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German Pages 450 [471] Year 1975
M. M.
SUSCHTSCHINSKIJ
R a m a n s p e k t r e n v o n Molekülen u n d K r i s t a l l e n
M. M. S U S C H T S C H I N S K I J
RAMANSPEKTREN VON MOLEKÜLEN UND KRISTALLEN Bearbeitet und herausgegeben von Prof. Dr. H E I N R I C H K R I E G S M A N N
Mit 108 Abbildungen
und 58
Tabellen
A K A D E M I E - V E R L A G • B E R L I N
1974
Erschienen im Verlag „Nauka", Hauptredaktion für physikalische und mathematische Literatur, Moskau
Übersetzer: Dr. Kurt Peuker Dipl.-Phys. Christel Peuker
Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger Straße 3—4 © Akademie-Verlag, Berlin, 1974 Lizenznummer: 202 • 100/481/74 Gesamtherstellung: VEB Druckhaus „Maxim Gorki", 74 Altenburg Bestellnummer: 7616590 (5970) • LSV 1215 Printed in GDR EVP 9 8 , -
Vorwort der russischsprachigen Ausgabe I m J a h r e 1968 waren 40 J a h r e seit der E n t d e c k u n g des RAMAN-Effektes vergangen. Die RAMAN-Spektroskopie h a t sich in dieser Zeit einen festen P l a t z u n t e r den vielfältigen Analysen- u n d S t r u k t u r b e s t i m m u n g s m e t h o d e n erobert. I h r e B e d e u t u n g ist ständig im W a c h s e n begriffen. E i n e s p r u n g h a f t e E n t w i c k l u n g der RAMAN-Spektroskopie w u r d e in den letzten J a h r e n d u r c h die Vervollkommn u n g der experimentellen Technik, insbesondere d u r c h den E i n s a t z von L a s e r n als Erregerlichtquellen, hervorgerufen. D u r c h die E i n f ü h r u n g neuer Untersuchungsm e t h o d e n ist es möglich geworden, die bis vor wenigen J a h r e n übliche Beschränk u n g der A n w e n d u n g des RAMAN-Effektes auf durchsichtige S u b s t a n z e n zu überwinden, u n d a u c h RAMAN-Spektren von Kristallpulvern u n d absorbierenden Substanzen zu erhalten. I n ähnlicher Weise sind die A n f o r d e r u n g e n a n die Menge der S t r e u s u b s t a n z b e d e u t e n d gesunken. Alles das h a t dazu beigetragen, d a ß sich die Klasse der f ü r RAMANspektroskopische U n t e r s u c h u n g e n geeigneten S u b s t a n z e n beachtlich erweitert h a t . Parallel zur A u s d e h n u n g des praktischen Anwendungsgebietes des RAMANE f f e k t e s zeichnet sich in den letzten J a h r e n eine v e r s t ä r k t e U n t e r s u c h u n g seiner physikalischen N a t u r a b . Besonderes Interesse rief die E n t d e c k u n g einer n e u e n Erscheinung der nichtlinearen Optik, der stimulierten RAMAN-Streuung, h e r v o r . Diese E n t d e c k u n g warf eine R e i h e von F r a g e n auf, die die N a t u r des RAMANE f f e k t e s u n d dessen Stellung u n t e r v e r w a n d t e n physikalischen Vorgängen betreffen. I m Z u s a m m e n h a n g mit der sich erweiternden A n w e n d u n g des RAMANE f f e k t e s u n d neuen E n t d e c k u n g e n auf diesem Gebiet w u r d e die A u f m e r k s a m k e i t eines großen Kreises von P h y s i k e r n u n d Chemikern auf den RAMAN-Effekt gelenkt. Obwohl der RAMAN-Spektroskopie eine umfangreiche L i t e r a t u r gewidmet ist, gibt jedoch n u r PLACZEK in seiner Monographie eine hinreichend tiefe u n d systematische B e h a n d l u n g der allgemeinen P r o b l e m e dieser Erscheinung. Dieses seinem U m f a n g n a c h kleine u n d relativ schwer zu lesende B u c h erschien in russischer Sprache im J a h r e 1935 u n d ist längst zu einer bibliophilen Seltenheit geworden. Andere auf diesem Gebiete veröffentlichte B ü c h e r sind vorwiegend der Meßmethodik gewidmet oder umfassen n u r einen relativ kleinen, die A n w e n d u n g der RAMAN-Snektroskopie in der Chemie b e t r e f f e n d e n Problemkreis. D a n e b e n existiert e i r e R e i h e von Arbeiten zur Berechnung von Molekülschwingungsspektren, in denen jedoch die B e h a n d l u n g des RAMAN-Effektes selbst n u r eine zweitrangige Stellung e i n n i m m t . Mit dem vorliegenden B u c h wird der Versuch u n t e r n o m m e n , die in der L i t e r a t u r v o r h a n d e n e L ü c k e zu schließen, u n d eine systematische Darlegung der f ü r das Verständnis des physikalischen Wesens des RAMAN-Effektes u n d seines
