221 69 90MB
German Pages 338 [340] Year 1997
Linguistische Arbeiten
370
Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Herbert E. Brekle, Gerhard Heibig, Hans Jürgen Heringer, Heinz Vater und Richard Wiese
Ira Gawlitzek-Maiwald
Der monolinguale und bilinguale Erwerb von Infinitivkonstruktionen Ein Vergleich von Deutsch und Englisch
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1997
Für Benny, Lisa, Paul, Adam, Hannah und Laura ohne die es diese Arbeit nicht gäbe
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Gawlitzek-Maiwald, Ira: Der monolinguale und bilinguale Erwerb von Infinitivkonstruktionen : ein Vergleich von Deutsch und Englisch / Ira Gawlitzek-Maiwald. - Tübingen : Niemeyer, 1997 (Linguistische Arbeiten ; 370) ISBN 3-484-30370-0
ISSN 0344-6727
© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1997 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Buchbinder: Industriebuchbinderei Hugo Nadele, Nehren
Inhalt Vorwort Verzeichnis der Graphiken Verzeichnis der Tabellen Abkürzungsverzeichnis Konventionen in den Kinderäußerungen 1 Einleitung l. l Allgemeine Vorbemerkungen — Ziele der Arbeit 1.2 Der Untersuchungsgegenstand 1.3 Erste Überlegungen zur Erwerbsaufgabe 1.4 Zur Struktur der Arbeit 2 Infinitivkonstruktionen — Empirie und Theorie 2.1 Infinitivkonstruktionen im heutigen Englisch 2.1.1 Englische Infinitivkonstruktionen mit und ohne Partikel 2.1.2 Matrixelemente 2.1.3 Syntaktische Funktionen 2.1.4 Übersicht über die englischen Infinitivkonstruktionen 2.2 Infinitivkonstruktionen im heutigen Deutsch 2.2.1 Deutsche Infinitivkonstruktionen mit und ohne Partikel 2.2.2 Matrixelemente 2.2.3 Syntaktische Funktionen 2.2.4 Übersicht über die deutschen Infinitivkonstruktionen 2.3 Problemfälle 2.3.1 Die Differenzierung oberflächlich gleicher Konstruktionen 2.3.2 Kontrolle 2.3.3 Fakultativ kohärente Infinitivkonstruktionen im Deutschen 2.4 Vergleich der Infinitivkonstruktionen im Deutschen und Englischen 2.5 Faktoren, die den Erwerb von Infinitivkonstruktionen beeinflussen 2.6 Noch einmal: Die Erwerbsaufgabe aus einer generelleren Perspektive 2.7 Zusammenfassung
ix xii xiv xiv l l 4 7 8 11 13 16 24 24 25 26 30 36 37 38 39 39 41 42 43 46 48 50
3 Infinitivkonstruktionen in der gesprochenen Sprache: eine synchrone Bestandsaufnahme 53 3.1 Deutsch 54 3.1.1 Ergebnisse aus der Literatur zum Deutschen 54 3.1.2 Stichprobe zum Gebrauch von Infinitivkonstruktionen im gesprochenen Deutsch 58
VI
3.2 Englisch 61 3.2. l Ergebnisse aus der Literatur zum Englischen 61 3.2.2 Stichprobe zum Gebrauch von Infinitivkonstruktionen im gesprochenen Englisch 65 3.3 Schlußfolgerungen für den Erwerb von Infinitivkonstruktionen 66 4 Spracherwerb: Zum Forschungungsstand 4.1 Deutsch 4.1.1 Von einfachen zu komplexen Sätzen 4.1.2 Der Erwerb der Infinitivkonstruktionen 4.2 Englisch 4.2.1 Vom einfachen zum komplexen Satz: ein Kurzüberblick 4.2.2 Der Erwerb der Infinitivkonstruktionen 4.3 Bilingualismus: \\as wir (nicht) wissen 4.3.1 Ein System oder zwei? 4.3.2 Sprachkontaktphänomene 4.3.2.1 Allgemeine Überlegungen 4.3.2.2 Illustrative Beispiele 4.3.3 Doppelter Erstspracherwerb Deutsch und Englisch 4.4 Ein vorläufiges Fazit
69 70 70 76 85 85 90 98 101 103 103 108 110 116
5 Method(olog)ische Überlegungen 5.1 Allgemeine Überlegungen 5.2 Erwerbsmodelle 5.3 Spracherwerb aus der Perspektive des Kindes 5.4 Die Art der Datenerhebung 5.5 Präsentation der Daten und Struktur der empirischen Kapitel
119 119 122 124 126 128
6 Monolinguale Fallstudien 6.1 Benny 6.1.1 Benny: Von einfachen zu komplexen Sätzen 6.1.2 Benny: Die Entwicklung der Infinitivkonstruktionen 6.2 Paul 6.2. l Paul: Von einfachen zu komplexen Sätzen 6.2.2 Paul: Die Entwicklung der Infinitivkonstruktionen 6.3 Lisa 6.3.1 Lisa: Von einfachen zu komplexen Sätzen 6.3.2 Lisa: Die Entwicklung der Infinitivkonstruktionen 6.4 Zusammenfassender Vergleich der monolingualen Erwerbsverläufe
133 133 134 138 149 150 152 163 164 165 175
Vll
7
Bilinguale Fallstudien 179 7.1 Hannah 179 7.1.1 Das deutsche System 182 7.1.1.1 Hannah: Zum einfachen deutschen Satz 182 7.1.1.2 Hannah: Zu finiten, komplexen deutschen Sätzen 184 7.1.1.3 Hannah: Die Entwicklung der deutschen Infinitivkonstruktionen 187 7.1.2 Das englische System 193 7.1.2.1 Hannah: Zum einfachen englischen Satz 194 7.1.2.2 Hannah: Der Erwerb finiter, komplexer englischer Sätze . . . 196 7.1.2.3 Hannah: Der Erwerb der englischen Infinitivkonstruktionen . 198 7.1.3 Hannah: Das Mischsystem 203 7.1.4 Hannah: Zusammenfassung der Entwicklung 209 7.2 Adam 210 7.2.1 Das deutsche System 213 7.2.1.1 Adam: Von einfachen zu komplexen Sätzen 213 7.2.1.2 Adam: Die Entwicklung der deutschen Infinitivkonstruktion . 219 7.2.2 Das englische System 226 7.2.2. l Adam: Von den einfachen zu finiten komplexen Sätzen . . . . 226 7.2.2.2 Adam: Die Entwicklung der englischen Infinitivkonstruktionn 232 7.2.3 Adam: Die Sprachmischungen 244 7.2.4 Adam: Zusammenfassung der Entwicklung 246 7.3 Laura 248 7.3.1 Das deutsche System 250 7.3.1.1 Laura: Von einfachen zu komplexen Sätzen 250 7.3.1.2 Laura: Die Entwicklung der deutschen Infinitivkonstruktionen 254 7.3.2 Das englische System 261 7.3.2.1 Laura: Von ersten Mehrwortäußerungen zu komplexen Sätzen 262 7.3.2.2 Laura: Die Entwicklung der englischen Infinitivkonstruktionen 267 7.3.3 Laura: Die Sprachmischungen 272 7.3.4 Laura: Zusammenfassung der Entwicklung 274 7.4 Zusammenfassung und Vergleich der bilingualen Erwerbsverläufe 275
8
Erwerb der Infinitivkonstruktionen — systematische Restrukturierung der Systeme 8.1 Überblick 8.2 Systemzustand am Ende der Datenerhebung
279 279 280
Vlll
9
8.3 Unterschiede in der Systementwicklung von Deutsch und Englisch — ein Erklärungsansatz 8.4 Die Erwerbsfolge — Versuch einer Erklärung 8.5 Die Rolle der Vorläuferstrukturen 8.6 Zusammenfassung
283 288 292 299
Zusammenfassung und Ausblick
301
Quellen
305
Literatur
305
Index
323
Vorwort Diese Arbeit basiert auf Vorarbeiten, die ich in den Jahren 1988 bis 1994 in den Forschungsprojekten von Rosemarie Tracy geleistet habe. Es freut mich ganz besonders, daß die beiden Linguistinnen, in deren Lehrveranstaltungen zur Psycholinguistik und zum Spracherwerb der „Initialfunke" für mein Interesse an der Linguistik übergesprungen ist, Marga Reis und Rosemarie Tracy, diese Arbeit von Anfang bis Ende begleitet haben. Von ihnen habe ich — nicht nur linguistisch — sehr viel gelernt und ich möchte keine unserer Diskussionen missen. Diese Arbeit ist in einem Kontext entstanden, wie er förderlicher kaum sein kann. Viele Leute hatten daran Anteil, einigen möchte ich an dieser Stelle explizit für ihre Unterstützung danken: Cleo Becker, Agnes Bryan, Diana Gierling, Petra Gretsch und Petra Schulz für Diskussionen über Spracherwerb und generative Grammatik; Elsa Lattey für ihre native speaker Intuitionen, das immer offene Ohr und für ihre Daten; David Reibel für seine Kritik an den „Pseudoproblemen" der generativen Grammatik, seine ehrliche und konstruktive Kritik und v.a. aber für die Freiräume, die er am Lehrstuhl Linguistik I für unser eigenständiges Arbeiten geschaffen hat. Auch Natascha Müller und Monika Rothweiler haben im Vorfeld Interesse an meiner Arbeit gezeigt und mir eigenes Material zur Verfügung gestellt. Dafür mein herzliches Dankeschön. Während der Entstehung der Arbeit habe ich die praktische und tatkräftige Unterstützung von Cleo Becker, Susanne Ehrenreich, Diana Gierling, Kerstin Hirlinger, Sibylle Metzger und in der letzten Phase auch von Dany Rückschloss in Mannheim sehr zu schätzen gewußt. An dieser Stelle noch einmal Danke für das Dasein und das Erledigen der vielen Kleinigkeiten. Ganz besonderer Dank gilt Ulrike Demske für die Diskussionen über tough-movement und Raising bis zur — im wahrsten Sinne des Wortes — letzten Minute. Sie und Rosemarie Tracy haben eine frühere Version der Arbeit gründlich durchgesehen und zahllose konstruktive Anmerkungen gemacht. Danke. Und last but not least bedanke ich mich bei den Kindern und ihren Familien für die freundliche Aufnahme, die vielen Spiele und das Interesse an meiner Arbeit — ganz besonders auch bei Adam für das Entdecken eines Tippfehlers, der sonst sicher unentdeckt geblieben wäre. Januar 1997
I.G.-M.
Verzeichnis der Graphiken Graphik Graphik Graphik Graphik
l 2 3 4
Graphik 5 Graphik 6 Graphik Graphik Graphik Graphik Graphik Graphik Graphik Graphik Graphik
7 8 9 10 11 12 13 14 15
Graphik 16 Graphik 17 Graphik Graphik Graphik Graphik
18 19 20 21
Graphik 22 Graphik 23 Graphik 24
Meilensteine der syntaktischen Entwicklung Das Modell der allmählichen Sprachendifferenzierung Sprachwahl bilingualer Sprecherinnen (Hoffmann 1991:117) Hypothetisches Beispiel für eine Überblicksgraphik zum Erwerb der IKs Hypothetische, detaillierte Zusammenfassung zum Erwerb der IKs Hypothetischer Vergleich der Entwicklung des Deutschen und des Englischen Benny: Erster Überblick über IK-Erwerb Benny: Detaillierter Überblick über IK-Erwerb Paul: Erster Überblick über IK-Erwerb Paul: Detaillierter Überblick über IK-Erwerb Lisa: Erster Überblick über IK-Erwerb Lisa: Detaillierter Überblick über IK-Erwerb Hannah: Die Sprachsituation Hannah: Erster Überblick über den deutschen IK-Erwerb Hannah: Detaillierter Überblick über den deutschen IK-Erwerb Hannah: Erster Überblick über den englischen IK-Erwerb Hannah: Detaillierter Überblick über den englischen IK-Erwerb Hannah: Vergleich Deutsch und Englisch Adam: Die Sprachsituation Adam: Erster Überblick über den deutschen IK-Erwerb Adam: Detaillierter Überblick über den deutschen IK-Erwerb Adam: Erster Überblick über den englischen IK-Erwerb Adam: Detaillierter Überblick über den englischen IK-Erwerb Adam: Vergleich Deutsch und Englisch
70 102 108 129 130
131 138 149 152 163 165 174 180 187 192 198 203 210 211 220 226 233 244 247
XI
Graphik 25 Graphik 26 Graphik 27 Graphik 28 Graphik 29 Graphik 30 Graphik 31 Graphik 32
Laura: Die Sprachsituation Laura: Erster Überblick über den deutschen IK-Erwerb Laura: Detaillierter Überblick über den deutschen IK-Erwerb Laura: Erster Überblick über den englischen IK-Erwerb Laura: Detaillierter Überblick über den englischen IK-Erwerb Laura: Vergleich Deutsch und Englisch Integration der IKs in das deutsche System Integration der IKs in das englische System
248 254 261 268 271 275 281 282
Verzeichnis der Tabellen Tabelle 1.1 Tabelle 1.2
Infinite Konstruktionen im Deutschen Infinite Konstruktionen im Englischen
Tabelle 2.1 Tabelle 2.2 Tabelle 2.3 Tabelle 2.4
Übersicht über englische IKs Übersicht über deutsche IKs Ambiguitätenvergleich deutscher und englischer IKs Faktorenanalyse innerhalb des P & P Modells
25 38 44 50
Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle
Verb(grupp)en mit Infinitiv nach Hannig (1974) IKs im Wackernagel-Jolles-Korpus IKs im IDS-Korpus Übersicht über for-tolnfinitive nach Mair (1987a:552) Matrixverben für tolnfinitive nach Mair (1990) Häufigste Matrixverben für reinelnfinitive und tolnfinitive (nach van Ek 1966:183f) Überblick über Häufigkeiten von IKs im Englischen Häufigkeit von IKs im gesprochenen Englisch - Stichprobenergebnis Häufigkeiten von Matrixelementen - Stichprobenergebnisse
56 59 59 62 63
80
Tabelle 4.3
IKs im Rothweiler Korpus Erwerbsreihenfolge von Verbalflexiven und Auxiliaren nach Fletcher (1979:266) „Interferenzen" im doppelten Erstspracherwerb
88 106
Tabelle 5.1
Überblick über die erhobenen Daten
127
Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle
6. l 6.2 6.3 6.4
Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle
6.5 6.6 6.7 6.8
Quantitative Übersicht über Bennys Äußerungen 134 Benny: Übersicht über Matrixverben und IKs 148 Quantitative Übersicht über Pauls Äußerungen 150 Paul: Äußerungen mit mehr als einem Verb in der rechten Verbklammer 156 Auftreten von IKs im Zusammenhang mit Konjunktiven bei Paul . . 160 Paul: Übersicht über Matrixverben und IKs 162 Quantitative Übersicht über Lisas Äußerungen 164 Lisa: Äußerungen mit mehr als einem Verb in der rechten Verbklammer 170 Lisa: Übersicht über Matrixverben und IKs 175
3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6
Tabelle 3.7 Tabelle 3.8 Tabelle 3.9 Tabelle 4.1 Tabelle 4.2
Tabelle 6.9
5 6
64 64 65 66
Xlll
Tabelle 7.1 Tabelle 7.2 Tabelle 7.3 Tabelle 7.4 Tabelle 7.5 Tabelle 7.6 Tabelle 7.7 Tabelle 7.8 Tabelle 7.9 Tabelle 7.10 Tabelle 7.11 Tabelle 7.12 Tabelle 7.13
Quantitative Übersicht über Hannahs Äußerungen 181 Hannah: Anzahl komplementierereingeleiteter Syntagmen 184 Hannah: Übersicht über deutsche Matrixverben und IKs 193 Hannah: Übersicht über englischen Matrixverben und IKs 202 Hannah: IKs in Mischäußerungen 204 Quantitative Übersicht über Adams Äußerungen 213 Adam: Häufigkeit lexikalischer Komplementierer im Deutschen . . . 217 Adam: Übersicht über aspektuelle IKs 221 Adam: Übersicht über deutsche Matrixverben und IKs 225 Adam: Überblick über englische Matrixverben und IKs 243 Quantitative Übersicht über Lauras Äußerungen 249 Laura: Übersicht über deutsche Matrixverben und IKs 260 Laura: Übersicht über englische Matrixverben und IKs 272
Tabelle 8. l Tabelle 8.2
Beweger des Systems im Vergleich Überblick über den Erwerb der deutsche Modalverben und IKs unter Vollverben Faktorenanalyse für den Erwerb von IKs Variationsspektrum beim Erwerb der englischen IKs Variationsspektrum beim Erwerb der deutschen IKs
Tabelle 8.3 Tabelle 8.4 Tabelle 8.5
284 287 291 294 295
Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen Ä IK tti
- Äußerung - Infinitivkonstruktion - total
Ving Vnf Vzip
-
Partizip I englischer Verben Verb im Infinitiv Partizip II
Konventionen in den Kinderäußerungen {xxx} [ ] (= ) a-b a —b AUto
-
uninterpretierbarer Äußerungsteil phonetische Transkription Kommentare, Interpretationen zu Äußerungsteilen Klitisierung kurze Pause Großbuchstaben indizieren Hauptakzent
A B H L La Mu P Va
-
Adam Benny Hannah Lisa Laura Mutter Paul Vater
andere Initialen stehen für weitere erwachsene Sprecherinnen
l
Einleitung
1.1
Allgemeine Vorbemerkungen — Ziele der Arbeit
Der folgende Dialog zwischen drei etwa achtjährigen Jungen macht deutlich, daß Kinder im Grundschulalter umgangssprachlich zielsprachliche Infinitivkonstruktionen produzieren. (1)
A: B: C:
Des macht kein Bock Fahrrad zu fahren. Des is gesund radzufahren. Mhm, des is genau wie in der Sauna.
Ernsthaft hätte diese Fähigkeit wahrscheinlich auch niemand bezweifelt, doch die Frage ist: \\knn beginnen Kinder damit? Sind die entsprechenden Konstruktionen tatsächlich von Anfang an zielsprachlich? Und wenn nicht, welcher Weg führt die Kinder zu zielsprachlichen Infinitivkonstruktionen? Die vorliegende Arbeit geht diesen Fragen nach. Der Erwerb von Infinitivkonstruktionen im kindlichen Erstspracherwerb wird anhand von sechs Langzeitstudien von drei monolingualen deutsch- und drei bilingualen deutsch-englisch-sprachigen Kindern beschrieben.1 Der Vergleich der Entwicklung der Infinitivkonstruktionen von monolingualen und bilingualen Kindern (obwohl nicht unproblematisch) bietet sich an, weil Kinder, die beide Sprachen gleichzeitig erwerben, einen ausgezeichneten Testfall für sprachspezifische Unterschiede beim Erwerb bilden, da Variablen, die das soziale Umfeld, die Persönlichkeit etc. betreffen, in diesem Fall weitgehend identisch sind. Außerdem wurde bisher in der Forschung für den Erwerb von Infinitivkonstruktionen von unterschiedlichen Erwerbsfolgen im Englischen und im Deutschen ausgegangen. Für das Englische wurde beobachtet (vgl. de Villiers & de Villiers 1985), daß sie zu den ersten komplexen Strukturen gehören, die erworben werden; im Deutschen hingegen treten sie erst nach finiten Nebensätzen auf (Mills 1985). Natürlich sind Strukturen wie die im Dialog in (1) nicht die einzigen zielsprachlichen Infinitivkonstruktionen, die es zu erwerben gilt. Die (schriftlichen) Beispiele (2)-(8) illustrieren weitere. (2) (3) (4) (5) 1
2
Dann müssen sie erst lernen, sich in den Mantel helfen zu lassen. Lind-122 Sie schienen alle dieselbe Schneiderin zu haben. Lind-17 [...] dieser planerische Aspekt setzt [...] die Fähigkeit voraus, in gewissem Maße die Entwicklung des Prozesses [...] zu kalkulieren Org-102 Aus Frankreich ist [...] zu berichten Org-82 Die Daten wurde im Rahmen des DFG-Projekts „Komplexe Syntax" (TR 238/2-1) unter der Leitung von Rosemarie Tracy erhoben. Diese Kürzel verweisen auf die Quelle der Daten, vgl. das Quellenverzeichnis; die Zahl steht für die Seite des jeweiligen Textes.
