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German Pages 354 [358] Year 2015
RAUM UND PERFORMANZ
Rituale in Residenzen von der Antike bis 1815 Herausgegeben von Dietrich Boschung, Karl-Joachim Hölkeskamp und Claudia Sode
Geschichte Franz Steiner Verlag
RAUM UND PERFORMANZ Herausgegeben von Dietrich Boschung, Karl-Joachim Hölkeskamp und Claudia Sode
RAUM UND PERFORMANZ Rituale in Residenzen von der Antike bis 1815 Herausgegeben von Dietrich Boschung, Karl-Joachim Hölkeskamp und Claudia Sode
Franz Steiner Verlag
Die vorliegende Publikation entstand mit freundlicher Förderung durch das Internationale Kolleg Morphomata an der Universität zu Köln, gefördert vom
unter dem Förderkennzeichen 01UK0905
Umschlagabbildung: Gentile Bellini, Prozession auf dem Markusplatz, 1496 Gallerie dell’Accademia, Venedig © akg-images / Mondadori Portfolio / Paolo e Federico Manusardi Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015 Druck: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11082-2 (Print) ISBN 978-3-515-11085-3 (E-Book)
INHALTSVERZEICHNIS
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Vorwort der Herausgeber Autoren und Herausgeber
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karl-joachim hölkeskamp ›Performative turn‹ meets ›spatial turn‹. Prozessionen und andere Rituale in der neueren Forschung
75
peter franz mittag Der potente König. Königliche Umzüge in hellenistischen Hauptstädten
99
egon flaig Prozessionen aus der Tiefe der Zeit. Das Leichenbegängnis des römischen Adels – Rückblick
127
elke stein-hölkeskamp Zwischen Parodie und Perversion. Verkehrungen des Triumphes in der frühen Kaiserzeit
143
dietrich boschung Architektur und Ritual. Zum Auftreten des Kaisers in Rom
167
hans-ulrich wiemer Rom – Ravenna – Tours. Rituale und Residenzen im poströmischen Westen
6
I N H A LT S V E R Z E I C H N I S
219
judith herrin Urban riot or civic ritual? The crowd in early medieval Ravenna
241
claudia sode Ritualisiertes Totengedenken in Byzanz. Zu den Begräbnisumzügen byzantinischer Kaiser (4.–10. Jahrhundert)
261
ruth macrides Processions in the ›other‹ ceremony book
279
susanne wittekind Bischöfliche Leichenprozessionen im Hochmittelalter oder die Inszenierung des Bischofs als Stadtherr, Büßer und Heiliger
309
gerd schwerhoff Das Ritual als Kampfplatz. Konflikte um Prozessionen in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt
333
gudrun gersmann Von toten Herrschern und Trauerzeremonien. Die Überführung der sterblichen Überreste Ludwigs XVI. nach Saint-Denis 1815
VORWORT DER HERAUSGEBER
D
ie Tagung über »Raum und Performanz – Rituale in Residenzen«, die vom 12. bis 14. Februar 2014 stattgefunden hat und deren Beiträge hier vorgelegt werden, ist Teil einer Reihe von Veranstaltungen, die das Internationale Kolleg MORPHOMATA . Genese, Dynamik und Medialität kultureller Figurationen an der Universität zu Köln organisiert hat. Im Zentrum des Forschungsinteresses stehen hier verschiedene Formen der Konkretisierung kultureller Figurationen durch »nachhaltige Gestaltgebungen« – und zwar »mit ganz unterschiedlicher materieller, medialer, historischer und kultureller Provenienz«.1 Dies bildet einen wichtigen Forschungsstrang innerhalb des Gesamtprogramms, in dem der Frage nachgegangen wird, wie epistemische Leistungen – hier etwa Wissensordnungen oder Vorstellungen von Macht und Herrschaft – Gestalt annehmen und wie sie eine konkrete, sinnlich wahrnehmbare Form erhalten. Dabei interessieren insbesondere die Veränderungen, intendierten und nichtintendierten Transformationen, die durch die Konkretisierung in einem bestimmten Medium geradezu zwangsläufig erfolgen. Ebenso untersucht MORPHOMATA , was geschieht, wenn Konkretisierungen dieser Art erst einmal geschaffen worden sind: Welche Wirkmacht können sie unter jeweils kulturspezifischen Bedingungen entfalten? Wie wirken sie wiederum auf die Vorstellungen, Leitbilder, Orientierungssysteme und Wahrnehmungshorizonte von 1 G. Blamberger / D. Boschung, Vorwort, in: dies. (Hgg.), Morphomata. Kulturelle
Figurationen: Genese, Dynamik und Medialität (Morphomata 1), München 2011, 7–8, sowie die Beiträge in diesem Band.
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VORWORT DER HERAUSGEBER
Individuen und Gruppen in vergangenen wie gegenwärtigen Gesellschaften und Kulturen zurück?2 In diesem Rahmen nimmt die Frage nach der Leistungsfähigkeit und nach den Besonderheiten unterschiedlicher Konkretisierungsformen naturgemäß einen wichtigen Platz ein – zahlreiche Aspekte sind denn auch bereits behandelt worden. Das gilt sowohl für technische Formen wie Diagramme;3 stabile wie Museumsbauten und Ausstellungskonzepte;4 aber auch für performative wie Graffiti.5 Eine der ersten Tagungen untersuchte das Zusammenwirken von Materialität und Rhetorik am Beispiel von Texten über Archäologie,6 ergänzt durch eine Anthologie mit Gedichten über archäologische Objekte und Methoden, die wiederum von Archäologen kommentiert wurden.7 Mehrere Veranstaltungen beschäftigten sich dann mit der Frage, wie die bildende Kunst Vorstellungen und Wissen von der Antike aufnimmt und umformt.8 Die Tagung und die Publikation über »Rituale in Residenzen« können die bisherigen Forschungen ideal ergänzen; denn hier geht es um das Zusammenwirken zweier unterschiedlicher Konkretisierungen: der stabilen, im wesentlichen persistenten Formen in Gestalt von 2 Vgl. zu diesen Konzepten bereits die Einleitung und die Beiträge in K.-J. Hölkes-
kamp / J. Rüsen / E. Stein-Hölkeskamp / H.Th. Grütter (Hgg.), Sinn (in) der Antike. Orientierungssysteme, Leitbilder und Wertkonzepte im Altertum, Mainz 2003. 3 D. Boschung / J. Jachmann (Hgg.), Diagrammatik der Architektur (Morphomata 6), München 2013. S. dazu auch die von Morphomata durchgeführten Workshops zu Virtual Research Environments (»Modelling Virtual Research Environments in the Humanities«, Köln 19.–20. April 2010) und zu 3D-Modellen (»3D-Rekonstruktionen als Visualisierung wissenschaftlicher Ergebnisse in Archäologie und Architekturgeschichte«, Köln 19. 11. 2010). 4 L. Förster (Ed.), Transforming Knowledge Orders: Museums, Collections and Exhibitions (Morphomata 16), München 2014. 5 L. Förster / E. Youkhana (Eds.), GraffiCity. Materialized Visual Practices in the Public Urban Space (Morphomata 28), München 2015. 6 J. Broch / J. Lang (Hgg.), Literatur der Archäologie. Materialität und Rhetorik im 18. und 19. Jahrhundert (Morphomata 3), München 2012. 7 E. Kocziszky / J. Lang, Tiefenwärts. Archäologische Imagination von Dichtern, Mainz 2013. 8 Th. Greub (Hg.), Cy Twombley. Bild, Text, Paratext (Morphomata 13), München 2013; J. Jachmann / Th. Ketelsen / S. Mägele (Hgg.), Piranesis Antike. Befunde und Polemik (Der ungewisse Blick 12), Köln 2013; D. Boschung (Hg.), Archäologie als Kunst: Archäologische Objekte und Verfahren in der bildenden Kunst des 18. Jhs. und der Gegenwart (Morphomata 30), Paderborn 2015.
VORWORT DER HERAUSGEBER
Architektur, sakralen und politischen Topographien einerseits und der ephemeren Formen in Gestalt performativer Vollzüge allgemein und der ›Rituale im Raum‹, also Prozessionen, Umzüge etc. im besonderen andererseits. Beide können auf unterschiedliche Weise geltenden Vorstellungen von Macht und Herrschaft eine sinnlich wahrnehmbare Form geben, wobei sie sich gegenseitig prägen, stützen und steigern. Die diesbezüglichen Potentiale der neueren Forschung zu performativen Medien und ihrem Eingeschriebensein in Räume bzw. Raumordnungen, zu ihrer Bedeutung für das ›self-fashioning‹ von herrschenden Gruppen, Monarchen und anderen Führungsfiguren – insbesondere im interkulturellen und interepochalen Vergleich – sollen dabei systematisch ausgelotet werden. Diesem Ziel dient der Dialog zwischen den dazu nötigen Theorien, Modellen und Methoden und den empirischen Fallstudien. Die Herausgeber sind den beteiligten Kolleginnen und Kollegen, die ihre Beiträge unter ungewöhnlichem Zeitdruck liefern mußten, und den bewährten Mitarbeitern des Lehrstuhls Hölkeskamp, Frau Sema Karatas˛ und Herrn Ralph Lange, sowie Frau Rebecca van Koert für die zügige redaktionelle Bearbeitung der Beiträge zu großem Dank verpflichtet. Köln, im Februar 2015 Dietrich Boschung Karl-Joachim Hölkeskamp Claudia Sode
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AUTOREN UND HERAUSGEBER
Dietrich boschung ist Professor für Klassische Archäologie an der Universität zu Köln und (zusammen mit Günter Blamberger) Direktor des Internationalen Kollegs MORPHOMATA . Wichtige Publikationen: (Hrsg.; zusammen mit Ludwig Jäger), Formkonstanz und Bedeutungswandel. Archäologische Fallstudien und medienwissenschaftliche Reflexionen, Morphomata 19 (2014); (Hrsg., zusammen mit Jan Bremmer), The Materiality of Magic, Morphomata 20 (2015); (Hrsg., zusammen mit Christiane Vorster), Leibhafte Kunst. Statuen und kulturelle Identität, Morphomata 24 (2015). Egon flaig ist emeritierter Professor für Alte Geschichte (Universität Rostock). Wichtige Publikationen: Ritualisierte Politik. Zeichen, Gesten und Herrschaft im Alten Rom (2003), Weltgeschichte der Sklaverei (2009), Die Mehrheitsentscheidung. Entstehung und kulturelle Dynamik (2013). Gudrun gersmann ist Professorin für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität zu Köln. Wichtige Publikationen: Im Schatten der Bastille. Die Welt der Schriftsteller, Buchhändler und Kolporteure am Vorabend der Französischen Revolution (1993); (Hrsg.; zusammen mit Hans-Werner Langbrandtner), Im Banne Napoleons. Rheinischer Adel unter französischer Herrschaft (2013); (Hrsg. mit Hubertus Kohle), Frankreich 1871–1914: Die Dritte Republik und die Französische Revolution (2002).
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A U TO R E N U N D H E R A U S G E B E R
Judith herrin ist Professor emerita of Late Antique and Byzantine Studies (King’s College London). Wichtige Publikationen: The Formation of Christendom (2001); Women in Purple: Rulers of Medieval Byzantium (2001); Byzantium: The Surprising Life of a Medieval Empire (2007). Karl-Joachim hölkeskamp ist Professor für Alte Geschichte an der Universität zu Köln. Wichtige Publikationen: Die Entstehung der Nobilität (1987, 22011); senatus populusque romanus. Die politische Kultur der Republik – Dimensionen und Deutungen (2004); Reconstructing the Roman Republic. An Ancient Political Culture and Modern Research (2010). Ruth macrides ist Reader in Byzantine Studies am Centre for Byzantine, Ottoman and Modern Greek Studies der Universität Birmingham. Wichtige Publikationen: Kinship and Justice in Byzantium, 11th-15th centuries (1999); George Akropolites: The History (2007); Pseudo-Kodinos, the Constantinopolitan Court, Offices and Ceremonies (mit J. A. Munitiz und Dimiter Angelov, 2013). Peter Franz mittag ist Professor für Alte Geschichte an der Universität zu Köln. Wichtige Publikationen: Alte Köpfe in neuen Händen. Urheber und Funktion der Kontorniaten (1999); Antiochos IV. Epiphanes. Eine politische Biographie (2006); Römische Medaillons von Caesar bis Hadrian (2010; 22012). Gerd schwerhoff ist Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Technischen Universität Dresden. Wichtige Publikationen: Zungen wie Schwerter. Blasphemie in alteuropäischen Gesellschaften 1200–1650 (2005); Die Inquisition (32009); Historische Kriminalitätsforschung (2011). Claudia sode ist Professorin für Byzantinistik an der Universität zu Köln. Wichtige Publikationen: Byzantinische Bleisiegel in Berlin II (1997); Jerusalem – Konstantinopel – Rom. Die Viten des Michael Synkellos und der Brüder Theodoros und Theophanes Graptoi (2001); Die Siegel der lateinischen Könige von Jerusalem (mit Hans Eberhard Mayer, 2014).
A U TO R E N U N D H E R A U S G E B E R
Elke stein -hölkeskamp ist Privatdozentin für Alte Geschichte an der Universität Duisburg/Essen. Wichtige Publikationen: Adelskultur und Polisgesellschaft. Studien zum griechischen Adel in archaischer und klassischer Zeit (1989); Das römische Gastmahl (2005, 22010); Das archaische Griechenland. Die Stadt und das Meer (2015). Hans-Ulrich wiemer ist Professor für Alte Geschichte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Wichtige Publikationen: Libanios und Julian (1995); Alexander der Große (2005); Theoderich der Große und das gotische Italien (in Vorbereitung). Susanne wittekind ist Professorin für Allgemeine Kunstgeschichte – Schwerpunkt Mittelalter – an der Universität zu Köln. Wichtige Publikationen: Altar – Reliquiar – Retabel. Kunst und Liturgie bei Wibald von Stablo (2004); (Hrsg. zusammen mit Kristin Böse) AusBILDung des Rechts. Systematisierung und Vermittlung von Wissen in mittelalterlichen Rechtshandschriften (2009); Romanik (Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland Bd. 2) (2009).
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karl-joachim hölkeska mp
›PERFORMATIVE TURN‹ MEETS ›SPATIAL TURN‹ Prozessionen und andere Rituale in der neueren Forschung
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I
ie auch immer man zu dem sogenannten ›performative turn‹, dem ›spatial turn‹ und den anderen ›Teil-turns‹ unter dem Dach eines allumfassenden ›cultural turn‹ stehen mag:1 einerseits darf man mit einiger Genugtuung feststellen, daß die »inflationär gewordene Rede« von mehreren ›turns‹ einen heilsamen Effekt hat, weil sie nämlich als solche schon dafür sorgt, daß der »Einzigartigkeits- und Ausschließlichkeitsanspruch« jedes einzelnen ›turns‹ zunehmend »unterminiert oder ironisiert« wird.2 Andererseits wird gerade dadurch das Bewußtsein geschärft, daß derartige ›Wend(ung)en‹ – selbst wenn ihre Propheten regelmäßig diesen ambitionierten Anspruch erheben – ja keine grundstürzend neuen Entdeckungen, Erfindungen oder revolutionären ›Paradigmenwechsel‹ 1 S. dazu den souveränen Überblick von Bachmann-Medick 2006 und zuletzt dies.
2013, mit neuerer Literatur. – Die folgenden Ausführungen beruhen zum Teil auf einigen früheren Arbeiten: Hölkeskamp 2006, 2006a und b, 2008 und 2014, jeweils mit weiteren Nachweisen. – Ich danke Rudolf Schlögl (Konstanz) für die freundliche Übersendung eines Manuskripts (jetzt Schlögl 2014). 2 Schlögel 2003, 68; vgl. auch ders. 2004, 264–265. – S. außerdem zur Auseinandersetzung mit dem ›linguistic turn‹ aus der Sicht der Geschichtswissenschaften Hanisch 1996 und S. S. Tschopp, in: Tschopp/Weber 2007, 84–99.
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sind: Hier geht es also um weniger und wiederum anderes als bei dieser radikalen und prinzipiellen Form der ›Wende‹, mit der man schon früher die einschneidenden Brüche mit geltenden epistemischen Systemen in der Geschichte der (›exakten‹) Wissenschaften zu bezeichnen pflegte.3 Unter einem ›turn‹ der eher gemäßigten Art muß man vielmehr eine Erweiterung der Fragestellungen, theoretischen Ansätze und methodischen Zugriffe verstehen, die aus »Verschiebungen von Blickwinkeln und Zugängen, die bisher nicht oder wenig beleuchtete Seiten sichtbar werden lassen«, resultiert. Eine solche ›Wende‹ kann einerseits hinsichtlich der theoretischen Grundlagen, methodischen Ansätze und der anerkannten Raster der »Analysekategorien« in einem Fach eine anregende, innovative und nachhaltige Wirkung entfalten, die durchaus einem ›Paradigmenwechsel‹ im engeren Sinne vergleichbar ist; andererseits kann sie auch und zugleich neue sachliche und/oder »systematische Schwerpunktsetzungen eröffnen«.4 Mehr noch, so hofft zumindest Karl Schlögel: »Turns bezeichnen die Wiederkehr und Erneuerung einer reicheren Geschichtswahrnehmung, turns pflastern den Weg zur Wiederkehr der histoire totale«, die ihm als »regulative Idee« gilt und vor der »Beschränktheit der Bindestrich-Geschichten« – etwa »Mentalitätsgeschichten, Sozialgeschichten, Kulturgeschichten« – schützen soll. Daher könne es »gar nicht genug turns geben«, so Schlögels Folgerung, die geradezu als Forderung zu verstehen ist, »wenn es um die Entfaltung einer komplexen und der geschichtlichen Realität angemesseneren Wahrnehmung geht.«5 Darüber hinaus hat Barbara Stollberg-Rilinger jüngst bei allen ›turns‹ »einen gemeinsamen Kern« identifiziert, »nämlich die Einsicht in die kulturelle Bedingtheit der menschlichen Existenz und die wirklichkeitserzeugende Kraft des kommunikativen sozialen Han3 Vgl. zum Begriff zunächst Kuhn 1962/1969 (mit einigen Modifikationen: Kuhn
1977, 389–420, zu den Kategorien ›Paradigma‹ und ›disziplinäre Matrix‹) und zur Erfolgsgeschichte des Konzeptes in der Wissenschafts- und Ideengeschichte Barnes 1990, Daniel 2002, 362–378, und dazu die Kritiken von Bachmann-Medick 2006, 16–19, und S. Stratmann, in: Nünning (Hg.) 2008, 390–391, jeweils mit weiteren Nachweisen. Vgl. zur Bedeutung des Kuhnschen Konzepts für die Theoriediskussionen in der Geschichtswissenschaft außerdem Blanke 1991, 25–36 u. ö. und dazu wiederum die vorsichtig-skeptischen Bemerkungen von Raphael 2003, 14–16. 4 Bachmann-Medick 2013, 399–400. 5 Schlögel 2004, 265, bzw. ders. 2003, 68 (Zitate).
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delns, ob es sich nun um Sprache, Texte, Bilder, Verhaltensweisen oder eben um Rituale handelt« – oder auch, so darf man ergänzen, um die ›Räume‹ dieser Existenz, ihre Wahrnehmung, Definition und Gestaltung. Denn auch diese Dimension, die der ›spatial turn‹ in den Fokus gerückt hat (darauf wird noch zurückzukommen sein), gehört unter das Dach eines erweiterten Begriffs von ›Kultur‹, der »die Gesamtheit der jeweiligen sozialen Handlungsrepertoires und symbolischen Codes einer Gruppe oder Gesellschaft« er- bzw. umfassen soll.6 Im Anschluß an Clifford Geertz7 »wird Kultur über die fundamentale Fähigkeit des Menschen zur Symbolerzeugung definiert, die Individuum und Kollektiv miteinander verbindet: Der Einzelne wird immer schon in ein kollektives soziales Symbolsystem hineingeboren«8 – und neben der Sprache und sprachlich formulierten ›Sinnkonzepten‹ gehören dazu auch Verhaltenscodes, Wahrnehmungsweisen, Deutungsmuster, Orientierungs- und Rezeptwissen und überhaupt das Repertoire einer gegebenen Gesellschaft oder Gruppe an ›nomologischem Wissen‹9 als Voraussetzung und Fundament intersubjektiver Verständigung und Interaktion im Rahmen des Kollektivs. Zugleich generiert jedes Individuum durch eben diese kommunikative Interaktion mit anderen »dieses Symbolsystem stets aufs Neue und verändert es möglicherweise durch seine konkrete Praxis«.10 Die hier vorsichtig formulierte Annahme dieser ›Möglichkeit‹ resultiert aus einem verfeinerten Konzept der ›Praxis‹, das ein zentrales Theorem der bezeichnenderweise als ›praxeologisch‹ apostrophierten 6 Stollberg-Rilinger 2013, 37 (Zitate). Vgl. zu den Ursprüngen des ›cultural turn‹ und
zur Konzeption einer neuen ›Kulturgeschichte‹ etwa Burke 1998, Kapitel I und XII; ders. 2005; Chartier 1989, 7–19; 58–72 und die Beiträge in Le Goff/Chartier/Revel (Hgg.) 1990; Rubin 2002. 7 Das klassische, viel zitierte (und gelegentlich kritisierte) Zitat findet sich bei Geertz 1993, 5: »Believing, …, that man is an animal suspended in webs of significance he himself has spun, I take culture to be those webs …«. 8 Stollberg-Rilinger 2013, 37. Vgl. zu den unter dem Dachbegriff der ›historischen Anthropologie‹ zusammengefaßten Fragestellungen und Ansätze etwa Burke 1987; ders. 2005, Kapitel 3; Burguière 1990. 9 S. dazu Hölkeskamp 2003, 89–90, mit weiteren Nachweisen. Der Begriff taucht zuerst bei Max Weber auf (1968, 276 f., vgl. 179; 192); vgl. auch Meier 1980, 338– 339; 396. Vgl. zu dem verwandten Konzept des »kollektiven Bedeutungs- und Handlungswissens« Hörning 2004, 144–150, sowie zu Inhalt und Bedeutung der Kategorie ›Sinnkonzept‹ Rüsen/Hölkeskamp 2003, 3–8. 10 Stollberg-Rilinger 2013, 37.
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Ansätze11 von Anthony Giddens und Pierre Bourdieu darstellt. Danach verweist die Kategorie der sozialen Praxis auf eine »doppelte Konstitution der Wirklichkeit …, die aus den strukturierenden Folgen sozialen Handelns und den handlungsbefähigenden Bedingungen, die Strukturen dem Handeln setzen, resultiert«. ›Praxis‹ wird hier also zugleich als »der Strom der Handlungen von Akteuren und (als) der Prozeß der Reproduktion und Modifikation sozialer Strukturen« aufgefaßt.12 Bourdieu hat zudem die Kategorie des ›Habitus‹ eingeführt, der als »System von Dispositionen« nach »Maßgabe der sozialen Struktur, d. h. der sozialen Lage und der Stellung innerhalb der Sozialstruktur« definiert wird und »im Alltagsleben als Denk-, Wahrnehmungs- und Beurteilungsschemata« fungiert. Der ›Habitus‹ wirkt als »praktischer Operator«, der die »strukturierte Praxis« und die »strukturierende Praxis« miteinander vermittelt, indem er einerseits »die Praxis der Struktur anpaßt« und andererseits genau »damit die praktische Reproduktion der Struktur gewährleistet«.13 Das hat wiederum weitreichende und grundsätzliche Konsequenzen für die erwähnte Kategorie der ›Kultur‹, in die diese Praxis eingebettet ist: Erst auf dieser Basis kann nämlich ›Kultur‹ allgemein »als ein symbolisch vermitteltes, kollektives Sinnsystem« begriffen werden, »dessen grundlegende Ordnungskategorien«, zentrale Leitbilder und herrschende Wertvorstellungen »durch das Handeln der Einzelnen« mittels Praktiken der Partizipation in dafür reservierten Räumen und durch geeignete Medien »fortgesetzt reproduziert, aber auch verändert werden« können.14
11 Vgl. zum Inhalt des Begriffs und zur Relevanz des Ansatzes für die (historischen)
Kulturwissenschaften zuletzt den Überblick von Frietsch 2013, mit weiterer Literatur. S. auch Hörning 2004. 12 S. etwa Giddens 1984/1988, Kapitel 1, zur »Theorie der Strukturierung« und dazu Welskopp 2001, 104 (Zitat) und passim, sowie ders. 1997, 56–66 und passim. 13 Müller 2002, 164 (Zitate), vgl. Reichardt 1997, 73–75; Barlösius 2011, 45–89. – Vgl. generell zu Bourdieus Theorie der Praxis (s. etwa Bourdieu 1972/1976; ders. 1980/1987, 97–121) etwa Gilcher-Holtey 1996, passim; Lipp 1996, 99–102; Daniel 2002, 179–194; Papilloud 2003; Raphael 2004; Flaig 2004, 356–362; 369–371; Müller 2005 und die übrigen Beiträge in Colliot-Thélène/François/Gebauer (Hgg.) 2005; Barlösius 2011, 27–44 und passim, jeweils mit weiteren Nachweisen. S. zum praxeologischen Ansatz in der Geschichtswissenschaft außerdem Reichardt 2007 und Hölkeskamp 2011. 14 Stollberg-Rilinger 2010, 31 (Zitate). Vgl. zu den methodischen Strategien der Ana-
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Um eine aus diesem komplexen Konzept von ›Kultur‹ resultierende »Raffinierung und Steigerung der Wahrnehmung« und die dadurch wiederum erst ermöglichte »Verfeinerung des Registers der Geschichtsschreibung«15 geht es auch bei dem erwähnten ›performative turn‹ – jedenfalls in dem Sinne, wie diese ›Wendung‹ in der Folge verstanden werden soll, nämlich als eine (im ursprünglichen Wortsinn) durchaus »anstößige«, also »impulsgebende Forschungsanregung«, die über die »Gegenstandsebene neuartiger Untersuchungsfelder« hinaus auf die »Ebene von Analysekategorien und Konzepten« führt. Auch bei diesem ›turn‹ geht es also eben nicht mehr nur um »neue Erkenntnisobjekte«, sondern er wird »selbst zum Erkenntnismittel und -medium«.16 Allenthalben hat sich mittlerweile die Einsicht durchgesetzt, daß Kulturen – respektive die sie tragenden und produzierenden sozialen Gruppen – ihre Wertvorstellungen, Orientierungen und überhaupt die wesentlichen Fundamente ihrer spezifischen Konstitution und Identität nicht nur in Texten und Monumenten formulieren bzw. darstellen. Vielmehr kennen alle Kulturen – historische wie gegenwärtige – auch andere Medien und Praktiken, um eine geltende Ordnung dar- und symbolisch herzustellen und ihre Integrität gegebenenfalls wiederherzustellen, ihre kollektiven Orientierungsund Deutungssysteme zu artikulieren, ihre leitenden Wertordnungen zu verhandeln, ihre Identität und ihr Selbstverständnis zu bestätigen oder auch zu transformieren: Diesen durchaus heterogenen Zwecken und Zielen dienen performances, wie Rituale und Zeremonien, Feste, Spiele und Wettkämpfe, Aufführungen, ›Inszenierungen‹ oder ›Spektakel‹17 ganz unterschiedlicher, wiederum aber jeweils kulturlyse der »Reproduktion sinn-gesättigter Werte und Normen« in einem Parallelogramm von Praktiken, Räumen und Medien außerdem Rüsen/Hölkeskamp 2003, 10–13. 15 Schlögel 2003, 502. Bachmann-Medicks Kritik an Schlögels »Praxis der Metaphorisierung« (2006, 24–27) (be-)trifft die Substanz seines ›turn‹-Konzeptes nicht. 16 Bachmann-Medick 2006, 48 und 26 (Zitate). – S. zum ›performative turn‹ (nicht nur) in der Geschichtswissenschaft generell etwa Martschukat/Patzold 2003, 1–11; Burke 2005, 133–140; Bachmann-Medick 2006, 104–143; S. S. Tschopp, in: Tschopp/ Weber 2007, 111–122, sowie zuletzt knapp und konzise Stollberg-Rilinger 2013, 37– 39, jeweils mit weiteren Nachweisen. Wichtige programmatische Texte sind in Wirth (Hg.) 2002 gesammelt. 17 S. zu diesen »Schlüsselbegriffen« (Fischer-Lichte 2003) außerdem Bergmann 1999, 10–12; Seel 2001; Wulf/Zirfas 2001 und 2004, Schenk 2003, 65–75 u. ö., sowie die einschlägigen Beiträge in Wulf/Zirfas (Hgg.) 2004 und Harth/Schenk (Hgg.) 2004; Fischer-Lichte 2004; Kolesch 2004, sowie die einschlägigen Artikel in Nünning (Hg.)
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spezifischer Art. Dazu gehören einerseits »Staatsspektakel« und eine ausgeprägte »Politik des Prunks« in Gestalt von Festen, Triumphzügen und anderen opulenten Inszenierungen,18 Herrschaftszeremonielle verschiedener Art ebenso wie Rituale der Investitur (und Devestitur) in Herrschaftsrollen und Funktionen, die feierlichen Formen der Eröffnung und Entlassung von institutionalisierten Organen der Entscheidungsfindung, wie Volksversammlungen, Land- und Reichstagen, Parlamenten und Gerichtshöfen und die rituellen Dimensionen von Wahlen und anderen Verfahren.19 Andererseits sind dazu Übergangsriten aller Art, die Geburt, Eheschließung, Tod markieren, ebenso wie ritualisierte Formen der Konfliktkanalisierung und -beilegung, Rituale des Bittens und Trauerns, der Unterwerfung, des Büßens und Strafens20 und sogar »verkehrte Rituale«, Rügebräuche und die (nicht nur) im vormodernen Europa weit verbreiteten Formen des Karnevals zu rechnen.21
2008, jeweils mit weiteren Literaturangaben: M. Pfister, Performance/Performativität, 562–564; B. Dücker, Ritual, 629–631; J. Hauthal, Inszenierung, 321–322; S. Bach, Theatralität, 716. 18 Strong 1991 (auch zu den Begriffen), ferner allgemein etwa Nieder 2002. S. zu den verschiedenen Festen und Festkulturen (nicht nur) des vormodernen Europa etwa die Beiträge in Jacquot (Éd.) 1956, 1960 und 1975; Cannadine/Price (Eds.) 1987; Hugger (Hg.) 1987; Hanawalt/Reyerson (Eds.) 1994; Béhar/Watanabe-O’Kelly (Eds.) 1999; Kimpel/Werckmeister (Hgg.) 2001, sowie zu denjenigen in Venedig, Florenz und Rom die Beiträge in Wisch/Scott Munshower (Eds.) 1990, Part 1 und 2; Mazzarotto 1980; Casini 1996; Visceglia 2002 und Ventrone 2003. S. ferner Burke 2001 als exemplarische Studie zur »Inszenierung des Sonnenkönigs« Ludwig XIV. 19 Vgl. die einschlägigen Beiträge in Duchhardt/Melville (Hgg.) 1997; Stollberg-Rilinger/Puhle/Götzmann/Althoff (Hgg.) 2008; Neu/Sikora/Weller (Hgg.) 2009; Peltzer/ Schwedler/Töbelmann (Hgg.) 2009 und Dartmann/Wassilowsky/Weller (Hgg.) 2010. S. zur theoretischen Basis und zu den methodischen Ansätzen v. a. die grundlegenden Arbeiten von Stollberg-Rilinger 1997 und 2008. S. auch Neu 2008; Krischer 2009 und Rudolph 2011, 256–331. Vgl. generell zu Ritualen und Ritualismus in der neueren Mittelalterforschung Althoff 1999; Rexroth 2003. 20 S. dazu etwa Muir 1997, 19–54 (zu »rites of passage«); Althoff 1997a und 2003; Weinfurter 2004; Garnier 2008 bzw. van Dülmen 1985 und die einschlägigen Einzelstudien in Chiffoleau/Martines/Paravicini Bagliani (Hgg.) 1994 bzw. Ambos/Hotz/ Schwedler/Weinfurter (Hgg.) 2005. 21 Ch. Meier-Staubach in: Stollberg-Rilinger/Puhle/Götzmann/Althoff (Hgg.) 2008, 181–185 (Zitat). Vgl. etwa die Beiträge in van Dülmen/Schindler (Hgg.) 1984; Darnton 1984, Kapitel 2; Burke 1987; ders. 1998, Kapitel X; Chartier 1989, 73–82; Muir 1997, 85–116.
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Mehr noch: diese Praktiken sind integrale, ja konstitutive Elemente der jeweiligen Lebenswelt, die sie so und eben nicht anders hervorgebracht, ausgestaltet, bewahrt und weiterentwickelt hat – und das macht sie zu »existentiellen Kategorien des Gesellschaftlichen«. Denn diese Lebenswelt mit ihren Institutionen und Normen, Verfahren und eben Ritualen ist selbst als »raum- und zeitbedingte soziale Wirklichkeit« zu verstehen, der die in ihr handelnden Individuen und Gruppen eben nicht gegenüberstehen. Vielmehr gehören sie auf besondere Weise dieser, ihrer Lebenswelt an, weil diese eine durch diese Menschen selbst »immer schon symbolisch gedeutete Welt«, also »gesellschaftlich konstituierte« und »kulturell ausgeformte Wirklichkeit« ist. Und das heißt mutatis mutandis, daß gerade die erwähnten Medien und Praktiken in die Mitte jener Gesamtheit der »Weisen lebensweltlicher Wirklichkeitserfahrung und -gestaltung« gehören, ja geradezu einen Schnittpunkt »der symbolischen Wirklichkeitsdeutungen, Kommunikationsformen, Produktionsweisen und Machtverhältnisse«22 vormoderner wie moderner Gesellschaften bilden – und daß ihre empirische Analyse auf der Basis ›dichter Beschreibungen‹ dieser Praktiken daher einen privilegierten Zugang zur Rekonstruktion der so verstandenen vergangenen Lebenswelten bietet. Die Begriffe aus der Welt der Bühne, die in den einschlägigen Debatten über Theorien, Methoden und Kategorien im Zuge des ›performative turn‹ der Semantisierung der (im doppelten Sinne) spektakulären Dimensionen von Kulturen dienen, haben längst jenen konnotativen Ruch des schönen Scheins, der gekünstelten Theatralik, des bloßen Blendwerks oder auch der manipulativen Täuschung verloren, der ihnen anzuhaften pflegte23 – mittlerweile sind diese Konzepte sogar zu Schlüsselbegriffen der neuen Kulturwissenschaften avanciert. Mit ihnen werden Handlungsweisen, Praktiken und Strategien der Selbstdarstellung und -vergewisserung bezeichnet, die erst in ihrem Vollzug, in der Handlung selbst Bedeutung erlangen, Sinn stiften und damit fundamentale sozialintegrative Funktionen erfüllen. Im Gegensatz zu Texten und Monumenten sind ›spektakuläre‹ Praktiken aller Art als solche nicht fixierbar und daher auch nicht direkt tradierbar, 22 Vgl. zum Konzept der ›Lebenswelt‹ Vierhaus 1995/2008 (Zitate: 112 und 113),
ferner Daniel 1997, 200 (Zitat). S. dazu Tschopp 2008, 23–24, sowie Hörning 2004. 23 Vgl. Harth 2004, 101.
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sondern einmalig und unwiederholbar, ephemer und transitorisch. Gerade deswegen setzen diese performativen Praktiken notwendig die physische Präsenz aller Beteiligten voraus – genauer gesagt: Es ist gerade die »Ko-Präsenz« von Darstellern und Zuschauern, Akteuren und Adressaten, die die Erfüllung der erwähnten Funktionen überhaupt erst ermöglicht.24 Selbst in der (jedenfalls lange Zeit) wenig innovationsfreudigen und theorieabstinenten Althistorie sind »Brot und Spiele« und darüber hinaus das breite Spektrum besonders ›spektakulärer‹ Ausdrucksformen und Praktiken antiker Zivilisationen auch schon avant la lettre als spezifische Dimension etwa der römischen Lebenswelt der (ausgehenden) Republik und der Kaiserzeit ausgemacht worden: Längst hat man auch erkannt, daß diese fundamentale Dimension durchaus tief in jener Epoche wurzelte, in der das römische Volk, der freie populus Romanus, noch imperium, fasces, legiones, die institutionelle Macht und ihre äußeren Zeichen, die militärische Befehlsgewalt und die Legionen geradezu souverän vergeben habe – anders als der satirische Dichter Juvenal, der unter dem autokratischen Regime der flavischen Kaiser lebte (und angeblich litt), es in der berühmten Passage über panem et circenses von der Warte der nostalgischen Rückschau suggeriert.25 Man könnte es wiederum auch in der Metaphorik der Bühne formulieren: Augustus war vielleicht der erste (und gleich vollendete) ›Impresario‹, der den gesamten Spielplan des römischen ›Theaters der Macht‹ souverän bestimmte und zugleich als »Dramaturg« die einzelnen Inszenierungen maßgeblich plante und schließlich häufig auch als »Protagonist« darin mitwirkte – und die aufgeführten Dramen und raffiniert choreographierten Spektakel hatten bei aller (im doppelten Sinne) imperialen Steigerung praktisch durchweg republikanische Vorläufer und -bilder, was die ideologische Vorgabe der Selbstverortung in einer (re-)konstruierten Tradition der libera res publica eben nicht nur inhaltlich, sondern auch medial widerspiegelte.26 24 S. zu diesem Konzept Fischer-Lichte 2003, 39; 41 u. ö.; dies. 2004, Kapitel 3; vgl.
auch Gladigow 2013, 47–48, Harth 2004, 101–104, ferner Wulf/Zirfas 2001, 2004 und 2004a. 25 Juvenal, Sat. 10, 78–81: nam qui dabat (sc. populus) olim/imperium, fasces, legiones, omnia, nunc se/continet atque duas tantum res anxius optat/panem et circenses. 26 Beacham 2005 und allgemein Gladigow 2013, auch zu den Begriffen. Vgl. auch Burkert 1987, 36–42
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Nicht nur religiöse Feste und Spiele, denen schon immer das Interesse galt,27 sondern auch das gesamte Spektrum der erwähnten ›spektakulären‹ Praktiken ist jüngst noch mehr in den Mittelpunkt des Interesses einer modernen, vom ›cultural turn‹ ebenfalls inspirierten internationalen Altertumswissenschaft gerückt28 – und auch hier waren es einerseits die kulturspezifisch ausgestalteten theatralisch-feierlichen ›exits‹ und ›enters‹, die hochgradig elaborierten Rituale des Auszuges (profectio) und der Rückkehr in Gestalt des Triumphzuges im Rom der Republik,29 der Ankunft und des ›Einzuges‹ (adventus) in der hohen und späten Kaiserzeit30 wie in Mittelalter und Früher Neuzeit,31 ihre spezifische Symbolik und hochelaborierte Struktur oder ›Syntax‹, die als Sprache sui generis mit einer eigenen Semantik gedeutet (oder ›gelesen‹) werden, wie etwa in Paul Zankers Deutung der Apotheose verstorbener Kaiser.32 Andererseits entwickelt sich in jüngster Zeit ein neues Interesse nicht nur an der eigentümlich spektakulären Seite der republikanischen politischen Kultur, sondern auch an der Einbettung von Politik und Institutionen in jeweils spezifische Formen von Zeremoniell, an der Durchdringung der Entscheidungs-
27 S. dazu neuerdings die theoretisch-systematische Einführung von Iddeng 2012 und
die übrigen Beiträge in Brandt/Iddeng (Eds.) 2012, sowie etwa in Assmann/Sundermeier (Hgg.) 1991, Rüpke (Ed.) 2007, ders. (Hg.) 2008 und Beck/Wiemer (Hgg.) 2009, jeweils mit weiteren Nachweisen auch der älteren Forschung; Benoist 1999. 28 S. etwa Bergmann 1999; Bell 2004; Sumi 2005; Benoist 2005, Hölkeskamp 2006a und b; 2008; 2014, jeweils mit weiteren Nachweisen, außerdem – avant la lettre – MacCormack 1981. S. auch die Beiträge in den Sammelbänden Bergmann/Kondoleon (Eds.) 1999, Goldhill/Osborne (Eds.) 1999, Bell/Davies (Eds.) 2004, Stavrianopoulou (Ed.) 2006, Rüpke (Hg.) 2008, Chaniotis (Ed.) 2011. 29 Dieses Ritual ist gerade in den letzten Jahren intensiv behandelt (und durchaus kontrovers beurteilt) worden: Flaig 2003, 32–40; Hölkeskamp 2008, 97–104; ders. 2010, 57–59; ders. 2014, 362; 378–379, jeweils mit weiteren Nachweisen. 30 S. dazu Koeppel 1969 und MacCormack 1972. 31 Vgl. dazu Tenfelde 1982 und 1987, sowie die Beiträge in Howe (Ed.) 2007 und Johanek/Lampen (Hgg.) 2009, sowie allgemein Strong 1991, 15–24; 79–94; 189–192; Füssel 2004, 191–192; Gladigow 2013, 43–44. S. ferner Mitchell 1986 und die einschlägigen Beiträge in Wisch/Scott Munshower (Eds.) 1990, Part 1 (Italien); Jacquot (Éd.) 1956, 1960 und 1975; Bryant 1986 und 1986a; de Mérindol 1991 und 1997; Blanchard 2003, jeweils mit weiterer Literatur (Frankreich); Smuts 1989 (England) und jetzt grundlegend zu den Kaisereinzügen im Reich des späten Mittelalters bzw. der Frühen Neuzeit Schenk 2003 bzw. Rudolph 2011. 32 Stollberg-Rilinger 2013, 107–113, mit weiteren Nachweisen; Zanker 2004.
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verfahren durch rituelle Elemente aller Art33 und an den ›theatralischen‹ Seiten des Auftretens und Handelns der Akteure auf der großen ›Bühne‹ des Forum Romanum34 – man hat begonnen, den Zeitzeugen und ebenso parteilichen wie intimen Kenner der Verhältnisse M. Tullius Cicero auf neue Weise ernstzunehmen: Nicht zufällig hatte schon dieser große Redner, gesuchte Anwalt und ambitionierte homo politicus die Versammlungen des römischen Volkes auf ebendiesem ›Forum‹ (im doppelten Sinne des Begriffs) als die »größte Bühne« (maxima scaena) des Redners und das Volk selbst als Publikum der dort stattfindenden Inszenierungen beschrieben; und Cicero wußte sehr gut, über was er da räsonnierte, beherrschte er doch selbst nicht nur die hochentwickelte Dramaturgie des Deklamierens, sondern gefiel sich gelegentlich selbst in großen Gesten und pompösen Posen und bewunderte auch den berühmtesten Schauspieler seiner Zeit, Q. Roscius, und dessen einschlägige Talente.35
II Außerdem hat man gerade in den benachbarten historischen Wissenschaften (wie der Mittelalter- und vor allem der Frühneuzeitforschung) erkannt, daß politische Kulturen im engeren Sinne – also der gesamte Komplex der Voraussetzungen und Bedingungen, Strukturen, Muster und Regeln jenes individuellen wie kollektiven Handelns in einem gegebenen gesellschaftlichen Kontext, das auf die Herstellung, Um- und Durchsetzung verbindlicher Entscheidungen zielt – eben nicht nur eine »Inhaltsseite«, sondern auch eine »Ausdrucksseite« und eine entsprechende »kognitive« Ebene hat:36 Politische Kulturen – vergangene, vormoderne, wie rezente und moderne – haben sym33 S. dazu grundlegend Flaig 2003; Jehne 2003 und 2010. Vgl. Hölkeskamp 2010,
55–60; 71–74 u. ö. für weitere Nachweise. In diesem Zusammenhang sei auch auf die umfassende und eindringliche Analyse der je spezifischen Ausgestaltung, Bedeutung und Dynamik des Prinzips der Mehrheitsentscheidung – nicht nur in den politischen Kulturen des republikanischen Rom, des archaischen und klassischen Griechenland – und ihre ausgeprägt rituellen Dimensionen verwiesen: Flaig 2013. 34 Flower 2004; Sumi 2005; Hölkeskamp 2006a und b; 2011a. 35 Cicero, De oratore 2, 338 (Zitat); vgl. auch Cicero, Laelius de amicitia 97; Brutus 290; De oratore 1, 128–132 und dazu Dupont 1985, 31–34 u. ö. 36 S. zu diesen Konzepten Rohe 1991, 335–339 und passim.
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bolische und ästhetische Dimensionen, die für die permanente Reproduktion der Legitimität des Systems insgesamt konstitutiv sind; denn es ist vor allem diese »Ausdrucksseite«, die der Erzeugung von Zugehörigkeit und Zustimmung, der Stiftung von Sinn und Sinnhaftigkeit politischen Handelns und damit der Begründung einer kollektiven Identität dient – und wie wichtig diese Funktion tatsächlich ist, wird nicht zuletzt dann historisch-empirisch besonders faßbar, wenn es um die radikale Neukonstituierung einer solchen Identität ging wie etwa im Frankreich nach 1789: Die auffällig vielfältige, ebenso elaborierte wie artifiziell anmutende, geradezu systematisch gestiftete Kultur der revolutionären Feste muß zugleich als Medium und Motor dieses Prozesses begriffen werden – wie die Feste der ›Föderation‹, der ›Freiheit‹ und des ›Rechts‹, der ›Vernunft‹ und des ›höchsten Wesens‹, deren jeweilige Bilder, Symbole und Strukturen jedes einzelne als spezifisch »ästhetisiertes, visuell betontes Ritual« auszeichnen.37 An das Beispiel einer gerade nicht vordergründig-offensiven, sondern hintergründig-camouflierten, nichtsdestoweniger radikalen Neukonstituierung einer solchen Identität auf der Basis einer homogenisierenden Konsensfiktion kann hier nur noch einmal erinnert werden: Auch die Welt der Bauten, Bilder und Botschaften im Rom des Augustus brauchte Kulte und Feste, Spiele und andere Arten opulenter öffentlicher Spektakel – und nicht zufällig beziehen sich diese Bilder auch und gerade auf Prozessionen und andere traditionelle und altehrwürdige (oder jedenfalls so erscheinende bzw. ›inszenierte‹) Rituale und Zeremonien, bringen sie explizit zur Darstellung (wie auf der Ara Pacis) oder verweisen indirekt, aber unmißverständlich auf sie (wie die allgegenwärtige Symbolik des Triumphes).38 Dieser neue Blick auf die »Ausdrucksseite« politischer Kulturen ist Teil eines umfassenden Paradigmenwechsels – für diesen ›political turn‹, die Etablierung der neuen historischen Politikforschung aus einer erweiterten kulturgeschichtlichen Perspektive ist dieser anspruchsvolle Begriff noch am ehesten angemessen.39 Denn nach diesem ›turn‹ 37 Ozouf 1976/1988, passim; Hunt 2004, 60–65 u. ö., sowie Ch. Schröer, R. Schmidt,
M. Knauer, in: Stollberg-Rilinger/Puhle/Götzmann/Althoff (Hgg.) 2008, 216–222 bzw. 223; 230; 234–235 und neuerdings Stollberg-Rilinger 2013, 124–127, mit weiterer Literatur. 38 Zanker 1987; Hölkeskamp 2008, 115–119. 39 Vgl. dazu generell etwa den Überblick von Schorn-Schütte 2006, 77–119 (Zitat: 85, vgl. 119–120), sowie die wichtigen programmatischen Beiträge von Rohe 1990;
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stellt sich Politik bzw. »politisches Handeln« nicht (mehr) »als eindimensionaler Akt oder Prozeß« dar, »in dem von oben nach unten dekretiert, regiert, entschieden wird«. Vielmehr soll es konsequent als »kommunikatives Handeln« im weitesten Sinne begriffen werden – es geht also um »Medien und Diskurse«, die »den Raum des Politischen konstituieren«. Damit rückt die Dimension des ›Aushandelns‹ von Agenden, Ansprüchen und ihrer Anerkennung, von Normen, Regeln und Verfahren der Konfliktbeilegung zwischen Regierenden und Regierten, Magistraten und Bürgern, herrschenden Klassen und breiten Schichten in den Blickpunkt – und dieses Aushandeln von Politik in einem impliziten Dialog und die darin notwendig beschlossene Reziprozität setzen wiederum Formen der Partizipation etwa der ›Adressaten‹ politischen Entscheidungshandelns notwendig voraus. Allerdings verlaufen solche dialektischen Prozesse des Aushandelns, die sich auf verschiedenen Ebenen, in höchst unterschiedlichen Formen und Medien, Abläufen, sozialen und institutionellen Kontexten vollziehen (können), keineswegs konfliktfrei oder gar harmonisch – im Gegenteil: Wenn Ansprüche und andere Agenden oder auch Regeln und Verfahren ausgehandelt werden (müssen), sind diese zunächst strittig, werden in Frage gestellt oder gar zurückgewiesen. Und es ist nicht einmal ausgemacht, daß solche Aushandlungen dann zu einem Konsens führen. Außerdem nimmt ›Partizipation‹ keineswegs unbedingt (und empirisch-historisch nicht einmal häufig) die Gestalt einer voll entwickelten »gleichberechtigten Teilhabe« an, muß aber doch (oder gerade deswegen) in ihren jeweils kulturspezifischen Ausprägungen, Graden und institutionellen Formen bestimmt werden.40 Dazu gehören auch die einer (politischen) Kultur jeweils eigentümlichen Formen »ritueller« und »symbolischer Kommunikation«, Mergel 2002/2008 und 2004; Landwehr 2003; Stollberg-Rilinger 2005; Frevert 2005; Haupt 2005; Tschopp 2008, 29–30. S. neuerdings Hölkeskamp 2006 und 2010, 53– 57 u. ö., mit weiteren Nachweisen, sowie demnächst Hölkeskamp, in Vorbereitung, (nicht nur) zur römisch-republikanischen politischen Kultur. S. zur Vermittlung der »einstellungszentrierten«, »symbolzentrierten« und »wissenszentrierten« Ansätzen der diesbezüglichen politikwissenschaftlichen Forschung Schwelling 2001 und zu den wissenschaftsgeschichtlichen Wurzeln und Hintergründen dieses ›turn‹ außerdem Lipp 1996. 40 Frevert 2005, 15; Haupt 2005, 310 (Zitate). Vgl. dazu und zum folgenden Hölkeskamp 2014, 364–365, mit weiteren Nachweisen, ferner Gengnagel/Schwedler 2013, 24–25 u. ö.
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als eines Spektrums von spezifischen »habituellen Verfestigungen von Kommunikationssituationen«, das nach Spannweite, Formen und Graden jeweils konkret zu bestimmen ist. Dieses Repertoire umfaßt eben nicht nur etwa das gesprochene Wort in öffentlicher Rede, sondern auch performances aller Art, von Gesten und Gebärden bis zu elaborierten Zeremonien, Ritualen und anderen »Handlungen symbolischer Qualität« – kurzum: Hier treffen sich ›performative turn‹ und neue historische Politikforschung. Deren wichtigste Prämisse besteht darin, daß das erwähnte performative Repertoire einerseits »als wichtigste Leistung die ständige Vergewisserung und Verpflichtung aller Beteiligten« erbringt und sie andererseits dabei zugleich auf Akzeptanz und Verbindlichkeit der geltenden Ordnung festlegt.41 Gerade die erwähnten Feste, Spiele und sonstigen ›Spektakel‹ dienen als symbolische Praktiken mithin eben nicht einer veräußerlichten Darstellung von Macht in Glanz und Gloria – zugespitzt formuliert: Politische Symbole und Rituale dürfen nicht als bloße »Metaphern der Macht« begriffen werden, sie sind Mittel und Zweck der Macht. Vielmehr dient das gesamte Repertoire an solchen Ausdrucksformen nicht nur der Darstellung politischer Macht, sondern auch ihrer Herstellung, es spielt also schon bei der Konstitution und Reproduktion von politisch-sozialen Ordnungsstrukturen und Machtbeziehungen, von Institutionen und Verfahren, von Deutungs- und Orientierungssystemen und (damit) von Geltungs-, Legitimitäts- und Herrschaftsansprüchen eine eigene und eigengewichtige, jeweils genauer zu bestimmende, jedenfalls fundamentale Rolle: Nochmals mit anderen Worten, sie sind als zentrale Elemente oder eben einzelne ›Zeichen‹ »symbolischer Politik als eines Zeichensystems« zu begreifen, das »via Kommunikation politische Wirklichkeit konstruiert«.42 Das gilt insbesondere für Rituale und Zeremonien, die sich theoretisch und konzeptuell dadurch unterscheiden (sollen), daß dem Ritual eine »performative Wirkmächtigkeit« zugeschrieben wird, die in einer dauernden oder ephemeren Statusveränderung, einem Übergang oder einer sonstigen Transformation des oder der Beteiligten bestehe – anders und konkreter gesagt: »Rituale sagen nicht nur etwas, 41 Schlögl 2004, 24 bzw. Althoff 1997, 373 (Zitate); Althoff/Stollberg-Rilinger 2008,
15–16. 42 Hunt 2004, 54 (am Beispiel der Festkultur der Französischen Revolution); Stollberg-Rilinger 2005, 16–17; Frevert 2005, 20 (Zitate).
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sie tun auch etwas: Sie machen jemanden zum König, zum Bischof, zum Bürgermeister oder Doktor; sie stiften ein Bündnis, eine Ehe, einen Frieden; sie nehmen den einen in eine Gruppe auf und schließen den anderen aus einer Gruppe aus.« Die Zeremonie habe dagegen »eher darstellenden, abbildenden Charakter« und diene etwa dazu, »eine immer schon gegebene politisch-soziale Ordnung« bloß zu »bekräftigen«.43 In ihrer formalen Struktur lassen sich Rituale und Zeremonien allerdings kaum unterscheiden: Sie stellen Inszenierungen dar, die aus komplexen, strukturierten und geordneten Sequenzen44 von Handlungen (wie etwa Opfern und Tänzen), Gesten, Gebärden und/oder Worten (wie etwa Formeln und Sprüchen, Gebeten und Gesängen) bestehen; diese Sequenzen sind also zwangsläufig multimedial. Zu diesen ›Medien‹ gehören daher auch Kultgeräte und andere Gegenstände mit religiöser oder sonstiger symbolischer Bedeutung; ›Embleme‹ aller Art wie Amtstrachten und -insignien, Wappen, Fahnen, Feldzeichen und andere unmittelbar lesbare Zeichen der Identität, des Status und des Ranges von Individuen oder Gruppen; weitere optische und auch akustische Signale wie Musik und Fanfaren. »Visualisierung und Performanz«, verbale und non-verbale Ausdrucksformen können sich dabei auf viele Weisen miteinander kombinieren, aufeinander verweisen und gegenseitig bestätigen. In jedem Fall geschieht dies nach einer mehr oder weniger strengen, normierten und normierenden ›Syntax‹ oder ›Taxonomie‹, die aus Konventionen, formalen Regeln oder Vorschriften über den Ablauf, die Ausstattung und nicht zuletzt über die Zusammensetzung der Teilnehmer und das Recht oder die Pflicht zur Teilnahme besteht. Rituale wie Zeremonien zeichnen sich durch Stereotypie und Wiedererkennbarkeit, Wiederholbarkeit und praktische Wiederholung aus, die eine besondere Art der ›Authentizität‹ respektive der Richtigkeit des Ablaufs begründen und garantieren.45 Darin liegt ihre symbolisch-ordnende Kraft – und zugleich ihre »Verletzbarkeit«; denn ihre 43 Stollberg-Rilinger 2000, 397, und 2001, 10; Althoff/Stollberg-Rilinger 2008, 15
(Zitate). – Die internationale Ritualforschung und das Spektrum der alten und neuen, disziplinären, inter- und transdisziplinären Ansätze läßt sich kaum noch überblicken – vgl. nur die Bände von Caduff/Pfaff-Czarnecka (Hgg.) 2002, Michaels (Ed.) 2010 und Krieger/Belliger (Hgg.) 2013, sowie Stausberg 2004. 44 Vgl. dazu Gladigow 2004. 45 Vgl. dazu Baudy 1998, 21–40 und passim.
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»Integrität« ist immer latent bedroht. Gerade die Normierung des Rituals läßt nämlich Abweichungen, Mißverständnisse, »Fehltritte« und selbst bloß »situationale Mikroverletzungen« der in der Syntax des Rituals »institutionell formierten Verhaltenserwartungen« eben auch unmittelbar deutlich und für Akteure und Adressaten erkennbar werden – das gilt insbesondere auch für mutwillige, absichtsvolle oder gar ganz gezielte »Transgressionen« und »Provokationen«, die wiederum ihrerseits selbst symbolische Botschaften vermitteln können und sollen. Und unter Umständen kann eine daraus resultierende »Gleichgewichtsstörung« sogar dazu führen, daß eine »gesamte Sozialchoreographie« in Mitleidenschaft gezogen wird – ob und gegebenenfalls wie auch dieser Faktor etwa in eine moderne Gesamtdeutung der Krise der Republik eingehen kann, kann hier nur als Frage formuliert werden.46 Zu derart weitreichenden und irreversiblen Folgen muß es aber nicht immer, bei jeder Art der Abweichung kommen – und das hängt nicht nur von Art und Schwere des ›Fehltritts‹ ab, sondern auch und vor allem von der spezifischen Abweichungstoleranz, die ihrerseits in die jeweilige Syntax eines Rituals eingeschrieben ist. Diese Toleranz sorgt für eine (zumindest begrenzte, im Einzelfall wiederum zu bestimmende) Flexibilität und Dehnbarkeit, die es erlaubt (und geradezu erlauben soll), auch Varianten und Modifikationen zu integrieren und damit Sinn und Geltung der Ritualsyntax zu bestätigen. Bei Ritualen wie Zeremonien haben Handlungen und Worte symbolische Bedeutungen, die über das visuell und akustisch konkret Wahrnehmbare hinausweisen – alle Elemente der Syntax dienen der performativen »Vergegenwärtigung von unsichtbaren Realitäten«, indem diese sichtbar, hörbar und vor allem miterlebbar gemacht werden. Die beteiligten Akteure erfüllen dementsprechende immer auch symbolische Rollen. Wie bei allen ›Inszenierungen‹ oder ›Spektakeln‹ im eingangs definierten Sinne müssen den Akteuren die Adressaten gegenübertreten – Rituale und Zeremonien sind auf die ›Öffentlichkeit‹ eines Publikums sogar notwendig angewiesen und müssen geradezu darin eingebettet sein, wenn sie als performative Strategien der Selbstdarstellung und Selbstverständigung von sozialen Grup46 Hölscher 2004 (zu Rom) bzw. Rehberg 2001, 419–420; 426; 430–435 (Begriffe
und Zitate). S. auch die einschlägigen Beiträge in Ambos/Hotz/Schwedler/Weinfurter (Hgg.) 2005.
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pen, politischen Einheiten und anderen Kollektiven ihre fundamentale Funktion der Konstitution, Reproduktion oder Transformation dieser Gemeinschaften erfolgreich erfüllen sollen. Diese Bedingung setzt wiederum voraus, daß ein gewisses ›rituelles Wissen‹ etwa über die erwähnte Syntax der Ordnung und der Regeln des Rituals und über die Semantik der Symbolik zwischen Akteuren und Adressaten geteilt wird. Nur wenn die »Lesbarkeit« eines Rituals gewährleistet ist, kann es endlich als »kulturell konstruiertes System symbolischer Kommunikation« zwischen den Beteiligten im vollen Sinne dieser Definition funktionieren – also im Kontext aller einer Gesellschaft zur Verfügung stehenden derartigen »kulturellen Texte« dazu beitragen, jenes »Bewußtsein von Einheit, Zusammengehörigkeit und Eigenart« zu stiften und zu erneuern, das eben nicht nur die gewissermaßen aktuelle »Identität und Kohärenz einer Gesellschaft« bestimmt und deren »Sinnwelt« strukturiert:47 Darüber hinaus dienen Rituale und Zeremonien vor allem der Weitergabe dieses Bewußtseins über die ›erinnerungstechnisch‹ sensiblen Grenzen der Generationen hinweg, mithin der Sicherung der erwähnten kulturellen Identität und Kohärenz in Raum und Zeit und damit der Reproduktion dieser Gesellschaft selbst. Ein konkretes Beispiel für das Aufeinanderverweisen von Präsenz und Performanz, Multimedialität, Raum und Route im Rahmen einer vernetzten Syntax ist das Ritual, in dem ein Consul seine ursprüngliche und wichtigste Rolle als Träger des imperium förmlich, sichtbar und insofern konkret übernimmt, nämlich diejenige als Oberbefehlshaber des Aufgebots und Feldherr der Republik: Der Aufbruch eines Consuls in einen Krieg war ein Ritual, das jedenfalls in der mittleren Republik fast ebenso regelmäßig stattfand wie ein im Kalender fest verankertes religiöses Fest – und ebenso wie bei anderen Ritualen ging es auch hier, um es mit Livius auszudrücken, cum magna dignitate ac maiestate zu.48 Denn auch eine solche profectio gehorchte selbstverständlich einer durchaus elaborierten Syntax: Dieses ›Spektakel‹ begann (wie ja auch die Übernahme des Amtes selbst) auf dem Capitol, wo der Consul – natürlich von seinen Lictoren mit den fasces 47 Assmann 2000, 149–150; vgl. ders. 1991, 23–24, und 1992, 57; Gengnagel/
Schwedler 2013, 29–30. 48 Livius 42, 49, 1–6, Zitat: 49, 2 und dazu zuletzt Hölkeskamp 2014, 369–370, mit weiteren Nachweisen.
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als Insignien der ›Macht‹ umgeben – am Morgen des Tages seines Aufbruchs die Auspicien einzuholen und dem Iuppiter Optimus Maximus und den anderen Göttern feierliche Gelübde für den Fall des Sieges zu leisten hatte; dann vertauschte der Consul die toga praetexta als Amtstracht im Bereich domi, dem topographisch und symbolisch genau markierten zivilen ›Innenraum‹ der Stadt, mit dem roten Kriegsmantel (paludamentum), und auch seine Lictoren legten diese Tracht an. Dieser Akt verwies symbolisch bereits auf den Übertritt in den Amtsbereich militiae außerhalb der Stadt. Dann bliesen die Hörner und gaben damit ein ebenfalls schon eindeutig militärisches akustisches Signal zum Abmarsch. In Begleitung seiner Freunde, gelegentlich auch einiger Kriegstribune und anderer Offiziere und vor allem einer Menge von omnium ordinum homines, brach der Consul also auf und überschritt die heilige Stadtgrenze des pomerium – damit war er nun Feldherr mit unbegrenztem imperium. Wiederum ist es Livius, der die zentrale Rolle dieser »Menschen aus allen Ständen« in diesem Ritual durchaus genau und vielschichtig charakterisiert hat – auch wenn diese Beschreibung anläßlich des Aufbruchs des P. Licinius Crassus, Consul 171 v. Chr., zum Feldzug gegen Makedonien und seinen König Perseus eine literarische Stilisierung eigener Prägung ist. Dieses Publikum komme hier nicht nur zur Erfüllung einer Pflicht, so Livius, sondern auch aus Lust an diesem Schauspiel (studium spectaculi) zusammen – um nämlich jenen Consul und Feldherrn zu sehen, den eben dieselben Menschen zuvor dazu bestellt hatten und den sie damit nun in den bevorstehenden Krieg schickten.49 Anders gesagt: Das Publikum dieses Rituals ist nicht nur dessen gewissermaßen passiv-partizipatorischer Adressat, sondern auch und zugleich impliziter Akteur, nämlich als Bürgerschaft in den comitia centuriata, die dem nun aufbrechenden Feldherrn zuvor Amt und imperium verliehen hat: Hier manifestiert sich die bereits erwähnte, für Rituale nicht nur dieser Art konstitutive ›Ko-Präsenz‹ von Akteuren und Adressaten in der besonderen Variante der Verschränkung komplementärer Rollen, die für die politische Kultur der Stadtstaatlichkeit typisch ist. Diese Verschränkung ist auch und vor allem ein spezifisches Merkmal jenes Typs von Ritual bzw. Zeremonie, um den es jetzt konkret gehen soll: Das Ritual der profectio des Imperiumsträgers ist als 49 Livius 42, 49, 6.
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Prozession im engeren Sinne dieses Begriffs zu beschreiben – eines Begriffs, der ebenfalls im Rahmen neuerer kulturhistorischer Ansätze als Kategorie zunächst inhaltlich genauer zu fassen ist. Danach erfüllt die Prozession zunächst generell die wesentlichen Kriterien eines Rituals oder einer Zeremonie: Auch sie verläuft nach einer normativen Syntax, auch sie ist durch Stereotypie, Formalität, Wiederholbarkeit bzw. Wiederholung charakterisiert, auch sie vermittelt symbolische Botschaften, und vor allem ist sie notwendig performativ und (schon deswegen) in eine ›ko-präsente‹ Öffentlichkeit eingebettet: Konkret ist die Prozession also eine strukturierte Handlungssequenz, in deren Verlauf eine bestimmte Gruppe von Menschen sich in einer normativ choreographierten Abfolge in einem definierten Raum von einem ebenfalls festgelegten Ausgangspunkt zu einem Endpunkt bewegt respektive, wie das Wort schon indiziert, feierlich ›voranschreitet‹, um am Ziel eine (zumeist kultische) Handlung teils performativ zu vollziehen, teils durch ihre Präsenz zu bezeugen.50 Die Route der Prozession – also die Straßen und Plätze, über die sie führte – und vor allem die an diesem Weg liegenden und ihn zugleich definierenden Marken wie Tempel bzw. Kirchen und andere öffentliche Bauwerke, Tore in Stadtmauern, Denkmäler und sonstige markante Punkt von symbolischer Bedeutung sind für die Prozession selbst ein integrales Konstitutivum ihrer spezifischen Syntax. Auf die konkrete römische Ausprägung dieser räumlichen Dimension wird noch zurückzukommen sein, und auf die eigentümliche Rolle von Routen und Räumen der Festumzüge im Frankreich der Revolution kann hier nur hingewiesen werden.51 Hier kommt es zunächst auf eine möglichst allgemeine, aber zugleich trennscharfe Bestimmung des gesamten Ensembles der konstitutiven Elemente der Prozession 50 Fless 2004, 33, vgl. Rüpke 2001, 95–96; 100–101. S. allgemein etwa Löther 1998
und 1999, Felbecker 1995 und den Forschungsbericht von Weiß 2004, sowie die Beiträge in Ashley/Hüsken (Eds.) 2001, und in Gengnagel/Horstmann/Schwedler (Hgg.) 2008, sowie zuletzt Stollberg-Rilinger 2013, 120–123, Gladigow 2013, 41–45 und paassim, und Hölkeskamp 2014, 370–371 und passim, jeweils mit weiteren Nachweisen. 51 Vgl. dazu Ozouf 1971 und 1975, 376–384, sowie dies. 1987, wo sie ihre auffällige Diagnose näher begründet: Der »ceremonial space« der Revolutionsfeste sei einerseits »a space without any distinguishing features«, andererseits »arbitrary, open, horizontal und luminous« gewesen« (1975, 377 bzw. 379). S. zu Paris als »revolutionärem Raum« außerdem Schmidt 2004.
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als eines spezifischen Typs des Rituals an. Dazu gehören neben der kodierten Formulierung und symbolischen Affirmation bestimmter Botschaften, die auch bei diesem Ritualtyp regelmäßig multimedial – das heißt durch Bilder und akustische Signale, Gesten und andere performative Akte – auf die ›Bühne‹ des erwähnten öffentlichen Raumes gebracht werden, vor allem das soeben erwähnte Eingeschriebensein der Route in einen definierten (öffentlichen) Raum.
III Genau hier findet das eingangs programmatisch angekündigte Treffen des ›performative turn‹ mit dem ›spatial turn‹ statt, dem eine »gesteigerte Aufmerksamkeit für die räumliche Seite der geschichtlichen Welt« und damit eine weitere »Raffinierung und Steigerung der Wahrnehmung« historischer wie gegenwärtiger Lebenswelten in Gestalt eines veränderten und vertieften Verständnisses von Raum bzw. unterschiedlichen Räumen verdankt wird52 – und damit ist bereits viel gewonnen, auch wenn man dem Propheten dieser ›Wende‹ Edward Soja nicht folgen will und darin gleich eine »epochale transdisziplinäre Umwälzung« und den ganz großen »master turn« sehen kann, der gewissermaßen »einsam … aus dem Gewimmel niederer Diskursmoden« herausrage und bereits heute eine »grundlegende ontologische Restrukturierung des Gesellschafts-, Menschen- und Geschichtsbildes« geleistet habe.53 Es kann auch nicht darum gehen, die durch den ›spatial turn‹ angestoßene Aufkündigung der vielzitierten »Präferenz«, »Dominanz« respektive »Privilegierung« der Zeit gegenüber dem Raum54 gegen die modernen Geschichtswissenschaften 52 Schlögel 2003, 68; 502 (Zitate), vgl. 60–71 passim; ders. 2004, 264–277 und pas-
sim; ders. 2007, 33–34. 53 S. die programmatischen Äußerungen von Soja (2008, 242–243, und 2009, 25 und passim) und dazu Döring/Thielmann 2008, 8, sowie Hahnemann 2006 (Zitate). – Vgl. allgemein zum ›spatial turn‹, seinen wissenschaftsgeschichtlichen Wurzeln, theoretischen Ansprüchen und methodischen Ansätzen Bachmann-Medick 2006, 284–328; Döring/Thielmann 2008 und neuerdings J. Döring, in Günzel (Hg.) 2010, 90–99; Rau 2013, 8–11 u. ö. Vgl. außerdem allgemein J. Dünne, Raumtheorien, kulturwissenschaftliche, in: Nünning (Hg.) 2008, 607–608. S. zur »Kritik an den Raumwenden« etwa J. Lossau, in: Günzel (Hg.) 2010, 110–119. 54 Koselleck 2000, 81; Döring/Thielmann 2008, 23; Böhme 2009, 191.
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im engeren Sinne und andere historisch orientierte Wissenschaften in Stellung zu bringen – dort war diese ›Wende‹ ja längst angekommen (oder es brauchte sie gar nicht erst). Immerhin hatte Reinhart Koselleck schon 1986 in seinem Schlußvortrag am Ende eines Historikertages, der unter dem Rahmenthema ›Räume der Geschichte – Geschichte des Raumes‹ stattgefunden hatte, die konstitutive Bedeutung des Raumes für die bzw. in der Geschichte hervorgehoben und prägnant in einer These zum »doppelten Gebrauch der Raumkategorie« zusammengefaßt: »Raum so gut wie Zeit gehören, kategorial gesprochen, zu den Bedingungen möglicher Geschichte. Aber ›Raum‹ hat selber auch eine Geschichte. Raum ist sowohl jeder nur denkbaren Geschichte metahistorisch vorauszusetzen wie selber historisierbar, weil er sich sozial, ökonomisch und politisch verändert.«55 Darüber hinaus sind die räumlichen Dimensionen verschiedener historischer Lebenswelten in verschiedenen Teildisziplinen der Geschichts- und Altertumswissenschaften nie ganz aus dem Blick geraten und sogar avant la lettre durchaus zu einem Gegenstand sui generis gemacht worden. Das gilt grundsätzlich und generell für alle Archäologien – die Klassische und diejenige der römischen Provinzen ebenso wie für die Archäologien der altorientalischen und altamerikanischen Kulturen – und insbesondere für deren Teildisziplinen, wie der Siedlungs- und der (post)modernen, ›prozessualen‹ bzw. ›postprozessualen‹ Landschaftsarchäologie,56 die den Blick längst nicht mehr nur auf die urbanen, sub- und extraurbanen Zonen antiker Städte richtet, sondern auch »raumbezogene Strategien« bezüglich Stadt und (Um) Land, Territorien und Grenzen als Formulierung etwa eines »herrschaftlichen Anspruchs« begreift.57 Damit soll übrigens keineswegs
55 Koselleck 2000, 82 (Zitat) und passim. Vgl. dazu Dipper/Raphael 2011, 27–28;
40, die (etwas apodiktisch) feststellen, daß es schlicht »eine falsche Vorstellung« sei, »dass in der deutschen Geschichtswissenschaft der spatial turn inzwischen Fuss gefasst habe« (28): Ihre eigenen Überlegungen und Beispiele relativieren dieses Urteil; vgl. auch Füssel/Rüther 2004, 11–13. 56 Lang 2009. Vgl. auch »Vorwort und Einführung« des Herausgebers in Pirson (Hg.) 2012, VII–XIII, und die einschlägigen Beiträge in Borbein/Hölscher/Zanker 2000 und in Bintliff (Ed.) 2004, sowie neuerdings Scott 2013, sowie die grundlegenden allgemeinen Überlegungen zu Strategien einer historischen Interpretation des »gebauten Raumes« und zu »Eigendynamik«, »Eigenlogik« und »Eigengesetzlichkeit von Geschichte im Raum« bei Muth 2014, 285–294, 316–323, mit weiteren Nachweisen. 57 Pirson 2008 und die Beiträge in Pirson (Hg.) 2012 und in Arnold/Busch/Haensch/
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suggeriert werden, daß die (im weitesten Sinne vormoderne) Stadt nicht immer im Fokus der Forschung gestanden habe – das Gegenteil ist richtig, und dazu bedurfte es wiederum nicht des ›spatial turn‹ und des dadurch erneuerten Interesses an der Stadt als eines komplexen geographischen und architektonischen, historischen und kulturellen, gesellschaftlichen und ökonomischen Phänomens, an Prozessen der Urbanisierung und an früheren und heutigen Vorstellungen, Wahrnehmungen und Konzeptualisierungen von ›Urbanität‹.58 Schlagend belegen das jene altertumswissenschaftlichen, mediävistischen und frühneuzeitlichen Forschungsrichtungen, die den Blick zumindest immer auch auf die spezifischen Topographien und die räumliche Organisation (nicht nur) der europäischen Stadt59 und insbesondere des besonderen Typs des ›Stadtstaates‹ im Alten Orient,60 im griechischrömischen Kulturraum von der archaischen Epoche bis zur Spätantike61 und etwa in Italien und Deutschland des (späten) Mittelalters
Wulf-Rheidt (Hgg.) 2012. S. auch die Fallstudien zum Verhältnis von polis und chora in Kolb (Hg.) 2004, sowie zu Rom Laurence 1993. 58 S. zu diesem Aspekt des ›spatial turn‹ Soja 2008 und 2009; Schlögel 2007, 34–35 und passim. S. dazu außerdem etwa Löw 2001, 254–262; Assmann 2009, 18–27 und passim, und neuerdings H. Oevermann, in: Günzel (Hg.) 2010, 266–279; Madanipour 2013, XXIV–XXXIII. 59 S. dazu das breite thematische Spektrum der Beiträge in Griffeth/Thomas (Eds.) 1981, Nichols/Charlton (Eds.) 1997 und Hansen (Ed.) 2000 und 2002; Jöchner (Hg.) 2003 und dies. (Hg.) 2008. 60 S. dazu Rhee 1981, Stone 197 und zuletzt Garfinkle 2013, mit Literatur, sowie die einschlägigen Beiträge in Hansen (Ed.) 2000 und 2002. 61 S. dazu grundlegend Hölscher 1998 und neuerdings Scott 2013, sowie die einschlägigen Beiträge in Hansen (Ed.) 2000 und 2002. S. zu Topographie, Räumen etc. in Rom etwa die Forschungsberichte von Patterson 1992 und 2010 und Beiträge in Molho/Raaflaub/Emlen (Eds.) 1991 (besonders Part IV: »Urban and Architectural Forms«), Coulston/Dodge (Eds.) 2000, Huskinson (Ed.) 2000, Guilhembet u. a. 2001, sowie in Stein-Hölkeskamp/Hölkeskamp (Hgg.) 2006, Royo/Hubert/Bérenger (Éds.) 2008, Ewald/Noreña (Eds.) 2010, Smith/Gadeyne (Eds.) 2013 (Part I: »Antiquity«) und Galinsky (Ed.) 2014. Vgl. außerdem die auch methodisch wichtigen Arbeiten von Favro 1996 und 2005, sowie Bauer 1996, 2001 und 2008 und Behrwald 2009 zu Rom und anderen Zentren in der Spätantike. Vgl. außerdem D. Mertens, in: Borbein/Hölscher/Zanker 2000, 229–250; Mertens 2006, sowie die Beiträge in Matthaei/ Zimmermann (Hgg.) 2009 (zu griechischen Städten von der Archaik bis zum Hellenismus); Hölkeskamp 2004a; Hansen 2006, Teil II, und neuerdings ders. 2013, mit weiteren Nachweisen (zur ›Polis‹ als Typ), sowie die einschlägigen Beiträge in SteinHölkeskamp/Hölkeskamp (Hgg.) 2010.
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und der frühen Neuzeit gerichtet haben62 – auf Charakter und Besonderheit der ›Stadtstaatlichkeit‹ wird noch zurückzukommen sein. Hier geht es zunächst noch um die allgemeinen Perspektiven und Potentiale des ›spatial turn‹ für die erwähnte »Verfeinerung des Registers der Geschichtsschreibung«.63 Prinzipiell ist noch einmal deutlich zu betonen, daß Räume nun nicht länger als bloße »Container oder Behälter« etwa von Traditionen, Gedächtnis und Erinnerung und als »tote, passive Bühne« und statischer Hintergrund von lebendigen und dynamischen sozialen, politischen und kulturellen Entwicklungsund Wandlungsprozessen genommen werden dürfen.64 Wenn Raum dagegen als »Substrat kultureller Praxis« betrachtet wird, das wiederum – durchaus im Sinne Giddens‹ und Bourdieus65 – auf ebendiese »Praxis zurückwirkt, soziale Strukturbildung generiert und stabilisiert, sowie Handlungs-, Wahrnehmungs- und Erfahrungsweisen präformiert«, können Raum und Räumlichkeit respektive ihre Konstituierung, Formierung und Nutzung als »Analysekategorien« begriffen und empirisch operationalisiert werden. Dieser Zugriff ermöglicht dann die Aufdeckung etwa der »sozialen Logik« von Räumen und allgemein »raumbezogener Konstruktionsprinzipien sozialen Verhaltens und spatialer Repräsentationsstrategien«. Des weiteren werden damit die erwähnten Wahrnehmungsweisen als Voraussetzung bzw. Bedingung der Nutzung und Aneignung von ›Raum‹ beschreibbar und können nun ihrerseits als gesellschaftliche Prozesse (wiederum etwa der Konstruktion von Hierarchien und der Reproduktion von Machtverhältnissen) beschrieben und analysiert werden. Grundsätzlich stellt sich mithin die »Frage nach der Bedeutung der Dimension Raum« nicht nur für die »Wahrnehmung sozialer Rangordnungen 62 S. allgemein etwa Burke 1993, sowie die einschlägigen Beiträge in Griffeth/Thomas
(Eds.) 1981, Molho/Raaflaub/Emlen (Eds.) 1991 (Part IV: »Urban and Architectural Forms«), de Mare/Vos (Eds.) 1993, Boucheron/Mattéoni (Hgg.) 2005, Hansen (Ed.) 2000 und 2002, Rau/Schwerhoff (Hgg.) 2004 und Schwerhoff (Hg.) 2011, sowie etwa in Royo/Hubert/Bérenger (Éds.) 2008, Chaix/Demonet/Sauzet (Hgg.) 2008 und Smith/Gadeyne (Eds.) 2013 (Part II: »Middle Ages«; Part III: »Renaissance«; Part IV: »Baroque«); Madanipour 2013, XVII–XXIII; XXXIII zu Rom. S. ferner etwa Trexler 1991, 47–54, 444–452 u. ö. (zu Florenz in der Renaissance), sowie Crouzet-Pavan 1992 (zu Venedig im Spätmittelalter). 63 Zitat: Schlögel 2003, 502. 64 Soja 2008, 245, und 2009, 19; Schlögel 2003, 68; Hilger 2011, 29–31. 65 Vgl. zu deren Theoremen etwa Löw 2001, 36–44 und 179–190; Hilger 2011, 42– 44, mit weiteren Nachweisen.
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und Hierarchien«, sondern eben auch für deren Konstitution und Verstetigung.66 Das heißt zugleich, daß es nicht nur um Ordnung(en) respektive schlichtweg Macht im Raum gehen kann, sondern immer auch und zugleich um die Macht über den Raum, seine Ausgestaltung, Ein- und Abgrenzung und die aus dieser gewissermaßen doppelten Ver-Ortung resultierenden Chancen und Potentiale für individuelle oder kollektive Träger der Macht gehen muß. Um für die Fruchtbarkeit gerade dieses Ansatzes nur ein Beispiel, wiederum aus der Geschichte der libera res publica, zu zitieren: die Komplexität der Relation zwischen der Integration des römischen Italien mit ihrer »differenzierten mythologisch-sakralen Topographie« einerseits und der »religiösen Exklusivität des ager Romanus« und der Rolle Roms als Vormacht andererseits wird erst durch den Blick auf die »Dimension des Territorialen« der römisch-republikanischen Gesellschaft vom 4. bis 1. Jahrhundert v. Chr. erkennbar – diese Relation blieb lange durch einen »eigentümlichen Kontrast« zwischen der Dynamik der Expansion und der »Konstanz der sakralen Raumwahrnehmung« gekennzeichnet, die durch die erwähnte Exklusivität und eine daraus resultierende »sakrale Hierarchisierung des Raumes« bestimmt wurde.67 Der Vielfalt und Heterogenität der unter dem Etikett des ›spatial turn‹ firmierenden Theorien und Modelle entspricht ein kaum noch begrenztes Spektrum der Fragestellungen und methodischen Ansätze, das »von einer Diskursgeschichte von Raumvorstellungen über die ökonomische, soziale und politische Herstellung von Grenzen bis zur Konstruktion von Identitäten und Alteritäten« in »imaginären Räumen« reicht; man fragt nach der »symbolischen Formung und Visualisierung des Raums«, nach der »Veränderung der Raumwahrnehmung im Zuge technischer und medialer Wandlungsprozesse«.68
66 Sandl 2009, 162; Bachmann-Medick 2006, 292; 303–304; dies., Spatial turn, in:
Nünning (Hg.) 2008, 664–665; Füssel 2004, 175–176 (Zitate) und passim. S. dazu grundlegend Löw 2001, 224–230; 263–273 und passim und dazu Hilger 2011, 34–44 und Rau 2013. S. die empirischen Studien zu »Manifestationen von Macht und Hierarchien in Stadtraum und Landschaft« in Pirson (Hg.) 2012. 67 Linke 2013, 71–75 und passim; Jehne/Linke/Rüpke 2013, 20 und passim. Auch die übrigen Beiträge in Jehne/Linke/Rüpke (Hgg.) 2013 thematisieren die Dimension des Raumes bzw. der Räumlichkeit. 68 Sandl 2009, 162.
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Nicht zuletzt durch die Entwicklung verschiedener Varianten oder Weiterentwicklungen des ›spatial turn‹ – etwa in Gestalt eines ›topographical‹ und ›topological turn‹, der »sich nicht dem Raum zuwendet«, sondern sich im Gegenteil »vom Raum abwendet, um Räumlichkeit in den Blick zu nehmen«69 – und durch ihre Etablierung in einem erstaunlich breiten disziplinären Spektrum von Geistes- bzw. Kultur, Sozial- und Naturwissenschaften70 verbietet es sich daher mittlerweile, von dem Raum im Singular zu sprechen. Tatsächlich sind wir mit einer (wiederum potentiell durchaus fruchtbaren) »Pluralisierung des Raumbegriffs« einerseits und einer kaum noch überschaubaren »Pluralität der Räume« andererseits konfrontiert.71 Die Rede ist nun nicht nur – im Gefolge von Pierre Noras monumentalem Projekt – von (konkreten wie metaphorischen, antiken, mittelalterlichen oder/und modernen) »Erinnerungsorten«,72 von (nationalen, transnationalen, europäischen und sogar globalen) »Erinnerungsräumen«, von »Gedächtnisräumen« und »Geschichtslandschaften«.73 Man spricht ja neuerdings auch von ›memoryscapes‹ und von Naturräumen wie Wäldern, Flüssen und Bergen als Kristallisationspunkten und Trägern von Mythen, Erinnerung und Traditionen.74 Man befaßt sich auch nicht nur mit »vergangenen Lebens-und Handlungsräumen politischer, rechtlicher, ökonomischer, kirchlicher oder sozialer Aktionseinheiten«:75 Unter diese allgemeine Kategorie sind etwa die konkret »verorteten« und sozial wie räumlich »fragmentierten Öffentlichkeit(en)«76 in realen städtischen Räumen ganz ver69 Günzel 2008, 221 (Zitat) und passim; K. Wagner, in: Günzel (Hg.) 2010, 100–109.
S. dazu kritisch Hilger 2011, 36–37. 70 S. die Beiträge in den Sammelbänden von Günzel (Hg.) 2007, Döring/Thielmann (Hgg.) 2008, Warf/Arias (Eds.) 2009, Csáky/Leitgeb (Hgg.) 2009, Günzel (Hg.) 2009 und Günzel (Hg.) 2010. 71 Zitate: Sandl 2009, 162 bzw. Schlögel 2003, 68. 72 Nora (Hg.) 1984–1992; Stein-Hölkeskamp/Hölkeskamp (Hgg.) 2006 und 2010; Fried/Rader (Hgg.) 2011; François/Schulze (Hgg.) 2001. 73 Sandl 2009, 162, vgl. bereits Schlögel 2003, 68–69 und neuerdings K. Ebeling, in: Günzel (Hg.) 2010, 121–133; Buchinger/Gantet/Vogel (Hgg.) 2009; Hölkeskamp 2001/2004; Hölkeskamp/Stein-Hölkeskamp 2011, mit weiteren Nachweisen. 74 Schama 1995, 14–16 und passim. Vgl. dazu neuerdings H. Christians, in: Günzel (Hg.) 2010, 250–265. 75 Koselleck 2000, 83. 76 Begriff nach Schwerhoff 2011, 9–18, 23 und passim. Vgl. die empirischen Studien in den Sammelbänden von Albrecht (Hg.) 2010.
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schiedener Art, wie Straßen77 und zentrale Plätze, Fora und Agorai, Wochen- und Jahrmärkten einerseits,78 »Mikro-Räume« wie Tempel, Bouleuterien und Basiliken in der Antike,79 aristokratische Residenzen im Alten Rom,80 Paläste und Häuser, Kirchen, Rathäuser und Tavernen in Mittelalter und Neuzeit andererseits zu subsumieren.81 Und schließlich sind dazu auch die (äußeren und inneren) »architektonischen Grenzen« zu rechnen, etwa in Gestalt von Mauern und Stadttoren respektive der »Hausschwelle«.82 Nun ist auch gewissermaßen raum-metaphorisch von »historischen« »sozialen« und »politischen Räumen«,83 »sakralen« respektive »religiösen Räumen« und »ritual landscapes«,84 »performativen« und »Zeremonialräumen« in Paläs-
77 S. die Beiträge in Çelik/Favro/Ingersoll (Eds.) 1994 und in Leménorel (Hg.) 1997;
vgl. auch Wiseman 1987 (Teil II: »Roads and the City«) und die diesbezüglichen Beiträge in Albrecht (Hg.) 2010, vor allem Untermann 2010. S. neuerdings Agelidis 2012 und Mohr 2013 zu antiken ›heiligen‹ bzw. Prozessionsstraßen, sowie die Beiträge in Fischer/Horn (Hgg.) 2013. 78 S. einerseits etwa Hölscher 1998; Hölkeskamp 2001/2004, 2002, 2003 und 2004a; Mertens 2006 (zu öffentlichen Räumen in antiken Städten) und zum Forum Romanum (und anderen »republikanischen Fora«) bzw. zum Marsfeld, ihrer Ausgestaltung und Bebauung, Einteilungen und Funktionen neuerdings Lackner 2008 und Muth 2014, 294–315 bzw. Albers 2013. S. andererseits etwa Rau/Schwerhoff 2004, Schwerhoff 2011, sowie die jeweils einschlägigen Beiträge in Rau/Schwerhoff (Hgg.) 2004; Baudoux-Rousseau/Carbonnier/Bragard (Hgg.) 2007, Albrecht (Hg.) 2010 und Schwerhoff (Hg.) 2011. 79 Vgl. generell zu den Typen öffentlicher Gebäude, zur »connective architecture« in Gestalt von »thoroughfares, plazas, stairs« und zur »passage architecture« (Bögen etc.) MacDonald 1986, 111 ff. bzw. 32 ff.; 74 ff. S. zu den Kategorien ›Mikro-‹, ›Meso-‹ und ›Makro-Räumen‹ Rau 2013, 14; 65–66. 80 Guilhembet 2001; von Hesberg 2005; Guilhembet/Royo 2008. 81 S. allgemein etwa Hilger 2011, 38–44; Rau/Schwerhoff 2004 und Schwerhoff 2011, sowie die einzelnen Beiträge in Burkhardt/Werkstetter (Hgg.) 2005 bzw. in Rau/ Schwerhoff (Hgg.) 2004 und Schwerhoff (Hg.) 2011. Vgl. etwa auch Trexler 1991, 424–427, 445–449 (zu Florenz und dem Palazzo der Medici) und die einschlägigen Beiträge zu ›urbanen Eliten‹ und ihren Residenzen in Dunne/Janssens (Eds.) 2008. 82 Schütte 1997 (auch zu den zitierten Begriffen); Lampen 2009. 83 S. etwa Rogge 2008; E. Geulen bzw. L. Kajetzke/M. Schroer, in: Günzel (Hg.) 2010, 134–144 bzw. 192–203, sowie die diesbezüglichen Beiträge in Boucheron/Mattéoni (Hgg.) 2005, Chaix/Demonet/Sauzet (Hgg.) 2008 bzw. in Albrecht (Hg.) 2010. 84 Cancik 1985–86; Laurence 1993; Hölkeskamp 2001/2004; Egelhaaf-Gaiser 2007; Bauer 2008; Connelly 2011 (Antike); Schwerhoff 2008; Stabenow 2008; Rau 2008 (mit Forschungsbericht und Literaturhinweisen) und die übrigen einschlägigen Bei-
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ten, Herrschersitzen, Fürstenhöfen und Städten der Vormoderne,85 »Körper-«, »Männer-« und »Frauenräumen«,86 »Bild-Räumen«,87 »Kommunikations-« und »Wissensräumen«88 die Rede – und dabei ist keineswegs ausgemacht, daß diese Kategorien durchweg trennscharf definiert, respektive ihre Bedeutungen und Inhalte unstrittig sind und in vergleichbarer Weise verwendet werden. Die konkreten Fragen nach der Konstitution, den verschiedenen Konfigurationen und Formationen dieser Räume, nach den darin ver-orteten konkreten ›Raumpraktiken‹, Funktionen und Nutzungen, sowie nicht zuletzt nach den Prozessen und nach den Dynamiken ihres Wandels89 haben ja nicht zuletzt die bereits erwähnten altertumswissenschaftlichen und historischen Forschungen zu vormodernen Städten, Stadtstaaten und Stadtstaatskulturen inspiriert und bewähren sich in der Anwendung. Neuerdings sucht man darüber hinaus nach »imaginären«, »Vorstellungs-« und anderen Räumen wie dem »poetischen«, »kognitiven« und »epistemischen Raum«,90 dem »Erlebnisraum« oder dem »Orientierungs-, Gefühls- und Sinnesraum«91 – hier wird man allerdings danach fragen dürfen, wie (und ob überhaupt) solche verfeinerten Kategorien empirisch konkretisiert und forschungspraktisch operationalisierbar gemacht werden können.
träge in Rau/Schwerhoff (Hgg.) 2008 (Mittelalter und Frühe Neuzeit), ferner allgemein Rau 2013, 148. 85 Schweers 2009, 41–46 bzw. Albrecht 2010; Paravicini 1997 und die einschlägigen Beiträge in Paravicini (Hg.) 1997. 86 S. etwa Löw 2001, 115–129; G. Postl, in: Günzel (Hg.) 2010, 162–176; Rau 2013, 14–15; 148, sowie für die Vormoderne etwa Signori 2004 und Pils 2004, jeweils mit Forschungsberichten. 87 P. Zanker, in: Borbein/Hölscher/Zanker 2000, 205–226. Müller 2003 (zum »Bildraum als politischer Bühne« um 1600) verwendet den Begriff in ganz anderer Bedeutung. 88 S. etwa Schwerhoff 2008a und die einschlägigen Beiträge in Burkhardt/Werkstetter (Hgg.) 2005 und in Rogge (Hg.) 2008. 89 Vgl. zu diesen Fragen Rau 2013, 122–153; 164–171; 182–191. 90 S. dazu die Beiträge von K. Wagner, S. Sasse und Ch. Hanke/S. Höhler, in: Günzel (Hg.) 2010, 234–249, 294–308 bzw. 309–321. 91 Sandl 2009, 162 bzw. Böhme 2009, 193–196 bzw. Schweizer (Hg.) 2008; Rau 2013, 174–178.
