab Buchs.“ Für Sie rentiert sich eine Tagesreise an den Bodensee nicht. Wenn sie allerdings an Ferien denkt, dann kann sie sich vorstellen eine Woche am Bodensee zu verbringen. Generell zeigt die Freizeitorientierung der Bündner Rheintaler einen starken Bezug in Richtung eigenes Hinterland und ebenso in Richtung Zürich. Eine Orientierung in Richtung nördliches Rheintal bzw. grenzüberschreitend ins Vorarlberger Rheintal kann kaum festgestellt werden. Um das wahrgenommene mit dem tatsächlich vorhandenen Angebot auf beiden Seiten des Rheins vergleichen zu können, wurde im Rahmen einer Umfrage in allen Gemeindestuben des St. Galler und des Vorarlberger Rheintals nachgefragt: „Welche Freizeiteinrichtungen in der Gemeinde haben eine regionale Bedeutung?“ Die quantitative Auswertung der genannten regional bedeutsamen Freizeiteinrichtungen in der Region ergibt folgende Aufteilung. Die 11 St. Galler Rheintalgemeinden nennen insgesamt 22 Einrichtungen. Demgegenüber stehen 113 Einrichtungen, die von den 29 Vorarlberger Rheintalgemeinden aufgelistet werden (vgl. Rheintalkarten 2010, S. 32). Zudem wird von Vision Rheintal gegenwärtig eine Karte der Kultureinrichtungen erarbeitet. Sie umfasst Angebote in den Bereichen Musik, Theater, Kino, Jugendkultur etc. Eine erste Auswertung zeigt auch hier ein ähnliches Bild wie bei den Freizeiteinrichtungen. Beide un-
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termauern die wahrgenommene Ungleichverteilung zwischen dem St. Galler und dem Vorarlberger Rheintal. Die befragten Alpenrheintalerinnen und Alpenrheintaler verbringen ihre Freizeit zwar nicht mehr nur in ihrer Gemeinde, sondern ebenso in der Region, in erster Linie aber innerhalb der eigenen Region. Allein die befragten Liechtensteiner nutzen das Alpenrheintal in größerem Ausmaß über die Grenzen hinweg. Bei den befragten Vorarlberger Rheintalern ist der Rhein hingegen eine Grenze bei der Freizeitgestaltung. Dies gilt im besonderen Maße für die jüngere Generation. Hierbei haben der Kostenfaktor und der fehlende Mehrwert in Bezug auf die Angebote einen entscheidenden Einfluss. Auf Schweizer Seite sind die grenzüberschreitenden Freizeitorientierungen hingegen stärker ausgeprägt als in Vorarlberg. Eine interessante Erkenntnis ist, dass die Querorientierungen der Schweizer Rheintaler – zum Beispiel zwischen dem St. Galler Rheintal und dem Vorarlberger Rheintal – teilweise ausgeprägter sind als die Nord-SüdOrientierungen. Welche Auswirkungen für das „Bild der Region“ können damit verbunden sein? Eine grenzüberschreitende Freizeitorientierung, sofern diese einen längerfristigen, wiederkehrenden Charakter hat, fördert bzw. stärkt ein regionales Wissen, ein regionales Bewusstsein und somit die Identifikation mit der Grenzregion (vgl. Lindstaedt 2006, S. 151). Ob und inwiefern dies auf das Rheintal zutrifft wird anhand nachstehender Ergebnisse bzw. im Ergebniskapitel zu den Bottom-Up-Raumbildern diskutiert. Die Einkaufsregion Rheintal Das Einkaufsverhalten ist im Rahmen der Befragung nicht eigens abgefragt worden. Im Zuge der Gespräche haben die Interviewpartnerinnen und -partner aber mehrfach darauf hingewiesen, hauptsächlich wegen des derzeit starken Frankens. Frau Klien, 59 Jahre aus Altach, erledigt ihre Einkäufe vor allem im eigenen Dorf oder im Vorarlberger Rheintal. Sie fragt sich, warum sie in die Schweiz oder nach Deutschland soll, wenn sie alles in der eigenen Region erhält: „In St. Margrethen waren wir schon lange nicht mehr, mit dem Rad vielleicht letztes Jahr einmal. So wie früher nach St. Gallen um Kleidung einzukaufen, weil es billiger war und es eine größere Auswahl hatte, das macht man heute nicht mehr. Heute geht man vielleicht einmal ins Migro, nach einer Fahrradrunde – Kaffee trinken und gute Nudeln kaufen, sonst bleiben wir einfach hier in der Nähe. Ich glaube nicht, dass ein Vorarlberger in die Schweiz fährt um dort einzukaufen. Man bekommt die Schweizer Schokolade teilweise auch schon hier.“ Frau Müller, 61 Jahre aus Mäder, ergänzt diesen Blickwinkel hingegen mit dem Argument der Gewohnheit: „Viele gehen noch gerne in die Schweiz einkaufen,
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weil sie das früher auch gemacht haben. Das ist für viele wie ein Ausflug. Bei den Älteren kommt vieles noch von früher. Man war es einfach gewohnt so.“ Was aus Sicht der Vorarlberger Rheintaler als Nachteil empfunden wird, wirkt sich in der Wahrnehmung der Schweizer Rheintaler als Vorteil aus. „Vorarlberg hat sich in der hochpreisintensiven Schweiz zum Einkaufsland entwickelt, für Sparer. Das ist eine Gebrauchssicht. Man geht nach Vorarlberg, weil es günstiger ist […] Fleisch ist berühmt“, so Herr Heinzle aus Oberschan im Werdenberg. Dennoch gibt es einige Stimmen, welche trotz verlockender Angebote aus der Nachbarregion, die Schweizer Seite stärken wollen und es ablehnen im Vorarlberger Rheintal einkaufen zu gehen. In Zusammenhang mit der grenzüberschreitenden Einkaufsregion Rheintal wird die vorhandene Grenzsituation im Rheintal sehr deutlich. Die Gebrauchssicht rückt in den Vordergrund und die Grenzsituation bietet vor allem für die St. Galler Rheintaler einen Vorteil. Gleichzeitig machen die gegenwärtigen Kursunterschiede aber auch die Grenze in den Köpfen der Bewohnerinnen und Bewohner immer wieder aufs Neue bewusst. Des Weiteren lassen die Aussagen aus den Interviews ebenso erkennen, dass sich die Richtung der Einkaufsorientierung in den letzten Jahrzehnten immer wieder geändert hat. Das Einkaufsverhalten in der Grenzregion zeigt keineswegs konstant in eine Richtung und ist abhängig vom Wechselkurs. Diese Interpretation beruht rein auf den qualitativen Interviews mit den ausgewählten Bewohnerinnen und Bewohnern der Region. Um eine detailliertere Aussage treffen zu können, könnte ein Blick auf die Entwicklung bzw. die „Kippmomente“ der Wechselkurse oder eine Befragung in Einkaufszentren im Rheintal weiterhelfen. Gesellschaftliche Wahrnehmungsbilder der Grenzregion Die Beziehung zwischen den Bewohnerinnen und Bewohnern des Alpenrheintals, also zwischen den Österreichern, den Schweizern und den Liechtensteinern, kann als gegenwärtig unbelastet bezeichnet werden. Die Bewohnerinnen und Bewohner sind trotzdem auf das eigene Hoheitsgebiet fokussiert. „[…] wenn es um die Zugehörigkeit und die Orientierung geht, stehen die Bevölkerungen diesund jenseits des Rheins Rücken an Rücken“ (Schlegel 2009, S. 16), soweit die Interpretation des Geographen Schlegel. Er stellt sich in diesem Zusammenhang folgende Frage: „Empfinden die BewohnerInnen ihre Wohnregion jeweils als Randgebiet der Schweiz bzw. Österreich, oder wird die Region in die Mitte genommen? Es kann nur ein Nachteil sein, wenn die gemeinsame Mitte als Grenze empfunden wird“ (Interview Schlegel 2007). Er begründet dies mit den vorhan-
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denen politischen Grenzen, welche bis dato die Entstehung einer gemeinsamen regionalen Identität verhindert haben. Um einen differenzierten Blick auf die Bottom-Up-Raumbilder der Grenzregion zu erhalten, werden die zwei nachstehenden Fragen vertiefend diskutiert: Was ist typisch Rheintaler und wie wird der jeweilige Nachbar wahrgenommen. Antworten auf diese Fragen sollen einen groben Überblick zu den wahrgenommenen Gemeinsamkeiten und Unterschieden ermöglichen sowie den gesellschaftlichen Kontext des Rheintals für die Leserinnen und Leser zugänglich machen. Für ein ausführliches Verständnis wird auf die Publikation „Das Alpenrheintal im Wandel. Besonderheiten der Region, Grenzerfahrungen und regionale Identitäten im Generationenvergleich“ verwiesen (vgl. Obkircher 2011). Was ist typisch Rheintaler? Mit dieser Frage wurde nach den Gemeinsamkeiten und Unterschieden in der Region gefragt. Anhand der Antworten soll das Selbstverständnis, das Eigenbild der Menschen in der Region veranschaulicht werden. Vorweggenommen kann festgestellt werden, dass dieses nicht frei von Klischees und Stereotypen wie „schaffa, schaffa, Hüsle baua!“ ist. Vielmehr sind sie Teil der eigenen Wahrnehmung. Letztgenannter Stereotyp wird von Wytrzens sogar als ein länderverbindendes Generalmotto im Rheintal beschrieben. Für ihn ist Grundbesitz und Bodeneigentum eine der Wurzeln von regionaler Identität und zugleich wesentlicher Ausgangspunkt für die Zersiedlung in der Region (vgl. 2006). Was waren andere Antworten auf die Frage nach dem Typischen: fleißig, heimatverbunden, stur, naturverbunden, bodenständig, verschlossen und doch gesellig bzw. offen, anspruchsvoll, eigensinnig oder sparsam. Was aber am meisten als typisch Rheintaler genannt worden ist, ist der Dialekt. Der Dialekt ist von Region zu Region im Rheintal zwar unterschiedlich, nach außen gerichtet wirkt er aber als gemeinsames Alleinstellungsmerkmal des Rheintals. Beispielsweise ist der Unterschied zur Stadt St. Gallen viel größer als zwischen den Teilregionen des Rheintals. Jedenfalls macht der Dialekt das Unverkennbare der Bewohnerinnen und Bewohner aus. „Das Besinnen auf diese spezielle Art von Dialekt könnte eine schöne Klammer sein über den Rhein hinaus“, beurteilt Herr Walde (52) aus Altstätten die Ausgangssituation. Hinsichtlich der Unterschiede und Gemeinsamkeiten können zwei weitere zentrale Aspekte genannt werden: • Gemeinsames Verständnis. „Das Alpenrheintal ist für mich eine Region, wo
schon relativ viel geklärt ist und man eher auf eine Ebene gehen kann, wo das Kennenlernen nicht mehr so intensiv sein muss, bis man Vertrauen hat. Man ist schneller in einer Vertrauenssituation wo man mehr sagt, wo man ehrlicher ist, direkter. Das ist einzigartig für das, dass es drei Länder sind. Ich kann mit allen reden und kann mir das Blabla sparen“ (Herr Hilti, 25 Jahre aus Schaan).
108 | RAUMENTWICKLUNG IN G RENZREGIONEN • Unterschiede in den politisch-institutionellen Rahmenbedingungen: „Den
Rheintalern [St. Galler Rheintalern] geht es besser als den Vorarlbergern. Dort scheint die Verwaltung sehr stark zu sein und es besteht eine Abhängigkeit von Wien: ,Wien hat befohlen!‘ In der Schweiz macht Bern nur das, was absolut notwendig ist, alles andere kann der Kanton entscheiden“ und letztendlich entscheide das Volk, so zumindest die subjektive Wahrnehmung von Herrn Bauer (65) aus St. Margrethen. Dieser Eindruck wird von den befragten Vorarlbergern unterstützt. Auch sie sehen die Schweiz als gutes Beispiel für den Föderalismus. Dennoch bezweifeln viele, ob damit tatsächlich eine bessere Beteiligung des Schweizer Volkes verbunden ist. „Die Schweiz ist sehr streng mit (Bau-)Gesetzen […] In Vorarlberg ist es eher immer lockerer, es gibt mehr Entwicklungsmöglichkeiten und nicht so viele Gesetze, die auch zerstören“, schildert Herr Hofmann (39) aus Götzis die Situation. Die Zusammenarbeit über die Staatsgrenzen ist generell schwierig, weil entweder die weit entfernten Hauptstädte Bern und Wien einzubinden sind oder unterschiedliche Verhandlungspartner aufeinandertreffen (z.B. Region St. Galler Rheintal und Land Vorarlberg). Um die Frage der Gemeinsamkeiten und Unterschiede differenzierter und aus einem ergänzenden Blickwinkel diskutieren zu können, wurden den Interviewpartnern folgende, ergänzende Fragen gestellt: „Was fällt Ihnen zu ihrer Nachbarregion im Rheintal ein?“ Es zeigt sich folgende Einschätzung des jeweiligen Nachbarn: • Der Themenbereich „Arbeit & Grenzgänger“ etwa hat zwei Kehrseiten. Für
die befragten Österreicher ist der Nachbar Zielland, die befragten Schweizer und Liechtensteiner sehen sich als Aufnahmeland. Nichtsdestotrotz bleibt unter dem Strich die generelle Bedeutung der Pendlerverflechtung für die Grenzregion stehen. • Die Schweiz das Gelobte Land? Gibt es gegenüber der Schweiz noch eine Das-Gelobte-Land-Perspektive? Herr Huber aus Sennwald vermutet, dass sich dieses Bild in der letzten Zeit geändert hat. Er kann sich nicht vorstellen, dass der „wache Vorarlberger“ heute die Schweiz immer noch so sieht. Unterstützt wird er in dieser Einschätzung von Frau Schneider (48) aus Diepoldsau. Aus ihrer Sicht hat das Vorarlberger Rheintal extrem viel aufgeholt, in vielen Bereichen. Die Schweiz ist hingegen etwas stehen geblieben. „Vielleicht sind die Österreicher selbstständiger geworden, ich weiß es nicht. Früher war es schon so, dass die Schweizer immer besser waren. Das ist heute nicht mehr der Fall.“ Auch in der Schweiz merke man langsam, dass in Vorarlberg viel mehr pas-
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siert. Die Leute „drüben“ gelten nicht mehr als ärmer, mittlerweile hätten auch sie tolle Häuser und große Grundstücke. Sie ist in diesem Zusammenhang allerdings erstaunt, dass sich dieses ursprüngliche Wahrnehmungsbild von den Vorarlbergern so lange halten konnte. „Das ist noch bei vielen so verankert. Das ist vielleicht schon ein falscher Stolz“, interpretiert Frau Busch (67) aus Marbach das Verhältnis Schweiz-Österreich. Auch wenn das ein oder andere Mal Spannungsfelder im Bild der Nachbarn durchdringen, müssen sie nicht zwangsläufig als negativ interpretiert werden. Die Ergebnisse zeigen vor allem doch eines: Sowohl Schweizer, Liechtensteiner als auch Vorarlberger Rheintaler setzen sich insgesamt mit den jeweiligen Nachbarn über der Grenze auseinander. Es entsteht sozusagen ein grenzüberschreitendes Bewusstsein. Die guten Beziehungen werden in den Antworten hervorgehoben.
Z WISCHENSTADT R HEINTAL Um die Zwischenstadt Rheintal differenzierter beleuchten zu können, ist es im Vorfeld hilfreich zwei wesentliche Entstehungskontexte zu skizzieren. Zum einen ist dies der steigende Flächenanspruch, zum anderen die Zunahme der Mobilität und der Vernetzung. Beides trifft für Zwischenstädte im Generellen zu, zeigt sich aber im besonderen Maße auch im Rheintal. Entstehungskontext Mobilität und Vernetzung Die Region ist die Stadt der Zukunft, oder aus anderer Perspektive betrachtet, ist die Stadt eine Region (vgl. Ganser 2005, vgl. Soja 2000; vgl. auch Priebs 2009). Auch Ipsen sieht eine grundlegende Veränderung in der Stadtentwicklung der letzten Jahre. Materielle Strukturen wie technische Infrastruktur, Gebäude oder Straßen verlieren an Bedeutung, wohingegen der Stellenwert der symbolischen und materiellen Fließgrößen seit den letzten zweihundert Jahren zunimmt (vgl. Ipsen 2007, S. 27). Was ist unter Fließgrößen zu verstehen? Früher gab es eine klare Grenze zwischen Stadt und Land, ein „Innen“ und ein „Außen“ (vgl. KollSchretzenmayr 2007, S. 5; vgl. Ipsen 2003; vgl. auch Kübler et al. 2002), ebenso konnten die Menschen in Stadt- und Landbewohner eingeteilt werden (vgl. Reutlinger, Schöffel u. Lingg 2010, S. 24). Die Städte waren räumlich greifbar und hießen Zürich, Innsbruck, St. Gallen oder Feldkirch. Aber auch sie unterliegen mittlerweile einem Wandel und vernetzen sich mit dem Umland. In anderen
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Worten ausgedrückt: Sie fransen zunehmend aus (vgl. Hahn u. Steinbusch 2006, S. 78; vgl. hierzu auch Oswald u. Baccini 2003). „Die „heimlichen Metropolen“ sind nicht mehr Stadt, sondern Stadtlandschaft“ (Koll-Schretzenmayr 2007, S. 5). Neu heißen sie jetzt S5-Stadt (vgl. Schöffel et al. 2010), TirolCity (vgl. Andexlinger et al. 2005) oder Rheintalstadt (vgl. Kopf 2001 oder vgl. Sieverts 2006). Man kann diese Städte nicht mehr einfach durch ein Stadttor betreten. Als Fließgrößen können z.B. Pendlerströme, Energie- bzw. Ressourcenversorgung oder neue Kommunikationstechnologien genannt werden. Es gibt keine geschlossenen Räume mehr, die eindeutig abgrenzbar sind, vielmehr bedingen die Fließgrößen einen dezentralen, vernetzten Raum. Stadt und Umland stehen stärker in gegenseitiger Beziehung zueinander (vgl. Ipsen 2007; vgl. ÖROK 2009a, S. 15–44). „Die Wasserleitung vom Bodensee in Deutschland verbindet Regionen – in diesem Fall den Bodensee und den Stuttgarter Raum“, wie Ipsen als Beispiel nennt (2007, S. 27). Eine weitere prägende Fließgröße ist laut Ipsen das auf den motorisierten Individualverkehr ausgerichtete Verkehrssystem (vgl. 2007). Das Auto ist ein wichtiger Mobilitätsfaktor für die Überbrückung des Dazwischen (vgl. Bürklin u. Peterek 2006; vgl. Koll-Schretzenmayr 2007, S. 5). Ein Blick auf die Strukturdaten von Liechtenstein, als ein Beispiel für die Zwischenstadt Rheintal, zeigt, dass das Verhältnis von Wohnbevölkerung zu den Fahrzeugen gegenwärtig bei 7,5 Autos auf zehn Einwohner liegt. Im Vergleich dazu hat Zürich 3,6 Autos auf zehn Einwohner (vgl. Verein Agglomeration Werdenberg-Liechtenstein 2011, S. 20). Mit dem Aufkommen des Automobils entstehen weitere neue dezentrale Zentren, abseits der Kernstadt. „Der tägliche Fluss von Menschen und Gütern ist nun nicht mehr linear geprägt, sondern flächig. […] Die Stadtregion entzieht sich den Bildern von geschlossener Stadt, Vorstadt und ländlich geprägtem Raum und hinterlässt ein ästhetisches Vakuum“ (Ipsen 2007, S. 32). Entstehungskontext steigender Flächenanspruch Das Haus mit Garten ist nach wie vor ein Wunsch vieler Menschen (vgl. Menzl 2007; vgl. Held 2007, S. 7) und somit einer der Gründe für die Zersiedelung. Obwohl einmal im Grünen niedergelassen, ist man wieder darauf angewiesen in die Stadt zu fahren – meist mit dem Auto. Folglich erzeugt Zersiedlung einen Verlust von Nähe und erzwingt eine Mobilität, die sich nicht jeder erlauben kann und will (vgl. Holzinger 2007). Benedikt Loderer interpretiert den Wunsch nach einem Haus mit Garten und der Abhängigkeit vom Auto im Zusammenhang mit der Schweizer Situation etwas überspitzter: Die Schizophrenie welche dieser Geschichte zu Grunde liegt, ist die „SchönSchweiz“ in den Köpfen und die
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„BrauchSchweiz“ in den Körpern der Leute (Loderer in einem S5-Stadt Workshop 2008 in Rapperswil). Das Eine (Straßen, Verkehr etc.) nimmt man für das Andere in Kauf (Haus im Garten) ohne zu merken, dass das Spiel kein Ende findet. Im sogenannten suburbanisierten Speckgürtel sind aber längst nicht mehr nur Einfamilienhäuser zu finden, vielmehr finden sich mittlerweile auch Arbeitsplätze, Einkaufs- oder Freizeitmöglichkeiten wieder. Gleichzeitig wurde die Chance verpasst, diesen Raumtyp konsequent in Richtung einer qualitätsvollen Entwicklung zu lenken. „Es herrscht ein gesichts- und zusammenhangloses Nebeneinander monofunktionaler Siedlungssplitter, die nur durch das Auto zusammengehalten werden“ (Seiß 2011, S. 8). Zudem ist der Raumtyp laut Seiß teuer, denn die Gemeinden und Städte müssen für die infrastrukturelle Erschließung und Instandhaltung dieser zersiedelten Gebiete aufkommen (vgl. 2011). Schindegger nennt in diesem Zusammenhang die Zahl von drei Milliarden Euro oder 15 % des Gesamtinvestitionsbedarfs, die in Österreich innerhalb von zehn Jahren eingespart werden können, allein wenn sich die Siedlungspolitik stärker an den vorhandenen Raumordnungsgesetzen orientieren und somit keine weitere Zersiedelung ermöglichen würde (vgl. Schindegger 2009, S. 165). Neben dem Wunsch nach einem Haus mit Garten, gib es verschiedene Faktoren und Gründe, die eine Entwicklung in die Fläche unterstützen (vgl. Seiß 2011, S. 8f). Ein Faktor stellt die Wohnbauförderung dar. Diese beurteilt gemäß Seiß zwar die Energieeffizienz von Häusern, nicht aber die Größe der Grundfläche, auf der das Haus gebaut wird (vgl. ebd.). Ein anderer Aspekt, der in diesem Zusammenhang von Bedeutung ist, sind die sich ändernden Wohnsituationen. Die durchschnittliche Haushaltsgröße in der Untersuchungsregion Rheintal ist auf Ein- oder Zweipersonenhaushalte zurückgegangen, die bevorzugte Wohnform im Einfamilienhaus ist jedoch geblieben (vgl. Kuess 2006, S. 4). Im St. Galler Rheintal beträgt der Anteil beispielsweise mehr als 50 %, zählt man die Zweifamilienhäuser hinzu kommt man sogar auf über 60 % (vgl. Agglomerationsprogramm Rheintal 2011, S. 42). Ein anderer Faktor hat einen ökonomischen Hintergrund. Die Ansiedelung von Betrieben bringt Steuereinnahmen. Der Platz dafür findet sich meist am Ortsrand. Zudem werden die Wirtschaftsparks und Betriebsansiedelung auf der „grünen Wiese“ teilweise subventioniert. Des Weiteren liegt ein Großteil der Handelsflächen an der Peripherie. „In jeder größeren Gemeinde stehen inzwischen die Filialen der omnipräsenten Supermarkt- und Fachmarktketten – vorzugsweise an den Ortsein- und -ausfahrten oder an den Kreuzungspunkten der Überlandstraßen in die Nachbarorte“ (Seiß 2011, S. 9). Ein weiterer Faktor hängt mit der Höhe der Einwohnerzahl der Gemeinden zusammen, die sich im Rahmen des Finanzausgleichs auf die zugestandenen Steuergelder auswirkt: Je mehr
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Einwohner, desto mehr Steuergeld. Laut Seiß (vgl. 2011) unterstützt diese Geldquelle eine unreflektierte Siedlungstätigkeit in den Gemeinden. Nicht zuletzt liegt die Ursache für die räumliche Ausbreitung und Dezentralisierung der Siedlungsgebiete gemäß Ipsen in der Strategie Probleme und Herausforderungen ungelöst bewältigen zu können (vgl. 2007), in dem man sie nach außen „abschiebt“. Überblick zur Zwischenstadt Rheintal Im Folgenden wird die Untersuchungsregion Rheintal zunächst in ihrer räumlich-strukturellen Entwicklung beschrieben, wobei erste Anknüpfungspunkte zur Zwischenstadtdiskussion hergestellt werden sollen. Im Zentrum steht die Beschreibung und Systematisierung der spezifischen räumlichen Charakteristika anhand der physisch-materiellen Artefakte, Siedlungs-, Landschafts- und sonstiger Raumnutzungseigenschaften. Zusätzlich wird die gegenwärtige Siedlungsstruktur des Rheintals analysiert und dargestellt. Als Grundlage dazu dienen Luftbilder, Kartenmaterial und Statistiken. Auch im Rheintal vollzieht sich gegenwärtig ein Wandel von ländlichen zu städtischen Strukturen, womit jedoch noch nicht unbedingt Stadtwerdung gemeint ist (vgl. Eisinger u. Kurath 2006, S. 30). Schindegger verweist in diesem Kontext auf die widersprüchliche Wahrnehmung in den Köpfen der Menschen im Rheintal, welche er in einer Erhebung von 2003 festgestellt hat. Wirklichkeit und Wahrnehmung liegen auseinander. Die befragten Personen, in diesem Fall waren es Entscheidungsträger aus der Region, waren sich unsicher ob das Rheintal nun Stadt oder Land sei (vgl. 2006, S. 44f). Die Wahrnehmungen des Rheintals reichten von „Streuwiesen“ bis zum „Silicon-Rheintal“ (vgl. Berchtold u. Schindegger 2003). Die Zwischenstadt Rheintal bewegt sich also immer in diesem Spannungsfeld zwischen Stadt und Land. Während des Leitbildprozesses von Vision Rheintal fanden außerdem zwei international besetzte Workshops und Vortragsabende zum Thema „Stadt“ und „Land“ statt, die sowohl die Übergangsformen, als auch Entwicklungsmöglichkeiten dieses Raumtyps in den Mittelpunkt stellten. Diese Impulse von außen sollten einen ersten Rahmen für die Diskussion im Rheintal abstecken und können in der Publikation „In: Zwischen – Von offener und bebauter Landschaft“ nachgelesen werden (vgl. Kopf u. Licka 2008, S. 5). Sieverts hat das Rheintal hierbei wie folgt als Zwischenstadt beschrieben. „Auf der einen Seite empfinden sich die Bewohner immer noch als ländlich. Ich glaube, das gilt ganz ausgeprägt für die Rheintalstadt, für Vorarlberg. Obwohl sie längst als Angestellte arbeiten und in den Shoppingcentern einkaufen“ (Sieverts 2006, S. 145). Für Sieverts liegt die Qualität der Zwischen-
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stadt Rheintal des Weiteren in der Zugänglichkeit zur Naturlandschaft, die trotz der Zersiedlung noch vorhanden ist. „Und ich glaube, das ist ein Merkmal, mit dem diese Rheintalstadt im Konzert der Alpenstädte – aber auch darüber hinaus im Konzert der europäischen Städte – eine ganz starke Eigenart entwickeln kann. […] Wenn man nochmal genauer hinschaut, bemerkt man, dass es von jedem der Gartenstadthäuser nur ein paar Schritte in die offene Landschaft sind“ (Sieverts 2006, S. 146). Ob sich dadurch aber nicht doch die Einzigartigkeiten der Kulturund Naturlandschaft auflösen und somit identitätsstiftende Merkmale in der Region verloren gehen, soll am Ende der im Rahmen dieser Forschungsarbeit durchgeführten Interviews und Befragungen im Rheintal aufgezeigt werden. Für einen genaueren Blick auf die Zwischenstadt Rheintal ist es in diesem Zusammenhang zunächst interessant, die historisch-räumlichen Entwicklungen in der Region zu skizzieren. Typische Siedlungsformen, welche in den Anfängen der Siedlungstätigkeit im Rheintal zu finden waren, sind das Haufendorf und das Straßendorf. Diese lagen entweder im Schwemmland, in der Rheinebene oder an Hanglagen. Durch die anhaltende Zersiedelung im 20. und 21. Jahrhundert ging dieser Charakter in den meisten Orten allerdings verloren (vgl. Eisinger u. Kurath 2006). Vor der Entwicklung in die Fläche waren die Ortschaften deutlicher voneinander abgegrenzt und sowohl auf Schweizer als auch auf Österreichischer Seite perlenartig aneinandergereiht (vgl. Rheintalkarten 2010, S. 11). Wie bereits erwähnt lagen die ursprünglichen Siedlungsgebiete an den Schwemmfächern der Rheinzuflüsse und in den Auenlandschaften. Die alten Ortskerne entstanden fast ausschließlich in begünstigten Lagen. Trinkwasserarme Anhöhen wie der Kummenberg und der Schellenberg wurden gemieden. Trotz Hochwassergefahr siedelten die Bewohner in der Ebene des Alpenrheintals. Im 18. Jahrhundert gab es aufgrund der Zunahme von Überschwemmungen sogar Diskussionen zur Aussiedelung einzelner Ortschaften. Im Zuge der Rheinregulierung durch den ersten Staatsvertrag 1892 wurde der Rhein kanalisiert, dadurch konnte mehr Überschwemmungssicherheit geboten und neue Kulturflächen gewonnen werden (vgl. Zaffignani 1997; vgl. www.rheinregulierung.at). Die charakteristische Auenlandschaft ging dadurch jedoch verloren. Heute wird deshalb vermehrt wieder über einen gezielten Rückbau des Rheins nachgedacht (vgl. www.alpen rhein.net), weil man den Fluss bewusstseinsmäßig und funktionell wieder als dynamische Lebensader für die grenzüberschreitende Region positionieren will (vgl. Broggi 2006, S. 6). Wichtiger Faktor für die Entstehung der Zwischenstadt im Rheintal ist zum einen das Bevölkerungswachstum. Bis in die 1950er-Jahre erfolgte die Siedlungsentwicklung mehr oder weniger geordnet (vgl. Kopf 2001, S. 5) und noch bis in die 1960er-Jahre bestand die Siedlungsstruktur im Rheintal aus einzelnen Dörfern. Erst mit dem bemerkenswerten Bevölkerungswachstum
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ab den 1960ern, ging auch eine starke Siedlungsentwicklung einher – eine Siedlungsentwicklung in die Fläche (vgl. Rheintalkarten 2010, S. 11). Zeitgleich mit der ansteigenden Bevölkerungszahl haben auch die Siedlungsflächen zugenommen. Im Vergleich zur Siedlungsfläche von 1850 beträgt die heutige Fläche nahezu das Neunfache, in einzelnen Gemeinden sogar fast das Zwanzigfache. Eine generelle Tendenz, die sich in den letzten Jahrzehnten dadurch ergeben hat, ist, dass die Ortschaften ihre Geschlossenheit verlieren und mit den Nachbarorten zusammenwachsen. In der Folge hat sich aus den ursprünglich einzelnen Dörfern und Kleinstädten ein großteils zusammenhängendes Siedlungsband entwickelt, welches über die Gemeindegrenzen hinweg verbunden ist (vgl. Rheintalkarten 2010, S. 10f). Durchquert man heute das Rheintal in seiner Nord-Süd-Erstreckung, bewegt man sich in einem durchgehend bebauten und genutzten Raum, in dem sich ohne bemerkenswerte Unterbrechung ein Gebäude an das andere reiht. Mit Blick von oben wird deutlich, dass diese Entwicklung vor allem im nördlichen Rheintal zutrifft. Ein etwas anderes Bild zeigt sich im mittleren und südlichen Rheintal. Hier blieben die räumlich eigenständigen Siedlungsgebiete bisher erhalten (vgl. Strittmatter et al. 2002, S. 20). Abbildung 14: Das Rheintal als zusammengewachsenes Siedlungsgebiet, Gemeindegrenzen sind nicht mehr erkennbar – zwei Beispiele aus dem nördlichen Rheintal
Quelle: Land Vorarlberg 2012, eigene Darstellung 2013
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Abbildung 15: Siedlungsentwicklung im nördlichen Rheintal
Quelle: Rheintalkarten 2010, S. 11
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Abbildung 16: Visualisierung der Zwischenstadt Rheintal in Anlehnung an die Begriffselemente vom Ladenburger Kolleg
Historische Siedlungsfläche mit vergleichsweise hoher Dichte
Temporäre Urbanität mit Ereignisfläche für Großveranstaltung im Freiraum
Güterbahnhof als extensiv genutzte Fläche in der Zwischenstadt
Monofunktionale Siedlungsgebiete mit gleichförmiger Gestalt und geringen Alleinstellungsmerkmalen
Quelle: Land Vorarlberg 2006 und 2012
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Die Zersiedelung auf beiden Seiten des Rheins führt zu erheblichen Problemen, wie etwa zunehmendem Verkehr oder Flächenverschleiß und damit zu einer Senkung der Lebensqualität durch eine Minderung der Anzahl von Freiräumen (vgl. Broggi 2006, S. 6; vgl. Sauter et al. 2006, S. 52). Wie die Ergebnisse der BewohnerInnenbefragung noch zeigen werden, sind gerade diese Freiräume wichtige Komplementärräume zu den Siedlungsgebieten. Sie haben bedeutende Funktion für die Naherholung und bilden als „Grüne Lunge“ einen großräumig zusammenhängenden Lebensraum (vgl. Eisinger u. Kurath 2006, S. 36f; vgl. Vision Rheintal 2006). Die noch verbliebene offene, großflächige Landschaft im Vorarlberger Rheintal beruht im Wesentlichen auf der Landesgrünzone (vgl. Suter 2004, S. 6). 1977 hat das Land Vorarlberg als wirksamen Schutz der überörtlichen, zusammenhängenden Freiflächen in einem Landesraumplan, die sogenannte „Landesgrünzone“ verordnet. Innerhalb dieser Zone dürfen keine Bauflächen ausgewiesen werden (vgl. Rheintalkarten 2010, S. 16). In der Kombination von Landesgrünzone und zusammenwachsenden Siedlungsgebieten ist eine eigene Stadtlandschaft entstanden (vgl. Suter 2004, S. 6). Ein Blick auf die Bauflächen bzw. -zonen der kommunalen Raumplanung zeigt sechs wichtige Merkmale der Siedlungsstruktur (vgl. Rheintalkarten 2010, S. 12f): • Die räumlichen Festlegungen (Flächenwidmung in Vorarlberg, Zonenplan in
SG) sind beiderseits des Rheins vergleichbar und zeigen dasselbe Bild. • Die Gewerbe- und Industriegebiete sind an den jeweiligen Außenrändern des
Siedlungsgebietes situiert, wo sie teilweise eine Barriere zu den Schutzgebiete in der Talmitte, die insbesondere eine hohe Bedeutung für die Naherholung haben, darstellen. • Im Bereich der „Mittelrheintalgemeinden“ Lustenau, Höchst, Au, Widnau und St. Margrethen sind die Industriegebiete aus Gemeindesicht zwar am Rand situiert, in einer grenzübergreifenden Betrachtung bilden die Industriegebiete allerding eine gemeinsame Mitte. • Die ursprünglichen Siedlungskerne sind noch erkennbar. Es bestehen viele kleinere Zentren, ein klares Hauptzentrum in der Region fehlt jedoch. • Die Eisenbahn ist ein wichtiges Rückgrat für die Siedlungsentwicklung im Rheintal, insbesondere auf der Vorarlberger Seite. Der Raumplaner Suter nennt das Einfamilienhaus provokant die Grundzelle des Landes Vorarlberg (vgl. 2004, S. 6). Die Siedlungsstruktur des Rheintals ist gekennzeichnet durch eine zum Teil lockere Bebauung. Im Untersuchungsgebiet existiert ein hoher Anteil an ungenutzten Bauflächen. Laut Kopf von der Abteilung Raumplanung und Baurecht des Amtes der Vorarlberger Landesregierung
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ist dies auf die erste Generation von Flächenwidmungsplänen zurückzuführen, die dem damaligen Zeitgeist entsprechend „von sehr überzogenen Wachstumsvorstellungen ausgingen“ (z.B. das Rheintal als Millionenstadt wie beim Symposium 2001 erinnert wurde) und „nicht umsonst haben wir heute noch gewidmete Bauflächenreserven von etwa 40 %“ (Kopf 2001, S. 5; vgl. auch ÖROK 2008, S. 259). Die Berechnungen im Rahmen des Projekts Rheintalkarten haben einen Anteil von ungenutzten Bauflächen in den Rheintalgemeinden von insgesamt rund 36 % bzw. 15 % ergeben (Berechnung Raumplanungsabteilung Land Vorarlberg 2012 bzw. AREG 2012). Zudem machen die Gebäudeflächen innerhalb der gewidmeten Baufläche nur etwas mehr als ein Sechstel der gesamten Baufläche aus sich, um eine weitere Zahl neben der Flächenreserve zu nennen (vgl. Rheintalkarten 2010, S. 14). Würde man von einem Entwicklungsszenario mit gleichbleibender Siedlungsstruktur innerhalb der vorhandenen Bauflächen ausgehen, so fänden weitere 150.000 Menschen in dieser Zwischenstadt Rheintal Platz. Insgesamt macht das 450.000 Einwohner allein im nördlichen Rheintal. Als Fazit kann zum einen eine hohe Flächenreserve im Rheintal festgestellt werden. Zum anderen ist die räumliche Struktur relativ kleinteilig (Einfamilienhaus). Trotzdem erfolgt die Weiterentwicklung gegenwärtig nicht nach innen, sondern weiterhin in die Fläche, verbunden mit Neuwidmungen. Mit ein Grund dafür sind die vorhandenen Flächenreserven, die zu einem Steuerungsdefizit führen (vgl. Agglomerationsprogramm Rheintal 2011, S. 49). Es wäre einseitig allein anhand der Daten zu den Flächenreserven im Rheintal Rückschlüsse auf die Siedlungsstruktur zu ziehen. Um eine differenziertere Vorstellung von der Siedlungsstruktur und der Siedlungsdichte im Rheintal zu erhalten, soll daher die Bevölkerungsdichte genauer betrachtet werden. Insgesamt hat das Betrachtungsgebiet eine Bevölkerungsdichte von 520 Einwohnern pro Quadratkilometer. Das Vorarlberger Rheintal weist nach Wien die größte Bevölkerungsdichte in Österreich auf (vgl. Schindegger 2006, S. 44). Bezogen auf das Gemeindegebiet, hat die Gemeinde Widnau (SG) mit über 2.000 Einwohnern pro Quadratkilometer die höchste Dichte im grenzüberschreitenden Rheintal. Die niedrigste Dichte hat Viktorsberg (V) mit 31 Einwohnern pro Quadratkilometer. Um eine Aussage der Bevölkerungsdichte bezogen auf das Siedlungsgebiet zu erhalten, wurde mittels Rasterdaten gearbeitet. Das ist ein Mittel der Statistik, welches die Anzahl der Einwohner pro Hektar und bezogen auf das Siedlungsgebiet wiedergibt. Zugleich erlauben diese Rasterdaten, die Gemeindegrenzen auszublenden und die Region als Gesamtes zu betrachten. Ungefähr ein Drittel der Rheintalerinnen und Rheintaler lebt in Gebieten mit 1 bis 25 Einwohner pro Hektar. Die höchsten Dichten werden im Raum Bregenz
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und in historischen Siedlungsbereichen erreicht, wo die Anzahl der Einwohner pro Hektar auf über 100 steigt (vgl. Rheintalkarten 2010, S. 24f). Bereits seit geraumer Zeit beschäftigen sich Rheintalerinnen und Rheintaler unterschiedlicher fachlicher Herkunft mit der räumlichen Entwicklung der Region und der damit verbundenen Frage ob das Rheintal nun Stadt, Land oder Zwischenstadt sei? Was sind ihre Merkmale und wie ist die Zwischenstadt Rheintal im Sinne eines Abgrenzungsversuches eigentlich greifbar? „Es gibt keinen Rand und kein Zentrum im Häuserband von Bregenz bis Götzis und von Lustenau über Hard bis Bregenz“ (Gantenbein, unveröffentlichter Text o. A.). Das Alpenrheinkanaltal stellt ein Ding dar, das als solches von kaum einem als Heimat betrachtet werden kann. Ein Ding das keine eigene Identität besitzt und sich irgendwo zwischen Stadt und Land bewegt, wobei dieses dazwischen sowohl als positiv interpretiert werden kann, wie Werbebroschüren zeigen würden, als auch negativ (vgl. Mörth 2004, S.7). Auch der Vorarlberger Schriftsteller Michael Köhlmeier stellt sich die Frage, ob das Rheintal nun Stadt oder Dorf sei und stellt dabei fest, dass das Vorarlberger Rheintal „vom Dörflichen weiter entfernt [ist] als manche Stadt“. Die Bewohnerinnen und Bewohner seien weder Bürger (in Anlehnung an die Stadtbürger) noch Bauern (vgl. Köhlmeier 1991). Auch den Vergleich mit einem Menü aus den Zutaten Stadt, Dorf und Land, das in einem Mixer verrührt wird, scheute Köhlmeier nicht. Abbildung 17: Kreisverkehr – gebauter Ausdruck für die Zwischenstadt im Rheintal
Quelle: Land Vorarlberg 2006 (links), eigenes Photo 2012 (rechts)
5. Top-Down-Raumbilder und Regional Governance im Rheintal
Die zwei aneinandergrenzenden Staaten bzw. die Kantone und Länder bringen eigene Raumplanungsinstrumente, Regeln, Strukturen und Begrifflichkeiten mit, was einher geht mit unterschiedlichen Planungsverständnissen. Sie stellen die formalen Rahmenbedingungen und zugleich die zu bewältigenden Herausforderungen dar, unter denen eine gemeinsame Raumentwicklung im Rheintal angedacht und umgesetzt werden kann (vgl. Meier 2011, S. 127). Um die Entstehung und den Inhalt der Top-Down-Raumbilder verstehen zu können, braucht es zuerst Kenntnisse über diese Raumplanungssysteme in der Grenzregion. Nachfolgende Zusammenstellung dient deshalb als Hintergrundinformation für die in dieser Arbeit beschriebenen grenzüberschreitenden Raumentwicklungsansätze. Sie basiert zum einen auf einer Literaturrecherche bzw. Literaturauswertung, zum anderen auf Gesprächen, die im Zuge der Tätigkeit bei der Raumplanungsabteilung mit Akteuren der Vorarlberger sowie der St. Galler Raumplanung geführt wurden. Ziel ist nicht der Abgleich der Planungssysteme, vielmehr geht es um einen konstruktiven „Umgang mit der Unterschiedlichkeit der Planungssysteme“ (Meier 2011, S. 143).
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Der österreichische Bund bezieht seine fachplanerischen Aufgabenbereiche aus der Bundesverfassung (z.B. Eisenbahnwesen, Bundesstraßen, Gewässerregulierung etc.). Eine hoheitliche Raumplanung durch den Bund gibt es nicht (vgl. auch Hummelbrunner u. Maier 2009, S. 413). „Für die überörtliche Planung fehlt es in der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung allerdings an einer zusammenfassenden Kompetenz“ (ÖROK 2008, S. 310). Sofern keine Bundeskompetenzen
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berührt werden, ist Raumplanung Sache der Bundesländer. Sie erlassen die Raumplanungsgesetze und sind für eine planungsmäßige und vorausschauende Gestaltung von Räumen zuständig. Die Raumplanungsgesetze gehen auf die 1950er- und 1960er-Jahre zurück. Weitere Instrumente sind die überörtlichen Landesraumpläne (z.B. Landesgrünzone in Vorarlberg), räumliche Entwicklungskonzepte (kurz REK; Grundlage und Teil der Flächenwidmung in Vorarlberg, hat aber nur einen freiwilligen, empfehlenden Charakter), verordnete Flächenwidmungspläne der Gemeinden und Bebauungspläne (Erschließung, Lage, Gestalt; Verordnung) (vgl. Semsroth u. Troeger-Weiß 2001). Landesraumpläne sind zu erlassen, wenn ein überörtliches Interesse zur Erreichung der Raumplanungsziele gegeben ist (vgl. Land Vorarlberg 2011, S. 7; Raumplanungsgesetz LGBI. Nr. 28/2011). Lokale Raumplanungsfragen fallen in den Bereich der Gemeinde. „Um den Notwendigkeiten der Zusammenarbeit zwischen den drei Ebenen von Gebietskörperschaften zu entsprechen, wurde 1971 die ÖROK [Österreichische Raumordnungskonferenz] geschaffen (vgl. Hummelbrunner u. Maier 2009, S. 413). Die ÖROK ist jedoch nur ein permanentes „gemeinsames“ Beratungsorgan ohne Rechtspersönlichkeit (Meier 2011, S. 139) und hat dementsprechend bloß einen Empfehlungscharakter (vgl. auch Schindegger 2009, S. 163). Die ÖROK beruht auf einem „gentlemen’s agreement“ zwischen der Bundesregierung, Vertretern der Bundesländer und der Gemeinden. Des Weiteren ist die ÖROK eine Koordinations- und Kooperationsplattform. In dieser Funktion ist sie auch Verbindung zur europäischen Raumentwicklungspolitik (vgl. Semsroth u. Troeger-Weiß 2001). Als bedeutend sehen Semsroth und Troeger-Weiß in diesem Zusammenhang vor allem große Infrastrukturprojekte oder die EUMakrostrategien mit österreichischer Beteiligung an (vgl. ebd. 2001; z.B. Alpenraum oder Donauraum). In der Schweiz wurde dem Bund 1969 in der Verfassung die Kompetenz zu einer übergeordneten Raumplanung gegeben. Seit Anfang der 1980er-Jahre legt das Schweizer Bundesgesetz für Raumplanung (RPG) die Ziele und Planungsgrundsätze für die Raumentwicklung in der Eidgenossenschaft fest (vgl. Wegelin 2010, S. 51). Neben der Grundsatzgesetzgebung obliegt dem Bund auch die Ausarbeitung von Konzepten sowie die Förderung und Koordination von Raumplanungen (vertikal wie horizontal), wobei die Umsetzung in den Kantonen bzw. in den Gemeinden direkt erfolgt. „Dem Bund kommen im Wesentlichen strategische Aufgaben zu“ (Meier 2011, S. 129). Raumplanung in der Schweiz umfasst alle Themenbereiche, die den Lebensraum berühren. Damit hat sie sich auch mit Umweltschutz, Verkehr oder Wirtschaft auseinanderzusetzen und trägt somit eine gesamtheitliche Verantwortung. Aus diesem Grund sind andere staatliche Planungen wie ÖPNV, Energieversorgung oder Verteidigungsanlagen mit den
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Raumplanungsvorhaben abzustimmen. Vereinzelt hat der Bund auch die Möglichkeit detaillierte Regeln aufzustellen, z.B. bei Themen, die für die Gesamtschweiz von Bedeutung sind (vgl. Eberle et al. 2008). Das ÖREK 2011 und seine Relevanz für die Region Rheintal Das ÖREK 2011 ist ein österreichweit akkordiertes, umsetzungsorientiertes Handlungsprogramm für die räumliche Entwicklung in Österreich. Gestartet wurde der Erarbeitungsprozess im September 2009, abgeschlossen nach zwei Jahren Laufzeit im Oktober 2011 (vgl. Seidl u. Stix 2011, S. 44). Das ÖREK 2011 ist zunächst ein Planungsinstrument mit Empfehlungscharakter. Es ist nicht als Handbuch gedacht, in dem vorgegebene Antworten auf die komplexen Herausforderungen der räumlichen Entwicklung in Österreich zu finden sind. Vielmehr ist es prozessual ausgerichtet. Dadurch besteht die Möglichkeit, die sektoralen Betrachtungen aufeinander abzustimmen und zu vernetzen. Dies ist laut Bertsch ein entscheidender Aspekt im Sinne der Nachhaltigkeit (vgl. 2010, S. 47). Zudem erlaubt das ÖREK 2011 durch seinen prozessualen Charakter auf die regionalen Differenzierungen einzugehen und kann so für alle Bundesländer und die Vielzahl der Regionen in Österreich als Instrument dienen. Im Rahmen der Forschungsarbeit wird das Rheintal aus unterschiedlichen Maßstabsebenen betrachtet. Neben der regionalen, der Landes- bzw. Kantonsebene und der transnationalen Ebene mit dem Bodenseeraum gehört insbesondere die nationale Maßstabsebene dazu. Mit dem Blick auf das ÖREK 2011 soll deshalb analysiert werden, inwiefern das Raumentwicklungskonzept Anknüpfungspunkte für die Region Rheintal bietet. Welche Abgrenzungen, räumlichen Ausrichtungen, Merkmale, Leitbilder oder Prozesse spielen eine Rolle? Zu Beginn muss festgehalten werden, dass das vorliegende ÖREK 2011 seine Handlungsfelder und Aufgabenbereiche nur in geringem Maße räumlich verortet, was auf den prozessualen Anspruch des Raumentwicklungskonzeptes zurückzuführen ist. Es gibt im Vergleich zum Raumkonzept Schweiz beispielsweise keine Leitbilder, die einen räumlichen Niederschlag finden. Aus diesem Grund liegt der Fokus der Analyse auf den Grundsatzaussagen des Papiers, insbesondere der 4. Säule „Kooperative und effiziente Handlungsstrukturen“, da diese im Zusammenhang mit der vorliegenden Forschungsfrage besonders relevant scheint. Gemäß ÖREK 2011 sind funktionale und administrative Räume vielfach nicht mehr deckungsgleich, denn die Gemeinden und Städte in Österreich sind zunehmend miteinander verflochten. Deshalb können räumliche Herausforderungen nur durch neue regionale Ansätze der Zusammenarbeit gelöst werden (vgl. ÖROK 2011, S. 81). Somit wird Regional Governance zu einem
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zentralen Thema im ÖREK 2011. In der 4. Säule werden vier Schwerpunkte definiert (vgl. ebd.): • • • •
Regionale Planungsebene stärken Entwicklung einer österreichweiten Agglomerationspolitik Neue Partnerschaften zwischen Land und Stadt Gesamtösterreichische und europäische Perspektiven stärken
Interessant erscheint v.a. die Bestrebung regionale Governance-Modelle zu erarbeiten und zu testen. Hierbei reicht das Spektrum gemäß des ÖREK 2011 von informellen bis zu institutionalisierten Organisationsmodellen. Zur Unterstützung sollen Anreizsysteme für interkommunale Zusammenarbeit erarbeitet werden (vgl. ÖROK 2011, S. 83). In diesem Zusammenhang kann auch die Entwicklung einer österreichweiten Agglomerationspolitik betrachtet werden, welche sich insbesondere auf die Stärkung der Städte und Stadtregionen in Österreich fokussiert, da sie eine „zentrale Bedeutung für den Standort Österreich in Europa“ haben (vgl. ebd. S. 84). Zusätzlich geht das ÖREK 2011 auf die Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten ein. „Die Geografie des Landes bedingt fast zwangsläufig eine Kooperation mit den Nachbarstaaten und die Entwicklung einer grenzüberschreitenden Perspektive. Alle größeren Städte befinden sich in unmittelbarer oder mittelbarer Nachbarschaft zum Ausland […]“ (ÖROK 2011, S. 91). Für die Städte und Regionen sind laut ÖREK 2011 die Beziehungen zum Nachbarn mindestens gleichbedeutend wie jene innerhalb von Österreich (vgl. ebd.). Es geht darum Modelle, Konzepte und Inhalte mit grenzüberschreitender Perspektive zu erarbeiten. Als Beispiel wird in diesem Kontext das Agglomerationsprogramm Rheintal genannt (vgl. ebd., S. 91). Damit reichen diese Aufgabenbereiche über den eigentlichen Handlungsgrundsatz „Zusammenarbeit mit den Nachbarn“ hinaus. Denn in diesem bekennen sich die ÖROK-Partner „nur“ zur frühzeitigen Zusammenarbeit mit den Behörden der Nachbarstaaten, sobald sich raumbezogene Tätigkeiten über die Grenze hinaus auswirken. Auf eine vorausschauende Planung und gemeinsame Entwicklung von Leitbildern oder Strategien der Zusammenarbeit wird in diesem Handlungsgrundsatz nicht weiter eingegangen. Das Raumkonzept Schweiz und seine Relevanz für die Region Rheintal Das Raumkonzept Schweiz wurde vom Schweizer Bund auf Basis der Grundzüge der Raumordnung (vgl. Wegelin 2010, S. 51) initiiert. Ziel des Raumkonzep-
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tes Schweiz ist die Förderung einer polyzentrischen Raumentwicklung, die aus einem „nachhaltigen Städtenetz besteht und auf den Grundsäulen der Vielfalt, der Wettbewerbsfähigkeit, der Solidarität und eines verantwortungsvollen Umgangs mit natürlichen Ressourcen aufbaut“ (Wegelin 2010, S. 51). Das Raumkonzept ist weder ein neues rechtliches Instrument noch ein Konzept der Raumplanung. Es dient als Richtschnur und als strategische Leitlinie für die Raumentwicklung in der Schweiz und soll v.a. aufgrund des partizipativen Erarbeitungsprozesses Verbindlichkeit erreichen (vgl. Schweizerischer Bundesrat et al. 2011, S. 2 und 4f). Das Raumkonzept Schweiz wird neben der Benennung von zwölf Handlungsräumen mit insgesamt vier Karten räumlich konkretisiert. „Das Konzept lebt auch von den kartographischen Darstellungen, an denen sich die Diskussion jeweils lebendig entfacht, während man sich über schöne abstrakte Grundsätze bald einmal einig wird“ (Wegelin 2010, S. 53). Nachteil: Weil das Raumkonzept Schweiz aus mehreren Bildern statt aus einem besteht, wird es komplexer und nicht so leicht vermittelbar (Interview Strauss 2012, AREG). Im Folgenden werden die strategischen, inhaltlichen und verorteten Aussagen des Raumkonzepts in Bezug auf die Untersuchungsregion Rheintal analysiert. Wie beim ÖREK 2011 stellen sich auch hier die Fragen nach den Abgrenzungen, räumlichen Ausrichtungen, Merkmalen, Leitbildern und Prozessen. Handlungsraum Nordostschweiz: Die grenzüberschreitende Agglomeration Rheintal (gemäß BfS Perimeter) wird im Raumkonzept dem klein- und mittelstädtisch geprägten aber eigenständigen Handlungsraum Nordostschweiz zugeordnet (vgl. Schweizerischer Bundesrat et al. 2011, S. 32). In diesem Handlungsraum sollen funktional verflochtene Städte und Agglomerationen zusammenarbeiten, Städtenetze bilden und das Vernetzungs- sowie Synergiepotential ausloten. Dies dient einer besseren nationalen und internationalen Positionierung, was in der Nordostschweiz aufgrund der Lage zwischen Zürich, Stuttgart und München als notwendig erachtet wird (vgl. ebd., S. 30 und 62). Die Zusammenarbeit soll dabei ebenso über die Landesgrenze gefördert werden, insbesondere im Rheintal: „Das grenzüberschreitende Städtenetz Alpenrheintal verfügt über grosse Potenziale beidseits des Rheins. Als Basis einer verstärkten Kooperation soll eine grenzüberschreitende Raumentwicklungs- und Infrastrukturstrategie erarbeitet werden“ (Schweizerischer Bundesrat et al. 2011, S. 62, siehe bezüglich Raumentwicklungsstrategie auch S. 34). In diesem Kontext werden Grenzräume als Chancenräume betrachtet, weil „unterschiedliche Systeme, Kulturen und Dynamiken aufeinander treffen. In den grenzüberschreitenden Räumen sind dauerhafte Kooperationsformen zu schaffen, welche Herausforderungen ergebnisorientiert angehen, Identität stiften und sichtbare Vorteile für die Bevölkerung anstreben“ (Schweizerischer Bundesrat et al. 2011, S. 29). Zudem soll die „Sied-
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lungsentwicklung innerhalb der Agglomerationen […] auf den urbanen Verdichtungsraum gelenkt werden“ (Schweizerischer Bundesrat et al. 2011, S. 34). Zugleich sind die direkt angrenzenden Siedlungsräume baulich aufzuwerten und deren Siedlungstätigkeit zu begrenzen (vgl. ebd., S. 34). Abbildung 18: Raumkonzept Schweiz. Handlungsraum Nordostschweiz mit Fokus auf das grenzüberschreitende Rheintal
Quelle: Schweizerischer Bundesrat et al. 2012, eigene Darstellung 2017
Für das Rheintal würde dies gemäß der Karte des Raumkonzepts Schweiz eine Konzentration der Siedlungsentwicklung auf die Gebiete Mittelrheintal, Altstätten, Bregenz, Dornbirn sowie Feldkirch bedeuten. Für den Rhein gilt gemäß des Raumkonzeptes, dass das landschaftliche Potenzial der Flusslandschaft zu nutzen, aufzuwerten bzw. zugänglich zu machen ist (vgl. Schweizerischer Bundesrat et al. 2011, S. 36 u. 63). Landschaft soll generell in die Planung einbezogen werden (vgl. ebd., S. 38). Das Alpenrheintal südwärts von Sargans wird nicht mehr dem Handlungsraum Nordostschweiz, sondern dem alpingeprägten Handlungsraum Südostschweiz zugeordnet. Chur im südlichen Alpenrheintal ist zwar trotzdem Teil des klein- und mittelstädtisch geprägten Städtenetzes des nördlichen Alpenrheintals und die Verbindungen zum Bodenseeraum sollen auch verbessert werden, darüber hinaus ist Chur im Raumkonzept Schweiz in Richtung Metropolitanraum Zürich orientiert. Das Alpenrheintal wird aus Sicht des Raumkonzeptes Schweiz somit zwei unterschiedlichen Handlungsräumen zuge-
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teilt (vgl. Schweizerischer Bundesrat et al. 2011, S. 32). Mit dem Raumkonzept Schweiz soll auch festgelegt werden wo künftig Wachstum möglich sein soll. „Es wird auch Räume geben, die nicht mehr wachsen dürfen“ so der Präsident der Kantonsplaner Staub in einem Interview mit dem St. Galler Tagblatt am 8. Februar 2011. Somit stellt sich die Frage welche Auswirkungen das Raumkonzept Schweiz auf die Nordostschweiz und im Konkreten auf die Region Rheintal hat. „Zu den Räumen mit Wachstumspotenzial in der Nordostschweiz werden die Stadt St. Gallen, die touristischen Gebiete und die Grenzregionen gezählt“ (Interview Staub, St. Galler Tagblatt 2011). Um eine gesamthafte Entwicklung in diesen Räumen erreichen zu können, fordert Staub mehr Koordination auf Kantonsebene und die Entwicklung einer gemeinsamen Vision. Bern und Zürich entwickeln ihre Position als Metropolen bereits weiter. Wenn die Kantone der Nordostschweiz nicht handeln, könne ein starker Sog in Richtung der großen Städte entstehen.