VI
Vorwort der russischsprachigen
Ausgabe
Zusammenhangs mit anderen optischen Vorgängen notwendigen Grundfragen zu gelten. Darüber hinaus soll das B u c h einen Eindruck über die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten des RAMAN-Effektes bei der Untersuchung von Substanzeigenschaften vermitteln. Hierzu gehören vor allem Aussagen über den chemischen Aufbau, die geometrische Konfiguration und die zahlreichen geometrischen, dynamischen und elektrooptischen Parameter der Moleküle. Spezielle Kapitel sind den RAMAN-Spektren von Kristallen und dem stimulierten RAMAN-Effekt gewidmet. Das B u c h wendet sich an einen breiten Kreis von Wissenschaftlern, die sich mit dem RAMAN-Effekt beschäftigen, jedoch nicht über Spezialkenntnisse auf diesem Gebiet verfügen. Die Darstellung einer Reihe von Problemen wird erforderlichenfalls durch erläuterndes Material ergänzt. I n einigen Fällen werden im geringen Umfange notwendige mathematische Angaben gemacht. E s ist klar, daß dabei keine Strenge und Systematik der Darstellung angestrebt werden konnte. Auf die Berechnung von Molekülschwingungen wird nur soweit eingegangen, wie das für das Verständnis der hier behandelten Probleme erforderlich ist. Fragen der experimentellen Technik werden nur in einigen Fällen im Zusammenhang mit wenig bekannten oder neuen Untersuchungsmethoden beschrieben. Die im Buch angeführten experimentellen Daten dienen hauptsächlich zur Illustration der Grundprobleme und stellen deshalb nur einen kleinen Ausschnitt aus dem vorliegenden experimentellen Material dar. Die Zitierung der einschlägigen Literatur erhebt ebenfalls keinen Anspruch auf Vollständigkeit, selbst dann nicht, wenn eine Frage relativ ausführlich dargestellt wird. Abschließend möchte ich W . S. GOKELIK für seine wertvolle Hilfe bei der Abfassung der Paragraphen 18 bis 21 danken sowie T . I . KUSNEZOWA, W . A.
SUBOW, L . A . SCHELEPIN u n d I . K . SCHUWALOW für D i s k u s s i o n e n ü b e r einige
Abschnitte dieses Buches. W . P . SOTSCHELNIKOWA danke ich für ihre große Hilfe bei der Anfertigung des Manuskriptes. Der Autor ist JA. S. BOBOWITSCH und CH. E . STERIN für die kritische Durchsicht des Manuskriptes und für wertvolle Hinweise zu Dank verpflichtet. M. M.
SuschtschinsJcij
Vorwort des Herausgebers Die von Prof. Suschtschinskij in seinem Vorwort a n g e f ü h r t e rasche Entwicklung der RAMAN-Spektroskopie — vor allem durch den Einsatz von Lasern als Lichtquelle bedingt — h a t auch in den 2 1 / 2 J a h r e n seit Erscheinen der russischen Ausgabe unvermindert angehalten. Da sich die Monographie überwiegend mit der Theorie der R a m a n s p e k t r e n und einigen Anwendungsaspekten beschäftigt, apparative Belange dagegen nur a m R a n d e behandelt werden, k o n n t e bei der deutschsprachigen Bearbeitung weitgehend auf das Einarbeiten jüngster Veröffentlichungen verzichtet werden. I m Kapitel ,,Ramanspektren von Kristallen" haben wir den Tabellen der Auswahlregeln von L O U D O N diejenigen von P O U L E T u n d M A T H I E U zugefügt, die zur Zeit des Erscheinens der Originalausgabe noch nicht vorlagen. Der besonders schnellen Entwicklung des sehr jungen stimulierten R A M A N E f f e k t e s (Kapitel IV) haben wir durch Angabe einiger uns besonders wichtig erscheinender Literaturzitate der jüngsten Zeit R e c h n u n g getragen. Auch hier gilt wie f ü r das Original, d a ß die Erfassung aller L i t e r a t u r nicht beabsichtigt war. H e r r n Prof. Brandmüller danken wir f ü r viele wertvolle Hinweise. H e r r n Dr. Lau f ü r seine Hilfe bei der Bearbeitung des IV. Kapitels. Übersetzer u n d Herausgeber hoffen, d a ß der vorliegende B a n d die v o n u n s e m p f u n d e n e Lücke in der deutschsprachigen F a c h l i t e r a t u r schließt u n d gleichzeitig viele bisher nur schwer zugängliche Ergebnisse sowjetischer Fachkollegen erschließt. H. Kriegsmann
Inhalt
1.