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IV Trotz einer gewissen, aus dieser Differenzierung und Heterogenisierung resultierenden Unübersichtlichkeit ergibt sich aus den Debatten um den ›spatial turn‹ eine Vielzahl von Anregungen und Ansätzen, die gerade im Fall der Rituale generell und des Typs der Prozession im besonderen gleich mehrere fundamentale Perspektiven eröffnen. Denn Ritualen aller Art ist prinzipiell und von vornherein eine räumliche Dimension eingeschrieben: Schon die notwendige ›Ko-Präsenz‹ von Akteuren und Adressaten setzt immer die Ver-Ortung des performativen Vollzuges in der religiösen, politischen oder/und memorialen Topographie voraus.92 Das gilt natürlich in gesteigertem Maße für die Prozession: Neben der Route gehört dazu die genau geregelte, ihrerseits immer auch räumlich konstituierte Abfolge der Akteure als Träger der symbolischen Rollen – seien es Individuen, etwa Priester oder Magistrate mit ihren Insignien, oder an bestimmten, dafür reservierten Zeichen erkennbar definierte Gruppen von Menschen –, die sich gemessen und feierlich in eine ebenfalls festliegende Richtung bewegen.93 Diese im doppelten Sinne verräumlichte Ordnung der Akteure wirkt bereits als solche, als strukturierte Sequenz, als ebenso repräsentative wie bedeutungsvolle Inszenierung einer Ordnung oder auch einer »politischen Ideologie« respektive eines »Programms der Macht«.94 Ob die Prozession als »Hierarchie in Bewegung«95 allerdings zwangsläufig und in jedem Falle als Repräsentation einer konkreten sozialen und politischen Rangordnung aufzufassen ist, sollte zunächst eine offene Frage bleiben – auch wenn die Masse der empirischen Beispiele eine Verallgemeinerung zu einer geradezu metahistorischen Konstante nahezulegen scheint. Bei genauerem Hinsehen hat sich nämlich längst herausgestellt, daß eine Prozession gerade nicht einfach als unmittelbares »Spiegelbild der sozialen Schichtung« einer Stadt, womöglich sogar als »miniature replica« respektive »getreues
92 Fischer-Lichte 2003, 39; Rau/Schwerhoff 2004, 20–21; Stollberg-Rilinger 2013,
120–121, vgl. 228–229. Vgl. außerdem neuerdings Krischer 2011, 127–139. 93 Vgl. etwa Felbecker 1995, Kapitel III, VI und VII; Bryant 1986, bes. Kapitel V–IX, und ders. 1986a (zu Räumen und Routen der entrées). 94 Holliday 1990, 73; vgl. auch Chaniotis 1991, 124 (Zitate). 95 Füssel 2004, 191–194.
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Abbild der sozialen und verfassungsmäßigen Gliederung« ihrer Einwohnerschaft genommen werden kann – Prozessionen, ihre Ordnungen und ihre ›Syntaxen‹ folgen vielmehr »einer eigenen Logik«, weil und indem sie eine ›Ordnung‹ (re-)konstruieren und insofern notwendig eher als »Wahrnehmung der Stadt« und ihrer spezifischen ›Verfassung‹ aufzufassen sind. Oft war das nachgewiesenermaßen natürlich die »Wahrnehmung der städtischen Obrigkeit«, die erfolgreich die Gestaltungshoheit über diese und andere ›civic rituals‹ als »Medien zur Visualisierung und Inszenierung ständischer Ordnung« monopolisieren konnte96 – mit anderen Worten: Es geht nicht nur um die Dar- bzw. Herstellung von Ordnung, Hierarchie und Macht im Ritual, sondern auch um Hoheit und Macht über das Ritual.97 Aber selbst das ist nicht ohne weiteres als eine metahistorische Konstante zu nehmen, die für alle Kulturen oder auch nur für alle Varianten solcher Rituale und Zeremonien innerhalb einer Kultur selbstverständlich vorausgesetzt werden darf.98 Auch in diesem Zusammenhang sei noch einmal an den Sonderfall der Festkultur im Frankreich nach 1789 erinnert.99 Und außerdem: wenn politische Macht, Ordnung und Hierarchie, ihre Geltung und Legitimität auch als Prozeß eines performativen Aushandelns begriffen werden müssen, dann kann selbst ein solches Gestaltungsmonopol eben nie ein absolut einseitiger ›top-down‹ Oktroi einer ›herrschenden‹ classe dirigeante sein. Die Gegenüberstellung einiger Beispiele soll das verdeutlichen: Bei den Prozessionen des Dogen im Venedig der Renaissance ging es zweifellos um die symbolische Konstruktion von Autorität und Macht – nämlich die zeremonielle Inszenierung der sozioinstitutionellen Grundstruktur der Verfassung der Republik und ihrer ebenso differenzierten wie strikt hierarchischen Gliederungen: Die jeweilige 96 Löther 1998, 435, und dies. 1999, 143 bzw. 142; 144; Darnton 1984, 123; Füssel
2004, 191 (Zitate), weitere Belege bei Hölkeskamp 2014, 372–373. Vgl. auch Krischer 2011, 132–135; 156. Vgl. zu Rollen und Funktionen der »Planer, Gestalter und Handlungsträger« von Ritualen neuerdings Gengnagel/Schwedler 2013. 97 Vgl. Gladigow 2013 (Begriffe). 98 Vgl. auch Gerhardt 2004, die zwischen »Repräsentationsritualen«, die »mit autoritären Ordnungsstrukturen verbunden sind« und »die Geltung asymmetrischer Herrschaftsstrukturen« bestätigen, einerseits und »Interaktionsritualen«, die auf »Reziprozität« und der »wechselseitigen Anerkennung durch die Bürger« beruhen, andererseits unterscheidet. 99 Ozouf 1971; 1975 und 1976/1988.
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Position der einzelnen Akteure und die relative räumliche Nähe dieser Position zum Dogen selbst – von den untergeordneten Beamten aus der Klasse der nichtadligen cittadini, die die Spitze der Züge bildeten, und den sukzessiv folgenden höheren Amtsträgern, die unmittelbar vor der Gruppe des Dogen selbst eingeordnet waren, über dessen unmittelbare Begleitung (darunter die prominentesten Gesandten, etwa der päpstliche Nuntius) bis zum Gefolge der wiederum nach ihrem Rang, nun allerdings ›absteigend‹ geordneten Reihen der adligen Würdenträger – spiegelten diese Hierarchien genau wider, und zwar nicht nur die fundamentale Trennung zwischen Adel und cittadini, sondern auch die feineren Abstufungen nach Rang, Funktion und Einfluß innerhalb dieser Gruppen.100 Die procession générale im südfranzösischen Montpellier des 18. Jahrhunderts war von einer vergleichbaren, wiederum höchst komplexen »general morphology« gekennzeichnet, die die hierarchische und korporative Struktur der städtischen Ordnung widerspiegelte: Die vordere Sequenz der Prozession bildeten die verschiedenen Bruderschaften und Ränge des Klerus in aufsteigender Ordnung, die wiederum in sich hierarchisch gestuft waren, bis zur Gruppe um den Bischof, die das zentrale Segment der Prozession bildete und aus den sechs höchsten Magistraten der städtischen Administration bestand, die die Monstranz auf dem prächtig geschmückten Altar trugen. Sie repräsentierten Adel und rentiers einerseits und die angesehensten Gruppen und Zünfte der Händler, des jeweiligen métier honnête bzw. corps de métiers andererseits – auf diese Weise waren in der zentralen Gruppe der Prozession die drei Stände Klerus, Adel und Dritter Stand symbolisch präsent, und immer kamen dabei auch und gerade die feinen Unterschiede von Rang und Ansehen innerhalb dieser Großgruppen zur Darstellung. Danach kamen die weltlichen Würdenträger, und zwar in absteigender Folge genau nach Status, Rängen und Funktionen in der Administration und den Gerichtshöfen von Stadt und Provinz – an der Spitze der Repräsentant der Provinz, der gewöhnlich ein Hochadliger von Geblüt war und etwa als Premier Président bei besonderen zeremoniellen Gelegenheiten dem höchsten Gericht der Region (Cour des Aides) vorsaß, flankiert von den Com-
100 Muir 1981, 189–203.
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mandants und Lieutenants-Généraux und gefolgt von den eigentlichen Magistraten erst des höheren und dann des unteren Gerichts.101 Auch die Prozession im Rahmen der Panathenäen im klassischen Athen unterlag, so weit wir wissen, einem durchaus vergleichbar strengen Regelwerk, das natürlich zunächst die symbolisch bedeutungsvolle Route beherrschte – wie bei der Prozession des Dogen, die in der Regel vom Palast ausging und über die Peripherie der Piazza San Marco zurück zu diesem unvergleichlichen Platz und dem dort liegenden sakralen Zentrum Venedigs, der Basilika San Marco, führte. Der Zug der Panathenäen begann am Kerameikos, führte mitten durch das Zentrum der Stadt, über die Agora, zum Tempel jener Gottheit auf der Akropolis, deren Ehrung im Mittelpunkt des ganzen Festes stand, der Athena Polias. Auch in diesem Fall hatten die Akteure – von den jugendlichen Trägern und vor allem den jungfräulichen Trägerinnen der Opfergeräte und -gaben bis zu den (jungen) Reitern und den »stattlichen alten Männern« – jeweils bestimmte Positionen und ließen so eine ›Ordnung‹ sichtbar werden, und auch hier könnten die höchsten Funktionsträger wie die Archonten, die Schatzmeister der Athene und die Prytanen besondere Plätze in dieser Ordnung gehabt haben. Aber weder die Archonten noch die (ursprünglich aristokratischen) Reiter standen in einer Weise im Zentrum einer ›Ordnung‹, die auch nur entfernt mit der spezifischen Syntax der Dogen-Prozession bzw. einer procession générale und ihrer typischen Zentrierung auf Hierarchien und vertikale Differenzierungen jeder Art vergleichbar wäre. Die Prozession war kein »Monopol der sozialen und politischen Elite« – im Gegenteil: Sie war in die Panathenäen eingebettet, mithin in ein Fest, das »von einer Gemeinschaft begangen wird, die sich als solche fühlt«. Es war also eine »Bürgerveranstaltung« im vollen (antiken) Sinne des Begriffs:102 Hier nahm die demokratisch verfaßte Bürgerschaft Athens als eine aus Gruppen zusammengesetzte, aber zugleich homogene sakrale Gemeinschaft Gestalt an, indem sie sich als solche in ihrer eigenen (räumlichen wie
101 Darnton 1984, 116–123, zum Begriff 123. Vgl. zu weiteren Beispielen Schneider
1995, 178–193 (Prozessionen im Toulouse des 18. Jh.) und Arnade 2004, 53–57; 61–63 (Gent im 15. Jh.). 102 Deubner 1966 bzw. Bergmann 2001, 189 (Zitate); Burkert 1987, 30–31; Graf 1995, 89–92. S. die Belege und weitere Literatur bei Neils 2012, Mohr 2013, 70–74, und Hölkeskamp 2014, 373–374.
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metaphorischen) Mitte feierlich und glanzvoll in Szene setzte, vor den Augen ganz Griechenlands (nicht zuletzt derjenigen Städte, die im Attischen Seebund unter ihrer Hegemonie standen) und zugleich vor sich selbst als ›ko-präsentem‹ Publikum. Die bei diesem ›Staatsfest‹ des demokratischen Athen inszenierten ›Hierarchien‹ (wenn dieses Konzept denn hier überhaupt anwendbar ist, ohne seine begriffliche Trennschärfe zu verlieren) waren also ganz anderer Art als diejenigen in anderen vormodernen stadtstaatlichen politischen Kulturen – etwa Alter, Geschlecht und sexueller Status waren hier ebenso markiert wie militärische und zivile Unterteilungen der Bürgerschaft. Es kommt mithin darauf an, die jeweils kulturspezifische Art der ›Hierarchie‹ empirisch genau zu bestimmen. Das Konzept der Prozession als Ritual muß aber auch noch nach weiteren, eher typologischen Kriterien genau differenziert werden – und dabei steht bezeichnenderweise wiederum jene Dimension im Vordergrund, die die spezifische Syntax dieses Rituals und seine konkreten Varianten offensichtlich beherrscht, nämlich diejenige des Eingeschriebenseins der Prozessionsroute in den Raum der Stadt, in ihre religiöse, politische und spezifische symbolische urbane Topographie.103 Wenn der Ausgangs- und der Endpunkt der Prozession identisch sind, handelt es sich um eine Kreisprozession, in deren Verlauf ein bestimmter Ort umschritten wird, oder um einen Umgangsritus104 – wie etwa der jährlich im Februar stattfindende Lauf der Luperci, der vom Lupercal am Fuß des Palatin um diesen ältesten Kern der Stadt herum auf die Sacra via und das Forum führte – jedenfalls im Prinzip: In historisch heller Zeit war das Forum natürlich der Hauptschauplatz des frivol-karnevalesken Treibens der (fast) nackten jungen Männer, das sich aus einem uralten Reinigungs- und Fruchtbarkeitsritual entwickelt hatte. Aber wiederum gilt auch hier, daß die aktiven Teilnehmer und die ›ko-präsenten‹ Zuschauer – in diesem Fall die Luperci und vor allem die jungen Frauen am Rand ihrer Route, die sich ihnen geradezu in den Weg stellten und sich von ihnen mit ihren Riemen aus Ziegenbocksfell scherzhaft schlagen ließen – sich gemeinsam an einem traditionellen Ritual beteiligten, das
103 Vgl. Graf 1995 und 1996 zum »zentripetalen« bzw. »zentrifugalen« Typ der Pro-
zession. 104 S. dazu umfassend Baudy 1998.
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jahrhundertelang ein fester Bestandteil des sakralen Kalenders und damit der religiösen Identität des populus Romanus war.105 Im anderen Fall wird durch die Prozession der Wechsel des Ortes inszeniert, wenn etwa Götterbilder von einem Tempel zum Circus getragen werden. Zu dieser Variante der Prozession als Ritualtyp gehören auch jene zahlreichen Gelegenheiten, bei denen Magistrate, Priester oder Priestercollegien sich feierlich zu einem bestimmten Ort begeben, um dort Amts- oder Kulthandlungen zu vollziehen. Ein besonders interessantes, allerdings auch rätselhaftes Ritual dieser Art ist der Zug der Praetoren, der Pontifices, der Vestalinnen und der flaminica, also der Gattin des Iuppiter-Priesters, die selbst auch kultische Funktionen zu erfüllen hatte. Bei dieser Gelegenheit trat sie im Habitus der Trauer bzw. des Bittflehens auf – »mit strengem Gesicht, nicht frisiert«, also wohl mit offenen Haaren, »und ohne Schmuck«.106 Die Prozession, die Jahr ein, Jahr aus am 14. Mai stattfand, führte durch die Stadt zum uralten Pons Sublicius, wo 27 simulacra hominum aus Binsenstroh in den Tiber geworfen werden mußten. Auch dieses Ritual der Reinigung und Entsühnung der Stadt fand übrigens, wie ausdrücklich betont wird, in Anwesenheit oder ›Ko-Präsenz‹ der zur Teilnahme berechtigten römischen Bürger statt. Diese Binsenpuppen, die Argei genannt wurden, wurden offenbar zuvor bei jenen 27 gleichnamigen Kultorten (sacraria) abgeholt, die über die vier uralten Regionen der Stadt verteilt waren und die von den erwähnten Priesterinnen und Priestern in einer bestimmten, sehr komplizierten Reihenfolge abgeschritten werden mußten – wie vermutlich jeweils auch zwei Monate zuvor, an einem feststehenden Termin Mitte März, an dem ebenfalls eine Prozession zu den sacraria der Argei stattfand. Wie auch immer man sich die Beziehung zwischen diesen beiden Ritualen vorzustellen hat: Bei beiden Prozessionen wurden nicht nur die einzelnen Hügel (außer Capitol und Aventin) als solche einbezogen, sondern auch rituell miteinander zum »kohärenten Ganzen« der urbs Roma verbunden.
105 Hopkins 1991, 482–483 und passim, sowie zuletzt Hölkeskamp 2014, 375, mit
weiteren Nachweisen. 106 Plutarch, Quaestiones Romanae 86 (= Moralia 285A); Aulus Gellius, Noctes Atticae 10, 15, 30, vgl. Varro, De lingua Latina 7, 44; Dionysios von Halikarnassos, Antiquitates Romanae 1, 38, 3. S. dazu und zum folgenden Hölkeskamp 2014, 376–377, mit weiteren Belegen und Literatur.
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Eine ganz andere Art des Umzuges fand nur zu bestimmten Anlässen statt, die allerdings keineswegs selten waren – wenn nämlich besonders alarmierende Prodigien eine Störung der pax deorum anzuzeigen schienen und deswegen die Sibyllinischen Bücher konsultiert werden mußten: Daraufhin wurde recht häufig eine Bittprozession unter der Leitung der decemviri sacris faciundis angeordnet, die vor allem aus einem Chor von genau 27 (nämlich, wie es präzise heißt, »dreimal neun«) Jungfrauen in langen Gewändern bestand.107 Sie zogen hinter den weißen Opfertieren und den mitgetragenen Götterbildern als Weihgeschenken und vor den decemviri selbst, die zu diesem Anlaß mit Lorbeer bekränzt und mit der toga praetexta bekleidet waren, auf einer bestimmten Route durch die Stadt – die Prozession bewegte sich vom Apollon-Tempel auf dem Marsfeld durch die porta Carmentalis und über den vicus Iugarius zum Forum Romanum, wo der Zug anhielt und der Chor ein Kultlied sang, dann weiter über den vicus Tuscus zum Velabrum, über das Forum Boarium und den clivus Publicius auf den Aventin zum Heiligtum der Iuno Regina, der die Opfer und Geschenke dargebracht wurden.
V An diesen Beispielen wird ein bereits erwähntes zentrales und ubiquitäres Charakteristikum des Ritualtyps der Prozession (nicht nur) in seiner antiken Gestalt besonders deutlich: Die Festlegung von symbolträchtigen Orten als Ausgangs- bzw. Endpunkten der Prozession und oft auch der genauen Route zwischen ihnen – allgemeiner formuliert: Die Verortung der Handlungssequenz in einem definierten (öffentlichen) Raum der Stadt und ihre Einschreibung in die religiöspolitische Topographie, die diesen Raum strukturiert, ist ein integraler Bestandteil der typischen Syntax dieses Typs des Rituals bzw. der Zeremonie.108 107 Livius 27, 37, 7–15; 31, 12, 9–10. S. dazu und zum folgenden Hölkeskamp 2014,
377, mit weiteren Belegen und Literatur. 108 Das wird in einer ganzen Reihe empirischer Studien deutlich – s. etwa Gutschow 2008 (allgemein-vergleichend); Graf 1995 und 1996 (griechische Polis); Favro 1994; Hölkeskamp 2014, 375–380; ders. 2001/2004 und 2008 (Rom, Republik); Laurence 1993; Benoist 1999, Teil 3 und ders. 2005, sowie die Beiträge in Ewald/Noreña (Eds.) 2010 (Rom in der Kaiserzeit); Bauer 2001 (Konstantinopel in der Spätantike); Mon-
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Diese Dimension der Prozession ist notwendig deswegen so zentral, weil sie wie alle anderen Typen öffentlichen Handelns in den Kontext jener besonderen Unmittelbarkeit und Direktheit von Kommunikation und anderer Interaktion, die die antike ›Stadtstaatlichkeit‹ auszeichnete, eingebettet ist – sie macht letztlich den eigentlichen Kern der eigentümlichen »processional identity« der Stadt aus.109 Diese Dichte ist ja durchaus auch und gerade physisch, dinglich und sinnlich zu verstehen – ›Stadtstaatlichkeit‹ manifestiert sich direkt in ihrer ›Räumlichkeit‹.110 Zunächst kann die Stadt als umbauter und bebauter, insofern differenziert (aus-)gestalteter Raum in einem unmittelbaren, gewissermaßen physischen Sinne wahrgenommen werden, mit einer Mauer nach außen und den Häusern der Bürger im Inneren, Portalen und Portiken, Plätzen, Straßen und öffentlichen Gebäuden – gerade diese sind auch schon im Verständnis der Antike ein zentrales Charakteristikum, und zwar bereits seit frühester Zeit, nämlich seit der Entstehung und Konsolidierung der Polis als sozialer und politischer Organisationsform im 8. und 7. Jahrhundert v. Chr.: Die ptolis der homerischen Epen wird bereits als Raum konzeptualisiert, der einerseits durch Mauern und Tore gegen die Außenwelt abgegrenzt und dadurch als besonders geschützt definiert ist und der andererseits auf spezifische Weise ausgestaltet wird, nämlich durch Häuser, breite Straßen, Heiligtümer und nicht zuletzt durch reservierte und markierte öffentliche Räume, die schon hier agore genannt werden.111 Eine ganz ähnliche, durchaus bewußte Wahrnehmung und Ausgestaltung der Polis als Raum läßt sich etwa aus der urbanistischen Entwicklung der Stadtanlagen in Sizilien und Unteritalien seit der Wende zum 6. Jahrhundert mit ihren Tempeln, Theatern, Ago-
taubin 2009 (Rom vom 8. bis 14. Jh.); Coulet 1982 (Marseille und Montpellier im Mittelalter); Chiffoleau 1990, bes. 53–61 (Paris im J. 1412); Venard 1977 (Avignon in der frühen Neuzeit); Roussiaud 2008 (Lyon im 15. und 16. Jh.); Crouzet-Pavan 1992, 3. Teil (Venedig im Spätmittelalter) 109 Begriff nach Trexler 1991, 1. 110 S. zum Konzept ›Stadtstaat(lichkeit)‹ bzw. ›city-state(hood)‹ Hölkeskamp 2003, 85–87, ders. 2010, 71–75, jeweils mit weiteren Nachweisen. Vgl. etwa auch Charlton/ Nichols 1997; Yoffee 1997; Hansen 2000, 2000a, 2006 und 2013, mit jeweils unterschiedlicher Gewichtung der Dimension ›Raum‹ und zumeist ohne Diskussion der damit verbundenen theoretischen und methodischen Implikationen. 111 Vgl. dazu Hölkeskamp 2002, mit weiteren Nachweisen.
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rai und Straßen als strukturierenden Achsen erkennen.112 Und noch Jahrhunderte später, als diese und alle anderen (griechischen) Städte des Mittelmeerraumes längst zum Imperium Romanum gehörten, wollte der weitgereiste und gebildete Grieche Pausanias einen Ort, »der weder Amtsgebäude, noch ein Gymnasion, noch ein Theater, noch eine Agora besitzt«, ja noch nicht einmal »Wasser, das in einen Brunnen fließt«, eigentlich nicht als Stadt (polis) bezeichnen.113 Diese Gebäude wie das griechische Gymnasium oder der Circus Maximus, aber auch Tempel, Altäre und Monumente und vor allem die öffentlichen Räume der Stadt in Gestalt der Plätze – Akropolis, Agora und Pnyx in Athen, Capitol, Marsfeld, Forum und Comitium in Rom – bilden als Ensemble erst die erwähnte politisch-sakrale Topographie, weil und indem sie jene Funktionen und Aktivitäten beherbergen, die die ›Stadtstaatlichkeit‹ und ihre spezifische ›Öffentlichkeit‹ konstituieren: In diesen »Räumen des ›Miteinander‹« findet nicht nur jede Art von alltäglich-informeller, ›privater‹ Kommunikation statt,114 sondern auch die erwähnten formalisierten und ritualisierten Aktivitäten, durch die sich einerseits die Bürgerschaft als exklusives Kollektiv konstituierte und reproduzierte und die andererseits das Bürgersein und die Zugehörigkeit des Einzelnen zu diesem Kollektiv durch seine persönliche Teilnahme realisierten: Genau hier und nur hier treten sich alle am politischen Prozeß beteiligten Institutionen – Magistrate und alle anderen personalen Träger öffentlicher Rollen und Funktionen, Ratsorgane und Versammlungen – immer direkt, face-to-face, gegenüber, und genau hier vollzieht sich ihr konkretes Handeln in diesen Rollen, alle Verfahren politischen Entscheidens sind notwendig und im strengen Sinne ›öffentlich‹, weil und indem sie im Wortsinne sichtbar für alle Bürger bleiben. Wiederum genau hier und nur hier wird diese Öffentlichkeit zudem selbst zu einem Teilnehmer oder Teilhaber am politischen Prozeß – zumindest symbolisch, wie in der oligarchischen römischen Republik oder auch durchaus materiell und substantiell wie in der athenischen Demokratie: Als Volksver-
112 Mertens 2006. 113 Pausanias 10, 4, 1. 114 Vgl. dazu die ›dichte Beschreibung‹ der »tight world« von »close spatial and per-
sonal relations« und der daraus resultierenden »social-communal« bzw. »personalpublic texture of life« in italienischen Städten der Renaissance von Martines 1979, 72–78 (Zitate: 74 und 77).
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sammlung nimmt diese Öffentlichkeit regelmäßig die Gestalt einer Institution an. Mehr noch: in dieser Institution ist die Öffentlichkeit der Bürgerschaft zugleich Akteur und Adressat ihres Handelns, hier werden idealiter Integration und Zusammenhalt in konkreten formalisierten, »technisch-instrumentellen« Verfahren des politischen Entscheidens zugleich zu »symbolisch-expressiven« Ritualen des Zusammenhandelns,115 die zu den erwähnten anderen Formen und Medien der Selbstkonstitution und -reproduktion der Bürgerschaft (und/oder einzelner Gruppen) in ihrer Mitte und vor ihr selbst als Öffentlichkeit hinzutreten, gelegentlich auch auf sie verweisen und jedenfalls mit ihnen vernetzt sind: Genauso wurden die Bürger einer Stadt des späten Mittelalters oder der frühen Neuzeit »in der exemplarischen Interaktion von Gemeindeversammlungen, Schwörtagen oder Prozessionen zur ›Stadt‹« und konnten sich (im vollen Sinne des Begriffs) gemeinsam »als solche«, als genuin »politische Einheit« wahrnehmen und (wiederum im verstärkten Sinne) erleben.116 Anders formuliert: genau hier und nur hier, nämlich durch die besondere Verdichtung dieser ›Öffentlichkeit‹ im städtischen Raum einerseits und die multidimensionale Verschränkung bzw. partielle Überschneidung »technisch-instrumenteller« und »symbolisch-expressiver« Formen der Selbstkonstruktion andererseits, wird der dieser ›Stadtstaatlichkeit‹ eigentümliche Zusammenfall von communauté und publicité permanent und geradezu alltäglich aktualisiert.117 Dadurch wird eben jener für face-to-face Gesellschaften typische, besonders hohe Grad »synaptischer Verdichtung« generiert und reproduziert, durch den alle Handlungen der Mitglieder in dieser Struktur des Sozialen auch allen andere erreichen und tangieren.118 Der grundsätzliche Zustand der Identität von communauté und publicité bleibt auch (und gerade) dann bestehen, wenn der jeweilige »Kreis der Teilnehmer« daran nicht nur »raumzeitlich variabel«, sondern auch abhängig von Situationen und bestimmten Anlässen differieren konnte, etwa bei antiken Volks- und späteren Gemeindever-
115 Begriffe nach Stollberg-Rilinger 2000, 395 f., 2001, 12 ff. und 2005, 13 ff.; vgl.
dies. 1997, 94, und 2004. S. auch Würgler 2004, 63 ff.; Mersiowsky 2010, 15; 17–23 und passim, jeweils mit weiterer Literatur. 116 Schlögl 2008a, 609 und 610; vgl. auch den Überblick von Blickle 2008, 62 ff. 117 S. dazu Hölkeskamp 2003, 86 und 2009, 44 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen. 118 Schlögl 2014 im Anschluß an Laslett 1956.
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sammlungen einerseits und bei den »Großritualen« wie den pompae, sonstigen Prozessionen und religiösen Festen andererseits.119 Dabei ist regelmäßig einerseits mit neben- und miteinander bestehenden ›Teilöffentlichkeiten‹ respektive unterschiedlichen »Öffentlichkeitstypen« und andererseits mit einer »enormen Bandbreite des Involviertseins« der jeweiligen Öffentlichkeit zu rechnen, deren Grad der Partizipation allgemein nach Intensität und Reichweite, konkret etwa nach Sichtweite und Hörweite variiert.120 Und der erwähnte Zusammenfall wird schließlich auch nicht dadurch aufgehoben, daß die erwähnten Aktualisierungen verschiedener Qualität sich jeweils auch an verschiedenen konkreten Plätzen vollzogen. Der städtische Raum bestand zwar aus einem vielschichtigen »Spannungsgefüge fragmentierter öffentlicher Orte« – nicht erst in der Stadt der frühen Neuzeit gehören dazu etwa die erwähnten Wirtshäuser und Tavernen und vor allem Kirchenräume, Rathäuser und Marktplätze »als zentrale Schnittstellen«. Ein durchaus vergleichbares »heterogenes Geflecht« solcher Orte121 bildeten Agora, Akropolis und Pnyx, Stoai, Amtslokale und Tempelbezirke bereits im Athen des 5. Jahrhunderts vor Christus – wiederum genauso wie das Capitol und das Forum Romanum mit Curia und Comitium, Basiliken und tabernae, das Forum Boarium und das Marsfeld, die Versammlungsorte der collegia, die Garküchen und Kaschemmen in der Subura im hoch- und spätrepublikanischen Rom. Diese ›Fragmentierung‹ dieser Orte und ihrer jeweils spezifischen sozialen Funktionen bedeutet nun aber gerade nicht, daß auch die ›Öffentlichkeit‹ selbst als solche in verschiedenen ›Öffentlichkeiten‹ fragmentiert gewesen wäre – eher im Gegenteil: Diese Heterogenität der Orte wurde ja einerseits durch die spezifischen, für die politischen Kulturen der ›Stadtstaatlichkeit‹ konstitutiven »vielfältigen Kommunikations- und Interaktionsprozesse«, die permanent in und vor 119 S. zur Differenzierung zwischen »Groß-« und »Kleinritualen« neuerdings Kri-
scher 2011, 126–127; 156. 120 Vgl. zu den verschiedenen »historischen Öffentlichkeitstypen« etwa Würgler 1995, 252 ff., ferner Gestrich 1994 und vor allem Körber 1998, Requate 1999, 10 ff.; Mersiowsky 2010 und neuerdings Schwerhoff 2011 und die übrigen Beiträge in Schwerhoff (Hg.) 2011, jeweils mit weiteren Nachweisen; Gengnagel/Schwedler 2013, 24–25. 121 Begriffe nach Schwerhoff 2011, 12; 24 (Zitate). Vgl. auch Krischer 2011, 129 ff.; 145 ff.
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allem zwischen den sich überschneidenden Kreisen der dort jeweils Anwesenden abliefen, gewissermaßen überlagert.122 Andererseits lagen die verschiedenen Orte im konkreten wie metaphorischen Sinne ›dicht‹ beieinander: Sie waren nicht nur in die besonders verdichteten politisch-sakralen Topographien der jeweiligen Städte eingeschrieben, die zugleich als ›Erinnerungslandschaften‹ fungierten und (auch dadurch) der Konstitution und Reproduktion einer spezifischen ›bürgerlichen‹ kollektiven Identität dienten, sondern sie bildeten deren eigentliche Kerne und Kristallisationspunkte.123 Nicht nur in bezug auf den historischen Sonderfall der vormodernen ›Stadtstaatlichkeit‹ mit ihrem Eigensinn, ihrer spezifischen Eigenlogik und eigenen Rationalität dürfen die vielzitierten Überlegungen von Jürgen Habermas zu vormodernen Öffentlichkeiten als überholt, weil reduktionistisch gelten: Einerseits greift es zu kurz, das »Gespräch der Bürger miteinander«, in dem »die Dinge zur Sprache« kommen und dadurch »Gestalt« gewinnen und das auch »die Form der Beratung und des Gerichts annehmen« könne, als wesentliches Konstitutivum eines »Modell(s) der hellenischen Öffentlichkeit« zu privilegieren; andererseits verstellt die relativierende Bemerkung, daß das »öffentliche Leben, bios politikos,« sich zwar »auf dem Marktplatz, der agora,« abspiele, aber deswegen »nicht etwa lokal gebunden« sei,124 den Blick auf fundamentale lebensweltliche Bedingungen antiker Stadtstaatlichkeit. Auch Habermas’ Konzept einer »repräsentativen Öffentlichkeit« ist längst ins Gerede gekommen: Dieser vormoderne »Typus« habe sich nicht »als ein sozialer Bereich« konstituiert, sei – im Gegensatz zur »Öffentlichkeit der griechischen Polis« – auch »keine Sphäre politischer Kommunikation« gewesen und habe daher auch keinen »angebbaren« bzw. »definierten Ort« gekannt, sondern könne lediglich als »so etwas wie ein Statusmerkmal« gelten, das als »Aura feudaler Autorität« den »sozialen Status« von Herrschaftsträgern im hohen Mittelalter »signalisiert« habe, um sich 122 Das wird von Schlögl 2011, 36–37, unterschätzt, der die »integrierte Öffentlich-
keit der Anwesenheitskommunikation« der (frühneuzeitlichen) Stadt als bloß »fragmentiert, topographisch gebunden und wohl auch in ihren Themen für die Politik nur schwer auszurechnen« bezeichnet; vgl. auch Schlögl 2008a, 606 ff.; 614 f. S. dagegen die kritischen Anmerkungen von Schwerhoff 2011, 24; 26. 123 Vgl. dazu einstweilen Hölscher 1998 und 2001; Hölkeskamp 2001/2004, 2003; 2010, 53 ff.; 71 ff. 124 Habermas 1962/1971, 15 ff., Zitate 15 und 16.
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dann im 17. und 18. Jahrhundert allmählich auf den Hof der Monarchen zu konzentrieren.125 Daran hat sich die neuere historische Forschung zum europäischen Mittelalter und zur (frühen) Neuzeit mittlerweile zur Genüge abgearbeitet – dazu haben nicht zuletzt die von den erwähnten ›turns‹ inspirierten Erweiterungen der Fragehorizonte und Begriffsraster beigetragen.126 Die neuen Blicke richten sich dabei bezeichnenderweise nicht nur auf das reichhaltige Repertoire der Formen symbolisch vermittelter Kommunikation, die jeweils epochenbzw. kulturspezifischen Kombinationen verbaler und non-verbaler Elemente – auch und gerade in der politischen Kommunikation – und schließlich die daran beteiligten »Kommunikationskreise«, also die diversen Personengruppen als Teilhaber an der Kommunikation. Auch und gerade die (metaphorischen sozialen wie durchaus konkreten topographischen) »Kommunikationsräume« sind mittlerweile als Dimensionen sui generis kommunikativer Prozesse aller Art erkannt worden127 – und mit der integrierten Thematisierung von Kommunikationskreisen und -räumen konnte schließlich die hergebrachte einseitige Privilegierung der Konzeption einer ›repräsentativen Öffentlichkeit‹ und ihrer ›top-down-Ausrichtung‹ überwunden werden. Die Entfaltung und Differenzierung einer (etwa im Vergleich zur antiken Stadtstaatlichkeit) andersartigen, aber ähnlich komplexen »sozialen Geographie«, der entsprechenden spezifischen Formen von »sociability« und der jeweiligen Foren einer ›Öffentlichkeit‹ in Gestalt einer »strong ›civic‹, public sphere« – nicht nur im Florenz wie im Venedig der Renaissance, sondern etwa auch in der Reichsstadt Köln in der frühen Neuzeit128 – erscheinen damit durchaus miteinander vergleichbar. Es wird in Zukunft darauf ankommen, das Potential und die Reichweite inter- bzw. transepochaler Vergleiche weiter auszuloten. Man wird ohne übertriebenen Optimismus prognostizieren dürfen, daß gerade auf diesem weiten Feld die Chancen und Potenti-
125 Habermas 1962/1971, 17 ff., Zitate 19 f., 21 und 24. 126 Vgl. allgemein Requate 1999, 5 ff.; 9 ff.; Hoffmann 2001, 69 ff.; 75 ff.; Schwerhoff
2011, 3 ff. S. zur Auseinandersetzung mit Habermas aus mediävistischer Sicht bzw. in der Frühneuzeitforschung Gestrich 1994, 18 f.; 28 ff.; Würgler 1995, 31 ff.; Körber 1998, 4 ff.; Richter 1998, 463 ff.; 468 ff. 127 Hoffmann 2001, 71; 80 f.; 86, vgl. 109 f. 128 Vgl. dazu einerseits Muir/Weissman 1989, 85 ff.; 99 f. und passim, und andererseits Schwerhoff 2004 und Krischer 2011, 127 ff. und speziell zu Köln 141 ff.; 146 ff.
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ale komparatistischer Ansätze (und nicht zuletzt eines interepochalen und -disziplinären Dialogs) noch längst nicht ausgeschöpft sind. Eine allgemeine Ausgangsposition läßt sich immerhin schon jetzt formulieren: Die komplexe Interdependenz von Raum, Präsenz und Performanz ermöglicht überhaupt erst jene spezifische »Vergesellschaftung unter Anwesenden«, die wiederum erst durch ihre hochgradige Verdichtung und Verschränkung eine ihr eigentümliche »kommunikative Form des Politischen«, eine spezifische »performative Realität« und eine daraus resultierende besondere Art und Weise gesteigerter Partizipation generiert129 – und genau das sind also die definierenden Parameter dessen, was wiederum Tonio Hölscher treffend als »Staatsform der persönlichen Präsenz«, eingebettet in eine eigentümliche »Kultur des unmittelbaren Handelns« beschrieben hat.130 Damit darf nun zumindest ein gemeinsamer Kern der besonderen politischen Kulturen der vormodernen ›Stadtstaatlichkeit‹ als identifiziert gelten. Aber das kann und soll nicht als Resultat mit (End-) Gültigkeitsanspruch mißverstanden werden, sondern als programmatische Formulierung einer Herausforderung, die erst noch durch eine neue, offene inter- und/oder transdisziplinäre Forschungspraxis empirisch umgesetzt werden muß – gerade der methodische Ansatz einer systematisch-komparativen Analyse der ›civic rituals‹ vormoderner Stadtstaaten, der hier nur skizziert werden konnte, erscheint dabei als eine Strategie, deren Potential längst nicht ausgeschöpft ist.
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folgenden. Vgl. zum Zusammenhang zwischen »verdichteter Kommunikation« und städtischer Kultur im Mittelalter etwa Oberste 2007, die einschlägigen Beiträge in Oberste (Hg.) 2007 und zuletzt Krischer 2011, sowie zum Konzept der ›Anwesenheit‹ als Voraussetzung und Bedingung von »wechselseitiger Wahrnehmung und Kommunikation« Berger 1995, 99 f.; 104 ff. 130 Hölscher 1998a, 69 ff. und 2003 164 u. ö. und danach Hölkeskamp 2003, 85 ff.
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peter franz mittag
DER POTENTE KöNIG Königliche Umzüge in hellenistischen Hauptstädten
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ie Epoche des Hellenismus kann unter verschiedenen Blickwinkeln als eine Epoche der Extreme gedeutet werden. Eines dieser Extreme war die enorme monarchische Prachtentfaltung, die einerseits auf der Basis der durch den Alexanderzug erschlossenen materiellen und menschlichen Ressourcen ermöglicht und andererseits durch den Konkurrenzkampf und –druck zwischen den Nachfolgern Alexanders forciert wurde. Von dieser Prachtentfaltung ist nur ein sehr schwacher Abglanz dinglich erhalten und/oder schriftlich überliefert. Unter den dinglichen Hinterlassenschaften ragen die Tempelstiftungen – etwa der Apollontempel in Didyma oder der Zeus-Olympios-Tempel in Athen heraus.1 Unter den schriftlich überlieferten sind dies die hier zu besprechenden beiden königlichen Prozessionen: zum einen ein Umzug, der möglicherweise im Februar 274 v. Chr. (s. u.) in Alexandreia und zum anderen ein Umzug, der 166 v. Chr. in einem Vorort Antiocheias veranstaltet wurde. Der Konkurrenzdruck zwischen den hellenistischen Königen führte nicht nur zu einer gesteigerten Prachtentfaltung, sondern auch dazu, dass die Prozessionen in weitere politische Überlegungen einge1 Zum Apollo-Tempel in Didyma und den königlichen Stiftungen s. etwa Schaaf 1992
und Bringmann/von Steuben (Hgg.) 1995, 35 f. und Nr. 276–282 und 288–295; zum Zeus-Olympios-Tempel in Athen: Tölle-Kastenbein 1994 und Bringmann/von Steuben (Hgg.) 1995, Nr. 24.
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bunden waren. Mit Hilfe der Prozessionen versuchten die Veranstalter daher vor allem, ein positives Bild von sich und ihren Fähigkeiten zu vermitteln. Die Frage nach diesen positiven Eigenschaften und wie diese im Rahmen der Umzüge umgesetzt wurden, ist zwar in der bisherigen Forschung bereits verschiedentlich thematisiert worden,2 doch herrscht hier keineswegs Einigkeit und es scheint mir nicht zuletzt deshalb lohnend zu sein, im Folgenden diese Botschaften und die eingesetzten Mittel nochmals näher in den Blick zu nehmen. Ein zentrales Problem jeder Analyse bildet die Quellenlage, denn beide Umzüge sind weder komplett noch zuverlässig überliefert. Daher ist zunächst ein kurzer Blick auf die Quellen notwendig, anschließend sollen die strukturellen Rahmenbedingungen skizziert werden, um schließlich auf dieser Basis die Details der Umzüge sowie deren Botschaften und Intentionen herauszuarbeiten.
Quellen Beide Umzüge sind lediglich durch die Beschreibung bei Athenaios von Naukratis überliefert.3 Der Autor des 2./3. Jhs. n. Chr. griff dabei auf ihm vorliegende schriftliche Quellen zurück, einerseits auf Kallixeinos und andererseits auf Polybios. Beide waren ihrerseits keine Augenzeugen, denn Kallixeinos wirkte um 200 v. Chr. oder noch später, also mindestens ein dreiviertel Jahrhundert nach den beschriebenen Ereignissen, und Polybios weilte zum Zeitpunkt der Prozession in Rom.4 Damit stammen beide Beschreibungen letztlich aus dritter Hand und es ist nur in Ansätzen klar, welche Schwerpunktsetzungen, Auslassungen und Fehler sich im Lauf dieses mehrstufigen Überlieferungsprozesses ergeben haben. Schwerpunktsetzungen und Auslassungen des ptolemäischen Umzuges sollen anhand der folgenden schematischen Übersicht zumindest im Groben deutlich werden.
2 Siehe zuletzt Erskine 2013 mit der älteren Literatur. 3 Athenaios 5.197c-202 f. und 5.194c-195c. 4 Offenbar benutzte Kallixeinos mit den Penteteriden mindestens eine schriftliche
Quelle: Athenaios 5.197 d-e; vgl. Thompson 2000, 368 f. und Rice 1983, 44 f. sowie 171–5. Die Quelle des Polybios bleibt letztlich unbekannt.
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Morgenstern
Vorfahren
Götter
57 600 Infanterie
Alexander
Abendstern
23 200 Kavallerie
Der Umzug setzte sich aus zwei grundsätzlich verschiedenen Teilen zusammen: auf eine in erster Linie religiöse Prozession folgte eine militärische. Die religiöse Prozession ihrerseits setzte sich aus verschiedenen Abteilungen zusammen: Beginn und Ende markierte eine Abteilung des Morgen- bzw. Abendsternes, den Mittelteil nahmen die Abteilungen zu Ehren der olympischen Götter ein und diese wurden ihrerseits gerahmt von zwei Abteilungen zu Ehren der Vorfahren des Königspaares bzw. zu Ehren Alexanders. Im Detail beschrieben werden bei Athenaios allerdings lediglich die Abteilung des Dionysos und die Abteilung zu Ehren Alexanders. Selbst wenn man annimmt, dass erstens die Dionysosabteilung die mit Abstand größte und dass zweitens die von Athenaios genannte Zeusabteilung die einzige andere eigene Götterabteilung war,5 bleiben große Teile der Prozession unbekannt. Die übrigen Teile werden von Athenaios nur sehr kurz zusammengefasst: »Von der bunten Fülle dessen, was in diesen Festzügen beschrieben ist, haben wir nur das ausgewählt, wo Gold und Silber vorkamen. Es waren ja viele Einzelheiten bemerkenswert, sowohl die Mengen von wilden Tieren und Pferden wie auch vierundzwanzig riesige Löwen. Es gab aber auch noch andere Wagen, nicht nur solche, die Bilder von Königen trugen, sondern auch viele mit Götterbildern.«6 Hinsichtlich des seleukidischen Umzuges des Jahres 166 v. Chr. ist die Situation noch schlechter. Nach der relativ ausführlichen Beschreibung des hier vorangestellten militärischen Teils fasst sich Athenaios extrem kurz und scheint nur punktuell einzelne Unterabteilungen herausgegriffen zu haben, so dass sich letztlich kein annähernd zuverlässiger Eindruck der Gesamtprozession gewinnen lässt. Zentrale Fragen nach der Ordnung bzw. Struktur des Zuges können damit nur teilweise beantwortet werden. Dennoch ist eine Interpretation beider Umzüge sinnvoll und in Grenzen auch möglich. Beide sind Teil einer längeren historischen Entwicklung und können daher in ihren strukturellen Elementen eini5 Diese Extremposition bezieht Köhler 1996, 38. 6 Athenaios 5.201e; Übers. Claus Friedrich.
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germaßen eingeordnet werden. Die aus diesem Rahmen fallenden außergewöhnlichen Elemente erlauben andererseits eine Interpretation innerhalb des jeweils unterschiedlichen kulturellen und historischen Kontextes. Daher sei zunächst ein Blick auf die möglichen Vorbilder und die strukturellen Rahmenbedingungen geworfen.
Vorbilder und strukturelle Rahmenbedingungen Religiöse Umzüge hatten in der griechischen polis-Welt eine lange Tradition – der Hinweis auf die Panathenäen und die Dionysos-Feste soll hier genügen.7 Diese Umzüge galten in der Regel einer Gottheit und setzten sich nicht nur aus Kultbildern und Priestern zusammen, sondern auch aus Mitgliedern der Bürgergemeinschaft, wobei die Umzüge häufig die soziale und politische Ordnung der polis widerspiegelten. Neben diesen klassischen Vorbildern könnte auch Alexander prägend gewirkt haben. Der Makedonenkönig veranstaltete während seines Feldzuges ebenfalls religiöse Umzüge, doch konnte er dabei kaum auf die Bevölkerung einer polis zurückgreifen und ließ stattdessen sein gesamtes Heer aufmarschieren.8 Beide Traditionslinien scheinen in die hier zu besprechenden Umzüge eingeflossen zu sein. Allerdings sind beide potentiellen Vorbilder insofern abgewandelt, als die Teilnehmer an der Prozession nicht mehr Teil des Adressatenkreises waren. Die Einwohner der Hauptstädte, in denen die Umzüge veranstaltet wurden, und die darüber hinaus angereisten Gäste waren in eine eher passive Rolle als (nahezu reine) Zuschauer gedrängt, auch wenn sie am königlichen Luxus teilhaben konnten und die auswärtigen Gäste sicher als Multiplikatoren wirkten (s. u.). Darüber hinaus oblag die Organisation nicht wie in der klassischen griechischen polis städtischen Organen, sondern wurde allein vom König und seinen philoi übernommen. Zudem galten die Umzüge nicht nur einer Gottheit, sondern allen olympischen Göttern sowie weiteren Göttern und Heroen.9 7 Siehe hierzu beispielsweise die einführende Übersicht bei Köhler 1996, 20–27 und
41: Parallelen zwischen Dionysos-Abteilung der pompē Ptolemaios’ II. und den attischen Dionysosfesten. 8 Arrian, Anabasis 1.18.2, 2.5.8, 2.24.6, 3.5.2; Arrian, Indike 36.3; Plutarch, Vita Alexandri 29; Diodor 17.16 und 46. 9 Daher hielt Caspari 1933, 402 die mutterländisch-griechischen Vorbilder für weniger einflussreich, lehnte aber auch ägyptische Einflüsse ab; vgl. Rice 1983, 27; an-
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Allerdings könnte jeweils eine der zwölf olympischen Gottheiten ganz besonders herausgehoben gewesen sein: in Alexandreia Dionysos, in Daphne Apollon, also jeweils die Gottheit, mit der sich die Königsfamilie besonders verbunden fühlte.10 Andererseits waren die Umzüge – ganz im Sinne der klassischen griechischen Prozessionen – jeweils Teil eines vieraktigen Ensembles, denn an den Umzug schlossen sich Opfer, Agone und Bankette an.11 Auf diese drei Aspekte soll im Folgenden zwar nicht näher eingegangen werden, einige der während der beiden hier zu besprechenden Umzüge gezeigten Objekte verwiesen aber auf die drei folgenden Veranstaltungen. Darüber hinaus fanden die beiden Umzüge – ebenfalls traditionell griechisch – regelmäßig statt; nämlich wie die olympischen und andere überregionale Festivitäten alle vier Jahre.12 Das provoziert sofort die Frage, ob diese Regelmäßigkeit zu einer Normierung führte – und wenn ja, welche Elemente der Umzüge normiert waren und welche Elemente flexibel weggelassen, ergänzt oder verändert werden konnten?13 Da jeweils nur ein einziger Umzug beschrieben ist, lässt sich diese Frage allerdings kaum beantworten. Zumindest einige Abteilungen der Prozession von Daphne scheinen aber in dieser Form Neuerungen darzustellen – auf sie wird noch einzugehen sein.
ders: Turner 1984, 139 mit Hinweis auf das heb-sed-Fest und jährliche Prozessionen; Thompson 2000, 372 mit Hinweis auf die aithiopischen Tribute und 375 mit Hinweis auf den in der Prozession verwendeten perséa-Zweig, den traditionell Thoth auf Tempelreliefs als Zeichen für Jahre in den Händen hält; allerdings dürfte der perséa-Zweig eher Verwendung gefunden haben, weil die perséa-Pflanze eine der wenigen immergrünen Pflanzen Ägyptens ist (Plinius, Naturalis Historia 13.17) und die Prozession im Winter stattfand; Rice 1983, 51 deutete den perséa-Zweig als Siegeszeichen. 10 Tondriau 1952, 441 bezeichnete Dionysos – wie sein Aufsatztitel bereits andeutet – geradezu als »dieu royal« der Ptolemäer; vgl. auch Fraser 1972, 202 f.; zur Verbindung zwischen Apollon und den Seleukiden: Diodor 19.90.4, Iustinus 15.4.4, Orientis Graecae Inscriptiones Selectae 212, 13 f., Inscriptiones Graecae XII.1,6. 11 Vgl. so schon Caspari 1933, 401; etwas anders gereiht, aber auch die vier Aspekte betonend: Rice 1983, 26. 12 Athenaios 5.197d-e; zur Frage der Regelmäßigkeit der seleukidischen Veranstaltung: Mittag 2006, 282 mit Anm. 1. Erskine 2013, 47 vermutete, die Feier könnte auch mit jährlich stattfindenden Festen zu Ehren von Apollon verbunden gewesen sein; allerdings kommt Apollon im Rahmen des Umzuges – soweit sich das überhaupt sagen lässt – keine prominente Rolle zu. 13 Vgl. etwa Hölkeskamp 2014, 367.
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Adressaten waren neben der bereits genannten jeweiligen hauptstädtischen Bevölkerung die gesamte griechische Welt, die durch Festgesandte, theoroi, vertreten war. Damit ergab sich eine – unter griechischem Blickwinkel – größtmögliche Bühne und Verbreitung der zu vermittelnden Botschaften. Die Veranstaltung richtete sich also explizit nicht nur an die Untertanen des Königs. Soweit sich das überhaupt sagen lässt, scheinen nicht-griechische Vertreter nicht ausdrücklich eingeladen worden zu sein. So trafen etwa die römischen Gesandten erst kurz nach der seleukidischen Feier in Antiocheia ein, scheinen also nicht explizit zur Feier (eingeladen und) angereist zu sein.14 Darüber hinaus lassen sich keine Belege für die Berücksichtigung ägyptischer oder anderer indigener Traditionen sicher benennen.15 Die Prozessionen folgten also – wenn auch abgewandelt – griechischen Traditionen und wurden für ein primär griechisches Publikum inszeniert.16 Damit ist zumindest die grundsätzliche Frage nach dem Publikum bereits behandelt. Im Folgenden sollen nun die beiden sich unterscheidenden Umzüge und insbesondere deren Zielsetzung genauer in den Blick genommen werden.
Der Umzug in Alexandreia im Jahr 274(?) v. Chr. – Benennung und Datierung Bevor eine detailliertere Analyse der ptolemäischen Prozession erfolgen kann, müssen zunächst zwei Fragen kurz angesprochen werden, die in der Forschung sehr kontrovers diskutiert werden: die Benennung und die Datierung des Umzuges. Die Prozession wird von Athenaios lediglich als pompē (πομπή), also als Festumzug, bezeichnet.17 14 Polybios 30.27.1 und Diodor 31.17. 15 Pfrommer 1999, 66 f. hat versucht, verschiedene Elemente in einem ägyptischen
Sinn zu deuten, doch dürfte es schwer sein anzunehmen, ein griechisches Publikum habe in griechischer Art und Weise präsentierte griechische mythologische Szenen vor einem ägyptischen Hintergrund bzw. ägyptisch gedeutet. Köhler 1996, 114 (mit Hinweis auf die ältere Literatur) negiert daher zu Recht jeden Einfluss ägyptischer Traditionen. Siehe zur ägyptischen perséa-Pflanze auch Anm. 9. 16 Auf die Frage der Ästhetisierung der hellenistischen pompai gegenüber klassischen griechischen pompai kann hier nicht im Einzelnen eingegangen werden; s. hierzu etwa die kurzen Bemerkungen bei Köhler 1996, 117–121. 17 Athenaios 5.197c.
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In der Regel wird diese pompē mit einem Beschluss des Nesiotenbundes in Verbindung gebracht, in dem ein Ptolemaieia genannter Agon zu Ehren des Ptolemaios I. als isolympisch anerkannt wurde.18 Dieser Agon könnte ebenso wie die pompē ein Teil des gleichen Festes gewesen sein, weshalb die Bezeichnung des Agon zuweilen auch auf die pompē übertragen wird – dies ist zwar naheliegend, nicht aber zwingend.19 Ebenso umstritten ist die Datierung der pompē. Inzwischen wird zumeist angenommen, dass es sich um die zweite Feier eines im Winter 279/8 v. Chr. vor allem zu Ehren des vier Jahre zuvor verstorbenen Ptolemaios I. geschaffenen Festes gehandelt habe.20 Wenn diese Annahme zutreffen sollte, dürfte die von Athenaios beschriebene pompē im Februar 274 v. Chr. von Ptolemaios II. gefeiert worden sein.21
Veranstaltungsort Aus der Beschreibung geht hervor, dass die pompē durch das Stadion Alexandreias führte,22 dessen Lokalisierung allerdings noch nicht gelungen ist. Zudem ist unklar, ob sich die pompē einfach durch das Stadion hindurch bewegte oder – wie es etwa im Athener Stadion nö18 Inscriptiones Graecae XII 7, 506; Sylloge inscriptionum Graecarum3 390; Histori-
sche griechische Inschriften in Übersetzung 312. 19 Vgl. aber Rice 1983, 185 f., die eine solche Namensübertragung für problematisch hält. 20 Die Verbindung zu Ptolemaios I. ergibt sich nicht nur aus dem Namen, sondern auch aus der zweiten Abteilung zu Ehren der Vorfahren des herrschenden Königspaares. Vgl. etwa Fraser 1961, 144 und Thompson 2000, 366 f.; Shear 1978, 33–37; Turner 1984, 138 f.: erste Feier 279/8 v. Chr. anlässlich des 4. Jahrestages des Todes Ptolemaios’ I. (mit Verweis auf Shear 1978, 33 ff.); Heinen 1984, 417 f.: pompē vielleicht 271/0 v. Chr. (ebenfalls mit Verweis auf Shear 1978, 33 ff.); dann war die pompē vielleicht eine »triumphal celebration to mark the victorious end of the First Syrian War« (417); Foertmeyer 1988, 93 und 97 f.: wegen der Tatsache, dass Venus als Morgen- und als Abendstern erwähnt wird, scheint die Venus wohl sichtbar gewesen zu sein. Das war nur im Winter 275/4 v. Chr. der Fall, d. h. die beschriebenen Ptolemaieia sind die zweiten gefeierten und die pompē hat sich über mehrere Tage hingezogen; Huß 2001, 320: erste Feier etwa Februar 278 v. Chr.; von Kallixeinos wird die zweite Feier am 26.2.274 beschrieben (vgl. auch 323 mit Literatur in Anm. 148). 21 Erskine 2013, 46 f. vermutete jüngst sogar, die überlieferte Beschreibung könnte aus Beschreibungen unterschiedlicher Prozessionen zusammengesetzt sein. 22 Athenaios 5.197c und e, 5.200b.
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tig wäre – u-förmig durch das Stadion zog. Möglicherweise führte die pompē auch am ebenfalls nicht lokalisierbaren Berenikeion vorbei, dem der Mutter des Veranstalters, Berenike I., geweihten Tempel.23 In jedem Fall hat sie auf dem Weg zum und vom Stadion weitere Teile der Stadt berührt.24 Da aber keine genaueren Informationen vorliegen und die Topographie Alexandreias alles andere als hinreichend klar ist, lassen sich daraus keine weitergehenden Schlüsse ableiten, als dass man anscheinend versuchte, möglichst vielen Zuschauern eine Teilnahme zu ermöglichen und ggf. auf die Kulttopographie Rücksicht nahm.
Gliederung der detailliert beschriebenen Abteilungen und Botschaften Der am ausführlichsten beschriebene Teil der pompē ist die Dionysos-Abteilung.25 Ein Überblick zeigt, dass nur zehn der vierundvierzig genannten Unterabteilungen (3, 4, 9–11, 13–17) im engeren Sinn mit dem Kult des Dionysos verbunden sind, auch wenn weitere Teile mit Dionysos auf unterschiedliche Weise in Verbindung stehen. Von diesen zehn im engeren Sinn mit dem Kult verbundenen Teilen wurde ein Teil (11) zudem vom Dionysospriester Philiskos, einem philos des Königs, bestritten. Daneben enthielten mindestens sieben der vierundvierzig Unterabteilungen politische Botschaften (34, 37– 43) – auf sie wird noch einzugehen sein. Die meisten übrigen Teile sollten – so die sicher richtige gängige Deutung – in erster Linie die Verfügungsgewalt des Königs über unterschiedliche Ressourcen demonstrieren – etwa in Form der mechanisch aufstehenden und sich wieder setzenden Statue der Nysa26 (18) die Verfügungsgewalt über technische Fähigkeiten. Die Zuschauer konnten an diesem Reichtum in Form von Wohlgerüchen, Musik oder Geschenken in bis zu sechs Unterabteilungen teilhaben (3, 7, 9, 19–20, 33).27 Es wurde 23 Athenaios 5.202d. 24 Athenaios 5.199a-b; s. auch Rice 1983, 31 und Köhler 1996, 37. 25 Athenaios 5.197e-201e. 26 Zur Bedeutung technischer ›Spielereien‹ s. etwa Köhler 1996, 97–9 und Thompson
2000, 376 f. 27 Zur Rolle der Musik s. Rice 1983, 114 und Thompson 2000, 371 mit Hinweis auf Athenaios 10.415a-b.
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Gliederung der Dionysosabteilung 1
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Silene (Purpurmäntel) als Wegbereiter
Satyrn (Fackeln, Efeu)
Niken mit Weihrauchfässern
Doppelaltar
120 Knaben (Purpurgewänder)
40 Satyrn (goldene Efeukränze)
2 Silene mit Heroldsstab, Trompete und Eniautos
Penteteris und 4 Jahreszeiten
Altar zwischen 2 Weihrauchbecken
Satyrn mit Weinkanne und Trinkbecher
Dichter und Dionysospriester Philiskos
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Dreifüße als Preise für Betreuer bei Agonen
180 Männer mit 4-rädrigem Wagen des Dionysos
Priester, Priesterinnen, Verwalter der Kultgewänder
Dionysische Gilden
Frauen mit dionysischen Fächern
Makedonische Dionysosanhänger
60 Männer mit 4-rädrigem Wagen der Nysa (mech.)
300 Männer mit 4-rädrigem Wagen (Weinpresse)
600 Männer mit 4-rädrigem Wagen (Weinschlauch)
120 Satyrn/ Silene mit Weinkannen und Trinkbechern
600 Männer mit 4-rädrigem Wagen (Mischgefäß)
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Gefäßständer, 10 Wasserkrüge, 1 Altar, Platten
1600 + X Knaben mit verschiedenen Gefäßen
Tische mit verschiedenen Objekten (?)
500 Männer mit 4-rädrigem Wagen (Vögel)
Akrotere, Wannen, Mischgefäße
24 Kessel, 2 Weinpressen, 1 Tisch
4 gr. Dreifüße, 24 kl. Dreifüße, 26 Weinkessel
16 Panathenäische Amphoren, 160 Kühlgefäße
Personen mit Goldgegenständen
1 Weinpresse mit verschiedenen Gefäßen
4 goldene Dreifüße, 1 goldene Truhe mit Figuren, 2 Gefäßregale
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42
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5 Abteilungen Esel mit Satyrn und Silenen
Wagen (24 Elefanten, 60 Ziegen, 12 Rentiere, 7 Gazellen etc.)
Wagen mit Kriegsgefangenen
Kamele mit Weihrauch etc., Aithiopier mit Abgaben
Jäger mit Jagdhunden und verschiedenen Tieren°
Wagen (Dionysos am Altar der Rhea)*
Frauen als Vertreterinnen kleinasiatischer poleis
Wagen mit thyrsos, Lanze und phallos
Wagen mit Triumph des Dionysos (auf Elefant)
500 Mädchen (Purpurgewänder)
°
120 Satyrn (mit Rüstungen)
die Abteilung 41 ist nicht vollständig überliefert, da sich eine Lücke im Text befindet, die nach der Lücke aufgezählten Tiere wurden hier mit den vor der Lücke genannten Tieren zu einer Einheit zusammengefasst * hier auch Statuen von Ptolemaios, Alexander, Arete und Korinthos beschrieben
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möglicherweise Weihrauch verbrannt, es ertönte vielleicht auch die mitgeführte Trompete, die kelternden Satyrn sangen zum aulos ein Weinleselied, es floss Wein und an den Füßen der in der dreiunddreißigsten Unterabteilung gezeigten Vögel befanden sich Fäden, damit die Zuschauer die freigelassenen Vögel auf einfache Weise fangen und behalten konnten. Darüber hinaus sang direkt(?) nach der Dionysosabteilung ein Männerchor mit kithara-Begleitung.28 Athenaios (bzw. Kallixeinos) hebt zudem hervor, dass »die Leute im Stadion alle ein Wohlgefühl ergriff, da in den Wasserkesseln und Fässern der Wein gemischt worden war«,29 was auf eine weitere anschließende Verköstigung hindeuten könnte. Auf das folgende Geschehen verwiesen auch die Preise für die Betreuer von bei den Agonen antretenden Wettkämpfern (12). Neben dieser vordergründigen Demonstration der königlichen tryphé zeigen die ebenfalls prächtigen und sich vor allem durch die Präsentation exotischer Tiergattungen auszeichnenden Unterabteilungen mit stärkerem politischem Bezug, dass sich die Intention nicht in der demonstrativen Verehrung des Weingottes und der Zurschaustellung des Reichtums erschöpften. Die Präsentation des triumphierenden und auf einem Elefanten reitenden Dionysos ist ein direkter Hinweis auf dessen mythischen Indienfeldzug, mit dem der Alexanderzug spätestens seit der Zeit Ptolemaios’ I. in Bezug gesetzt wurde.30 Da Dionysos eng mit dem ptolemäischen Königsgeschlecht verbunden war, konnte sich Ptolemaios als potentiell ebenso erfolgreich stilisieren wie Dionysos oder Alexander. In diesem Sinn mussten/konnten auch die gezeigten indischen Gefangenen (39) und die kurz darauf folgenden indischen sowie hyrkanischen Jagdhunde (41), die indischen Rinder (41) und die aus Indien stammenden Elefanten (38) und Papageien (41) gedeutet werden. Allerdings beließ es Ptolemaios II. nicht bei diesen Tiergattungen, sondern legte auch großen Wert auf aithiopische Tiere, aber auch auf Tiere aus Arabien und Euboia sowie andere exotische Tiere wie einen weißen Bären (41).31 Nicht ganz
28 Athenaios 5.201 f. 29 Athenaios 5.200b. 30 Vgl. Köhler 1996, 111–3. 31 Rice 1983, 86 f. vermutete, die Rückkehr des Dionysos habe nur als Entschuldi-
gung dafür gedient, verschiedene Tiere des königlichen Zoos darbieten zu können; so auch Köhler 1996, 106.
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klar ist allerdings, ob die Zuschauer die Herkunft der Tiere jeweils kannten bzw. erkannten. Möglicherweise wurden sie ebenso wie die später folgenden kleinasiatischen Städte durch Texttafeln erklärt.32 Neben diesen eher indirekten Hinweisen auf eine Weltherrschaft in der Alexandernachfolge, wurde innerhalb der Dionysos-Abteilung aber auch ganz direkt die Nähe zwischen Alexander und Ptolemaios I., dem Vater des Veranstalters, zur Schau gestellt. Auf dem Wagen, der Dionysos und Rhea präsentierte (42), befanden sich anscheinend auch Kultstatuen (ἀγάλματα) von Ptolemaios und Alexander sowie der Personifikation der Stadt Korinth und der Arete, der männlichen Tugendhaftigkeit.33 Auch wenn nicht ganz klar ist, welche Personifikation neben Alexander und welche neben Ptolemaios stand, so ist die Symbolik doch insgesamt eindeutig. Alexander hatte nur als Hegemon des in Korinth tagenden sogenannten Korinthischen Bundes seinen Feldzug gegen Dareios III. unternehmen können und dabei seine Arete bewiesen.34 Ziel des Feldzuges war offiziell die Befreiung der kleinasiatischen Griechenstädte. Ptolemaios knüpfte bewusst an dieses gemeingriechische Projekt an. Die Tatsache, dass unmittelbar anschließend Personifikationen der von Alexander ›befreiten‹ grie32 Vgl. Athenaios 5.201e. 33 Athenaios 5.201d. Korinthos stand vielleicht neben Alexander in der Prozession.
Nach dem überlieferten Text standen Arete und Korinthos neben Ptolemaios, doch scheint an dieser Stelle eine Emendation des Textes notwendig zu sein; vgl. Rice 1983, 102 f. Grundsätzlich ist aber auch denkbar, dass sowohl Korinth als auch Arete neben Ptolemaios standen, zumindest ist das mit der hier vorgeschlagenen Deutung vereinbar. Köhler 1996, 42 glaubt, dass diese Bilder in der Abteilung für die Vorfahren der Könige gezeigt wurden. Da sich die Beschreibung aber direkt an diejenige des DionysosRhea-Wagens anschließt, dürfte eine enge Verbindung mit der Dionysos-Abteilung wahrscheinlicher sein. Wilcken 1922, 106 f. leitet aus der Kallixeinos-Stelle ab, dass die kleinasiatischen poleis »gleichsam« zum korinthischen Bund gehört hätten. 34 Auch Hölbl 1994, 36 f. betonte, dass Ptolemaios II. sich über Korinth als »Vorkämpfer des panhellenischen Freiheitsgedankens« stilisieren konnte; vgl. Rice 1983, 102–107; dagegen Walbank 1996, 124 Anm. 31, da die Bezeichnung »Korinthischer Bund« modern sei. Dennoch scheint Korinth für die Freiheit der Griechen eine besondere Bedeutung besessen zu haben: Hier wurde der Bund geschlossen und hier fand später die Freiheitsproklamation der Römer im Jahr 196 v. Chr. statt; das betont auch Erskine 2013, 41 Anm. 12. Thompson 2000, 375 in Anlehnung an Dunand 1981, 24 vermutete, Korinth habe als ehemalige Hauptstadt der Antigoniden vielleicht stellvertretend für Griechenland gestanden.
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chischen Städte Kleinasiens gezeigt wurden, unterstreicht diesen Anspruch des Ptolemäerkönigs in der Nachfolge Alexanders als Befreier griechischer Städte.35 Dass sich dieses Thema auf dem Wagen von Dionysos und Rhea befand, eröffnet einen weiteren Deutungshorizont. Dionysos war nach Nonnos »vom laut umjubelten Sitze der tanzfrohen Rheia« Richtung Indien aufgebrochen,36 so dass neben der Befreiung der griechischen poleis nochmals das Motiv des Indieneroberers thematisiert wird. Die indischen Gefangenen und exotischen Tiere demonstrierten in diesem Kontext, dass Ptolemaios, wenn schon nicht direkt das gesamte ehemalige Alexanderreich kontrollierte, so doch Zugang zu den Ressourcen der Randgebiete dieses Reiches hatte. Obwohl im Zug Niken, also Siegesgöttinnen, präsentiert wurden und die Stadtpersonifikationen Kränze trugen, scheint die DionysosAbteilung aber auf keinen konkreten Sieg oder konkrete Gebietsansprüche abgezielt zu haben,37 sondern lediglich auf die generelle Sieghaftigkeit und den ptolemäischen Schutz für die Freiheit der Griechenstädte – insbesondere derjenigen, die vor dem Alexanderzug unter der Gewalt der Achaimeniden standen. Den Abschluss der Dionysos-Abteilung bzw. den Übergang zur nächsten Abteilung bildeten wohl der bereits erwähnte 600 Mann starke Chor und 2 000 dem Opfer geweihte Rinder.38 Deutliche Botschaften enthielt auch die später folgende Alexanderabteilung. Sie wurde eröffnet mit einer Alexanderstatue, die sich in einer Elefantenquadriga befand (1), schloss also inhaltlich an die Dionysos-Abteilung an. Sollte die erhaltene Beschreibung halbwegs korrekt sein, endete diese Abteilung mit Edelmetallgefäßen und Gewürzen (32–34), also den Objekten, die durch den Alexanderzug reichlich erschlossen worden waren. Auch in dieser Abteilung wurde also eine besondere Nähe der Ptolemäer zu Alexander propagiert. Da 35 Spätere literarische Quellen wie Pausanias 1.6.2 und Curtius Rufus 9.8.22 über-
liefern die Anekdote, Arsinoë, die Mutter Ptolemaios’ I., sei von Philipp II. schwanger gewesen, als sie Lagos heiratete. Ptolemaios I. wäre dann ein Halbbruder Alexanders gewesen. Ob diese Umdeutung der eigenen Familiengeschichte bereits unter Ptolemaios II. im Umlauf war, lässt sich nicht sicher sagen. 36 Nonnos, Dionysiaka 14.249. 37 So aber Köhler 1996, 38 f., der 159 auch die Hinweise auf den Indienfeldzug des Dionysos auf den Syrienfelgzug Ptolemaios’ II. bezieht. 38 Athenaios 5.201e-202a.
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Gliederung der Alexanderabteilung: 1
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goldene Alexanderstatue in Elefantenquadriga
verschiedene Throne°
350 goldene Weihrauchfässer
goldene Altäre mit versch. Aufsätzen
2 vergoldete Räucherpfannen
9 goldene delphische Dreifüße
8 zum Teil vergoldete Palmen
vergoldeter Heroldstab
vergoldeter Blitz
vergoldeter Tempel
Doppelfüllhorn ^
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17
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20
21
22
vergoldete Figuren
vergoldete Tierfiguren
vergoldeter Adler
3 200 goldene Kränze
edelsteinbesetzter goldener Mystenkranz*
goldener Brustschild
Mädchen mit goldenen Diademen
riesiger goldener und silberner Panzer
20 goldene Schilde
64 goldene Rüstungen
2 Paar goldene Beinschienen
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28
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Trinkschalen
30 Weinkannen
10 große Salbgefäße
12 Wasserkrüge
50 Kuchenbretter
verschiedene Tische
5 Ständer mit goldenen Gefäßen
1 goldenes Horn
400 Wagen mit silbernen Objekten
20 Wagen mit goldenen Objekten
12 goldene Becken
34 800 Wagen mit Gewürzen
° u. a. und besonders hervorgehoben einer des Ptolemaios I. ^ als Hinweis auf Arsinoë II. zu verstehen (?) * um das Portal des Tempels Berenikes I. gelegt
es Ptolemaios I. gelungen war, die Leiche Alexanders in seine Gewalt zu bringen,39 war eine solche Verbindung ohnehin allen Zuschauern bewusst. Integriert in die Alexander-Abteilung waren aber auch zwei weitere auf Ptolemaios II. bzw. seine Eltern bezogene Elemente: zum einen wird innerhalb des Reigens verschiedener goldener und elfenbeinerner Throne von Athenaios allein der Thron Ptolemaios’ I. genauer beschrieben und bezeichnet (2),40 zum anderen neben anderen 39 Diodor 18.28.3, Pausanias 1.6.3. 40 Athenaios 5.202b.
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Kränzen ein besonders prächtiger Kranz, der um die Tür des Tempels für Berenike I., die Mutter Ptolemaios’ II., gelegt werden sollte (16).41 Da über den zweiten der fünf Teile der Prozession, die Abteilung, die den Vorfahren der regierenden Ptolemäer gewidmet war, keine detaillierten Informationen vorliegen, lässt sich nicht mehr rekonstruieren, ob in diesem Teil ebenfalls eine besondere Nähe zwischen Alexander und den Ptolemäern thematisiert wurde. Denkbar wäre dies im Übrigen auch im Kontext der uns völlig unbekannten übrigen Götter-Abteilungen. In Kombination mit der von Athenaios nur kursorisch beschriebenen42 anschließenden Militärparade lassen sich vielleicht folgende Botschaften festhalten:43 – – – –
Verehrung der olympischen Götter Göttlichkeit der eigenen Familie44 Anspruch auf die Alexandernachfolge bzw. das Alexanderreich Verfügungsgewalt über – materielle Ressourcen – militärische Ressourcen – technische und kunsthandwerkliche Fertigkeiten – die Tierwelt, wobei die Elefanten auch militärische Bedeutung besaßen45 – Teilhabe der Zuschauer an diesen Besitztümern – Ptolemaios als Garant für Friede und Freiheit der griechischen poleis 41 Athenaios 5.202d. 42 Athenaios 5.202 f.-203a. 43 Walbank 1996, 125 brachte die Botschaften auf drei Punkte: Ptolemaios habe sich
als Eroberer, Wohltäter und Friedensbringer stilisiert. 44 Die Ptolemaieia könnten immer wieder Anlass zur Propagierung der Göttlichkeit einzelner Familienmitglieder gewesen sein. So vermutete Hölbl 1994, 150–2, dass während der Ptolemaieia 215/4 v. Chr. Ptolemaios IV. seine großen Reformen des Herrscherkultes durchgeführt haben könnte (Bau eines neuen kollektiven Semas für Alexander und die Ptolemäer: Zenobios 3, 94 = Paroemiographi graeci I, 81; Strabon 17.1.8) und anlässlich der Ptolemaieia 211/0 v. Chr. könnte eine Athlophore (»Kampfpreisträgerin«) für Berenike II. hinzugefügt worden sein. Vielleicht ist zudem die Aufnahme Ptolemaios’ V. in den ptolemäischen Dynastiekult anlässlich der Ptolemaieia 199/8 v. Chr. vollzogen worden. 45 Erskine 2013, 42 geht sogar soweit, die Abteilungen des Morgen- und Abendsterns als Verfügungsanspruch auf den Kosmos und die Zeit selbst zu deuten.
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Anscheinend bewusst wurde jedoch darauf verzichtet, einen konkreten Sieg zu veranschaulichen.
Zielsetzung Einige der Ziele, die Ptolemaios II. mit diesen Botschaften verfolgte, sind bereits angesprochen worden. Ich möchte dies nochmals unter anderen Blickwinkeln systematisieren und zusammenfassen. Wie bereits gesehen waren die Adressaten einerseits – und quantitativ sicher am bedeutendsten – die Bewohner Alexandreias. Sie konnten den Reichtum des Königs auch bei anderen Gelegenheiten kennenlernen – etwa dem Adonisfest,46 doch partizipierten sie hier in besonderer und vielfältiger Weise, nämlich durch Betrachtung der gezeigten Reichtümer, durch Musik und Wohlgerüche, aber auch durch Geschenke und während der anschließenden Bankette. Das großzügige Teilen des königlichen Luxus verfestigte die Bande zwischen dem König und den Bewohnern seiner Hauptstadt. Gegenüber den auswärtigen Gästen verfolgte Ptolemaios weitere Ziele, die eine Reihe der gezeigten Objekte und Bilder erklären kann. Die angereisten griechischen Festgesandten waren zunächst einmal Festteilnehmer und bildeten einen wesentlichen Teil der in Alexandreia versammelten Kultgemeinschaft. Durch die Teilhabe an einem Umzug, in dessen Verlauf alle griechischen Götter geehrt wurden, und nicht wie bei traditionellen Kultprozessionen nur oder primär eine Gottheit, eröffnete sich ein weiter Horizont, der die anwesenden Griechen und hellenisierten Teilnehmer als kulturelle Gemeinschaft von den Barbaren abgrenzte. Die zusätzliche Erweiterung durch die Präsentation des Heeres machte aus dieser kulturellen Gemeinschaft schließlich eine politische. Dieser Gedanke kulminierte in der Präsentation von Alexander, Ptolemaios, Korinth, Arete und den griechischen Städten Kleinasiens. Genauso wie Alexander als Hegemon des Korinthischen Bundes mittels seiner persönlichen arete die Freiheit der kleinasiatischen Griechenstädte erwirkt hatte, stilisierte sich Ptolemaios als Garant der griechischen Freiheit. In diesem Kontext konnte ein Verweis auf die allgemeine Sieghaftigkeit des Königs viel wirkmächtiger sein, als ein Hinweis auf einen konkreten Sieg oder 46 Theokrit, Eidyllion 15.21–149.
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ein konkretes politisches Ziel, denn innerhalb solcher Auseinandersetzungen waren es stets die griechischen poleis, die zu Objekten der rivalisierenden Könige wurden. Dass Ptolemaios mit dieser Selbstinszenierung einen gewissen Erfolg hatte, zeigen letztlich am besten die zahlreich von verschiedenen poleis übernommenen bzw. kopierten Ptolemaieia.47
Der Umzug von Daphne im Jahr 166 v. Chr. – Datierung und Veranstaltungsort Die pompē, die Antiochos IV. veranstaltete, kann relativ sicher auf das Jahr 166 v. Chr. datiert werden.48 Als Veranstaltungsort wurde Daphne, ein Villenvorort der seleukidischen Hauptresidenz Antiocheia am Orontes, gewählt, über dessen Topographie allerdings – abgesehen von der Tatsache, dass sich hier ein wichtiger Apollontempel befand – überhaupt nichts bekannt ist. Anders als in Alexandreia präsentierte der Seleukide Antiochos IV. zunächst das Heer, das von Athenaios bzw. Polybios vergleichsweise detailliert beschrieben wird. Von besonderem Interesse sind die erste und letzte Abteilung der Infanterie, denn hier zeigte Antiochos IV. Waffengattungen, die an römische Vorbilder angelehnt waren: zum einen 5 000 nach römischer Art bewaffnete und wohl auch ausgebildete Soldaten und 240 Paare von monomáchoi,49 wobei umstritten ist, ob es sich dabei um Gladiatoren oder Einzelkämpfer handelte.50 Dass die Übernahmen römischer Waffen- und Kampftechnik die traditionelle seleukidische Infanterie einrahmte, war sicher kein Zufall. Die römischen Heere hatten sich in den vorangegangenen Jahrzehn47 Belege bei Volkmann 1959; besonders hervorzuheben ist die Einrichtung von
Ptolemaieia 224/3 v. Chr. in Athen: Inscriptiones Graecae II2 891,14; Habicht 1982, 107; Pfeiffer 2008, 50. Murray 2008, 23 betonte die kulturelle Bedeutung der Feierlichkeiten sicher ebenfalls zu Recht: »Alexandrian Ptolemaic culture was centered on three aspects of the Ptolemaic court – the royal symposion, the institution of the Museum and the grand religious festival.« 48 Mittag 2006, 282 Anm. 1 mit der älteren Literatur. 49 Athenaios 5.194d. 50 Eine militärische Spezialeinheit halten u. a. Carter 2001, 48 f. und Mittag 2006, 285 mit Anm. 10 für wahrscheinlich; Gladiatoren werden von Mann 2009, 276 f. für wahrscheinlich gehalten; vgl. auch Günther 1989, 250–252.
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Gliederung und Botschaften 5 000 nach röm. Vorbild Bewaffnete
5 000 Mysier
3 000 Kilikier
1 000 berittene hetairoi
1 000 berittene ›Freunde‹
1 000 ›Auserwählte‹
800 Knaben
1 000 Rinder
300 Kultschiffe
3 000 Thraker
5 000 Galater
20 000 Makedonen mit goldenen Schilden
5 000 Makedonen mit ehernen Schilden
? Makedonen mit silbernen Schilden
480 monomachoi
1 000 nisäische Reiter
1 000 agema
1 500 Panzerreiter
100 Streitwagen mit 6 Pferden
40 Streitwagen mit 4 Pferden
1 Streitwagen mit 4 (?) Elefanten
1 Streitwagen mit 2 Elefanten
36 Elefanten
800 Elefantenzähne
Abbilder aller Gottheiten und Helden
Nacht, Tag, Erde, Himmel, Morgenröte, Mittag
1 000 Sklaven des Dionysos mit goldenen Objekten
Sklaven des König mit 600 goldenen Objekten
200 Frauen versprengen Duftöl
80 Frauen in Säften mit goldenen Füßen
ten im östlichen Mittelmeer immer wieder als überlegen erwiesen und der Seleukide scheint der einzige hellenistische König gewesen zu sein, der daraus die Konsequenz zog und die militärisch überlegenen Waffengattungen kopierte. Unter den übrigen Waffengattungen befanden sich weitere, lediglich den Seleukiden zur Verfügung stehende Einheiten wie die Kataphrakten, schwer gepanzerte Reiter, denen die Römer nichts Vergleichbares entgegenzusetzen hatten. Den Abschluss bildete – gewiss als Höhepunkt gedacht – die damals größte Anzahl an Kriegselefanten. Der zivile bzw. religiöse Teil der pompē ist nur punktuell und ausschnitthaft überliefert – daher wird hier auf eine Durchnummerierung verzichtet. Angesichts der bewussten Inszenierung des militärischen Umzuges darf aber sicher von einer nicht minder ausgeklügelten Inszenierung des zivilen Umzuges ausgegangen werden. Allerdings ist völlig unklar, ob die genannten Abteilungen in der korrekten Reihenfolge beschrieben werden, so dass sich die Inszenierung nur in ganz groben Zügen erahnen lässt. Ähnlich wie bei der alexandrinischen pompē Tageszeiten den Beginn und das Ende markierten, werden
3 000 politikoi
500 Frauen in Sänften mit silbernen Füßen
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auch hier – wenn auch abweichende – Tageszeiten erwähnt,51 wobei sich eine Vermehrung und deutlichere kosmologische Hinweise feststellen lassen (Nacht, Tag, Erde, Himmel, Morgenröte und Mittag). Das gilt auch für die gezeigten Götter, denn Antiochos IV. präsentierte alle(!) bekannten Gottheiten, Dämonen und Heroen,52 wobei allerdings wohl nur griechisch-makedonische gemeint sind. Das öffnet die Tore für Spekulationen sehr weit, denn unter diesen befanden sich sicher nicht nur die olympischen Götter, sondern wahrscheinlich auch Alexander und die inzwischen vergöttlichten Mitglieder der seleukidischen Dynastie. Ob Apollon besonders hervorgehoben war, lässt sich nicht sagen, auch wenn dessen Priester explizit einen Teil der Prozession bestritt53 – ähnlich wie der Dionysos-Priester in Alexandreia. Zwischen dem militärischen und dem zivilen Teil wurden in Daphne viel sichtbarer als in Alexandreia ca. 1 000 Rinder, die als Opfer gedacht waren, platziert. Das Opfer, zu dem wohl auch die angereisten 300 Festgesandtschaften ihren Beitrag geleistet haben, nimmt hier also einen viel prominenteren Platz ein als in der Beschreibung der ptolemäischen pompē.54 Sollte die Platzierung am Beginn des zivilen Umzuges korrekt sein, könnte damit bewusst eine Scharnierfunktion des Beitrages auch der auswärtigen Gäste zwischen militärischem und zivil-religiösem Teil geschaffen worden sein. Das gezeigte militärische Potential sollte nicht gegen die durch Festgesandtschaften vertretenen Gemeinwesen gewendet werden, sondern sie hatten daran Anteil und konnten sich Schutz erhoffen. Oder anders ausgedrückt: Die Stärke des Königs sicherte die Freiheit der griechischen poleis und dessen Reichtümer kamen den Festteilnehmern spätestens beim gemeinsamen Mahl friedlich zugute.55 Militärische Stärke garantierte letztlich ähnlich wie in Alexandreia Freiheit und Frieden der griechischen poleis.
51 Athenaios 5.195b. 52 Athenaios 5.195a. 53 Athenaios 5.195b. 54 Athenaios 5.194c (= Polybios 30.25.1). 55 Walbank 1996, 128 interpretiert die Eingliederung der 300 theoroi an dieser Stelle
als Versicherung des Königs ihnen gegenüber, dass seine anstehende anabasis auch in ihrem Interesse sei. Die Prozession wurde zuweilen explizit als Vorstufe der anabasis gedeutet: Bar-Kochva 1989, 470 und Gera 1998, 217.
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Ähnlich wie in Alexandreia hatten die Bewohner der seleukidischen Hauptstadt auch in Daphne zum einen Anteil an den anschließenden Banketten56 und zum anderen bereits während der Prozession sicher an dem versprengten Duftöl,57 wohl aber auch an weiteren Attraktionen.
Zielsetzung Die politische Landschaft hatte sich im Jahr 166 v. Chr. gegenüber 274 v. Chr. deutlich verändert. Nun ging es nicht mehr primär um die Frage, wer die Freiheit der griechischen poleis gegen die Machtansprüche anderer hellenistischer Könige garantierte, sondern wer ggf. den Römern Paroli bieten konnte. Diese hatten zwei Jahre zuvor mit den Antigoniden eines der drei großen hellenistischen Königreiche aufgelöst und kurz darauf die Ptolemäer vor der Vernichtung durch die Seleukiden im letzten Augenblick bewahrt.58 Aus diesen Veränderungen heraus erklären sich vielleicht einige der signifikanten Unterschiede zur ptolemäischen pompē. Auf verschiedene Weise sollte offenbar die besondere Stärke der seleukidischen Armee verdeutlicht werden.59 Die Tatsache, dass dieser Teil des gesamten Umzuges von Polybios besonders ausführlich dargestellt wurde, könnte dessen Eindrücklichkeit widerspiegeln. Von besonderer Bedeutung war die Präsentation von Truppengattungen, die entweder von römischen Einheiten inspiriert waren oder diese übertrafen. Hier wurde bewusst der Vergleich mit Rom und den verbliebenen hellenistischen Herrschern gesucht, die nichts Vergleichbares besaßen. Hiermit präsentierte sich Antiochos IV. als potentieller Hegemon der Griechen – in gewisser Weise auch als potentieller 56 Athenaios 5.195c-d. 57 Athenaios 5.195c. 58 Zum sogenannten »Tag von Eleusis«: Polybios 29.27.1–8, Livius 45.12.3–8, Dio-
dor 31.2.1–2, Iustinus 34.3.1–4, Appian, Syriaka 66 (350–1), Cicero, Philippica 8.23, Velleius Paterculus 1.10.1–2, Valerius Maximus 6.4.3, Plutarch, Moralia 202 f.-203a, Porphyrios Fragmente der griechischen Historiker 260 F 50, Plinius, Naturalis Historia 34.24 (mit der Gesandtschaft des Cn. Octavius verwechselt), Zonaras 9.25. 59 Erskine 2013, 44 vermutet, die Eingliederung von militärischen Einheiten, die aus Kleinasien stammten, mache einen besonderen Bezug zu den Attaliden deutlich. Zum Problem dieser Gattungen s. auch Mittag 2006, 289 f.
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Gegenpart zu Rom im östlichen Mittelmeer. Auch wenn der anschließende zivile Teil nur in wenigen Details bekannt ist, so zeigen diese doch eine Prachtentfaltung, die zwar anscheinend hinter der Ptolemaios’ II. zurückblieb, aber im Jahr 166 v. Chr. sicher ihresgleichen suchte. Die Wirkung der pompē bzw. der gesamten Feierlichkeiten dürfte somit grundsätzlich ähnlich gewesen sein wie die der ptolemäischen pompē, auch wenn Polybios bemüht ist, bei seiner Darstellung jeden positiven Eindruck durch Hinweise auf unangemessenes Verhalten des Königs in Frage zu stellen60 und die seleukidischen Feiern im Gegensatz zu den ptolemäischen keine Ableger in der griechischen Welt gefunden zu haben scheinen.
Fazit Die beiden hier behandelten königlichen Prozessionen bestanden im Kern jeweils aus einem militärischen und einem zivil-religiösen Teil. Beide gemeinsam sollten die Verfügungsgewalt des Königs über herausragende militärische, finanzielle und technische Ressourcen ebenso demonstrieren wie seinen Herrschaftsanspruch als Mitglied einer göttlichen Familie und seine Verehrung der griechisch-makedonischen Götter. Ergänzt wurde dieser Anspruch in Alexandreia zudem um den der Alexandernachfolge – oder doch zumindest Alexandernähe. In beiden Fällen stilisierte sich der Herrscher gegenüber der hauptstädtischen Bevölkerung als potenter und freigiebiger Landesvater, gegenüber der griechischen oikumene als sich anbietender Hegemon, der die vor allem auf Freiheit abzielenden Interessen der griechischen poleis zu wahren vorgab. So erklärt sich auch die Tatsache, dass keine der beiden Prozessionen direkt und konkret Bezug auf ein historisches Ereignis nahm, obwohl dies in beiden Fällen möglich gewesen wäre. So hätte Antiochos IV. beispielsweise auf seine beiden erfolgreichen Feldzüge gegen die Ptolemäer verweisen und die von dort mitgebrachte Beute präsentieren können. Aber genau das war nicht Sinn und Zweck der Veranstaltung und insofern ist auch der Vergleich des Polybios zwi60 Athenaios 5.195d-f.
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schen den Siegesfeierlichkeiten des Aemilius Paullus und der Prozession des Antiochos IV., der in der Forschung zu mancher Fehldeutung geführt hat, nur bedingt tragfähig. Der Römer hatte anlässlich der von ihm nach griechischem Vorbild veranstalteten Spiele seinen Sieg im dritten Makedonischen Krieg gefeiert.61 Aber nicht die Siegesfeier als Siegesfeier versuchte Antiochos IV. zu übertreffen, sondern er wollte der Tatsache entgegentreten, dass nun erstmals ein Römer ein zutiefst griechisches Medium der Selbstdarstellung genutzt hatte, um die griechische oikumene zu beeindrucken. Antiochos IV. wollte und musste zeigen, dass es nach wie vor neben den Römern potente griechisch-makedonische Akteure auf dieser Bühne gab. Vor diesem Hintergrund macht die Präsentation römischer Truppengattungen nochmals besonderen Sinn. Siege (und adventus) wurden von hellenistischen Königen offenbar anders gefeiert.62 Hierzu nutzte man allem Anschein nach nicht die große Bühne der regelmäßig stattfindenden ›internationalen‹ Feste. Da über diese anderen Feiern aber keine ergiebigen Informationen vorliegen, sind wir hier auf noch größere Spekulationen angewiesen als die, die ich hier formuliert habe.
Literatur Bar-Kochva 1989 = B. Bar-Kochva, Judas Maccabaeus. The Jewish Struggle against the Seleucids, Cambridge Brungmann/von Steuben (Hgg.) 1995 = K. Bringmann / H. von Steuben (Hgg.), Schenkungen hellenistischer Herrscher an griechische Städte und Heiligtümer, Teil I, Zeugnisse und Kommentare, Berlin 61 Livius 45.32.8–11; siehe zuletzt Erskine 2013, 50 f. 62 Die Informationen über andere Feste sind noch dürftiger als die fragmentarischen
Informationen zu den hier behandelten beiden pompai. Vergleichsweise gut sind die Belege für das jährlich am Geburtstag des Königs gefeierte Fest, die basíleia (in Alexandreia und der chóra gefeiert: Inscriptiones Graecae II/III 3,1,3779; Supplementum epigraphicum Graecum XXVII 1114; Papyrus Halensis I, 260–265; vgl. Papyrus Cairo Zenon IV 59707, 16; s. etwa Huß 2001, 323 f.); zu den seleukidischen Festen s. 2 Makkabäerbuch 6.7; zu den Arsinoeia: Papyrus Oxyrhynchus XXVII 2465; Schorn 2001, 219 f.; Pfeiffer 2008, 72. Der am besten dokumentierte adventus eines hellenistischen Königs fand 246 v. Chr. in Antiocheia statt, doch wurde hier nicht der seleukidische König, sondern der Bruder der Königin, Ptolemaios III., begrüßt (Papyrus Gurob = Fragmente der griechischen Historiker 160 = Papyrus Petri II 45 und III 144 = Mitteis-Wilcken, Chrestomathie, Nr. 1; Holleaux 1906. Eine neue Edition legte Piejko 1990 vor).