T RANSNATIONALE L UPE : E UROPÄISCHER V ERFLECHTUNGSRAUM B ODENSEERAUM Das Leitbild der Internationalen Bodenseekonferenz Im aktuellen Leitbild der Internationalen Bodenseekonferenz, erarbeitet in Koordination mit und durch wesentliche Beteiligung der ROK-B, sind unter dem Handlungsfeld Raumentwicklung folgende Zielsetzungen und Maßnahmen formuliert (2017 wird das Leitbild überarbeitet). Tabelle 1: Leitbild Bodenseekonferenz mit Fokus auf das Handlungsfeld Raumentwicklung Leitsatz Die IBK fördert die gemeinsame Raumentwicklung in der Bodenseeregion. Ziel ist es, mit den Bodenressourcen sparsam umzugehen und diese dauerhaft zu sichern. Bei Zielkonflikten ist der Grundsatz einer nachhaltigen Entwicklung zu beachten. Ziel Maßnahme Reduzierung des FlächenZusammenstellen von Best Practice-Beispielen verbrauchs, Innen- vor Auund Weiterentwicklung der IBK-Broschüre ßenentwicklung, Stärkung „Flächenmanagement in der Region Bodensee“ des ländlichen Raums Anregung und Begleitung raumrelevanter IN-
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Schutz, Erhaltung und Sicherung des freien Uferzugangs und ufernaher Freiflächen
Initiierung und Förderung bedeutender gemeinsamer Projekte zur Positionierung der Region als europäischer Verflechtungsraum
Weiterentwicklung von Kulturlandschaft und Naturraum (übergeordnete Zielsetzung des Leitbildes, S. 14)
TERREG-Projekte. Umsetzung einer laufenden Raumbeobachtung. Grenzüberschreitende Koordination und Abstimmung bei raum- und umweltbedeutsamen Vorhaben. Mit Unterstützung durch die ROKB, z.B. in den Bereichen Tourismus, Verkehr, Wirtschaft, etc., wenn ein Raumbezug vorhanden ist. Laufende Absprache von Maßnahmen zwischen der ROK-B, der Internationalen Gewässerschutzkommission (IGKB) und der IBK Erhaltung verbindender Freiräume zw. Bodensee und angrenzender Landschaft und Vermeidung uferparalleler Siedlungsentwicklung Unterstützung und Begleitung des Modellvorhabens der Regionalverbände zum "Europäischen Verflechtungsraum Bodensee" durch die IBK und die ROK-B Entwicklung eines gemeinsamen Raumentwicklungskonzeptes und Möglichkeiten der Integration in die Raumplanung der Partner im Rahmen eines INTERREG-Projektes „Zukunft der Raumentwicklung im Grenzraum D-A-CH-FL“ Abklärung des längerfristigen Handlungsbedarfs in den Bereichen Raum- und Siedlungsentwicklung Grenzüberschreitender Erfahrungsaustausch zur Verringerung des Flächenverbrauchs / Bodenversiegelung
Quelle: IBK 2008, S. 24 und IBK 2010, S. 13; eigene Darstellung 2013
Die Raumordnungskommission Bodensee und ihre Grundsätze zur Raumentwicklung in der Bodenseeregion Im Jahr 2000 wurde die Raumordnungskommission Bodensee (ROK-B) als „eigenständige Vertretung der Raumplanungsinstitutionen des Bodenseeraums“ gegründet. 2005 wurde die ROK-B assoziiertes Mitglied der IBK (vgl. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung 2009, S. 17). Sie hat insofern eine wichtige
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Funktion, weil im Organigramm der Internationalen Bodenseekonferenz eine eigene Kommission für Raumplanung nicht auftaucht (vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung 2011, S. 33; vgl. auch www.bodensee konferenz.org) und folglich raumrelevante Fragestellungen bis zur Mitgliedschaft der ROK-B von den anderen Kommissionen mitgedacht werden mussten. Insgesamt setzt sich die ROK-B aus 14 Mitgliedern der Staaten Deutschland, Schweiz, Österreich und Fürstentum Liechtenstein zusammen. Die Abteilung Raumplanung und Baurecht des Landes Vorarlberg sowie das Amt für Raumentwicklung des Kantons St. Gallen sind Mitglieder dieser Internationalen Raumordnungskommission Bodensee. Die zwei zentralen Anliegen der ROK-B sind eine gemeinsame Raumentwicklung im Verflechtungsraum Bodensee und die laufende Umsetzung einer grenzüberschreitenden Raumbeobachtung. Zudem will die ROK-B die Entwicklung eines gemeinsamen Bildes der Region fördern. Die Mitglieder der ROK-B haben 2009 zur Festigung der Zusammenarbeit eine gemeinsame Charta unterzeichnet. In dieser halten sie den Willen zur Zusammenarbeit und die gemeinsame Verantwortung für die Region Bodensee fest. Nachstehende drei Artikel bilden den Rahmen der Charta (vgl. Internationale Raumordnungskommission Bodensee 2009a,b): • Entwicklung eines gemeinsamen und grenzenlosen Raumverständnisses. • Vertiefung in unterschiedliche Themenschwerpunkte (z.B. Erschließung Bo-
denseeraum, Austausch und Abgleich von Datengrundlagen, Überwindung der Grenzen und Nutzen der Grenze als Chance, gemeinsames Raumkonzept). • Durchführung gemeinsamer Projekte und aktive Beteiligung an grenzüberschreitenden Projekten (z.B. Agglomerationsprogramme, MORO). Die Raumordnungskommission Bodensee hat sich in den letzten Jahren vom Informations- und Erfahrungsaustausch hin zu einem operativ tätigen Gremium entwickelt, weil die Zusammenarbeit in gemeinsamen Projekten vertieft wird (vgl. Semsroth u. Troeger-Weiß 2001). Sowohl die Erarbeitung einer gemeinsamen Raumentwicklung als auch die Raumbeobachtung erfolgen im Rahmen von zwei DACH+ Projekten (für Grenzraum D-A-CH-FL), wobei die ROK-B als Lenkungsgremium fungiert und die eigentliche Bearbeitung durch externe Büros erfolgt. Im Rahmen des ersten DACH+ Projektes von 2004-2008 wurden insgesamt sechs Grundsätze für eine nachhaltige Raumentwicklung formuliert (Hoffmann-Bohner u. Mettler 2008, S. 77): • „Gesunde“ Siedlungsdichte und „angemessene“ Funktionsmischung • Polyzentralität und Vernetzung von Wohn- und Arbeitsstandorten
130 | RAUMENTWICKLUNG IN G RENZREGIONEN • Vorrang des ÖV und des Rad- und Fußverkehrs vor dem motorisierten Indivi-
dualverkehr sowie des Schienenverkehrs vor dem Straßenverkehr • Mobilität für alle Bevölkerungsgruppen • Regionale Eigenheiten und Identität • Multifunktionale Landschaft
Gemäß Güller u. Güller soll sich der Grenzraum Bodensee nach außen als Einheit positionieren. Dies kann beispielsweise über Gemeinsamkeiten und gemeinsame Herausforderungen passieren und führt dazu, dass die eigentlich peripheren Teilräume zum Zentrum werden (vgl. Güller u. Güller 2006, S. 2). Um aber eine gemeinsame Sicht auf das DACH+ Gebiet und seine raumplanerischen Herausforderungen zu erhalten, wird zunächst eine Reduktion seiner Komplexität vorgeschlagen. Dies erfolgt anhand einer Raumgliederung in drei Teile (vgl. Hoffmann-Bohner u. Mettler 2008, S. 39–46; vgl. auch Güller u. Güller 2006, S. 4f): • Gesamtraum DACH+: Steuerung und Koordination erfolgen im Gesamtraum,
d.h. Einbringen gemeinsamer Anliegen in übergeordneten Ebenen. Strategische Handlungsräume sind in diesem Kontext der Metropolitanraum Zürich und die Städtenetze Bodensee bzw. Alpenrheintal. • Grenzregionen: Konkrete Kooperationen erfolgen auf regionaler, grenzübergreifender Ebene wie z.B. mit dem Agglomerationsprogramm Rheintal. Die Abgrenzung basiert auf funktionalen Verflechtungen und orientiert sich an zusammenhängenden Siedlungsräumen. • Projekträume: Schaffen von Rahmenbedingungen für lokale grenzüberschreitende Projekte, z.B. Grenzraumentwicklungsplan bzw. -programm. DACH+ kann die Gemeinden Top-Down unterstützen. Im Gesamtraum können zwei große zusammenhängende Siedlungsschwerpunkte bzw. drei Städtenetze ausgewiesen werden: Einmal der Metropolitanraum Zürich entlang des Hochrheins bis zur trinationalen Agglomeration Basel, zweitens das nördliche und südöstliche Bodenseeufer inkl. Alpenrheintal (vgl. HoffmannBohner u. Mettler 2008, S. 82; vgl. auch Güller u. Güller 2006, S. 15). Der nördliche Teil des Alpenrheintals bildet den Kern des Städtenetzes Alpenrheintal. In diesem Bereich ist durch die Agglomerationsprogramme bereits eine enge politische und funktionale Verflechtung gegeben. Ergänzt wird dieses Städtenetz durch Verknüpfungen mit Chur und der Stadt St. Gallen (siehe hierzu auch das Raumkonzept Schweiz). In diesem Kontext ist gemäß DACH+ eine starke Anlehnung von Vorarlberg an die Nachbarregionen des DACH+ Raumes feststellbar. Vorarlberg hat „seine Zentralität an der Grenze zur Schweiz“ (Hoffmann-
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Bohner u. Mettler 2008, S. 39). Für die Ostschweizer Kantone hingegen, hier vor allem die Städte St. Gallen und Chur, ergibt sich hinsichtlich der zentralen Funktion des Alpenrheintals „eine gewisse Unsicherheit“ (ebd., S. 39). Ihre Ausrichtung auf das Alpenrheintal überlagert sich folglich mit der Ausrichtung auf die Metropolregion Zürich. Die unterschiedlichen räumlichen Orientierungen im Städtenetz Alpenrheintal im Überblick (vgl. Hoffmann-Bohner u. Mettler 2008, S. 39f): • Für Bodensee-Oberschwaben bildet das Städtenetz Alpenrheintal im Dreieck
Chur, St. Gallen und Ravensburg eine zentrale räumliche Orientierung. • Liechtenstein ist Teil des Städtenetzes und ist auf sein Umfeld angewiesen. • Vorarlberg positioniert sich ebenfalls als Teil dieses Städtenetzes und nutzt
Infrastrukturen wie z.B. den Flughafen St. Gallen-Altenrhein grenzüberschreitend. Das Städtenetz Bodensee ist für Vorarlberg nicht von gleicher Bedeutung wie das Alpenrheintal. • St. Gallen und Graubünden sehen das Städtenetz Alpenrheintal nicht von gleich zentraler Bedeutung wie die anderen Nachbarregionen, da sie ebenso in Richtung Metropolitanraum Zürich orientiert sind. Welche Charakteristika werden dem Alpenrheintal als Schwerpunktraum Siedlung im Speziellen zugeschrieben? Es ist wirtschaftliches Zentrum, weist eine hohe wirtschaftliche und demographische Dynamik auf (Bevölkerungszuwachs und Einwohnerdichte, Konzentration von Arbeitsplätzen). Zudem tauchen in diesem Zusammenhang erneut die Einfamilienhausentwicklung in die Fläche sowie die ausgeprägten Pendlerverflechtungen als Charakteristika auf. Als weitere Merkmale werden die Zerschneidung der Landschaft und die intensive Nutzung der verbleibenden unbebauten Landschaft, z.B. für Landwirtschaft oder Naherholung genannt (vgl. Hoffmann-Bohner u. Mettler 2008, S. 82f). Insgesamt ergeben sich daraus fünf raumspezifische Ziele für den Schwerpunktraum Siedlung: ÖV als Rückgrat der Siedlungsentwicklung, ökologische und soziale Qualität der Wohngebiete verbessern, Optimierung der Rad- und Fußwegenetzes, Vernetzung und Sicherung von Freiräumen für die Erholung, Sicherung und Entwicklung der zentralen Siedlungsräume als Wirtschaftsschwerpunkte (vgl. Hoffmann-Bohner u. Mettler 2008, S. 83). Mit dem zweiten DACH+ Projekt „Zukunft der Raumentwicklung im Grenzraum D-A-CH-FL“ sollen gemeinsame raumplanerische Herausforderungen inhaltlich aufbereitet und diskutiert werden (vgl. Land Vorarlberg 2010, S. 256). Diese gemeinsam erarbeiteten Vorstellungen der räumlichen Zukunft des Bodenseeraums werden anschließend für eine Integration in die Raumplanungen
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der Regionen und Kantone aufbereitet. Als Endprodukt zielt das Projekt auf gemeinsame Planungsprinzipien im Hinblick auf ein abgestimmtes, gemeinsames Raumentwicklungskonzept ab. Dazu wurde ein Studienauftrag zur Entwicklung und Diskussion von Planungsprinzipien in den Bereichen Siedlung/Wirtschaft, Verkehr/Mobilität sowie Landschaft/Freiraum vergeben. Mit Blick auf die Unterschiede in den vorhandenen Raumkonzepten der Teilregionen (vgl. Hoffmann-Bohner u. Mettler 2008, S. 38) wird dies allerdings zu einer schwierigen Aufgabe. Parallel zur Erarbeitung eines Raumkonzepts Bodensee braucht es deshalb konkrete Projekte, welche die Umsetzung des Konzepts mitdenken (vgl. hierzu auch das ÖREK 2011). Abbildung 19: Das polyzentrische Städtenetz der Bodenseeregion: Entwicklungsachsen, Zentrenstrukturen und Verdichtungsräume in der Bodenseeregion
Quelle: Herzberg, Scherer u. Schnell 2010, S. 12
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Abbildung 20: Die Bodenseeregion im Spannungsfeld der Metropolen Zürich, Stuttgart und München
Quelle: Hoffmann-Bohner u. Mettler 2008, S. 82
R EGIONALE L UPE : R HEINTAL Raumentwicklung in Vorarlberg Das Bundesland Vorarlberg gliedert sich in insgesamt vier Bezirke und 96 Gemeinden, wobei allein im Rheintal drei Bezirksgrenzen (Feldkirch, Dornbirn, Bregenz) aneinandergrenzen. Die Abteilung Raumplanung und Baurecht ist für die Landesraumplanung in Vorarlberg zuständig. Die Landesregierung wird durch einen Raumplanungsbeirat beraten, seit Ende 2011 gibt es darüber hinaus einen sogenannten Sachverständigenbeirat. Landesentwicklungsprogramm vs. problemzentrierter Ansatz Bereits Ende der 1960er erfolgte die Erarbeitung eines Entwurfs für ein Landesentwicklungsprogramm durch Wurzer. Er gliederte das Landesgebiet von Vorarlberg zunächst in Planungsregionen, um den natürlichen, den ökonomischen und sozio-kulturellen Rahmenbedingungen von Vorarlberg mit einer entsprechenden Raumplanung gerecht werden zu können (vgl. Wurzer 1969, S. 2). Eine Gliederung böte zudem den Vorteil, die räumliche Entwicklung effizienter steuern zu können. Wurzer machte zwei wesentliche Merkmale im Siedlungsgefüge des Rheintals aus. Zum einen besaß die Agglomeration „Bregenz-Dornbirn-
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Hohenems-Lustenau“ seiner Meinung nach eine große Verkehrsgunstlage und hatte bereits zum damaligen Zeitpunkt eine bedeutende Scharnierfunktion im Rheintal bzw. im Bodenseeraum. Im Landesentwicklungsprogramm wurde dies als künftige Chance gesehen, um sich als Stadtregion etablieren zu können (vgl. Wurzer 1969). Zum anderen stellte der Kummenberg eine optische Barriere dar, der den österreichischen Teil des Rheintals in zwei Agglomerationen aufteilt: Einerseits in Feldkirch-Rankweil-Götzis, andererseits in Bregenz-DornbirnHohenems-Lustenau. Für die Umsetzung der Regionalstadt brauchte es gemäß dem von Wurzer vorgeschlagenen Landesentwicklungsprogramm u.a. ein leistungsfähiges Schnell- und Autobahnnetz (Rheintalautobahn, sowohl zwischen Feldkirch und Hörbranz als auch zwischen Lauterach-St. Margrethen bzw. Feldkirch-Liechtenstein), eine maßvolle Verdichtung, Errichtung von Industriebezirken in der Regionalstadt, Flächensicherung zur Errichtung eines Landesflug- und eines Rheinhafens oder die Festlegung von zusammenhängenden regionalen Grünzonen zur Steigerung der Aufenthaltsqualität. Diese Grünzone – auch als „Grüne Mitte“ bezeichnet – sollte eine Sicherstellung dieses Gebietes für eine landwirtschaftliche und freizeitorientierte Nutzung gewährleisten. Die Idee zur grünen Mitte leitete Wurzer damals von der Stadtregion Amsterdam-HaarlemGravenhage-Delft-Rotterdam-Utrecht ab (vgl. Wurzer 1966, S. 276 und 279). Darüber hinaus machten die „extreme Randlage innerhalb des Bundesgebietes“ sowie die geringe Entfernung zu den Agglomerationsräumen der Ostschweiz und Süddeutschland laut Wurzer eine engere Zusammenarbeit mit den Nachbarregionen notwendig (vgl. 1969, S. 20). „Da das vorarlbergische, liechtensteinische und schweizerische Rheintal nicht nur als historische, sondern auch als geographische, wirtschaftliche und kulturelle Einheit – also als Region im umfassendsten Sinn – zu werten ist, muß daher auf die Planungen der Nachbarländer in besonderem Maß Bedacht genommen werden“ (Wurzer 1966, S. 228). Die Ergebnisse des Anhörungsverfahrens legten aber nahe „[…] auf ein umfassendes Landesentwicklungsprogramm zumindest vorläufig zu verzichten und angesichts der erkennbaren Fehlentwicklungen eine problemorientierte Vorgangsweise zu bevorzugen“ (Tiefenthaler, o. A.). Diese Vorgangsweise wurde 1976 mit einem Beschluss der Vorarlberger Landesregierung bekräftigt. Statt auf einer Positivplanung sollte der Fokus vielmehr auf der Vermeidung von Problemen und Fehlentwicklungen liegen (vgl. Österreichischer Rechnungshof 2003, S. 3; vgl. Meier 2011, S. 140). Dieser problemorientierte Ansatz wurde damit begründet, dass zum einen bereits eine gute räumliche Verteilung der Siedlungsschwerpunkte gegeben war. Zum anderen wurden die Erreichbarkeitsverhältnisse in Vorarlberg als gut eingestuft: 95 % Prozent der Bevölkerung konnte die nächste Stadt des Landes innerhalb von 30 Minuten Fahrzeit mit dem Auto er-
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reichen, die ländlichen Gebiete eingeschlossen. Aus diesem Grund gab es in der Raumplanung auch wenig Anlass sich mit Regionen Einteilungen, Zentralen Orten oder Entwicklungsachsen auseinanderzusetzen (vgl. Tiefenthaler 1992, S. 94). 1996 hat die Landesregierung den Beschluss einer problemorientierten Vorgangsweise von 1976 nochmals bestätigt. Man verfolgte damit gemäß Weiss einen pragmatischen und wenig ganzheitlich-systematischen Zugang zur Raumordnung (vgl. 2009, S. 165). Vorarlberg hat nach wie vor kein landesweites Konzept oder räumliches Entwicklungsleitbild. Es gibt allerdings die Landesraumpläne Grünzone, Blauzone oder Einkaufszentren sowie Teilkonzepte Tourismus, Wanderwege etc. Anfang des neuen Jahrhunderts hat sich dieses Bild gewandelt, denn laut dem ehemaligen Landesamtsdirektor von Vorarlberg zeigt sich zunehmend, dass der „problemorientierte Ansatz der Landesplanung an Grenzen stößt“ (Müller 2004, S. 6). Im Prüfbericht des Vorarlberger Landesrechnungshofs von 2005 wird diesbezüglich empfohlen Regionalplanungsinstrumente, regionale Entwicklungskonzepte und entsprechende Organisationsformen zu entwickeln (vgl. Weiss 2009, S. 165). Abbildung 21: Die Agglomeration „Bregenz-Dornbirn-HohenemsLustenau“ als ein Schwerpunkt im Bodenseedreieck
Quelle: Wurzer 1966, S. 237
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Obwohl Wurzers Landesentwicklungsprogramm nie einen verbindlichen Status für das Vorarlberger Rheintal erlangt haben, begünstigten Sie durch die „großflächigen Baulandvorstellungen“ ein Zusammenwachsen von Nachbargemeinden und den Verlust an gliedernden Freiräumen. „Dadurch entstand mitunter ein weitläufiger Siedlungsbrei, in dem der individuelle Charakter einzelner Ortschaften zum Teil verloren ging. Den Bewohnern ist es in solchen Bereichen erschwert, sich zu einem bestimmten unverwechselbaren Wohnort als Heimatort zugehörig zu fühlen“ (Tiefenthaler, o. A.). Raumentwicklung als Prozess Das Land Vorarlberg will die Regionalentwicklung bzw. die regionale Raumentwicklung verstärkt über Prozesse voranbringen. „Die zwischen lokaler Ebene und Landesebene bestehende Lücke war und ist weiterhin Ansatzpunkt regionaler Kooperationsinitiativen im Land Vorarlberg. […] Das Land selbst verfolgt den Ansatz, über Kooperationsprojekte zwischen Land und Gemeinden Regionalentwicklungsprozesse sowohl auf Landesebene wie auch in Teilräumen anzustossen“ (Meier 2011, S. 141). Raumentwicklungsprozesse erlauben aus Sicht des Landes Vorarlberg auf geeignete Weise auf die regionalen Differenzierungen und deren dynamische Entwicklungen einzugehen. Beispiele sind etwa Vision Rheintal, die Raumentwicklung Montafon oder der Regionalentwicklungsprozess „Im Walgau“. Alle drei Regionen sind unterschiedlich ausgerichtet. „Der Prozess gibt die Tiefe und Breite vor. Aus dem Prozess ergibt sich die künftige Struktur des Handel[n]s. In Vorarlberg gehen wir daher den Weg der offenen Prozesse und verstehen uns als lernende Region. […] jedes Leitbild muss die Möglichkeit haben, aus dem Rahmen zu fallen, damit es jenen Punkten gerecht wird, die auf dem Tisch liegen“ (Bertsch 2010, S. 46). Herausfordernd ist dessen ungeachtet der Umgang mit der Unsicherheit, der Unbestimmtheit bei offenen Regionalentwicklungsprozessen (Gespräch Assmann 2012, Vision Rheintal). Die Raumplanung in Vorarlberg wächst in diesem Kontext zunehmend auch in eine Rolle als Vermittler und Moderator von Raumentwicklungsprozessen – insbesondere dort, wo eine regionale Betrachtungsebene bzw. eine integrative, sektorenübergreifende Betrachtungsweise erforderlich ist (z.B. bei neuen regionalen Betriebsgebietsstandorten). Dabei stellt sich die Frage wie viel Planung übrig bleibt und wie hoch der Anteil an Prozessbegleitung sinnvollerweise sein kann, denn von verschiedenen Seiten wird vom Land eine stärkere Steuerungsposition bzw. die Schaffung von institutionalisierten Rahmenbedingungen für die regionale Raumentwicklung gefordert (vgl. Pfefferkorn 2011b). Von der Landesebene wird somit eine wichtige Rolle bei der Unterstützung von regionalen Kooperationen erwartet (vgl. auch ÖROK 2009a).
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Wegen des nicht vorhandenen landesweiten Raumentwicklungskonzepts, der kaum bis nicht-institutionalisierten regionalen (Planungs-)Ebene sowie den breit angelegten gemeindlichen Selbstverwaltungsrechten, kommt den Vorarlberger Gemeinden eine umso entscheidendere Rolle für die räumliche Entwicklung des Landes zu (Gespräch Meier 2010). Zu nennen sind etwa Regionalplanungsgemeinschaften wie „amKumma“, Vorderland oder im Jahr 2011 neu gegründet die Regio „Im Walgau“, die eine entsprechend institutionalisierte Form der Zusammenarbeit auf regionaler Ebene bilden, welche über das prozessuale Verständnis hinausreicht. Auf der einen Seite zeigen diese Beispiele auf, wie sich Gemeinden in die überörtliche Raumplanung einbringen können (vgl. Weiss 2009, S. 165f). Auf der anderen Seite führt die Abgrenzung in Form von Planungsverbänden zu einer weiteren Unterteilung des Landes, „[…] die weder den geografischen Gegebenheiten noch der notwendigen Durchlässigkeit von Grenzziehungen Rechnung trüge. Einzugsgebiete gemeinsamer Einrichtungen folgen heute funktionalen Zweckmäßigkeiten, die je nach Sachgebiet unterschiedlich sein können. Starre Grenzen sind zunehmend überholt“ (Weiss 2009, S. 165f). Raumbild Vorarlberg Wie bereits erwähnt steht in der Vorarlberger Planungspraxis bislang eine problemorientierte Strategie im Vordergrund. Diese erscheint angesichts der diskutierten Anforderungen an die Raumentwicklung aber nicht mehr zeitgemäß. Es braucht eine vorausschauende, aktive Planung auf regionaler Ebene und mehr Verbindlichkeit. Deshalb soll erstmals ein umfassendes Planungsleitbild für Vorarlberg erarbeitet werden. Der Vorarlberger Landtag hat 2016 den Auftrag dazu erteilt. Ziel ist die Erarbeitung von Zukunftsbildern, Zielen und Strategien, um die „raumbedeutsamen Entwicklungsperspektiven und -potentiale sichtbar zu machen“. Mit dem Leitbild werden insbesondere die Aufgaben und Funktionen der regionalen Ebene im Hinblick auf die künftige räumliche Entwicklung und die Beziehung des Landes zur regionalen Ebene beleuchtet. Damit soll auch die anzustrebende Struktur der Raumentwicklung in Vorarlberg – Land, Regionen, Gemeinden – verdeutlicht werden. Raumentwicklung im Kanton St. Gallen Insgesamt gliedert sich der Kanton St. Gallen verwaltungsmäßig in 85 politische Gemeinden. Hinzu kommen 291 Spezialgemeinden wie Schulgemeinden, Ortsgemeinden, örtliche Korporationen und ortsbürgerliche Korporationen. Es gibt z.B. eine politische Gemeinde im Kanton St. Gallen, welche an insgesamt 20 Spezialgemeinden beteiligt ist (vgl. Hubacher 2011). Der Kanton trägt die Ver-
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antwortung für die kantonale Planung und für die Koordination von Planungsmaßnahmen. Die sogenannte Ausführungsgesetzgebung, damit ist das Raumplanungs- und Baugesetz gemeint, hat sich an die Grundsätze des Bundes zu halten. Durch die übergeordnete Ebene des Bundes kann in den kantonalen Raumplanungsgesetzen folglich bis zu einem gewissen Grad eine Einheitlichkeit erreicht werden (vgl. Eberle et al. 2008). Allerdings haben die Kantone einen breiten Handlungsspielraum, was zu unterschiedlichen Zugängen von Raumplanung je nach Kanton führt. Allen gemein ist das Instrument des kantonalen Richtplans. Das Baudepartement bzw. das dazugehörige Amt für Raumentwicklung und Geoinformation als Fachstelle sind für die kantonale Raumplanung zuständig. Kantonale Richtplanung Der Kantonale Richtplan bestimmt die räumliche Entwicklung des Kantons und steht in (gegenseitiger) Abstimmung mit dem Bund, den Nachbarkantonen, den Gemeinden sowie mit dem benachbarten Ausland. Er „koordiniert die raumwirksamen Tätigkeiten und steuert diese über längere Zeit. Er besteht aus konzeptionellen und programmatischen Inhalten. In diesem Sinne entwickelt er mittel- bis langfristig raumplanerische Ziele und die zu ergreifenden Massnahmen samt den erwarteten Wirkungen“ (Eberle et al. 2008, S. 220). Mit dem kantonalen Richtplan liegt ein behördenverbindliches Instrument vor, das zudem mit dem Bund, den Nachbarkantonen und dem angrenzenden Ausland abgestimmt ist und die Prozessschritte der künftigen räumlichen Entwicklung des Kantons aufzeigt. Genehmigt wird der kantonale Richtplan vom Bund. Eine Fortschreibung der Richtpläne erfolgt laufend, die Gesamtüberarbeitung hat mindestens alle 10 Jahre zu erfolgen. Im Zuge der Teilrevision des Raumplanungsgesetzes wurde die Richtplanung aufgewertet werden, in dem der Bund „verbindlich ein Raumkonzept als strategische Basis für die Richtpläne“ einfordert (Kanton St. Gallen 2010, S. 13). Der Kanton St. Gallen orientierte sich bei der Erarbeitung an den Vorgaben des Raumkonzeptes Schweiz, den Zukunftsbildern der Agglomerationsprogramme und den bisherigen Grundzügen der räumlichen Entwicklung. Die Grenzen der gegenwärtigen Gemeindeautonomie im Kanton St. Gallen liegen in einer zu geringen Größe und einer fehlenden Professionalität. Dadurch können bestimmte Aufgaben nicht mehr von allen Gemeinden erfüllt werden und müssen verlagert werden (vgl. Hubacher 2011). Eine solche Verlagerung findet in Form von Regionalplanungsverbänden statt, welche eine Planungsebene zwischen Kanton und Gemeinden darstellen. Sie sind keine eigenständige Verwaltungseinheit, können aber vom Kanton übertragene überkommunale Raumplanungsaufgaben übernehmen (vgl. Eberle et al. 2008). Der Verein St. Galler Rheintal ist z.B. der Hauptansprechpartner in Sachen Agglomerationspro-
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gramm Rheintal (dies erfolgt mittels Leistungsvereinbarung mit dem Kanton). Erarbeitete Regionalpläne sind mit den Nachbarregionen abzusprechen und werden durch die Trägerschaft des Verbandes erlassen (vgl. Meier 2011). Raumkonzept St. Gallen 2013 hat der Kanton St. Gallen sein Raumkonzept veröffentlicht. Dieses bildet den „strategischen Orientierungsrahmen für die Koordination der raumwirksamen Tätigkeiten […]“ (Kanton St. Gallen 2013, S. 3). Neben der Aufarbeitung raumplanerischer Herausforderungen im Kanton werden Leitsätze der Raumentwicklung formuliert sowie Raumtypen und Handlungsräume definiert. Abbildung 22: Raumkonzept St. Gallen. Raumtypen und funktionale Handlungsräume
Quelle: Kanton St. Gallen 2013, S.10 u.17
Der Kanton ist Teil der Metropolregion Nordschweiz und muss sich innerhalb dieser Metropolregion als eigenständiges Zentrum behaupten bzw. dem Sog von Zürich standhalten. „Besonders deutlich kommt dies bei den Bevölkerungsbewegungen zum Ausdruck, insbesondere bei den hochqualifizierten Arbeitskräften“ (Baudepartement des Kantons St. Gallen 2009, S. 26). Diese Eigenständigkeit soll nicht mit Abgrenzung erhalten werden, sondern mit „Verdeutlichung und Pflege des Verhältnisses“ zu den Nachbarregionen (vgl. Baudepartement des Kantons St. Gallen 2010, S. 14). Im aktuellen Raumkonzept steht, dass die Zusammenarbeit weiter intensiviert werden soll. „Der Kanton St. Gallen hat Anteil an mehreren funktionalen Räumen und nimmt dadurch eine Scharnierfunktion wahr“ (Kanton St. Gallen 2013, S. 6). Von grenzüberschreitender Bedeutung in diesem Kontext ist der urbane Verdichtungsraum Mittelrheintal (inkl. der Vor-
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arlberger Gemeinden Lustenau und Höchst, siehe Raumtypologie). Neben den Pendlerverflechtungen innerhalb der Nordschweiz ist der Kanton St. Gallen ebenso mit dem benachbarten Ausland vernetzt. Für das Rheintal wird jedoch festgestellt, dass die Pendlerbeziehungen in Richtung St. Gallen oder Zürich relativ schwach sind. Arbeitsplatzangebot (Industrie) und Wohnraum ermöglichen ein Arbeiten innerhalb der Region (Ausnahmebedeutung: höhere Dienstleistungen). Wenn, dann pendeln St. Galler Rheintaler oder Werdenberger nach Liechtenstein. Eine Anmerkung hierzu: Die Region Rheintal hat ein mehrdeutiges Verhältnis zum benachbarten Ausland. Zum einen profitiert sie von der Grenzsituation (Arbeitspendler nach Liechtenstein bzw. attraktiver Wohnstandort für diese; Einkaufspendler nach Vorarlberg). Zum anderen braucht es eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit um eine relevante Größe darstellen zu können. Vorarlberg und Liechtenstein üben durch ihre dynamische Entwicklung aber auch einen Wettbewerbsdruck auf das St. Galler Rheintal aus. Des Weiteren werden im Raumkonzept St. Gallen der Landwirtschaft im Rheintal eine große Bedeutung zugeschrieben und die negativen Auswirkungen der Zersiedelung beschrieben. Vor diesem Hintergrund ergibt sich für den Handlungsraum Rheintal folgender Handlungsbedarf (Kanton St. Gallen 2009, S. 20, Auszug): • Grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Vorarlberg intensivieren (insbe-
sondere im Bereich Siedlung, Landschaft und Verkehr) • Zersiedelung und Flächenverbrauch eindämmen • Verdichtungspotentiale in Zentren und entlang des ÖV nutzen • Kultur- und Naturlandschaften verknüpfen und schützen
Trotz einer erkennbaren Bestrebung zur Zusammenarbeit mit den Nachbarregionen zeigt die räumliche Ausrichtung des Kantons St. Gallen grundsätzlich in Richtung Metropolregion Zürich. Sie ist ein Hauptraum für den Kanton (Interview Strauss 2012, AREG). Beteiligungsverständnis in den beiden Raumplanungen Das Beteiligungsverständnis kann als ein besonderes Merkmal für die Raumplanung bei den Eidgenossen betrachtet werden. Drei Begriffe werden im Zusammenhang mit Bürgerbeteiligung verwendet: Information, Mitwirkung und Kooperation. Information und Mitwirkung bedeuten rechtzeitige Information „der an der Planung Interessierten“ bzw. „Äusserung zum Planungsvorhaben im Moment, wo die wesentlichen Entscheide noch nicht gefallen sind. […] Über diese Mitwirkung hinaus gehen kooperative Planungsverfahren, in denen die Be-
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teiligten frühzeitig und stetig in den Entscheidungsprozess eingebunden werden“ (Eberle et al. 2008, S. 186). Kooperativ heißt in diesem Fall unter Einbeziehung von Behörden, Initiatoren, Bevölkerung und interessierten Gruppen und in Zusammenarbeit mit Fachexperten resp. Wissenschaftlern. Schlussendlich entscheiden in der Schweiz grundsätzlich die Stimmberechtigten über die Nutzungspläne (vgl. Eberle et al. 2008, S. 173). St. Galler Rheintalgemeinden mit Bürgerversammlungen stehen aus diesem Grund vor der Herausforderung, dass man 2–3 Jahre in eine Planung investiert hat, die dann in einer halbstündigen Bürgerversammlung abgelehnt wird. Eine Bürgerversammlung kann jederzeit einberufen werden, die durchschnittliche Teilnahme liegt derzeit bei 5–10 % (vgl. Hubacher 2011). Im Vergleich dazu ist in Österreich zwar ebenfalls von einer intensiven Miteinbeziehung der betroffenen Bevölkerung die Rede, eine Anhörung kann bei manchen Anliegen allerdings genügen (vgl. Semsroth u. Troeger-Weiß 2001). Einen besonderen Zugang hat in diesem Kontext das Bundesland Vorarlberg. Hier ist die Förderung der Erarbeitung von räumlichen Entwicklungskonzepten (REK) an eine Durchführung von Beteiligungsverfahren gekoppelt (vgl. Land Vorarlberg 2008, S. 2). Somit besteht die Möglichkeit, mit finanziellen Anreizen einen Impuls zur Beteiligung zu geben. In der Praxis der Raumplanung bzw. -entwicklung ist der Handlungsspielraum auf beiden Seiten allerdings groß und hängt entsprechend vom Willen der Entscheidungsträger ab. Bei der Analyse der beiden Fallbeispiele Vision Rheintal und Agglomerationsprogramm Rheintal wird deshalb ein vertiefender Blick auf die faktische Umsetzung und den Stellenwert von Partizipation geworfen. Grenzüberschreitende Raumplanung im Rheintal Sowohl der Kanton St. Gallen als auch das Bundesland Vorarlberg sind räumlich betrachtet periphere Gebiete und liegen aus Sicht der Nationalstaaten am Rand (vgl. dazu auch Hartz, Damm u. Köhler 2010, S. 500). Wegen der Randlage des Kantons St. Gallen innerhalb der Schweiz, betont z.B. das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) den Stellenwert einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und die gleichzeitige Stärkung der Region (vgl. Agglomerationsprogramm Rheintal 2011). Im Kanton St. Gallen und im Land Vorarlberg ist eine aktive grenzüberschreitende Zusammenarbeit diesbezüglich in den jeweiligen Gesetzen festgeschrieben, v.a. im Sinne einer Einbindung in Stellungnahmen zu den Landesraumplänen bzw. Richtplänen (vgl. Land Vorarlberg 2011, S. 13). Als zentrale Motivation für die gegenwärtige grenzübergreifende Zusammenarbeit kann der politische Wille angesehen werden. Inwiefern dieser zumindest offiziell gegeben ist, kann zum Beispiel aus den Regierungserklärungen des
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Landes Vorarlberg oder des Kantons herausgelesen werden: „In der Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn liegen Chancen für die Zukunft, in einem starken Bodensee- und Alpenraum. Im Übrigen bekenne ich mich klar zu einem Europa der Regionen und damit verbunden Entwicklungsmöglichkeiten. Auch und gerade für Vorarlberg. Die Chancen überwiegen!“ (Wallner, Landeshauptmann von Vorarlberg 2011, S. 30). Die Regierung des Kantons St. Gallen bekennt sich dazu, die Zusammenarbeit „vermehrt an den Realitäten der funktionalen Räume auszurichten. Auf dieser Basis sind für eine zukunftsgerichtete interkommunale und interkantonale Zusammenarbeit eine mehrheitsfähige Strategie und die entsprechenden Instrumente zu entwickeln. Schliesslich ist der Kanton St. Gallen an fünf Agglomerationsprogrammen beteiligt, wovon drei interkantonale und zwei weitere sogar internationale Perimeter aufweisen“ (Kanton St. Gallen 2009, S. 11). Gemäß Meier können vier weitere Motivationen für eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit in der Untersuchungsregion Rheintal ausgemacht werden (vgl. 2011): • Gesetzliche Grundlagen fördern die Zusammenarbeit über die Grenze hinweg.
Beispiele sind die im Bundesgesetz über die Raumplanung festgeschriebene Zusammenarbeit der Behörden, die Einbeziehung der Nachbarn bei der Erstellung der kantonalen Richtpläne. • Leidensdruck z.B. im Bereich des Verkehrs, Hochwasserschutz, Müllentsorgung, Wirtschaftlichkeit der Kommunen, Standortvermarktung, Zersiedelung (vgl. Meier 2011, S. 150f). • Finanzielle Anreize: INTERREG-Programme, Förderrichtlinien des Kantons bzw. des Landes, Agglomerationsprogramme Schweiz. • „Klare bauliche Profilierung“ der Siedlung, Stärkung des Images nach außen und des Selbstbildes nach innen sowie Ressourcenschonung (vgl. Meier 2011, S. 218f). Durch das Bestreben, eine verstärkte grenzüberschreitende Kooperation herbeizuführen, wird die regionale Handlungsebene aufgewertet. Hierbei hat das Rheintal den Vorteil einer gewissen Übersichtlichkeit, was Entscheidungsträger und Akteure betrifft (vgl. Eisinger u. Kurath 2006, S. 34). Beispiele für bereits vorhandene grenzüberschreitende Raumplanungen, Zusammenarbeit oder Austausch finden sich einige. Es gibt eine Vielzahl an Arbeitsgruppen im und um das Rheintal. Zum einen ist die „Buchser Gruppe“ zu nennen, eine Austauschplattform der vier Raumplanungsfachstellen von Graubünden, St. Gallen, Liechtenstein und Vorarlberg. Sie ist mittlerweile aber nicht mehr aktiv. Daneben gibt es die bereits erwähnte Raumordnungskommission Bodensee, das jährliche
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„FLACHS“-Treffen (ein Austausch der Raumplanungsfachstellen von Graubünden, St. Gallen, Wallis, Liechtenstein, Vorarlberg, Südtirol sowie des Bundeskanzleramtes in Österreich und des Bundesamtes für Raumentwicklung in der Schweiz) oder die Rheintalische Grenzgemeinschaft. Das Tal oder seine Teilregionen sind also vielfältig auf Kooperationen und Zusammenschlüsse verteilt. Als „Ganzes“ wird das Alpenrheintal gegenwärtig aber nur über die IRKA repräsentiert (vgl. hierzu auch Meier 2011, S. 197). Hinsichtlich der Frage nach raumwirksamen Projekten, die im Grenzgebiet umgesetzt werden, gibt es die Agglomerationsprogramme Rheintal und Werdenberg-Liechtenstein, das DACH+ INTERREG-Projekt oder das MORO (beide mit Schwerpunkt auf der Bodenseeregion), Freizeit und Erholung im Alpenrheintal (bereits abgeschlossen), Internationale Rheinregulierung bzw. Entwicklungskonzept Alpenrhein, um nur eine Auswahl zu nennen. Letztlich sind es gerade die vielfältigen Kooperationsformen und Projekte, welche die Zusammenarbeit im Rheintal sicht- und messbar machen und weniger der Wille, der auf Kontrakten oder Regierungsbeschlüssen festgehalten worden ist. In der Einschätzung der OECD mangelt es an starken grenzüberschreitenden Partnerschaften resp. Kooperationen. Es gibt zwar Initiativen, die sich auf das Bodenseegebiet oder die Region Alpenrheintal beziehen (z.B. das INTERREG-Programm), allerdings existiert keine allgemein anerkannte Definition eines grenzüberschreitenden Funktionalraumes in diesem Raum. Zudem werden unterschiedliche thematische Schwerpunkte gesetzt. Dadurch sind nicht immer alle bzw. die gleichen Akteure beteiligt, was zu unterschiedlichen Zuständigkeiten führen kann und in der Folge zu Koordinationsproblemen (OECD 2011). „Diese variable Definition kann sich [auch] als vorteilhaft erweisen, wenn es darum geht, Maßnahmen dem Potenzial und den gemeinschaftlichen Vorhaben in der Region anzupassen […]“ (OECD 2011, S. 164). Ein Blick auf das Tagesgeschäft der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen den Raumplanungsabteilungen des Kantons St. Gallen und des Landes Vorarlberg ergibt insgesamt fünf Schwerpunkte des Austausches – geordnet nach dem Intensitätsgrad des gegenseitigen Austausches (von gering zu intensiv; eigene Zusammenstellung): • Berichterstattung über aktuelle Studien und Analysen – Betriebsgebietsstudie,
Mobilität im Kanton St. Gallen, Änderung der Organisationsstruktur in der Raumentwicklung St. Gallen etc. (laufend) • Einladung zu Stellungnahmen bzw. Vernehmlassungen – kantonale Richtplanung, Raumentwicklungskonzept Schweiz, Atommüllendlager, Flächensicherung Hochwasserschutz, Skigebietserweiterungen etc. (laufend)
144 | RAUMENTWICKLUNG IN G RENZREGIONEN • Treffen der Regierungen des Kantons St. Gallen und des Landes Vorarlberg –
u. a. Besprechung von raumrelevanten Themen (jährlich) • Mitwirkung in der Konzeptgruppe zur Gesamtüberarbeitung des kantonalen
Richtplans (Vertreter Vorarlberg, temporär) • Mitwirkung an Raumentwicklungsprojekten – Agglomerationsprogramm
Rheintal, Agglomerationsprogramm Werdenberg-Liechtenstein, Mobil im Rheintal (temporär) Die gegenwärtigen Formen der Zusammenarbeit werden allerdings auch kritisch hinterfragt. „Die grenzüberschreitende Arbeit wird toleriert, wenn dies im Sinne der kommunalen Aufgabenbewältigung ist. Aber sie hat einen geringen Eigenwert. Die Einträge in der Agenda zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit betreffen daher oft entweder die Gemeinden der eigenen Talseite oder beschränken sich auf einen geselligen Anlass“ (Schlegel 2006, S. 114). Andere Indikatoren sieht Schlegel in der Tendenz, belastende Infrastrukturen dort zu platzieren, wo sie vermeintlich am wenigsten stören: an den Rändern (vgl. hierzu auch Meier 2011, S. 65). Beispiel sind die Autobahnen, Deponien oder Industriegebiete. Eine gemeinsame Entwicklung des Raumes scheint nicht zuletzt auch am Eigensinn der jeweiligen Teilregionen zu scheitern – oder um an dieser Stelle Ben Davy zu zitieren: „In der kommunalpolitischen Praxis lernt man rasch, daß vielerlei Arten des Eigensinns berücksichtigt werden müssen: Eitelkeiten und Statusdenken, Sorgen und Ängste, Vorlieben und Abneigungen. Dabei bedeutet Eigensinn nicht Starrköpfigkeit, sondern jenes Wirken subjektiver Identitäten, bei dem aus den tiefen Überzeugungen einer Person einzelne Interessen und Präferenzen gebildet werden“ (Davy 2004, S. 143). Bedürfnisse werden hinsichtlich des eigenen Gebietes abgesteckt ohne entsprechenden Weitblick auf die funktionalen Beziehungen (vgl. Schlegel 2009, S. 16f). Laut Scharpf führt dieser kurzsichtige Blick auf kommunale bzw. teilregionale Einzelinteressen zur kollektiven Selbstschädigung. Er nennt dies „Rationalitätsfalle“ (vgl. Scharpf 1988, zitiert nach Seifert 2007, S. 205). Es muss sich erst die Erkenntnis entwickeln, dass Konkurrenten im Rheintal auch miteinander kooperieren können (vgl. Schindegger 2003, S. 5) – wie sie das z.B. in der Wirtschaft tun, ganz im Sinne eines gesunden Wettbewerbs. Trotz der vorhandenen Beispiele und Erfahrungen im Bereich der gemeinsamen Raumentwicklung hat sich laut Meier bislang keine Kultur der (raumplanerischen) Zusammenarbeit etabliert. Dies hängt zum einen mit den begrenzten Zuständigkeiten und Kompetenzen der Raumplanungsfachstellen zusammen. Zum anderen wird ein expliziter politischer Wille zur vorausschauenden Zusammenarbeit, die über das reine Reagieren auf Problemstellungen hinausgeht,
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vermisst (vgl. Meier 2011, S. 203–209). „Zudem fehlt der klare politische Auftrag und damit auch eine gesicherte Legitimation der Tätigkeiten sowie eine klare Prioritätensetzung zugunsten der Kooperationsarbeit“ (Meier 2011, S. 208). Des Weiteren verweist Meier auf die unterschiedlichen Wahrnehmungen und Kooperationsvorstellungen, welche sich aufgrund der Grenzsituation ergeben (vgl. 2011, S. 209f). Die Tatsache, dass die regionale Raumplanung im Kanton St. Gallen institutionalisierter erfolgt als im Land Vorarlberg stellt hierbei einen relevanten Faktor dar. Die Region ist in der Schweiz zwar keine vierte Staatsebene, z.B. hat der Verein St. Galler Rheintal zu geringe Entscheidungskompetenzen, trotzdem ist durch die Agglomerationspolitik des Bundes eine verstärkte Institutionalisierung als Region spürbar. In Vorarlberg unterstützen hingegen die laufenden Raumentwicklungsprozesse die regionale Betrachtungsweise und die Stärkung der regionalen Handlungsebene. Ein weiterer Grund für die gegenwärtige Situation ist gemäß Schlegel in den unterschiedlichen Planungsverständnissen zu finden, die unter anderem daran zu erkennen sind, dass grenzüberschreitende Betrachtung jeweils andere räumliche Lösungsvorschläge mit sich bringen (vgl. Schlegel 2009, S. 17). Durch die unterschiedlichen Rahmenbedingungen können Entwicklungschancen in der Raumentwicklung oder in der Infrastrukturplanung nicht genutzt werden. Es brauche neue Ansätze der Zusammenarbeit (vgl. Spillmann u. Broggi 2009, S. 30). Die Analyse der Fallbeispiele Vision Rheintal (Vorarlberger Rheintal) und das Agglomerationsprogramm Rheintal (St. Galler Rheintal mit Einbeziehung des Vorarlberger Rheintals, Federführung Verein St. Galler Rheintal) liefern einen wichtigen Einblick in die unterschiedlichen bzw. gemeinsamen Planungsverständnisse in der Grenzregion. Die Betrachtung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede erfolgt mit der Regional Governance-Brille und legt ihren Fokus auf die Strukturen, die Prozesse und den regionalen Kontext. Wie sich in dieser Analyse noch zeigen wird ist derzeit ein Wandel in der „Kultur der Zusammenarbeit“ feststellbar. Gerade die Regierungsbeschlüsse, die zur Erarbeitung der Agglomerationsprogramme Rheintal gefasst wurden, bekräftigen den Willen zur gemeinsamen räumlichen Entwicklung der Grenzregion. Spannend wird sein, ob es sich dabei nur um Lippenbekenntnisse handelt oder ob der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Rheintal tatsächlich die gleiche Aufmerksamkeit, die gleichen zeitlichen und finanziellen Ressourcen zuteilwerden, wie den kantons- bzw. landesinternen Regionen. Als Zwischenfazit kann festgehalten werden, dass grenzüberschreitende Kooperationen sowohl der Vielfalt der Akteure als auch der Instrumente gerecht werden müssen und dabei sensibel sein sollten für die unterschiedlichen Verständnisse von Planung, Planungskulturen und -begrifflichkeiten (vgl. Meier 2011, S. 143f).