Vorwort der russischsprachigen Ausgabe
V
Vorwort der deutschsprachigen Ausgabe
VII
Allgemeine Theorie des RAMAN-Effektes
1
§ 1. Einleitung § 2. Der Streutensor § 3. Untersuchung der Indikatrix der RAMAN-Streuung § 4. Quantentheorie der Wechselwirkung von Strahlung und Materie § 5. Intensität der RAMAN-Linien § 6. Streutensor und Polarisierbarkeit des Moleküls § 7. Quantentheorie der Schwingungsübergänge 2.
RAMAN-Spektren und Molekülstruktur § 8. Rotations-RAMAN-Spektren § 9. Schwingungsspektren und Molekülsymmetrie § 10. Methoden zur Berechnung von Molekülschwingungen 1. Kleine Schwingungen eines Systems von Massenpunkten . . . 2. Berechnung der Frequenzen und Schwingungsformen 3. Intensitätsberechnungen für RAMAN-Linien
2 3 19 25 45 64 70 82 82 98 114 114 121 154
§ 11. Charakteristische Linien in den Schwingungs-RAMAN-Spektren 160 § 12. Anwendung des 1. Strukturanalyse 2. Strukturanalyse 3. Strukturanalyse
RAMAN-Effektes für Strukturanalysen . . . . von Paraffinen von Naphthenen von ungesättigten Kohlenwasserstoffen . . .
§ 13. Einfluß der Wechselwirkung von Atomen und Atomgruppen in größeren Molekülen auf das RAMAN-Spektru m 1. Konjugation von Mehrfachbindungen 2. Konjugation in komplizierten Systemen 3. Zusammenhang zwischen spektralen Eigenschaften und Reaktionsfähigkeit einiger aromatischer Verbindungen § 14. Rotationsisomerie und Torsionsschwingungen 1. Schwingungsspektren und Rotationsisomerie 2. Torsionsschwingungen in RAMAN-Spektren § 15. Spektren zweiter Ordnung und Anharmonizität der Molekül Schwingungen
173 173 176 179 184 184 190 192 193 193 199 205
X
Inhalt 1. RAMAN-Spektren zweiter Ordnung 2. Berücksichtigung der Anharmonizität bei der Berechnung von Molekülspektren 3. Intensität der Linien zweiter Ordnung 4. Resonanzaufspaltung der RAMAN-Linien (FERMI-Resonanz)
211 215 218
§ 16. Rotationsstruktur der RAMAN-Linien
224
§ 17. RAMAK-Spektren und zwischenmolekulare Wechselwirkung 1. Einfluß der zwischenmolekularen Wechselwirkung auf die Frequenz der RAMAN-Linien 2. Zwischenmolekulare Wechselwirkungen und die Linienbreite im RAMAN-Effekt von Flüssigkeiten 3. Einfluß der zwischenmolekularen Wechselwirkung auf die Intensität der RAMAN-Linien 4. Spezifische Wechselwirkungen zwischen den Molekülen und ihr Einfluß auf die RAMAN-Spektren
238
3.
RAMAN-Spektren von Kristallen
239 249 256 261
270
§ 18. Symmetrie des Kristallgitters
270
§ 19. 1. 2. 3.
276 276 279
Schwingungsspektren von Kristallen Schwingungen eines eindimensionalen Gitters Allgemeine Theorie der harmonischen Kristallschwingungen Allgemeine Klassifikation der Grundschwingungen der Kristalle Schwingungen von Kristallen mit komplizierten Atomgruppen Theorie von RAMAN zur Dynamik des Kristallgitters Polare Schwingungen des Kristallgitters Beispiel für die gruppentheoretische Klassifizierung der Gitterschwingungen
301
RAMAN-Streuung erster Ordnung an Kristallen Theorie der Intensität der RAMAN-Streuung an Kristallen. . . Auswahlregeln für die RAMAN-Spektren erster Ordnung . . . . RAMAN-Spektren erster Ordnung der einfachsten Kristalle. .