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PROZESSIONEN AUS DER TIEFE DER ZEIT Das Leichenbegängnis des römischen Adels – Rückblick
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eine Kultur kann bestehen, ohne über eine ›Vergangenheit‹ zu verfügen. Um diese Verfügung zu bezeichnen, eignet sich der Begriff des ›kulturellen Gedächtnisses‹ vorzüglich. Daß dieses ›Gedächtnis‹ nichts zu tun hat mit der Vorstellung eines im Unbewußten verankerten ›kollektiven Gedächtnisses‹, ist selbstverständlich; auch kann es nicht analog zum individuellen Gedächtnis konzipiert werden.1 Die Verfahren der Vergegenwärtigung von Vergangenem, die Medien zur Speicherung von Wissen über Vergangenes, sowie die Praktiken der Sinnverleihung an Vergangenes, sind grundsätzlich andersartig als beim individuellen Gedächtnis. Im Modus des ›kulturellen Gedächtnis‹ vollziehen sich ›Erinnerungen‹ an Vorgänge, die von den Akteuren nie erlebt wurden, daher gar nicht ›erinnert‹ werden können, falls man vom individuellen Gedächtnis ausgeht.2 In diesem Aufsatz geht es um eine besondere Dimension des kulturellen Gedächtnisses in Rom. Es geht um politisch relevante ›Erinnerungen‹ im öffentlichen Raum. Das Augenmerk richtet sich auf ein eigentümliches Ritual,3 mit welchem aristokratische Familien ein 1 Halbwachs 1985 u. 1992. 2 Yerushalmi 1988. 3 Mein methodisches Vorgehen stützt sich auf Assmanns Unterscheidung zwischen
ritueller und textueller Kohärenz (Assmann 1992, 87–103).
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fixiertes Wissen von der tatsächlichen oder imaginierten Vergangenheit reaktualisierten und substantiell wie semantisch stabil zu halten suchten – im Rahmen einer spezifischen Choreographie mittels spezifischer medialer Elemente.
Das Haus und die Masken Die Häuser vornehmer Römer besaßen einen Innenhof, Atrium genannt. Dort empfing der Patron seine Klienten; diese warteten im Innenhof, bis sie an die Reihe kamen. Sie bekamen eine Menge zu sehen. Denn im Atrium standen verschließbare Schreine, welche die Ahnenbilder des Geschlechts enthielten. Auf jedem Schrein befand sich eine Aufschrift, die den Namen, die Laufbahn und besondere Leistungen des Dargestellten verzeichnete – ob er es nur bis zum Aedil gebracht hatte, ob er Consul gewesen war, Censor oder Triumphator. Solche konzisen Angaben über Laufbahn und Taten nannten die Römer titulus. Im Alltag blieben die Schreine verschlossen; nur die tituli waren zu lesen.4 An familialen oder öffentlichen Festtagen öffneten die Familien ihre Schreine; nun waren die imagines zu sehen, und man schmückte sie.5 Die Klienten, die morgens zur salutatio ihres Patrons erschienen, konnten bequem, während sie auf die Audienz warteten, die Ahnenserie ihres Patrons auswendig lernen. War der Patron ein homo novus – also ohne senatorische Vorfahren –, dann stand im Atrium kein einziger Schrein;6 war er hingegen ein Valerier oder Cornelier, dann war das Atrium voller imagines. Das symbolische Kapital der verschiedenen Geschlechter unterschied sich also dramatisch; und hier im Atrium war es akkumuliert und zu betrachten. Beachten wir die politische Wertigkeit des architektonischen Codes: Das Haus vornehmer Römer teilte sich in zwei politisch ungleichwertige Sphären; das Atrium, zugänglich für Klienten und Besucher, versehen mit den Schreinen der Ahnen, war geschieden von den Innenräumen, und nur dort verehrte man die Laren des Hauses. Diese Anlage war also ganz anders strukturiert als griechische Häuser, die sich als Ganzes als radikal privater Raum scharf abgrenzten 4 Dupont 1987, 170. 5 Siehe dazu: Cicero, Pro Murena 88 u. Pro Sulla 88. 6 Allerdings konnten erfolgreiche Senatoren ohne senatorische Vorfahren die Ahnenbilder ihrer Frau ausstellen.
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gegen den öffentlichen. Damit nicht genug: Auf einer großen Tafel am Eingang waren alle diese Ahnen in chronologischer Ordnung abgebildet; sie waren mit Linien untereinander verbunden, welche die Abfolge der Generationen angaben. Die Tafel zeigte also ein Stemma, einen komplexen Stammbaum, in welchem die ältesten Ahnen oben platziert waren, die jüngsten unten. Das Stemma strukturierte das in Schreinen gespeicherte Maskenarchiv der Familie.7 Am Stemma lasen die Besucher ab, welchen chronologischen und genealogischen Platz ein bestimmter Schrein mit seiner Maske einnahm.8 Daß diese Ahnentafel an den Pfosten der Eingangstüre angebracht war, ist kein Zufall, sondern ergänzt die Symbolik des architektonischen Codes. Denn das Tor – ianua – nimmt etymologisch und symbolisch Bezug auf den Gott der verfließenden Zeit, auf den zweigesichtigen Ianus, der sowohl auf die Vergangenheit blickt als auch in die Zukunft schaut. Die Bewegung der Zeit, über welche dieser Gott wacht, visualisiert sich in einem stillgestellten Bild, das die Abfolge der Generationen darstellt, freilich reduziert auf die männliche Vorfahren, obschon nicht immer in patrilinearer Sukzession. Jedenfalls stellt sich ein Ahn nach dem anderen unter seinen Vorfahr; und so fixiert die graphische Ordnung der absteigenden Linie die verflossene Zeit in lauter Gesichtern mit dazugehörigen Namen. Nun gab es ein Ritual, in welchem sich das symbolische Kapital in den öffentlichen Raum ergoß. Die Masken einer gens gingen buchstäblich auf die Straße, nämlich bei der pompa funebris. Darüber berichtet uns Polybios, der als Geisel einige Jahrzehnte in Rom weilte und als Augenzeuge viele solcher Ereignisse miterlebte, und der als gebildeter Grieche über ethnologischen Sachverstand verfügte, sowie über ein ausgezeichnetes begriffliches Instrumentarium, um in Worte zu fassen, was er sah: »Bei öffentlichen Festen öffnen sie die Schreine und schmücken die Bilder mit Sorgfalt, und wenn ein angesehener Verwandter stirbt, nehmen sie sie im Trauerzug mit, indem sie sie Leuten aufsetzen, die den Toten an Größe und Erscheinung möglichst ähnlich sehen. Diese ziehen die entsprechenden Gewänder an, wenn der Verstorbene Consul oder Praetor war, eine Toga mit Purpursaum, wenn er Zensor 7 Zinserling, 1959; Bettini 1992, 143.
8 Über den Ort der Stemmata: Seneca, De Beneficiis III, 28.2 u. Plinius, Naturalis Historia, XXXV, 6.
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war, eine Toga ganz aus Purpur, wenn er aber sogar einen Triumph gefeiert hatte oder dergleichen vollbracht hatte, eine goldbestickte Toga. Sie fahren alle auf Wagen, vorangetragen aber werden ihnen Rutenbündel, Beile und die übrigen Amts-Insignien, je nachdem worauf ein jeder zu Lebzeiten in Staatsämtern Anspruch hatte. Wenn sie aber bei den Rostra angelangt sind, nehmen sie alle in einer Reihe auf kurulischen Stühlen Platz. Es gibt schwerlich ein schöneres Beispiel für einen jungen Mann, der sich für den Ruhm und das Gute begeistert. Denn die Bilder der wegen ihrer Trefflichkeit hochgerühmten Männer dort alle versammelt zu sehen, wie wenn sie noch lebten und beseelt wären, wen soll das nicht beeindrucken? Welcher Anblick könnte schöner sein als dieser? – Übrigens, wenn der Redner mit dem Lob des Mannes, der begraben werden soll, fertig ist, spricht er von den übrigen Toten, die anwesend sind, indem er bei dem Ältesten anfängt, und nennt ihre Erfolge und Taten. Da so der Ruf der Trefflichkeit tüchtiger Männer stets erneuert wird, ist der Ruhm derer, die eine edle Tat vollbracht haben, unsterblich, zugleich aber wird der Ruhm derer, die dem Vaterland gute Dienste geleistet haben, der Menge bekannt und den Nachkommen weitergegeben. Was aber das wichtigste ist, die jungen Männer werden dazu angespornt, für das Allgemeinwohl alles zu ertragen, um nämlich ebenfalls des Ruhmes, der verdienten Männern folgt, teilhaftig zu werden.«9 Es geht um die senatorischen Familien, nicht um andere. Deren Trauerzug führte nicht vom Haus auf dem kürzesten Weg zum Grab außerhalb der Stadt. Ganz im Gegenteil; der Leichenzug führte auf genau bezeichneten Straßen zum Herzen der Stadt, aufs Forum. Und dieser Leichenzug enthielt ein sonderbares Segment, nämlich die hintereinander aufgereihten Ahnen der Familie. Die im Atrium aufgestellten Ahnenmasken wurden nun von Schauspielern getragen, wobei jeder Ahn seine Amtstracht trug, je nachdem ob er Triumphator gewesen war, ob er Zensor, Konsul, Prätor oder Ädil gewesen war; und vor jedem Ahn ging die ihm zustehende Anzahl von Liktoren mit den Rutenbündeln. Diese Ahnenparade war chronologisch aufgebaut; sie konnte bei ruhmreichen Familien einen Kilometer lang sein; sie war aufwendig. Nach den Ahnen kam die Bahre mit dem Toten. Hinter der Bahre die Verwandten, die Freunde, die Klienten und wer sich dem Toten oder seiner Familie 9 Polybios VI, 53.1–54.3. Ich übernehme die Übersetzung von Kierdorf 1980, 1 f.
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verbunden fühlte. Auf dem Forum angekommen nahmen die Ahnen auf kurulischen Stühlen Platz, in einer Reihe vor der Rednertribüne. Dann hielt ein naher Verwandter des Verstorbenen eine Lobrede auf den Toten; und danach rühmte er die Ahnen, einen nach dem anderen, in chronologischer Reihenfolge. Erst nach dieser Leichenrede bewegte sich der Trauerzug – ohne die Ahnen – hinaus aus der Stadt zum Grab. Dieses Ritual war einzigartig in allen Mittelmeerkulturen. Es ist seit etwa 30 Jahren sehr intensiv beforscht worden. Und es liegen nun akzeptable Ergebnisse vor. Ich skizziere nun lediglich diejenigen Landmarken, die sich mir als die maßgeblichen darstellen. Vorausschicken möchte ich, daß erst eine Wende zur Kulturgeschichte des Politischen die Neugier für die zivischen Rituale geweckt hat. Wir verdanken diese Wende in hohem Maße Claude Nicolet und Paul Veyne, die beide 1976 Landmarken setzten. 1985 hat die Latinistin Florence Dupont in einem prägnanten Aufsatz die Frage nach dem Zusammenhang von Maske und Erinnerung gestellt. Ihr Aufsatz versucht eine radikal strukturalistische Analyse des Verhältnisses von Toten und Lebenden, von Maske und Schrift und gesprochenem Wort. Ein Jahr später folgte Maurizio Bettini mit einer eingehenden Untersuchung;10 und darin verbindet Bettini das Stemma im Atrium mit dem Zug der Ahnen. Bettini betont stärker als seine Vorgänger, daß hier in intensiver Weise die genealogische Zeit dargestellt werde; die Tiefe der Vergangenheit, auf die eine Verwandtschaftsgruppe zurückblicken kann. Und er unterstrich, daß dieser Modus familialer Erinnerung beträchtlich dazu beiträgt, die familial segmentierte römische Aristokratie auf der normativen Ebene zusammenzuhalten. Seit diesen beiden Publikationen lag es in der Luft, daß nun zur pompa funebris eine neue Synthese kommen müsse. 1993 versuchte ich eine neue Annäherung, indem ich eine radikal semiotische Analyse des von Polybios beschriebenen Leichenbegängnisses vornahm. Dabei fiel mir auf, daß Bettini ein Fehler unterlaufen war: Er war davon ausgegangen, daß sämtliche männlichen Mitglieder einer Familie ein Ahnenbildnis erhielten; und dann ist natürlich das Stemma ein vollständiges genealogisches Verzeichnis in patrilinearer Dimension. Aber die Voraussetzung trifft nicht zu: sehr viele Söhne aus den senatorischen Familien erreichten nie ein kurulisches Amt, weil sie die Wahlen zu häufig verloren. Anders gesagt: Bettinis Überlegungen mußten neu 10 Bettini 1992 (italienisch 1986).
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überdacht werden, unter der Prämisse, daß die Ahnenbildnisse jeder Familie das Resultat einer politischen Selektion sind, die Verlierer sind allesamt nicht dabei. Damit waren für mich zwei Konsequenzen fällig: 1. Bettinis genealogische Kette ist keine biologisch garantierte Deszendenzlinie, sondern eine Reihe von einzelnen erfolgreichen Ahnen, zwischen denen aber verschwundene Verlierer liegen; und somit wird die enorme Konkurrenz um die Ämter plötzlich in der Ahnenserie sichtbar. 2. Dadurch verändert sich radikal die Zeitsemantik. Denn nun visualisiert der Ahnenzug nicht mehr die genealogische Zeit, welche die Nachfahren mit ihren familialen Vorfahren verbindet; das war die apolitische Interpretation Bettinis. Sondern nun macht das Ritual die Tiefe der historischen Zeit augenfällig, einer Zeit, die sich zwar mit Hilfe einiger familialer Elemente darstellt, aber die wesentlich eine Vergangenheit der Res publica ist. Denn die Selektion dieser Ahnen vollziehen institutionelle Mechanismen der Res publica; und die Amtsabzeichen, die sie tragen, haben sie von der Res publica erhalten. Nachdem ich diese beiden Thesen formuliert hatte machte ich mich daran, das Ritual radikaler als Bettini und Dupont zu lesen als Text, also es einer strukturalistischen Analyse zu unterziehen, und den Quasitext in seine syntagmatische und seine paradigmatische Dimensionen zu zerlegen. Diese semiotische Analyse habe ich 1995 vorgelegt. Ein Jahr später erschien das beeindruckende Buch von Harriet Flower, Ancestor Masks. Die amerikanische Forscherin hat allerdings eine Ritualanalyse im strengen Sinne vermieden. Wenn es um die politische Semiotik des Rituals geht, darf ich daher bei meinem Ansatz bleiben.
Das Tableau der Prozessionen. Skizze einer strukturalen Analyse Die großen römischen Feiern enthielten meist eine pompa, eine Prozession; so eröffnete eine pompa circensis die ›Spiele‹ im Zirkus, und die pompa funebris geleitete den Verstorbenen zur Bestattung. Es gab noch eine andere Prozessionsart in Rom, nämlich die supplicationes, Bitt- und Dankumzüge, zu denen der Senat bei außerordentlichen
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Anlässen aufrief. Davon unterschieden sich die drei großen pompae deutlich; sie bildeten zusammen ein Tableau, das sich nach den Prinzipien der strukturalen Semiotik darstellen lässt: pompa funebris:
1) Ahnenbildnisse
2) Bahre mit dem Toten
3) Trauernde
pompa circensis:
1) Männl. Jugend
2) Auftretende + Musiker
3) Götter
pompa triumphalis:
1) Beute
2) Triumphator
3) Heer
Die Zusammensetzung einer pompa war standardisiert. Die Sequenz der Segmente lässt sich als syntagmatische Kette, als Syntagma, lesen. Aus neun unterschiedlichen Segmenten ergaben sich drei syntagmatische, horizontale, Ketten und drei paradigmatische, senkrechte, Spalten. Um eine pompa semiotisch zu analysieren, hat man zuvorderst auf die Oppositionen zu achten, welche sich in dieser rituellen Klassematik ergeben.11 Zunächst zur syntagmatischen Anordnung: Die Abfolge der Segmente war unveränderbar. Die geringsten Variationen ließ die pompa funebris zu, die meisten die pompa circensis. Beim Leichenzug und beim Triumphzug fungierte jeweils das erste Segment als Indikator des Prestiges. Dieses erste Segment konnte die senatorische Familie, welche den Zug veranstaltete, nur in begrenztem Maße verändern; denn in beiden Fällen stand die jeweilige Obergrenze fest: Eine trauernde Familie besaß eine präzise Anzahl von Ahnenbildnissen, und sie konnte in der Ahnenparade maximal alle davon vorweisen; desgleichen vermochte ein Triumphator nicht mehr Beute zu zeigen, als er tatsächlich gemacht hatte. Hingegen indizierte in der pompa circensis das zweite und das dritte Segment, wie sehr der Spielgeber sich anstrengte, Prestige zu erwerben; niemand limitierte seine Prachtentfaltung, es sei denn, seine eigene finanzielle Situation.12 So boten diese drei Prozessionstypen drei unterschiedliche zeremonielle Ordnungen 11 Dazu: Happ 1985, vor allem S. 36 ff., 72 ff. u. 94 ff.; Barthes 1988, 168–180 u.
187–198. 12 Zur pompa circensis: Dionysios von Halikarnassos, Antiquitates Romanae VII, 72.
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mit festgelegten Elementen, die teilweise auch im anderen Prozessionstyp auftauchten, teilweise aber nicht transferierbar waren. Zu diesen visuellen Merkmalen der Choreographie treten die akkustischen; diese verstärken und vermehren die Differenzen. Völlig andere akustische Signale begleiteten die jeweilige pompa. Der Triumph wurde eingeleitet durch das Geschmettere der Kriegstrompeten, und dann war das Geklirre der erbeuteten Waffen zu hören, sowie die jubelnden Zurufen der Bürger. Bei der pompa circensis erklangen Flöten und die Rhythmik der Waffentänze. Ein völlig anderer Klang begleitete die pompa funebris: Schaurige Töne aus schweren Blasinstrumenten, die an der Spitze des Zuges geführt wurden, mahnten die Lebenden, dem Toten respektvoll auszuweichen. Die drei unterschiedlichen Geräuscharten tauchten die Stadt jeweils in eine gänzlich andere akustische Atmosphäre. Prozessionen haben einen örtlichen Beginn und ein örtliches Ziel mit Zwischenstationen. Jede dieser drei pompae hat einen anderen Bezug zur politischen und sakralen Topographie der Stadt Rom. Dabei ist besonders zu beachten das Kapitol, die Stadtgrenze, das Forum und der Circus Maximus. Alle drei Prozessionen durchquerten den städtischen Raum in konträren Richtungen: Die pompa triumphalis endete dort, wo die pompa circensis ihren Ausgangspunkt nahm, nämlich beim Kapitol; d. h. diese beiden Prozessionen bewegten sich somit gegensinnig. Während der Leichenzug und der Triumphzug die Stadtgrenze überschritten, verließ die pompa circensis nicht die Stadt, sondern führte zum Circus Maximus. Bei ›Spielen‹ war die pompa circensis nicht das rituell wichtigste Element, weil die maßgeblichen Inszenierungen im Circus stattfanden, also nach der pompa. Anders beim Leichenbegängnis und beim Triumphzug; hier war die Bürgerschaft in die anschließenden Inszenierungen nur in geringem Maße einbezogen; deshalb waren die Prozessionen selbst der politische Höhepunkt der Festivität.13 Folglich besaß im jeweiligen rituellen Zusammenhang die pompa circensis die geringste politische Intensität. Daher wohl wird sie selten erwähnt. Im Hinblick auf die Überschreitung der Stadtgrenze ergab sich ein neuer Kontrast, nämlich derjenige von hinein/ hinaus: Die pompa tri13 Zur Einlagerung der Prozessionen in den urbanem Raum siehe auch Döbler 1999,
95–106. Das Verhältnis von Partizipation und ›Zusehen‹ des politischen Kollektivs findet sich ausgezeichnet erörtert bei Dupont 1988, 14 ff.
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umphalis führte durch ein Tor in die Stadt hinein; die pompa funebris führte – nach der Versammlung der Ahnen auf dem Forum – aus der Stadt hinaus zum Grab. Die Struktur dieser Oppositionen generiert zwar nicht die Bedeutungen; aber ohne diese Oppositionen hätten sich spezifische Bedeutungen schwerlich so eindrücklich ritualisieren lassen. Politische Semasiologie ist daher auf elementare Semiotik angewiesen.14 Die pompa funebris ist die einzige Prozession, die in zwei verschiedene Teile auseinanderfiel: Im ersten Teil führten die Ahnen den Leichenzug zum Forum, wo der politische Höhepunkt der Feier stattfand. Darauf folgte der zweite Teil, nämlich die Prozession zum Begräbnisort; und hierbei fehlten die Ahnen; stattdessen führte die Bahre des Verstorbenen den Zug an. Dieser Teil des Rituals endete im Höhepunkt der Bestattung, meistens in der Entfachung des Scheiterhaufens. Alle drei pompae differierten hinsichtlich ihrer memorialpraktischen Ausrichtung: Die pompa circensis rief ein – oft weit – zurückliegendes historisches Ereignis ins Gedächtnis, welches zur Stiftung der Spiele geführt hatte; in der Regel war dies entweder ein kriegerischer Sieg oder ein innenpolitisches Ereignes, das den Zusammenhalt der Gemeinschaft berührt hatte; daher war ihr erstes Element zukunftsweisend, denn die Jugend verbürgte die Fortexistenz der Res publica. Hingegen bezog sich die pompa triumphalis auf einen rezenten Krieg, welcher die politische Gemeinschaft aktuell außenpolitisch tangierte; darin ähnelte sie den supplicationes, welche hier außer Betracht bleiben. Die pompa funebris hingegen thematisierte kein Ereignis, sondern präsentierte die vergangenen politischen Leistungen einer gens. Ihr erstes Element ist daher vergangenheitsbezogen. Einerseits standen diese Prozessionen in einem differentiellen Verhältnis zueinander wie unterschiedliche syntagmatische Ketten. Anderseits stand jede pompa funebris in einem differentiellen Verhältnis zu allen anderen Leichenzügen, jede pompa triumphalis zu allen anderen Triumphzügen. Jede einzelne Prozession wetteiferte mit ihresgleichen; dabei kommen die paradigmatischen Spalten ins Blickfeld; denn die Wahrnehmung der Römer richtete sich auch auf die Variationen in den einzelnen Segmenten. Segmente sind gleichartig, daher vergleichbar; aber sie waren nicht gleichwertig: jede pompa fu14 Barthes 1979, 52–73. Gegen die Ontologisierung des strukturalen Modells wendet
sich Eco 1991, 361–436 mit durchschlagenden Argumenten.
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nebris konkurrierte mit anderen Leichenzügen und desgleichen jeder Triumphzug mit anderen Triumphzügen. Der Triumphzug des Aemilius Paullus 167 v. Chr. übertraf alle vorangehenden durch das erste Segment – die Parade der Beute. Ein Leichenzug der Valerier übertraf einen der Iulier bei weitem durch das erste Segment – die Serie der Ahnen. Wenn Zeichenträger fehlten, dann hatte dies etwas zu bedeuten: Als im Jahre 189 v. Chr. Acilius Glabrio seinen Sieg in der Schlacht bei den Thermopylen über König Antiochos III. mit einem Triumph feierte, fehlte ein komplettes Segment im Triumphzug, denn hinter dem Wagen des Triumphators zog das siegreiche Heer nicht in Rom ein, weil Lucius Scipio es übernommen hatte, um den Krieg weiterzuführen. Zwar beteuert Livius, der Triumph sei großartig gewesen, und zählt die Beutestücke auf. Doch jeder zusehende Römer nahm wahr, dass dieser Triumph keine Heimkehr inszenierte; das Ritual führte allen vor Augen, dass der Sieg des Triumphators den Krieg nicht beendet hatte.15
Analyse der pompa funebris In diesem Ritual spielt die Kopräsenz von trauernder gens, Klienten und Freunden und der zuschauenden Bürgerschaft eine wichtige Rolle. Zu beachten ist, daß in dieser Form von Interaktion bestimmte Aktivitäten das Partizipieren in anderer Hinsicht erschweren: Wer sich in den Leichenzug einreihte, um dem Toten Ehre zu erweisen, konnte den agmen imaginum nicht mehr sehen. Sobald der Zug der Trauernden sich auf dem Forum vor der Rednerbühne aufstellte, bekamen sie zwar die Ahnen zu sehen, aber nicht mehr als Teil der Prozession, sondern als Sitzfiguren, die in einer oder zwei Reihen auf Stühlen vor der Bühne saßen. Nun läßt sich die pompa funebris selber in den Blick nehmen. Ich interpretiere sie zunächst mit semiotischem Instrumentarium als handele sich um einen Text. Halten wir dessen signifikante Züge fest:16 15 Livius, Ab urbe condita, XXXVII, 46.2–6. 16 Eco 1991 u. Kreinath 2006. Zum Text als Modell siehe: Ricoeur 1986. Die Stu-
die von Flower 1996 enthält keine systematische semiotische Analyse dieses Rituals. Dazu: Flaig 2001 und ders. 2003, 49–98, siehe nun auch: Walter 2004, 84–109.
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1. Die Ahnenreihe visualisierte die politische Hierarchie. Die Ränge und der Status der Ahnen gaben sich genau zu erkennen – an Amtstracht und abgestufter Anzahl der Lictoren, die jeden Ahnen begleiteten. Über den bloßen Konsularen standen die Censoren; und die Triumphatoren überragten alle anderen. Der hierarchische Aufbau war nicht nur im Diesseits gültig und notwendig; die Hierarchie galt über den Tod hinaus und ordnete die erinnerungswürdigen Toten. 2. Mit dem Tod war die Diskontinuität in die Familie eingebrochen. Dagegen beschwor das Ritual die familiäre Kontinuität. Obendrein bestätigten die Ahnen, wie integrationsfähig die politische Ordnung war, indem sie deren zeitliche Verlängerbarkeit eindrucksvoll vor Augen führten. Allerdings nahmen sie den Verstorbenen nicht in ihre Mitte, sondern sie wiesen ihm seinen Platz ganz hinten an: Seine Bahre trennte die nachfolgende Prozession der Lebenden von den vorangehenden Vorfahren. Dieser Platz blieb hinfort immer derselbe. 3. Wie die Prozession erfolgreiche Ahnen vorzeigte, so verwies sie auf jene Vorfahren, die nicht vorzeigbar waren, weil sie erfolglos geblieben waren. Junge Adlige wussten, dass nur ein Teil der Vorfahren vorbeidefilierte, dass eine stattliche Quote von Männern es nicht bis zu einem kurulischen Amt geschafft hatte und in der Vergessenheit versunken war. 4. Das Prestige eines Adelsgeschlechtes, einer gens, war ablesbar an der pompa funebris. Man brauchte bloß zu zählen: zwei Triumphatoren, fünf Censoren, sieben zweifache Consuln, zwölf einfache Consuln, 20 Praetoren – wenn eine gens diese Zahlen ins Feld führte, dann signalisierte sie, dass sie weit vorne lag im unaufhörlichen Kampf um familiales Prestige. Allerdings registrierte das mitzählende römische Volk den Rückstand zu den ganz großen gentes, zu den Valeriern, Corneliern, Fabiern, Claudiern und Aemiliern. Nun ist bei einem rangklassenmäßig stratifizierten Adel das Abzählen schwierig; ein Triumphator könnte mehrere Consuln ›aufgewogen‹ haben. Wahrscheinlich war zunächst die Anzahl der Triumphatoren, dann die der Censoren maßgeblich. Einige Triumphatoren mögen die anderen an Prestige weit übertroffen haben. Aber das Ritual homogenisierte diese Ungleichheit, genau wie das Rangsystem die Leistungsdifferenzen zwar nicht einebnete, aber doch kommensurabel machte.
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Die einzelne Familie hatte nicht oft Gelegenheit, ein Leichenbegängnis zu veranstalten. Trotzdem fanden Leichenbegängnisse mit Prozession der Ahnenbilder in Rom unablässig statt, weil es in der Gesamtheit der vornehmen Familien während eines Jahres genügend Todesfälle gab. Jede Ahnenserie, die bei einem solchen Anlass vorbeidefilierte, konkurrierte jedoch mit sämtlichen abwesenden Serien. Somit aktualisierte die jeweilige Prozession stets die Signifikanz der anderen Serien. Die Leichenbegängnisse waren die Momente eines unablässigen Wettkampfes, in dem das symbolische Kapital einer Familie zum Vergleich mit demjenigen der anderen aristokratischen Familien antrat. Ich benutze diesen Begriff, welcher in der Soziologie von Pierre Bourdieu eine wichtige Rolle spielt, in einem leicht modifizierten Sinne. Er bezeichnet denjenigen Vorteil einer bestimmten Gruppe oder Person vor einer anderen, der weder ökonomischer noch direkt politischer Qualität ist und die Sphäre des Anerkanntseins berührt.17 Nach Bourdieu kann sich das symbolische Kapital von Gruppen oder Personen nur dann reproduzieren, wenn es immer wieder eingesetzt wird: Dieser Einsatz ist mit kulturell spezifischen Risiken verbunden; das symbolische Kapital kann also verloren gehen. Die Ahnenserie des römischen Adels geht jedoch den einzelnen Zweigen der Familie nicht mehr verloren. Das liegt daran, daß die römische Kultur einen großen Teil der sozialen Autorität nicht dem wechselnden Auf und Ab von Prestigewinn und Prestigeverlust überließ, sondern ihn streng formalisierte, kodierte, registrierte – und in Form der Ahnenmasken sogar tradierte. Der Terminus bezeichnet in meiner Untersuchung also streng genommen das ›geronnene‹ symbolische Kapital: zwar hatten die Familien dieses immer wieder ›vorzuzeigen‹; doch es blieb auch erfolglosen Familien erhalten. Bei der Analyse der politischen Kultur der römischen Republik ist es daher angebracht, zwei Sorten von symbolischem Kapital einer Familie anzunehmen: zum einen das aktuale Ansehen einer gens, welcher sich ihrem momentanen Erfolg verdankte, zum anderen ihr geronnenes Prestige, welches ihr ununterbrochen zur Verfügung stand. Das Leichenbegängnis kontrastierte scharf den Totenkult einerseits und die rituelle Demonstration des eigenen symbolischen Kapitals. Die Ahnenserie im Leichenzug war kein vollständiges Inventar der biologischen Ahnen, sondern eine Minderheit der biologischen 17 Siehe: Bourdieu 1987, 215, 235 f. u. 255 ff.
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Vorfahren, ausgewählt nach Kriterien, die für alle senatorischen Familien galten. Die erfolglosen Vorfahren schieden aus der politischen Erinnerung aus; sie hörten ganz einfach auf, öffentlich zu existieren. Allerdings behielten sie ihren Platz im familialen Ahnenkult. Gewiß, Totenfeiern sind grundsätzlich Inszenierungen von sozialen Gruppen und dienen zuvorderst dem Gruppenzusammenhalt; das rituelle Gedenken an den Toten ist stets sozial instrumentalisiert. Doch die römische Kultur instrumentalisierte die Toten mit ungehemmter Explizitheit. Denn das Leichenbegängnis diente keineswegs der Verherrlichung des Toten, sondern dazu, das Prestige der Familie vor Augen zu führen.18
Der inszenierte Gedächtnisraum Die obige semiotische Analyse der pompa funebris hat aufgewiesen, wie der römische Adel familiales Prestige maß und welche Rolle das symbolische Kapital auf dem Feld der Konkurrenz um Ämter spielte. Doch der Aufmarsch der Ahnen leistete weit mehr. Er bot die eindrucksvollste Inszenierung der politischen Erinnerung in Rom.19 Das wird ersichtlich, wenn man die zeitlichen Aspekte des agmen imaginum genauer betrachtet: 1. Nicht der Rang bestimmte die Reihenfolge der Ahnen in der Prozession, sondern die Chronologie: der älteste Ahn führte den Zug an, die Bahre des zu bestattenden Toten schloss ihn ab.20 Die imago des Verstorbenen wurde nach der Bestattung in einem Schrein im Atrium verwahrt; beim nächsten Leichenbegängnis nahm diese imago den letzten Platz in der Prozession der imagines ein, unmittelbar vor der Bahre des soeben Verstorbenen. 2. Die Prozession der imagines beim Leichenzug und die Ahnentafel im Atrium wuchsen also analog nach hinten bzw. nach unten. Die chronologische Abfolge der maiores – der Vorfahren – wurde in die räumliche Dimension übersetzt.
18 Latte 1960, 100. 19 Die Wichtigkeit dieser Dimension würdigt Hölkeskamp 2004. 20 Bettini 1992, 146.
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3. Der politische Status jedes einzelnen Ahnen war endgültig, und sein chronologischer Stellenwert war unverrückbar. Deswegen war der Ahnenzug fast identisch wiederholbar. Er veränderte sich bloß insoweit, als immer wieder eine einzelne Maske sich hinten in den Zug einreihte. Ordnete man die imagines nach Rängen, dann hätte sich die Sukzession der Ahnen und damit der Aufbau der pompa jedesmal leicht verändert. Indes, die Ahnenparade sollte sich noch viele Male genau auf dieselbe Weise wiederholen; was ein aktuell lebender hauptstädtischer Römer bei der Ahnenprozession einer bestimmten Familie zu sehen bekam, das war unverändert auch von seinem Urenkel so zu sehen; Variationen ergaben sich lediglich, wenn die Veranstalter kognatische Ahnenserien wegließen. Die chronologische Reihung der Ahnen choreographierte, wie die gens sich in die Tiefe der Zeit hinein verlängerte. Die pompa funebris szenographierte feierlich die Ewigkeit der römischen Ordnung. 4. Die identische Wiederholung erhöhte die Einprägsamkeit der entscheidenden ›Botschaften‹ des Rituals. 5. Wie die Ahnen einer gens in chronologischer Reihenfolge vorbeidefilierten, so ging die Leichenrede – die laudatio – die Ahnen der Reihe nach durch und ließ ihre Taten Revue passieren.21 Die chronologische Ordnung der Prozession wiederholte sich in der chronologischen Ordnung der laudatio. Nacheinander rühmte die Leichenrede die politisch erfolgreichen Ahnen, pries ihre Taten, verwies auf sie als Vorbilder. Die gesamte Zuschauerschaft, ob adlig oder nichtadlig, frischte bei der pompa funebris eines prestigereichen Geschlechtes nicht nur das eigene Wissen über Namen und Taten auf, sondern memorierte deren zeitliche Abfolge. 6. Die Abfolge der Ahnen im agmen imaginum entsprach nur einer relativen Chronologie. Sie bot keinen Anhaltspunkt für das ›absolute‹ Alter der ersten und der späteren maiores. Erst die Verweise auf den Kalender und auf signifikante Ereignisse in der Leichenrede setzten die Ahnen auf eine genaue Stelle der römischen Zeitachse. 7. Die Vergangenheit war keine abstrakt bleibende verstrichene Zeit, sie materialisierte sich sichtbar in der Vielfalt der imagines, deren 21 Zum Aufbau der laudatio funebris siehe Kierdorf 1980, 71 ff.
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Namen verknüpft waren mit Daten und Taten. Im Bild einer Sukzession von imagines, nach Geschlechtern geordnet, brachte sich die zeitliche Tiefendimension sinnfällig zum Ausdruck. So lieferte die Prozession der Ahnen die Matrix für das historische Wissen in Rom. Die pompa funebris inszenierte einen kollektiven Erinnerungsraum, in den einzutreten hieß, historisches Wissen zu erwerben oder aufzufrischen. Um ein genealogisches Gedächtnis zu entfalten, brauchte man nicht selbst imagines zu besitzen; man musste nur die imagines bestimmter gentes gut kennen. Das beim Leichenbegängnis ausgebreitete historische Wissen war zwar genealogisch gerastert, aber es überstieg bei weitem ein bloß genealogisches Gedächtnis: Es nahm Bezug auf die Genealogie anderer Familien, zum einen deswegen, weil man die eigenen Vorfahren nicht chronologisch platzieren konnte, ohne auf den Kalender und auf die Consul-Listen zu verweisen, zum anderen, weil die Taten der eigenen Vorfahren immer Taten für das ganze römische Volk waren.
Kein ›floating gap‹. Linearität und Gedächtnisraum Die pompa funebris ist das semiotisch aufwendigste und szenographisch wichtigste kommemorative Ereignis der römischen Kultur. Sie rememorierte und fixierte die römische Vergangenheit. Sie führte Ahnen vor, die über eine lange Zeitstrecke verteilt waren, die vom ersten politisch erfolgreichen Ahn bis in die jüngste Vergangenheit reichte. Die Höhepunkte lagen nicht am Anfang und nicht am Ende, sondern bei den Triumphatoren und Censoren. Die Prozession der Ahnen machte die zeitliche Tiefe als lineare Aufeinanderfolge diskreter Momente mit präzisem zeitlichen Index in den Raum projizierbar. Die pompa funebris leistete zusammen mit der laudatio eine sonderbare Verräumlichung von Zeit: diese Zeit verläuft linear von der Königszeit bis zur Gegenwart; sie kennt überhaupt keine Zyklik. Innerhalb einer linear verlaufenden Vergangenheit wurde Rom gegründet, erfolgte die römische Selbstbehauptung, entfalteten sich die römischen Einrichtungen bis zur jüngsten Vergangenheit. Manche Forscher meinen, die Römer hätten die Taten und Geschehnisse, die Res gestae, »zunächst einmal vor allem im privaten
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Bereich, in den gentes, erinnert«, wobei »solche Erinnerung in Ahnenruhm, Grab und Kult ihren wichtigsten Ort gehabt« hätte.22 Die dabei vorausgesetzte Unterscheidung von ›privat‹ und ›öffentlich‹ dürfte für die römische Gesellschaft nicht taugen. Fragt man nach den sozialen Funktionen und funktionalen Grenzen der unterschiedlichen Register des Gedenkens, entsteht ein anderes Bild. Denn was heißt ›Kult‹ in diesem Kontext? Der Totenkult scheidet weitgehend aus: Erstens waren in ihm politisch relevante Erinnerungen entweder von Anfang an irrelevant oder sie wurden es spätestens ab dem Augenblick, wo der Tote von seiner Position als sechster Vorfahr durch einen nachrückenden Ahn verdrängt wurde und in der Anonymität der maiores verschwand.23 Zweitens fand im Grab eine ausschließlich familiale Erinnerung statt; die Sarkophag-Aufschriften waren nicht öffentlich zu lesen. Sie lehnten sich an die tituli auf den Schreinen im Atrium an, und waren über sie verbunden mit den jeweiligen Abschnitten bei der laudatio funebris. Trotzdem vollzog sich politisch relevante Erinnerung im Rahmen des Kultes, jedoch nicht am Grab, sondern bei den großen Feiern – regulär oder zu bestimmten Anlässen – mit den dazugehörigen ›Spielen‹. Das waren keine privaten Veranstaltungen, sondern die öffentlichen Ereignisse schlechthin. Der Rahmen politischer Erinnerung ist damit per se ein außerfamilialer. Das Atrium als wichtigster Ort des ständig präsenten Ahnenruhms war kein innerfamilialer Raum. Und die pompa funebris als das wichtigste Ritual des Ahnenruhms war ein Ritual für die Öffentlichkeit. Erst diese beiden Elemente machen erklärbar, wie die gentilizischen Erinnerungen sich – von Anfang an – nach kollektiven Regeln organisierten und so die geeignetsten Träger für gemeinschaftliche Traditionen wurden. Aber kann man Besonderheiten einer mündlichen Erinnerungskultur im römischen Arrangement der Leichenbegängnisse wiederfinden? Harriet Flower hat versucht, die in der pompa funebris vollzogene Erinnerungspraxis analog zur ›oral history‹ zu konzipieren. Sie nimmt an, dass in der pompa funebris die ältesten Ahnen und die neu-
22 So: Timpe 1988, 285. Zwar fährt er fort: »(solche Erinnerung) … muß aber auch
mit Orten, Relikten, allgemeinen politischen Ereignissen und nicht zuletzt mit dem parallelen Erinnerungswissen anderer Familien verquickt und verbunden gedacht werden.« Doch diese Verquickung thematisiert Timpe nicht. 23 Bömer 1943, Toynbee 1971, Kierdorf 1991.
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esten Leistungen besonders betont wurden.24 Alles spricht gegen diese Annahme. Zwar musste die trauernde Familie Schwerpunkte setzen, aber das konnte sie bei der Zusammenstellung der Ahnenprozession nicht tun, es sei denn, sie ließ einzelne Ahnen weg. Anders war es bei der Rede zum Lob der Ahnen. Hier musste man selektieren, denn die Zeitspanne, um einen Ahn verbal zu würdigen, konnte nicht proportional zum Zeitsegment sein, innerhalb dessen ein Vorfahr an einem Zuschauer vorbeiging. Die gentes mit langen Ahnenserien mussten sich genau überlegen, wo sie bei der laudatio funebris Schwerpunkte setzten. Dabei privilegierten sie weder die besonders ›alten‹ Ahnen noch die ›neueren‹ Erfolge. Ganz im Gegenteil: Die Münzmeister der republikanischen Zeit, welche auf Taten ihrer Vorfahren aufmerksam machen wollten, bezogen sich in über zwei Drittel aller Fälle auf Vorfahren, die in die Zeit nach etwa 366 v. Chr. gehörten.25 Also war es für die Familien dieser Münzmeister nicht wichtig, einen möglichst weit zurückliegenden Vorfahren zu zitieren; vielmehr bemühten sie sich, bestimmte große Erfolge ihrer Ahnen herauszustreichen. Doch solche markanten Ereignisse waren in der Regel weder besonders alt noch besonders neu. Sie waren notwendigerweise über die Zeitachse verstreut. Vereinzelt tauchten auf den Münzen mythische Vorfahren auf, die älter als die Republik waren. Aber dieses Phänomen gehört in einen anderen Kontext. Die Versuche, der eigenen Familie eine mythische Genealogie zu geben und Ahnen zu ersinnen, die weiter zurück lagen als der erste senatorische Vorfahr, stammten fast alle von relativ erfolglosen Familien. Das ist kein Zufall. Ein jüngeres Geschlecht war einem älteren sichtlich überlegen, wenn es mehr Ahnen vorzuweisen hatte; so besaßen die plebejischen Licinier zu Anfang des 1. Jahrhunderts v. Chr. einen weiten Vorsprung vor den patrizischen, aber lange Zeit notorisch erfolglosen Iuliern. Gerade diese relative Erfolglosigkeit zwang die Iulier dazu, neuen genealogischen Formen akzeptablen Kurswert zu verschaffen, indem sie versuchten, sich eine mythische Genealogie zu geben. Ahnenstolze Familien wie die Claudier und Valerier verschmähten solche billigen Tricks. Die Erfolglosen trachteten danach, die Regeln der Generierung von symbolischem Kapital zu 24 Flower 1996, 113: »Emphasis was laid on the antiquity of the family and on its
most recent achievements.« 25 Wikander 1993.
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ihren Gunsten zu verändern. Das gelang ihnen nicht. Keine pompa funebris der republikanischen Zeit enthielt jemals einen Vorfahren, der nicht römischer Magistrat gewesen war. Das bedeutet, im tatsächlich anerkannten symbolischen Kapital einer Familie spielten die ältesten Ahnen keine besondere Rolle. Es kam auf den Glanz ihrer Taten an, nicht auf ihr Alter. Welche Leistung oder Person markant ist und welche nicht, hängt nicht an der Person und dem Ereignis selbst. Prominenz wird sozial produziert. Die trauernde aristokratische Familie mochte gewiss bemüht sein, ihre weniger hervorragenden Ahnen nicht in Vergessenheit fallen zu lassen; indes, sie musste dem Bedürfnis der Bürgerschaft entgegenkommen, sich an eminenten Daten zu orientieren. Diese Bürgerschaft war der Adressat des Rituals; sie musste ihr Gedächtnis ökonomisch einrichten und merkte sich diejenigen Daten besser, die sie mit herausragenden Geschehnissen verband. Das gedächtnismäßige Selektieren hing ab von der Signifikanz der Daten. Je signifikanter ein Ereignis für das Volk war, desto einprägsamer war ein zitierter Name, der zum Ereignis gehörte. Die laudatio funebris sollte markante Eckdaten feierlich aufrufen und im individuellen Gedächtnis der Bürger reaktivieren. Die getreue Wiederholung dieser Eckdaten waren in den Ohren der römischen Bürger vordringlich. Daher brauchte man die laudatio funebris nicht rhetorisch auszuschmücken. Die kunstlosen, katalogartig aufgebauten Aufzählungen im Ahnenlob erzielten beim Publikum eine Wirkung, die vor allem memorialer Natur war. Die Grenzen eines Kulturbegriffs, der sich vorwiegend an der Materialität der Zeichenträger orientiert, werden damit offensichtlich. Ahnenmasken waren aus einfachem Wachs gefertigt und haben sich nirgendwo erhalten, dagegen sind von den Ehrenstatuen, die in Rom allerorten standen, einige übrig geblieben. Letztere erscheinen dem modernen Forscher als wichtige Elemente der Memorialkultur; und das ist nicht falsch. Dennoch war die Ahnenmaske mit höherer Signifikanz aufgeladen als die Statue. Bei politischen Auseinandersetzungen beschwor man stets die imagines, kaum oder nie die Statuen.26 Achtet man auf die Besonderheit der Kommunikationsräume, verwundert das nicht: Ehrenstatuen schufen zusätzliche Distinktionen zwischen aristokratischen Personen im öffentlichen Raum, aber sie wurden niemals Gegenstand einer rituell gesteuerten kollekti26 Flower 1996, 60 ff.
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ven Aufmerksamkeit. Anders die Masken. Eingebettet in rituelle Veranstaltungen,27 übten sie eine weit größere symbolische Wirkung aus als jene. Die Bedeutsamkeit jener öffentlich aufgestellter Statuen besonders geehrter Senatoren hing just an dem Wissen, das die vorbeigetragenen Masken aktualisierten. Das wird deutlicher, wenn man die intermedialen Verweisungen beachtet: Das römische Volk, welches auf dem Forum die laudatio funebris einer großen gens anhörte, bekam einzelne herausragende Ahnen doppelt zu sehen; einerseits sah es deren Ehrenstatuen irgendwo auf dem großen Platz – vielleicht sogar direkt hinter der Rednerbühne –, anderseits saß derselbe Vorfahr allen sichtbar – als personifiziert erschienener Maskenträger – unter der Rednerbühne und hörte der löblichen Rede zu, in welcher auch an seine Taten erinnert wurde. So wie im Atrium der Vorfahr doppelt präsent war, als gemaltes Bild auf dem Stammbaum am Eingang und als dem Blick entzogene Maske in einem Schrein, dessen titulus ihn lediglich grob charakterisierte, so waren bei diesem festlichen Akt auf dem Forum die hervorragendsten Ahnen auf doppelte Weise anwesend: in quasi lebendigem, beweglichen Zustand und in unbeweglichem, steinernen Zustand. Wir müssen daraus schließen, daß die Aufmerksamkeit der römischen Plebs für die Statuen ihrer großen Senatoren eine erheblich intensivere war als griechische Bürgerschaften sie jemals für ihre Ehrenstatuen aufbringen konnten. Schlugen die einzelnen gentes unterschiedliche Wege zum Forum und vom Forum zur Grabstätte ein? Da die einzelnen senatorischen Familien verstreut über die Stadt wohnten, konnten die pompae funebres nicht denselben Weg nehmen; zumindest bis in die Nähe des Forums waren die Wege der Prozessionen unterschiedlich. Nun waren die Tempel und die wichtigen Monumente nicht gleichmäßig über das städtische Areal verteilt. Die sakrale und politische Topographie privilegierte manche Stadtteile. Daher ist anzunehmen, daß sämtliche gentes bemüht waren, den Weg ihrer pompae so zu legen, daß der Leichenzug schnell an diejenigen Stellen gelangte, wo die Monumente dichter standen und die Straßen breiter angelegt waren, so daß mehr
27 Dazu: Flaig 1999. Zum Gebrauch von ›Werken‹: Veyne 1992, 70–73. Jegliche
Topographie enthält eine mehr oder minder stark gepflegte ›Gedächtnislandschaft‹ (Maurice Halbwachs); überall wimmelt es von ›lieux de mémoires‹ (Pierre Nora), selbstverständlich auch im urbanen Raum Roms (dazu: Hölkeskamp 2001). Siehe auch: Lahusen 1985.
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Zuschauer den Zug betrachten konnten. Auf diese Weise streifte die pompa einzelne Monumente, die sich auf bestimmte Leistungen der trauernden gens bezogen. Sehr alte und berühmte Geschlechter waren so in der Lage, selektierte Stationen in der sakralen und politischen Topographie der Stadt abzuschreiten, um bestimmte Gedächtnisorte anzulaufen, welche für die betreffende Familie besonders ruhmvoll waren. Karl-Joachim Hölkeskamp hat die Wirkung des Zusammenspiels verdeutlicht, welches die Prozessionen mit den Monumenten eingingen, die sich entlang der Prozessionswege aufreihten. Es bewirkte, daß die stadtrömischen Bürger die vielen Statuen, mit denen Rom vollgestopft war, viel besser identifizieren konnten als wir bisher vermutet hatten. Anders gesagt: Die Statuen in Rom waren viel ›sprechender‹ als anderswo, weil diese Statuen von Augen gesehen wurden, die bei jeder pompa funebris die betreffenden Masken sahen und die Taten der Dargestellten zu hören bekamen. Das berührt umgekehrt die politische Topographie Roms. Die politische Funktion der bildlichen Monumente28 wird sinnfällig, wenn man die Ahnenprozessionen als den entscheidenden Vektor der römischen Memorialpraxis in die Überlegungen einbezieht: Nicht nur die Ehrenstatuen sprachen in Rom viel vernehmlicher als in einer hellenischen Polis, sondern jene große Menge an Gebäuden, die an Siege oder Ereignisse erinnerten und stets mit Namen verknüpft waren, waren viel leichter auf einer temporalen Achse zu verorten, weil die Rezipienten auf ein Wissen zurückgreifen konnten, welches immer wieder aufgefrischt wurde.29 Daher ist die Frage, wann und wie die römische Historiographie aufkam, für die Analyse der römischen Memorialkultur zunächst nebensächlich. Denn eine Gesellschaft mit einer solchen pompa funebris braucht keine Historiographie. Noch im des 3. Jhs. hatten die meisten Römer die Chance, zumindest einigen wichtigen pompae funebres beizuwohnen. Gewiß, im Laufe des 3. Jhs. v. Chr. dürfte die Ausdehnung des römischen Siedlungsgebietes in Italien kulturelle Veränderungen mit sich gebracht haben, welche auch die Memorialpraktiken nicht unberührt ließen. Sobald der Großteil der Bürger in einer solchen räumlichen Entfernung von Rom lebte, daß er kaum 28 Dazu: Hölscher 1978 u. 1980, 2001 und 2006; Walter 2004, 131–195. 29 Dazu: Hölkeskamp 2001.
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noch einer pompa funebris beiwohnen konnte, dann entstand ein erhöhter Bedarf an neuen Techniken und Modalitäten der Tradierung von politisch relevantem Wissen über die Vergangenheit. Das Aufkommen der Historiographie mag hier ihren Ort haben. Es wäre nun zu erwarten, daß die Emergenz dieses neuen Mediums zu signifikanten Veränderungen auch in der Gestaltung der pompa funebris führten; doch wahrscheinlich ist dieser intermediale Druck gering gewesen.30 Er mag sogar erlaubt haben, die spezifische Memorierung von Vergangenem in der laudatio funebris vorsätzlich archaisch und elementar zu gestalten. Jene Memorialpraktiken, die in schriftlosen Kulturen vorherrschen und ›oral history‹ genannt werden, funktionieren radikal anders. Dort kommt Ereignissen oder Personen, die ›ganz alt‹ sind, eine besondere Bedeutung zu; ferner werden Geschehnisse beachtet, die noch in direkter mündlicher Weitergabe enthalten sind. Zwischen den ›Ursprüngen‹ und der unmittelbaren Vergangenheit klafft ein Loch – das so genannte ›floating gap‹ –, sofern nicht ein formiertes kulturelles Gedächtnis dem entgegenwirkt.31 Dieses Modell des ›floating gap‹ legt Flower für die in der pompa funebris ritualisierte römische Memorialpraxis zugrunde. Doch die römische Erinnerungskultur widersprach dem vollkommen. Sie setzte einen literalen Kontext voraus, allein schon deswegen, weil die Taten der Vorfahren schriftlich notiert waren, in Knappstform auf dem titulus. Andernfalls hätten die gentes darauf verzichtet, jene langen Abschnitte der Ahnenserie zwischen den ersten und den letzten imagines in der pompa funebris mitzuführen. Die pompa funebris funktionierte diesseits der ›oral history‹. Die römischen Bürger konnten in diesem Ritual eine szenographisch vergegenwärtigte Vergangenheit als serielle Sukzession von datierbaren Momenten erfahren, eine visualisierte Vergangenheit, homogenisiert und linear verlaufend. Keine andere Kultur des Altertums verfügte über etwas Vergleichbares.
30 Zu diesem Komplex sehr systematisch Walter 2004, 212–356. 31 Dazu: Assmann 1992, 48–56 u. 87–93.
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Vorbildhaftigkeit und exempla Im adligen Leichenbegängnis verschränkten sich Grundkonsens und Memorialpraxis: die vorbeidefilierenden Ahnen stellten eine Ansammlung von Vorbildern dar, welche mehr oder weniger bedeutsam waren für die gesamte Res publica. Untereinander rivalisierend, bestätigten die gentes ihren Grundkonsens über die zentralen Normen und bekräftigten deren Geltung für die ganze herrschende Klasse. Jede senatorische pompa funebris betonte visuell, dass die römische Aristokratie eine Normengemeinschaft war.32 An den Ahnenbildern bekundeten sich die familialen Qualitäten, welche auf dieselbe Weise, aber vielleicht mit anderen Akzenten auch bei anderen Familien auftauchten. Jeder Ahnenzug verwies auf die Ahnenserien der anderen Familien; die sichtbaren imagines setzten sich in Beziehung zu den abwesenden; und alle zusammen ergaben ein fast vollständiges Verzeichnis sämtlicher vorbildhafter Römer. Aus diesem ständig anwachsenden Repertoire von erinnerten Personen entnahmen die Römer den allergrößten Teil ihrer exempla. Die pompa funebris vergegenwärtigte und verfestigte ein beachtliches Wissen um die römische Vergangenheit. Immer wieder aktualisiert und rememoriert, diente dieses Wissen dazu, auf das adlige Verhalten Druck auszuüben, es normativ zu steuern. Politisches Handeln in Rom war prinzipiell auf den Konsens hin orientiert: auf den Konsens des einzelnen Adligen mit der gesamten Senatorenschaft und auf den Konsens des Senats mit dem Volk. Das berührte die Struktur dieses historischen Wissens ebenso wie seine politische Verwertung. Konsensorientierte Politik braucht viele unbestrittene und verbindliche Fixpunkte. In Rom waren das die exempla. Exemplum heißt hier: eine vorbildhafte und nachahmbare Handlung eines konkreten Individuums in einer bestimmten Situation, – manchmal auch ein Beispiel für ein schlechtes Verhalten, das man nicht nachahmen sollte. Exempla waren mit einem Namen verknüpft und trugen ein fixiertes Datum.33 Da man in den politischen Kontroversen mit exempla argu-
32 Daher tauchen in den erhaltenen Grabinschriften (elogia) dieselben Kerntugenden
auf wie in jenen Fragmenten von laudationes, die uns überliefert sind, z. B. die laudatio des L. Caecilius Metellus von 221 v. Chr. (bei Plinius, Naturalis Historia VII, 139 f.). Dazu: Kierdorf 1980, 10–21. 33 Dazu: Kornhardt 1936; Lumpe 1966. Man kann das römische exemplum als ei-
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mentierte, mussten diese verbindlich sein für den gesamten Adel. Was die Römer mos maiorum nannten – den ›Brauch der Vorfahren‹ – war im strengen Sinne nichts anderes als die durch Präzedenzfälle strukturierte Verbindlichkeit von sozialen Normen.34 Es darf nicht verwundern, dass bereits die ältesten literarischen Zeugnisse der römischen Kultur den mos maiorum beschworen, in demselben Sinne, wie noch Cicero und Kaiser Claudius dies später taten.35 Diese Verbindlichkeit war unverzichtbar. Indem alle auf dieselben exempla Bezug nahmen, war es fast ausgeschlossen, dass völlig entgegengesetzte politische Vorstellungen auftauchten. Das politische Bedürfnis nach exempla war entsprechend stark; und die pompa funebris antwortete darauf. Wenn beim Leichenbegängnis die Ahnen mit ihren Wachsmasken vorbeidefilierten, dann wandelten auch exempla durch Rom. Dieser kulturelle Kontext disponierte die Römer dazu, Verhalten an exempla zu messen, und beförderte Wahrnehmungsschemata, die auch außerpolitisches Verhalten mit exempelartiger Signifikanz belegten, die also Verhalten zu exemplarischem machten. Für die alltägliche politische Debatte benötigte man eine schmale Quote von exempla aus der stattlichen Menge von vorhandenen Ahnen. Um in politischen Kontroversen mit exempla zu argumentieren, mussten diese verbindlich sein. Der Unterschied zu Hellas ist fundamental; dort genügte es in der rhetorischen Praxis, sich auf mythische Beispiele zu berufen; freilich besaßen diese praktisch keinen Verbindlichkeitswert, denn der Mythos war flexibel und poetisch umgestaltbar.36 Erfanden Senatoren inmitten einer Debatte eigens exempla, um die eigene Position zu stärken, wären die Gegner ebenfalls dazu übergegangen, ihrerseits zu erfinden, was sie an exempla brauchten. Die Verbindlichkeit hätte sich geschwinde verflüchtigt; und eines der wichtigsten Instrumente senatorischer Argumentierkunst wäre damit unbrauchbar geworden. Als der Volkstribun Tiberius Gracchus 133 v. Chr. einen Kollegen von der Volksversammlung abwählen ließ, musste er hinterher diese unerhörte Tat, welche von keinem Präzedenzfall gedeckt war, in einer Rede vor dem Volke rechtfertigen; in
nen historischen Sonderfall von Kanonisierung im Sinne von Assmann 1992, 103 ff., auffassen. 34 Rech 1936; David 1980; David/Dondin 1980; Develin 1987; Mencacci 2001. 35 Dazu: Earl 1960, David 1992 u. ders. 1998. 36 Bethe 1935.
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großer Begründungsgsnot erging er sich in Analogien, doch unterließ er es füglich, ein exemplum zu erfinden. Aber bis wohin reichte die Geltung von unbestrittenen exempla? Das war nicht immer im Vorhinein klar. Als im Jahre 209 der Priester (flamen) des Jupiter, C. Valerius Flaccus, den Senat betrat und sich auf das alte Recht der Priester berief, Senatssitzungen beizuwohnen, führte ihn der Praetor P. Licinius aus dem Gebäude: Das Recht dürfe sich nicht auf Beispiele – exempla – stützen, welche zwar aus alten Jahrbüchern entnommen, aber inzwischen außer Brauch gekommen seien; denn weder zur Zeit der Väter noch der Großväter habe ein Jupiterpriester von diesem Recht Gebrauch gemacht. Der Praetor leugnete also nicht, dass exempla vorlagen. Doch er hielt einen älteren Brauch nicht per se für den besseren. Die Amtsvorgänger des Valerius Flaccus, hatten, von einem ehemals gültigen Brauch abweichend, selbst wiederum einen Brauch geschaffen, der zu respektieren war. Implizit setzte P. Licinius voraus, dass eine solche Abweichung einen Grund gehabt hatte; selbst wenn im Jahre 209 niemand sich mehr an diesen erinnerte, so musste es doch ein allgemein akzeptierter Grund gewesen sein. Der ausgesperrte Priester appellierte an die Volkstribunen. Diese entschieden, dass das Amt nicht deswegen ein Recht einbüßte, weil die Amtsinhaber es über einen langen Zeitraum nicht wahrnahmen; und sie führten den flamen in den Senat zurück, unter lautem Beifall des Volkes und unter Zustimmung der patrizischen Senatoren.37 Man stritt nicht nur über die Geltung von exempla, man stritt auch über deren Einordnung in die verschiedenen memorialen Rubriken. Es gab nämlich auch Beispiele für ›schlechtes‹ Verhalten, z. B. Coriolan. Auch solche Gestalten wurden erinnert, aber nicht als ›Vorbilder‹. Ob ein bestimmtes Handeln ›vorbildlich‹ wurde oder nicht, ergab sich gelegentlich erst durch schwere Auseinandersetzungen.38 War dieser Kampf um die Bewertung einer Handlung jedoch entschieden, dann wog ein ›exemplarisches‹ Handeln schwer. Denn hinfort konnte man es immer wieder zitieren und für eigene Zwecke verargumentieren.39
37 Livius, Ab urbe condita, XXVII, 8.8–10. 38 Hierher gehört der Kampf um die damnatio memoriae von umstrittenen Römern. 39 Hierzu: Bücher 2006.
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Und vergessen wir nicht, welche Auswirkung dieses Ritual auf das Verhältnis zwischen senatorischer Aristokratie und dem Volk von Rom idealiter haben sollte und oft auch realiter hatte. Die Beziehung zwischen Ritualsemantik und Normengeltung erheischte mehrere soziologisch implementierte Überlegungen. Untereinander rivalisierend, bestätigten die gentes ihren Grundkonsens über die zentralen Normen und bekräftigten deren Geltung für die ganze herrschende Klasse. Jede senatorische pompa funebris betonte visuell, dass die römische Aristokratie eine Normengemeinschaft war.40 An den Ahnenbildern bekundeten sich die familialen Qualitäten, welche auf dieselbe Weise, aber vielleicht mit anderen Akzenten auch bei anderen Familien auftauchten. Die Ahnenserien evozierten ein bestimmtes Wissen um Verhaltensmaßstäbe und Normen und sie dokumentierten, dass die Ahnen diesen Maßstäben gerecht wurden. Dieses Wissen stärkte das Vertrauen in die Dauerhaftigkeit der römischen Ordnung und stabilisierte die soziale Hierarchie. Ferner implementierte dieses Wissen den plebeischen Gehorsam. Denn es bestätigte den einfachen römischen Bürgern, dass die adligen Familien zur Gänze im Dienste der Res publica standen, dass der Adel wie eh und je sich den Normen der politischen Kommunikation unterwarf und seinem Ethos treu blieb. So half das Wissen mit, den einzigartigen Gehorsam der römischen nichtadligen Schichten auf Dauer zu stellen und die Adelsherrschaft zu stützen. Grundkonsens und Memorialpraxis verschränkten sich im adligen Leichenbegängnis.
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40 S. oben, Anm. 32.
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ZWISCHEN PARODIE UND PERVERSION Verkehrungen des Triumphes in der frühen Kaiserzeit
I
m Sommer des Jahres 40 wurden die Bewohner der Städte am Golf von Neapel Zeugen eines grandiosen Schauspiels: Die ansässige Bevölkerung und die Besucher aus Rom, die dort in ihren luxuriösen Villen Erholung vom hauptstädtischen Trubel suchten, konnten beobachten, wie im idyllischen Ambiente des ›glücklichen Kampanien‹ Lastschiffe aus ganz Italien zusammengezogen wurden, um sie zu einer etwa fünf Kilometer langen Brücke zusammenzufügen, die Bauli mit dem an der anderen Seite des Golfes liegenden Puteoli verband. Die Schiffe, die in zwei Reihen nebeneinander vor Anker lagen, wurden mit einer Erdschicht bedeckt, so daß die Konstruktion schließlich »der Via Appia glich«, wie Sueton es in seiner Biographie des Caligula formuliert.1 Dieser Kaiser war nämlich der Initiator jenes formidablen Bauprojekts, das in das vierte Jahr seiner Regierungszeit gehört. Der Historiker Cassius Dio liefert weitere Details zur Konstruktion der Brücke und erwähnt »Rastplätze und Unterkünfte«, die über »fließendes Trinkwasser« verfügt haben sollen.2 Das außergewöhnliche Bauwerk rief bereits bei den Zeitgenossen durchaus unterschiedliche Reaktionen hervor. Distanzierte 1 Sueton, Caligula 19, 1–3. Eine ausführliche Interpretation des Geschehenszusam-
menhangs findet sich bei Winterling 2003, 120–124. 2 Cassius Dio 59, 19, 3.
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Beobachter wie der jüngere Seneca kritisierten den Aufwand bei seiner Errichtung als »Spielerei« mit den Ressourcen des Reiches und monierten, daß die Zweckentfremdung so vieler Lastschiffe in Rom zu einer Hungersnot geführt habe.3 Sueton, der als Kind von seinem Großvater von der Geschichte hörte, beruft sich auf Zeitzeugen, die die Brücke über den Golf von Neapel voller Bewunderung mit der (weitaus kürzeren) des Xerxes über den Hellespont verglichen haben sollen.4
Abb. 1 Karte des Golfs von Neapel
Ob Caligula sich tatsächlich mit dem persischen Großkönig messen wollte oder ob es ihm darum ging, die feindlichen Germanen und Britannier mit »dem Riesenwerk« einzuschüchtern – wie andere Zeitgenossen vermuteten – wissen wir nicht. Wir wissen aber sehr wohl, wozu er das Bauwerk im Sommer des Jahres 40 konkret nutzte: Nach dem einhelligen Bericht der antiken Autoren zog Caligula nämlich an einem Tag von Bauli aus mit einer Menge bewaffneter Reiter und Fußtruppen über die Brücke nach Puteoli, drang in die Stadt ein, »so als sei er hinter einigen Feinden her«, hielt am nächsten Tag dort eine
3 Seneca, De brevitate vitae 18, 5: Dum ille pontes navibus iungit et viribus imperi
ludit, aderat ultimum malorum obsessis quoque, alimentorum egestas; exitio paene ac fame constitit et, quae famen sequitur, rerum omnium ruina furiosi et externi et infeliciter superbi regis imitatio. Vgl. auch Cassius Dio 59, 17, 2. 4 Sueton, Caligula 19, 3. S. dazu Edwards 1994, 87.
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Rast »wie nach einer Schlacht« und kehrte dann auf dem gleichen Weg nach Bauli zurück.5 Dabei interessieren für das hier verhandelte Thema vor allem die Details. Beginnen wir mit dem Outfit und der Ausstattung des Kaisers: Bei seiner ersten Überquerung des Golfs ritt Caligula auf einem »reich geschirrten Pferd«. Nach Sueton war er dabei in einen goldenen Reitermantel gekleidet. Cassius Dio berichtet, er habe den Brustpanzer Alexanders des Großen angelegt und darüber eine purpurne Chlamys aus Seide getragen, »die mit viel Gold und einer Menge kostbarer Steine aus Indien geziert war«. Bewaffnet war er mit Schwert und Schild und auf dem Kopf trug er einen Kranz aus Eichenlaub. Die Rückkehr nach Bauli soll Caligula – der an diesem Tag in eine goldbestickte Tunika gekleidet war – in einem Zweispänner zurückgelegt haben, der von berühmten Rennpferden gezogen wurde.6 Den Wagen des Kaisers habe »als Teil eines langen Zuges von Beutestücken« ein gewisser Dareius begleitet, ein Mitglied jener Gruppe von Angehörigen der parthischen Herrscherfamilie, die damals als Geiseln in Rom festgehalten wurden. Doch auch die restlichen Ko-Akteure, die Teil der Prozession zur Feier der triumphalen Überquerung des Meeres waren, sind hier von Interesse: Die antiken Autoren berichten von einer Abteilung der Prätorianergarde, von den Freunden und Gefährten des Caligula, die ebenfalls in Wagen fuhren und in »Blütengewänder« gekleidet waren sowie vom Heer und »dem restlichen Haufen«, von dem sich ein jeder nach seinem Geschmack herausgeputzt hatte.7 Am Abend des zweiten Tages hielt man auf der Brücke und auf den ringsum ankernden Booten ein üppiges Festmahl zur Feier der triumphalen Überquerung des Meeres ab, das für einige der Zuschauer am Strand allerdings auf tragische Weise endete: Caligula, so Cassius Dio, habe sie nämlich zu sich auf die Brücke eingeladen und sie dann plötzlich ins Meer werfen lassen. Einige von ihnen, die sich in ihrer Not an den Steuerrudern festhielten, ließ er mit Stangen und Rudern ins Meer zurückstoßen. Andere ließ er von Booten aus bekämpfen, die mit Rammspornen bewehrt waren.8 5 Sueton, Caligula 19, 2; Cassius Dio 59, 17, 4–5. 6 Sueton, Caligula 19, 2; Cassius Dio 59, 17, 3 und 5. 7 Sueton, Caligula 19, 2–3; Cassius Dio 59, 17, 5–6. 8 Sueton, Caligula 32, 1. Sueton ordnet diese Episode allgemein der Neigung des
Kaisers zur Grausamkeit zu, der er auch beim Spiel und bei den Mahlzeiten gefrönt haben soll: Animum quoque remittenti ludoque et epulis dedito eadem factorum dictorumque saevitia aderat. Saepe in conspectu prandentis vel comisantis seriae quae-
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Bei diesem letzten Akt handelt es sich offenbar um eine bizarre Parodie auf eine Naumachia, die auf eine Prozession folgte, die ihrerseits in zahlreichen Elementen einem Triumphzug ähnelte: Schließlich war der Kaiser bei seiner Rückkehr aus der ›Schlacht um Puteoli‹ in ein Triumphgewand gekleidet; er fuhr in einem Wagen, führte Beutestücke mit sich, wurde von Soldaten und Freunden begleitet und hielt abschließend ein Festmahl und Spiele ab. Andere Elemente der außergewöhnlichen Selbstdarstellung des Caligula wichen dagegen markant von der überkommenen Ritualtradition ab.9 Damit stellt sich die Frage, ob die Geschehnisse am Golf von Neapel als eine vom Kaiser absichtsvoll inszenierte Parodie des traditionellen Triumphrituals interpretiert werden können. Eine Beantwortung dieser Frage erfordert zunächst eine umfassende Kontextualisierung des Geschehens. Konkret heißt das, daß wir Caligulas spektakuläre Überquerung des Golfes einerseits in den konkreten Ereigniszusammenhang der Jahre 39 und 40 einordnen und sie andererseits zur Ritualtradition des republikanischen und kaiserzeitlichen Triumphes in Beziehung setzen müssen. Beginnen wir mit dem historischen Kontext: Die Chronisten berichten für das Jahr 38 von den Vorbereitungen eines großanlegten Feldzuges, der sich gegen rechtsrheinische Germanenstämme richten sollte, die in Gallien eingefallen waren. Im gesamten Reich wurden Legionen und Hilfstruppen zusammengezogen. Vorräte und Proviant in großer Menge wurden bereitgestellt. Bereits 39 brach Caligula dann nach Norden auf. Bei seiner Ankunft im November war es für einen Feldzug ins rechtsrheinische Gebiet allerdings zu spät. Den Winter verbrachte der Kaiser mit einer Reorganisation der Truppen und einigen kleineren militärischen Operationen, die offenbar durchaus erfolgreich waren. Cassius Dio berichtet, daß er sich in diesen
stiones per tormenta habebantur, miles decollandi artifex quibuscumque e custodia capita amputabat. Vgl. auch Cassius Dio 59, 17, 9–10. 9 Zur Ritualtradition des republikanischen Triumphes seien hier nur einige neuere Darstellungen genannt: Itgenshorst 2005; Bastien 2007, sowie Hölkeskamp 2008, 97– 104, sowie 110–112, 115, der »die dynamische Tendenz zur permanenten Steigerung der Opulenz« (110) und damit die Dehnbarkeit »der Spielräume und Grenzen der Selbstdarstellung« (116) hervorhebt, die den Triumph besonders geeignet erscheinen ließen, unter den gewandelten Umständen nun auch autokratische Ansprüche monarchischer Herrscher zu inszenieren.
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Monaten mehrfach zum Imperator ausrufen ließ.10 Im Januar 40 beschloß Caligula dann, den Germanenfeldzug zunächst aufzuschieben und sich statt dessen an einer Eroberung Britanniens zu versuchen – ein höchst prestigeträchtiges Unternehmen, das bei entsprechendem Erfolg durchaus zu einer Stabilisierung der Position des Kaisers hätte führen können. Sueton und Cassius Dio beschreiben den Ablauf dieser Aktion als ebenso ungewöhnlich wie bizarr. Der Kaiser habe das Heer an der Küste des Ozeans aufmarschieren und Schleuder- und Kriegsmaschinen auffahren lassen. Dann habe er eine Triere bestiegen und sei auf das Meer hinausgefahren. Wenig später sei er zurückgekehrt, habe den Soldaten das Losungswort gegeben »wie zur Schlacht« und ihnen dann überraschend befohlen, am Strand Muscheln zu sammeln. Das sei »die Kriegsbeute aus dem Ozean«, soll er ausgerufen haben, die man »dem Kapitol und dem Palatin« schulde. Am Ort des Geschehens sei dann ein hoher Leuchtturm als Siegesmal errichtet worden, und der Kaiser habe mit der Vorbereitung eines Triumphzuges begonnen. Für die Prozession in Rom habe er außer den Gefangenen und Überläufern »die größten Männer ganz Galliens« zusammentreiben lassen. Damit sie ihre Rolle als Ko-Akteure bei der Prozession in Rom überzeugend spielen konnten, habe er sie gezwungen, sich die Haare lang wachsen und rot färben zu lassen, barbarische Namen anzunehmen und die germanische Sprache zu lernen – die im Triumph vorgeführten Besiegten sollten sich von den Siegern also sowohl visuell als auch akustisch deutlich unterscheiden.11 10 Ein ausführlicher Bericht über diese Geschehnisse findet sich sowohl bei Sueton,
Caligula 43–45 als auch bei Cassius Dio 59, 21, 1–22, 2. Cassius Dio sieht die permanente Geldnot des Kaisers als wesentliches Motiv für dessen militärische Aktivitäten an: »Der Kaiser hatte nunmehr sozusagen alle Geldmittel in Rom, sowie im übrigen Italien, woher und auf welche Weise nur immer er sie beschaffen konnte, aufgebraucht, und keine weitere ergiebige und erschließbare Quelle war dort mehr auszumachen. Da ihn deshalb seine Ausgaben schwer drückten, machte er sich auf den Weg nach Gallien, wobei er zum Vorwand nahm, die feindlichen Germanen wollten Unruhe stiften, in Wirklichkeit aber war es seine Absicht, Gallien sowohl wie auch Iberien mit ihrem blühenden Wohlstand auszuplündern.« Eine kritische Interpretation der Quellenberichte zu den Ereignissen dieses Jahres findet sich bei Winterling 2003, 103–115. Winterling betont den Zusammenhang zwischen den Aktivitäten Caligulas und der Verschwörung in Rom, an der auch seine Schwestern beteiligt waren. 11 Sueton, Caligula 46–47; Cassius Dio 59, 25, 1–5. Zur Interpretation dieser Ereignisse s. die durchaus plausible Deutung von Balsdon 1934, 88–95, der vermutet, daß eine Meuterei der Truppen Caligulas Verhalten an der Kanalküste provoziert habe.
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Allerdings kamen diese ›falschen Germanen‹ in Rom niemals zum Einsatz, denn Caligula verzichtete schließlich auf die Durchführung seines Triumphzuges. Als er Ende Mai des Jahres 40 auf dem Rückmarsch war, ließ er durch Edikt verkünden, er kehre nur für »Ritterstand und Volk« zurück, »für den Senat werde er in Zukunft weder Bürger noch Kaiser sein«. Er untersagte es den Senatoren, ihm zur Begrüßung entgegenzukommen und verbot darüber hinaus, im Senat Anträge über »die ihm zu erweisenden Ehren« zu stellen. Senatoren, die diesem Verbot zuwiderhandelten, sollten mit dem Tode bestraft werden. Damit setzte Caligula konsequent ein generelles Verbot von Ehrungen seiner Person durch den Senat um, das er schon zuvor erlassen hatte. »Denn er wünschte ganz und gar nicht«, so begründet Cassius Dio diese Maßnahme, »daß irgend etwas, was ihm Ehre bringe, in den Händen der Senatoren liege; man könnte sonst glauben, sie seien stärker als er und in der Lage, ihm wie einem Niedrigerstehenden Gefälligkeiten zu erweisen.« Überhaupt, so Cassius Dio an anderer Stelle, sei Caligula nicht an einem Triumph der hergebrachten Art interessiert gewesen. Er habe es nicht »als eine große Leistung angesehen, sich von einem Pferd über das Festland ziehen zu lassen«, sondern vielmehr »irgendwie mit Pferden über das Meer fahren wollen«.12 Damit stellt Cassius Dio einen direkten Zusammenhang zwischen Caligulas Überquerung des Golfs von Neapel und einem Triumphzug der hergebrachten Art her. Vergewissern wir uns nun abschließend noch einmal der Einzelheiten und ordnen sie in den systematischen Kontext ein: Die symbolischen Bezüge zwischen den Ereignissen an der Kanalküste und der spektakulären Selbstdarstellung des Kaisers in Kampanien sind offensichtlich: Caligula demonstrierte dort seine Die Deutung von Caligulas Aufforderung an die Soldaten, am Strand Muschelschalen zu sammeln und als Beute nach Rom zu bringen, hat eine lebhafte Diskussion in der Forschung hervorgerufen, die Flory 1988 zusammenfaßt. S. dazu zuletzt auch noch Winterling 2003, 112–113. Zur ›Verkleidung‹ der beim Zug zu präsentierenden Gefangenen und zu ihrem Erlernen der germanischen Sprache s. Östenberg 2009. 12 Sueton, Caligula 48, 2–49, 2; Cassius Dio 59, 23, 2–4 (Verbot von Ehrungen) und 59, 17, 1 (Triumph). Winterling 2003, 117–119, sieht in dem Verbot der Verleihung von Ehrungen durch den Senat eine radikale Herauslösung des Kaisers aus der »traditionellen aristokratischen Rangordnung«. Caligula, so argumentiert er, habe damit deutlich gemacht, daß er die alten republikanischen Institutionen »zur Manifestation seiner sozialen Stellung« nicht mehr benötigte.
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Fähigkeit, ein Heer über das Meer zu führen und feierte diesen Erfolg mit einer aufwendigen Prozession. Im Gegensatz zu einem traditionellen Triumphzug beruhte der Zug über die Brücke von Puteoli nach Bauli allerdings nicht auf militärischen Leistungen, die in einem gerechten Krieg gegen die Feinde des römischen Volkes erbracht worden waren. Er wurde vom Kaiser demonstrativ ohne Beschluß und Zustimmung des Senats inszeniert und fand eben nicht in Rom, im Zentrum des Imperiums, auf Marsfeld, Forum und Kapitol statt. Seine Adressaten waren nicht die Bewohner von Rom, sondern diejenigen der Golfstädte sowie die Besitzer der dort gelegenen Luxusvillen. Den Wagen des Kaisers begleiteten nicht die Senatoren und das siegreiche Heer, sondern seine Leibgarde und seine Freunde, die eben nicht in die standesgemäßen Gewänder mit den üblichen Rangabzeichen, sondern vielmehr in Blütengewänder gekleidet waren. Statt der in Fesseln geschlagenen Fürsten der unterworfenen Völker führte man eine einzige Geisel vor. Man opferte nicht Iuppiter Optimus Maximus, sondern Neptun und ausgerechnet Invidia, der vergöttlichten Personifikation des Neides.13 Bei den anschließenden Spielen agierten anstelle von Schauspielern und Gladiatoren zunächst unbeteiligte Zuschauer, die dann in die Rolle von Ko-Akteuren der ganz besonderen Art gezwungen wurden. Ein Zwischenfazit könnte folgendermaßen lauten: Bei seiner Überquerung des Golfs von Neapel wählte Caligula absichtsvoll einige der typischen Elemente des Triumphzuges aus, dekontextualisierte sie und ordnete sie in eine radikal neue Form der kaiserlichen Selbstdarstellung ein, hinter der die hergebrachte Siegesfeier allerdings durchaus sichtbar und erkennbar blieb. Er entzauberte und entwertete damit eines der zentralen Rituale der aristokratischen Ordnung, das jahrhundertelang nicht zuletzt der Konstituierung und Fortschreibung der Hierarchien innerhalb der sozialen und politischen Elite gedient hatte. Damit demonstrierte er eindrucksvoll seine uneingeschränkte monarchische Machtstellung, die es ihm erlaubte, sich über die republikanischen Institutionen hinwegzusetzen und er setzte darüber hinaus auch noch jenen Kompromiß außer Kraft, der seit augusteischer Zeit die Interaktion zwischen Kaiser und Senatoren in geregelte Bahnen gelenkt hatte.
13 Cassius Dio 59, 17, 4.
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Caligulas Nachfolger Claudius war sehr an der Auszeichnung mit »einem richtigen Triumph« gelegen, wie sein Biograph Sueton es formuliert. Er feierte ihn mit Genehmigung des Senats nach seiner Rückkehr aus dem Britannienfeldzug »mit großem Aufwand« und war peinlich darum bemüht, nicht den Eindruck zu erwecken, »er wolle Neuerungen einführen«. Bei der Prozession in der Hauptstadt soll er dementsprechend alle überkommenen Regeln befolgt haben.14 Weitaus eigenwilliger und kreativer ging dann wiederum sein Nachfolger Nero mit dem traditionellen Ritual der Siegesfeier für den heimkehrenden Feldherrn um. In seiner vierzehnjährigen Regierungszeit inszenierte er eine Reihe von Spektakeln, die Elemente des Triumphzuges erkennen lassen. Beginnen wir mit Neros Rückkehr aus Kampanien drei Monate nach der Ermordung seiner Mutter Agrippina. »Voll ängstlichem Zweifel« sei der Kaiser gewesen, ob er »Gehorsam beim Senat und Zuneigung beim Volk« finden werde und habe zunächst gezögert, nach Rom zurückzukehren. Doch letztlich geschah bei seiner Ankunft dann doch alles in seinem Sinne: Für den Einzug des Kaisers wurden in der Stadt Schautribünen aufgestellt – »wie die, von denen man bei Triumphzügen zusieht«. Die Senatoren erschienen in standesgemäßer Kleidung. Männer, Frauen und Kinder nahmen »nach Tribus, Rang, Alter und Geschlecht« geordnet teil. Der Zug endete wie üblich auf dem Kapitol. Der Kaiser betete und opferte dort und dankte für seinen »Sieg über ein Sklavenvolk« – so jedenfalls der Kommentar des Tacitus, der damit die Perversität eines Triumphes zu entlarven sucht, der nicht den Sieg in einem bellum iustum über ernstzunehmende Feinde des römischen Volkes feiert.15 Einen weiteren »Triumph«, so Cassius Dio, der allerdings auch nicht
14 Sueton, Claudius 17, 1–3; Cassius Dio 60, 23, 1–5. Zu Claudius Umgang mit dem
Triumphritual s. Beard 2007, 249, 271. 15 Tacitus, Annales 14, 13, 1–2: Et promptiora quam promiserant inveniunt, obvias tribus, festo cultu senatum, coniugum ac liberorum agmina per sexum et aetatem disposita, exstructos, qua incederet, spectaculorum gradus, quo modo triumphi visuntur. Hinc superbus ac publici servitii victor Capitolium adiit, grates exsolvit, seque in omnes libidines effudit, quas male coercitas qualiscumque matris reverentia tardaverat. S. dazu Champlin 2003, 219–221, der unter Bezug auf Corpus Inscriptionum Latinarum IV 2042, 24–32 darauf verweist, daß das Priesterkollegium der Arvales fratres am 23. Juni des Jahres 59 dem Mars Ultor und dem Genius des Kaisers opferte. Er interpretiert dies als einen klaren Hinweis darauf, daß Nero einen »informellen« Triumph über seine tote Mutter feierte.
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»dem Herkommen entsprach«, habe Nero im Jahre 66 anläßlich der Einsetzung des Tiridates als Herrscher über Armenien abgehalten. Nero trug bei dem aufwendigen Spektakel auf dem Forum das Triumphalgewand, er wurde zum Imperator ausgerufen, opferte den entsprechenden Göttern und dedizierte Iuppiter einen Lorbeerzweig – Elemente, die der traditionellen Siegesfeier entsprachen. Nach dem Abschluß der Zeremonie wurden zudem die Türen des Janus-Tempels geschlossen – ein symbolträchtiger Akt, der den Bürgern der Stadt kommunizieren sollte, daß nun an allen Grenzen des Reiches Frieden herrschte.16 Allerdings verzichtete Nero bei den Feierlichkeiten auf eine Prozession und die dabei übliche Visualisierung der Erinnerung an die militärischen Erfolge und hob seine Inszenierung damit deutlich von einem regulären Triumphzug ab.
Abb. 2 Die geschlossenen Türen des Janus-Tempels. Revers eines Aureus, ca. 64–65 n. Chr.
Für das hier verhandelte Thema ist vor allem der Einzug von Interesse, den Nero anläßlich seiner Rückkehr von den heiligen Spielen in Griechenland im Jahre 67 inszenierte. Der erste Akt der triumphalen Wiederkehr des ›Siegers der großen Tour‹ spielte weit weg von Rom,
16 Sueton, Nero 13, 1–2; Cassius Dio 63, 4, 1–5, 3. Plinius, Naturalis historia 30, 16
bezeichnet das Ganze als »Neros armenischen Triumph«. Eine ausführliche Schilderung des historischen Kontextes findet sich bei Champlin 2003, 221–229, der insbesondere die »intensive parthische Atmosphäre« hervorhebt, die während der Zeremonie in Rom herrschte.
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in Neapel – also in jener Stadt, in der der Kaiser Jahre zuvor seinen ersten öffentlichen Auftritt als Künstler gewagt hatte. Sein Einzug dürfte dort einiges Aufsehen erregt haben: Nero stand nämlich auf einem Wagen, der von weißen Pferden gezogen wurde, und er fuhr durch eine Bresche, die man zuvor in die Stadtmauer geschlagen hatte – »so wie es für einen Sieger in den heiligen Spielen üblich war«. Auf seiner Reise von Kampanien nach Rom machte er in seinem Geburtsort Antium und in Alba Longa Station – Städte, in die er auf »ähnliche Weise« eingezogen sei, wie Sueton betont.17 Der Höhepunkt des Schauspiels blieb jedoch den Bewohnern der Hauptstadt vorbehalten. Auch in Rom wurden wiederum Teile der Stadtmauern und ein Tor eingerissen und damit der Ausgangspunkt der Prozession optisch eindeutig markiert. Nero fuhr auf dem Triumphwagen, »den einstmals Augustus zur Feier seiner zahlreichen Siege benutzt hatte«. Er war in ein Purpurgewand und in einen mit goldenen Sternen bestickten griechischen Mantel gekleidet. Auf dem Kopf trug er den Kranz aus Olivenzweigen, der traditionell den Sieger in Olympia auszeichnete. In der rechten Hand hielt er den pythischen Lorbeerkranz, mit dem die Sieger seit erdenklichen Zeiten bei den Spielen zu Ehren des Apollon belohnt wurden. Von besonderem Interesse sind der Ablauf des Zuges und die Anordnung und Funktion der einzelnen Gruppen von KoAkteuren, die den Kaiser begleiteten. Dem Kaiser voran, so Sueton und Cassius Dio, schritten Männer, die die restlichen Siegeskränze präsentierten, die Nero bei den Spielen gewonnen hatte. Ihnen seien andere gefolgt, die Speere trugen, an deren Spitzen Holztafeln mit Inschriften befestigt waren – tituli, auf denen die Namen der Spiele verzeichnet waren, bei denen der Kaiser den Sieg davongetragen hatte. Darüber hinaus konnte man dort nachlesen, in welchen Disziplinen der Kaiser angetreten war und wer seine unterlegenen Mitbewerber gewesen waren. Einige Inschriften nannten sogar die Titel der Lieder, die er vorgetragen hatte, und die Rollen, in denen er als Schauspieler geglänzt hatte. Auf wieder anderen Tafeln wurde darauf verwiesen,
17 Sueton, Nero 25, 1: Reversus e Graecia Neapolim, quod in ea primum artem pro-
tulerat, albis equis introiit disiecta parte muri, ut mos hieronicarum est; simili modo Antium, inde Albanum, inde Romam. Eine ausführliche Darstellung des Geschehenskomplexes findet sich bei Champlin 2003, 229–234. S. Beard 2007, 268–270, die mit wenig überzeugenden Argumenten bestreitet, daß es sich bei der Inszenierung von Neros Rückkehr aus Griechenland um einen Triumph handelte.
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daß Nero als »erster aller Römer seit Weltbeginn« den Sieg in diesem Wettbewerb errungen hatte.18 Den Höhepunkt der Prozession bildete der historische Triumphwagen mit seinen Insassen. Neben dem Kaiser stand der Kitharöde Diodoros, den er im Wettkampf besiegt hatte. Dem Wagen des Kaisers folgten »wie bei einem richtigen Triumph« die sogenannten Augustani, also jene Gruppe von Claqueuren, die Nero auch bei den Spielen in Griechenland gute Dienste geleistet hatten. Den Abschluß des Zuges bildeten die Soldaten, die Ritter und die Senatoren. Für die akustische Untermalung sorgten die Augustani. Sie skandierten immer wieder: »Wir sind die Begleiter des Augustus und die Soldaten seines Triumphes!« Überboten wurden sie dabei von den Senatoren, die »besonders laut« im Chor riefen: »Heil dir, Olympiasieger, heil pythischer Sieger! Augustus! Augustus! Heil Nero, unserem Herkules! Heil Nero, unserem Apollon! Der einzige Sieger der großen Tour! Der einzig Eine vom Beginn der Zeit! Augustus! Augustus! Göttliche Stimme! Selig, welche dich hören dürfen!« Cassius Dio weist in seinem Geschichtswerk explizit darauf hin, daß er die Gesänge wortwörtlich wiedergebe. »Die verwendeten Ausdrücke«, so betont er, brächten seinem Geschichtswerk schließlich »keine Schande«.19 Während der Prozession herrschte in der ganzen Stadt eine fröhliche, festliche Atmosphäre: Die Straßen und Plätze, die der Zug passierte, waren mit Girlanden geschmückt und festlich beleuchtet. Sie wurden immer wieder mit Parfüm besprüht, das mit Safran aromatisiert war. An den Straßenrändern wurden Opfertiere geschlachtet. Vögel, farbige Bänder und Süßigkeiten regneten auf die Parade und die Zuschauer nieder – Elemente, die an die Spiele erinnerten, die Nero im Jahre 59 ausrichten ließ.20 Dabei bewegte sich Neros Triumphzug auf einer ungewöhnlichen Route durch die Stadt: Bei dem Tor, das man für den Einzug des Kaisers eingerissen hatte, handelte es sich wahrscheinlich um die Porta Capena an der Via Appia. Von dort ging es durch den Circus Maximus über das Velabrum und das Forum auf den Palatin. Was den Endpunkt des Zuges 18 Sueton, Nero 25, 1; Cassius Dio 63, 2, 2. 19 Cassius Dio 63, 20, 1–6. 20 Sueton, Nero 11, 2: Sparsa et populo missilia omnium rerum per omnes dies: sin-
gula cotidie milia avium cuiusque generis, multiplex penus, tesserae frumentariae, vestis, aurum, argentum, gemmae, margaritae, tabulae pictae, mancipia, iumenta atque etiam mansuetae ferae, novissime naves, insulae, agri. Diesen Aspekt hebt insbesondere Champlin 2003, 233 f. hervor.
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anlangt, so weichen die Berichte des Sueton und des Cassius Dio in einem wesentlichen Punkt voneinander ab. Will man dem Bericht des Sueton glauben, so stieg Nero während seines Triumphzuges nicht auf das Kapitol hinauf, um Iuppiter Optimus Maximus zu opfern, sondern zog direkt zum Palatin, zum Tempel des Apollon und zu seinen Privatgemächern, wo er die ›erbeuteten‹ Siegeskränze deponierte. Cassius Dio erwähnt dagegen den Aufstieg vom Forum zum Kapitol und läßt den Zug erst danach auf dem Palatin beim Tempel des Apollon enden – eine bemerkenswerte Neuzentrierung der sakralen Landschaft der urbs, mit der Nero seine Verbindung zu Apollon, dem Patron der Künste, effektvoll zu inszenieren suchte. Ebenso wie andere Triumphatoren, versuchte Nero der Erinnerung an seine Siege Dauer zu verleihen und sie für zukünftige Generationen präsent zu halten. Dabei bediente er sich der Medien der traditionellen Memorialpraktiken: Er ließ Statuen aufstellen, die ihn als Kitharöden zeigten, und Münzen mit diesem Bild prägen.21
Abb. 3 Nero als Kitharöde. As, ca. 64 n. Chr.