(6)
Seinerzeit fand sich eine Gruppe [...] zusammen, um die Möglichkeit [..] in Deutschland zu diskutieren Org-78 Der Gediegene hieß mich auf ihn warten [...] Lind-23 Sie haben wohl viel Zeit zum Fernsehen? Lind-16
(7) (8)
Im Deutschen finden wir ^Infinitive3 wie in (2)-(5), deren Analyse sich je nach Matrixelement unterscheidet. Es gibt außerdem um'zulnfinitive, vgl. (6), remelnfinitive nach einer relativ kleinen Gruppe von Verben, vgl. (7), und weitere Konstruktionen, die im Zusammenhang mit Infinitiven stehen, wie z.B. die Nominalisierung in (8). Auch im Englischen sind verschiedene Typen von Infinitivkonstruktionen zu unterscheiden, vgl. die Beispiele (9)-(14). (9) (10) (11) (12) (13) (14)
Although most traditional forms [...] continue to be largely restricted to ceremonial use [...] Art-11 [...] artists will use their authority to introduce change and innovation. Art-16 [...] the bark is easy to remove. Art-24 Sometimes, your course will require you to take compulsory subjects [...] Uni-3 University is a way for you to expand or discover your interests [...] Uni-5 Be sure that you have included all the necessary original documents. Uni-55
Die Beispiele in (9)-(12) illustrieren verschiedene tolnfinitive, in (13) ist ein for"tolnfinitiv dokumentiert und in (14) ein reinerlnfinitiv. Die vorliegende Arbeit verfolgt vor allem zwei Ziele: Zum einen kommt es mir besonders darauf an, den Erwerb der Infinitivkonstruktionen nicht losgelöst von der Entwicklung des restlichen Sprachsystems der Kinder zu betrachten. Ich setze deshalb meine Beobachtungen immer in Beziehung zum jeweiligen Gesamterwerbsverlauf. Zum anderen dient der Vergleich der monolingualen mit den bilingualen Kindern dazu, den Stellenwert der Infinitivkonstruktionen innerhalb der jeweiligen Erwerbsverläufe zu bestimmen. Es wird sich auch zeigen, daß man über den Sprachvergleich die „innere[n] Beweger des Systems" (Piaget 1973:16), d.h. die ausschlaggebenden Faktoren, die zur Systemveränderung führen, leichter identifizieren kann. Nebenbei wird außerdem eine Datenlücke in der deutschen Spracherwerbsforschung geschlossen, denn im Deutschen gibt es bis jetzt keine Langzeituntersuchungen zum Erwerb von Infinitivkonstruktionen. Wie bereits Weinreich (1968:27f) festgestellt hat, ist eine sinnvolle komparative Untersuchung der beiden Sprachen von bilingualen Sprecherinnen nur dann möglich, wenn es ein Tertium Comparationis gibt. Dieser gemeinsame theoretische Beschreibungsrahmen ist in der vorliegenden Arbeit das Prinzipien- und Parametermodell4 (P & P Modell) (vgl. Chomsky 3 4
Vgl. S. 6 zur Terminologie und Typographie. Oft wird diese Theorie auch als Rektions- und Bindungstheorie oder Government and Binding (GB) bezeichnet. Dies bedeutet jedoch eine Hervorhebung einzelner Subsysteme, gegen die Chomsky selbst sich wehrt: This is sometimes called 'Government-Binding (GB) theory,' a misleading term that should be abandoned, in my view" (Chomsky 1988:28).
1981, Chomsky & Lasnik 1991) und seine Weiterentwicklungen (Chomsky 1986, 1992, 1994). Außerdem bin ich der Überzeugung, daß Spracherwerbsforschung in einem interessanten Sinne nur möglich ist, wenn man innerhalb eines Modells arbeitet, dessen Voraussagen strikt genug sind, um falsifiziert werden zu können. Solche Modelle helfen, unseren Such- und Forschungsraum zu strukturieren. Erst mit ihrer Hilfe lassen sich präzise Fragen stellen (vgl. auch Kapitel 5). Zumindest Teilbereiche des P & P Modells erfüllen diese Forderung. Wie bereits angedeutet sind Infinitivkonstruktionen — trotz wichtiger Aktivitäten in der Spracherwerbsforschung in Deutschland in den letzten Jahren — noch immer ein „Stiefkind". Zu ihrem Erwerb gibt es bis jetzt aus formaler Perspektive praktisch keine Untersuchungen und aus funktionaler und kognitiv-psychologischer nur wenige und das, obwohl Infinitivkonstruktionen in der Forschung zu den Erwachsenensystemen im Deutschen und im Englischen auf großes Interesse stoßen. Im Englischen sind die Forschungen zum Erwerb der Infinitivkonstruktionen umfangreicher. Ein Großteil der Forschung basiert jedoch auf experimentellen Studien, so daß es oft schwierig ist, die Ergebnisse solcher Untersuchungen in Gesamterwerbsverläufe einzuordnen. Langzeituntersuchungen gibt es neben denen von Adam, Eve und Sarah (Brown 1973) allerdings kaum. In dieser Arbeit werde ich auf der Grundlage einer Analyse der deutschen und der englischen Infinitivkonstruktionen für sechs Kinder den allmählichen Erwerb dieser Strukturen und ihre Integration in die kindlichen Sprachsysteme nachzeichnen und anschließend analysieren. Sowohl Darstellung als auch Analyse der Erwerbsverläufe basieren auf der Annahme, daß Spracherwerb ein dynamischer Prozeß ist, und daß es sinnvoll ist, Phänomene, die auf den ersten Blick in keinem Zusammenhang zum untersuchten Strukturtyp zu stehen scheinen, mit zu berücksichtigen, weil sie vielleicht doch Rückschlüsse auf den /QTbsprozeß zulassen. In diesem Sinne ist die vorliegende Arbeit einer schwachen Kontinuitätshypothese (Verrips 1990, 1994, Guilfoyle & Noonan 1992), dynamischen Erwerbsmodellen (vgl. Tracy 1991, 1995, Hohenberger 1996) und insbesondere dem Bausteinmodell (Gretsch 1993, d'Avis & Gretsch 1994) verpflichtet. Die vorliegende Arbeit will außerdem einen Beitrag zum Dialog zwischen der theoretischen Linguistik und der Spracherwerbsforschung leisten. Dieser Dialog ist notwendig und kann fruchtbar sein, wie neuere Analysen zum Erwerb des deutschen Nebensatzes gezeigt haben (vgl. Kapitel 4). Spracherwerbsdaten können durchaus zur Evaluierung verschiedener Analysen des Erwachsenensystems beitragen. Neben den genannten spracherwerbstheoretischen Zielen ist ein weiteres Motiv wichtig für die Entstehung und Gestaltung der vorliegenden Arbeit: Die deskriptiven Teile von Kapitel 2 (2.1 und 2.2) sind so dargestellt, daß sie — unabhängig von der Erwerbsproblematik — eine erste Orientierung im Forschungsfeld der Infinitivkonstruktionen bieten. Interessanterweise hat sich die Bedeutung der Infinitivkonstruktionen innerhalb der generativen Grammatiktheorie verändert. In Syntactic Structures (Chomsky 1957) gibt es lediglich an drei Stellen kurze Hinweise auf /n/rwYkonstruktionen. Es ist jeweils von einer
Nominalisierungstransformation die Rede.5 In Aspects of the Theory of Syntax (Chomsky 1965) nehmen sie dann schon größeren Raum ein. Anhand des Vergleichs von expect- und />m«öife-Beispielen (vgl. die Diskussion in 2.1) werden Intuitionen des idealisierten Sprechers/Hörers diskutiert (Chomsky 1965:24): In short, we must be careful not to overlook the fact that surface similarities may hide underlying distinctions of a fundamental nature, and that it may be necessary to guide and draw out the speaker's intuition in perhaps fairly subtle ways before we can determine what is the actual character of his knowledge of his language or of anything else. In den Lectures on Government and Binding (Chomsky 1981) machen Infinitkonstruktionen einen großen Teil der diskutierten Beispiele und Strukturen aus. Der Grund dafür ist, daß an ihnen besonders gut die Interaktion der verschiedenen Subsysteme des P & P Modells illustriert werden kann. Oberflächliche Ähnlichkeiten, wie die von Chomsky angesprochenen in expect- und pmiioife-Konstruktionen, denen aber unterschiedliche Strukturen zugrundeliegen, werden auch in der vorliegenden Arbeit bei der Analyse der Erwerbsverläufe eine zentrale Rolle spielen. Aus erwerbstheoretischer Perspektive stellt sich die Frage, wie die eingehenden Module entstehen bzw. aktiv werden, und ob und wie sich ihre Interaktion mit der Zeit verändert.
1.2
Der Untersuchungsgegenstand
„Infinit" ist ein Begriff, der auf verschiedenen grammatischen Ebenen relevant ist: morphologisch, syntaktisch und semantisch. Morphologisch lassen sich im Deutschen infinite, (15), und finite, (16), Verbformen unterscheiden. (15)
a
Petra will in den Wild gehen
b Petra ist in den Wdd gegangen (16)
a
c Durch den Wüd gehend lernt Petra ein Gedicht auswendig Petra geht/ging in den Wild
b Petra und Peter gehen/*geht in den Wald c Petra ginge gerne in den Wild, wenn sie nicht das Bein in Gips hätte
5
Die Morpheme to und -ing konvertieren die VP in eine NP durch die Regel (i). Als Beispiel wird (ii) angeführt (vgl. Chomsky 1957:40f):
(i) (ii)
NP -> / ing l VP i l to / . I to prove that theorem I was difficult I proving that theorem J
Die finiten Verbformen in (16) sind für Tempus, Numerus und Modus markiert. All diese Merkmale fehlen den infiniten Formen in (15).6 Die entsprechenden Unterschiede gibt es auch im Englischen. Dort ist jedoch die Flexionsmorphologie so reduziert, daß kaum morphologische Reflexe der Finitheitsmerkmale beobachtet werden können, (17). Eine Ausnahme bildet das Verb be als Kopula oder Auxiliar, dessen Suppletivformen meist deutlich als finit, (18), oder infinit, (19), erkennbar sind. (17)
a
(18)
a
(19)
a
Jill knows/knew her way round b Jill *knaw her way round c Jill has known him for years Jill is/was rather tired b Jill \s/*are/*am tired c The parents demanded that Jill be in bed by 10 o'clock Jill will be tired after this meeting b Jill has been tired all morning but now she's o.k c Jill is being a pain again
Syntaktisch bezieht sich der Begriff „infinit" auf Konstruktionen, die nur infinite Verbformen enthalten. Diese infiniten Konstruktionen umfassen sowohl im Deutschen als auch im Englischen eine ganze Reihe von Strukturen. Die Tabellen 1.1 und 1.2 geben einen knappen Überblick. Tabelle 1.1 Infinite Konstruktionen im Deutschen Partizipialkonstruktionen
Infinitivkonstruktionen
J^artizip I
An einem Eis leckend kam sie die Straße entlang.
Partizip II
Durch viel Erfolg ermutigt machte sie weiter.
reiner
Sie sieht den Hund kommen.
^Infinitiv
Sie probiert, das Auto zu reparieren.
um-zulnfinitiv
Ich gehe in die Stadt, um ein Fahrrad zu kaufen.
lnfinitiv
Die Formulierung im Text suggeriert, daß die Unterscheidung von finit und infinit einfach ist, tatsächlich ist sie es nicht, vgl. Huddleston (1984), Quirk et al. (1972:72), Stowell (1981).
Tabelle 1.2 Infinite Konstruktionen im Englischen Partizipialkonstruktionen
Partizip I
Leaving the worn Harry met Sally.
Partizip II
Pulled down low the lamp cast a round shade on the table.
Infinitivkonstruktionen
reiner
Joe saw Sally dance with Harry.
to
The best thing would be to tell everybody.
lnfinitiv
lnfinitiv
for to
- lnfinitiv
The best thing would be for me to tell everybody.
Diese Tabellen geben nur einen groben und vorläufigen Überblick über die Strukturenvielfelt in beiden Sprachen. Wenn man berücksichtigt, daß es v.a. im Englischen weitere Konstruktionen gibt, die auf nicht finite Verbformen zurückgehen, daß ferner englische Partizipialkonstruktionen nicht so stark auf die Schriftsprache und hohe Register beschränkt sind wie ihre deutschen Entsprechungen, darf man vermuten, daß infinite Konstruktionen im Englischen eine größere Rolle spielen als im Deutschen.7 Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf den Erwerb der //i/foirivkonstruktionen, denn die beobachteten Kinder produzieren praktisch noch keine flzm'zipiö/konstruktionen.8 An dieser Stelle ist ein Wort zu der verwendeten Terminologie und Typographie angebracht: Wenn im folgenden von „Infinitiv" die Rede ist, bezieht sich dies auf die morphologische Form des Verbs. Wenn es um syntaktische Konstruktionen mit infinitivischen Verbformen geht, wird der Begriff „Infinitivkonstruktion" (IK) verwendet; geht es um eine bestimmte Konstruktion, wird diese durch ein Superskript genauer spezifiziert, z.B. for~tolnfinitiv, um zu " lnfinitiv und reinerlnfinitiv. Als Oberbegriff für nicht finite Konstruktionen verwende ich /n/wi'fkonstruktion (nie abgekürzt). Auf der semantischen und thematischen Ebene ist der Begriff „infinit" mehrfach relevant. In vielen IKs9 ist das Subjekt nicht lexikalisch realisiert; die genaue Bedeutung der IKs und
Vgl. auch die Stellungnahmen von Dal und Brinkmann, hier zitiert nach Erben (1966:91): „Im Grunde ist ,die prädikative Verwendung des Part. Präs, im Nhd. so gut wie ganz aufgegeben* [Fn 3 ausgelassen, I.G.-M.] und das Part. Präs. ,aus dem Verbalsystem ausgeschieden'." Zum Bedeutungsunterschied und Aspektunterschied zwischen Partizipial- und Infinitivkonstruktionen, vgl. Quirk & Greenbaum (1973:362). Gerade die Frage, welche Verben mit welchen infiniten Konstruktionen kombiniert werden können, nimmt v.a. in Schulgrammatiken einen besonders großen Raum ein. Schulgrammatiken beschränken sich allerdings oft darauf, Verblisten anzugeben, vgl. z.B. Thomson & Martinet (21969:147). Manche Autorinnen setzen die möglichen Ergänzungen zu bestimmten Verbklassen in Beziehung, vgl. u.a. Palmer (1988), Huddleston (1984, 1988), Poutsma (1923). Hier, wie bei allen folgenden Abkürzungen, habe ich mich für den regulären Plural von Akronymen, d.h. -s, im Gegensatz zur Pluralform der ausgesprochenen Form entschieden (Bittner 1991, Wiese 1992).
die Verteilung der thematischen Rollen ist also nur aus dem Zusammenspiel von Matrixstruktur und IK zu erschließen. So scheint es intuitiv einsichtig, daß Kindern nicht von Anfang an klar ist, wer wen in (20) und (21) schubst bzw. piekst. (20) (21)
a b a b
Mikey asks Pluto to push Donald into the pool Mikey promises Pluto to push Donald into the pool Die kleine Hexe bittet Abraxas, die Mume Rumpumpel zu pieksen Die kleine Hexe verspricht Abraxas, die Mume Rumpumpel zu pieksen
Sätze dieser Art werden deshalb auch immer wieder in experimentellen Untersuchungen verwendet. Als weitere möglicherweise relevante Aspekte seien stichwortartig die Finalität, die Alternativrealisierung der IK durch finite Komplemente und die Faktivität der IK genannt. In den Fallstudien wird sich von diesen nur die Finalität als relevante semantische Größe erweisen; auf Komplementrealisierung und Faktivität gehe ich deshalb nicht weiter ein.10
1.3
**
Erste Überlegungen zur Erwerbsaufgabe
Wenn man im Sinne des Bausteinmodells (Gretsch 1993) davon ausgeht, daß Kinder beim Erwerb einer Struktur Informationen auf verschiedenen grammatischen Ebenen sammeln, korrelieren und integrieren müssen, lassen sich folgende — wenn auch noch recht allgemeine — Erwerbsaufgaben in Bezug auf die IKs formulieren. •
•
•
10
Kinder müssen morphologisch zwischen verschiedenen Verbformen differenzieren und die Merkmale erkennen, die für Finitheit bzw. Infinitheit konstitutiv sind. Die reichere Flexionsmorphologie des Deutschen kann diese Differenzierung entweder erleichtern, oder aber die Vielfalt der Formen kann verwirren, so daß der Unterschied im Deutschen langsamer erworben wird als im Englischen. Außerdem sind — wie sich in Kapitel 3 zeigen wird — IKs im Deutschen wohl seltener als im Englischen. Auch aus diesem Grund könnte der Erwerb der IKs im Englischen schneller erfolgen. Im speziellen Fall des bilingualen Erwerbs könnten — unter der Annahme, daß die Kinder in beiden Sprachen gleiche Inhalte ausdrücken wollen — zeitliche Diskrepanzen auf Unterschiede in der Komplexität der formalen Möglichkeiten zurückgeführt werden. Kinder müssen erkennen, welche IKs ihre Zielsprache verwendet, und wie die interne Struktur der verschiedenen IKs aussieht. Da oberflächlich oft Ähnlichkeit zwischen den verschiedenen Konstruktionstypen besteht, ist in beiden Sprachen entweder mit einer lan-
Vgl. Schulz (1995) für eine Untersuchung der Bedeutung von Faktivität im Erwerb von englischen IKs.
•
gen Erwerbsphase zu rechnen, oder umgekehrt wäre auch möglich, daß gerade diese Ähnlichkeit den Erwerb erleichtert, etwa im Sinne eines "Bilingual Bootstrapping" (Gawlitzek-Maiwald & Tracy 1996). Kinder müssen Kontrollbeziehungen erkennen. Wie die Beispiele (20) und (21) oben gezeigt haben legt nicht immer das Matrixsubjekt oder das -objekt die Referenz des Infinitivsubjekts fest. Semantisch einwandfreie Interpretationen von IKs sind nur möglich, wenn die Kinder die zielsprachlichen Kontrollregularitäten durchschaut haben. Fehlinterpretationen sollten eine Zeit lang also recht wahrscheinlich sein.
Diese Überlegungen dienen als Ausgangsbasis für die kommenden Kapitel, v.a. für die Fallstudien in den Kapiteln 6 und 7. Sie werden am Ende der folgenden Kapitel weiter differenziert, präzisiert und ergänzt.
1.4
Zur Struktur der Arbeit
In der vorliegenden Arbeit verengt sich die Perspektive für die Beschreibung der zu erwerbenden Strukturen, nämlich der 7/i/zwft'vkonstruktionen, vom Generellen zum Spezifischen. In Kapitel 2 werden die IKs — für Deutsch und Englisch getrennt — detailliert beschrieben, und Strukturen, welche die Kinder bis zum Ende der Datenerhebung spontan produzieren, werden im Rahmen des P & P Modells analysiert.11 In weiteren Abschnitten werden Problembereiche identifiziert und ihr Einfluß auf den Erwerbsverlauf diskutiert. Das Kapitel endet mit einer Hypothese für den Erwerbsverlauf. In Kapitel 3 wird kurz beschrieben, welche und wieviele IKs erwachsene Sprecherinnen des Deutschen und des Englischen in der gesprochenen Sprache verwenden. Dies ist notwendig, um die Strukturen, die von den Kindern benutzt werden, mit den tatsächlich in der gesprochenen Sprache vorkommenden IKs und nicht etwa mit der Schriftsprache zu vergleichen. Kapitel 4 bietet einen Überblick über bisherige Forschungsergebnisse zum Erwerb der deutschen und der englischen Syntax. Entsprechend den oben formulierten Zielen (vgl. S. 2) beschränke ich mich hier nicht auf Arbeiten zum Erwerb von IKs: Es wird vor allem darum gehen, den Erwerb der IKs in den Gesamtzusammenhang individueller Erwerbsverläufe einzubetten und individuelle Strategien herauszuarbeiten. Es ist deshalb unerläßlich, auch auf vorausgehende und parallele Erwerbsschritte einzugehen. Der Bilingualismus ist ebenfalls Thema in Kapitel 4. Dieses Forschungsgebiet ist zu umfangreich, als daß hier eine umfassende Aufarbeitung des Forschungsstandes geleistet werden könnte. Dennoch ist es notwendig, einige zentrale Aspekte anzusprechen. Schließlich kann
11
Kapitel 2 setzt Grundkenntnisse des P & P Modells voraus. Für Einführungen in das P & P Modell vgl. Freidin (1992), Ouhalla (1994) und v.a. Haegeman (1994).
die Erwerbssituation bilingualer Kinder nicht von vornherein mit der monolingualer Kinder gleichgesetzt werden. Im einzelnen gehe ich auf die Fragen ein, ob und wann bilinguale Kinder über zwei Sprachsysteme verfügen, welchen Status Mischäußerungen haben und welche Fallstudien es zum doppelten Erstspracherwerb von Deutsch und Englisch gibt. Kapitel 5 führt in die zentralen Kapitel der Arbeit ein: die empirischen Fallstudien. Hier werden die methodischen und methodologischen Überlegungen und Entscheidungen, die diese Arbeit bestimmt haben, dargelegt und die Struktur der empirischen Kapitel vorgestellt. Kapiteln 6 und 7 enthalten die sechs Fallstudien, zunächst für die drei monolingualen, dann für die drei bilingualen Kinder. Beobachtungsschwerpunkte sind die individuellen Entwicklungsverläufe, individuelle Strategien sowie inter- und intraindividuelle Variationen im Erwerb der IKs. Die Vorstellung der Daten erfolgt möglichst theorieunabhängig, so daß sie auch unter anderen theoretischen Prämissen interpretiert und reanalysiert werden können. In Kapitel 8 werden die Fallstudien unter Bezug auf das P & P Modell zusammengefaßt, analysiert und interpretiert. Unter Berücksichtigung des jeweiligen Systemzustands ergibt sich eine neue Deutung der Vorläuferstrukturen, und die unterschiedlichen Erwerbsreihenfolgen im Deutschen und in Englischen lassen sich konsistent erklären. Kapitel 9 schließlich enthält eine kurze Zusammenfassung der Vorgehensweise und der wichtigsten Ergebnisse.