304 304 307 314
§ 21. Einige typische Fälle der RAMAN-Streuung an Kristallen . . . 1. Molekülkristalle 2. Untersuchungen der RAMAN-Spektren von Kristallen bei Phasenübergängen 3. Lichtstreuung an piezoelektrischen Kristallen 4. RAMAN-Spektren zweiter Ordnung
319 319 330 338 340
§ 22. RAMAN-Spektren von dispersen Systemen
353
4. 5. 6. 7. § 20. 1. 2. 3.
4.
205
Stimulierter RAMAN-Effekt § 23. Linienintensität des stimulierten RAMAN-Effektes und die Abhängigkeit von den Anregungsbedingungen 1. E r s t e experimentelle Resultate 2. Halbklassische Theorie der stimulierten RAMAN-Streuung . . 3. Quantentheorie der stimulierten RAMAN-Streuung 4. Untersuchungen der Schwelle der stimulierten RAMANStreuung
287 292 293 294
363 363 363 367 371 382
Inhalt § 24. Intensitätsverteilung und Linienbreite in den stimulierten RAMAN-Spektren 1. Einige Besonderheiten der Intensitätsverteilung in den stimulierten Ramah-Spektren 2. Inverser RAMAN-Effekt 3. Quantentheorie der Intensitätsverteilung in den stimulierten RAMAN-Spektren 4. Stimulierter RAMAU-Effekt als Erscheinung der nichtlinearen Optik 5. Breite und Profil der stimulierten RAMAN-Linien 6. Experimentelle Untersuchungen der Intensitätsverteilung in stimulierten RAMAN-Spektren § 25. Winkelverhalten der stimulierten RAMAN-Streuung 1. Besonderheiten der Winkelverteilung der stimulierten RAMAN-Streuung 2. Asymmetrie der Indikatrix der stimulierten R a m a n Streuung 3. Mögliche Erklärungen der Winkelverteilung im stimulierten RAMAX-Effekt '. 4. Selbstfokussierung und ihr Einfluß auf den stimulierten RAMAN-Effekt Literatur
386 386 387 389 397 402 403 409 409 415 418 421 424
1.
Allgemeine Theorie des Raman-Effektes
§ 1.
Einleitung
Der IIAMAN-Effekt gehört zu den Prozessen, die d u r c h die Wechselwirkung von S t r a h l u n g u n d Materie b e d i n g t sind. F ü r die RAMAN-Streuung ist eine Verschieb u n g der F r e q u e n z der Streustrahlung gegenüber der F r e q u e n z der P r i m ä r s t r a h lung (Erregerstrahlung) charakteristisch. D a b e i geht jedoch das s t r e u e n d e System — im Unterschied etwa zur Lumineszenz, die ebenfalls eine S e k u n d ä r strahlung mit verschobener F r e q u e n z darstellt — nicht f ü r endliche (und sei es noch so kleine) Zeitintervalle in den angeregten Z u s t a n d über. Diese Z u s t ä n d e spielen im R a h m e n eines Streuprozesses die Rolle virtueller Z u s t ä n d e (siehe §4). Der RAMAN-Effekt w u r d e 1928 von L A N D S B E R G u n d M A N D E L S T A M bei der U n t e r s u c h u n g der L i c h t s t r e u u n g an Kristallen [1] u n d gleichzeitig von R A M A N u n d K R I S H N A N bei der U n t e r s u c h u n g der L i c h t s t r e u u n g a n Flüssigkeiten [2] e n t d e c k t . L a n g e Zeit vor dieser E n t d e c k u n g h a t t e L O M M E L [3] eine m a t h e m a t i s c h e Theorie f ü r die L i c h t s t r e u u n g a n einem a n h a r m o n i s c h e n Oszillator entwickelt. N a c h L O M M E L t r e t e n im Streulicht verschobene F r e q u e n z e n — der S u m m e n - u n d Differenzton der eingestrahlten F r e q u e n z m i t der E i g e n f r e q u e n z des Oszillators — auf. 1923 h a t S M E K A L [4] bei der B e t r a c h t u n g der Übergangsprozesse von A t o m e n zwischen verschiedenen Z u s t ä n d e n u n t e r d e m E i n f l u ß von L i c h t q u a n t e n der F r e q u e n z v gezeigt, d a ß die Streustrahlung die F r e q u e n z e n v i AE/h e n t h ä l t . AE ist dabei die Energiedifferenz zwischen den b e t r a c h t e t e n Z u s t ä n d e n u n d h d a s W i r k u n g s q u a n t u m . Diese theoretischen Voraussagen ü b t e n jedoch keinen E i n f l u ß auf die E