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H ANDLUNGS - UND E NTSCHEIDUNGSRAUM V ISION R HEINTAL – S TRUKTUREN , P ROZESSE REGIONALER K ONTEXT
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Entstehungskontext und räumliche Abgrenzung Der Raumentwicklungsprozess Vision Rheintal startete im Jahr 2004 und hatte zum Ziel, „die gesamte Region als gemeinsamen Lebensraum zu erkennen und somit auch als Bezugsraum für politische Gestaltung zu begreifen“ (Assmann u. Tötschinger 2010, S. 4). Hintergrund für das Projekt sind die raumplanerischen Herausforderungen in der Region Rheintal, die aufgrund der zunehmenden räumlichen sowie funktionalen Verflechtungen der Gemeinden nicht mehr innerhalb der eigenen Gemeindegrenzen bewältigt werden können. Der besondere Wert von Vision Rheintal liegt im prozesshaften Verständnis, welches eine intensive Mitwirkung der Gemeinden erlaubt. Das Land Vorarlberg und die 29 Gemeinden des Vorarlberger Rheintals tragen das Projekt gemeinsam (vgl. Vision Rheintal 2006). Der Auslöser für den Prozess Vision Rheintal kann nicht klar ausgemacht werden. Einmal ist im Jahresprogramm des Vorarlberger Architektur Instituts aus dem Jahr 2001 von einer Veranstaltungsreihe „Visionen für das Rheintal“ zu lesen und im Herbst des gleichen Jahres lud der Vorarlberger Naturschutzrat zum Symposium „Rheintalstadt?!“ ein. 2002 wurde eine Steuerungsgruppe zu „Visionen für das Rheintal“ gebildet, die mehrere Workshops zum Thema durchführte (vgl. Vision Rheintal 2006, S. 18). Ein weiterer Impuls für den Start des Regionalentwicklungsprozesses Vision Rheintal war ein geplantes Hochhausprojekt in der Gemeinde Lustenau. „Am Ortsrand von Lustenau sollte mit 23 Etagen und 83 Metern Höhe das bisher höchste Hochhaus in Vorarlberg errichtet werden“ (Vision Rheintal 2011, S. 5). Aufgrund dieses Projektes entwickelte sich eine Diskussion darüber, wo sich künftig Betriebe ansiedeln sollen und wo im Rheintal die Naturräume zu erhalten sind. Denn weil die Gemeinden im Rheintal bereits zu einem zusammenhängenden Siedlungsgebiet zusammengewachsen sind, könne eine Gemeinde alleine keine Antwort auf diese Fragen geben (vgl. Assmann 2009, S. 9; vgl. Assmann u. Burtscher 2009, S. 20). Zu Beginn war die Landespolitik unsicher, ob eine reine Expertise zur Zukunft des Rheintals den richtigen Zugang darstellt, um die Vorarlberger zur „Regionalplanung zu bekehren“. „Es kann nicht so sein, dass wir nur auslagern und es wird dann gemacht. Das Wissen um die Gegebenheiten muss immer eingebracht werden in solche Projekte, die dann von irgendwelchen Firmen, Institutionen durchgeführt werden“, wie der damalige Vorarlberger Landesrat für Raumplanung Manfred Rein
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auf dem Rheintalstadtsymposium von 2001 feststellte (vgl. Rein 2001, S. 25). Man wollte keine fertige Gebrauchsanleitung (vgl. auch Müller 2004, S. 6). Deshalb fand im Jahr 2003 im Rahmen einer Vorstudie eine Befragung von 89 Schlüsselpersonen aus Politik und Planung im Vorarlberger Rheintal statt (vgl. Berchtold u. Schindegger 2003; vgl. Assmann u. Burtscher 2009, S. 20), die letztlich Stimmung für eine interkommunale Zusammenarbeit sowie einen breit angelegten Prozess im Rheintal machte und somit eine wichtige Motivation für die Entscheidung der Landespolitik zur Durchführung eines Leitbildprozesses Vision Rheintal darstellte (vgl. Schindegger 2006, S. 45). Im Frühjahr 2004 erfolgte der Regierungsbeschluss für das Projekt „Vision Rheintal – Räumliches Entwicklungsleitbild“ (vgl. Assmann u. Zech 2006b, S. 6). Projektperimeter ist das Vorarlberger Rheintal mit insgesamt 29 Gemeinden. Der Betrachtungsperimeter umfasst zudem das St. Galler Rheintal und das Fürstentum Liechtenstein (vgl. Salzmann 2006, S. 8), was allerdings zu keiner spezifischen Einbindung von Vertretern aus den Nachbarregionen geführt hat. Die Einbeziehung der Nachbarregionen in die Bestandsanalyse erfolgte zunächst „soweit wie möglich“. In diesem Kontext verweisen Assmann und Zech auf die INTERREG-Projekte „Erholung und Freizeit im Alpenrheintal“ und DACH+ (vgl. 2006b, S. 4). Im Zuge des Leitbildprozesses ist der Anspruch einer grenzübergreifenden Gesamtbetrachtung allerdings gewachsen, verbunden mit den Fragen nach gemeinsamen Zielen, Projekten, Visionen und Prozessen. „Schön wäre es, wenn irgendwann auch die Schweizer Seite des Rheintals Teil der Vision Rheintal würde. Das wäre nämlich eine Verdoppelung des Lebensraums, den wir gemeinsam gestalten können“ (Assmann 2009, S. 9). Inwieweit hat sich das Vorarlberger Rheintal aber bis dato als regionale Handlungsebene bewährt? „Die Lebenswelt des Einzelnen reicht heutzutage weit über ausschließlich lokale Bezüge hinaus. So ist es aus meiner Sicht erforderlich, auf Regionen einzugehen. Hier ist jedoch zu beachten, dass es nicht um ein Entweder-Oder geht. Es braucht beides nebeneinander: Ein Denken im lokalen und ein Denken im regionalen Kontext“ (Interview Assmann; Assmann u. Tötschinger 2010, S. 4). Phasen, Ziele und Themen von Vision Rheintal Phase 1: Leitbildprozess Die erste Projektphase von Vision Rheintal war der Leitbildprozess von 2004– 2006. Am Anfang stand dabei die qualitative und quantitative Analyse der IstSituation. Dazu wurden verschiedenste Themen zum einen mittels (mentaler) Landkarten visualisiert, u. a. die Karten der besonderen Werte im Rheintal, der Barrieren oder der Unorte. Zum anderen umfasste die quantitativ-statistische
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Analyse beispielsweise die Siedlungsentwicklung, Bauflächenreserven, Landnutzung und Arbeitsstätten in der Region (vgl. Vision Rheintal 2006, S. 25–62). In einem offenen Beteiligungsprozess und unter Mitwirkung von Fachteams wurden insgesamt sechs Schwerpunktthemen bearbeitet: Soziokulturelle Entwicklung, Siedlung und Mobilität, Freiraum und Landschaft, Wirtschaftsstandort, Gemeinbedarfseinrichtungen und Gemeindekooperation (vgl. Vision Rheintal 2006). „Die Fachteams wurden aus ExpertInnen von Landesdienststellen, Gemeinden, Instituten, privaten Büros und besonderen RegionskennerInnen gebildet“ (Assmann u. Zech 2006b, S. 5). Darauf aufbauend entstanden Leitsätze, Leitbildkarten und ein gemeinsames Verständnis für die Entwicklung des Vorarlberger Rheintals (vgl. Vision Rheintal 2006, S. 18ff; vgl. Vision Rheintal 2009, S. 4). Insgesamt dauerte der Leitbildprozess zwei Jahre und brachte nachstehende Kernaussagen als Ergebnis (vgl. Assmann u. Burtscher 2009, S. 20): • Die Freiräume im Rheintal werden zu einem grünen Netz entwickelt, in dem
sich Landwirtschaft, Ökologie und Naherholung wiederfinden. • Siedlungsränder halten: Es braucht eine qualitätsvolle Verdichtung nach innen,
ein Instrument wird in der Quartiersentwicklung gesehen. • Hochwertige Produktionsbetriebe werden gesichert. • Siedlungsentwicklung an Orten mit geeigneter ÖV-Erschließungsgüte. • Polyzentrik: Wichtige Einrichtungen sollen in einer ausgewogenen räumlichen
Entwicklung aufgeteilt werden. Obwohl noch kein Beschluss des Leitbildes vorlag, entfaltete der Prozess bereits 2006 Wirkung. Einzelne Gemeinden griffen die Ideen auf und zeigten gemäß Schindegger „in der Behandlung alltäglicher Planungsfragen auf der kommunalen Ebene deutliche Verhaltensänderungen hin zu mehr überörtlichem Denken“ (2006, S. 46). Auftraggeber für die erste Phase von Vision Rheintal war das Land Vorarlberg. Für die eigentliche Projektleitung wurde eine externe Raumplanerin engagiert, um eine „interessensfreie“ Gestaltung des Prozesses zu gewährleisten (vgl. auch Landes-Rechnungshof Vorarlberg 2012, S. 22). Sie wurde unterstützt von einem Mitarbeiter der Raumplanungsabteilung des Landes Vorarlberg und einer erweiterten Projektleitung, der neben den Fachteamleitern ebenso Prozessberater/Organisationsberater angehörten. Insbesondere die Prozessberatung hat sich in den darauffolgenden Phasen des Projektes etabliert. Das Grundprinzip von Vision Rheintal funktioniert nämlich im Wechselspiel zwischen Raumplanung und Prozessbegleitung.
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Phase 2: Interimsphase Phase 2 startete im Herbst 2006 mit dem Beschluss der Landesregierung, Vision Rheintal weiterzuführen und die Umsetzung der Erkenntnisse aus dem Leitbildprozess weiter-voranzutreiben. Ein wichtiger Schwerpunkt dieser Phase war die Vorbereitung zur gemeinsamen Verabschiedung des Leitbildes durch das Land und die Gemeinden (vgl. Landes-Rechnungshof Vorarlberg 2012, S. 37), da dies in Phase eins nicht passierte. Im Projektauftrag wurden des Weiteren nachstehende Ziele festgelegt (vgl. ebd., S. 35): • Erarbeitung einer tragfähigen Arbeitsstruktur für die Rheintalkonferenz. • Vorbereitung und Klärung der Strukturen für das Management regionaler
Themen. • Unterstützung und Vernetzung der Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden
bzw. zwischen den Gemeinden und dem Land sowie die Unterstützung bei der Umsetzung konkreter Projekte. • Verankerung der Erkenntnisse von Vision Rheintal in möglichst vielen Köpfen. Ende 2007 erfolgte mit der Unterzeichnung des „Rheintalkontrakts“ und der Regelung der finanziellen Beteiligung der Gemeinden eine erste Konkretisierung von Vision Rheintal (vgl. Vision Rheintal 2009, S. 6f). Für diese Phase wurde die Projektorganisation von ihrer Struktur her belassen, nur die Fachteams von Phase eins wurden nicht mehr gebildet. Personell kam es zu einem Wechsel in der Projektleitung. Die externe Leiterin schied aus, an ihre Stelle trat der bisher unterstützende Mitarbeiter der Raumplanungsabteilung des Landes Vorarlberg. Ziel war es, den „Informationsfluss zwischen dem Projekt und der zuständigen Organisationseinheit des Landes sicher[zu]stellen“ (Landes-Rechnungshof Vorarlberg 2012, S. 35). Trotzdem hat zu gelten, dass der Projektleiter „eine neutrale Position zwischen Land und Gemeinden einnehmen muss“ (Interview Assmann; Tötschinger u. Assmann 2010, S. 4). Die Projektphase 2 endete im Dezember 2007. Phase 3: Umsetzung Die dritte Phase des Prozesses Vision Rheintal kann als erste Umsetzungsphase bezeichnet werden und knüpfte an den Beschluss des regionalen Kontraktes Ende 2007 an. In dieser Phase ging und geht es v.a. darum, das Leitbild weiter zu konkretisieren und die darin enthaltenen Ziele und Maßnahmen umzusetzen sowie die Rheintalkonferenz als Gremium weiterzuentwickeln.
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Die folgenden Jahre waren geprägt von der eingehenden Aufbereitung der vier Themenbereiche, die zu Beginn der Projektphase im Rahmen einer Rheintalkonferenz als Schwerpunkte definiert worden waren. Die vier Themen waren Regionale Betriebsgebiete, Siedlung und Mobilität, Gemeindekooperation in der Kinderbetreuung, Gemeindekooperation bei der Betreuung/Pflege älterer Menschen. Im Jahr 2010 wurde zudem der Themenschwerpunkt „Jugend und Integration“ bearbeitet. Die Diskussion zeigte jedoch, dass künftig wiederum regionalplanerische Themen im Mittelpunkt stehen sollen. Als neue Themenschwerpunkte am Ende der Projektphase drei kamen neben der Untersuchung von Entwicklungspotentialen von Bahnhofsstandorten, die „enkeltaugliche Quartiersentwicklung“, die Entwicklung interkommunaler Betriebsgebiete, die regionale Abstimmung des Gemeinnützigen Wohnbaus sowie der grenzüberschreitende Austausch mit dem St. Galler Rheintal hinzu. Bei der Fortsetzung von Vision Rheintal im Jahr 2012 bildeten drei Ebenen die Entwicklungslinien: die visionäre Ebene, die Umsetzungsebene und die Prozessebene. Inhaltlich sollte der Blick über die Grenze weiter vertieft werden sowie das gemeinsame Bild der Region weiterentwickelt werden (Gespräch Assmann 2012, Vision Rheintal). Als Projektorganisation wurde eine Minimalstruktur mit Lenkungsausschuss (neu als „Regio-Team Sitzung“ bezeichnet), Rheintalkonferenz und Projektleitung eingerichtet. Trotz dieser angestrebten Minimalstruktur kam es zu einer bedeutenden Änderung in der Zusammensetzung des Steuerungsgremiums: „Es zeigte sich dabei, dass zur Entscheidung der Struktur betreffend die Weiterführung der bestehende Lenkungsausschuss nicht ausreichend repräsentativ für das Rheintal war und es einer neuen Zusammensetzung bedurfte. Alle Kleinregionen des Rheintals (Hofsteig, Rheindelta, Mittleres Rheintal, amKumma, Vorderland) sollten mit zumindest einem Bürgermeister vertreten sein“ (Landes-Rechnungshof Vorarlberg 2012, S. 56; vgl. auch Weiss 2009, S. 166, der auf die bereits gut funktionierenden Teilregionen im Rheintal aufmerksam machte). Die Nachbarregion St. Galler Rheintal ist nicht vertreten. Strukturen Prozessorganisation Bezüglich der finanziellen und gesetzlichen Rahmenbedingungen kann folgendes festgehalten werden: Projektphase 1 wurde nur vom Land getragen. Das Budget wird seit dem Jahr 2008 vom Land Vorarlberg und den 29 Gemeinden gemeinsam gestellt. Pro Jahr beträgt der Gesamtbeitrag zwei Euro je Einwohner (vgl. Assmann u. Burtscher 2009, S. 22). Hinzu kommen rückwirkende EUFörderungen. Wichtiges Element der Prozessorganisation ist die Rheintalkonfe-
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renz. Sie wurde als gemeinsame (Koordinations-)Plattform aller Bürgermeister der 29 Rheintalgemeinden, der Mitglieder der Landesregierung, des erweiterten Präsidiums des Landtags sowie Landtagsabgeordneten des Rheintals gegründet und trat im Februar 2005 erstmals zusammen (vgl. Vision Rheintal 2009, S. 6; vgl. auch ÖROK 2008, S. 261–264). Insgesamt kommen so rund 60 Vertreterinnen und Vertreter zusammen (vgl. auch Landes-Rechnungshof Vorarlberg 2012, S. 23). Die Konferenzorte wechseln jedes Mal ab und verteilen sich auf Orte im gesamten Vorarlberger Rheintal. Zu Beginn etablierte sich die Konferenz als beratendes und informatives Gremium. Sie entwickelte sich in Phase 2 des Projekts aber hin zu einem Beschlussfassungsorgan. Hinzu kam, dass der Vorsitz der Rheintalkonferenz nicht mehr durch die Projektleitung, sondern durch einen Vertreter der Landes- oder Gemeindepolitik wahrgenommen wurde (vgl. Landes-Rechnungshof Vorarlberg 2012, S. 38). Beides kann als eine Aufwertung des Gremiums betrachtet werden. Ein weiteres wesentliches Steuerungsgremium von Vision Rheintal, mit unmittelbarem Einfluss, ist der Lenkungsausschuss. Die Art der Steuerung durch den Lenkungsausschuss kann als strategisch beschrieben werden. Eine operative Steuerung von Vision Rheintal erfolgte durch die erweiterte Projektleitung (zumindest in Phase 1) bzw. in direktem Austausch mit der Raumplanungsabteilung. Räumliche und institutionelle Verankerung von Vision Rheintal Im Leitbildprozess von Vision Rheintal wurden unterschiedliche Szenarien für die regionale Zusammenarbeit in der Region ausgearbeitet. Diese reichen von der Rheintalstadt, welche eine Zusammenlegung zu einer großen Stadtgemeinde bedingt, über die Teilung in die „Regio Oberland“ und die „Regio Unterland“, bis hin zur Einteilung in Kooperationsräume, die aufgrund einer festgelegten Einwohneranzahl bestimmt werden. Folgende drei Szenarien wurden im Prozess Vision Rheintal schlussendlich als sinnvoll erachtet und lassen sich gegenwärtig bereits anhand konkreter Projekte und Umsetzungsmaßnahmen festmachen: Funktionsräume, flexible Kooperation und grenzüberschreitende Kooperation (vgl. Assmann u. Zech 2006a, S. 22). Funktionsräume werden nicht durch die politisch-administrativen Grenzen definiert, sondern über funktionale Zusammenhänge bzw. Beziehungen. Die Größe der Region ergibt sich folglich aufgrund der funktionalen Beziehungen (vgl. Interview Assmann; Assmann u. Tötschinger 2010, S. 4). Annahme ist, dass sich bestimmte Aufgaben wie z.B. Bildung, Pflege oder Raumplanung in funktionalen Kooperationsräumen effizienter bewältigen lassen. Vision Rheintal benennt mit dem Großraum Bregenz, dem Dreieck Dornbirn-Lustenau-Hohenems, Feldkirch-Vorderland und der Region „amKumma“ (inkl. Hohenems) insgesamt vier konkrete Funktionsräume.
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Unter flexibler Kooperation wird eine zeitlich begrenzte Zusammenarbeit aufgrund gemeinsamer Projektvorhaben verstanden. Eine Institutionalisierung wird in diesem Zusammenhang nicht angestrebt (z.B. Projekt Rheintal Mitte). Das dritte Szenario bezieht sich auf die grenzüberschreitende Kooperation. Diese Forderung nach dem Blick über die Grenze war übrigens bereits beim Symposium „Die Rheintalstadt!?“ zu hören bzw. zu lesen: „[…] braucht es vermutlich auch eine internationale, grenzüberschreitende Sichtweise“ (Kopf 2001, S. 6) oder „den Rhein in die Mitte nehmen“ (Zech 2001, S. 9) – begann aber erst mit der Projektphase 3 konkret zu werden. Soweit zu den visionären Überlegungen im Leitbildprozess. Inwiefern könnte im Zuge von Vision Rheintal aber eine institutionalisierte regionale Handlungsebene tatsächlich installiert werden? Was sind die Rahmenbedingungen bzw. welche Hürden gibt es dafür? Wenn Gemeinden grundlegende Kompetenzen an Vision Rheintal abgeben, stellt sich zuerst die Frage der demokratiepolitischen Legitimation. Diese ist bei den unterschiedlichen Formen der regionalen Zusammenarbeit, wie z.B. Vereine, Gemeindeverband, Mehrzweckverbände, Regio etc. nicht per se beantwortet. Zudem ist die Schaffung institutionalisierter Trägerschaften mit hohem Verwaltungs- und Koordinationsaufwand verbunden, um eine demokratische Grundlage zu schaffen. Die Abklärung von Möglichkeiten zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in einem solchen Konstrukt ist hierbei noch gar nicht berücksichtigt (Weiss 2009, S. 165). Gemäß Weiss braucht es keine neue, institutionalisierte Zwischenebene in Vorarlberg bzw. bei Vision Rheintal. „Das Land ist nicht so groß, dass es an Übersichtlichkeit mangeln würde. […] Ich plädiere daher einerseits für einen weiterhin pragmatischen Zugang. Wo sich regionale Zusammenarbeit herausbildet, soll das unterstützt und koordiniert werden“ (Weiss 2009, S. 166f). Vision Rheintal zeigt mögliche alternative Lösungswege auf. Zum einen kann eine Stärkung der Landesraumplanung helfen die regionale Handlungsebene zu verankern, indem sie beispielsweise regionale Betriebsgebiete entwickelt und dabei den dafür besten Standort in der Region berücksichtigt (das wäre als ein Top-Down-Ansatz zu interpretieren). Zum anderen kann der Wille zur Zusammenarbeit zwischen Gemeinden und zwischen Gemeinden und Land in einem Kontrakt gefestigt werden. Beide scheinen gemäß Weiss keine formellen demokratiepolitischen Graubereiche darzustellen (vgl. 2009). Regionaler Kontrakt Rheintal Der Rheintalkontrakt stellt eine erste Konkretisierung von Vision Rheintal dar und institutionalisiert in gewisser Weise die Idee der Zusammenarbeit. Er wurde bei der 6. Rheintalkonferenz im November 2007 vom Vorarlberger Landes-
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hauptmann und allen 29 Bürgermeistern des Rheintals unterzeichnet (vgl. Vision Rheintal 2011, S. 7). Mit dem Kontrakt bekräftigen das Land Vorarlberg und die 29 Gemeinden der Vision Rheintal ihren Willen zur Zusammenarbeit und bekennen sich zur gemeinsamen Verantwortung für das Vorarlberger Rheintal. In fünf Artikeln werden die Inhalte konkretisiert. Artikel 1 besagt, dass Land und Gemeinden das Projekt Vision Rheintal gemeinsam weiterführen. In Artikel 2 wird vereinbart, das erarbeitete Leitbild (vgl. Vision Rheintal 2006) als „Richtschnur des Handelns“ heranzuziehen. Das Land Vorarlberg und die Vorarlberger Rheintal- Gemeinden betrachten sich in der räumlichen Entwicklung und in der Zusammenarbeit als lernende Region (Artikel 3). Des Weiteren bekennen sie sich dazu, das Projekt gemeinsam als offenen Prozess (auch im Sinne der Beteiligung) weiterzuführen (Artikel 4). Gemäß Prüfungsergebnissen des LandesRechnungshofes Vorarlberg, manifestierte sich durch den regionalen Kontrakt Rheintal zwar „ein Bewusstseinswandel der Akteure, die faktische Verbindlichkeit des Leitbildes und der Umsetzungscharakter des Prozesses waren jedoch weiterhin gering“ (Landes-Rechnungshof Vorarlberg 2012, S. 5). Factbox Lernende Region Rheintal Wissen bzw. Lernen sind trotz zunehmender Bedeutung keine zentrale Kategorie in der Raumplanung. Planer haben nach wie vor ein professionelles Wissen, wobei sie auf gelernte wissenschaftliche Aussagen als „Machtressource“ zurückgreifen (vgl. Fürst 2005, S. 19). Dieses Wissen erscheint aber ein unvollkommenes Bild zu ergeben. Optimale Entscheidungen bei eigentlich unvollständigem Wissen zu treffen wird zunehmend zu einer Herausforderung für die Planung (vgl. Zimmermann 2010). Die Planer sind folglich aufgefordert ihr Fachwissen zunehmend mit Unterstützung externer Experten, in Netzwerken und über bürgerschaftliche Beteiligungsprozesse zu ergänzen (vgl. ebd.). Insbesondere externe Büros haben sich hierbei als Auftragnehmer und somit Wissensgeneratoren etabliert. Vielfach ist sogar eine Auslagerung von Kompetenzen hoheitlicher Planung in Richtung Dienstleister feststellbar (vgl. Heintel 2010). „Die Raumplanung wird die Frage nach der Planungspartizipation völlig neu angehen müssen, weil es grundsätzlich darum geht, all denjenigen, die sich am Planungsprozess beteiligen wollen, auch das Partizipationspotenzial, das Wissen, zur Verfügung zu stellen“ (Streich 2004, S. 47). Die Rolle des Planers wird vermehrt zur Rolle des Mediators und Moderators von Prozessen des Wissens- und Informationsaustausches. Ziel ist es die verschiedenen Akteure und Interessen zu einem gemeinsamen, tragfähigen Kompromiss zu führen, indem die Interessen aufeinander abgestimmt werden. Zudem helfen sie bei der Suche nach Zielen und nicht bei der Durchsetzung von
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Zielen (vgl. Baecker 2009a, S. 18). Hierbei stellt sich allerdings die Frage inwiefern Planer ihre Rolle des Mediators von der des Planers trennen können. Laut Gilgen betrifft dieser Ansatz einer „integrativen, partizipativen Raumplanung“ sowohl den Austausch zwischen den Ebenen der Entscheidungsträger und Bewohner als auch innerhalb der Entscheidungsebene (vgl. 2004). Der Raumplaner ist in diesem Kontext ein Wissensvermittler und kann zugleich seine Macht ausüben, wenn das Wissen nicht umfassend bzw. für alle gleich zugänglich ist. Ein Prinzip der Raumplanung ist die Sicherstellung einer Grundversorgung sowie von Zugriffsmöglichkeiten auf raumrelevante Informationen. Dies unterstützt die Chancengleichheit der handelnden Personen und kann auch neue Kooperationsmöglichkeiten schaffen. „Die Utopie eines herrschaftsfreien Austauschs von Argumenten im Diskurs kann nämlich nur dann stattfinden, wenn alle Handlungsbeteiligten im Prinzip auf derselben Informationsgrundlage argumentieren können. Alles andere wäre Machtausübung nach der Devise „Wissen ist Macht“ (Streich 2004, S. 37). Baecker argumentiert in diesem Zusammenhang, dass die Differenz zwischen Laien und Experten nicht als Asymmetrie verstanden werden soll, die es auszugleichen gilt. Vielmehr soll ein Raumentwicklungsprozess die Kontroverse suchen (vgl. Baecker 2009a, S. 18) und eine gute Dialogkultur entwickeln (vgl. Knieling 2011). Zum Beispiel entstehen Identität und Bewusstsein über konstruktive Konflikte nicht über Harmonie (vgl. ebd.). Aus der Kontroverse können zudem die notwendigen Veränderungen entstehen, denn “Lernprozesse sind grundlegende Voraussetzungen für erfolgreiche Governance-Prozesse“ (vgl. Fürst, Lahner u. Pollermann 2006, S. 40). Scherer meint im Zusammenhang mit Regional Governance, dass die Konfliktunfähigkeit über kurz oder lang beseitigt werden muss, damit Governance eine Steuerungsfähigkeit erlangt (vgl. Scherer 2006). Lernen spielt im Vorarlberger Rheintal zunehmend eine Rolle, durch den Prozess Vision Rheintal kann zumindest von einem Bekenntnis zur „Lernenden Region“ gesprochen werden. Begründen lässt sich das z.B. anhand des offenen Prozesses, der auch Prozessschritte mit unbestimmtem Ausgang erlaubt. Des Weiteren gibt es mit den Rheintalgesprächen Kommunikationsplattformen, die Außensichten auf das Rheintal einen Diskussionsrahmen bieten. Ein anderes bedeutendes Merkmal ist die Projektstruktur. Bis zum Jahr 2010 bestand diese aus einer Projektleitung und einer Prozessbegleitung. Im gesamten Alpenrheintal treffen aufgrund der Grenzlage hingegen drei Regelungssysteme aufeinander, die als Erschwernis für das Entstehen einer gemeinsamen Lernenden Region betrachtet werden können. Das Potential ist laut Saurwein aber jedenfalls gegeben (vgl. 2010).
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Prozesse und Steuerung Welches Steuerungsverständnis haben der Projektleiter und der Prozessbegleiter von Vision Rheintal? Wie wird gesteuert? Sie sehen sich grundsätzlich in der Position eines Impulsgebers und möchten mit „hoher Achtsamkeit gute Impulse“ setzen. Hierbei gelte es, die Steuerung von Prozessen nicht länger als hierarchisches Element der Raumentwicklung zu verstehen, sondern als Element, welches zur Selbstorganisation anregt (vgl. Tötschinger u. Assmann 2010, S. 4). 2008 erhielt Vision Rheintal u. a. deswegen den Föderalismus-Anerkennungspreis, weil sie eine Form der Zusammenarbeit repräsentiert, die auf freiwilliger Basis und ohne hierarchische Steuerung umgesetzt worden ist. Vision Rheintal versteht sich als Prozess, der die Wahrnehmung des Rheintals als gemeinsamer Lebensraum bzw. als Bezugsrahmen für regionale politische Gestaltung fördert. Diesbezüglich wird die Kommunikation im Prozess groß geschrieben. „Kommunikation hält die Region zusammen, Kommunikation ermöglicht erst die Regionalisierung“ (Interview Assmann 2007, Vision Rheintal). Funktionierende Kommunikationsprozesse leben von einer minimierten Hierarchie, so „entstanden immer wieder Freiheiten im Denken und Handeln, viele Möglichkeiten für Entscheidungen“ (Vision Rheintal 2006, S. 19). Aus diesem Grund gab es z.B. bis Phase 2 ein eigenes Kommunikationsteam (vgl. Schindegger 2006, S. 46). Die Ausgaben für Kommunikation lagen bei bis zu 40 % des gesamten Projektbudgets. Zentrales Anliegen von Vision Rheintal ist das Prinzip des Handelns auf gleicher Augenhöhe, Land und Gemeinden sind gleichberechtigte Partner (vgl. Vision Rheintal 2011, S. 6). Dies zieht sich vom Lenkungsausschuss bis in die Fachteams. Aus diesem Grund wurde das Projektbüro auch nicht in der Landesverwaltung untergebracht, sondern in eigenen Büroräumlichkeiten (vgl. Assmann u. Burtscher 2009, S. 20). Beteiligungsverständnis und Planungskultur von Vision Rheintal Eine im Sinne von Governance ebenfalls wichtige Funktion für die Steuerung können Beteiligungsansätze bzw. -zugänge haben. Deshalb ist es sinnvoll einen genaueren Blick auf das Beteiligungsverständnis von Vision Rheintal zu werfen, um nachvollziehen zu können, welchen Einfluss die Beteiligung auf den Prozess genommen hat. Der Beteiligungsprozess war offen angelegt (vgl. ÖROK 2008, S. 261–264), denn aus der Sicht von Vision Rheintal ist „eine zu starke Vorstrukturierung und/oder zu frühe Strukturvorgabe betreffend die Ergebnisse […] nicht immer zweckmäßig. Es verunmöglicht die Identifikation der oft auf freiwilliger Basis mitarbeitenden ExpertInnen. Ebenso haben unterschiedliche Disziplinen verschiedene Herangehensweisen und hinterlegen andere Begrifflich-
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keiten“ (Landes-Rechnungshof Vorarlberg 2012, S. 27. In diesem Kontext gab es zum einen Vorträge, Diskussions- und Informationsveranstaltungen. Zum anderen wurden Planungswerkstätten und sogenannte Think-Tank-Treffen gestaltet, beides Ansätze zur aktiven Beteiligung der Akteure (vgl. Assmann u. Zech 2006b, S. 5). Die Leitbilder der Vision Rheintal beziehen ihre Qualität und Verbindlichkeit großteils aus der gemeinsamen Erarbeitung. Vergleichbares hat Wegelin bereits im Rahmen des Raumkonzepts Schweiz festgestellt hat (vgl. 2010). Dies führt zu einer nachhaltigen Wirkung des Prozesses, weil eine höhere Identifikation mit den Ergebnissen vorhanden ist – zumindest was die direkt Beteiligten betrifft. Ein Beleg dafür ist beispielsweise, dass sich besonders jene Akteure häufig auf Vision Rheintal beziehen, die persönlich am Leitbildprozess mitgewirkt haben. Um dies zu erreichen, braucht es vor allem eine neue Planungskultur, welche mehr von unten agiert und die betroffenen Menschen beteiligt. Der Raum soll vom Menschen aus gedacht werden (vgl. Assmann u. Zech 2006a, S. 19). Wie wurde der Prozess Vision Rheintal mit Blick aus den Schweizer Nachbarregionen wahrgenommen? „Von außen und in der konkreten Zusammenarbeit spürbar war der besondere Anspruch an einen qualitativen Wandel, die erfrischende und offene Art im Umgang mit der Bevölkerung und das durch die BürgermeisterInnen personifizierte Engagement für eine konsequente Umsetzung“ (Suter 2004, S. 6). Beteiligung konkret: Der Leitbildprozess „Zech, die aus Vorarlberg stammt, ist eine offene, kommunikative Frau. Eine wichtige Voraussetzung für ein visionäres Mammutprojekt. Immerhin ging es darum, die Bevölkerung, darunter 11.700 Betriebsleiter, 740 Gemeindevertreter und zahlreiche weitere Interessensvertreter, in Bewegung zu bringen“ (Nübel 2007, S. 71, Anmerkung: Zech ist ehemalige Projektleiterin). Der Beteiligungsansatz für die Erarbeitung des Leitbildes war sehr breit angesetzt, bezog sich dabei aber vor allem auf lokale und regionale Entscheidungsträger (vgl. Vision Rheintal 2006; vgl. Schindegger 2006, S. 45). Fünfzig Fachleute erarbeiteten die Grundlagen für die Vision, darunter Vertreter von Land und Gemeinden, Architekten, Planer, Personen aus der Wirtschaft oder dem Sozialbereich. Um einen Austausch zwischen den Teams sowie mit anderen Experten, mit Gemeindevertretern und interessierten Bürgerinnen und Bürgern zu ermöglichen, wurde darüber hinaus eine Vielzahl an Informationsveranstaltungen, Exkursionen, Vorträgen etc. veranstaltet. Am Ende des Leitbildprozesses hatten sich mehr als 800 Menschen mit Vision Rheintal auseinandergesetzt (vgl. Nübel 2007, S. 72). Trotz dieser Zahl hatte man den überwiegenden Teil der Bewohnerinnen und Bürger noch nicht erreicht. Anders formuliert ist die geringe Einbeziehung der
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Bevölkerung ein Kritikpunkt, der sich in diesem Zusammenhang ergibt. Im Zuge der Bestandsanalyse und des Leitbildprozesses von Vision Rheintal war außerdem die räumliche Visualisierung der Ergebnisse von Bedeutung. Um die individuellen Vorstellungen von der Realität zu erfassen, haben die Projektverantwortlichen mit der Methode der mentalen Landkarten gearbeitet (vgl. Assmann u. Zech 2006b, S. 3). Diese Karten machten die wahrgenommenen regionale Verflechtung in der Region sichtbar und zeigten auf, dass die Menschen den gesamten Raum für sich nutzen. Für Zech war die Veranstaltung damals ein erster Durchbruch, weil sie ein erstes Wir-Gefühl erzeugte und die kommunalen Grenzen in den Hintergrund rückten (vgl. Nübel 2007, S. 73). In der Einschätzung von Schindegger, als Teil der erweiterten Projektleitung, waren diese mentalen Landkarten ein zentraler Schritt, um die Wahrnehmung näher an die „Wirklichkeit des regionalen Lebensraumes heranzuführen“ (vgl. 2006, S. 46). Abbildung 23: Mentale Landkarte von Vision Rheintal – der Ausschnitt zeigt die besonderen Werte im Rheintal
Quelle: www.vision-rheintal.at/downloads-a-z/kartenbilder.html (2004)
Factbox Beteiligung in der Vision Rheintal Rheintalkonferenzen, Rheintalforen, Projektpräsentationen, Treffen der Fachteams, Workshops und Think Tanks, Fachvorträge, Ausstellungen, Exkursionen, Roadshows, Newsletter, Sitzungen des Lenkungsausschusses, Vision Konkret sowie Hereinholen externer Experten mit Außensicht im Rahmen von Rheintalgesprächen (vgl. Assmann u. Zech 2006b, S. 27).
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Umsetzung der Vision Rheintal und Evaluation Die bisherigen Erläuterungen und Beschreibungen des Raumentwicklungsprozesses Vision Rheintal haben gezeigt, dass Vision Rheintal nicht vordringlich auf eine Umsetzung von Maßnahmen ausgelegt ist. Dies ist zum Beispiel anhand der personellen Ressourcen der Projektleitung ablesbar. Dennoch wurde auf den Ebenen der Wissensgenerierung, des Wissensaustausches oder der Wissensvermittlung seit Beginn eine Vielzahl an Projekten durchgeführt. Zu erwähnen ist etwa das Schwerpunktthema „enkeltauglichen Quartiersentwicklung“, welches durch Rheintalgespräche (Vorträge von externen Experten aus der Schweiz und aus Deutschland), Werkstattgespräche (Besuch und Diskussion von BestPractice-Beispielen für Quartiersentwicklung in Vorarlberg), Exkursionen und ein abschließendes internationales Rheintalforum einen wichtigen Impuls in Vorarlberg setzen konnte. Ein anderes Umsetzungsbeispiel ist der Planungsprozess Rheintal Mitte – ein Projekt zur Schaffung eines leistungsfähigen Autobahnanschlusses für die Betriebsgebiete im Gemeindedreieck Dornbirn, Lustenau und Hohenems. In dem Projekt wurde ein integrativer Ansatz verfolgt, der neben der Verkehrslösung auch den Freiraum, die Landschaft und die Siedlungsgebiete berücksichtigte. Abgeschlossen wurde das Projekt im Juli 2010 mit der Festlegung eines Entwicklungsplanes für das Gebiet. Weitere Beispiele für die Wirkung der Ziele und Leitsätze von Vision Rheintal auf die Umsetzung von Maßnahmen und Projekten sind das Projekt „Fünf Gemeinden – ein Fluss“, REK „amKumma“ oder die Rheintalkarten, welche im Zusammenhang mit dem Agglomerationsprogramm Rheintal entstanden sind (vgl. Landes-Rechnungshof Vorarlberg 2012, S. 54). Vision Rheintal unterlag keiner übergeordneten bzw. externen Kontrolle und somit „externen Steuerung“, wie dies bei den Agglomerationsprogrammen durch die Prüfung durch den Schweizer Bund der Fall ist. In der Projektphase 1 erfolgte im Jahr 2005 eine interne Prüfung durch die Abteilung Gebarungskontrolle des Landes Vorarlberg und im Jahr 2011 auf Eigeninitiative von Vision Rheintal eine Gebarungsprüfung durch einen externen Wirtschaftsprüfer (vgl. LandesRechnungshof Vorarlberg 2012, S. 55). 2012 hat der Landes-Rechnungshof Vorarlberg Vision Rheintal überprüft. Kritisiert wurde einmal die fehlende Verbindlichkeit bei der Umsetzung der Leitbilder (trotz Rheintalkontrakt): „Das Vorhaben, den Realisierungsgrad von Vision Rheintal zu verstärken, stieß jedoch bald an seine Grenzen. Einerseits liegt in der Raumplanung die Umsetzungskompetenz bei Land und Gemeinden und andererseits wurde verabsäumt, klar festzulegen, welche Aufgaben das Land, die Gemeinden und das Projekt wahrnehmen müssen. […] Obwohl einzelne Projekte initiiert und umgesetzt
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wurden, gelang es nicht, den erhofften Umsetzungsgrad zu erreichen“ (LandesRechnungshof Vorarlberg 2012, S. 5 u. 7). In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass bereits im Vorfeld erkannt worden ist, dass die Projektleitung mit „ihren schlanken Strukturen Kooperation zwar anstossen, aber nicht selbst umsetzen kann. Da ist die Initiative des Landes Vorarlberg und der Gemeinden gefragt“ (Böheim 2009, S. 21) – oder wie der Prozessbegleiter von Vision Rheintal feststellte, muss die Raumplanung des Landes einzelne Themen aktiv einfordern, aufbereiten, fördern, moderieren und schlussendlich auch die Entscheidungen treffen. „Es ist ein ganz wichtiger Entwicklungsschritt, dass das Land hier Verantwortung übernimmt. […] Wo es aus meiner Sicht ein Manko gibt, ist im Mut. Insbesondere im Entscheidungsmut“ (Interview Tötschinger; Tötschinger u. Assmann 2010, S. 4f). Die „schlanken Strukturen“ waren für den Landes-Rechnungshof Vorarlberg ein weiterer Kritikpunkt. Für ein Projekt mit der Größenordnung und Komplexität von Vision Rheintal sei es nicht nachvollziehbar, „warum Anfang des Jahres 2009 die Sitzungen der erweiterten Projektleitung eingestellt wurden. Dadurch fehlte die fachliche Unterstützung“ (LandesRechnungshof 2012, S. 55f). Zuletzt sei an dieser Stelle noch die Forderung des Landes-Rechnungshofs Vorarlberg nach einer effizienteren Einsetzung der Fördermittel und einer räumlichen Neuausrichtung erwähnt: „Im Verlauf des offenen Beteiligungsprozesses wurde aber offensichtlich, dass die konkreten raumplanerischen Handlungsbedarfe weniger auf der Ebene des gesamten Rheintals als vielmehr auf regionaler und interkommunaler Ebene gelöst werden müssen“ (Landes-Rechnungshof Vorarlberg 2012, S. 7). Top-Down-Raumbilder Vision Rheintal Beschreibung der Siedlungsstrukturen Dass die Gemeinden des Vorarlberger Rheintals zu einem Siedlungsgebiet zusammengewachsen sind und die Zersiedelung voranschreitet, ist bereits beschrieben worden und ebenso eine zentrale Analyseerkenntnis im Rahmen des Vision Rheintal-Leitbildprozesses gewesen (vgl. hierzu Vision Rheintal 2006, S. 30). Welche Konsequenzen ergeben sich aber daraus? Aus Sicht von Vision Rheintal führt die lückenhafte Siedlungsstruktur zu „hohen Erschließungskosten, […] zu langen Arbeits- und Freizeitwegen, zu einer geringen Auslastung der öffentlichen Verkehrsmittel und zu einem zersiedelten Ortsbild. Weil aber viele innerörtliche Flächen für Bauinteressenten nicht verfügbar sind, besteht nach wie vor Druck auf die Siedlungsränder“ (Vision Rheintal 2006, S. 32). Eine andere Herausforderung, die in Zusammenhang mit der Zersiedelung gesetzt werden kann, ist die Veränderung der Siedlungsränder. Dies zeigt sich zum einen in ei-
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ner Fragmentierung: „Die verschiedenen Angebote des Rheintals sind nicht nur auf mehrere Zentren, sondern auch auf sogenannte urbane Fragmente am Siedlungsrand aufgeteilt“ (Vision Rheintal 2006, S. 60). Aktuelle Beispiele für urbane Fragmente im Rheintal sind das Einkaufszentrum Messepark, der Großbaumarkt Hornbach und das Großkino Cineplexx in Hohenems oder das „BaumaxXXXLutz-Merkur-Interspar-Konglomerat“ in Feldkirch/Rankweil. Dabei kommt es zu einem „Match“ zwischen diesen „Unorten“ und den Einfamilienhäusern, welche die Ränder ebenfalls für sich beanspruchen (vgl. ebd.). Zum anderen sind die Siedlungsränder im Rheintal nicht nur linear. Sie haben ebenso einen fraktalen Charakter, Siedlung und Landschaft sind also miteinander verzahnt (vgl. Vision Rheintal 2006, S. 62). Gestalterische Verbesserung von Großformen an den Rändern (bzw. keine neuen Großformen), Verzahnung von Siedlung und Landschaft, Siedlungsentwicklung innerhalb der bestehenden Siedlungsräume, gezielte städtebauliche Aufwertung und Verdichtung der Siedlungskerne oder Pflege von bestehenden und Schaffung neuer Identifikationsmerkmale sind wesentliche Inhalte der Leitsätze von Vision Rheintal zur Siedlungsentwicklung. Sie sollen helfen Identität und Profil des gemeinsamen Lebensraums Rheintal weiterzuentwickeln (vgl. Vision Rheintal 2006, S. 72f). „So entsteht ein strukturierter Siedlungsraum in hoher architektonischer und landschaftsgestalterischer Qualität“ (Assmann u. Zech 2006a, S. 18), der zugleich als wirkungsvolles Planungsinstrument gegen die Zersiedlung dienen soll. Als Rückgrat für die Siedlungsentwicklung bzw. die Siedlungserneuerung nach innen dient die Bahn (vgl. Vision Rheintal 2006, S. 88). Gemäß Müller et al. kann das zu einem Agglomerationsraum zusammengewachsene Vorarlberger Rheintal, dem eine (städtische) Identität fehlt, wie folgt aufgewertet werden: „Mit einer ‚Stadtbahn‘ würde auf der Ebene des öffentlichen Verkehrs ein städtisches Zeichen gesetzt…“ (Müller et al. 2006, S. 6). Für die übergeordnete Anbindung und äußere Vernetzung wird die Rheintalautobahn zudem zur Stadtautobahn (vgl. Vision Rheintal 2006, S. 88). Polyzentrisches Raumbild von Vision Rheintal In den Anfängen der Vorarlberger Raumplanung tauchen für das Rheintal Begriffe wie Zentralraum Vorarlberg, Hauptregion oder bereits Agglomeration Rheintal auf (vgl. Wurzer 1966) und im Zuge der anzustrebenden Entwicklung wird das Rheintal als Regionalstadt begriffen (vgl. Wurzer 1969, S. 24). Im weiteren Verlauf kommen Beschreibungen wie Bandstadt, Ballungsraum, Stadtregion, Ringstadt (vgl. Kopf 2001, S. 5f) oder Zwischenstadt Rheintal (vgl. Sieverts 2006, S. 145) hinzu. Das Rheintal wird gegenwärtig als eine polyzentrische ver-
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netzte Region beschrieben. Es gibt keine Gemeinde mit einer klassischen Hauptstadtfunktion. Bedeutende Einrichtungen, Unternehmen und Produktionsstätten sind nicht auf ein einziges Zentrum konzentriert, sondern über das ganze Rheintal verteilt. Wirtschaftskammer und Landesgericht sind in Feldkirch, Vorarlberger Volkstheater in Götzis, Gemeindeverband und ORF in Dornbirn, Landesverwaltung und Festspiele in Bregenz (vgl. auch Salzmann 2006, S. 2). „Nicht jede Gemeinde kann eine Fachhochschule oder ein Festspielhaus haben. Wechselt man aber von der Ebene der Gemeinde auf die Ebene des Tals, so eröffnet sich im Rheintal ein Angebot, wie es sonst nur Städte haben“ (Vision Rheintal 2006, S. 16 und 106). Diese Aufteilung ist über Jahre gewachsen, Polyzentrik hat im Vorarlberger Rheintal also gewissermaßen Tradition. Polyzentrik ist allerdings mehr als ein reines Auflisten von Standorten. Vielmehr geht sie von einer Vernetzung der einzelnen Zentren aus, in infrastruktureller, ökonomischer oder sozio-kultureller Hinsicht. Die Gemeinde ist dabei nicht mehr jene Gebietskörperschaft, in der die Menschen vorwiegend ihr alltägliches Leben gestalten. Lebenswelten sind in zunehmendem Maße regionalisiert (vgl. z.B. auch Weichhart 2004, S. 137). Die Menschen „nutzen das Rheintal schon heute als Ganzes: zum Arbeiten, zum In-die-Schule-Gehen, zum Einkaufen, für Freizeitaktivitäten. […] Die Jugendlichen kennen und nutzen Orte im ganzen Rheintal“ (Assmann u. Zech 2006a, S. 8). In ihren Ausführungen gehen die Autoren davon aus, dass das Rheintal als Ganzes gelebt wird, sowohl funktional als auch mental (vgl. 2006a, S. 8). Zumindest Letzteres kann, wie die eigenen Untersuchungen zeigen, nicht belegt werden. Die Strategie der Polyzentrik verfolgt das Ziel eines ausgeglichenen Versorgungsnetzes und nicht die Etablierung einer hierarchischen Ordnung in Ober-, Mittel- und Unterzentren, denn Zentrenbildung führt laut Assmann und Zech zur Verkehrsüberlastung und Zersiedelung des Umlandes (vgl. 2006a, S. 14). Dazu gehört auch, dass Polyzentrik nicht nur auf die gewachsenen Strukturen Bezug nimmt und den Ausgleich im Raum sucht (vgl. Vision Rheintal 2006, S. 107). Bei einer polyzentrischen Raumaufteilung muss ebenso hinterfragt werden, wie sie sich auf das Machtgefüge der einzelnen Gemeinden in der Grenzregion auswirkt. Diesbezüglich soll die Vielfalt „selbstbewusster Einheiten“ erhalten bleiben (vgl. Assmann u. Zech 2006a, S. 16). Warum Polyzentrik? Zunächst gehen die Autoren davon aus, dass durch den polyzentrischen Ansatz ebenso das grenzübergreifende Städtenetz in der Bodenseeregion eine Aufwertung erfährt und der territoriale Zusammenhalt gestärkt wird. Das polyzentrische Rheintal ist also kein abgeschlossenes System, sondern kann an andere Nachbarregionen wie das St. Galler Rheintal, den Vorarlberger Walgau oder eben den Bodensee angeknüpft werden (vgl. Assmann u. Zech 2006c). Des Weiteren werden mit der Kar-
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te zur polyzentrischen Entwicklung des Rheintals jene Standorte und Funktionen ausgewiesen, für die ein regionaler Handlungsbedarf gesehen wird und „mit dem Instrumentarium der Raumplanung Steuerungen möglich sind“ (Assmann u. Zech 2006a, S. 14). Dazu zählen Bahnhofsgebiete, große Freizeiteinrichtungen (Kino, Einkaufszentren etc.), Industriebetriebe oder die Stadt- und Ortszentren. Letztere erfüllen den Zweck der Nahversorgung, als kulturelle und soziale Treffpunkte sowie als Identifikationsorte. Salzmann fordert in diesem Zusammenhang, dass möglichst viele Funktionen des täglichen Bedarfs in diesen Zentren vorhanden sein sollten und gleichzeitig für die ganze Region erreichbar sind (vgl. 2006, S. 9). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Polyzentrik in diesem Verständnis einerseits Funktionen mit regionaler Bedeutung regional verteilt sieht, andererseits die Funktionen des täglichen Bedarfs in den jeweiligen Stadt- und Ortszentren zur Verfügung stehen. Factbox Polyzentrik Der Begriff Polyzentrik wird im Europäischen Raumentwicklungskonzept von 1999 beschrieben. Laut diesem Konzept stellt die Polyzentrik ein bedeutendes Ziel zur Sicherung des sozialen und territorialen Zusammenhalts (territorialer Ausgleich, territoriale Integration und territoriale Governance) in der EU dar. Insbesondere weil die Gemeinden und Regionen der EU nicht automatisch zu einem „ausgewogenen Raum zusammenwachsen. […] Hierbei geht es auch um die Überwindung des heute nicht mehr angemessenen Dualismus von Stadt und Land“ (Europäische Kommission 1999, S. 20). Eine polyzentrische Raumentwicklung soll des Weiteren dabei helfen, eine Konzentration auf Kernräume zu verhindern und die „Schaffung von mehreren dynamischen Zonen“ ermöglichen, wobei die Komplementarität zwischen Städten und Regionen zu fördern ist (vgl. Europäische Kommission 1999, S. 21f). An diesem Leitbild haben sich die raumrelevanten politischen Entscheidungen und Förderungen unter Berücksichtigung von Freiwilligkeit der Zusammenarbeit und Gleichberechtigung der Partner zu orientieren (vgl. Europäische Kommission 1999, S. 22). Die Zersiedelung im Rheintal, die ohne Vernetzung und Kooperation weiter voranschreiten wird, stellt eine große Herausforderung für dieses polyzentrische Leitbild dar (vgl. Assmann u. Zech 2006c, S. 2). „Ein weiteres Hinauswandern von publikumsintensiven Service-, Einkaufs- und Veranstaltungseinrichtungen an die Siedlungsränder und auf die ,grüne‘ Wiese würde die Strategie der Polyzentrik unterlaufen“ (Assmann u. Zech 2006a, S. 10). Die Auswahl von geeigneten Standorten erfolgt in diesem Leitbild deshalb unter Berücksichtigung der an-
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gedachten Funktion sowie der raumstrukturellen Qualitätsmerkmale, die diese Standorte erfüllen sollen. Nicht die Gemeinde, sondern der beste Standort ist in diesem Ansatz ausschlaggebend. „Dies bedeutet aber auch, Nutzungsansprüche konsequent auszuschließen, die der Standortqualität nicht entsprechen“ (Assmann u. Zech 2006a, S. 11). Des Weiteren sollen die sogenannten „neuen urbanen Zentren“ an den Siedlungsrändern verbessert werden, indem eine gezielte Durchmischung mit anderen Funktionen erfolgt (vgl. Rüdisser et al. 2006, S. 9). Um dabei dem Leitbild der Polyzentrik jedoch nicht zu widersprechen, soll der Ausbau der neuen urbanen Zentren nur möglich sein, wenn gleichzeitig die Stadt- und Ortszentren gesichert sind (vgl. ebd.). Die Weiterentwicklung der polyzentrischen Struktur macht das Rheintal gemäß Vision Rheintal zu einer Region, die „in der Liga größerer europäischer Städte wie Graz oder Linz, Basel, Stuttgart oder Strassbourg mitspielen kann: Eine Region, die das Beste von Stadt und Land vereint“ (Vision Rheintal 2006, S. 106). Weitere Leitbilder (Leitbildkarten) der Vision Rheintal setzen sich mit den Themenkomplexen Erschließungsgüte durch öffentlichen Verkehr, Landbewirtschaftung, Erholung, Biotopvernetzung und Hochwasserschutz oder Betriebsgebiete auseinander. Natur und Landschaft Natur und Landschaft haben einen bedeutenden Stellenwert im Rheintal, so die Analyseergebnisse des Leitbildprozesses von Vision Rheintal, wobei festgehalten wird, dass „eine Stärkung der Landschaft des Rheintals […] nur über ihre Qualitäten erfolgen“ kann (Licka et al. 2005, S. 3). Zu diesen naturräumlichen Qualitäten des Tals zählen laut Licka et al. vor allem Naturräume wie das Rheindelta, eines der größten Binnendeltas von Mitteleuropa; die Mäander der Dornbirner Ach sowie die „großen, extensiv landwirtschaftlich genutzten Riedgebiete“ (vgl. 2005, S. 4). Andere prägende Landschaftsstrukturen sind die Rheintaler Obstbäume bzw. die Obststreuwiesen als ein sichtbarer Teil der landwirtschaftlich geformten Kulturlandschaft. Diese ist laut Licka et al. auch Grund für die Wahrnehmung des Rheintals als „ländlich“ (vgl. 2005, S. 4). Bereits der Geograph Hugo Hassinger schrieb um die Jahrhundertwende des vorigen Jahrhunderts: „[…] die Ebenen machen einen freundlichen, garten-ähnlichen Eindruck, zu Tausenden sind Obstbäume über die Ebenen verstreut…“ (zitiert nach Zech 2001, S. 7). Die Region Rheintal wird des Weiteren als teilweise bereits zusammenhängender Lebens- und Landschaftsraum dargestellt. „Korridore und Grünverbindungen vernetzen die Kultur- und Naturlandschaften zu einer zusammenhängenden Einheit“ (Assmann u. Zech 2006a, S. 17; vgl. auch Licka et al. 2006, S. 9).