2
Infinitivkonstruktionen — Empirie und Theorie
Wie sich in den empirischen Kapiteln (6 und 7) zeigen wird, produzieren die hier beobachteten Kinder zwar nicht alle, aber doch verschiedene zielsprachliche Infinitivkonstruktionen. Aus diesem Grund verfolge ich in diesem Kapitel v.a. drei Ziele: In den Abschnitten 2.1 und 2.2 erfolgt eine möglichst umfassende Beschreibung der ziel sprachlich prinzipiell möglichen IKs im Englischen und Deutschen sowie eine Analyse ausgewählter IKs, nämlich entweder solcher, welche die Kinder bis zum Ende der Datenerhebung produzieren, oder solcher, deren Struktur sich als erwerbserschwerend herausstellen wird. Auf der Grundlage dieser Analysen werden sowohl sprachspezifische (2.3) als auch sprachvergleichende (2.4) Problembereiche aufgedeckt. Dieses Erkennen von Problembereichen führt im Abschnitt 2.5 zur Identifizierung erwerbsrelevanter Faktoren. In Abschnitt 2.6 diskutiere ich diese Faktoren dann auf einer abstrakteren Ebene. Schon bei der Beschreibung der Problemfälle und der Erwerbsfaktoren wird sich zeigen, wie wichtig es ist, theoretische Diskussionen vor dem Hintergrund dessen, was im Spracherwerb tatsächlich zu beobachten ist, zu beurteilen (vgl. v.a. Kapitel 8). Für einige der IKs gibt es konkurrierende Analysevorschläge, die der empirischen Datenlage alle mehr oder weniger gerecht werden, oft aber auch nicht unproblematisch sind. In solchen Fällen — nämlich wenn der Erwerb einer Struktur durch eine Theorie bzw. Analyse besser erfaßt wird als durch die konkurrierenden — können Spracherwerbsdaten Argumente für oder gegen vorgeschlagene Analysen liefern. Die Daten in den Kapiteln 6 und 7 werden erste Hinweise darauf geben, welche Eigenschaften der verschiedenen IKs entscheidend für die Erwerbsfolge sind, und dies wiederum wirft neues Licht auf einige der theoretischen Diskussionen des Erwachsenensystems. Deutsch erweist sich immer wieder als Testfall für generative Grammatikmodelle,! für das Englische hingegen besteht für Analysen innerhalb des P & P Modells mehr Konsens.2 Für beide Sprachen wird hier — soweit die Datenanlage dies erlaubt — auf allzu technische Diskussionen verzichtet. IKs werden in Grammatiken nach folgenden Gesichtspunkten geordnet und klassifiziert: dem Auftreten einleitender Partikeln (for"tolnfinitiv vs. tolnfinitiv etc.), der Funktion intervenierender NPs3 zwischen Matrixverb und IK, dem Auftreten lexikalischer Subjekte, Für den Versuch, syntaktische Analysen des Englischen mehr oder weniger direkt auf das Deutsche zu übertragen vgl. z.B. Grewendorf et al. (1987), Vikner & Schwarz (1991), für morphologische Analysen Wunderlich (1986) und Wiese (1992), sowie die Kritik an letzteren in Gawlitzek-Maiwald (1994). In anderen Grammatikmodellen unterscheiden sich die Analysen der englischen IKs natürlich, für die Lexical Functional Grammar vgl. Bresnan (1978, 1982), für eine modifizierte MontagueGrammatik vgl. Chierchia (1988). Im folgenden wird — sofern daraus keine Mißverständnisse entstehen können — NP als informelle Abkürzung für NPs und DPs verwendet (zur DP-Analyse vgl. Abney 1987, Chomsky & Lasnik 1991).
12
der Kategorie des Matrixelementes, dem Konstruktionstyp (Kontroll- vs. Raisingstrukturen4 etc.) oder auch nach der syntaktischen Funktion der IK innerhalb des Matrixsatzes. Einige dieser Kriterien sind — wie sich zeigen wird — aus anderen ableitbar. So folgt die lexikalische Realisierung eines Subjektes aus dem Auftreten einer Partikel und dem Konstruktionstyp. Der Konstruktionstyp der IK ist abhängig vom Matrixelement; doch die Eigenschaften v.a. der Matrixverben sind nicht ohne weiteres ableitbar sondern idiosynkratisch, so daß sie ohne Zusatzwissen keine direkte Klassifizierung einer IK erlauben.5 Wenn in der Literatur eine Gruppierung nach Konstruktionstypen stattfindet (am ehesten in der generativen Grammatik), dann werden diese meist nicht systematisch mit den anderen Variablen korreliert. Im folgenden werde ich das Auftreten der verschiedenen Partikeln als grundlegendes Klassifikationskriterium verwenden und nach und nach zu den anderen Variablen in Beziehung setzen. In den folgenden Abschnitten vollziehe ich eine Gratwanderung zwischen möglichst umfassender Beschreibung und selektiver Analyse. Für die Auswahl der Strukturen, die eingehender analysiert werden, ist u.a. ausschlaggebend, welche Strukturen die beobachteten Kinder bis zum Abschluß der Datenerhebung produzieren. Im Englischen sind dies vor allem: • tolnfinitive nach Semi-Auxiliaren, sowie nach want und anderen Kontrollverben, zum Teil auch mit Wh-Bewegung, / want to go home, 1 know what to do reine • lnfinitive nach Modalverben, / can swim • finale tolnfinitive, leave to find a fire und seltener: • aspektuelle Vollverbkombinationen, z.B. go read a book!6 • sowie ganz vereinzelt Vorläufer zu for"tolnfinitiven, z.B. something for to cut with Im Deutschen beobachten wir eine etwas größere Strukturenvielfalt: • remelnfinitive nach Modalverben • Kontrollinfinitive nach Verben wie versuchen, probieren, helfen • aspektuelle (finale) Vollverbkombinationen, z.B. sie kommt schwimmen • Ergänzungen zu Nomen und Pronomen, z.B. etwas zu essen • Nominalisierungen, z.B. Farbe zum Bestreichen, sie bringt ihn zum Schlafen und vereinzelt: • um'zulnfinitive, z.B. ich gehe in die Stadt, um Brot zu kaufen
4 5
6
Diese Begriffe werden in den folgenden Abschnitten expliziert und diskutiert. Es gibt viele Versuche, die syntaktischen Komplementstrukturen mit semantischen Verbklassen zu korrelieren (z.B. Palmer 1988, Kap. 9). Sie sind jedoch alle nicht zufriedenstellend, weil keine eindeutigen Korrelationen zwischen Verbklasse und Konstruktionen gefunden werden. Für eine Erläuterung des Begriffs vgl. S. 22.
13
Mit anderen Worten es kommen bis zum Ende der Datenerhebung — die Kinder sind zu diesem Zeitpunkt zwischen 3;9 und 5;8 Jahren alt — nicht alle in der Zielsprache möglichen IKs vor.
2.1
Infinitivkonstruktionen im heutigen Englisch
Bevor ich auf die englischen IKs im Detail eingehe, möchte ich kurz die Analyse der englischen Satzstruktur darlegen, auf die ich mich beziehe. Die Struktur in (1) illustriert die Analyse von einfachen Sätzen mit Modalverb, (la), und ohne Modalverb, (Ib), von WhFragen, (Ic), Entscheidungsfragen, (Id), sowie eingebetteten finiten Sätzen, (le).7
In neueren Analysen wird meist von einer stärker differenzierten Satzstruktur ausgegangen, die auf Pollock (1989) zurückgeht, z.B. (i) aus Chomsky & Lasnik (1991:34)
SPEC AGR-S
AGR-S' ,TP AGR-0" /\ SPEC AGR-O' / \ AGR-0 VP
Vgl. auch Chomsky (1992), Ouhalla (1990), die sich zum Teil durch die Abfolge der verschiedenen Projektionsstufen unterscheiden. Ich verzichte auf diese weitere Differenzierung. Erstens scheinen mir die untergliederten funktionalen Projektionen empirisch weder für das Deutsche noch das Englische ausreichend motiviert (vgl. auch die Kritik in latridou 1990), zweitens erfordern diese funktionalen Köpfe zusätzliche Bewegungen, die wiederum der Idee widersprechen, daß Bewegungen unökonomisch sind. Schon deshalb sollte so wenige wie möglich geben (vgl. Chomsky 1988). Drittens wird in neuesten Überlegungen von der Aufsplittung der funktionalen Köpfe in verschiedene Projektionsstufen wieder Abstand genommen (Chomsky 1994, Grimshaw 1994, Radford 1996, Roeper 1994).
14 (1)
a b c d e
Whatj
does; Does; that
shek shek she k shek shek
will
might
tk tk tk tk tk
see the film like-Sj apples like tj? like apples? see the film
Ich gehe davon aus, daß das Verb mit seinen Argumenten, einschließlich des Subjektes, in der VP basisgeneriert wird.8 Das Subjekt bewegt sich aus der VP heraus in die Spezifiziererposition der IP. Der Kopf der IP enthält entweder ein Modalverb oder die Flexionsmerkmale, die — falls kein Auxiliarverb im Satz steht — zum Hauptverb abgesenkt werden müssen. Die Kopfposition der CP kann von lexikalischen Komplementierern oder bewegten Auxiliar- und Modalverben besetzt werden. Die Spezifiziererposition der CP ist für WhPhrasen reserviert. Einfache (nicht negierte) englische Sätze, die nur ein nicht overt flektiertes Vollverb enthalten, werden im P & P Modell zwar als IPs analysiert, auf der Oberfläche gibt es jedoch keine Evidenz für diese hierarchische Analyse. Denkbar wäre auch, daß sie als VP analysiert werden, was für das Erwachsenensystem von Grimshaw (1994) im Rahmen der Optimalitätstheorie auch vorgeschlagen wurde, oder daß zumindest Kinder diese Strukturen anfänglich abweichend als VP analysieren könnten. Ein Satz wie (Ib) oben hätte dann nicht die Struktur in (1) oben, sondern die in (Ib').
8
Ein Grund anzunehmen, daß das Subjekt in der Spec-VP-Position basisgeneriert wird, ist, daß seine -Rolle dann — wie die aller anderen Argumente auch — unter m-Kommando vom Verb zugewiesen wird (vgl. Chomsky & Lasnik 1991:34f).
15
They
like
apples
Die folgenden Beispiele in (2)-(8) illustrieren die wichtigsten IKs, die man im Englischen findet.
(2) (3) (4) (5) (6) (7) (8)
Such figures are used in exchange-ceremonies called Mamurrng, performed to celebrate the birth of a male child. Art-38 He taught men how to catch freshwater fish, his wives taught women how to make food-collecting bags [...] Art-32 If you want to look further and find out more about job prospects [...] Uni-2 The head of careers [...] advises students to make sure they makefiill use of the course [...] Uni-4 Today it is common practice for artists to provide a description of their work [...] Art-11 Employers are looking for people with [...] the ability to understand and analyse information Uni-5 Discipline is important because it helps you establish and son out your goals Uni-32
(2) enthält einen tolnfinitiv als freie Angabe, (3)-(5) von Verben subkategorisierte tolnfinitive. In (6) modifiziert ein for"tolnfinitiv ein Nomen und in (7) ein tolnfinitiv. In (8) ist ein reinerlnfinitiv vom Verb ^ subkategorisiert. Wirfindenalso: for'tolnfinitive,tolnfinitiveund reine lnfinitive. Ich diskutiere sie in dieser Reihenfolge.
16
2.1.1 Englische Infinitivkonstruktionen mit und ohne Partikel In (9) sind die IKs durch die Partikel for eingeleitet.9 (9)
for to
lnfinitive
a b
arrange * arrange
C for for
NP him to
to to
VP get pizza for dinner get pizza for dinner
Über die Kategorisierung von for besteht keine Einigkeit in der Literatur. In dieser Arbeit wird for — wie generell im P & P Modell — als Komplementierer klassifiziert, vgl. auch Quirk et al. (1972:739).10 Die beiden Beispiele in (9) deuten schon an, daß in for"tolnfinitiven das Subjekt lexikalisch realisiert sein muß.11 Für die for"tolnfinitive scheint die Annahme unproblematisch, daß es sich um eingebettete Sätze, und zwar CPs, handelt. Sie wird unterstützt durch die Tatsache, daß dieselben Matrixverben, wenn auch mit anderer Bedeutung, auch komplementierereingeleitete finite Strukturen als Komplement erlauben, (10).
9
10
1!
Auch whether bettet — neben finiten Komplementen — infinite ein, cf. (i) und (ii). Es verhält sich jedoch anders als for, indem nach whether nie ein lexikalisches Subjekt stehen kann, (iii). Chomsky & Lasnik (1991:56) generieren es deshalb nicht in der Komplementiererposition, sondern in der Spezifiziererposition von CP. Keines der in Kapitel 7 beschriebenen bilingualen Kinder produziert w/ze/ter-Strukturen; sie werden deshalb hier aus der Diskussion ausgeschlossen.
(i) He wondered whether he should have pizza for dinner (ii) He wondered whether to have pizza for dinner (iii) *He wondered whether he/him to have pizza for dinner Allerdings ist es nicht immer einfach zu entscheiden, ob die durch for eingeleitete NP nicht doch eine PP ist, die direkt zum Matrixsatz gehört. Manchmal gibt es zusätzliche Hinweise, die das Disambiguieren erleichtern. So sprechen unbelebte NPs, Passivierung innerhalb des for"tolnfmitivs oder eine zusätzliche for-PP, wie in den Beispielen (i)-(iii) aus Mair (1984:52), für die Interpretation als Subjekt. In Beispielen wie (iv) hingegen wäre es auch möglich, for nicht als Komplementierer sondern als Präposition zu analysieren. (i) It was natural therefore/or formal logic to develop among the philosophers of the Greek democracies, (ii) [...] it is rather easy for common ground to be forgotten in the dispute over methods [...] (iii) It's not easy for me ./or my son to go to university, (iv) It is important for parents to talk to their children. Vgl. auch die Kritik in J0rgensen (1989) an Quirk et al. (1972), die auffalle dieser Art nicht eingehen. Tatsächlich ist dies dialektabhängig. Im irischen Englisch und im Ozark-Englisch, beispielsweise, kommen for"tolnfinitive auch ohne lexikalisches Subjekt vor (Chomsky & Lasnik 1991). In Bezug auf den Input der in Kapitel 7 vorgestellten Kinder hat die strikte Formulierung im Text jedoch ihre Gültigkeit.
17
(10)
a b
She asked Jill [for Bill/him to get pizza for dinner] (= order) She asked Jill [whether Bill/he could get pizza for dinner] (= inquire)
Im Gegensatz zu den Subjekten in finiten Sätzen steht das lexikalische Subjekt der for to " lnfinitive immer im Objektkasus. Dieser Kasus wird im Englischen von nichtnominalen Kategorien, also von Verben und von Präpositionen, unter Rektion zugewiesen. Potentielle Kasuszuweiser im for"tolnfinitiv sind das Matrixverb und der Komplementierer for. Weder to noch das eingebettete Verb können für den Kasus verantwortlich sein, wie aus den Beispielen (11) und (12) ersichtlich ist. (11) (12)
* [Her to eat pizza without paying] would be illegal * V.I. Wfcrshawski prefers very much [him to get pizza]12
In beiden Beispielen sind sowohl to als auch ein Verb vorhanden, doch die Strukturen sind ungrammatisch. Es gibt zwei Möglichkeiten, diese Beispiele grammatisch zu machen: Entweder man setzt for ein, vgl. (13), oder man eliminiert das lexikalische Subjekt, (14); dann ändert sich zwar die Bedeutung, doch die Beispiele sind grammatisch. (13) (14)
a b a b
[For her to eat pizza without paying] would be illegal V.I. ^fcrshawski prefers very much [for him to get pizza] for dinner [To eat pizza without paying] would be illegal V.I. Warshawski prefers very much [to get pizza] for dinner
Da in eingebetteten finiten Sätzen das Subjekt im Nominativ steht, wird angenommen, daß die CP-Projektion vor der Rektion durch das Matrixverb schützt, so daß es dem Subjekt in einem for"tolnfinitiv keinen Kasus zuweisen kann; damit bleibt der Komplementierer for als Kasuszuweiser. Er steht außerdem immer in der notwendigen Rektionsbeziehung zum Subjekt (Haegeman 1994:165ff). Mit for als lexikalischem C-Kopf ist auch die Projektionshöhe einer CP für for-tolnfinitive einsichtig. Die häufigsten IKs des heutigen Englisch sind solche mit der Partikel to, (15). (15)
to
lnfiiiitive
a b c d
12
13
expect persuade wants seem
(NP) him her (him) *them/they
to to to to to
VP be innocent go to the police have pizza with her enjoy their pizza13
V.I.Warshawski, eine Privatdetektivin, ist die Hauptfigur in den Romanen von Sara Paretsky. In den Beispielen kann also Mm nicht von V.I. Warshawski gebunden werden. Mr. Contreras, der in anderen Beispielsätzen „auftritt", stammt ebenfalls aus diesen Romanen. Hier muß das Subjekt der IK obligatorisch angehoben werden, vgl. unten.
18
Auch die Kategorisierung von to wird kontrovers diskutiert. Einige Autorinnen klassifizieren es als Verbzusatz (Quirk et al. 1972, Greenbaum et al. 1972), andere als der VP übergeordnet (McCawley 1988:111). McCawley nimmt an, daß to mit der gesamten VP und nicht nur mit dem Verb zusammen eine Konstituente bildet, vgl. seine Beispiele (16)-(18): (16) (17) (18)
For either [John to tell Bill such a lie] or [Bill to believe it] is outrageous. For John either [to make up such a story] or [to repeat it] is outrageous. For John to either [make up such a story] or [repeat it] is outrageous.
Diese Sätze zeigen, daß die Abfolgen [NP to VP], [to VP] und die VPs ohne to koordiniert werden können, also jeweils Konstituenten sind. Die Sequenz [ V] kann hingegen nicht koordiniert werden, ist also auch keine Konstituente.14 Auch Formen des sogenannten gespaltenen Infinitivs, (19) und (20), sind problematisch für eine Analyse von to als Verbzusatz. (19) (20)
The USS Enterprise is to boldly go where no man has ever been before Star Trek Try to never split an infinitive Campus Quips®
Wenn es sich bei to tatsächlich um einen Verbzusatz handelte, müßten die Adverbien boldly und never ebenfalls zum Verb gehören. Dies ist aus der Perspektive der englischen Wortbildung jedoch auszuschließen. Ich stimme allerdings nicht mit McCawley (1988) überein, daß to Teil des komplexen Komplementierers for-to ist, der unter C° generiert und dann in eine Adjunktionsposition von VP bewegt wird. Diese Annahme geht auf Rosenbaums (1967) Analyse zurück. Sie ist aus theoretischer und erwerbstheoretischer Perspektive problematisch. Sie hätte beispielsweise die Konsequenz, daß tolnfinitive komplexer sind als for"tolnfinitive, weil in ihnen zusätzlich die Tilgung von for stattgefunden hätte. Ich klassifiziere to deshalb — wie generell in der neueren, generativen Grammatik (vgl. u.a. Radford 1988) — als Infinitivpartikel, d.h. als Kopf der IP in infiniten Strukturen. Für diese Analyse spricht zudem auch die komplementäre Distribution von Modalverben und to. Die Beispiele in (15) zeigen, daß manchmal zwischen dem Matrixverb und dem to lnfinitiv eine NP stehen kann. Diese NP steht (wie bei for"tolnfinitiven) immer im Objektkasus. Bei den tolnfinitiven stellt sich allerdings die Frage, ob es sich bei der NP um ein Objekt des Matrixverbs oder um das Subjekt der IK handelt. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, daß den tolnfinitiven trotz der gleichen Oberflächenabfolge [V NP to VP] unterschiedliche Strukturen zugrundeliegen und daß in der Tat die intervenierende NP in
14
Beispiele wie (i) könnten als Gegenargument angeführt werden, doch bei ihnen handelt es sich ebenfalls um eine Koordination von [to VP]-Sequenzen, wobei im ersten Konjunkt die NP unter Identität getilgt wurde, vgl. die Struktur von (i) in (i'): (i) John wants neither to write nor to read a story (P) John wants neither [to write story] nor [to read a story]
19
manchen Fällen Subjekt des eingebetteten Satzes und in anderen Objekt des Matrixsatzes ist. So illustrieren (21)-(22) (aus Chomsky 1965:22f), daß nach persuade die Lesart des Komplements durch Passivierung verändert wird, während sie nach expect erhalten bleibt. (21) (22)
a I persuade a specialist to examine John b I persuade John to be examined by a specialist Lesart a ^ Lesart b a I expect a specialist to examine John b I expect John to be examined by a specialist Lesart a = Lesart b
Dieses unterschiedliche Verhalten legt den Schluß nahe, daß die zugrundeliegende Struktur des pmMOife-Komplements sich von der des expecf-Komplements folgendermaßen unterscheidet: (21') NP1 persuade NP2 [a to (22') NP1 expect [ NP2 to
...]] ...]]
In (2 ) ist die NP2 Komplement des Matrixverbs persuade,1* in (22') hingegen ist NP2 Subjekt der IK und nicht Argument des Matrixverbs expect. Bei persuade handelt es sich um ein sogenanntes Kontrollverb, bei expect um ein Exceptional Case Marking-Veib (ECM). Ich gehe gleich näher auf diese Klassifizierung ein, möchte zunächst aber noch die dritte Gruppe von tolnfinitiven mit in die Diskussion einbeziehen: die Anhebungsstrukturen (15d) oben und (23)-(24), hier als Raisingstrukturen bezeichnet. (23) (24)
Sally seems to be angry with Harry Sally is believed to be angry
Die zentrale Eigenschaft von Raisingverben wie seem ist, daß sie ihrem Subjekt keine Rolle zuweisen, deshalb steht bei finiten eingebetteten Strukturen auch ein expletives // als Subjekt im Matrixsatz (vgl. // seems that Sally is angry with Harry). Wenn diese Verben infinite Komplemente einbetten, steht systematisch das Subjekt aus der eingebetteten IK in
15
Die NP2 ist außerdem „mitverstandenes'' Subjekt der eingebetteten Struktur. Die Idee des „mitverstandenen" Subjekts wird auf Seite 21 präzisiert. Strukturen dieser Art werden in der älteren generativen Grammatik als Equi-Strukturen bezeichnet. Man ging davon aus, daß eine NP im eingebetteten Satz unter Identität getilgt wird. Verschiedentlich wurde darauf hingewiesen (Huddleston 1984:212, McCawley 1988, Chomsky & Lasnik 1977), daß das „mitverstandene" Subjekt abstrakter sein muß als eine einfache Kopie des Matrixnomens. In Beispielen wie (i) (i) Both candidates expect to impress the panel erwarten nicht beide Kandidaten, daß beide beeindrucken. Vielmehr erwartet jeder einzelne, selbst zu beeindrucken.