n t d e c k u n g des RAMAN-Effektes aus. M A N D E L S T A M u n d L A N D S B E R G gelang ihre E n t d e c k u n g bei der Suche einer F r e q u e n z v e r s c h i e b u n g des Streulichtes, hervorgerufen d u r c h Modulation der F r e q u e n z der auf die S u b s t a n z einfallenden Lichtwelle mit den Eigenfrequenzen der S u b s t a n z . R A M A N ging von der Suche eines optischen Gegenstückes z u m COMPTON-Effekt aus. I n den seit der E n t d e c k u n g des RAMAN-Effektes vergangenen 40 J a h r e n sind u n g e f ä h r 8000 Arbeiten hierüber veröffentlicht worden. E i n neuer Zweig der Molekülspektroskopie — die RAMAN-Spektroskopie — ist e n t s t a n d e n , deren U n t e r s u c h u n g s m e t h o d e n (neben denen der I n f r a r o t s p e k t r o s k o p i e ) breite Anwend u n g bei der B e s t i m m u n g der Zusammensetzung u n d S t r u k t u r von V e r b i n d u n g e n u n d in der Molekülspektralanalyse gefunden h a b e n . Bei der E r f o r s c h u n g der RAMAN-Streuung selbst d e u t e t sich eine R e i h e neuer selbständiger R i c h t u n g e n a n . Eine auch n u r halbwegs vollständige Theorie des RAMAN-Effektes k a n n n u r auf der Grundlage quantentheoretischer Vorstellungen entwickelt werden.
2
Allgemeine Theorie des
Raman-Effektes
Andererseits gestattet die einfache klassische Theorie, wichtige Züge dieser Erscheinung zu beschreiben. Die physikalischen Grundprinzipien, auf denen die klassische Theorie des RAMAN-Effektes aufbaut, können folgendermaßen formuliert werden: 1. Der Mechanismus der Lichtstreuung besteht darin, daß im Molekül durch die Einwirkung der einfallenden Lichtwelle ein Dipolmoment induziert wird, das erzwungene Schwingungen ausführt. 2. I m sichtbaren Bereich und im nahen Ultraviolett erfolgt die Lichtstreuung hauptsächlich durch die Elektronenhülle des Moleküls; die Atomkerne — das „Molekülskelett" — verschieben sich nur wenig. 3. Der RAMAN-Effekt beruht auf der Kopplung zwischen K e r n - und Elektronenbewegung; durch die jeweilige Kernkonfiguration wird das für die Bewegung der Elektronenhülle maßgebliche innere Feld bestimmt. Dadurch wird das Deformationsvermögen der Elektronenhülle gegenüber dem F e l d der Lichtwelle von der augenblicklichen Kernkonfiguration abhängig. B e i einer Schwingungsbewegung der K e r n e um ihre Gleichgewichtslagen (oder einer andersgearteten periodischen Bewegung, wie z. B . der Rotation) ändert sich das Deformationsvermögen der Elektronenhülle mit der Frequenz der Kernschwingungen. Die Deformation der Elektronenhülle kann ihrerseits Schwingungen des Molekülskeletts hervorrufen. I m Ergebnis haben wir es mit einer komplizierten Wechselwirkung der Atomrümpfe mit den Elektronen zu tun. U n t e r diesem allgemeinen Gesichtspunkt ist der RAMAN-Effekt aufzufassen als die Folge einer Modulation des induzierten Dipolmomentes mit den Schwingungen des Molekülskelettes. Auf ein Molekül soll eine Lichtwelle E = E0 cos (o>t) auftreffen. Das durch die Lichtwelle induzierte Dipolmoment P des Moleküls ist (1.1)
P(t) = ¡ auf, d. h., es findet eine Streuung mit Frequenzverschiebung s t a t t . Wie oben schon erwähnt wurde, ließen sich LANDSBERG und MANDELSTAM bei ihren Experimenten gerade von der Idee einer Modulation des Lichtes mit den Eigenfrequenzen der Streusubstanz leiten. Nach (1.3) ist die Intensität der RAMAN-Linien dem Quadrat der Ableitung der Polarisierbarkeit nach der Schwingungskoordinate propoi tional. B e i Berücksichtigung von Gliedern höherer Ordnung in der Entwicklung (1.2) läßt sich auf ganz analoge Weise die Intensität der Ober- und Kombinationstöne mit den entsprechenden Größen usw. verknüpfen.