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Biotopvernetzung, Erlebbarkeit, Zugänglichkeit, siedlungsnahe Erholung oder Erholung am Gewässer sind nur fünf Funktionen, die Natur, Landschaft und Freiräume im Rheintal bieten sollten (vgl. Vision Rheintal 2006, S. 96 und 100). Das Fachteam für Freiraum und Landschaft hat insgesamt fünf Leitsätze für das Rheintal formuliert (nach Vision Rheintal 2006, S. 74f): Landschaft stärkt das Rheintal; öffentliche Freiräume sind etabliert, die Landschaft bildet ein grünes Netz für Natur, Freizeit und Erholung; die Landschaft ist nachhaltige Lebensgrundlage; die Gewässer erhalten mehr Raum. Weitere Aspekte, die hinsichtlich der Qualität des Rheintals genannt werden, sind der Erfolg des Wirtschaftsstandortes, das moderne Mobilitätsangebot, wobei hier insbesondere die Eisenbahn als Rückgrat der Siedlungsentwicklung dienen soll, Erholung am Wasser (vgl. hierzu auch Licka et al. 2005, S. 5 u. 8, die z.B. den Alten Rhein oder die Baggerseen nennen), Vernetzung von Gemeinbedarfseinrichtungen und der Siedlungsraum mit seiner „unverwechselbaren Identität“ (vgl. Assmann u. Zech 2006a, S. 18). Fazit Vision Rheintal Vision Rheintal hat in Vorarlberg einen Impuls für Kooperationsprojekte ausgelöst und bei raumplanerischen Herausforderungen eine verbesserte Abstimmung zwischen Gemeinden und Land Vorarlberg gebracht. Wo bisher raumplanerische Entscheidungen vorwiegend von den Gemeinden gefällt worden sind, steuern nun Land und Gemeinden die räumliche Entwicklung in einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit (vgl. Schneider 2007; vgl. auch Landes-Rechnungshof Vorarlberg 2012, S. 27). Allerdings gibt es auch in der Zusammenarbeit Einschränkungen und Grenzen. Für den Feldkircher Bürgermeister zeigt sich eine Grenze der Umsetzbarkeit von Vision Rheintal, sobald es um das Geld geht. Es ist beispielsweise noch nicht geklärt, wie die Gemeinden die Einnahmen und Kosten von gemeinsamen Gewerbegebieten aufteilen (vgl. Schneider 2007). Projektleiter Assmann meinte dazu: „29 Gemeinden mit 29 Identitäten lassen nur langsame Prozesse zu“ (Schneider 2007). Zudem entstanden eine neue Planungskultur und ein neues Verständnis im Umgang mit Herausforderungen der Raumentwicklung. „Mit Vision Rheintal wurde aber auch ein Paradigmenwechsel in der bisherigen Planungspraxis des Landes vollzogen. Erstmalig sollte ein Leitbild erstellt werden, das sich nicht auf einzelne räumliche Aspekte beschränkte, sondern ein gesamträumliches Leitbild zum Inhalt hatte“ (LandesRechnungshof Vorarlberg 2012, S. 18. Bei Vision Rheintal stehen der Prozess und die Kommunikation im Vordergrund. Eine Auseinandersetzung mit dem Bild der Region, z.B. mit den Identifi-
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kationsdefiziten, welche die zwischenstädtischen Strukturen mit sich bringen können, tritt zumindest in der offiziellen Kommunikation nach außen kaum in den Vordergrund; auch nicht eine Institutionalisierung der Zusammenarbeit. (vgl. Vision Rheintal 2011, S. 14f). Bußjäger hinterfragt kritisch, ob man es beim Netzwerk belassen kann? Seiner Meinung nach bräuchte es eine Institutionalisierung und mehr Steuerungskompetenz für Vision Rheintal. Allerdings ist das mit weniger Kompetenz für die Gemeinden verbunden, „wodurch sich die demokratische Mitwirkung verdünnt“ (Bußjäger 2011, S. 19). Selbst ein Rheintalparlament könne die Vielfalt an Bürgerlisten im Vorarlberger Rheintal nicht fassen (ebd.). Themen wie Gemeinbedarfseinrichtungen oder „Jugend und Integration“ sind keine Kernthemen der Raumplanung und haben sich als nicht zielführend erwiesen (vgl. Landes-Rechnungshof Vorarlberg 2012, S. 51). Als Rückschluss kann daraus gezogen werden, dass die Bearbeitung von kurzfristigen, tagespolitisch bestimmten Themen im Rahmen von Vision Rheintal vermieden werden soll. Vision Rheintal wird in der neuen Projektphase inhaltlich wieder verstärkt zu einem Raumplanungsprojekt im klassischen Sinne. Zusammenfassende Erkenntnisse aus sieben Jahren Vision Rheintal (Interview Assmann 2012, Vision Rheintal): • Kommunikation nicht Struktur hält die Prozesse zusammen. • Regionalentwicklungsprozesse sind nicht steuerbar, sondern nur durch Impul-
se bespielbar. • Ungewissheit über das Ergebnis muss ausgehalten werden. • Oft muss man an die Grenze gehen, denn an den Grenzen entsteht Neues. Merksatz Neuausrichtung Vision Rheintal Die Befristung des Projektes Vision Rheintal bis Ende 2016 wurde vom Land Vorarlberg und den Vorarlberger Rheintalgemeinden zum Anlass genommen, über eine Neuausrichtung der Vision Rheintal nachzudenken. Unter dem Titel „Zukunftsbild Vision Rheintal 2016+“ startete diesbezüglich ein Entwicklungsprozess unter Beteiligung von Land, Gemeinden und Fachleuten. Konkrete Ergebnisse zur neuen Struktur und den Aufgabenbereichen sind für Mitte 2017 geplant und wirken sich, wie im letzten Kapitel erläutert wird (Stichwort Mehrfachstrukturen), auch auf die Organisation der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit aus. Will man langfristig über die Grenze hinweg zusammenarbeiten, sind die Raumbilder und Governance-Modelle beiderseits des Rheins in Einklang zu bringen.
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H ANDLUNGS - UND E NTSCHEIDUNGSRAUM AGGLOMERATIONSPROGRAMM R HEINTAL – S TRUKTUREN , P ROZESSE UND REGIONALER K ONTEXT Entstehungskontext Im Rahmen seiner Agglomerationspolitik hat der Schweizer Bund, vertreten durch das Amt für Raumentwicklung (ARE), die Schweizer Kantone eingeladen, für ihre Ballungsräume sogenannte Agglomerationsprogramme zu erarbeiten. Die Erarbeitung erfolgt gemeinsam durch die Kantone und die Gemeinden der Agglomeration. In grenznahen Räumen begrüßt der Bund explizit den Einbezug der grenznahen ausländischen Regionen. Dadurch soll die Bereitschaft, mit Nachbarregionen Lösungen für die zunehmend regionalen Probleme umzusetzen, erhöht werden. Im Falle des Agglomerationsprogrammes Rheintal sind dies die 12 Gemeinden des St. Galler Rheintals und die 29 Gemeinden des Vorarlberger Rheintals. Durch diese grenzüberschreitende Ausrichtung ist die Agglomeration Rheintal per Definition der insgesamt siebtgrößte Agglomerationsraum in der Schweiz und erlangt entsprechende Bedeutung (vgl. Agglomerationsprogramm Rheintal 2011, S. 5). Ziel der Agglomerationspolitik ist die langfristige Abstimmung und Optimierung der Siedlungs- und Landschaftsentwicklung sowie der Verkehrsinfrastruktur. Das Agglomerationsprogramm ist Vorbedingung und Grundlage des Schweizer Bundes für die Mitfinanzierung von Infrastrukturprojekten in der Region Rheintal, wobei der Bund Infrastrukturen mit einem entsprechenden Kosten-Nutzen-Verhältnis mit bis zu 50 % mitfinanziert. Eine grenzüberschreitende Mitfinanzierung von Projekten und Maßnahmen in Vorarlberg ist ebenfalls möglich, solange diese eine Wirkung im Perimeter des Agglomerationsprogrammes Rheintal erzeugen (vgl. ebd.). Der Schweizer Bund hat bereits in den 1990er-Jahren mit der Lancierung der Agglomerationspolitik auf die Entwicklung in den Agglomerationen reagiert (vgl. CEAT et al. 2010, S. 1). Mit der Genehmigung des Berichts „Agglomerationspolitik des Bundes“ im Jahr 2001, schafft der Schweizer Bund einen Lösungsansatz für die raumpolitischen Herausforderungen von Agglomerationen in der Schweiz und die Voraussetzung für eine aktive Agglomerationspolitik (vgl. Bundesrat 2001). Übergeordnetes Ziel der Agglomerationspolitik ist es zur nachhaltigen Entwicklung des urbanen Raums in der Schweiz beizutragen und somit den Bewohnerinnen und Bewohnern eine hohe Lebensqualität zu gewährleisten (vgl. Bundesrat 2001, S. 32; vgl. CEAT et al. 2010, S. I). Dazu gehören eine verstärkte Berücksichtigung von funktionalen Räumen sowie eine gemeinsame Betrachtung in den Sektoralpolitiken und die Förderung einer Einbindung
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Schweizer Städte in das europäische Städtenetz. Neben der verbesserten Koordination der Sektoralpolitik (vgl. ARE, SECO 2006) verfolgt die Agglomerationspolitik ebenso die Möglichkeit zur Steuerung der Zusammenarbeit im Mehrebenensystem. Der Mehrebenenansatz beinhaltet insbesondere einen Erfahrungsaustausch zwischen den Akteuren (aus Politik, Planung etc.) und eine Sensibilisierung der Bevölkerung. Hierbei sollen die beteiligten Akteure des Bundes, der Kantone und der Gemeinden (vertikal), aber auch aus der Zivilgesellschaft und der Privatwirtschaft (horizontal) zu einem gemeinsamen, koordinierten Vorgehen gebracht werden. Die Form der Zusammenarbeit reicht diesbezüglich von freiwilligen, schwach institutionalisierten Vereinen oder Trägerschaften bis hin zu stark institutionalisierten, verbindlichen Kooperationen, wie z.B. Regionalräte oder Regionalversammlungen. Die Agglomerationspolitik des Schweizer Bundes konkretisiert diesen Ansatz, indem sie neue Koordinationsstrukturen schafft (Tripartite Agglomerationskonferenz, Modellvorhaben Agglomeration 2001) und die Finanzmittel neu verteilt (Agglomerationsprogramme). Beides reduziert laut Kübler die Gefahr von Politikverflechtungsfallen, also eine Blockade von Entscheidungen (vgl. 2006, S. 280f). Mit der Anerkennung des Handlungsbedarfes in Agglomerationen initiiert der Bund des Weiteren sogenannte Agglomerationsprogramme für Siedlung und Verkehr. Dieses Planungsinstrument soll den Agglomerationen helfen, ihre dringendsten Verkehrs- und Urbanisierungsprobleme zu lösen. Diesbezüglich wird eine ganzheitliche Lösung der Verkehrs- und Siedlungsprobleme in den Schweizer Agglomerationen angestrebt. Ganzheitlich auch im Sinne einer regionalen Abstimmung aller betroffenen Gemeinden. Ziel der Programme ist die langfristige Abstimmung von Siedlung, Verkehr und Landschaft unter Einbezug aller Verkehrsträger (vgl. hierzu auch Bundesrat 2001; vgl. ARE 2003). „Dabei sollen Massnahmen auf der Angebotsseite (neue Infrastrukturen und Angebote) als auch auf der Nachfrageseite (Siedlungsplanung, Mobilitätsmanagement) in die Überlegungen einbezogen werden“ (Agglomerationsprogramm Rheintal 2011, S. 5). Wesentliche Inhalte der Agglomerationsprogramme auf raumplanerischer Ebene sind die Siedlungsentwicklung nach innen und die Stärkung der bestehenden dezentralen Siedlungsstruktur. Auf der Ebene des Gesamtverkehrs stehen eine Verbesserung der äußeren Erreichbarkeit, die (grenzüberschreitende) Abstimmung von Verkehr und Siedlung oder das Management des Gesamtverkehrs mit Blick auf die Nachhaltigkeit im Vordergrund. Des Weiteren sind die Steigerung der inneren Attraktivität der Agglomerationen und die großräumige Sicherung des Landschaftsraumes bzw. die integrative Vernetzung des Lebensraums von Bedeutung (vgl. ebd.). Träger der Agglomerationsprogramme ist das Amt für Raumentwicklung der Schweiz (ARE). Indem der Bund die Erarbeitung von
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Agglomerationsprogrammen einfordert und finanziell unterstützt, schafft er Anreize für eine verbesserte Zusammenarbeit in den Agglomerationen. Die eingereichten Programme werden vom ARE überprüft. Bei positiver Beurteilung wird eine Leistungsvereinbarung mit der Trägerschaft der Agglomeration zur Förderung der Infrastrukturmaßnahmen abgeschlossen, welche die Beitragszahlung durch den Bund sowie die Realisierung bzw. Umsetzung der Projekte und Maßnahmen durch die Agglomerationsträgerschaft für die betreffende Periode sicherstellt. Die Beiträge stammen aus einem eigens eingerichteten Infrastrukturfonds für Agglomerationen. Diese finanziellen Anreize bzw. die damit verbundenen Anforderungen sind laut ÖROK (vgl. 2009, S. 219) ungemein wertvoll für die Entwicklung einer gemeinsamen Perspektive in den Agglomerationen sowie für die Etablierung eines gemeinsamen politischen Handlungsraumes. Vorgaben für die Erarbeitung von Agglomerationsprogrammen Agglomerationsprogramme sind nach den Vorgaben des Bundes zu erarbeiten. Die Arbeitsschritte umfassen die Erarbeitung eines Zukunftsbildes, die Analyse des Ist-Zustandes sowie der Entwicklungstrends, die Entwicklung von Teilstrategien (MIV, ÖV, LV, Siedlung und Landschaft) und die Bildung von Maßnahmen. Zukunftsbilder (entsprechen den Leitbildkarten bei Vision Rheintal) stellen ein räumliches Leitbild dar und ermöglichen eine gemeinsame Sicht auf zukünftige Siedlungs-, Verkehrs- und Landschaftsentwicklungen im Rheintal. Mit anderen Worten ausgedrückt, sind sie eine realistische und gut akzeptierte, weil „pro aktiv gestaltete“, Leitschnur für die Entwicklung von Agglomerationen und Basis für eine regionale räumliche Koordination (vgl. ARE 2009). In den Zukunftsbildern und Teilstrategien ist aufzuzeigen, nach welchen Grundsätzen und über welche Wege eine integrierte Siedlungs- und Verkehrsentwicklung in der Agglomeration erfolgen soll. Darauf aufbauend werden in einem nächsten Schritt entsprechende Maßnahmen festgelegt, gebündelt und priorisiert. Eine erste Wirkungsabschätzung der Maßnahmen hat durch das Agglomerationsprogramm selber zu erfolgen. Die Maßnahmen können neben dem Gesamtraum der Agglomeration ebenso nur einzelne Gemeinden betreffen. Vor der Einreichung eines Agglomerationsprogrammes müssen zudem nachstehende Grundanforderungen erfüllt sein (vgl. ARE 2004): Partizipation gewährleisten; Trägerschaft bestimmen; Analyse von Ist-Zustand und Entwicklungstrends; roter Faden Zukunftsbild, Analyse, Strategien und Maßnahmen; Beschreibung und Begründung der prioritären Maßnahmen; politische Tragfähigkeit und Umsetzung (Finanzierbarkeit) sichern Was bedeutet die Partizipation in diesem Zusammenhang? Ziel ist, dass das Programm in der Bevölkerung abgestützt ist, da sie am Schluss die
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Zustimmung zu den Maßnahmen geben muss. Für die Ausgestaltung der Beteiligung gibt es keine Vorschriften, eine Informationsveranstaltung kann genügen. Beurteilungskriterien Eine Region muss mit ihrem Agglomerationsprogramm aufzeigen können, wie sie ihre Probleme beheben will, und ob sie dazu in der Lage ist, Siedlung, Verkehr und Landschaft in Zukunft wirkungsvoll zu koordinieren. Förderung von Infrastrukturprojekten im Rahmen der Agglomerationsprogramme werden von dieser Abstimmung und von einer gemeinsamen Trägerschaft abhängig gemacht (vgl. Eberle et al. 2008). Weitere Aspekte, die insbesondere für eine positive Beurteilung des Agglomerationsprogrammes Rheintal durch den Schweizer Bund wichtig sind: • • • •
Erarbeitung gemeinsamer, grenzüberschreitender Zukunftsbilder Planung eines grenzüberschreitenden Gesamtverkehrskonzepts Gemeinsame Strukturierung des Siedlungs- und Landschaftsraumes Konkretisierung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Mittelfristig durch einen Regierungsbeschluss, langfristig durch eine gemeinsame Trägerschaft
Sind die Bedingungen des Bundes erfüllt, trägt dieser zwischen 30 %–50 % der Baukosten der für die Agglomeration systemrelevanten Infrastrukturen. Eine Mitfinanzierung von Maßnahmen, die vollständig auf ausländischem Gebiet liegen, ist möglich – vorausgesetzt sie sind Teil des Agglomerationsperimeters (vom Schweizer Bundesamt für Statistik vorgegeben) und der Nutzen liegt hauptsächlich auf Schweizer Gebiet. Weitere spezifische Anforderungen an grenzüberschreitende Agglomerationsprogramme stellt der Schweizer Bund keine (vgl. ARE 2009). Eine vergleichbare Förderpolitik ist in Österreich nicht bekannt, wird im ÖREK 2011 aber andiskutiert. Wie werden die Kriterien bei der Analyse der Wirksamkeit durch den Schweizer Bund berücksichtigt? Die Wirkungskriterien für Siedlung und Verkehr werden gleichberechtigt bewertet. Obwohl Maßnahmen der Landschaft nicht gefördert werden können, werden positiv zu bewertende Landschaftsaspekte in der Wirksamkeitsanalyse berücksichtigt, denn eine bessere Gesamtwirkung erhöht den Beitragssatz. Stärken und Schwächen der Agglomerationspolitik Eine Zwischenevaluierung der Schweizer Agglomerationspolitik von 2006 hat festgestellt, dass in vielen Agglomerationen und ihren Kantonen positive Impulse ausgelöst bzw. bestehende Entwicklungen positiv unterstützt worden sind
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(vgl. ARE, SECO 2006 bzw. Thierstein 2009, S. 428). Folgende Lerneffekte lassen sich aus den bisherigen Agglomerationsprogrammen ableiten (vgl. ARE, SECO 2006, S. 10f): • Inhaltliche und strukturelle Fragen sollen gemeinsam bearbeitet werden. • Die Bevölkerung ist so früh wie möglich einzubeziehen, wobei eine zu „hohe • • • •
Flughöhe“ der Diskussion die Beteiligung und die Kommunikation erschwert. Zeit- und Ressourcenfaktor ist erheblich. Kantone und Gemeinden müssen von selber einen Willen zeigen, ansonsten kann kein fundiertes Agglomerationsprogramm entstehen. Die sektorübergreifende Zusammenarbeit stellt sich als Herausforderung heraus. Es braucht einen schrittweisen Aufbau der Zusammenarbeit, der mit einem Projekt beginnt und sich im Laufe des Prozesses in Richtung Institutionalisierung bewegt – wobei auch hier nicht von Beginn an ein Regionalparlament als Ziel gesetzt werden kann.
Tabelle 2: Stärken und Schwächen der Agglomerationspolitik der Schweiz Stärken • Bessere Zusammenarbeit zwischen den Kernstädten und Umlandgemeinden sowie Überwindung des kommunalen Eigensinns (hohe Akzeptanz). • Grenzüberschreitender Ansatz. • Katalysatorwirkung mit hoher Dynamik in kurzer Zeit (Verknüpfung von Zielen und Anreizen). • Schaffung von GovernanceStrukturen und Differenzierung nach unterschiedlichen Typen von Stadtregionen. • Abstimmung der Sektorpolitiken mit der Raumordnungspolitik. • Entwicklung einer gemeinsamen Vision für die Stadtregion.
Schwächen • Aufwändige Abstimmungsmechanismen innerhalb der Stadtregionen. • Koordinationsaufwand zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. • Beträchtlicher Finanzierungsaufwand durch Bund und Länder; verzögerte Finanzierung kann Akzeptanz mindern. • Konzentration auf die Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften. • Fehlende Verbindlichkeit der tripartiten Empfehlungen macht die vertikale Zusammenarbeit fragil.
Quelle: Auswahl nach ÖROK 2009a, S. 218; vgl. auch CEAT et al. 2010, S. IVf
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Eine Ergänzung zu den Schwächen der Agglomerationspolitik sei an dieser Stelle extra erwähnt, weil sie im Rahmen der Analyse des Agglomerationsprogrammes Rheintal kritisch hinterfragt wird. Durch die Agglomerationspolitik des Schweizer Bundes werden unbewusst auch „schlafende Hunde“ geweckt, weil die Regionen angespornt werden, nach Projekten zu suchen, die umgesetzt werden können und Fördermittel in die Region bringen – Projekte, die ohne Förderanreize eventuell gar nicht weiterentwickelt würden. Eine Evaluation der Agglomerationsprogramme hat aber auch gezeigt, dass im Lauf der Zeit die Vorteile der Zusammenarbeit erkannt worden sind und nicht mehr in Abhängigkeit von den Anreizen des Bundes gesehen wurden (vgl. auch CEAT et al. 2010, S. 73). Der Schweizer Bund erwartet sich durch die Agglomerationsprogramme zwar eine effektivere finanzielle Unterstützung der Regionen (vgl. ÖROK 2008, S. 266), dennoch steht die Agglomerationspolitik der Schweiz vor der zentralen Herausforderung der Leistbarkeit. Zum einen wird es darum gehen, die großen Metropolitanräume Zürich, Genf-Lausanne und Basel zu unterstützen und somit ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Zum anderen soll der Fokus auch auf den kleineren Agglomerationen liegen, im Sinne der „interregionalen Solidarität“. Aufgrund zunehmend beschränkter öffentlichen Mittel wird es wohl um die Frage des Entweder-oder gehen (vgl. Kübler 2006, S. 282). Agglomerationsprogramm Rheintal Im Jahr 2007 hat der Verein St. Galler Rheintal mit Unterstützung des Kantons und eines externen Büros mit der Erarbeitung des Agglomerationsprogrammes Rheintal (2. Generation) begonnen, erst seit 2009 kommt es zu einer vertieften Einbeziehung des Landes Vorarlberg (auf Arbeitsebene in der Gesamtprojektleitung). Was war in der Zwischenzeit passiert? Bei einem Treffen der Regierungen Vorarlbergs und St. Gallens im April 2008 forderte der Verein St. Galler Rheintal die Erarbeitung eines Agglomerationsprogrammes für das St. Galler und das Vorarlberger Rheintal. Der Kanton St. Gallen unterstützte diesen Vorschlag. Interesse wurde ebenfalls von Vorarlberg signalisiert. Aus Sicht des Kantons sollte die Bildung einer zusammenhängenden, effizienten, nachhaltigen Agglomeration ein langfristiges Ziel für den Lebensraum Rheintal sein. Argumente für die Zusammenarbeit liegen vor allem aufgrund der funktionalen Verflechtungen vor. Bisweilen würden Raumplanungskonzepte allerdings an der jeweiligen Grenze enden, was auf die politisch-institutionellen Rahmenbedingungen zurückzuführen sei. Der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Kanton St. Gallen kommt eine besondere Bedeutung zu, z.B. aufgrund des Ausbaus der Anbindung an die Metropolregionen München und Zürich oder der Koordination von grenz-
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übergreifendem Regionalverkehr, Hochwasserschutz oder aufgrund der Zersiedelung. Als strategische Interessen der Region St. Galler Rheintal im Hinblick auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit können drei wesentliche Aspekte festgehalten werden: • Kritische Größe: Mit der Einbeziehung des Vorarlberger Rheintals wird eine
kritische Größe des Agglomerationsprogrammes erreicht. Die Zusammenarbeit mit Vorarlberg ist notwendig, weil ein Agglomerationsprogramm Rheintal ohne Vorarlberg zu wenig Wirkung erzielen würde (vgl. auch Agglomerationsprogramm Rheintal 2011, S. 15). • Grenzübergreifende Trägerschaft als Vorgabe des Bundes: Bildung einer Trägerschaft unter Einbindung von Vorarlberg in Erarbeitung, Beschlussfassung und Umsetzung. Bis zum Abschluss einer Leistungsvereinbarung zur Teilfinanzierung der Maßnahmen muss die Zusammenarbeit mittels einer gemeinsamen Trägerschaft institutionalisiert sein. • Finanzielle Förderungen als Motivation und Anreiz: Der Bund zahlt künftig nur noch bei funktionierenden Agglomerationsprogrammen, dadurch entsteht bei den St. Galler Rheintal-Gemeinden ein gewisser Erfolgsdruck. In einem Folgetreffen im Juni 2008, diesmal mit Anwesenheit der zuständigen fachlichen Ebene, wurde die Idee der gemeinsamen Erarbeitung eines Agglomerationsprogrammes vertieft. Der Kanton betonte hierbei nochmals die Chance mit dem Agglomerationsprogramm eine eigenständige Großregion zu verankern, konkrete Projekte umzusetzen, in einen Austausch zu kommen und eine gemeinsame Plattform für künftige Herausforderungen schaffen. St. Gallen erwähnte in diesem Kontext Vision Rheintal als beispielhaft und schlug eine Verschränkung mit dem Agglomerationsprogramm vor. Aus Vorarlberger Sicht waren die Voraussetzungen für eine Intensivierung der Zusammenarbeit gegeben, Bedenken wurden bezüglich der Rahmenbedingungen (z.B. Finanzierung etc.) geäußert. Dies ist jedoch mehr als vorsichtige Zurückhaltung, denn als finanzielle Ressourcenfrage zu interpretieren. Bei diesem Treffen wurde vereinbart, die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit und Koordination in Bezug auf die Siedlungsentwicklung und den Verkehr vertieft zu untersuchen bzw. zu intensivieren. Des Weiteren sollten Strategien der Raumentwicklung gemeinsam betrachtet werden. Beide Raumplanungsabteilungen wurden damals mit der Erarbeitung beauftragt. Ein Jahr später wird festgestellt, dass sich die St. Galler Vertreter weiterhin eine stärkere Einbeziehung Vorarlbergs wünschen. Die weitere Zusammenarbeit wurde bis dato aber nicht vorangetrieben, da das Anliegen aus Sicht Vorarlbergs zu wenig konkretisiert worden war und ebenso wenig klar war, in welcher Form
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die Mitgestaltung durch Vorarlberg geschehen sollte. In einem Vermerk der Raumplanungsabteilung wird eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Rahmen des Agglomerationsprogrammes aus Vorarlberger Sicht grundsätzlich positiv gesehen, vor allem um ein regionales und grenzüberschreitendes Bewusstsein zu fördern. Hierbei wird ebenso die Idee zur Schaffung einer Trägerschaft zur besseren Vernetzung begrüßt. Mit Ende 2009 nahm das Land Vorarlberg schlussendlich regelmäßig Position in den Gremien des Agglomerationsprogrammes ein. Dieser Zeitpunkt für eine Intensivierung der Zusammenarbeit wurde seitens des Landes Vorarlberg als günstig betrachtet, weil Vision Rheintal aus damaliger Sicht in eine neue Phase treten sollte, wodurch eine entsprechende grenzüberschreitende Ausrichtung möglich wurde. Räumliche Abgrenzung Die räumliche Abgrenzung des Agglomerationsprogrammes Rheintal wird vom Schweizer Bundesamt für Statistik (BfS) festgelegt, Projekte außerhalb dieses Perimeters werden nicht mitfinanziert. Der Bund kann sich allerdings an Maßnahmen beteiligen, die vollständig auf Vorarlberger Seite liegen, vorausgesetzt sie sind Teil des statistischen Perimeters. Im Zuge der Erarbeitung von Agglomerationsprogrammen in der Schweiz wird diese strikte Abgrenzung des Perimeters von unterschiedlicher Seite kritisiert. „Die Agglomerationen wünschen sich mehrheitlich in Zukunft noch mehr Flexibilität, vor allem für kleinere Agglomerationen sei der enge Perimeter wenig geeignet“ (CEAT et al. 2010, S. 72). In der Zwischenzeit ist der Bund beweglicher geworden und überlässt die Definition des „Planungsperimeters“ der Kompetenz der Agglomerationen. Gemeinden außerhalb des statistischen Perimeters können in das Programm einbezogen werden, die Förderung konzentriert sich „in der Regel“ auf den statistischen Perimeter. Im Agglomerationsprogramm Rheintal umfasst der statistische Perimeter der „Agglomeration Heerbrugg-Dornbirn“ auf Schweizer Seite zehn Gemeinden und auf Vorarlberger Seite ebenfalls zehn Gemeinden (vgl. Agglomerationsprogramm Rheintal 2011, S. 18). Der tatsächliche Planungsperimeter weicht jedoch vom BfS-Perimeter ab. Im St. Galler Rheintal werden zusätzlich die Gemeinden Oberriet und Rüthi berücksichtigt und auf Vorarlberger Seite der gesamte Raum von Bregenz bis Feldkirch, was der Handlungsebene von Vision Rheintal entspricht. Somit umfasst der Agglomerationsraum die 12 Gemeinden des Vereins St. Galler Rheintal und die 29 Gemeinden des Vorarlberger Rheintals. Begründet wird dies damit, dass aus Sicht der Region die funktionalen Verflechtungen besser abgedeckt sind. Vor allem im Vorarlberger Rheintal wird die Abgrenzung des BfS kritisch hinterfragt, da sie wichtige Knoten des polyzentrischen Netzes (Feldkirch, Rankweil, Bregenz etc.) ausgrenzt. Ein Vergleich der
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Definition von Agglomeration Rheintal (Schweiz) und Stadtregion Rheintal (Österreich) macht diese unterschiedliche Sichtweise deutlich. Factbox Stadtregionen und Agglomerationsräume Auf europäischer Ebene werden Stadtregionen als sogenannte Functional Urban Areas (FUA) abgegrenzt, wobei funktionale Kriterien als Ansatz herangezogen werden. Laut der FUA-Abgrenzung werden zum Beispiel Dornbirn, Bregenz oder Feldkirch-Rankweil als Stadtregionen mit regionaler Bedeutung eingeordnet. Sie stehen des Weiteren im Einflussbereich der Metropolitanregion Zürich (vgl. ESPON 2004). Stadtregionen in Österreich Die Methode zur Erhebung von Stadtregionen in Österreich definiert sich über Rasterzellen mit 500*500 m Seitenlänge. In einem ersten Schritt werden diese unabhängig von den administrativen Abgrenzungen über das Gebiet gelegt. Dann werden den Zellen Inhalte wie Wohnbevölkerung, Arbeitsplatzzahlen, Pendlerverflechtungen etc. zugeordnet. Schlussendlich lassen sich daraus Dichtewerte, Nachbarschaftsbeziehungen oder Distanzen analysieren. Im Rahmen einer ÖROK-Studie werden anhand dieser rasterbasierten Daten folgende Raumkategorien verwendet (vgl. 2009, S. 17f): • Agglomerationsraum: gleichmäßige Verdichtung, funktionale Verflechtung.
Setzt sich zusammen aus Kernsiedlungsgebiet und Ergänzungsgebiet. Letzteres ist ein weniger kompaktes bzw. geschlossenes Siedlungsgebiet. • Außenzone: geschlossenes Gebiet in der Umgebung der Agglomeration, aber enge funktionale Verflechtung mit dieser vorhanden. • Stadtregion: Zusammensetzung aus Agglomerationsraum und Außenzone. Der Agglomerationsraum definiert sich wie folgt: zusammenhängendes Gebiet, bestehend aus benachbarten Rasterzellen, mit einer kombinierten Einwohner-/Arbeitsplatzzahl von mindestens 20.000 (vgl. ÖROK 2009a, S. 54). Die Dichte soll diesbezüglich über 250 liegen. Des Weiteren hat eine Agglomeration mindestens ein stark verdichtetes Gebiet mit einer Dichte von mehr als 2.500 Einwohnern. Zuletzt wird dieser statistisch abgrenzte Agglomerationsraum auf die Gemeindegrenzen ausgedehnt; auf jene Gemeinden, die mit mehr als 50 % ihrer Einwohner-/Arbeitsplatzzahl Anteil an der rasterbasierten Abgrenzung des Kerngebietes haben. Das Ergänzungsgebiet ergibt sich folglich aus dem Rest, der zwar nicht die Dichtekriterien erfüllt, aber Teil der eben genannten Gemeinden ist. Mit diesem Ansatz können in Österreich insgesamt
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38 Stadtregionen abgegrenzt werden; diese umfassen insgesamt 964 Gemeinden. 322 davon befinden sich im Agglomerationsraum, 642 in den Außenzonen. Bei einer Gesamtzahl von 2.357 Gemeinden in Österreich (www.gemeindebund.at) bedeutet das, dass mehr als 40 % der Gemeinden zu den sogenannten Stadtregionen zugeordnet werden können. Mit Blick auf die Bevölkerungszahlen umfassen die Stadtregionen ca. 5,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner, was einem Anteil von 69 % der Gesamtbevölkerung Österreichs entspricht. Mehr als 50 % wohnen in Agglomerationsräumen (vgl. ÖROK 2009a). In der Studie werden anhand von Größe, Wirtschaftsstruktur und Einbettung im Siedlungssystem neun unterschiedliche Typen von Stadtregionen charakterisiert. Die drei Vorarlberger Stadtregionen Bregenz-Lustenau-Dornbirn, Feldkirch und Bludenz werden diesbezüglich dem Typ „Industriell geprägte Klein- und Mittelstadtregionen im Siedlungsverband“ zugeordnet. Dieser Typ ist laut ÖROK-Studie (vgl. 2009) u. a. gekennzeichnet durch eine vergleichbare Bevölkerungsentwicklung im Agglomerationsraum und in der Außenzone. Des Weiteren wird Bregenz-Lustenau-Dornbirn als eine Stadtregion beschrieben, deren Einflussbereich über die österreichische Staatsgrenze hinausreicht. Weshalb Feldkirch nicht dazugezählt wird, ist aus der Studie nicht ersichtlich. Agglomerationsräume in der Schweiz In der Schweiz werden sogenannte Agglomerationsräume ausgewiesen. Darunter werden zusammenhängende Gebiete mehrerer Gemeinden mit insgesamt mindestens 20.000 Einwohnern verstanden. Als Indikatoren zur Ausweisung von Agglomerationen dient das Vorhandensein einer Kernzone „[…] aus einer oder mehrerer Gemeinden mit je mindestens 20.000 Arbeitsplätzen und 85 Arbeitsplätzen auf 100 wohnhafte Erwerbstätige“ (Eberle et al. 2008, S. 155f). Welche Gemeinde einer Agglomeration zuzuordnen ist, ergibt sich aus Kriterien wie Pendlerverflechtung, zusammenhängende Siedlungsstrukturen, Einwohner- und Arbeitsplatzdichte sowie Bevölkerungswachstum (vgl. Strittmatter et. al 2002, S. 10f; vgl. Eberle et al. 2008). 75 % der Schweizer Bevölkerung wohnen gegenwärtig in Städten und Agglomerationsräumen. 80 % dieser Bewohnerinnen und Bewohner leben in Agglomerationsgemeinden und nur 20 % Prozent in den Kernstädten (vgl. Koll-Schretzenmayr 2007, S. 12; vgl. auch Eisinger u. Schneider 2003). Zwischen 1979 und 1997 nahm die Siedlungsfläche um 13 % zu (vgl. Schuler et al. 2006). Die Agglomerationen haben neben der Funktion als Wohnort auch eine zunehmende Bedeutung für die Wirtschaft und die Arbeitsplätze (vgl. Camenzind u. Feddersen 2011, S. 22). Das Größenspektrum von Agglomerationen in der Schweiz reicht von
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Zürich mit mehr als 1 Millionen Einwohner, bis zu Interlaken mit sieben Gemeinden und ca. 21.400 Einwohnern (vgl. ÖROK 2009a, S. 217). Agglomerationen sind laut OECD der Antriebsmotor für Wachstum. Allerdings existiert nur ein limitiertes Wissen über die spezifischen lokalen Bedürfnisse in Agglomerationen (vgl. OECD 2011, S. 217) – was teilweise auch damit zusammenhängen mag, dass die Agglomerationen erst Ende der 1990er als Politikgegenstand vom Schweizer Bund in den Vordergrund getreten sind (vgl. Thierstein 2009, S. 428) und somit erst seit kurzer Zeit eine entsprechend intensivere Auseinandersetzung mit diesem Raumtyp erfolgt. Eine wesentliche Herausforderung ist, dass der Agglomerationsraum Rheintal in Österreich und der Schweiz unterschiedlich abgegrenzt wird, was Auswirkungen auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit hat. Im Zuge der Forschungsarbeit wird anhand einer Analyse der Projektperimeter von Vision Rheintal und vom Agglomerationsprogramm Rheintal detaillierter darauf eingegangen. Strukturen Prozessorganisation Die operative Führung und fachliche Leitung des Agglomerationsprogrammes obliegt der Gesamtprojektleitung vertreten durch den Verein St. Galler Rheintal (Federführung), das Amt für Raumentwicklung beim Kanton St. Gallen sowie der Abteilung Raumplanung und Baurecht in Vorarlberg bzw. Vision Rheintal. Weitere Gremien der Projektorganisation sind der Lenkungsausschuss (strategische Führung und politische Leitung), die Begleitdelegation (politische Begleitung der Region) und die Fachdelegation mit Vertretern aus regionalen Fachgruppen (vgl. Agglomerationsprogramm Rheintal 2011, S. 16). Der Lenkungsausschuss besteht aus den Regierungsvertretern (Baudepartement und Volkswirtschaftsdepartement mit Verkehr) des Kantons St. Gallen, dem Regierungsvertreter des Landes Vorarlberg (Raumplanung) sowie Vertretern der Region St. Galler Rheintal und den beiden Leitern der Raumplanungsabteilungen. Der VSGR ist die gemeinsame Vertretung der 12 Gemeinden des St. Galler Rheintals (also Gemeindeebene). Insgesamt hat dieser Ausschuss während der Erarbeitung des Agglomerationsprogrammes seit 2007 zweimal getagt, im Sommer 2010 und im Herbst 2011. Bei den alljährlichen Treffen der Vorarlberger Landesregierung und der Kantonsregierung war das Agglomerationsprogramm ebenfalls auf der Traktandenliste, trotzdem kann die direkte Rückkoppelung des Agglomerationsprogrammes Rheintal mit der Landes- bzw. Kantonspolitik als gering erachtet werden. Die eigentliche Steuerung lief vielmehr über die Gesamtprojektleitung,
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wobei auch hierbei festzustellen ist, dass in diesem Gremium nur ein Gemeindepolitiker vertreten war. Anfallende Kosten für die Erarbeitung des grenzüberschreitenden Agglomerationsprogrammes Rheintal wurden vom Verein St. Galler Rheintal und dem Kanton St. Gallen getragen. Das Land Vorarlberg hatte nur die eigenen Personalkosten zu übernehmen. Trägerschaft des Projektes Regionale Zusammenarbeit im Rahmen der Agglomerationsprogramme verlangt nicht zwingend neue Gebietskörperschaften, aber zumindest eine Formalisierung bzw. Institutionalisierung. Der Schweizer Bund arbeitet nur mit einem Ansprechpartner pro Agglomeration, in diesem Fall ist das die Trägerschaft. Diese Trägerschaft muss bis zur Umsetzung des Agglomerationsprogrammes Rheintal gebildet sein. Sie vertritt und betreibt das Agglommerationsprogramm (über einen Zeithorizont von rund 20 Jahren) und entwickelt es weiter. Ihre Aufgaben sind u. a. die Umsetzung der Maßnahmen zu begleiten, die Finanzierung abzuwickeln und ein Controlling durchzuführen. Eine Trägerschaft wird als zentral für die Glaubwürdigkeit des Agglomerationsprogrammes und für deren Umsetzungskompetenz angesehen. Im Falle des Agglomerationsprogrammes soll aber bis Ende 2014 eine grenzüberschreitende Trägerschaft gebildet werden, damit 2015 mit der Umsetzung der Maßnahmen begonnen werden kann (vgl. Obkircher et al. 2012). Für die Einreichung des Agglomerationsprogrammes Rheintal Ende 2011 waren die Regierungsbeschlüsse im Sinne der Absichtserklärung noch genügend. Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang, dass die Einreichung zwar mit Unterstützung eines Vorarlberger Regierungsbeschlusses erfolgte, dennoch wurde der Bericht zum Agglomerationsprogramm Rheintal offiziell nur vom Kanton St. Gallen und dem Verein St. Galler Rheintal eingereicht. Derzeit ist die bestehende Projektorganisation mit dem Verein St. Galler Rheintal als Trägerschaft und unter Einbezug von Vorarlberg als Mitwirkender, wie eben erläutert, ausreichend. Dieses Vorgehen wird als bewusst pragmatisch betrachtet, vor allem aus Vorarlberger Sicht, denn zunächst müsse die Zusammenarbeit ins Tun kommen. Welche Strukturen und Formen für die Institutionalisierung der Trägerschaft notwendig sind, könne erst zu einem späteren Zeitpunkt bestimmt werden und soll sich aus Sicht von Vorarlberg schrittweise ergeben (Interview Assmann 2012, Vision Rheintal). Um ins Tun zu kommen muss das Land Vorarlberg zunächst weg vom Beobachterstatus und sich stärker beteiligen. Trotzdem werden bereits verschiedene Modelle der Trägerschaft diskutiert. In den bestehenden Agglomerationsprogrammen im Kanton St. Gallen wurden entweder Vereine gegründet oder Kooperationsvereinbarungen gemacht. Die Ausgangslage ist allerdings nicht vergleichbar mit der Situation im Agglo-
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merationsprogramm, weil alle Beteiligten von Beginn an involviert waren (insbesondere die Gemeinden, was bei den Vorarlberger Rheintalgemeinden nicht der Fall ist). Aus Vorarlberger Sicht können die planerischen und finanziellen Auswirkungen (Beteiligung an den Maßnahmen des Agglomerationsprogrammes) einer solchen Trägerschaftsform kaum eingeordnet werden, da das Agglomerationsprogramm Rheintal bei den Gemeinden auf Vorarlberger Seite noch zu wenig bekannt ist. Vision Rheintal hat Erfahrung mit dem Rheintal-Kontrakt, zudem könnte auch die Bodensee-Charta der ROK-B als Vorlage für eine Trägerschaft dienen. Die Idee ist, eine Willenserklärung mit Geschäftsvereinbarung zu vereinbaren, die es ermöglicht bei konkreten Projekten einzelne Verträge der teilnehmenden Gebietskörperschaften aufzusetzen. Der Verein wird im Gegensatz zur Charta als flexibler angesehen. Vorteil einer Charta wäre eine gewisse Offenheit für Gemeinden, ohne Mitglied werden zu müssen. Die Frage, ob von Beginn an alle 41 Gemeinden dabei sind, ist nicht geklärt. Überlegt wird in diesem Zusammenhang die Möglichkeit von assoziierten Mitgliedern, welche aber kein Stimmrecht erhalten sollen. In beiden Fällen gilt es, gemäß der Gesamtprojektleitung des Agglomerationsprogrammes Rheintal, das Mitspracherecht, die Finanzierung, den Kostenschlüssel und die Steuerung zu regeln. Ob eine Institutionalisierung überhaupt notwendig ist, um die Umsetzung der Maßnahmen zu gewährleisten, gilt es zu diskutieren. Die Zusammenarbeit beim gemeinsamen Projekt Rheintalkarten hat etwa gezeigt, wie „schwach institutionalisierte“ Formen der Kooperation trotzdem zu konkreten Ergebnissen führen. Entscheidend bei diesem Projekt war, dass jeweils mindestens ein Vertreter der Teilregionen mitwirkte. Dadurch wurde das notwendige Verantwortungsgefühl erzeugt, um den Prozess am Leben zu erhalten. Hierbei ist die Frage der Abwicklung des Agglomerationsprogrammes Rheintal zunächst bewusst ausgeklammert. In einem Regierungsbeschluss hat das Land Vorarlberg Ende 2011 seine Unterstützung des Agglomerationsprogrammes bekundet und eine Willenserklärung zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit abgegeben. Des Weiteren wurden insbesondere die Leitideen und Maßnahmen des Agglomerationsprogrammes begrüßt. Die Überführung in die örtlichen Planungen wurde thematisiert und die Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Akteuren festgelegt. Analog dazu erfolgten ein Regierungsbeschluss des Kantons St. Gallen und Beschlüsse der Gemeinden des St. Galler Rheintals. Die Gemeinden des Vorarlberger Rheintals wurden auf dieser Ebene nicht einbezogen. In den Beschlüssen der beiden Regierungen wurde zudem festgehalten, dass neben den Bereichen Siedlung, Landschaft und Verkehr weitere Themenbereiche in Angriff genommen werden sollen. Genannt werden kann etwa der grenzübergreifende Hochwasserschutz im Rheintal. Durch eine Erweiterung der Zusammenarbeit auf das breite
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Spektrum an Planungsbedürfnissen, soll dem Anspruch einer ganzheitlichen und nachhaltigen Entwicklung des Rheintals Rechnung getragen. Laut ARE sind die Agglomerationsprogramme grundsätzlich für eine thematische Ausweitung geeignet (vgl. CEAT et al. 2010, S. 77). Die Themenschwerpunkte Siedlung, Landschaft und Verkehr haben aber Priorität, was sich entsprechend auf die gegenwärtige Bereitschaft der Agglomerationsprogramme, andere Themen aufzugreifen, auswirkt. Über die Regierungsbeschlüsse wurde eine erste Verbindlichkeit des Agglomerationsprogrammes Rheintal auf Landes- bzw. Kantonsebene erreicht. Ein nächster Schritt zur Sicherung und Stärkung der Verbindlichkeit wird in der Bildung der Trägerschaft gesehen. Im Kanton St. Gallen wird die Verbindlichkeit zudem durch eine Berücksichtigung des Agglomerationsprogrammes Rheintal im Richtplan fixiert. Meldet eine Gemeinde eine Änderung des Flächenwidmungsplanes beim Kanton an, dann wird geprüft, ob die Vorgaben des Agglomerationsprogrammes eingehalten worden sind (z.B. Siedlungsbegrenzungslinien, Anforderungen an Flächenwidmungen bzw. Einzonungen). Generell ist die Verbindlichkeit zur Umsetzung der Maßnahmen allerdings relativ, da das Stimmvolk im St. Galler Rheintal anhand eines Volksentscheides die Möglichkeit hat, über einzelne Projekte abzustimmen. Prozesse und Steuerung Der mit dem Agglomerationsprogramm verbundene Erarbeitungsprozess soll mithelfen, die Erkenntnis, dass man „im gleichen Boot“ sitzt, auch wenn eine Landesgrenze dazwischen ist, in die (lokalen) Köpfe zu bringen (Interview Feiner 2012, AREG). Dieser Prozess ist im Vergleich zu rein schweizerischen Programmen allerdings wesentlich aufwändiger. Im Folgenden werden deshalb die relevanten Eckpunkte für das Verständnis von Prozess und Steuerung im Rahmen des Agglomerationsprogrammes Rheintal ausgearbeitet. Entscheidungsabläufe, Umsetzung und Kontrolle Die Programmperioden inkl. der Leistungsvereinbarungen verlaufen in einem vierjährigen Zyklus. Am Beispiel des Agglomerationsprogrammes Rheintal (2. Generation) erläutert: Die Einreichung erfolgte Ende 2011. Im Falle einer positiven Beurteilung hätte 2015 mit der Umsetzung begonnen werden können, Laufzeit bis 2018. In der Zwischenzeit erfolgte die Prüfung durch den Bund (2012) und die Beschlussfassung durch die Eidgenössischen Räte bzw. durch die Genehmigungskonferenz des Bundes (2014). Frühestens 2015 wären die Mittel freigegeben und die Leistungsvereinbarungen unterzeichnet worden. Agglomerationsprogramme sind dabei nicht in Stein gemeißelt, vielmehr können sie als
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Lernprozess gesehen werden, in dem sich das Zusammenspiel zwischen Bund, Kanton und Gemeinden erst noch finden muss. Eine Weiterentwicklung erfolgt permanent. Wie das Beispiel des Agglomerationsprogrammes Rheintal zeigt, trat ein solcher Lernprozess durch die Vorprüfung des Bundes ein. Diese erfolgte bereits mit Einreichung des Berichtsentwurfes 2010, also weit vor der eigentlichen Entscheidung und stellt zugleich eine Rückkoppelung mit dem ARE dar. Ist das Agglomerationsprogramm einmal gestartet, dann wird eine laufendes Kontrollund Monitoringsystem eingerichtet, welches alle vier Jahre die Umsetzung und die Ausgaben überprüft. Agglomerationen sind z.B. aufgefordert, einen Umsetzungsbericht an den Bund zu senden. Beteiligung im Rahmen des Agglomerationsprogrammes Rheintal Die Kooperation in einem Agglomerationsprogramm Rheintal erfolgt auf vertikaler Ebene (Bund, Kanton, Agglomeration) und auf horizontaler Ebene (Gemeinden innerhalb der Agglomeration). Der Kanton unterstützt und fördert die Erarbeitung von Agglomerationsprogrammen. Die Regionen entscheiden aber selber, ob und wann sie ein Agglomerationsprogramm erarbeiten wollen bzw. übernehmen sie die Federführung bei der Erarbeitung (Interview Feiner 2012, AREG). Im Falle des Agglomerationsprogrammes Rheintal erarbeiteten und definierten die Gemeinden beispielsweise zusammen mit der Gesamtprojektleitung die Entwicklungstrends, wodurch diese gut in der Region St. Galler Rheintal verankert sind (vgl. Agglomerationsprogramm Rheintal 2011, S. 19). In Ausnahmefällen kann der Kanton die Projektleitung von Agglomerationsprogrammen übernehmen (gemäß CEAT et al. 2010, S. 71 ist dies bei kleineren Agglomerationen nicht unüblich). Dieser von Meier als „Bottom-Up“ bezeichnete Zugang (vgl. Meier 2011, S. 175) muss jedoch kritisch hinterfragt werden. Zum einen bleibt den Gemeinden keine andere Möglichkeit, wenn sie künftig auf Bundesförderungen zugreifen wollen. Zum anderen ist die Erarbeitung klar vom Bund mitbestimmt und gefordert. Und wie Meier weiter schreibt, erfolgt die Erarbeitung in internen Arbeitsgruppen, also ohne die betroffene Bevölkerung (vgl. Meier 2011, S. 176). Letztere wird nur im Rahmen von „Rheintaldialogen“ informiert (Agglomerationsprogramm Rheintal 2011, S. 19). Neben den grundsätzlichen Kriterien des Bundes ist ebenso die kantonale Strategie von St. Gallen mitbestimmend. Diese besagt beispielsweise, dass die Zentren der einzelnen Agglomerationen „untereinander und mit dem Metropolitanraum Zürich besser verbunden werden“ sollen (vgl. Meier 2011, S. 175). Eine wesentliche Problematik dieser neu verfolgten Agglomerationspolitik in der Schweiz ist folglich, dass die Region wenig eigentliche Mitbestimmungskompetenz besitzt.