20
der Subjektposition des Matrixsatzes. Es wird angenommen, daß dieses sich aus der IK in den Matrixsatz bewegt, d.h. angehoben wird — daher der Begriff Raising. In (25) wird die Interaktion von Kasus- und Thetarollenzuweisung in Raisingstrukturen veranschaulicht. -Thetarote Kasus
+ Thetarolle
fl
[».t, to catch the worm]] RAISING
Ein Argument für diese Analyse liefern Beispiele der folgenden Art: Wenn ein Subjektidiom (the early bind catches the worm) unter verschiedenen Verben eingebettet wird, ist das Ergebnis unterschiedlich grammatisch. (26) (27) (28)
They expected the early bird to catch the worm ?They persuaded the early bird to catch the worm The early bird seems to catch the worm
Die Einbettung des Idioms unter dem ECM-Verb expect in (26) ist unproblematisch. In (27) ist das Idiom unter dem Kontrollverb persuade eingebettet, und das Ergebnis ist aus semantischer Sicht eigenartig, weil der Satz so verstanden wird, daß the early bird überredet wird. Wsnn das Idiom unter dem Raisingverb seem eingebettet wird, (28), kann das Subjekt des Idioms in der Subjektposition des Matrixsatzes erscheinen, ohne daß die idiomatische Lesart aufgehoben wird. Dies spricht dafür, daß the early bird tatsächlich als Subjekt der IK basisgeneriert und dann erst angehoben wird. Diese Beispiele bestätigen, daß wir — abhängig vom Matrixverb — bei tolnfinitiven zwischen drei verschieden IKs unterscheiden müssen. In ECM-Strukturen ist — wie in for'tolnfinitiven — ein lexikalisches Subjekt realisiert, es steht wieder im Objektkasus. Da in Infinitiven for nicht als Kasuszuweiser in Frage kommt, wird angenommen, daß das Matrixverb den Kasus regiert. Für diese Annahme spricht, daß das Matrixverb und das ECM-Subjekt strikt adjazent sein müssen, (29), wie das Verb und das direkte Objekt in einfachen Sätzen, (30).16 (29)
16
a b
* V.l.Warshawski expects sincerely [him to be innocent] V.I.Warshawski sincerely expects [him to be innocent]
Wie ECM-Strukturen genau zu analysieren sind, wird kontrovers diskutiert. Ein Vorschlag sieht vor, das Subjekt der IK in die Objektposition des Matrixsatzes anzuheben, so daß es dort kasusmarkiert werden kann (Subject-to-Object-Raising, vgl. Postal 1974). Andere Analysen gehen davon aus, daß die Satzgrenze der IK getilgt wird und daß dann Kasusmarkierung möglich ist (vgl. Chomsy & Lasnik 1977) oder daß die ECM-Verben von vornherein nur eine IP einbetten (Chomsky & Lasnik 1991), in die das Matrixverb hineinregieren und Kasus zuweisen kann.
21 (30)
a b
* V.I.\\fcrshawski expects urgently him V.I.Wirshawski expects him urgently
Auch Kontrollstrukturen sind nicht subjektlos. Die Beispielein (31)-(33) illustrieren, daß sie ein „mitverstandenes" Subjekt, von nun an als PRO repräsentiert, haben.17 (31) (32) (33)
Jack promised Mary [PRO to feed the kangaroos himself/*herself] Jack persuaded Mary [PRO to feed the kangaroos herself/"himself] It was fascinating [PRO to see the Great Barrier Reef]
Beispiel (31) verstehen wir so, daß Jack die Känguruhs füttert, und (32) so, daß Mary dies tut. Dies wird jeweils durch die Reflexivpronomen bestätigt. Anaphern müssen innerhalb einer bindenden Kategorie gebunden sein (v. Stechow & Sternefeld 1988:217); die bindende Kategorie für herself/himself ist in den Beispielen (31)-(32) jeweils die IK, und in dieser steht keine andere bindende NP zur Verfügung als PRO. Beispiel (33) illustriert die arbiträre Interpretation eines Kontrollinfinitivs. Hier gibt es keine NP, von der PRO seine Interpretation beziehen könnte, es wird deshalb als allgemeines „someone/man" verstanden.18 Fassen wir zusammen: Unter den tolnfinitiven finden wir verschiedene Konstruktionstypen, solche mit lexikalischem Subjekt, d.h. die ECM-Strukturen, und solche mit „mitverstandenem", nämlich die Kontrollstrukturen und schließlich die Raisingstrukturen, in denen das Subjekt der IK in die Subjektposition des Matrixsatzes angehoben wird. Als dritte Form bleiben noch die reinenlnfinitive, in denen keine Partikel die explizit markiert, (34). Auch bei ihnen beobachten wir solche mit und ohne Subjekt. (34)
reine
lnfiiiitive
a b c d
helped saw can come/go
(NP)
VP
(him) her
repair it come repair it watch a film tonight
In den meisten Untersuchungen ist man sich darüber einig, daß die remenlnfinitive, die unter Vollverben eingebettet sind, seltener sind als die Infinitive.19 Es wird auch ausgesprochen
17
18
19
PRO steht für ein phonetisch leeres Pronomen, das wie die lexikalisch realisierten Pronomen für die Merkmale Person, Numerus und Genus spezifiziert ist. Für eine detaillierte Einfuhrung vgl. Haegeman (1994), Ouhalla (1994). Es gibt diverse Faktoren, die bei der Bestimmung von Kontrolle eine Rolle spielen. Es ist jedoch nicht klar, wie sie genau interagieren. Das Kontrollmodul ist eines von den Modulen im P & P Modell, die noch genauer und restriktiver ausformuliert werden müssen. Ich komme bei den Problemfällen in Abschnitt 2.3 noch einmal kurz auf Kontrollphänomene zurück. Vgl. Poutsma (1923), Huddleston (1984), Greenbaum et al. (1972), und die quantitativen Übersichten und Referenzen in Kapitel 3.
22
kontrovers diskutiert, wie remelnfinitive mit lexikalischem Subjekt zu analysieren sind. Vor allem zwei Analysemöglichkeiten werden vorgeschlagen, nämlich (35a) (Akmajian 1977) und (35b) (Gee 1977, Does 1991), die jeweils von einer unterschiedlichen Subkategorisierung des Matrixverbs ausgehen. In (35a) wird davon ausgegangen, daß das Matrixverb see dreiwertig ist: Die Argumentstellen werden vom Matrixsubjekt, einem direkten Objekt und der IK belegt. In (35b) ist das Matrixverb zweiwertig: Die Argumente sind das Matrixsubjekt und die IK.
(35a)
(35b)
VP V saw
NP him
drive into the car park
Es kann an dieser Stelle nicht entschieden werden, welche der vorgeschlagenen Analysen die beste ist;20 wichtig scheint mir, festzuhalten, daß es sich auch bei diesen remenlnfinitiven um ECM-Strukturen handelt. D.h. der Subjekt-NP der IK wird auf außerordentliche Weise vom Matrixverb Kasus zugewiesen. Für diesen Prozeß ist wie in einfachen Sätzen strikte Adjazenz Grundvoraussetzung. Deshalb darf zwischen dem kasusmarkierenden Verb und der IK kein Adverb stehen, (36). (36)
* Sally watched intentionally Harry drive into the car park
Auch die Verben come und go können in sogenannten aspektuellen Verbindungen mit remen lnfinitiven kombiniert werden. Nach Jaeggli & Hyams (1993) handelt es sich hierbei um eine Form der IK, die für die meisten Sprecherinnen nur mit genau diesen beiden
20
Unter anderem wird in diesem Zusammenhang oft mit Spaltsätzen argumentiert. Die Relevanz dieser Strukturen scheint mir jedoch höchst zweifelhaft. Es wird zwar angenommen, daß nur Konstituenten in Spaltsätzen stehen können, doch wie die folgenden Beispiele zeigen, gilt der Umkehrschluß nicht, daß alle Sequenzen, die nicht in Spaltsätzen vorkommen können, keine Konstituenten sind. Somit ist fraglich, ob anhand dieses Tests überhaupt Rückschlüsse auf die Konstituentenstruktur des reu1enlnfmitivs möglich sind, (i) a * It was [John to be happy] diät seemed b * It was [to be happy] that John seemed (ii) a * It was [Harry to drive the car] that Sally persuaded b ? It was [to drive the car] that Sally persuaded Harry (iii) a * It was [Harry to be ill] that Sally believed b * It was [to be ill] that Sally believed Harry Vgl. auch die Kritik in Bresnan (1972) und Maxwell (1984).
23 Matrixverben möglich ist. Die Autorinnen schlagen vor, diese Strukturen als aspektuelle Verwendung von come und go zu analysieren. Come/'go haben in diesen Strukturen Gemeinsamkeiten sowohl mit den Modal- als auch mit den Vollverben. Jaeggli & Hyams (1993) weisen darauf hin, daß sie wie Modalverben nie flektiert werden, ihnen folgt der reine lnfinitiv, (37), und es kann kein Subjekt des infiniten Verbs stehen, (38).21 (37) (38)
a b c a b
Whenever there is a good film on, I go watch it * Whenever there is a good film on, he goes watch it Whenever there is a good film on, he will go watch it The children go visit their gandma every Sunday * The children go they/them visit their grandma every Sunday
Andererseits zeigen die Verben auch Gemeinsamkeiten mit Vollverben: U.a. ist doUmschreibung möglich, (39), sie können mit einem Modalverb kombiniert werden, (40), bei VP-Tilgung werden come/go mitgetilgt, während dies bei Modalverben nicht der Fall ist, (41), und come/go können nicht invertiert oder direkt negiert werden, (42). (39) (40) (41) (42)
a b a a
Does he go watch a film every night? I may go watch a film tonight I go watch a film and you do/*go too I will go watch a film tonight and you might too * Go you watch a film tonight? * I go not watch a film tonight.
Dies spricht dafür, daß come/go zwischen der VP mit dem Hauptverb und der IP positioniert sind. Eventuell sind sie Kopf eines eigenen Phrasentyps, etwa einer Aspektphrase, wie Jaeggli & Hyams (1993) vorschlagen, oder sie sind Verben in einer VP mit sehr spezifischen Selektionseigenschaften, die eine VP einbetten. In (43) wird abschließend noch einmal illustriert, wie die diskutierten IKs innerhalb des hier angenommenen Satzmodells analysiert werden. In (43a) ist ein for"tolnfinitiv aufgeführt, in (43b) ein Kontrollinfinitiv, in (43c & e) ECM-Strukturen, in (43d) ein Raising-Infinitiv und in (43f) ein aspektueller Infinitiv.
2l
Beispiele (37)-(42) nach Jaeggli & Hyams (1993).
24
(43)22 a b c d e f
2.1.2
She arranged [CP for [jp him [j to] [yp take a taxi across Harbour Bridge]]] He persuades her [cp [jp PRO [j to] [yp feed the kangaroos]]] She believes [jp him [j to] [yp like koalas]] ShCfc seems fo tk [j to] [yp enjoy the Barrier Reef]] She sees [yp him feed a possum] They go [yp have a party at Bondi Beach]
Matrixelemente
Alle Beispiele, die bisher aufgeführt wurden, dokumentieren, daß sowohl for"tolnfinitive als auch tolnfinitive und remelnfinitive nach Vollverben stehen können. Weitere potentielle Matrixelemente sind Nomen, (44), und Adjektive, (45).23 (44)
a b c a b c
(45)
This is someone [for you to watch dolphins with] This is something [to read] * This is something [(him) read] It is illegal [for tourists to take bits of the Acropolis with them] It is illegal [to take bits of the Acropolis away] * It is illegal [(him) take bits of the Acropolis away]
Hier ergeben sich recht klare Korrelationen: for"tolnflnitive und tolnfinitive kommen mit allen (lexikalischen) Kategorien vor, reinelnfinitive nur mit Verben.
2.1.3
Syntaktische Funktionen
IKs kommen als Subjekte, (46), Objekte (allerdings nicht von Präpositionen), (47), Adjunkte zu Verben, (48),24 und zu Nomen, (49), vor.
22 23
24
In diesen Beispielen sind nur solche Spuren eingezeichnet, die für die Analyse der jeweiligen IK relevant sind, andere wurden zu Gunsten der Übersichtlichkeit weggelassen. Auch bei IKs nach Adjektiven gilt es zu entscheiden, ob eine NP Argument des Matrixsatzes ist oder nicht, d.h. ob es sich um eine Raisingkonstruktion handelt oder nicht. Zudem unterscheiden sich die Konstruktionen noch dahingehend, ob die Matrix-NP ursprünglich Subjekt, (i), oder Objekt, (ii), der IK ist. Diese Unterschiede — meist an den Adjektiven easy to VP vs. eager to VP illustriert — sind auch Gegenstand englischer Schulgrammatiken, vgl. Scott et al. (1968). (i) Shei is eager [tj to read this grammar book] (ii) [This grammar book]; is easy [to read tj] Genau genommen müßte man zwischen verschiedenen Adjunkttypen (Final- u. Konsekutivsätze etc.) unterscheiden (vgl. Jones 1991, Huettner 1989). Da diese im Zusammenhang mit den hier diskutierten Erwerbsverläufen jedoch nicht wichtig sind, verzichte ich auf diese genauere Differenzierung.
25 (46)
(47)
(48)
(49)
a b c a b c a b c a b c
[For Harbour Bridge to collapse] is unthinkable [To see dolphins from the beach] is my dream * [See dolphins from the beach] is my dream I hope [for Mike to see Ayers Rock next year] I hope [to see Ayers Rock next year] Mike is watching [a koala climb a Eucalypt tree] They left the door open [for me to hear the kokaburra] Sue put up the fence [(in order) to keep the wallabies out] * [See the koalas] Jerry cut down a tree (= in order to ...) a book [for you to read in] a man [to guide us to Alice Springs] * bottlebrushes [plant in the garden]
Beschränkungen bestehen wieder hinsichtlich der reinenlnfinitive: Sie können nur als Objekte von Verben auftreten; for"tolnfinitive und tolnfinitive hingegen finden wir in allen genannten syntaktischen Funktionen.
2.1.4
Übersicht über die englischen Infinitivkonstruktionen
In Tabelle 2. l sind die bisherigen Beobachtungen zusammengefaßt. Die Konstruktionen, die die hier beobachteten Kinder bis zum Ende der Datenerhebung produzieren, sind durch Schattierung hervorgehoben. Tabelle 2.1 Übersicht über englische IKs
—
[± Partikel]
to
for to
ECM
Raising
ECM
Kontrolle
ECM
NP
Spur
NP
PRO
NP
Modalverb come I go
Vollverb
Raisingverb Adjektiv
ECMVerb
Kontrollverb Adjektiv Nomen
Vollverb Adjektiv Nomen
Funktion
Komplement
Komplement
Komplement
Komplement
Komplement Subjekt Adjunkt
Komplement Subjekt Adjunkt
Kategorie
VP
VP
IP
IP
CP
CP
Konstruktion
„
Subjekt Matrixelement
26
Es ist normalerweise nicht üblich, for"tolnfinitive als ECM-Strukturen zu bezeichnen. Ich tue es hier dennoch, weil auch for"tolnfinitive in zweierlei Hinsicht auf außerordentliche Weise kasusmarkiert werden: Zum einen steht das Subjekt der IK wie auch in ECM-Strukturen mit to lnfinitiv nicht im typischen Subjektskasus Nominativ sondern im Objektskasus, und zum anderen wird es nicht wie Subjekte sonst von INFL kasusmariert, sondern von einem Komplementierer. Diese Analyse hat zudem den Vorteil, daß sie eine Gemeinsamkeit zwischen ECM-toInfinitiven und for'tolnfinitiven erfaßt, die offensichtlich im Spracherwerb relevant ist (vgl. auch Kapitel 8). Tabelle 2. l erfaßt die Klassifikationskriterien, die zu Beginn des Abschnitts genannt wurden. Es lassen sich durchaus Korrelationen zwischen den verschiedenen Kriterien finden. Vor allem im Bereich der tolnfinitive ist es jedoch schwierig, von einem Kriterium auf die anderen zu schließen. Die Infinitivpartikel to ohne den Komplementierer for kann in IP- oder CP-Strukturen stehen. Wenn es sich um einen Kontrollinfinitiv und damit um eine CP handelt, kann die IK außerdem sehr verschiedene syntaktische Funktionen erfüllen.
2.2
Infinitivkonstruktionen im heutigen Deutsch
Im folgenden werden die deutschen IKs systematisch zusammengestellt. Dies geschieht weitgehend in derselben Weise wie für die englischen in den letzten Abschnitten. Bevor ich jedoch auf die IKs eingehe, sind auch für das Deutsche einige Anmerkungen zur Satzstruktur in finiten Sätzen nötig. Im Gegensatz zum Englischen besteht für das Deutsche weniger Einigkeit darüber, wie Haupt- und Nebensätze zu analysieren sind. In (50)(52) sind gängige Analysen zusammengestellt. (50) (51) (52)
[CP C° [jp [yp .... V nf ] I°] ] VE: [cp/ip... C 0 /I°[vp.... V ] ] Vl/2: |jp ... 1° [yp ... V ] ] [FP Spec [p F° [vp ... V° ] ] ]
(Grewendorf 1988) (vereinfacht nach: Brandt et al. 1992) (Haider 1993)
(50) war lange die verbreitete generative Analyse für das Deutsche. Ihr Vorteil liegt darin, daß die beiden Kopfpositionen C° und 1° scheinbar mit der Position des finiten Verbs der linken und der rechten Satzklammer in der Topologie deutscher Sätze korrelieren.25 Diese Analyse wird jedoch mit zwei gravierenden Problemen konfrontiert: Zum einen verhalten sich eingeleitete Verbend- (VE) und uneingeleitete Verberst- und Verbzweitsätze (V1/V2) nicht gleich. Dies hat dazu geführt, daß Brandt et al. (1992) (=BRRZ) eine asymmetrische
25
Zur Topologie deutscher Sätze vgl. Höhle (1986) sowie Reis (1980) und zur Übertragung der CP-IP-Struktur auf das topologische Modell Olsen (1984) und Grewendorf et al. (1987).
27 Analyse deutscher Sätze wie in (51) vorschlagen.26 Zum anderen gibt es verschiedene Argumente gegen eine kopffinale IP, die Haider (1993:58ff) zusammenfaßt. Die Beispiele (53)-(55) stammen von ihm. (53) (54) (55)
[yp [yp einem Kind beistehen] [das nach Hilfe ruft]] wird doch wohl jeder * daß doch wohl jeder [yp [yp einem Kind beistehen] [das nach Hilfe ruft]] wird daß doch wohl jeder [yp einem Kind beistehen wird] [das nach Hilfe ruft]
(53) illustriert, daß extraponierte Sätze (in diesem Fall der Ralativsatz [das nach Hilfe ruft]) an VPs adjungiert und dann mit ihnen bewegt werden können. Wenn es im Deutschen eine finale I°-Position gäbe, müßte (54) grammatisch sein. Das finite Verb wird steht hier in finaler Position; wenn es sich um die I°-Position handelte, sollte die Adjunktion des Relativsatzes an die VP, d.h. in eine Position vor 1°, möglich sein. Da diese Struktur aber ungrammatisch ist, während das Beispiel (55) zielsprachlich ist, kann wird nicht in einer finalen I°-Position stehen, sondern muß sich in der Basisposition V° befinden. BRRZ (1992) argumentieren dafür, deutschen Sätzen zwei verschiedene Strukturen zugrundezulegen, je nachdem ob sie eingeleitet sind oder nicht. In jedem Fall schlagen sie vor, das finite Verb direkt unter V° zu generieren. In dieser asymmetrischen Analyse sind eingeleitete VE-Sätze kopfinitiale CP/IPs, (56a), und V2-Sätze kopfinitiale IPs, (56b), (BRRZ 1992:25). Diese Analyse hat mit der in (52) oben von Haider (1993) gemeinsam, daß sie nur eine funktionale Projektion oberhalb der VP annimmt, unterscheidet sich jedoch von der von Haider dadurch, daß sie explizit von unterschiedlichen maximalen Projektionen ausgeht. (56a)
Struktur des Verb-letzt-Deklarativsatzes und des Verb-letzt-W-Interrrogativsatzes CP/IP
SpecC/I
C1/!1
/
\
C°/I° SpecV
26
VP V1
Für eine detaillierte Darstellung der empirischen Verhältnisse und der mit (50) verbundenen Probleme vgl. Reis (1985), Reis & Rosengren (1991) und BRRZ (1992) und für eine Diskussion der Symmetrie- und Asymmetriehypothese (auch Uniformitäts- und Differenzhypothese genannt) Grewendorf (1988), von Stechow & Sternefeld (1988), BRRZ (1992) sowie Haider (1993).
28
(56b) Verb-zweit-Deklarativsatz und Verb-zweit-W-Interrogativsatz IP
Specl 1°
I1i /\
VP
SpecV ..
V1 V°
Diese Analyse erfaßt im wesentlichen die unterschiedlichen Stellungsregularitäten des Deutschen, ohne Positionen überzugenerieren. Aus zwei Gründen gehe ich in der vorliegenden Arbeit von der Asymmetriehypothese aus: Zum einen erscheint mir die Evidenz für ein asymmetrisches Verhalten deutscher Sätze an sich schon gewichtig genug, zum anderen haben Untersuchungen zum Erwerb der deutschen Syntax Anhaltspunkte ergeben, die ebenfalls für eine — zumindest zeitweise — asymmetrische Analyse sprechen (vgl. Fritzenschaft et al. 1990, Gawlitzek-Maiwald et al. 1992, Tracy 1994, 1995). Die Beispiele in (57)-(66) belegen einige der zielsprachlichen IKs des Deutschen.27 (57) (58) (59) (60) (61) (62) (63) (64) (65) (66)
Ich besorge Ihnen was zu trinken, oder läßt Ihr ausgeprägtes Emanzipationsbewußtsein das nicht zu? Lind-24 Entsprechend käme niemand auf die Idee, ein Auto mit angezogenen Bremsen bergauf zu schieben Org-98 Er läßt dich nämlich herzlich grüßen, murmelte sie beim \&rbeugen. Lind-21 Obwohl ich eine kaum zu bremsende Lust verspürte, mir auf diese Yfcise einen Heiratsantrag machen zu lassen. Lind-26 Ich hörte dich singen [...] Lind-7 Zur Problemlösung wird versucht, die "human resources'1 der Organisationsmitglieder zu mobilisieren [...] Org-96 Zum Beispiel hat man vergessen, immer wieder an die Durchführung der Besprechung zu erinnern, regelmäßig nachzuhaken [...] Org-99 [...] sie sind nicht bereit, diesen Sprung zu vollziehen Org-106 Die Kollegen waren zum Knoblauchtanken beim Griechen Lind-11 Und um ihn beim Umziehen alleine zu lassen, verlustierten wir uns einige Minuten im Pfarrgarten Lind-19
Einige dieser Beispiele enthalten gleich mehrere IKs. In (57), (58) und (60) finden wir ^Infinitive nach Pronomen bzw. Nomen. Die Beispiele (62) und (63) illustrieren zulnfinitive nach Verben, in (64) steht ein zulnfinitiv nach einem Adjektiv. remelnfinitive (immer nach
27
Eine hilfreiche Übersicht findet sich in Hyvärinen (1984:130f).