§ 2.
Streutensor
I m allgemeinen Falle besitzt das streuende System eine gewisse Anisotropie, d. h. seine Eigenschaften sind richtungsabhängig. I n einem solchen System wird also das Vermögen der Elektronen, sich unter der Einwirkung des elektrischen Feldes aus ihren Gleichgewichtslagen zu verschieben, von der R i c h t u n g des Feldes bezüglich bestimmter ausgezeichneter Achsen des betrachteten Systems abhängig sein. Infolgedessen wird im allgemeinen die R i c h t u n g des induzierten Dipolmomentes P nicht mit der R i c h t u n g des elektrischen Vektors E der Erregerstrahlung übereinstimmen. I n diesem Abschnitt soll angenommen werden, daß die Streuung an einzelnen Molekülen erfolgt (die Streuung an Kristallen wird im K a p . 3. behandelt). X, Y, Z sei ein raumfestes und x, y, z ein molekülfestes Koordinatensystem (Abb. 1). Dieses sei beliebig im raumfesten Koordinatensystem X, Y, Z orientiert. Sind Ek z
Y y x Abb. 1: Raumfestes Koordinatensystem ( X , Y, Z) und molekülfestes Koordinatensystem (x, y, z).
4
Allgemeine Theorie des
Raman-Effektes
die Komponenten des Vektors E im System x, y, z, so kann man die Komponenten des Vektors P im allgemeinen Falle in der Form P i = L
ßikEk
k
(i,k
=
(2.1)
x,y,z)
schreiben. Die Gesamtheit der Größen ßik, die in allgemeiner Form die Eigenschaften des Streulichtes bestimmen, heißt S t r e u t e n s o r . Der Tensor ßik wird durch die Matrix seiner Komponenten vorgegeben: ßll ßl2 ßis WßikW = ßil
(2.2)
ß%2 ßü ßzi ßiS
Die Komponenten des Streutensors sind im allgemeinen komplex und haben keine Symmetrieeigenschaften.1) Der Zusammenhang des Streutensors mit den Eigenschaften des streuenden Moleküls (speziell mit seiner Polarisierbarkeit) kann nur mit Hilfe der Quantenmechanik hergestellt werden. Wir wollen uns hier auf die Betrachtung einiger allgemeiner Eigenschaften des Streutensors beschränken. Der Streutensor kann, wie jeder Tensor, in die Summe von einem symmetrischen Sik(Ski — Sik) und einem antisymmetrischen Teil aik(aki = —aik,aii = 0) zerlegt werden: ßik =
Sik
+
(2.3)
aik.
Dazu schreiben wir den Streutensor in der Form ßik =
{ßik + ßki) + -jj- (ßik ~ ßki) •
Mit den Bezeichnungen Y
Sit =
(ßik +
o« =
ßki),
Y
Iß* -
ß*i)
(2-4)
gelangen wir offensichtlich zu Formel (2.3). Der Streutensor läßt sich vereinfachen, indem man als molekülfestes Koordinatensystem das sogenannte Hauptachsensystem des Moleküls wählt. Unter bestimmten Voraussetzungen bezüglich der Symmetrie kann der Streutensor durch Hauptachsentransformation auf Diagonalform gebracht werden. Ganz allgemein werden diese Symmetrieeigenschaften durch die Beziehung BB+
=
(2.5)
B+B
ausgedrückt [5], Hierin bedeutet B die zu B adjungierte Matrix. Ihre Komponenten genügen der Bedingung +
Eine Matrix, die die Bedingung (2.5) erfüllt, besitzt offensichtlich die Eigen schaft Bit = Bit )
J
(2.7)
Anmerkung des Herausgebers: Der Streutensor besitzt Symmetrieeigenschaften. Daraus leiten sich Beziehungen zwischen den Komponenten ab.
Streutensor 5 oder B+ =
B.