Ordnen wir das Geschehen in Rom im Jahre 67 nun in den historischen Kontext ein: Neros Reise nach Griechenland war sorgfältig geplant. Der Kaiser, der Italien nie zuvor verlassen und keine der
21 Zur Modifikation der Triumphroute s. Sueton, Nero 25, 2; Cassius Dio 63, 20, 4. S. dazu Champlin 2003, 230 mit der Abbildung 204, der die These vertritt, Nero habe mit seiner Route »eine absichtsvolle Umkehr« der traditionellen Wegstrecke inszeniert. Eine ausführliche Diskussion dieser Frage findet sich bei Miller 2000, der vor allem die Elemente betont, mit denen Nero bewußt an den dreifachen Triumph des Augustus anschließen wollte. S. außerdem Martini 2008.
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Provinzen des Reiches besucht hatte, hatte schon zwei Jahre zuvor Emissäre in den Osten geschickt, um seinen Aufenthalt dort vorzubereiten. Davon zeugen Baumaßnahmen in Olympia und in Korinth sowie in Alexandria. Dabei dürfte allen Beteiligten klar gewesen sein, daß es bei dieser Reise nicht um militärischen Ruhm ging: Nero, so bringt es Cassius Dio auf den Punkt, setzte nicht nach Griechenland über, um dem Vorbild eines »Flamininus oder Mummius« nachzueifern. Er wollte vielmehr »als Wagenlenker und Leierspieler auftreten, Proklamationen erlassen und bei Tragödien mitspielen«. Es verlangte ihn, so wiederum Cassius Dio, »nach einem Feldzug in die Ferne«, »um Sieger der großen Tour zu werden«. Dabei habe ihn auf seiner Reise eine so große Zahl von Menschen begleitet, daß er mit ihnen – wenn sie denn Soldaten gewesen wären – »die Parther und die übrigen Völker hätte unterwerfen können«. Als Waffen trugen sie »Leiern, Plektren, Masken und Kothurne« und dementsprechend überwältigten sie einen »Terpnos«, »Diodoros« und »Pammenes« statt eines »Philipp«, »Perseus« und »Antiochos«. Nero hielt sich bis zum Ende des Jahres 67 in Griechenland auf und nahm in dieser Zeit an den Spielen in Olympia, Delphi, Korinth und Argos teil. Um ihm die Teilnahme an allen bedeutenden Wettkämpfen zu ermöglichen, mußte der Festkalender der traditionsgemäß im Vierjahresrhythmus stattfindenden Spiele erheblich modifiziert werden. Darüber hinaus wurden den hergebrachten Disziplinen auf Wunsch Neros neue hinzugefügt: So wurde in Olympia etwa ein neuer Wettbewerb für Schauspieler und Kitharöden ausgelobt. Es braucht wohl nicht eigens erwähnt zu werden, daß der Kaiser in allen Wettkämpfen, bei denen er antrat, siegreich war. Er kehrte mit der stattlichen Ausbeute von 1808 Preisen nach Italien zurück.22 Neros Siegesfeier anläßlich seiner Rückkehr aus Griechenland beruhte also nicht auf militärischen Leistungen und brach damit auch in der Wahrnehmung der Zeitgenossen mit republikanischen wie kaiserzeitlichen Traditionen. Das zeigen der Bericht des Sueton und vor allem der des Cassius Dio, der den Kaiser mit unverhohlenem Sarkasmus ausgerechnet mit Flamininus und Mummius vergleicht – jenen Ikonen römischer Sieghaftigkeit, deren Namen auf alle Zeiten mit der Eroberung Griechenlands verbunden waren. Doch selbst wenn bei Neros spektakulärem Entrée im Jahre 67 die traditionelle Ver22 Cassius Dio 63, 8, 1–4.
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knüpfung von Amt, Leistung, Anerkennung und Auszeichnung, die den Triumphzug seit jeher legitimiert hatte, aufgehoben war, schloß Nero doch in vieler Hinsicht an die hergebrachte Ritualtradition an. Als Höhepunkt seiner siegreichen Rückkehr von der Grand Tour wählte auch er die übliche Prozession durch Rom und nutzte sie für die Visualisierung der Erinnerung an seine Siege. Allerdings zeigt die Choreographie des Zuges, daß Nero so gut wie jedes Element der hergebrachten Ritualsyntax auf subtile Weise modifizierte und damit radikal andere Werte kommunizierte als die Triumphatoren vorausgehender Generationen. Beginnen wir mit dem Eintritt in die Stadt: Nero wählte als Ausgangspunkt seines Zuges eben nicht die Porta triumphalis am Fuße des Kapitols, sondern die Porta Capena an der Via Appia. Er zog nicht durch das Tor hindurch, sondern ließ es abreißen und fuhr durch die so entstandene Bresche. Er zweckentfremdete den historischen Triumphwagen des Augustus also für einen Auftritt, der bereits den Zeitgenossen den Vergleich mit einer eiselasis suggerierte, also dem Einzug eines Hieroniken bei den heiligen Spielen in seine Heimatstadt. Die Rolle des Sklaven, der üblicherweise beim Triumph hinter dem Feldherrn im Wagen stand, übernahm ein bei der Konkurrenz der Kitharöden unterlegener Wettbewerber. Über dem klassischen Triumphgewand trug Nero einen griechischen Mantel. Anstelle des Lorbeerkranzes des siegreichen Feldherrn krönte der Olivenkranz des olympischen Siegers sein Haupt. In seiner rechten Hand hielt er statt des Adlerzepters den pythischen Siegeskranz. Seinem Wagen wurden hölzerne Tafeln mit tituli vorangetragen, auf denen nicht die Namen der unterworfenen Völker und besiegten Potentaten verzeichnet waren, sondern diejenigen der Disziplinen und Konkurrenten bei den Spielen. Die dem Wagen des Kaisers folgenden Ko-Akteure skandierten nicht die üblichen Spottgesänge, sondern die Siegeslieder, mit denen man in der griechischen Welt die Hieroniken ehrte. Die vielleicht wichtigste Modifikation nahm Nero jedoch bei der Route der Prozession vor. Er zog nämlich von der Porta Capena im Uhrzeigersinn durch den Circus Maximus über das Velabrum und das Forum am Kapitol vorbei um den Palatin herum und kehrte damit die klassische Triumphroute demonstrativ um. Zudem endete die Prozession nicht mehr beim Tempel für Iuppiter Optimus Maximus auf dem Kapitol, sondern auf dem Palatin. Das abschließende Opfer galt folgerichtig nicht dem kapitolinischen Iuppiter, sondern dem palatinischen Apollon.
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Aus dem Dargestellten läßt sich folgendes Fazit ziehen: Ebenso wie Caligula wählte auch Nero zwischen den für den Triumphzug typischen Elementen aus und paßte sie kreativ in seine persönliche Siegesfeier ein, die sein Selbstbild und seine Herrschaftsauffassung in bemerkenswerter Weise widerspiegelt. Dabei erscheint seine triumphale Rückkehr von der Grand Tour zunächst konventioneller als Caligulas Zug über den Golf von Neapel. Schließlich begab sich Nero nach Rom und entschied sich, Prozession und Opfer vor den Augen von plebs urbana, Ritterschaft und Senatoren in dem traditionsgesättigten politischen und sakralen Zentrum der urbs mit seinen zahllosen Erinnerungsmalen zu inszenieren. Er agierte also in jenem Raum, der seit jeher Ort einer besonders dichten Kommunikation zwischen Regierenden und Regierten, Volk, Senat und Kaiser gewesen war. Darüber hinaus fällt auf, daß sich Nero bei der Visualisierung der Erinnerung an seine Siege der traditionellen Medien der Triumphatoren bediente: Die Träger der Siegeskränze, die Holztafeln mit den tituli, die Parolen und Siegeslieder, die Statuen und Münzen evozierten gezielt die Erinnerung an frühere Triumphzüge, erfüllten die Erwartungen der Zuschauer und dienten damit vordergründig der Verortung in der jahrhundertelangen Tradition der gens togata. Die Inhalte, die in diesen hergebrachten Medien vermittelt wurden, brachen jedoch demonstrativ mit dieser Tradition. Sie feierten den Kaiser als Künstler, der griechische Lebensformen präferierte und die römische Wertordnung und die auf ihr aufruhenden Orientierungssysteme negierte. Hinter Neros scheinbar konventioneller Inszenierung seiner Erfolge als Kitharöde und Wagenlenker verbarg sich also eine radikale Pervertierung des Triumphrituals. Sie zielte demonstrativ nicht mehr auf die Wiedereingliederung des siegreichen Rückkehrers in die Gemeinschaft und eine Affirmation der hergebrachten Ordnung ab. Eingeordnet in den Raum und den Rahmen der traditionellen Siegesfeier propagierte Neros Triumphzug vielmehr eine neue Ordnung, in der der Kaiser die hergebrachten Hierarchien negierte, die Senatoren zu Claqueuren degradierte und seine Herrschaft nicht mehr als Resultat eines komplexen Aushandlungsprozesses mit der Elite, sondern vielmehr als gewissermaßen selbstreferentiellen, allein und exklusiv auf sich selbst bezogenen und gerade deswegen besonders autokratischen Akt inszenierte.
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Abbildungsnachweis Abb. 1: Karte des Golfs von Neapel. Ausschnitt aus: E. Stein-Hölkeskamp, Das römische Gastmahl, München 2005, 276 Abb. 2 = Revers eines Aureus, ca. 64–65 n. Chr., RIC Nero 50. Abbildung aus: Numismatische Bilddatenbank Eichstätt Abb. 3 = As, ca. 64 n. Chr., RIC Nero 210. Abbildung aus: Numismatische Bilddatenbank Eichstätt
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dietrich boschung
ARCHITEKTUR UND RITUAL Zum Auftreten des Kaisers in Rom
R
ituale aller Art, verstanden als »formalisierte und wiederholbare Sequenz von Handlungen oder Verhaltensweisen symbolischen Charakters«,1 sind leibhaft generierte und sinnlich erfahrbare Ausformungen von Machtverhältnissen; gerade deshalb können sie Vorstellungen und Wissen über Macht überzeugend darstellen und für längere Zeit stabilisieren. Das macht sie zu einem besonders geeigneten Gegenstand morphomatischer Studien über Figurationen von Macht und Herrschaft.2 Die durch Position und Ornat herausgehobenen Hauptakteure des Rituals werden in ihrer zentralen Funktion dadurch markiert, dass ihnen untergeordnete Begleiter assistieren, die ihrerseits wieder hierarchisch abgestuft und mit unterschiedlichen Funktionen betraut sein können. Zuschauer, manchmal nach Status und Rang geordnet bzw. durch Tracht und Attribute differenziert, sichern durch ihre Aufmerksamkeit die Bedeutung der Vorgänge, können aber auch punktuell in das Ritual einbezogen werden, etwa wenn sie durch Akklamationen einzelne Botschaften auf-
1 Zum Folgenden etwa Meyer 2007 bes. 246 und hier der Beitrag von Karl-Joachim
Hölkeskamp. Eine Unterscheidung zwischen »Ritual« und »Zeremoniell«, wie es Braungart/Seiffarth 2009, 1500–1504 vorschlagen, scheint mir für die römische Kaiserzeit insofern wenig sinnvoll, als die entsprechenden Vorgänge sowohl religiös wie sozial bedeutsam waren. 2 Zum Ansatz Boschung 2011, 47–90; Boschung 2013.
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nehmen, kommentieren, wiederholen und verstärken oder wenn sie sich in eine Prozession einreihen. Teilnahme am Ritual bedeutet also körperliche Einordnung in eine politische, soziale oder religiöse Figuration, damit auch Loyalität zu Machtverhältnissen, die ihnen zugrunde liegen. Viele Rituale sind repetitiv angelegt, wiederholen sich also in bestimmten Zeitzyklen oder bei wiederkehrenden Gelegenheiten. Entsprechend wiederholt sich auch der Ablauf des Rituals, wobei Varianten oder Erweiterungen inhaltliche Akzente setzen können. Zu den figurativen Elementen, die das Ritual bedeutungsvoll einbezieht, gehört der urbanistische und architektonische Kontext. Dieser Aspekt soll im Folgenden am Beispiel der Stadt Rom untersucht werden. Die Großbauten Roms aus der späten Republik und der Kaiserzeit definierten und gliederten den öffentlichen Raum; sie schufen Blickachsen, räumliche Bezüge und Hierarchien.3 Das machte sie zu einer idealen Bühne für das Auftreten der führenden Magistrate, insbesondere aber des Kaisers selbst. Zu den konstituierenden Elementen eines Rituals gehören neben den zeitlichen Abläufen auch die räumlichen Bezüge, die Sichtbarkeit regulieren und Hierarchien augenfällig machen. Aufwendige und kunstvoll ausgestattete Monumentalbauten schufen einen prächtigen und beziehungsreichen Rahmen für Rituale und boten Möglichkeiten für ihre Ausgestaltung, konnten sie damit auch artikulieren.4 Als Hauptakteur eines Rituals bestimmte der römische Kaiser die Verwendung der Bauten, verstärkte oder änderte ihre Bedeutung und nutzte ihr Prestige für seine Selbstdarstellung. Dazu konnten sowohl selbst errichtete Anlagen wie auch die Bauten älterer Familienangehöriger oder aber allgemein die Architektur prestigeträchtiger Orte genutzt werden.
Auftreten in eigenen Bauten Ein Beispiel für die erste Möglichkeit ist eine Episode aus dem Jahr 44 v.Chr., über die etwa Sueton berichtet.5 Damals empfing Caesar, als dictator perpetuo, den gesamten römischen Senat (»universos pa3 Boschung im Druck (b). 4 Zur Denkfigur der ›Artikulation‹: Niklas 2013. 5 Sueton, Caesar 78,1–2: sedens pro aede Veneris Genetricis; Cassius Dio 44,8,1: ἐν
τῷ τοῦ Ἀφροδισίου προνάῳ.
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tres conscriptos«) vor der Fassade des Venus Genetrix-Tempels, d. h. auf dem von ihm errichteten Forum Iulium.6 Dieser Platz war ein Monument für die Siege Caesars, insbesondere auch für den Sieg bei Pharsalos über Pompeius und die Senatspartei. Schon die Wahl des Ortes machte also das asymmetrische Kräfteverhältnis zwischen dem Dictator und dem Senat klar. Nach Cassius Dio saß Caesar selbst im Pronaos des (damals wohl noch unfertigen)7 Tempels, den er zu Ehren seiner Ahnmutter hatte errichten lassen, also zwischen den Säulen der Tempelfront, während die Senatoren (oder zumindest die meisten davon) auf dem Platz gestanden haben müssen. Der Tempel wiederum war vom Platz durch ein hohes Podium abgesetzt und es gab keine Freitreppe, die den direkten Zugang vom Platz her ermöglicht hätte. Das schuf zusätzliche Distanz und betonte den Abstand zwischen Caesar und den patres.8 Besonders aber empörte die Senatoren, dass Caesar nicht aufstand, sondern sie im Sitzen empfing. Diese Szene – die einigermaßen detailliert überliefert ist, weil sie zu den Ereignissen gehört, die letztlich zu der Ermordung Caesar führten – lässt beispielhaft Elemente erkennen, die für das Zusammenwirken der Architektur und des kaiserlichen Auftretens bezeichnend werden sollten. Die Bauten sind, sei es durch den Anlass ihrer Stiftung, durch die Person des Bauherrn oder durch ihre Ausstattung, inhaltlich aufgeladen. Und sie sind von vornherein so angelegt, dass sie Möglichkeiten für eine politische Instrumentalisierung bieten, die über ihre primäre Funktion hinausgehen. Gerade die vorgelagerte Rednerbühne schuf hier – wie beim augusteisch erneuerten Dioskurentempel und beim Divus Iulius-Tempel am Forum Romanum – von Anfang an Raum für Auftritte, bei denen die Akteure in das architektonische und damit auch in das politische Gesamtkonzept des Erbauers einbezogen werden sollten.9
6 Morselli 1995, 299–306; Gros 1995, 306–307; Meneghini 2009, 43–57; Amici
1991, bes. 29–58. 7 Dazu vgl. Delfino 2014, bes. 248–256; Gros 1995, 306. 8 Köb 2000, 217–218. 9 Ulrich 1994, bes. 130–155.
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Auftreten vor Bauten früherer Familienangehöriger Nicht nur eigene Bauten, auch die älteren, von früheren Familienangehörigen errichteten Anlagen ließen sich durch eine gezielte Nutzung in Anspruch nehmen und damit auch neu deuten, wie am Beispiel des Caligula gezeigt werden kann. Zu Beginn seiner Regierungszeit veranlasste er die Beisetzung seiner Mutter Agrippina und seines Bruders Nero im Mausoleum des Augustus, wobei er »wie beim Triumph mit purpurgesäumter Toga und von Liktoren begleitet« auftrat.10 Das kann nur bedeuten, dass die sterblichen Überreste der Verwandten Caligulas in einer aufwendigen Prozession überführt worden sind, die wohl aus der Stadt über die Via Flaminia führte. Hauptperson war der Kaiser selbst, dessen Rang durch Liktoren und Triumphalornat augenfällig war. Der feierliche Zug führte zu dem monumentalen Rundgrab, das durch die Bestattung der Kaiser Augustus und Tiberius, aber auch des von Tiberius adoptierten Germanicus zu einem Monument der julischen Herrscherfamilie geworden war. Dort rief der Schmuck der Eingangsseite mit ägyptischen Obelisken, den res gestae des vergöttlichten Augustus, einer Wiederholung des clupeus virtutis und den Reliefs mit Lorbeerbäumen11 die außergewöhnlichen Leistungen und Ehrungen des Dynastiegründers in Erinnerung, dessen Urenkel nun die Regierung übernommen hatte. Wenn dieser wie ein Triumphator auftrat, so lagen darin das Versprechen und der Anspruch, die militärischen Erfolge der Vorfahren zu wiederholen. Wie wichtig der dynastische Aspekt war, zeigen die Inschriften auf dem Urnenbehälter der Agrippina und von der Außenseite des Grabes: Sie bezeichnen die Tote als Enkelin des Divus Augustus, Gemahlin des Germanicus und Mutter des Caligula.12 Eine ähnliche Strategie verfolgte der junge Kaiser, als er ein umfangreiches Geldgeschenk vom Dach der Basilica Iulia13 aus während mehrerer Tage an das Volk von Rom verteilen ließ.14 Nach dem Zu10 Sueton, Caligula 15,1; Cassius Dio 59,3,5. Vgl. von Hesberg/Panciera 1994, bes.
136–142; zur früheren Beisetzung des Germanicus im Augustusmausoleum ebenda 118–129. 11 von Hesberg/Panciera 1994, 14–15, 113–118 (Lorbeerbäume; clipeus virtutis), 31–33 (res gestae; Obelisken). 12 von Hesberg/Panciera 1994, 137–138, 142. 13 Giuliani/Verduchi 1993, 177–179; Richardson 1992, 52–53. 14 Sueton, Caligula 37,1: Quin et nummos non mediocris summae e fastigio basili-
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sammenhang bei Flavius Iosephus scheint dies nach der Geburt der Tochter Iulia Drusilla im Jahre 40 geschehen zu sein. Die Basilica Iulia war von Iulius Caesar aus der Beute der gallischen Kriege errichtet und 46 v.Chr. noch unfertig eingeweiht worden. Augustus hatte den monumentalen Prachtbau fertiggestellt und nach einem Brand im Namen seiner verstorbenen Adoptivsöhne Gaius und Lucius erneuert. Die Basilica diente nicht nur für Gerichtsverhandlungen und Bankgeschäfte, sondern stand in caesarischer und augusteischer Zeit auch im Zusammenhang mit den Gladiatorenspielen auf dem Forum Romanum.15 Der Bau war damit spektakulärer Ausdruck der Wohltaten, die das römische Volk über Generationen hinweg von der gens Iulia erhalten hatte. Caligula stellte das eigene Geldgeschenk augenfällig in die Tradition der aufwendigen Wohltaten, die seine Vorfahren – deren Namen zweifellos an der Fassade zu lesen waren – der Bevölkerung Roms immer wieder erwiesen hatten. Derselben Strategie folgte die Aufstellung einer Statue der Diva Drusilla16 im Tempel des caesarischen Venus Genetrix-Tempels als zweites Kultbild.17 Der prächtige Tempel, von Caesar als Zentrum seines aufwendigen Forums errichtet,18 diente nun dem Kult der vergöttlichten Schwester des Kaisers. Das bedeutete eine Aktualisierung und zugleich eine Umdeutung der gesamten Anlage durch den Nachfahren des Erbauers. Noch enger wurde der altehrwürdige CastoresTempel am Forum Romanum mit der Person des Caligula verbunden, diente er doch als vestibulum zum kaiserlichen Palast.19 Er war in augusteischer Zeit erneuert und im Jahre 6 n.Chr. von Tiberius in eigenem Namen sowie im Namen seines verstorbenen Bruders Drusus geweiht worden. Die Zeitgenossen – etwa Ovid – verstanden das als Ausdruck der besonders engen Bruderliebe beider Prinzen cae Iuliae per aliquot dies sparsit in plebem. Flavius Iosephus, Antiquitates Iudaicae XIX 1,11 (71). Die Formulierung »vom Giebel« (ex fastigio) lässt vermuten, dass die Geldverteilung an einer Schmalseite des Gebäudes zum vicus Iugarius oder zum vicus Tuscus (und damit zum Dioskurentempel) hin erfolgte. Dagegen spricht Flavius Iosephus vom Dach der Basilika zum Forum hin (τὸ τέγος εἰς τὴν ἀγοράν) auf dem der Kaiser gestanden sei. 15 Welch 1994, bes. 69–78. 16 Wood 1995, 457–482. 17 Cassius Dio 59,11,2. 18 Dazu s. oben Anm. 6. 19 Sueton, Caligula 22,2; Cassius Dio 59,28,5.
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nach dem mythischen Exemplum der Dioskuren.20 Durch die von Caligula veranlassten Änderungen diente die prunkvolle Tempelfront mit acht korinthischen Marmorsäulen nun als Eingang zum Palast vom Forum her und bot dem Kaiser zugleich eine spektakuläre Bühne für sein Erscheinen in der Öffentlichkeit.21 Aber auch hier signalisierten die vorgelagerten Rostra – wie im Falle des Venus GenetrixTempels auf dem Caesarforum – zugleich eine Distanzierung. In der zeitgenössischen Münzprägung erschienen die verstorbenen Brüder des Kaisers, die Germanicussöhne Nero und Drusus, wie die Dioskuren als zwei Reiter.22 Das augusteische Muster der Angleichung eines Bruderpaars aus der Kaiserfamilie an Castor und Pollux ist hier offensichtlich wieder aufgenommen. Der Bezug zum Kaiser wurde noch verstärkt, wenn er sich zwischen den Kultstatuen aufstellte und sich mit ihnen verehren ließ.23 Caligula brachte seinen Vorrang gegenüber den Dioskuren nicht nur durch seine zentrale Position in ihrer Mitte zum Ausdruck, sondern auch damit, dass er sie als seine Türhüter bezeichnete. Ganz im Sinne des augusteischen Programms handelte Caligula, wenn er den Mars Ultor-Tempel des Augustusforums nutzte, um dem Senat und den Konsuln über seine Taten in Germanien zu berichten:24 Nach dem Willen des Erbauers sollte der Senat hier über Kriege und Triumphe verhandeln.25 Bedenklicher war es, dass Caligula drei Schwerter, mit denen er angeblich hätte ermordet werden sollen, im gleichen Tempel weihte.26 Denn der Tempel des Mars Ultor war bekanntlich als Siegesmonument für die Schlacht bei Philippi gestiftet worden, also für den Sieg über die Mörder des Caius Iulius Caesar.27 Augustus selbst hatte diesen innenpolitisch problematischen Zusam-
20 Nielsen/Poulsen 1992, 57; Ovid, Fasti 1,705–708: At quae venturas praecedit sexta
Kalendas / hac sunt Ledaeis templa dicata deis / fratribus illa deis fratres de gente deorum / circa Iuturnae composuere lacus. 21 Nielsen/Poulsen 1992, 58. 22 Vgl. z.B. Sutherland/Carson 1984, 111 Nr. 49 Taf. 14,49. 23 Sueton, Caligula 22,2: consistens saepe inter fratres deos, medium adorandum se adeuntibus exhibebat. 24 Sueton, Caligula 44,2. 25 Sueton, Augustus 29,2: ut de bellis triumphisque hic consuleretur senatus. Vgl. Cassius Dio 55,10. 26 Sueton, Caligula 24,3; Cassius Dio 59, 22,7. 27 Herz 1996, 271.
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menhang dadurch relativiert, dass Mars Ultor später mit der Rückgewinnung der gegen die Parther verlorenen Feldzeichen verbunden wurde. Die Weihung des Caligula reaktivierte die ursprüngliche Bedeutung der Anlage und erinnerte unverhohlen an das blutige Ende derjenigen, die einem C. Caesar nach dem Leben trachteten. Besonders ausführlich sind wir über die Einweihung des Divus Augustus-Tempels informiert.28 Der Tempel war vom Senat nach dem Tod des Augustus beschlossen und von Tiberius errichtet worden. Wegen dessen langjähriger Abwesenheit war die Einweihung zunächst unterblieben. Caligula nahm sie als mehrtägiges Fest im August 37 vor, wobei er die Feier für den Divus Augustus mit seinem eigenen Geburtstag verband. Cassius Dio gibt eine anschauliche Schilderung davon:29 Knaben und Mädchen aus den vornehmsten Familien sangen Hymnen. Die Senatoren mit ihren Frauen sowie das Volk wurden bewirtet. Es gab zahlreiche Schauspiele: musikalische Darbietungen, zweitägige Pferderennen, Tierhatzen mit 400 Bären und 400 wilden Tieren aus Afrika sowie das Trojaspiel. Caligula selbst erschien im Triumphalgewand und auf einem Triumphgespann mit 6 Pferden, was zuvor noch niemals vorgekommen sein soll. Auf dieses Ereignis bezieht sich ein Sesterz des Caligula, der auf der Vorderseite die sitzende Pietas zeigt.30
Abb. 1: Sesterz des Caligula mit Opfer vor dem Tempel des Divus Augustus
28 Lugli 1941, 29–58; Torelli 1993a, 145–146; Carandini 2012, I 173, II Taf. 270. 29 Cassius Dio 59,7,1–4. 30 Boschung, im Druck (a).
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Die Rückseite bildet die Tempelfront des Divus Augustus-Tempels ab, dessen Bauschmuck Elemente des Augustusforums aufnimmt. Im Vordergrund steht der Kaiser in der Toga und mit verhülltem Hinterkopf an einem Altar, über dem er die Patera ausgießt. Tempelfront und Altar sind feierlich mit Girlanden geschmückt. Ein camillus mit Opferkanne steht rechts des Kaisers; auf der linken Seite führt ein victimarius einen Stier herbei, der als Hauptopfer geschlachtet werden wird. Darauf verweist auch das Messer an der Hüfte des victimarius. Verglichen mit der Schilderung bei Cassius Dio wirkt das Münzbild enttäuschend, denn es blendet die spektakulären Elemente vollständig aus: etwa die aufwendigen Spiele oder den Auftritt im sechsspännigen Triumphalwagen. Betont sind vielmehr zwei Aspekte: Erstens die Verbundenheit des jungen Kaisers mit dem vergöttlichten Vorgänger und seinem politischen Programm, das im Skulpturenschmuck des Tempels evoziert wird. Dazu wird der Bau detailliert wiedergeben, so dass Schlüsselfiguren des augusteischen Konzepts eindeutig erkennbar sind: Romulus mit den spolia opima; pius Aeneas mit Sohn und Vater; Victorien mit dem clupeus virtutis; Mars Ultor; Venus; und natürlich Divus Augustus selbst. Und zweitens ist die korrekte Durchführung des Opferrituals wichtig. Der Kaiser selbst nimmt das Opfer an dem geschmückten Altar capite velato und in der korrekten Weise vor. Das Opfertier lässt sich willig zum Altar führen; der victimarius ist in der üblichen Weise ausgerüstet und führt seine Aufgabe gewissenhaft durch. Die Pietas, die der Kaiser hier vorbildlich demonstriert, war Teil des augusteischen Programms, das die Tempelskulpturen evozieren. Caligula benutzte für sein Auftreten also zahlreiche Bauten, die er nicht selbst erbaut hatte, die aber auf seine Vorfahren zurückgingen: auf den Ururgroßvater Caesar, den Urgroßvater Augustus, den (Adoptiv-)Großvater Tiberius. Wie sehr es dem jungen Kaiser gelungen war, die älteren Bauten der Julier für seine eigenen Zwecke zu instrumentalisieren und mit seiner Person zu verbinden, zeigte sich noch nach seiner Ermordung: Damals riefen die Konsuln den Senat nicht in der Curia Iulia, sondern auf dem Kapitol zusammen, um sich nicht nur von dem Ermordeten, sondern von der gesamten julischen Dynastie loszusagen.31
31 Sueton, Caligula 60.
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Rom als Bühne Das Auftreten des Kaisers in der Stadt Rom ist Thema einer Gruppe von Reliefs, die von einem Bogenmonument des Marcus Aurelius stammen und die heute zum größeren Teil im Konstantinsbogen verbaut sind – sicher nicht in ihrer ursprünglichen Anordnung. Drei weitere, nach Maßen, Stil und Thema zur gleichen Serie gehörigen Reliefs sind an anderer Stelle gefunden worden.32 Der Bildzyklus zeigt die Abreise des Kaisers, seine Taten während der Feldzüge gegen germanische Völker, seine Rückkehr und den rituellen Abschluss des Krieges in Rom. Die Abfolge der Ereignisse beginnt mit der Profectio, dem Aufbruch zu einem Feldzug und mit dem Abschied von Rom.33 Der Kaiser, hinter dem der porträthafte Kopf eines Begleiters erscheint, verlässt die Stadt an einer Stelle, die durch ein freistehendes Bogenmonument markiert ist. Dieses ist zu diesem Anlass festlich mit Girlanden geschmückt. Der dargestellte Bogen ist, wie wir aus verschiedenen Quellen wissen, von Domitian erbaut worden.34 Er trägt eine Elefantenquadriga, daneben ein Tropaion und einen Gefangenen. Sein Statuenschmuck evoziert damit Sieg und Triumph, verweist also bereits auf den erfolgreichen Ausgang des kommenden Krieges voraus. Verabschiedet wird der Kaiser vom Genius des Senats, der hinter ihm steht und der innerhalb der Stadt zurückbleibt. Neben diesem steht ein weiterer bärtiger Mann, der vielleicht die Bevölkerung Roms vertritt, auch wenn er nicht der üblichen Ikonographie des genius populi Romani entspricht. Vier Soldaten mit ihren Feldzeichen stehen außerhalb des Bogens bereit und halten auch schon die Pferde des Kaisers und seines Begleiters am Zügel. Vor Marc Aurel liegt die Via Flaminia, die von einer Frauengestalt personifiziert wird und die ihren Arm auf ein Wagenrad legt. Das Relief fasst den Vorgang also in allegorischen Figuren zusammen: Nicht die zahlreichen Senatoren verabschieden den Kaiser, sondern eine Personifikation der Institution;35 und auch keine unübersehbare Volksmenge, sondern
32 Dazu und zum Folgenden: Boschung 2012a, 363–379; Boschung 2012b, 305–314;
Torelli 1993b, 98–99. 33 Giuliano 1955 Abb. 22; Scott Ryberg 1967, 28–37 Taf. 22–26; Koeppel 1986, 56–58 Nr. 26 Abb. 31. 34 De Maria 1988, 289–291 Kat.Nr. 75 Taf. 70,1–2. 35 Boschung 2005, 97–110, bes. 103–104.
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Abb. 2: Rom, Konstantinsbogen. Relief mit Profectio des Marc Aurel
nur ein einzelner Mann neben dem Genius des Senats. In ähnlicher Weise werden die militärischen Einheiten, die den Kaiser begleiten, durch ihre Feldzeichen vertreten. Nach erfolgreichem Abschluss des Feldzugs, der in mehreren prägnanten Szenen wiedergegeben wird, kehrt der Kaiser in die Hauptstadt Rom zurück.36 Dabei wird er nicht von seinen Soldaten 36 Giuliano 1955 Abb. 21; Scott Ryberg 1967, 66–71 Taf. 48–49; Koeppel 1986,
70–72 Nr. 32 Abb. 38.
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Abb. 3: Rom, Konstantinsbogen. Relief mit Adventus des Marc Aurel
und Offizieren, sondern von Virtus und Mars (oder vielleicht Honos) begleitet. Im Hintergrund erhebt sich ein girlandengeschmücktes Bogenmonument: derselbe Bau wie bei der Profectio. Hier wird auf seine genauere Bestimmung verzichtet, wird doch sein Baudekor nicht gezeigt. Dafür ist seine topographische Lage bestimmt, denn daneben steht ein Tempel, der durch die Gegenstände im Giebelfeld (Füllhörner, Rad, Globus) als Heiligtum der Fortuna Redux bezeichnet ist, von dem wir wissen, dass es bei der Porta Triumphalis stand. Die Göttin Fortuna selbst steht im Hintergrund vor ihrem Tempel:
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Abb. 4: Rom, Kapitolinische Museen. Relief mit Triumph des Marc Aurel
Sie hat ihr Heiligtum verlassen, um dem Kaiser das Geleit zu geben. Neben ihr erscheint Felicitas, die ein Füllhorn und einen caduceus hält und damit auf den Wohlstand verweist, den die Rückkehr des Kaisers bewirkt. Über dem Kaiser schwebt die Siegesgöttin Victoria, so dass klar ist, dass hier ein Sieger zurückkehrt. Sie trägt eine Lor-
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beergirlande, mit der sie die Gebäude feierlich schmücken wird. Auch hier vermeidet das Relief jeden Hinweis auf die tatsächlichen Akteure des Adventus-Zeremoniells.37 Darauf folgt die Darstellung des Triumphs.38 In der reich geschmückten Quadriga fährt der Triumphator durch die Stadt, vorbei an einem aufwendigen Tempel und unter einem eintorigen Bogen hindurch. Diese beiden Bauten sind nicht weiter gekennzeichnet, weder durch ihren Skulpturenschmuck noch durch andere Besonderheiten. Aber sie machen klar, dass die Fahrt innerhalb der Stadt verläuft und dass sie an aufwendigen Bauten vorbei und durch prächtige Bogenmonumente hindurch geht. Ursprünglich war auch Commodus als zweiter Triumphator in dem Wagen zu sehen. Das Relief stellte also den gemeinsamen Triumph des Marc Aurel und des Commodus vom 23. Dezember 176 über die Germanen und Sarmaten dar, von dem die Historia Augusta berichtet.39 Über dem Kaiser schwebt wiederum die Siegesgöttin Victoria. Ein tubicen und ein einzelner Lictor gehen voran. An dieser Stelle ist daran zu erinnern, dass der römische Triumphzug ein vielfältiges und sich lang hinziehendes Ritual war, eine Prozession mit Tausenden von Teilnehmern und zahllosen spektakulären Sehenswürdigkeiten.40 Die Darstellung des Reliefs dagegen konzentrierte sich, Konventionen der kaiserzeitlichen Kunst folgend,41 auf einen einzigen Aspekt: Auf die beiden Kaiser in der Quadriga als Triumphatoren und auf ihre Sieghaftigkeit. Ziel des Triumphzugs war das Kapitol, wo der Triumphator ein Opfer an Iuppiter Optimus Maximus darbrachte.42 Wie schon in der caliguläischen Darstellung opfert der Kaiser in der Toga und capite velato; und wieder ist das Personal, das für die korrekte Durchführung des Rituals benötigt wird, detailliert wiedergegeben.43 Auch 37 Zum Adventuszeremoniell Fless 2004, 51–52. 38 Fless 1995, 84, 109 Kat. 36 II; Scott Ryberg 1967, 15–20 Taf. 9–14; Koeppel 1986,
50–52 Nr. 24 Abb. 28; La Rocca 1986, 39–40 Taf. 31–36. 39 Scriptores Historiae Augustae, Commodus II 4. 40 Fless 2004, 47–49. 41 So bereits auf dem augusteischen Skyphos von Boscoreale, am Titusbogen und am trajanischen Relief von Praeneste: Dazu zuletzt Fless 2004, 42–43 (Quadriga), 47–49; Catania 2014, bes. 210–212. 42 Scott Ryberg 1967, 21–27 Taf. 15–17, 20; Koeppel 1986, 52–56 Nr. 25 Abb. 2930; La Rocca 1986, 40 Taf. 37–47. 43 Fless 1995, 42, 50, 109 Kat. 36 I Taf. 46,2.
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hier assistiert ein camillus, der nun aber ein Weihrauchkästchen hält. Wieder wird im Hintergrund der Opferstier herbeigeführt. Zusätzlich begleitet die Musik eines Flötenspielers den Vorgang und ein weiterer Diener bringt einen Korb mit Opfergaben herbei. Neben dem Kaiser steht der flamen Dialis, also der für den Kult des Iuppiter zuständige Priester. Auch dieses Opfer ist genau lokalisiert, denn es findet vor dem Tempel des Iuppiter Optimus Maximus statt, dessen drei Türen auf die drei Cellae für die kapitolinische Trias verweisen. Iuppiter, Juno und Minerva sind auch im figurenreichen Giebel des Tempels zu sehen. Die genaue Bezeichnung des Tempels verbindet das Opfer unmissverständlich mit der Triumphatorendarstellung. Gegenüber dem Opferpersonal ist das Publikum weniger detailliert wiedergeben. Hinter dem Kaiser erscheint der Genius des Senatus, der verdeutlicht, dass der Senat in seiner Gesamtheit präsent ist. Wie in der Profectio-Szene steht hinter ihm ein weiterer bärtiger Mann, der auch hier die Bevölkerung Roms vertritt. Ein Kopf mit porträthaften Zügen erscheint stellvertretend für die Berater und Begleiter des Kaisers im Hintergrund. Das letzte Relief zeigt ein congiarium (Geldverteilung),44 das vor einer girlandengeschmückten Säulenhalle ausgegeben wird.45 Auf einem hohen Podest sitzt der Kaiser in der Toga auf einer sella curulis. Er ist von Togati umgeben, deren Köpfe porträthaft wirken und die prominente Gefolgsleute des Kaisers meinen.46 Auch hier ist eine Figur nachträglich abgearbeitet worden, die ursprünglich auf einer sella curulis neben dem Kaiser saß, also gleichrangig gewesen sein muss, und auch hier kann es sich nur um Commodus gehandelt haben. Ein Gehilfe verteilt unter Anweisung des Kaisers das Geld an die Männer, Frauen und Kinder, die vor dem Podium angetreten sind. Das Relief stellte jenes Congiarium dar, das Marc Aurel und Commodus im Jahre 177 gemeinsam durchgeführt haben und bildet damit den Abschluss der Ereignisse.47 Wichtig ist, dass die Geldverteilung geregelt und kontrolliert erfolgt; nicht willkürlich und im Tumult wie im Falle des caliguläischen Geldgeschenks.
44 Giuliano 1955 Abb. 23; Scott Ryberg 1967, 71–76 Taf. 51–52; Koeppel 1986,
72–75 Nr. 33 Abb. 39. 45 Zur Frage der Lokalisierung: Maderna-Lauter 1993, 344 mit Anm. 13. 46 Vorschläge zur Identifizierung: Scott Ryberg 1967, 75. 47 Cassius Dio 72,32,1.
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Abb. 5: Rom, Kapitolinische Museen. Relief mit Opfer des Marc Aurel auf dem Kapitol
In dem besprochenen Reliefzyklus sind die Ereignisse in Rom genau lokalisiert: beim Tempel der Fortuna Redux oder auf dem Kapitol. So sind sie auf ganz konkrete Anlässe bezogen und nachprüfbar.
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Abb. 6: Rom, Konstantinsbogen. Relief mit Congiarium des Marc Aurel
Dabei wird der konkrete Ablauf des Rituals fast vollständig ausgeblendet; die Stadtbevölkerung spielt als Akteur oder als Publikum keine Rolle. Überhaupt kommen neben dem Kaiser weitere Akteure nur in untergeordneter Position vor, wobei in zwei Szenen (Profectio und Opfer) der Genius des Senats, ein Vertreter der Stadtbevölkerung
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und ein Begleiter des Kaisers gemeinsam auftreten. Sonst ist der Kaiser von Personifikationen umgeben, die seine Werte oder Leistungen verkörpern (Victoria, Virtus). Einzig das Opferritual ist so wichtig, dass das dafür notwendige Personal zahlreich und mit unterschiedlichen Rollen dargestellt wird. Die zeitgenössischen Reliefs des Konstantinbogens zeigen verwandte Themen: militärische Erfolge und im Anschluss daran das ritualisierte Auftreten des Kaisers in Rom.48 Die erste Szene in Rom ist der Einzug in die Stadt nach der Schlacht an der milvischen Brücke, am 29. 10. 312.49 Anders als bei dem Adventus-Relief Marc Aurels gilt das Interesse aber der Menge der Soldaten und den unterschiedlichen militärischen Einheiten. Während der Kaiser im Wagen gerade durch ein Tor in den Bereich innerhalb der Stadtmauer einfährt, führt der lange Zug des römischen Heeres durch ein zweites Bogenmonument, auf dem vier Elefantenköpfe sichtbar sind. Es handelt sich also um den gleichen von Elefanten bekrönten Bogen, den wir bereits bei der Profectio des Marc Aurel gesehen haben. Die nächste Szene zeigt den Kaiser auf den Rostra des Forum Romanum, zwischen und vor den älteren Kaiserstatuen.50 Der Platz ist durch die Bauten früherer Kaiser begrenzt und definiert, wobei die Gebäude durch Einzelheiten der Architektur zusätzlich gekennzeichnet sind, so die Basilica Iulia und der Septimius Severus-Bogen durch ihre Kapitelle. Anders als in caliguläischer Zeit ist die Basilica Iulia nicht Ausgangspunkt kaiserlicher Wohltätigkeit und steht daher auch nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Und anders als auf den aurelischen Reliefs werden hier Senatoren, Soldaten und die Bewohner Roms nicht von Personifikationen vertreten, sondern treten zahlreich auf. Dabei ist die Begegnung des Kaisers mit seinem Volk hochgradig ritualisiert: Der Kaiser, der die Reisetracht, d. h. eine langärmelige Tunica, bracae und Paludamentum trägt, erscheint im Zentrum und frontal ausgerichtet wie die monumentalen Sitzstatuen
48 Grundlegend L’Orange/von Gerkan 1939; gute Aufnahmen bei Giuliano 1955. Zu-
letzt dazu: Mayer 2002, 185–202; Zanker 2012; Boschung 2012c, 57–61. 49 L’Orange/von Gerkan 1939, 72–80 Taf. 3b, 12–13, 18, 20a-b, 23e; Giuliano 1955 Abb. 33, 39. 50 L’Orange/von Gerkan 1939, 80–89 Taf. 5a, 14–15, 20c-d, 21; Giuliano 1955 Abb. 34, 40–42.
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Abb. 7: Rom, Konstantinsbogen. Einzug (ingressus) Konstantins in die Stadt Rom
Abb. 8: Rom, Konstantinsbogen. Ansprache (oratio) Konstantins auf dem Forum Romanum
Abb. 9: Rom, Konstantinsbogen. Geldverteilung Konstantins in Rom
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zu seinen Seiten. Im Hintergrund ragt das Fünfsäulenmonument der Tetrarchen empor, das die Herrschaft Konstantins legitimiert. Zahlreiche ältere Männer in der feierlichen toga contabulata, hochstehende Beamte und Senatoren, flankieren den Kaiser und betonen seine Bedeutung, indem sie sich ihm zuwenden. Die Vexilla dahinter zeigen, dass die Soldaten ihrem Kaiser auf das Forum gefolgt sind, sich aber im Hintergrund halten. Das römische Volk ist davon durch das Podium und seine Schranken abgesetzt. Dichtgedrängt und aufmerksam stehen Männer und Kinder um die Rostra herum. Sie tragen die paenula oder eine Ärmeltunica mit Schultermantel. Einige sind in ein Gespräch vertieft, in dem sie die Rede des Kaisers loben oder kommentieren mögen, die meisten aber haben den Kopf dem Kaiser zugewandt. Darauf folgt ein Congiarium.51 Im Zentrum sitzt der Kaiser in der kontabulierten Toga, wie eine Statue auf einem hohen Sockel und frontal ausgerichtet. Das Gewand des Kaisers verweist auf das Konsulat, das Konstantin am 1. Januar 313 in Rom als consul ordinarius angetreten hat. Weitere Togati umstehen ihn, wobei sie ihre Köpfe ausnahmslos zu der Mittelfigur wenden. Sie werden wiederum flankiert von zwei Männern in der Paenula, die Wachsfackeln halten und damit die kaiserliche Erscheinung noch glanzvoller machen.52 Zum Antritt seines Konsulats beschenkt Konstantin persönlich einen Senator, der vor seinem Podium steht und seinen Togabausch hochhebt, den der Kaiser mit Geldstücken füllt. Weitere Senatoren in der Toga stehen vor dem Podium; sie blicken zum Kaiser auf und rufen ihm mit erhobener rechter Hand ihre Akklamationen zu.53 An diese Mittelszene schließen sich links und rechts je zwei Lokale an, in denen die Geldverteilung an das Volk stattfindet. Wie H. P. L’Orange gezeigt hat, ist damit ein Innenraum gemeint: Der Kaiser thront an der Stirnseite eines Raumes, an dessen Längsseiten mehrere Logen angebracht sind.54 In jedem Lokal zahlt jeweils ein Beauftragter den abgemessenen Betrag an einen einzeln vorgelassenen Bürger 51 L’Orange/von Gerkan 1939, 89–102 Taf. 5b, 16–17, 22; Giuliano 1955 Abb. 35,
44–45. 52 Gagé 1969, bes. 181–184. 53 Akklamationen: Klauser 1950; dort etwa die Akklamationen »feliciter« (230 Nr. 15), »multos annos« (230–231 Nr. 22, 25) und »victoria« (230–231 Nr. 23, 27); zum begleitenden Gestus der ausgestreckten rechten Hand 232–233. 54 Die Bestimmung des Gebäudes ist auch in diesem Fall nicht sicher gelungen; vgl.
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Abb. 10: Rom, Konstantinsbogen. Geldverteilung Konstantins in Rom (Ausschnitt)
aus. Die Auszahlung wird von einem zweiten Beamten überwacht und von einem dritten abgerechnet. Die beschenkten Einwohner Roms wenden sich mehrheitlich zum Kaiser und rufen ihm ihre Akklamationen zu, während sie ihn mit der erhobenen rechten Hand grüßen. Die Inschriften über den seitlichen Durchgängen des Bogens – und damit oberhalb des konstantinischen Frieses – halten solche Akklamationen fest: sic decem, sic viginti; votis decem, votis viginti.55 Die konstantinischen Reliefs legen Wert auf die Zustimmung und die Loyalität der römischen Bevölkerung und des Senats. Sie geben rituelle Elemente ausführlich wieder: Das hieratische Auftreten des Kaisers, seine symmetrische Rahmung durch Vexilla oder Fackeln, die demonstrative Aufmerksamkeit seiner Begleiter, die Akklamationen und die zugehörigen Gesten der Menge. Nicht mehr die akkurate Durchführung des Opferrituals mit geschultem und differenziertem Personal ist das Anliegen der Darstellungen, sondern die harmonische, dabei hierarchisch abgestufte und rituell geprägte Kommunikation zwischen dem Herrscher und der großen Menge seiner Untertanen. Auch die Rolle der Architektur hat sich geändert. Zwar dient sie weiterhin dazu, Ereignisse zu lokalisieren und damit zu beglauMaderna-Lauter 1993, 344 mit Anm. 14; Zanker 2012, 96 nimmt die Basilica Ulpia als Ort des Congiariums an. 55 L’Orange/von Gerkan Abb. 15, Taf. 1a, 2a, 39–42.
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bigen; und Elemente wie das Fünfsäulenmonument sollen auch hier programmatische Kontinuität und damit Legitimität der Herrschaft suggerieren. Zudem aber können die dargestellten Bauten nun auch Menschenmengen hierarchisch strukturieren. Mit diesen Bildern gewinnt das leibhaft erfahrene, aber zugleich ephemere Ritual eine dauerhafte augenfällige Präsenz.
Abbildungsnachweis Abb. 1: Nach Boschung 2014 Abb. 9 Abb. 2: Nach Scott Ryberg 1967 Taf. 22 Abb. 3: Nach Scott Ryberg 1967 Taf. 23 Abb. 4: http://arachne.uni-koeln.de/item/marbilder/231625 Abb. 5: http://arachne.uni-koeln.de/item/marbilder/231624 Abb. 6: Nach Scott Ryberg 1967 Taf. 51 Abb. 7: http://arachne.uni-koeln.de/item/marbilder/4721755 Abb. 8: http://arachne.uni-koeln.de/item/marbilder/655619 Abb. 9: http://arachne.uni-koeln.de/item/marbilder/3796821 Abb. 10: Neg DAI Rom 31–2069
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ROM – RAVENNA – TOURS Rituale und Residenzen im poströmischen Westen1
I
Rom: Theoderichs Tricennalien im Jahre 500
m Frühjahr des Jahres 500 erwarteten die Römer mit Spannung den Besuch des gotischen Königs Theoderich, der seit 493 unumstrittener Herr in Italien war. Der letzte Aufenthalt eines Herrschers in den Mauern der »ewigen Stadt« lag damals bereits ein Vierteljahrhundert zurück. Kaiser Anthemius hatte hier von 467 bis zu seiner Ermordung im Jahre 472 residiert; Iulius Nepos war hier im Juni 474 zum Augustus erhoben worden, aber bald darauf in Richtung Ravenna davongezogen. König Odovakar scheint Rom niemals besucht zu haben, und auch Theoderich hielt sich in den ers-
1 Ich danke Karl-Joachim Hölkeskamp und Claudia Sode für die Einladung und dem
Auditorium, insbesondere Egon Flaig und Judith Herrin, für die kritische und konstruktive Diskussion meiner Thesen. Gerlinde Huber-Rebenich hat mir in latinistischen Fragen ihren Rat geliehen. Bernhard Kremer, Agnes Luk und Sabina Viefhaus bin ich für die sorgfältige Durchsicht des Manuskripts zu Dank verpflichtet, Ralf Behrwald, Guido Berndt, Carola Jäggi, Charlotte Köckert und Philipp von Rummel für Hinweise und Ratschläge; Carola Jäggi darüber hinaus auch für ihre Fotos. Der Vortragscharakter wurde beibehalten; die Literaturangaben beschränken sich daher auf wenige, meist neuere Titel. Einen Überblick über die Residenzen spätrömischer und poströmischer Herrscher vermittelt der Sammelband »Sedes regiae (ann. 400–800)«: Ripoll/Gurt 2000; auf die souveräne Einleitung (Liebeschuetz 2000) sei bereits hier verwiesen.
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ten Jahren seiner Herrschaft ausschließlich in Oberitalien, überwiegend wohl in Ravenna, auf. Aus Anlaß des dreißigjährigen Jubiläums seines Herrschaftsantritts wollte er die Stadt am Tiber nun erstmals besuchen.2 Rom war nach den Katastrophen des 5. Jahrhunderts zwar auf einen Bruchteil seiner früheren Einwohnerzahl geschrumpft, aber dennoch weiterhin die größte Stadt des westlichen Mittelmeerraums mit einer einzigartigen Ausstattung an Gebäuden, Plätzen und Kunstwerken. Vor allem aber war Rom noch immer die Bühne, auf der sich das öffentliche Leben der reichsten und mächtigsten Männer Italiens abspielte, denn hier tagte noch immer der Senat, und hier waren seine Mitglieder ansässig.3 Zugleich aber war Rom der Sitz des angesehensten Bischofs der katholischen Christen außerhalb des Machtbereichs des Kaisers und verfügte mit den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus über Pilgerstätten von einzigartiger Bedeutung. 4 Kurzum: In Rom warteten die Repräsentanten der beiden wichtigsten Machtzentren Italiens auf den König: die Senatoren und der Papst.5 Der Zeitpunkt für einen solchen Besuch war günstig: In den Jahren zuvor hatte eine Politik Gestalt angenommen, die auf der Kooperation zwischen dem König und den einheimischen Eliten beruhte; Senatoren und katholische Bischöfe stellten sich dem König zur Verfügung und wurden von ihm mit wichtigen Aufgaben betraut.6 Im Jahre 497 war Theoderich endlich auch vom Kaiser im fernen Konstantinopel als König in Italien anerkannt worden. Zu Beginn des Jahres 499 war sein Ansehen so groß, daß er von römischen Klerikern und Senatoren als Schiedsrichter angerufen wurde, nachdem es am 22. November 498 zu einer Doppelwahl für die Nachfolge Petri 2 Gillett 2001. 3 Barnish 1988; Schäfer 1991 (mit den Addenda und Corrigenda bei Orlandi 2005). 4 Lizzi Testa 2013; Brennecke 2014. 5 Rom im 6. Jahrhundert: Ward-Perkins 1984, 38–48; Pani Ermini 1995 (= Pani Er-
mini 2001, 199–234); Pani Ermini 1999 (= Pani Ermini 2001, 181–198); Marazzi 2000; Witschel 2001, 118–143; Ward-Perkins 2012. Eine Synthese auf dem aktuellen Forschungsstand fehlt. Krautheimer 1980 und Magnuson 2004 sind für diese Phase unergiebig und teilweise überholt. Prokopios war von den Bauten Roms beeindruckt: Bellum Goticum 4, 22, 5–6. 6 Es ist hier nicht der Ort, die unübersehbare Literatur über Theoderich und das gotische Königreich in Italien aufzulisten, doch müssen zumindest die grundlegenden Monographien von Ensslin 1947 und Moorhead 1992 erwähnt werden. Meine Interpretation findet man bei Wiemer 2013; Wiemer 2014.
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gekommen war. Theoderich hatte für Papst Symmachus entschieden, worauf der unterlegene Papst Laurentius sich der Entscheidung des Königs gefügt und den Stuhl Petri wieder geräumt hatte. Die Gefahr eines Schismas war dadurch abgewendet und die Einheit der Kirche wiederhergestellt worden. Als Papst Symmachus die katholische Kirche Italiens im März 499 in der Peterskirche zu einer Synode versammelte, riefen die anwesenden Kleriker mit gutem Grund nicht weniger als 30 Mal aus: »Höre Christus! Schenke Theoderich ein langes Leben!« (Exaudi Christe! Theoderico vitam!).7 Ein Jahr später begab sich der König mit seinem Gefolge auf der via Flaminia von Ravenna nach Rom.8 Seine Verwaltung hatte die Reise sorgfältig vorbereitet.9 Aber auch die Römer wollten nichts dem Zufall überlassen: Auch wenn sie schon seit Jahrzehnten keinen so hohen Besuch mehr gehabt hatten, wußten sie genau, daß viel darauf ankam, wie die erste Begegnung mit einem Herrscher verlief. Der adventus principis war ein Ritual, das viele Stunden in Anspruch nahm; fand der Einzug aus Anlaß eines Jubiläums statt, dehnte es sich auf mehrere Tage aus. Nachdem die Kaiser aufgehört hatten, dauerhaft in Rom zu residieren, hatte sich eine Art Protokoll für diesen Anlaß entwickelt. Die Stadt trat dem Herrscher dabei nicht als anonyme und amorphe Masse, sondern als ein in sich gegliedertes Ganzes entgegen, als Senat und Volk von Rom, wobei die Senatoren noch einmal in verschiedene Rangklassen, in illustres, spectabiles und clarissimi gegliedert waren. Man inszenierte die soziale Hierarchie und das harmonische Miteinander aller. Dem Herrscher begegnete man mit Jubelrufen und Gesten der Ergebenheit, aber auch mit Bitten und Forderungen. Ein Herrscher, dem die Anerkennung und Unterstützung der Römer wichtig war, ließ sich auf dieses Ritual ein, indem er sich gnädig und wohltätig zeigte.10 Tatsächlich folgte der Einzug Theoderichs in Rom mit wenigen, aber bedeutungsvollen Ausnahmen einem Programm, das schon die 7 Acta Synhodi habita Romae anno CCCCXCVIIII 6 (Monumenta Germaniae Histo-
rica. Auctores antiquissimi XII, p. 405, 7 f.). 8 Zum Rom-Besuch Theoderichs ausführlich: Vitiello 2004; Vitiello 2005, bes. 13–38. 9 Vorbereitung einer königlichen Reise von Ravenna nach Rom: Cassiodorus, Variae 12, 18–19 mit Vitiello 2005, 95–115. Zur Via Flaminia in der Spätantike vgl. Esch 2011, 46–48. 10 Zum adventus in der Spätantike: MacCormack 1981, 17–92; Dufraigne 1994, bes. 249–268.
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Besuche römischer Kaiser in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts bestimmt hatte. Papst Symmachus, der gesamte Senat und eine Volksmenge zogen dem König weit vor die Stadt entgegen und holten ihn unter lautstarken Ausrufen der Freude ein. So hatte man christliche Kaiser stets empfangen. Jetzt aber führte kein Senator, sondern der Papst das Empfangskomitee an; das Protokoll unterstrich also den Vorrang der religiösen Führung.11 Noch bevor Theoderich die Stadt betreten hatte, kehrte er in der Peterskirche ein und erwies dem Apostel Petrus höchst ergeben seine Verehrung. Das war insofern etwas Neues, als christliche Kaiser des 5. Jahrhunderts das Grab des Apostelfürsten nicht vor, sondern erst nach dem Einzug in Rom besucht hatten.12 Die Route, auf der Theoderich anschließend zum Forum Romanum zog, dürfte dieselbe gewesen sein, die vormals triumphierende Konsuln und Kaiser eingeschlagen hatten:13 Der gotische König durchquerte also den Circus Maximus, bog dann nach links ab, durchschritt erst den Triumphbogen des Kaisers Constantin und dann den des Kaisers Titus, passierte auf der Via Sacra Basiliken, Tempel und zahllose Statuen, gelangte zum Tempel des Ianus Geminus und betrat schließlich das Senatsgebäude, wo ein namentlich unbekannter Senator eine Lobrede auf den hohen Gast hielt.14 Anschließend begab sich Theoderich an einen nahegelegenen Ort namens Ad Palmam und hielt dort eine Ansprache an das römische Volk.15 Auch diese adlocutio war ein Teil des Empfangszeremoniells, 11 Anonymus Valesianus II 65. 12 Valentinian III. besuchte St. Peter am Tag nach dem Einzug in der Stadt: Epistula
Valentiniani III. ad Theodosium II. apud Leonem Magnum, Epistula 55, 1. 13 Pompa triumphalis: Östenberg 2009. 14 Tempel des Ianus Geminus: Procopius, Bellum Goticum 1, 25, 18–23. Silberne Elephanten an der Via Sacra: Cassiodorus, Variae 10, 30. Die Renovierung des Senatsgebäudes dürfte wohl in die Jahre 507 bis 517 gehören: Bartoli 1949/50, 74–88 = L’année épigraphique 1953, Nr. 68 = Corpus Inscriptionum Latinarum VI 8, 2, Nr. 40807; vgl. Cassiodorus, Variae 9, 7, 2 (curiam reparans) und zur Datierung Delmaire 1989, 240 f. Nr. 158. 15 Ad Palmam scheint im Bereich des Forum Romanum gelegen zu haben, doch ist die genaue Lage unbekannt; im Protokoll der Senatssitzung vom 25. Dezember 438 dient das Toponym zur Lokalisierung der domus des Acilius Glabrio Faustus, während es in den »Acta S. Restituti« mit einem Triumphbogen verbunden wird. Bei Ferrandus, Vita Fulgentii 9 heißt der Ort, wo Theoderich seine Ansprache hielt, indessen Palma aurea. Richardson Jr. 1992, 283 identifiziert Ad Palmam mit Ad Tria Fata zwischen
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wie es bei Rom-Besuchen römischer Kaiser seit langem zur Anwendung gekommen war. Ob Theoderich sich bei dieser Gelegenheit eines Herolds bediente, ist unbekannt; sicher ist jedoch, daß er in lateinischer Sprache das feierliche Versprechen ablegte, er werde auf Befehl Gottes alles unverbrüchlich bewahren, was römische Herrscher der Vergangenheit (retro principes Romani) angeordnet hätten.16 Aber Theoderich begnügte sich nicht mit einer Garantie des status quo; er verkündete auch konkrete Zusagen, auf die noch einzugehen sein wird. Als Theoderich seine Ansprache hielt, befand sich unter den Zuhörern zufällig ein Kleriker namens Fulgentius, der vor der Verfolgung durch den Vandalenkönig Thrasamund nach Italien geflüchtet war, wo Katholiken anders als in Nordafrika nichts zu befürchten hatten. Sein Biograph erwähnt die festliche Stimmung, die damals in der ganzen Stadt geherrscht habe; Senat und Volk seien voll Freude über die Anwesenheit des Königs gewesen. Bei Theoderichs Ansprache habe Fulgentius »Adel, Zierde und Ordnung« (nobilitatem, decus ordinemque) des »durch feine Abstufungen geschmückten« (distinctis decoratam gradibus) – wir würden sagen: nach Rangklassen und Seniorität gegliederten – Senats gesehen und die Akklamationen eines »freien Volkes« (favores liberi populi) gehört. Fulgentius habe sich jedoch vom glanzvollen Pomp dieser Welt, so versichert sein Biograph, nicht beeindrucken lassen, und gegenüber ebenfalls anwesenden Brüdern erklärt, wenn schon das irdische Rom in solchem Glanz erstrahle, wie herrlich müsse dann erst das himmlische Jerusalem sein!17 Fulgentius, der von seinem Biographen unfreiwillig zum Zeugen für die emotionale Wirkung eines profanen Rituals gemacht wird, hatte freilich den Höhepunkt des Festes noch gar nicht erlebt, als er sich so äußerte (wenn der Ausspruch nicht frei erfunden ist), und man darf zweifeln, ob er als Kleriker am folgenden Teil des Programms überhaupt teilnahm. Denn nach dem Besuch im Senatsgebäude und der contio auf dem Platz Ad Palmam erreichte das Zeremoniell seine
der Curia und dem Bogen des Septimius Severus; Guidobaldi 1999 referiert eine Reihe anderer Vorschläge. 16 Cassiodorus, Chronica sub anno 500 (Monumenta Germaniae Historica. Auctores antiquissimi XI, p. 160); Anonymus Valesianus II 65–66. 17 Ferrandus, Vita Fulgentii 9.
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dritte Phase, die dem Programm eines Triumphzugs angeglichen war. Theoderich bezog zunächst unter dem Jubel des römischen Volkes den seit 475 verwaisten Palast auf dem Palatin. Anschließend veranstaltete der König im Circus Maximus Wagenrennen, die nach wie vor die Massen anzogen, auch wenn die Bevölkerung Roms nicht mehr groß genug war, um alle Ränge zu füllen. Wir dürfen uns Theoderich in der Loge vorstellen, in der einst römische Kaiser Platz genommen hatten. Das Spektakel dauerte von morgens bis abends; es wurden 24 Rennen gefahren.18 Wahrscheinlich hat Theoderich im Rahmen des Einzugszeremoniells auch venationes veranstaltet. Kämpfe von Menschen gegen wilde Tiere waren bei den Romani di Roma noch immer sehr beliebt; sie wurden während der gesamten Regierungszeit Theoderichs im Amphitheatrum Flavium – seit dem hohen Mittelalter meist Colosseum genannt – von Senatoren ausgerichtet. Der Programmpunkt war daher de rigueur.19 Im Ablauf dieses komplexen Rituals spiegelt sich ein Konzept von Herrschaft, das auf der Kooperation des gotischen Königs mit dem römischen Bischof und dem römischen Senat beruhte. Theoderich spielte die Rolle, die vor ihm römische Kaiser gespielt hatten, indem er zunächst dem Papst als Stellvertreter Petri, dann den Senatoren und dem Volk von Rom an verschiedenen Orten auf eine Weise begegnete, die deren hochgespannten Erwartungen entsprach: in der Basilica Petri, auf dem Forum Romanum, in der Curia, im Circus Maximus und wohl auch im Amphitheatrum Flavium. Das gute Einvernehmen zwischen Theoderich und den Römern wäre freilich von kurzer Dauer gewesen, wenn es bei symbolischen Gesten und ephemeren Gunsterweisen geblieben wäre. Der König begnügte sich auch nicht damit, einzelne Senatoren durch die Verleihung von Ämtern und Würden auszuzeichnen. So erhielt der Senator Liberius, der Theoderich lange Jahre als Leiter der Prätoriumspräfektur, der wichtigsten zivilen Behörde, gedient hatte und nun aus dem Amt schied, bei dieser Gelegenheit den höchsten Rang, den ein Unter18 Anonymus Valesianus II 67. Circus Maximus: Humphrey 1986, 56–294. Zahl der
Rennen: Cassiodorus, Variae 3, 51, 10 mit Cameron 1973, 256. 19 Der »Anonymus Valesianus« erwähnt in Kap. 67 nur Wagenrennen, erklärt jedoch in Kap. 60, Theoderich habe im Zirkus und Amphitheater Spiele veranstaltet. Auch Eutharich führte 519 im Amphitheatrum Flavium wilde Tiere vor: Cassiodorus, Chronica sub anno 519 (Monumenta Germaniae Historica. Auctores antiquissimi XI, p. 161).
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tan überhaupt innehaben konnte, denjenigen eines patricius. An seine Stelle trat mit Theodorus ein Sproß der mächtigsten stadtrömischen Familie, der Decii.20 Vielmehr gewährte Theoderich der Stadt Rom auch materielle Zuwendungen, die über den Anlaß hinaus Bestand haben sollten. So sollten aus der Staatskasse (aerarium publicum) in Zukunft 120.000 Scheffel (etwa eine Million Liter) Getreide jährlich für die Versorgung des einfachen Volkes und der Armen bereitgestellt werden. Etwa ein Siebtel davon war zur Verteilung an die Bettler bestimmt, die sich um die Peterskirche sammelten.21 Die Versorgung Roms wurde durch diese Maßnahme auf eine breitere Grundlage gestellt; die Bevölkerung war bei Mißernten nicht mehr vollständig auf die Wohltätigkeit einzelner Senatoren angewiesen. Wahrscheinlich sollte auch die Verteilung von Fleisch in Zukunft durch die Staatskasse subventioniert werden. Die Senatoren wiederum wurden bei der kostspieligen Ausrichtung von Spielen entlastet, da die Staatskasse auch dafür jährliche Mittel bereitstellte. Diese Förderung schloß auch die Veranstaltung von Tierhetzen ein. Dagegen sollten die Mittel der Weinkasse (arca vinaria) in Zukunft für die Reparatur des Palastes und der öffentlichen Bauten verwendet werden. Tatsächlich hat man Ziegel vom Palatin gefunden, die das Monogramm Theoderichs tragen.22 Die Römer maßen diesen Zusagen so große Bedeutung bei, daß sie den König baten, sie auf eine Erztafel schreiben und diese öffentlich aufstellen zu lassen. Zum Zeichen ihrer Dankbarkeit titulierten sie Theoderich als neuen Trajan oder Valentinian und stellten den gotischen König dadurch in eine Reihe mit Kaisern, die sich um die Versorgung und bauliche Ausstattung Roms besonders verdient gemacht hatten.23 20 Anonymus Valesianus II 68. Liberius: Martindale 1982, 677–681 s. v. Liberius 3;
O’Donnell 1981. Theodorus: Martindale 1982, 1097 f. s.v. Theodorus 62. 21 Cassiodorus, Chronica sub anno 500 (Monumenta Germaniae Historica. Auctores antiquissimi XI, p. 160); Anonymus Valesianus II 67. Baufonds: Cassiodorus, Variae 1, 12; 1, 25; 2, 34; 3, 29–31; Novella Iustiniani 7, 25. 120.000 Scheffel (modii): Anonymus Valesianus II 67. 3.000 medimnoi für die Armen: Procopius, Historia Arcana 26, 7. Getreidespenden: Cassiodorus, Orationum reliquiae 1 (Monumenta Germaniae Historica. Auctores antiquissimi XII, p. 463); Variae 8, 3, 2. Dazu ausführlich Vitiello 2009. 22 Freundliche Auskunft von Philipp von Rummel; die Ziegel sind unpubliziert, die Unterlagen befinden sich im DAI Rom. 23 Anonymus Valesianus II 60: etiam a Romanis Traianus vel Valentinianus, quorum tempora sectatus est, appellatur; vgl. Cassiodorus, Variae 7, 6, 1; 8, 3, 5.
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Theoderich begegnete den Römern im Jahre 500 wie ein römischer Kaiser. Senat und Volk von Rom erwiesen ihm dafür die schuldige Dankbarkeit. Als sichtbares und dauerhaftes Zeichen ließ der Senat ein vergoldetes Standbild des Königs errichten. Der Senator Cassiodor pries das Verhalten des Königs rückblickend in hohen Tönen: »In diesem Jahr kam unser Herr und König Theoderich nach Rom, verlangt von den Wünschen aller. Er behandelte seinen Senat mit staunenswerter Leutseligkeit und machte dem römischen Volk Lebensmittelzuteilungen zum Geschenk; zudem kam er den bewunderungswürdigen Bauten mit einer jährlichen Geldsumme zu Hilfe.«24 Folgt man dieser Lobeshymne, so scheint die Verwandlung des gotischen warlord in den Nachfolger römischer Kaiser vollkommen zu sein. Aber dieser Anschein trügt. Auch wenn unsere Quellen das gotische Gefolge des Königs nahezu völlig ausblenden, können wir noch erschließen, daß den Römern nicht verborgen blieb, daß die Macht Theoderichs keineswegs allein auf der Unterstützung durch römische Eliten beruhte. Denn auch während seines Rombesuchs blieb die kriegerische, aus senatorischer Sicht barbarische Seite Theoderichs durchaus erkennbar. Das begann bereits beim offiziellen Anlaß des Rom-Besuchs, dem dreißigjährigen Herrschaftsjubiläum. Denn in Italien herrschte Theoderich mitnichten 30, sondern lediglich sieben Jahre. Die Zählung seiner Herrscherjahre begann mit dem Sieg über den sarmatischen König Babai, lange vor der Ankunft in Italien, in einer Zeit, als Theoderich bloß einer unter mehreren Anführern gotischer Kriegergruppen auf dem Balkan gewesen war. Die Tricennalia Theoderichs wären nach römischer Rechnung im Jahre 500 noch lange nicht fällig gewesen.25 In die sechs Monate, die Theoderich in Rom verbrachte, fiel zudem eine dynastische Heirat: Theoderich gab dem Vandalenkönig Thrasamund seine Schwester Amalafrida zur Frau. Offenbar bat Thrasamund durch eine Gesandtschaft um die Hand Amalafridas; 24 Cassiodorus, Chronica sub anno 500 (Monumenta Germaniae Historica. Auctores
antiquissimi XI, p. 160): Hoc anno d(ominus) n(oster) rex Theodericus Romam cunctorum votis expetitus advenit et senatum suum mira affabilitate tractans Romanae plebi donavit annonas, atque admirandis moeniis deputata per singulos annos maxima pecuniae quantitate subvenit. Goldene Statue Theoderichs: Isidorus, Historia Gothorum 39 (Monumenta Germaniae Historica. Auctores antiquissimi XI, p. 283). 25 Tricennalien: Anonymus Valesianus II 67 (per tricennalem triumphans). Babai: Jordanes, Getica 282.
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Theoderich stimmte zu und schickte seine Schwester mit einem starken militärischen Gefolge – nicht weniger als 1.000 Leibwächtern und 5.000 Knechten – nach Nordafrika.26 Auch wenn die Hochzeit anscheinend in Karthago gefeiert wurde, muß die vandalische Gesandtschaft in Rom Aufsehen erregt haben, denn durch diese Ehe entstand eine familiäre Verbindung Theoderichs mit einem Enkel Geiserichs, jenes Königs, welcher dem weströmischen Reich und der Stadt Rom mehr als jeder andere zugesetzt hatte; als Theoderich nach Rom kam, lebten gewiß noch Menschen, welche die vierzehntägige Plünderung im Jahre 455 miterlebt hatten. So römisch Theoderich sich in Rom auch gerieren mochte, seine Verwandtschaft entstammte den Familien barbarischer Könige: Er selbst war seit geraumer Zeit mit Audefleda, einer Schwester des fränkischen Königs Chlodwig, verheiratet.27 Von seinen beiden Töchtern aus erster Ehe hatte er die eine – Ostrogotho – dem Burgundenkönig Sigismund zur Frau gegeben, die andere – Thiudigotho – dem westgotischen König Alarich, einem Nachfolger und Namensvetter jenes Königs, der Rom im August des Jahres 410 eingenommen und drei Tage lang geplündert hatte.28 Der Tag seines Abzugs, der 28. August, war in Rom noch Jahrzehnte später gefeiert worden, das traumatische Ereignis auch zur Zeit Theoderichs unvergessen.29 Das gotische Gefolge Theoderichs taucht in den Berichten nur ein einziges Mal auf, aber das besagt nichts über seine tatsächliche Bedeutung oder über seine Sichtbarkeit für die Zeitgenossen. Für die Römer müssen die Goten im Umfeld des Königs unübersehbar gewesen sein. Wenn Theoderich die Kommunion erhalten wollte, mußte 26 Hochzeit der Amalafrida mit Thrasamund: Anonymus Valesianus II 68; Procopius,
Bellum Vandalicum 1, 8, 11–13; Jordanes, Getica 299; Ennodius, Panegyricus 70; Cassiodorus, Variae 5, 43; 9, 1. 27 Audefleda: Anonymus Valesianus II 63; Jordanes, Getica 295–297; Gregorius Turonensis, Historiae 3, 31. 28 Thiudigotho: Martindale 1982, 1068 s. v. Theodegotha. Ostrogotho: Martindale 1982, 138 f. s.v. Ostrogotho Areagni. 29 Alarich in Rom: Meier/Patzold 2010; Lipps/Machado/Rummel (Eds.) 2012; Harich-Schwarzbauer/Pollmann (Hgg.) 2013. Plünderung durch Alarich im 6. Jahrhundert unvergessen: Cassiodorus, Chronica sub anno 410 (Monumenta Germaniae Historica. Auctores antiquissimi XI, p. 155); Variae 12, 20, 4. Dankfest für die Befreiung von Alarich: Leo Magnus, Sermo 74 Dolle = 84 Chavasse (aus dem Jahr 442) mit Salzman 2013, 226 f.; Salzman 2014. Die Predigt wird bei Meier/Patzold 2010 nicht erwähnt.
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Abb. 1: Medaillon von Morro d’Alba: Zur Scheibenfibel umgearbeitete Goldmünze mit dem Brustbild Theoderichs, gefunden 1894 in einem Grab; Legende der Vorderseite: RE X TH E O DE RIC U S PIU S PR INC IS ; Rückseite: RE X TH E O DE RICUS VICTO R GENT IU M ; als Fundort wird häufig irrtümlich Senigallia angegeben.
er eine der wenigen Kirchen Roms aufsuchen, wo Geistliche seiner Glaubensrichtung die Messe zelebrieren durften; vermutlich begab er sich dann, umgeben von Glaubensgenossen, vom Palast auf dem Palatin in das damals ecclesia Gothorum, heute Sant’Agata dei Goti, genannte Gotteshaus in der Subura, dessen Apsis-Mosaik der 472 verstorbene Heermeister Rikimer gestiftet hatte.30 Für das Gefolge des Königs wurde wohl damals das berühmte Medaillon geprägt, dessen Vorderseite das einzige zeitgenössische Bild Theoderichs trägt: Er trägt einen Brustpanzer und darüber einen Mantel (paludamentum), der auf der rechten Seite durch eine Fibel zusammengehalten wird. Die rechte Hand ist im Gestus der Rede (adlocutio) erhoben, die linke hält auf einer Erdkugel eine kleine Siegesgöttin (victoria), die dem König einen Kranz darreicht. Die Legende lautet: rex Theodericus, pius princ(eps) i(nvictu)s. Auf der Rückseite erscheint noch einmal die Siegesgöttin, umgeben von der Legende rex Theodericus, victor gentium – »König Theoderich Sieger über die Völker«. Auf den ersten Blick erscheint die Bildsprache durchaus römisch zu sein. Brustpanzer und Feldherrnmantel, der Gestus 30 Ecclesia Gothorum: Liber Pontificalis 66, 5. S. Agata dei Goti: Krautheimer 1937,
2–12; Mathisen 2009; Brandenburg 2013, 237 f.
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der Ansprache, die Siegesgöttin – all das kannte man von Münzen römischer Kaiser. Gleichwohl gab sich Theoderich nicht allein durch seine Titulatur als ein post-römischer Herrscher zu erkennen: Auch das lange Haupthaar und der Schnurbart waren ohne Vorbild in der Selbstdarstellung römischer Kaiser.31 Der König selbst lenkte die Aufmerksamkeit auf sein Gefolge, als er einem gewissen Odoin, der als comes zu seinem Hof gehörte, im Sessorianischen Palast bei der Kirche Santa Croce in Gerusalemme den Prozeß machte und ihn zum Tod durch Enthaupten verurteilte. Odoin wurde vorgeworfen, einen Anschlag auf Theoderich geplant zu haben; ob zu Recht oder zu Unrecht, können wir nicht mehr feststellen.32 Bemerkenswert ist in jedem Fall, daß Theoderich Odoin nach römischer Art zum Tod durch Enthaupten verurteilte und die Vollstreckung des Urteils anderen überließ. Sieben Jahre früher hatte der gotische König seinem Rivalen Odovakar in Ravenna noch eigenhändig den Oberkörper gespalten.33 Die warlords der Spätantike waren nicht zimperlich, wenn es darum ging, ihre Tüchtigkeit als Krieger unter Beweis zu stellen; das gilt für Theoderich ebenso wie für seinen fränkischen Konkurrenten Chlodwig. Römische Kaiser hingegen überließen das Töten gewöhnlich anderen. Auch hier gilt der Satz: When in Rome, do as the Romans do …
Ravenna: die urbs regia der gotischen Könige in Italien Obwohl Theoderichs Herrschaft in Italien mehr als drei Jahrzehnte dauerte – von 489/493 bis 526 –, sind die Tricennalien des Jahres 500 das einzige von ihm vollzogene Ritual der Macht, das sich in unseren Quellen einigermaßen greifen läßt. Die Prominenz des Ereignisses in der Überlieferung hat die moderne Forschung in der Neigung 31 Kraus 1928, 78 f., 82 Nr. 1; Bierbrauer 1975, 292 f. Nr. 19; R.-Alföldi 1978; R.-
Alföldi 1988 (Datierung); Metlich 2003, 15 f., 83 Nr. 3. Die Auflösung der Abkürzung IS ist nicht ganz sicher. Denkbar wäre auch i(nvictus) s(emper). Gotischer Bart: Ennodius, Carmina 2, 57. Zum Oberlippenbart Theoderichs: Ward-Perkins 2005, 72–77; Rummel 2007, 192–196; Arnold 2013. 32 Anonymus Valesianus II 68–69; Marius Aventicus, Chronica sub anno 500 (Monumenta Germaniae Historica. Auctores antiquissimi XI, p. 234). 33 Johannes Antiochenus, Fragmentum 214a Müller = 307 Roberto.
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bestärkt, die Herrschaft des gotischen Königs als nahezu bruchlose Fortsetzung imperialer Traditionen zu deuten. Nicht umsonst wird die Rede vom Untergang des Römischen Reiches seit geraumer Zeit häufig durch die Formel von der Transformation der Römischen Welt ersetzt. Tatsächlich lassen die Quellen keinen Zweifel, daß Theoderich die Rolle eines Kaisers mit Bravour zu spielen verstand. Allerdings gibt es gute Gründe für die Annahme, daß unsere Quellen ein einseitiges Bild vom Einzug und vor allem vom Aufenthalt des Königs in Rom zeichnen. Vor allem aber sollten die Berichte über die Tricennalien nicht in Vergessenheit geraten lassen, daß dieser Rom-Besuch einzigartig war und blieb, denn Theoderich hat das caput mundi nie wieder aufgesucht. Wie Odovakar, aber im Gegensatz zu den letzten weströmischen Kaisern, hielt sich der gotische König bewußt fern von Rom. Gewiß, Ravenna war zwischen 408 und 450 zeitweise die bevorzugte Residenz des kaiserlichen Hofes gewesen. Gleichwohl hatte Rom seine Bedeutung als sedes imperii niemals ganz verloren: Auch Kaiser Honorius (395–423) war für zeremonielle Anlässe mehrfach nach Rom gekommen, hatte hier anläßlich kaiserlicher Konsulate Spiele gegeben und 416 den Triumph über den Gegenkaiser Attalus gefeiert.34 Zudem entstand bei St. Peter in Rom und nicht etwa in Ravenna das Mausoleum der Dynastie, in welchem der Kaiser 423 beigesetzt wurde.35 Valentinian III. (425–455) suchte Rom seit den 440er Jahren wieder häufig auf; er kam hier ums Leben (455) und wurde wie seine 450 verstorbene Mutter Galla Placidia im Mausoleum bei St. Peter bestattet. Anthemius residierte während seiner fünfjährigen Herrschaft (467–472) sogar durchgängig in der urbs aeterna.36 Die räumliche Distanz zu Rom ist also keineswegs als bruchlose und selbstverständliche Fortsetzung imperialer Politik zu verstehen, auch wenn sie nicht ohne Vorläufer war. Es ist folglich durchaus sig-
34 Gillett 2001, 137–141. Feier des 6. Konsulats des Honorius (404): Claudianus, De
sexto consulatu Honorii. Triumph über Attalus: Philostorgius, Historia Ecclesiastica 12, 5; Prosper Tiro, Chronica sub anno 417 (Monumenta Germaniae Historica. Auctores antiquissimi IX, p. 468). 35 Mausoleum des Honorius (Santa Petronilla): Johnson 2009, 167–174. 36 Gillett 2001, 152 f.
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nifikant, daß Theoderich Oberitalien nur dieses eine Mal verließ. In diesem eng umschriebenen Raum war der König durchaus mobil; er residierte nicht nur in Ravenna, sondern auch in Verona und Pavia, wo er Paläste restaurieren ließ.37 Es besteht indessen kein Zweifel, daß Theoderich Ravenna planvoll zu seiner Hauptresidenz ausbaute. Damit ging er erheblich über Odovakar hinaus, der ebenfalls überwiegend in Ravenna residiert zu haben scheint. Odovakar nämlich hat in Ravenna keinerlei nachweisbare Spuren seiner 17jährigen Regierung hinterlassen.38 Theoderich dagegen ließ dort zahlreiche Bauten instandsetzen, umbauen, vergrößern oder sogar neu errichten, darunter einen Palast, eine Wasserleitung und ein Mausoleum.39 Neben dem Palast entstand eine große Basilika, die aufgrund ihrer Lage als Palastkirche angesprochen wird; sie war dem Erlöser gewidmet und ist heute unter dem Namen Sant’Apollinare Nuovo bekannt. Die Palastkirche war jedoch keineswegs das einzige Kultgebäude, das unter Theoderich in Ravenna für die Angehörigen seiner Konfession errichtet wurde. Vielmehr entstand damals auch eine Basilika, die der Homöischen Gemeinde als Bischofskirche diente – heute Santo Spirito mit dem sogenannten Baptisterium der Arianer –, sowie ein halbes Dutzend weiterer Kirchen innerhalb und außerhalb der Stadtmauern.40 Daß Ravenna als realer und symbolischer Mittelpunkt der Herrschaft Theoderichs fungierte, geht indessen nicht allein aus der re37 Palast in Verona: Anonymus Valesianus II 71. Palast in Pavia: Anonymus Valesia-
nus II 71; Agnellus, Liber pontificalis 94. 38 In der älteren Forschung wurde Odovaker mitunter mit der Befestigung der Stadt in Verbindung gebracht. Die neuere Forschung geht jedoch einhellig davon aus, daß der spätantike Mauerring von ca. 4,5 km Länge, der von Agnellus, Liber pontificalis 40 Valentinian III. zugeschrieben wird, in einem Zuge errichtet wurde: Christie/Gibson 1988; Gelichi 2005; Jäggi 2013, 75–77. Mauskopf Deliyannis 2010, 52–54 (»shortly before or after 402«) möchte den Bau allerdings bereits Honorius zuschreiben. 39 Baupolitik Theoderichs: Johnson 1988; Pferschy 1989, 259–291; La Rocca 1993; Wood 2007. 40 Theoderichs Bauten in Ravenna: Deichmann 1974, 125–190, 209–258; Deichmann 1976, 326–329; Deichmann 1989; Mauskopf Deliyannis 2010, 114–136; 139– 187; Jäggi 2013, 154–217. Theoderich als Bauherr: 1) S. Apollinare Nuovo. Agnellus, Liber pontificalis 86 mit Deichmann 1974, 125–190, 2) Kathedrale (S. Spirito) mit Baptisterium: Deichmann 1974, 245–258; 3) ecclesia Gothorum (S. Andrea dei Goti): Deichmann 1976, 326–329. Der homöische Bischof Hunimund als Bauherr von S. Eusebio: Agnellus, Liber Pontificalis 70 mit Deichmann 1976, 325.
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Abb. 2: Das Mausoleum Theoderichs des Großen in Ravenna (Vorderansicht)
gelmäßigen Anwesenheit des Königs und der Vielzahl der dort von ihm oder mit seiner Unterstützung errichteten Bauten hervor. Da er hier auch sein Mausoleum erbauen ließ, besteht kein Zweifel, daß die Verbindung mit dieser Stadt seinen Tod überdauern sollte: Vor den Mauern der Stadt entstand in seinen letzten Jahren ein freistehender Grabbau sui generis, welcher die überragende Stellung Theoderichs für die Nachwelt verkünden sollte.41 41 Mausoleum Theoderichs: Anonymus Valesianus II 96; Agnellus, Liber pontifica-
lis 39. Baubeschreibung: Heidenreich/Johannes 1971; Deichmann 1974, 209–240; Mauskopf Deliyannis 2010, 124–136; Jäggi 2013, 202–218.
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Die unauflösliche Verbindung zwischen Theoderich und Ravenna fand auch in Bildern ihren Ausdruck. Im Giebel des Hauptportals des Palastes sah man Theoderich im Panzer, mit Schild und Lanze, zwischen der Personifikation Roms, mit Lanze und Helm, und derjenigen Ravennas, die den rechten Fuß auf das Meer, den linken auf die Erde gesetzt hatte und auf den König zueilte. Das Mosaik ist heute verloren, aber Agnellus, dem wir die Beschreibung verdanken, hat es im 9. Jahrhundert noch gesehen.42 Das Paar Rom-Ravenna begegnet auch in der Kupferprägung Theoderichs: Während die Münzen im Wert von 40 Nummi auf der Vorderseite die personifizierte Roma mit der Legende Roma Invicta und auf der Rückseite einen Adler zeigen, erscheint auf den Münzen im Wert von 10 Nummi auf der Vorderseite eine bekrönte Frauengestalt mit der Legende Felix Ravenna und auf der Rückseite das Monogramm der Stadt; beide Nominale wurden ausschließlich in Rom geprägt. Dieselbe Vorderseite begegnet auch bei den Prägungen der Münzstätte Ravenna im Wert von fünf Nummi, ist dort aber mit einer Rückseite gekoppelt, die eine Victoria zwischen den Buchstaben R und V zeigt.43
Abb. 3: Bronzemünze im Wert von 40 Nummi, geprägt in Rom; Vorderseite: Büste der Roma mit Helm und Panzer; Legende: Invicta Roma. Rückseite: Adler nach links
42 Agnellus, Liber Pontificalis 94 mit Duval 1960, 356–363. 43 Invicta Roma/Felix Ravenna: Metlich 2004, 48–50; 112–114 Nr. 76–78 (Rom);
Nr. 81 (Ravenna). Die Prägung von Nummi mit der Legende Invicta Roma wurde unter Athalarich fortgesetzt; die Rückseite der kleinen Nominale trug nun jedoch überwiegend die Legende D(ominus) n(oster) Athalaricus. Kraus 1928, 212–224 deutete diese Prägungen noch als pseudo-autonom.
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Abb. 4: Bronzemünze im Wert von 10 Nummi; geprägt in Rom; Vorderseite: Büste der Ravenna mit Mauerkrone und Gewand; Legende: Felix Ravenna. Rückseite: Monogramm Ravennas in einem Kranz
Theoderich setzte dem caput mundi Rom also bewußt eine urbs regia entgegen, die er zu seiner dauerhaften Residenz machte und zum zweiten symbolischen Zentrum seines Reiches erhob; darum heißt Ravenna bei Cassiodor urbs regia.44 Diese räumliche Konstellation – die Bipolarität zwischen Rom und Ravenna – entsprach dem Herrschaftskonzept des Königs: Indem Theoderich sich von Rom fernhielt, der Stadt aber gleichzeitig ihre Privilegien garantierte, reduzierte er das Konfliktpotential, das aus der Koexistenz einer gotischen Kriegerelite überwiegend homöischer Konfession mit römischen Senatoren katholischen Glaubens resultierte. Er überließ den Senatoren Rom als eine Art Bühne, auf der sie ungestört durch höfische Konkurrenz einen standesgemäßen Lebenswandel pflegen und sich als Hüter römischer Tradition gerieren konnten; die Sitzinschriften im Colosseum zeigen, daß sie von dieser Möglichkeit ausgiebig Gebrauch gemacht haben.45 Für die Sprößlinge senatorischer Familien war der Aufenthalt am ravennatischen Hof des gotischen Königs ein unvermeidliches, aber vorübergehendes Übel. Da sie nur durch seine Gunst in die Rangklasse eines spectabilis oder gar illustris befördert werden konnten, erstrebten sie eines der hohen Ämter bei Hofe, die ihrem Inhaber diese Würden einbrachten. Ein längerer Aufenthalt in der königlichen Residenz an der Adria – Ennodius nennt sie inamabilis Ravenna – war der Preis, den man für diese Statusdistinktion zu zahlen hatte. Nach dem Ende des Dienstes für den König kehrte man in der Re-
44 Ravenna als urbs regia: Cassiodorus, Variae 6, 6, 6; 11, 37, 2; 12, 22, 3; 5; Jorda-
nes, Getica 147; 293. 45 Chastagnol 1966; teilweise überholt durch Orlandi 2005. Das klassische Zeugnis ist die subscriptio des Fl. Turcius Rufius Apronianus Asterius in einer Handschrift der Eklogen Vergils: Poetae Latini minores V, p. 110 f. mit Cameron 1998, 28–39.
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gel rasch wieder dorthin zurück, wo man seinen Lebensmittelpunkt hatte, nach Rom oder an einen anderen Ort.46 Für Theoderich hatte Ravenna als Mittelpunkt seiner Herrschaft nicht nur strategische Vorteile – die Nähe zu den Alpen und der Hafen an der Adria –, sondern auch politische. Diese politischen Vorteile lassen sich zunächst einmal negativ beschreiben: Indem der König fern von Rom residierte, entzog er sich der Notwendigkeit, seine Herrschaft dauerhaft in Formen zu inszenieren, die durch die Erwartungen des Senats und der stadtrömischen Bevölkerung bestimmt wurden. Er entging dadurch dem Zwang, sich regelmäßig in der Curia den Senatoren und im Circus Maximus dem populus Romanus zu stellen, und er mußte sich nicht pausenlos an der imperialen Größe Roms messen lassen, die sich in zahllosen Monumenten niedergeschlagen hatte. Die glorreiche Geschichte der Stadt, die zu einem Imperium geworden war, war hier auf Schritt und Tritt präsent.47 Zudem aber vermied Theoderich ein Dilemma, das sich aus der räumlichen Nähe zum Papst ergeben hätte: Der König hätte in der Stadt der Apostel Petrus und Paulus einerseits den angesehensten und mächtigsten katholischen Bischof Italiens hofieren, andererseits jedoch die Repräsentanten seiner eigenen Konfession protegieren müssen, die dort in jeder Hinsicht marginalisiert war. Religiöse Neutralität war in Rom auch deswegen kaum praktizierbar, weil der Streit um den Stuhl Petri durch die Entscheidung des Jahres 499 keineswegs dauerhaft beendet war, wie man im Überschwang der Tricennalien-Feier glauben mochte. Der Streit zwischen den Anhängern des Symmachus und des Laurentius flammte vielmehr schon 501 wieder auf, spaltete die Senatoren in zwei Lager und konnte erst 506, nach schweren Unruhen, die Menschenleben kosteten, einigermaßen beigelegt werden. Hätte Theoderich in Rom residiert, hätte er sich der Erwartung, für eine Beendigung des Schismas zu sorgen, nicht so lange entziehen können.48 Die Entscheidung für Ravenna eröffnete aber auch Gestaltungsmöglichkeiten: In Ravenna ließ sich die vom König propagierte Kooperation zwischen Goten und Römern und die damit verbundene 46 Matthews 1975, 284–306; 352–376; L. Piétri 1983; Piétri 1991. Inamabilis Ra-
venna: Ennodius, Epistulae 5, 18. 47 Rom als Erinnerungslandschaft: Muth 2006; Behrwald 2009. 48 Laurentianisches Schisma: Wiemer 2014, 318–328 (mit weiteren Verweisen).