29
Verben) sind in (59) und (61) belegt, ein um"zulnfinitiv in (66) und nominalisierte Infinitive in (59), (65) und (66). Die Tatsache, daß wir im Deutschen wie im Englischen aufgrund der verschiedenen Partikeln drei Formen von IKs unterscheiden, legt die Vermutung nahe, daß die IKs beider Sprachen parallel strukturiert sind. Wie sich zeigen wird, stimmt dies nur bedingt. Doch bevor die deutschen IKs der Reihe nach diskutiert werden, muß noch auf eine Besonderheit deutscher IKs hingewiesen werden. Seit Bechs Arbeiten (1955, 1957) werden im Deutschen IKs danach unterschieden, ob sie satzwertig (inkohärent) sind oder nicht.28 Kohärente und inkohärente IKs verhalten sich unterschiedlich, z.B. im Hinblick auf Extraposition, Negationsskopus, Scrambling und Reflexivierung (vgl. Bech 1983, Grewendorf 1988:263ff, von Stechow & Sternefeld 1988:407ff, von Stechow 1990). um'zulnfinitive sind immer inkohärent, reinelnfinitive immer kohärent und ^Infinitive können sowohl in kohärenten als auch in inkohärenten Konstruktionen vorkommen. Die Kinder, deren Erwerbsverläufe ich in den Kapiteln 6 und 7 beschreibe, produzieren zunächst nur inkohärente ^Infinitive. Deshalb will ich das Phänomen hier nur exemplarisch anhand von Extrapostion und Negation illustrieren. Nur inkohärente IKs können extraponiert werden:29 (67) (68)
a b a b
Sie Sie Sie * Sie
hatte [den Schurken zu fangen] versucht hatte versucht, [den Schurken zu fangen] hatte [den Schurken fangen] wollen hatte wollen, [den Schurken fangen]
Die Tatsache, daß das Komplement von versuchen extraponiert werden kann, spricht dafür, daß dieses Verb auch inkohärente Strukturen einbetten kann; bei wollen gibt es hingegen keine inkohärente Alternative (68b) zur kohärenten (68a). Negationsdaten bestätigen diese Beobachtung.
28
29
Die Begriffe „kohärent" und „inkohärent" gehen auf Bech (1955) — im folgenden zitiert nach der unveränderten zweiten Auflage von 1983 — zurück, werden heute jedoch nicht mehr in genau derselben Bedeutung verwendet. Bech bezeichnet mit Kohärenz zwei Verbalfelder, „die zur selben hypotaktischen kette gehören, wollen wir sagen, daß sie k o h ä r e n t sind, wenn sie zum selben kohärenzfeld gehören, und i n k o h ä r e n t , wenn sie zu zwei verschiedenen kohärenzfeldern gehören." (Bech 1983:62). Eine Überstrapazierung des Begriffs ist etwa bei Leys (1984:92f) zu beobachten, der folgendes in Bezug auf Bewegungsverben mit IK feststellt: „Die sprachliche Kohärenz beider Prädikate kann als die Widerspiegelung der kognitiven Kohärenz des von ihnen bezeichneten Sachverhalts gedeutet werden." Um eine besondere Form der Extraposition handelt es sich bei Beispielen wie (i), der sogenannten Dritten Konstruktion. (i) ..., weil wir Dritte Konstruktionen versuchen heute zu verstehen Sie kann nur bei inkohärent konstruierenden Verben auftreten; Inkohärenz ist also eine Voraussetzung für das Auftreten der Dritten Konstruktion. In ihr steht der eingebettete ^Infinitiv diskontinuierlich im Satz. Zur verschiedenen Analyseansätzen vgl. Kvam (1979, 1980), den Besten & Rutten (1989), Santorini (1990), de Haan (1993).
30
Der Wirkungsbereich (Skopus) von Negationen unterscheidet sich in kohärenten und inkohärenten IKs. Maximaler Skopusbereich ist normalerweise der Satz. (69) a b (70) a b
weil sie nichts zu hören versuchte weil sie alles tat, um nichts zu hören = Lesart (81) weil sie nichts tat, um zu hören = Lesart (81) weil sie versuchte, nichts zu hören weil sie alles tat, um nichts zu hören = Lesart (82) weil sie nichts tat, um zu hören & Lesart (82)
Diese Lesartenverteilung korreliert mit den Extrapositionsdaten. In (69) bettet versuchen eine kohärente Konstruktion ein, nichts kann sich entweder auf hören oder auf versuchen beziehen. Das bedeutet, daß zwischen den beiden Verben keine Satzgrenze liegen kann. In (70) hingegen kann sich nichts nicht auf das Matrixverb beziehen. Zwischen den beiden Verben muß eine Satzgrenze sein; es liegt also eine inkohärente Konstruktion vor.
2.2.1
Deutsche Infinitivkonstruktionen mit und ohne Rirtikel
Ich diskutiere in diesem Abschnitt zunächst die um"zulnfinitive, dann die ^Infinitive und die remen lnfinitive. um"zulnfinitive30 sind immer unabhängige Adverbialsätze, und sie sind immer satzwertig.
(71) a b
30
[um um * um
.... zu Rosen für ihn zu Sally Rosen für ihn zu
Vnf] kaufen kaufen
Historisch haben sich die um"zulnfmitive aus Sequenzen bestehend aus der Präposition um, einer dazugehörigen NP und einer folgenden IK entwickelt. Paul (1919) und Dal (1962) klassifizieren um in ihren historischen Arbeiten folgerichtig als Präpositionen. Aus synchroner Sicht ist dies jedoch problematisch, weil um in um"zulnfmitiven keinen Kasus zuweist. Zwar findet man die Kategor is ierung als Präposition auch noch in neueren Arbeiten (z.B. Voyles 1983), meist wird jedoch anders kategorisiert. Allerdings herrscht keine Einigkeit darüber, welcher Kategorie um in IKs angehört: Erben (1966), Eisenberg (1989), Fries (1983) und Flämig (1991) analysieren es als Konjunktion, Heibig (1983) allgemein als Partikel. Zusammen mit den """'^Infinitiven werden meist solche IKs diskutiert, die durch anstatt oder ohne eingeleitet werden, (i) und (ii). Diese sind sprachhistorisch noch jünger als die um"zulnfinitive (Paul 1919:§ 347f), sie kommen bei in frühen Phasen des Spracherwerbs jedoch nicht vor. Deshalb werden sie hier nicht speziell berücksichtigt, (i) Einen anderen Wert sehen sie darin, daß man das Ausdrücken [...] für gut (ii)
hält, statt es zu unterdrücken, zu tabuisieren [...]
Org-106
Ich bewunderte die Omas, wie sie fast zwei Stunden lang in Reih und Glied standen, ohne zu schwanken.
Lind-17
31
Wie die Beispiele in (71) illustrieren, stehen in ^"^Infinitiven nie lexikalische Subjekte. Doch wie bei den englischen Kontrollinfinitiven haben wir recht genaue Intuitionen darüber, wer die Handlung der IK ausführt. Es gibt also auch in um~zulnfinitiven „mitverstandene" Subjekte. Das bedeutet, daß es sich um Kontrollinfinitive handelt. Wieder können unterschiedliche NPs in der Matrixstruktur PRO kontrollieren, (72)-(73), und es gibt wiederum arbiträre Kontrolle in Beispielen wie (74). (72) (73) (74)
Salty will in die Stadt fahren, [um PROj Rosen für Harry zu kaufen] Sally bittet Harty in die Stadt zu fahren, [um PROj Rosen zu kaufen] [Um PROajb es kurz zu sagen], Harry will nicht
Höhle (1978:184f) weist daraufhin, daß die Interpretation von PRO in ""'^Infinitiven auch mehrdeutig sein kann: Mit der Äußerung um in guter Verfassung zu bleiben, soll der Abschnitt täglich bearbeitet werden kann gemeint sein, daß Person eine bestimmte Arbeit täglich tun soll, damit in guter Verfassung bleibe, oder daß ein bestimmter Abschnitt y bearbeitet werden soll, damit y in guter Verfassung bleibe
Genau wie bei den um"zulnfinitiven steht in ""Infinitiven31 nie ein lexikalisches Subjekt, (75b, d). ^Infinitive sind heute die häufigsten IKs und können unter einer Vielzahl von Verben eingebettet werden.
(75)
a b c d
[ ··· Er scheint * Es scheint Sie versucht * Sie versucht
der Detektivin er ihr den Schurken sie ihn
zu zu zu zu zu
Vnf] entwischen entwischen finden finden
Bei den ^Infinitiven muß zwischen zwei verschiedenen Konstruktionen unterschieden werden. Es handelt es sich um Raisingkonstruktionen, (75a, b), zum anderen um Kontrollkonstruktionen, (75c, d). Raisingverben wie scheinen, pflegen und drohen weisen ihrem Subjekt (wie im Englischen) keine -Rolle zu; deshalb steht, wenn eine finite Struktur eingebettet ist, ein expletives es in der Subjektpostion des Matrixsatzes, (76). Das Subjekt in (77) ist vom eingebetteten Verb subkategorisiert.
31
zu hat sich — wie um — aus einer Präposition entwickelt (vgl. Paul 1919). Heute wird es u.a. allgemein als Partikel (Heibig 1983, 1991), oder spezifischer als Konjunktion (Döring et al. 1976) oder als Verbalpräfix (vgl. Eisenberg 1989) analysiert. Zunächst dienten die Infinitive mit der Präposition zu dem Ausdruck eines Zwecks, den die Präposition transparenter machte als ein rem**Infinitiv. Nach und nach wurde zu auch in IKs verwendet, die keine finale Bedeutung hatten. Heute haben ^Infinitive die meisten der ursprünglich remenlnfinitive ersetzt (vgl. auch Demske-Neumann 1994).
32
(76) (77) (78)
Es scheint, daß Sally vom nächsten Urlaub träumt Sally scheint vom nächsten Urlaub zu träumen ?? Sally scheint.
Dies wird auch deutlich, wenn man (77) mit (78) vergleicht. Das Beispiel (78) ist im äußersten Fall dann grammatisch, wenn ein sehr spezifischer Kontext konstruiert wird und wenn scheinen im übertragenen Sinne von „leuchten" oder „strahlen" verstanden wird — es handelt sich also um ein anderes Verb. Damit wird deutlich, daß deutsche "Raising"-Verben das wichtigste Charakteristikum mit den englischen gemein haben: Sie weisen ihrem Subjekt keine -Rolle zu. Fraglich ist jedoch, ob für das Deutsche eine Bewegungsanalyse wie im Englischen angemessen ist. Daten wie die in (79) und (80) zeigen, daß in deutschen "Raising"-Konstruktionen genau dieselben Bewegungsmöglichkeiten bestehen wie im einfachen Satz.32 (79)
(80)
a b c d a b c d
Ihm wächst die Sache heute über den Kopf Die Sache wächst ihm heute über den Kopf Über den Kopf wächst ihm heute die Sache Heute wächst ihm die Sache über den Kopf Ihm scheint die Sache heute über den Kopf zu wachsen Die Sache scheint ihm heute über den Kopf zu wachsen Über den Kopf scheint ihm heute die Sache zu wachsen Heute scheint ihm die Sache über den Kopf zu wachsen
Verben wie versuchen hingegen weisen ihrem Subjekt eine -Rolle zu; deshalb ist ein Wetter- als Subjekt nicht möglich, (81). Das PRO-Subjekt des ^Infinitivs in (75c) und (82) wird wie bei """^Infinitiven durch Koreferenz mit einer anderen NP interpretiert oder es wird als allgemeines „man" verstanden, (83).33 (81) (82) (83)
32
33
*
Es versucht schon den ganzen Tag zu regnen Harry überredet Salty [PROj mit ihm essen zu gehen] [PRO^ den Abwasch zu machen], ist nicht sonderlich lustig
Für eine genauere Diskussion der Datenlage vgl. Olsen (1981:134ff), von der auch die Beispiele (79) und (80) stammen. Gegen eine Bewegungsanalyse deutscher "Raising"-Strukturen spricht wohl auch, daß diese für andere Strukturen, für die sie im Englischen angenommen wird, für das Deutsche höchst zweifelhaft ist: Passiv, towgA-Movement und ECM als Subjekt-zu-Objekt-Anhebung. In der Literatur herrscht keine Einigkeit darüber, wie groß genau die Rolle des Matrixverbs bei der Bestimmung der sogenannten Kontrollbeziehungen, d.h. der Referenzbestimmung von PRO, ist. Flämig (1991) geht davon aus, daß das Matrixverb die Beziehung vollständig bestimmt; Siebert-Ott (1983), Buscha & Zoch (1988) sowie Eisenberg (1989) argumentieren für einen entscheidenden Einfluß der Diskurspragmatik. Vgl. zu Kontrollproblemen auch Abschnitt 2.3.2.
33
Der remelnfinitiv ist historisch gesehen die älteste Form der IKs im Deutschen (vgl. Paul 1919, Dal 1962); außer von den Modalverben wird er heute nur noch von einer kleinen Gruppe von Verben eingebettet.
(84) a b c d e
[... Sie möchte mehr Informationen * Sie möchte sie mehr Informationen Sally sieht (Harry) den ^fcgen Sie läßt (ihn) die Spaghetti Sie kommt/geht den ^fcgen
Vnf] bekommen bekommen parken kochen einparken34
Diese wenigen Beispiele zeigen schon, daß sich die reinen Infinitive in Bezug auf die Subjektrealisierung von den """^Infinitiven und ^Infinitiven unterscheiden. Bei bestimmten Matrixverben kann das Subjekt der IK lexikalisch realisiert sein und zwar als Akkusativ-NP. Dies gilt v.a. für die Wihrnehmungsverben; diese werden als ECM-Verben analysiert.35 Bei Modal- und Bewegungsverben, sowie bei Bildungen mit tun als Matrixverb darf hingegen das Subjekt der IK nicht lexikalisch realisiert sein. Doch auch die reinenlnfinitive ohne lexikalisches Subjekt sind nicht alle gleich strukturiert. Die Beispiele in (85) und (86) illustrieren, daß die Wihl der Objekte alleine vom Vollverb bestimmt wird; das Modalverb übt hier keinen Einfluß aus, (87)-(88). (85)
34
35
a b
Der Junge besucht [seinen * Der Junge besucht [seinem Großvater]DAT
Unter den reulenlnfinitiven gehören wiederum die nach Bewegungsverben zu den ältesten (vgl. Paul 1919:§ 331). Bei ihnen ist auch noch am ehesten die ursprünglich finale Komponente erhalten, vgl. BuschaÄ Zoch (1988) und Suchsland (1983). Vgl. Suchslands Beispiele in (i)-(iii), die er als äquivalent ansieht: (i) Er kommt die Gasrechnung kassieren (ii) Er kommt, weil er die Gasrechnung kassieren will (iii) Er kommt, um die Gasrechnung zu kassieren Für diese deutschen Strukturen wird gewöhnlich der Terminus A.c.I. (Accusativus cum Inflnitivo) verwendet. Da er weder den angenommenen Prozeß bezeichnet, noch alle deutschen ECMStrukturen erfaßt, verwende ich auch für die deutschen Strukturen den englischen Terminus. Ähnlich wie bei den englischen ECM-Strukturen mit reuicmlnfinitiv wird ihre Struktur äußerst kontrovers diskutiert. Ganz knapp lassen sich die drei zentralen Positionen so charakterisieren: (i) Das ECM-Verb ist dreiwertig, so daß neben dem Matrixsubjekt das Subjekt der IK und der Infinitiv jeweils ein Argument des Matrixverbs ist (z.B. Plank 1976, Eisenberg 1986, 1989). (ii) Das ECM-Verb und das infinite Verb bilden einen Verbalkomplex (z.B. Bausewein 1991). (iü) Das ECM-Verb ist zweiwertig. Das Matrixsubjekt und die gesamte IK nehmen je eine Argumentstellte ein (z.B. Chomsky 1981, Hyvärmen 1984). Haider (1986a) analysiert ECM-Strukturen als nicht-sentential mit Verbalkomplex analog (ii) oder auch wie in (iii), je nach dem, ob Unifikation der Argumentstrukturen vom Matrixverb und dem eingebetteten Verb stattgefunden hat oder nicht.
34
(86) (87) (88)
a b a b a b
* Der Junge hilft [seinen Großvater]AKK Der Junge hilft [seinem Großvater]DAT Der Junge kann/darf/soll/will/möchte/... * Der Junge kann/darf/soll/will/möchte/... * Der Junge kann/darf/soll/will/möchte/... Der Junge kann/darf/soll/will/möchte/...
[seinen Großvater]^^ besuchen [seinem Großvater]DAT besuchen [semen Großvater]AKK helfen [seinem Großvater]DAT helfen
Anders sieht es jedoch bei der 'Wahl des Subjekts aus: Die deutschen Modalverben im Erwachsenensystem unterscheiden sich in dieser Beziehung so wie Kontroll- und Raisingverben (vgl. Öhlschläger 1989). Klare Unterschiede zeigen Strukturen mit unpersönlichen Subjekten wie in (89). Diese Strukturen können nicht unter Kontrollverben eingebettet werden, (90), wohl aber unter Raisingverben, (91). Bei den Modalverben finden wir genau dieselbe Grammatikalitätsverteilung, (92)-(93). (89) (90) (91) (92) (93)
a b c a b c a b c a b c a b c
* * *
* * *
Es regnet Ihn friert Es wird getanzt Es beabsichtigt zu regnen Ihn beabsichtigt zu frieren Es beabsichtigt getanzt zu werden Es scheint zu regnen Ihn scheint zu frieren Es scheint getanzt zu werden Es will/möchte regnen Ihn will/möchte frieren Es will/möchte getanzt werden Es darf/kann/mag/muß/soll regnen Ihn darf/kann/mag/muß/soll frieren Es darf/kann/mag/muß/soll getanzt werden
Ganz analog zu den Vollverben werden die Modalverben wollen und möcht- deshalb auch als Kontrollverben klassifiziert und die anderen als Raisingverben. Diese Darstellung orientiert sich an Öhlschläger (1989), sie ist aber keineswegs unumstritten. So schlagen z.B. v.Stechow & Sternefeld (1988:428ff) vor, die epistemische Verwendung der Modalverben als Raisingstrukturen zu analysieren, die deontische als Kontrollstruktur. Als weitere Gruppe sollen hier noch kurz die freien Infinitive besprochen werden, die im Erwachsenensystem sowohl als diskurspragmatisch bedingte Ellipsen wie in (94) als auch als unabhängige Strukturen wie in (95)-(96) vorkommen.36
36
Für eine genaue Darstellung und eingehende Differenzierung der verschiedenen Beispiele vgl. Fries (1983).
35
(94) (95) (96)
a b c d
A: Was machst 'n da? B: Lesen. Festhalten! Venedig sehen und sterben! Bitte nicht auf den Boden spucken! Wohin sich noch wenden? Alle mal herhören!
Neben diesen standarddeutschen IKs gibt es solche, die vor allem umgangssprachlich bzw. in Dialekten verwendet werden: den sogenannten Rheinischen Infinitiv mit am, (97)-(100), und ^Infinitive (vgl. (103)ff). (97) (98) (99)
Man ist mich so am Überreden. (Hörbeleg Hessisch) Ich bin ja schon lange am Nichrauchen. (Bonhorst 1993:49) Und wenne zu lange drauf sitzt aufen Thron, dann fangen se schon am sägen. (Bonhorst 1993:56) (100) Eintlich sind se an dat Obst und Gemüse ja schon lange rum am fummeln. (Bonhorst 1993:58) Thieroff (1992) sowie Bhatt & Schmidt (1993) argumentieren, daß es sich bei diesen IKs um Aspektmarkierungen analog zu englischen Progressive-Stiukturen handelt, vgl. auch den Kontrast in (101) und (102). (101) * der Junge ertrank im Weiher, aber er konnte von einem Passanten herausgefischt werden (102) der Junge war im Weiher am ertrinken, aber er konnte von einem Passanten herausgefischt werden (Bhatt & Schmidt 1993:71) (102) drückt im Gegensatz zu (101) keine abgeschlossene Handlung aus, so daß der koordinierte Satz zu keinem Widerspruch führt. ^Infinitive sind v. a. im Ruhrgebiet gebräuchlich. Sie machen den finalen Charakter einer IK deutlicher als das inzwischen recht opake um. Für steht in der Position von um, oft ist zu nicht realisiert.37 (103) 360 Eier für mitten Auto fahn. (104) da brauchste ne Schubkarre für das wegzumachen (105) der nimmt als Poliermittel Watte für den Spiegel putzen
37
ffir
(Bonhorst 1993:27) (Schibulsky in SWF3) (Hörbeleg)
lnfmitive bieten außerdem die Möglichkeit, ein Subjekt in Strukturen zu realisieren, bei denen dies sonst nicht der Fall ist, vgl. Voyles (1983). (i) '"Menschen zu irren ist möglich (ii) Für Menschen zu irren ist möglich
36
Auch Nominalisierungen von IKs kommen vor,38 Sie drücken ebenfalls einen Zweck aus (vgl. Paul 1919:§ 342). (106) (107) (108) (109)
Können Sie mir [etwas zu lesen] empfehlen? Können Sie mir [etwas zum Lesen] empfehlen? Aber für zum Aussitzen braucht der keine Haarpracht. Dat bringt einen am Denken.