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Factbox Beteiligung im Agglomerationsprogramm Lenkungsausschüsse, Begleit-/Fachdelegationen, Delegiertenversammlung VSGR, Workshop Gemeinderäte, Gesamtprojektleitungssitzungen, Rheintaldialoge (Informationsanlass Bevölkerung), Newsletter, Zeitungsinserate, Internet-Homepage, Austauschanlässe Bürgermeister u. Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten, Rheintalkonferenz (Wirtschaft u. St. Galler Gemeindepräsidenten). Maßnahmen zur Umsetzung des Agglomerationsprogrammes Auf Basis von Zukunftsbildern und Teilstrategien wurden die entsprechenden Maßnahmen bestimmt. Im Zuge der Erarbeitung wurden ebenso Maßnahmen von und auf Vorarlberger Seite vorgeschlagen. Diese Vorschläge basierten auf ohnehin geplanten Maßnahmen und sind deshalb unabhängig von einem Erfolg des Agglomerationsprogrammes Rheintal. Eine konkrete Auswahl der Maßnahmen und Übernahme in den Schlussbericht des Agglomerationsprogrammes erfolgte über den Kanton St. Gallen bzw. das externe Bearbeitungsbüro. Entscheidungsgrundlage war dabei die Relevanz für das Agglomerationsprogramm, Kosten-/Nutzen-Verhältnis, Reifegrad und die Chance auf Mitfinanzierungsmöglichkeiten von Maßnahmen auf Vorarlberger Seite durch den Schweizer Bund. Insgesamt beinhaltete das Rheintaler Agglomerationsprogramm 31 Maßnahmen, wovon zehn Maßnahmen den Bereich Siedlung und Landschaft umfassen. Zwölf der 31 Maßnahmen überschreiten die Grenze, im Sinne des Wortes. Hierzu zählen beispielsweise das grenzüberschreitende ÖV-Angebotskonzept, das konsensorientierte Planungsverfahren „Mobil im Rheintal“ oder die Regionalplanung Mittelrheintal mit den Gemeinden Lustenau, Höchst, St. Margrethen, Au und Widnau. Zwischenbeurteilung Das ARE war nicht direkt in die Erarbeitung des Agglomerationsprogrammes Rheintal eingebunden, konnte aber über die formellen Vorgaben und Anforderungen den Prozess indirekt steuern und hatte darüber hinaus die Möglichkeit anhand einer Zwischenbeurteilung Einfluss auf das Agglomerationsprogramm zu nehmen. In dieser Zwischenbeurteilung des ARE vom Dezember 2010 wurde festgehalten, dass die Partizipation der Vorarlberger Gebietskörperschaften und der Gesamtbevölkerung noch nicht ausreichend ist (vgl. ARE 2010b, S. 5). Die Diskussion dieser Beurteilung in der Gesamtprojektleitung zeigte, dass ein partizipatives Erarbeiten von aktuellen Herausforderungen und von Zukunftsvorstellungen auf Ebene der Bevölkerung tatsächlich einen Mehrwert für die künftige
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Zusammenarbeit zwischen St. Gallen und Vorarlberg bedeuten könne. Des Weiteren sei eine klare Aussage zur Einbeziehung der Vorarlberger Gemeinden und des Landes im Erarbeitungsprozess hilfreich. Diese Öffnung in Richtung verstärkter Partizipation kann auch damit begründet werden, dass der Bund innovative Ansätze bei seiner Bewertung mit Extrapunkten belohnt. Als weiterer Aspekt in der Zwischenbeurteilung durch den Bund wurde zwar gewürdigt, dass die grenzüberschreitenden Verflechtungen im Rheintal als Chance für die Weiterentwicklung erkannt worden sind. Die Schwächen des Programmes lägen aber in der ungenügenden Behandlung und Aufbereitung der grenzüberschreitenden Thematik (vgl. hierzu auch Agglomerationsprogramm Rheintal 2011, S. 14). In diesem Zusammenhang sind gemäß der Zwischenbeurteilung sowohl die Trägerschaft (Einbindung von Vorarlberg) als auch die grenzüberschreitende Legitimation zu unklar (Verbindlichkeit). Zusammengefasst wurden im Zuge der Zwischenbeurteilung weitere vier wesentliche Schwerpunkte für die Weiterbearbeitung ausgewiesen (vgl. ARE 2010b): • Zukunftsbild konkretisieren • Perimeter klären (Umgang mit dem Raum Feldkirch bzw. Bregenz) • Maßnahmen Siedlungsentwicklung nach innen schärfen um eine Trendwende
bei der bisherigen Zersiedlung unterstützen zu können. • Maßnahmen nachvollziehbar begründen und konsequent aus Zukunftsbild/
Strategien/Analysen herleiten Die Stellungnahme zum Agglomerationsprogramm wurde Ende 2011 abgeschlossen. Auf St. Galler Seite wurden ausgewählte Fachstellen des Kantons, Fachverbände der Region St. Gallen sowie die Gemeinden des St. Galler Rheintals eingeladen. In Vorarlberg wurde auf die Einladung der Gemeinden verzichtet, für die Bürgermeister fand eine Information im Rahmen der Austauschtreffen statt. Die Vernehmlassung zum Agglomerationsprogramm Rheintal erfolgte in Vorarlberg nur auf Stufe des Landes Vorarlberg (hier ebenso wie im Kanton St. Gallen durch ausgewählte Fachstellen). Die endgültigen Prüfergebnisse werden im letzten Kapitel vorgestellt. Top-Down-Raumbilder Agglomerationsprogramm Rheintal Beschreibung der Siedlungsstrukturen Das Rheintal hat in der Beschreibung des Agglomerationsprogrammes eine für Agglomerationen „eher untypische räumliche Struktur“ (Agglomerationsprogramm Rheintal 2011, S. 80). Ein regionales Zentrum fehlt, vielmehr überneh-
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men „funktionale Kristallisationspunkte“ wie St. Margrethen-Au-LustenauWidnau-Höchst, Altstätten, Bregenz, Dornbirn, Götzis-Hohenems-Altach oder Feldkirch die zentralörtlichen Funktionen (vgl. Agglomerationsprogramm Rheintal 2011, S. 5; Interview Spirig 2012, VSGR). Siedlungsgebiete entlang der Nord-Süd-Achse und der grenzüberschreitenden Verbindungsachsen (z.B. Heerbrugg-Hohenems) sind bereits stark zusammengewachsen. Gemeindegrenzen entlang der Hauptstraßen sind „entweder nicht mehr wahrnehmbar oder haben den Charakter fragmentierter Zwischenräume“ (Agglomerationsprogramm Rheintal 2011, S. 39). Zersiedelung, niedrige Bebauungsdichte und große private Außenräume führen zu einer gegenwärtig starken Durchgrünung des Siedlungsgebietes. Zugleich nimmt Wohnfläche pro Einwohner zu, was den Druck auf die noch vorhandenen Freiflächen erhöht (vgl. ewp AG 2007). „Eine weitere, typische Erscheinungsform der starken Zersiedelung sind die vielen und dispers verteilten, unbebauten Flächen im gesamten Siedlungsgebiet. Je nach Größe, Lage und Körnigkeit ergibt dies eine patchworkartige Struktur aus bebautem Raum und Freiflächen“ (Agglomerationsprogramm Rheintal 2011, S. 39). Ohne Agglomerationsprogramm Rheintal entwickelt sich die Region aufgrund der vorhandenen Flächenreserven weiterhin „undifferenziert und mit geringer Dichte“ (Agglomerationsprogramm Rheintal 2011, S. 6). „In Bezug auf die Pendlerbeziehungen sind die Verflechtungen des St. Galler Rheintals mit den Grossräumen St. Gallen und Zürich, aber auch mit dem Vorarlberg schwach. […] Aus diesen Gründen ist die Region bisher nicht vom Sog der Grossräume“ erfasst worden (Agglomerationsprogramm Rheintal 2011, S. 5). Der motorisierte Individualverkehr (MIV) verläuft im schweizerischen Rheintal hauptsächlich über zwei Achsen (A13, Kantonsstraße) in Nord-Süd-Richtung. In West-Ost-Richtung bestehen keine Hochleistungsverbindungen, die Bedeutung des grenzüberschreitenden Verkehrs im Bereich der Arbeits-, Freizeit- und Einkaufspendler nimmt zeitgleich aber zu. Besonders an den Grenzübergängen Au-Lustenau und Diepoldsau-Hohenems führt dies zu Problemen (vgl. Agglomerationsprogramm Rheintal 2011, S. 6 u. 23). Zuletzt sei noch auf die Situation im Öffentlichen Verkehr verwiesen. „Im Aussenverkehr sind just die am meisten nachgefragten Beziehungen ins Vorarlberg und in Richtung Werdenberg-Sargans schlecht ausgebaut und verbesserungswürdig“ (Agglomerationsprogramm Rheintal 2011, S. 6). Hinzu kommt, dass die Bahnlinien im St. Galler Rheintal meist nicht durch das Gemeindezentrum verlaufen, sondern peripher liegen. Dadurch besteht wenig Ausbaupotential (vgl. ebd. 2011, S. 24).
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Polyzentrisches Raumbild im St. Galler Rheintal „Die grosse Stärke der polyzentrischen Siedlungsstruktur liegt darin, dass es nicht überall alles braucht und doch jeder dank einer guten Vernetzung alles nutzen kann“ (Agglomerationsprogramm Rheintal 2011, S. 9 u. 111). Angebote der Kultur, Bildung, Einkauf oder Arbeit verteilen sich somit auf verschiedene Orte. Allerdings sind im Rheintal „fast ausschliesslich die Verbindungen innerhalb des St. Galler und des Vorarlberger Teils stark, während die grenzüberschreitende Vernetzung schwach ist (Agglomerationsprogramm Rheintal 2011, S. 8). Künftig soll eine starke grenzüberschreitende Vernetzung „über den Rhein hinweg verbinden“ und einen Lebensraum bilden (vgl. ebd., S. 8). Aus diesem polyzentrischen Verständnis heraus wurde das Zukunftsbild für die Region Rheintal entwickelt. Rückgrat für die künftige Siedlungsentwicklung bildet die Eisenbahn. „Demnach nehmen jene Siedlungsgebiete eine zentrale Bedeutung ein, welche über einen direkten Bahnanschluss verfügen“ (Agglomerationsprogramm Rheintal 2011, S. 106). Daraus ergibt sich in weiterer Folge eine Fokussierung auf sechs Siedlungsschwerpunkte – vier in Vorarlberg (Bregenz, Dornbirn, Hohenems und Feldkirch), einen in der Schweiz (Altstätten) und einen grenzüberschreitenden (Mittelrheintal). Sie stellen die Hauptknoten im Rheintal dar. In der Beschreibung des räumlichen Problemkontextes waren diese Gebiete bereits als „funktionale Kristallisationspunkte“ bezeichnet worden. Diese Knoten sind zu fördern. Wie vorangehend erläutert, bildet das Mittelrheintal einen Schwerpunktraum im Agglomerationsprogramm. Das Mittelrheintal wird seitens des St. Galler Rheintals und des Kantons St. Gallen als Raum mit hoher Zentralität betrachtet. Die Maßnahmen im Rahmen des Agglomerationsprogrammes Rheintal zielen darauf ab, die Standortattraktivität zu erhöhen, damit der Raum im EUKonkurrenzkampf bestehen kann. Zudem soll das Mittelrheintal in seiner Scharnierfunktion als grenzüberschreitende Drehscheibe für überregionale Anbindungen fungieren und somit die Querverbindungen im grenzüberschreitenden Rheintal erhöhen. „Das Vorarlberger und das St. Galler Rheintal sitzen da – ob es ihnen passt oder nicht – im gleichen Boot.“ Fragen der regionalen und überregionalen Erreichbarkeit, im Sinne der Standortattraktivität betreffen beide gleichermaßen (Interview Feiner 2012, AREG). Die ersten Treffen der fünf Bürgermeister haben gezeigt, dass in den fünf Gemeinden auf persönlicher Ebene ein guter Kontakt besteht. Dennoch ist die Wirkung der Grenze immer wieder spürbar, z.B. was die Koordination von Infrastrukturen in der Region betrifft (vgl. Agglomerationsprogramm Rheintal 2011, S. 10). Aber: Es erscheint für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Rheintal allerdings nicht sinnvoll zu
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schnell auf diesen Raum zu fokussieren, da dadurch andere Gemeinden in der Region „abgehängt“ werden (Interview Strauss 2012, AREG). Abbildung 24: Drehscheibe Mittelrheintal – Erhöhung der Erreichbarkeit und Standortattraktivität
Quelle: Feiner 2011
Natur und Landschaft „Natur und Landschaft bilden im Rheintal eine wichtige Identifikationsfunktion. Das grüne Netz der Natur bildet die logische Ergänzung zur polyzentrischen Siedlungsstruktur“ (Agglomerationsprogramm Rheintal 2011, S. 8). Im Agglomerationsprogramm werden zwei zentrale Strategien für den Erhalt und die Entwicklung der Landschaft im Rheintal formuliert. Zum einen sind die landschaftlichen Trägerstrukturen in „ihrem Bestand und in ihrer Wirkung, in ihrer Erkennbarkeit und Erlebbarkeit zu erhalten“ (Agglomerationsprogramm Rheintal 2011, S. 108). Genannt werden Berghänge, Talebene, Rhein, Nebenflüsse und Bodensee, Inselberge (Kummenberg, Schellenberg etc.), Au- und Hangwälder, Feuchtgebiete oder Streuobstwiesen. „Diese identitätsstiftenden Elemente
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sollen erhalten und gefördert werden, die Lebensraumqualität wird daher aus der Landschaft weiterentwickelt“ (Agglomerationsprogramm Rheintal 2011, S. 108). Zum anderen sollen die Vernetzung durch Grünraumverbindungen weiterentwickelt werden. Aus Sicht des Agglomerationsprogrammes haben sie drei bestimmende Bedeutungen für die Landschaft im Rheintal (vgl. Agglomerationsprogramm Rheintal 2011, S. 8): • Siedlungsgliederung: Der Übergang von einem Landschaftsraum in den ande-
ren ist erkennbar und unterstützt die Eigenständigkeit des Raumes und hilft bei der Orientierung. • Die Verzahnung von Landschaft und Siedlungsfreiräumen macht die Landschaft erlebbar. Die Nähe zu naturnahen Erholungsräumen ist eine zentrale Stärke des Rheintals. • Die Vernetzung der Talebene mit den angrenzenden Hanglagen ist wichtig für den Lebensraum von Flora und Fauna. Die Landschaft im Rheintal hat im Agglomerationsprogramm Rheintal einen großen Stellenwert. Sie erzeugt Lebensqualität für die Bewohnerinnen und Bewohner, indem sie etwa als Erholungsraum dient und die Attraktivität des Wohnund Arbeitsstandortes Rheintal erhöht (vgl. Agglomerationsprogramm 2011, S. 109). Dieses Bild der Landschaft Rheintal vermischt Vorstellungen des gegenwärtigen Ist-Zustandes mit dem der künftigen Entwicklung (Agglomerationsprogramm Rheintal 2011, S. 108f).
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Im Jahr 2011 fanden auf Initiative des Vereins St. Galler Rheintal (Agglomerationsprogramm Rheintal) und von Vision Rheintal erste Treffen der Bürgermeister und Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten des Rheintals statt. Anlass für diese Treffen war das Agglomerationsprogramm Rheintal und der Wunsch seitens der St. Galler Rheintalgemeinden sowie des Kantons nach einer stärkeren Einbeziehung der Vorarlberger Rheintalgemeinden. Aus diesem Grund waren die inhaltlichen Schwerpunkte dieser Treffen zum einen ein sich Kennenlernen sowie eine intensivere Vernetzung von Vision Rheintal und des Agglomerationsprogrammes Rheintal. Es erfolgte etwa eine erste Rückkoppelung des Agglomerationsprogrammes Rheintal mit den 29 Gemeinden des Vorarlberger Rheintals (vgl. Obkircher et al. 2012). Zum anderen wurde die Möglichkeit von gemeinsamen regionalen Planungen diskutiert.
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Abbildung 25: Austausch unter politischen Entscheidungsträgern im nördlichen Rheintal
Quelle: Vision Rheintal (links) und eigenes Photo 2011 (rechts)
Gegenseitiges Kennenlernen Als Ziele für das erste Treffen wurden das sich gegenseitige Kennenlernen, der Informationsaustausch, ein gemeinsames Bewusstsein für die Region zu fördern und Umsetzungspotentiale für das Motto „41 Gemeinden – ein Lebensraum“ auszuloten, formuliert. Zur Umsetzung diente ein World Café und eine abschließende Dialogrunde im Plenum. Insgesamt haben 23 Bürgermeister und Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten der 41 Rheintalgemeinden teilgenommen, wobei 12 von diesen 23 aus Grenzgemeinden kamen. Weitere Teilnehmer des Treffens waren der Projektleiter von Vision Rheintal, der Geschäftsführer des VSGR, der Projektleiter des Agglomerationsprogrammes Rheintal (VSGR), sowie Vertreter der Raumplanung des Landes Vorarlberg und des Kantons St. Gallen. Die Forscherposition überlagerte sich mit jener des Mitarbeiters in der Raumplanungsabteilung des Landes Vorarlberg. Dies hatte aber keinen direkten Einfluss auf den Ablauf des Treffens, da die Meinungen und Wahrnehmungen der Bürgermeister sowie der Entscheidungsträger der Verwaltung gefragt waren und nicht jene des Mitarbeiters der Verwaltung. Meine Funktion war eine unterstützende, weshalb das Treffen teilnehmend beobachtet werden konnte. Der Projektleiter von Vision Rheintal stellte im Rahmen einer Posterausstellung die St. Galler und der Geschäftsführer des VSGR die Vorarlberger Seite des Rheintals vor. Schwerpunkt der Präsentationen war das aufmerksam Machen auf die bereits vorhandenen Gemeinsamkeiten in der grenzübergreifenden Region. Im Anschluss an die Präsentation begleitete eine externe Moderatorin durch den Vormittag. In insgesamt drei World Café Runden wurde in unterschiedlichen Konstellationen diskutiert. Einzig der in der ersten Runde bestimmte Gastgeber verblieb jeweils am Tisch, fasste die vorgängigen Diskussionspunkte kurz zusammen und hielt den inhaltlichen Faden. Die zentrale Frage lautete, ob und wie das nördliche Rheintal mit seinen 41 Gemeinden als ein gemeinsamer Lebens-
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raum wirksam und erkennbar wird. In der ersten Runde wurde der Fokus auf konkrete Erfahrungen und Anliegen in Bezug auf die Fragestellung gelegt. Runde zwei diente dem Weiterdenken, -entwickeln und Vertiefen der Fragestellung. Die letzte Runde sollte die wesentlichen Erkenntnisse aus der Diskussion (Dauerbrenner, Muster, Einsichten, neue Fragen) herausfiltern. Zusammenfassend die zentralen Auszüge und Impressionen aus den drei Diskussionsrunden: Tabelle 3: Die wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst Zusammenarbeit • Grenze zwar als Trennung vorhan•
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• •
den, diese aber als Chance nutzen Herausforderungen gemeinsam lösen in den Bereichen Verkehr, Raumplanung, Natur, Versorgung, Freizeit, Kultur und Wirtschaft Vision Rheintal & Aggloprogramm Rheintal Einheit zusammenführen, keine Doppelspurigkeiten Institutionalisierung der Zusammenarbeit mit klaren Projekten Staatsvertrag über gemeinsamen Raum „Rheintal“ (SG) vs. abgestimmte Planung machen ohne Staatsvertrag (V)
Konkrete Projekte • Gegenseitige Infrastrukturnutzung • ÖV zusammenführen, Radwegbrücken ausbauen • Projekt Hochwasserschutz Alpenrhein: Kooperationschance • grenzüberschreitende Sportanlässe: z.B. „Rheintal-Liga“ • Stärkung der Region durch gemeinsame Vermarktung des Standortes, z.B. Hightech-Region Quelle: eigene Darstellung 2013
Rahmenbedingungen • Aufgaben der BM und GP sind völlig verschieden • EU-Grenze als Hemmnis, innerhalb der EU einfacher als mit direktem Nachbar • Unterschiedliche Steuermodelle • Handel in Fremdwährung bzw. Preisgefälle bei Ausflügen – verbunden mit Kaufkraftabflüssen Kommunikation und Austausch • Wir wissen zu wenig voneinander, man kennt sich nicht persönlich. Regelmäßige Treffen umsetzen • Austausch mit Partnern bzw. Nachbargemeinden aufleben lassen Bevölkerung beteiligen und begeistern • Zusammenarbeit sichtbar machen für die Bürgerinnen und Bürger • Bevölkerung muss zusammenfinden, gesellschaftlichen Austausch unterstützen • Identität schaffen • Mit der Geschichte der Region befassen. • Schüleraustausch forcieren
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Am Ende der drei Arbeitsrunden wurden die Erkenntnisse von den Bürgermeistern und Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten zu sieben Schwerpunktthemen verdichtet: (1) Hohe und konstante Vernetzungsdichte im Rheintal, politisch wie gesellschaftlich, (2) Anlässe für den grenzüberschreitenden Austausch der Menschen, (3) Leute zusammenbringen und begeistern, (4) Symbole setzen, (5) gemeinsamer Kulturraum, (6) Verkehr, (7) Hightech-Wirtschaftsraum Rheintal. Die Reihenfolge entspricht zunächst keiner Priorisierung. Im Rahmen der abschließenden Diskussion im Plenum sind diese Schwerpunktthemen vertiefend diskutiert worden. Wesentlicher Schwerpunkt war dabei die Frage der Bevölkerungsbeteiligung (vgl. Schwerpunktthemen 1–5). Aus Sicht der Politikerrunde muss die Zusammenarbeit in der Region Rheintal weg vom reinen Verkehrsthema kommen. Sie muss die Leute zusammenbringen und begeistern. Eine direkte Beteiligung der Bevölkerung ist die „Kür der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit“. In diesem Sinne wird vorgeschlagen, die Zusammenarbeit auf drei Ebenen zu betrachten. Erste Ebene ist die Beziehungsebene, sie kann schnell und ohne viel Aufwand z.B. durch weitere Austauschtreffen verbessert werden. Dann gibt es die Fachebene. Hier wird eine Verbindlichkeit der Zusammenarbeit durch Umsetzung konkreter Projekte erreicht, der Zeithorizont hierbei ist mittel- bis längerfristig zu sehen. Zuletzt ist die Bewusstseinsebene zu unterstützen, indem durch Bürgerbeteiligung eine gemeinsame Sicht auf das Rheintal gefördert wird. Zudem setzen sich einige Bürgermeister dafür ein, dass moderne Planung nur mit Beteiligung der Bevölkerung erfolgen kann. In diesem Zusammenhang stellt sich in der Diskussionsrunde die Frage, ob das Bedürfnis der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit überhaupt für alle Gemeinden gegeben ist oder ob es nur die Grenzgemeinden selber betrifft. Z.B. fehle, so ein Bürgermeister einer Hanggemeinde, ein direkter Zusammenhang in Fragen der Raumentwicklung von Hanggemeinden im Vorarlberger Rheintal zu Gemeinden im St. Galler Rheintal. Wenn im lokalen Kontext aufgrund lokaler Herausforderungen in der Raumentwicklung die Zusammenarbeit konkretisiert werden kann, dann erscheint eine Einbeziehung der Hanggemeinden nicht logisch. Anders sei dies aber im Themenbereich Kultur oder Sport, so der Bürgermeister weiter. Als Gegenmeinung wird eingebracht, dass auch Hanggemeinden als Teil der gesamten Region zu betrachten sind. Sie sind z.B. stark davon abhängig, wie sich das Rheintal langfristig entwickelt. Geht es etwa dem grenzüberschreitenden Wirtschaftsstandort Rheintal gut, können die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in den Hanggemeinden wohnen, nach wie vor ihrer Arbeit im Tal nachgehen und von der gesamten Region profitieren. Aus diesem Grund wird vorgeschlagen, das Motto „41 Gemeinden – ein Lebensraum“ weiterzudenken – mit der Erkenntnis, dass es unterschiedliche Intensitäten und Bearbeitungstiefen braucht.
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Wie kann aber eine Zusammenarbeit und der gemeinsame Blick auf das Rheintal in einem ersten konkreten Schritt gefördert werden (1)? Welche Stolpersteine gilt es zu berücksichtigen? Die Tagespolitik holt die Bürgermeister und Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten schnell ein, aber durch solche Treffen und Erfahrungsaustausche, wie sie im Zuge von Vision Rheintal gemacht werden konnten, entsteht ein Lerneffekt. Man beginnt regional zu denken und die Bevölkerung nimmt es aus Erfahrung der Bürgermeister positiv auf, wenn man das tut. Deshalb braucht es eine Fortsetzung und Intensivierung des Austausches. In diesem Zusammenhang wird unter anderem vorgeschlagen, das Austauschtreffen und die weiterführende Zusammenarbeit in die Rheintalische Grenzgemeinschaft (RGG) einzubetten. Der Vorschlag wird aber nicht weiter aufgegriffen, da die Meinung der Bürgermeister und Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten in die Richtung geht, dass man sich zunächst auf den vorhandenen Raum konzentriert und durch eine Ausweitung die grenzüberschreitenden Herausforderungen nicht noch weiter verwässert (die RGG umfasst Gemeinden aus dem gesamten Alpenrheintal, zudem sind neben Gemeinden auch Wirtschaftsunternehmen, Privatpersonen oder NGOs Mitglieder). Der Teilnehmerkreis soll in dieser Form erhalten bleiben. Zur Intensivierung der Zusammenarbeit der 41 Gemeinden des nördlichen Rheintals soll in einem ersten Schritt eine bessere und intensivere Vernetzung zwischen dem Agglomerationsprogramm Rheintal und Vision Rheintal umgesetzt werden. Beide Projekte sollen eng aufeinander abgestimmt werden. Der Kantonsplaner von St. Gallen bestätigt dies im Interview (Strauss 2012, AREG). Für die dazu notwendige Verbindlichkeit werden verschiedene Ansätze diskutiert – „ein Staatsvertrag greift etwas hoch, aber in diese Richtung kann es gehen“, so ein Bürgermeister in einer ersten Reaktion. Die Fachplaner des Kantons St. Gallen und des Landes Vorarlberg erklären hingegen, dass ein Regierungsbeschluss eine ausreichende Verbindlichkeit für das gemeinsame Einreichen des Agglomerationsprogrammes beim Schweizer Bund erzeugt. Neben der Zusammenführung der beiden Raumentwicklungsprojekte oder der Erarbeitung gemeinsamer Planungsrundlagen (Bsp. Rheintalkarten), braucht es nach Meinung der Diskussionsrunde noch weitere Schritte. Denn eine Zusammenführung ist zwar ein gutes Mittel, um schnell und einfach Fortschritte zu erzielen, hilft zunächst aber nur, gemeinsame Begriffsverständnisse auszufüllen und zu formulieren. Nur durch konkrete grenzüberschreitende Planungen werden unterschiedliche Planungsphilosophien aufgedeckt. Über gemeinsame Planungen kann man voneinander lernen, so die Feststellung der Diskussionsrunde – verbunden mit dem Vorteil, dass der Lernprozess über das Einreichen des Agglomerationsprogrammes Rheintal und die Beschlussfassung der Regierungen hinausreichen kann. Als ein mögliches Pilotprojekt für eine solche grenzüberschrei-
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tende Planung kristallisiert sich im Laufe der Diskussion der Raum LustenauAu-Widnau-St. Margrethen-Höchst heraus („Mittelrheintal“). Darüber hinaus wird durch kleinere Projekte die Zusammenarbeit schneller sichtbar. Die Region Rheintal soll mit kleinen Projekten groß werden. Die Themen Verkehr (6) und Hightech-Wirtschaftsraum Rheintal (7) stehen in der Plenumsdiskussion nicht mehr im Mittelpunkt. Abschließend halten die Bürgermeister und Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten fest, dass sich diese Runde öfters als einmal im Jahr treffen muss, um die Energie aufnehmen zu können und nicht wieder jedes Mal von vorne beginnen zu müssen. „Man muss den Schwung mitnehmen“. Auf lokaler Ebene, mit konkretem Handlungsbedarf, soll man zudem „bereits morgen mit den Nachbargemeinden zusammensitzen.“ Es wird festgehalten, dass jede Gemeinde selber für diesen kommunalen Austausch verantwortlich zeichnen soll. Die Stadt Hohenems (V) und die Gemeinde Diepoldsau (SG) setzen dies bereits gemeinsam um, andere Gemeinden wollen sich dem Ansatz anschließen. Als Absichtserklärung des ersten Treffens der Bürgermeister und Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten des Rheintals wird ein regelmäßiger Austausch ausgemacht. Dieser soll sich nicht nur auf konkrete Problemlösungen beschränken. Obwohl es sich um ein erstes Treffen handelte, waren nur 23 der insgesamt 41 der Gemeindeverantwortlichen da (von den insgesamt 16 direkten Grenzgemeinden waren 12 anwesend). Das Ziel müsse sein, alle 41 an den Tisch zu bekommen, denn wenn alle Bürgermeister und Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten des Rheintals mitwirken, erhält man eine hohe Verbindlichkeit. In der Zusammenarbeit unterstützt werden die Gemeinden von Vision Rheintal und vom Verein St. Galler Rheintal; sie sollen u. a. die Details, Informationen und Planungen grenzüberschreitend abstimmen sowie Vorschläge zur künftigen Zusammenarbeit ausarbeiten. Gemeinsames Verständnis entwickeln Im Mittelpunkt des zweiten Treffens standen die Planungssysteme und Prozessverständnisse beiderseits des Rheins. Dieser Themenschwerpunkt war bereits beim letzten Treffen als Handlungsbedarf ausgelotet worden. Das Programm gliederte sich in einen gemeinsame Vorstellungsrunde, Berichte aus den Gemeinden sowie vom Kanton St. Gallen und vom Land Vorarlberg zu aktuellen Entwicklung in der Zusammenarbeit sowie Impulsreferate zu den Verwaltungssystemen, Pleniumsdiskussion und einen Ausblick. Die Impulsreferate kamen dabei von Peter Bußjäger, damaliger Landtagsdirektor des Landes Vorarlberg und Leiter des Föderalismusinstituts, sowie von Inge Hubacher, Leiterin des
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Amtes für Gemeinden beim Kanton St. Gallen. Durch das Treffen führte wiederum eine externe Moderatorin. Im Zuge der Zusammenarbeit bei der Erarbeitung des Agglomerationsprogrammes Rheintal haben sich unterschiedliche Entscheidungskulturen und Planungsverständnisse bestätigt. In Vorarlberg gibt es z.B. auf Landesebene den Landesraumplan und die Landesraumplanung kann nur die Rahmenbedingungen mitgeben. Die Planungsautonomie liegt allerdings bei den Gemeinden. Trotzdem wird die regionale Ebene in Vorarlberg zunehmend bedeutender, auch aus Sicht der Gemeinden. Regionen sind dabei keine administrative Einheit, sondern entstehen im Zuge gemeinsamer Raumentwicklungsprozesse. In Anknüpfung an das Treffen im März 2011 wird nochmals betont, dass als erste Planungstiefe für die grenzüberschreitende Raumentwicklung im Rheintal die 7+9 Grenzgemeinden dienen sollen. Dies erscheint als geeignete Handlungsebene für konkrete Maßnahmen. Die Inhalte der Impulsvorträge wurden im Rahmen des Austauschtreffens nicht vertiefend diskutiert, vielmehr stand die Frage im Raum, wie dieses Gremium künftig für alle Gemeinden interessant werden könnte. Welche Themen brauchen welche Konstellationen von Gemeinden? Wie kann der gegenseitige Informationsaustausch intensiviert werden? Wie bereits beim ersten Austauschtreffen ergab sich auch diesmal der Vorschlag, den Austauschanlass mit der Rheintalischen Grenzgemeinschaft zu verbinden. Abermals wurde der Vorschlag nicht befürwortet. Für eine Weiterführung des Austauschanlasses wäre es wichtig, die Anzahl der Anlässe auf einmal pro Jahr zu reduzieren und somit die Kräfte zu konzentrieren. Dafür sollen bei den Treffen konkrete Themen angesprochen werden, eventuell sogar nur ein konkretes Thema pro Veranstaltung. „Es muss das Gefühl entstehen, dass man dabei sein muss, weil man sonst etwas verpasst!“ (Bürgermeister aus dem Vorarlberger Rheintal) Im großen Gremium mit den 41 Gemeinden sollen strategische Themen besprochen werden, die für alle von Interesse sind. Das Gremium der 41 Gemeinden soll in diesem Zusammenhang nicht nur Impulsgeber sein, sondern auch gemeinsam Planungen und Projektvorhaben diskutieren. Ziel ist es z.B. örtliche Themen auf eine regionale Ebene zu heben. Oder, wie das Land Vorarlberg vorschlägt, künftig auch andere Themen wie z.B. Flächensicherung für Hochwasserschutzmaßnahmen im Rahmen des Agglomerationsprogrammes zu behandeln. Das bietet den Vorteil, dass ein gesamthafter Blick entsteht. Die Umsetzung von grenzüberschreitenden Projekten kann dann in kleineren Gruppen mit projektspezifischer Teilnehmerzusammensetzung bearbeitet werden. Dazu braucht es nicht alle 41 Gemeinden des Rheintals an einem Tisch. Hierbei sind die unterschiedlichen Planungstiefen – mit den Grenzgemeinden, den Talgemeinden und den Hanggemeinden – künftig stärker zu berücksichtigen. Eine erste Umsetzung erfolgt in diesem Zusammen-
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hang bereits mit der grenzüberschreitenden regionalen Planung im Mittelrheintal (Höchst, Lustenau, St. Margrethen, Au und Widnau). Guter Austausch braucht auch Platz für Informelles. Der Austauschanlass bietet eine geeignete Plattform dafür. Diese Eigenschaft soll erhalten bleiben. Um den Termin zu festigen, sollte sich dieser an einem fixen Tag im Jahr orientieren. Die Gemeinden werden weiterhin von Vision Rheintal und dem Verein St. Galler Rheintal in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit unterstützt, tragen aber selber Verantwortung für diese sowie für die Umsetzung von grenzübergreifenden Projekten. Ein Abschieben der Verantwortlichkeit auf die regionale Ebene soll dadurch verhindert werden. Das Agglomerationsprogramm Rheintal soll gemeinsam weiterentwickelt werden. In den nächsten Jahren werden im Rahmen dieses Prozesses konkrete Themen auf das Land, den Kanton und die Gemeinden zukommen. Wie eine längerfristige Verbindlichkeit des Agglomerationsprogrammes Rheintal erreicht werden kann, ist zu klären. Der Bericht auf Papier alleine erzeugt zu wenig Wirkung. Insgesamt nahmen 19 Bürgermeister und Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten der 41 Rheintalgemeinden teil, wobei 10 von diesen 19 aus Grenzgemeinden kamen (von den insgesamt 16 direkten Grenzgemeinden waren zehn anwesend). Weitere Teilnehmer des Treffens waren der Projektleiter von Vision Rheintal, der Geschäftsführer des VSGR sowie Vertreter des Landes Vorarlberg und des Kantons St. Gallen. Reflexion der zwei Austauschtreffen • Das gegenseitige Kennenlernen wurde als eine wichtige Funktion dieser Aus-
tauschtreffen gesehen: „Zu Beginn war jeweils eine Seite des Rheintals ein weißer Fleck, das hat sich mittlerweile geändert“ (Zitat eines Bürgermeisters). • Dem Protokoll der Veranstaltung wird neben einer Photodokumentation zusätzlich eine Liste mit den Adressen und Kontaktdaten aller 41 Gemeinden beigelegt. Die Gemeinden können diese Liste für eine Intensivierung des Austausches verwenden. • Wichtig für die Weiterentwicklung des Austauschtreffens ist, dass sowohl der Verein St. Galler Rheintal als auch Vision Rheintal nicht die Position eines „Kümmerers“ einnehmen, sondern dass die Gemeinden in ihrer Eigenverantwortlichkeit für die Region eingebunden werden. Eine Möglichkeit besteht darin, im Vorfeld der nächsten Veranstaltung das Gespräch mit den Gemeinden zu suchen und gemeinsam die relevanten Themenbereiche abzustecken. • Zusammengefasst kann das Motto als „regional und grenzüberschreitend denken – lokal handeln“ umschrieben werden. Mit den 41 Gemeinden scheint das
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Rheintal gegenwärtig zu groß um einen gemeinsamen Handlungsraum zu bilden. Im Zuge der Diskussionen hat sich keine gemeinsame Herausforderung oder Projektidee herauskristallisiert, welche genug Identifikationskraft ausstrahlt, um das Motto „41 Gemeinden – ein Lebensraum“ wirksam werden zu lassen.
6. Bottom-Up-Raumbilder der Rheintalerinnen und Rheintaler
ANKOMMEN „Wenn heute vom Rheintal die Rede ist, hat man vor allem die verstädterte Talebene als einen übernutzten Verdichtungsraum vor Augen. Was sich einmal als naturnahe Kulturlandschaft von authentischer Eigenart präsentiert hat, ist heute großteils von einem Allerweltsvielerlei der Flächennutzungen und einem Durcheinander in der Siedlungs- und Baugestaltung überwuchert“ (Tiefenthaler 2006, S. 4). Kurzer Rückblick zur Zwischenstadtforschung. Der Raumtyp Zwischenstadt wird mittlerweile rege erforscht. In der Diskussion steht jedoch ein Blick „von oben“ im Vordergrund. Mit diesem wird festgelegt und ausgehandelt, wie eine Zwischenstadt zu verstehen und damit planerisch zu entwickeln ist – verbunden auch mit der Suche nach identifikatorischen, einprägsamen Elementen, welche die Eigenständigkeit der Zwischenstadt untermauern können (vgl. Schöffel et al. 2010, S. 53). „Dort greifen dann planerische Ansätze an oder werden bauliche Elemente oder Highlights gesetzt, um Eigenart zu erzeugen oder spezifische räumliche Potenziale zu stärken. Der Frage, wie die Bewohner einer Agglomeration ihre Heimat konturieren würden, welche Plätze, physisch-materielle Artefakte, Objekte oder soziale Zusammenhänge für sie die orientierenden und konturbildenden sind, wurde bisher kaum nachgegangen“ (Schöffel et al. 2010, S. 53f). Im Zuge der Forschungsarbeit wurde die Zwischenstadt Rheintal bzw. die Grenzregion Rheintal bereits anhand von Strukturdaten, Statistiken sowie von Raumkonzepten und Leitbildern ausgewählter Raumentwicklungsprojekte analysiert. Immer mit einem Blick von oben, mit gewisser Entfernung. Wie aber wird die Zwischenstadt Rheintal von unten betrachtet? Wie wird diese Region abseits der harten Daten und Fakten von den Bewohnerinnen und Bewohnern wahrgenommen? Was sind die Besonderheiten und Merkmale? Welche Unterschiede
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zeigen sich aufgrund der Grenze? Eine ausführliche, vertiefende Untersuchung der Wahrnehmungsbilder zur grenzüberschreitenden Zwischenstadt Rheintal wurde bislang noch nicht durchgeführt. Aber gerade vor dem Hintergrund des regionalen Kontexts könnten die objektiv-deskriptiven Top-Down-Raumbilder dadurch differenzierter gelesen werden. Im Zentrum dieses Ergebniskapitels zu den Bottom-Up-Raumbildern steht folglich die individuelle Handlungs- und Wahrnehmungsebene der Bewohnerinnen und Bewohner, welchen sich mit drei Zugängen angenähert wird: Einmal anhand der Abgrenzung der Region, der Merkmale und Besonderheiten, mit denen das Untersuchungsgebiet beschrieben wird, und, als dritter Zugang, welche Bedeutungen diesen Merkmalen und Besonderheiten zugewiesen werden. Die phänotypische und übergeordnete Beschreibung der Politik und Fachplanung mittels Top-Down-Raumbildern (Raumkonzepte, Leitbilder etc.) wird dabei zunächst zur Seite gelegt. Zu berücksichtigen ist zudem, dass das wahrgenommene Raumbild der befragten Rheintalerinnen und Rheintaler dynamisch und ständig im Wandel ist. Mit der Auseinandersetzung mit den Bottom-Up-Raumbildern im Rheintal werden zwei grundlegende Ziele verfolgt. Zum einen soll die Wahrnehmung des Rheintals erstmals in einem grenzüberschreitenden Kontext und mit Blick auf verschiedene Generationenperspektiven erfasst werden. Zum anderen geht es darum, die Zwischenstadt anhand der gewonnenen Erkenntnisse inhaltlich und als eigenständigen Raumtyp weiterzuentwickeln. Wie bereits beschrieben hat das Ladenburger Kolleg neue Begriffselemente zur Unterstützung der Zwischenstadt in die Diskussion eingebracht, mit denen wesentliche und eigenständige Merkmale der Gestalt der Zwischenstadt beschrieben werden können (vgl. Schöffel et al. 2010, S. 61). Dies ist zunächst aber als eine phänotypische Beschreibung zu verstehen. Mit den im Zuge der Forschung qualitativ erhobenen Merkmalen und Besonderheiten der grenzübergreifenden Zwischenstadt Rheintal „kann eine Einordnung dieser Kennzeichen versucht werden, entsprechend ihrem über den Phänotyp hinausgehenden Bedeutungsgehalt. […] Über den Einbezug von Bedeutungszuweisungen von BewohnerInnen können sie auch im lebensweltlichen Kontext verständlich werden: Beispielsweise als Orte, wo beim Einkauf soziale Netze lebendig werden, oder, wenn ihre Bedeutung mehr im Symbolischen liegt, als Identifikationspunkte“ (Schöffel et al. 2010, S. 61). Mit dem Ansatz der Bedeutungszuweisungen können des Weiteren Abhängigkeiten, Einstellungen und Verbindungen zu und zwischen den einzelnen Aussagen beleuchtet werden. Insgesamt kann damit ein Beitrag geleistet werden – neben den eindimensionalen, klassischen und vielleicht auch zu erwartenden Merkmalen – das Rheintal in seiner Mehrdimensionalität und in seiner Dynamik zu verstehen.
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Um den Bottom-Up-Raumbildern des Rheintals eine Vergleichsebene geben zu können, werden die Ergebnisse den S5-Stadt-Raumbildern gegenübergestellt. Dies ist einerseits möglich, weil beide Forschungsprojekte auf denselben konzeptionellen (Stichprobe, Methodenauswahl etc.) und theoretischen Überlegungen (Raumtriade) basieren. Andererseits befinden sich beide Untersuchungsgebiete in einem vergleichbaren zwischenstädtischen Siedlungsgefüge. Ziel dieses Vergleichs ist die Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung von Zwischenstädten weiterzuentwickeln (vgl. hierzu auch Schöffel et al. 2011). Abbildung 26: Auswertungsschritte für die Erarbeitung der Bottom-Up-Raumbilder
Quelle: eigene Darstellung 2013
D AS R AUMBILD R HEINTAL IN DEN K ÖPFEN IHRER B EWOHNERINNEN UND B EWOHNER Die nachstehenden Ausführungen greifen bewusst auch auf Zitate der Interviewpartnerinnen und -partner zurück. Dadurch sollen die subjektiven Wahrnehmungen und Bedeutungszuweisungen verdeutlicht werden und eine gewisse
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Lebendigkeit erfahren. Jedes Auswertungskapitel wird mit einem Fazit abgeschlossen, in welchem die wesentlichen Aussagen zusammengefasst werden. Abbildung 27: Überblick Spontanassoziation mit dem Rheintal
Quelle: eigene Darstellung 2013, n = 329
Häufigste Antwort ist der Rhein. Ein weiterer Begriff, der bei allen Altersgruppen häufig genannt worden ist, ist die „schöne Landschaft“. Diese generationenübergreifende Betonung der Schönheit spiegelt die allgemeine Zufriedenheit mit der physischen Umwelt. Bei der jüngeren Generation war das Schlagwort „Grenzgebiet“ präsenter und die Generation der 31–50-Jährigen sieht das Rheintal ganz stark als (urbanen) Industrie- und Wirtschaftsstandort. Abgrenzung des Rheintals Die nächste Frage bezüglich des Bottom-Up-Raumbildes bezieht sich auf die Abgrenzung der Region Rheintal: Wie würdest du die Region abgrenzen? Wo fängt sie für dich an und wo sie auf? Was gehört für dich alles zur Region dazu? Um diesen Fragen eine inhaltliche Bedeutung zu geben, ging es darüber hinaus um eine Verortung der besonderen und die alltäglichen Orte im Rheintal. Bei der Befragung wurde betont, dass es explizit um eine subjektive, persönliche Wahrnehmung der Region geht. Im Mittelpunkt stand der Ansatz, wie die Rheintalerinnen und Rheintaler ihre Region gebrauchen und erleben. Es ging also nicht
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darum, Wissen abzufragen, im Sinne von „Kennen Sie alle Gemeinden des Alpenrheintals?“ Vordergründige Abgrenzungen aufgrund von offiziellen Administrativräumen, geographischen oder naturlandschaftlichen Abgrenzungen sollten dadurch ausgeblendet werden. Abbildung 28: Die Abgrenzung „meiner“ Region unterschieden nach Altersgruppen
Quelle: eigene Darstellung 2013, n = 329
In der Reihenfolge von links oben nach rechts unten: Vorarlberger und St. Galler Rheintaler 31–50-Jährige, dann bis 18–30-Jährige und über 50-Jährige. Die
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Antworten wurden in eine leere Karte eingezeichnet und einer Auswertung mit GIS übereinandergelegt. Die dargestellten Städte wurden im Nachhinein eingezeichnet und dienen der besseren Lesbarkeit der Karte. Was zeigen diese mentalen Landkarten? Was sind die wesentlichen Erkenntnisse? Je nach Wohnort und Alter der Befragten divergiert die Abgrenzung der Region. Es gibt kein einheitliches Bild. Die jüngere Generation bezieht sich stärker auf die eigene Region (mit Ausnahme der Liechtensteiner). Das Alpenrheintal als Ganzes gewinnt erst bei der älteren Generation an Bedeutung. Bei den St. Galler Rheintalern fällt auf, dass die Stadt St. Gallen ein wichtiger Bezugspunkt ist. Eine mentale Landkarte kann aber nie für sich alleine interpretiert werden. Deshalb war sie im Zuge der vertiefenden Interviews auch mehr ein Hilfsmittel zur Visualisierung. Um die Aussagekraft der Karten erhöhen zu können, wurde nach dem Inhalt und der Bedeutung der Antworten gefragt. Drei, für die jeweiligen Teilregionen exemplarische Fallbeispiele sollen dies verdeutlichen. Frau Reutlinger (49) aus Chur grenzt ihr Rheintal bei Buchs ab. Alles nördlich von Buchs hat eine geringere Bedeutung für sie. Aufgrund von privaten Kontakten nach Lindau kommen sie „zwangsläufig an Bregenz vorbei“. Sie persönlich kennt aber viele Churer, die noch nie in Bregenz waren. Einige wenige besuchen ihrer Meinung nach die Festspiele. „Der Churer ist aber in Richtung Zürich orientiert.“ Anders die Wahrnehmung von Herrn Hilti, 25 Jahre aus Schaan, Liechtenstein. Er sieht für sich klar die Ostschweiz, Vorarlberg und Liechtenstein als Teil des Rheintals. „Vielleicht noch der süddeutsche Raum etwas dazu.“ Seine besonderen und alltäglichen Orte verteilen sich über das ganze Rheintal. Angefangen von speziellen Jugenderlebnissen in Bregenz oder Rankweil, bis hin zum Arbeitsplatz in Schaan. Für ihn zeichnet diese Region aus, dass man überall verstanden wird. Gemeint ist hierbei eine inhaltliche Ebene. „Es ist ein gewisses gemeinsames Vorwissen vorhanden. Man fragt mich etwas und ich erkläre etwas und weiß, ich muss nicht großartig ausholen.“ Mit Blick auf die Wahrnehmung der Vorarlberger Rheintaler ergibt sich eine relativ deutliche Abgrenzung bzw. ein starker Bezug auf die österreichische Seite des Tals. „Es ist ein Tal, das links und rechts von Bergen begrenzt wird und in der Mitte ist der Fluss. Und auf jeder Seite zwei Länder oder drei Länder. […] Im Prinzip wäre das Rheintal den ganzen Rhein entlang, auch noch weiter hinauf. Für uns ist das Rheintal meistens von Bregenz, rechts und links durch die Berge begrenzt, und würde für mich fast schon in Feldkirch aufhören. Das, was ich als Rheintal verstehe“, erzählt Frau Lampert (36) aus Altach. In diesem Ausschnitt sieht sie ihren Lebensmittelpunkt und verortet ihre besonderen und alltäglichen Orte. Obwohl dieser Blick auf die Region nur eine Momentaufnahme darstellen kann, sieht man eines sehr eindrücklich und das ist auch Kern der Erkenntnis. Man sieht, dass die Abgrenzung
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sehr dynamisch ist. Das Alpenrheintal ist in der Wahrnehmung der Bewohnerinnen und Bewohner keineswegs eine klar abgrenzbare Region. Merkmale und Besonderheiten des Raumbildes Was sind die Besonderheiten und die Merkmale des Rheintals aus der Sicht der Bewohnerinnen und Bewohner, abseits vom politischen und planerischen Sprachgebrauch. Die Frage nach den Besonderheiten wurde als offene Frage gestellt. Es ging darum, ein Gefühl dafür zu bekommen was in der Wahrnehmung der Rheintalerinnen und Rheintaler die wirklich wichtigen Inhalte sind und nicht darum, dass sie Besonderheiten und Merkmale anhand von vorgegebenen Kategorien bewerten. Die Qualität des Angebots und die Angebotsvielfalt als eine zentrale Eigenschaft Ein wichtiger Themenbereich, der in den Interviews angesprochen worden ist, ist die Vielfalt und die Qualität des Angebots im Rheintal. „Mittlerweile haben wir auch ein kulturelles Angebot, sei es auf unserer Seite oder aber vor allem auch zum Beispiel über das Konzertabo in Lustenau. Jetzt hat auch bald jeder Ort ein kleines Theater oder eine Kellerbühne. Für die Größe der Region hat es hochstehende Konzerte, in Hohenems natürlich auch und in Feldkirch sowieso“, erklärt Frau Busch (68) aus Marbach ihre grenzüberschreitende Sicht auf das Angebot im Rheintal. Nicht gänzlich unbelastet, aber dennoch positiv erwähnt auch Herr Brecht (44) aus Wartau die Qualität des Angebots im Rheintal: „Mir hat es schon zu viele Leute hier. […] Der Vorteil, wenn es viele Leute hat, ist das große Kulturangebot. Liechtenstein hat viel Geld, dort haben sie das Musical „Cats“ gespielt. Das läuft in London und in Vaduz.“ Frau Hofer, 29 Jahre aus Lustenau, betont das Angebot im Bereich Einkaufen in der Region Rheintal. Sie erwähnt diesbezüglich das Einkaufszentrum Messepark, in dem sie alles bekommt, was sie braucht. Auch die Wahrnehmung von Herrn Tobler (40), der mit seiner Familie in Berneck lebt, zeigt in dieselbe Richtung. Bevor er für die Ausbildung weggezogen ist, hat er bereits seine Jugendzeit im Rheintal verbracht und ist vor kurzem wieder ins Rheintal zurückgekehrt. Er kennt und schätzt das Angebot in den anderen Städten, die er kennengelernt hat, zugleich meint er: „Wir sind noch nicht so lange wieder zurück und entdecken die Region neu aus der Sicht von einer jungen Familie. Diese Region bietet natürlich extrem viel.“ Seine positive Wahrnehmung begründet er vor allem mit seiner gegenwärtigen Lebensphase. Das Angebot im Rheintal ist für ihn als Vater einer Jungfamilie stimmig.