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Koexistenz zweier christlicher Konfessionen viel leichter inszenieren als in Rom. Das hatte mit der Größe der Bevölkerung zu tun: Verglichen mit Rom, das um 500 noch immer etwa 50.000 bis 100.000 Einwohner gezählt haben mag, war Ravenna eine Kleinstadt, deren Einwohnerzahl auf 5.000 bis 10.000 geschätzt wird.49 In Ravenna fiel die gotische Gefolgschaft Theoderichs daher schon zahlenmäßig viel stärker ins Gewicht. Aber Ravenna bot Theoderich auch ganz andere Möglichkeiten, einen urbanen Raum nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Gewiß gab es auch hier Bauten, die an die Zeiten erinnerten, als im römischen Westen noch Kaiser regiert hatten: neben den Stadtmauern und dem Palast vor allem die von Galla Placidia gestifteten Kirchen San Giovanni Evangelista und Santa Croce.50 Aber die Ausstattung Ravennas mit monumentalen Bauwerken war, verglichen mit anderen Kaiserresidenzen, durchaus bescheiden, mochten auch Toponyme suggerieren, der ravennatische Hof rangiere auf Augenhöhe mit dem von Konstantinopel.51 Bevor Theoderich die Herrschaft in Italien übernahm, gab es in Ravenna nicht einmal eine funktionierende Wasserleitung, geschweige denn kolossale Thermenanlagen wie in Trier, Arles oder Mailand.52 49 Alle Angaben über die Bevölkerungszahl des spätantiken Ravenna sind bloße
Schätzungen; Deichmann 1989, 114 f.: 5.000 Einwohner; Cosentino 2005: 10.000 Einwohner. 50 Deichmann 1974, 49–60 (S. Croce), 61–90 (Mausoleum), 93–124 (S. Giovanni Evangelista); Wood 2007; Mauskopf Deliyannis 2010, 41–105, bes. 62–83; Jäggi 2013, 73–148, bes. 83–115. 51 Das Eingangstor des Palastes, in welchem Theoderich residierte, hieß wie in Konstantinopel Chalke (Agnellus, Liber pontificalis 94); wann der Name aufkam, ist ungewiß. Außerdem scheint der Beiname Ad Lauretum bzw. in Laureto, der dem Palast Valentinians III. beigelegt wird (Anonymus Valesianus II 55; Agnellus, Liber pontificalis 40), auf den Daphne genannten Teil des Palastes am Bosporos anzuspielen. Weitere Toponyme, die in Konstantinopel ein Pendant haben, verzeichnen Deichmann 1989, 39 f., 53–58; Farioli Campanati 1992, 136 f.; keines ist vor dem 9. Jahrhundert belegt. Vgl. dazu Mazza 2005, dessen Schlußfolgerungen indessen viel zu weit gehen. 52 Aquaedukt: Cassiodorus, Chronica sub anno 502 (Monumenta Germaniae Historica. Auctores antiquissimi XI, p. 160): Rex Theodericus aquam Ravennam perduxit, cuius formam sumptu proprio instauravit quae longis ante fuerat ad solum reducta temporibus; Anonymus Valesianus II 71: Hic aquae ductum Ravennae restauravit quem princeps Traianus fecerat, et post multa tempora aquam introduxit; vgl. Sidonius Apollinaris, Epistulae 1, 5, 5 f. Von der Wasserleitung stammen Bleiröhren mit der Inschrift D(ominus) n(oster) Theodericus | civitati restituit (Fiebiger 1944, Nr. 7; abgebildet bei Jäggi 2013, 148). Vgl. weiterhin Cassiodorus, Variae 5, 38. Auf
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Vor allem aber war Ravenna im Gegensatz zu Rom weder ein monumentales Museum römischer Geschichte noch der Wohnsitz der reichsten und mächtigsten Männer Italiens. In Ravenna war der königliche Hof die in jeder Hinsicht dominierende Institution. Der soziale Einfluß der städtischen Führungsschicht Ravennas war gering, denn sie gehörte bis auf wenige Ausnahmen der untersten Rangklasse des Senatorenstandes, den clarissimi, an.53 Den hochrangigen Senatoren, die sich im Königsdienst zeitweise in Ravenna aufhielten, standen zahlreiche Goten gegenüber, die in der Stadt ihres Königs wohnten.54 Und anders als in Rom konzentrierte sich in Ravenna auch das geistige Leben, soweit es profaner Natur war, auf den königlichen Hof.55 Das Bauprogramm Theoderichs sorgte dafür, daß seine Konfession im Stadtbild nicht weniger präsent war als die katholische. In Ravenna waren Goten und Römer, Homöer und Katholiken einigermaßen paritätische Kräfte, herrschte also tatsächlich der Zustand, dessen Bestehen die königliche Kanzlei für ganz Italien unaufhörlich verkündete. Natürlich gab es neben den beiden anerkannten christlichen Konfessionen auch in Ravenna noch eine jüdische Gemeinde, die sich in einer Synagoge versammelte, aber diese hatte im Herrschaftskonzept Theoderichs ebensowenig einen Platz wie in dem christlicher Kaiser; sie wurde lediglich geduldet.56 Leider läßt sich jedoch die aus dieser Konstellation resultierende Topographie der Macht kaum konkretisieren, obwohl sich einige Bauten Theoderichs bis heute erhalten haben und andere zumindest ungefähr lokalisiert werden können.57 Der auf einem Mosaik in Sant’ das Fehlen von »Kaiserthermen« im archäologischen Befund Ravennas macht WardPerkins 2000, 74 f. aufmerksam. 53 Stein 1920, 59–71; Ausbüttel 1987. 54 Goten in Ravenna: Deichmann 1989, 142–147; Lazard 1991; Brown 1993; Mauskopf Deliyannis 2010, 116. 55 Grundlegend Deichmann 1982; Deichmann 1989, 189–224; vgl. auch Schäferdiek 2009 über den homöischen Klerus. 56 Anonymus Valesianus II 81–82; 94–95; Johannes Antiochenus, Fragmentum 214a Müller = 306 Roberto (Synagoge mit Friedhof); dazu Cracco Ruggini 1959, 252–256; Brown 1991, 146 f.; Brennecke 2000. Anti-jüdische Polemik bei Petrus Chrysologus: Böhmer 1919, 12. 57 Leider gibt der Bericht des Constantius von Lyon über Einzug, Aufenthalt und Tod des Germanus von Auxerre (Vita Germani 35–44) für die Topographie Ravennas kaum etwas aus, abgesehen von der Erwähnung einer platea latissima und eines carcer.
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Abb. 5: Das sogenannte Palastmosaik aus Sant’ Apollinare Nuovo (Ravenna), der ehemaligen »Palastkirche« Theoderichs des Großen
Apollinare Nuovo abgebildete, vor dem 1. Weltkrieg teilweise ausgegrabene Palast Theoderichs wird in den Schriftquellen lediglich als Lokal von Hochzeiten faßbar: Hier heiratete 515 Theoderichs Tochter Amalaswintha den als Nachfolger vorgesehenen Eutharich und 536 Theoderichs Enkelin Matasuentha König Witigis.58 Merobaudes und Cassiodor feiern seine kostbare Innenausstattung mit farbigen Steinen.59 Umgekehrt wissen wir zu wenig über seine Größe und Gestalt, um aus Grundriß und Raumaufteilung Schlüsse auf das Hofzeremoniell ziehen zu können.60 Auch die Art und Weise, wie die Kultstätten genutzt wurden, bleibt uns weitgehend verborgen: Suchten Theoderich und sein Hof allein die sogenannte Palastkirche auf oder gingen sie bei bestimmten Gelegenheiten auch in die Bischofskirche, wie es Galla Placidia und ihre Kinder getan zu haben scheinen?61 Ebensowenig bekannt ist, ob der Hof sich an Prozessionen zu den anderen Kirchen der homöi58 Cassiodorus, Orationum reliquiae 2 (Monumenta Germaniae Historica. Auctores
antiquissimi XII, p. 473–484); vgl. Jordanes, Getica 311. 59 Merobaudes, Carmen 1, 1–24 mit Clover 1971, 16–27; Cassiodorus, Orationum reliquiae 2 (Monumenta Germaniae Historica. Auctores antiquissimi XII, p. 483, 6–21). 60 Palast Theoderichs: Deichmann 1989, 51–75; Mauskopf Deliyannis 2010, 119– 122; Jäggi 2013, 160–168. Dyggve 1941 glaubte, eine hypaithrale Basilika für den Herrscherkult ausmachen zu können; dagegen mit Recht Duval 1960. 61 Petrus wendet sich am Ende des an Pfingsten gepredigten Sermo 85ter Olivar an die anwesenden principes. (Diese Predigt war Böhmer 1919 noch unbekannt.) Galla
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schen Gemeinde inner- und außerhalb Ravennas beteiligte. Schließlich fehlt jede Nachricht darüber, ob die katholischen Teile des Hofes dem Gottesdienst in der »Palastkirche«, die immerhin Raum für mehrere Tausend Gläubige bot, grundsätzlich fernblieben oder ihn – gemeinsam mit den Katechumenen – erst dann verließen, wenn das Abendmahl gespendet wurde. Die Frage, in welcher räumlichen Konstellation sich die soziale Koexistenz von Goten und Römern vollzog, bleibt ebenfalls ohne schlüssige Antwort, wenngleich die Konzentration königlicher Bauten und homöischer Kulträume im Osten Ravennas darauf hindeuten könnte, daß die Wohngebiete der Goten ebenfalls in diesem Teil der Stadt konzentriert waren. Ebensowenig ist es möglich, öffentliche Räume zu identifizieren, in denen die Interaktion des Königs mit seinen gotischen Untertanen besonders intensiv war. Odovakar und Theoderich wurden in Ravenna zu Königen erhoben, aber niemand kann sagen, wo genau diese Handlung vollzogen wurde. Auch der jährlichen Musterung gotischer Krieger, die von höchster Bedeutung für die Sicherung der Herrschaft Theoderichs war,62 läßt sich mangels Quellen kein konkreter Ort zuweisen, auch wenn man wegen der großen Anzahl beteiligter Personen eher an ein offenes Gelände vor den Mauern denken wird. Auch bei dem Versuch, die Orte zu lokalisieren, an denen »Schauspiele« (spectacula) veranstaltet wurden, läßt uns die Archäologie im Stich. Theater, Amphitheater und Zirkus bildeten in spätrömischen Residenzstädten öffentliche Räume, in denen sich Herrscher und Beherrschte begegneten. Wie stand es damit in Ravenna? Auch dort muß es ein Theater gegeben haben, denn Salvian aus Marseille stellt um 450 dem Volk von Rom, das sich im Zirkus versammle, das Volk von Ravenna gegenüber, das im Theater zusammenkomme.63 Für die Annahme, daß es auch zur Zeit Theoderichs noch regelmäßig bespielt wurde, läßt sich anführen, daß es am Hof des Königs einen für die Überwachung der »Schauspiele« zuständigen Amtsträger gege-
Placidia war mit ihren Kindern anwesend, als Petrus aus Anlaß einer Bischofsweihe Sermo 133 Olivar hielt; vgl. Böhmer 1919, 25 f. 62 Cassiodorus, Variae 5, 26; 5, 27; 5, 36. 63 Salvianus, De Gubernatione Dei 6, 49: Denique cuiuslibet civitatis incolae Ravennam aut Romam venerint, pars sunt Romanae plebis in circo, pars sunt populi Ravennatis in theatro.
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ben hat.64 Weiterhin wurden zur Zeit Theoderichs in Ravenna wahrscheinlich mit einer gewissen Regelmäßigkeit Kämpfe von Menschen gegen Tiere (venationes) veranstaltet. Ein Amphitheater war nachweislich vorhanden; es wird im »Bischofsbuch« des Agnellus von Ravenna, das im 9. Jahrhundert auf der Grundlage älterer Quellen verfaßt wurde, mehrfach erwähnt.65 Daß das Amphitheater Ravennas zur Zeit Theoderichs in Betrieb war, ist schon deswegen wahrscheinlich, weil der König in seiner Nebenresidenz Pavia ein Amphitheater restaurieren ließ.66 Für das Jahr 519 ist die Aufführung von Tierhetzen in Ravenna auch expressis verbis belegt.67 Auch Theoderichs Nachfolger Athalarich scheint den Einwohnern Ravennas »Vergnügungen« (voluptates) dieser Art geboten zu haben, denn Papst Felix III. schreibt in einem Brief aus dem Jahre 530, ihm sei zu Ohren gekommen, daß Kleriker Ravennas »Schauspiele« (spectacula) besuchten, und bezeichnet dies als eine »grausame Sache« (res crudelis).68 Angesichts der Bedeutung, die dem Hippodrom als Kommunikationsraum im zeitgenössischen Konstantinopel zukam, besitzt die Frage, ob zur Zeit Theoderichs auch in Ravenna regelmäßig Wagenrennen veranstaltet wurden, besondere Dringlichkeit. Die Quellen bleiben eine eindeutige Antwort schuldig. Materielle Überreste eines Hippodroms wurden bislang nicht gefunden, obwohl Gebäude dieser Dimensionen selten spurlos verschwinden. Im »Bischofsbuch« des Agnellus, der großes Interesse für die Topographie seiner Heimatstadt zeigt, wird kein Zirkus erwähnt; auch Petrus Chrysologus und Cassiodor wissen über eine Rennbahn oder Wagenrennen in Ravenna nichts zu berichten. Der einzige Beleg für einen Zirkus in Ravenna datiert aus der Mitte des 7. Jahrhunderts, als man selbst in Rom 64 Cassiodorus, Variae 1, 43, 3: Qui tanta se animi puritate clarificavit ut, cum apud
nos mereretur aulicas dignitates, spectaculorum ordinationem laetissimam sibi militiam vindicaret, quatenus sub specie voluptatis libere videretur velle servire, a laboribus quidem temperans, sed in nulla se nobis parte dissocians. Dieses Amt war offenkundig dasjenige eines tribunus voluptatum: Cassiodorus, Variae 5, 25; 7, 10. 65 Agnellus, Liber pontificalis 2; 129. 66 Anonymus Valesianus II 71; vgl. Corpus Inscriptionum Latinarum V 6418 = Inscriptiones Latinae Selectae Nr. 829 (Athalarich). 67 Cassiodorus, Chronica sub anno 519 (Monumenta Germaniae Historica. Auctores antiquissimi XI, p. 161); zitiert unten Anm. 80. 68 Epistula Felicis apud Agnellum, Liber pontificalis 60 (Jaffé 1885, Nr. 877). Der Vorwurf der Grausamkeit wurde vor allem gegen die Gladiatorenkämpfe, aber auch gegen die Tierhetzen erhoben: Weismann 1972, 80.
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schon lange keine Wagenrennen mehr fuhr; er kommt auch nicht aus Ravenna selbst, sondern aus dem »Bischofsbuch« der römischen Kirche. Angesichts des Schweigens der umfangreichen lokalen Überlieferung darf man bezweifeln, ob diese Stelle ausreicht, die verbreitete Annahme zu stützen, es habe wie in den meisten spätrömischen Kaiserresidenzen auch in Ravenna einen Hippodrom gegeben.69 Für bewiesen könnte seine Existenz erst dann gelten, wenn eines Tages materielle Überreste gefunden würden. Auch wenn archäologische Forschungen den Nachweis erbringen sollten, daß es in Ravenna tatsächlich einen Hippodrom gab, wäre damit freilich die Frage noch keineswegs beantwortet, wie häufig Theoderich ihn besuchte, um dort Wagenrennen beizuwohnen, die im Rahmen eines profanen Festkalenders veranstaltet wurden. Auf die Frequenz aber kommt es an, wenn es darum geht, die politische Bedeutung des Zirkus zu bestimmen. Der profane Festkalender Ravennas ist uns im Gegensatz zum römischen nahezu unbekannt. 70 Wir wissen nicht, welche profanen Feste dort gefeiert wurden, geschweige denn, welche Rolle der Zirkus dabei spielte. Zwar ist verbürgt, daß der Antritt eines Konsulats auch unter Theoderich mit der Veranstaltung von Wagenrennen verbunden war, aber gerade diese Zeremonie fand damals häufig, vielleicht meistens in Rom statt.71 Honorius und Valentinian III. dürften dynastische Feste eingeführt haben; daß sie ein halbes Jahrhundert nach dem Ende der Dynastie (455) noch immer gefeiert wurden, ist jedoch unwahrscheinlich. Möglicherweise traten Feste zu Ehren Theoderichs, seiner Erfolge und seiner Familie an ihre Stelle, doch ist diese Annahme durch keine Quelle gesichert. Es lohnt sich, die Implikationen zu verdeutlichen: Hätte der König sich wie zur selben Zeit Kaiser Anastasios in regelmäßigen Abständen in einem Hippodrom eingefunden, wäre er dort einer Menschenmenge gegenübergetreten, deren Verhalten durch die Identifikation mit Rennställen bestimmt wurde. Im Zirkus traten sich nicht Goten
69 Rom: Salzman 1990. Freilich reichen die Quellen, der »Kalender von 354« und der
Kalender des Polemius Silvius , nicht bis ins 6. Jahrhundert. Konstantinopel: Dagron 2011, 119–126. 70 Zu dieser Frage ausführlich unten in Abschnitt V. 71 Poetae Latini minores V, p. 110 f. (494); Cassiodorus, Chronica sub anno 519 (Monumenta Germaniae Historica. Auctores antiquissimi XI, p. 161) (519); Boethius, Consolatio philosophiae 2, 3 (522).
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und Römer, sondern Blaue und Grüne gegenüber.72 Die Sitzordnung visualisierte die Polarisierung durch Fanclubs (factiones) und soziale Hierarchien, nicht ethnische Diversität.73 Theoderichs Herrschaftskonzept wäre im Zirkus nicht darstellbar gewesen. Für Theoderich war ein Hippodrom als Ort der Repräsentation seiner Herrschaft in Italien auch deswegen problematisch, weil er dort in die Rolle schlüpfen mußte, die in Konstantinopel der Kaiser spielte; das mochte aus oströmischer Sicht hingehen, solange es sich um besondere Anlässe handelte, zumal wenn diese in Rom begangen wurden. Die Anwesenheit bei Wagenrennen konnte aber leicht als Usurpation eines kaiserlichen Vorrechts gedeutet werden. Prokopios stellt die Tatsache, daß fränkische Könige in Arles Wagenrennen beiwohnten, auf eine Stufe mit der Prägung von Goldmünzen, die nicht das Bild des Kaisers tragen;74 die samaritanischen Usurpatoren Ioustasas (484) und Ioulianos (529) veranstalteten sogleich nach ihrer Erhebung Wagenrennen; der Perserkönig Chosroes lud die Einwohner Apameias zu einem Wagenrennen, nachdem er die Stadt erobert hatte (540).75 Wenn Theoderich darauf verzichtete, sein Königtum im Zirkus zu inszenieren, vermied er aber nicht nur Irritationen in Konstantinopel. Er entzog sich auch der Verpflichtung, die dort versammelten Zuschauer als Repräsentanten des populus Romanus zu behandeln. Der König hatte schon in den 460er Jahren, die er als Geisel in Konstantinopel verbrachte, hinreichend Gelegenheit gehabt zu erfahren, welchem Druck die Kaiser des Ostens sich aussetzten, wenn sie bei Wagenrennen in ihrer Loge erschienen; unter Kaiser Anastasios (491–518) nahmen die vom Hippodrom ausgehenden Unruhen be-
72 Cameron 1976; Liebeschuetz 1998; Dagron 2011, 135–150. 73 Sitzordnung im Hippodrom von Konstantinopel: Malalas 14, 2, p. 352 Dindorf.
Ehrensitze für Senatoren und Ritter im Circus maximus: Horsmann 1998, 103 mit Anm. 50. Theoderich mußte sich mit der Klage minderjähriger clarissimi befassen, denen der Stadtpräfekt die Sitze ihres Vaters in Zirkus und Amphitheater entzogen hatte: Cassiodorus, Variae 4, 42. Die Sitzplätze der Senatoren im »Colosseum« waren durch Inschriften markiert: Chastagnol 1966; Orlandi 2005. 74 Procopius, Bellum Goticum 3, 33, 5; vgl. Gregorius Turonensis, Historiae 5, 17 über den Bau von Rennbahnen in Paris und Soissons durch Chilperich (561–584). 75 Malalas 15, 8, p. 382 Dindorf (Ioustasas); 18, 35, p. 446 Dindorf (Ioulianos); Procopius, Bellum Persicum 2, 11, 31–34 (Chosroes) mit Cameron 1976, 182 f.
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drohliche Ausmaße an.76 Die Herrschaft gotischer Könige auf dem Balkan war von solchen Zwängen unabhängig gewesen; Residenzen hatte es ebensowenig gegeben wie ein höfisches Zeremoniell. Es ist darum vielleicht kein Zufall, daß der König neben Ravenna zwar Pavia und Verona, aber, soweit wir wissen, eben nicht Mailand als Residenz nutzte, wo ein Hippodrom existierte und zu seiner Zeit auch nachweislich Wagenrennen stattfanden.77 Dies würde bedeuten, daß das hauptstädtische Kaisertum Konstantinopels in dieser Hinsicht für Theoderich eher ein abschreckendes Beispiel als ein Vorbild war. Wenn diese Hypothese zuträfe, läge hier ein wichtiger Unterschied zwischen dem Königtum Theoderichs und dem Kaisertum des Ostens.78 Auch wenn sich die politische Bedeutung, die der Zirkus für das Königtum Theoderichs spielte, nicht mit Gewißheit bestimmen läßt, solange nicht einmal gesichert ist, daß eine solche Anlage in Ravenna überhaupt existierte, steht außer Zweifel, daß die Stadt im Herrschaftskonzept Theoderichs eine zentrale Rolle spielte: Ravenna war der reale und symbolische Mittelpunkt seines Königtums und sollte damit ebenbürtig neben Rom treten. Gegen Ende seiner Herrschaft hat der König diese Bipolarität noch einmal eindrucksvoll in Szene gesetzt: Im Jahre 518 konnte Theoderich, dem ein Sohn versagt geblieben war, Kaiser Iustinus dazu bewegen, daß er Eutharich, der einige Jahre zuvor in Ravenna Theoderichs Tochter Amalasvintha geheiratet hatte, als Thronfolger in Italien akzeptierte. Iustinus nahm Eutharich als Waffensohn an und gestand ihm zu, im Jahr darauf sein Kollege im Konsulat zu sein. Zwar traten Iustinus und Eutharich dieses Konsulat nicht am selben Ort an, aber Iustinus schickte einen Senator namens Symmachus als seinen Vertreter nach Rom, um den 76 Cameron 1976, 157–192; Heucke 1994, 7–313, bes. 248–310; Liebeschuetz 1998;
Dagron 2011, 151–227, bes. 154–156. 77 Cassiodorus, Variae 3, 39; vgl. 5, 25. Mailand war nach Procopius, Bellum Goticum 2, 7, 38 bis zur Katastrophe von 538 die zweitgrößte Stadt Italiens. Aquileia war nach der Aufgabe des profanen Stadtzentrums als Residenz wohl nicht mehr attraktiv: Jäggi 1990, 188 f.; Witschel 2001, 149 f.; Sotinel 2006, 233–270. 78 In den westgotischen Residenzen Toulouse (Guyon 2000) und Barcelona (Gurt/ Godoy 2000) scheint es keinen Hippodrom gegeben zu haben. Dagegen existierte ein Zirkus in Toledo, das aber erst unter Leovigild (568–586) Residenz wurde: Velázquez/ Ripoll 2000. Der Hippodrom von Carthago wiederum blieb unter vandalischer Herrschaft in Betrieb: Humphrey 1989.
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Feierlichkeiten beizuwohnen, die dort aus Anlaß des Konsulats des Eutharich begangen wurden.79 Cassiodor notiert in seiner im selben Jahr vollendeten »Chronik«, Eutharich habe großzügig Geschenke an Goten und Römer verteilt und dem Senat Ehrenstellen (dignitates) verliehen. Im Colosseum habe er Vorführungen mit wilden Tieren (munera amphitheatralia) veranstaltet, die aus Nordafrika kamen. Anschließend sei Eutharich nach Ravenna zu seinem »ruhmreichen Vater« geeilt, habe die Vorführungen (editiones) dort wiederholt und die römische Feier durch die Anzahl der Geschenke an Goten und Römer sogar noch übertroffen.80 Wurden damals auch in Ravenna Wagenrennen veranstaltet, wie man es für Rom voraussetzen darf?81 Der Text scheint diese Annahme nahezulegen, doch werden nur Tierhetzen ausdrücklich erwähnt. Wie auch immer es darum stehen mag: In jedem Fall bringt die Wiederholung der Feier mit großer Deutlichkeit zum Ausdruck, daß die Herrschaft Theoderichs in Italien zwei räumliche Zentren hatte: Roma Invicta und Felix Ravenna.
Tours: Chlodwigs Einzug im Jahre 508 Die Art und Weise, in der Theoderich seine Herrschaft inszenierte, läßt sich schärfer konturieren, wenn man nicht allein das römische 79 Eutharich: Martindale 1982, 438 s. v. Fl. Eutharicus Cilliga. 80 Cassiodorus, Chronica sub anno 519 (Monumenta Germaniae Historica. Auctores
antiquissimi XI, p. 161): Eo anno multa vidit Roma miracula, editionibus singulis stupente etiam Symmacho Orientis legato divitias Gothis Romanisque donatas. dignitates cessit in curiam. muneribus amphitheatralibus diversi generis feras, quas praesens aetas pro novitate miraretur, exhibuit. Cuius spectaculis voluptates etiam exquisitas Africa sub devotione transmisit. cunctis itaque eximia laude completis, tanto amore civibus Romanis insederat, ut eius adhuc praesentiam desiderantibus, Ravennam ad gloriosi patris remearet aspectus. ubi iteratis editionibus tanta Gothis Romanisque dona largitus est, ut solus potuerit superare quem Romae celebraverat consulatum. Vgl. Cassidorus, Variae 9, 25, 2–3; Orationum reliquiae 1 (Monumenta Germaniae Historica. Auctores antiquissimi XII, p. 466–472); Ordo generis Cassiodororum; Anonymus Valesianus II 80; Liber pontificalis 54, 10 (Stiftung in St. Peter); dazu Vitiello 2005, 71–80. 81 Boethius veranstaltete drei Jahre später (522) anläßlich des Doppelkonsulats seiner Söhne in Rom Wagenrennen: Boethius, Consolatio philosophiae 2, 3; vgl. Cassiodorus, Variae 5, 43 (Konsulat des Maximus im Jahre 523).
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Kaisertum zum Vergleich heranzieht. Der erfolgreichste Konkurrent Theoderichs unter den barbarischen Herrschern des Westens war der Franke Chlodwig. Daher liegt es nahe, ihn in die Betrachtung einzubeziehen, auch wenn die Quellen in seinem Fall noch weniger reichlich fließen. Immerhin ist uns auch für Chlodwig ein Ritual der Macht überliefert, das mit einer konkreten Topographie verbunden ist. Es handelt sich um den berühmten »Tag von Tours«, den Einzug Chlodwigs in die Stadt des heiligen Martin nach der siegreichen Beendigung des Krieges gegen den westgotischen König Alarich (484– 507) im Jahre 508. Er soll nun in den Blick genommen werden. Um die Vorgänge einordnen zu können, ist ein kurzer Blick auf das post-römische Gallien vonnöten. Dort hatte im Jahre 481 oder 482 Chlodwig die Nachfolge seines Vaters Childerich als fränkischer König und Herrscher der Provinz Belgica secunda angetreten; die väterliche Residenz lag in Tournai (Hennegau).82 Chlodwig war damals nur einer unter mehreren Königen fränkischer Abstammung, die im Nordosten Galliens, im Raum des heutigen Belgien, herrschten. Im Südwesten Galliens übte ein Römer namens Syagrius, der in Soissons (Picardie) residierte, die Herrschaft aus; Gregor von Tours nennt ihn rex Romanorum.83 Südlich der Loire begann das Reich des westgotischen Königs Eurich (466–484), das sich bis nach Spanien und in die Provence erstreckte. Im Südosten Galliens lag das Reich der Burgunden mit der sedes regia Lyon; rechts des Rheins und zwischen Franken und Burgunden saßen Alamannen, die von mehreren Fürsten angeführt wurden.84 Chlodwig warf diese Mächtekonstellation im Laufe von drei Jahrzehnten vollständig über den Haufen. Zunächst besiegte er 486 oder 487 Syagrius; nachdem er dessen Herrschaftsgebiet erobert hatte, verlegte er seine Residenz von Tournai nach Soissons.85 Nach einer Reihe von Kriegszügen gegen die Westgoten und Burgunden gelang ihm 506 die Unterwerfung der alamannischen Kleinkönige. Im Jahr 82 Brief des Remigius von Reims an Chlodwig: Epistulae austrasicae 2 (Monumenta
Germaniae Historica. Epistolae III, p. 113). Sedes regiae der Merowinger: Dierkens/ Périn 2000. 83 Gregorius Turonensis, Historiae 2, 27. 84 Ewig 2006, 14–17; Becher 2011, 144–149. Lyon als sedes regia: Bonnet/Reynaud 2000. 85 Chlodwig gegen Syagrius: Gregorius Turonensis, Historiae 2, 27; dazu Schmidt 1928; Zöllner 1970, 47–51; Becher 2011, 149–152.
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darauf eröffnete er im Bündnis mit dem burgundischen König Gundobad (480–516) einen Krieg gegen den westgotischen König Alarich. Theoderich versuchte vergeblich, zwischen den beiden Königen zu vermitteln, indem er sich darauf berief, daß der eine sein Schwager, der andere sein Schwiegersohn sei.86 Chlodwig errang im Sommer 507 auf dem campus Vogladensis in der Nähe von Poitiers einen vollständigen Sieg über Alarich; der westgotische König fiel, sein Heer wurde zerschlagen.87 Als Chlodwig und Gundobad sich daraufhin anschickten, das gesamte westgotische Gebiet nördlich der Pyrenäen unter ihre Herrschaft zu bringen, trat ihnen Theoderich entgegen. Im Frühjahr 508 überquerte ein ostgotisches Heer die Alpen, befreite das von Burgunden und Franken belagerte Arles und nahm die Provence für Theoderich in Besitz.88 Chlodwig war unterdessen damit beschäftigt, Aquitanien zu unterwerfen, was ihm auch gelang. Nach der Einnahme von Toulouse, wo die westgotischen Könige bis dahin residiert hatten, wandte er sich nach Norden und erreichte gegen Ende des Jahres 508 Tours, eine Stadt, die vor dem Krieg noch außerhalb seines Herrschaftsgebiets gelegen hatte. Die civitas Turonorum hatte damals schwerlich mehr als 2.000 Einwohner; der spätantike Mauerring umschloß nur ein Viertel der Fläche, über die sich in der frühen Kaiserzeit Caesarodunum erstreckt hatte. Die Stadt war um 385 zur metropolis der Provinz Lugdunensis III erhoben worden; Kaiserbesuche sind jedoch nicht bezeugt und auch wenig wahrscheinlich.89 Ebensowenig hören wir von Besuchen westgotischer Könige, deren Herrschaft Tours seit etwa 470 unterstanden hatte. Vor den Mauern der Stadt jedoch lag, etwa 800 Meter in westlicher Richtung entfernt, die bedeutendste Wallfahrtsstätte Galliens, das Grab des heiligen Martin, über dem sich seit den 460er Jahren eine prächtige Basilika erhob, die rundum von einem eingefriedeten Atrium umgeben war.90
86 Cassiodorus, Variae 3, 1–4 mit Claude 1978. 87 Krieg zwischen Chlodwig und Alarich: Becher 2011, 223–234; Mathisen 2013a.
Lokalisierung des Schlachtfelds (Vouillé oder Voulon?): Mathisen 2013b. 88 Eroberung der Provence durch Theoderich: Ensslin 1947,143–151; Moorhead 1992, 180–183. 89 Brühl 1975, 100–110; L. Piétri 1983, 7–17. 90 Sidonius Apollinaris, Epistulae 4, 18; Paulinus Petricordiensis, De vita sancti Martini 6, 264–289; L. Piétri 1983, 369–420, bes. 372–381.
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Nach dem Sieg über Alarich und der Unterwerfung Aquitaniens erwies Chlodwig dem heiligen Martin seine Reverenz, indem er dessen Kirche viele Geschenke darbrachte.91 Das war sein zweiter Besuch in Tours, denn der König hatte am Grab des heiligen Martin das Versprechen abgelegt, sich taufen zu lassen, was 508 freilich schon ein ganzes Jahrzehnt zurücklag, wenn die Datierung der Taufe auf die Zeit um 498 richtig ist.92 Im Jahre 508 hingegen war die Demonstration von Frömmigkeit nicht der einzige Zweck seines Aufenthalts. Vielmehr traf der fränkische König in Tours mit Gesandten des Kaisers Anastasios zusammen, die ihm ein oder mehrere Schriftstücke übergaben. Gregor von Tours – unser einziger Zeuge – berichtet über diese Ereignisse aus dem Abstand von mehr als zwei Generationen folgendermaßen: »Von Kaiser Anastasius erhielt er eine Bestallungsurkunde als Konsul (codecillos de consolato). Dann setzte er sich in der Basilika des seligen Martin, bekleidet mit einer purpurfarbenen Tunica und einem Militärmantel (chlamide), ein Diadem aufs Haupt. Dann bestieg er ein Pferd und verschenkte auf dem Weg, der zwischen dem Tor des Atriums und der Kirche der Stadt liegt, an das anwesende Volk mit größter Freigebigkeit Gold und Silber, das er mit eigener Hand ausstreute.«93 Gregor fügt dieser Beschreibung die lakonische Aussage hinzu: ab ea die tamquam consul aut augustus est vocitatus, was in der Forschung sehr unterschiedlich verstanden und übersetzt worden ist und daher eine nähere Betrachtung verlangt. Gregors Bericht endet mit der Bemerkung, der König sei von Tours nach Paris weitergezogen und habe dort den Sitz seines Königreiches (cathedra regni) begrün-
91 Gregorius Turonensis 2, 37: Post haec, patrata victuria, Turonus est regressus,
multa sanctae basilicae beati Martini munera offerens; vgl. 10, 31, 9: Huius tempore Chlodovechus rex victor de caede Gothorum Turonus rediit. 92 Brief des Nicetius von Trier: Epistulae austrasicae 8 (Monumenta Germaniae Historica. Epistolae III, p. 119–122). Die traditionelle, hohe Chronologie wird von Becher 2011, 174–203 gegen die Einwände von Wood 1985 verteidigt. 93 Gregorius Turonensis, Historiae 2, 38: Igitur ab Anastasio imperatore codecillos de consolato accepit, et in basilica beati Martini tunica blattea indutus et chlamide, inponens vertice diademam. Tunc ascenso equite, aurum argentumque in itinere illo, quod inter portam atrii et eclesiam civitatis est, praesentibus populis manu propria spargens, voluntate benignissima erogavit.
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det.94 In der Tat hat Chlodwig die Stadt des heiligen Martin bis zu seinem Tode nie wieder aufgesucht, und auch seine Nachfolger blieben ihr fern. Gregor von Tours weiß nur eine einzige Ausnahme zu vermelden: Chlotar I. (511–561) kam kurz vor seinem Tod im Jahre 561 ein einziges Mal nach Tours.95 Diese wenigen Sätze sind von der Forschung immer wieder aufs Neue traktiert worden. Die Kontroverse dreht sich zum Teil um die Frage, welche Ehren Chlodwig damals von Anastasios erhielt. Lange Zeit beherrschte die Auffassung Wilhelm Ensslins das Feld, der Kaiser habe Chlodwig das Ehrenkonsulat und nur ihn verliehen, wofür man sich auf den Ausdruck codecillos de consolato berufen kann.96 Manchmal ist auch vom ordentlichen Konsulat die Rede, doch ist ein Konsul namens Chlodovech nirgendwo verzeichnet: Im Jahre 505 wurde im oströmischen Reich nach den Konsuln Celer und Venantius datiert.97 Da Gregor selbst unser Kapitel mit der Überschrift De patriciato Chlodovechi regis versehen zu haben scheint, wird freilich auch die Auffassung vertreten, der Kaiser habe Chlodwig den Rang eines patricius verliehen; für diese Auffassung spricht die Überlegung, daß Chlodwigs Rivalen Theoderich und Gundobad diesen Rang bereits besaßen.98 Nicht selten werden beide Möglichkeiten kombiniert; Anastasios machte Chlodwig demnach sowohl zum Ehrenkonsul als auch zum patricius.99 Schließlich haben in jüngster Zeit Matthias Becher und Ralph Mathisen sich für die Auffassung eingesetzt, daß die Verleihung von Patriziat und Ehrenkonsulat Teil einer Erhebung zum Klientelkönig gewesen sei.100 94 Gregorius Turonensis, Historiae 2, 38: et ab ea die tamquam consul aut augustus
est vocitatus. Egressus autem a Toronus Parisius venit ibique cathedram regni constituit. 95 Gregorius Turonensis, Historiae 4, 21. 96 Mommsen 1910, 425 f. Anm. 7; Schmidt 1934; Ensslin 1936; Schmidt 1942, 320 f.; Hauck 1967, 30; Wood 1985, 268–270; McCormick 1990, 159–163. 97 Bagnall u. a. 1987, 550 f. 98 Günther 1934. Gundobad: Fasti Vindobonenses Priores sub anno 472 (Monumenta Germaniae Historica. Auctores antiquissimi IX, p. 306) mit Martindale 1982, 524 f. s.v. Gundobadus 1. Theoderich hat den patricius-Titel in Italien freilich nicht mehr geführt. 99 Martindale 1982, 290; Rouche 1996, 315 f.; Castritius 2010; Becher 2011, 236 f.; Mathisen 2013c. 100 Becher 2011, 237 f.; Mathisen 2013c. Ähnlich bereits Hauck 1967, 29 f.; Zöllner 1970, 69.
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Umstritten ist jedoch nicht allein der rechtliche Inhalt der Ehren, die Chlodwig vom Kaiser verliehen bekam. Vielmehr besteht auch keine Einigkeit darüber, wie der Satz ab ea die tamquam consul aut augustus est vocitatus denn nun eigentlich zu verstehen und zu übersetzen ist. Die Mehrheit der Forschung bezieht die Aussage auf einen formellen Akt der Huldigung, der seit dem »Tag von Tours« in bestimmten Kontexten wiederholt worden sei. Dabei wird für das Verbum vocitare die Bedeutung »wiederholt ausrufen, akklamieren« angenommen. Von dieser Voraussetzung ausgehend, wird die Konjunktion tamquam dann entweder auf den Inhalt der Akklamationen oder auf den Akt des Akklamierens bezogen: Ein Teil der Forschung nimmt an, Chlodwig sei als Konsul oder Augustus ausgerufen worden,101 ein anderer meint, daß er wie ein Konsul oder Augustus akklamiert worden sei.102 Ensslin hat beide Möglichkeiten kombiniert, indem er aus dem einhellig überlieferten aut Augustus ein ut Augustus machte: Chlodwig sei wie ein Augustus als Konsul ausgerufen worden.103 Eine andere Lösung für das Problem bietet jetzt Mathisen an, der tamquam als Einleitung eines irrealen Vergleichs versteht: »from that day he was addressed as if he were a consul or emperor«.104 Alle diese Deutungen scheitern indessen daran, daß vocitare bei Gregor von Tours niemals die Bedeutung »wiederholt rufen, akklamieren« hat. Diese Bedeutung ist nicht nur den Wörterbüchern fremd, sondern auch dem Sprachgebrauch Gregors.105 Die Überprüfung aller einschlägigen Stellen – es sind über 40 – führt zu dem eindeutigen Ergebnis, daß vocitare bei Gregor wie im klassischen Latein stets »jemanden oder etwas so und so nennen« bedeutet; im Passiv wird aus dem doppelten Akkusativ ein doppelter Nominativ »so und so genannt werden, heißen«. Ein Beispiel mag genügen: Oc101 So Courcelle 1964 (»on l’acclama comme consul ou Auguste«); Rouche 1996,
316. 102 So Hauck 1967, 31 (»von diesem Tag an wurde Chlodowech wie ein Konsul oder der Kaiser [mit Akklamationen = voces] gerufen«); akzeptiert von Zöllner 1970, 68; Mathisen 2013c, 79 (»addressed as if he were a consul or emperor«); vgl. 82 mit Anm. 9. 103 Ensslin 1936, 507. Becher 2011, 237 meint, die Akklamationen hätten in Wahrheit dem Kaiser gegolten, doch habe Gregor dies mißverstanden. 104 Mathisen 2013c, 79; vgl. 82 mit Anm. 9. Vgl. dagegen jedoch unten Anm. 109. 105 Anders Hauck 1967, 31 (»lautstarkes Rufwort«); vgl. 35.
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tavianus …, quem Augustum vocant, a quo et mensis Agustus est vocitatus.106 Eine iterative Bedeutung kann ausgeschlossen werden, weil das Verb häufig im Zusammenhang mit dem Taufakt erscheint und mit Modalverben wie consuetus esse gekoppelt wird, wenn die Wiederholung betont werden soll; vocitare ist ein Synonym für vocare.107 Wenn Gregor von Akklamationen spricht, verwendet er das Verbum adclamare oder das dazu gehörige Substantiv adclamationes. Die Phrase consul aut Augustus est vocitatus bedeutet daher schlicht und einfach: Er wurde Konsul oder Augustus genannt. In genau dieser Verwendung begegnet die Junktur Augustus vocitari bereits in der »Historia Augusta«, wo es von dem Usurpator Firmus heißt, er sei auf von ihm geprägten Münzen Augustus genannt worden (Augustum vocitatum esse).108 Die Konjunktion tamquam qualifiziert also das Wort consul: Offenbar soll sie die Bezeichnung als Konsul durch ein hinzugefügtes »gleichsam, eine Art« abschwächen.109 Dieser Befund führt zu dem Schluß, daß Gregor selbst unsicher war, wie Chlodwig nach dem Tag von Tours genau genannt wurde. Tamquam consul aut Augustus ist dabei wohl weder kopulativ noch disjunktiv aufzufassen; die Konjunktion aut scheint hier wie auch sonst häufig steigernden Sinn zu haben: »gleichsam Konsul oder sogar Augustus«.110 Gregors Unsicherheit ist verständlich, weil Konsuln in 106 Gregorius Turonensis, Historiae 1, 18. Ich werde die Belege an anderer Stelle
vollständig vorlegen. 107 Richtig McCormick 1990, 158 unter Berufung auf Bonnet 1890, 471 f., der betont, daß das Suffix -itare bei Gregor keine iterative Bedeutung hat. Vgl. auch Stotz 1998, 350 f. § 77 über vocitatus est als periphrastische Passivierung. 108 Historia Augusta, Quadriga tyrannorum 2, 1: cum ille diceret Firmum, qui Aureliani temporibus Aegyptum occupaverat, latrunculum fuisse, non principem, contra ego mecumque Rufius Celus et Ceionius Iulianus et Fabius Sossianus contenderent, dicentes illum et purpura usum et percussa moneta Augustum esse vocitatum, cum etiam nummos eius Severus Archontius protulit, de Graecis autem Aegyptiisque libris convicit illum in edictis suis αὐτοκράτορα vocatum. 109 Tamquam dient zur Einleitung eines Vergleichs und setzt daher Nicht-Identität der Komparanden voraus. Keinesfalls aber ist der so eingeleitete Vergleich stets irreal; dies gilt lediglich für tamquam si mit folgendem Konjunktiv. Vielmehr bezeichnet tamquam häufig die Ähnlichkeit vom Standpunkt des Autors oder der Akteure: Hofmann/ Szantyr 1972, 596 f. § 321; vgl. 674 f. § 372 über quasi. Eine Durchsicht sämtlicher Belege aus den »Historiae« lehrt, daß Gregor diesem Sprachgebrauch folgt. Bereits Bonnet 1890, 322 f. stellte fest, daß Gregor quasi wie tamquam verwendet. 110 Über abschwächendes und steigerndes aut vgl. Hofmann/Szantyr 1972, 499 § 269 Zus. b). Dieser Gebrauch ist im späten Latein verbreitet. Bonnet 1890, 315 f. weist
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seiner Lebenswelt keine Rolle mehr spielten. An der einzigen Stelle, wo er das Wort consul mit Bezug auf die Gegenwart verwendet, scheint es hochrangige Würdenträger am Kaiserhof zu bezeichnen.111 Der letzte reguläre Konsul des Ostreichs hatte im Jahre 541 amtiert; seitdem wurden nur noch Honorarkonsuln ernannt, die für Gallien keine Bedeutung hatten. Die Unterscheidung zwischen regulären Konsuln (mit dem Titel consul) und Honorarkonsuln (mit dem Titel ex consule) war dadurch gegenstandslos geworden. Gregor versuchte also, sich einen Reim auf Vorgänge zu machen, die für ihn nicht mehr voll verständlich waren.112 Er beschrieb dabei jedoch nicht Chlodwigs Einzug in Tours, sondern dessen Wirkung auf die Untertanen des Königs. Vielleicht wurde der König in seinen letzten Jahren von Untertanen mitunter tatsächlich Augustus genannt; ähnlich ging es um dieselbe Zeit auch Theoderich, der doch sorgsam darauf bedacht war, den Kaiser nicht unnötig zu provozieren.113 Der Satz ab ea die tamquam consul aut Augustus est vocitatus kann folglich nicht für die Rekonstruktion des Rituals verwendet werden, das Chlodwig 508 in Tours vollzog. Die Ritualanalyse kann sich ausschließlich auf die zeichenhaften Handlungen stützen, die Chlodwig auf dem Weg von der Kirche des heiligen Martin in die Bischofskirche von Tours vollzog. Auch ihre Deutung ist kontrovers. Der Versuch, einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den vom Kaiser verliehenen Ehren und der Form des Einzugs in Tours herzustellen, muß jedoch als gescheitert gelten. Es ist höchst fraglich, ob Ehrenkonsuln überhaupt einen processus consularis abhielten,114 und sicher, daß Konsuln weder einen Militärmantel noch ein Diadem trugen, das stets dem Kaiser vorbehalten war; obendrein ritten Konsuln
darauf hin, daß die Konjunktionen vel und sive bei Gregor ihren disjunktiven Sinn verloren haben. 111 Gregorius Turonensis, Historiae 5, 30: Conpletaque oratione, vocatum ad se urbis papam, cum consolibus ac praefectis palatium est ingressus (sc. Tiberius) mit McCormick 1990, 160 f. Das Wort begegnet in den »Historiae« sonst nur in zwei Datierungsformeln, die aus der Quelle übernommen sind: 1, 30; 1, 48. In den hagiographischen Schriften kommt es überhaupt nicht vor. 112 Ähnlich meinten bereits Mommsen 1910, 426 Anm. 7 und Ensslin 1936, 507, tamquam consul stehe für ex consule. 113 Corpus Inscriptionum Latinarum X 6850 + 6851 + 6852 = Inscriptiones Latinae Selectae Nr. 827. 114 Processus consularis: Mathisen 2009b; Sguaitamatti 2012, 137–156.
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beim Amtsantritt nicht auf einem Pferd, sondern wurden in einem Sessel getragen.115 Der Patriziat wiederum war überhaupt kein Amt, sondern ein Titel; er konnte daher gar nicht in zeremonieller Form angetreten werden. Ein Diadem schließlich ziemte sich für patricii ebensowenig wie für jeden anderen, der für den Kaiser ein privatus war. Becher und Mathisen haben darum vorgeschlagen, die verwendeten Insignien als Teil einer vestis regia zu deuten, die Anastasios Chlodwig übersandt habe, um ihn dadurch als eine Art Klientelkönig anzuerkennen.116 Auch diese Deutung geht von der durchaus fragwürdigen Prämisse aus, daß Chlodwig in Tours einem Drehbuch folgte, das in Konstantinopel für ihn geschrieben wurde. Indessen weist schon die Route vom Martinsheiligtum zur Bischofskirche von Tours eindeutig auf die Regie Chlodwigs. Indem der König sich die Herrschaftsinsignie selbst auf den Kopf setzte, betonte er augenfällig und nachdrücklich seine Unabhängigkeit. Obendrein kann auch die Annahme, Chlodwig sei in Tours als Klientelkönig eingesetzt worden, keineswegs alle Elemente integrieren, die in Gregors Bericht enthalten sind, denn es wird unterstellt, daß Gregor nicht zwischen einem Diadem, der kaiserlichen Insignie schlechthin, und einer Krone, die auch Könige trugen, unterscheiden konnte.117 Glücklicherweise ist es im vorliegenden Zusammenhang nicht erforderlich, für jede dieser Aporien eine Lösung vorzuschlagen. Bei allen Differenzen im Detail scheint die Forschung sich über die folgenden drei Punkte weitgehend einig zu sein: 1. Anastasios hat Chlodwigs Eroberungen im südwestlichen Gallien anerkannt, indem er ihm römische Ehren verlieh, das Honorarkonsulat und wohl auch das Patriziat. Diese Anerkennung erklärt sich aus dem Konflikt, der seit 505 zwischen dem Kaiser und Theoderich bestand: Anastasios stärkte Chlodwig als Gegengewicht zu Theoderich. 2. Da Tours weder vorher noch nachher als Herrschersitz diente und für Chlodwig eine bloße Durchgangsstation war, kann die Bevölkerung der Stadt nicht der alleinige und auch kaum der wichtigste Adressat dieser Demonstration gewesen sein. Vielmehr hatte Chlod115 Sella gestatoria: Sguaittamati 2012, 236. 116 Becher 2011, 235–239; ähnlich Mathisen 2013c. 117 So ausdrücklich Mathisen 2013c, 102. Anders dagegen McCormick 1990, 163.
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wig aus diesem Anlaß offenkundig Repräsentanten vieler civitates Aquitaniens in Tours versammelt. 3. Für Chlodwig war der Tag von Tours vor allem ein Mittel, seine Eroberungen in Aquitanien formell in Besitz zu nehmen. Er nutzte die Gelegenheit, sich seinen neuen Untertanen als siegreicher, frommer und freigebiger König zu präsentieren, der in Gallien mit voller Rückendeckung durch den fernen Kaiser herrschen durfte. Er demonstrierte damit Tugenden, die ihm die Anerkennung und Unterstützung der gallo-römischen Senatoren sichern sollten.118 Die vierte und letzte These entfernt sich von der Mehrheitsmeinung und kann daher schwerlich auf breite Zustimmung hoffen. Gegenüber den vorliegenden Deutungen zeichnet sie sich dadurch aus, daß sie den Bericht Gregors in allen Punkten ernst nimmt und versucht, sie in einen stimmigen Zusammenhang zu bringen. Unter dieser Voraussetzung erscheint mir folgende Schlußfolgerung unabweisbar: 4. Chlodwigs Einzug in Tours kombinierte Elemente römischer Rituale auf eine Art und Weise, für die es in der römischen Tradition kein Vorbild gab. Der zeremonielle Ablauf war daher schwerlich mit dem Kaiserhof abgesprochen. Vielmehr wird die Inszenierung auf Chlodwig selbst zurückgehen. Diese Inszenierung verwendete Gesten und Insignien römischer Herkunft, fügte sie jedoch in einer Art und Weise zusammen, die ihrem ursprünglichen Sinn zuwider lief und neue Bedeutungen erzeugte, die im originären Kontext undenkbar gewesen wären.119 Semantische Mischung dieser Art zerstört die Kontinuität, auf welche der Begriff Transformation zielt; sie kann selbst Tradition stiften, wenn sie durch Wiederholung normative Kraft gewinnt, was beim Tag von Tours freilich nicht der Fall war. In der kulturwissenschaftlichen Forschung ist für diese Form des Umgangs mit Traditionen der Begriff Hybridisierung gebräuchlich.120
118 So jetzt auch Sarti 2013, 223 f. 119 In eine ähnliche Richtung ging bereits Courcelle 1964, 242–250. McCormick
1990, 163–171 betont den Einfluß des adventus-Zeremoniells römischer Magistrate. 120 Hybridisierung in der Literaturwissenschaft: Nünning (Hg.) 2004, 268 f. s.v. Hybridisierung; vgl. 269 f. s.v. Hybridität.
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Resümee: Tradition, Transformation, Hybridisierung Die erhaltenen Berichte über den Rom-Besuch Theoderichs im Jahre 500 zeigen den gotischen König als einen Herrscher, der römische Formen politischer Kommunikation und Interaktion souverän zu handhaben verstand. Sein adventus entsprach bis in die Einzelheiten hinein dem Protokoll, das sich für Kaiserbesuche in Rom herausgebildet hatte; wie ein römischer Kaiser residierte er im Kaiserpalast auf dem Palatin. Indem Theoderich das dreißigjährige Jubiläum seines Herrschaftsantritts in Rom wie ein römischer Kaiser feierte, erfüllte er die Erwartungen, die römische Senatoren und Plebejer in ihn setzten, und bekräftigte so den Kompromiß mit den zivilen Eliten des Landes, auf dem seine Herrschaft in Italien beruhte. Theoderich signalisierte damit die Bereitschaft, römische Traditionen, vor allem aber den privilegierten Status der Stadt Rom und des römischen Senates zu respektieren. Dieser auf den ersten Blick eindeutige Befund täuscht jedoch über einen fundamentalen Tatbestand hinweg: Theoderich kam während seiner mehr als dreißigjährigen Herrschaft in Italien nur ein einziges Mal nach Rom; der adventus des Jahres 500 war die Ausnahme und nicht die Regel. Das Ritual des adventus in Rom brachte nur eine – die römische – Seite der Herrschaft Theoderichs in Italien zum Ausdruck. Die andere – die gotische – Seite war auch beim Rom-Besuch im Jahre 500 unübersehbar, wurde im Ritual des adventus jedoch ausgeblendet. Der König war als Anführer gotischer Krieger nach Italien gekommen; er verstand sich zwar als Herrscher über Goten und Römer, ließ aber keinen Zweifel daran, daß er selbst kein Römer war und auch den katholischen Glauben seiner römischen Untertanen nicht teilte. Die königliche Kanzlei definierte das Königtum Theoderichs als Herrschaft über zwei Völker, über römische Zivilisten und gotische Krieger. Daß die Goten in Italien nur eine kleine Minderheit der Bevölkerung bildeten, wurde dabei geflissentlich unterschlagen, ließ sich aber im Alltag nicht verbergen. Die Doppelherrschaft über Römer und Goten wurde darum nicht in Rom, sondern in Ravenna inszeniert, wo die beiden Völker als paritätische Größen erscheinen konnten. Ravenna trat unter Theoderich als urbs regia gleichberechtigt neben das caput mundi Rom; der Invicta Roma korrespondierte Felix Ravenna. Der König baute Ravenna zu einem bikonfessionellen Herrschersitz aus, der das reale und symbolische Zentrum seines Kö-
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nigtums bildete. Die Quellen erlauben jedoch keine konkreten Aussagen darüber, wie der König den von ihm offenbar planvoll gestalteten urbanen Raum zur Inszenierung seiner Herrschaft nutzte. Daß Theoderich Wagenrennen regelmäßig als Mittel zur Repräsentation seiner Herrschaft und Kommunikation mit der Bevölkerung Ravennas genutzt hat, erscheint jedoch als unwahrscheinlich. Da Theoderich den Kompromiß mit den einheimischen Eliten Italiens suchte und die spätrömische Zivilverwaltung nahezu unverändert in seinen Dienst nahm, zeichnen sich die Formen, in denen er seine Herrschaft repräsentierte und kommunizierte, durch ein hohes Maß an Kontinuität gegenüber dem ausgehenden Imperium Romanum aus. Der römische adventus des Jahres 500 steht für die bewußte Instrumentalisierung römischer Traditionen durch einen barbarischen Herrscher und fügt sich daher in das Paradigma einer langsamen Transformation der römischen Welt. Zugleich zeigt der Ausbau Ravennas zur bikonfessionellen urbs regia jedoch, daß Theoderich nicht einfach fortsetzte, was römische Kaiser begonnen hatten; auch wenn er das Bestehende nicht antastete, entwickelte er eine neue Topographie der Macht. Im Falle Chlodwigs wird man von Transformation eines römischen Rituals nicht mehr sprechen können. Dafür waren die Veränderungen zu einschneidend. Gewiß, auch der Sohn Childerichs hatte seine Laufbahn als warlord begonnen. Wie die Macht Theoderichs auf dem Gehorsam gotischer Krieger beruhte, so diejenige Chlodwigs auf demjenigen fränkischer. Als Chlodwig seine Herrschaft auf den Süden Galliens ausdehnte, bekam auch er es mit einheimischen Aristokraten zu tun, die sich als Nachfahren von Senatoren verstanden. Die senatores Galliens bildeten im Gegensatz zu den italischen jedoch keinen Stand mehr, der sich durch die Bekleidung öffentlicher Ämter reproduzierte, sondern eine Schicht traditionsbewußter Großgrundbesitzer, welche die Erinnerung an eine glorreiche Vergangenheit pflegten. Den gallischen senatores fehlte zudem ein Gremium, das in der Lage gewesen wäre, gemeinsame Interessen zu formulieren; für den senatus Romanus gab es keinen Ersatz.121 Der Einzug Chlodwigs in Tours weist darum nur äußerliche Ähnlichkeiten mit dem Einzug Theoderichs in Rom auf. Gewiß, der frän121 Grundlegend Stroheker 1948; Heinzelmann 1976 (mit der Kritik von Patzold
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kische König trug auf dem Weg vom Grab des heiligen Martin in die Bischofskirche von Tours Kleidungsstücke römischer Art, setzte sich eine kaiserliche Insignie auf den Kopf, ritt hoch zu Roß in eine Stadt wie ein kaiserlicher Beamter und warf auf dem Weg Geld in die Menge, wie es römische Konsuln und Kaiser taten. Die Kombination dieser Elemente war jedoch ein Novum; sie muß auf den König und nicht auf den Kaiser zurückgehen. Chlodwig wollte den in Tours versammelten Personen nach dem Sieg über den westgotischen König Alarich demonstrieren, daß er mit Billigung des Kaisers freigebig und fromm regieren werde. Von Transformation römischer Traditionen kann man beim Tag von Tours daher kaum sprechen. Passender wäre der Begriff Hybridisierung.
Anhang: Gab es in Ravenna einen Hippodrom? Seit der Tetrarchie waren die bevorzugten Residenzen römischer Kaiser in der Regel mit einem Hippodrom ausgestattet; es gab sie nicht nur in Rom und Konstantinopel, sondern auch in Trier und Arles, in Mailand und Aquileia, in Thessaloniki, Nikomedeia und Antiocheia.122 Die Annahme, es sei in Ravenna nicht anders gewesen, scheint daher naheliegend.123 Die Quellenlage ist jedoch keineswegs eindeutig. Materielle Überreste eines Hippodroms wurden in Ravenna bislang nicht gefunden, die bei einem Gebäude dieser Dimensionen auch ohne Grabungen zu erwarten wären.124 Für Wagen122 Humphrey 1986, 578–638; Heucke 1994, 314–399: Antiocheia, Nikomedeia,
Thessalonike, Sirmium, Aquileia, Mailand und Trier. Für Arles erwähnen die literarischen Quellen (Sidonius Apollinaris, Epistulae 1, 11, 10; Caesarius Arelatensis, Sermo 61, 3; Procopius, Bellum Goticum 3, 33, 5) Wagenrennen noch im 6. Jahrhundert, doch deutet der archäologische Befund nach Heijmans 2004, 360–365, 385–387 darauf hin, daß der Zirkus als Gebäude bereits im 5. Jahrhundert nicht mehr intakt war und in der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts als Steinbruch genutzt wurde. 123 So etwa Ward-Perkins 1984, 117; Humphrey 1986, 632 f.; Johnson 1988, 83; Deichmann 1989, 28; Farioli Campanati 1992, 144; Heucke 1994, 384–390; Vespignani 2005; Fauvinet-Ranson 2006, 202; Jäggi 2013, 79, 156 f. 124 In ravennatischen Urkunden aus dem späten 10. Jahrhundert wird ein Ort namens ad circulum erwähnt, der südlich der Kirche S. Agata lag: Cavarra u. a. 1992, 518 Nr. 354 (anno 960); 529 Nr. 388 (anno 982). Es ist jedoch durchaus fraglich, ob das Toponym auf einen Hippodrom zu beziehen ist, da das Wort circulus kein Synonym für circus ist, sondern jede runde Struktur bezeichnen kann, z. B. ein Amphitheater.
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rennen im römischen Stil war eine Rennbahn von mindestens 450 Metern Länge erforderlich.125 Eine so gewaltige Anlage läßt sich im Stadtplan Ravennas auch nicht leicht unterbringen; eine unmittelbare bauliche Verbindung mit dem Palast wie in Rom, Mailand und Konstantinopel scheint nahezu ausgeschlossen.126 Es kommt hinzu, daß die wichtigste schriftliche Quelle für die Topographie der Stadt, das »Bischofsbuch« des Agnellus aus dem 9. Jahrhundert, das auf älteren Quellen fußt und zahlreiche Angaben über Gebäude und Ortsnamen enthält,127 zwar einen stadium tabulae genannten Ort vor den Mauern, aber keinen Hippodrom innerhalb des spätantiken Mauerrings erwähnt.128 In der neueren Forschung wurden daher Zweifel angemeldet, ob Ravenna jemals über einen Zirkus verfügte.129 Für die Annahme, auch in Ravenna habe ein solches Bauwerk existiert, beruft man sich mitunter auf Sidonius Apollinaris, der einen Hofbeamten Valentinians III. als siegreichen Wagenlenker rühmt, doch nennt der Dichter als Wettkampfstätte ausdrücklich Rom.130 Schaut man genau hin, bleibt nur ein einziger Text übrig, der einen Hippodrom innerhalb Ravennas erwähnt: In der Lebensbeschreibung des Papstes Theodorus, die bald nach dessen Tod im Jahre 649 an der römischen Kurie entstanden und als Teil des »Liber pontificalis« überliefert ist,131 heißt es, der Kopf des im Jahre 643 oder 644 wegen Hochverrats hingerichteten chartularius Maurikios sei »als abschrekkendes Beispiel für viele« im Circus Ravennas auf einer Stange ausgestellt worden: »fecit eum ad exemplum multorum in circo Ravennate in stipitem poni«.132 125 Übersichtliche Zusammenstellung der Maße bei Dagron 2011, 32. 126 Die klassische Studie ist Krautheimer 1983. Duval 1997, 136 f., 153; Heijmans
2004, 239–243 betonen jedoch mit Recht, daß der Konnex zwischen Palast und Zirkus in vielen Fällen hypothetisch bleibt. 127 Zu Agnellus’ Quellen vgl. Nauerth 1996, 42–63. 128 Stadium tabulae auf dem campus Corianthri vor den Mauern Ravennas: Agnellus, Liber pontificalis 22; 153. Deichmann 1989, 40 vermutet, dieses stadium sei für Wagenrennen genutzt worden. 129 Gillett 2001, 160 Anm. 133; Mauskopf Deliyannis 2010, 59 f. 130 Sidonius Apollinaris, Carmen 23, 304 f.: nam circensibus ipse quanta ludis | victor gesseris intonante Roma. Zur Person des Wagenlenkers: Martindale 1982, 308 f. s.v. Consentius 2. 131 Zur Entstehung des römischen »Liber pontificalis« vgl. Davis 2000, xlii-xlviii. 132 Liber pontificalis 75, 3. Dieser Maurikios wird in keiner anderen Quelle erwähnt; zur Person vgl. Martindale 1992, 861 f. s.v. Mauricius 8.
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Diesem Zeugnis eines stadtrömischen Klerikers aus der Mitte des 7. Jahrhunderts, der mit den örtlichen Gegebenheiten möglicherweise nicht hinreichend vertraut war,133 steht jedoch das Schweigen aller aus Ravenna selbst stammenden Quellen gegenüber. Nicht allein Agnellus weiß von einem Hippodrom oder Wagenrennen nichts zu berichten. Auch Petrus Chrysologus, der um die Mitte des 5. Jahrhunderts Bischof der katholischen Gemeinde Ravennas war, kommt in seinen fast 200 erhaltenen, kurzen Predigten, die allesamt aus der Zeit seines Episkopats zu stammen scheinen,134 an keiner Stelle auf ludi circenses zu sprechen, auch nicht in den beiden Predigten, die sich gegen das Brauchtum des Neujahrsfestes (Kalendae Ianuariae) richten: Er polemisiert zwar gegen Aufführungen im Theater, aber nicht gegen solche im Hippodrom, obwohl Wagenrennen gerade bei dieser Gelegenheit veranstaltet wurden.135 Besonderes Gewicht hat das Schweigen Cassiodors, der seine nahezu 500 »Varien« sicher zum größten Teil, wenn nicht allesamt, in Ravenna verfaßt hat. Cassiodor erwähnt den Circus Maximus in Rom mehrfach und beschreibt ihn ausführlich;136 er be-
133 Eine illustrierte Chronik, die im 6. Jahrhundert in Ravenna entstanden sein muß,
berichtet, daß die Köpfe der gallischen Usurpatoren Iovinus und Sebastianus am 30. August 411 nach Ravenna gelangten; die dazugehörige Abbildung zeigt, daß die Köpfe auf Stangen gesteckt waren, aber nicht, wo diese aufgestellt wurden: Bischoff/ Koehler 1939. 134 Eine Untersuchung der Predigten des Petrus Chrysologus auf der Grundlage der kritischen Ausgabe von Alexander Olivar im »Corpus Christianorum« ist ein Desiderat der Forschung. Über sein Leben ist nur wenig bekannt: Piétri/Piétri (Éds.) 2000, 1728–1730 s. v. Petrus 9. Die Daten seines Episkopats sind umstritten: Nach Agnellus, Liber pontificalis 49 wurde er unter Papst Sixtus (432–440) ordiniert. Er war Bischof Ravennas, als Germanus von Auxerre die Stadt 445 (?) aufsuchte (Constantius Lugdunensis, Vita Germani 28 + 35), und schrieb 449 an Eutyches (Acta Conciliorum Oecumenicorum II 3, 1, 6). Sein Nachfolger Neon ist im Oktober 458 erstmals bezeugt: Leo Magnus, Epistula 140 (Jaffé 1885, Nr. 543). 135 Petrus Chrysologus, Sermo 155; Homilia de pythonibus et maleficiis = Sermo 155 bis Olivar (Böhmer 1919 noch unbekannt.) Zu den Kalendae Ianuariae vgl. Meslin 1970, 80–84, 95 ff.; Arbesman 1979; Cameron 2011, 787–791. Polemik gegen das Theater: Sermo 155, 3 mit Jürgens 1972, 53 Anm. 2, 227. 136 Cassiodorus, Variae 1, 27, 5; 1, 32, 4; 3, 51, 3–13; 4, 42, 3. Nach Procopius, Bellum Goticum 3, 37 wohnte Totila 549 in Rom einem Wagenrennen bei (ἀγῶνα τὸν ἱππικὸν θεασάμενος), nachdem er die Stadt zum dritten Male erobert und die nach Kampanien geflüchteten Senatoren zurückgeholt hatte. Dies ist der letzte Beleg für Wagenrennen in Rom.
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handelt zudem auch Wagenlenker in Mailand.137 Es gibt aber keine einzige Stelle, wo unzweideutig von einem Zirkus oder ludi circenses in Ravenna die Rede wäre. Ein Schreiben, das im Namen Theoderichs an den Prätoriumspräfekten Faustus gerichtet ist, nährt die Zweifel an der Bedeutung des Zirkus für Theoderichs Ravenna.138 Es geht in diesem Brief um einen Wagenlenker namens Thomas, der aus dem Osten nach Italien gekommen war; er habe seine Heimat verlassen, um die »Sitze unseres Reiches« (nostri sedes imperii) zu fördern. Theoderich hatte Thomas einige Zeit zuvor gleichsam zur Probe angestellt, indem er ihm ein Gehalt aussetzte. Die Zahlung wurde nun verstetigt, nachdem er sich durch eine Serie von Siegen eine Spitzenstellung unter den Wagenlenkern erworben hatte. Auf diesen ersten Teil des Briefes (§ 1–2) folgt ein langer Exkurs (§ 3–10) über die Entstehung der Wagenrennen, den Bau des Circus Maximus und die Spiele, die dort veranstaltet wurden. Der dritte und letzte Teil des Briefes (§ 11–13) schließt unmittelbar an: »Die übrigen Eigenheiten des römischen Zirkus sprachlich darzulegen, würde zu weit führen, da alles sich offenkundig auf einzelne Gründe bezieht. Das aber nennen wir in jeder Hinsicht staunenswert, daß die Begeisterung der Gemüter dort mehr als bei den übrigen Schauspielen mit unbedachtem Ernst davongerissen wird. Ein Grüner zieht vorbei – ein Teil des Volkes trauert. Ein Blauer liegt vorn, und der größere Teil der Bürgerschaft ist am Boden zerstört. Ohne etwas zu bewirken, beleidigen sie erhitzt; ohne etwas zu erleiden, werden sie schwer verwundet, und man tritt zu sinnlosen Streitereien auseinander, als kämpfte man um den Bestand des Vaterlandes in Gefahr … Wir erhalten das aus Notwendigkeit aufrecht, von den Massen gedrängt, deren Wunsch es ist, sich bei solchen Veranstaltungen zu versammeln, während sie ernste Überlegungen mit Freude verwerfen. Denn wenige nur nimmt die Vernunft für sich ein; lediglich vereinzelte erfreut ein ehrenwertes Unterfangen: Die Menge wird eher 137 Cassiodorus, Variae 3, 39; vgl. 5, 25 (tribunus voluptatum); dazu Fauvinet-Ran-
son 2006, 327–329, 357 f. 138 Cassiodorus, Variae 3, 51; dazu Horsmann 1998, 297 f. Nr. 206; Fauvinet-Ranson 2006, 329–345. Der Adressat Faustus gehörte einer führenden stadtrömischen Familie an: Martindale 1982, 454–456 s. v. Faustus 9. Er war als praefectus praetorio mit der Angelegenheit befaßt, weil es um die Zahlung von annonae ging. Der Wagenlenker Thomas ist sonst unbekannt.
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durch das angezogen, was nachweislich zur Erholung von den Sorgen erfunden worden ist. Denn was immer sie für vergnüglich hält, das, so meint sie, muß auch auf das Glück der Zeiten Anwendung finden. Aus diesem Grund wollen wir die Kosten übernehmen und nicht immer nach unserem Urteil geben. Manchmal nützt es, unvernünftig zu sein, damit wir die ersehnten Freuden der Bevölkerung im Zaum halten können.«139 Da der König und sein Minister die dauerhafte Anstellung des Wagenlenkers Thomas zum Anlaß nehmen, den römischen Zirkus zu beschreiben und die dort üblichen Ausschreitungen der Fans zu beklagen, ist der Schluß schwer zu vermeiden, daß Thomas seine Siege an diesem Ort errungen hat. Weshalb aber hat er sein Glück nicht in Ravenna gesucht, wenn Wagenrennen dort häufig und einträglich waren? Dasselbe Rätsel gibt auch das sogenannte Palastmosaik in der einstigen »Palastkirche« Theoderichs auf (siehe oben Abb. 5): Wenn der Zirkus auch in Ravenna ein für die Kommunikation und Repräsentation von Herrschaft zentraler Raum war – weshalb ist er dann im Stadtprospekt hinter dem Palast nicht abgebildet? Daß eine Stadt, die über mehrere Jahrzehnte als Kaiserresidenz diente, keinen Hippodrom besessen habe, mag zunächst überraschen, wäre aber im Falle Ravennas nicht unerklärlich. Die Bevölkerung Ravennas machte nur einen Bruchteil derjenigen Roms oder Konstantinopels aus, auch wenn der spätantike Mauerring eine Fläche von 166 ha umschloß; seine Einwohner hätten die Ränge eines Hippodroms auch nicht annähernd füllen können.140 Hippodrome waren im spät139 Cassiodorus, Variae 3, 51, 11–13: Cetera circi Romani longum est sermone de-
currere, dum omnia videantur ad causas singulas pertinere. hoc tamen dicimus omnimodis stupendum, quod illic supra cetera spectacula fervor animorum inconsulta gravitate rapiatur. transit prasinus, pars populi maeret: praecedit venetus et ocius turba civitatis affligitur. nihil proficientes ferventer insultant: nihil patientes graviter vulnerantur et ad inanes contentiones sic disceditur, tamquam de statu periclitantis patriae laboretur … haec nos fovemus necessitate imminentium populorum, quibus votum est ad talia convenire, dum cogitationes serias delectantur abicere. paucos enim ratio capit, raros probabilis oblectat intentio: ad illud potius turba ducitur, quod ad remissionem curarum constat inventum. nam quicquid aestimat voluptuosum, hoc et ad beatitudinem temporum iudicat applicandum. quapropter largiamur expensas, non semper ex iudicio demus. expedit interdum desipere, ut populi possimus desiderata gaudia continere. 140 Zur spätantiken Stadtmauer vgl. oben Anm. 38.
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römischen Italien ohnehin sehr selten; nördlich von Rom sind sie nur für Mailand und Aquileia sicher bezeugt. Zudem waren die Rennbahnen in spätrömischen Residenzstädten erheblich älter; sie stammten überwiegend aus der Zeit der Tetrarchie.141 In Ravenna dagegen ist der Bau eines circus erst im 5. Jahrhundert vorstellbar, als der Hof des Honorius hier Schutz vor den Goten suchte. Da Honorius indessen keineswegs beabsichtigte, sich auf Dauer an der Adria niederzulassen, mag er gezögert haben, seine knappen Ressourcen in den Bau eines Hippodroms zu investieren. Selbst die spätantike Befestigungsmauer wurde Agnellus zufolge erst nach seinem Tode (423) erbaut.142 Auch unter Valentinian III. aber reichte das Geld nicht einmal für die Reparatur des Aquädukts; noch 468 mokierte sich Sidonius Apollinaris über die schlechte Wasserversorgung Ravennas.143 Wenn man dennoch vor Ort Wagenrennen veranstalten wollte,144 begnügte man sich vielleicht mit Holztribünen, die auf freiem Feld errichtet wurden;145 zudem konnte man für besondere Anlässe nach Aquileia, Mailand oder Rom ausweichen.146 Es gibt also gute Gründe, die Existenz eines Zirkus in Ravenna zu bezweifeln. Gleichwohl handelt es sich natürlich um eine Hypothese, die durch archäologische Forschungen jederzeit entkräftet, hingegen nur schwer bestätigt werden kann, es sei denn durch eine elektromagnetische Untersuchung des gesamten Stadtgebiets. Solange entspre-
141 Humphrey 1986, 579–639, bes. 613–620 (Mailand), 621–625 (Aquileia); Heu-
cke 1994, 314–399, bes. 369–378 (Mailand), 379–383 (Aquileia). 142 Agnellus, Liber pontificalis 40. Die neuere Forschung folgt ihm fast ausnahmslos: vgl. oben Anm. 38. 143 Sidonius Apollinaris, Epistulae 1, 5, 5 f. 144 Valentinian III. scheint am 1. Januar regelmäßig ludi privati veranstaltet zu haben, bei denen Höflinge die Wagen lenkten: Sidonius Apollinaris, Carmen 23, 310–314: mos est Caesaris hic, die bis uno | (privatos vocitant) parare ludos. | tunc coetus iuvenum sed aulicorum, | Elei simulacra torva campi | exercet spatiantibus quadrigis. 145 In Konstantinopel gab es im 5. Jahrhundert einen »hölzernen Zirkus« (Xylokirkos) vor den Mauern der Stadt: Chronicon Paschale sub anno 468 mit Janin 1964, 440 f. Die Anhänger des abgesetzten Johannes »Chrysostomos« wurden Xylokerkitai genannt, weil sie sich dort versammelten: Chronicon Paschale sub anno 404. 146 Bei ihrer Rückkehr nach Italien im Jahre 425 residierte Galla Placidia mit ihren Kindern zunächst in Aquileia; nach Procopius, Bellum Vandalicum 1, 3, 9 führte man den abgesetzten Kaiser Johannes auf einem Esel im Hippodrom der Stadt umher, wo er nach vielen Mißhandlungen getötet wurde; dazu Gillett 2001, 142; Sotinel 2006, 239 f.
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chende Befunde nicht vorliegen, wird man die Frage daher am besten offen lassen.
Abbildungsnachweis Abb. 1: Medaillon von Morro d’Alba. Mit freundlicher Genehmigung des Museo Nazionale Romano (Rom) / Wikipedia Commons Abb. 2: Mausoleum Theoderichs: Foto: Carola Jaeggi (Zürich) Abb. 3: Bronzemünze. Mit freundlicher Genehmigung von Classical Numismatic Group, Inc. Abb. 4: Bronzemünze. Mit freundlicher Genehmigung von Classical Numismatic Group, Inc. Abb. 5: Palastmosaik aus Sant’ Apollinare Nuovo (Ravenna). Foto: Carola Jäggi (Zürich)
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judith herrin
URBAN RIOT OR CIVIC RITUAL? The crowd in early medieval Ravenna
S
ince the theme of this volume is space, performance, ritual and procession in significant residences, then for this paper the city of Ravenna is the space, an early medieval fight between different sectors of the city population is the performance and ritual, and the bishop’s liturgy of reconciliation is the procession. This last feature takes place close to the palaces of the exarch of Ravenna (the governor appointed from Constantinople) and of the bishop, the two principal residences of the city, while the ritual of the fight is situated outside the city walls, in a liminal space not under the control of any specific authority. Here I want to focus on the crowd that fought in what seems to have been an urban and entirely secular process and one event in particular. It was described as ›traditional‹ in the seventh century and was still taking place in the mid-ninth. The fighting was acted out beyond the frontiers of the city on a fixed day with fixed expectations. Scholars disagree about how to interpret it; many see it as an example of pointless violence by gangsters, others propose a ritualised conflict to resolve local differences. To me this crowd of combative local citizens looks more like an extension of late antique urban faction fighting, possibly with echoes of sixth and seventh century Constantinople, that so displeased churchmen. It may also be a forerunner of sporting rivalries in other medieval cities, specifically fist fighting in Venice. This paper is an effort to explore the transmission of one style
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of crowd activity from Late Antiquity to the Middle Ages, and I must stress that it is a work in progress. Obviously such stylized fighting, like most competitive sports, is very significant not only for the active participants but also for all their families and friends, the supporters. The positive functions of such events can be seen in the self-discipline involved in training and performing, the internal organisation of all parties, marshalling resources, celebrating victories and nursing defeat. Most sports are about these elements as much as the actual engagement and there is a substantial bibliography of studies on the sociology of conflict in medieval Italian cities. The ritual includes methods of preparation for the conflict, with dress, weapons, posture, position in a group that moves to the designated site, and then in the hierarchy of participants, all agreed and observed as ›traditional‹. In relation to the fights in Ravenna, there may also be a connection with the Roman tradition of ›bread and circuses‹, intimately linked to free distributions of bread and free entertainment provided by organised factions, groups identified by their different colours, who competed in chariot and horse races, and other sporting events.1 These rival groups were often linked to particular regions and occupations, and were cultivated by the ruling authorities as a way of avoiding more serious conflict. By focussing on particular teams of horses and charioteers, shared passions that crossed all social lines united the groups around a relatively harmless activity. It diverted the citizens –which was the main purpose of ›bread and circuses‹ – and the church opposed it along with all the pleasures associated with the theatre. On occasion the circus also provided the opportunity for outspoken criticism of the ruler/controlling power through slogans shouted by the participants, usually the poor, the mob, an urban crowd, against the authorities.2 This subversive practice continued in Constantinople into the medieval period but is not as well-documented elsewhere. To set the scene, a few words about early medieval Ravenna. Following the reconquest of some of the western provinces of the Roman Empire by Emperor Justinian’s troops, Ravenna became the capital of the exarchate of all Italy in the late sixth century. The gov1 Veyne 1976, remains fundamental. See also Herrin 2013, 267–298. 2 On the different definitions of late antique and medieval crowds or mobs, see Mc-
Clelland 2011, 60–72.
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ernor (exarch) appointed by Constantinople controlled a large area of northern Italy, while his deputy, the duke ruled in Rome and others were based in southern Italy and Sicily. He was responsible for forwarding taxes raised in the peninsula to the emperor in the East, who set aside funds for administration, the maintenance of fortifications, roads, bridges and local military forces. The central position of Ravenna continued and strengthened the city’s role as the imperial capital of the West since 402. Although Rome remained a major centre where the remains of the Senate and many aristocratic families still had their base, it was becoming primarily an episcopal centre, as we know from Gregory the Great, bishop from 590–604. In contrast, the exarch lived in Ravenna where the imperial administration, military offices and mints were stationed.3 The distant emperors in Constantinople expected obedience and cooperation in the basic business of government, particularly the collection of taxes, while ecclesiastical leaders had their own agendas of local power struggles. Relations between exarch and bishop were often strained. The particular event under discussion is recorded by Agnellus in his Book of the Pontiffs of the Church of Ravenna, written in about 840. It took place when the regular fight got out of hand and many were killed.4 In retaliation, the group that had been publicly humiliated and suffered most, planned and executed a cold-blooded murder of its opponents on the following Sunday. This was a massacre mourned by the entire city and eventually calmed by the bishop, Damian. In precisely the period when the deaths occurred, ca. 705–9, the governor appears to have been absent. Agnellus doesn’t mention the exarch and this may confirm a gap in the list of governors between Theophylact, recorded in 705 but not thereafter, and John Rizocopus, who arrived in 710.5 And both these officials encountered hostility when they first came to Italy. So the citizens’ conflict took place in a context of heightened violence and opposition to Byzantine governors when Bishop Damian (692–708/9), was the sole authority 3 Two mints existed (for gold and bronze used as small change) for the purpose of
providing pay for soldiers, Brown 1984, 89, and Augenti 2005. There were also mints in Rome and Naples, though in fact Syracuse in Sicily was the most important one. 4 Agnellus 1996, II, 458–489; Deliyannis 2004, 248–252. On the different interpretations of the text, see Brown 1998, 84–85. 5 cubicularius, patricius et exarchus Italiae (701–05); John, patricius et exarchus, who met a horrid death in Ravenna after a very short term, in 710.
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in the city. Agnellus probably included the story of the battle in order to enhance the role of the leading churchman in ending it, and bringing peace to the rivalries between inhabitants. As a member of the clergy of Ravenna, he may have learned of the story from oral traditions, on which he based his account (the original Latin text is appended). Chapter 126. »A custom arose in ancient times, awful and iniquitous, reprehensible, sinful, and it has lasted until today. Every Sunday, and on the feast of the apostles (June 29, Sts Peter and Paul), the citizens of Ravenna, not only the high standing ones, but also people of various ages, young persons and adolescents, the humble and the low, and of either sex, come out after dinner through the various gates and fight. They are raving mad when without reason they bring death upon each other. 127. It happened at the time I said before that the neighbours of the Porta Teguriensis fought those of the Porta Posterulensis, a quarter also known as Summus Vicus, which stands next to the bed of the Lamisso. The latter group went in first, were chased with slingshots, and turned their backs in flight from their foes. The Tegurienses, however, came after them, struck many of them down, and reached the enemy gate; they threatened those who had stayed inside and, breaking off locks and bolts, went back to their homes in triumph. And eight days later, on a Sunday, they came out through either door again; the children had been playing with a small hoop, as was their custom, but leaving their game they threw themselves against each other and broke their opponents’ heads with clubs. Some killed their enemies from afar by casting stones with their hands; some, terrified by the roar of slings, ran away to various places; some old men on either side, clad in the arms of youth, made war against others of their age. And there was no respite. Everywhere those of Summus Vicus were laid low by the sword and died; others were left half-alive and a stream of dark gore flowed from their breasts, and there were others from whose open mouths crimson blood ran. Many bled through the huge wounds on their bodies and biting the ground breathed their last … 128. Things being thus, there was some quiet after the massacre. But the devil, a most wicked and invisible enemy, hostile to the human race, goaded the hearts of those of Summus Vicus, and their minds daily devoured themselves with hatred, as if lashed by an en-
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emy … But then, putting lamentation aside, they said: ›Come let us lay a trap for them. Let us secretly prepare fraudulent lies against them, and deceive them with feigned humility‹. On the following Sunday, at Bishop Ursus’ church, the men of Summus Vicus privately asked the Tegurienses to dine with them, and requested that no one should know of this. After the divine service was over each of the Teguriensis went off to his host, so that scattered over various houses and at different tables, they were given death. Some were stabbed with daggers and buried in the ground, others were struck on the head with scythes and then hidden in the stables under the horses’ dung so that no traces of the murder might be found … The wretched Tegurienses were killed in different ways by the men of Summus Vicus and it was done so privately that none of their friends could find any sign either of their murder or of their burial. On the following day there was great mourning and lamentation everywhere; the entire city was plunged in sorrow. The baths were closed, public theatricals were discontinued, merchants retraced their steps and went home, publicans kept their taverns closed, tradesmen abandoned their shops, priests wept in the churches, elders mourned, all the young men in the streets sorrowed, every husband took up the lamentation, married women grieved at their conjugal beds, widows put on black vestments, the beauty of the virgins was impaired, children were racked with sobs, all souls were drowned in bitterness … Weeping, the people gave vent to many opinions, with their faces in the dust, pulling out their hair and beards, tearing with their nails at their own faces, rending the clothes of their bodies: the brothers and cousins, sons and nephews, sobbing, seeking their lost kin, so that all the citizens spent the week grieving. 129. Then Damian, the holy man, seeing the city in such sorrow, took upon himself the deepest mourning. He made that Sunday a fast-day, so that the people might pray to God without cease all of Monday, Tuesday and Wednesday, in order that with divine assistance, the murder might be disclosed to somebody.« Agnellus follows this with a long description of the exceptional liturgy that the bishop organised, an ecclesiastical procession of lamentation and reconciliation. But the civilian event that concerns us, the battle between the inhabitants of different neighbourhoods, was a regular Sunday fight well known to Agnellus because it continued to his own day, that is to the middle of the ninth century.
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Every Sunday the Ravennates would go out of the city to fight in a time-honoured and predictable fashion. Normally they did not expect to kill each other although they inflicted wounds with slingshots, arrows and clubs; this was a rather unusual practice which had become an engrained tradition.6 It was not the gang violence typical of early medieval cities. That sort of mob activity is very well documented, for example, in Rome where it is often associated with disputed elections to the papacy. Episcopal choice frequently provoked popular opposition partly because the people felt they should have a say in the process – and it was important for the candidate for bishop to be accepted by his ›flock‹. Two examples will suffice to make the point. The first is popular involvement in the election of 687. Before the death of Pope Conon, his archdeacon Paschal tried to ensure his own succession as bishop of Rome by bribing the new exarch at Ravenna – and then ›the Roman people, as usually happens, divided into two factions, and while one elected the archpriest Theodore, the other elected the archdeacon Paschal‹. A crowd of citizens took part in the struggle that followed until a third candidate Sergius was imposed.7 An even more striking example took place in 711 when Emperor Philippikos sent the announcement of the death of Justinian II and his own assumption of imperial power: the Roman people rejected the name of the heretic emperor, and a certain Peter who had sent to Ravenna to get the dukedom of Rome (and thus got his promotion from the heretical emperor) was also rejected.8 The former duke Christopher and Agatho and his men started a civil war (in Rome) and fought on the Via Sacra in front of the palace – Peter’s faction v. the Christian one, led by Christopher who represented the pontiff – and more than thirty of each faction were killed. Only when Pope Constantine sent priests with gospels and the Cross to pacify them was the fighting ended. These instances of urban violence appear to be quite common and suggest that early medieval city inhabitants had weapons and were not averse to using them on their opponents. Since local military con6 Halsall 1998, Introduction presents a helpful survey of different forms of violence
including this type of vendetta between different groups. 7 Le liber pontificalis 1886, I, 371; Brown 1998, 78–79. 8 Le liber pontificalis 1886, I, 391, 392.
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tingents were often partisans of one side or the other and there were not many garrison troops stationed in Rome or other cities, bishops were increasingly called upon to reduce levels of violence. In this way, church leaders gradually assumed the roles of peace makers, calming conflicts and even negotiating with external enemies, a pattern of Christian leadership manifested by Pope Leo the Great when he went out of Rome to dissuade Attila from attacking the city.9 In contrast to this fighting between different gangs with their own agendas for episcopal succession, the inhabitants of Ravenna maintained an urban practice that was already ancient and continued into the ninth century and probably beyond. It fits other accounts of competitive rivalry between city quarters that develops much later into the palio of Siena and other notable sporting and fighting events.10 I look forward to comparing the Ravenna experience with that of other Italian cities. But let’s look more closely at the details first. Ravenna was a typical walled early medieval city of different quarters, situated in a very marshy area formed by many tributaries of the Po.11 Different streams entered or left the city at different gates, bringing in water and taking away refuse, and the inhabitants punted around these canals on flat-bottomed boats. Like Venice, which later took over Ravenna’s role, the city’s foundations were on small islands linked by waterways, one of which led to the Adriatic and the port at Classis. In Enrico Cirelli’s most recent, very detailed study of the city he notes that on the western side where there were many gates, one was known as the Posteroula Latronum (ad Summum vicum), now lost. It has been identified by Pizarro as the Porta Posterulensis also known as Summus Vicus, that is, it was near the quarter of the Posterulenses.12 Further north was the Porta Teguriensis, a rectangular tower, where the Tegurienses lived, not far from the Posterulensis 9 Ibid. I, 239, and many commentaries on the pope’s initiative. Some doubt Prosper
of Aquitaine’s information about the meeting; Humphries 2000, 541, is less sceptical. Blodgett 2010 shows that the status of the senators who led the embassy may have been a critical factor in its success, while Lee 2013, 141–147, emphasizes Leo’s role at Chalcedon, 451, that strengthened the legal basis for Petrine claims. 10 Although the palio developed in the sixteenth century, Silverman 1985 traces its roots and function in a most helpful manner; cf. Trexler 1990, 1–6, on the earlier growth of urban processions often arranged by confraternities. 11 Augenti 2010, 43–50, 149–150. 12 Cirelli 2008, fig 40 p 62, cf. Pizarro 1995, 141, 146–147; Brown 1998, 84–86.
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on same western wall, behind San Vitale. This suggests that the two groups were very close neighbours, not separated by much space. Could this be one reason why they fought? They went out of the city to a liminal space beyond the walls where children used to play with hoops, and indeed the ground is slightly higher here than on the east and south sides of the city, and there they fought. Normally, it seems, the fighting was more like a sporting competition than a clash of armed warriors intent on killing. But the humiliation of the Posterulenses, when their opponents broke off the locks and bolts of their gate, followed a week later by some serious fighting – with stones, slings, clubs and swords, which left many bleeding to death – provoked them to retaliate. Then they planned a massacre of the Tegurienses which they intended to keep secret by killing each member of that group in private and by disposing of the bodies in such a way that no one could find them. The unexplained disappearance of so many inhabitants of the Teguriensis quarter induced great mourning throughout the city and at this point Bishop Damian intervened. He imposed an ecclesiastical solution to the disaster, demanding a week of fasting and prayer, followed by a penitential procession of the entire city divided into separate sections: clergy, monks, men, women and children, all barefoot. With this humble liturgy he was able in due course to reveal the whereabouts of the bodies, and to identify the killers (who were severely punished) thus producing the necessary reconciliation. In this way, a disorderly tumult that left many dead was countered by a traditional demonstration of ecclesiastical order. By insisting that all the inhabitants participate in a penitent request for divine guidance, Bishop Damian employed a liturgy familiar from many earlier examples, such as those organised by sixth century popes when trying to relieve the devastation caused by sieges, flooding and harvest failure in Rome. As an additional measure he instructed all the women to remove their finery (jewels, hair-pins and other finery all listed and described by Agnellus as the baubles of Israel); the men to wear hair shirts; everyone to walk barefoot as a sign of supplication and in solemn silence (apart from the appropriate psalms), so that the community would be united in its penitence for the unjustified deaths. The obvious contrast between the church’s ability to structure and contain the outpouring of communal grief, and the selfish violence of a few plotters who conceived the revenge attack on their
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opponents, was not new but it proved effective. And clearly, its eventual success strengthened the position of the bishop within the city. In the early eighth century there may have been some military forces stationed in Ravenna that might have intervened, such as the bandus Ravennatis, but Agnellus makes no reference to any official army unit.13 The church therefore took over the role of mediator during an episode of heightened civic disturbance, and imposed a peaceful solution. Shortly after this event, however, the historian records the development of a local militia within the city, set up by the citizens in anticipation of a retaliatory attack from Constantinople.14 At this point, in 710–11, when George, the son of a well-known citizen, was chosen to take control of the defence, the city’s inhabitants were divided into twelve units. These are named as: Ravenna, First Banner, Second Banner, New Banner, Unconquered, Constantinopolitan, Strong, Joyful, Milanese, Veronese and Classensian. The twelfth part was reserved for the clergy. Each unit may have been identified by its banner and / or its position close to the roads that led to major cities, Milan and Verona, Classis (the city of the port), and Constantinople (the port). The use of banners as markers for particular units and rallying points for citizen militias was common in early medieval cities, see for example the hurried receptions outside Rome arranged for the Ravenna exarch in 687 or Charlemagne in 774. When he decided to celebrate Christmas in the city of St Peter, the local militias went out to greet him with their banners.15 It’s notable that the Posterulenses and Tegurienses did not feature in this arrangement. When Agnellus wrote, the new divisions were still in operation, that is they survived for at least 130 years into the mid-ninth century, and seem to reflect a more military arrangement of the city into units known as bandi. And this appears to date back to the disturbance and loss of life in the Sunday fight that took place between 705 and 709. Mainly in response to threats of 13 Brown 1984, 90, identified this with a unit recorded in 591 and again in 710–11.