(Bonhorst 1993:14) (Bonhorst 1993:17)
Im Zusammenhang mit dem Erwerb der IKs sind solche Konstruktionen insofern interessant, als sie sowohl durch ihre Bedeutung als auch die Partikeln zum und am Kindern einen Zusammenhang zu den IKs im engeren Sinne signalisieren.
2.2.2
Matrixelemente
Vor allem Verben, aber auch Nomen und Adjektive treten als Matrixelemente von IKs auf.39 Daß Verben mit "'Infiniteniv und remenlnfinitiven kombiniert werden können, wurde auf den letzten Seiten deutlich.40 Nomen und Adjektive können nur mit ^Infinitiven erscheinen, (llO)-(lll). 41 (110) a b c
38
* die Möglichkeit, um nach Australien zu fliegen42 die Möglichkeit, nach Australien zu fliegen * die Möglichkeit nach Australien fliegen
Sie scheinen eher in der Umgangs- als in der Schriftsprache verwendet zu werden. In einem kleinen Korpus von je 100 deutschen und englischen IKs aus je zwei Texten stammen alle elf deutschen nominalisierten IKs aus dem umgangssprachlich geschriebenen Roman von Hera Lind (1989). 39 Askedal (1989a, b) beobachtet folgende quantitative Verteilung von remenlnfmitiven und ^Infinitiven auf die verschiedenen Matrixelemente: Verben ca. 400, Adjektive ca. 120, Nomen ca. 220 (meist deverbal) und Präpositionen 3, nämlich um, (an)statt und ohne. 40 Auch die Auxiliare sein und haben können als Matrixverben auftreten; sie bilden die sogenannten modalen Infinitive. Bei den Kindern kommen diese Strukturen nicht vor, deshalb werden sie hier nicht weiter berücksichtigt; für eine synchrone Analyse vgl. Höhle (1978:46-48) und für eine diachrone Demske-Neumann (1994). 41 Historisch gesehen ist die Kombination von Adjektiven mit IKs älter, die Kombinationen mit Nomen sind erst im Nhd häufiger belegt (vgl. Paul 1919:§ 339). 42 um-zuinfinitive nach Nomen sind nicht grundsätzlich ungrammatisch, wie (i) aus Sitta (1971:238) zeigt, vgl. auch Bech (1983: §360ff). (i) Es war die beste Gelegenheit, um sich mit den neuen Meinungen vertraut zu machen Der Stern im Text soll signalisieren, daß es viel schwieriger ist, grammatische Kontexte für attributive um"zulnfmitive zu finden als für adverbiale.
37 (111) a b c
* spannend, um nach Australien zu fliegen43 spannend, nach Australien zu fliegen * spannend nach Australien fliegen
am
lnfinitive sind vor allem unter sein eingebettet, vereinzelt auch unter anderen Verben, (99)(100) oben. ^Infinitive ersetzen standardsprachliche """"^Infinitive und sind ebenso wie letztere freie Ergänzungen.
2.2.3
Syntaktische Funktionen
Hinsichtlich der möglichen syntaktischen Funktionen von IKs und der Realisierung der Partikeln um und zu in den IKs ergeben sich im Deutschen recht klare Korrelationen. Grundsätzlich können IKs in der Position des Subjekts (112), eines Objekts (113), eines Adjunkts zu einem Nomen (114) oder eines Adverbialsatzes (115) auftreten.44 (112) a b c (113) a b c (114) a b c (115) a b c d e
* [Um Shakespeare in Stratford zu sehen] ist ein Erlebnis [Shakespeare in Stratford zu sehen] ist ein Erlebnis [Shakespeare in Stratford sehen] ist ein Erlebnis * ... daß sie probiert [um Ayers Rock zu besteigen] ... daß sie [Ayers Rock zu besteigen] probiert ... daß sie [ihre Freunde Ayers Rock besteigen] sieht * Die Bitte [um ihn abzuholen] Die Bitte [ihn abzuholen] * Die Bitte [ihn abholen] Sie fährt zu schnell, [um rechtzeitig anzukommen] Sie fährt zu schnell, [um die Landschaft wahrnehmen zu können] * Sie fährt (zu) schnell, [rechtzeitig anzukommen] * Sie fährt (zu) schnell [rechtzeitig ankommen] Sie geht ihre Freunde abholen
Diese Beispiele zeigen, daß ^Infinitive und reinelnfinitive sowohl als Subjekte als auch als Objekte auftreten können. Vor allem ^Infinitive, in bestimmten Kontexten aber auch 43
44
Ausnahmen sind Adjektive, die durch ganz oder zu modifiziert werden, (i). Sie können durch einen um'zulnfmitiv ergänzt werden. (i) Er ist zu müde, um nach Australien zu fliegen Sommerfeldt (1982:84) findet folgende Häufigkeitsverteilungen für die verschiedenen syntaktischen Funktionen bei den von ihm untersuchten ^Infinitiven in Zeitungstexten: Subjekt: 15,4% Kasusobjekt: 18,9% Präpositionalobjekt: 35,4% Attribut: 29,7% Sonstige: 0,6%
38 ""^Infinitive, können attributiv stehen. In Adverbialsätzen schließlich kommen um'zulnfinitive und reinelnfinitive nach Bewegungsverben vor.
2.2.4
Übersicht über die deutschen Infinitivkonstruktionen
Die folgende Tabelle 2.2 faßt noch einmal die bisher diskutierten Eigenschaften der standardsprachlichen deutschen IKs zusammen. Die Felder der Konstruktionen, welche die hier beobachteten Kinder bis zum Ende der Datenerhebung produzieren, sind durch Schattierung hervorgehoben. Tabelle 2.2 Übersicht über deutsche IKs45
—
[±Partikel] Konstruktion
Raising KontroHe
Subjekt
— Modalverben
Matrixelemente
—
Bewegungsverben
Funktion Komplement
zu ECM
Raising
Kontrolle
Kontrolle
NP
Spur
PRO
PRO
ECMVollverb
Vollverben Adjektive Nomen sein 1 haben
Subjekt Komplement
Subjekt Komplement
Adjunkt Projektionsstufe
45 46
47
yp46
kohärent
um zu
VP kohärent
nicht subkategorisiert Subjekt Komplement Adjunkt CP/IP (in)kohärent47
Adjunkt CP/IP inkohärent
Für Analysen der aspektuellen IKs und der Nominalisierungen innerhalb des P & P Modells verweise ich auf Bhatt & Schmidt (1993) und Bayer (1993) respektive. Öhlschläger (1989:248ff) analysiert die Kontrollstrukturen mit Modalverb als CP-Einbettungen und die Raisingstrukturen mit Modalverb als IP-Einbettungen. Ich schließe mich in der Tabelle hingegen Rosengren (1992) an, die sowohl für die Kontrollmodalverben als auch für die Raisingmodalverben VP-Einbettungen annimmt. Es ist keineswegs unkontrovers, daß auch kohärente IKs CP/IPs sind. So nimmt u.a. Rosengren (1992) an, daß kohärente Kontrollstrukturen VPs sind. Zugunsten einer besseren Übersicht gehe ich auf diese Kontroverse jedoch nicht ein.
39
Nach dieser Beschreibung der IKs ergeben sich für das Deutsche mehr und klarere Korrelationen zwischen den einzelnen Kriterien als für das Englische.
2.3
Problemfälle A. A violent order is disorder; and B. A great disorder is an order. These two things are one. (Wallace Stevens, „Connoisseur of Chaos")
In der vorausgegangenen Diskussion wurden Problemfälle zugunsten einer möglichst klaren Darstellung weitgehend umgangen. In diesem Abschnitt sollen nun drei Bereiche angesprochen werden, die die Analyse und eventuell auch den Erwerb der IKs erschweren: die Disambiguierung oberflächlich identischer Abfolgen von englischen Objektkontroll- und ECM-Strukturen einerseits und deutschen Raising- und Subjektkontrollstrukturen andererseits, Kontrollphänomene in beiden Sprachen und die fakultativ kohärenten IKs des Deutschen.
2.3.1
Die Differenzierung oberflächlich gleicher Konstruktionen
Ganz generell besteht ein Problem darin, daß es zwar prototypische Verben gibt, die ein klares Bild einer Verbklasse vermitteln, doch gibt es auch viele Verben, die Eigenschaften mehrerer Klassen in sich vereinen, oder in Bresnans (1972:162) Worten:48 Furthermore, I have restricted consideration to relatively 'pure' types of verbs like want and believe, against which mixed cases can be analyzed. If we had taken a verb like expect as paradigmatic, nothing would be revealed as systematic, since expect has properties of want, believe, and challenge — all three types of accusative and infinitive constructions [...].
Bereits die Tatsache, daß Bresnan Verben als idealtypisch einordnet, die hier als Problemfalle bezeichnet werden, ist symptomatisch für die Situation. Ich will das Problem anhand von drei Verben verdeutlichen: persuade, ein Kontrollverb mit Objektkontrolle, believe, ein ECMVerb und want, das sowohl Subjektkontrollverb als auch ECM-Verb sein kann. (116) She persuaded Jill to teach Mike (117) She believed Jill to teach Mike (118) She wanted Jill to teach Mike
48
Vgl. auch Palmer (1988) zu Problemen der unklaren Klassenzugehörigkeit.
40 Alle drei Beispiele haben die Oberflächenabfolge in (119). Doch die Struktur von (116) entspricht der in (120), während die von (117) und (118) in (121) repräsentiert ist.
(119) V NP (120) [V NPj (121) [V
to
lnfinitiv [PROj to ....]] [NPto...]]
Die Passivierung des Komplements erlaubt Rückschlüsse auf die Struktur; so können (wie bereits in 2. l dargelegt) nur die ECM-Komplemente passiviert werden, ohne daß sich die Bedeutung verändert. (l 16') She persuaded Mike to be taught by Jill (117') She believed Mike to be taught by Jill (US') She wanted Mike to be taught by Jill
* Lesart (l 16) = Lesart (l 17) = Lesart (118)
Wie aber können Kinder im Englischen zwischen ECM-Strukturen und (Objekt-)Kontrollstukturen unterscheiden, zumal ein Verb wie want, das die Kinder sehr häufig verwenden, in beiden Strukturen vorkommen kann? Im konkreten Einzelfell ist das Problem nicht so gravierend, denn auch wenn Kinder keinen Passivierungstest durchführen, können sie über die Subkategorisierung zwischen den beiden Strukturen differenzieren. Prinzipiell könnte diese Disambiguierungsaufgabe jedoch ein Erwerbsproblem darstellen. Sowohl ECMStrukturen als auch Kontrollstrukturen erscheinen im Englischen in der Form eines to lnfinitivs. Objektkontrolle bei ditransitiven Verben kann nur im Einzelfall, nicht generell, von ECM-Strukturen unterschieden werden. In diesen Fällen ist auch die Identifizierung des Infinitivsubjekts nicht hilfreich, denn in ECM-Strukturen ist die intervenierende NP Subjekt der IK, in Objektkontrollstrukturen ist sie zwar Objekt des Matrixverbs, doch qua Kontrolle wird sie auch als Subjekt der IK interpretiert. Ergebnisse von Mair (1987a) deuten darauf hin, daß dieser Bereich der IKs auch für Erwachsene nicht immer eindeutig ist. Mair (1987a) findet in einem natürlichsprachlichen Korpus im Bereich der ECM- und Kontrollstukturen Abweichungen von den angenommenen Subkategorisierungsrahmen. Er geht davon aus, daß die identische Oberflächenabfolge eine Reanalyse erleichtert, sobald pragmatische und/oder kommunikative Bedürfnisse dies erfordern. Im Deutschen besteht zwar keine vergleichbare Ambiguität zwischen Objektkon troll- und ECM-Strukturen, weil es keine ECM-Infinitive mit zu gibt. Dafür bestehen potentielle Ambiguitäten (ebenso wie im Englischen) zwischen Subjektkontrolle und Raising. Die Oberflächenabfolge in Beispielen wie (122) und (123) sind dieselben, nämlich NP-V-PP-zu-V; die Struktur der Beispiele unterscheidet sich jedoch, vgl. (122') und (123'). (122) Sally wünscht nach Australien zu gehen (123) Sally scheint nach Australien zu gehen
41
(122') Sally; wünscht [ PRO; nach Australien zu gehen] (123') Sally; scheint [ t; nach Australien zu gehen] Eine Disambiguierung der Oberflächenabfolge ist bei den Raising- und Subjektkontrollstrukturen jedoch eindeutig über die Subkategorisierung des Matrixverbes möglich, nur bei Raisingverben können Expletiva als Subjekt auftreten, (124), nicht jedoch bei Kontrollverben, (125).49 (124) (125) *
Es scheint, daß Sally nach Australien geht Es wünscht, daß Sally nach Australien geht
Die Frage ist, ob und inwieweit diese Differenzierungsschwierigkeiten Einfluß auf den Erwerb der IKs haben. Viele der entsprechenden Matrixverben werden von den Kindern in den frühen Phasen des Erwerbs noch nicht produziert. Gerade das Verb want ist jedoch „Einstiegsverb", nicht nur für die hier beobachteten Kinder (vgl. Limber 1973). Die Tatsache, daß dieses Verb sowohl mit ECM- als auch mit Kontrollstrukturen auftreten kann, könnte begünstigen, daß die Kinder Doppelklassifikationen wie bei want übergeneralisieren.
2.3.2
Kontrolle
Bisher habe ich Kontrollstrukturen so dargestellt, als wäre es immer klar und einfach zu bestimmen, mit welcher NP PRO koreferent ist. Daß dies jedoch ganz und gar keine triviale Frage ist, illustrieren Beispiele wie die folgenden, (126)-(127) und die deutschen Entsprechungen in (128)-(129), die Jackendoff (1987) dazu bewegen, eine eigenständige semantische Komponente neben der syntaktischen und phonologischen anzunehmen. (126) a b (127) a b (128) a b (129) a b
49
Sally; Sally; Salty; Sally; Salty; Sally; Sally; Sally;
gave Harry: orders [PROjto leave] got from Harry: orders [PRO; to leave] gave Harryj a promise [PRO; to leave] got from Harryj a promise [PROj to leave] gab Harryj den Befehl [PROj zu gehen] erhielt von Harryj den Befehl [PRO; zu gehen] gab Harryj das Versprechen [PRO; zu gehen] erhielt von Harryj das Versprechen [PROj zu gehen]
Entsprechendes gilt für Englisch, vgl. (i)-(iv): (i) Salty; longs [PRO; to go to Australia] (ii) Sally; seems [t; to go to Australia] (iii) It seems [that Sally goes to Australia every year] (iv) * It longs [that Sally goes to Australia every year]
42
Diese Beispiele zeigen, daß Kontrolle nicht nur und eindeutig vom Matrixverb bestimmt wird. Auch Modalverben haben Einfluß auf die Kontrollbeziehung: Sie bat Harry zu gehen vs. Sie bat Harry, gehen zu dürfen. Rein syntaktische Ansätze wie Rosenbaums (1967) Minimal Distance Principle können diese Daten nicht erklären; so gibt es daneben semantische (Jackendoff 1987), lexikalisch-semantische (Wegener 1989, Siebert-Ott 1983) und semantisch-pragmatische (Eisenberg 1986, Kopeke & Panther 1992) Lösungsvorschläge. Beispiele wie die in (126)-(129) verdeutlichen zwar das Problem, sind aber auch relativ komplex. Die hier beobachteten Kinder produzieren sie noch nicht (vgl. Abschnitt 4.1.2 und 4.2.2). Ich belasse es deshalb hier dabei, auf das Problem hinzuweisen und die verschiedenen Lösungsansätze zu benennen.
2.3.3
Fakultativ kohärente Infinitivkonstniktionen im Deutschen
In Abschnitt 2.2 wurde bereits kurz angedeutet, daß es im Deutschen sowohl kohärente als auch inkohärente IKs gibt. Konstruktionen, in denen sowohl das eine als auch das andere möglich ist, gehören zu den vieldiskutierten Phänomenen der deutschen Syntax. Es gibt diverse Analysevorschläge: eine Ableitung der kohärenten aus der inkohärenten Konstruktion durch Verbanhebung (Evers 1975), eine Reanalyse (Haegeman & v. Riemsdijk 1986), eine separate Generierung zweier möglicher Optionen (Haider 1986a, b, 1993, 1994 und Rosengren 1992) oder eine Analyse über Statusrektion (von Stechow 1990). Ich kann das Phänomen und die verschiedenen Analyseansätze hier nicht detailliert diskutieren,50 es soll aber auch nicht vollständig übergangen werden, weil es sich dabei ebenfalls um einen Bereich handelt, der ein potentielles Erwerbsproblem darstellen könnte. Einerseits deuten Daten wie die in (130)-(134) (vgl. z.B. Haider 1994:76ff) daraufhin, daß in kohärenten IKs wie Bis die Sopranine nebenan zu zwitschern begann (aus: Lind-5) ein Verbalkomplex vorliegt und kein eingebetteter Satz. (130) \brfeldfahige \trbkette: [Zu zwitschern begonnen] hat die Sopranine nebenan schon vor dem Frühstück (131) Skopus eines skopustragenden Elements umfaßt alle \&rben: Weil die Sopranine nebenan nicht zu zwitschern begann. Lesart l: Sie beginnt nicht Lesart 2: Sie beginnt, zwitschert aber nicht, sondern pfeift (132) Nicht außpaltbare Wrbkette: *Bis die Sopranine nebenan zu zwitschern fröhlich begann. (133) Finitumswnstellung mit Ersatzinfinitiv vor das eingebettete \&rb: Bis die Sopranine nebenan hat zu zwitschern beginnen dürfen
50
Vgl. Bierwisch (1990) für eine übersichtliche Darstellung des Problems.
43
(134) (marginal) „langes" Passiv: Zu zwitschern begonnen wurde der Song51 bis jetzt noch nicht Daneben gibt es verschiedene Phänomene, die daraufhindeuten, daß in kohärenten Infinitiven ein „monosententiales" Mittelfeld vorliegt, d.h. die Konstituenten verhalten sich wie in einfachen Sätzen, (135)-(138). (135) Wickernagelumstellung vor Matrixsubjekt: Bis es die Sopranine nebenan zu zwitschern begann (136) Keine. Satzumstellung im Mittelfeld: ?Bis [das Lied zu zwitschern] die Sopranine begann (137) Lange Extraposition: [bis sie das Lied tj zu zwitschern zu versuchen begann], [das Bernstein einst komponiert hatte]; (138) Keine separaten Negationsdomänen: ?Bis die Sopranine nichts zu zwitschern nicht begann Haider (u.a. 1994:79) weist darauf hin, daß die fakultativ kohärenten IKs auf eine Teilmenge der Kontrollverben beschränkt sind, nämlich die, in denen die IK das direkte Objekt vertritt. Diese Datenlage legt folgende, eng zusammenhängende, Fragen nahe: • Stehen die kohärenten und die inkohärenten IKs zueinander in derivationeller Beziehung? • Was sind die Projektionsstufen der kohärenten und was die Projektionsstufen der inkohärenten IKs? • Wie wird die zielsprachliche Verbabfolge generiert? Ich werde diese Fragen nicht ausführlicher diskutieren, dennoch scheint es mir wichtig, sie nicht völlig zu ignorieren. Einerseits könnten die Erwerbsdaten Hinweise für eine angemessene Analyse liefern. Sollte andererseits dieses Problem in den Erwerbsdaten — entgegen unserer Erwartung — keine Rolle spielen, so erlaubt vielleicht gerade diese Beobachtung Rückschlüsse auf die Struktur.
2.4
Vergleich der Infinitivkonstruktionen im Deutschen und Englischen
Ich möchte mich hier auf eine sehr generelle Gemeinsamkeit englischer und deutscher IKs und einen ebenso generellen sowie zwei speziellere Unterschiede konzentrieren. Die
51
Hier wurde absichtlich ein maskulines Nomen gewählt. So wird deutlich, daß diese Passivstruktur nicht mit Akkusativ, sondern nur mit Nominativ gebildet wird, mit Akkusativ ist sie ungleich schlechter, vgl. (i). Höhle (1978) und Haider (1993) diskutieren diese Strukturen ausfuhrlicher, (i) * Zu zwitschern begonnen wurde den Song noch nicht.