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In einem ersten Zwischenfazit kann zusammenfassend festgehalten werden, dass das wahrgenommene Angebot in der Grenzregion Rheintal mit dem in einer großen Stadt verglichen werden kann: „Bei uns ist es kulturell, was etwa eine Stadt bieten könnte, vielleicht nicht so groß und so füllig, aber vom Niveau her […] was in Vorarlberg, in Feldkirch oder in Dornbirn oder in Liechtenstein, in Vaduz zum Teil oder in St. Gallen los ist an kulturellem Angebot, ist beachtlich. Das ist vom Niveau her vergleichbar mit Großstädten. Nie so voll, aber in einzelnen Raten […] oder das Festspielhaus, was dort für Zeug geboten wird, ist eigentlich unglaublich, für so ein kleines Einzugsgebiet“ (Herr Hilti aus Schaan, 25 Jahre). Bei allen Beispielen ist darüber hinaus eine polyzentrische Sichtweise auf die Region erkennbar, zumindest wird die Verteilung des Angebots auf das gesamte Rheintal nicht als negativ empfunden. Dieser Blick auf die Qualitäten und die Vielfalt des Angebots umfasst immer das gesamte Rheintal und differenziert zunächst nicht nach den Teilregionen. Welche Wirkung Angebotsunterschiede erzeugen, ist anhand der Freizeitorientierung im Kapitel Grenzregion ausführlich diskutiert worden. Ein Beispiel von Frau Schneider (48) soll diesen Gesichtspunkt an dieser Stelle nochmals verdeutlichen: „Meine Kinder sind im Cineplexx [Anmerkung: Kino in Hohenems, Vorarlberg]. Das hat nichts mit einer Grenze zu tun, sondern mit dem Angebot. Für etwas Ähnliches müssten wir nach St. Gallen gehen, das hat es hier einfach nicht.“ Deutlich wird dies, wenn man die Antworten nach regionaler Herkunft der Personen analysiert. Bei den befragten Bewohnerinnen und Bewohnern aus dem Schweizer Rheintal bezieht sich nur jede fünfzehnte Nennung auf den Themenbereich Angebotsvielfalt bzw. Qualität. Aus Sicht des Vorarlberger Rheintals ist es jede fünfte Nennung. Merkmale, die den Themenbereich Angebot umfassen, werden gesamt gesehen am zweithäufigsten genannt. Ungefähr jede elfte Nennung nimmt Bezug auf die Qualitäten und Vielfalt der Angebote innerhalb des Alpenrheintals. Nach Altersgruppen betrachtet werden das Angebot und die Vielfalt in der Region von den 31–50-Jährigen am häufigsten genannt. Ein in der Ausprägung zunächst vergleichbares Muster kann ebenso in der S5-Stadt festgestellt werden: „Nach Lebensphasen betrachtet werden diese, den Qualitäten und der Vielfalt der Angebote zuzuordnenden Merkmale besonders von jener Generation betont, die typischerweise dem Verhaltensmuster von Jungfamilien zugeordnet werden können“ (vgl. Schöffel et al. 2010, S. 59). Dies ist gemäß Literatur aber v.a. mit dem suburbanen Lebensmodell und den damit verbundenen Qualitätsvorstellungen von „Wohnen in Suburbia“ zu begründen. Dieser Aspekt wird von Menzl genauer beschrieben, indem er die Zusammenhänge eines Umzugs einer jungen Familie in ein Eigenheim an den Rand einer Großstadt beschreibt (vgl. 2007). Da das
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Rheintal keine Suburbia einer Großstadt darstellt, kann hierbei aber kein direkter Vergleich gezogen werden. Hinzu kommt, dass das Merkmal Angebot ebenso von den Jugendlichen im Rheintal besonders geschätzt wird, was bei den Jugendlichen in der S5-Stadt nicht gleichermaßen der Fall ist. Des Weiteren kann im Rheintal anhand der Befragungen zwischen einer Innen- und einer Außensicht unterschieden werden. Bei der Merkmalskategorie Angebot wird sichtbar, dass das Angebot im Alpenrheintal in der Außensicht stärker wahrgenommen wird als in der Innensicht. Eine mögliche Begründung liegt darin, dass für die dazu befragten Walgauer und Montafoner „[…] die Gegend rund um die Autobahnabfahrten Rankweil und Feldkirch die Ladentische des Montafons geworden sind“ (Strele u. Breuer 2010, S. 8). Unterschiedlicher Grad von Erreichbarkeit und Nähe prägen die Mobilität der Bewohnerinnen und Bewohner Die Nennungen bezüglich des Merkmalsbereichs Erreichbarkeit beziehen sich hauptsächlich auf den hohen Grad der Mobilität und die Möglichkeit, schnell zwischen verschiedenen Angeboten auswählen zu können. Hinzu kommt die Wahrnehmung, dass Naherholungsgebiete in der Region einfach zu erreichen sind. Diesbezüglich sind also Erreichbarkeit und Angebot eng miteinander verbunden. Allerdings spielt nicht nur die Erreichbarkeit innerhalb der Region, sondern auch jene zu anderen Regionen und Städten eine große Rolle bei den befragten Bewohnerinnen und Bewohnern des Rheintals. Insgesamt bestehen keine markanten Unterschiede zwischen den Altersgruppen. Da die meisten Befragten über 18 Jahre alt sind, können anhand dieser Erhebung zunächst keine Rückschlüsse auf Alpenrheintalerinnen und Alpenrheintaler „ohne Führerschein“ gemacht werden. Diesbezüglich hilft jedoch ein Blick auf die Ergebnisse der Befragung der Jugendlichen weiter. Des Weiteren wurde bei der Auswertung der Merkmalskategorie Erreichbarkeit festgestellt, dass diese nicht nur als Stärke, sondern teilweise ebenso als Schwäche wahrgenommen wird. Diese Unterschiede werden mit den nachfolgenden Aussagen aufgezeigt. Eine letzte Sonderform ist die Erreichbarkeit aufgrund der Grenznähe, welche als eigener Punkt herausgearbeitet wird. Erreichbarkeit und Nähe als Stärke der Region: Für Frau Lampert (36) aus Altach zeigt sich die Erreichbarkeit in der Region als Stärke: „Die Talschaft, hier und drüben vom Rheintal wohnen drei Nationen, die nur durch den Rhein getrennt sind und trotzdem im gleichen Tal wohnen. Das ist eigentlich etwas Besonderes, normalerweise wohnen in einem Tal einfach Montafoner und nicht mehrere Nationen zusammen. […] Mein Wohnort ist ziemlich zentral gelegen,
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das ist für die Erreichbarkeit sehr von Vorteil, für mich jetzt. Es ist sicher eine Qualität, alles in der Nähe zu haben. Wenn ich zum Beispiel in Übersaxen wohnen würde und jeden Tag ins Tal um einzukaufen, wegen Brot oder Milch, dann wäre es für mich sehr umständlich, weil ich auf einen Bus oder auf ein Auto angewiesen wäre.“ Frau Lampert findet in ihrer Umgebung das ganze Angebot, das sie braucht, und ist auch schnell in der Natur: „Ich bin in fünf oder zehn Minuten draußen, mit dem Fahrrad, zu Fuß, zum Laufen. Es ist einfach zu jeder Jahreszeit schön. Man ist im Prinzip in ein paar Minuten vom Dorf weg und ein wenig wie in der Wildnis. Man ist nahe bei den Bergen, man kann jederzeit in die Höhe und etwas unternehmen und trotzdem ist das Tal weit und nicht so eingeengt, wie zum Beispiel im Ötztal, wo rundherum nur noch Berge sind.“ Des Weiteren empfindet sie Anbindung und Erreichbarkeit zu größeren Städten als einfach: „Es ist eigentlich alles hier, wenn man zum Beispiel mal nach Wien oder nach Innsbruck müsste, um in möglichst kurzer Zeit einen Zug zu erreichen oder auf der Autobahn zu sein. Das ist fein.“ Untermauert wird dieser erste Befund von Herrn Klien, 61 Jahre ebenfalls aus Altach, der meint: „Man ist schnell in den Bergen, nach einer halben Stunde Fahren. Es sind wirkliche Berge, nicht nur Hügel und Ebene nebeneinander. Ich kann theoretisch am Morgen Skifahren gehen und am Nachmittag Radfahren. Ohne, dass ich groß etwas tun muss. Andere in Deutschland, im Alpenvorland können das nicht. Man hat alles, was man braucht im Rheintal. Schwimmen in den vielen kleinen Seen und Bregenz mit dem Bodensee ist auch keine Weltreise.“ Oder, wie Herr Ritter (67) aus Lustenau erzählt, ist es vom Bodensee bis zum Piz Buin nur eine kurze Distanz und es gibt für ihn so viel Vielfalt, die man dazwischen erleben kann: Bodensee, Rheintal, Almen und Hochgebirge. Wenn Erreichbarkeit in der Region Rheintal als Stärke verstanden werden kann, dann also auch deshalb, weil sich auf kleinem Gebiet eine große Vielfalt an Möglichkeiten auftut. „Das findet man sonst in anderen Gebieten viel weniger. Da muss man viel weitere Distanzen fahren“, merkt Herr Brecht (44) aus Wartau im Werdenberg an. Dass nicht nur die Erreichbarkeit innerhalb der Region geschätzt wird, sondern auch die Anbindungen nach außen, kann anhand nachstehender Aussage von Herrn Amann (61) aus Altach verdeutlicht werden: „Die Mobilität ist sehr gut. Es gibt ausgezeichnete Verbindungen. Verbindungen zu den nächsten Flughäfen wie Altenrhein, Memmingen oder Friedrichshafen. Im weiteren Sinne Zürich und München.“ Auch im St. Galler Rheintal wird die Erreichbarkeit nach außen als positiv eingeschätzt, wie das Beispiel von Frau Schneider (48) aus Diepoldsau zeigt: „Es gibt heute viele Zuzügler, weil Diepoldsau gegenüber den anderen Rheintaler Gemeinden eine super Lage hat. Einerseits ist es schön an der
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Natur gelegen, andererseits nahe am Autobahnanschluss. Man kann in Diepoldsau wohnen und in St. Gallen arbeiten.“ Eine vergleichbare Wahrnehmung von der Erreichbarkeit in der Region zeigt sich im Bündner Rheintal, wie jedoch bereits anhand der Freizeitorientierung aufgezeigt, mit einer etwas anderen räumlichen Ausrichtung. Frau Reutlinger (49) aus Chur meint dazu: „Wir haben so eine tolle Lage: Wir sind in einer Stunde in Zürich und in eineinhalb Stunden im Tessin unten. Dann hat man ein südliches Ambiente. Man kann die Alpen in einer Stunde überqueren und hat ein völlig anderes Klima. Das ist das Geniale.“ Dieser Wahrnehmung kann auch Frau Horn, 41 Jahre alt aus Zizers im Bündner Rheintal zustimmen. Für sie macht die Erreichbarkeit im Rheintal aus, z.B. schnell im Tessin zu sein. Aber auch innerhalb des Rheintals ergeben sich Vorteile. Man ist schnell in den Bergen und man hat trotzdem „Luft zum Atmen“, weil die Berge noch weit genug weg sind. Wie empfinden die Jugendlichen die Erreichbarkeit in der Region? Einziger Wehrmutstropfen für die Jugendlichen auf beiden Seiten ist, dass sie gerne in der Region mobiler wären als im Moment möglich. Für sie ist das Mobilitätsangebot zu wenig städtisch. Erreichbarkeit als Schwäche – erhöhtes Verkehrsaufkommen: Erreichbarkeit wird nicht nur als Stärke, sondern ebenso als Schwäche empfunden, da es mit einem höheren Verkehrsaufkommen verbunden wird. Wenn die Menschen zum Beispiel morgens um halb acht mit ihrem Auto zum Flughafen in Altenrhein fahren, damit sie um „zehn Uhr Kaffee trinken in Wien und dann schnell wieder zurück“ (Herr Bauer, 65 Jahre aus St. Margrethen), dann finden das nicht alle Anrainer gut. Denn die vermeintliche Erreichbarkeit verursacht neben dem erhöhten Verkehrsaufkommen auch (Flug-)Lärm. Andere Probleme bezüglich der Erreichbarkeit in der Region werden in den schlechten ÖV-Verbindungen zwischen den einzelnen Teilregionen gesehen, was die Bewohnerinnen und Bewohner dazu veranlasst, doch mit dem Auto zu fahren. Auf Schweizer Seite des Rheintals sind die Anbindungen z.B. vom St. Galler Rheintal in die Stadt St. Gallen oder von Chur nach Zürich wesentlich besser als die Querverbindungen innerhalb der Region. Diese Städte außerhalb des Rheintals werden dadurch auch attraktiver für die Bewohnerinnen und Bewohner. „Mit dem Zug bin ich in einer Stunde in Zürich und habe kein Parkplatzproblem […] dann ziehe ich Zürich vor“, erläutert Frau Reutlinger (49) aus Chur und ergänzt, dass sie sich ebenso wenig Gedanken machen muss, wie sie um sechs Uhr abends von Zürich wieder nach Hause kommt. Ein weiterer Aspekt hinsichtlich einer schlechten Erreichbarkeit im Rheintal ist, dass die Betrie-
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be, Baumärkte, Einkaufszentren oder Diskotheken „außerhalb im nirgendwo“ angesiedelt sind, wie Herr Walde (52) aus Altstätten feststellt. Erreichbarkeit und Nähe aufgrund der Grenzlage: In Vorarlberg wird die Nähe zur Grenze durchwegs positiv empfunden. Eine Auswirkung auf die grenzüberschreitende Freizeitorientierung kann jedoch nicht belegt werden. Es geht vielmehr um das Prinzip der Möglichkeit. Frau Hofer, 29 Jahre aus Lustenau, stellt fest, dass sie es cool findet, „dass wir so nahe bei der Schweiz sind, dass man schnell über die Grenze kommt. […] Man ist sofort in der Schweiz, sofort in Deutschland draußen. Man ist eigentlich überall ziemlich schnell. Das gefällt mir ziemlich gut.“ Ebenso positiv sieht Frau Müller (60) aus Mäder die Grenznähe: „Die Möglichkeit, gleich über die Grenze zu kommen, bietet viele Chancen; beruflich und menschlich.“ Bezüglich der Erreichbarkeit und Nähe zur Grenze scheint jedoch v.a. die Gebrauchssicht bzw. der funktionale Vorteil wahrgenommen zu werden. Aus dieser Sicht betrachtet bietet die Grenzlage für die Vorarlberger Rheintaler „kurze Arbeitswege, was in anderen Gegenden in der Form nicht der Fall ist“. Man ist schnell über der Grenze und kann somit das St. Galler Rheintal als Arbeitsregion nutzen, so die Beschreibung von Herrn Kopf aus Fußach, 48 Jahre alt. Diese kurzen Wege, werden auch durch die für den Personenverkehr offene Grenze ermöglicht, „man kann überall hin ohne Probleme und Umwege fahren“ stellt Herr Klien aus Altach (61) fest. Welche Wahrnehmung haben aber die Schweizer Rheintaler? „Wir sind nie mit einem abgegrenzten Nachbarn Liechtenstein [oder Vorarlberg] aufgewachsen. Es ist eine Nähe, dass es schon fast lächerlich ist, wenn man sich bewusst wird, dass es ein anderes Land ist. Das ist eigentlich sehr sympathisch. Die Durchlässigkeit der Grenze war nie ein Problem. Wir haben gar nicht gemerkt, dass wir jetzt eigentlich eine internationale Grenze überschreiten“, bestätigt Herr Heinzle aus Oberschan. Und welchen Stellenwert hat die Erreichbarkeit in der S5-Stadt? Eng verbunden mit dem Angebot, welches für die S5-Stadt charakteristisch ist, ist die Wahrnehmung von Erreichbarkeit dieselbe wie im Rheintal. „Man ist im Winter schnell beim Flumserberg zum Skifahren“ (Frau Spirig, 28, aus Wolfshausen) oder „Dass man so schnell in der Stadt und trotzdem so schnell draußen in der Natur ist, ist die Besonderheit der S5-Stadt“ (Frau Hunziker, 24, aus Hombrechtikon). Dass alles schnell erreichbar ist sind nur zwei ausgewählte Wahrnehmungen, welche diese Vergleichbarkeit belegen.
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Verschiedene Erlebnisqualitäten erhöhen das Identifikationspotential der grenzübergreifenden Zwischenstadt Was sich ebenfalls als bedeutend herauskristallisiert hat, waren Themen wie Freizeitorte mit besonderem Wert, Aussichtspunkte oder architektonische Besonderheiten. Diese Themenbereiche können unter Erlebnisqualitäten und Identifikationspotential zusammengefasst werden. Hierbei geht es vor allem um die Mischung aus den Eigenschaften der gebauten, physischen Umwelt im Zusammenspiel mit einem sozialen Austausch, der die Basis für die Erlebnisqualität und somit ein entsprechendes Identifikationspotential schafft. Über dieses können sich die Bewohnerinnen und Bewohner ein Gebiet aneignen (vgl. Schöffel et al. 2010, S. 60). In anderen Worten können diese Merkmale nicht isoliert voneinander und von den anderen betrachtet werden. Sie stehen in Wechselwirkung mit Merkmalen und Besonderheiten wie Natur, der Angebotsvielfalt, der Erreichbarkeit und den sozialen Netzwerken und schöpfen ihr Potential aus deren Bedeutungen. Ein Element mit besonders hohem Identifikationspotential ist der Rhein. Er ist nicht nur Grenze, sondern auch eine Lebensader in der Wahrnehmung der befragten Rheintalerinnen und Rheintaler. Die befragten Einwohnerinnen und Einwohner des Rheintals bewegen sich in ihrer Freizeit auf (Bsp. Naherholungsgebiet Alter Rhein im Grenzraum Schweiz-Österreich) und entlang der Lebensader (Bsp. Fahrradweg Rheindamm). Ein anderes Beispiel sind Inselberge wie etwa der Kummenberg. Der Rhein im Mittelpunkt der Wahrnehmung: Für Herrn Walde (52) aus Altstätten ist „der Rhein der Lebensnerv von diesem Tal. Er hat die Geographie geprägt, der Rhein hat aber auch die Mentalität geprägt, wenn man zum Beispiel an die Überschwemmungen denkt. Heute spürt man aber keinen Rhein. Man spürt den Fluss nicht. Wenn man durch Kriessern fährt, oder läuft, man kommt nicht auf die Idee, dass ein Fluss in der Nähe ist. Da ist etwas passiert. In dem Moment, in dem man die Dämme so groß gemacht hat, hat man dem Fluss die Identität weggenommen. Die Regulierung verstärkt die Grenzwirkung. Der Lebensnerv, die Blutader verschwindet praktisch.“ Ähnlicher Meinung ist Herr Tobler (40) aus Berneck: „Der Rhein als Lebensader sollte wieder erfahrbar werden. Er ist auch ein Lebensband, es ist das einzige das frei ist und sich durch das ganze Tal hindurch zieht.“ Der Rhein ist Sinnbild, Synonym und in vielen Gemeinden im Rheintal stark mit deren Geschichte und Entwicklung verbunden. Wichtig hierbei sind insbesondere die Flussabschnitte des Alten Rheins. Er lädt die Bewohnerinnen und Bewohner zur Naherholung und Freizeitgestaltung ein und schafft es so auch, das Image der Grenze abzustreifen. Zum Beispiel verbinden
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über 65 % der befragten Jugendlichen den Alten Rhein mit Baden oder Grillen. Mit 25 % erhält hingegen die Aussage, dass der Rhein nur eine Grenze zwischen der Schweiz und Österreich ist, sonst aber kaum Bedeutung hat, eine wesentlich geringere Zustimmung (vgl. Obkircher 2007, S. 132). Zudem ist er Teil vieler persönlicher Momente. Nahezu alle befragten Personen können eine eigene Geschichte erzählen, die sie mit dem Alten Rhein verbindet. Der Erzählbogen reicht von Grillabenden, romantischen Sonnenuntergängen bis zu Schmugglergeschichten. In diesen Erzählungen übt der Alte Rhein immer etwas Reizvolles und vor allem Eigenständiges, Unverwechselbares aus. Das gibt ihm das entsprechende Identifikationspotential in der Wahrnehmung der Bewohnerinnen und Bewohner und unterscheidet den Alten Rhein im Alpenrheintal von anderen Flüssen. Abbildung 29: Der Kummenberg als Element mit hohem Identifikationspotential
Quelle: Land Vorarlberg 2012
(Insel-)Berge als Orientierungsmarken im Raum: Herr Tobler (40) aus Berneck findet in seinem Rheintal viel leichter Orientierung als in anderen Regionen, in denen er bereits gewohnt hat: „Im Rheintal ist immer klar, wie du von A nach B kommst. Wenn man im Thurgau von A nach B will, hat man verschiedene Möglichkeiten, für einen Rheintaler ist das etwas Neues. Hier ist der kürzeste Weg meistens der gleiche. Wenn ich im Thurgau irgendwo eine Besprechung hatte, dann musste ich überlegen, fahre ich hier oder hier. Das haben zum Teil sogar Einheimische überlegen müssen.“ Es gibt eine Vielzahl an solchen Orientie-
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rungspunkten, es sind zunächst Berge oder andere markante Orte der physischen Umwelt. Orientierungspunkte haben jedoch mehr als nur einen physischen Charakter, sie sind in den Schilderungen der befragten Alpenrheintaler ebenso Teil ihres sozial erlebten Raumes bzw. verbunden mit einer bestimmten Symbolisierung. „Der Kummenberg ist ganz klar sichtbar, wenn ich am Karren oben stehe. Er ist ein Fixpunkt für mich. Man sieht ihn auch von der Schweiz aus. Er ist für mich das Wahrzeichen der Region […] Ich mag den Kummenberg, er ist für mich der Hausberg“, meint etwa Frau Oberhauser, 42 Jahre alt aus Götzis. Bestätigt wird sie von Herrn Bauer (65) aus St. Margrethen, der seinen Blick in Richtung Pfänder richtet. Weitere Orientierungsmarken, die genannt werden, sind die Hohe Kugel, der Hohe Kasten, der Karren, der Pizol usw. Diese, für die Rheintalerinnen und Rheintaler wichtigen räumlichen Orientierungsmarken und prägenden Raumsymbole vermögen aber keine Außenwirkung zu erzeugen. Für eine Positionierung des Rheintals nach außen haben sie zu wenig Strahlkraft. Herr Tobler (52) erklärt sich dies wie folgt: „Ich habe das Gefühl, dass viele sagen, landschaftlich ist es eigentlich reizvoll, aber es hat keinen Aufhänger. Wenn einer kommt, dann bleibt er hier nicht hängen, oder? Für mich ist es besonders, weil ich es hier kenne. Aber es hat keinen Aufhänger“. Spannungsfeld zwischen ländlichem Charakter und zunehmender Verstädterung führt zu landschaftlicher „Unentschlossenheit“: Hochhäuser sind gebaute Realität im Rheintal, werden von den Bewohnerinnen und Bewohner in vieler Hinsicht aber noch nicht als Bestandteil „ihrer Region“ akzeptiert. „Wenn jetzt irgendwelche Wolkenkratzer hier in diesem ländlichen Umfeld stehen würden, dann wäre das wahrscheinlich etwas komisch“, erläutert etwa Frau Lampert, 36 Jahre aus Altach. Oder wie Frau Hofer (29) aus Lustenau meint: „Das Hochhaus ,Home of Balance‘ in Dornbirn finde ich auch nicht schön, es passt nicht hierher, es ist zu modern.“ Gerade Hochhäuser werden als städtische Merkmale identifiziert, die aber nicht in die ländliche Vorstellung des Rheintals passen. Frau Müller (60), sie kommt ursprünglich aus der Stadt Graz, schildert ihr Verständnis vom ländlichen Rheintal anhand eines Erlebnisses in Dornbirn. An einem der ersten Abende nach ihrem Umzug aus Graz hat sie aus dem Schlafzimmer ihrer neuen Wohnung geschaut und weidende Kühe gesehen. Das war für sie der Beleg dafür, dass sie jetzt auf dem Land angekommen ist. Aus einer Schweizer Perspektive, Herr Walde (52) aus Altstätten, werden hinsichtlich der Frage wie viel Stadt im Rheintal steckt allerdings Unterschiede wahrgenommen: „Vorarlberg ist viel städtischer wie der schweizerische Teil des Alpenrheintals. Dornbirn hat 40.000 Einwohner, Götzis hat schon fast 20.000 Einwohner, das führt zu einem anderen Denken. Vielleicht hat das auch mit
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Stadt-Land zu tun. Hier [im St. Galler Rheintal] kommt es vielleicht verstädtert, aber nicht städtisch daher. Zusammengewachsene, große Siedlungsgebiete, ein paar kleine Kerne, Altstätten hat noch den Ausdruck von einer Stadt. Sonst gibt es bis Rorschach nichts mehr bzw. bis fast nach Chur.“ Aus Sicht der befragten Schweizer Rheintalerinnen und Rheintaler werden diese Unterschiede mit der Angebotsvielfalt in Zusammenhang gebracht, welche im St. Galler Rheintal als geringer betrachtet wird. Dies hängt vor allem mit den kaum vorhandenen, großen publikumsintensiven Infrastrukturen wie zum Beispiel Einkaufszentren zusammen. Ein Mehr an Angebot wird allerdings nicht immer positiv gesehen, wie die Aussage von Frau Schneider (48) aus Diepoldsau verdeutlicht: „Ich habe es sehr gerne, wenn es kleine Zentren sind. In Österreich sind die Zentren zum Teil aus dem Boden geschossen wie Pilze. In Österreich hat es auch viel mehr Verkehr wie hier. Dornbirn zu gewissen Zeiten ist furchtbar, da muss ich sagen, bin ich viel lieber hier.“ In dieser Hinsicht kann der umgekehrte Blick von Österreich in Richtung Schweiz durchaus als gewissermaßen neidvoll gelesen werden. Was an großen Einkaufszentren in Vorarlberg zur Verfügung stehen mag, führt gleichzeitig zur Abwertung der dörflichen Versorgung: „Was in der Schweiz auffällt, dass in jedem kleinen Dörfchen wo man durchfährt, haben sie immer eine hauseigene Bäckerei, eine Metzgerei und so ein kleines ,Lädele‘ und wenn es nur so ein kleiner Laden ist, in dem man alles bekommt. Aber das haben sie in jedem Dorf, was es bei uns eigentlich so nicht mehr gibt. Bei uns wandert in den kleinen Dörfern alles ab, da geht alles in so große Interspars. Diesbezüglich haben die Schweizer noch irgendwie eine Tradition, jedes Dorf ist mit Lebensmitteln versorgt“, so zumindest erlebt Frau Lampert (36) aus Altach die Situation in der Grenzregion. Städtische Merkmale finden in der ländlichen Wahrnehmung des Rheintals nur bedingt einen Platz, weil sie aber dennoch vorhanden sind, entsteht ein Spannungsfeld, das als landschaftliche „Unentschlossenheit“ beschrieben werden kann: „Das Rheintal ist keine Stadt, weil die Gemeinden gesellschaftlich nicht zusammengewachsen sind – die ‚Hofers, Spars und Billas‘ bilden die neuen Stadtmauern“, meinte etwa der damalige Landesrat Hans-Peter Bischof in einer Befragung zur Wahrnehmung des Rheintals (vgl. Berchtold u. Schindegger 2003, S. 19). „Einerseits haben wir im Rheintal eine zubetonierte Landschaft, andererseits gibt es dazwischen kleine Paradiese“, beschreibt Herr Bauer (65) aus St. Margrethen die Situation. Der gegenwärtige ländliche Charakter geht durch die Zersiedelung und den Verbrauch der Landschaft zunehmend verloren. Orts- und Landschaftsbilder werden austauschbar und beliebig. Unterstützt wird diese Entwicklung durch eine vermehrt unästhetische Ausstrahlung, welche in der Wahrnehmung der Bewohnerinnen und Bewohner mit „Unorten“ in der Re-
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gion, wie z.B. Hochhäusern oder „Pilzen, die aus dem Boden schießen“, verbunden wird. Aus den Aussagen ist kein generationenspezifisches Muster ableitbar, ein relevanter Unterschied zeigt sich jedoch in der unterschiedlichen Wahrnehmung der Teilregionen. Erlebnisqualität und Identifikationspotential zusammengefasst: Die Ausprägung der Merkmale Erlebnisqualität und Identifikationspotential ist bei der Altersgruppe der bis 30-Jährigen etwas höher, ansonsten zeigen sich bei der Auswertung nach Generationen keine markanten Unterschiede. Analysiert man die Kategorie Identifikationspotential nach Staatszugehörigkeit, dann fällt auf, dass der höchste Anteil bei den befragten Alpenrheintalerinnen und Alpenrheintalern aus der Schweiz zu finden ist. Es ist etwas mehr als jede fünfte Nennung, in Österreich und in Liechtenstein ist es jeweils knapp jede achte Nennung. Das Vorhandensein sozialer Netzwerke hat Einfluss auf die positive Identifikation mit unterschiedlichen Orten im Rheintal Ein nächster Themenbereich, der von den Bewohnerinnen und Bewohnern des Rheintals beschrieben wird, umfasst Merkmale wie „sich wohlfühlen“, sozialer Austausch, Persönlichkeit oder Freundschaften. Das Alpenrheintal wird beiderseits des Rheins als Region mit vielen sozialen, gelebten Kontakten und Netzwerken beschrieben. Es ist keine anonyme Stadt. Zum Beispiel wird das Gefühl „man kennt sich“ sehr geschätzt. Somit sind nicht nur greifbare Merkmale wie Natur, Landschaft oder Angebot entscheidend für die Beschreibung des Rheintals, sondern eben auch „weiche Merkmale“ (vgl. Schöffel et al. 2010, S. 60). Nachstehende drei Zitate sollen die Bedeutung sozialer Netzwerke und Kontakte in der Untersuchungsregion hervorheben: • Für Frau Lampert (36) aus Altach stellt der soziale Kontakt aus folgendem
Grund ein besonderes Merkmal in der Region dar: „Beim Einkaufen kennt man sich, es ist nicht so anonym. Wenn ich in Götzis einkaufen gehe, dann plaudert man auch hin und wieder. […] Auf der Straße, wenn ich durch Götzis radle, dann winkt ganz oft jemand, weil man die Leute auch etwas kennt. Das passiert dir in einer Großstadt oder in einer fremden Stadt ziemlich sicher nicht.“ • „Ein Grund, in St. Margrethen zu bleiben, sind die vielen netten Gesprächspartner “ (Herr Bauer, 65 Jahre aus St. Margrethen). • „Wenn ich in Altach einkaufen gehe, wo ich auch viele kenne, dann geht es nicht nur darum einzukaufen, sondern um das ‚hoi‘ und Beziehungen zu leben.
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Genauso in Sulz im Freihof. Das sind Orte der Vernetzung für mich“ (Frau Klien, 59 Jahre aus Altach). Die Frage wurde jeweils als offene Frage gestellt. Es gab allerdings keine Antworten, die ausdrücklich auf das Nicht-Vorhandensein von sozialen Netzwerken oder andere negative Aspekte hingewiesen hätten. Dies wird deshalb betont, weil im Zuge der Befragungen in der S5-Stadt mehrfach auf die zunehmende Anonymität in dieser Region hingewiesen worden ist (vgl. Schöffel et al. 2010) – ein Merkmal, welches für das Rheintal zumindest anhand der vorliegenden Ergebnisse nicht nachgewiesen werden kann. Für eine detaillierte Analyse der sozialen Kontakte sei an dieser Stelle auf die Sozialkapitalstudien des Landes Vorarlberg verwiesen (vgl. Fredersdorf, Roux u. Lorünser 2010). Insgesamt kann nahezu jede zehnte Nennung von Merkmalen und Besonderheiten des Rheintals den sozialen Netzwerken zugeordnet werden. Elemente der Natur und der physischen Umwelt sind bedeutende Charakteristika der grenzübergreifenden Zwischenstadt Rheintal Elemente der Natur werden in Zusammenhang mit dem Alpenrheintal bei allen Altersgruppen am häufigsten genannt. Der Großteil der Nennungen bezieht sich dabei auf Merkmale, welche die Landschaft, Natur, Seen oder die Berggipfel direkt in der Umgebung betreffen. „Die Landschaft, wir haben die Alpen, die Berge, Weite und Höhe. Sicher eine phantastische Landschaft, mit vielen Möglichkeiten [...] die Verwurzelung ist ein wichtiger Aspekt und hängt stark mit der Qualität der Landschaft zusammen“, meint Herr Huber aus Sennwald. Ähnlich äußert sich Herr Amann (61) aus Altach: „Wir haben alles, was man sich wünschen kann. Saubere Luft, sind weitgehend von Katastrophen verschont, bis auf kleinere, wo aber kaum Menschen persönlich zu Schaden gekommen sind. Das ist kein Vergleich zu anderen Regionen in der Welt.“ „Wir leben im gelobten Land, das empfinde nicht nur ich so, sondern viele andere Leute auch“, reflektiert Herr Amann des Weiteren die vielzähligen Diskussionen mit seinem Bekanntenkreis und bezieht sich dabei v.a. auch auf die Qualität der Natur. Was die vorhandene und zugängliche Natur im Alpenrheintal aus Sicht der befragten Bewohnerinnen und Bewohner zu einem Alleinstellungsmerkmal der Region macht, sollen folgende Aussagen verdeutlichen: „Natur pur, die Ecke, die ich kenne. Hier ist die Natur noch intakt, sehenswert, eindrücklich und ist touristisch auch nicht so überlaufen. Man kann den Rhein entlanglaufen, das ist für mich Lebensqualität. Es ist auch unverbraucht und unverbaut, das ist schön“, nimmt Frau Reutlinger (49) aus Chur das Naturangebot wahr. „Die Natur ist eine angenehme Sache. Die Lärmkulisse ist eine andere als in der Stadt. Das ist Le-
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bensqualität bis zu einem gewissen Grad“, betont Frau Müller, 60 Jahre aus Mäder als für sie entscheidendes Merkmal. Im Speziellen wird von den befragten Bewohnerinnen und Bewohner in diesem Zusammenhang der Alte Rhein hervorgehoben. Die Natur und die Nähe zur Natur kann als eine der großen Stärken und Potentiale der Region angesehen werden. Welche Bedeutung haben die Merkmale Natur und physische Umwelt in der S5-Stadt: „Im Oberland gibt es im Gegensatz zur Stadt Zürich noch Natur“, nimmt Frau Spirig (28) aus Wolfhausen die Region wahr. Oder: „So zum Greifen nahe hat man eine so schöne Landschaft“, meint Herr Feiner (73) aus Uster. Diese die Natur und Landschaft betreffenden Aussagen zur S5-Stadt umfassen beispielsweise Badeseen, Aussicht auf und von den Bergen, Moorlandschaften, hügelige Landschaft oder die schöne Natur generell (vgl. Schöffel et al. 2010, S. 59). Abbildung 30: Zusammenfassung der Merkmale und Besonderheiten des Alpenrheintals zu sechs Merkmalskategorien
Quelle: eigene Darstellung 2017, n = 329, Mehrfachnennungen möglich
Fazit Merkmale und Besonderheiten der Region Das Wahrnehmungsbild des Rheintals setzt sich aus vielen Merkmalen zusammen, welche insgesamt sechs zentralen Merkmalskategorien zugeordnet werden können. Von besonderer Bedeutung sind die Merkmale Natur und physische Umwelt mit mehr als 40 % der Nennungen. Betrachtet man die Antworten innerhalb der unterschiedlichen Generationen, zeigt sich, dass es bei dieser Merkmalskategorie keine großen Unterschiede bei den Generationen gibt. Nach Staatszugehörigkeit ergibt sich ein etwas anderes Bild. Vorarlberg hat bei der Merkmalskategorie Natur und physische Umwelt weniger Zustimmung, weil das Siedlungswachstum hier in der Wahrnehmung der befragten Personen schon mehr Auswirkung zeigt. Der Druck auf die vorhandene Natur ist spürbarer:
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„Vorarlberg ist viel städtischer als der schweizerische Teil des Alpenrheintals“, oder „In Österreich sind die Zentren zum Teil aus dem Boden geschossen wie Pilze.“ Die grenzübergreifende Zwischenstadt Rheintal hat demnach eine erkennbare Schlagseite. Daneben haben Erreichbarkeit, soziale Netzwerke, Angebot, Erlebnisqualitäten und Identifikationsangebot eine große Bedeutung. Diese Merkmalskategorien umfassen sowohl die physisch-materielle Umwelt als auch soziale Zusammenhänge beziehungsweise die symbolischen Bedeutungen, die diesen zugemessen werden. Des Weiteren bieten die Kategorien Anschlussfähigkeit an die Beschreibungen anderer Zwischenstädte (vgl. Schöffel et al. 2010, S. 61), spiegeln in ihrer Ausprägung und in ihren Inhalten aber dennoch das Spezifische des Rheintals wider. Der Rhein stellt eine zentrale Besonderheit in der Wahrnehmung der befragten Alpenrheintalerinnen und Alpenrheintaler dar. Insbesondere wird dem Alten Rhein über alle Generationen hinweg eine besondere Natur- und Landschaftsqualität zugeschrieben. Außerdem dienen die Flussabschnitte des Alten Rheins heute als beliebte Freizeitorte und sind eine wichtige Kontaktstelle zu den „Nachbarn“, sei es bei Ausflügen am Wochenende oder beim gemeinsamen Baden an der Grünen Grenze. Der (alte) Rhein ist die „Lebensader der Region“ und hat dadurch ein hohes Identifikationspotential (was sich insbesondere bei der jüngeren Generation manifestiert). In der Merkmalskategorie Angebot wird ein gewisser Angebotsmangel auf der Schweizer Seite des Rheintals deutlich (Kino, Einkaufszentrum). Die St. Galler Rheintaler decken ihre diesbezüglichen Bedürfnisse im Vorarlberger Rheintal ab. Des Weiteren zeigt die Merkmalskategorie Erreichbarkeit, dass die Grenzlage in dem Drei- bzw. Vierländereck viele Chancen bietet, zum Beispiel im Bereich des Arbeitsplatzangebotes (für das Vorarlberger Rheintal) oder in der Freizeitgestaltung (für das St. Galler Rheintal). Außerdem wird die schnelle Erreichbarkeit der großen Städte geschätzt. Dem stehen allerdings die schlechten ÖV-Querverbindungen in der Grenzregion gegenüber. Das Alpenrheintal wird darüber hinaus beiderseits des Rheins als Region mit vielen sozialen, gelebten Kontakten und Netzwerken beschrieben. Es ist keine anonyme Stadt. Die befragten Bewohnerinnen und Bewohner schätzen das Gefühl des „man kennt sich“, welches man im alltäglichen Miteinander erfährt. Die Ergebnisse erheben keinen Anspruch auf Repräsentativität. Dies ist auch nicht Ziel des gewählten explorativen Zugangs gewesen. Vielmehr ging es darum, die Merkmale und Besonderheiten in der Region in relevante Kategorien zusammenzufassen und so einen ersten Rahmen der Wahrnehmungsbilder herauszuarbeiten. Die unterschiedlichen Merkmale können, wie bereits umfassend beschrieben, jeweils in ihrer physisch-materiellen Dimension bzw. in einem
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symbolischen und sozialen Zusammenhang gelesen werden. Berge haben als besondere Orte beispielsweise nicht nur eine physische Komponente, sie werden von den Bewohnerinnen und Bewohnern vielmehr auch in einem symbolischen „unser Berg“ und sozialen Zusammenhang „am Sonntag Freunde treffen“ benutzt. Die Herausarbeitung der genannten Merkmale hat zunächst einen deskriptiven Anspruch. Bei einer differenzierteren Betrachtung der Interviews kann jedoch festgestellt werden, dass die Aussagen in sich widersprüchlich sind. Exkurs: Essenzen aus dem Morgenlandfestival Im Mai 2011 fand im Rahmen des Morgenlandfestivals in Liechtenstein ein Workshop unter dem Motto „Gibt es das Alpenrheintal – und wenn ja, wie viele? Wir denken unsere Region neu – dies- und jenseits des Alpenrheins und darüber hinaus“ statt. Übergeordnete Zielsetzung dieses Workshops war, das bereits erhobene Bottom-Up-Raumbild des nördlichen Rheintals mit einer Liechtensteiner Perspektive zu ergänzen und auf Konsistenz zu prüfen. In der Wahrnehmung der Workshop-Teilnehmer gilt das Rheintal als schöner Ort. Die Region hat eine hohe Lebensqualität, u. a. aufgrund der Nähe zur Natur, und bietet viele Möglichkeiten. Zugleich gibt es aber ebenso ein großes Problembewusstsein: Lärm, Verkehr, Abgase, Baustellen etc. Anhand der genannten negativen Aspekte lassen sich drei wesentliche Herausforderung aus Sicht der Teilnehmerinnen und Teilnehmer herauskristallisieren. Erstens ist der Lebensraum Rheintal geprägt von einer zunehmenden Zersiedelung. Deshalb sollten die Bauzonen wirksamer eingegrenzt und effektiver eingeteilt werden, um die vorhandene Lebensqualität langfristig gewährleisten zu können. Zweitens wird das Rheintal vielfach nur als Durchgangsort gesehen, sowohl von Touristen als auch von den Bewohnerinnen und Bewohner selber, die möglichst einfach von A nach B kommen wollen. Vor allem in der Wahrnehmung der Bewohnerinnen und Bewohner ist dies der Tatsache geschuldet, dass das Rheintal ein sehr großräumiges Tal ist, in dem sich Angebot und Möglichkeiten entsprechend grenzübergreifend, räumlich weitläufig und polyzentrisch verteilen. Der Durchgangsort Rheintal wird unter diesen Gesichtspunkten zu einem Verkehrsort Rheintal, denn ein steigendes Angebot bringt einen Verkehrsanstieg mit sich. Man nimmt die Distanzen vom eigenen Wohnort zum Abendessen im Restaurant, zum Ausgang in der Diskothek oder zur Weiterbildung in der Volkshochschule hin. Letztlich hat sich das Mehr an Angebot und Möglichkeiten, was heute im Vergleich zu früher gegeben scheint, nicht uneingeschränkt zu einem Mehr an Lebensqualität entwickelt. Unter dem Verkehrsanstieg leidet letztlich auch die Aufenthaltsqualität. Ein weiterer wichtiger Punkt in der Diskussion ist der Rhein. Als kanalisierter
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Fluss bietet er an vielen Flussabschnitten nicht mehr jene Erlebnisqualität, wie z.B. der Alte Rhein. Eine Umgestaltung wird vorgeschlagen, denn der Zugang zum Wasser bildet eine der zentralen Lebensqualitäten im Rheintal und ist in Form der vielzähligen Baggerseen oder alten Flussarme des Rheins eine Eigenart der Region. Im Laufe der Diskussion zeigt sich des Weiteren, dass die unterschiedlichen Grenzziehungen im Rheintal als ein großes Potential für die Region gesehen werden können. Denn durch Grenzziehungen kann eine kulturelle Vielfalt entstehen bzw. erhalten bleiben. Vielfalt, in diesem Verständnis, bringt mehr Chancen mit sich als Einheitlichkeit. Um dieses Potential im Sinne einer Weiterentwicklung der Lebensqualität für die Gesamtregion allerdings ausschöpfen zu können, ist ein Denken über die eigenen Grenzen hinaus unabdingbar. Eine bessere und intensivere Absprache der drei Länder im Rheintal wäre notwendig. Für die Politik heißt das, dass eine nachhaltige grenzübergreifende Kooperation nicht nur aus einem Treffen im Jahr bestehen kann. Es braucht einen gemeinsamen Blick auf die Region, ohne Grenzen, ansonsten bleibt das Alpenrheintal ein Namenskonstrukt. Das Kirchturmdenken zwischen den Gemeinden und Regionen sollte aus Sicht der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den Hintergrund treten. Der Exkurs zum Morgenlandfestival ermöglicht einen ergänzenden Blick auf das „Bild der Region“ aus der Sicht der Workshop-Teilnehmer und teilnehmer, in diesem Fall hauptsächlich Personen aus dem Fürstentum Liechtenstein. Die Erkenntnisse fließen in die Interpretationen des Bottom-UpRaumbildes ein, sind jedoch kein Bestandteil der statistischen Auswertung. Scheinbare Widersprüche in den Bedeutungszuweisungen von Merkmalen In einem ersten Schritt der Auswertung sind die Merkmale und Besonderheiten der Region ausgearbeitet worden. Hierbei stellte sich heraus, dass in der Wahrnehmung der befragten Personen eine zunächst klassische Beschreibung in Stadt- und Land-Begriffen erfolgte. Eine genauere Betrachtungsweise der Äußerungen lässt allerdings den Rückschluss zu, dass innerhalb der genannten thematischen Begrifflichkeiten und zwischen den Themen Brüche und Spannungsfelder entstehen. Die Menschen schätzen die Modernität, hohe Standortattraktivität und die urbane Qualität auf der einen Seite und die Nähe zu Natur- und Freiräumen sowie das Gefühl der sozialen Anknüpfung auf der anderen Seite (vgl. hierzu auch Meier-Dallach 2009, S. 7). Was zeichnet die grenzübergreifende Zwischenstadt Rheintal aus? Wir finden z.B. das Angebot einer großen Stadt vor, haben aber trotzdem das Gefühl,
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dass man sich kennt – wie in einem im Dorf! Viele Aussagen und Geschichten der Interviews zeigen, dass sich die Besonderheiten und Merkmale im Rheintal auf der einen Seite auf die Stadt, auf der anderen Seite auf das Land beziehen. Das Rheintal ist in der Wahrnehmung der Rheintalerinnen und Rheintaler eine gute Mischung von beidem. Der Wochenmarkt ist hier Symbol für sozialen Austausch mit städtischem Flair, dort für das Ländliche und Altbekannte (vgl. hierzu auch Schöffel et al. 2010, S. 67). Große Einkaufszentren bringen ein großes Angebot, gleichzeitig wird der kleine Laden, in dem man alles von Brot, Wurst über Stahlnägel bekommt, vermisst – wie etwa aus den Aussagen von Frau Lampert (36) aus Altach deutlich wird. Die gute Vernetzung und Erreichbarkeit durch die Verkehrsinfrastruktur lassen die größeren Städte wie St. Gallen oder Zürich näher an das Rheintal rücken. Frau Schneider (48) aus Diepoldsau sagt diesbezüglich: „Man kann in Diepoldsau wohnen und in St. Gallen arbeiten.“ Diese Erreichbarkeit kann jedoch ebenso die Eigenständigkeit der Region ausbremsen, nämlich dann, wenn der Sog der Großstadt zu groß wird. Und, es gibt nach wie vor keine einheitliche und vor allem keine eigene Sprache zur Beschreibung des Rheintals. Dies reicht von Kühen, die man erblickt, wenn man aus dem Fenster schaut, bis hin zu Wolkenkratzern, die nicht in das Ortsbild passen. Die Menschen mischen sich ihre Region immer wieder neu zusammen und verwenden dabei Bausteine aus der Stadt und vom Land. Man könnte in Anlehnung an das S5-Stadt-Projekt vielleicht auch sagen, dass das Rheintal in dieser Hinsicht mit einem Januskopf vergleichbar ist. Bedeutungszuweisungen erfolgen mehrdeutig, dabei entstehen Spannungsfelder und Brüche (vgl. hierzu auch die Ergebnisse aus der S5-Stadt; Schöffel et al. 2010, S. 67f). Vergleicht man die Ergebnisse mit jenen aus dem Projekt der S5-Stadt, so zeigt sich ein ähnliches Bild. Die Beschreibungen und Bedeutungszuweisungen mischen sich ebenfalls aus Stadt- und Land-Begriffen zusammen (vgl. Schöffel et al. 2010, S. 65f). Die verschiedenen Aspekte führen zu dem Schluss, dass sich das Rheintal auf ein sehr vages Raumbild stützt, was insbesondere durch die zunehmende Mobilität, unterschiedliche räumliche Orientierungen, Generationenblickwinkel und die damit verbundene Vielfalt an Bedeutungszuweisungen beeinflusst wird. Dieser Aspekt ist auch in anderen Zwischenstädten zu beobachten (vgl. Schöffel et al. 2010; Sieverts et al. 2005). Es kann jedoch ebenso festgehalten werden, dass sich in den Wahrnehmungen der befragten Rheintalerinnen und Rheintaler tendenziell eine Schlagseite in Richtung „Ländliches Rheintal“ bemerkbar macht. Inwiefern damit ein „letztes Aufbäumen gegen die zunehmende Verstädterung“ verbunden ist, wurde nicht erhoben.
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Visionen für die Zukunft Was sind die Herausforderungen für die Zukunft und vor allem welche Vorstellungen haben die befragten Bewohnerinnen und Bewohner hinsichtlich einer verstärkt grenzüberschreitenden Sichtweise? Abbildung 31: Visionen für das Rheintal in der Wahrnehmung der befragten Bewohnerinnen und Bewohner
Quelle: eigene Darstellung 2013
Zu Beginn hat sich gezeigt, dass die vorhandene Natur und die Landschaft eine Besonderheit des Alpenrheintals darstellen. Diese Bedeutung spiegelt sich in den Aussagen zu den Herausforderungen und Visionen für die Zukunft der Region wider: Die Qualität der Natur und der Landschaft im Alpenrheintal ist durch den Verkehrs- und Siedlungsdruck gefährdet. Der Reiz, zum Beispiel einer intakten Flusslandschaft, und der Stellenwert der Natur für die Lebensqualität sollten aus Sicht der befragten Bewohnerinnen und Bewohner deshalb stärkere Berücksichtigung finden in der Raumentwicklung im Rheintal. Des Weiteren wird der Ausbau der ÖV-Anbindungen genannt, vor allem was den grenzüberschreitenden Verkehr betrifft. „Damit sich die Städte näher kommen“ oder „damit man vernünftig pendeln kann und irgendwo schön wohnt“ und im Zentrum arbeiten kann
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(Frau Reutlinger, 49 Jahre aus Chur). Mehr Zusammenarbeit heißt in diesem Fall nicht gleich machen, sondern „nicht mehr mit dem Rücken an der Grenze stehen und auf den eigenen Bauchnabel schauen“ (Herr Huber aus Sennwald). Es braucht einen gegenseitigen Austausch um die gemeinsamen Interessen auszuloten und zusammen Probleme lösen zu können. Wie beurteilen die befragten Jugendlichen die Frage nach der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit: Gibt es auch in dieser Generation bereits ein Bewusstsein dafür? Ist Zusammenarbeit wichtig? Knapp 55 % der Jugendlichen aus dem St. Galler Rheintal meinen ja. Bei den Jugendlichen aus dem Vorarlberger Rheintal beantworten die Frage zu 80 % mit ja (vgl. Obkircher 2007). Zuletzt sei noch auf die Vision „Rheintal als Zentrum verstehen“ verwiesen. Manche der befragten St. Galler Rheintaler wünschen sich einen Imagewechsel weg von der Randlage hin zur gemeinsamen Region im Herzen Europas und in der Bodenseeregion. Das könne gelingen, wenn man das Rheintal als gemeinsamen Mittelpunkt versteht. Herr Walde (52) schlägt in Anlehnung daran vor, in der Mitte eine neue Stadt zu bauen, dann wäre auch ein Anker für eine gemeinsame Identität gegeben.