Eine solche Matrix (oder entsprechend Tensor) heißt h e r m i t e s c h . Aus (2.7) folgt, daß f ü r hermitesche Matrizen die H a u p t w e r t e Bkk = Bk reell sind. F ü r symmetrische Matrizen nimmt die Bedingung (2.6) die Gestalt _
R*
ik — nik an, d. h. B+ = B*. Setzt m a n B = B1 + iB2, wobei Bt und B2 reelle symmetrische Matrizen sind, so wird die Bedingung (2.5) f ü r symmetrische Matrizen der Forderung B2BV = B,B2
(2.8)
äquivalent. Das ist offenbar erfüllt, wenn die Matrizen B1 und B2 mit Hilfe ein und derselben Koordinatentransformation auf Diagonalform gebracht werden können. Dabei ist Bkk = Blkk + iB2kk, d. h., die H a u p t w e r t e von symmetrischen Matrizen sind komplex. Wir wollen annehmen, daß für den uns interessierenden symmetrischen Teil Si k des Streutensors die Bedingung (2.8) erfüllt ist. D a n n läßt sich dieser Tensor im Hauptachsensystem in Diagonalform darstellen &0 ßik II =
0
o ß20
+
0 0 ß3
0
a12
a
0
— «13
a
12
«13
«23 0 23
Die Konstanten ßti = ß{ und aik beschreiben die Eigenschaften des streuenden Moleküls. Wir berechnen nun das Feld der gestreuten Welle, d. h. der Welle, die von dem induzierten Dipol ausgestrahlt wird, in Entfernungen vom System, die groß sind im Vergleich zu den Abmessungen des Systems. F ü r das elektrische Feld E' und das Magnetfeld H' der vom System mit dem Moment P ausgestrahlten Welle gilt nach der allgemeinen Theorie der elektromagnetischen Wellen (vgl. z. B. [6]) E' = ¿ [ [ P n ' ] n ' ] ,
H
'
=
^R[Ptl']'
(2.10)
{2
"n)
wobei n ' der Einheitsvektor in Streurichtung ist und R die Entfernung vom System zum Beobachtungspunkt. Die Intensität dl der Strahlung im Raumwinkelelement dü ist diejenige Energiemenge, die in der Zeiteinheit durch das Element B2dQ der Kugeloberfläche gelangt, deren Zentrum im Koordinatenursprung liegt u n d die einen Radius R besitzt. Die Streuintensität in Richtung n' ist [6] dl = 2
Suschtschinskij
471
\H'\2R*dQ.
(2.12)
6
Allgemeine Theorie des Raman-Effelctes
Setzen wir für H ' den Ausdruck (2.11) ein, so finden wir dl =
4:7rc"
(2.13)
\{Pn']\*dQ.
Wir können voraussetzen, daß die Dipolschwingungen harmonisch sind und die Frequenz W' haben (im allgemeinen ist co' =|= CD) : P = P 0 e i « /( ., Dabei gilt P =
— o>'2P.
(2.14) E s ist somit (2.15)
Durch die Wahl eines speziellen raumfesten Beobachtungssystems läßt sich der Ausdruck (2.15) vereinfachen. Wir legen die Z-Achse in Richtung n ' und die X-Achse in die Ebene der Vektoren n ' und JE1). Die Y-Achse stehe senkrecht auf der genannten Ebene (Abb. 2). Verstehen wir unter i, j, k die Einheitsvektoren entlang der Koordinatenachsen X, Y, Z, so können wir schreiben Px Py [Pn'] [P*n']
=
0
i
Pz
Px*
1
k
0
j
Py*
Pz*
0
0
1
i
j
k
PrPr*
PyPy*•
Abb. 2: Koordinatensystem, in dem das Streulicht beobachtet wird.
Die Streuintensität geht dabei über in dl = ^
(PXPX*
+ PyPy*)
(2.16)
dß,
d. h. eine Summe aus zwei Komponenten Ix
PXPX*
und IY ^ l y t y , VOn
Wir nehmen an, daß die einfallende Lichtwelle linear polarisiert ist; dann kann ihre Amplitude jE0 reell gewählt werden.
Streutensor
7
denen jede auf eine bestimmte Achse in dem gewählten Koordinatensystem bezogen ist. Das Verhältnis der beiden Komponenten p= ^
(2.17)
ix
wird als Depolarisationsgrad bezeichnet. E s sei 6 der Winkel zwischen der Streurichtung n' und der Richtung elektrischen Vektors E der einfallenden Welle, also Ex = E sin 0,
Ey = 0 ,
Ez = E cos 0.