44 Gemeinsamkeit besteht darin, daß beide Sprachen prinzipiell dieselben Konstruktionen zur Verfügung stellen: Kontroll-, Raising- und ECM-Konstruktionen. Der generelle Unterschied liegt darin, daß im Deutschen die einzelnen Klassifikationskriterien (vgl. S. 11) besser, d.h. eindeutiger, korrelieren als im Englischen. Wie im letzten Abschnitt diskutiert wurde, betrifft diese Vieldeutigkeit im Englischen vor allem die tolnfinitive. Tabelle 2.3 illustriert dies noch einmal. Tabelle 2.3 Ambiguitätenvergleich deutscher und englischer IKs Konstruktion
ECM
Partikel
for-to
Kontrolle
| Raising
ECM
to
|
Aspekt
—
ENGLISCH DEUTSCH Partikel Konstruktion [± kohärent]
Kontrolle
-
—52
zu
wn-zu
Raising
±
+
ECM 1
Aspekt
+
Diese Tabelle ist von der Mitte aus nach oben und unten zu lesen. Die Realisierung der verschiedenen Partikeln ist hier zu den verschiedenen Konstruktionstypen in Beziehung gesetzt. Wo die senkrechten Begrenzungen der Zellen durchgängig sind, beobachten wir eindeutige Klassifizierungen, wo sie unterbrochen sind, Ambiguitäten. In beiden Sprachen können remelnfinitive in ECM- oder in aspektuellen Konstruktionen stehen. Zusätzlich ergibt sich für das Englische eine dreifache Ambiguität hinsichtlich der tolnfinitive. Und auch englische ECM-Strukturen sind dreifach ambig. Sie können als for"tolnfinitive, tolnfinitive oder auch remelnfinitive realisiert werden. Im Deutschen gibt es zwei zweifache Ambiguitäten: Kontrollinfinitive können als """"^Infinitive oder als zulnfinitive auftreten; diese Formen werden jedoch durch die syntaktischen Funktionen, in denen sie auftreten, eindeutig differenziert (vgl. Tabelle 2.2 oben). Außerdem können ^Infinitive entweder Kontroll- oder Raisingstrukturen realisieren;53 Disambiguierung ist hier wie bei den englischen tolnfinitiven
52
Modalverbkonstruktionen (vgl. S. 33) klammere ich aus der momentanen Diskussion aus, ich komme darauf in Kapitel 8 zurück. 53 Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Frage, wie deutsche Raisingstrukturen zu analysieren sind, nicht geklärt ist. In der Literatur (z.B. König (1971:88ff) und Hawkins (1986:75ff)) wird das Verhältnis von deutschen und englischen Raisingstrukturen oft als ein Teilmengenverhältnis dargestellt, vgl. (i) unten. In der Tat ist diese Analyse für das Deutsche sehr zweifelhaft; wahrscheinlicher ist vielmehr, daß es sich bei Raisingstrukturen um einfache Sätze handelt. Für eine kritische Diskussion der Raisinganalyse im Deutschen vgl. DemskeNeumann (1994) und Olsen (1981).
45
nur über die Matrixverben möglich. ECM-IKs kommen im Deutschen nur in remenlnfinitiven vor. Ein Problem, mit dem Kinder, die Deutsch lernen, konfrontiert sind, ist die mögliche (In)Kohärenz der ^Infinitive; für das Englische besteht diese Schwierigkeit nicht. Bilinguale Kinder, die Deutsch erwerben, müssen außerdem erkennen, daß Deutsch — im Gegensatz zu Englisch — keine ^Infinitive mit W-Bewegung erlaubt, (139)-(140). (139) a b (140) a b
John * John John John
does not know what to do weiß nicht, was zu tun weiß nicht was tun weiß nicht, was zu tun ist
Wie (139a) illustriert, ist Wh-Bewegung in tolnfinitiven problemlos möglich. In ^Infinitiven führt sie jedoch zu ungrammatischen Ergebnissen (139b). Die Beispiele in (140) zeigen, daß W-Bewegung in eingebetteten deutschen Strukturen jedoch nicht grundsätzlich ungrammatisch ist; sie kann in remenlnfinitiven oder auch in finiten Strukturen auftreten. Eine Erklärung für dieses Phänomen steht noch aus.54 Soviel zum Vergleich der englischen und deutschen IKs. In Abschnitt 2.6 werde ich dafür argumentieren, daß die Unterschiede auf einer abstrakteren Betrachtungsebene eher geringer werden. Bezogen auf den Erwerb ist es mir wichtig zu betonen, daß es sich bei den
0)
"RAISING'-Verben - keine Thela-Rolle an Subjekt - dislozierte Argumente
Englisch Relativ große Menge an Matrixelementen u.a. st Deutsch happen, easy,.... kleine Menge an Matrixelementen: scheinen, pflegen, leicht schwer.
Analyse
Argumentanhebung, i.e. Raising 54
Analyse' Satzverschmelzung, i.e. Bewegungsmöglichkeiten wie im einfachen Satz
Für verschiedene Ansätze vgl. Tappe (1984), Giusti (1986) und Wilder (1989, 1990). Keiner dieser Ansätze ist befriedigend. Vor allem die Arbeiten von Giusti und Wilder sind insofern problematisch, als sie empirisch zweifelhafte Vorhersagen machen und mit einem großen „technischen" Aufwand arbeiten.
46
diskutierten Alternativen, ECM vs. Kontrolle und kohärent vs. inkohärent, jeweils um prinzipiell mögliche Strukturen handelt, die nach den Prinzipien der X-bar-Theorie strukturiert sind. So besteht für Kinder zunächst vielleicht gar kein Zwang, diese Strukturen zielsprachlich zu differenzieren.
2.5
Faktoren, die den Erwerb von Infinitivkonstruktionen beeinflussen
Nachdem in diesem Kapitel zunächst die in beiden Sprachen prinzipiell möglichen IKs beschrieben, einige detaillierter analysiert wurden und schließlich auf mögliche Problembereiche hingewiesen wurde, möchte ich in diesem Abschnitt das Augenmerk auf die Erwerbsfrage lenken und vor dem Hintergrund der Theoriediskussion folgende Fragen stellen: Was sind die zentralen Eigenschaften, die Kinder, deren erste Sprache(n) Deutsch und/oder Englisch ist/sind, erwerben müssen? Inwieweit unterscheiden sich diese zentralen Eigenschaften in den beiden Sprachen? Und welche Konsequenzen haben diese Eigenschaften für den Erwerb der IKs und die Erwerbsreihenfolge? Kinder müssen lernen, daß in beiden Sprachen verschiedene Arten und Klassen v.a. von Verben aber auch von Nomen und Adjektiven miteinander und mit IKs kombiniert werden können. Voraussetzung dafür ist erstens, daß Kinder das Prinzip der Rekursivität erkannt haben und es auf der Ebene der VP einsetzen können. Es bedeutet zweitens, Kombinationsrestriktionen zu erwerben und verschiedene Argumentstrukturen — im Sinne von funktionaler Komposition — miteinander verrechnen zu können.55 Drittens müssen Kinder lernen, daß es gerade im Bereich der IKs keine klaren Korrelationen zwischen Oberflächenabfolgen und Konstruktionstypen gibt. So werden Kinder einerseits mit oberflächlich deutlich unterschiedlichen IKs konfrontiert (""""^Infinitive vs. zulnfinitive etc.); andererseits können — oberflächlich gesehen — gleichen Abfolgen (z.B. den tolnfinitiven) unterschiedliche Strukturen zugrundeliegen (vgl. Abschnitt 2.3.1). Damit verbunden ist das Erwerbsproblem, wie Subjekte der IKs realisiert werden: lexikalisch, als Spur oder als PRO. Woraus können Kinder Rückschlüsse darauf ziehen, auf welche Weise ein Subjekt realisiert ist, v.a. wenn es nicht lexikalisch gefüllt ist? Mit großer Wahrscheinlichkeit spielt hier die Korrelation von Syntax und Semantik eine entscheidende Rolle. Wenn Kinder beginnen, IKs zu produzieren, wissen sie bereits einiges über die syntaktischen und semantischen Eigenschaften der verwendeten Verben, also auch, wieviele Argumente das Verb in der IK zu sich nimmt. Eines dieser Argumente ist jedoch in IKs meist nicht realisiert: das Subjekt. Trotzdem ist es konzeptuell vorhanden. Im Deutschen erhalten Kinder außerdem über die Stellung finiter Verben Hinweise auf die Struktur und damit eventuell auch auf die Projektionshöhe der IKs. In deutschen IKs steht
55
Vgl. Tracy (1991: Kap. 2) für eine ausführliche Diskussion von Verrechnungs- und Informationsverarbeitungsprozessen in Bezug auf den Spracherwerb.
47
das Verb immer rechts-peripher wie das Finitum in eingeleiteten VE-Syntagmen und wie infinite Verbteile in Vl/V2-Strukturen. Dies können die Kinder als Indiz dahingegehend deuten, daß es sich bei den IKs um eingebettete (Komplement-)Strukturen handelt. Im Englischen hingegen stehen alle Verben links-peripher, auch wenn sie aus der VP bewegt wurden, wie have und be als Auxiliare bzw. letzteres auch als Kopula, oder wenn sie wie Modalverben in 1° generiert werden. Hinweise auf die Kategorie der IKs können Kinder im Englischen deshalb nur indirekt über die Beschränkungen für Verbbewegung und das Auftreten einer Partikel bekommen. Bei den Partikeln hingegen liefert das Englische klarere Evidenz: For erscheint in der Komplementiererposition und to in 1°. Deutsches um zeigt Parallelen zu den Komplementierern, und zu ist ein deutliches Signal für eine IK, doch die zielsprachliche Position und die Kategorisierung ist für die linguistische Forschung und wohl auch für die Kinder nicht leicht zu erkennen. Die Partikel to ist ein I°-Element und — sofern sie nicht zu wanna oder gonna kontrahiert — wohl ein salienteres als die meist kontrahierten Modal- und Auxiliarverben. Wenn man von der Möglichkeit leerer funktionaler Kategorien absieht, können reine lnfinitive in beiden Sprachen eigentlich nur VPs sein. In morphologischer Hinsicht liefert das Deutsche wiederum klarere Evidenz, denn die Verben in IKs sind durch -en markiert. Kinder, die IKs zu produzieren beginnen, unterscheiden bereits systematisch finite und infinite Verben in einfachen Sätzen sowohl durch die Flexion als auch durch die Wortstellung (vgl. Kapitel 4). Oben wurde schon argumentiert, daß die Verbstellung in englischen IKs keine leicht zugänglichen Informationen liefert, und die Verbalmorphologie, selbst wenn man Tempusmarkierungen berücksichtigt, ist im Englischen äußerst spärlich. D.h. in vielen Äußerungen, die nur ein Vollverb enthalten, besteht weder ein morphologischer noch ein wortstellungsbedingter Unterschied zwischen den ersten lexikalischen Projektionen der Kinder, die wohl als reine VP-Strukturen zu analysieren sind (vgl. Kapitel 4 und 8), und einfachen Hauptsätzen in der Erwachsenengrammatik. Die Erwerbsreihenfolge dürfte auch beeinflußt werden durch die Projektionshöhe der einzelnen IKs. Allerdings läßt sich zunächst keine unstrittige Hypothese über die Erwerbsreihenfolge aufstellen. Wenn man davon ausgeht, daß es sich bei remenlnfinitiven um lexikalische Projektionen handelt, dann sollten sie eigentlich leichter zu erwerben sein als to lnfinitive oder for~tolnfinitive. Andererseits könnte gerade die zusätzliche Kennzeichung durch Partikeln den Erwerb letzterer beschleunigen. In der Literatur besteht zwar keine Einigkeit darüber, welcher Kategorie ^Infinitive angehören, doch handelt es sich mit Sicherheit um eine funktionale Projektion, wahrscheinlich um eine CP/IP, so daß ^Infinitive nicht auftreten sollten, bevor wir sonstige Belege für den Erwerb der CP/IP finden. Bei tolnfinitiven handelt es sich je nach Konstruktion um IPs (Raising, und wahrscheinlich ECM) oder um CPs (Kontrolle). Wenn man von einem allmählichen Ausbau des syntaktischen „Teleskops" (Fritzenschaft et al. 1990) ausgeht, sollte man diese Reihenfolge im Erwerb erwarten, es sei denn, andere Faktoren interagieren so, daß sie den Einfluß der Projektionshöhe minimieren.
48
Folgende, potentiell determinierende Faktoren für den Erwerb und die Erwerbsreihenfolge der IKs wurden bis jetzt angesprochen: die Subjektrealisierung, die Wortstellung, die klare Markierung der Strukturen durch eine Partikel, die Flexionsmorphologie und die Projektionshöhe. Ich nehme an, daß es einen weiteren Faktor gibt, der zunächst einmal informell als Prototypik bestimmter Konstruktionen bezeichnet werden soll. Welche Eigenschafte(n) sich hinter diesem Begriff verbergen, wird in Kapitel 8 ausführlich diskutiert. Zunächst soll damit die Möglichkeit angesprochen werden, daß bestimmte IK-Typen für die Kinder eindeutiger als IK zu erkennen sind als andere. Ein wesentliches Merkmal von IKs ist die Kombination verschiedener Verben56 und damit die Notwendigkeit zur Verrechnung verschiedener Argumentstrukturen. Es scheint außerdem wahrscheinlich, daß zusätzliche Prozesse wie Bewegung (Raising) oder außergewöhnliche Kasusmarkierung (ECM) den Erwerb der entsprechenden IKs ebenfalls beeinflussen; sie seien zunächst (ebenfalls informell) als Sonderbedingungen bezeichnet. Problematisch ist, daß sich aufgrund der genannten Faktoren unterschiedliche Voraussagen für die Erwerbsreihenfolge der IKs ergeben. Ein Nachteil ist außerdem, daß noch keine Vorhersagen über die Interaktion der verschiedenen Faktoren möglich sind. In den folgenden Kapiteln wird es darum gehen, die hier genannten Faktoren hinsichtlich der tatsächlichen Verwendung von IKs und bisheriger Erkenntnisse aus der Spracherwerbsforschung zu präzisieren und eventuell zu ergänzen. Diese modifizierten Annahmen werden dann in den Kapiteln 6 und 7 anhand der Fallstudien überprüft und in der Diskussion in Kapitel 8 erneut aufgegriffen.
2.6
Noch einmal: Die Erwerbsaufgabe aus einer generelleren Perspektive When they [i.e. linguists, I.G.-M.] added to their rules or modified them, they did so for one of two quite different reasons. Sometimes it was from a desire to account for more of the clues that they had found; at other times, it was from a desire to create a simpler, neater system. Each of these desires played a role in their eventual success. (C.L. Baker 1989:12)
Bis jetzt wurden die zu untersuchenden Strukturbereiche vor allem beschreibend dargestellt. Dabei wurden viele Details beobachtet, es konnten aber auch erste Generalisierungen festgehalten werden. Beides sollte innerhalb einer Theorie erklärt werden.
56
Selbstverständlich gibt es auch Matrixelemente, die anderen Kategorien angehören (vgl. 2.1.2 & 2.2.2), Verben scheinen jedoch im Erwerbsverlauf eine prominente Rolle zu spielen, deshalb „unterschlage" ich diese anderen Matrixelemente in der momentanen Diskussion.
49
Ich werde im folgenden die Eigenschaften der IKs in beiden Sprachen, im Sinne vom Bakers Zitat, auf einer abstrakteren und generelleren Ebene, nämlich der des P & P Modells, reformulieren. Der modulare Aufbau dieser Grammatiktheorie erlaubt es, einzelne Faktoren, die den Erwerb einer Struktur beeinflussen, in einer generelleren Weise und damit hoffentlich auch umfassender zu beschreiben, als dies auf der deskriptiven Ebene möglich war. Arbeiten zum Erwerb der frühen Syntax (Radford 1992a, b, 1996, Tracy 1991) und zum Erwerb der finiten Nebensätze (Fritzenschaft et al. 1990, Gawlitzek-Maiwald et al. 1992, Guilfoyle & Noonan 1992, Müller & Penner 1992, Rothweiler 1993) haben gezeigt, daß folgende Aspekte des P & P Modells eine zentrale Rolle im Spracherwerb spielen: die Unterscheidung von Kopf und Komplement, strikte Endozentrizität innerhalb der X-barTheorie, das Projektionsprinzip sowie strikte Strukturerhaltung.57 Ich gehe hier außerdem davon aus, daß die Ökonomie der Ableitung und der Repräsentation sowie Minimalität der Repräsentation (in Sinne von Chomsky 1992, 1994) sinnvolle (weil strenge) Beschränkungen über potentielle Repräsentationen darstellen. Für den Spracherwerb sollte dies bedeuten, daß Kinder ökonomischen und möglichst minimalen, d.h. auch kurzen, Repräsentationen den Vorzug geben und diese beibehalten, bis sie entweder empirische Evidenz für eine längere Struktur finden, oder bis sich grammatikinterne Gründe ergeben, die zu einer komplexeren Repräsentation führen. Im letzten Abschnitt wurde die Hypothese aufgestellt, daß mindestens folgende Erwerbsfaktoren beim Erwerb der IKs eine Rolle spielen dürften: die Realisierung des Subjekts in der IK, die Projektionshöhe und das Auftreten einer Partikel. Im Rahmen des P & P Modells lassen sich diese Faktoren als Epiphänomene der Interaktion verschiedener Grammatikmodule beschreiben. Für die Analyse der IKs spielen vor allem die Module Kasustheorie, Bindungstheorie, Kontrolle und Rektion eine wichtige Rolle.58 Tabelle 2.4 gibt einen Überblick darüber, welche Module zusammenwirken müssen, so daß die Kinder die entsprechenden IKs zielsprachlich in ihrer Grammatik repräsentieren können.
57
58
In neueren Überlegungen (Chomsky 1994) wird versucht, sowohl das Projektionsprinzip als auch die Strukturerhaltung als Epiphänomene von generelleren Prinzipien abzuleiten. Wenn es gelingt, solche Prinzipien zu formulieren, wäre dies sicherlich eine erstrebenswerte Entwicklung. Falls dies nicht gelingen sollte, bilden Strukturerhaltung und Projektionsprinzip schon hinreichend strikte Beschränkungen für den Sprachenverb. Vgl. Freidin (1992: Kapitel 5) für eine übersichtliche Darstellung der Analyse von IKs sowie Haegeman (1994) und Atkinson (1992) für eine konzise Einführung in das P & P Modell und die verschiedenen Module.
50 Tabelle 2.4 Faktorenanalyse innerhalb des P & P Modells Kontrolle
ECM
Raising
+
+
+
+
+
+
Bindung aktiv
+
-
+
Kontrolle aktiv
+
-
-
Rektion aktiv
+
+
+
move a
-
-
+
CP bzw. CP/IP
+
./+»
-
Sonderbedingungen
-
+
-
Kasusfilter aktiv -Kriterium aktiv
Wenn diese Faktorenanalyse Gültigkeit besitzt, hat sie gegenüber der Faktorenliste in Abschnitt 2.5 den Vorteil, daß sie die Interaktion der verschiedenen Faktoren von vornherein berücksichtigt, und sie ermöglicht damit eine genauere Hypothese, wann welche IKs erworben werden sollten: Je mehr Felder in der Tabelle mit „ + " gekennzeichnet sind, desto komplexer sollte der Erwerb der entsprechenden Struktur sein. Unter der Annahme, daß Kinder einfache Strukturen vor komplexeren erwerben, müßten die IKs in der Reihenfolge ECM- vor Raising vor Kontrollinfinitiven erworben werden. In den Fallstudien (Kapitel 6 & 7) wird sich allerdings herausstellen, daß diese Reihenfolge nicht mit der Realität des Erwerbs übereinstimmt. Ich werde in Kapitel 8 dennoch dafür argumentieren, daß die hier vorgeschlagenen Faktoren relevant sind, daß aber erstens Aspekte, die in der deskriptiven Analyse enthalten waren und hier nicht mehr auftauchen, ebenfalls berücksichtigt werden müssen, und daß zweitens nicht alle Faktoren gleich gewichtet werden dürfen.
2.7
Zusammenfassung
In diesem Kapitel wurde ein Großteil der englischen und deutschen IKs beschrieben und ein Teil von ihnen im Rahmen des P & P Modells analysiert. Im Rahmen dieser Analyse ist es gelungen, einige Problembereiche zu identifizieren, die den Erwerb der IKs beeinflussen könnten. Dies mündete in eine Hypothese über die Erwerbsreihenfolge der verschiedenen IKs. 59
ECM-Strukturen in tolnfinitiven sind wahrscheinlich als IPs zu analysieren. Falls — wie hier angenommen — for'tolnfmitive ebenfalls ECM-Strukturen sind, handelt es sich dabei um CPs.
51
Tfrotz der Fülle der angesprochenen Daten und Phänomene wurde der Strukturbereich der IKs nicht erschöpfend behandelt. Beispielsweise wurde die Semantik der Infinitivkomplemente sowie die alternative Realisierung von Komplementstrukturen, ihre Determinanten und verschiedene semantische Klassen von Matrixverben (vgl. Riddle 1975, Randsom 1986) ebenso wie Faktivität (Kiparsky & Kiparsky 1970, Schulz 1995) völlig ausgespart. Diese Auswahl wurde bestimmt von den Strukturen, die die Kinder bis zum Ende der Datenerhebung produzieren. Auf eine Beobachtung, die nicht nur im Zusammenhang mit dem Erwerb der IKs wichtig werden wird, sei an dieser Stelle noch einmal hingewiesen: Im Deutschen erhalten Kinder über die Flexionsmorphologie und die Wortstellung vielfältigere Hinweise auf die Satzstruktur als im Englischen, so daß es englischen Kindern schwerer lallen dürfte als deutschen zu erkennen, daß es oberhalb der VP funktionale Projektionen gibt.