7. Schlussfolgerungen
F AZIT
UND I NTERPRETATION
Im Vorarlberger und St. Galler Rheintal richtet sich der Blick verstärkt über die Gemeinde- bzw. Landesgrenzen. Nachstehende zwei Zitate der zuständigen Kantons- bzw. Landespolitiker für Raumplanung sollen dies unterstreichen: „Die Vertiefung der Zusammenarbeit eröffnet im Raum Rheintal viele (Verbesserungs-)Chancen, insbesondere in der Raumentwicklung und bei überregionalen Verkehrsverbindungen. […] Ich postuliere, dass wir darauf hinarbeiten, dass wir diese Chancen in der Zukunft gemeinsam wahrnehmen“ (RR Haag im Rahmen einer Pressekonferenz zur grenzüberschreitende Zusammenarbeit am 21. Februar 2011 in Bregenz). „Die Zusammenarbeit muss konkretisiert und sichtbar gemacht werden, insbesondere für die Rheintalerinnen und Rheintaler. Aus diesen Gründen gibt es auf beiden Seiten des Rheins vermehrt Projekte und Initiativen, die den Schritt über die Landesgrenzen machen. Dazu gehören insbesondere das Agglomerationsprogramm Rheintal auf St. Galler Seite und Vision Rheintal auf Vorarlberger Seite“ (LR Rüdisser 2011, gleiche Pressekonferenz). Hintergründe für den Blick über die Grenzen liegen unter anderem in gemeinsamen räumlichen Herausforderungen wie der Steuerung der Zersiedelung, der ÖV-Erschließung oder einer immer intensiveren Nutzung der Naherholungsräume. Wenn aber das Agglomerationsprogramm Rheintal nun also nicht nur die 12 Gemeinden des St. Galler Rheintals einbezieht, sondern auch die 29 Gemeinden des Vorarlberger Rheintals und dadurch eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit entsteht, dann stellt sich eine Vielzahl an Fragen: Was verbindet das Vorarlberger und das St. Galler Rheintal? Was haben die jeweiligen Leitbilder, Prozessverständnisse, Rahmenbedingungen und Planungstraditionen gemeinsam? Wie funktioniert Regional Governance im Rheintal? Ist der Blick auf das Rheintal in der Wahrnehmung der handelnden Personen derselbe? Und worin unterscheiden sich die Blicke? (vgl. Obkircher et al. 2012). In der Arbeit wurde
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der Regional Governance-Ansatz verwendet, um die Formen der gemeinsamen Raumentwicklung in der Grenzregion zu betrachten. Der Schwerpunkt lag dabei auf den Strukturen, den Prozessen und der kontextualen Dimension von Governance, die eine nachhaltige grenzüberschreitende Raumentwicklung prägen, sowie der Frage nach dem „Bild der Region“. Bislang hat es zu diesem Themenbereich keine grenzüberschreitenden Analysen über das Rheintal gegeben. Fazit Strukturen Im Bericht zur räumlichen Entwicklung in den österreichischen Stadtregionen empfehlen die Autoren eine Verankerung der „Stadtregionen“ als Planungs- und Handlungsebene samt Schaffung stadtregionaler Datengrundlagen (vgl. ÖROK 2009a). Als Good Practice-Beispiel für diese Handlungsempfehlungen wird die Agglomerationspolitik der Schweiz mit ihrer Tripartiten Agglomerationskonferenz angeführt. Das ÖREK 2011 und die daraus resultierenden Umsetzungspartnerschaften (z.B. Kooperationsplattform Stadtregion, Regionale Handlungsebene stärken) gehen ebenfalls in diese Richtung. Sprich die Österreichische Raumordnungskonferenz versucht zunehmend Akteure unterschiedlicher Ressorts und aus Bund, Land und Gemeinden einzubinden. Als Hemmnis für eine Umsetzung in Österreich ist jedoch die fehlende strategische Kompetenz auf Bundes- und Länderebene zu sehen (vgl. ÖROK 2009a, S. 27). Unterschiedliche Rahmenbedingungen: Welche politischen und strukturellen Rahmenbedingungen bestimmen die beiden untersuchten Raumentwicklungsprozesse im Rheintal? Das Agglomerationsprogramm Rheintal (St. Gallen) zeichnet sich durch eine Top-Down-Hierarchie aus. Denn beim Agglomerationsprogramm Rheintal definiert der Schweizer Bund die Rahmenbedingungen und Strukturen, innerhalb derer der Kanton und die Gemeinden aufgefordert sind, Handlungsstrategien und Projekte für die Region zu entwickeln. Dabei stehen derzeit die finanziellen Interessen im Vordergrund, weil große Infrastrukturprojekte im St. Galler Rheintal künftig nur über ein funktionierendes Agglomerationsprogramm Rheintal finanziert werden können. Im Vorarlberger Rheintal fehlt die übergeordnete Ebene des Bundes. Das Land Vorarlberg und die 29 Gemeinden arbeiten im Entwicklungsprozess Vision Rheintal auf gleicher Augenhöhe zusammen. Dabei orientieren sie sich am „Rheintal-Kontrakt“, der von allen Bürgermeistern und dem Landeshauptmann unterzeichnet wurde. Der RheintalKontrakt bekräftigt die gemeinsame, regionale Verantwortung für das Rheintal und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit: „Es besteht der Wille zur Zusammenarbeit“ (Interview Kopf 2012, Land Vorarlberg). Beide Zugänge verfolgen letzt-
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lich dasselbe Ziel: Die politischen Entscheidungsträger in den Gemeinden sollen zu regionalen Verantwortungsträgern werden (vgl. Obkircher et al. 2012, S. 20ff). Hinzu kommt, dass die regionale Handlungsebene im Vorarlberger Rheintal weniger institutionalisiert ist, als im St. Galler Rheintal. Die diesbezüglich beschriebene „gegebene Zurückhaltung des Landes [Vorarlberg] in Sachen überörtliche Raumplanung“ (Gespräch Meier 2010) kann vor dem Hintergrund eines Regional Governance-Prozesses durchaus anders beurteilt werden. Das Land Vorarlberg will die Raumentwicklung verstärkt über Prozesse, wie eben Vision Rheintal, voranbringen. Dieser Ansatz verlangt nicht zwingend eine gefestigte regionale Planungsebene. Dennoch fehlt die „harte“ regionale Planungsebene im Vorarlberger Rheintal nicht gänzlich. Es gibt mit den Regionalplanungsgemeinschaften wie amKumma oder Vorderland eine entsprechende institutionalisierte Form der Zusammenarbeit, nur fokussiert sich diese auf die teilregionale Ebene. Schlussendlich entsprechen diese einer vergleichbaren Größenordnung und Kompetenzzuweisung, wie jene des VSGR. Auch die Trägerschaft durch die Gemeinden ist dieselbe. Abbildung 32: Top-Down-Hierarchie des Agglomerationsprogrammes Rheintal vs. Prinzip auf gleicher Augenhöhe der Vision Rheintal
Quelle: eigene Darstellung 2013
Verschiedene Bezugsebenen und Ungleichverteilung der Kompetenzen: Wie beschrieben nimmt sich das St. Galler Rheintal selber als periphere Region wahr bzw. wird es als solche wahrgenommen (vgl. Obkircher et al. 2012; vgl. auch OECD 2011, S. 163), was auch mit den Kompetenzen und Möglichkeiten der Region zusammenhängt. Zum Beispiel wird der Einsatz des Geschäftsführers vom VSGR als sehr motiviert betrachtet und sein persönliches Interesse und Orientierung in Richtung Vorarlberg geschätzt, dennoch wird die Diskussionsebene
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VSGR – Land Vorarlberg als nicht vergleichbar empfunden (Interview Feiner 2012, AREG; Interview Kopf 2012, Land Vorarlberg). Eine erfolgreiche grenzübergreifende Zusammenarbeit kann erst durch eine Verlagerung der Kompetenzen in die Region möglich werden. Gemeint ist beispielsweise die Institutionalisierung von Regionen und gleichzeitige Zuweisung wichtiger Kompetenzen durch den Kanton St. Gallen oder die konstruktive Neuorientierung der Region St. Galler Rheintal in Richtung Vorarlberger Rheintal (wie mit dem Agglomerationsprogramm Rheintal verfolgt; Interview Spirig 2012, VSGR). Somit wird das St. Galler Rheintal vom Peripherieraum zu einem (gemeinsamen) Zentralraum. Dies ist des Weiteren ein wichtiger Beitrag um einer räumlichen Ungleichentwicklung, in diesem Falle bedingt durch Nationalgrenzen, wirksam entgegenzusteuern. Gleiches muss für Vision Rheintal gelten, wo bislang das Land Vorarlberg in der Gesamtprojektleitung des Agglomerationsprogrammes vertreten war. Künftig sollte verstärkt eine Aufgabenteilung zwischen dem Agglomerationsprogramm Rheintal und Vision Rheintal auf gleicher Augenhöhe mit gleichen Ansprechpartnern erfolgen. Die Bedeutung von Kompetenzzuweisung wird von Engl und Woelk untermauert. Sie schreiben in diesem Kontext, dass die beteiligten substaatlichen Gebietskörperschaften über entsprechende Gesetzgebungsund Verwaltungskompetenzen verfügen sollten, um auf eine konkrete Partnerschaft mit ihrem Gegenüber in der Nachbarregion eingehen zu können (vgl. 2011, S. 13 bzw. S. 39ff). Fazit Prozess Der Vergleich des Agglomerationsprogrammes Rheintal mit Vision Rheintal lieferte einen wichtigen Einblick in die unterschiedlichen Planungs- und Prozessverständnisse in der Grenzregion. Einbeziehung der Nachbarn: Das Agglomerationsprogramm Rheintal und Vision Rheintal sind die zwei zentralen Raumentwicklungsprozesse in der Region des nördlichen Rheintals. Vision Rheintal legt seinen inhaltlichen und strategischen Fokus auf die 29 Gemeinden des Vorarlberger Rheintals, eine grenzüberschreitende Ausrichtung zeigt sich nur bei den Austauschanlässen der Bürgermeister und Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten. Das Agglomerationsprogramm Rheintal ist inhaltlich und strategisch grenzüberschreitend ausgerichtet und bezieht sich auf die 12+29 Gemeinden des nördlichen Rheintals. Beide Raumentwicklungsprozesse zeigen keine Anknüpfung zu den angrenzenden Regionen (z.B. Agglomeration Werdenberg-Liechtenstein, Im Walgau, Regio Bregenzerwald, Agglomeration St. Gallen-Rorschach). Es gibt keine Scharnierfunk-
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tion zu den Nachbarregionen. Vision Rheintal und das Agglomerationsprogramm stärken dadurch die Grenzen ihrer eigenen Region (nach innen), die Herausforderung der Zusammenarbeit wird so jedoch nur nach „außen“ zu den nächsten, angrenzenden Einheiten verlagert, aber nicht gelöst. Wie konnten sich die Gemeinden respektive die Bewohnerinnen und Bewohner des Vorarlberger Rheintals in das Agglomerationsprogramm einbringen? Die Gemeinden und die Bevölkerung waren nicht direkt in den Erarbeitungsprozess eingebunden, wegen einer gewollt schlanken Organisationsstruktur (Hablützel 2014, S. 8). Einzig zu den Begleitdelegationen wurde ein politischer Vertreter der 29 Vision RheintalGemeinden eingeladen. Zudem fanden mehrere Austauschtreffen der Bürgermeister und Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten des Rheintals statt, bei diesen standen allerdings das gegenseitige Kennenlernen bzw. das Kennenlernen der Region sowie eine Information zum Agglomerationsprogramm Rheintal im Vordergrund. Eine inhaltliche Vertiefung in das Agglomerationsprogramm bzw. Rückkoppelung der Ergebnisse war nicht Inhalt der Treffen. Um dennoch Aussagen für den Vorarlberger Raum treffen zu können, wurde zum einen das Land Vorarlberg auf fachlicher Ebene beteiligt und zum anderen auf die Ergebnisse des Vision Rheintal-Leitbildprozesses zurückgegriffen. Bezüglich ersterem war das Land Vorarlberg Mitglied der Gesamtprojektleitung und konnte sich darüber hinaus in den Fach- und Begleitdelegationen mit Ideen und Vorstellungen einbringen. Die Ergebnisse des Leitbildprozesses wurden teilweise direkt von den Vertretern des Landes Vorarlberg eingebracht. Dort wo dies nicht der Fall war, wurden die Karten, Leitsätze, Strategien etc. vom begleitenden Schweizer Raumplanungsbüro verwertet und interpretiert. Übergeordnetes Ziel war ein Abgleich mit den Vorstellungen zur räumlichen Entwicklung der Region, was zugleich aber bedeutete, dass beide Leitbilder nur zusammengefügt worden sind und weniger eine neue, ganzheitliche Sichtweise entstehen konnte. Die Diskussion über das Zukunftsbild wird auf die diesbezüglich entstandenen Konfliktpotentiale genauer eingehen. Dennoch schien zum Zeitpunkt der Erarbeitung des Agglomerationsprogrammes eine neuerliche Beteiligung der Vorarlberger Rheintalgemeinden und der Bevölkerung nicht mehr notwendig, was in diesem Fall als eine pragmatische Vorgangsweise interpretiert werden kann, da ansonsten die unterschiedlichen Prozessphasen beider Raumentwicklungsprojekte nicht in Einklang zu bringen gewesen wäre. Externe Bearbeitung von Inhalten vs. externe Prozessbearbeitung: Die Inhalte des Agglomerationsprogrammes Rheintal wurden – wie bereits beschrieben – im Wesentlichen von der Begleitdelegation (Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten St. Galler Rheintal) und von der Gesamtprojektleitung ausgearbei-
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tet. Die Analysen, Formulierung der Strategien und Ziele sowie die Maßnahmenpakete wurden schlussendlich von einem externen Büro bearbeitet und ausformuliert. Das externe Büro stand dabei in direktem Kontakt mit der Gesamtprojektleitung. Bei Vision Rheintal erfolgte die Ausarbeitung der Analyse, Strategien und Zielsetzungen für die räumliche Entwicklung zum Großteil in Fachteams und in direkter Rückkoppelung mit der Projektleitung sowie dem Lenkungsausschuss. Die inhaltliche Ebene war somit stärker in interner Hand. Es gab ebenfalls einen externen Auftragnehmer, dieser war aber nicht für den eigentlichen Inhalt sondern für die Prozessgestaltung zuständig. Prozessverständnis: Das Prozessverständnis der beiden Nachbarn unterscheidet sich. Zusammengefasst kann festgehalten werden, dass Vision Rheintal sein Leitbild über einen breit angelegten, partizipativen Prozess erarbeitet hat. Ergebnisse wurden nicht vorweggenommen, sondern mit den Gemeinden und Teilen der Bevölkerung entwickelt. Das Agglomerationsprogramm Rheintal hingegen ist zunächst von der Begleitdelegation (Vertreterinnen und Vertreter der Gemeinden), der Gesamtprojektleitung und dem Fachausschuss (Vertreter der Ämter, Fachverbände etc.) erarbeitet worden. Das Schweizer Stimmvolk wird erst bei der Frage der Umsetzung konkreter Maßnahmen im Zuge eines Volksentscheides eingebunden (vgl. Obkircher et al. 2012). Wie im Kontext der Maßnahmenpakete beschrieben, kommt erschwerend hinzu, dass es beiderseits des Rheins unterschiedliche, zeitlich versetzte Planungsgeschwindigkeiten gibt. Gerade bei komplexen Maßnahmen, wie zum Beispiel der Ausarbeitung des ÖVKonzeptes, muss auf Vorarlberger Seite eine Rückkoppelung mit dem österreichischen Bund stattfinden. Dadurch wird eine Einbettung in den zeitlichen Ablauf des Agglomerationsprogrammes schwieriger. Tabelle 4: Bewertung von ausgewählten Governance-Aspekten im Vergleich Vision Rheintal und Agglomerationsprogramm Rheintal Aspekte Abstimmung regionaler Raumentwicklung mit Bund Abstimmung regionaler Raumentwicklung mit Land/Kanton Abstimmung regionaler Raumentwicklung mit Gemeinden Abstimmung mit Blick über die Staatsgrenzen Schaffung von Governancestrukturen, Rahmenbedingungen, Förderanreizen Prozessuales Verständnis von Raumentwicklung Institutionalisierung der Zusammenarbeit
VR ++ ++ x +
APR + ++ ++ ++ +
++ x
x ++
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Bewusstseinsbildung & Kommunikation Entscheidungsträger Bewusstseinsbildung und Kommunikation Bevölkerung Bevölkerungsbeteiligung in der Erarbeitung
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++
++
++ +
x --
++ sehr ausgeprägt, + ausgeprägt, x vorhanden, - kaum vorhanden, -- nicht vorhanden Quelle: eigene Darstellung 2013
Für die weitere Entwicklung wäre aus Sicht der Raumplanungsabteilung die Umsetzung eines „Rheintal-Dialogs“ mit Impulsteams, Beratungsteams (Gemeinden von beiden Seiten hineinnehmen) und Umsetzungs- bzw. Steuerungsteams denkbar. Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang, dass ein solcher Rheintal-Dialog von einem guten Informationsfluss zwischen Politik, Verwaltung und Region leben muss (Gespräch Bertsch 2011, Land Vorarlberg). Ziel aus Vorarlberger Sicht ist jedenfalls, soweit wie möglich eine freie Zusammenarbeit zu gewährleisten und aus diesem Dialog heraus die Inhalte für eine institutionalisierte Trägerschaft zu entwickeln. „Derzeit bedarf es keiner Lösung oder Rollenklärung. Die Umsetzung der Zusammenarbeit ist eine Frage des Willens und nicht der Regeln“ (Interview Assmann 2012, Vision Rheintal). Zudem hat die Weiterentwicklung und Umsetzung der Inhalte in enger Abstimmung mit den betroffenen Ländern, Gemeinden und Gebietskörperschaften zu erfolgen. In der ersten Lenkungsausschusssitzung wurde deshalb beschlossen, künftig eine noch aktivere Kommunikation über die Grenzen hinweg zu verfolgen. Neben dem fachlichen Austausch und dem Austausch im politischen Lenkungsausschuss, sollen diesbezüglich im Zuge der Erarbeitung des Agglomerationsprogrammes Rheintal ebenso die 29 Gemeinden des Vorarlberger Rheintals mehr eingebunden worden. Neben den konkreten Projekten braucht es einen gleichzeitigen Prozess für die grenzüberschreitende Raumentwicklung. Die zwei Hauptverständnisse von Prozess können als „technisch, pragmatisch“ (Agglomerationsprogramm Rheintal) und als „lernorientiert, offen“ (Vision Rheintal) zusammengefasst werden. Regional Governance, im Verständnis dieser Arbeit, ist bei Vision Rheintal folglich stärker ausgeprägt als im Agglomerationsprogramm Rheintal. Beteiligungsverständnis: Der vorige Abschnitt zur Frage des Prozessverständnisses hat bereits auf die unterschiedlichen Beteiligungsverständnisse im Agglomerationsprogramm Rheintal und bei Vision Rheintal hingewiesen. Was bedeutet das aber konkret? Im Agglomerationsprogramm Rheintal kann der Beteiligungsansatz als „decision-making process“ umschrieben werden (z.B. Informations-
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veranstaltungen, Referendum etc.). Das bedeutet, dass das Agglomerationsprogramm Rheintal zunächst Top-Down von der Gesamtprojektleitung und den Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten erarbeitet wurde. Das Schweizer Stimmvolk wird hingegen erst bei der Frage der Umsetzung von konkreten Maßnahmen im Zuge eines Volksentscheides eingebunden. Eine aktive Beteiligung während der Erarbeitungsphase des Agglomerationsprogrammes wird nicht gesucht, der Bevölkerung werden die Ergebnisse in Informationsveranstaltungen kommuniziert, wobei der Andrang auf diese Veranstaltungen überschaubar ist. Aus Sicht des Agglomerationsprogrammes Rheintal richtet sich der Prozess nach dem Bottom-Up-Prinzip. Die unterschiedliche Begriffsverwendung rührt daher, dass beim Agglomerationsprogramm Rheintal Bottom-Up als Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden und dem Land bzw. Kanton verstanden wird. Eine Mitwirkung der Bevölkerung im Sinne von mitarbeiten, mitgestalten oder mitentwickeln wird beim Agglomerationsprogramm anders verstanden als bei Vision Rheintal. Vision Rheintal wird über einen offenen, partizipativen Prozess erarbeitet und weiterentwickelt. Dieser Beteiligungsansatz kann als „choice creating process“ verstanden werden (z.B. Think-Tanks, mentale Landkarten etc.) und der Fokus liegt auf dem Motto „Bürger planen ihre Region“. Mitwirkungsmöglichkeiten im Sinne von „choice creating“ bieten in vielerlei Hinsicht die Chance, eine stärkere Identifikation mit der Region zu bewirken. Obwohl der Beteiligungsansatz vom Verständnis her weiter greift und eine frühere Einbeziehung vorgesehen ist als beim Agglomerationsprogramm Rheintal, kann auch bei Vision Rheintal eine zu geringe Verankerung in der Bevölkerung kritisiert werden, denn eingebunden waren schlussendlich ebenso wie beim Agglomerationsprogramm Rheintal vor allem Fachpersonen. Der Unterschied zum Agglomerationsprogramm Rheintal ist auf den zweiten Blick, also bezüglich der Breite der Beteiligung, folglich nicht markant. Ein breiter Beteiligungsansatz ist, wie bereits erläutert, ein Eckpfeiler von Regional Governance und einer nachhaltigen Raumentwicklung. Die Möglichkeit, sich in den Prozess einbringen zu können, hängt von den Personen selber ab, vor allem aber von den Beteiligungsinstrumenten. Es braucht nicht mehr nur Genehmigungsverfahren, Masterpläne oder Informationsveranstaltungen, sondern auch kooperative Instrumente wie etwa Regionalkonferenzen um die Erarbeitung neuer, kreativer Lösungsansätze ermöglichen zu können. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang auch die Erkenntnis, dass man die Ideen und Projekte anderer nicht verwirklichen kann (Interview Kopf 2012, Land Vorarlberg). Dies ist insbesondere bei regionalen, grenzüberschreitenden Projekten in der Untersuchungsregion eine Herausforderung. Hierbei wird ein Großteil von Ideen und Projekten wie bereits beschrieben „von oben“ bestimmt. Aber nur wenn diese gemeinsam entwickelt werden,
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kommt es auch zu einer gemeinsamen Bewusstseinsbildung, zu einer Identifikation mit der Region und zu Vertrauen zwischen den Akteuren. Abbildung 33: „decision making“ und „choice creating“ im Vergleich
Quelle: eigene Darstellung 2013
Potentiale • Durch Mitwirkungsmöglichkeiten werden Betroffene zu Beteiligten und eine
regionale Verantwortung wird erzeugt, so die Erkenntnis aus dem Leitbildprozess von Vision Rheintal. • Offene Prozesse im Sinne von „choice creating“ zeigen mehr Potential zur Identifikation mit der Region als „decision making“-Ansätze. • Stehen Land / Kanton auf gleicher Augenhöhe mit den Gemeinden, dann kann die Region eine nachhaltige Handlungsebene werden. Blockaden • Politische Entscheidungsträger müssen selber zu Verantwortungsträgern wer-
den und dürfen diese Aufgaben nicht an Regionalmanager delegieren. • Der gemeinsame Verständigungs- und Planungsprozess muss über ein Projektleben hinaus andauern. Um dies zu gewährleisten, braucht es eine Institutionalisierung der Zusammenarbeit. Deren Umsetzung stellt gerade in Grenzregionen (z.B. aufgrund anderer Rechtssysteme) eine Herausforderung dar. • Bei den aufgezeigten regionalen Governance-Prozessen ist insbesondere die Frage der Verbindlichkeit und der demokratischen Legitimation zu klären.
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Factbox Demokratische Legitimation von Regionen Einer Frage wird bislang noch wenig Beachtung geschenkt. Was bedeutet die (Grenz-)Region als neue Handlungsebene für die demokratische Legitimation und wie können die Bürgerinnen und Bürger in die Entscheidungsprozesse mit eingebunden werden (vgl. Kübler et al. 2002, S. 3; vgl. dazu auch Danielzyk 1999, S. 579)? Wenn man bedenkt, dass die Menschen den größten Teil ihrer Zeit aufgrund von Arbeit oder Freizeit in einem anderen Ort als ihrem Wohnort verbringen, dann macht es auch Sinn sich in Entscheidungen bezüglich öffentlicher Dienstleistungen oder ÖV-Angebot an diesen anderen Orten einzubringen. Die Menschen sind nicht nur Einwohner der Agglomeration oder der Grenzregion, sie sind auch Bürger und Benutzer. Gegenwärtig ist die Ausübung politischer Rechte jedoch allein in der Wohnsitzgemeinde möglich, nicht in der Agglomeration oder der Region (vgl. hierzu Kübler et al. 2002, S. 4). Strukturen der regionalen, überkommunalen Ebene sind quasi nicht auf Bürgerbeteiligung ausgerichtet. Mitglieder der regionalen Lenkungsteams, Begleitdelegationen oder wie sie genannt werden, bestehen aus Planern und Vertretern der beteiligten Gebietskörperschaften, wurden aber nicht direkt von den Bürgerinnen und Bürgern in diese Funktion gewählt. Es besteht also nur ein geringer Einfluss auf die strategischen Entscheidungen dieser Handlungsebene, was laut Kübler als Demokratiedefizit bezeichnet werden kann (vgl. ebd., S. 270 u. S. 281). Die Bedeutung von beteiligenden Raumentwicklungsprozessen für die Identifikation mit der Region kann anhand des nachstehenden Beispiels eindrücklich erläutert werden. Regionale Verantwortung entwickelt sich dort wo „Heimat“ ist, wo man sich aktiv beteiligen kann: „Heimat ist für mich [...] es hängt vielleicht auch davon ab, was mir am Herzen liegt, gesellschaftlich etwas voranzubringen, zu bewirken, zu gestalten. Dort, wo ich am meisten gestalten kann, dort fühle ich mich glaube ich am meisten daheim. Es kann auch woanders auf der Welt sein. Aber das eigene Umfeld, das eigene – wo du mitgebaut hast – da pflegt man es so, dass es passt für einen. Das kann für mich in Vorarlberg oder in der Schweiz sein, in Dornbirn oder in Bregenz […]“ (Herr Hilti aus Schaan, 25 Jahre). Fazit kontextuale Dimension Regionenmacher: Der Einfluss der kontextualen Dimension auf Regional Governance-Prozesse im Rheintal hat einen nachweisbaren Stellenwert. Zum Beispiel prägen sogenannte „Regionenmacher“ die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Als Regionenmachern können jene Personen bezeichnet werden,
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die sich im besonderen Maße für die Belange der Region einsetzen und dies als grenzüberschreitende Aufgabe ansehen. Sie bewegen sich auf beiden Seiten des Rheins, haben einen umfassenderen Blick und „verstehen die Grenze nicht als Linie, sondern als Raum“ (Schlegel 2006, S. 117f). Die Zusammenarbeit ist abhängig von einzelnen Köpfen (Interview Strauss 2012, AREG; Interview Kopf 2012, Land Vorarlberg oder Interview Spirig 2012, VSGR). Diese Erkenntnis impliziert die Forderung nach einer entsprechenden finanziellen und politischen Unterstützung von solchen „Regionenmachern“, da durch sie entscheidende Impulse zur Zusammenarbeit gesetzt werden können. Region ist nicht gleich Region: Unter Berücksichtigung von kleineren räumlichen Zuschnitten kann der regionalen Differenzierung besser Rechnung getragen werden. Kleinere regionale Zuschnitte erhöhen des Weiteren die Handlungsfähigkeit in der Grenzregion – weniger aus politisch-administrativer oder funktionaler Sicht, sondern vielmehr aus dem Blickwinkel des wahrgenommenen Raumes. Das „ganze Rheintal“ ist zu groß, und die Herausforderungen sind zu weit weg von den Alltagsproblemen der Bewohnerinnen und Bewohner. Gleichzeitig bieten kleinere Regionen ein höheres Identifikationspotential, wie sowohl anhand der Befragungen der Entscheidungsträger als auch der Bewohnerinnen und Bewohner aufgezeigt werden kann (z.B. „amKumma“). 41 Gemeinden – ein Lebensraum? Regionale Raumentwicklung im Rheintal passiert in Räumen, die für die Einwohner keine relevante Bezugsgröße darstellen. Obwohl es im Rheintal der 41 Gemeinden grenzüberschreitende funktionale Verflechtungen wie z.B. Arbeitsbeziehungen oder institutionalisierte Kooperationen gibt, hat die Region im Lebensalltag kaum Relevanz. Sie wird maximal aus einer Nutzerperspektive betrachtet. Hinzu kommt, dass neben den 40 % Pendlern, welche die Region zu einem „gemeinsamen Lebensraum“ machen, immerhin noch 60 % in ihrer Wohnortgemeinde der täglichen Arbeit nachgehen. Werden identifikatorische Bezugsräume und Raumbilder der Bewohnerinnen und Bewohner in der Raumentwicklung des Rheintals jedoch nicht ernst genommen, dann ergeben sich insbesondere aufgrund der sich etablierenden Governance-Ansätze, verbunden mit mehr Beteiligung und Einbindung der Bevölkerung, Konfliktpotentiale für die nachhaltige Entwicklung des Rheintals. Es wird schwierig werden, Konsens zu erzielen und dabei die durch die Beteiligungsansätze geweckten Erwartungshaltungen befriedigen zu können. Vor diesem Hintergrund muss die Entwicklung eines gemeinsamen Bildes der Region Rheintal einer institutionalisierten grenzüberschreitenden Zusammenarbeit vorangehen. „Zuerst heiraten und dann schauen, ob man zusammenpasst, funktioniert nicht“ (Interview Schlegel 2007).
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Schlussfolgerung bezüglich Regional Governance im Rheintal Als Schlussfolgerung kann festgehalten werden, dass der Erfolg oder Misserfolg von Regional Governance-Modellen zum einen in bedeutendem Maße von den administrativen und politischen Rahmenbedingungen des jeweiligen Landes abhängt. Die bereits laufenden Regional Governance-Prozesse Vision Rheintal und das Agglomerationsprogramm Rheintal sind beeinflusst vom jeweiligen Verwaltungssystem des Landes bzw. des Kantons und was dieses im Rahmen der Gesetzgebung an Regionalentwicklungsprozessen und Selbststeuerung zulässt. Verwaltung und Institutionen drücken so gerade in der Umsetzung grenzüberschreitender Zusammenarbeit entsprechend ihren Stempel auf und sind ein „prägendes Muster“. Zum anderen wirkt sich das Prozessverständnis auf die Beteiligungsansätze bzw. auf die Rückkoppelung des Projektes mit der regionalen Bevölkerung aus, also auf die Frage wie viel Selbstorganisation und Beteiligung im Rahmen der Regionalentwicklungsprozesse überhaupt möglich ist (vgl. hierzu auch Krajasits 2007 oder vgl. Scherer 2006). Eine selbstorganisierte, grenzüberschreitende Zusammenarbeit in der Raumentwicklung im Rheintal hat sich noch nicht etabliert. Selbstorganisation, Freiwilligkeit und Selbstverantwortung werden zwar betont, die eigentlichen Beweggründe zur Zusammenarbeit liegen allerdings im Leidensdruck und in den finanziellen Anreizen. Wie sich der Leidensdruck in der Grenzregion zeigt, kann anhand eines Statements des damaligen Gemeindepräsidenten von Au (SG) verdeutlicht werden: „Das Rheintal gehört wohl zu zwei Ländern, ist aber ein funktionaler Raum. Das gilt auch für die Standortattraktivität. Hier sind wir dem Wettbewerb der Regionen ausgesetzt. Deshalb gilt: Entweder wir bündeln die Kräfte und arbeiten zusammen um die Attraktivität des Rheintals zu erhöhen, oder wir beide riskieren zu verlieren. Deshalb: Spannen wir zusammen, wo es um Interessen geht, die gemeinsam zu wahren sind!“ (Grob 2011). Bezüglich der finanziellen Anreize steht vor allem die Schweizer Agglomerationspolitik im Mittelpunkt. Hierbei wird eine künftige Förderung von Infrastrukturprojekten an die Bedingung, ein Agglomerationsprogramm zu erarbeiten, geknüpft. Regionale Zusammenarbeit wird somit mit „Druck von oben“ verordnet, was im Widerspruch zum gegenwärtigen Nachhaltigkeitsverständnis steht. Es wird sich erst zeigen, wie die Rheintalgemeinden bei einer negativen Beurteilung des eingereichten Agglomerationsprogrammes künftig weitermachen wollen und inwiefern die bisherige Zusammenarbeit während der Erarbeitungsphase langfristige, nachhaltige Effekte erzeugt hat. Dies waren zwei Beispiele zur Veranschaulichung der Schweizer Perspektive. Auf Österreichischer Seite des Rheintals gibt es mit dem regionalen Kontrakt Rheintal zwar ein freiwilliges Bekenntnis zur
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Zusammenarbeit. Aus Sicht der befragten Entscheidungsträger hat dieser aber noch zu wenig Wirkung entfaltet, um als effektiv eingestuft werden zu können. Was würde für eine stärkere Institutionalisierung sprechen? Aufgrund der zunehmenden grenzüberschreitenden Verflechtungen, in der die Gemeinden und Städte des Rheintals in eine Abhängigkeit zueinander geraten, erscheint die Institutionalisierung der Zusammenarbeit als notwendiger Schritt. Wegen ihrer wenig formalisierten Kooperationsstrukturen sind die Raumentwicklungsprozesse nicht in der Lage, Konflikte zu lösen bzw. „heiße Eisen“ anzupacken. Auf der anderen Seite sind auch „institutionalisierte“, grenzüberschreitende Institutionen und Trägerschaften nicht zwingend in der Lage, regionale Lösungsstrategien zu entwickeln, da sie allzu oft durch die nach wie vor existenten Verwaltungsstrukturen, Konkurrenzdenken, usw. gehemmt sind. Zudem bleibt der Diskussionsbedarf der gleiche, egal ob institutionalisierte oder offene Zusammenarbeit. Eine Institutionalisierung der Zusammenarbeit würde die Grenzregion Rheintal jedoch in ihrer Positionierung als Handlungsebene sowie in der Außenwahrnehmung festigen. Dabei scheint es allerdings wichtig, den Vorteil der Flexibilität, den eine regionale Handlungsebene mit sich bringt, nicht zu vernachlässigen. Warum? Abhängig von den jeweiligen Problemstellungen und Aufgabenfeldern (Müllentsorgung, räumliches Entwicklungskonzept etc.) können sich Gemeinden beispielsweise zu projektspezifischen regionalen Planungsverbänden zusammenschließen, wobei einzelnen Kommunen einer Vielzahl an Regionen angehören können und diese Regionen sich wiederum auch räumlich überlagern. Es besteht die Gefahr, dass diese Dynamik und Flexibilität verloren geht, wenn die regionale Handlungsebene zu stark institutionalisiert wird und die Region zu einer rein administrativen Ebene zwischen Land bzw. Kanton und Gemeinden degradiert wird. Die Untersuchungen des Agglomerationsprogrammes Rheintal und der Vision Rheintal belegen diese Gefahr. Auf der einen Seite wird die Energie auf die Zusammenarbeit innerhalb der abgrenzten Region gelegt, auf der anderen Seite stellt sich die Frage, welche Schnittstellen bestehen zu dem südlich anschließenden Agglomerationsprogramm Werdenberg-Liechtenstein oder zur Regionalentwicklung „im Walgau“ auf Vorarlberger Seite. Denn auch in Richtung dieser Regionen zeigen sich bedeutsame funktionale Verflechtungen oder regionale Identitätsbezüge. In diesem Kontext muss natürlich berücksichtigt werden, dass nicht alles gesteuert werden kann bzw. dass gerade grenzüberschreitende Zusammenarbeit begrenzt steuerbar ist. Grund ist ein limitiertes Wissen über die das System (in diesem Fall die Grenzregion) beeinflussenden Faktoren und das Grundinteresse zum Erhalt des eigenen Systems. Prozesse wie Vision Rheintal oder das Agglomerationsprogramm Rheintal leisten hierbei einen wichtigen Beitrag zum Abbau dieser Hürden.
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Fazit Raumbilder der Region Unterschiedliche Rahmenbedingungen und Prozessverständnisse wirken sich auf die Zusammenarbeit in der Grenzregion aus. Darüber hinaus ist ein „gemeinsames Bild“ noch nicht vorhanden (Interview Feiner 2012, AREG; Interview Kopf 2012, Land Vorarlberg). Dies gilt sowohl für die Top-Down- als auch für die Bottom-Up-Perspektive auf die Untersuchungsregion. Aber: „Der Stellenwert eines Raumbildes ist groß. Viele räumliche Entwicklungen, Maßnahmen und Investitionen orientieren sich an diesen Bildern. Zentren werden sichtbar und die Politik kann ihre Botschaften gut verkaufen. Die Kommunikation der raumplanerischen Vorhaben wird erleichtert“ (Interview Strauss 2012, AREG) – „Das Rheintal wird besser besprechbar“ (Interview Assmann 2012, Vision Rheintal). Eine Herausforderung, die sich in der Region Rheintal gemäß den Forschungsergebnissen zeigt, ist die unterschiedliche Bedeutungszuweisung in der Region. Auf der Landkarte der befragten Vorarlberger Rheintaler ist das St. Galler Rheintal ein weißer Fleck. Umgekehrt füllt sich das Bild der St. Galler Rheintaler in Bezug auf die Nachbarregion zunehmend mit Inhalten. Innerhalb von Vorarlberg ist das Vorarlberger Rheintal beispielsweise ein zentraler Lebensraum und hat auch österreichweit eine große Bedeutung. Aus Sicht der Gesamtschweiz liegt das St. Galler Rheintal hingegen peripher (vgl. hierzu auch Behrendt 1997, S. 5). Im diesem Zusammenhang meint die Fachgruppe Standortmarketing des VSGR etwa: „Das Rheintal ist nicht sehr bekannt und wird eher als ländlich und ‚rückständig‘ angeschaut. Mit einer ganzheitlichen Strategie soll unser Bekanntheitsgrad gesteigert werden“ (12. Delegiertenversammlung VSGR 2011, 27. Oktober 2011 in Rebstein). Allerdings bezieht sich diese Jahreszielsetzung 2012 wiederum nur auf die Seite des St. Galler Rheintals. Dieses Verständnis hat sich auch im Bottom-Up-Raumbild der Bewohnerinnen und Bewohner gezeigt, wie nachstehende Wahrnehmung von Herrn Huber aus Sennwald untermauert: „Ostschweizer sagen gerne, die Schweiz hört in Winterthur auf. Bundesgelder würden nicht gerecht verteilt und konzentrieren sich auf Bern, Zürich und Basel. Zudem gibt es viele Investitionen in die Westschweiz. Die wehren sich gut, die St. Galler sind immer brav und staatstreu und dann, dann reicht das Geld nicht mehr. Das sieht man beispielsweise an den Zuggarnituren und den Investitionen in den öffentlichen Verkehr. St. Galler warten, bis vom Bund etwas kommt. Das können sie sehr schön am ‚Rollmaterial‘ ablesen. Ab St. Gallen, wenn man umsteigt, hat man das Gefühl, man geht im Bahnwagenbau eine Generation zurück. Das führt zu den Komplexen. Und innerhalb des Kantons kommt es noch zu einer zusätzlichen Abstufung zwischen der Stadt St. Gallen und den Regionen.“
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Verständnis von Polyzentrik Das Verständnis von Polyzentrik wird unterschiedlich aufgefasst. Aus Sicht von Vision Rheintal steht das polyzentrische Leitbild für einen Ausgleich im Raum. Polyzentrik bringt ein räumliches Gleichgewicht. Jeder Knoten hat aufgrund seiner unterschiedlichen Funktion eine Bedeutung bzw. Berechtigung. Polyzentrik hänge mit Föderalismus zusammen und bedeute im optimalen Fall die Nutzung von Synergien, im negativen Fall führe sie zu Doppelgleisigkeiten. Im Vorarlberger Rheintal besteht Konsens darin, diese polyzentrische Grundstruktur weiterzuentwickeln, die Vernetzung zwischen den Städten und Gemeinden zu stärken und gleichzeitig die Vielfalt selbstbewusster Einheiten zu erhalten (vgl. Vision Rheintal 2006; Interview Assmann 2012). Mit dem Agglomerationsprogramm Rheintal soll ebenfalls der gesamte funktionale Raum gestärkt und unterstützt werden. Auch ein gleiches Verständnis von Knoten ist festzustellen. Es sollen jedoch bestimmte Knoten eine höhere Zentralität haben, um überörtliche Funktionen wahrnehmen zu können (vgl. hierzu auch Agglomerationsprogramm Rheintal 2011, S. 105). Dies wird mit einer Fokussierung auf sechs Siedlungsschwerpunkte verfolgt – vier in Vorarlberg (Bregenz, Dornbirn, Hohenems und Feldkirch), einem in der Schweiz (Altstätten) und einem grenzüberschreitenden (Mittelrheintal), wobei mit dem Siedlungsschwerpunkt „Mittelrheintal“ mit den Gemeinden St. Margrethen, Au, Widnau, Höchst und Lustenau in seiner länderübergreifenden Scharnierfunktion eine besondere Rolle zukommt (Interview Strauss 2012, AREG). In diesem zentral gelegenen Raum soll der grenzüberschreitende Verkehr zum Binnenverkehr entwickelt werden (vgl. Agglomerationsprogramm Rheintal 2011, S. 8 u. 106). Abbildung 34: Abstraktion der unterschiedlichen polyzentrischen Verständnisse im Untersuchungsgebiet – SG (links), V (rechts)
Quelle: eigene Darstellung 2013
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Trotz der finanziellen Anreize durch die Agglomerationspolitik des Bundes, eine „Einraumsicht“ bzw. ein gemeinsames Zukunftsbild im Rahmen des Agglomerationsprogrammes Rheintal zu erarbeiten, ist dies aber noch nicht gelungen. Die Arbeitsplattform wurde bislang zu wenig genutzt. Das Ziel der Stärkung der grenzüberschreitenden Vernetzung über den Rhein hinweg hat das Agglomerationsprogramm hingegen mit Vision Rheintal gemein (vgl. Agglomerationsprogramm 2011 und Vision Rheintal 2006). Thematische Ausrichtung der Raumbilder und Blick in die Zukunft In Vorarlberg konnten die für das Agglomerationsprogramm Rheintal erforderlichen Analysen und Grundlagenarbeiten aus der Vision Rheintal gewonnen werden. Die Erkenntnisse bzw. Folgerungen aus dem Leitbild Vision Rheintal wurden in der Erarbeitungsphase des Agglomerationsprogrammes Rheintal eingebracht. Zum einen geschah dies über einen Abgleich der Leitbilder, zum anderen über einen Austausch von Fachgruppen. Mittels des Abgleichs der Zukunftsbilder des Agglomerationsprogrammes Rheintal und der Leitbildkarten von Vision Rheintal wurde das Ziel verfolgt, deckungsgleiche Inhalte beider Prozesse benennen zu können, die unterschiedliche Auslegung von Begriffen abzuklären und den grenzüberschreitenden Mehrwert für beide Seiten sichtbar zu machen (vgl. Land Vorarlberg 2009, S. 249). Dadurch sollte gewährleistet werden, dass die für das Vorarlberger Rheintal relevanten Erkenntnisse und Beschlüsse aus dem Prozess Vision Rheintal im Agglomerationsprogramm verankert werden. Gleichzeitig können die Inhalte des Agglomerationsprogrammes mit den Raumplanungszielen und Entwicklungsvorstellungen des Landes Vorarlberg abgestimmt werden. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit braucht zuerst eine Verständigung über die Begrifflichkeiten, Verständnisse und Erwartungshaltungen. Wenn die Zukunftsbilder gemeinsam erarbeitet werden, können sie einen Katalysator für die gemeinsame Betrachtung des Rheintals darstellen, wobei der gemeinsame Verständigungs- und Planungsprozess über die Erarbeitung der Zukunftsbilder hinausgehen sollte. Bei der Erstellung der Zukunftsbilder für die grenzüberschreitende Region Rheintal sind zwar insbesondere die Leitbildkarten der Vision Rheintal eingeflossen, neue Grundlagen wurden jedoch nicht erarbeitet. Der Abgleich beider Raumentwicklungsprozesse hat zunächst keine inhaltlichen oder strategischen Unterschiede bezüglich der Themenbereiche Siedlungs-, Landschafts- und Verkehrsentwicklung aufgezeigt. Ein wesentlicher Unterschied war jedoch die breitere Ausrichtung von Vision Rheintal. Bei Vision Rheintal werden nämlich überdies Themen wie Freizeit, soziokulturelle Entwicklung, Ge-
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meinbedarfseinrichtungen, Gemeindekooperation, Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit behandelt. Die Zukunftsbilder zu Natur und Landschaft sowie zu den Verkehrsinfrastrukturen sind diesbezüglich am weitesten fortgeschritten und das Ergebnis berücksichtigt die Grundlagen aus Vision Rheintal am besten. Das Zukunftsbild für die Siedlungsstruktur ist noch nicht ausgereift, hier braucht es weitere Abstimmungen und Ergänzungen. Inhaltlich betrifft dies aus Sicht von Vision Rheintal vor allem das polyzentrische Leitbild für das Vorarlberger Rheintal. Dieses findet sich im Zukunftsbild des Agglomerationsprogrammes Rheintal nur bedingt wieder. Bislang hat St. Gallen mit dem begleitenden Büro Vorschläge ausgearbeitet und Vorarlberg zur Stellungnahme vorgelegt. Eine gemeinsame Erarbeitung, wie von Vorarlberg vorgeschlagen, ist noch nicht erfolgt. Des Weiteren deckt das Teilbild Langsamverkehr nur die St. Galler Seite ab. Das Teilbild zum öffentlichen Verkehr zeigt eine Verstärkung des Leitersystems im Rheintal, was ebenfalls auf Vorarlberger Seite zu finden ist. Die Linienführung bzw. Anknüpfung zu den Ortschaften ist allerdings noch zu wenig aufeinander abgestimmt. Insgesamt ist bislang weder für das Jetzt noch für das Morgen eine gemeinsame Sicht auf das Rheintal entstanden. Es gibt kein gemeinsames Bild, das die Region zusammenhält. Dies gilt allerdings nicht für alle Themenbereiche. Stellenwert des Rheins: Der Fluss Rhein stellt auf beiden Seiten ein wesentliches Identifikationselement für die Bewohnerinnen und Bewohnern dar. Trotzdem ist er politisch und planerisch aber noch zu wenig Thema (vgl. Schindegger 2003, S. 5), obwohl er z.B. durch die Leitbildkarten von Vision Rheintal oder des Agglomerationsprogrammes Rheintal an Bedeutung gewinnt. Das Motto „den Rhein in die Mitte nehmen“ ist ein guter Vorsatz, nur muss dieser mit Leben gefüllt werden. Gedacht sei etwa an ein Projekt „16 Grenzgemeinden – ein Fluss“, in Anlehnung an ähnliche Projekte in Vorarlberg (Interview Assmann 2007, Vision Rheintal). Damit würde der Rhein künftig als Marke für die grenzübergreifende Zwischenstadt dienen, ganz nach dem Motto „Der Fluss trennt nicht, sondern fließt durch die gemeinsame Mitte“ (vgl. hierzu Konrad 2010). „Ich bin überzeugt, dass der Rhein keine Grenze sein darf. […] Mittlerweile haben wir ihn mit modernen Brücken als Hindernis abgeschafft. Dafür ist er immer stärker zur Grenze geworden“ (Siegele 2001, S. 19). Der Rhein ist eine „Lebensader“ mit großer Bedeutung für die gemeinsame Identität in der Region, zugleich wird das Potential des Flusses zur Identitätsbildung nach innen und Imagebildung nach außen aber noch zu wenig genutzt.
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Abgrenzungen und Einteilungen des Rheintals Grundsätzlich beziehen sich die Abgrenzungen der Teilregionen im Rheintal entweder auf verschiedene Raumtypen oder auf funktionale Handlungsräume. Das Alpenrheintal als solches wird in den untersuchten Raumplanungskonzepten aber nie in seiner Gesamtheit wahrgenommen. Dies zeigt sich z.B. im Raumkonzept Schweiz durch die Aufteilung auf den klein- und mittelstädtisch geprägten Handlungsraum Nordostschweiz und auf den alpin geprägten Handlungsraum Südostschweiz. Die Grenze zwischen den beiden Alpenrheintälern liegt auf Höhe Sargans. Ein ähnliches Bild ergibt ein Blick auf die Raumtypen des Kantons St. Gallen festzustellen. Das St. Galler Rheintal und Werdenberg werden als industriell geprägte Regionen ausgewiesen, die Region Sarganserland als touristischer Raum (vgl. Kanton St. Gallen 2009, S. 43). Ein wiederum anderes Bild des Alpenrheintals zeigen die Funktionsräume des Kantons St. Gallen. Hier verläuft die Grenzziehung zwischen dem St. Galler Rheintal und Werdenberg, die mit ihren Nachbarn jeweils eigene Funktionsräume bilden. In Bezug auf das Untersuchungsgebiet des nördlichen Rheintals stellt sich generell die Frage, ob die Zusammenarbeit in der Konstellation aller 41 Gemeinden sinnvoll oder im Sinne der gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskussionen nur als en vogue zu betrachten ist. Die 41 Gemeinden des St. Galler Rheintals und des Vorarlberger Rheintals bilden keinen nachweislichen funktionalen Verflechtungsraum, weder im Bereich der Arbeitspendler, noch beim Einkaufsverhalten oder in der Freizeitorientierung – um nur drei Indikatoren zu nennen. Punktuelle grenzüberschreitende Beziehungen sind zwar gegeben, in der Freizeitorientierung der St. Galler Rheintaler z.B. mit dem Cineplexx Hohenems oder dem Einkaufszentrum Messepark in Dornbirn, diese verlaufen aber nur einseitig und decken nicht die Region der 41 Gemeinden ab. In diesem Kontext wird die These aufgestellt, dass das St. Galler Rheintal durch die S-Bahn-Verbindung stärker mit der Stadt St. Gallen und das Vorarlberger Rheintal durch die neue Straßentunnelverbindung im Vergleich dazu stärker mit dem Bregenzerwald im Kontakt steht. Das Zusammendenken der 12+29 Rheintal-Gemeinden basiert folglich allein auf politisch-strategischen Beweggründen. Das Alpenrheintal (noch) ein Konstrukt Am Beginn dieser Arbeit stand die Frage nach den Besonderheiten und Merkmalen der Region Rheintal. Im Zuge der Forschung konnten die Wahrnehmungen der Bewohnerinnen und Bewohner herausgearbeitet und in sechs zentrale Merkmalskategorien zusammengefasst werden. Diesbezüglich werden die Natur und die Landschaft von den befragten Rheintalerinnen und Rheintalern beider-
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seits des Rheins und bei allen Generationen besonders hervorgehoben. Für künftige grenzüberschreitende Projekte kann die Natur und die Landschaft folglich ein entscheidender Themenschwerpunkt sein. Insbesondere der Fluss Rhein rückt hierbei in den Mittelpunkt der Betrachtung und kann zur Lebensader der Region werden. Das Alpenrheintal ist zunächst noch ein Konstrukt, weil es kein gemeinsames bzw. eigenständiges Raumbild gibt und weil es keine klare Identifikation mit dieser Zwischenstadt Rheintal gibt. Die Antworten zu den Besonderheiten und Merkmalen der Region unterscheiden sich aus der Sicht der befragten Rheintalerinnen und Rheintaler nach Alter und Herkunftsregion. Zudem mischen die Bewohnerinnen und Bewohner ihr „Bild der Region“ nach wie vor aus Stadt- und Land-Begriffen zusammen (vgl. hierzu auch Schöffel et al. 2010). Die grenzübergreifende Zwischenstadt beinhaltet mit diesen Besonderheiten und Merkmalen gleichzeitig ebenso „Hoffnungsgebiete der Raumentwicklung“, die in Anlehnung an Ben Davy (vgl. 2002 u. 2004, S. 118ff) als Möglichkeitsräume für eine nachhaltige Entwicklung in der Region verstanden werden. Wie aber können die Möglichkeitsräume gefördert werden? Ein wichtiger Schlüssel liegt in der Multifunktionalität. Um diese anerkennen zu können, bedarf es zuerst eines Perspektivenwechsels: Nutzungen im Raum lassen sich nicht mehr zonieren, sondern überlagern sich. Gerade im Untersuchungsgebiet zeigt sich, dass Landwirtschaft, Naherholung, Wohnen oder Industrie denselben Raum besetzen wollen. Wenn bereits intensiv genutzte Räume wie z.B. Betriebsgebiete mit weiteren funktionalen Nutzungen bespielt werden können, dann stehen sie nicht mehr monofunktional und störend im Raum. Ein weiterer Nebeneffekt einer Nutzung von multifunktionalen Möglichkeitsräumen: Sie vermitteln die spezifischen Potentiale der Zwischenstadt Rheintal, was die Identifikation mit diesem Raum unterstützt (vgl. Boczek 2011, S. 20; vgl. Boczek 2004, S. 151). Ein anderer Schlüssel, um die grenzübergreifende Zwischenstadt Rheintal als Möglichkeitsraum zu begreifen, liegt in einem erweiterten Verständnis von Zersiedelung bzw. Dichte. Niedrige Dichte wird in der fachlichen Diskussion gegenwärtig mehr oder weniger negativ bewertet (z.B. Landschaftsverbrauch, Zersiedelung). Gleichzeitig wird hohe Dichte von den Bewohnern nicht immer geschätzt, in der fachlichen Debatte jedoch meistens als die nachhaltige Lösung angesehen (vgl. Häußermann 2007, S. 22). Was kann dem entgegnet werden? Die Zersiedelung, im Zusammenhang mit der Zunahme von Einfamilienhausarealen, sollte zunächst nicht länger als alleiniges Problem der Flächenwidmung bzw. der Planung generell betrachtet werden (vgl. Bieri 2007, S. 131). Es braucht vielmehr ein positives Verständnis von Dichte, was zum Beispiel im Sinne einer Erlebnisdichte vermittelt werden kann. Rationale Argumente wie ökologisch sinnvoll, ressourcenschonend reichen gemäß Hofer nicht aus, sondern man muss die emo-
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tionalen Motive herausstreichen (vgl. 2007, S. 149). Erlebnisdichte bedeutet, dass der dichte Raum zum Ort der Begegnung, des Austausches und des Erlebens wird (vgl. ebd.). Das Alpenrheintal ist noch ein Konstrukt, weil die Grenzen nach wie vor einen großen Stellenwert haben. In der Wahrnehmung der befragten Rheintalerinnen und Rheintaler zeigt sich, dass unterschiedliche Verständnisse, Bezugspunkte und Perspektiven auf die Region präsent sind. Die Ergebnisse belegen, dass sich die Administrationsräume nicht mit den Funktionsräumen decken. Die Bewohnerinnen und Bewohner bewegen sich nicht mehr innerhalb der Gemeindegrenzen, sondern nutzen die gesamte Region – sei es im Bereich der Arbeitspendler, der Freizeitgestaltung oder der täglichen Versorgung. Aufgrund dieser Flexibilisierung der Lebensformen, binden sich die Menschen nicht mehr so stark an ihren ursprünglichen „Heimatort“. Allerdings muss ebenso festgehalten werden, dass es sich hierbei um eine Gebrauchssicht handelt und dass eine zunehmende funktionale Verflechtung auf regionaler Ebene nicht das Vorhandensein einer gemeinsamen, regionalen Identität bedeuten muss – weder innerhalb der eigenen Region, noch in der grenzüberschreitenden Region. Sehr wohl sind diese alltäglichen Beziehungen aber wichtig für ein gemeinsames Bewusstsein und ein gegenseitiges Verständnis. Die drei Wahrnehmungsbilder stehen zusammenfassend für eine Momentaufnahme der Vorarlberger, der Liechtensteiner und der Schweizer Sichtweise auf das Alpenrheintal: Die befragten Vorarlberger Rheintalerinnen und Rheintaler leben und erleben ihre Region innerhalb der 29 Vorarlberger Rheintalgemeinden. Der Bodensee ist eine bedeutende Orientierungsmarke, der Rhein wird als Grenze wahrgenommen. Die befragten Schweizer Rheintaler leben und erleben ihre Region zwischen den beiden Polen Bodensee und Bündner Berge. Allerdings haben sie eine stärkere Orientierung über die bestehenden Grenzen hinweg als die Vorarlberger Rheintaler. Teilweise ist bei den Schweizer Rheintalern die Wahrnehmung der Nord-Süd-Grenzen stärker als jene der West-OstGrenzen. Dies zeigt sich anhand folgender Dreiteilung: Das St. Galler Rheintal ist in Richtung Vorarlberg orientiert und Werdenberg in Richtung Liechtenstein. Das Bündner Rheintal nimmt eine Sonderstellung ein, was sich in einer starken Orientierung in Richtung Großraum Zürich zeigt. Das restliche Alpenrheintal hat für die befragten Bündner Rheintalerinnen und Rheintaler nur eine untergeordnete Bedeutung. Am stärksten beinhaltet das Wahrnehmungsbild der Liechtensteiner den Blick auf das gesamte Alpenrheintal. Das Fürstentum könnte somit die Funktion eines Scharniers für die künftige grenzüberschreitende Raumentwicklung im Alpenrheintal einnehmen (vgl. hierzu auch Obkircher 2011). Das Rheintal gibt es derzeit je nach Situation, Person und Kontext einmal mehr, einmal weniger: Man könnte sagen, das Alpenrheintal gibt es manchmal.