In contrast, Guillou 1969, 157–158, identifies the numerus Ravennatis with a local army, exercitus Ravennas, and later 160–163, equates the 11 new numeri/bandi with older military units. 14 Deliyannis 2004, c. 140, 263–265; Brown 1984, 97. The retaliation was a feature of Justinian II’s determination to punish the Ravennati who had been involved in his first exile in 695, see Brown 1995. 15 Le Liber pontificalis 1886, I, 372 (exarch), 496–497 (Charlemagne).
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a military attack from Constantinople, and partly as a result of the rivalry between the Posterulenses and Tegurienses, Ravenna gained a quasi-military administration in twelve different regions of the city. These became identified by their names, banners and possibly other signs (e. g. particular clothing), although there is little evidence of their activity. In 710–11 when they were first instituted, George also instructed all the citizens of Ravenna to put aside their quarrels (coetus) and concentrate on the defence of the city.16 The teams that fought each other on Sundays were now called upon to unite. But once the immediate danger had passed, even the new military structure didn’t put an end to the habit of Sunday fighting, which continued. Agnellus records it as an ingrained feature of city life centred around a day, Sunday, a prescribed place and in a regulated clash of known fighters (two well-organised teams). He claims that there was no spontaneous violence or unpredictable killing because the acts were carefully planned, though he contrasts the mixture of sexes, ages, ranks and capacities, who all participated, with the order of collective prayer that resolved the conflict, when the population was separated into categories – male, female, young and old.17 In his very useful commentary on the text, Joaquín Martínes Pizarro calls the fighting a »liberation of the nameless«, citing the absence of a leader in a collective action where the protagonists participated of their own volition.18 Pizarro believes that the confusion/ fusion of the crowd, which Agnellus contrasted with the careful restriction and order of the liturgy (repeated twice), presents a clue to understanding the text. When Bishop Damian arranged the people into suitable groups separated by sex, age and role, and made them progress separately to church, the bodies of the murdered were identified and a solution to the conflict was found.19 Order and the 16 He also called on all nearby regions to guard their areas, Brown 1984, 98–99;
Cosentino 2008, 139–140, places the transformation of the structures of provinces into duchies, governed by dukes, between the middle of the seventh and the beginning of the eighth century, and cites Agnellus to trace the development of new military structures to the episcopate of Sergius (748-ca.769). Here Agnellus may be reading a reflection of the mid-ninth century reality into his narrative of the early eighth century. 17 Deliyannis 2004, c. 129, 251–252; detailed commentary in Pizarro 1996, 153–156. 18 Pizarro 1995, 149. 19 Following Roman practice documented from the sixth century when Pelagius I and
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church – under the authority of the bishop – is here set against the disorder and violence of the secular people.20 This analysis of the fighting seems to discount the pleasurable, regular acts of Sunday rivalry that had become a way for the inhabitants of Ravenna to ›let off steam‹. But clearly the contrast between ecclesiastical regulation and the crowd’s inherently spontaneous, uncontrolled behaviour is telling. It may also draw attention to the relatively high level of violence common to early medieval cities where there was no police force. In searching for a model for such pre-arranged urban clashes, it seems to me that the documentation from North African cities, noted by St Augustine, may be helpful. Obviously this dates back to the late fourth / early fifth century, to 418 when Augustine went to Caesarea in Mauretania to debate with an obdurate Donatist bishop. There he witnessed the caterva, which he describes in his record of the debate written in 426. Brent Shaw has recently analysed this very significant, secular level of ingrained violence.21 In Caesarea Augustine saw a »terrible custom« of the people there, who engaged in the caterva, a civil conflict on an annual basis, for the sake of fighting, brother against brother etc. It was a consuetudo, which their fathers and grandfathers had used, and therefore a tradition that had to be maintained. The term was also employed for bands of circumcellions, called catervae by opponents, who formed subversively violent crowds, a turba or manus, that roamed around Africa. In Caesarea these gangs formed two mortally hostile camps as a way of defining who they were – an identity issue for people in many cities.
Gregory the Great instituted special liturgical processions in which different parishes and social groups were mobilized to pray for relief from floods and pestilence, see Latham 2009, esp. 303–304. 20 Pizarro 1995, 146 on the possible origin of the fight between »two city factions that had a bloody sequel of vendettas and killings«. Cf. ibid. 154–158 on the role of the church. 21 Shaw 2011, 20–28. The more familiar use of the term caterva (band, battalion, crowd, group) continues in use and is found, for instance, in Gregory of Tours, where a caterva pauperum is summoned by a cleric who vaunts his local importance by instructing the poor to chant slogans about his deep affection for them, Historia Francorum, IV, 11; see also Buc 2001, 102–103. This is typical of the manipulation of crowds by unscrupulous rulers, cf. ibid. 128–133. Brown 1998, 81, cites another instance, the catervae rusticorum, bands of peasants brought into Rome by outsiders to protest against Pope Stephen III’s Council of 769.
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This secular expression of violence was probably related to the endemic religious conflict of the period, which frequently set family members against each other.22 Some in Caesarea who participated in the caterva might also have joined in the Christian sectarian strife, for instance, the huge scandal that followed the death of the bishop in 419, when two groups of clergy demanded the promotion of their own candidates for the see. Augustine heard of this conflict and the failure to impose either or a different candidate – but the end of the story is not known.23 It shows clearly that there were discordant overlappings of ›turbulent crowds‹ in cities like Caesarea and Hippo where the Day of Torches, 24 June, provided another similar occasion.24 Augustine attempted to divert this popular celebration of the power of the sun in torch-lit parades into a Christian commemoration of the birth of John the Baptist, but Brent Shaw notes that nearly a century later the local people were not confident of the new interpretation of their traditional feast.25 In Carthage Augustine also knew the Destroyers (eversores) active in 371, who did gang-like things, like catervae. They were possibly tied to neighbourhoods, work associations or entertainment groups and are documented in imperial laws that condemn student gangs engaged in similar activity.26 A decade later he also observed violence among the students in Carthage: groups who made reckless outrages and got away with it. Some formed hired gangs to assist the elite in repossessing their property, others might join the gangs used by the courts, for instance of torturers, who had inflicted the mutilations on Christian martyrs earlier (sometimes gangs of pagans).27 So at the turn of the fourth/fifth century North Africa had a reputation for urban violence that was sometimes organised on a regular basis, for the sake of fighting. And when the Vandals established their 22 Gregory 1979; Gaddis 2005. 23 Shaw 2011, 27–28. 24 Ibid, 221, 565–269, on the bishops arranging a show of strength to curb ›catervic‹
behaviour in the crowd. 25 Ibid, 221, note 95, and with greater detail Shaw 2013, 174–175, 180 and fig 4.14, 241–242. 26 Shaw 2011, 24–25 and n. 49 citing the Codex Theodosianus 14.9.1 issued in 370 from Trier to Olybrius, Praefectus Urbi which mentions gangs in North Africa. 27 Ibid, 26–27. In 382 Augustine cited the disturbances in Africa as one of the reasons why he left to go to Rome.
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authority in the provinces (after their capture of Carthage in 439) they also imposed their Arian definition of Christian faith, and persecuted the majority population who adhered to Augustine’s ›orthodox‹ practice. Here the transfer of organised violence from catervae to sectarian Christian rivalry may be significant.28 Arian hostility developed into a way of identifying the Christian faith of each, against the wrong belief of the other. This clearly continued into the fifth / sixth century in North Africa where the Vandals persecuted those who clung to their own definition of orthodoxy.29 Returning to the catervae as a possibly inspiration for Ravenna’s urban fighting, the same term is used much earlier in Rome for fist fighters, catervarii (often translated as gangsters), whom Augustus liked to pit against outsiders (Greeks).30 They may have had some connection with the sporting events and theatrical shows of the Circus Maximus. And this association with circus factions becomes very clear when we recall how the traditions of Old Rome were transplanted and developed in New Rome, Constantinople. In the sixth century Prokopios describes gangs in Constantinople with the new hair-styles of the Blues – called the Hunnic fashion, with capes and pants in the same odd and rich form of dress.31 He goes on to explain the circus factions:
»In every city the population has been divided for a long time past into the Blue and the Green factions; they take their names from the seats that they occupy in watching the games (in the Hippodrome) … They fight against their opponents knowing not for what end they imperil themselves … So there grows up in
28 Galvao-Sobrinho 2006, 321–331, goes some way to accounting for the extreme
hostility between the groups who supported or condemned Arius. Cf. vol. 6.2 of the Journal of Late Antiquity, 2013, which is devoted to a discussion of Shaw’s Sacred Violence. 29 Moorhead 1992. Interestingly, this particular feature of Arianism was not manifested at Ravenna, where Theoderic had insisted upon a less confrontational co-existence between Christians. The construction of many churches and baptisteries for Arians provided comparable facilities to those available to non-Arians, and there is less evidence of the violent clashes that occurred earlier in Constantinople and Milan, see Brown 2007. 30 Shaw 2011, 20–21. 31 Ibid. 26; Prokopios 1960, vii, 8–14.
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them against their fellow men a hostility which has no cause, and at no time does it cease or disappear, for it gives place neither to the ties of marriage nor of relationship nor of friendship, and this is the case even though those who differ with respect to these colours be brothers or any other kin …«32 And after dispelling suggestions that religious affiliation might account for this, Prokopios adds:
»And even women join with them in this unholy strife, and they not only follow the men, but even resist them if opportunity offers, although they neither go to the public exhibitions at all, nor are they impelled by any other cause; so that I, for my part, am unable to call this anything except a disease of the soul. This, then, is pretty well how things stand among the people of each and every city.«33 The key episode of faction violence in Constantinople was the Nika riot of 532, so called because the participants shouted »Nika! Nika!« as they installed their own choice of emperor as a rival to Justinian, the established ruler.34 In this more overtly political riot the factions exploited their recognised role in acclaiming the emperor in the Hippodrome to try to replace him. And on this occasion the Blues and the Greens, normally rivals, united against imperial authority, and so it became a popular revolt which nearly succeeded. This was a much more serious affair than the normal level of circus rivalry. In the burnt wasteland caused by their riot, Justinian rebuilt the church of Hagia Sophia, which survives to this day. Some commentators on the Nika riot have seen it as the model echoed 170 years later in Ravenna.35 32 Prokopios 1914, I, xxiv, 2–4. 33 Prokopios 1914, xxiv. 6. 34 See the excellent account of the riot in Sarris 2011, 148–151; cf. Bell 2013, 120–
160, more generally on factions. 35 Brown 1984, 150 note 94; Guillou 1969, 163, considered this obvious – he saw the Ravenna groups as descendants of the demoi who became factions of different quarters of the city, armed with light weapons including the toxon (bow), the Greek term for the preferred weapon of the Byzantine army. Against this Brown 1984, 101, claims there was no association of these ›murderous rowdies‹ with either the circus factions
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Pizarro points out clear similarities in the account of the participants in the Nika riot by Prokopios and Agnellus’ description of the fighters in Ravenna: collective leaderless activity; athletic origin, circus rivalry, and ›perverse and violent character‹.36 But there were also differences, because in Constantinople the factions took responsibility for arranging chariot and horse racing, circus and theatrical acts, and their violence was related; whereas in Ravenna there is no evidence of a similar link. From the establishment of the exarchate in the late-sixth century, Byzantine governors appear to have found such public entertainment prohibitively expensive and most circus and theatrical activities were curtailed. Perhaps those who had been active members of circus factions under the Ostrogoths found a new role in the Sunday fights, which became the primary raison d’être of the Ravenna groups.37 An even clearer instance of urban violence from Constantinople might also have been known in Ravenna as it is recorded in the canons of the Council in Trullo, held in 692: this was the regulation concerning law students who used to progress through the streets of the eastern capital at the beginning and end of their training, adopting pagan customs, wearing »clothing contrary to the general custom« and engaging in »tumblings in the Hippodrome« (kylestras)
or the numeri, and suggests it more likely that the ›quarrelling quarters of Ravenna‹ were merely the product of local tensions and rivalries, cf. 90, n. 18. 36 Pizarro 1995, 151. Knowledge that punishment would follow never deterred them, and women took part as well. Membership of a faction did not cross family lines. The similarity has raised questions of whether Agnellus might have had access to Byzantine sources such as Prokopios. But as he didn’t read Greek and there were no translations of Prokopios into Latin, his knowledge of Constantinople might have been based on the circulation of Byzantine stories, possibly through Greek clergy and monks in Ravenna, as suggested by Carile 1992, 376. In the later description of what happened after the deaths, Bryan Ward-Perkins thought Agnellus used the Vita Constantini for wording about baths being closed, public theatres shut, and shop keepers going home, and this made the entire account suspect. Eusebios was describing the general mourning at Constantine’s death, not the closure of public facilities regularly used by ecclesiastical or imperial authorities to punish the citizenry, for instance, after the ›Riot of Statues‹ in Antioch in 387. Agnellus may well have borrowed expressions from more distinguished writers, but there doesn’t appear to be any evidence that he used Byzantine texts originally in Greek to enhance his account. 37 Ward-Perkins 1984, 108–109.
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which disrupted the peace.38 This was clearly an issue for the emperors in Constantinople because the law students caused civil unrest throughout their training. The same council also passed stricter canons against participation in the theatre, consulting soothsayers and fortune-tellers with bears, those who predict the future from clouds, genealogies, amulets and other ancient Greek methods, a reminder of how the old pre-Christian traditions survived in large urban centres.39 It’s difficult to establish whether and when the canons of this council became known in the West.40 Copies of the canons were sent to Pope Sergius, who refused to sign them. And the forces of Ravenna joined with those of Pentapolis to protect him when the emperor sent an official to force Sergius to go to Constantinople and sign the acts.41 Only under Pope Constantine (708–15) were the acts finally accepted, when the pontiff travelled to Constantinople and made an agreement with Justinian II.42 But it’s possible that the new regulations against anti-social behaviour percolated into the orbit of the western church, even if the precise details of law students, soothsayers and fortune-tellers in Constantinople were unclear. Prophecy and prediction were a common feature of early medieval society, and Roman law was taught and interpreted in Ravenna alongside local custom.43 While the behaviour of Constantinople law students may have remained a vague rumour in the West, I would like to suggest that the customary fighting in Ravenna may reflect the transmission of Late Roman civic unrest, so clear from early fifth century Africa, across the Mediterranean and into urban centres in the emerging cultures of western Europe. Such clashes were not universal but widespread and often occurred when local authorities were not strongly established. A fascinating example is provided by the early settlement of Venice, where regular fist fights later turned into organised fighting on
38 Nedungatt/Fatherstone 1992, canon 71, 152–153. 39 Ibid. canon 61, 140–142. 40 Pope Sergius had refused to participate in 692 and the see of Ravenna was proba-
bly unfilled when the order arrived to travel to Constantinople. 41 Le liber pontificalis 1886, I, 373–374. 42 Le liber pontificalis 1886, I, 389–391. 43 Brown 1984, 164–165, 224; see also Corcoran forthcoming.
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bridges.44 A report of ca. 810 to the Doge Beato notes the existence of two factions whose fights dated back to the original settlement on the islands. They made pretend battles waged by every sort of citizen with sharpened sticks (canne d’india) on fields, campi,45 and organised stick battles between these identified groups on Sundays.46 There were fixed elements of membership – marrying and godparenting only within the faction and distinctive clothing.47 While the early history of Venice is highly disputed, the geophysical setting defined the communities, who like the citizens of Ravenna lived on sandbanks with canals all around them.48 The fights appear to have taken place on the mainland until the construction of bridges over the canals created a better setting (because the winner could tip his opponent into the water below). So from the early ninth century when they were first noted, fights occurred between the inhabitants of the islands in the north of the Adriatic, which appear to be quite similar to those waged in Ravenna at the same time (ca. 840). By the ninth century the port of Classis had silted up, while the island settlements that would form Venice, founded on seafaring amid the lagoons, gradually replaced Ravenna as the major port in the region. Did some of the fighting traditions also pass from the old imperial capital of the exarch, Ravenna, to its successor, Venice? Fist fighting developed into a sophisticated organ of competition between the different sectors of Venice and shared the same character of a ritual of urban violence, constrained by regulations and custom: a Sunday activity to let off steam, enjoyed by participants and spectators alike. The fights often pitted one man against another, and on bridges without parapets the loser would be pushed into the canal below. Here the sporting and fun element of the 44 Davis 1994, 14. 45 Ibid, 17–19. In the late twelfth century these were transferred to bridges and be-
came really institutional in the sixteenth century as battagliole sui ponti. 46 Ibid, 23–33. 47 Ibid, 33–36. 48 Ibid, 19–22; Carile and Fedalto, 201–4, 234–235; Augenti 2010, 154–155. The mutual antagonism of the two groups was based originally on two different peoples who settled the Rialto: gente da terra, from the mainland, especially the Byzantine city of Heraclea (Eracleani), and lagoon people, gente da mar, from the islands, Isolani, who lived facing the mainland or out to sea. But the many myths surrounding the foundation of Venice provide conflicting accounts.
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contest is clear – perhaps there was a similar element to the battles outside Ravenna? It may be that all the late Roman cities that survived into the early medieval period as urban centres had the same tendency to ritualized violence organised by sporting groups. And this would be clearer in cities where different factions / regions gave local identity or colour to particular groups. Perhaps the communal violence between Christians and Jews in Muslim Spain goes back to a similar tradition?49 Until I do further comparative research on this, however, I conclude that Ravenna preserves a critical record of how such urban conflicts were handled in Sunday rituals. By permitting these formalistic battles to take place regularly, the city reduced social tensions, allowed all inhabitants to participate and generated a sporting competition in which both the losers and the victors could legitimately celebrate with typical high spirits. In this way, the people of Ravenna developed a method of containing rivalry between the different quarters of the city that owed little or nothing to its official rulers, the exarch from Constantinople or the bishop. Even if we take this crowd as an apparently marginal form of behaviour of ritualised urban fighting, Ravenna seems a quite central place for it, thanks to its historic role as an imperial capital of the West that continued to inspire other urban centres through the long period of transition to the medieval world that is more familiar to us. And last but not least, a familiarity with this secular ritual that was powerful enough to go horribly wrong but which lasted for centuries, brings fully to life a city now famous for its glorious mosaic images, seemingly removed from the world around them.
Appendix Agnellus, Liber pontificalis ecclesiae Ravennatis, ed. O. Holder-Egger, MGH, Scriptores rerum Langobardicarum et Italicarum saec. VI–IX (Hannover, 1878), with slight modifications from Deborah Deliyannis’ edition in Corpus Christianorum Continuatio mediaevalis vol. 199 (Turnhout, 2006)
49 Nirenberg 1996.
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c. 126 In priscis igitur temporibus consuetudo orta fuit, usque nunc talis horrenda et cavenda, detrahenda, iniqua, fuit et permanet usque nunc. Die omni dominico vel apostolorum die Ravennenses cives non solum illustres, sed homines diversae aetatis, iuvenes et ephibi, mediocres et parvuli, promiscui sexus, ut diximus, post refectionem per diversas portas aggregatim egredientes, ad pugnam procedunt. Delirati et insani, quando sine causa inter se morti subiciunt. c. 127. Contigit eo, ut diximus, tempore, ut Teguriensis porta iniret et certamen cum posterula quae vocatur Summus vicus iuxta fossam Lamisem. Qui ingressi in prima fronte a fundibalariis insecuti, terga Posterulenses dederunt. Tegurienses vero eos insequentes, multa straverunt corpora humo et venerunt ad praedictam pusterulam, minaverunt residuis infra et confregerunt molchos et serras, cum victoria in sua reversi sunt domos. Et post dies octo, dominico ex utrasque egressi sunt portis; et parvuli cum modica orbitella, sicut mos erat illorum, relicto ludo, irruentes inter se, cum baculis sua capita fregerunt. Alii vero se interficiebant procul manibus missile saxo; alii rugitum rombulorum territi per diversa fugiebant loca; alii vero hinc et inde induti iuvenilibus armis, contra senes strages iniebant coaevos. Et non erat ulla requies. Undique vulgo caedentium gladio ex Pusterulae parte mortui sunt; alii namque semivivi relicti, et calidus effluebat sanguine nigro de pectore rivus, et alii erant, quorum ore aperto emanabat roseus sanguis; multique ex corporis plaga largissima fundebant cruorem, oreque terra mordente, spiritum exalabant … 128. His itaque gestis, post has strages modica quies fuit. Diabolus vero perniciosissimus et invisibilis hostis, invidus generi humano, stimulavit Posterulentium corda, et quasi quis ostium pulsans, sic eorum cotidie praecordia vorabantur … Post depositum luctum dixerunt: ›Venite, insidiemur illis. Occulte aptemus contra eos dolosa mendacia et improba fingamus verba et decipiamus eos in falsa humilitate.‹ Subsequente die dominico infra Ursianam ecelesiam rogaverunt clam Posterulenses viri, et ut Tegurienses pranderent cum illis, et petierunt, ne quis sciret. Expletis vero divinis eloquiis, abiit unusquisque ad petitorem suum, et per mansiones singulas dispersi, et per diversas dapes propinquaverunt mortem. Alii vero pugione perempti humo commendati sunt; alii vero securibus cerebro illisi in stabulo sub stercore equorum sepulti sunt, ne signa interfectionis invenirentur …
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Tegurienses miseri a Posterulensibus diversis poenis sunt interempti, et sic occulte factum est ut nec interfectionis nec sepulturae signum neque amicorum quis scire potuisset. Alia vero die fit luctus ingens, moerore undique, tota in luctu civitas morabatur. Clausa sunt balnea, cessaverunt spectacula publica, mercatores retexerunt pedes, oppilaverunt caupones tabernas, nondinatores reliquerunt negotia, sacerdotes gemebant in ecclesiis, seniores lugebant, omnes iuvenes in plateis erant moerentes, omnis maritus sumpsit lamentum, matronaeque a thoro maritali moerebant, viduae indutae sunt veste lugubri, speciositas virginum immutata est, parvuli singultibus nimium quatiebantur, in amaritudine animae omnes afflicti erant … Et multa alia opinabantur lugentes populi, submissi humo, capillos et barbas extrahentes, unguibus ora foedantes, vestes a pectore scindentes, fratres et cognatos, filios et nepotes plorantes, amissos consanguineos requirentes, totam cives finierunt hebdomadam in lamento. 129. Tunc sanctus vir Damianus videns hanc civitatem in tanto luctu morantem, ipse se, in maximis dedit lamentis. Die dominico praedicavit ieiunium, et secunda, tertia et quarta feria incessanter Deum deprecaretur ut de caelo auxilio divino muniti, alicui hoc excidium revelaret …
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RITUALISIERTES TOTENGEDENKEN IN BYZANZ Zu den Begräbnisumzügen byzantinischer Kaiser (4.–10. Jahrhundert)
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ie von Konstantin dem Großen gegründete Stadt Konstantinopel gewann innerhalb kürzester Zeit so sehr an Bedeutung, dass zum Ende des 4. Jahrhunderts nicht nur Teile der Verwaltung dauerhaft dort angesiedelt wurden, sondern dass auch die Kaiser, beginnend mit Arkadios (395–408) und Theodosios II. (408–450), ständig in dieser Stadt residierten: Konstantinopel, das ja zunächst nur als Residenzstadt für Konstantin den Großen angelegt worden war, war zur Hauptstadt geworden, in der nun auch die Kaiser und der Kaiserhof ihre Funktionen ausübten. Gleichzeitig wurden durch die ständige Anwesenheit des Kaisers und seines Hofes auch die Voraussetzungen für die Entfaltung eines komplexen Hofzeremoniells geschaffen sowie neue Formen kaiserlicher Selbstdarstellung und Kommunikation im städtischen Raum Konstantinopels entwickelt.1 In diesem Rahmen gewannen seit der frühbyzantinischen Zeit Herrscherumzüge und Prozessionen, darunter auch die feierliche Ankunft eines Kaisers in der Stadt, der so genannte adventus, an Bedeutung.2 1 Siehe dazu Diefenbach 1996 und 2002. Grundlegend zum höfischen Zeremoniell in
Byzanz ist noch immer Treitinger 1938. Wesentliches bietet Noethlichs 1998. 2 Rituale des Auszugs und des Einzugs eines Kaisers haben in den vergangenen 20 bis 25 Jahren besondere Aufmerksamkeit erfahren, nicht zuletzt seit der grundlegenden
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Auch Begräbnisumzüge der byzantinischen Kaiser müssen in diesem Zusammenhang betrachtet werden. Das Begräbnisritual des Kaisers unterschied sich grundsätzlich nur wenig von dem eines gewöhnlichen Sterblichen.3 Nach Eintritt des Todes wurde der Körper des Verstorbenen für die Prothesis vorbereitet; er wurde gewaschen, mit Ölen gesalbt und angekleidet. Danach wurde der Leichnam auf einer Liege aufgebahrt, die als κλίνη, Totenbett, bezeichnet ist. Die Aufbahrung des Verstorbenen bot der Familie sowie den sonstigen Trauernden die Möglichkeit, sich von dem Toten zu verabschieden. In der Ekphora, dem Trauerzug, wird der Leichnam schließlich zum Begräbnisort geleitet. Der Tod von Kaisern und Mitgliedern des Kaiserhauses wird in den Quellen selbstverständlich immer wieder erwähnt; bis ins Detail gehende Informationen über Trauerbräuche und das Zeremoniell der Begräbnisfeierlichkeiten bieten sie jedoch nur selten. Im Folgenden sollen aus den wenigen Quellen Nachrichten zusammengetragen werden, die über die Einbettung von Trauerzügen in den städtischen Kontext Konstantinopels sowie über damit verbundene Interaktionsund Kommunikationsformen zwischen dem Herrscher und seinen Untertanen Auskunft geben. Auch ein Trauerzug war eine Begegnung des Kaisers mit seinem Volk, das den Verstorbenen auf seinem letzten Weg begleitete. Der zeitliche Rahmen erstreckt sich grob bis ans Ende des 10. Jahrhunderts, das heißt über den Zeitraum, in dem die Kaiser traditionell in der Apostelkirche begraben wurden. Dieser Brauch endete im Jahre 1028, als mit Konstantin VIII. der letzte byzantinische Kaiser in der Apostelkirche beigesetzt wurde.4 Danach wurden alle Kaiser in Klöstern bestattet, und zwar ein jeder in einem Kloster, dem Publikation von McCormick 1986, in der dieser die Entwicklung des kaiserlichen Triumphes von der Spätantike bis zum Ende der mazedonischen Dynastie in Byzanz untersucht. Eine ganze Reihe von Studien widmet sich der Einbettung herrscherlicher und religiöser Umzüge in die zeremonielle Topographie Konstantinopels: Brubaker 2001; Berger 2001 und 2013; Bauer 2001. Siehe auch MacCormack 1981. 3 Siehe Karlin-Hayter 1991; Rapp 2012; Tinnefeld 1997; Kukules 1939. Zu dem Bild, das die byzantinische Literatur vom Tod des Kaisers zeichnet, siehe Reinsch 1994 und 2003. Allgemein zum Thema Tod und Bestattung in Byzanz siehe Constas 2006; Dennis 2001; Kyriakakis 1974; Kukules 1940. Zu bildlichen Darstellungen einzelner Elemente des Trauerrituals siehe Walter 1982. 4 Für seinen Bruder Basileios II. (gest. 1025) war zwar ein Sarkophag in der Apostelkirche vorbereitet worden (in dem dann Konstantin VIII. beigesetzt wurde), er ließ sich aber auf dem Hebdomon, vor den Toren Konstantinopels, begraben. Zu Grabmal
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er sich besonders verbunden fühlte. Der offizielle Charakter des kaiserlichen Begräbnisses ging damit weitgehend verloren.5 In der Vita Constantini des Eusebios findet sich eine ausführliche Schilderung vom Tod Konstantins des Großen.6 Der Kaiser erkrankt mitten in den Vorbereitungen für einen Perserkrieg, nachdem er zuvor das Osterfest gefeiert hat. Eingedenk seines bevorstehenden Todes sehnt er sich nach Reinigung von den Sünden und lässt sich in Nikomedeia taufen. Danach kleidet er sich mit hell leuchtenden kaiserlichen Gewändern, die wie Licht strahlten, und er ruht auf einem weiß glänzenden Bett, weil er keinen Purpur mehr berühren wollte, das heißt er trägt weiße Kleider, die eine kultische Reinheit nach der Taufe symbolisieren.7 Konstantin stirbt zu Pfingsten des Jahres 337, nachdem er sein Testament gemacht hat. Die Einwohner Konstantinopels ehrte er mit jährlichen Schenkungen. Seinen Söhnen hinterließ er das Erbe der Kaiserherrschaft. Es folgen Wehklagen und Trauer des Gefolges, des hohen Militärs und der Bevölkerung und schließlich die Überführung nach Konstantinopel: Die Soldaten betteten den Leichnam Konstantins in einen goldenen Sarg. Diesen bedeckten sie mit kaiserlichem Purpur und brachten ihn nach Konstantinopel. Sie legten ihn in dem größten Saal des Palastes auf einem erhöhten Podest nieder – also zur Prothesis – und zündeten Lichter in einem Kreis auf goldenen Leuchtern an. Denn – wie Eusebios berichtet – den Leichnam des Kaisers, der, geehrt durch kaiserliches Ornat – Purpur und Diadem –, im Inneren des Palastes in dem erhöhten goldenen Sarg lag, bewachten zahlreiche Soldaten, Tag und Nacht. Eusebios betont, dass während der gesamten Trauerfeierlichkeiten Konstantin dieselbe Verehrung zuteil wurde, wie sie ihm auch zu Lebzeiten zugekommen war. Die militärische und zivile Führungsschicht, die auch zuvor den Kaiser durch Proskynese verehrt hat, änund Grabversen siehe Stephenson 2005. Auch vorher gab es gelegentlich andere Begräbnisstätten; siehe Grierson 1962, 38–60. 5 Vgl. Tinnefeld 1997, 221–228; Rapp 2012, 279–285. Interessanterweise geht der Verzicht auf die Apostelkirche als Begräbnisstätte mit der Verlagerung der Kaiserresidenz vom Großen Palast zum Blachernen-Palast im Nordwesten Konstantinopels einher; vgl. Grierson 1962, 29; Rapp 2012, 279 f. Zu Änderungen der Prozessionswege, die sich aus diesem ›Umzug‹ ergaben, siehe den Beitrag von Ruth Macrides im vorliegenden Band. 6 Vita Constantini 1991, 145,14–151,8 (4,61,1–4,75). 7 Vgl. Volp 2002, 127 f.
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derte nichts an der gewohnten Art der Ehrerbietung. Zu den vorgeschriebenen Zeiten begaben sie sich in den Palast und begrüßten den im Sarg liegenden Kaiser auch nach seinem Tod kniefällig, so als ob er noch lebte.8 Danach machten dies auch die Mitglieder des Senats und alle anderen Würdenträger. Es schlossen sich große Mengen aus dem Volk an, mit Frauen und Kindern. Nach Trauer und Verehrungskundgebungen in Rom und Konstantinopel beschreibt Eusebios die Grablegung Konstantins durch seinen Sohn Konstantios in der Apostelkirche. Konstantios selbst führte den Trauerzug an; ihm folgten die Abordnungen des Heeres in militärischer Ordnung, danach zahllose Menschenmengen. Lanzenträger und Fußsoldaten umgaben den Leichnam des Kaisers. Näheres zum Trauerzug ist nicht bekannt. Im Fall von Konstantin dem Großen liegen gleich zwei Umzüge vor, die für die Frage nach dem kaiserlichen Begräbniszeremoniell relevant sind. Beide tragen dezidiert militärischen Charakter.9 Ebenso wie andere zeremonielle Inszenierungen in Byzanz, etwa die Kaiserkrönung, wird auch das Trauerzeremoniell erst später in größerem Maße von religiösen und liturgischen Elementen durchdrungen.10 Da der Kaiser außerhalb Konstantinopels gestorben war, musste sein Leichnam zunächst in die Hauptstadt überführt werden. Neben Eusebios berichten auch der Kirchenhistoriker Sokrates und das Chronicon Paschale, dass bei den Trauerfeierlichkeiten für Konstantin alles so geschah, als ob der Kaiser noch lebte. Das betrifft sowohl den Zeitraum, in dem der Verstorbene im Kaiserpalast aufgebahrt war. Speziell wird aber auch für den Trauerzug Konstantins erwähnt, dass
8 Gemeint sind die seit der späten Kaiserzeit bekannten Huldigungen beim Morgen-
empfang. Nachrichten über den Tagesablauf des Herrschers in der frühen und hohen Kaiserzeit bei Demandt 1996, 34–54. Siehe auch Winterling 1999, 122–138. Die Fiktion, dass der Kaiser noch am Leben sei und auch nach seinem Tod weiter die Regierungsgeschäfte führt, geht auf die römische Kaiserzeit zurück, wenngleich Eusebios behauptet, dass Gott allein Konstantin dieses Recht zugestanden habe, weil er ihn wie kein anderer durch mannigfache Taten geehrte habe; vgl. dazu MacCormack 1981, 115–121. 9 Dazu zuletzt Rapp 2012, 270. 10 Der Wandel beim Krönungszeremoniell wird innerhalb der so genannten Krönungsprotokolle des Petros Patrikios deutlich, die im Zeremonienbuch Konstantins VII. überliefert sind und die Krönungen der Kaiser Leon I., Anastasios I., Justin I., Leon II. und Justinian I. beschreiben; vgl. zuletzt Sode 2012.
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kein Detail von dem abwich, was üblich war, wenn ein Kaiser in Begleitung unterwegs war. Nach Sokrates11 erkrankte Kaiser Konstantin schwer. Er lässt sich in Nikomedeia taufen, macht sein Testament und stirbt nach einigen Tagen. Keiner der Söhne war beim Tod des Vaters anwesend. Der Körper des Verstorbenen wird, wie bereits bekannt, in einen goldenen Sarg gelegt und nach Konstantinopel gebracht. Dort wird er im Palast hoch aufgebahrt – das ist wieder die Prothesis –, und ihm werden dieselben Ehren und dieselbe Aufwartung zuteil, wie zu seinen Lebzeiten (καὶ διὰ τιμῆς ἦγον καὶ δορυφορίας πολλῆς, ὡς καὶ ζῶντος ἐγίνετο). Nachdem sein Sohn Konstantios eingetroffen ist, wird ihm ein kaiserliches Begräbnis in der Apostelkirche zuteil. Ebenso das Chronicon Paschale:12 Nachdem Konstantin zu Pfingsten gestorben war, war er solange im Palast aufgebahrt, bis einer seiner Söhne, Konstantios, eintraf. Dieser veranlasste, dass der Leichnam Konstantins in einer Prozession in die Apostelkirche überführt wurde, die so groß und würdevoll war, dass sie jeder Beschreibung trotzt (ἐν τοσαύτῃ παρατάξει καὶ δόξῃ βασιλικῆς προόδου, ὡς οὐκ ἔστιν εἰπεῖν κατ᾽ ἀξίαν). Anwesend waren die Soldaten, mit ihren Waffen, wie zu Lebzeiten des Kaisers (παρόντος στρατοπέδου ὡς ἔτι ζῶντος ἐν ὁπλοφορίᾳ), und die ganze Stadt. Konstantios selbst war am 3. November 361 auf einem Perserfeldzug in Kilikien gestorben. Angeblich hatte der Kaiser auf dem Sterbebett Julian zu seinem Nachfolger bestimmt. Über die Überführung seines Leichnams nach Konstantinopel und seine Beisetzung in der Apostelkirche berichtet die Passio Artemii (BHG 170), die auf die als ganze verlorene Kirchengeschichte des Philostorgios zurückgeht,13 folgendes:14 Nachdem die Soldaten den Verstorbenen gebührend beklagt hatten, balsamierten sie ihn ein15 und legten ihn in einen Sarg. Diesen 11 Sokrates 1995, 90,15–91,17 (I, 39,1–40,1). 12 Chronicon Paschale 1832, I, 532,22–533,17. 13 Vgl. Philostorgios 1981, XLIV–LXVIII. Zu dem Heiligen Artemios, dux Aegypti,
der unter Kaiser Julian das Martyrium erlitten hat, siehe Dummer 1971; Marasco 1997. 14 Philostorgios 1981, 74,10–75,15. 15 Das Einbalsamieren scheint gängige Praxis gewesen zu sein. Von Justinian und Basileios II. ist bekannt, dass ihre Körper später unverwest aufgefunden wurden. Der Leichnam Justinians kam bei den Plünderungen Konstantinopels durch die Kreuz-
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stellten sie auf einen Wagen und brachten ihn nach Konstantinopel. Ein jeder trug dabei seine Waffen. Genauso, wie es zu Lebzeiten des Kaisers üblich war, gingen alle einher unter ihren Anführern (κατὰ τὸν αὐτὸν κόσμον ὅνπερ καὶ ζῶντος ὑπὸ τοῖς ἡγεμόσι τεταγμένοι ἐτύγχανον). Julian war aus dem Illyrikum gekommen. Er hatte zu dieser Zeit – wie es heißt – die Alleinherrschaft fest inne, da es nach dem Tod des Konstantios keiner wagte, sich gegen ihn aufzulehnen. Als der Leichnam zur Apostelkirche geführt wurde – wohl aus dem Palast, wo er zwischenzeitlich aufgebahrt war –, um in der Nähe seines Vaters beerdigt zu werden, ging Julian, nachdem er das Diadem abgelegt hatte, der Trage (κλίνη) voran. Nachdem Konstantios begraben war, ging Julian in den Palast zurück, setzte das Diadem wieder auf und nahm sich der Regierungsgeschäfte an. Überführung und Beisetzung des Konstantios werden auch von Gregor von Nazianz16 beschrieben. Deutlicher als bei den bisher behandelten Autoren nimmt die Überführung des Leichnams in seiner Darstellung Züge an, die sonst für den adventus, den feierlichen Einzug eines Kaisers nach Konstantinopel, typisch sind.17 Liturgische Elemente stehen allerdings auch bei Gregor noch relativ unverbunden neben den klassischen Formen kaiserlicher Repräsentation. Der Leichnam wird, wie es heißt, zunächst in einem feierlichen Zug unter allgemeinen Lobrufen, aber auch mit christlichen Gesängen und Kerzen, nach Konstantinopel überführt (παραπέμπεται πανδήμοις εὐφημίαις τε καὶ πομπαῖς καὶ τούτοις δὴ τοῖς ἡμετέροις σεμνοῖς, ᾠδαῖς παννύχοις καὶ δᾳδουχίαις, αἷς Χριστιανοὶ τιμᾶν μετάστασιν εὐσεβῆ νομίζομεν). Er wird vom Heer und vom Volk empfangen, die aus der Stadt herausgekommen sind, und ihn, wie zu seinen Lebzeiten, weiter zum Palast begleiten (ὡς δὲ πλησιάζοι τῇ μεγάλῃ καὶ βασιλίδι πόλει, τί δεῖ λέγειν δορυφορίας τε τοῦ στρατοῦ παντὸς καὶ τάξιν ἐνόπλιον, ὡς ζῶντι τῷ βασιλεῖ γινομένην, ἢ τῆς λαμπρᾶς πόλεως ἔκχυσιν). Die Armee war, wie fahrer 1204 zum Vorschein. Trotz des Wunders ließen sich die Kreuzfahrer nicht abhalten, das Grab Justinians auszurauben; vgl. Niketas Choniates 1975, 648,26–28. Pachymeres berichtet über die Auffindung des Leichnams Basileios’ II. unter Michael VIII., dass der Körper zwar unbekleidet, aber vollständig erhalten und somit einbalsamiert war; vgl. Pachymeres 1984, I, 175,12–177,10 (= Buch 2, Kap. 21). Siehe auch weiter unten. 16 Gregor von Nazianz 1983, 322,32–328,3. 17 Vgl. dazu bereits MacCormack 1981, 132 f.
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Gregor im Folgenden sagt, Konstantios so sehr ergeben, dass letztlich auch Julian sich durch sie gezwungen sah, dem Toten die gebührende Ehre zu erweisen, zum Zeichen der Trauer das Diadem abzulegen und dem Zug zu folgen (συναναγκάζουσιν ὑπαντῆσαι τῷ νεκρῷ μετὰ τοῦ προσήκοντος σχήματος˙ τὸ δὲ ἦν, ἀποκοσμήσαντα τὴν κεφαλὴν τοῦ διαδήματος καὶ ὑποκύψαντα τῷ βασιλεῖ τὰ εἰκότα, οὕτως ἐπὶ τὸν τάφον συμπαραπέμψαι τοῖς ἄγουσι). Die überlieferten Angaben lassen die These zu, dass der Trauerzug, mit dem ein toter Kaiser nach Konstantinopel überführt wurde, demselben Schema und denselben Regeln folgte, wie sie üblicherweise beim adventus eines Kaisers zur Anwendung kamen. Um eine bessere Vorstellung von der zeremoniellen Inszenierung zu bekommen, bietet sich ein Vergleich mit einigen frühbyzantinischen Texten an, die innerhalb des Zeremonienbuchs Konstantins VII. Porphyrogennetos überliefert sind18 und den Einzug eines Kaisers nach Konstantinopel beschreiben.19 Die Leipziger Handschrift des Zeremonienbuchs20 überliefert diese Texte auf f. 1r – 4r (ὑπόθεσις τῶν βασιλικῶν ταξιδείων καὶ ὑπόμνησις τῶν ἀπλήκτων bzw. ὅσα δεῖ παραφυλάττειν βασιλέως μέλλοντος ταξιδεύειν)21 bzw. f. 4v – 21r (ὅσα δεῖ γίνεσθαι τοῦ μεγάλου καὶ ὑψηλοῦ βασιλέως τῶν ῾Ρωμαίων
18 Das Zeremonienbuch liegt vollständig vor in der Edition von Reiske 1829. Unvoll-
endet geblieben ist die Ausgabe von Vogt 1967. Unter Leitung von G. Dagron wird zurzeit in Paris eine kritische Ausgabe des Zeremonienbuches vorbereitet. Eine komplette englische Übersetzung (mit dem griechischen Text von Reiske) liegt seit kurzem vor von Moffatt/Tall 2012. 19 Diese Texte wurden von Haldon 1990 in einer kommentierten Ausgabe separat ediert. 20 Zur handschriftlichen Überlieferung des Zeremonienbuches siehe Featherstone 2002 und 2004. Seit geraumer Zeit ist bekannt, dass das Zeremonienbuch nicht nur von einem codex unicus, dem Codex Lipsiensis Bibl. Univ. Rep. I 17 (gr. 28) repräsentiert wird, sondern dass es auch einen Überlieferungszweig in Palimpsesten gibt. Im Jahr 1960 gelang es Cyril Mango und Ihor Ševčenko, in palimpsestierten Blättern des Codex Chalcensis S. Trinitatis (125) 133 (Istanbul) Bruchstücke aus verschiedenen Abschnitten des Zeremonienbuches zu finden. Vgl. Mango/Ševčenko 1960 und 1962. Weitere Fragmente konnten 1978 von Otto Kresten und Wolfgang Waldstein in einem Athos-Palimpsest, dem Codex Vatopedinus 1003, entziffert werden. Eine Publikation dieses Fundes ist in Vorbereitung; vgl. Featherstone/Grusková/Kresten 2005. 21 Reiske 1829, 444–454; Haldon 1990, Text (A) und (B).
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μέλλοντος φοσσατεῦσαι).22 Der Überlieferungszusammenhang hatte bereits John Bagnall Bury23 dazu bewogen, einen selbständigen Traktat Konstantins VII. περὶ τῶν βασιλικῶν ταξιδείων anzunehmen. Reiske hatte diese Texte in seiner Edition des Zeremonienbuchs als ›Appendix ad librum primum‹ zwischen Buch I und Buch II eingefügt. Die ›Appendix‹ enthält unter der Überschrift ὅσα δεῖ γίνεσθαι, ὅταν ἀπὸ ἐξπεδίτου ἢ μακρᾶς ὁδοιπορίας ἐπανέρχεται ὁ βασιλεύς (was zu geschehen hat, wenn der Kaiser von einer Expedition oder einer langen Reise zurückkehrt) Nachrichten über kaiserliche Einzüge nach Konstantinopel, die mit großer Wahrscheinlichkeit ein und derselben Quelle entstammen und Petros Patrikos zugeschrieben werden können, der unter Kaiser Justinian als magister officiorum tätig war.24 Der Text bietet in seinem ersten Teil eine Reihe von Anweisungen, wie sich der Einzug eines Kaisers abzuspielen hatte.25 Wenn der Kaiser aus Thrakien kam, zogen ihm hohe Amtsund Würdenträger an verschiedene Orte westlich der Stadt entgegen (Rhegion und Herakleia werden genannt) und geleiteten ihn über das Hebdomon bis zum Goldenen Tor.26 Von dort begab sich der Kaiser, wie wir auch aus anderen Quellen wissen,27 über verschiedene Stationen der Mese, der Hauptstraße Konstantinopels, an denen Akklamationen auf ihn ausgebracht wurden, in das Zentrum der Stadt mit Kaiserpalast, Hippodrom und Hagia Sophia. Wenn der Kaiser aus Asien und somit zur See kam, konnte er, wie es im Text heißt, am Forum des Strategions an Land gehen oder sich zu Schiff direkt zum Kaiserpalast begeben. An diese Bestimmungen schließt sich innerhalb des Zeremonienbuches ein kurzer Bericht über die Rückkehr Justinians aus Selymbria im Jahre 559 an, bei welcher der Kaiser aus-
22 Reiske 1829, 455–508; Haldon 1990, Text (C). 23 Bury 1907, 438 f. 24 Vgl. zuletzt Sode 2012, 172 f. 25 Reiske 1829, 495,3–497,13; Haldon 1990, 136–138 (Text [C], Z. 667–706). 26 Reiske 1829, 496,9; Haldon 1990, 138 (Text [C], Z. 687) spricht nur von einem
Tor: πόρτη. 27 Wichtige Informationen entstammen dem Kapitel I 91 des Zeremonienbuchs. An die Schilderung der Krönungsfeierlichkeiten für Leon I. auf dem Hebdomon schließt sich dort ein Bericht an, in dem vom Einzug des Kaisers in die Stadt die Rede ist. Der Text schildert allerdings nicht die Ereignisse des Jahres 457, sondern es handelt sich um eine allgemein gültige Vorschrift, wie ein solcher Einzug vonstatten zu gehen hat; vgl. zuletzt Sode 2013. Siehe auch Anm. 29.
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nahmsweise nicht durch das Goldene Tor, sondern durch das weiter nördlich gelegene Charisios-Tor in die Stadt einzog, weil er dem Grab Theodoras in der Apostelkirche einen Besuch abstatten wollte.28 Der Text schildert auf eindrückliche Weise die Atmosphäre, die beim Einzug eines Kaisers in Konstantinopel herrschte, und das Aufgebot, mit dem die Ankunft des Kaisers gefeiert wurde.29 Justinian betete in der Apostelkirche, zündete Kerzen an und begab sich dann weiter zum Kapitol. Als er auf die Mese kam, wurde er von Vertretern verschiedener militärischer Einheiten und ziviler Behörden empfangen. Die ganze Strecke zwischen Kapitol und Chalke, dem Eingangstor zum Kaiserpalast, war, wie der Text berichtet, voller Menschen, so dass das Pferd des Kaisers kaum vorankam. Von der Apostelkirche bis zur Chalke folgten leitende Beamte dem Kaiser zu Fuß. Gegliedert nach sozialem Rang und Altersgruppen war die städtische Bevölkerung so am Einzug des Kaisers beteiligt und begleitete ihn unter zeremoniellem Jubel auf seinem Weg zum Palast. Identitätsstiftung der Bevölkerung, Integration sozialer Gruppen, aber auch soziale Kontrolle sind die wesentlichen Elemente, die mit einem solchen Ereignis verbunden waren. Beim Empfang eines toten Kaisers und seiner Überführung nach Konstantinopel waren Jubel und freudiger Zuruf selbstverständlich in Trauer und Wehklagen verkehrt. Eine direkte Verbindung zwischen einem Trauerzug und einem adventus zieht Gregor von Nyssa:30 Als Flacilla, die Frau des Kaisers Theodosios des Großen, im Jahr 386 nach Konstantinopel überführt wurde, wurde ihr Leichnam vor der Stadt in Empfang genommen. Neben Beamten und Würdenträgern begleitet eine Menge Volk den Zug (ὅτε χρυσῷ καὶ πορφυρίδι 28 Reiske 1829, 497,13–498,13; Haldon, 138–140 (Text [C], Z. 707–723). 29 Die übrigen Texte innerhalb der ›Appendix‹ behandeln den Einzug Basileios’ I. von
878 (Reiske 1829, 498,14–503,16; Haldon 1990, 140–146 (Text [C], Z. 724–807) und jenen des Theophilos von 831 (bzw. 837) (Reiske 1829, 503,17–508,5; Haldon 1990, 146–150 [Text (C), Z. 808–884]); zur Datierung siehe Treadgold 1979, 178. Hinzuweisen ist auch auf Kapitel I 96 des Zeremonienbuches, welches die Thronbesteigung Nikephoros’ II. Phokas beschreibt. Sein Einzug nach Konstantinopel folgte den bekannten Stationen eines kaiserlichen Triumphzuges (Reiske 1829, 433,11– 440,11); vgl. dazu Kresten 2000. Eine ähnliche Route ist auch für Papsteinzüge in Konstantinopel anzunehmen; vgl. Hack 1999, 386–389. Mango 2000, 174, weist zu Recht darauf hin, dass eine Unterscheidung zwischen Triumph und adventus nicht streng durchgeführt wurde. Siehe auch Hunger 1990, hier bes. S. 21–23. 30 Gregor von Nyssa 1967a, 481,19–482,10.
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κεκαλυμμένη ἐπὶ τὴν πόλιν ἡ βασιλὶς ἐκομίζετο [κλίνη δὲ ἦν ἡ κομίζουσα] καὶ πᾶσα ἀξία καὶ ἡλικία πᾶσα προχεθεῖσα τοῦ ἄστεος ἅπαν ἐστενοχώρει ἀπὸ πλήθους τὸ ὕπαιθρον πάντων ἐκ ποδῶν καὶ τῶν ὑπερεχόντων τοῖς ἀξιώμασι προπομπευόντων τοῦ πάθους). Der Verfasser betont, dass die Kaiserin nicht, wie beim adventus, auf einem Wagen oder einem Gespann mit kaiserlichem Schmuck und in Begleitung ihrer Diener und Wächter in die Stadt einfährt,31 sondern dass sie in einem Sarg ruhte, der auf einer Bahre geführt wurde (μέμνησθε πάντως ὅπως ὁ ἥλιος ταῖς νεφέλαις τὰς ἀκτῖνας ἑαυτοῦ συνεκάλυψεν, ὡς ἂν μὴ ἴδοι τάχα καθαρῷ τῷ φωτὶ μετὰ τοιούτου σχήματος εἰσελαύνουσαν τὴν βασιλίδα τῇ πόλει, οὐκ ἐπὶ ἅρματός τινος ἢ χρυσοδέτου ἀπήνης κατὰ τὸν βασίλειον κόσμον τοῖς δορυφόροις ἀγαλλομένην, ἀλλ᾽ ἐν σορῷ κεκαλλυμένην). Ein furchtbarer und bedauernswerter Anblick sei das gewesen, der bei den Anwesenden Tränen hervorgerufen hat. Nicht mit Lobrufen hätten die Leute, Einheimische und Fremde, die Kaiserin empfangen, wie traditionell bei einem kaiserlichen Einzug üblich, sondern mit Trauer und Wehklagen (ἐπικρυπτομένην τὸ εἶδος ἐκείνῳ τῷ σκυθρωπῷ προκαλύμματι, θέαμα δεινόν τε καὶ ἐλεεινόν, δακρύων ἀφορμὴν προκειμένην τοῖς ἐντυγχάνουσιν, ἣν ἅπας τῶν συνειλεγμένων ὁ δῆμος ὁ ἔπηλύς τε καὶ ὁ ἐγχώριος οὐκ εὐφημίαις, ἀλλὰ θρήνοις εἰσιοῦσαν ἐδέχετο).32 Die Ekphora, das heißt die Überführung des Leichnams aus dem Palast in die Apostelkirche, kommt ihrerseits einer Art umgekehrten Triumphzug gleich. Die Bestattungsfeierlichkeiten für Justinian im
31 Auf einem Wagen fährt der Kaiser auch bei dem Einzug, der in Kapitel I 91 des
Zeremonienbuches beschrieben ist: Reiske 1829, 414,1–13; 416,15–20; siehe dazu oben Anm. 27. Weitere Beispiele für einen im Wagen fahrenden Kaiser finden sich im Bericht über den Einzug des Phokas 602 in Konstantinopel (Theophylaktos Simokates 1972, 303,13), bei der Erwähnung einer Osterzeremonie unter Kaiserin Eirene (Theophanes 1883, 474,6) und im Bericht über die Einweihung der Hagia Sophia (Diegesis 1901, 104,10–11). Wenngleich der Kaiser zumeist zu Pferde unterwegs war, war das Fahren im Wagen weniger selten als angenommen. Die Erwähnung eines im Wagen fahrenden Kaisers in einem chinesischen Reisebericht braucht deshalb nicht von vornherein auf einem Irrtum zu beruhen. Dafür plädiert Schreiner 1989, 496 mit Anm. 16. 32 Ähnlich auch in der Trauerrede auf Pulcheria (Gregor von Nyssa 1967b, 463,21– 464,9). Zusätzlich erfahren wir, dass Kleriker den Zug singend und mit Kerzen begleiteten.
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Jahre 565 scheinen diese Annahme zu stützen.33 Der zeitgenössische lateinische Dichter Coripp verfasste mit seinem Werk In laudem Justini Augusti zwar eigentlich ein Loblied auf die (nicht ganz unumstrittene) Thronbesteigung Justins II., beschrieb in diesem Zusammenhang aber auch die Trauerfeierlichkeiten für den verstorbenen Kaiser Justinian, die Justin II. aufwendig inszenierte. Unmittelbar nachdem Justinian gestorben war, begab sich Justin in Begleitung seiner Frau Sophia zum Großen Palast. Dort lag der Leichnam Justinians auf einer goldenen Bahre, umgeben von weinenden Palastdienern.34 Justianian hatte, wie es heißt, immer noch eine frische Gesichtsfarbe und machte den Eindruck, als sei er eher zum Schlaf als zum Begräbnis gebettet. Während alle um ihn herum weinten, schien allein sein seeliges Antlitz zu lächeln. Geschmückt war er mit einem Diadem und einem purpurfarbenen Gewand.35 Justin und Sophia nehmen von dem Toten Abschied,36 wobei Sophia ihm ein weiteres Gewand anlegen lässt, in welches Szenen seiner Triumphe eingewebt waren.37 Am nächsten Tag wird zunächst Justin zum Kaiser gekrönt. Erst danach findet die Beisetzung Justinians statt. Als Justin zur sechsten Stunde, also zur Mittagszeit, den Palast betrat, hatte sich vor den Toren des Palastes bereits eine große Menschenmenge versammelt. Innerhalb des Palastes standen in den langen Säulengängen die Senatoren mit Leuten aus dem Volk. Noch weiter drinnen, in den Privatgemächern des Kaisers, trauerten und klagten die Diener. Kerzen auf goldenen und silbernen Ständern beleuchten den Raum, wie es auch bei Konstantin dem Großen beschrieben wurde. Weihrauch wird angezündet, und andere Essenzen werden herbeigebracht, mit denen der Leichnam einbalsamiert wird.38 Als Justin in den Raum eintritt, beklagt er noch einmal den toten Kaiser. Danach gibt er ein Zeichen, und die Bahre wird herausgetragen. Aus dem 33 So schon MacCormack 1981, 150–158, bes. 155 (zur Verbindung von adventus
und pompa funebris). 34 Corippus 1976, 43 (Buch I, Z. 226–228). 35 Corippus 1976, 43 (Buch I, Z. 229–247). 36 Corippus 1976, 43 f. (Buch I, Z. 248–275). 37 Corippus 1976, 44 f. (Buch I, Z. 276–293). Siehe dazu den Kommentar, 140–142, und Stache 1976, 195–202. Schindler 2009, 276 f., führt den Passus auf die Beschreibung von Aeneas Schild im 8. Buch der Aeneis zurück. 38 Corippus 1976, 60 f. (Buch III, Z. 1–27). Zum Brauch des Einbalsamierens siehe oben Anm. 15.
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ganzen Palast begleitet das Volk den Zug, mit Kerzen in den Händen. Menschen jeden Alters und jeden Geschlechts kommen in Trauer zusammen. Es singt ein Chor der Diakone und einer der Jungfrauen. Frauen laufen im Zug und lösen zum Zeichen ihrer Trauer die Haare. Vor den Türen der Häuser stehen Menschen oder beugen sich in großer Zahl aus den Fenstern.39 An den Stellen, an denen der Zug passiert, entzündet die Bevölkerung Weihrauch. Von überall strömen die Leute zusammen und wollen dem Ereignis beiwohnen. So gelangt der Zug schließlich zur Apostelkirche, und der Leichnam wird in einen Sarg gelegt, den Justinian aus Gold für sich selbst hatte vorbereiten lassen.40 Auch dieser Darstellung sind, trotz ihrer Länge, nur wenige konkrete Angaben zu entnehmen. Der Tod Justinians hatte eine Massentrauer und allgemeine Betrübnis ausgelöst. Eine große Menge Volk nimmt an der Überführung des Leichnams zur Apostelkirche teil. Auch Kirche und Klerus sind beteiligt, liturgische Elemente sind deutlich zu erkennen. In welcher Reihenfolge die politischen Führungsgruppen der Stadt sowie einzelne Teile der Bevölkerung den Sarg zur Apostelkirche begleiten, bleibt allerdings offen, so dass detaillierte Aussagen über die Prozessionsordnung auch hier nicht möglich sind. Für den neu gekrönten Kaiser Justin kann man annehmen, dass er an der Spitze des Zuges marschierte, wie es Konstantios bei der Beisetzung Konstantins des Großen bzw. Julian beim Begräbnis des Konstantios getan hatten. Der neue Kaiser wird so zu einem Teil der städtischen Gemeinschaft. Der Zug dient also einerseits der Selbstdarstellung des Herrschers, andererseits prägte die Inszenierung aber auch das Selbstverständnis der hauptstädtischen Bevölkerung und trug zu ihrer Identitätsstiftung bei. Durch das Zeremonienbuch Konstantins VII. Porphyrogennetos sind wir schließlich darüber informiert, wie sich das kaiserliche Be39 Die Beschreibung erinnert an die Darstellung einer Reliquienüberführung auf dem
Trierer Elfenbein. In großer Zahl beugen sich Zuschauer aus den Fenstern oder stehen in den Türen der Häuser und nehmen so an dem Ereignis teil. Vgl. Holum/Vikan 1979, mit Abb. 1. 40 Corippus 1976, 61 f. (Buch III, Z. 28–61). Ähnliche Trauer und Wehklagen beschreibt Theophylaktos Simokates für Kaiser Tiberios (gest. 582); vgl. Theophylaktos Simokates 1972, 43,15–44,13; die Angaben zum Trauerzug, der sich in den frühen Morgenstunden in Bewegung setzt, sind allerdings spärlich (προύπεμπεν ἅπας τεθνηκότα τὸν βασιλέα καὶ μετ᾽ εὐφημίας εἶχεν ἐπομβρῆσαν τὸ δάκρυον).
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gräbnis in der Mitte des 10. Jahrhunderts zugetragen hat.41 Die Darstellung hat den Besonderheiten des Zeremonienbuches entsprechend den Charakter einer Zeremonialvorschrift und beschreibt den Ablauf der Trauerzeremonie in abstrakter Form.42 Der Leichnam wird durch den Kaballarios43 gebracht (wohl aus den Privatgemächern des Kaisers), und in dem Saal der 19 Akkubiten wird die goldene Liege, das sogenannte Trauerbett, aufgestellt. Dort liegt der Leichnam aufgebahrt, mit Krone, Dibetision, goldener Chlamys und Schnürstiefeln. Die Sänger44 und der Klerus der Hagia Sophia kommen herein, ebenso die Versammlung der Senatoren, in Skaramangia (das heißt bestickte Seidentuniken) gekleidet, und sie singen der Gottesdienstordnung entsprechend. Daraufhin gibt der Praipositos dem Zeremonienmeister ein Zeichen, und dieser spricht zu dem toten Kaiser: Ἔξελθε, βασιλεῦ, καλεῖ σε ὁ βασιλεὺς τῶν βασιλευόντων καὶ κύριος τῶν κυριευόντων (Komme heraus, Kaiser, es ruft dich der Kaiser der Kaiser, der Herr der Herrschenden). Dies sagt er dreimal, dann wird der Leichnam von den kaiserlichen Garden in die Chalke getragen.45 Und sie stellen ihn dort hin und tun das Übliche. Hier wird dreimal wiederholt Ἔξελθε, βασιλεῦ …, dann wird der Leichnam von kaiserlichen Protospatharioi aus der Chalke herausgetragen, und der Trauerzug geht durch die Mese zur Apostelkirche. Dort vollziehen sich der Trauergottesdienst und das Übliche, wie es heißt. Und wieder nickt der Praipositos dem Zeremonienmeister zu, und dieser spricht den Kaiser an: Εἴσελθε, βασιλεῦ, καλεῖ σε ὁ βασιλεὺς τῶν βασιλευόντων καὶ κύριος τῶν κυριευόντων (Komme herein, Kaiser, es ruft dich der Kaiser der Kaiser, der Herr der Herrschenden). 41 Reiske 1829, 275,13–276,24; Vogt 1967, II, 84 f. Siehe auch Moffatt/Tall 2012,
I, 275–276. 42 Vgl. dazu McCormick 1985. Bekanntermaßen wurden bei der Aufnahme in das Zeremonienbuch häufig Darstellungen konkreter Ereignisse überarbeitet und stilistisch revidiert, wobei sie im Wesentlichen durch eine Umsetzung aus dem erzählenden Tempus in das Präsens allgemeingültig gemacht wurden; vgl. dazu bereits Beljaev 1893, XXXIII–IX. Siehe auch die grundlegenden Bemerkungen von Ostrogorsky/Stein 1932, und dazu die Besprechung von Dölger 1936. 43 Vgl. Guilland 1969, I, 107–111, 183. 44 Im Text γήλωνες, ein anderweitig unbekanntes Wort; vgl. Treitinger 1938, 156. Moffatt/Tall 2012, I, 275, bringen es mit dem lat. gildones in Verbindung: Mitglieder einer Gilde, möglicherweise professionale Trauerleute an der Hagia Sophia. Ebenso Vogt 1967, II, 84, Anm. 1 (confréries funéraires). 45 Vielleicht in einem offenen Sarg?
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Auch dies geschieht drei Mal. Nach der Aufforderung: Nimm nun die Krone von deinem Haupt, nimmt zum Schluss der Praipositos dem Kaiser die Krone ab und legt ihm eine einfache Purpurbinde um. Daraufhin wird der Kaiser in das Grab gelegt. In der zeitgleichen Beschreibung des Todes Konstantins VII. im sechsten Buch des Theophanes continuatus46 haben sich die Kaiserin Helene, die Kinder und einige Hofbeamte am Sterbebett des Kaisers versammelt und verabschieden sich von ihm unter Weinen und Wehklagen. Dann erscheinen, wie es heißt, Chöre von Heiligen und Gerechten, Mönchen, Märtyrern und Hierarchen, und er legt seine Seele in die Hände der Engel. Danach wird der Leichnam gewaschen und – wie bereits bekannt – im Saal der 19 Akkubiten aufgebahrt. Dort werden Trauerpsalmen gesungen; und der Leichnam wird in die Chalke gebracht. Dort verabschieden sich von ihm der Patriarch, die Priester, die Magistroi, die Patrikier und der ganze Senat mit einem Kuss. Der Zeremonienmeister ruft, wie üblich (ὡς ἔθος ἦν) Ἔξελθε, βασιλεῦ …; der Rest ist bekannt und deckt sich vom Ablauf her mit dem Zeremonienbuch. Die goldgeschmückte Bahre (κλίνη) wird unter Trauergesängen über die Mese zur Apostelkirche getragen. Die Anwesenheit der Senatoren wird ausdrücklich betont. Das Volk und die ganze Einwohnerschaft waren zusammengekommen, alle wollten zugegen sein. Die einen beobachteten den Zug von oben, aus ihren Häusern und Wohnungen, andere folgten ihm aus der Nähe, wieder andere gingen ihrer Trauer einsam und im Stillen nach. Die Darstellung vom Tod und der Trauer um den verstorbenen Konstantin VII. zeigt deutlich, dass jeder der Beteiligten nicht nur wusste, welche einzelnen Schritte im Rahmen des Trauerrituals aufeinander zu folgen hatten, sondern dass ihnen auch die tiefere Bedeutung, die damit verbunden war, bekannt war. Sterben und Abschiednehmen von dem Toten wurden von einer ganzen Reihe von Ritualen und Handlungen begleitet, die nicht nur den Trauernden dabei halfen, mit dem Tod des Kaisers umzugehen und in den Alltag zurückzukehren, sondern die vor allem auch in der Lage waren, eine momentan gestörte Ordnung wiederherzustellen, Strukturen zu schaffen und Sinn zu stiften. Neben der Möglichkeit, sich von dem Toten zu verabschieden, bot das kaiserliche Trauerzeremoniell vor allem auch Anlass zur In46 Theophanes continuatus 1838, 466,19–468,14.
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szenierung einzelner Personen und sozialer Gruppen. Es führt eine bestimmte Ordnung vor und visualisiert sie mit symbolischen Gesten. Bisweilen konnte dies sogar soweit gehen, dass im Rahmen der Trauerzeremonie gewisse gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen erst ausgehandelt wurden. So soll, wie oben ausgeführt, Julian erst durch die Soldaten des Konstantios dazu veranlasst worden sein, sich dem verstorbenen Kaiser gegenüber gebührend zu verhalten und den Leichnam barhäuptig, ohne Krone, zur Apostelkirche zu geleiten. Wenngleich wir über die Reihenfolge, in der die Trauernden dem Sarg folgten, nur in Ansätzen informiert sind – Soldaten, der neue Kaiser, die Senatoren, der Patriarch, der Klerus, Magistroi und Patrikier werden genannt, ebenso die Bürger Konstantinopels – so kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass es die politischen Führungsgruppen waren, die den Zug anführten, und dass die Gliederung des Trauerzuges sich im Übrigen an der sozialen Schichtung und hierarchischen Ordnung orientierte. An welcher Stelle die Kirche konkret am Zug beteiligt war, bleibt offen, wenngleich in den späteren Texten immer wieder betont wird, dass der Klerus den Verstorbenen mit Kerzen, Weihrauch und Gesängen auf seinem letzten Weg begleitete. Insofern als die Begräbnisumzüge den traditionellen Routen kaiserlicher Prozessionen folgten und diesen in wesentlichen Elementen, wie dem Innehalten an den Stationen, Akklamationen und Huldigungen, gleichkamen, passen sie sich in hervorragender Weise in die zeremonielle Topographie Konstantinopels ein und bedienen sich erprobter Kommunikations- und Interaktionsformen. Sie sind somit ein ausgezeichnetes Beispiel kaiserlicher Repräsentation innerhalb des städtischen Kontexts Konstantinopels und trugen maßgeblich zur Stabilität des politischen Systems in Byzanz bei.
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ruth macrides
PROCESSIONS IN THE ›OTHER‹ CEREMONY BOOK
S
tudents of the Byzantine Empire interested in imperial ritual in the capital, Constantinople, have long been accustomed to search the pages of the large compendium of ceremonies, the tenth-century Book of Ceremonies.1 A striking characteristic of that collection is the description of movement – long, winding processions, and the spaces through which the participants moved.2 The Book of Ceremonies, available in an edition since the nineteenth century, has dominated the study of Byzantine ritual and is practically synonymous with it. The Book of Ceremonies also serves as a companion text for the study of the Great Palace of Constantine I and his successors,3 that large, sprawling complex of buildings adjacent to the hippodrome and in close proximity to the cathedral, Hagia Sophia. These three monuments constituted the centre of the political, religious and social life of the Constantinopolitans.
1 Reiske 1829, 1830. Reiske’s edition has been reproduced with English translation:
Moffatt/ Tall 2012. For studies on processions see McCormick 1986; Baldovin 1987; Brubaker 2001, 31–43; Brubaker 2013, 123–127; Berger 2001, 73–87; Manolopoulou 2013, 153–171. 2 Cameron 1987, 106–136. 3 To name but a few reconstruction attempts, Featherstone 2005, 47–61; Mango 1997, 41–50; Bolognesi Recchi Franceschini/ Featherstone 2002, 37–46; Bardill 2006, 5–45; Featherstone 2006, 47–61; Featherstone 2015, 587–609; Kostenec 2004, 4–36.
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Fig. 1: Map of Constantinople
If the Book of Ceremonies is the ceremony book, there is another, a text that relates to another palace in the city, in the diametrically opposite corner of Constantinople. This is the text of Pseudo-Kodinos, so-called because of a false identification of the author with a George Kodinos.4 Published in a readily available edition first in the mid-twentieth century,5 by which time students of ceremony were well acquainted with the Book of Ceremonies, this text has been little examined. There are also other reasons for its relative neglect.6 The text relates to a palace, the Blachernai, in the northwest corner of the city, inhabited with greater frequency from the eleventh century onwards but little known or understood. Furthermore, the composition of the text dates to the fourteenth century which, along with 4 Verpeaux 1966, 102. 5 Verpeaux 1966. Here the 2013 edition, translation and commentary of Pseu-
do-Kodinos will be cited. 6 See a discussion in Macrides 2011, 217–219.
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the fifteenth century, is labelled the ›twilight of Byzantium‹ by some historians.7 The last emperor mentioned in it is John Kantakouzenos, a usurper who was involved in two civil wars and abdicated in 1354, leaving the throne to the heir John V Palaiologos.8 The Blachernai palace becomes more prominent in the sources as a place where court business was conducted from the eleventh and twelfth centuries. In the thirteenth century the Latin emperors of Constantinople inhabited the palace and it became the main residence of the last dynasty to rule the empire, the Palaiologoi, from 1261 onwards.9 It is out on a limb, right up against the city walls, away from the hippodrome, away from Hagia Sophia. (fig. 1) In this paper I will ask what happens when well-established, centuries-long patterns are broken, when the Great Palace is no longer the main residence of the emperors and the hippodrome is not used for display of the emperor and as an interface with the people. Did late Byzantine emperors continue to traverse the expanse of the city, starting off now from the northwest corner, or did they bypass the main routes and monuments which had been visited by their imperial predecessors, that is, the Mese or main street, with its network of fora and monumental columns? If processing on the streets of Constantinople was a means by which emperors »took possession of their city«10 then perhaps late Byzantine emperors did not, travelling instead by ship to a convenient point and going the rest of the short route by land.11 Indeed, a first glance at the other ceremony book provides a greatly contrasting picture with the tenth-century Book of Ceremonies. In Pseudo-Kodinos movement – how the emperor and the court title holders go from one place to another, their itinerary both inside and outside the palace, and their means of travel – by foot, on horse or by ship – is a subject left untouched. We are told simply that the emperor ›goes‹, not how, with whom, by what route. The court title holders who come into the emperor’s presence twice a day to attend court, come in and go out in hierarchical order, in groups. How they
7 The word appears in the titles of books: e. g.Ćurčić (Ed.) 1991, Djurić 1996. 8 Pseudo-Kodinos 2013, 26,17–19; 27 note 3. 9 On the habitation of the palace see Macrides 2013, 277–304. 10 Cameron 1979, 4–5. 11 This suggestion was made by Kafescioğlu 2005, 39.
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reach the throne room is not described. To refer to this daily reception by the emperor of his court members Pseudo-Kodinos uses the word parastasis, denoting ›presence‹, ›standing by‹. To refer to the same ceremony, the Book of Ceremonies uses proeleusis or ›procession‹.12 This difference in vocabulary seems to underline the predominance of movement in the Book of Ceremonies and the lack of it in Pseudo-Kodinos.13 For Pseudo-Kodinos it is the static tableau that attracts most attention and space: the centerpiece of his protocols are the Christmas and Epiphany performances, on a stage, a raised platform, in the palace courtyard. The emperor appears on two dark winter afternoons, in December and early January, on an illuminated platform, facing an audience of court title holders in hierarchical order, their banners, the representatives of the neighbourhoods of the city, clergymen and musicians. Curtains hide the figure of the emperor until an official who acts as stage manager gives the signal that the emperor is ready. When the curtains part, musical instruments alternate with voices chanting acclamations and verses appropriate to the feast day. The emperor appears illuminated, with a sword and large candle, held by men hidden by the balustrade at the front of the platform. The immobile emperor, framed by columns and balustrade of the stage, emerges as if from the frame of an icon with light emanating from it. The sword and candle are miraculously suspended; no human agency is apparent. The emperor looks down on his subjects like Christ Pantokrator leaning over the rim of a church dome, looking down on the people on earth.14 This appearance, which Kantorowicz describes as the emperor »staging Christ«,15 took place in the courtyard of the palace. A fourteenth century author, describing this performance at Christmas and Epiphany in 1341, states that people of the city converged on the courtyard like the streams of a river. On that occasion, in addition to the music and acclamations that were for the new emperor, the young John V, the crowd filled the air with jeers and shouting against
12 Pseudo-Kodinos 2013, 88–90, 395–396, 398; Book of Ceremonies: Reiske 1829,
518,2; 522,20. 13 Macrides 2011, 230–231. 14 Pseudo-Kodinos 2013, 126–146, 401–404. 15 Kantorowicz 1963, 151.
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Kantakouzenos who was attempting to usurp the throne.16 Although the courtyard of the palace was a more limited space, I would argue that it had taken on the function of the hippodrome as the interface between emperor and people, a place where the people might express their political opinions. At the hippodrome, as in the courtyard of the palace, the emperor appeared to the people at a distance and from a height. After all, the kathisma, the emperor’s box at the hippodrome, was actually a room of the palace.17 The prokypsis performance, as it is called, is an example of the static tableau, an imperial staging of Christ, but there is another such staging which involves movement, a procession in the courtyard of the palace. On Palm Sunday a procession took place in imitation of Christ’s Entry into Jerusalem, an adventus within the confines of the palace courtyard, along an elevated walkway, called a peripatos, as is the ceremony itself, a passage that connects the emperor’s chamber to the palace church and faces onto the courtyard. On the day before Palm Sunday, the walkway was decorated with myrtle, laurel or olive branches, commemorating the path along which Christ entered Jerusalem. The emperor, dressed in his most solemn attire which he wore only on a few occasions, his crown and sakkos, ascended the walkway preceded by a member of the imperial clergy who led the procession, holding the large candle of the emperor and chanting a hymn calling for the people to behold the king of the heavens. It is the emperor who follows. The candle and the hymn open the way for the emperor as the likeness of Christ on earth. After the emperor comes the archdeacon with the Gospel, followed by the patriarch and then priests carrying icons.18 The peripatos is the only palace procession in Pseudo-Kodinos’ text in which the emperor participates. The appearance of the emperor in this procession would have reminded those who witnessed it of images depicting Christ’s entry into Jerusalem, while the staging of the feast day may have been inspired by iconography. Pseudo-Kodinos does not mention an audience but the court title holders would
16 Gregoras 1830, II 616–618. 17 Magdalino 2011,133–134. On the possible origins of the prokypsis in the hippo-
drome appearances of the emperor, see Dagron 2003, 180–181. 18 Pseudo-Kodinos 2013, 170,13–172,12.
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certainly have been present and it is possible that people of the city were also witnesses, as they were for the prokypsis.19 Thus, there are processions at the palace – the daily reception of the court title holders and the emperor’s peripatos – but movement is not described, except in the case of the latter, and that procession takes place only once a year on Palm Sunday. Furthermore, the palace precinct, with its boundaries delineated by the outer gate, seems to be the limit of the emperor’s ceremonial world. He does not even attend the liturgy in the Blachernai church which is just outside the outer gate of the palace and renowned from the fifth century as a shrine of the Virgin Mary containing the relic of her veil. He goes instead to the church of the palace to which his private apartments are connected. When, during Lent, the icon of the Virgin Hodegetria comes to the palace from the monastery ton Hodegon, at the other end of the city, the emperor goes to receive it at the gate of the courtyard and when it leaves on Easter Monday he accompanies it as far as the outer gate.20 These indications of limited movement, all within the palace precincts, would seem to contribute to the view of a limited protocol and a limited engagement with the city by the emperor and his court.21 Yet, such a view is based on a false contrast with the ceremonial represented by the Book of Ceremonies, for the greatest number of processions recorded in the latter are processions in the palace performed by members of the court for members of the court: it was from the court title holders that the emperor might expect rivals.22 As for movement outside the Great Palace, although it was so close to Hagia Sophia, the emperor visited it approximately six times a year, only on the high feast days. Otherwise he went to the Pharos chapel in the palace.23 Emperors did not even leave the lower terrace of the Great Palace to go to the old buildings on the upper terrace, except on high feast days.24
19 Pseudo-Kodinos 2013, 411–413. 20 Pseudo-Kodinos 2013, 178,17–180,3. 21 Magdalino 2011, 139, 140–142. 22 Cameron 1987, 130–132; Berger 2001, 77. 23 McCormick 1986, 227–228. 24 Featherstone 2013, 27.
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Therefore, what we see in Pseudo-Kodinos has good precedents in the Book of Ceremonies. The real contrast between the two works lies in the detailed way in which the Book of Ceremonies describes movement in palace processions. As mentioned, Pseudo-Kodinos does not say how the court title holders came to be in the reception room of the palace.25 They just appear there in hierarchical order. I suggest two reasons for this difference: the differing nature of the texts and the differing nature of the palaces for which they were compiled. The Book of Ceremonies is a huge compilation of ceremonies from various centuries, thrown together to give possible protocols for all occasions, while Pseudo-Kodinos is a shorter work about many things besides ceremony; it gives a hierarchical list of the court members, their functions, the description of their hats and batons.26 It does not contain all ceremonies and it takes a great deal for granted.27 But perhaps a more important reason for the way in which each text handles movement lies in the nature of the two palaces: the one a low-lying sprawling complex in the southeast corner, the other a group of tall buildings located around a central courtyard.28 At the Blachernai, the route to the emperor’s throne room for the daily reception was direct and without alternatives. Space was simpler. Directions were not needed.29 However, Pseudo-Kodinos is equally taciturn about movement outside the palace. He provides a list of churches and monasteries in the city to which the emperor travelled to celebrate feast days.30 The occasions are 17 in number beginning with 1 September,31 the start of the administrative and liturgical year. Twelve ecclesiastical venues are mentioned. The map (fig. 1) shows their locations in the city. They are scattered throughout the city. The question is how did the emperor travel to those sites? What routes did he take? On the four occasions when he went to the Blachernai church and the Petra monastery, the two closest places on the list, we are told that the Varangians accompany him. 25 Macrides 2011, 230–231. See above, 263–264 and n. 12. 26 Pseudo-Kodinos 2013, 26–114. 27 See the discussion in Macrides/Munitiz/Angelov 2013, 10–11, 19–20. 28 Macrides 2013, 277–304, with bibliography. 29 Macrides/Munitiz/Angelov 2013, 366–378. 30 Pseudo-Kodinos 2013, 194–202. 31 Pseudo-Kodinos 2013, 194,4–8.
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»They always accompany the emperor when he rides on horseback, carrying on their shoulders their axes and going as far as Ta Hypsela but on this feast day they accompany him also as far as the church. They do not [accompany him] on his return but rather stay, according to the custom, at the gate of Ta Hypsela, await [the emperor], and accompany him as far as the pezeuma.«32 It seems puzzling that they should accompany the emperor all the way only when he went to nearby churches. Historians who have noted this account have speculated that the emperor may otherwise have travelled by ship and thus would not have been seen on the streets of the city.33 Yet the reason for the Varangians’ limited escorting of the emperor must lie in the function of the Varangians as guards of the palace.34 They could not leave the palace unguarded for a long period of time; hence the reference to their remaining at Ta Hypsela, the outer gate of the palace precinct.35 When the emperor returns they accompany him to the inner courtyard, to the place where he dismounts, the pezeuma.36 Their absence from the side of the emperor on other occasions does not, however, mean that the emperor had no escort when he went to more distant places in the city, or that he went by ship.37 A striking aspect of the locations chosen for these feast day celebrations is that 8 of the 12 are monastic and have dynastic connections.38 They are to be found all over the city from the Bosphoros (St Lazaros, St George at Mangana) to the south and southwest (St Demetrios, Theotokos Peribleptos), the middle of the city (Lips, Pantokrator, St Basil) and the northwest (Petra) (see above, fig. 1). These venues would not have been able to accommodate large crowds.
32 Pseudo-Kodinos 2013, 196,10–198,5; 198,10–13; 200,6–8. 33 Berger 2001,85; Kafescioğlu 2005, 39. 34 Macrides/Munitiz/Angelov 2013, 97 note 199. 35 Macrides/Munitiz/Angelov 2013, 181, note 508, 374. 36 Macrides/Munitiz/Angelov 2013, 75 note 122. 37 Berger 2001, 82–84, notes that in earlier times when emperors lived in the Great
Palace and visited the Blachernai church and palace the boat was the normal form of transportation for them and their entourages. There are no indications in the sources that this was also the case later, in the 13th and 14th centuries. See Macrides/Munitiz/ Angelov 2013, 398–399. 38 Noted by Magdalino 2007, 8–11.
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The 17 occasions for celebrations outside the palace were repetitive and annual. There are, in addition, other indications, in narrative sources, that emperors of the late thirteenth and fourteenth centuries crossed the city on foot or by horse at other times, for reasons not connected with specific feast days. Hagia Sophia maintained its role as coronation church until the fifteenth century.39 The Great Palace served as the residence for the imperial party on the nights before and after a coronation.40 The role of the Great Palace is known not only from Pseudo-Kodinos but also from the description of Michael IX Palaiologos’ coronation in 1294. The day after his coronation Michael promoted his brother John as despot in the Great Palace. He then left for the Blachernai and the distribution of purses of coins.41 The Great Palace was also the scene of a large gathering in 1296 when the emperor Andronikos II conducted a litany, starting at the Blachernai and going to the hippodromion where he addressed a large crowd about his judicial reforms.42 He needed a space large enough to accommodate all the people. Both Andronikos II and John VI Kantakouzenos are said to have walked from the Blachernai palace to the monastery ton Hodegon, at the eastern end of the city, to give thanks to the Virgin Mary for their respective successes. Andronikos II went on foot with his guards but returned on horse to the palace. 43 Kantakouzenos specifies that he walked »through the middle of the agora« »from the so-called house of the Porphyrogennetos,« today identified with the Tekfur Saray, to the south of the Blachernai palace.44 Thus, at least up until the middle of the fourteenth century Byzantine emperors were not only seen on the streets of the city but also did not abandon the Great Palace and other monuments in its vicinity. Now it is the southeast end of the city that is visited from a 39 The one known exception is John VI Kantakouzenos who was crowned in the
Blachernai church in 1347 because Hagia Sophia had been damaged by an earthquake. See Gregoras 1830, II, 787–788. 40 Pseudo-Kodinos 2013, 210,3–9; 236,1–4. 41 Pachymeres 1999, III, 221–223. 42 Pachymeres 1999, III, 261–263. Failler (p. 260 note 4), the editor of Pachymeres, identifies the hippodromion with the ›covered hippodrome‹ of the Great Palace. On the ›covered hippodrome‹, the hippodrome of the palace, see Guilland 1969, 116–210. 43 Pachymeres 1999, III, 255–257. 44 Kantakouzenos 1832, II, 607. On the identification of the ›house of the Porphyrogennetos‹ with the Tekfur Saray, see Mango 1991, 2021–2022.
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base in the northwest, a reversal of the situation before 1204 and the fourth crusade. Perhaps the most significant of all indications of the emperor’s presence in the city is the evidence for the imperial practice of receiving petitions from subjects while on horseback. There are not more than six mentions of this practice for the whole Byzantine period but Pseudo-Kodinos is one of the 6.45 His purpose is not to describe petitioning the horseback emperor but rather to explain the origins of the ›horses in train‹. The in-train horses, Pseudo-Kodinos claims, are a custom that derives from an incident in the reign of the ninth-century emperor Theophilos.46 The story is related in several historical narratives which also report that petitioners would stop the emperor as he travelled on horseback every week from the Great Palace to the Blachernai church: »… she saw Theophilos on the day when it was his custom to go to the sacred church at Blachernae.«47 The custom of riding out to receive the petitions of his subjects is one of the most prominent ways in which the emperor was seen to bring justice to his people.48 It had ceremonial features: the long train of horses that accompanied the emperor, the sound of the trumpets to announce his coming. Pseudo-Kodinos reports the kinds of instruments that accompany the emperor’s riding out, when the instruments are played and why. »When the emperor is ready and has mounted, the drummers strike the kettledrums, the trumpeters likewise blow the trumpets, and the horn players sound with their silver instruments. The trumpets that sound in this service are not the same as the other trumpets, but have a different shape. The sound of these instruments makes plain that if one of the people has some request or is being unjustly treated, he can run and bring this to the attention [of the emperor] 45 References to petitioning emperors on horseback come from the reigns of Constan-
tine I (324–337), Theophilos (829–842), Constantine VII Porphyrogennetos (913– 959), Theodore II Laskaris (1254–1258), Michael VIII Palaiologos (1259–1282) and from the mid-fourteenth century text of Pseudo-Kodinos. For the sources see Macrides 2004, 356–370; Macrides/ Munitiz/ Angelov 2013, 399–400. 46 Pseudo-Kodinos 2013, 76,15–78,9. 47 Skylitzes 1973, 54,48–50; Theophanes continuatus 1838, 93–94 (93,19–20); Symeon Logothetes 2006, 225–226 (ch. 130, § 31). 48 A similar procedure was followed by the Ottoman sultans in Istanbul as they processed to and from Friday prayers. See Boyar/Fleet 2010, 37–39.
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when he hears these. This happens when the emperor rides out in the morning. If he intends to ride out after the meal, this certainly does not take place.«49 The emperor’s riding out to collect petitions was a regular event hardly mentioned in narrative sources. The paucity of reference to those occasions points to a main aspect of ceremonial descriptions in narrative sources: the routine is overlooked, left without comment; the unusual is what draws attention.50 Thus, we can be certain that many more processions took place than appear in the sources. There were occasions on which processions were an integral part of the celebrations, yet the reader is left to infer that a procession took place, what its composition was and appearance. One such occasion was the reception of a foreign bride in Constantinople, known from Pseudo-Kodinos’ text and narrative sources. Upon arrival outside the city walls, the bride met the wives of the highest court officials and also her husband-to-be and his emperor father, if he was alive. The women dressed her in imperial clothing and she rode, escorted, on horseback to the palace.51 Both the arrival of the women of the court at the place of reception and the bride’s ride to the palace involved processions that are only sometimes hinted at in passing.52 Speaking of the arrival in Constantinople (1295) of Rita-Maria of Armenia, the future wife of Michael IX, Pachymeres is more direct than most, relating that »she was introduced [into the city] by a bright and sumptuous procession«.53 Another feature of narrative descriptions is the lack of specification of the route taken in a procession. For example, when the dowager empress Theodora, wife of the late emperor Michael VIII and mother of Andronikos II, died in February 1303 a great cortège 49 Pseudo-Kodinos 2013, 80,5–82,8. 50 McCormick 1985, 8. 51 Pseudo-Kodinos 2013, 266–268, 436–437. 52 E.g, Eirene the Athenian, betrothed to Leo IV: »she was met by the prominent
men of the City and their wives who led the way before her« (Theophanes 1883, 444,15–19; trans. Mango/ Scott 1997, 613); Bertha of Sulzbach, Manuel I’s wife: »all those women distinguished by nobility met her« (Kinnamos 1836, 36.1–8); Anne of Savoy, wife of Andronikos III: »{[she] was received by the emperor and father-in-law imperially and magnificently as was fitting for the wife of an emperor’s son« (Kantakouzenos 1828, I, 204,4–13). 53 Pachymeres 1999, III, 233,3–7.
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was assembled. The emperor, his grandees, all the clergy, monks and citizens processed with abundant light, incense, chants and dirges, through the snow and mud to the monastery of Lips which the empress had refounded. The emperor himself walked through the slippery mud, we are told, touching the coffin.54 Pachymeres thus describes the occasion, not failing to mention the mud, but not a word is said about the route. We can only guess that the procession moved from the Blachernai palace area down to Lips along the upper branch of the Mese (see above, fig. 1). Sometimes, however, especially with processions that are well documented, like the triumph, routes are specified. Although the regular triumphal route was one of entry through the Golden Gate, procession along the Mese to the hippodrome and Hagia Sophia, there were alterations to this course for practical but also dynastic and liturgical reasons. A striking example is the celebration of victory by John II Komnenos and by his son Manuel I. On several, but not all, occasions they changed the point of entry and the route, using the Eugenios Gate on the Acropolis (fig. 1), even when they were returning from a campaign in the Balkans. This route to Hagia Sophia and the hippodrome was much shorter and therefore less costly to prepare. Another significant reason for the change would seem to be the location of the Orphanage on the Acropolis, a (re)foundation of Alexios I Komnenos, father and grandfather of John and Manuel. The new route not only included a building of dynastic importance but also provided a ready-made crowd of enthusiastic recipients of imperial charity, those housed, fed and educated at the Orphanage.55 In the thirteenth century another procession that used the Eugenios Gate was the one that accompanied the body of the former patriarch Arsenios to Hagia Sophia.56 Other earlier variations in triumphal entries were those introduced by Justinian I in 559, Constantine VI in 793 and Leo V in 813. None of these emperors entered through the Golden Gate but used
54 Pachymeres 1999, IV, 413,2–18 and 412, note 23. 55 On John II’s triumph of 1133 see Choniates 1975, 18.78–19.97; on Manuels’s
triumph of 1167, see Choniates 1975, 157,53–158,81; on the Orphanage, Anna Komnene 2001, XV,7,1–7; also Miller 2003, 196–206. On the route, Magdalino 2012, 147–156 and Magdalino, forthcoming. 56 Pachymeres 1999, III, 97.14–31.
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instead a northern gate, the Charisios or the Blachernai gate. Justianian’s route changed because of an earthquake that had damaged the Mese and Hagia Sophia. However, the change of route provided him with the opportunity to stop at the church of the Holy Apostles, light candles and pray in memory of the empress Theodora. Constantine VI’s alteration of route through the Blachernai gate on the eve of the procession at the Blachernai church linked his own victory in civil war with the city’s deliverance from the Arab siege in 678. The cult of the Virgin at the Blachernai church was in this way associated with both events.57 The processional route of the last triumph of Byzantium, the triumph of 1281, was likewise a change from the Golden Gate entry. This celebration of victory shows once again that there is no such thing as the ›usual triumph‹.58 It displays novelty, achieved through a reorganization of traditional elements. Furthermore, the triumph of 1281 reveals a change that pinpoints, more than any other event, the way in which the palace in the northwest corner had become the focal point of imperial encounters with the people. The triumph of 1281 was the second victory celebration by the Byzantines in Constantinople in the thirteenth century. Twenty years earlier the emperor Michael VIII had entered the capital victoriously after the reconquest of the city from the Latins. He had come into the city through the Golden Gate59 in a ceremony that was intended to put emphasis on the God-given victory.60 Pseudo-Kodinos’ ceremony book has no triumph protocol. There was little or no need for one in his time. However, another fourteenth-century author, George Pachymeres, a churchman, has left a relatively long and detailed account of the 1281 triumph of Michael VIII Palaiologos. The victory of 1281 at Bellagrada or Berat in present-day Albania was won over Michael VIII’s greatest enemy, the king of Sicily, Charles of Anjou. Huge booty and most of the troops of Charles fell into Byzantine hands.61 Pachymeres’ account
57 For Justinian, see Constantine Porphyrogenitus 1990, 138–141, 265; McCormick
1986, 142–143, 208–209. 58 McCormick 1986, passim. 59 Mango 2000, 173–188. 60 Akropolites 1978, § 88, 186–188; Macrides 1980, 13–41. 61 Pachymeres 1984, II, 641–649.