des
(2.18)
Durch die Formel (2.16) wird die Streuintensität eines Moleküls beschrieben. Bei der RAMAN-Streuung kann man annehmen, daß bei nicht zu großen einfallenden Strahlungsleistungen die Moleküle unabhängig voneinander streuen. Die Strahlung verschiedener Moleküle ist demnach inkohärent (der Fall kohärenter Streuung soll im Kap. 4. behandelt werden). Die gesamte in eine Richtung gestreute Intensität ist der Anzahl der Moleküle N proportional, wobei in (2.16) die Mittelung über alle Orientierungen der Moleküle in bezug auf das raumfeste Koordinatensystem auszuführen ist. Zur Vereinfachung der Schreibweise wollen wir nun die auf das molekülfeste Koordinatensystem bezogenen Komponenten stets mittels der Buchstaben i, k (i, k = x, y, z) und die auf das raumfeste Koordinatensystem bezogenen Komponenten mittels der Buchstaben l, m (l, m = X, Y, Z) indizieren. Die Richtungskosinus wollen wir mit nu bezeichnen, wobei sich der erste Index stets auf das molekülfeste und der zweite auf das raumfeste Koordinatensystem bezieht, z. B . cos (x, F ) = %2> cos (y, X) = ra21 usw. Der Zusammenhang zwischen den Komponenten des elektrischen Vektors E der einfallenden Lichtwelle im molekülfesten und im raumfesten Koordinatensystem ist gegeben durch Ek
=
(2.19)
Z nkmEm m
und entsprechend Pi=Zn i
Einsetzen von Pi = =
u
Pi.
(2.20)
aus (2.1) liefert unter Verwendung von (2.19) E i
M E
Lfc
ß M
E ßiknilnkmEm ikm
J =
=
L i E m
M L
Lfc
Em
ßiu IE
\«i
E ßiknuKkm • ik
nkmEm\] Ii (2-21)
Mit Hilfe von (2. 21) bilden wir jetzt die in den Ausdruck für die Streuintensität eingehenden Produkte PXP* und P 2 7 > 2 *. Sie haben die Gestalt P,P,*
= E
E
ikm i'k'm'
ßikßt'rnunkmnvtnk.m,EmEm..
(2.22)
Die Produkte (2.22) müssen noch über alle Richtungen des Moleküls, d. h. über 2*
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Allgemeine Theorie des Raman-Effektes
alle Orientierungen des molekülfesten Koordinatensystems bezüglich des raumfesten gemittelt werden. U m diese Rechnung auszuführen, müssen wir die räumlich gemittelten Produkte der Richtungskosinus nnnkmni'ink-m' berechnen. Das kann auf folgende Weise geschehen. Es sei # der Winkel zwischen der ¿-ten Achse des molekülfesten Koordinatensystems und der /-ten Achse des raumfesten. Betrachten wir hier diesen Winkel als Polarwinkel eines sphärischen Koordinatensystems (r, « = ^ 5
(»4=4)-
(2.24b)
W e n n wir in ähnlicher Weise das Quadrat der zweiten Identität bilden, so erhalten wir 1 = ——.
nunimnklnkm
(2.25)
Mitteln wir schließlich das Produkt (nu
+
nL
+
n%) «
+
n\m +
n\p) =
1,
so hat man +
6«f,ML = 1,
»?/»i»=ig
(*=M,
Die übrigen Mittelwerte der Produkte der Kosinus sind identisch Null.
(2.26)
Streutensor
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E s sei hier bemerkt, d a ß in der Formel (2.25) jeder Index zweifach a u f t r i t t . I n die übrigen Formeln gehen die Quadrate der Richtungskosinus ein, d. h.,sie enthalten ebenfalls eine gerade Anzahl gleicher Indizes. Hieraus k a n n man schließen, d a ß Terme der Gestalt (2.22), in denen irgendein I n d e x nur einmal a u f t r i t t , fortfallen. Diese Regel hat zur Folge, daß in dem gemittelten Ausdruck (2.22) nur Glieder mit m = m' stehen bleiben und damit dieser Ausdruck die F o r m haben m u ß : PiPi* = E ßaßT'i'nuntmni.lnt.mEm*. iki'k'm
(2.27)
Bezüglich der Indizes i, k, k' sind drei Varianten möglich: ], i — k, i' = kf; % —— x , k — k , 3» % — — k ,k —t * Zur weiteren Vereinfachung des Ausdrucks (2.27) unter Berücksichtigung der aufgezählten Indexkombinationen machen wir von der Zerlegung des Streutensors in einen symmetrischen und antisymmetrischen Teil gemäß (2.3) Gebrauch: ßaßt-v =
+ «*) (SiV + «