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Abbildung 35: Wahrnehmungsbilder des Alpenrheintals aus Liechtensteiner, Schweizer und österreichischer Perspektive
Liechtenstein
Schweiz
Vorarlberg
Quelle: Photo Land Vorarlberg 2010, eigene Darstellung 2013
N ÄCHSTE S CHRITTE IN R ICHTUNG GEMEINSAME R AUMENTWICKLUNG
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R HEINTAL
Bei all den Unterschieden und Gemeinsamkeiten, die beiderseits des Rheins erkennbar sind, kristallisiert sich in der Wahrnehmung der Entscheidungsträger der Region letztlich ein zentraler Aspekt heraus: Das Rheintal ist ein grenzüberschreitender Lebensraum, den es zusammen zu entwickeln gilt. Und auf beiden Seiten des Rheins herrscht diesbezüglich Einigkeit: Man will in Zukunft weiterhin nach gemeinsamen Lösungen suchen – über Gemeinde-, Landes-, Kantonsund Staatsgrenzen hinweg (vgl. Rheintalkarten 2010). Wie z.B. der Blick auf die Jahreszielsetzung 2012 des Vereins St. Galler Rheintal zeigt, ist auch der Wille dazu vorhanden. An erster Stelle ist hier zu lesen, dass die grenzüberschreitenden Beziehungen vertieft werden sollen (vgl. 12. Delegiertenversammlung VSGR, 27. Oktober 2011 in Rebstein). Vision Rheintal hat mit Beginn der vierten Projektphase indessen ebenfalls den Auftrag, sich über die Grenzen zu öffnen. Dies wird in der Projektausrichtung allerdings nicht immer stringent berücksichtigt, der Fokus auf raumplanerischen Herausforderungen innerhalb der 29 Gemeinden des Vorarlberger Rheintals überwiegt nach wie vor. Drei Handlungsfelder Wie kann jedoch, jenseits von einzelnen, zeitlich begrenzten grenzüberschreitenden Projekten und Programmen, langfristig mit den Herausforderungen in der Grenzregion Rheintal umgegangen werden? Basierend auf den Erkenntnissen und Erfahrungen der bisherigen Zusammenarbeit lassen sich nachstehende drei Handlungsfelder für die gemeinsame nachhaltige Weiterentwicklung der Grenzregion Rheintal ableiten: (1) Das gemeinsame Bild der Region sichtbar machen,
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(2) ein gemeinsames regionales Governance-Modell entwickeln und (3) die Verankerung des grenzübergreifenden Rheintals in den Köpfen der Bewohnerinnen und Bewohner. (1) Bild der Region: Gegenwärtig sind fast ausschließlich die Verbindungen innerhalb des St. Galler und des Vorarlberger Teils des Rheintals stark, während die grenzüberschreitende Vernetzung („Strickleiter“) schwach ist. Das polyzentrische Leitbild der Region soll dementsprechend über die Grenzen hinweg geschärft werden. Dadurch wird eine Abstimmung der künftigen Entwicklungsschwerpunkte ermöglicht (inhaltlich wie räumlich verortet) und das Vernetzungspotential der Städte und Gemeinden sichtbar. Voraussetzung dafür ist, dass die Konkretisierung und Weiterentwicklung eines polyzentrischen Leitbildes gemeinsam erfolgt, indem man sowohl die Fachplaner, die Bürgermeister bzw. Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten als auch die Bewohnerinnen und Bewohner beiderseits des Rheintals miteinbezieht (siehe Verankerung in den Köpfen). Eine Zusammenarbeit im Untersuchungsgebiet muss also über ein reines Zusammenfügen beider Projekte hinausgehen. Zudem fehlt ein Abgleich mit dem Agglomerationsprogramm Werdenberg-Liechtenstein. Dass das Amt für Raumentwicklung im Kanton St. Gallen aber in beiden Programmen Teil der Projektleitung ist, kann künftig als zentrale Chance zur Vernetzung beider Teilräume des Alpenrheintals gesehen werden (vgl. hierzu auch Meier 2011, S. 175). (2) Gemeinsames regionales Governance-Modell: Der gemeinsame Verständigungs- und Planungsprozess muss über ein Projektleben bzw. die gesetzten Impulse von Regionenmachern hinaus andauern (Interview Spirig 2012, VSGR). Um dies zu gewährleisten, braucht es – neben den bereits installierten Arbeitsgruppen und den Treffen der Bürgermeister und Gemeindepräsidentinnen und präsidenten – eine Institutionalisierung der Zusammenarbeit. Deren Umsetzung stellt gerade in der Grenzregion Rheintal (z.B. aufgrund unterschiedlicher Rechtssysteme) eine Herausforderung dar. Z.B. ist bei einem grenzübergreifenden regionalen Governance-Modell – in diesem Fall mit Kanton, Land und 41 Gemeinden – die Frage der Verbindlichkeit und der demokratischen Legitimation zu berücksichtigen. Eine solche Trägerschaft muss nicht von heute auf morgen kommen, sondern mitwachsen. Beginnend mit Austauschanlässen, einer verbesserten Kommunikation oder Bürgerbeteiligungsprojekten kann sich eine zunehmende Konkretisierung zuerst mit inhaltlichen Anforderungen an die Form der Zusammenarbeit füllen und entwickeln, bis hin zur Region „41 Gemeinden – ein Lebensraum“. Daneben können Formen der Zusammenarbeit auch weiterhin zeitlich befristet sein und sich nach Projektende wieder auflösen (vgl. auch NUL
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2001, S. 15, S. 19 und S. 31). Aus Sicht des Landes Vorarlberg und des Kantons St. Gallen sollen die unterschiedlichen Abläufe, die sich aufgrund unterschiedlicher Planungstraditionen bzw. Rechtssysteme ergeben, weiter miteinander abgeglichen werden. Dies bildet somit einen Kern der Herausforderung. Abgleich bedeutet hierbei allerdings nicht zwingend Vereinheitlichung. Regionale Eigenheiten wirken belebend und stellen eine Chance für die Grenzregion dar. Aus der Vielfalt unterschiedlicher Zugänge können befruchtende Impulse für die jeweils eigene Arbeit entstehen (Interview Kopf 2012, Land Vorarlberg). Mit dem Regierungsbeschluss liegt darüber hinaus ein Bekenntnis der Vorarlberger Landesregierung zur Zusammenarbeit und dem Willen zur Abstimmung mit den betroffenen Gemeinden vor. Zuerst sind die Grenzgemeinden einzubinden, jene die an Projekten beteiligt sind, erst an zweiter Stelle soll der Gesamtraum der 41 Gemeinden eine Rolle spielen. Dazu ist allerdings die Frage zu klären, welche überhaupt die betroffenen Gemeinden im Vorarlberger Rheintal sind? (3) Verankerung des grenzübergreifenden Rheintals in den Köpfen der Bewohnerinnen und Bewohner: Die Ideen und Projekte anderer kann man nicht verwirklichen! Wenn der Impuls für Ideen und Projekte zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu sehr „von oben“ gesteuert wird, ist die Bewusstseinsbildung für regionale Anliegen mitunter geringer und Vertrauen bzw. Verantwortung können sich nicht gleichermaßen entwickeln. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit soll eine stärkere Verankerung in der Region finden. Diesbezüglich nennt z.B. der Schweizer Bund in seiner Agglomerationspolitik die Beteiligung der Bevölkerung als einen wichtigen Beitrag für diese Verankerung. Im Rahmen des Agglomerationsprogrammes Rheintal soll im „Mittelrheintal“ mithilfe eines sogenannten Bürgerrates ein wertvoller Impuls in diese Richtung gesetzt werden. Bei diesem Bürgerrat werden nach dem Zufallsprinzip 12 bis 16 Bürgerinnen und Bürger aus der Region ausgewählt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden dazu motiviert, Themen und Anliegen ihrer Wahl während insgesamt eineinhalb Tagen zu diskutieren. „Grenzüberschreitendes Zukunftsforum“ – unter diesem Titel sollen Ideen für die Region entwickelt werden, sowie Beziehungen zwischen den Gemeinden verbessert werden. Es geht darum, die Leute zusammenzubringen, zu begeistern und ein erstes gemeinsames Bild der Region zu erarbeiten. Die Ergebnisse des Bürgerrates werden in einem weiteren Schritt den politischen Entscheidungsträgern präsentiert und als wichtige Hilfestellung für die Weiterentwicklung der Themenschwerpunkte in der Zusammenarbeit im „Mittelrheintal“ dienen. Denn in diesem Wechselspiel zwischen Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger und Abstimmung mit Entscheidungsträgern entstehen
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die notwendigen Lerneffekte und es kann ein gemeinsames Bewusstsein für die Herausforderungen der Region erarbeitet werden. Sieben Denkanstöße für eine nachhaltige Raumentwicklung Eine erfolgreiche und auf Langfristigkeit ausgerichtete Raumentwicklung im Rheintal kann nur in Verbindung mit den bereits erwähnten neuen Formen der regionalen Selbststeuerung erreicht werden. Diesbezüglich erscheinen folgende sieben Denkanstöße, besonders auch in Zusammenhang mit dem Agglomerationsprogramm Rheintal und Vision Rheintal von Bedeutung: 1. Breite Beteiligung verschiedener Akteure, sowohl in einer vertikalen als auch in einer horizontalen Ausrichtung, und ein damit verbundenes Verantwortungsbewusstsein und Vertrauensverhältnis. Wer an einem Prozess (freiwillig) beteiligt ist, übernimmt Verantwortung für die Region. Die untersuchten Regionalentwicklungsprozesse im Rheintal zeigen, dass Menschen durch aktive Teilnahme ein regionales Bewusstsein entwickeln und somit viel sensibler gegenüber regionalen Herausforderungen und Lösungsansätzen werden. Zudem muss die Politik mitgenommen werden, „dann erzeugt man auch den politischen Rückhalt für grenzüberschreitende Projekte“ (Interview Kopf 2012, Land Vorarlberg). 2. Offene Prozessgestaltung um die Erarbeitung neuer, kreativer und manchmal vielleicht auch chaotischer Ideen und Lösungsansätze ermöglichen zu können (im Sinne der „choice creating“ Prozesse). Damit kann beispielsweise auf den steigenden Aushandlungsanspruch bei grenzüberschreitenden Raumentwicklungsprojekten reagiert werden. Es braucht nicht mehr nur Genehmigungsverfahren, Konzepte oder Masterpläne, sondern auch kooperative Instrumente wie etwa Regionalkonferenzen und Dialoge. 3. Verantwortung und Vertrauen können über Institutionen nicht dauerhaft abgesichert werden. Beteiligte Personen gehen weg, neue kommen hinzu. Eine institutionalisierte Partnerschaft verliert mit der Zeit an Kraft. Entscheidend ist der kontinuierliche Lernprozess. 4. Berücksichtigung der institutionellen Rahmenbedingungen in der Region und des wahrgenommenen, mentalen Raumes als ein wesentlicher Steuerungsfaktor (im Sinne der kontextualen Dimension). Dies ist entscheidend für eine Abgrenzung der gelebten Region: Bsp. Arbeitspendler im Rheintal.
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5. Weitere Aufwertung der regionalen Handlungsebene und der grenzüberschreitenden Verflechtungsräume. Sie müssen als eigene Raumkategorie bei Kanton und Land etabliert werden, allerdings nicht im Sinne einer fixen Einheit, sondern in Bezug auf das Bereitstellen von personellen, finanziellen und zeitlichen Ressourcen. Jene grenzüberschreitenden Projekte und Initiativen die im Rheintal bereits vorhanden sind, müssen auf der tagespolitischen Agenda der Entscheidungsträger einen prominenteren Platz erhalten. 6. Obwohl die politischen Grenzen ein Hindernis für die räumliche Entwicklung des Tales darstellen, soll weniger die Beseitigung dieser Grenzen zur Lösungsfindung beitragen, sondern vielmehr die Schaffung einer neuen Grenzkultur. Zum Beispiel in dem gemeinsam nachgedacht aber eigenständig umgesetzt wird. Das heißt, die Entwicklungsplanungen auf strategischer und konzeptioneller Stufe beziehen die benachbarten Räume mit ein, die Umsetzung erfolgt allerdings unter den jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen der Teilregionen (vgl. Schlegel 2009, S. 17, Meier 2011, S. 230f). 7. Raumplanung bezieht sich verstärkt auf den Sozialraum. Raumplanung soll sich folglich nicht nur mit dem gebauten, funktionalen Raum auseinandersetzen, sondern künftig ebenso bzw. noch intensiver auf sozialräumliche, wahrgenommene Aspekte eingehen. Gemäß Zech sollte das „Wie wird der Raum wahrgenommen?“ im Mittelpunkt stehen und ein wichtiger Bestandteil raumplanerischer Maßnahmen sein (Interview Zech 2007, ehemalige Projektleiterin Vision Rheintal). Die Ergebnisse der Bottom-Up-Raumbilder zeigen, dass durch das Verständnis über die Bedeutungszuweisungen von phänotypischen Beschreibungen des Raumes ein Mehrwert für die Raumplanung entstehen kann.
8. Umsetzung der Erkenntnisse in der Planungspraxis
Dieses Kapitel will beleuchten was sich in der grenzüberschreitenden Raumentwicklung im Rheintal in den letzten Jahren getan hat und welche Handlungsempfehlungen und Denkanstöße letztlich Berücksichtigung gefunden haben. Damit verbunden ist auch ein endgültiger Perspektivenwechsel des Autors, von der Forscherperspektive hin zu jener des Regionalentwicklers, der in der Landesraumplanung des Bundeslandes Vorarlberg die grenzüberschreitende Raumentwicklung begleitet. Das Kapitel beschreibt also aktuelle Ansätze der gemeinsamen Umsetzung und zeigt auf, welche regionalen Governance-Modelle von entscheidender Bedeutung für die grenzüberschreitende Handlungsfähigkeit sind. Die Erkenntnisse basieren auf aktuellen Projekten des Landes Vorarlberg, des Kantons St. Gallen sowie des Vereins St. Galler Rheintal und Vision Rheintal. Sie spiegeln die Meinung des Autors wider.
F EHLSCHLÄGE ALS K ATALYSATOR FÜR DIE W EITERENTWICKLUNG Grenzüberschreitendes Zukunftsforum Rheintal Zur besseren Verankerung und Einbeziehung der Bevölkerung in die gemeinsame Raumentwicklung wurde im Herbst 2012 das Zukunftsforum Rheintal veranstaltet (nach dem Prinzip des „BürgerInnen-Rates“, siehe Abschnitt Handlungsfelder). Im Fokus stand der Raum Mittelrheintal mit den funktional zusammenhängenden Vorarlberger Gemeinden Lustenau und Höchst sowie den St. Galler Rheintalgemeinden Widnau, Au und St. Margrethen. Zielsetzung und Zweck des Beteiligungsprojektes war, Themen und Fragen zu diskutieren, die Impuls für
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die Erarbeitung eines regionalen Raumentwicklungskonzepts Mittelrheintal hätten werden sollen. Es meldeten sich jedoch nur sieben Teilnehmer an (200 der knapp 50.000 Einwohner wurden per Zufallsauswahl persönlich eingeladen). Daher wurde von den Organisatoren in Absprache mit den Gemeinden beschlossen, statt des Zukunftsforums einen zweistündigen Workshop mit den angemeldeten Personen durchzuführen. Ursprünglich wurde zum Zukunftsforum mit der Frage „Welche Rolle spielt die Grenze in unserer Region heute und in Zukunft?“ eingeladen. Da diese Frage, wie es schien, zu wenig Zugkraft für die Bevölkerung enthielt, war das Ziel dieses Workshops zusammen mit den Teilnehmern die ursprüngliche Frage weiterzuentwickeln und eine für die Bevölkerung motivierende Fragestellung für ein nächstes Zukunftsforum zu formulieren. Was sind relevante Themen/Fragen für unsere Region? Zu welchen Fragen brauchen wir einen besseren Austausch in der Region? Bei welchen dieser Fragen sollen Bürger eingebunden werden? Als Ergebnis des Workshops kristallisierte sich eine neue Leitfrage heraus: „Was macht unsere Region attraktiv und lebenswert und wohin soll die zukünftige Entwicklung gehen?“ Auf dieser Weiterentwicklung aufbauend beschlossen die Gemeinden einen zweiten Anlauf. Für Sommer 2013 hatten die Gemeindepräsidentin, die Gemeindepräsidenten und Bürgermeister der fünf Rheintalgemeinden erneut zu einem grenzüberschreitenden Zukunftsforum eingeladen. Doch wiederum musste die Veranstaltung mangels Interesse abgesagt werden, ein weiterer Versuch wurde bisher nicht mehr unternommen. Aus diesem nicht geglückten Beteiligungsprojekt ließe sich in einer ersten Momentaufnahme ableiten, dass das regionale Problembewusstsein der Bevölkerung derzeit fehlt; dass das Interesse in grenzüberschreitenden Fragestellungen zusammenzuarbeiten nicht vorhanden ist. Auf den zweiten Blick kann man aber auch selbstkritisch feststellen, dass jene Themen der Raumentwicklung mit einem langfristigen Zeithorizont und einem überregionalen Betrachtungsmaßstab ganz einfach zu wenig attraktiv und greifbar für die Bevölkerung sind. Projekte wie der Hochwasserschutz entlang des Rheins (RHESI) oder eine gemeinsame Verkehrslösung („Mobil im Rheintal“) beweisen allerdings das Gegenteil. Hier gibt es Betroffenheit, Bedarf und überregionales Engagement. Die Raumentwicklung muss daraus lernen die Brücke von einer langfristigen Ausrichtung ihres Tuns zu kurzfristigen Quick Wins zu schlagen. Also die Raumentwicklung auf konzeptioneller und visionärer Ebene mitdenken, ohne dabei auf die umsetzbaren Projekte zu vergessen. Die Politik gewinnt dadurch an greifbaren Erfolgsmeldungen und die Bevölkerung erlebt schon heute Zweck und Nutzen der Zusammenarbeit. Ebenso braucht es die passenden Themen um bei der Bevölkerung einen Anreiz für Diskussionen über die großen Zusammenhänge zu schaffen.
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Zudem müssen die Akteure der Raumentwicklung ihre Anliegen in einer verständlicheren Sprache vermitteln. Die Folge: Raumplaner oder Geographen sollten heute nicht mehr nur Fachpersonen als solche sein und Prozesse begleiten können. Sie brauchen vor allem eine Kommunikationskompetenz. Dies ermöglicht ihnen subjektive Deutungsrahmen von bestimmten Zielgruppen zu identifizieren – also wie diese Zielgruppen Fakten wahrnehmen. In diesen Deutungsrahmen können dann Botschaften formuliert und so kommuniziert werden, dass Positionen der Raumplanung bzw. der Raumplanungspolitik erklärbar und nachvollziehbar werden und somit zur Mitarbeit motivieren. Der Prüfbericht des ARE und die Ablehnung des eingereichten Agglomerationsprogrammes Im Frühjahr 2014 hat das ARE seinen finalen Prüfbericht vorgelegt und aufgrund zu geringer Programmwirkung das Agglomerationsprogramm Rheintal abgelehnt. „Aufgrund des vorliegenden Agglomerationsprogrammes ist jedoch erkennbar, dass diese Zusammenarbeit noch am Anfang steht und die gemeinsame koordinierte Planung noch nicht ausreichend weit entwickelt werden konnte“ (ARE 2014, S. 5). Ein roter Faden vom Handlungsbedarf bis zu den Maßnahmen sei nicht erkennbar. Ein Hauptkritikpunkt des Prüfberichts des ARE betrifft die mangelnden grenzüberschreitenden Analysen und eine fehlende abgestimmte Gesamtstrategie. Das ARE hält dazu in seinem Prüfbericht als Schwäche fest, dass das Zukunftsbild der Region Rheintal u. a. nicht das gesamte Spektrum des Themas Verkehr beinhalte bzw. die einzelnen Projekte untereinander zu wenig abgestimmt seien. Im Themenbereich Siedlungsentwicklung seien die Projekte und Instrumente zur Vermeidung einer weiteren Zersiedelung zu wenig konkret und nicht auf das grenzüberschreitende Rheintal abgestimmt. In der Folge wird festgestellt, dass die aufgeführten Projekte zu keiner Verminderung der Umweltbelastung und des Landschaftsverbrauchs führen würden (vgl. ARE 2014). Die Agglomerationspolitik des Schweizer Bundes fordert und fördert den Blick über die Staats- und Verwaltungsgrenzen. Umso überraschender waren die Ergebnisse des Prüfberichtes zu lesen, welche in ihrer Analyse des eingereichten Agglomerationsprogrammes Rheintal nach einer nationalen Vergleichbarkeit suchen. Hierbei wird zum einen zu wenig berücksichtigt, dass die polyzentrale Struktur des Rheintals eine andere Herausforderung in der räumlichen Entwicklung mit sich bringt, als z.B. jene in Zürich oder in Basel. Zum anderen liegt der Hauptanteil des funktionalen Raums in Vorarlberg und somit im Ausland. Diesbezüglich ist zu berücksichtigen, dass die Agglomeration keine vierte Staatsebe-
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ne bildet, sondern die Umsetzung der Maßnahmen durch die jeweiligen Planungsinstrumente der beteiligten Gemeinden, des Landes und des Kantons zu erfolgen hat. Die Grenzsituation des Agglomerationsprogrammes bietet somit vielmehr eine Chance vielfältige Strategien zur Lösung raumrelevanter Aufgaben zu erarbeiten. Eine vergleichbare kritische Haltung wurde bereits bei der Evaluierung der Agglomerationspolitik durch externe Experten festgestellt. Aus dem Erläuterungsbericht zur Prüfung der Agglomerationsprogramme der zweiten Generation des Bundesamts für Raumentwicklung ARE ist folgendes zu entnehmen: „Die grenzüberschreitenden Agglomerationen stehen vor besonderen Herausforderungen bei der Zusammenarbeit mit ihren ausländischen Partnern. Sie laufen Gefahr, angesichts nicht interessierter ausländischer Gebietskörperschaften und entsprechender Lücken in der Gesamtkonzeption und bei den Massnahmen schlechter beurteilt zu werden“ (ARGE examino 2013, S. 12). Der Feststellung im Prüfbericht, dass einzelne Analysen nicht auf Ebene des Gesamtraums durchgeführt worden sind, wird nur eingeschränkt zugestimmt. Zum einen liegen mit Projekten wie der Mobilitätsstrategie „Mobil im Rheintal“ grenzüberschreitende Analysen vor, welche eingereicht worden waren. Zum anderen kann auf die Rheintalkarten verwiesen werden. 2011 hatte das Land Vorarlberg zusammen mit dem Kanton St. Gallen ein Werkheft mit elf Planungskarten zum Vorarlberger und St. Galler Rheintal veröffentlicht – eine wichtige Grundlage in der gesamthaften Betrachtung des Rheintals und damals ein Novum für Schweizer Grenzregionen. Dennoch bleibt festzuhalten, dass die Kritik des ARE bezüglich eines fehlenden kohärenten Zukunftsbildes für den Gesamtraum nachvollziehbar ist. Dies gilt einerseits für die grenzüberschreitende Betrachtungsebene, denn das Verständnis von der polyzentrischen Region Rheintal ist nicht geklärt. Andererseits fällt dies auch auf, wenn man die einzelnen Zukunftsbilder übereinanderlegt und Widersprüche zwischen dem Landschaftsbild und dem Siedlungsbild erkennbar werden. Die Zwischenbeurteilung und der Prüfbericht des ARE waren letztlich wertvoller Impuls für die Austauschanlässe der Bürgermeisterinnen, Bürgermeister, Gemeindepräsidentinnen und Gemeindepräsidenten des Rheintals und hatten einen positiven Effekt auf die Diskussion des funktionalen Raums Rheintal, wie im Folgenden erläutert wird.
R HEINTALDIALOG –
EIN GEMEINSAMER
L ERNPROZESS
Bereits vor der offiziellen Veröffentlichung des Prüfberichts Anfang 2014 hatte sich eine negative Bewertung des Agglomerationsprogrammes Rheintal abgezeichnet. Vor diesem Hintergrund hatte die Raumplanungsabteilung des Landes
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Vorarlberg zusammen mit dem Amt für Raumentwicklung des Kantons St. Gallen, dem Verein St. Galler Rheintal und Vision Rheintal Ende 2013 einen sogenannten Rheintaldialog gestartet. Mittels Fachworkshop der Verwaltungsexperten, einem politischen Denkatelier und Interviewrunden mit den Gemeinden wurden grenzüberschreitende Herausforderungen und Schwerpunktthemen der Zusammenarbeit geprüft. Zweck war zusammen mit der Region ein neues Gefäß für die grenzübergreifende Zusammenarbeit zu entwickeln, damit das bisher Erreichte nicht verloren geht. Fachworkshop – Reflexion des Ist-Zustandes mit Experten Zu Beginn des Rheintaldialogs stand einerseits die Reflexion des gescheiterten Agglomerationsprogrammes Rheintal im Vordergrund. Andererseits lag der Fokus auf dem „Blick nach vorne“ und dem Ausloten von Herausforderungen, Motoren sowie Potentialen des künftigen Weges in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Rheintal. Dazu fand im November 2013 ein Fachworkshop unter Mitwirkung der am Agglomerationsprogramm Rheintal beteiligten Fachpersonen statt. Insgesamt nahmen rund 25 Personen vom Kanton St. Gallen, Land Vorarlberg, von Vision Rheintal, vom Verein St. Galler Rheintal sowie externe Experten teil. Folgende Kernaussagen wurden ausgearbeitet: • Für die vorhandenen Projekte sind die langfristigen Ziele abzustimmen, eine
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Umsetzungsagenda zu realisieren und Arbeitsaufträge abzuholen, damit diese nicht schubladisiert werden. Durch diese Leitprojekte werden „Quick Wins“ geschaffen, die der Zusammenarbeit Leben geben. Es braucht künftig eine Loslösung von den thematischen Rahmenvorgaben des Agglomerationsprogrammes, um eine größere Themenvielfalt in der Zusammenarbeit zuzulassen (z.B. Kulturprojekte, Freizeit & Erholung). Die „Region in der Region“ weckt das Bedürfnis zur Zusammenarbeit. Der Kooperationsraum für konkrete Projekte ist kleiner als der Betrachtungsraum. Der grenzüberschreitende Austausch und die gegenseitige Information sind in dieser Phase wichtig. Kommunikationskanäle wie Newsletter oder Gemeindeblätter sind vorhanden und sollen besser genutzt werden (Beitrag zu einem gemeinsamen Prozess- und Planungsverständnis). Die Stärken des gemeinsamen Raums Rheintal sollen nach außen besser verkauft werden und einheitlich auftreten.
In all diesen Erkenntnissen steckt auch die Botschaft, dass der Handlungsbedarf aus den Bedürfnissen der Gemeinden und Städten abzuleiten ist und die Zusam-
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menarbeit folglich künftig stärker aus der Region heraus zu entwickeln ist. Ebenso ist die Rheintaler Bevölkerung einzubeziehen. Politisches Denkatelier Die Bürgermeister aus Götzis, Mäder, Lustenau sowie die Gemeindepräsidenten aus Altstätten, Au (SG), St. Margrethen und Rüthi setzten sich Anfang 2014 im Rahmen eines politischen Denkateliers mit dem Stand der Dinge in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und den Ergebnissen aus dem Fachworkshop auseinander. Es waren somit jene Gemeinden einbezogen, die im bisherigen Verlauf der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit eine Stellvertreter-Rolle innerhalb der jeweiligen Regionen eingenommen hatten – sozusagen die informelle politische Steuerungsgruppe. Methodisch umfasste dieses Denkatelier Wahrnehmungsspaziergänge (siehe Land Vorarlberg 2014), Gruppendiskussionen sowie Dialogrunden im Plenum. Leitfragen waren: Wo liegen Kraft und Wille zur gemeinsamen Region Rheintal? Was ist das Bedürfnis im Hinblick auf eine grenzüberschreitende Raumentwicklung? Wo sind wir und die Rheintaler betroffen? In der gemeinsamen Diskussion konnten folgende Kernaussagen ausgearbeitet werden: • Wille und Motivation sind Grundvoraussetzung für die grenzüberschreitende
Zusammenarbeit. Geld darf nur zusätzliche Unterstützung sein. • Verkehr ist ein Leidensdruck. Die Entwicklung von Siedlung, Freiraum und
Landschaft sind die politische Verantwortung. Es braucht mehr Gewicht auf diesen „weißen Flecken“. • Die entscheidende Kraft liegt in konkreten Projekten. Konkrete Projekte und Quick Wins sind aus und mit den Gemeinden zu entwickeln. Über Projekte und aufgabenorientiertes (nicht problemorientiertes) Arbeiten soll ein gemeinsames Bild der Region erarbeitet werden. • Austausch und Beziehungen pflegen: Voneinander lernen und neue Sichtweisen erlangen. Eine erneute Teilnahme an einem nächsten Agglomerationsprogramm (3. Generation) wurde von den Teilnehmern des politischen Denkateliers zu diesem Zeitpunkt nicht befürwortet. Vielmehr sollte eine gemeinsame Raumentwicklung aus konkreten Projekten heraus Vorbereitung für den Start in eine übernächste Generation der Agglomerationsprogramme werden (4. Generation). Die Teilnehmer erteilten dem Projektteam – Vertreter der Raumplanungsabteilung Land Vorarlberg, der Raumentwicklung Kanton St. Gallen, des Vereins St. Galler Rheintal
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und der Vision Rheintal – den Auftrag, mit den restlichen St. Galler Rheintaler Gemeindepräsidentinnen, -präsidenten und den Vorarlberger Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern Interviews zu führen, um eine breit getragene Entscheidung über die nächsten Schritte treffen zu können. Einbindung der weiteren Rheintalgemeinden Ausgangspunkt für die Interviews mit den Rheintalgemeinden war die Erkenntnis aus dem politischen Denkatelier und dem Fachworkshop, dass die Zusammenarbeit stärker aus der Region heraus – gemeinsam mit den Gemeinden – zu entwickeln ist. Der Fokus der Befragung lag auf den Grenzgemeinden. Zudem wurden die Haltung, die Bedürfnisse und Rollenverständnisse insbesondere der großen Gemeinden und Städte abgefragt. Insgesamt wurden im Frühjahr 2014 mehr als 40 Leitfadeninterviews mit Vertretern aus der Landes- und Kommunalpolitik sowie Verwaltung geführt. In der Auswertung konnten Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten zwischen großen und kleinen Gemeinden, zwischen Schweiz und Österreich oder zwischen grenznahen und grenzfernen Gemeinden analysiert werden. Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass der Wille und das Bedürfnis für grenzüberschreitende Zusammenarbeit im gesamten Raum vorhanden sind. Der Wunsch jedoch liegt auf der Umsetzung von konkreten Projekten, nicht auf einem „Leitbildprozess“. Vor allem bei den befragten Grenzgemeinden zeigen sich folgende fünf konkrete Bedürfnisse: • In konkreten Projekten die Zusammenarbeit vertiefen • In funktionalen Räumen denken – wo gemeinsamer Leidens- und Problem-
druck gegeben ist und Schnittstellen untereinander hergestellt werden können • Weitblick für gemeinsame Regionalplanung schaffen – langfristige Strategie • Lernprozesse für gemeinsame Kernaufgaben der Gemeinden ermöglichen
(inkl. Bündelung der Ressourcen bzw. Entlastung) • Kennenlernen, Austausch und Vernetzung weiter fördern • Grenzüberschreitende Informations- und Kommunikationskanäle schaffen
bzw. nutzen Für Gemeinden mit ähnlichen Problemen und räumlichen Strukturen ist die Zusammenarbeit am nützlichsten. Große Vorarlberger Städte wie Dornbirn, Feldkirch oder Bregenz haben auf St. Galler Seite keinen Gegenpart und sind deshalb stärker in der Bodenseeregion vernetzt. Diese großen Städte können nicht zur Mitarbeit gezwungen werden. Dennoch sind sie von strategischer Bedeutung für die räumliche Entwicklung der Grenzregion. Ziel ist anhand von konkreten
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grenzüberschreitenden Projekten diese Bedeutung für die „2. und die 3. Planungstiefe“ – sprich für die Städte, die restlichen Talgemeinden und die Hanggemeinden – aufzuzeigen und damit langfristig für die grenzüberschreitende Raumentwicklung Rheintal zu gewinnen. In einem ersten Schritt soll der Fokus aber auf der ersten Planungstiefe, sprich den Grenzgemeinden liegen, weil hier der Bedarf am größten ist. Am Ende überwog bei den politischen Verantwortungsträgern das klare Bekenntnis zur weiteren grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Der Nutzen wurde gesehen und die Bedürfnisse artikuliert, der Zug zur Umsetzung fehlte bei den Gemeinden aber teilweise. Deshalb wünschten sich die Gemeinden von den Organisatoren des Rheintaldialoges, für die ersten Schritte als Verantwortliche zur Verfügung zu stehen – oder wie es eine Gemeindepräsidentin ausdrückte als „Sozial-Animateure der Region“ – die den Prozess vorantreiben und begleiten. Laut Aussage eines anderen Interviewpartners ist es nur eine Frage der Konkretheit bis der Eigenwille der Gemeinden überhandnimmt. Land und Kanton stimmten jedenfalls zu, die Ressourcen dafür zur Verfügung zu stellen. Abbildung 36: Der Rheintaldialog – ein gemeinsamer Lernprozess
Quelle: Obkircher bzw. Land Vorarlberg (rechts unten) 2013–14
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Entwicklung einer Umsetzungsstrategie für die Grenzregion Auf den Befragungsergebnissen aufbauend wurde ein externes Expertenteam beauftragt Empfehlungen für eine Umsetzungsstrategie zu erarbeiten (Schlegel et al. 2014), die im Wesentlichen die Ergebnisse des Rheintaldialogs verdichtet. Im Rahmen dieser Umsetzungsstrategie werden zwei Handlungsfelder bzw. Zeithorizonte hervorgehoben. Kurzfristig sollen raumrelevante Projekte ins Auge gefasst werden, die rasch gestartet und umgesetzt werden können („Quick Wins“). Über eine projektorientierte Zusammenarbeit soll zu einer tragfähigen Form der grenzüberschreitenden Raumentwicklung gefunden werden. Mittelfristig ist allerdings wieder eine Orientierung hin zu einem grenzüberschreitenden räumlichen Entwicklungskonzept bzw. Agglomerationsprogramm anzustreben, falls erforderlich mit einem angepassten, kleineren Planungsraum (Fokus auf die Grenzgemeinden). Da die Planungssysteme beiderseits des Rheins unterschiedlich sind, ist das gemeinsame Verständnis für die Planungsprozesse weiterhin zu fördern. Deshalb ist für all diese Planungen und Projekte ein geeignetes Governance-Modell zu entwickeln – sozusagen das gemeinsame Dach der Raumentwicklung, unter welchem die Planungen und Projekte zusammengeführt und koordiniert werden können. Drei Haltungen wurden seitens der Raumplanungsabteilungen für diese Umsetzungsempfehlungen als notwendig erachtet: • Offene Haltung: Die Struktur folgt dem Prozess. • Lernende Haltung: Im Prozess wird nichts vorweggenommen. • Unterstützende Haltung: Die Prozesse werden mit den notwendigen (vor allem
personellen) Ressourcen unterstützt. Laut der Umsetzungsstrategie wird darüber hinaus empfohlen, drei räumliche Entwicklungsperspektiven zu erarbeiten, welche die langfristigen Herausforderungen und Entwicklungen der Region Rheintal berücksichtigen (vgl. ebd. 2014, S. 5 bzw. S. 13–17): • Verkehr und Mobilität: Strategische Planung des Radverkehrs • Landschaft und Freiraum: Gesamtplanung der Erhaltung, Entwicklung und
Vernetzung der Freiräume zugunsten von Mensch und Natur des Rheintals • Siedlung und Quartier: Innenentwicklung und Gestaltung der Siedlungsränder
Eine Anmerkung zu den Projekten: Landschaft und Freiraum oder Radverkehr sind zumindest in dieser Region im Verhältnis zu den großen Verkehrsthemen konfliktärmer und einfacher in der Umsetzung, weil hier der Leidensdruck nicht
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so groß ist. Außerdem heben sie die vorhandenen Qualitäten der Region hervor, ganz nach dem Motto „Stärken stärken“. Sie können leichter positiv besetzt werden und dadurch eine Verankerung in den Köpfen der Bürger bewirken. Zudem ist eine Zusammenarbeit bei einfacheren Themen förderlich für die Vertrauensbasis (siehe auch Hablützel 2014, S. 12f). Für die jeweiligen Projektgebiete in der grenzübergreifenden Zusammenarbeit werden „wechselnden Geometrien“ vorgeschlagen, darunter wird ein flexibles Zusammenstellen der kooperierenden Gemeinden nach Projektbedarf verstanden. Damit verbunden ist auch ein insgesamt kleineres Gebiet der Zusammenarbeit als die ursprünglich 12+29 Gemeinden. Aus diesem Expertenvorschlag wurden seitens der Region die zwei Themen Radverkehr und Freiraumplanung aufgegriffen. Die Umsetzung beider Projekte wurde beim 6. Treffen der Bürgermeisterinnen, Bürgermeister, Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten des Rheintals zusammen mit dem Kanton und dem Land im November 2014 beschlossen. Gleichzeitig wurde die Klärung des künftigen Governance-Modells bzw. der Organisationsform vereinbart. Mit konkreten Projekten starten: Freiraum Rheintal, Velotal Rheintal & Co Ziel des Projektes Freiraum Rheintal ist die grenzübergreifende Freiraumplanung in der Region. Leitfrage zu Beginn des Projektes war: „Wo sind die wertvollen Freiräume und zentralen Entwicklungsachsen entlang des Rheins?“ Vorbereitet wurden die grenzüberschreitenden Kartengrundlagen und darauf aufbauend die Projektvorschläge für die grenzübergreifenden Freiraumplanungen in zwei Planungswerkstätten von einem Projektteam mit Fachvertretern aus Vorarlberg, dem Kanton sowie der Region Rheintal. Die Ergebnisse wurden dann in einer weiteren Planungswerkstätte („Echoraum“) mit den betroffenen Gemeinden diskutiert und weiterentwickelt. Letztlich wurde eine Projektauswahl getroffen und zur Umsetzung empfohlen. Der neu gegründete Verein Agglomeration Rheintal (siehe Abschnitt Organisationsstruktur in diesem Kapitel) wird die Projekte begleiten und koordinieren. Mit dem zweiten Projekt, Velotal Rheintal, wurde ein Prozess zur grenzüberschreitenden Förderung des Radverkehrs im St. Galler und Vorarlberger Rheintal initiiert. Neben der gemeinsamen Umsetzung von grenzüberschreitenden Radinfrastrukturprojekten (wie z.B. neuen Rheinbrücken) soll der Bevölkerung das Radroutenangebot beiderseits des Rheins bekannt gemacht werden. Vor diesem Hintergrund wurde 2016 z.B. eine Freizeit-Radtourenkarte veröffentlicht und eine eigene Webseite erstellt (www.velotal-rheintal.com). Mit diesen Maßnahmen soll die Bevölkerung aktiviert und motiviert werden, ihre Alltags- und Freizeit-
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mobilität – speziell auch im grenzüberschreitenden Verkehr – mit dem Fahrrad zurückzulegen. Ebenso wurde eine Zusammenarbeit mit dem internationalen Hochwasserschutzprojekt RHESI (Rhein, Erholung und Sicherheit) lanciert, um einen Masterplan für den künftigen Verlauf der Radrouten entlang des Rheins zu erarbeiten. Auch bei beim Velotal-Projekt arbeitet ein Projektteam mit Fachvertretern aus Vorarlberg, dem Kanton sowie der Region zusammen. Beide Projekte leisten somit wertvolle Vorarbeit zur Schaffung eines gemeinsamen Bildes der Region (Handlungsfeld 1) und zu einem regionalen Governance-Modell (Handlungsfeld 2). Was die Beteiligung der Bevölkerung und damit die Verankerung in den Köpfen (Handlungsfeld 3) betrifft, gibt es bei beiden Projekten konkrete Überlegungen und Ansätze. Im Freiraum-Projekt wird z.B. eine Kultur- und Freizeitveranstaltung vorgeschlagen, die den Begegnungsraum Rhein erfahrbar machen soll und die übergeordnete Projektidee den Rheintalern vermittelt. Das Velotal-Projekt setzt auf die Kommunikationselemente wie die Radtourenkarte, die Webseite oder Aktionstage um die Rheintaler zu erreichen. Allerdings weisen diese Ansätze derzeit einen geringeren Partizipationsgrad der Bevölkerung auf, als dies bei den anderen politischen und fachlichen Stakeholdern der Fall ist. Das Projekt RHESI ist nicht Kernaufgabe der grenzüberschreitenden Raumentwicklung, spielt aber eine zentrale Rolle für eine gelingende Umsetzung derselben. Es gibt deshalb relevante inhaltliche und organisatorische Schnittstellen, auf die an dieser Stelle eingegangen werden soll. Neben dem Hauptfokus auf Hochwasserschutz ist im Rahmen des Projektes RHESI per Definition auch das Thema „Erholung“ mitzuplanen bzw. zu entwickeln. Eine Teilplanung fehlt im Projekt RHESI noch. Sie wird allerdings als notwendig erachtet, um eine breite Akzeptanz für das RHESI-Gesamtprojekt zu erreichen. Die internationale Regierungskommission Alpenrhein (IRKA) hat im November 2015 die Raumplanungsabteilungen der angrenzenden Länder mit der Erstellung von Handlungsempfehlungen zur Abstimmung und Planung der Freizeitnutzung und Naherholung am Rhein beauftragt. Mitte November 2016 wurden die Handlungsempfehlungen der IRKA vorgelegt und beschlossen. Zwei Aspekte sind dabei relevant für die Weiterentwicklung des regionalen Governance-Modells (Handlungsfeld 2) sowie des gemeinsamen Bildes der Region (Handlungsfeld 1): Zum einen die Einrichtung einer Arbeitsgruppe, bestehend aus Vertretern der Raumplanungsabteilungen und IRKA-Experten; zum anderen die Erstellung eines überregionalen Raumkonzepts zur Planung und Abstimmung der Freizeit- und Erholungsnutzung. Aus Sicht der Raumplanungsabteilungen erscheint es bei der Erarbeitung wichtig, dass das Thema „Freizeit und Erholung“ nicht auf das engere Projektgebiet des Rheins beschränkt bleibt, sondern dass der Blick im Sinne einer Gesamtstrategie auf den funktional zusammenhängenden Talraum gerichtet wird.
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Dadurch entstehen insbesondere auch Synergien zur Entwicklung der Frei- und Landschaftsräume, die im Zuge der Agglomerationsprogramme WerdenbergLiechtenstein und Rheintal bearbeitet werden.
B EKENNTNIS ZU EINEM NEUEN AGGLOMERATIONSPROGRAMM R HEINTAL Die Region setzte zunächst auf die Umsetzung von konkreten Projekten, um daraus eine Strategie für die künftige Raumentwicklung ableiten bzw. entwickeln zu können – vom Kleinen zum Großen also. Dies war vor allem einer gewissen Prozessmüdigkeit nach einer Reihe von Regionalentwicklungsprozessen wie dem Agglomerationsprogramm, der Vision Rheintal und anderen geschuldet. Der projektorientierte Zugang erlaubte auf der einen Seite kurzfristig und schnell die Umsetzung von Projekten anzugehen, ohne dass ein strategisch-konzeptioneller Prozess mit hohem Zeit- und Ressourcenbedarf abgewartet werden muss. Parallel zur Projektumsetzung kann auch die „Beziehungspflege“ in der Grenzregion fortgesetzt werden. Entscheidend bei diesem Zugang ist nur, dass die verschiedenen Projekte und Aktivitäten trotzdem untereinander koordiniert werden und die Gemeinden der Region eng mit Kanton und Land zusammenarbeiten. Denn auf der anderen Seite hat sich gezeigt, dass die notwendige Struktur – in diesem Fall eine verbindliche Institutionalisierung der Zusammenarbeit – (zu) spät folgte. Dadurch lief der Raumentwicklungsprozess in der Grenzregion Gefahr orientierunglos zu werden, ohne Steuerung der langfristigen Ausrichtung. Spätestens für die Bewältigung großer Projekte erschien eine institutionalisierte Form der Zusammenarbeit zielführender und effizienter zu sein. Die Erfahrungen aus dem Rheintaldialog und den Umsetzungsprojekten bildeten zusammenfassend die Grundlage für ein neues Agglomerationsprogramm. Im Frühjahr 2016 wurde seitens des St. Galler Rheintals und des Kantons St. Gallen erneut die Initiative zu einem Agglomerationsprogramm Rheintal ergriffen und ein Arbeitstreffen der Grenzgemeinden der Region organisiert. Bei diesem Arbeitstreffen wurde der Mehrwert eines neuen Agglomerationsprogrammes kritisch diskutiert – z.B. ist für einzelne Gemeinden oder Teilregionen dieser Mehrwert geringer oder würden dadurch Mehrfachstrukturen in der Regionalplanung geschaffen. Was ist unter Mehrfachstrukturen zu verstehen? Eine „unaufgeräumte“ regionale Handlungsebene in der Raumentwicklung führt zu einer Zusatzbelastung und nicht zu einer Entlastung der Gemeinden. Manche Gemeinden und Städte der Region sind gleichzeitig in mehreren regionalen
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Handlungs- und Kooperationsräumen tätig (v. a. auf Vorarlberger Seite, siehe z.B. Vision Rheintal). Nicht zuletzt dieser Umstand führte dazu, dass noch nicht alle Grenzgemeinden dem Verein beigetreten sind. Solche Mehrfachstrukturen sind aus Sicht der Region zu vermeiden, vielmehr braucht es eine Bündelung von Ressourcen. Hier werden die Möglichkeiten eines neuen Agglomerationsprogrammes diese Bündelung zu unterstützen noch nicht eindeutig wahrgenommen. Die politischen Verantwortlichen sahen ebenso drei große Potentiale für die Gesamtregion Rheintal, die für den Schritt in Richtung Agglomerationsprogramm sprechen: (1) das Agglomerationsprogramm als übergeordnetes Gefäß für die Vielzahl der einzelnen, grenzüberschreitenden Projekte und (2) eine dadurch erhoffte strategische Ausrichtung um zukünftige Probleme bewältigen zu können. Denn die Handlungsspielräume würden aus Sicht der politischen Stakeholder in Zukunft immer geringer. (3) Zudem hat das Agglomerationsprogramm eine klare Umsetzungsorientierung und einen Umsetzungsanspruch. Dies zeigt sich u. a. anhand der Entwicklung von Projekten inkl. Budgets und Priorisierung. Demzufolge kann dieses Programm den grenzüberschreitenden Projekten Planungs- und Finanzierungssicherheit sowie das entscheidende Maß an Verbindlichkeit geben – was in der Region gut geheißen und zugleich als Messlatte für den Erfolg herangezogen wird. Eindeutig war das Bekenntnis zur Gründung eines Vereins als geeignetste Organisationsform um die Struktur und Steuerung sicherzustellen. Neben rationalen Entscheidungen war im Zuge der Aushandlungen auch eine emotionale Komponente spürbar: Es bestehen bereits persönliche Kontakte über die Grenze. Nach intensiver Vorbereitungszeit und Abstimmung der Finanzierungsaufteilung haben die 12 Gemeinden des St. Galler und neun Gemeinden des Vorarlberger Rheintals sowie das Land Vorarlberg und der Kanton St. Gallen im Herbst 2016 den Verein Agglomeration Rheintal gegründet. Dieser bildet ab sofort die institutionalisierte Trägerschaft des Agglomerationsprogrammes Rheintal. Zweck des Vereins ist die gemeinsame Erarbeitung eines Agglomerationsprogrammes der vierten Generation. Die Steuerung des Gesamtprozesses der grenzüberschreitenden Raumentwicklung wird künftig gemeinsam durch den Kanton St. Gallen, das Land Vorarlberg, den Verein der St. Galler RheintalGemeinden und die Grenzgemeinden von Vision Rheintal getragen. Weiteren Vorarlberger Rheintalgemeinden steht die Zusammenarbeit offen.
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Die Projektorganisation gliedert sich wie folgt: • Vereinsversammlung – Mitwirkungsgremium
= Einbringen der kommunalen und regionalen Anliegen und Bedürfnisse in den Prozess. Verabschieden der Arbeitsschritte, Genehmigung des Budgets und der Jahresabschlüsse, Vorbereitung der politischen Umsetzung der Projekte in den Gemeinden. • Vorstand – strategische Führung und Leitung der Projekte = Definition der Arbeitsaufträge und inhaltliche Leitung, operative Budgetkompetenz. Vermittelt zwischen konkurrierenden Anliegen und fällt bei Differenzen die Entscheidungen. Übernimmt Kommunikation nach außen. • Projektteam – operative Abwicklung der Projekte und Initiativen = Projekterarbeitung und -leitung, Organisation und Controlling. Land und Kanton übernehmen die Koordination und Kommunikation mit der eigenen Verwaltung und mit dem Bund; Vision Rheintal und Verein St. Galler Rheintal die Koordination und Kommunikation mit den Gemeinden.
Grenzüberschreitendes Rheintal
12+9 Partner Gemeinden
Abbildung 37: Organisationsstruktur des Vereins Agglomeration Rheintal Vereinsversammlung Mitglieder
Revisionsstelle
Vorstand (strategische Führung u. fachliche Leitung) 2 Vertreter Gemeinden St. Galler Rheintal 2 Vertreter Gemeinden Vorarlberger Rheintal Leiter Amt für Raumentwicklung, Kanton St. Gallen Leiter Landesraumplanung, Land Vorarlberg Beisitz: Projektteam
Fachausschuss Integration fachlicher Anliegen
Geschäftsstelle Verein St. Galler Rheintal
Projektteam (operative Abwicklung der Projekte) Verein St. Galler Rheintal Amt für Raumentwicklung, Kanton St. Gallen Landesraumplanung Vorarlberg Vision Rheintal Externe Auftragnehmer Prozessbegleitung und Kommunikation Fachexpertisen
Quelle: Verein Agglomeration Rheintal 2016
Agglokonferenz Information Gemeinden, Nachbarn, Politik etc.
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Abbildung 38: 12+9 Rheintal-Gemeinden – der neue Planungsraum
Quelle: Land Vorarlberg 2017
Die Administration des Vereins und des Agglomerationsprogrammes übernimmt die Geschäftsstelle. Zweck dieser Vereinsstruktur ist eine nachvollziehbare, eigenständige Organisation und effiziente Abwicklung der Projekte in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu gewährleisten und Abläufe sowie Zuständigkeiten zu definieren oder zu klären. Ebenso kann das grenzüberschreitende Rheintal nach außen sichtbarer werden. Es wird auch diskutiert künftig den Projektleiter des Hochwasserschutzprojektes RHESI in das Projektteam einzubinden, um diese Schnittstelle aufzuwerten. Das Bearbeitungsgebiet des Agglomerationsprogrammes Rheintal der vierten Generation ist kleiner als die eigentlich maßgebliche Definition des schweizerischen Bundesamts für Statistik. Die Möglichkeit, in einem reduzierten Gebiet im Vorarlberger Teil der Agglomeration zu arbeiten, wurde bei einem Treffen zwischen Vertretern des Vereins St. Galler Rheintal, der Raumentwicklung St. Gallen sowie dem ARE im Herbst 2015 be-
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sprochen und als Basis für die Erarbeitung definiert. Das Gebiet umfasst derzeit neun Vorarlberger Grenzgemeinden (inkl. Götzis) sowie die zwölf Gemeinden des St. Galler Rheintals.
R ESÜMEE
UND
AUSBLICK
Die Ausführungen skizzieren den bisherigen Weg und umschreiben einige Meilensteine, die langfristig bei der Erarbeitung eines gemeinsamen Bildes der Region helfen sollen. Abschließend will ich nochmals ganz konkret den Link zu den Handlungsfeldern und Denkanstößen herstellen. In diesem Umsetzungskapitel ist es vorwiegend um die Grenzregion Rheintal und weniger um die Zwischenstadt Rheintal gegangen. Governance-Fragen stehen aktuell im Fokus; Landschaftsverbrauch, Zersiedelung bzw. Verdichtung nach Innen und Verkehr auch, diese Themen werden aber immer im Kontext einer zunehmenden Urbanisierung und der Polyzentrik diskutiert. Die Zwischenstadt hat zumindest im Sprachgebrauch und der Planungspraxis der Region nicht Fuß gefasst. Hinsichtlich des Handlungsfeldes das „Bild der Region“ sichtbar zu machen, wurden mit den Projekten Freiraum Rheintal und Velotal Rheintal für die Region wichtige Schritte zur Stärkung der grenzüberschreitenden Vernetzung gesetzt. Mit dem neuen Agglomerationsprogramm ist eine weitere Abstimmung zu erwarten, sofern die bisherigen Kritikpunkte berücksichtigt werden. Ein weiteres Handlungsfeld war ein gemeinsames Governance-Modell für die Region zu entwickeln, unter Mitwirkung der Stakeholder, mit Verbindlichkeit und einer demokratischen Legitimation. Der beschriebene Rheintaldialog hat sich als geeigneter Ansatz erwiesen, nicht zuletzt weil am Ende des Prozesses die Gründung des Vereins erfolgte. Wahrscheinlich wäre dies auch mit weniger Aufwand gelungen, für die Förderung des Bewusstseins bei den Stakeholdern war dieser Weg aber zuträglich. Dem dritten Handlungsfeld „Verankerung in den Köpfen der Bewohnerinnen und Bewohner“ kann noch mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Im Freiraum- und im Velotal-Projekt gab es wie beschrieben erste Ansätze. Das Zukunftsforum war (noch) nicht von Erfolg gekrönt. Themenschwerpunkte, wie z.B. Freiraum und Velotal, bieten allerdings neue Chancen. Die sieben Denkanstöße für eine grenzüberschreitende Raumentwicklung – in diesem Zusammenhang vielleicht am besten als Ziele und Leitsätze übersetzt – haben ebenfalls unterschiedlich Einklang gefunden. Die Beteiligung und der offene Lernprozess waren Kernelement des Rheintaldialoges, allerdings ausgerichtet auf die Zielgruppe der politischen und fachlichen Stakeholder. Die verstärkte Berücksichtigung des wahrgenommenen bzw. sozialen Raumes ist inso-
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fern erfolgt, als dass die neue Abgrenzung des Agglomerationsraumes Rheintal im Kern die Grenzgemeinden umfasst. Eine Abgrenzung, die kleiner als der funktionale, dafür aber geprägt vom gelebten Raum ist. Denkanstoß Nummer drei hat den fortwährenden Lernprozess für das Entstehen von Verantwortung und Vertrauen betont. In der Praxis hat sich gezeigt, dass auch ein solcher Lernprozess kein Garant für den Erfolg der Zusammenarbeit ist. Weder Prozess noch Struktur erscheinen ausschlaggebend in diesem Grenzraum, sondern allein die handelnden Personen. Gelangt man aber an einen gewissen Punkt (Sicherung der Finanzierung, Umsetzung von Projekten etc.) wird eine Struktur unumgänglich, um handlungsfähig zu bleiben. Zuletzt möchte ich noch auf den Denkanstoß zur Schaffung einer neuen Grenzkultur hinweisen. Mit der Erarbeitung eines Agglomerationsprogrammes Rheintal der vierten Generation und dem gegründeten Verein bestehen aus meiner Sicht nun die notwendigen Voraussetzungen dafür. Nicht nur wegen der Struktur, sondern auch wegen einer intensiven Bearbeitungszeit – in vier Jahren werden Zukunftsbilder, Ziele, Strategien und Projekte erarbeitet – verbunden mit vielen Austauschanlässen in dieser Zeit und einer langfristigen Verbindlichkeit, die ein solches Programm erfordert und mit sich bringen wird. Das ist der ideale Nährboden für eine neue Grenzkultur.
Literaturverzeichnis
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Tabelle 5: Überblick zu den befragten Personen (Summen gerundet) Befragte Total männlich weiblich Altersklasse 30–40 >40–50 >50–60 >60–70 >70 Total
Schweiz 116 100% 39 34% 77 66%
Österreich 183 64 119
100% 35% 65%
Liechtenstein 30 100% 13 43% 17 57%
9 21 30 9 18 18 11 116
11 33 41 39 29 25 5 183
6% 18% 22% 21% 16% 14% 3% 100%
0 5 4 6 8 5 2 30
8% 18% 26% 8% 16% 16% 9% 100%
0% 17% 13% 20% 27% 17% 7% 100%
Quelle: eigene Darstellung 2013
Expertinnen- und Experteninterviews • Assmann M., Projektleiter Vision Rheintal, mehrere Gespräche zwischen 2007 und 2012, Interview am 21. Juni 2012. • Bertsch W., Raumplanungsabteilung Land Vorarlberg, mehrere Gespräche zw. 2009 und 2011. • Feiner, J., Amt für Raumentwicklung und Geoinformation Kanton St. Gallen, Interview am 06. Juni 2012. • Kopf M., Raumplanungsabteilung Land Vorarlberg, mehrere Gespräche zwischen 2009 und 2012, Interview am 22. Juni 2012. • Mathieu A., Projektleiter VSGR, mehrere Gespräche zwischen 2009 und 2012. • Meier J., Raumplanerin TU Berlin, Gespräch am 13. Januar 2010. • Schlegel H., RENAT AG, Schaan, Interview am 16. Juli 2007. • Spirig G., (ehemaliger GF) VSGR, mehrere Gespräche zwischen 2007 und 2012, Interview am 1. Juni 2007 und am 12.06.2012. • Strauss U., Amt für Raumentwicklung und Geoinformation Kanton St. Gallen, Interview am 06. Juni 2012. • Tiefenthaler H., ehemaliger Mitarbeiter Raumplanung Land Vorarlberg, Interview am 11. März 2011. • Zech S., ehemalige externe Projektleiterin Vision Rheintal, Raumplanungsbüro Stadtland, Interview am 31. Mai 2007.
Geographie Iris Dzudzek
Kreativpolitik Über die Machteffekte einer neuen Regierungsform des Städtischen 2016, 388 S., kart. 34,99 E (DE), 978-3-8376-3405-1 E-Book PDF: 34,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3405-5
Veronika Selbach, Klaus Zehner (Hg.)
London — Geographien einer Global City 2016, 246 S., kart. 29,99 E (DE), 978-3-8376-2920-0 E-Book PDF: 26,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-2920-4
Antje Schlottmann, Judith Miggelbrink (Hg.)
Visuelle Geographien Zur Produktion, Aneignung und Vermittlung von RaumBildern 2015, 300 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 29,99 E (DE), 978-3-8376-2720-6 E-Book PDF: 26,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-2720-0
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Geographie Christine Scherzinger
Berlin — Visionen einer zukünftigen Urbanität Über Kunst, Kreativität und alternative Stadtgestaltung März 2017, 350 S., kart. 34,99 E (DE), 978-3-8376-3717-5 E-Book PDF: 34,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3717-9
Nicolai Scherle
Kulturelle Geographien der Vielfalt Von der Macht der Differenzen zu einer Logik der Diversität 2016, 296 S., kart. 34,99 E (DE), 978-3-8376-3146-3 E-Book PDF: 34,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3146-7
Raphael Schwegmann
Nacht-Orte Eine kulturelle Geographie der Ökonomie 2016, 180 S., kart. 24,99 E (DE), 978-3-8376-3256-9 E-Book PDF: 21,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3256-3
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