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of the triumph dwells on the procession of captives. He describes their appearance, their deportment, and the reaction of the crowd of spectators to them. The whole account is prefaced by the statement that the emperor chose a triumph that would emphasise not the emperor’s accomplishments, but God’s grace.62 Next, Pachymeres describes the emperor’s position in the triumph. Michael stood above, in view, in the palace of the Blachernai. He was thus both a spectator and easily seen by other spectators.63 The captives moved below him in single file, each man seated on the flank of a horse, balancing as best he could. As a trophy of their defeat, each captive held a spear made of papyrus or some other unsuitable material that made a mockery of them.64 The continuous filing past of captives and the variety exhibited by their appearance are stressed in Pachymeres’ account.65 A youth followed a mature man, a naked prisoner came after a clothed one, a bareheaded man after one wearing a head-covering, a man broken in spirit followed a proud man. As the row of captives reached the spot below the emperor, two men at a time made proskynesis to him, against their will, bending forward, dissimulating humility. »They then entered the city, processing through the middle, from one extremity [of the city] to the other«. They were incarcerated in the prison of Zeuxippos, next to the Great Palace.66 This last triumph of Byzantium had as its high point the procession of captives past the emperor, watching from a vantage point above in the palace. Other emperors, even those who wished to give pride of place to the Virgin Mary, had placed her icon on the chariot and accompanied it on foot or horseback but, with few exceptions, they had still entered the city through the Golden Gate.67 However, Michael Palaiologos made no entry himself, while his captives came into the city by a gate in the northwest corner of the city, most likely the Blachernai gate. He looked down on their procession and heard the chants of the crowd from his balcony at the palace. As descriptions of other entries from gates other than the
62 Pachymeres 1984, II, 651,5–8. 63 Pachymeres 1984, II, 651,8–11. 64 Failler 2005, 207–216. 65 Pachymeres 1984, II, 651,11–653,8. 66 Pachymeres 1984, II, 653,8–11. 67 McCormick 1986, 170–174; Magdalino, forthcoming.
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Golden Gate have shown, there is variety in triumphal entries, variety that has at its origin practical, dynastic or liturgical reasons. Michael VIII’s triumph shows that the orientation of the city had changed: the palace in the northwest corner had taken on the role of the interface between the people and the emperor. It was hippodrome and palace in one. At the beginning of this paper I asked what happens when centuries-long patterns are broken, when the Great Palace is no longer the main residence of the emperors and the hippodrome is no longer used for display. The answer is that a lot has changed and nothing has changed. The details are different in the ceremonial presence of the emperor but the main lines, patterns and means of display remain the same. Imperial display traditionally played on alternating moments of concealment and epiphany. Whereas before the thirteenth century the Great Palace and the hippodrome, as well as the streets of Constantinople, were the sites of display, now it was the Blachernai palace whose windows and balconies acted as the kathisma of the hippodrome. To be sure, the scale is different, a smaller city population, a smaller court. But the hippodrome by the thirteenth century had long since ceased to be important in the ceremonial life of the city. The number of races performed there had decreased significantly already by the tenth century.68 The Latins, by melting the bronze statues in the hippodrome to make coins, had also contributed to its demise.69 It is for this reason also that after the reconquest of the city emperors made their main residence the Blachernai palace and reversed patterns of movement, now going from the northwest to the southeast. If we continue to fight this change by claiming withdrawal of emperors behind the walls of the Blachernai palace, it is because we are in denial about the evolving nature of the city of Constantine, its monuments and its ceremonial.
68 Mango 1986, 344–347; Featherstone 2006, 58. 69 Choniates 1975, 648,35–37 and 648–655.
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susanne wittekind
BISCHöFLICHE LEICHENPROZESSIONEN IM HOCHMITTELALTER oder die Inszenierung des Bischofs als Stadtherr, Büßer und Heiliger
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in festlicher Einzug (adventus) wird im Mittelalter nicht nur beim Empfang weltlicher Herrscher in einer Stadt berichtet, sondern auch für Bischöfe als geistliche Fürsten des Reichs beim Einzug in ihren Bischofssitz. Denn einerseits waren Bischöfe die geistlichen Oberhirten von Klerus und Volk ihrer Diözese und wurden entsprechend ehrenvoll empfangen. Andererseits waren sie seit dem 10. Jahrhundert auch Stadtherren ihres Bischofssitzes, seit dem 12. Jahrhundert zudem oft Territorialfürsten, ihr Bischofssitz zugleich Residenzstadt.1 Im Einzugszeremoniell wird Herrschaft sichtbar, wird die Anerkennung des Herrschers öffentlich vollzogen.2 Ähnlich aufwendig wie der Amtsantritt werden oft auch Tod und Begräbnis des Herrschers ausgestaltet, ohne daß über die allgemeinen Totenriten (Exequien) hinaus ein bestimmtes Zeremoniell vorgege-
1 Engels 1986; Stehkämper 1986. Teils hatten Bischöfe, so die Kölner Erzbischöfe
Erzbf. Heribert († 1021) sowie Arnold v. Wied († 1156) und dessen Nachfolger, sogar herzogliche Rechte inne; vgl. Boshof 2005, 14–18 zu Erzbf. Engelbert von Berg (1216–1225). Hitzbleck 2009, 57 f. 2 Schenk 2003, 59–75.
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ben wäre.3 Zu fragen ist daher, was diese Erweiterung des Totenritus jeweils auslöst, wie der Leichenzug gestaltet wird hinsichtlich Stationen und Wegführung, und wie dies zu deuten ist. Während Begräbnis und Trauerzüge der Könige und Kaiser des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit in jüngerer Zeit intensiv behandelt wurden, fanden bisher die Begräbniszeremonien geistlicher Fürsten kaum Aufmerksamkeit. Ihnen gilt der folgende Beitrag. Im Tod trennt sich die Seele vom Körper, bleibt diesem jedoch nach mittelalterlicher Vorstellung bis zum Endgericht noch verbunden.4 Gebete und Gesänge der Totenliturgie leisten für den Verstorbenen in den meist drei bis sieben Tage dauernden Exequien Fürbitte (gemäß 2. Makk 12, 42–46), sie bringen zudem die Hoffnung auf Aufnahme seiner Seele in Abrahams Schoß zum Ausdruck. Der Verstorbene bleibt dabei Rechtsperson, Rechtssubjekt und Vertragspartner, dessen Stiftungen und Verträge über seinen Tod hinaus Geltung behalten.5 Auch die Ehren, die dem in Amtstracht gehüllt aufgebahrten Leichnam entgegengebracht werden,6 weisen darauf hin, daß der Verstorbene in Gestalt seines Leichnams noch als Standesperson und Amtsträger wahrgenommen wird. Die Leichenzüge, um die es im folgenden geht, sind vor diesem Hintergrund einerseits als Huldigung oder Treueversicherung gegenüber dem (verstorbenen) Herrscher zu verstehen, andererseits als erweiterte Form der Fürbitte für den verstorbenen Sünder. Sie bieten den Verantwortlichen zugleich ein Mittel zur Gestaltung der machtpolitischen Leerstelle, die der Tod des Herrschers hinterläßt. Stirbt der Herrscher, wie es häufig geschah, auf Reisen, wird sein Leichnam in der Regel an den von ihm bestimmten oder für ihn gewählten Begräbnisort überführt. Bischöfe werden zumeist in ihrer Domkirche aufgebahrt, dort seit Mitte des 9. Jahrhunderts häufig auch bestattet, später oft in einer von ihnen 3 Ehlers 1990. Vgl. das Totenoffizium im Mainzer Pontifikale des 10. Jahrhunderts,
Vogel/Elze (Eds.) 1963, Ordo CXLIX, 281–305. 4 Angenendt 1997, 113 f. 5 Oexle 1983, 22. 6 Vgl. die Vita Bischof Alberos II. von Metz (984–1005), verfaßt 1009–1014 von Constantin, 1005–1017 Abt des Schottenklosters St. Symphorian in Metz, Vita Alberonis Mettensis, cap.34 (MGH SS 4, 671), zu dieser Haarländer 2000, 475 f. Ähnlich die für Abt Reginbert von Siegburg († 1105) verfaßte Vita Annonis maior, III cap.16 Descriptio exequiarum (MGH SS 11, 503): […] clerus totius Coloniae cum crucibus adveniens in curiam regiam […] excepturi non ut mortuum sed tamquam vivum.
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selbst gegründeten Kirche, deren Konvent zum besonderen Totengedächtnis gegenüber dem Gründer verpflichtet ist.7 Meist wird erst nach der Bestattung des verstorbenen Herrschers ein neuer gewählt und gesalbt bzw. geweiht und eingeführt. Denn auch im Leichnam ist offenbar der Herrscher noch gegenwärtig. Wird ein Nachfolger gewählt, während der Leichnam seines Vorgängers noch öffentlich aufgebahrt ist, wie im Fall Erzbischof Wikfrieds von Köln und seines Nachfolgers Brun 953, wird dies in Quellen ausdrücklich erwähnt.8 Erst im Hochmittelalter wird der Gedanke der unsterblichen Dignität des Amtes entwickelt, die den Tod der Person des weltlichen wie geistlichen Amtsträgers überdauert.9 Die Zeit der Vakanz des Amtes bleibt dennoch herrschaftspolitisch eine kritische Phase. Die Ausdehnung der Zeit zwischen Tod und Begräbnis eines Herrschers und deren öffentliche, ritualhafte Gestaltung durch Leichenprozessionen läßt sich daher als Versuch deuten, diese herrschaftspolitische Leerund Bruchstelle zu überbrücken. Zugleich ist nach den Interessen der Beteiligten zu fragen, die diese organisieren. Der Weg, die Stationen und die konkrete Ausgestaltung der Leichenprozession werden als Mittel der posthumen Inszenierung des Verstorbenen genutzt; sie dienen zugleich der Vorbereitung oder Einführung von dessen Nachfolger.10 Neuere Forschungen zu Ritual und Zeremoniell als Medien der Konstitution und Kommunikation von Herrschaft stützen diese Deutung.11 Schenks Studie zum spätmittelalterlichen Herrschereinzug im 7 Gierlich 1990, 407–417; Sauer 1993. 8 Vita Brunonis cap. 11 (Kallfelz 1973, 194 f.). 9 Kantorowicz 1990, 383 f. zur Unterscheidung zwischen Person und Amtswürde in
der Glosse des Kanonisten Damasus (c. 1215) zu einer Dekretale Alexanders III. dignitas nunquam perit, 64–81 zum Begriff der persona mixta bzw. gemina persona beim Normannischen Anonymus um 1100, der bereits das durch Gottes Gnade verliehene Amt und die menschliche Person unterscheidet; vgl.Fuhrmann 1989, 282. 10 So berichtet Thietmar von Merseburg in seiner Chronik Liber IV, cap. 50–54 (Trillmich 2011,166–171), daß Herzog Heinrich von Bayern, der sich nach dem überraschenden Tod Ottos III. 1002 um die Wahl zum König bemühte, den Leichnam Ottos bis nach Aachen zu dessen Begräbnis im Münster begleitete. Auch Konrads II. Sohn und Nachfolger, Heinrich III., begleitete, wie Wipo in seiner Vita Chuonradi cap. 39 (MGH SS 11, 274) erzählt, 1039 den Leichnam seines Vaters bei dessen Überführung von Utrecht über Köln, Mainz und Worms zu dessen Grabstätte im Speyerer Dom – vgl. Ehlers 1990, 40 f. 11 Vgl. den einleitenden Beitrag von Hölkeskamp in diesem Band.
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Reich arbeitet nicht nur die verschiedenen Phasen des Adventus, von den Vorbereitungen, dem Entgegenkommen oder Einholung (occursio), dem Einzug (ingressus) mit Umzug durch die Stadt (processio) bis zur Festmesse in der Hauptkirche (offertorium) und der Einherbergung idealtypisch heraus, sondern macht auf die Rolle und Interessen der Beteiligten, auf die Bedeutung von Absprachen und mögliche Konfliktfelder aufmerksam .12 Angeregt vom ›spatial turn‹ richtet sich das Augenmerk der Forschung verstärkt auf die Rolle des Adventus für die Konnotierung oder Bedeutungsaufladung von Wegen und Orten in der Stadt: Wie werden Grenzen und Schwellen markiert? Welche Wege werden beim Einzug beschritten, welche Stätten berührt? Wie verhält sich der Einzugsweg zu anderen rituell verankerten Wegen und Orten? Wie werden durch zeremonielle Handlungen Wege und Orte mit Bedeutung belegt, überschrieben oder umkodiert, wie werden sie zu kommunikativ verdichteten Orten?13 Besondere Beachtung kommt dabei den liturgischen Prozessionen und Handlungen zu, die durch ihre jährliche Wiederkehr im Kirchenjahr besonders fest ins Stadtbild eingeschrieben sind. Der städtische Raum ist somit Memorial- und Kommunikationsraum, Symbol- und Machtraum, zugleich ein soziales Konstrukt.14 Zu fragen ist nach den Konstrukteuren von Ereignissen wie Herrscherempfang oder –abschied. Wie werden neue Rituale aus verschiedenen bekannten Elementen konstruiert?15 Wie
12 Schenk 2003. 13 Höh 2009, 212; Rathmann-Lutz 2009, 57 f.; Schweers 2009. 14 Löther 1999. 15 Kantorowicz 1958; Kantorowicz 1944; Willmes 1976. Ein Beispiel für die Begrün-
dung von Riten und ihre Variabilität unter Behauptung von Kontinuität: Am 6.6.1431 verstarb erstmals ein Kölner Bürgermeister im Amt; der Rat beriet, wie dieser würdig begraben werden solle, beschloß eine feierliche Prozession zum Sterbehaus mit vorangehenden Ratsboten in Amtstracht und die Begleitung des Leichnams zur Grabkirche (St. Alban) durch eine Prozession der Ratsmitglieder mit 14 Kerzenträgern, sowie feierliche Exequien des Rats, an denen sich der Stadt zu Ehren auch die Konvente beteiligen sollten, in St. Maria im Kapitol am Katafalk, während die Familie des Verstorbenen diese in St. Alban beging. Als 1471 wieder ein Bürgermeister im Amt verstarb, beschloß der Rat ebenso wie zuvor 1431 zu verfahren; hier jedoch sind Schützen und Kannenträger in städtischer Kleidung als die 12 Kerzenträger genannt. An der Prozession sind der Dominikanerkonvent (der Grabkirche), Priester und der Gemeindepfarrer von Kolumba beteiligt, zudem zahlreiche städtische Gruppen; die Exequien in St. Maria im Kapitol und die Beteiligung weiterer Konvente hingegen entfallen. Huikes 1990, Nr. 5, 142 f. und Nr.29, 442 f. Die Behauptung, das Ritual zu
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sind sie im Kontext kultureller Techniken der Identitäts- und Machtsicherung zu interpretieren?16
Prozessionen in der Bischofsstadt Prozessionen wurden in der mittelalterlichen Stadt nicht nur im Zusammenhang von Reliquienüberführungen veranstaltet. Für Köln bezeugen die Libri ordinarii von St. Aposteln und St. Gereon sowie das Dom-Ceremoniale verschiedene, im Kirchenjahr verankerte liturgische Prozessionen im Stadtraum.17 Ob in Nachahmung des römischen Stationskirchenwesens oder unabhängig von diesem – die Geistlichkeit verließ laut Auskunft der Libri Ordinarii an bestimmten hohen Festtagen, so zu Weihnachten, Epiphanias, an Palmsonntag und zu Christi Himmelfahrt, den eigenen Kanonikerkonvent, um in einer Stationskirche das Fest zu begehen.18 Auch an den Bitt- oder Rogationstagen der Himmelfahrtswoche schlossen sich die Konvente der Stadt zu einer großen Prozession zusammen.19 In diesen Prozessionen und der jeweils gemeinsamen Meßfeier präsentiert sich die geistliche Gemeinschaft der Stadt als bischöfliche Kirchenfamilie.20 Ist die Domkirche, so in Köln an den Rogationstagen, der Ausgangspunkt, oder, wie dort am Palmsonntag, der Zielpunkt der gemeinsamen Prozession, wird die liturgische Rückbindung der Konvente an die Mutterkirche im Verlauf der Prozession unmittelbar erfahrbar.21 Werden an den Rogationstagen nacheinander die Kirchen eines Stadtviertels besucht, so verbindet die Tagesprozession alle jüngeren
wiederholen, darf folglich nicht wörtlich genommen werden; im Gegenteil zeigt dieses Beispiel gerade die Dehnbarkeit, Variabilität und Anpaßbarkeit von Ritualen. Für den Hinweis auf die Beispiele danke ich Sabine von Heusinger. 16 Ehrich/Oberste 2009, 9 f. 17 Kurzeja 1970, 251 f.; Odenthal 1994, 51–91; Odenthal 2005. 18 Odenthal/Stracke 1998. 19 Vgl. den Liber Ordinarius des Züricher Großmünsters, verfaßt von Konrad von Mure um 1260 (Leuppi 1995, 153 f.); auch hier werden die vor den Mauern der Stadt liegenden Kirchen einbezogen. 20 Odenthal 1994, 58, 61; kritisch dazu Wittekind 2015. 21 Vgl. die gemeinsame Palmprozession (mit Kreuzen und Reliquien) aller Konvente in Trier, die vom Dom nach St. Paulin zieht und dann zum Dom zurückkehrt; Kurzeija 1970, 265–280.
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Konvente, Pfarrkirchen und Pfarrgemeinden eines Viertels mit deren ältester Konventskirche, in der die Meßfeier stattfindet.22 Diese jährlich wiederkehrenden Ereignisse, Wege und Handlungen sind nicht nur ins Gedächtnis der Teilnehmenden eingeprägt, sondern werden gleichsam Wegen und Orten eingeschrieben. Letztere werden wahrgenommen und erinnert als Stätten, an denen bestimmte Handlungen stattfanden und wieder stattfinden werden. Dies gilt sogar für die sehr viel seltener stattfindenden herrscherlichen Einzüge. In einigen Städten wurden für weltliche und geistliche Herrscher unterschiedliche Wege gewählt. So zog der in Aachen gesalbte und gekrönte König durch das Weyertor nach Köln ein, außerhalb der römischen Stadtmauer am Waidbach entlang hinunter zum Heumarkt und über den Alter Markt, d. h. über wichtige Orte des städtischen Wirtschaftslebens zum Dom.23 Der Kölner Erzbischof hingegen folgte beim Einzug der alten Römerstraße von Süden durch das Severinstor.24 Er berührte auf seinem Zug durch die Severinsstraße zahlreiche Kirchen (St. Severin, St. Katharina, St. Johann Baptist und St. Georg/ St. Jakob), ging dann vorbei an St. Maria im Kapitol über die Hohe Straße zum Dom. Durch diese unterschiedlichen Einzugswege wird im Falle Kölns zwischen den beiden Obrigkeiten, dem bischöflichen Stadtherrn und dem weltlichen Reichsoberhaupt, klar unterschieden.25 In Trier hingegen stimmt das liturgische Protokoll des Königs-, Papst- und Erzbischofseinzugs eng überein, nicht nur hinsichtlich des Einzugswegs, sondern auch hinsichtlich des Empfangs des jeweiligen Herrschers durch ein Ehrenspalier der Geistlichkeit bis zur Posterne auf dem Hauptmarkt; allein die Empfangsgesänge unterscheiden sich.26
22 Vergleichbares gilt in Trier für die Freitagsprozessionen der Fastenzeit sowie die
Rogationstags-Prozessionen der Osteroktav (Kurzeja 1970, 302–317), wobei als Stationskirchen, wie Kurzeja 312 bemerkt, jeweils ältere Konventskirchen bzw. bischöfliche Gründungen dienen. 23 Von der Gründung des Augustinerinnenklosters Weyer 1198 bis zu dessen Zerstörung 1474 machte der König zuvor zum Kleiderwechsel dort Station; zu den Einzugswegen siehe Lampen 2009, 32–35. 24 Lampen 2009, 19, 23–25. 25 Auch in Speyer werden für König und Bischof unterschiedliche Routen gewählt, vgl. Lampen 2009. 26 Kurzeja 1970, 337–341. Vgl. zur Übernahme des hochkirchlichen Occursus zum Herrscherempfang in Klöstern der Karolingerzeit Willmes 1976, 66–115.
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Bischöfliche Leichenprozessionen Nicht nur der Einzug des Bischofs als Stadtherr in seine Bischofsstadt wurde mit einer feierlichen Prozession begangen, sondern auch sein Tod konnte Anlaß für eine Prozession geben. Das Mainzer Pontifikale romano-germanico enthält nach dem Ordo zur Krankensalbung verschiedene Ordines zur Beichte und Reconciliatio des Sterbenden.27 Ausführlich sind dort die verschiedenen Gesänge und Gebete der Exequien aufgeführt sowie die begleitenden Handlungen: die letzte Kommunion, Waschung des Leichnams, Bekleidung und Aufbahrung, seine Überführung in die Kirche, wo er während der Vigilien unter Gebeten, Gesängen und Lesungen der Geistlichkeit bis zur Totenmesse verbleibt, nach welcher der Leichnam ins Grab gelegt wird.28 Das Geleit des Leichnams vom Sterbehaus in die Kirche bzw. von der Kirche zum Grab könnte man als Prozession auffassen, doch sprechen weder die früh- und hochmittelalterlichen Ordines noch die Liturgiekommentare davon. Erst der Trierer Liber Ordinarius um 1300 schildert, daß der Klerus der Stadt die Leiche eines Domherrn oder Bischofs jeweils von seinem Sterbehaus unter Gesang der Gradualpsalmen in den Dom geleite. Differenziert behandelt er auch die nach Rang des Verstorbenen unterschiedlichen Aufbahrungsorte innerhalb der Domkirche.29 Gelegentlich erfährt man jedoch aus Bischofsviten näheres über bischöfliche Leichenprozessionen. 27 Vogel/Elze (Éds.) 1963, Ordines CXL–CLIV, 256–312, die Exequien hier Nr. CX-
LIX, 281–305, anschließend verschiedene Meßformulare In die depositionis defunctis bzw. pro defunctis; Andrieu 1938, 277–285 In officio sepulturae (LI A) und Ordo commendationis animae et officium sepulturae (LI B). Der Liturgiekommentar des Honorius Augustodunensis, Sacramentarium, cap. XCV De exequiis mortuorum (PL 172, 798) erwähnt nur, daß die Totenmesse ohne Gloria, Alleluia und Friedenskuß gefeiert werde, da Musik nicht zur Trauer passe, und daß der Toten am dritten und siebten Tag ihres Todes gedacht werde. Ausführlicher erläutert erst Sicard von Cremona um 1200 Totengedenkriten und Exequien im Kontext von Allerheiligen (Mitralis IX cap. 50, 747–758), hier zur Leichenwaschung, Totenbekleidung, Überführung und Grablegung 753 f.; Franz 1961. 28 Nach Kyll 1972, 76, scheint im Sendhandbuch Reginos von Prüm ein außerklösterlicher Ordo auf, demzufolge verstorbene Laien im Leichenzug direkt vom Sterbehaus zum Friedhof gebracht werden. 29 Kurzeja 1970, 341–344, Textedition der Begräbnisprozessionen 512–514. Hier wird bestimmt, wo der Leichnam eines Verstorbenen im Dom aufgestellt wird, abhängig von seinem Stand/Rang: Papst und Kaiser unmittelbar vor dem Hochaltar,
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Eine Leichenprozession durchzuführen lag nahe, wenn der Bischof außerhalb seines Bischofssitzes verstarb. Denn in der Regel wurde er dann in seine Bischofsstadt überführt und in seiner Domkirche aufgebahrt.30 Diese Überführung konnte je nach Entfernung mehrere Tage dauern. Der Leichnam wurde dann entweder, wie im Fall des 965 in Reims verstorbenen Erzbischofs Brun von Köln, vor dem Einzug in seine Stadt erst in einer Kirche vor den Stadtmauern (St. Aposteln) zugerichtet, aufgebahrt und mit Pontifikalgewändern bekleidet, bevor er dann in feierlichem Zug unter Beteiligung von Geistlichkeit und Volk in den Dom geleitet und dort die Exequien gehalten wurden.31 Oder aber der Leichnam wurde, wie im Fall Erzbischof Alberos II. von Trier, der nach einer Synode 1152 in Koblenz verstarb, sogleich von dessen Arzt präpariert; Alberos Eingeweide wurden in Kloster Himmerod beigesetzt, sein Leichnam in bischöfliche Gewänder gehüllt und mit großem Geleit nach Trier überführt, wo ihm Geistlichkeit und Volk der Stadt an der Römerbrücke entgegenzogen.32
Kardinal, Erzbischof oder Legat vor der Kantorenstalle (ante sedem cantoris) – diese verbleiben während der Totenmesse, die in Liebfrauen gehalten wird, im Dom; der Propst, Fürst oder Graf wird unterhalb der Kantorenstalle aufgestellt, ein Dechant im Schiff vor den Chorstufen, ein Domherr in der Mitte der Kirche, ein Vikar vor dem Westchor; ihre Leichen werden während der Totenmesse in die Liebfrauenkirche mitgeführt. »Am Morgen des Begräbnistages erscheinen die beiden Stiftskapitel und die vier Abteien in Prozession in Liebfrauen, wo sie ihre Kreuze auf der Totenbahre ablegen« (342) und die Bußpsalmen beten. Die einzelnen Konvente halten dann das Totenoffizium und ein Priester desselben zugleich die Totenmesse jeweils in den verschiedenen Chören des Doms, das Domstift in Liebfrauen. Dorthin wird die Leiche dann in Prozession gebracht und wieder zurück in den Dom geführt, wo das Begräbnisamt im Chor gesungen wird, die Kanoniker auf der einen, die Mönche auf der anderen Seite. Soll ein auswärtiger Adliger im Dom bestattet werden, zieht man ihm ggf. ein Stück entgegen, ein Angehöriger des mittleren städtischen Adels wird am Domportal erwartet. 30 Dazu Gierlich 1990, 411; er nennt (66 f.) als Ausnahme den Trierer Erzbischof Dietrich I., der 977 in Mainz stirbt und in seiner dortigen Klostergründung und Familiengrablege St. Gangolf bestattet wird. 31 Vita Brunonis, cap. 45–47 (Kallfelz 1973, 248–253). Bischof Wolfgang von Regensburg, der 994 in Oberösterreich verstarb, wurde per Schiff nach Regensburg gebracht und im Dom aufgebahrt, vgl. Vita sancti Wolfgangi Ratisponensis des Othloh von St. Emmeran, cap. 38–39 (MGH SS 4, 541). 32 Gesta Alberonis Archiepiscopi auctore Balderico, cap. 28 (Kallfelz 1973, 610 f.).
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Zu Leichenprozessionen kommt es jedoch auch in den Fällen, in denen Bischöfe ausdrücklich einen Sterbe-, Aufbahrungs- oder Begräbnisort außerhalb ihrer Bischofskirche anwiesen. Die Synode von Tribur hatte zwar 895 bestimmt, daß die Bestattung eines Bischofs möglichst in seiner Bischofskirche stattfinden solle. Insgesamt fand diese Regelung zunächst aber wenig Beachtung.33 Zum einen ist beispielsweise in Metz um 1000 das Bestreben der Bischöfe zu beobachten, in der Nähe der Amtsvorgänger bestattet zu werden, erst in St. Symphorian, dann im Dom.34 Zum anderen wird es seit Mitte des 10. Jahrhunderts üblich, daß Bischöfe sich in den von ihnen errichteten Kirchen bestatten lassen.35 Der Kirchenbau gehört nun zum bischöflichen Amtsideal, denn Bischöfe vermehren mit ihren Kirchengründungen die Kirche Christi, sie ehren dadurch die Heiligen und ihre Reliquien, und sie schützen ihre Städte kraft der Heiligen und des Klerus mit einem Ring von Kirchen extra muros, stärken so zugleich ihre Rolle als geistliche Stadtherren der civitas sancta.36 In der Folge lassen sich Bischöfe häufig in ihren Kloster- oder Stiftsgründungen in oder vor den Mauern der Stadt bestatten. So bestimmte Erzbischof Brun von Köln testamentarisch seine Klostergründung St. Pantaleon als Grabstätte. Er wurde also von St. Aposteln feierlich in den Dom gebracht und dort aufgebahrt, wo die Vigilien und die Totenmesse gehalten wurden, nach Verlesung seines Testaments
Vgl. das entsprechende Vorgehen mit vorgezogener Bestattung der Eingeweide bei Erzbischof Bardo von Mainz † 1051 (Vita Bardonis cap. 27, MGH SS 11, 341). 33 MGH Cap. 2, cap. 15, 221 f.; Gierlich 1990, 6; seine Auswertung der Bischofsgrabstätten ergibt, daß tatsächlich erst seit Ende 9./Anfang 10. Jahrhundert eine Bestattung der Bischöfe in ihrer Domkirche anzutreffen ist, dies jedoch meist im Fall einer besonderen Verbundenheit des Bischofs mit dem Domstift (durch Herkunft daraus), während die Bestattung in einem anderen, dem Bischof oder seiner Familie besonders verbundenen Stift oder Kloster die Regel bleibt (400–407). 34 Gierlich 1990, 109, 128 f. So läßt sich Erzbischof Albero II. von Metz († 1005) in St. Symphorian bestatten, das vor allem im 7. Jahrhundert und zu Beginn des 8. Jahrhunderts als Bischofsgrabstätte gedient hatte und wohin er die Gebeine weiterer Vorgänger überführen ließ (vgl. Vita Alberonis II. Mettensis cap. 34, MGH SS 4, 671 f.). Der Metzer Dom diente hingegen erst seit Mitte des 11. Jahrhunderts gelegentlich als bischöfliche Grabstätte, so für Theoderich II. († 1047), Stephan von Bar († 1162) und Theoderich III. von Bar († 1171). 35 Gierlich 1990, 407–412. 36 Weilandt 1992, 16–70; Crusius 1995; Bünz 1998, 95.
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jedoch zum Begräbnis nach St. Pantaleon.37 Bernward von Hildesheim wählte zum Sterben die von ihm gegründete Martinskapelle; sein Leichnam wurde 1022, wie von ihm testamentarisch bestimmt und anders als üblich, nur mit einem einfachen Tuch bedeckt, nach den Exequien in der Krypta seiner benachbarten Klostergründung St. Michael bestattet.38 Auch Bernwards Nachfolger Godehard von Hildesheim regelte die Exequien und sein Begräbnis bereits zu Lebzeiten.39 Als 1137 sein Tod nahte, ließ er sich in seine Klostergründung St. Mauritius vor den Toren der Stadt bringen. Nach seinem von den Mönchen begleiteten Sterben wurden dort unter Beteiligung von Klerus und Volk die Vigilien gefeiert, bevor der Leichnam Godehards ehrenvoll nach St. Michael, dessen Kirche er 1033 geweiht hatte, dann in die von ihm 1025 gegründete Spitalskirche St. Andreas überführt wurde, erst am folgenden Tag in den Dom, wo er in Anwesenheit nicht nur von Klerus und Volk seiner Stadt, sondern auch der Klöster seiner Diözese in der Krypta bestattet wurde. Er ließ sich mithin in den Kirchen aufbahren, die er begründet (fundator) oder doch wesentlich gefördert hatte (benefactor), bevor er in seiner Domkirche bestattet wurde. Diese Bischöfe sorgten auf diese Weise dafür vor, daß sie nach ihrem Tod ein letztes Mal die ihnen wichtigsten Kirchen ihrer Bischofsstadt besuchten. Insbesondere Godehard bezeugte den genannten Kirchen so, ähnlich wie Brun von Köln durch seine testamentarischen Schenkungen an die Kölner Konventskirchen,40 besondere Wertschätzung. Er versicherte sich zugleich der besonderen Fürbitte durch Klerus bzw. Mönche dieser Kirchen. Den großen Wert dieser Fürbitten, der Messen und Almosen für das Seelenheil der Verstorbenen, deren Seelen bis zum Gericht in einem Zwischenzustand sind, betont auch das Mainzer Pontifikale.41 Die Überführung des bischöflichen Leichnams und die damit einhergehende topographische wie zeitli37 Vita Brunonis cap. 47 (Kallfelz 1973,252 f.). 38 Vita Sancti Bernwardi cap. 54–55 (Kallfelz 1973, 356–359). 39 Vita Godehardi posterior cap. 30–31 (MGH SS 11, 212–215). Zu den Kirchen vgl.
Jacobsen/Kosch 2001. 40 Vgl. das Testament Bruns in der Vita Brunonis, cap. 49 (Kallfelz 1973, 254–259). 41 Vogel/Elze (Éds.) 1963, Ordo CXLIX, cap. 37 (291): Tempus quod inter hominis mortem et ultimam resurrectionem interpositum est animas abditis receptaculis continent, sicut unaqueque digna est vel requie vel poena, pro eo quod sortita est in carne cum viveret. Neque enim negandum est defundctorum animas pietate suorum viven-
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che Ausdehnung des Trauerzeremoniells bezog eine größere Zahl von Gläubigen ein, zuerst natürlich Volk und Klerus der Bischofsstadt. Doch bei längerer Dauer konnten, wie im Fall Godehards von Hildesheim, sogar Volk und Konvente der Diözese daran teilnehmen.42 Von einigen Bischöfen wird berichtet, daß ihr Leichnam in alle Kirchen ihrer Stadt gebracht wurde, bevor er bestattet wurde. Auffällig ist, daß es sich bei diesen, mit Ausnahme Alberos II. von Trier († 1152), um später als Heilige verehrte Bischöfe handelt, nämlich um Wolfgang von Regensburg († 994), Notger von Lüttich († 1008), Burchard von Worms († 1025), Anno II. von Köln († 1075), Norbert von Magdeburg († 1134) und Otto I. von Bamberg († 1139). Ein solcher mehrtägiger Leichenzug mit Stationen in den Stifts- und Klosterkirchen des Bischofssitzes demonstriert die besondere Verbundenheit der Geistlichkeit der Stadt mit ihrem (verstorbenen) Bischof. Während in der Regel nur ein oder zwei Kirchen am bischöflichen Totenritus Anteil hatten, als Stätte der Totenvigil und Totenmesse sowie des Begräbnisses, werden auf diese Weise mehrere bzw. alle geistlichen Gemeinschaften der Stadt einbezogen. Die Sonderstellung der Bischofskirche als Mutterkirche bzw. des Domstifts als Gemeinschaft höchsten Ranges in der Stadt, und der in der Regel vom Bischof privilegierten Grabkirche und ihres Konvents, wird durch die Erweiterung des Begräbnisritus zurückgenommen. Alle geistlichen Gemeinschaften erhalten so Anteil an der ritualisierten Sündenvergebung und liturgischen Fürsprache für den verstorbenen Bischof. Im Gegenzug gewinnt eine jede Hoffnung auf dessen Gunst im Falle der Erhöhung des Verstorbenen durch göttliche Gnade zum Heiligen. So erscheint der bischöfliche Leichenumzug durch die Kirchen der Stadt als Mittel des Ausgleichs und Harmonisierung zwischen den geistlichen Institutionen, als Gewährung von Teilhabe und Mitsprache. In zwei Fällen, bei Norbert von Magdeburg und bei Anno II. von Köln, berichten die Viten ausdrücklich, daß der Leichenprozession ein mehrtägiger Konflikt voranging. In Magdeburg stritten sich 1134
tium relevari, cum pro illis sacrificium mediatori offertur, vel elemosinae in aecclesia fiunt. 42 Vita Godehardi posterior cap. 31 (MGH SS 11, 215): In crastinum vero illucesente dominica, ex diversis per Saxoniam coenobiis fratres ac sorores in obsequium tanti patroni convenerant; qui destitutionem cleri et desolationem populi ac generale totius christianismi damnum debita lamentation defleverant.
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das Domstift und das Marienkloster darum, wem die Grabstätte des verehrten Bischofs zustehe. »Die Domkanoniker nämlich erklärten, da er das Haupt aller Kirchen der Stadt gewesen sei, sei es auch geziemend und recht, daß seine Gebeine der Hauptkirche die Ehre erwiesen, und daß er die Ankunft des Höchsten Richters dort erwarte, wo er seinen Titel habe […]. Dagegen wandten die Brüder der heiligen Maria ein, er sei nicht allein Erzbischof, sondern auch bis zu seinem Tod ihr besonderer Vater und Vorgesetzter gewesen, und daher sollten sie auch seinen Leichnam bekommen«.43 Um den Konflikt beizulegen, schickte man schließlich eine Gesandtschaft zu Kaiser Lothar und überließ diesem die Entscheidung, die dieser zugunsten der Liebfrauenkirche fällte. Solange wurde der Leichnam trotz der Sommerhitze täglich in ein anderes Kloster der Stadt geführt und dort die Vigilien begangen. Zwei Positionen und Argumente treffen hier aufeinander: Einerseits der Anspruch, daß der Bischofskirche der Vorrang unter den Kirchen der Stadt gebühre und daß sie daher die angemessene Grabstätte für ihre Bischöfe sei, andererseits der Verweis auf die besondere geistliche Verbundenheit zwischen dem Bischof und der von ihm reformierten Konventskirche. Diese widerstreitenden Positionen finden sich schon in Eigils Vita Sturmi in Bezug auf den Leichnam des Bischofs Bonifatius. Hier sind es Mainzer Bürger, die 754 dessen Überführung in die Klostergründung seines Schülers Sturmi und die von ihm gewünschte Grabstätte Fulda zu verhindern suchen mit dem Argument, er solle an seinem Bischofssitz ruhen.44 In eine polemische Klagerede faßt die in Kloster Iburg geschriebene Vita Bennos von Osnabrück († 1088) den Streit um den Leichnam des Bischofs und Klostergründers, der fast in einen gewalttätigen Konflikt mündete.45 Sie wird dem Vogt Liudolf in den Mund gelegt, dessen Worte den Streit letztlich zugunsten des Klosters entscheiden. Er entlarvt diejenigen, d. h. die Geistlichen und Ministerialen des Osnabrückers Bischofssitzes, die den Leichnam Bennos dorthin als vorgeblich würdige Stätte zum Begräbnis bringen wollen, und schilt sie als raffgierige Räuber, die Bennos Ansehen und memoria ebensowenig pflegen würden wie das Ansehen seiner bischöflichen Vorgänger, deren Gräber sie ver43 Vita Norberti, cap. 23 (Kallfelz 1973, 539 f.). 44 Gierlich 1990, 398. Eigil, Vita Sturmi, MGH SS 2, 366–377; Engelbert 1968. 45 Vita Bennonis cap. 27–28 (Kallfelz 1973, 432–441).
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wahrlosen lassen. Im Kloster aber, das Bischof Benno gegründet und in das er sich am Lebensende zurückgezogen habe, werde das Grab des Gründers in Ehren gehalten, auch wenn die Klosterkirche im Moment noch nicht fertiggestellt sei. Eine Gebetsbruderschaft zwischen Konvent und Osnabrücker Kirche besiegelt schließlich den Entscheid zugunsten des Klosters und stiftet Frieden zwischen den Konfliktparteien. Ähnlich wie in Magedeburg wirkt auch hier ein Laie als neutrale Schiedsinstanz, die den Konflikt zwischen den geistlichen Gemeinschaften letztlich beilegt.46 Die oben genannten Bischofsviten Wolfgangs von Regensburg, Burchards von Worms, Ottos von Bamberg und Alberos II. von Trier berichten meist ebenso kurz wie diejenige Norberts von Magdeburg davon, daß der Leichnam in alle Kirchen der Stadt gebracht wurde.47 Allein in den Viten Notkers von Lüttich († 1008) und Annos II. von Köln († 1075) werden die Stationen in den einzelnen Kirchen und deren Abfolge mitgeteilt.48 Dies gibt die Möglichkeit, den Weg ihrer Leichenprozession nachzuvollziehen und, zumindest im Fall Kölns, auch in Bezug auf andere Prozessionen in der Stadt zu reflektieren, da hier die Lage aufgrund der Überlieferung liturgischer Quellen günstig 46 Vgl. unten zu Anno II. von Köln. Gierlich 1990 führt auch Fälle an, in denen
der Konflikt zugunsten des Bischofssitzes gelöst und der auswärts verstorbene Bischof dorthin überführt wurde, so den Trierer Erzbischof Bruno von Bretten († 1124), der nicht in seiner zur Diözese Speyer gehörenden Klostergründung Odenheim bestattet, sondern in den Trierer Dom überführt wurde (76 f.), sowie Bischof Ansfrid von Utrecht († 1010), der in Kloster Hohorst verstarb und gegen den Willen der Mönche in den Dom St. Martin, die Kirche seines Bischofssitzes, gebracht wurde (410). 47 Als Beispiel siehe die Vita Burchardi, verfaßt vor 1027, cap. 23 (Börschinger 1925, 41): »Bei seiner Beerdigung waren seine Ministerialen zugegen, ehrwürdige und erlauchte Männer, und trugen seinen Leichnam durch alle Kirchen und brachten ihn zuletzt in den Dom«; Otlohs vor 1062 geschriebene Vita S. Wolfgangi Ratisponensis, cap. 39 (MGH SS 4, 541): portabant eum per singula urbis monasteria; Ebos 1151/9 verfaßte Vita Ottonis episcopi Babenbergensis, Liber III cap. 26 (MGH SS 12, 881): Venerabile corpus eius, a religiosis viris curatum et aromatibus conditum, per singula monasteria est deportatu; Herbords vor 1159 datierbare Dialogi de vita Ottonis episcopi babenbergensis, Liber I cap. 42 (MGH 12, 43): Iam enim per totum triduum dormitionis eius dilecti corporis gleba per omnes ecclesias circumlata; siehe auch die 1157–1161 anzusetzende Vita Norberti, cap. 23 (Kallfelz 1973, 540): Interim vero corpus inhumatum iacebat, et de die in diem per singula monasteria civitatis deferebatur. 48 Vita Notgeri cap. 9 (Kurth 1905, Bd. 2, 15); Vita Annonis maior, Liber III cap. 16 (MGH SS 11, 505 f.).
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ist. Zu fragen ist nach den Gründen für die spezifische und aufwendige Gestaltung der Leichenprozession Annos II. Was ist der Grund für sie, wie wurde sie ausgehandelt und von wem? Wie fand oder kreierte man zu diesem Anlaß einen passenden ›Ritus‹? Wurden in Annos Leichenprozession gezielt bekannte Prozessionswege im Stadtraum aufgegriffen, die Bedeutungen der Handlungen überlagert? Was bedeutet dies für die Deutung des Vorgangs wie für die Deutung des Erzbischofs Anno?
Der Leichenzug Erzbischof Annos II. von Köln Das Bild, das zeitgenössische Quellen von Annos Wirken zeichnen, ist zwiespältig und abhängig von der Position der Autoren: 1062 hatte Anno den elfjährigen, noch unter Vormundschaft seiner Mutter Kaiserin Agnes stehenden König Heinrich IV. in Kaiserswerth entführt, um ihn selbst zu erziehen bzw. als Vormund und stellvertretender Regent zu wirken.49 In der Folge stand Anno wiederholt im Konflikt mit Heinrich IV. 1074 kam es zum Aufstand und zur Vertreibung Annos durch die Kölner Bürger, nachdem dieser das Schiff eines Kölner Kaufmanns beschlagnahmen ließ, um seinem Münsteraner Suffragan die Heimfahrt zu erleichtern. Diesen Aufstand schlug Anno nieder. Doch auch aus den Klöstern gab es kritische Stimmen, so aus Stablo, dessen Status als freie Reichsabtei Anno angriff, 50 und aus Brauweiler. Dort zürnte man Anno, weil er das Gut Klotten, das Königin Richeza († 1063) ihrer ezzonischen Grablege Brauweiler zugesprochen hatte, stattdessen an seine Kölner Stiftsgründung St. Maria ad Gradus gab und Richeza gegen deren Wunsch dort bestatten ließ.51 St. Maria ad Gradus wiederum büßte gegenüber Annos Klostergründung Siegburg in den letzten Jahren an Bedeutung und schließlich auch das Grab des Gründers ein. St. Pantaleon mußte für 49 Schieffer 1980; Legner (Hg.) 1975. 50 Coué 1997, 150 f. Nach der Übertragung der Agilulf-Reliquien aus Kloster Mal-
médy 1062 nach Köln hatte Anno das Kloster 1065 nicht nur unter seinen besonderen erzbischöflichen Schutz genommen, sondern inkorporierte die ganze, teils zu Lüttich gehörende Reichsabtei Stablo-Malmédy. Im Triumphus S. Remacli wird erzählt, wie die Mönche ihren Patron Remaklus im Schrein zum Hoftag nach Lüttich mitbrachten, um zu ihrem Recht zu kommen – erfolgreich. 51 Brunwilarensis Monasterii Fundatio cap. 6 (MGH SS 11, 399), Coué 1997, 152 f.
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Annos Stiftsgründung St. Georg eine Georgsreliquie dorthin abgeben, das Kloster wurde durch Anno reformiert, die Rechte des Abtes beschnitten.52 Kritiker Heinrichs IV. und Anhänger der Kirchenreform wie Lampert von Hersfeld hingegen rühmten Annos Bildung, seine Kirchengründungen im Geist der Reform von Fruttuaria, seine Bußfertigkeit und seine besondere Heiligenverehrung. Die erste Nachricht über das Leichenbegräbnis Annos bietet der zeitgenössische Chronist Lampert von Hersfeld († 1082/85) zum Jahr 1075. Er spricht von der vorangehenden Krankheit Annos und von dessen Traumvision, die Anno bereits zum Heiligen stilisiert: Anno erscheint vor einem Tribunal verehrter Bischöfe in weißen Kleidern – es sind die Erzbischöfe Heribert von Köln, Bardo von Mainz, Poppo und Everhard von Trier sowie Bischof Arnulf von Worms. Letzterer weist Anno auf einen Fleck auf seinem weißen Gewand hin und deutet ihn als Sünde, von der sich Anno reinigen müsse, indem er seinem Kölner Volk die schuldige Vergebung und Versöhnung spende, bevor er Teil der Versammlung der Heiligen werden könne.53 Den Ärger der Kölner über Anno deutet Lampert als Trauer über den Verlust des Leichnams als eines begehrenswerten Schatzes. Die Überführung von Annos Leichnam erfolgt »mit großem Gepränge unter allgemeiner Teilnahme von Klerus und Volk«, Leichenwegstationen werden von Lampert nicht erwähnt.54 Die beiden Siegburger Annoviten hingegen widmen sich ausführlich diesem Ereignis. Die Vita Annonis maior, für Abt Reginhard († 1105) verfaßt, ist als Verteidigungsschrift gegen Kritiker Annos zu lesen.55 Sie nimmt die von Lampert geschilderte Traumvision Annos auf; Anno leistet dem Gebot des Tribunals heiliger Bischöfe Folge und verzeiht den aufständischen Bürgern Kölns. Vor seinem Tod ruft er wiederholt die Kölner Patrone als Intercessores zu seinem und seiner Stadt Schutz auf (III.12, III.14). Bei seinem Tod ist die Trauer des Volkes und Klerus, der Mönche, Witwen, Waisen, Armen und 52 Vita Annonis maior I.17 (MGH SS 11, 474 f.). 53 Lampert, Annales (Schmidt/Fritz 1962, 338–341). 54 Lampert, Annales (Schmidt/Fritz 1962, 340 f.); auch das Annolied, von Nellmann
1986 um 1077–1081 datiert, schweigt darüber. 55 Vita Annonis maior II.25 (MGH SS 11, 512–514). Zu Intentionen der Vita, den Heiligen gegen Vorwürfe gegen ihn zu verteidigen, siehe Coué 1997, 146–171; zur handschriftlichen Überlieferung der Vita Annonis maior siehe Mittler (Hg.) 1975, XIIIf.
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Juden dann so groß, daß so große Exequien wie nie zuvor gefeiert werden. Nachdem der dreitägige Streit zwischen dem Konvent von St. Maria ad Gradus und den Siegburger Mönchen über den Grabort Annos beigelegt ist, wird Annos Leichnam als himmlische Gabe (ut vere coeleste munus) sechs Tage lang zum Schutz seiner Kölner Mauern und zur Heiligung seiner Kinder herumgetragen (per sex dies in protectionem murorum suorum filiorumque suorum sanctificationem circumducens). Ein langes Kapitel der Vita gilt allein der descriptio exequiarum (III.16): Der Klerus von ganz Köln kommt mit Kreuzen in die Residenz (curiam regiam), den Verstorbenen zu ehren wie den Lebenden (sed tamquam vivum). Die Bahre mit Annos Leichnam wird dann durch das Atrium und das Portal in den Dom gebracht, dort unter der Leuchterkrone, Abbild des himmlischen Jerusalem,56 plaziert, während sich die Konvente um ihn versammeln und den Hymnus singen: In paradysum deducant te angeli, in tuo adventu suscipiant te martyres, et perducant te in civitatem sancta, Hierusalem – Ins Paradies mögen die Engel dich geleiten, bei deiner Ankunft die Märtyrer dich empfangen und dich führen in die heilige Stadt Jerusalem.57 Am nächsten Tag (5.12.) wird die Bahre mit Annos Leichnam nach Groß St. Martin gebracht, während der Chor singt Si bona susepimus de manu Domini, mala quare non sustineamus (Job 2,10: Wenn wir das Gute von Gott annehmen, warum sollten wir das Böse nicht auch annehmen?). Beide Gesänge entstammen dem Repertoire der Totenmesse. Der erste spricht die Paradieshoffnung für den Verstorbenen an, der zweite thematisiert den Verlust und die Trauer der Lebenden.58 Die Kirche St. Martin, in der die feierliche Totenmesse gehalten wird, ist zum Einzug Annos reich geschmückt mit Kerzen und Lampen; Gold und Gemmen leuchten um die Altäre, auf denen die Reliquien der Heiligen aufgestellt sind, die Wände sind mit verschiedenen Farben bekleidet. Weitere nur kurz aufgezählte Stationen mit dem Leichnam Annos II. folgen in St. Maria Kapitol, in St. Caecilien und St. Georg, das von Anno errichtet worden war. Dort bleibt der Leichnam über Nacht, zieht dann (am 6.12.) weiter nach St. Severin, St. Pantaleon, St. Aposteln und St. Gereon, wo er triumphal empfangen 56 Honorius Augustodunensis, Gemma animae, cap. CXLI De corona (PL 172, 588). 57 Der folgende Vers mit Bezug auf Lazarus (Lk 16,19) fehlt hier. 58 http://gregorien.info/calendar/get/1/231/de.
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wird mit Gesang: non in morem funeris, verum ut triumphorum ritus exigunt.59 Am nächsten Tag (dem 7.12.) geht es weiter nach St. Andreas, St.Ursula und St. Kunibert, wo Annos Leichnam bei den Körpern bzw. Schreinen der beiden Ewalde aufgestellt wird, deren Gebeine Anno 1074 hatte erheben lassen. Der Rundweg durch die Stifte und Klöster der Stadt endet in Annos Gründung St. Maria ad Gradus östlich des Doms, wo Annos Tod tränenreich beklagt wird, bevor er am 5. Tag über den Friedhof von Ad Gradus wieder in den Dom zurückkehrt (am 9.12.) – mit einem Einzug, den man strahlender kaum für Könige je sah: Numquam tantae pulchritudinis ingressum ibi meruerunt exequiae, vix umquam triumphus clarior ibi regibus fuit. In beiden Chören brennen Leuchterkronen und überall sind Kerzen aufgestellt. Die wichtigste Reliquie des Doms, der Petrusstab, andere Reliquien und geschmückte Kreuze werden herbeigebracht, im Westchor wird der Severinsschrein auf den Altar gestellt. Hier findet die große Festmesse unter großem Andrang von Klerus und Volk statt, bevor der Leichnam Annos II. dann unter allgemeiner Trauer über den Rhein ins Deutzer Kloster und nach dortiger Verehrung schließlich am 7. Tag nach Siegburg überführt wird. Die große Zahl der Kerzen und Lampen in den Kirchen bei der Aufbahrung Erzbischof Annos II. ist auffällig. Eine solch üppige Beleuchtung gemahnt an diejenige der kirchlichen Hochfeste. Sie veranschaulicht den Rang des Festes, zugleich den Rang der gefeierten Person. Doch im Rahmen der Totenmesse verweist das Licht zugleich auch auf Christus als Licht der Welt (lux mundi) und das Himmelreich, wo den Seligen das ewige Licht leuchtet, wie es im Requiem formuliert ist: Et lux perpetua luceat eis.60 Ebenso mehrdeutig ist die Ausstellung der Reliquien, die Präsenz der Heiligen im Kontext der Leichenprozession, insbesondere bei Annos Aufbahrung in St. Kunibert zwischen den Ewaldischreinen. Denn einerseits wurden manchmal bei festlichen Herrscherempfängen Reliquien mitgeführt, sodaß die Heiligen den Gast mit einhol-
59 Die folgende Zitate aus der Vita Annonis maior III.16 (MGH SS 11, 506). 60 Honorius Augustodunensis, Gemma Animae cap. XXIV de purification sanctae
Mariae (PL 172, 648); vgl. Bruggisser-Lanker 2009, 153 f. zur Antiphon Media vita, die Bußpsalmen und Gesänge der Totenmesse, darunter auch das lux perpetua des Requiems, mit Themen des Karsamstag verbindet; Seay 1989.
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ten und dadurch ehrten.61 Ähnlich gelagert ist die Versammlung der Heiligengebeine benachbarter Kirchen zur Kirchweihe einschließlich Reliquiendeposition in Hasnon 1070.62 Andererseits wurden Reliquien bei Prozessionen mitgeführt, wo sie, wenn sie hinter dem Kreuz hergetragen wurden, die Christusnachfolge der Heiligen verkörpern konnten, so bei der Himmelfahrtsprozession. Oder aber die Reliquien der Heiligen wurden als Fürsprecher für die Gläubigen in Bedrängnis angesprochen und mitgeführt, so an den Rogationstagen, oder bei Unwettern den feindlichen Gewalten zusammen mit dem Kreuz als Siegeszeichen Christi entgegengehalten.63 Auch die Annovita betont den triumphalen, königsgleichen und ehrenvollen Empfang des bischöflichen Leichnams in St. Gereon und im Dom, und sie lobt Anno als Zierde Kölns (Coloniae decus) und göttliche Gabe (coeleste munus). Doch welche Bedeutung die Aufstellung der Reliquien auf den Altären in St. Martin und dem Dom hat, insbesondere die Aufbahrung des Anno-Leichnams bei den Ewaldischreinen, d. h. ob dadurch der Leichnam Annos gleichsam als heiliger Leib überhöht wird oder ob er als der Fürbitte der Heiligen bedürftig charakterisiert wird, bleibt offen. Auffällig sind auch der Weg und die zahlreichen Stationen, die für die Leichenprozession Annos II. gewählt wurden, aufschlußreich der Kommentar der Vita, daß sein Leichnam zum Schutz der Mauern der Stadt und zur Heiligung seiner Kinder sechs Tage herumgeführt wurde.64 Da der Autor der Vita und seine Siegburger Mitbrüder zum 61 So berichtet Thietmar von Merseburg in seiner Chronik, daß Otto I. am Palmsonn-
tag 973 in einer Prozession vom Klerus mit Kreuzen, Reliquien und Rauchfässern in den Dom geleitet wurde (Liber II cap. 30, Trillmich 2011, 66 f.). Vgl. die Constitutiones hirsaugienses cap. 83 (PL 150, 1009). 62 Legner (Hg.) 1973, 68 f.; zur Weihe von Hasnon 1070 siehe die Historia monasterii Hasnonensis c.17 (MGH SS 14, 149–158); zum Hoftag in Aachen siehe den Triumphus S. Remacli. 63 Erst die jüngeren Libri Ordinarii berichten häufiger von der Präsentation und Mitführung von Reliquiaren in Prozessionen, insbesondere der Rogationstage, vgl. Bärsch 1997, 143–148, 200 f., 290–293; Snoek 1995, 295. So muß offenbleiben, ob Erzbischof Heribert von Köln, der vor seinem Tod († 1021) noch einmal seine Diözese bereiste und die Stätten der Heiligen besuchte, diese ehren oder um Beistand für seine Herde bitten wollte, vgl. Vita Heriberti Lantberts von Deutz, Lectio 12, verfaßt um 1050 (Vogel (Hg.) 2001, 192 f.): Sancta loca circuiens sanctorum corpora et eorum patrocinia requisivit, oves suas circumquaque revisit. 64 Vita Annonis maior III.15 (MGH SS 11, 503): […] per sex dies in protectionem
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Teil noch Zeugen des Leichenumzugs waren, ist davon auszugehen, daß er dessen Ablauf und Stationen korrekt wiedergibt. Der Blick in das Ceremoniale Coloniense zeigt, daß hier vermutlich die ältere Tradition des Bittgangs um die alten (römischen) Mauern der Stadt aufgenommen wurde, der am Freitag der zweiten Osterwoche stattfand.65 Auch in Trier gab es eine solche große Bitt- oder Bannprozession. Sie wurde von Erzbf. Egbert 983 anläßlich einer Dürre für den Freitag der dritten Woche nach Ostern eingeführt. Diese führte in einem circuitus um die römische Stadtmauer zu den sieben Kirchen Triers: zu St. Matthias, St. Irminen, St. Martin, St. Marien, St. Paulin, St. Maximin und seit 1050 auch zu St. Simeon.66 Auch beim Tod des Erzbischofs Albero von Trier 1152 trug man seinen Leichnam in feierlicher Prozession jeden Tag in ein anderes Kloster und so reihum, so viele Tage wie es Klöster gab, vermutlich auf dem Weg ebendieser Bannprozession.67 Sicard von Cremona erläutert, im Rekurs auf ältere Liturgiekommentare, um 1200 die Bitt-Tage folgendermaßen:68 Die erste Bittprozession am Markustag wurde von Papst Pelagius II. anläßlich einer schrecklichen Tiberflut mit anschließender Pestepidemie in Rom eingeführt. Man beging sie unter Fasten und Anrufung aller Heiligen (große Litanei). Denn man verstand die Katastrophe als göttliche Strafe für die Sünden der Menschen und versuchte, durch Fasten, Buße und Anrufung der Heiligen als Fürbitter Gottes Gnade zu erwirken. Die Prozessionen der drei Bitt-Tage vor Christi Himmelfahrt gehen auf Bischof Mamertus von Vienne zurück, der sie nach Erdbeben und nachfolgenden Seuchen einführte. Das dreitägige Fasten geschieht als Bußübung; in der Prozession ziehen Kleriker, Mön-
murorum suorum filiorumque suorum sanctificationem circumducens. 65 Zur Datierung des Ceremoniale Coloniense siehe Amberg 1982, 13–16. Der Tag der Bittprozession wurde Mitte des 14. Jahrhunderts (1353/1370) mit der Hl.-Lanzen-Prozession (Gottestracht) besetzt, vgl. Odenthal 1994, 76. Die im Ceremoniale beschriebene Abfolge der Konvente sieht eine im Rang aufsteigende Reihung vor (Amberg 1982, 177): Voran gehen die Kanoniker von St. Georg, St. Maria ad Gradus, St. Aposteln, St. Kunibert, St. Severin, St. Gereon und Domstift (dann die Äbte von St. Martin und St. Pantaleon). 66 Kurzeja 1970, 321. 67 Gesta Alberonis Archiepiscopi, cap. 28 (Kallfelz 1973, 611). 68 Sicard von Cremona, Mitralis VII.6 , 652–658. Vgl. Rupert von Deutz, De divinis officiis IX.5 De rogationibus (Deutz 1999, 1178–1185).
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che und Nonnen voran, dann folgen Laien. Die Bitt-Umgänge sind entsprechend in bußfertiger und klagender Haltung zu vollziehen. In Köln führt diese gemeinsame Bittprozession aller Stiftskonvente am Montag der Bitt-Tage vom Dom über St. Martin, St. Maria im Kapitol und St. Georg nach St. Severin (mit Zwischenstops an Pfarr- und jüngeren Kirchen); am Dienstag werden St. Pantaleon und St. Aposteln aufgesucht. Am Mittwoch führt die Bittprozession nach St. Andreas, St. Gereon, St. Ursula und St. Kunibert. Es scheint, daß die Prozessionen der Bittage sich an den Stationen der älteren Stadtumgangsprozession orientieren und diese, aufgeteilt auf vier Tage, nachvollziehen, allerdings um den Besuch jüngerer Kirchen und der Pfarreien des jeweiligen Viertels bereichert. Eine vergleichbare Aufteilung der großen eintägigen Bannprozession in eine mehrtätige erfolgte offenbar bei der Leichenprozession Annos II. 1075.69 Die Bitt-Tagsprozessionen sind städtische Bußprozessionen zum Heil der Stadt. Wenn diejenigen, die die Leichenprozession für Anno II. organisierten, gerade den Bußprozessionsweg aufgriffen, schwingt dessen Bedeutung als Bußübung mit. Ebenso gilt dies für die Versicherung der kirchlichen Gemeinschaft der ganzen Stadt, die einerseits durch die Teilnahme aller Konvente und des Volkes unterstrichen wird, andererseits durch den Besuch aller wichtigen Kirchen und Konvente. Man kann diese Prozession daher auch als Schlichtungshandlung angesichts der von Anno hinterlassen Zwistigkeiten und Verwürfnisse innerhalb Kölns lesen. Großen Anteil an deren Gestaltung haben offenbar zwei Mitglieder des Domstifts, die beiden späteren Amtsnachfolger. Das Begräbniszeremoniell hatte Anno II. offenbar, anders als seinen Grabort in Siegburg, nicht näher festgelegt. Es mußte in den drei Tagen nach seinem Tod erst mühsam ausgehandelt werden.70 Die Vita maior berichtet, daß Propst Rudolf von Mariagraden nur mühsam von Archidiakon Sigewin (Domdekan 1076, Kölner Erzbischof 69 Die Bittprozession am Montag der Bittwoche ist besonders festlich gestaltet, denn
die Reliquien der Sekundarkirchen werden zu Beginn im Domchor versammelt, auch der Petrusstab, und bei der anschließenden Prozession der Konvente und des Volks mitgeführt, versichert man sich doch so der Fürsprache der Heiligen. Die Gesänge des Bittags rufen Gott um Hilfe an, sie erinnern an die Auferstehung und sprechen die Hoffnung aus, zu den ewigen Freuden zu gelangen, thematisieren die Schlüsselmacht Petri; vgl. Ceremoniale Coloniense (Amberg 1982, 184–187). 70 Vita Annonis maior III.16 (MGH SS 11, 505).
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1079–1089) und Vicedomnus Herimann (1076 Propst von Xanten, Kölner Erzbischof 1089–1099), vor allem aber durch die Rede des comes Gerlachus vor der Konzilsversammlung zum Einlenken bewogen werden konnte.71 Bei dem genannten consilium ist an das für die Bischofswahl verantwortliche Priorenkollegium zu denken, das aus den Hauptämtern des Domstifts und den Vorstehern der Kölner Stifte und Klöster (einschließlich Deutz und Siegburg) gebildet wurde, ergänzt um die Prioren von Bonn und Xanten.72 Als Entschädigung oder Besänftigung der beiden Kölner Stiftsgründungen Annos, St. Georg und St. Maria ad Gradus, beschloß man offenbar, dort die längeren Stationen mit einer Übernachtung des Anno-Leichnams abzuhalten. Hinzu kommt eine Nächtigung in der bedeutendsten, im Rang direkt dem Domstift folgenden Stiftskirche St. Gereon, deren prächtigen Hochchor Anno errichten ließ. So kann Annos Leichenprozession als konsensual ausgehandelter, öffentlicher Versöhnungsakt interpretiert werden, bei dem der Bischof nicht als Heiliger, sondern als Stadtherr und zugleich als Büßer dargestellt wurde, der der Fürsprache der Heiligen bedurfte und der Fürbitten der Geistlichkeit zu seinem und seiner Stadt Heil einholt. Die beiden geistlichen Schlichter qualifizierten sich offenbar in dieser schwierigen Verhandlung mit einer liturgisch innovativen Lösung, dem mehrtägigen Leichenzug, als fähige Kandidaten für die Erzbischofswürde. Die Rolle liturgischen Handelns für die Darstellung von geistlichen und politischen Macht- und Rollenverhältnissen kann ein weiteres Beispiel verdeutlichen, nämlich der Leichenzug Ottos III. Der Kaiser war 1002 jung und überraschend in Italien verstorben, sein Leichnam wurde nach Deutschland überführt. Auf dem Weg nach Aachen, wo der gewählte Nachfolger Herzog Heinrich von Bayern, der künftige Heinrich II. gekrönt und Ottos III. bestattet werden sollte, kam der Zug nach Köln. Wie Thietmar von Merseburg in seiner Chronik (IV.53) berichtet, wurde der Leichnam Ottos III. bei der Ankunft in Köln an Erzbischof Heribert übergeben.73 Dieser ließ den königli-
71 Vita Annonis maior III.16 (MGH SS 11, 504 f.). 72 Das Priorenkolleg bildeten der Dompropst und Domdekan, die Pröpste der kölni-
schen Stifte sowie der jenigen von Bonn und Xanten, die Äbte von Deutz, St. Pantaleon, Groß St. Martin und Siegburg – vgl. Helbach/Oepen 2013, 56. 73 Thietmar von Merseburg, Chronik (Trillmich 2011, 167 f.); vgl. Ehlers 1990, 40.
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chen Leichnam nicht etwa am Palmsonntag feierlich Einzug halten, sondern erst am Montag der Karwoche nach St. Severin bringen, am Dienstag nach St. Pantaleon, am Mittwoch nach St. Gereon. Mittler deutet diesen Leichenumzug Ottos III. als Umkehrung des weltlichen Herrscherumritts in einen Abschied vom Herrscher.74 Beuckers sieht ihn als direktes Modell für Annos Leichenprozession.75 Überzeugender kann man meines Erachtens Erzbischof Heriberts Verfügung über die Leichenstationen Ottos als Versuch deuten, das Seelenheil des verstorbenen Königs durch die Gebete und Fürbitten seiner Kölner Konvente zu unterstützen. Darauf weist auch der Umstand, daß der Leichnam am Gründonnerstag in den Dom gebracht wurde, wo Heribert Büßern die Absolution spendete und auch der Seele des verstorbenen Kaisers Vergebung zusprach, bevor man mit dem Leichnam am Karfreitag nach Aachen aufbrach, wo Otto am Ostersonntag, dem Tag der Auferstehung Christi und Grundlage der christlichen Auferstehungshoffnung, im Münster bestattet wurde. Erzbischof Heribert nähert sich der Stadt als Führer und Begleiter des kaiserlichen Leichnams von Süden auf der alten Römerstraße, die auch für den Ersteinzug des Erzbischof dient. Doch schreitet er nicht fort auf dem direkten Weg zum Dom, sondern biegt ab auf den Prozessionsweg der großen Bittprozession, deren Stationen die Konvente vor den römischen Stadtmauern bilden. Besucht werden von diesen nur jene mit bedeutenden Reliquien, d. h. die Kirche des heiligen Amtsvorgängers Bischof Severin, die von Heriberts Vorgänger und Verwandten Ottos III., Brun von Köln gegründete Klosterkirche St. Pantaleon, sowie die dem Märtyrer der thebäischen Legion, Gereon geweihte Stiftskirche. Diese Heiligen, Bischof, Arzt und Soldatenführer, werden offenbar um des Seelenbeistands für den verstorbenen Kaiser willen besucht, der Dom als Ort bischöflicher Sündenvergebung. Die Reflexion auf die Wahl von Orten, Wegen, liturgischen Zeiten und Riten kann zum Schlüssel für das Verständnis und die Interpretation historischen Geschehens werden. Im Falle Ottos III. stellt der Erzbischof einerseits seine Nähe zum ottonischen Königshaus heraus,
74 Mittler 1975b, 41. 75 So Klaus-Gereon Beuckers in seinem Vortrag »Herrschaftsmanifestation und ur-
bane Sakraltopographie. Zu den Totenaufbahrungen von Herrschern und Geistlichen im 10. und 11. Jahrhundert« im Rahmen der Kölner Tagung »Begräbniszeremoniell im Mittelalter« am 5.7.2013.
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andererseits betont er seine geistliche Machtstellung gegenüber dem Bayernherzog Heinrich als künftigem König. Während in der älteren Annovita die Leichenprozession Annos II. großen Raum einnimmt, wird sie in der jüngeren, zur Heiligsprechung Annos (1183) verfaßten Vita Annonis minor nurmehr summarisch berichtet, der Leichnam Annos zur Reliquie umgedeutet und der Leichenzug somit zur Reliquienprozession.76 Als neues Element kommt (II.20) der bereits aus der Heribertvita bekannte Abschied des Erzbischofs von den Heiligen hinzu, deren Fürbitte er als Wegbereiter ins ewige Leben erhoffte und deren Reliquien Anno zu seiner Domkirche bringen ließ. Aus der älteren Vita wird der Vergleich der Leichenprozession mit einem Triumphzug übernommen (II.24) sowie die Bezeichnung des Leichnams als Himmelgabe (II.25). Anstelle der Tränen und Trauer des Volkes tritt sein Ringen, Leichnam oder Bahre Annos zu berühren. Die Aufstellung von Reliquien in den Kirchen wird zur Versammlung der Heiligen um und zu Ehren Annos, der in der Prozession mitgeführte Leichnam zur Reliquie:77 »Nicht anders nämlich als bei den feierlichen Prozessionen, bei denen alle Schätze an Heiligen mitgeführt werden, wurde der Verstorbene in deren Mitte getragen, begleitet von den Konventen aller Kirchen der ganzen Stadt. Und wenn man sich einer Kirche näherte, stellte man die Schreine der Heiligen in einer Runde auf und setzte den Leib des verstorbenen Bischofs in die Mitte. Damit wollte man zu verstehen geben, daß er schon denen beigesellt sei, deren sich die Erde freut, sie als Patrone zu besitzen, der Himmel aber als Fürsten.« Zugunsten der Stilisierung Annos II. als Heiligem wird im Verzicht auf die Angabe des Prozessionswegs der Buß- und Bittcharakter seiner Leichenprozession verdrängt. Die versöhnende und gemeinschaftsstiftende Leichenprozession der ganzen Geistlichkeit der Stadt für ihren verstor-
76 Mittler (Hg.) 1975; Haarländer 2000, 486 f. 77 Vita Annonis minor II.25 (Mittler 1975, 118–121). Gerade diese Schilderung der
Aufstellung der Kölner Schreine, von denen die Mehrzahl erst in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstanden, nimmt Legner als Modell für die Ausstellung der Schreine in der Kölner Ausstellung Rhein und Maas 1972. Legner erläutert (1973, 65 f.), daß er damit die religiöse, seiner Ansicht nach ungebrochen bis in die Gegenwart reichende Kontinuität mittelalterlicher Riten und ihre gemeinschaftsstiftende Wirkung aufzeigen und daß er zudem an die lebensweltliche Einbindung der Kunstwerke erinnern wolle.
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benen Stadtherrn und Bischof wird umgedeutet in eine allgemeine Anerkennung Annos II. als Heiligen.
Fazit Der Leichenzug des Kölner Erzbischofs Anno II. mit Stationen in allen Kirchen seiner Bischofsstadt ist zwar besonders gut dokumentiert, doch kein Einzelfall.78 Auffallend häufig wird ein solcher bischöflicher Leichen- oder Abschiedsbesuch in den Kirchen der Bischofsstadt von solchen Bischöfen berichtet, die später als Heilige verehrt wurden. Die zeitliche und räumliche Ausdehnung der bischöflichen Exequien wurde in den untersuchten Fällen nicht vom Bischof selbst testamentarisch angeordnet. Sie fiel somit in die Verantwortung derer, die in der Zeit der Vakanz Einfluß nahmen, Repräsentanten des Domstifts und weiterer Konvente der Bischofsstadt, aber auch adlige Laien, die im Konfliktfall als Schlichter zwischen den geistlichen Institutionen auftraten. Die besondere Ausgestaltung der Exequien läßt sich daher als Mittel des Interessenausgleichs und als öffentliche Demonstration der (wiedererlangten) Einigkeit der Geistlichkeit auffassen. Denn die längere Dauer der Exequien und deren räumliche Ausdehnung bieten einerseits die Möglichkeit zur Berücksichtigung verschiedener Gruppen und divergierender Interessen, andererseits schließt der Ritus als ganzer diese zu einer Einheit zusammen. Die Berücksichtigung aller (relevanten) Kirchen der Stadt demonstriert die Bedeutung der Bischofsstadt als civitas sancta nach außen, ihr Selbstbewußtsein nach innen. Gegenüber der immer wieder angenommenen Kontinuität von Riten ist deren gestalterische Varianz oder Dehnbarkeit herauszustreichen. Die Exequien, deren Ablauf, Gebete und Gesänge in liturgischen Ordines festgehalten sind, können je nach Anlaß um weitere Texte erweitert und, wie im Fall der Leichenprozession Annos von Köln und Alberos von Trier, mit anderen Riten so verknüpft werden, daß sich deren Bedeutungsgehalt überlagert und verändert. Doch selbst den Stätten und Wegen innerhalb der Bischofsstadt sind durch die jährliche Wiederkehr bestimmter liturgischer Handlungen 78 Ebensowenig ist der bischöfliche Leichenumzug mit Besuch aller Kirchen der Bi-
schofsstadt, wie Finger 2005, 137 behauptet, als Regelfall zu erweisen.
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bestimmte Bedeutungsgehalte eingeschrieben. Ruft man sie im neuen Kontext – wie hier einer Leichenprozession – auf, wird die aktuelle Handlung mit der erinnerten oder tradierten aufgeladen oder konnotiert. Das Wissen um die liturgischen Riten und ihre symbolisch-sinnbildhafte Deutung ist in den Liturgiekommentaren des frühen und hohen Mittelalters faßbar. Es ist auch bei jenen gebildeten Geistlichen vorauszusetzen, die für die Gestaltung der bischöflichen Exequien zuständig waren. Durch die konkrete Weglenkung und Raumausstattung können einzelne Sprachbilder der (Toten)Liturgie aktiviert werden und neuen Bedeutungsgehalt erlangen. So wirken verschiedene Handlungs- und Deutungsperspektiven ineinander und bewirken eine kaum aufzulösende Mehrdeutigkeit. Dennoch erscheint es zielführend für das Verständnis von städtischen Räumen und öffentlichen Zeremonien darin, die historiographischen oder hagiographischen Berichte auf die latenten liturgischen Subtexte hin durchsichtig zu machen.
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DAS RITUAL ALS KAMPFPLATZ Konflikte um Prozessionen in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt
W
eßt ehr noch die Fronleichnamsprozession? sagte Onkel Schäng. … All sin se metjejange, sujar de Kummenisse un de Sozis. Sie gingen sogar an der Spitze des Zuges, gleich hinter dem Kirchenvorstand und den Männern des Kirchenchors, etwas ungelenk, da sie immer wieder Gefahr liefen, in ihren alten Marschtritt zu verfallen. … Dat Mauss Liesbeth es sujar mit Parteiabzeichen un Mutterkreuz metjejange, sagte die Tante … Ze esch han mer se jehört, berichtete die Mutter. Die Kapelle der Schützenbrüder hätte Pause gemacht. Den segensreichen Rosenkranz habe man gerade begonnen, Um Regen habe man gefleht, ›Gegrüßet seist du’, Maria, voll der Gnaden‹, als der Westwind vom Rhein Trommelwirbel und Paukenschläge hergeweht habe, dazu helle Töne, Fanfaren … Hitlerjugend und SA, die wenigsten aus dem Dorf … Koppel- und Stiefelträger. Fahnen auch, und die flatterten voran und hoch. Man hatte das aufsässige Dorf auserkoren, um hier ein Exempel zu statuieren … Beinah gleichzeitig erreichten die Züge den Altar. Der Prozession voran trug der Küster an einem langen Stab weithin sichtbar das Kreuz. Ihm folgte unterm Baldachin aus weißer, gelb bestickter Seide, den vier Kirchenvorstandsmitglieder trugen, der Pastor, vor der Brust die Monstranz. Ihnen entgegen, mit Trommeln und Fanfaren, Fahnen und Hakenkreuz, die SA. Se wollte su dun, als wöre mer ja nit do, sagte Onkel Schäng empört. Einfach durchmarschieren
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wollten sie durch Kirchenvorstand und Schützenbrüder, Jungmänner und Männer, Knaben und Mädchen, Frauen und Jungfrauen … Es spielten und sangen die Brauen ›Die Fahne hoch‹ und ›Es zittern die morschen Knochen‹, es spielten und sangen die Frommen ›Großer Gott‹ und ›Christus, mein König‹, bis allen der Schweiß von der Stirn troff. Unbeirrt sprach der Pastor seine Gebete und hob die Monstranz im Zeichen des Kreuzes zum Segen in den blauen Himmel, glasig vom Mittagsdunst. … Da fiel der Schuß. Verfehlte das goldene Gehäuse um weniges nur und schlug ein Loch in den Stein … Der Pastor sei in die Knie gefallen, erzählte die Großmutter, die Monstranz mit beiden Händen umklammernd, und mit ihm alle anderen … Die Fanfaren und die Trommeln seien verstummt. ›Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erden‹ habe der Pastor zu beten angefangen. Und wieder hätten alle eingestimmt … Sogar welche von den Brauen seien in die Knie gegangen. Nicht alle, nein, bei weitem nicht. Aber fast alle hätten doch die Mützen abgenommen und die Köpfe gesenkt, so daß man ungehindert zur Kirche habe gehen können. Denn auch die, die sich nicht gekniet hätten, wären stehengeblieben wie vom Finger Gottes gerührt, sagte die Mutter, habe der Pastor gesagt in der Kirche, fünf Minuten später. Da seien die Braunen vom Dorf mit dabei gewesen, ganz hinten aber doch mit allen zusammen. Und die anderen seien sang- und klanglos wieder in die Elektrische gestiegen. … (Aber) als man, so der Großvater, mit ›Christus, mein König, dir allein schwör ich die Treue lilienrein‹ in die Kirche zurückgezogen sei, habe aus dem Turmfenster von St. Gereon zum ersten Mal die Hakenkreuzfahne gehangen.«1
I Zu kaum einer Zeit dürfte es mehr religiöse Umzüge und Prozessionen gegeben haben als im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Das Rituale Romanum vom Anfang des 17. Jahrhunderts verzeichnet – zusammen mit den dazugehörigen Gesängen, Psalmen und Gebeten – Prozessionen zu Maria Lichtmeß, zu Palmsonntag, zum Markustag und vor allem an Fronleichnam, daneben Reliquien1 Hahn 2003, 99–101. Der folgende Text bringt eine geringfügig modifizierte Version
meines Abendvortrages vom 12. Februar 2014 mit den notwendigsten Anmerkungen.
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prozessionen, Bittprozessionen um Regen und gutes Wetter, zur Abwendung von Unwettern, Hunger, Seuchen und Krieg und natürlich Dankprozessionen.2 Jenseits dieser standardisierenden überregionalen Blaupause wurde die konkrete Choreographie einer Prozession dagegen eher vor Ort festgelegt. Wir finden sie z.B. in einer Prozessionsordnung, wie sie für die Stadt München in vielen Fassungen seit dem Ende des 16. Jahrhunderts überliefert ist. Nach dem Auftakt der Prozession, so heißt es da, wo ein junger Bürgermeister mit seinen Trabanten sowie die Herolde die ›Magnifizenz‹ der Prozession ankündigen, folgen 61 Bilder aus dem Alten und Neuen Testament, dargestellt von einzelnen Zünften und Berufsgruppen, angefangen mit den Fischern, die die Erschaffung der Welt verkörpern sollen, bis hin zum Jüngsten Gericht, dessen Darstellung sich die Goldschmiede gesichert haben. Es folgen die städtischen Bruderschaften und der nach jeweiligem Stand und Standort gegliederte Klerus, am Schluss die hohen Prälaten, die unmittelbar dem Allerheiligsten »unter einem köstlichen Himmel« (Baldachin) voranschreiten. Der vornehmste Platz hinter dem Sakrament ist dem Fürsten und seinem Gefolge vorbehalten. Danach geht es die soziale Stufenleiter wieder bergab, denn den Herren des Inneren Rates folgt lediglich noch der »Nachzug« prächtig herausgeputzter Soldaten. Am Schluss gehen, wie es generös hieß, »auß den Spectatoribus und gemeinem Volck wer da will«.3 Haben wir hier eine Art von Regieanweisung für Künftiges vor uns, so stilisieren sich andere Quellen als Dokumentation des Gewesenen. Das trifft etwa auf den zuerst 1635 publizierten Kupferstich zu, der die Große Gottestracht festhalten soll, jene wichtigste Prozession, die am zweiten Freitag nach Ostern stattfand und in der Reichsstadt Köln gleichsam die Fronleichnamsprozession substituierte. Eingerahmt von den Wappen der Bürgermeister seit 1396 und unterhalb des typischen Stadtgrundrisses von Köln, das halbmondförmig den Rhein umfasste, bietet er den »Ordo et Processus annuae circa Urbem Supplicationis et Theophoriae«. Um den vollständigen Prozessionszug auf dem von zwei Putten gehaltenen Tuch unterzubringen, das auf der anderen Rheinseite aufgespannt ist und gleichsam Deutz verdeckt, wird er in engen Schlangenlinien aufgereiht, sodass das Ende dem Betrachter näher erscheint, wobei auch hier die Monstranz 2 Rituale Romanum 1623, 377 ff. 3 Ordnung 1612.
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unter dem Baldachin mit dem Weihbischof den Höhepunkt bildet. Zuvor steigert sich der Zug von an der Spitze laufenden Frauen in Totenhemden und den jungen Schülern über die Bürgerwehr, die Angehörigen der verschiedenen Ordensgemeinschaften und Stifter bis hin zum Domkapitel. Das dahinter die Sakramentsbruderschaft, die Kerzen der Korporationen und des Rates folgen, erweist die Veranstaltung als eine unter der Hoheit der Stadt oder besser gesagt des Rates. Die Bürgermeister nehmen denn auch den Ehrenplatz hinter dem Allerheiligsten ein, der in München dem Fürsten vorbehalten war, gefolgt von den übrigen Ratsherren. Zeigt der Kupferstich so sehr detailliert die Reihen- und Rangfolge der Teilnehmer, so dokumentiert er nicht die Bewegung dieser Ordnung im Raum. Die war seit dem Mittelalter festgelegt: Die Gottestracht umrundete die gesamte, im 13. Jahrhundert fertiggestellte Stadtmauer und symbolisierte so auch in actu die städtische Heilsgemeinschaft.4 Mit diesen eher willkürlichen Schlaglichtern sind bereits wesentliche Elemente der Prozessionsrituale exemplifiziert. Sie lassen sich definieren als »geordnete, feierliche, kollektive Züge von Menschen und rituellen Objekten von einem Ort zum anderen (oder auch im Kreis)«, in deren Verlauf sowohl die Orte als auch die beteiligten Akteure »symbolisch aufgeladen« werden.5 Diese symbolische Aufladung von Prozessionen ist in den letzten Jahrzehnten vor allem von Forschern studiert worden, die sich für Probleme der sozialen Repräsentation in der vormodernen Gesellschaft interessieren und in diesem Zusammenhang die Prozession als Medium zur Herstellung sozialer Rangverhältnisse verstehen.6 In mindestens zweifacher Hinsicht stellte sie eine »Hierarchie in Bewegung«7 dar: Einmal bewegte sich der sozial gegliederte Zug im Raum durch oder um die Stadt, zum anderen konnte die innere und äußere Ordnung dieses Zuges, der sich meist in regelmäßigen Abständen wiederholte, sich wandeln. Selten dürfte dieser Wandel konfliktfrei verlaufen sein, und dieser Tatbestand ist ja für eine Kulturgeschichte der Politik kaum überraschend. Denn wenn man mit Hölkeskamp die Affinität einer
4 So Bergerhausen 2010, 187 f.; vgl. Enzel 2004. 5 Stollberg-Rilinger 2013, 120 f. 6 Füssel 2007. Zur Pionierrolle der auf Italien bezogenen Forschung Schwerhoff
1994; eine der ersten Arbeiten zu Deutschland war Löther 1999. 7 Füssel 2007.
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Kulturgeschichte des Performativen zu einer neuen Politikgeschichte betont, die das »Ver- und Aushandeln von Politik« in den Mittelpunkt stellt,8 dann sind die unterschiedlichen Interessen und Werte der Akteure in Rechnung zu stellen, die oft im Vorfeld einer Prozessionen, gelegentlich aber auch beim Ereignis selbst kompetitiv aufeinander prallen konnten. Wir dürfen davon ausgehen, dass auch die beschriebene Münchner Ordnung oder der Kölner Prozessionsplan das Ergebnis derartiger Aushandlungsprozesse waren. Allerdings gehört es gerade zu den Kennzeichen performativer Ordnungsgenerierung, dass sie mögliche Brüche und Konflikte hinter einer glatten und harmonischen Oberfläche zum Verschwinden zu bringen suchen. Die dargestellte Ordnung soll als möglichst dauerhaft und festgefügt, gleichsam als natürlich, erscheinen.9 Deswegen ist es nicht immer einfach für Historiker, Interessenkonflikte und Spannungen hinter dieser glatten Oberfläche auszumachen. Umso wertvoller sind Quellen, die von Spannungen und Auseinandersetzungen berichten, Fälle, wo Prozessionen zu Medien bzw. Arenen von Konflikten werden bzw. sogar in Gewalteruptionen münden. Die Schriftstellerin Ulla Hahn hat diesen Aspekt in ihrem eingangs vorangestellten Romanzitat exemplifiziert. Dort blickt die Protagonistin Hildegard Palm als kleines Mädchen, fest im niederrheinisch-katholischen Arbeitermilieu der 1950er Jahre verwurzelt, auf den Beginn der 1930er Jahre zurück. In der Begegnung zwischen Nationalsozialismus und Katholizismus gewinnt die Prozession offenkundig eine Funktion als politischer Bedeutungsträger; sie wird hier zum Medium, wenn nicht des Widerstandes, dann doch der Resistenz.10 Wenn die Kirchengeschichte vom »Demonstrationskatholizismus« spricht, dann hat sie genau diesen Tatbestand im Blick. Dass bereits in Spätmittelalter und Früher Neuzeit Prozessionen gelegentlich zu Arenen des Konfliktaustrages werden konnten, ist der Forschung bereits seit längerem bekannt. Eine Pionierin der Kulturgeschichte wie Natalie Davis hat bereits vor mehr als vierzig Jahren darauf verwiesen, dass derartige Rituale in Frankreich zum
8 Hölkeskamp 2013, 364. 9 Vgl. dazu die Arbeiten von Rehberg 2014. 10 Vgl. für die realhistorischen Hintergründe z. B. Damberg 1997. Für das 19. Jh.
jetzt Krull 2014.
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Ausgangspunkt für gewalttätigen Aufruhr werden konnten.11 Die folgenden Schlaglichter fokussieren nun genau die Bruchstellen jener Ordnung, wo Konflikte im Vorfeld, in der Deutung und vor allem bei der Durchführung von Prozessionen sichtbar werden. Um Schlaglichter handelt es sich allein deshalb, weil es sich um eine Blütenlese eher gut dokumentierter Fälle handelt. Dabei beschränken sich diese Fälle, wie im Titel angegeben, auf die urbane Welt; zudem handelt es sich fast ausschließlich um religiöse Prozessionen, Umzüge bei Ratswandlungen, Herrschereinzüge etc. wurden ausgeklammert. Diese sehr selektive Vorgehensweise ersetzt natürlich keine kontextsensible und breiter angelegte Analyse dieser Einzelphänomene. Aber eine Zusammenschau vermittelt möglicherweise doch ganz eigene Einsichten. So wird im Folgenden deutlich werden, dass Prozessionen bereits im Spätmittelalter, aber dann zunehmend in der Frühen Neuzeit nicht nur Arena, sondern selbst auch Medium des Konfliktaustrags wurden.
II Eine erste Konfliktebene ergibt sich gerade aus der zentralen Bedeutung des Ordnungsmodells Prozession. Wenn dieses Ritual, wie oft in der spätmittelalterlichen Stadtgesellschaft, als wichtigste symbolische Repräsentation der städtischen Sakralgemeinschaft galt, dann war es für alle beteiligten Personen und Gruppen von höchster Bedeutung, wo genau sie innerhalb des Zuges platziert waren. Genau diese Frage bildet den Hintergrund für den Streik der Colmarer Bäckergesellen im Jahr 1495, in der Forschung weithin bekannt, weil er einen zentralen Platz in der klassischen Geschichte der Gesellenverbände von Georg Schanz aus dem Jahr 1877 einnimmt. Der Streik zog sich über zehn Jahre hin und hatte Auswirkungen in den gesamten Elsass, weil über die Gesellenkorporationen erfolgreich die Tätigkeit auch auswärtiger Gesellen für die Colmarer Meister unterbunden werden konnten. Ausgangspunkt war, wie bereits angedeutet, der Streit um den Platz der Bäcker in der Colmarer Fronleichnamsprozession. Seit Menschengedenken, so reklamierten die Bäckergesellen es für sich, seien Mitglieder ihrer Bruderschaft mit ihren Kerzen unmittelbar vor und hinter dem Allerheiligsten gegangen. Nun aber hätten andere 11 Davis 1973, 73 f.
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Korporationen, etwa die Bader, kostbarere Kerzen angeschafft. Deswegen hätten die Stiftsherren ihnen ebenfalls erlaubt, neben dem Sakrament einherzuschreiten. Die Bäcker verweigerten sich daraufhin dem rituellen Umgang völlig und flohen aus der Stadt, was zugleich zu einer zeitweiligen Versorgungskrise führte. Das wiederum rief den städtischen Rat auf den Plan, der die Bäcker wegen des Bruchs ihrer eidlichen Verpflichtungen mit Strafen belegte. Der Streit eskalierte, zog sich über drei Instanzen hin bis zum gerade neu geschaffenen Reichskammergericht und konnte erst nach 10 Jahren mühsam geschlichtet werden.12 Derartige Rangstreitigkeiten innerhalb eines Rituals lassen sich vielfach beobachten und sind von der Frühneuzeitforschung, Stichwort »Präzedenz«, intensiv erforscht worden. Aber auch der umgekehrte Fall war möglich, dass nämlich ein Legitimationsdefizit der zugrunde liegenden politischen Ordnung auf das Prozessionsritual abfärbte und dieses entwertete, mit dem Ergebnis, dass die Teilnahme selbst prekär wurde. Ein Beispiel dafür sind die innerstädtischen Unruhen in Erfurt am Anfang des 16. Jahrhunderts. Dort ist seit Mitte des 15. Jahrhunderts eine Prozession belegt, bei der die Reliquien der Stadtheiligen St. Adolar und Eoban, aber auch des hl. Severin und der hl. Innocentia durch die Stadt getragen wurden. Die Schreine der Reliquien mussten die vornehmsten Herren des Rates, die Ratsmeister und Vierherren, schultern. Als nun am 11. Juni 1514 die Prozession gehalten werden sollte, war wenige Wochen zuvor der städtische Syndikus wegen angeblichen Hochverrats hingerichtet worden, drei der höchsten Vierherren saßen im Gefängnis. Die repräsentativsten Plätze bei den Schreinen sollten nachbesetzt werden, aber der Chronist bleibt vage und erwähnt lediglich zwei ungenannte Ratsherren als Träger. Er fügt auch an, warum das so war, denn: »[…] nullus aliorum volebat sibbi vindicare honorem et locum eorum supplere«, keiner der anderen wollte sich die Ehre anmaßen und ihren Platz einnehmen, also den Platz der inhaftierten Vierherren.13 Die Leerstelle in der Prozession signalisierte sinnfällig die Krise des politischen Systems. Nur eine Woche zuvor, am Pfingstsonntag 1514, hatte es auch in Regensburg eine Reliquienprozession unter der Regie des Rates gegeben, mit drei Särgen und in »aller solemnitet«, wie der geistliche 12 Schanz 1877, 78–89; vgl. zuletzt Heusinger 2007, 141 f. 13 Löther 1999, 217 ff. und 296 f.
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Chronist Leonhart Widmann vermerkt. Gebeten wurde »umb kayserliche mejestät und ein glückseligs ruelichs regiment«. Das klingt gemessen und gemächlich, aber man muss die Hintergründe kennen. Mit der Prozession fand nämlich ein heftiger innerstädtischer Aufruhr seinen Abschluss. Zuvor waren Dutzende von Bürgern um Leib, Leben und Gut gebracht worden, verurteilt von einer hochrangigen Kommission im Auftrag Kaiser Maximilians, um dessen Gunst und Wohlfahrt nun gebetet wurde. In gewisser Weise waren diese Vorgänge des Jahres 1514 eine Reprise der Ereignisse im Vorjahr, als die Bürgergemeinde gegen den Rat opponiert und die Hinrichtung des Ältesten des inneren Rates, Wolfgang Lyskircher, durchgesetzt hatte. Zwei Wochen danach hatte der Magistrat auch damals bereits versucht, eine Reliquienprozession zu veranstalten, »damit dy unrue gestillt wurd«, wie der Chronist schreibt. Aber es erhob sich Widerspruch aus der Bürgergemeinde: »… man hielt procession, das man dy dieb nit hencken soll«, so hätten die »Scharrhansen«, die Unruhestifter, geschrien. Kurz danach hatte die Festsetzung des gesamten Rates auf dem Rathaus durch die Bürgergemeinde angezeigt, dass der Aufruhr tatsächlich mit der Prozession noch nicht gestillt war.14 Offenkundig führte die explizite Skandalisierung des Rituals als Beruhigungspille für die politische Öffentlichkeit und als Ablenkung der endemischen Korruption zur Eskalation und nicht Abschwächung der Unruhe – ein Fall, der auf schlagende Weise demonstriert, dass die Funktion des performativen Aktes bewusst wahrgenommen und kontrovers diskutiert werden konnte. Diese bewusste Funktionalisierung steht wohl auch hinter dem interessanten Fall einer Prozessionsreform in der Reichsstadt Köln am Beginn des 16. Jahrhunderts. Ursprünglich war diese exklusive Prozession 1482 ins Leben gerufen worden, und zwar zur Erinnerung an das Scheitern eines Aufstandsversuches gegen den Rat, oder in der Sprache der Quellen, einer »vergaderonge etzlicher boeser, snoeder onreyner geselschafft van unsen burgeren, inwoneren ind anderen«. Zum ewigen Gedächtnis der Gnade Gottes, der »diese heilige, wirdige stat uyss den henden der boesen erloist ind in yre vryheit ind regimente wederumb gesatzt« hat, wurde an jedem Fastabend ein exklusiver Zug des Rates samt seiner hohen Beamten vom Rathaus zu den Heiligen Drei Königen im Dom und zurück inszeniert. In der Ratskapelle sollte 14 Chroniken 15, 1878, 25, 20 f.; vgl. Löther 1999, 294 f.
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ein gelehrter Prediger den Anlass der Feierlichkeit ins Gedächtnis rufen. Die Kölner Elite inszenierte ihren Sieg über die Bürgeropposition. Allerdings hatte dieses »ewige Gedächtnis« kaum dreißig Jahre Bestand. Mit dem Transfixbrief von 1513 wurden diese Feierlichkeiten kurzerhand abgeschafft und durch eine Prozession am Heiligen Dreikönigsabend ersetzt. Der offenbare Grund für diese Änderung waren die Vorgänge, die dem Transfixbrief vorausgegangen waren, nämlich eine erneute, diesmal erfolgreiche Unruhe der Bürgerschaft, an deren Ende die Hinrichtung einiger einflussreicher Politiker stand. Nun passte die Apotheose der Ratsmacht und die Verdammung aufmüpfiger Bürger, wie sie in der alten Prozession versinnbildlicht wurde, offenkundig nicht mehr in die politische Landschaft. Für die völlige Abschaffung einer solchen religiösen Veranstaltung fehlte zwar die Legitimationsgrundlage, ihre Umwidmung zu einer allgemeinen Bittprozession zu Ehren der Stadtpatrone entfernte jedoch den politischen Sprengstoff. Dass hinter dieser Änderung tatsächlich eine andere politische Konzeption stand, unterstreicht die Tatsache, dass neben Rat und Beamten auch die Vertreter der Gemeinde, die Vierundvierziger, an ihr teilnehmen sollten.15 Bislang ging es um Teilnahme oder Nichtteilnahme an der einen dominanten, zentralen Prozession und um deren Zielstellung. Die Wirklichkeit schon des Spätmittelalters aber war von einer Pluralität von Ritualen gekennzeichnet, und dies konnte zu einer Konkurrenzsituation führen. Das klassische spätmittelalterliche Exempel dafür ist das verwickelte Geschehen um die Braunschweiger Sommerprozessionen des Jahres 1413, der in der Forschung vielbeachtete sog. »Pfaffenkrieg«.16 Auch hier ging eine innerstädtische Unruhe voraus, die sog »Große Schicht« ab 1376, die mit der Einsetzung einer neuen Stadtführung endete. Diese kam dann zunehmend in Konflikt mit Teilen der Geistlichkeit, wie andernorts auch etwa über die Steuerfreiheit des Klerus. Aber auch innerhalb der Geistlichkeit gärte es, die vornehmen Stiftsherren standen gegen die einfachen Vikare. Unmittelbarer Anlass der Streitigkeiten 1413 nun war ein Streit über die Besetzung der Pfarrstelle an St. Ulrich, wo die Patronatsrechte ungeklärt waren. Die Sache ist kompliziert und soll uns hier nicht weiter beschäftigen. Holzschnittartig gesagt, standen sich schließlich die Stiftsherren von St. Blasien und St. Cyriacus zusammen mit den Benediktinern von St. Aegidien auf der 15 Schwerhoff 1994, 57 ff. 16 Hergemöller 1988, hier vor allem 52 ff.; Löther 1999, 282 ff.
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einen Seite; der Rat, die Bürgerschaft, die Stiftsvikare und ein Teil des städtischen Klerus auf der anderen Seite gegenüber. Im Verlauf des eskalierenden Konflikts erwirkten die Stiftskanoniker Urteilssprüche des Hildesheimer Bischofs gegen die Ratskandidaten und die ganze Stadt, während im Gegenzug römische Prokuratoren einige Stiftsherren mit der Exkommunikation belegten. Damit waren die Voraussetzungen gegeben, um die Prozessionen des Jahres 1413 nicht nur zu Arenen, sondern auch zu Kampfmitteln des Parteienkampfes in Braunschweig zu machen. Der erste Akt dieses Kampfes allerdings fiel aus. Als am Freitag vor Johannis (23. Juni) die Prozession zu Ehren des Stadtpatrons St. Auctor stattfinden sollte, wollte der Rat ein Murren vieler Bürger gehört haben, diese Feier nicht mit den gebannten Stiftsherren vollziehen zu wollen. Der Magistrat lud zu einer Versammlung der Kleriker, diese waren uneins, und der Rat entschloss sich, die Gebannten zu bitten, um der Eintracht der Stadt willen der Prozession fernzubleiben. Die Angesprochenen dachten jedoch gar nicht daran, dieser Bitte nachzukommen, bestritten sie doch die Rechtmäßigkeit und damit die Gültigkeit der Exkommunikation. Für diesmal gab der Rat nach und verschob den Umgang vorläufig. Kaum eine Woche später allerdings stand schon die nächste Prozession an, die traditionell ausgerechnet von der einen zur anderen Stiftskirche gehen sollte. Erneut lehnten die Stifte eine Nichtteilnahme der Exkommunizierten ab. Diesmal wählte der Rat eine andere Strategie und verlegte den Umzug kurzerhand auf den Tag vor dem eigentlich festgelegten Datum und wählte zudem eine neue Route zwischen den beiden Pfarrkirchen St. Katharina und St. Martin – wenn man so will eine sakrale Enteignung von Hauptakteuren. Stiftsherren und Benediktiner lenkten allerdings nicht ein und hielten an der Prozession am korrekten Tag mit der korrekten Route fest, allerdings ohne dass sich die Bürgerschaft und ihre Symbole beteiligt hätten. Zu einer weiteren Brüskierung der Stiftsherren kam es, als am 7. Juli die verschobene Prozession nachgeholt wurde: Das war ausgerechnet das Datum, zu dem die Kanoniker von St. Blasien traditionell Kirchweihfest feierten. Auf die gewohnte Teilnahme der Pfarrer und Priester mussten sie diesmal verzichten, denn diese waren in der Prozession gebunden, ebenfalls die sonst beteiligten Schulkinder, all das »uns to hone unde to smaheyt«, wie die Stiftsherren bitter beklagten.17 Höhepunkt und Abschluss des Schlagabtauschs war dann am 20. Au17 Chroniken 16, 1889, 53.
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gust die Prozession zur Feier des Auctorspatroziniums. Wie gewohnt zogen die Bürger zu diesem Zweck zunächst vor das Stadttor, und mit ihnen die Vikare, der überwiegende Teil des Weltklerus, die Orden mit Ausnahme der Benediktiner. Bevor man jedoch wie geplant zum Schrein des Heiligen nach St. Ägidien weiterziehen konnte, mischten sich die gebannten Kanoniker kurzerhand unter den Prozessionszug. Der Rat ließ sich das Heft nicht aus der Hand nehmen, kurzerhand löste er den Zug auf. Wer bei der Auseinandersetzung gewonnen hatte, ist unklar: ob der energische Rat oder – wofür m.E. einiges spricht – die Gebannten mit ihrer subversiven Aktion, die das Ritual zur Auflösung brachten.
III Bereits im Mittelalter sind mithin Kämpfe um die Hegemonie über Ritual und Raum zu beobachten, um Partizipation an und Deutung von Prozessionen oder gar Konkurrenzen zwischen mehreren derartiger Rituale. Das Prozessionsritual selbst wurde dabei allerdings kaum in Frage gestellt, es zielte tendenziell auf die Inklusion aller, und sei es nur in ihrer Rolle als passive Zuschauer. Eine Ausnahme bildeten dabei lediglich die Juden, die häufig, wie etwa 1514 in einer vom Fuldaer Fürstabt Hartmann II. erlassenen Judenordnung für Hammelburg, angewiesen wurden, »in der Karwoche sowie an hohen Feiertagen zuhause zu bleiben und … dem in der Öffentlichkeit herumgetragenen Sakrament aus dem Weg zu gehen«.18 Diese Anweisung begründete der Fürstabt pragmatisch, indem er andeutete, das geschehe zu ihrem eigenen Schutz (»ihnen selbst zu Guote«), aber die Dimension der symbolischen Exklusion wird man nicht unterschätzen dürfen. Infragestellungen von Prozessionen finden sich ansonsten für das Mittelalter kaum. So steht jene markante Persiflage auf eine Fronleichnamsprozession eher isoliert, die sich im Kölner Fastabend 1441 ereignete: Ein Kölner Eingesessener mit dem Namen Johann von Ghynt hatte zusammen mit der Hilfe von drei Männern und einer Frau einen Reliquienschrein gebastelt, den er zusammen mit einer Weihquaste und einer Fahne öffentlich durch die Stadt trug. Diese Form der Mummerei, fand der Kölner Rat, habe Gott und seine Heiligen sehr entehrt und geschmäht, weswegen die Täter an den Pranger 18 Germania Judaica 2003, 1853.
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gestellt wurden und der Stadt verschwören mussten.19 Fast könnte man diese Episode als Vorspiel zur Reformation lesen, die das Bedeutungsfeld der Prozession grundlegend änderte. Pointiert zugespitzt: Aus einem christlichen Integrationsritual wurde ein konfessionelles Distinktionsmerkmal. Den Aufschlag machten dabei die Protestanten, denen die neuere Forschung tendenziell einen »scharfen Antiritualismus« zuschreibt; sie richteten sich »gegen die spätmittelalterliche Kirche mit ihren magisch-ritualistischen Frömmigkeitsformen« und postulierten, dass alle äußerlichen Zeremonien keinen Einfluss auf den inneren, geistigen Menschen hätten.20 Auch das Prozessionswesen verfiel diesem Verdikt. Schon in eine der ersten reformatorischen Kampagnen wurde sie als Kampfmittel eingesetzt bzw. persifliert. Im Zentrum der Angelegenheit stand der 1524 auf Betreiben des sächsischen Herzogs Georg durch Papst Hadrian VI. heiliggesprochene Bischof Benno. Diese Heiligsprechung war von heftiger Kritik aus dem reformatorischen Lager begleitet. Martin Luther wandte sich in einer Flugschrift »Wider den neuen Abgott und alten Teufel, der zu Meißen soll erhoben werden«. Drastischer noch gestaltete sich eine Parodie auf die Reliquienerhebung im erzgebirgischen Buchholz im Sommer 1524: Junge verkleidete Männer zogen mit dreckigen Tüchern, Mistgabeln und einem zum Weihwasserbecken umfunktionierten alten Fischkessel durch die Stadt, erhoben aus einem alten Bergwerksschacht alte Tierknochen als Gebeine Bennos und stellten sie auf dem Marktplatz zur Schau, wo ein als Bischof verkleideter Mann die Kieferknochen einer Kuh mit den Worten präsentierte: »O lieben Andechtigen, seht, das ist der heilige Arschbacken des lieben Sanct Benno!«21 Der Protest richtete sich erkennbar nicht nur gegen die Reliquienverehrung, sondern auch gegen die Ausdrucksform der Reliquienprozession, die hier parodistisch verkehrt wurde. Spott und Häme sollten die Prozessionen von Seiten der Protestanten lange begleiten. Auf seiner weitläufigen Gesellenreise ab 1615 begegnet der elsässische Kannengießer Augustin Güntzer, ein frommer Calvinist, immer wieder katholischen Gebräuchen, die ihn gleichermaßen abstoßen wie faszinieren. In Augsburg, Altötting, Salzburg und Loreto kann sich der Reisende nicht genug über die seltsamen Prozessions19 Schwerhoff 1991, 247. 20 Stollberg-Rilinger 2013, 239 f. 21 Volkmar 2002, 164 ff. bzw. 172 ff.
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bräuche der »Papisten« verwundern. Gleiches gilt in gesteigertem Maß von der Besichtigung der Lateranbasilika in Rom, wo er Pilger auf Knien die Stufen hinaufkriechen und dem Papstbildnis die Füße küssen sieht. Wenn schon so vornehm in Samt und Seide gekleidete Gläubige auf Knien kröchen und dem Bild die Füße küssten, so kommentiert er ungewohnt sarkastisch diesen Anblick, dann müsste ein in unsaubere und zerrissene Kleidung gewandeter Mensch wie er dem Götzen wohl »den Arsch kißen«.22 Aus altgläubiger Sicht gewann das Prozessionsritual spätestens mit dem Tridentinum den Charakter einer Manifestation des wahren, katholischen Glaubens. »Und gerade so musste die Wahrheit und Siegerin über Lüge und Irrlehre den Triumph feiern, dass ihre Widersacher im Anblicke so großer Herrlichkeit und bei so großer Freude der ganzen Kirche bloßgestellt entweder kraftlos und entmutigt verstummen oder von Scham ergriffen und verwirrt endlich zur Einsicht kommen«, so proklamierte das Konzil von Trient23 den Charakter des Fronleichnamsfestes als Sieg über die Ketzerei.24 Wie dieser Anspruch in der Praxis funktionierte, kann man in kaum einer Stadt so gut beobachten wie in der Reichsstadt Köln. Gerade so lange die konfessionelle Situation hier noch etwas offener war, wurden immer wieder Konflikte notorisch.25 1555 kam es während der Gottestracht zu einem Skandal, als der im Ruch der Wiedertäuferei stehende Lorenz Vorsbach verdeckten Hauptes den Erzbischof mit dem Venereabile sowie den gesamten Rat an sich vorbeidefilieren ließ. Er wurde verhaftet, bei der Lieferung an das Hochgericht aber von einer Menschenmenge befreit. Gewöhnlich aber waren die Zuschauer nicht auf Seiten derjenigen, die dem Ritual nicht die gewünschte Ehrerbietung zukommen ließen. Nicht gezogene Hüte provozierten Unmut und Handgreiflichkeiten, wobei gelegentlich auch ein Priester handgreiflich werden konnte wie der Kaplan von St. Kolumba 1609, als er einem Medicus mit Namen Petrus Quentenius im Vorübergehen seine Kopfbedeckung herunterzustoßen versuchte. Bisweilen beließen es die Provokateure nicht bei Gesten, sondern beschimpften, wie 1570 ein Mann namens Friedrich Botzenmecher, angesichts der Gottestracht alle Pfaffen als Diebe und Schelmen. Eine ext22 Güntzer 2002, 143. 23 Sessio XIII, Kap. 5. 24 Zit. nach Weiß 2004, 68.
25 Schwerhoff 1991, 251.
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reme und zugleich symbolisch hoch aufgeladene Form der Schmähung wurde 1608 aus einer Prozession selbst heraus verübt. Der Hofjunge eines der führenden Repräsentanten der Stadt sollte als Jüngster der Bauernbank die Kerze vor dem Sakrament tragen, ein Ehrenplatz. In Anspielung auf die in Köln bekannte Ehrenstrafe des »Kerzen und Steine Tragens« spottete er, wer denn die Steine trüge, wenn er die Kerze hielte. Der Rat reagierte hart mit Lochhaft und Ausweisung. Insgesamt zeigen diese Vorfälle, dass die Prozession auch im katholischen Köln nicht unumstritten war, dass sie aber als Manifestationen des Mehrheitswillens nach und nach immer dominanter wurden und dass Kritiker streng ausgegrenzt waren. Andernorts wurden Prozessionen erst allmählich zu Manifestationen des Katholizismus. In Augsburg etwa, der offiziell bikonfessionellen Stadt, berichtet der Chronist Kölderer zum Mai 1606, die Katholiken hätten einen prächtigen Fronleichnamszug von der Ober- in die Unterstadt durchgeführt, was seit 70 oder mehr Jahren nicht mehr vorgekommen sei. Alles sei mit ungeheurerer Pracht, mit Heerpauken und Trompeten geschehen, wie man im Krieg zu tun pflege.26 Dass der protestantische Chronist der katholischen Prozession einen martialischen Charakter zuschreibt und eine kriegerische Dramaturgie, darf man getrost als konfessionelle Polemik verbuchen. Allerdings lässt sich auch nicht-metaphorisch von einer Verbindung zwischen Prozession und Krieg sprechen, denn die Geschichtsbücher der Frühen Neuzeit vermerken eine direkte Verbindung zwischen beiden, und was für eine! Der Ursprung des Dreißigjährigen Krieges lag, wie es schon Fritz Stieve 1875 in einem Buchtitel anzeigte, im »Kampf um Donauwörth«, und der erste Akt dieses Kampfes wiederum handelt – von einer Prozession.27 Donauwörth, eine kleine Reichsstadt mit kaum 4000 Einwohnern, lag in einem konfessionellen Mischgebiet; vor den Toren residierte in der Reichspflege Wörth der katholische Graf Fugger, andererseits grenzte sie an die konfessionell gleichgestimmte Reichsstadt Ulm. Auch im Inneren war die konfessionelle Lage gespalten, wobei die Katholiken langsam ausstarben. Allerdings blieb das auf einem Hügel im Westen der Stadt gelegene Kloster Heiligkreuz, dessen Patronatsrechte zwischen städtischem Rat und dem Augsburger Bischof umstritten waren, 26 Roeck 1989, 180 f. 27 Stieve 1875; vgl. schon Lossen 1866. Eine neuere Darstellung fehlt m.E.
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ein katholischer Stachel im Fleisch der Stadt. Seit 1573 zog ein kleiner Zug katholischer Kleriker zusammen mit einigen Laien ins Fuggerische und damit katholische Nachbardorf Auchesheim. Allerdings versuchte man Provokationen zu vermeiden, stellte von der Grenze des Klostergebietes bis zum Äußeren Donautor (das auf das sog. Werth führte, eine von Wernitz und Donau gebildete Insel) Gesang und lautes Gebet ein, außerdem rollte man die Fahnentücher zusammen und senkte die Stangen. Dabei führte der Weg nicht über den Markt, sondern durch die Peripherie der Stadt.28 Dieses defensive Verhalten ist ein Beleg dafür, dass die Katholiken um 1600 im öffentlichen Raum der Stadt marginalisiert waren. Das änderte sich, als einige jüngere Konventualen das Heft in die Hand nahmen, die bei den Jesuiten in Dillingen studiert hatten und vom kämpferischen Geist der Gegenreformation erfüllt waren. Ab 1603 ließ der Abt die Prozession wieder mit fliegender Fahne durch die Stadt ziehen. Eine spontane Wunderheilung anlässlich einer Predigt in der nahegelegenen Wallfahrtskirche zu Buggenhofen gab bald darauf Anlass zu einem Zug der Benediktinermönche von Heiligkreuz zur Stätte der Wunderheilung und zurück, wobei die Mönche von einer wachsenden Menschenmenge aus dem Umland begleitet wurden. Die Prozession ging nicht nur mit aufgerichteten Fahnen und unter Gesang vom Stadttor zum Kloster, sondern sie begann, mitten durchs Zentrum zur anderen katholischen Insel der Stadt, zur Deutschordenskapelle, zu ziehen. Erst jetzt stellte sich ihnen der Stadtammann entgegen, die Prozessierenden mussten unter Gewaltdrohungen aus der Bürgerschaft weichen.29 Mitte Mai 1605 kam es bei einer Bittprozession zu einer erneuten Konfrontation, diesmal mit rechtlichen Folgen. Die Vertreter der Stadt stellten sich dem Prozessionszug direkt an der Grenze zwischen der katholischen Landpflegschaft und dem Stadtgebiet entgegen und forderten zur Niederlegung der Fahne auf. Der Obervogt des Klosters weigerte sich und forderte nach seiner feierlichen Einrede den Stadtammann auf, die Fahne eigenhändig wegzunehmen. Eines solchen offenen Gewaltaktes wollte sich dieser nicht schuldig machen, er veranlasste vielmehr einen katholischen Bürger, die Fahne an die Wand der zum Kloster gehörigen Veitskapelle zu lehnen. Demonstrativ ließen die Mönche sie dort stehen, wo sie schließlich, von beiden Seiten als symbolisches Objekt gemieden, zunächst beschädigt wurde und dann 28 Stieve 1875, 20. 29 Stieve 1875, 28 f.
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verschwand. Dem Abt gelang es, die Sache als Bruch des Augsburger Religionsfriedens vor den Reichshofrat zu bringen, und dieser befahl dem Rat, die Katholiken bei der Ausübung ihrer Zeremonien nicht zu stören. Zwar beschloss der Rat daraufhin, sich vorerst auf Proteste gegenüber katholischen Übergriffen zu beschränken, drohte aber andererseits doch mit Gegenmaßnahmen, sollte das Kloster ungewöhnliche »ärgerliche Ceremonien« anwenden.Das war nun der Hintergrund, um die Angelegenheit bei nächster Gelegenheit, beim Bittgang am Markustag am 25. April vollends eskalieren zu lassen.30 In der Pfarrkirche predigte kurz vorher der evangelische Pfarrer mit Leidenschaft gegen die abgöttischen Zeremonien und Prozessionen der Katholiken, während im Kloster der predigende Mönch deklamierte, der Konvent werde mit fliegender Fahne durch die Stadt ziehen, wenn auch alle darum den Tod erleiden sollten. Das Kalkül der katholischen Aktivisten war es wohl schon vorher, bei eventuellen Störungen oder gar Gewaltakten den Rechtsstreit eskalieren zu lassen. Immerhin hatte man eigens einen Notar von Dillingen herbeigeordert, um die erwarteten Störungen zu protokollieren. So zog ein kleiner Zug von Mönchen unter Führung des Priors morgens um sechs los, begleitet von der Gräfin Fugger, einigen Beamten und wenigen Bürgern und Bauern. Mit fliegender Fahne und lautem Gesang zog man nicht den alten Weg, sondern stracks den Markt herunter. Auf den Gassen wurden sie von nebenhergehenden Menschen verspottet und geschmäht: »Man solle den Stangen tragenden Sakramentsschelmen mit Stangen begegnen und Prügelsuppe zu essen geben.«31 An der Kapellengasse schlossen sich einige Menschen des Deutschhauses mit zwei Fahnen an, und weitgehend ungehindert kam man über die Wernitzbrücke aus der Stadt hinaus. Während der Zug außerhalb der Stadt seinen Weg fortsetzte, braute sich innerhalb der Mauern der Unmut der Bürger zusammen, und als die Prozession um elf Uhr in die Stadt zurückkehren wollte, erwartete sie eine kleine Delegation bewaffneter Bürger. Allerdings wurden lediglich die auswärtigen Prozessionsteilnehmer zurückgewiesen. Für den Rest des Prozessionszuges wurde es ungemütlich, als er sich dem inneren Donautor näherte. Alle Hinweise auf das kaiserliche Mandat und auf die darin angedrohte Acht nutzten nichts, die Gewalt eskalierte. Man zerschlug die Fahnenstangen und durchstach die Fahnentücher. Dicht gedrängt umstand die 30 Stieve 1875, 40 ff. 31 Stieve 1875, 43.
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Menge die kleine Prozession, versperrte ihr den Weg und nötigte die Teilnehmer, über einen kleinen Innenhof zu ziehen, wohin eine kleine Pforte geöffnet wurde. Die Katholiken fügten sich, weil bereits Steine flogen. Mehrmals durch Sperren unterbrochen, musste der Zug über die Stadtmauer bis zum Wernitztor ziehen, von dort ging der Weg über mehrere mit Schmutz und Müll gefüllte Gassen am äußersten Rande der Stadt. Überall begleitete die flüchtenden Katholiken Geschrei, Gelächter und Spott. Was die Donauwörther Protestanten als ihren Sieg feierten, die »Fahnenschlacht« oder die »Papistenhetze«, war allerdings der Anfang vom Ende reichsstädtischer Unabhängigkeit unter protestantischen Vorzeichen. Die gewundene Nachgeschichte mit allen diplomatischen Winkelzügen der beiden großen Religionsparteien und ihrer Protagonisten ist hier nicht nachzuerzählen. Dass der Reichshofrat 1607 die Stadt wegen Bruchs des Religionsfriedens ächtete, die Vollstreckung der Acht vom Kaiser dem kreisfremden Herzog Maximilian I. übertragen wurde, dass dieser in einem kurzen Feldzug die Reichsstadt unterwarf, in sein Territorium eingliederte und energisch ihre Rekatholisierung betrieb, steht in allen Geschichtsbüchern, ebenso, dass der Fall Donauwörth eine wichtige Eskalationsstufe auf dem Weg zu einer völligen Lähmung der Reichsverfassung und zu einer Militarisierung der Politik war, die schließlich in den Großen Krieg mündete. Donauwörth war nicht der einzige Fall, wo Prozessionen Geschichte machten. Bekannt ist etwa jenes gut hundert Jahre später stattfindende Ereignis, das als Thorner Blutgericht oder Blutbad von 1724 in die deutsche Historiographie eingegangen ist.32 Das königliche Gericht in Warschau verurteilte damals ein gutes Dutzend Thorner Bürger wegen angeblicher Tumulte und Sakrilegien zum Tode, darunter auch Johann Gottfried Rösner, als Stadtpräsident der höchste Repräsentant der städtischen Führungsschicht. Auch hier stand am Anfang der Konflikt zwischen der protestantischen Mehrheit und den Katholiken in Thorn, einer damals weitgehend autonomen Stadt im polnischen Herrschaftsbereich. Die rituelle Bewegungsfreiheit der Katholiken war auf einige Enklaven beschränkt. Und so ging die Umtracht der Schüler des Jesuitengymnasiums lediglich über den Kirchhof der mit katholischen Nonnen besetzten St. Jacobskirche. Einige protestantische Bürger der Stadt sahen von außerhalb zu, angeblich mit entblößten Häuptern, andere 32 Vgl. zuletzt Schwerhoff 2012, 24 ff. mit weiterführender Literatur.
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Bürgerskinder strömten hinzu, wahrscheinlich weniger ehrerbietig. Ein Jesuitenschüler versuchte, sie mit »ehrrührigen Worten« und sogar mit Ohrfeigen zu zwingen, auf die Knie zu fallen. Das scheint ihm gelungen zu sein, und das machte ihm wohl Mut, denn zusammen mit einigen Mitstreitern geriet er einige Stunden später mit anderen Bürgern aneinander. Die Sache eskalierte, als sie durch die Stadtwache verhaftet wurden. Das provozierte die Geiselnahme eines evangelischen Schülers durch die Zöglinge der Jesuitenschule. Diese Geisel wurde bald wieder freigelassen, aber die Angelegenheit hatte sich schon zu weit aufgeschaukelt. Nach einer Belagerung durch die Bürgerschaft, bei der offenbar auch die Verteidiger kräftig austeilten, kam es zu einem regelrechten Klostersturm. Nach katholischer Darstellung wurden heilige Bilder, Kreuze und anderes Gerät auf die Straße geworfen, zu einem Scheiterhaufen geschichtet und angezündet – ein Tatbestand, der als Sakrileg oder Blasphemie angeprangert werden konnte. Allerdings wurde wohl – anders, als manche katholische Darstellung glauben machen will – kein Blut vergossen. Dazu kam es dann erst in der gerichtlichen Aufarbeitung der Affäre, die uns aber nicht weiter beschäftigen soll. Was Donauwörth und Thorn über ein Jahrhundert hinweg eint, ist die Tatsache, dass die Prozession von der katholischen Minderheit genutzt wurde, um im städtischen Raum an Boden zu gewinnen – allerdings nicht durch physische Expansion, denn in beiden Fällen mussten sich die Prozessierenden zunächst zurückziehen, sondern durch die gerichtliche Auseinandersetzung. Das Verhalten der Jesuitenschüler gibt aber auch Anlass zu einem letztmaligen Seitenblick auf die Reichsstadt Köln, wo die katholischen Rituale unangefochten den öffentlichen Raum beherrschten. Aber wer, so könnte man provokativ fragen, beherrschte das Ritual? Aber der Reihe nach: Bereits im Mittelalter hatte sich in Köln eine besondere Spielart der Römerfahrt herausgebildet, eine Variante, bei der die Pilgerfahrt nach Rom innerstädtisch simuliert wurde; sie führte in der Karwoche vom Dom zu den Hauptkirchen St. Maria im Kapitol, St. Severin, St. Pantaleon, St. Aposteln, St. Gereon und St. Kunibert. Für die Schüler und Studenten der drei großen Gymnasien war die Römerfahrt um 1700 offenbar vor allem ein Medium öffentlicher Selbstdarstellung, indem man in möglichst großer Zahl mit Gesang und Instrumentalbegleitung den städtischen Raum füllte. Gerichtet war die Selbstdarstellung vor allem gegen konkurrierende Einrichtungen, denn das Laurentianer- und das Montanergymnasium
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wetteiferten mit dem Dreikönigsgymnasium der Jesuiten um die besten Ressourcen. Dabei blieb es nicht bei performativer Konkurrenz, phasenweise mündeten die Prozessionen in wüste Schlägereien. Besonders an einem bestimmten Ort bei der Stiftskirche St. Gereon, wo sinnigerweise ein Kalvarienberg stand, brachen die Gegner aus dem Hinterhalt hervor und prügelten auf die Prozession ein. Dabei schlugen die Laurentianer und Montaner auf die Tricoronaten ein. Aber auch die Schüler des Dreikönigsgymnasiums ließen sich nicht lumpen. 1714 beschimpften mehrere betrunkene Coronati die Zuschauer, die wiederum den Ruf verbreiteten, die Jesuitenschüler schlügen ehrsame Bürger.33 Besonders heftig ging es 1722 zu, obwohl die Regenten der Bursen versuchten, ihre Schüler in den Klassenräumen zurückzuhalten – vergebens. Als der Prozessionszug der Tricoronaten herannahte, wurde ihm zunächst nur eine ganz enge Gasse geöffnet. Schließlich gingen die Laurentianer und Montaner mit Knüppeln und Steinen (man hatte sich auf einem Bauplatz munitioniert), mit Degen und sogar mit Pistolen, die mit Schrotkugeln geladen waren, und mit dem Ruf »Vivat Thomistae!« aufeinander los – ein ganz besonderer Schulenstreit. Aber auch die Prozessionsteilnehmer waren bewaffnet. Der Fahnenträger der Coronati sank, blutig von einem Stein an die Stirn getroffen nieder, die Fahne der Rhetorik wurde von Kugeln durchbohrt, der Kleriker, der die Fahne des im Grabe ruhenden Christus trug, wurde mit Dolchen bedroht. Nach der Prozession ging der Streit weiter, die Tricoronaten griffen das Haus der Gegner an und schossen unter Rufen »Ihr thomistischen Hunde!« in die Fenster und schlugen auf die Türen ein. Periodisch wogte mithin innerhalb der Stadt ein vom Rat kaum zu stillender Konflikt, zumal er ja nicht die Gerichtshoheit hatte.34 Man sieht: Die Prozession evozierte auch im konfessionellen Zeitalter Konflikte nicht nur entlang der religiösen Bekenntnisgrenzen. Dennoch ein letztes Mal zurück zur konfessionellen Frage. Bisher mochte es so scheinen, als sei die Prozession eine exklusive Waffe in der Hand der Katholiken gegen die Evangelischen, deren rituelles Arsenal sich als vergleichsweise schmal darstellte. Dass die rituelle Konfrontation der Bekenntnisse wesentlich komplexer sein konnte, zeigt das Beispiel der kleinen eidgenössischen Stadt Bischofszell im 33 Kuckhoff 1931, 483. 34 Kuckhoff 1931, 567 f.
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Thurgau, über die vor einiger Zeit Frauke Volkland eine Mikrostudie vorgelegt hat. In Bischofszell gab es seit Anfang des 15. Jahrhunderts das sog. Hohlensteinfest am Osterdienstag, das mit einer feierlichen Prozession in den Nachbarort Sitterdorf begangen wurde. Mit diesem Akt erinnerten sich die Bischofszeller an den Wiedereinzug in ihre vom Feuer verwüstete Stadt im Jahr 1408, nachdem sie vor den Unbilden des Appenzellerkrieges geflohen waren und ein Jahr lang angeblich in den Höhlen unterhalb des Holensteins gelebt hatten. 1529 wurde nun in Bischofszell just an Ostern endgültig die Reformation eingeführt und mit einem Bildersturm, genauer: mit einem Abtun der Bilder besiegelt. Dabei wurde die Prozession gleichsam umgewidmet: Nach dem Bericht des Chronisten Diethelm wurden die abgenommenen Bilder »processionsweis auf die grub, so in der vorstatt gelegen, geführt, auf ein scheiterhaufen gelegt und verbrennt«.35 Zur Erinnerung an dieses Erlebnis versammelten sich die reformierten Bürger nun jedes Jahr am evangelischen Schulhaus, um dann geschlossen unter dem Absingen von Psalmen an die Grube zur Vorstadt zu ziehen, wo 1529 die Bilder verbrannt worden waren.36 Zeitweilig bewegte man sich noch weiter außerhalb der Stadt, wobei das Psalmensingen und Dankgebete für das Evangelium andauerten. Es nahm die gesamte evangelische Bürgerschaft teil, zusammen mit dem Collegium Musicum und Vertretern der Städte Zürich und Bern. Sah es zeitweilig so aus, als sollte die Stadt völlig evangelisch werden, so gewannen die Katholiken nach dem zweiten Landfrieden von 1532 wieder an politischer Macht und zahlenmäßiger Stärke. Äußerer Ausdruck davon war die Umwandlung der Kirche St. Pelagius in ein Simultaneum. Das Langhaus der Kirche wurde fortan nach einem bestimmten Modus von beiden Konfessionen genutzt, der Chor blieb exklusiv den Stiftsherren vorbehalten. Die wiedererstarkte, gleichwohl in der Minderheit bleibende katholische Bevölkerung schuf sich nun ihr eigenes Ritual, mit dem sie an das alte Holensteinfest anknüpfte, freilich – weil der Osterdienstag inzwischen von den Reformierten okkupiert war – an einem neuen Termin, nämlich an Pfingsten. Sie beanspruchten, die gesamte Stadtgemeinde zu repräsentieren, indem sie mit Vortragekreuz und Fahnen zunächst zum Holenstein und dann nach Sitterdorf zogen. So lassen sich zwei 35 Volkland 2005, 51. 36 Volkland 2005, 53.
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gegenläufige Choreographien von Prozessionen rekonstruieren: eine katholische Ausprägung, die aus der Stadt in die Landschaft ausgriff und von dort wieder zurückkehrte, mit ihren Ritualen und heiligen Gegenständen; und eine protestantische Variante, die sich räumlich stark auf den städtischen Innenraum konzentrierte und damit auch das rund um den Stift zentrierte katholische Viertel umfasste, wobei als zentraler Ort das Evangelische Schulhaus als ein Hort des Wortes fungierte. Was die rituelle Form angeht, so besaß das Absingen der Psalmen eine starke konfessionelle Aufladung. Vor allem stand aber die 1529 vollzogene Desakralisierung der Bilder im Mittelpunkt und damit gewissermaßen ein Antiritual, das freilich rituell memoriert wurde.
IV Damit sei dieser kurze Rundblick zur Geschichte von Prozessionskonflikten beendet, obwohl gerade der letzte Aspekt, Prozessionen der eigentlich prozessionsfeindlichen Reformierten, eine Vertiefung mehr als lohnen würde. Prozessionen erweisen sich mithin, das wäre der erste Punkt einer sehr knappen Zusammenfassung, offenbar als ein sehr wandelbarer, sehr flexibler und auch: schwer zu meidender performativer Akt. Ihre Bedeutungsoffenheit erlaubte es ihnen, als Vehikel für sehr unterschiedliche Gruppen und Anliegen zu fungieren. Zugleich erfordert ihre Interpretation eine große Kontextsensibilität – ein Postulat, dem dieser kursorische Überblick freilich kaum gerecht werden konnte. Zweitens könnte es sinnvoll sein, solche Konflikte und Kämpfe, die sich gleichsam im Innenraum der Prozessionen ereigneten, von solchen zu unterscheiden, die sich zwischen einer Prozessionsgemeinschaft einerseits und gegnerischen Gruppen oder gar: einem alternativen Prozessionszug andererseits abspielten. Den ersten Typus habe ich an den Präzedenzkonflikten im Mittelalter veranschaulicht, den zweiten an konfessionellen Grabenkriegen der Frühneuzeit, ohne dass die Differenz jeweils als epochentypisch angesehen werden könnte. Drittens kann die Situierung einer Prozession im städtischen Raum Anhaltspunkte für die Konfliktanalyse bieten. Idealtypisch stünde auf der einen Seite hier eine hegemoniale Form der Prozession, die selbstbewusst den städtischen Raum durchschreitet, ihn dominiert und dabei zugleich mögliche Abweichler marginalisiert oder auch aktiv zu ihrer Stigmatisierung beiträgt. Dagegen könnte
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man auf die andere Seite jene kleinen ›Kampfprozessionen‹ stellen, in denen Minderheiten – oft mühsam, oft aber auch aggressiv – um eine Eroberung oder Rückeroberung des Raumes kämpfen müssen. Was diese Prozessionen zu einem sehr probaten und offensiven Kampfmittel macht, ist m.E. die Tatsache, dass sich hier zwei Dimensionen des Rituals gegenseitig verstärken, nämlich die Gemeinschaftsbildung nach innen und die symbolische Inszenierung dieser Gemeinschaft nach außen. Metaphorisch gesprochen, plustern sich kleine Gemeinschaften gleichsam rituell auf und können sich so größer machen als es ihrer zahlenmäßigen Bedeutung eigentlich entspricht. Dabei bleibt ein vierter Punkt zu beachten: Prozessionskonflikte waren häufig Teil eines Konfliktgeschehens, das eine längere Vor- wie auch Nachgeschichte besaß. Der Kampf auf der Straße war dabei ein Katalysator für den Konflikt, entschied diesen aber nicht. In Donauwörth und Thorn war das juristische Nachspiel entscheidend, in anderen Fällen der Ausgang von politischen Machtkämpfen hinter den Kulissen. Fünftens schließlich führt das Thema ›Prozessionen und Konflikt‹ die Ritualforschung in eine gewissen Grauzone hinein. Gewöhnlich geht es dort um Ordnung und Solennität, um Legitimität und Repräsentation. Konflikte aber generieren häufig Unordnung, ja sie münden nicht selten in Gewalt. Damit ist die Ritualforschung mit ihrem Latein aber längst nicht am Ende, denn mit diesen Gewaltakten beginnt häufig lediglich eine andere Gattung von Ritualen, jene berühmten »rites of violence«,37 denen Natalie Davis vor nunmehr 40 Jahren ihren klassischen Aufsatz gewidmet hat.
Literatur Bergerhausen 2010 = H.-W. Bergerhausen, Köln in einem eisernen Zeitalter 1610– 1686, Köln Chroniken 1878/1880 = Die Chroniken der deutschen Städte vom 14 bis ins 16. Jahrhundert, Bd. 15 bzw. Bd. 16, Leipzig Damberg 1997 = W. Damberg, Die Große Prozession in Münster. Das Verhältnis von Katholizismus und Nationalsozialismus 1933–1936, in: W. Freitag (Hg.), Das Dritte Reich im Fest. Führermythos, Feierlaune und Verweigerung in Westfalen 1933–1945, Bielefeld, 195–200
37 Davis 1973.
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gudrun gersmann
VON TOTEN HERRSCHERN UND TRAUERZEREMONIEN Die Überführung der sterblichen Überreste Ludwigs XVI. nach Saint-Denis 1815
D
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er erste Jahreswechsel, den die Franzosen nach dem Sturz Napoleons unter den auf den Königsthron zurückgekehrten Bourbonen erlebten, stand ganz im Zeichen der Trauer: Am 21. Januar 1815 wurden in Paris und in zahlreichen Provinzstädten Sühnemessen für den verstorbenen König Ludwig XVI. gehalten, der auf den Tag genau 22 Jahre zuvor, am 21. Januar 1793, auf der Place de la Revolution, der heutigen Pariser Place de la Concorde hingerichtet worden war.1 Wie Michel Pierre Joseph, Autor einer im gleichen Jahr erschienenen Kirchengeschichte des 18. Jahrhunderts und andere Zeitgenossen notierten,2 lastete die Erinnerung an das schreckliche Ende des Königs zu diesem Zeitpunkt immer noch schwer auf den Seelen vieler Untertanen.3 Umso größere Hoffnungen 1 Vgl. die Darstellung von Feray 1979, 70: »Un des premiers gestes fut de faire célé-
brer de solennelles obsèques religieuses pour rendre les honneurs funèbres au roi son prédécesseur et frère, et à la reine, Marie-Antoinette, victimes de la Terreur révolutionnaire.« 2 Hierzu im Detail: Gersmann 2008; dies. 2013. Der vorliegende Beitrag entwickelt Thesen weiter, die bereits in den Publikationen von 2008 und 2013 formuliert wurden. 3 Vgl. die Darstellung bei Picot 1815, 631.
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richteten die Anhänger der Bourbonen auf jene feierliche »Gedächtnisveranstaltung« für Ludwig XVI., den »Besten aller Prinzen«, die Ludwig XVIII. bewusst ebenfalls auf den Todestag seines älteren Bruders gelegt hatte: Am 21. Januar 1815 wurden Ludwig XVI. und seine im Oktober 1793 guillotinierte Gemahlin Marie-Antoinette im Rahmen einer beeindruckenden Trauerzeremonie in die Kathedrale von Saint-Denis überführt und dort zur letzten Ruhe gebettet. Den Feierlichkeiten des 21. Januar 1815 waren makabre Aktivitäten vorausgegangen: Drei Tage vor diesem Datum hatten Friedhofsarbeiter in den anonymen Massengräbern des Friedhofs der Pariser Madeleine-Kirche nach den sterblichen Überresten Ludwigs XVI. und Marie-Antoinettes zu suchen begonnen. Diejenigen Knochenfunde, die im Zuge der Ausgrabungen als »echt« beurteilt worden waren,4 hatte man daraufhin aus dem Erdreich geborgen und über Nacht provisorisch in einer hastig organisierten Trauerkapelle aufgebahrt. In den frühen Morgenstunden des 21. Januar 1815 versammelten sich Vertreter des Hochadels, darunter auch der Comte d’Artois, der zweite überlebende Bruder Ludwigs XVI. und spätere König Karl X., auf dem sinistren Gelände des Madeleine-Friedhofs, um hier den Grundstein für den Bau der so genannten Sühnekapelle (Chapelle Expiatoire) zu legen.5 Der Altar der Sühnekapelle sollte nach dem Willen der Familie genau über dem Ort errichtet werden, an dem das Herz des Königs seinerzeit geruht hatte.6 Eine Stunde später setzte sich gegen neun Uhr der von einer großen Menschenmenge umringte, reich geschmückte Leichenwagen an der Rue d’Anjou in Bewegung. In langsamem Tempo bewegte sich der von schwer bewaffneten Nationalgarden zu Fuß und auf dem Pferd begleitete Wagen durch die nördlichen Pariser Vorstädte Richtung Saint-Denis vorwärts. Augenzeugenberichten zufolge waren die 4 Ebd., 632. 5 Zum Bau der Sühnekapelle siehe u. a. Hesse 1993, 208–210; Baedeker (1860, 54)
schreibt, dass man die Chapelle gegen ein »Trinkgeld« von »50 cent.« besichtigen konnte. 6 Bis heute werden in der Chapelle Expiatoire in der Nähe des Boulevard Haussmann am 21. Januar eines jeden Jahres in Anwesenheit des amtierenden Oberhaupts der Familie Bourbon Gedenkgottesdienste für Ludwig XVI. abgehalten. Zur Baugeschichte der Chapelle vgl. als neuere Arbeit Hesse 1993; die einzige größere Monographie dazu ist m. W. die teilweise sehr oberflächliche und naiv argumentierende Studie von Darnis 1981, bes. 15.
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Straßen von einer schweigenden Menschenmenge gesäumt. Die dem Wagen folgenden Musketiere, Herolde und Vertreter der Königsfamilie trugen alle einen Trauerflor am Ärmel. Die mitgeführten Musikinstrumente und Standarten waren mit schwarzem Serge bedeckt. Erst um die Mittagszeit erreichte der Trauerzug seinen Bestimmungsort,7 die Abteikirche von Saint-Denis. Da die Spuren der revolutionären Verwüstungen zu diesem Zeitpunkt an dem Bauwerk für jedermann noch weithin sichtbar zu erkennen waren, hatte der für die Organisation der Zeremonie zuständige Architekt Bélanger eine spezielle Festdekoration entworfen, die die Beschädigungen gnädig vertuschte, indem sie große Teile der Fassade und des Inneren in schwarzen, liliengeschmückten Trauerflor hüllte.8 Überhaupt hatte man in vieler Hinsicht improvisieren müssen: Da der Konvent alle Königskronen aus den Schatzkammern der Abtei hatte einschmelzen lassen, und als einzig verfügbare Krone andererseits nur die »Karlskrone« Napoleons in Frage gekommen wäre, die man aber aus Pietätsgründen kaum für die Totenfeier Ludwigs XVI. verwenden konnte, mussten auf die Schnelle zwei Ersatzkronen angefertigt werden. Nachdem die Trauergesellschaft zu beiden Seiten des eigens für die Zeremonie errichteten ephemeren Trauerdenkmals in der Mitte der Kirche Platz genommen hatte, zelebrierte der Bischof von Troyes, M. de Boulogne, eine feierliche Messe in Gegenwart des Königs, der Hofgesellschaft und der Pariser Stadtoberen. Einen Höhepunkt der Veranstaltung bildete das bewegende »Dies irae«, nach dessen Ende die Särge des Königspaares in die unterirdischen Gewölbe der Kirche gebracht wurden. Die Zeremonie endete am Nachmittag. Während die Hofgesellschaft in die Hauptstadt zurückreiste, löste sich die Menge der Neugierigen, die eigens für das Totenspektakel nach Saint-Denis gekommen waren, allmählich auf.9
7 Vgl. die Darstellung in Urban 1815, 70. 8 Waquet 1981, zur Zeremonie von 1815, 80. 9 Die ausführlichste Beschreibung der Feierlichkeiten in Saint-Denis stammt aus der
Feder des Abbé Savornin 1865, bes. 229.
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II Auf den ersten Blick, so mag es dem heutigen Betrachter zumindest vorkommen, hat Ludwig XVIII. mit der Totenprozession nach SaintDenis des Jahres 1815 konsequent nur an eine säkulare Tradition angeknüpft, die eng mit der Geschichte des Hauses Bourbon verwoben ist. Auf den zweiten Blick fallen jedoch die Widersprüche und ›Merkwürdigkeiten‹ auf, die diesen Überführungsakt gekennzeichnet haben. Warum Saint-Denis? Waren der Ort und die Inszenierung selbst wirklich ›nur‹ der Tradition geschuldet oder verbargen sich möglicherweise politische Ambitionen und strategische Überlegungen dahinter? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des folgenden Textes, der die These belegen möchte, dass sich hinter dem scheinbar nahtlosen Wiederaufgreifen der Traditionen des Ancien Régime der viel komplexere, von Widersprüchen und Ungereimtheiten geprägte Prozess einer versuchten symbolischen Aneignung verborgen hat, der seinerseits das Handlungsdilemma der Bourbonen in einer Situation höchster politischer Instabilität zum Ausdruck brachte. Damit sei zugleich ein Streifzug durch ein bislang noch relativ neues Themengebiet der Französischen Geschichte des 19. Jahrhunderts unternommen: Lange Zeit Stiefkind der historischen Forschung in Frankreich, erfreut sich die ›Restauration‹ in letzter Zeit eines neuen und verstärkten Forschungsinteresses. Die Arbeiten von Emmanuel Fureix, Anja Butenschön, Natalie Scholz und Anna Karl lassen auf weitere Erkundungen einer ›Terra incognita‹ hoffen.10
III Nach jahrzehntelangem Exil kehrten die Bourbonen Ende April 1814 in ein Land zurück, das seit 1789 in politischer, wirtschaftlicher, kultureller und mentaler Hinsicht so viele tiefgreifende Veränderungsprozessen durchlebt hatte, dass es ihnen fremd geworden war. Umgekehrt reagierten viele Franzosen bestürzt auf den Anblick des neuen Königs Ludwigs XVIII., der so gar nicht dem Idealbild eines Herrschers entsprechen wollte: Auf den Arm seiner Nichte, der Tochter Ludwigs XVI. und Marie-Antoinettes, gestützt, betrat ein alter, 10 Fureix 2009; Butenschön 2009; Scholz 2006; Karla 2014; Gersmann/Kohle 1993.
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kranker Mann französischen Boden, der aufgrund seines enormen Leibesumfangs in der zeitgenössischen Presse sogleich zur Zielscheibe des Spotts avancierte.11 Welch schweres Erbe Ludwig XVIII. in der Hauptstadt erwartete, wurde schon bald nach seinem Eintreffen in Paris sichtbar. Unter den vielen anderen politischen Brandherden, mit denen sich die neue Regierung auseinandersetzen musste, erwies sich aus unterschiedlichen Gründen gerade die Frage nach dem angemessenen Umgang mit Ludwig XVI. und Marie-Antoinette als eine der drängendsten. Zwar ließ Ludwig XVIII. bereits kurze Zeit nach seiner Rückkehr in die französische Hauptstadt am 14. Mai 1814 in der Kathedrale Notre-Dame eine Sühnemesse für die königlichen Revolutionsopfer – seinen Bruder, dessen Sohn, Marie-Antoinette und Madame Elisabeth – zelebrieren,12 doch war damit das Kernproblem keineswegs gelöst: Was sollte mit den sterblichen Überresten des königlichen Paares geschehen? Wie konnten diese würdig bestattet werden? Im Unterschied zu dem jungen Ludwig XVII., der als zehnjähriger Knabe nach seinem frühen Tod im Pariser Temple-Gefängnis in einer Nacht-und-Nebel-Aktion auf dem Pariser Friedhof SainteMarguerite verscharrt worden war,13 und dessen Grab auch später nie aufgefunden werden konnte, wusste ›ganz Paris‹ zu diesem Zeitpunkt, im Jahr 1814, sehr genau, wo Ludwig und Marie-Antoinette nach der Hinrichtung bestattet worden waren. Und nicht nur das: In den Jahren seit 1793 hatten sich die Königsgräber in der Hauptstadt zu einem vielbesuchten Pilgerort – böse formuliert: zu einer Touristenattraktion – entwickelt, deren reale Existenz niemand bestreiten konnte. Die posthume Geschichte Ludwigs XVI. ist an anderer Stelle ausführlich beschrieben worden,14 hier sei sie nur noch einmal in groben Zügen umrissen. Schon kurz nach der Guillotinierung war der Leichnam des mit grauen Seidenhosen und einem weißen Hemd bekleideten Königs am 21. Januar 1793 wie der »Leichnam des ge-
11 »Qu’allait-on penser à l’aspect de l’invalide royal«? soll sich Chateaubriand ge-
fragt haben, der um die Wirkung der wenig repräsentativen Gestalt des Königs auf die Franzosen besorgt war, vgl. Lever 1988, 340. 12 Waquet 1981, 79. 13 Savornin 1865, 317. 14 Gersmann 2013.
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ringsten Missethäters«15 auf einem einfachen Karren zum nahegelegenen Friedhof der alten Madeleine-Kirche transportiert worden, um dort – mit dem abgetrennten Kopf zwischen den Beinen – neben hunderten von anderen Revolutionsopfern in einem Massengrab beerdigt zu werden.16 Um der Gefahr der Schaffung einer royalistischen Andachtsstätte zu entgehen, hatte das Revolutionstribunal bei der Grablegung auf größtmögliche Geheimhaltung Wert gelegt. So waren nur wenige Augenzeugen anwesend, als der kopflose Körper des Königs am späten Vormittag des 21. Januar 1793 auf eine dicke Schicht ungelöschten Kalks geworfen und nochmals mit Ätzkalk bestreut wurde.17 In den Jahren nach 1793 erlebten die Massengräber des Madeleine-Friedhofs jedoch eine erstaunliche Transformation: Als der deutsche Physiker, Geodät, Publizist und Reisende Johann Friedrich Benzenberg im Jahre 1804 nach Frankreich reiste, wurde er, wie er in seinen ein Jahr später bei Mallinckrodt in Dortmund gedruckten »Briefe(n) geschrieben auf einer Reise nach Paris« berichtete, mit einem seltsamen Anblick konfrontiert. Wie viele Paris-Besucher war auch Benzenberg von der Neugierde auf den Madeleine-Friedhof getrieben worden, das Grab des toten Königs persönlich in Augenschein nehmen zu wollen. Ähnlich wie der Schriftsteller August von Kotzebue, der im gleichen Jahr 1804 mit einem ähnlichen Plan allerdings Schiffbruch erlitt,18 war zwar auch ihm zunächst kein Glück beschieden gewesen. Nach dem Kauf einer »bouteille Bier« in einer Schenke an der Rue d’Anjou hatten ihn die dort zechenden Arbeiter dann allerdings doch noch zu einem »Garten« direkt neben dem »Magdalenenkirchhofe« geführt, in dem Benzenberg hinter allerlei Weinstöcken und Spargelpflanzen an der Mauer zur Rue d’Anjou schließlich ein mit einem »schönen Rasen« bedecktes und von Trauerweiden gesäumtes Grab entdeckte, das ihm als Ludwigs Grab präsentiert wurde.19 Die anschauliche Schilderung des Reisenden lässt den heutigen Leser stutzen: Wie hatten sich in den elf Jahren seit
15 So schrieb ein Zeitgenosse in seinem Bericht über die Ereignisse: [Anonym] 1703,
130. 16 So auch die Darstellung von Jordan 1979, 220. 17 Savornin 1865, 112. 18 Butenschön 2009, 258. 19 Dazu Benzenberg 1806, 244.
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der Hinrichtung des Königs die ehemaligen Massengräber auf dem Gelände des Madeleine-Friedhofs in einen idyllischen »Garten« verwandeln können, in dem Gemüsesorten gezüchtet wurden, und in dem die letzte Ruhestätte des unglücklichen Königs offenbar liebevoll gepflegt und gehütet wurde?20 Die – relativ spärlichen – Quellen in den Pariser Archives Nationales erzählen eine aus Sicht der Nachwelt schier unglaubliche Geschichte: Ihnen zufolge war der MadeleineFriedhof schon im Frühjahr 1794 aufgrund von Beschwerden der Bewohner des Viertels über den schrecklichen Kadavergestank der Massengräber geschlossen worden. Die späteren Guillotine-Opfer der Place de la Révolution hatte man in der Folgezeit auf dem Cimetière des Errancis – in der Nähe der heutigen Metrostation Villiers – bestattet.21 Nach der Schließung hatte die Pariser Stadtverwaltung im Jahre 1795 den Madeleine-Friedhof (mitsamt den Massengräbern) öffentlich zum Verkauf angeboten. So war der »Cimetière de la Madeleine« zunächst in den Besitz eines »marchand ébeniste« namens Isaac Jacot übergegangen, der den Friedhof wenige Jahre später jedoch aus finanziellen Gründen wieder veräußern musste. Bei dem nächsten Eigentümer, einem Mann namens Pierre-Louis-Olivier Descloseaux, handelte es sich um einen Pariser Anwalt und Notar,22 der in den folgenden Jahren bei allen Vorgängen rund um die Königsgräber und die Exhumierung des Königspaares eine so zentrale wie dubiose Rolle spielen sollte. Anfangs ein Anhänger der Revolution hatte sich Descloseaux unter dem Eindruck der zunehmenden politischen Radikalisierung in Paris allmählich zu einem vehementen Kritiker der revolutionären Politik entwickelt. Das Grab Ludwigs XVI. lag ihm aus persönlichen Gründen besonders am Herzen: Seinen eigenen Worten zufolge hatte Descloseaux als Bewohner eines an den Friedhof angrenzenden Wohnhauses die traumatischen Geschehnisse auf dem Madeleine-Friedhof anlässlich der Hinrichtung des Königs (wie später auch der Königin) gemeinsam mit seinem Schwiegersohn aus einem Fenster heraus direkt aus nächster Nähe mit angesehen und nie wieder vergessen können. So war es für ihn nur konsequent, sich um den Erwerb des Friedhofs zu bemühen, als dieser erneut von dem hoch verschuldeten Jacot zum Verkauf freigegeben wurde. 20 Ähnlicher Bericht von Galletti 1809, 63. 21 Dazu u. a. die Darstellung von Dauban 1869, 417. 22 Am ausführlichsten bisher zu Descloseaux Vaquier 1961, hier bes. 117.
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Laut einem in den Pariser Archiven erhalten gebliebenen, notariell beglaubigten Kaufvertrag ging der einstige Friedhof am 24. Prairial des Jahres X (1802) gegen Zahlung einer Summe von 4550 Francs tatsächlich rechtmäßig in Descloseaux’ Besitz über.23 Wenn man dem zitierten Reisebericht Benzenbergs aus dem Jahre 1804 folgt, dann hat der neue Besitzer die Umwandlung des einstigen Friedhofs in einen Obst- und Gemüsegarten und die Markierung der königlichen Gräber mit einem kleinen Zaun, einem Holzkreuz und zwei Trauerweiden sogar erst in den zwei Jahren zwischen 1802 und 1804 vollzogen. Das bedeutet andererseits zwangsläufig aber auch, dass Descloseaux die konkrete Lokalisierung der Gräber Ludwigs XVI. und Marie-Antoinettes im Grunde erst nach dem Erwerb des Friedhofs – d. h. immerhin neun Jahre nach den blutigen Ereignissen selbst – hatte durchführen können. Den meisten zeitgenössischen Quellen, die Descloseauxs Schilderung von Anfang an kritiklos übernommen haben, ist dieser Umstand erstaunlicherweise ebenso entgangen wie die damit verbundene Fragwürdigkeit der gesamten Aktion: Wie hätte es Descloseaux, selbst wenn er in bester Absicht handelte, ohne vorherige Grabungen und ohne das forensische Wissen, über das die Experten heutzutage verfügen, gelingen sollen, in einem Massengrab, in dem unzählige Menschen verscharrt worden waren, das Grab einer einzigen Person zu identifizieren? Damit nicht genug, veröffentlichte Descloseaux im Jahr der Rückkehr der Bourbonen – 1814 – noch zusätzlich einen gedruckten illustrierten Friedhofsführer,24 der den Friedhofsbesuchern bei einer Ortsbesichtigung als Orientierung dienen sollte. Man mag die Vorstellung, Massengräber in der Art barocker Gärten fein säuberlich kartieren zu können, mit Recht für naiv halten, doch mögen diese Bestrebungen auch als Ausdruck des Wunsches zu werten sein, der traumatischen Erfahrung der revolutionären Massenhinrichtungen ein Modell der Ordnung entgegen zu setzen: Die Angaben des Friedhofsführers dürften bei den Lesern fälschlicherweise den Eindruck erweckt haben, dass man wie auf ›normalen Friedhöfen‹ auch hier individuelle Gräberreihen abschreiten könne.
23 Vaquier 1961, 123. 24 Unter seinem Namen erschien 1814 etwa die 50seitige Liste Des Personnes Qui
ont péri par jugement du Tribunal Révolutionnaire, depuis le 26 août 1792, jusqu’au 13 juin 1794 (25 prairial an 2) Et dont les corps ont été inhumés dans le terrain de l’ancien cimetière de la Madeleine.
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IV Unter den skizzierten Umständen ist leicht nachvollziehbar, welch immensem Druck Ludwig XVIII. 1814 ausgesetzt gewesen sein muss. Mit seinen Aktivitäten auf dem Cimetière de la Madeleine hatte Descloseaux ohne Rücksprache mit den Angehörigen Fakten geschaffen, indem er das ursprünglich trostlose Niemandsland der Massengräber des Madeleine-Friedhofs in scheinbar exakte Einzelgräber verwandelt hatte, die der Trauer der Untertanen und der Familienangehörigen einen konkreten Ort zu geben vermochten.25 Von einem ›Geheimnis‹ und von Anonymität, wie sie die Revolutionäre gewollt hatten, konnte im Jahre 1814 längst keine Rede mehr sein, ganz im Gegenteil hatten sich die Königsgräber im ›Garten‹ der Rue d’Anjou zu diesem Zeitpunkt bereits zum Anziehungspunkt für ›Touristen‹ aus ganz Europa entwickelt, deren Wünsche nach einer Grabbesichtigung von der Familie Descloseaux offenbar nur allzu gerne befriedigt wurden. Wer entsprechende Eintritts- oder Trinkgelder zahlte, wurde von Descloseaux’ Tochter höchstpersönlich zu den Gräbern geleitet. In einer Situation politischer Instabilität verfügte Ludwig XVIII., soviel ist sicher, nur über äußerst begrenzte Handlungsmöglichkeiten: Während der Madeleine-Friedhof als makabrer Erinnerungsort ein stetig wachsendes Publikum anzog und royalistische Kreise nach der Rückkehr der Bourbonen immer heftiger darauf drängten, Ludwig XVI. und seiner Frau ein würdiges öffentliches Begräbnis zu verschaffen, brachten Republikaner und ›Königsmörder‹ gleichzeitig unverhohlen ihre Furcht zu Gehör, mit der Popularisierung der Gräber ein welthistorisches Ereignis – den Königsmord von 1793 – neu zu beleben, das sie im Frankreich der Restauration lieber vergessen wollten. Doch was hätte der König in dieser Situation tun können? In ihrer 2009 erschienenen Dissertation über die Sühnemonumente der Französischen Restauration hat die Kunsthistorikerin Anja Butenschön die interessante Überlegung formuliert, dass sich der Madeleine-Friedhof zu Beginn des 19. Jahrhunderts, in einer Zeit, die nach »bürgerlicher Intimität und Innigkeit, nach kleinen Gesten der Zuneigung und
25 Die Tochter Ludwigs XVI. soll sich gleich nach der Rückkehr nach Paris auf den
Madeleine-Friedhof begeben haben, um dort an den Gräbern ihrer Eltern zu beten, vgl. die Darstellung von Nettement 1843, 373.
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Andacht« verlangte,26 eigentlich als idealer Ruheort für die Gebeine des unglücklichen Königspaares angeboten hätte, da er – »in einiger Abgeschiedenheit gelegen inmitten von Grünflächen und ohne sensationelle Zurschaustellung, das Grab nur bestückt mit einem kleinen Kreuz« – den Trauernden einen passenden »Rückzugsraum« zu liefern vermochte.27 Aber wäre eine solche Lösung im Jahre 1814 vermittelbar gewesen? Ludwig XVIII. und seine Familie werden die letzte Ruhestätte des unglücklichen Königspaares inmitten eines Obst- und Gemüsegartens, der auf den Massengräbern von 1793 entstanden war, in stiller Totengemeinschaft mit zahllosen anderen Guillotinierten bürgerlicher Herkunft, bei aller Wertschätzung für die Bemühungen Descloseaux’ und seiner Familie kaum als standesgemäß betrachtet haben. Anders wäre es vielleicht gewesen – so dürfen wir spekulieren –, wenn Ludwig und Marie-Antoinette nicht auf dem MadeleineFriedhof, sondern auf dem ungleich vornehmeren Friedhof Picpus in der Nähe der heutigen Place de la Nation bestattet worden wären. Zur Erinnerung: Zwischen dem 14. Juni und 27. Juli 1794 hatten die Gehilfen des Pariser Scharfrichters dort in Massengräbern mehr als 1300 männliche und weibliche Revolutionsopfer verscharrt,28 darunter neben Soldaten und Dienstmädchen, Priestern und Nonnen vor allem auch zahlreiche Vertreter des französischen Hochadels.29 Dem ›Märtyrerfeld‹ des Picpus sollte in der zweiten Hälfte der 1790er Jahre ein ähnliches Schicksal beschieden sein wie dem Madeleine-Friedhof: Auch hier führte der aus den nur notdürftig mit Holzplanken verschlossenen Massengräbern entweichende bestialische Verwesungsgestank zu Beschwerden der Anwohner, die ein sofortiges Handeln der Stadtregierung notwendig machten.30 Wie der Madeleine-Friedhof wurde auch der Picpus schließlich im Jahr 26 Butenschön 2009, 267. 27 Ebd.
28 Zur Geschichte: Lenotre 1928. 29 Denn am 29 »Messidor« des Jahres II hingerichteten sechzehn Karmelitinnen von
34 Compiègne hat der tiefkatholische Komponist Francis Poulenc in den 1950er Jahren eine Oper gewidmet. Die Erforschung der postrevolutionären Geschichte des Cimetière de Picpus stellt bis heute ein Forschungsdesiderat dar, die bisher dazu erschienenen Studien liefern nur erste Anhaltspunkte, siehe etwa: [Anonym] 1814; Lenotre 1928; stark romantisierend neuerdings Baudus 2000; ferner Fureix 2009, 140. 30 Lambeau 1905.
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1795 zum Verkauf angeboten, wie beim Madeleine-Friedhof bildete auch dieser Beschluss den Auftakt zu einer abenteuerlichen postrevolutionären Geschichte: Zwei Jahre nach der Schließung nämlich gingen die Massengräber 1797 im Zuge eines strikt geheim gehaltenen Kaufvertrags in den Besitz der Prinzessin Amalie Zephyrine von Hohenzollern-Sigmaringen über, deren Bruder, Friedrich III. Fürst zu Salm-Kyrburg, nach seiner Guillotinierung dort bestattet worden war.31 Wenige Jahre später wiederum erwarb eine von den Familien der adligen Guillotine-Opfer gegründete Gesellschaft das gesamte ehemalige Klostergelände, um rund um die Massengräber einen zweiten, ausschließlich Adligen vorbehaltenen Friedhof zu gründen. Das Recht, sich auf diesem Friedhof bestatten zu lassen, wurde – und wird bis heute – exklusiv nur denen zugestanden, die einen oder mehrere Familienangehörige auf dem Schafott verloren haben. Die Grabstätten des Picpus lesen sich deshalb wie ein ›Who is Who‹ des französischen Hochadels, dessen große Namen – von den de Noailles bis zu den La Rochefoucauld und den de Montmorency – allesamt dort zu entdecken sind. Bis heute wird noch im Juni eines jeden Jahres eine spätabendliche, bewegende Gedenkmesse für die Revolutionsopfer in der stets überfüllten Friedhofskapelle gefeiert, an deren Ende die Familienangehörigen in einer Art von Prozession zu den von einer Mauer umgebenen Massengräbern ziehen, die normalerweise nur von weitem angesehen werden können. An diesem einen Junitag im Jahr aber wird das Gitter geöffnet und dem Besucher ein freier Blick auf die von Kerzen erhellten Gräber gewährt, in denen die Opfer, wie es auf einer Gedenktafel heißt, auf ihre Auferstehung warten. Kein Zweifel, im Kreis der hochadeligen ›Märtyrer‹ hätte man sich ein Verbleiben Ludwigs und Marie-Antoinettes vorstellen können! Doch die Dinge lagen anders, und bei aller demonstrativ an den Tag gelegten Wertschätzung für Descloseaux,32 dem in Anerkennung seiner Verdienste am 20. Januar 1815 der »Cordon de l’ordre de Saint-Michel« und eine Pension zugesprochen wurden, war der Madeleine-Friedhof im Jahre 1815 kein stiller ›Gottesacker‹, auf dem die sterblichen Überreste des Königspaares hätten verbleiben können, sondern vielmehr ein ›Garten‹, dessen idyllisches äußeres Erscheinungsbild kaum darüber hinwegtäuschen konnte, dass es sich in 31 Emig 1997. 32 Buchez/Roux 1834–1838, 36.
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Wirklichkeit um eine zernarbte, zerwühlte und ›kontaminierte‹ Parzelle Land handelte, auf der schon unmittelbar nach dem Tod des Königs heimliche Grabungsversuche stattgefunden hatten, die auf letztlich unglückliche Weise Objekt der Profanierung und Vermarktung geworden war und deren Zustand im Jahre 1814 längst nicht mehr dem ursprünglichen Zustand entsprach.33 Was also sollte damit geschehen?
V Die Quellen verraten nichts über die internen Beratungsprozesse, die über die Frage des Umgangs mit den königlichen Gräbern stattgefunden haben müssen. Fakt ist allerdings, dass Ludwig XVIII. schon wenige Wochen nach seiner Rückkehr nach Paris die Initiative zur Klärung der Verhältnisse ergriff34 und bereits im Mai 1814 umfangreiche Zeugenverhöre zur offiziellen, genauen Lokalisierung der Begräbnisstätte seines Bruders durchführen ließ. 21 Jahre nach der Bestattung Ludwigs XVI. war bei jener Handvoll von Geistlichen, Soldaten und Friedhofsarbeitern, die im Januar 1793 Augenzeugen der Geschehnisse auf dem Madeleine-Friedhof gewesen waren, die Erinnerung an den Sterbetag ihres Königs allerdings längst verblasst. Angesichts der ›Evidenz‹, die Descloseaux durch die Markierung und Einhegung der Gräber geschaffen hatte, verwundert es im Übrigen nicht, dass die Zeugen, denen im Erfolgsfalle eine Belohnung in Aussicht gestellt worden war, den exakten Ort der Bestattung Ludwigs und Marie-Antoinettes genau dort verorteten, wo sich nunmehr Holzkreuze und Trauerweiden befanden.35 Wie wenig man ihrer Erinnerung vertrauen konnte, zeigte sich in aller Deutlichkeit jedoch im Kontext der Exhumierungen des 18. und 19. Januar 1815, die schon nach den ersten Spatenstichen einen desaströsen Verlauf nah33 Dazu die Darstellung von Anchel 1924, 197. Anchel beruft sich auf eine von den
Bewohnern des Quartiers gegen Jacot erhobene Klage. 34 Dazu auch Chateaubriand 1815. 35 Aus einer Miszelle im L’Intermédiaire des Chercheurs et Curieux vom 10. April 1902 geht hervor, dass etwa die Familie des im Kreise der Zeugen verhörten Comédien und Vaudeville-Schauspielers Seveste für seinen Beitrag zur Entdeckung der »royales reliques« im Jahre 1817 mit der Zuerkennung des »privilège des théâtres de la banlieue« entlohnt wurde (Lyonnet 1902, 497).
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men. Erst nach zahlreichen vergeblichen Anläufen glaubte man, das Skelett Marie-Antoinettes entdeckt zu haben: Voller Stolz verkündete der bei der Exhumierung anwesende royalistische Politiker und Publizist Chateaubriand sogleich, man habe den Totenkopf tatsächlich noch an dem bezaubernden aristokratischen Lächeln erkennen können, mit dem ihm die Königin einst bei einem Ball in Versailles begegnet sei. War der Wahrheitsgehalt einer solchen Behauptung ohnehin schon mehr als zweifelhaft, so erbrachte auch der weitere Verlauf der Exhumierungen keine eindeutigen Beweise, die zu einer korrekten Identifizierung hätten beitragen können.
VI Trotz der angesichts dieses Befundes nicht von der zur Hand weisenden Befürchtung, dass ›unfromme Hände‹ die kostbaren Überreste des Königs so stark mit den Knochen anderer ordinärer Opfer vermischt hatten, dass eine klare Trennung zwischen Herrscher und Untertanen mithin unmöglich geworden war, hielt Ludwig XVIII. an den Planungen einer Überführung der Gebeine Ludwigs XVI. und Marie-Antoinettes nach Saint-Denis fest. Da die Trauerzeremonie bereits vor den Exhumierungen – wenn auch sehr kurzfristig – auf den 21. Januar 1793 festgelegt worden war, standen die Grabungen auf dem Madeleine-Friedhof von Anfang an unter einem unbarmherzigen Erfolgsdruck: Am Ende musste ein positives Ergebnis der Recherchen verkündet werden können. Ein Misserfolg war nicht vorgesehen und hätte sämtliche Planungen und Vorbereitungen sofort hinfällig gemacht. Man darf auch aus diesem Grund an der Authentizität der ›Funde‹ zweifeln. Doch um zur eingangs formulierten Frage noch einmal zurückzukehren: was bedeutete die Entscheidung der Überführung in die unterirdischen Kammern der Kirche von Saint-Denis, von der ein deutscher Reisender noch Anfang des 19. Jahrhunderts voller Bewunderung schrieb, dass man wohl an keinem anderen Ort der Welt »so viele vornehme Leichen beysammen« antreffe?36 Erlauben wir uns zunächst eine kurze Rückblende: Über Hunderte von Jahren 36 Galletti 1809, 171; einen spöttischen Kommentar zu Saint-Denis zitiert allerdings
Chuquet 1896, 273: Halems Reisezeugnissen nach hatte ein Leipziger Universitäts-
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war die Geschichte der Abteikirche von Saint-Denis,37 die seit der Herrschaft des Merowingers Dagobert als offizielle Begräbnisstätte der Könige diente, eng mit dem Schicksal der Monarchie in Frankreich verbunden.38 Eine Schlüsselposition im Kampf um den Herrschaftsanspruch der Bourbonen hatte die Abtei im 12. Jahrhundert errungen, als es dem berühmten Abt Suger gelungen war, den heiligen Dionysius zu dem großen ›Nationalheiligen‹ Frankreichs par excellence zu stilisieren.39 Bei den zahlreichen königlichen Begräbnissen, die später in Saint-Denis stattfanden,40 war allmählich ein zeremonielles Regelwerk entstanden, das Tod und Begräbnis der Herrscher einem klar definierten rituellen Ablaufschema unterwarf:41 Nach dem letzten Atemzug des Königs wurde der mit seiner wächsernen Effigie geschmückte Sarg in einem feierlichen Trauerzug nach Saint-Denis gebracht,42 wo Abt und Mönche den edlen Leichnam gewöhnlich zur Nachtzeit im Lichte zahlreicher Fackeln in Empfang nahmen, um ihn in der Königsgruft der Abtei zur letzten Ruhe zu betten.43 Bis auf die Wachs-Effigies, die im Laufe des 17. Jahrhunderts allmählich ›aus der Mode‹ kamen,44 wurde diese Ausprägung des Totenzeremoniells, professor Saint-Denis einst als den Ort bezeichnet, wo … Monarchen / umwölbt von Paros Marmor / schnarchen«. 37 Lombard-Jourdan 1993, 209: »Aucune ville en France, à la veille de la Révolution, ne portait plus profondément que Saint-Denis l’empreinte de la religion, de la royauté et de la féodalité. Mieux et plus encore que la cathédrale du sacre à Reims, sa basilique funéraire royale symbolisait la continuité monarchique et les religieux bénédictins, associés depuis 1686 aux Dames de Saint-Cyr, dominaient les habitants en véritables seigneurs.« 38 Bourderon/Peretti 1988, 64. 39 Aussagekräftig dazu Kramp 1995, 31. 40 Dazu u. a. Godefroy 1619, Du Chastel 1547. 41 Giesey 1960; Kantorowicz 1957. 42 So die Beschreibung von Barginet 1824, 14–29. 43 Nach Jaquemet 1867, 193–195. 44 Laut Kantorowicz verlor das Ritual nach dem Attentat auf Heinrich IV. im Jahre 1610 aber offenbar seinen ›Sitz im Leben‹: Bis zu diesem Zeitpunkt war der jeweilige Thronerbe während der Zeit der Präsentation der Effigie bewusst im Verborgenen geblieben, um Überschneidungen mit der Effigie zu vermeiden. Der junge Ludwig XIII. durchbrach diese Regel, als er nur wenige Stunden nach dem Tod Heinrichs IV. als Nachfolger bei einem Lit de Justice des obersten Pariser Gerichtshofes auftrat. Angesichts des durch den unerwarteten Tod des Königs ausgelösten Machtvakuums dürfte die Familie die demonstrative Präsenz des Thronerben für politisch notwendig gehalten haben.
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wie es in der Forschung insbesondere am Beispiel Franz I. untersucht worden ist, sogar noch unverändert beim Tode Ludwigs XVIII. in Frankreich befolgt.45 In ihren fundamentalen Studien zum königlichen Totenzeremoniell im Ancien Régime haben Ernst Kantorowicz und Ralph Giesey überzeugend nachgewiesen, dass sich aus den skizzierten Funeralpraktiken allmählich im Laufe der Zeit eine Vorstellung herrscherlicher Macht herausbildete, die auf der so genannten Zwei-Körper-Lehre beruhte. Demnach verfügte der Herrscher über zwei Körper. Während der physische Körper des Königs wie der eines jeden Menschen krankheitsanfällig und sterblich war, zeichnete sich der symbolische Körper des Königs durch seine Unsterblichkeit aus, er verkörperte den Kern, die ›dignitas‹ der Monarchie, die niemals sterben würde: »dignitas non moritur.«46 Den neueren Studien des Berliner Kunsthistorikers Julian Blunk zufolge begann jedoch schon mit dem »Ende der Valois-Dynastie und der Thronbesteigung des ersten Bourbonen Heinrich IV. im Jahre 1589« der »allmähliche Niedergang der Abtei«. Obwohl deren Bestattungsprivileg, so Blunk, bis zur Französischen Revolution unangefochten geblieben sei, so sei doch ihr früheres »Recht auf die öffentlich Repräsentation und Imagebildung der Monarchie« Zug um Zug geschmälert worden.47 Im Lichte eines solchen ›Auszugs der Bourbonen aus Saint-Denis‹ war es dann auch nur konsequent, dass eine im Jahre 1787 erschienene Denkschrift das Lesepublikum mit dem Vorschlag konfrontierte, die Königsgräber aus der Kirche zu entfernen und stattdessen in einem außerhalb der Hauptstadt auf einem mit Steinen aus Saint-Denis errichteten Friedhof unterzubringen.48 Als Beleg für den langsamen, aber unaufhaltsamen Niedergang von Saint-Denis mag man ferner auch die Effigies nennen, die im 18. Jahrhundert »in rothen Mänteln mit Krone und Scepter auf Stühlen sitzend« zu rein musealen Exponaten verkommen waren, die auf Anfrage wie die in den Pariser 45 Dazu u. a. Legrand d’Aussy 1824, 412–415. 46 Vgl. Simonetti 1995, 92. 47 Blunk 2009, 119–132; Blunk 2011. 48 Zur Einschätzung dieses Vorschlags vgl. die Bemerkungen von Papenheim 1992,
190: »Zwei Jahre vor der Revolution demontierte man so in der Theorie die Stätte des französischen Königtums, um aus ihren Steinen eine Gedenkstätte der Nützlichkeit zu errichten, eine Erweiterung oder Reform, kein leiser Auszug mehr, sondern radikale Abrechnung mit dem offiziellen Totenkult.«
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Wachsfigurenkabinetten ausgestellten Wachspuppen besichtigt und bewundert werden konnten.49 Die zitierten Entwicklungen vollzogen sich freilich jenseits der Wahrnehmung der ›einfachen‹ Untertanen, für die der Mythos SaintDenis bis zum Ausbruch der Französischen Revolution ungebrochen geblieben zu sein scheint:50 Hätte diese Tatsache allein Ludwig XVIII. kaum bewogen, auf Traditionen der Monarchie in Frankreich zurückzugreifen, die im Grunde bereits im 18. Jahrhundert in Auflösung begriffen gewesen waren, so dürfte die Erinnerung an die revolutionären Exzesse der Jahre 1792 und 1793 aus Sicht des Monarchen jedoch ein starkes Argument für die Überführung der Überreste Ludwigs XVI. in die alte Abtei geliefert haben. Im Jahre 1792 hatte der Furor der Revolution auch Saint-Denis infiziert:51 Nachdem ein wütender Mob am 10. August 1792 die Pariser Tuilerien erstürmt, die Statuen Heinrichs IV., Ludwigs XIV. und Ludwigs XV. auf den zentralen Plätzen der Hauptstadt vom Sockel gerissen und zerschlagen hatte,52 war vier Tage später, am 14. August 1792, von Seiten des Konvents ein Aufruf zur Zerstörung sämtlicher feudalistischer und royalistischer Statuen, Inschriften und Monumente an die Bevölkerung ergangen. Damit hatte ein revolutionärer Bildersturm begonnen,53 der für die Königsgräber immer bedrohlicher wurde, je vehementer der Publizist Sylvain Maréchal sie in seinen populären »Révolutions de Paris« zur Zielscheibe seiner Attacken erhob.54 Im Sommer des Jahres 1793 war die Gefahr, in der die Gräber schwebten, unverkennbar: Nachdem der Abgeordnete Barère55 stellvertretend für viele seiner Gesinnungsgenossen die Zerstörung der königlichen Grabstätten gefordert hatte, nahm das Vernichtungswerk seinen Lauf: Auf Beschluss des Konvents wurden am sechsten, siebten und achten August 1793 fünfzig Königsgräber in Saint-Denis dem Erdboden gleichgemacht. Für den Vorschlag, aus den eingeschmolzenen 49 Volkmann 1787, 529. 50 Dazu auch Lombard-Jourdan 1993, 209. 51 Als Quelle dazu Boussoulade 1958, 61. 52 Idzerda 1954, 16. 53 Steinmann 1917, 339. 54 Dazu unter anderem Leniaud 1996, 25. 55 Ebd. 26; vgl. auch die Darstellung in der kleinen, anonym erschienenen Schrift:
Promenade au cimetières de Paris, aux sépultures royales de Saint-Denis, et aux catacombes, Paris ca. 1815, 146 f.
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Wachsfiguren Kerzen für die geplanten Illuminationen des 10. August 1793 zu formen, konnte sich allerdings niemand richtig erwärmen.56 Seinen eigentlichen Höhepunkt erreichte der revolutionäre Ikonoklasmus in Saint-Denis schließlich zwischen dem 12. und 25. Oktober 1793, als 157 Königssärge der alten Abteikirche aufgebrochen und geleert wurden. Die von den revolutionären Vandalen aus den Särgen gestohlenen Zähne und Knochen der königlichen Leichen wurden später teilweise öffentlich auf Auktionen zum Verkauf angeboten.57 Ende 1793 schien die einstige Königsnekropole Saint-Denis am Tiefpunkt ihrer tausendjährigen Geschichte angelangt zu sein.58 Verwüstet, ihrer Gräber und Leichen beraubt, und fortan nur noch von königlichen Gespenstern59 bewohnt, bot die Abteikirche zu Beginn des 19. Jahrhunderts ›Ruinentouristen‹ wie Friedrich Schlegel, August von Kotzebue oder Helmina von Chézy, die auf der Suche nach den Spuren der Königsgräber nach Saint-Denis gereist waren, einen mehr als tristen Anblick. Doch schon wenige Jahre später, während des Kaiserreichs, sollte Saint-Denis ein erstaunliches Comeback erleben: Am 19. Februar 1806 erließ Kaiser Napoleon I. ein Dekret, das der Kirche ausdrücklich wieder ihre alte Funktion als Begräbnisort zuerkannte – wenn auch als künftige Grablege der Bonapartes.60 In den folgenden Jahren ließ er zehn Gemälde als Sakristeidekoration in Auftrag geben, die heroische Epochen der französischen Nationalgeschichte dokumentierten:61 Hinter diesen Maßnahmen steckte – wie in anderen Symbolhandlungen Napoleons auch – der nicht einmal notdürftig verhüllte Wunsch, die noch junge, von machtbewussten sozialen Aufsteigern geprägte Dynastie Bonaparte in eine tausend-
56 Lombard-Jourdan 1993, 218. 57 Im November 1846 wurden in einem Anzeigenblättchen königliche Knochen zum
Verkauf angeboten, dazu Vauthier 1925, 177 f. 58 Wie Elke Harten in ihrer Studie über Museen und Museumsprojekte der Französischen Revolution schreibt, errichteten die Bewohner von Saint-Denis aus den Trümmern der zerstörten Königsgräber ein Denkmal für den ermordeten Revolutionsführer Marat (Harten 1989, 158). 59 So ein schöner Ausdruck von Chateaubriand 1850, 107. 60 Laut Monin (1928, 278) ordnete Napoleon den Bau mehrerer Kapellen »dans l’emplacement qu’occupaient les tombeaux des rois« an, die Gedenktafeln aus Marmor für die in Saint-Denis begrabenen Könige enthalten sollten. 61 Porterfield 2000.
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jährige Geschichte der Monarchie in Frankreich einzuschreiben und damit zu legitimieren.
VII Auch wenn Napoleons ehrgeizige Pläne scheiterten, so dürfte die von Brüchen und Blessuren gekennzeichnete jüngere Geschichte von Saint-Denis Ludwig XVIII. bei seiner Rückkehr nach Frankreich nur allzu präsent gewesen sein: Vor dem Hintergrund dieser Vorgänge liegt es nahe, so meine ich, die Politik Ludwigs XVIII. in Bezug auf den Umgang mit den sterblichen Überresten seines Bruders als versuchte und notwendige Purifizierung und ›Rückholung‹ eines ›Erinnerungsortes‹ zu begreifen, der durch die Revolution und Napoleon kontaminiert worden war. Indem der neue König die geplünderte und seit 1793 vielfach geschändete Kathedrale demonstrativ zum Schauplatz der ersten großen Zeremonie seiner Regierungszeit machte, eroberte er sie – wenn man so sagen will – in symbolischer Hinsicht für die Bourbonen zurück.62 Wie sehr ihm daran gelegen war, die Erinnerung an Revolution und Kaiserreich durch einen Akt der Umdeutung aus dem Gedächtnis der Franzosen zu tilgen, zeigte sich in den Jahren nach seiner Rückkehr auch in anderen Aspekten seiner ›Totenpolitik‹, die stets um Saint-Denis kreiste. So ließ er jene »mausolées des rois«, die die Zerstörung von 1793 überlebt hatten, im Jahre 1815 gemeinsam mit über tausend anderen künstlerischen Werken nach St. Denis überführen. Mitte Januar 1817 wurden die königlichen Skelettreste, die man bei den Ausschreitungen von 1793 einfach in eine rasch ausgehobene Grube geworfen hatte, wieder in die alte Basilika zurückgebracht,63 im gleichen Monat wurden die sterblichen Überreste der Töchter Ludwigs XV. in der italienischen Stadt Triest exhumiert und im Januar 1817 ebenfalls in Saint-Denis bestattet.64 Doch die ›Rückeroberung‹ von Saint-Denis sollte nur von kurzer Dauer sein: Ludwig XVIII. war der letzte Bourbonenkönig,
62 Dazu Gersmann 2008. 63 Anfang 1815 wurde auf höchster Ebene offenbar auch über die Exhumierung des
Duc d’Enghien und dessen mögliche Überführung nach Saint-Denis diskutiert, dazu Boulay de la Meurthe 1913, 13–15. 64 Parès 1917, 65 f.
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der – im Jahre 1824 – in Saint-Denis seine letzte Ruhestätte fand. Als sein Bruder Karl X. am 6. November 1836 als verbitterter, von der Juli-Revolution aus Frankreich verjagter Greis im Exil verstarb, wurde er in der heute slowenischen Stadt Nova Gorica begraben. Bis heute haben sich die Slowenen gegen die Herausgabe der königlichen Leiche gewehrt, die 1992/93 anlässlich der Gedenkfeierlichkeiten zur Hinrichtung Ludwigs XVI. nach Saint-Denis verbracht werden sollte. Die Geschichte der Abteikirche von Saint-Denis wird also unabgeschlossen bleiben.
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Johannes Christian Bernhardt
Das Nikemonument von Samothrake und der Kampf der Bilder
Johannes Christian Bernhardt Das Nikemonument von Samothrake und der Kampf der Bilder 2014. 169 Seiten mit 42 Abbildungen. Gebunden. & 978-3-515-10864-5 @ 978-3-515-11018-1
Das Nikemonument von Samothrake gehört zu den bedeutendsten Werken antiker Bildhauerei. Seit seiner Entdeckung 1863 hat es auf moderne Betrachter immer einen besonderen Reiz ausgeübt, ein tieferes Verständnis seiner historischen Bedeutung ist aber nach wie vor ein Problem: Konnte über die grundsätzliche Einordnung der Nikestatue in die hellenistische Zeit schnell Konsens erzielt werden, schwankten die Vorschläge zur genaueren Datierung des Monuments um Jahrhunderte; auch die im 20. Jahrhundert weit verbreitete Vorstellung, das Nikemonument sei von den Rhodiern anläßlich ihrer Seesiege 190 v. Chr. errichtet worden, ist in den letzten Jahren wiederholt in Frage gestellt worden. Johannes Christian Bernhardt unternimmt daher einen neuen Versuch historischer Einordnung, indem er die komplizierte Forschungsdebatte systematisch aufarbeitet, die tragfähigen Anhaltspunkte neu mit dem historischen Kontext verknüpft und die ursprüngliche Aufstellung im Kabirenheiligtum von Samothrake in die Untersuchung einbezieht. Insgesamt führt dies zu einem neuen Verständnis des Nikemonuments als Werk der Diadochenzeit und als Fanal in einem langwierigen Kampf der Bilder. ..................................................................................................
Aus dem Inhalt Das Nikemonument in der Forschung: Die Schlacht von Salamis 306 v. Chr. | Die Schlacht von Kos 255 v. Chr. | Die Schlachten von Side und Myonnesos 190 v. Chr | Schiffstyp und Keramik | Der Stil der Statue p Das Nikemonument und Demetrios Poliorketes: Die Lage nach Ipsos | Die Nikeprägungen | An der thrakischen Chersones | Die Provokation von Samothrake | Thema in Variation p Das Nikemonument und das Kabirenheiligtum: Ein Heiligtum entsteht | Eine Revanche in Stein | Die Einhegung der Provokation | Erneute Provokationen | Eine Kompromißlösung p These und Ausblick p Literaturverzeichnis p Index
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Christian Meier
Die Ohnmacht des allmächtigen Dictators Caesar Drei biographische Skizzen Die Geschichte einer Krise, in den Biographien dreier Männer erzählt. Es spiegelt sich darin eine moderne Problematik in römischem Gewande, das Problem eines Übergangs, in dem die überkommenen Erwartungen scheitern, in dem es aufhört, paradox zu sein, daß lauter Paradoxes geschieht, in dem es erst nach langer Zermürbung der gesellschaftlichen Identität gelingt, wieder Macht über die Verhältnisse zu gewinnen. ..................................................................................................
Aus dem Inhalt
Christian Meier Die Ohnmacht des allmächtigen Dictators Caesar 2., überarbeitete Auflage 2015. 274 Seiten. Gebunden. & 978-3-515-09214-2 @ 978-3-515-11019-8
Die Ohnmacht des allmächtigen Dictators Caesar: Das Problem der Staatsmannschaft Caesars | Caesars Aufstieg bis zum Consulat | Die Struktur der späten römischen Republik. Caesar, Roms Ordnung und die Krise ohne Alternative | Vom ersten Consulat Caesars bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs | Vom Sieg im Bürgerkrieg bis zur Ermordung. Das Problem der Neuordnung | Die Möglichkeiten und die Grenzen Caesars p Cicero. Das erfolgreiche Scheitern des Neulings in der alten Republik: Das Problem: Cicero und die res publica | Herkunft und politischer Aufstieg (106–81 v. Chr.) | Die Konditionen der politischen Laufbahn (81–63 v. Chr.) | Verteidigung des Consulats, Verbannung und Rückkehr |Cicero zwischen den Fronten (60–56 v. Chr.) | Zuwendung zur Philosophie in der neuen Realität nach Lucca | Angesichts des Bürgerkriegs und unter der Herrschaft Caesars | Ciceros Principat und seine Ermordung p Augustus. Die Begründung der Monarchie als Wiederherstellung der Republik: Das Problem: Die Bildung der Alternative | Vom Erben Caesars zum Führer Italiens | Der Erste Bürger (princeps) und die Mühwaltung für das Gemeinwesen
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Rituale und andere performative Vollzüge einerseits und Räume, sakrale und politische Topographien andererseits stehen schon lange im Mittelpunkt des Interesses der modernen Gesellschaftsund Kulturgeschichte. Die diesbezüglichen Potentiale der neueren Forschung zu performativen Medien und ihrem Eingeschriebensein in Räume bzw. Raumordnungen, zu ihrer Bedeutung für die (Selbst)Konstitution von herrschenden Gruppen, Monarchen und anderen Führungsfiguren und damit zur Darstellung respektive sogar zur Herstellung von Macht, Hierarchien und Herrschaft in vormodernen Kulturen – insbesondere im interkulturellen und interepochalen Vergleich – müssen aber erst noch systematisch ausgelotet werden. Dem soll dieser Band dienen, in dem theoretische Grundlagen, methodische Ansätze und Modelle einerseits, empirische Fallstudien zu den ›Syntaxen‹ von Ritualen im Raum andererseits in einen Dialog gebracht werden.
www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag
ISBN 978-3-515-11082-2