3
Infinitivkonstruktionen in der gesprochenen Sprache: eine synchrone Bestandsaufnahme There are three sorts of lies: lies, damned lies, and statistics." (Mark Twain, Autobiography)
In einer Arbeit, die sich mit dem Erstspracherwerb einer bestimmten Struktur beschäftigt, sollte idealerweise eine detaillierte Inputanalyse der untersuchten Struktur durchgeführt werden. Dafür sprechen mindestens zwei Gründe: Zum einen erfährt man so, welche Strukturen den Kindern im Input tatsächlich angeboten werden. Zum anderen kann man eigentlich nur auf diese Weise zuverlässig beschreiben, was die Kinder genau erwerben müssen. Oder anders gesagt: Nur so erfährt man, welche der prinzipiell vom Sprachsystem zur Verfügung gestellten Strukturen auch in der gesprochenen Sprache verwendet werden und wie oft. Die Rolle des Inputs für den Spracherwerb wird hier also nicht im Sinne einer Instruktionsinstanz1, sondern vielmehr als Illustration dessen, was dem Kind tatsächlich zur Verfügung steht, verstanden. Eine repräsentative Inputanalyse kann für die vorliegende Arbeit leider nicht geleistet werden, stattdessen werden Ergebnisse von Untersuchungen zur gesprochenen Sprache herangezogen. Zunächst müssen jedoch zwei grundsätzliche Probleme angesprochen werden. Van Ek (1966:9) macht darauf aufmerksam, daß es das gesprochene Deutsch bzw. das gesprochene (britische) Englisch eigentlich nicht gibt. Es handelt sich letztendlich um ein theoretisches Konstrukt. Dieses Problem ist so genereller Natur, daß ich hier nur daran erinnern kann; eine „Lösung" ist nicht möglich.2 Eine weitere Schwierigkeit, auf die Mair (1991) aufmerksam macht, besteht — ganz im Sinn des Disraeli-Zitats oben — darin zu entscheiden, wie beobachtete quantitative Unterschiede zu interpretieren sind. Deuten sie auf real existierende Unterschiede in den Sprachen hin, oder handelt es sich um Epiphänomene der Korpuserstellung oder der Zählweise? Probleme dieser Art haben mich dazu veranlaßt, zusätzlich zur Literaturrecherche zumindest Stichproben in beiden Sprachen auszuwerten (vgl. die Diskussion in 3.1.2 und in 3.2.2). Die folgenden Abschnitte sollen dazu beitragen, drei Fragen zu klären: Wie häufig werden IKs in der gesprochenen Sprache verwendet? Werden tatsächlich alle in Kapitel 2 diskutierten IKs auch in der gesprochenen Sprache verwendet, oder sind eventuell einzelne Strukturen eher in der Schriftsprache vertreten? Und drittens: Gibt es sozusagen „klassische" Umgebungen, in denen IKs besonders häufig vorkommen? Antworten auf die erste Frage 1 2
Für eine kritische Sicht des Inputs als Instruktionsinstanz vgl. Tracy (1990a). Dieses Problem könnte in Bezug auf den Erwerb höchstens umgangen werden, indem man nicht den Gebrauch der IKs im Deutschen oder Englischen im Allgemeinen untersucht, sondern jeweils individuell im Input für jedes einzelne Kind. Dies wurde für die vorliegende Arbeit deshalb nicht gemacht, weil während der Aufnahmen meist nicht die Eltern, von denen schließlich in den ersten Lebensjahren ein großer Teil des Inputs kommt, sondern Projektmitarbeiterinnen mit den Kindern inter agierten.
54
können Aufschluß darüber geben, wieviel IKs wir in Kinderäußemngen überhaupt erwarten dürfen. Antworten auf die zweite Frage geben Aufschluß darüber, welche Typen von IKs die Kinder am ehesten produzieren. Und die dritte Frage schließlich kann zu einer Hypothese führen, wie Kinder mit dem Erwerb der IKs beginnen. Das Kapitel ist folgendermaßen strukturiert: Zunächst werden Ergebnisse aus der Literatur zum Sprachgebrauch des Deutschen beschrieben. Da sich recht große Unterschiede in der Beurteilung ergeben, wurde eine eigene Stichprobe anhand zweier veröffentlichter Korpora durchgeführt. Die Ergebnisse stelle ich in 3.1.2 vor. Anschließend werden Ergebnisse zum Englischen vorgestellt (3.2.1) und ebenfalls durch eine Stichprobe ergänzt (3.2.2).
3.1
Deutsch
3.1.1
Ergebnisse aus der Literatur zum Deutschen
Leider gibt es meines Wissens keine neueren Studien, die sich mit einer systematischen und statistischen Analyse des gesprochenen Deutsch beschäftigen. Deshalb beschränke ich mich in den folgenden Abschnitten auf die Darstellung von Arbeiten, die vor allem aus den sechziger und siebziger Jahren stammen. Ab Mitte der sechziger Jahre gab es eine Reihe von Untersuchungen zum Sprachgebrauch von Kindern und Erwachsenen sowie zum Vergleich von Sprech- und Schriftsprache.3 Diese stellen zum großen Teil eine Reaktion auf die soziolinguistischen Untersuchungen von Bernstein (1969) und Oevermann (1969) und deren Thesen vom restringierten versus elaborierten Kode dar.4
Dialektologische Arbeiten und Untersuchungen zur Schriftsprache werden hier nicht berücksichtigt. Fragen, die in solchen Arbeiten behandelt werden, sind z.B. die Realisierung von zu im Bairischen (vgl. Tatzreiter 1989, Donhauser 1989) oder die Umgangssprache in Leipzig (Baumgärtner 1959). Sommerfeldt (1982:82) untersucht die Frequenz der Infinitive in der geschriebenen Sprache. In einer Analyse von vier DDR-Zeitungen (je eine Ausgabe) ermittelt er folgende Verteilung: Infinitive mit zu 74,2%, Infinitive mit um zu 23,8%, Infinitive mit ohne zu 1,8% und Infinitive mit anstatt zu Q,2%. Bei der Mehrheit der IKs ohne um, ohne oder anstatt handelt es sich um Komplemente des Matrixverbs, vgl. Sommerfeldt (1982:84). Bernstein (1969) und Oevermann (1969) argumentieren für enge Korrelationen zwischen der sozialen Schichtzugehörigkeit und der Sprachfahigkeit, d.h. in heutiger Terminologie der Kompetenz. Die Untersuchungen, die sich auf diese Arbeiten beziehen bzw. davon abgrenzen, stimmen zum größten Teil darin überein, daß Bernsteins und Oevermanns Thesen so nicht haltbar sind. Vgl. stellvertretend die Kritik von Grimm et al. (1975:67f): Diese Sprachkodes, die über soziale Rollen vermittelt werden und selbst wiederum soziale Rollen prägen, stehen also in einem zirkulären Zusammenhang: Die soziale Struktur determiniert
55
Mit der gesprochenen Sprache Erwachsener beschäftigt sich Leska (1965). Sie führt eine empirische Untersuchung zum Unterschied zwischen geschriebener und gesprochener Sprache durch.5 Ihre Thesen sind, daß es einen signifikanten Unterschied zwischen geschriebener und gesprochener Sprache gibt, und daß sich die beiden Medien gegenseitig beeinflussen. Für den Vergleich finiter, finaler Nebensätze und IKs ergibt sich sich folgendes: Der Anteil der IKs ist höher als der der finiten Finalsätze (9,8% vs. 1,9% in 5000 Teilsätzen). In der gesprochenen Sprache kommen IKs allerdings wesentlich seltener vor (2,7%) als in der Schriftsprache (7,1%). Die folgenden Untersuchungen beschäftigen sich mit dem Sprachgebrauch und der Schriftsprache von deutschen Grundschulkindern. Wie wir in Kapitel l an dem Dialog (1) gesehen haben, verfügen Kinder im Grundschulalter über eine gewisse Kompetenz in Bezug auf IKs. Untersuchungen zur Sprache von Grundschulkindern sollten hier also durchaus berücksichtigt werden, weil sie Rückschlüsse auf den Entwicklungsstand erlauben, den die in den Kapiteln 6 und 7 diskutierten Kinder relativ kurz nach der Datenerhebung wohl erreichen werden. König (1972) stellt eine Untersuchung zur Schriftsprache von 10- bis 12-jährigen Schülerinnen an. Sein Beschreibungsmodell ist die Kategorialgrammatik in Anlehnung an Eggers (1962). Die Datenbasis bilden Aufsätze, die auf (Neben-)Satzarten hin ausgezählt werden.6 Die Ergebnisse werden in Relation zum Alter, zum Geschlecht, der Schichtzugehörigkeit, der Schulart und der produzierten Textart gesetzt. „Satzwertige Infinitive" wie Da fragt mich mein Vater, ob ich Zeit hatte, ihm zu helfen, das Auto zu waschen (König 1972:130) kommen in etwa 1,2% aller „Gestaltungseinheiten" vor. „Infinitivische finale Verhältnissätze" wie So bald das gemacht ist, gehe ich wieder Wisser holen, um das Auto abzuspülen (König 1972:133) stellen etwa 1,4% aller Satzgefüge. Insgesamt treten die
das Sprachverhalten; das Sprachverhalten reproduziert die Sozialstruktur. Die Bezeichnungen elaboriert — restringiert implizieren weiterhin eine Wertung: Die Sprache der Mittelschicht ist der der Unterschicht hinsichtlich der Expliziertheit, der grammatischen Angemessenheit und der logischen Analysefähigkeit überlegen. Das verwendete gesprochene Material bestand aus 50 ca. fiinfminütigen Ausschnitten von Tonbandaufnahmen, die insgesamt 10 bis 15 Minuten lang waren. Das geschriebene Korpus bestand aus Sachtexten, u.a. Lehrbüchern und wissenschaftlichen Texten. Das untersuchte Material stammt aus den „Kerngebieten" (Leska 1965:435), d.h. zentralen Textsorten, der gesprochenen und geschriebenen Sprache. Dabei drängt sich sofort die Frage auf, nach welchen Kriterien eine bestimmt Textsorte als „Kerngebiet" eingestuft wird. Leider geht die Autorin auf diese Frage nicht ein. Leska konzentriert sich in ihrer Untersuchung auf die Einheit „Satz". Eventuell vorhandene Beeinflussungen auf anderen Ebenen — die bei ihrer Zielsetzung wichtig wären — werden völlig ausgegrenzt. So werden etwa Satzkoordinationen mit Subjekttilgung und Fehlansätze bei den Zählungen überhaupt nicht berücksichtigt, obwohl intuitiv gerade in diesen Bereichen signifikante Unterschiede zwischen gesprochener und geschriebener Sprache zu erwarten wären. Sein Korpus besteht aus 500 Texten mit ca. 6000 „Gestaltungseinheiten" (König 1972:57), d.h. Punkt-zu-Punkt Markierungen der Informanten; nach Eggers (1962) entsprechen diese etwa 7028 Sätzen.
56
infinitivischen Strukturen also in etwa 2,6% aller Sätze auf. Damit liegen Königs Werte etwa so wie die von Leska (1965) für die gesprochene Sprache, allerdings unter ihren Werten für die Schriftsprache. Hannig (1974) führt eine Untersuchung zum schriftlichen und mündlichen Sprachgebrauch von sieben- bis neunjährigen Grundschülerinnen durch. Das untersuchte Korpus besteht aus elizitierten Beschreibungen von Bildgeschichten und nacherzählten Fabeln (ca. 5000 Sätze). Die theoretische Grundlage bildet die Dependenzgrammatik nach Tesniere (1959, 1965) und Heringer (1970). Im Zusammenhang mit diskontinuierlichen Verbalgruppen stellt Hannig (1974:90) zur Verwendung von IKs fest: Weiterhin treten sehr häufig Infinitivkonstruktionen und verbale Gruppen mit einem Nomen auf: l B 10801 Klaus ging in den Wald spazieren. IB 1601 ... und hat einen Korb in Händen. Man fragt sich, warum diese beiden Strukturtypen zusammen genannt werden. Worin besteht die Ähnlichkeit zwischen IKs und „verbalen Gruppen mit einem Nomen"? Hannig findet IKs häufig belegt: „Bei der Aufstellung aller im Korpus vorkommenden Verben fanden sich erstaunlich viele Infinitivkonstruktionen." (Hannig 1974:111). In Zahlen heißt das, sie findet 120 IKs (2,4%). Dies entspricht in etwa den Werten von König (1972) und Leska (1965). Folgende Verb(grupp)en werden, laut Hannig (1974:111), mit Infinitiven kombiniert: Tabelle 3.1 Verb(grupp)en mit Infinitiv nach Hannig (1974) Verben
Beispiel
Vorkommen in % 7
des Beginnens & Aufhörens
Es fangt an zu regnen
45,8
der Bewegung
Hans geht spielen
32,8
Modalverben
Hans soll sie holen
10,0
sein
Er ist am Waschen8
9,2
des Veranlassens
Laß ihn doch gehen!
2,2
Sicherlich kommen all diese Verbgruppen mit IKs vor, doch die Zahlen verwundern. Angesichts der Tatsache, daß monolinguale deutsche Kinder Modalverben mit infiniten Vollverben kombinieren, lange bevor sie die ersten IKs produzieren, sind die Werte für
7 8
Die Anteile beziehen sich wahrscheinlich auf die 120 IKs, die Hannig insgesamt im Korpus findet. Hannig kommentiert den Unterschied zwischen diesem amlnfinitiv und den reinenlnfmitiven und den ^Infinitiven in den anderen Verbalgruppen nicht.
57 Modalverben bemerkenswert niedrig.9 Sie stehen auch in direktem Widerspruch zu Rickheits (1975) Ergebnissen (vgl. unten). In Hannigs Daten kommen IKs in der gesprochenen Sprache doppelt so oft vor wie in der geschriebenen; bei Leska (1965) ist es umgekehrt. Hannig zieht den Schluß, daß dies an den Modalverbkonstruktionen liegt, die im gesprochenen Deutsch viel häufiger seien als im geschriebenen (vgl. Hannig 1974:137). Rickheit (1975) ermittelt wesentlich niedrigere Werte für IKs als die bisher diskutierten Arbeiten.10 Er stellt fest, daß unter den zwanzig häufigsten „Satzbauplänen", die von den Kindern verwendet werden, infinite Strukturen nur in Kombination mit Modalverb vertreten sind. Neben diesen kommen in insgesamt nur zehn Beispielen (0,25%) „Infinitivsätze" wie Und da hob ich vergessen, Gras zu holen vor. Infinite Finalsätze wie Und da mußte ich wieder schnell nach Haus, um ein Pflaster drauf zu machen sind 18 mal (0,45%) belegt.11 In Rickheits Rangliste der häufigsten Satzbaupläne stehen Finalsätze in den verschiedenen Jahrgängen auf Plätzen zwischen 14 und 27, „Infinitivsätze" zwischen 18 und 29 (zwischen null und neun absoluten Beispielen). Insgesamt findet Rickheit IKs nur in 0,7% der untersuchten Sätze belegt. Die diskutierten Arbeiten, die geschriebene mit gesprochener Sprache vergleichen, kommen — bis auf Hannig (1974) — zu dem Ergebnis, daß IKs in der geschriebenen Sprache häufiger vorkommen, als in der gesprochenen. Dies scheint für Kinder im Grundschulalter ebenso zu gelten wie für Erwachsene (vgl. Leska 1965). Hinsichtlich der Häufigkeit von IKs in der gesprochenen Sprache ergibt sich jedoch kein einheitliches Bild. Die Werte schwanken zwischen 0,7% (Rickheit 1975) und 2,7% (Leska 1965) jeweils bezogen auf die Menge der untersuchten Sätze. Ein Problem bei der Auseinandersetzung mit den oben zitierten Arbeiten ist, daß sie alle mit verschiedenen theoretischen Annahmen arbeiten, die untereinander oft nicht kompatibel sind. Zudem legen die Autorinnen ihre Auswertungskriterien und Hypothesen oft nicht offen dar. Ein Vergleich der Ergebnisse ist daher nur mit Vorbehalt möglich. So sind auch die Häufigkeitsvariationen zwischen den verschiedenen Untersuchungen sicherlich in diesem Zusammenhang zu sehen. Äußerst problematisch erscheint mir auch die Datensammlung bei den Grundschulkindern. Da die Korpora in der Schule erhoben wurden, drängt sich die Frage auf, welchen Einfluß die Unterrichtssituation auf die Schülerinnen hatte. Vielleicht waren sie aufgrund der Situation in der schriftlichen Ausdrucksweise eher vorsichtig. Fraglich ist auch, inwieweit
9
Dies könnte allerdings an den Textsorten liegen; in Bildgeschichten und Nacherzählungen werden nicht unbedingt (Sprecherlnnen-)Einstellungen vermittelt. 10 Rickheits Material besteht aus 2400 Tonbandaufnahmen, die im Unterricht der Kinder erstellt wurden. Die Äußerungen wurden elizitiert mit Aufforderungen wie „Erzähle mal eine lustige Geschichte" etc. " Das Gesamtkorpus besteht aus 28.773 Sätzen (Rickheit 1975:40), von denen jedoch nur 3.949 in die Berechnungen eingehen (Rickheit 1975:42). Die hier angegebenen Prozentwerte beziehen sich auf diese 3.949 Sätze, bezogen auf das Gesamtkorpus kommen IKs insgesamt nur in 0,096% aller Sätze vor. Dieser Wert scheint mir viel zu niedrig.
58
eine Aufforderung wie: „Erzähl mal eine lustige Geschichte" Kinder wirklich zum Erzählen anregt. Ein befriedigendes Fazit läßt sich aus den besprochenen Arbeiten also nicht ziehen. Die Antworten auf die Frage, wie oft IKs vorkommen, divergieren. Auch die Antworten darauf, welche Arten von IKs vorkommen, gehen auseinander. Deshalb wird im folgenden Abschnitt anhand einer kurzen Stichprobe überprüft, welche der dargestellten Ergebnisse in etwa haltbar sind, so daß sie dann als Vergleichsbasis für den empirischen Teil dieser Arbeit dienen können. 3.1.2
Stichprobe zum Gebrauch von Infinitivkonstruktionen im gesprochenen Deutsch
Die publizierten Transkripte in Wackernagel-Jolles (197l)12 und das IDS-Korpus (1971) wurden auf Art und Anzahl der verwendeten IKs hin ausgezählt.13 Die beiden folgenden Tabellen 3.2 und 3.3 geben Aufschluß über die Häufigkeiten. Sie wurden folgendermaßen erstellt: Zunächst wurden die Korpora auf IKs durchgesehen, die Belege mit dem jeweiligen Kontext herausgeschrieben und dann den verschiedenen Konstruktionstypen zugeordnet und ausgezählt. Schließlich wurden diese zur Gesamtzahl der Redeeinheiten bzw. Sätze pro Korpus in Beziehung gesetzt.
12
13
Wackernagel-Jolles (1971) untersucht Charakteristika der gesprochenen Sprache und konzentriert sich zu diesem Zweck in der Analyse der Transkripte von 16 Tonbandaufnahmen auf Satzart, Verknüpfungsformen, Tempus, Modus und Genus. Zu IKs stellt sie lediglich fest: „Infinitiv-Sätze kommen in den verwendeten Texten nur als Nebensätze vor, obwohl sich durchaus InfinitivHauptsätze denken lassen" (Wackernagel-Jolles 1971:161). Welche das sein könnten, führt sie nicht aus. Die Autorin zählt selbst auch IKs aus. Die hier ermittelten Zahlen (vgl. Tabelle 3.2) sind jedoch höher als die in ihren Listen angegebenen. Dies hat zwei Ursachen: Zum einem zählt Wackernagel-Jolles nur „Infinitiv-Sätze" (vgl. 1971:161). Deshalb sind wohl Ergänzungen zu Nomen, Adjektiven etc. nicht erfaßt. Zum anderen sind einige IKs wie (i) bei ihr — versehentlich oder aus nicht genannten Gründen — nicht gezählt. (i) ... wobei nachzuweisen ist[,] daß die Rezessionen ... (Wackernagel-Jolles 1971:18, [im Original keine Zeichensetzung, I.G.-M.]) Die benutzten Korpora enthalten v.a. Daten erwachsener Sprecherinnen; in wenigen Fällen wurden auch Daten älterer Schüler und Jugendlicher mit einbezogen.
59
Tabelle 3.2 IKs im Wackernagel-Jolles-Korpus (371 Sätze) % von Redeeinheiten14
Typ
Anzahl
um zu
9
18
1,8
^Inf. nach V
20
40
4,1
^Inf. nach N
13
26
2,7
1
2
0,2
6
12
1,2
^Infinitiv
1
2
0,2
Nominalisierung
0
0
0
50
100
- lnfinitiv15
™ reiner
. nach A lnfinitiv
16
% der IKs
10,2
Tabelle 3.3 IKs im IDS-Korpus (1857 Sätze) % von Sätzen im Korpus
Anzahl
% der IKs
"""-^Infinitiv17
34
17,2
1,8
'"Inf. nach V
89
45,2
4,8
^Inf. nach N
40
20,3
2,2
^Inf. nach A
15
7,6
0,8
reiner
7
3,5
0,4
'""Infinitiv
0
0
Nominalisierung
1
0,5
0,05
11
5,6
0,6
197
100
11,1
Typ
lnfinitiv18
Grenzfälle
0
Wichtig ist, daß sich trotz der relativ geringen Datenmenge in den beiden Korpora grundlegende Gemeinsamkeiten ergeben. Über die Hälfte aller IKs in beiden Korpora werden 14
15 16 17 18
In diesen Texten sind keine Sätze markiert. Vielmehr wurden durch eine Anzahl von Hörerinnen Redeeinheiten festgelegt, die meist mit einer Satzgrenze zusammenfallen, in Einzelfällen auch etwas größer sein können.
Infinitive durch ohne...zu oder anstatt...zu sind in diesem Korpus nicht belegt. Matrixverben sind lassen, hören, sehen. Davon acht ohne-zulnfmitive. Nur lassen als Matrixverb.
60
von einem Verb regiert. Im IDS-Korpus sind 31 verschiedene Matrixverben belegt; im Wackernagel-Jolles-Korpus, wohl vor allem bedingt durch die kleinere Datenmenge, nur zwölf. In beiden Korpora konzentrieren sich die subkategorisierten IKs auf wenige Matrixverben. Am häufigsten ist versuchen belegt, gefolgt von haben und sein. Im IDSKorpus kommen außerdem noch anfangen, bitten, brauchen und warnen mehrmals vor, alle anderen Matrixverben nur ein- oder zweimal. Als Matrixelement für reinelnfinitive ist fast nur lassen belegt. Am zweithäufigsten sind in beiden Korpora die Ergänzungen zu Nomen und Pronomen, gefolgt von um"zulnfinitiven. In beiden Korpora machen um"zulnfinitive und subkategorisierte ^Infinitive — also die IKs, die wohl in den meisten in Abschnitt 3.1.1 besprochenen Arbeiten ausgewertet wurden — 7,1% bzw. 7% aus. Damit liegen sie über den höchsten veröffentlichten Werten. Unterschiede zwischen den Korpora ergeben sich lediglich hinsichtlich der seltener auftretenden IKs. So sind z.B. im IDS-Korpus ^Infinitive und Wahrnehmungsverben mit reinen lnfinitiven nicht belegt. Ersteres könnte auf die unterschiedliche Repräsentation verschiedener Dialekte in den Korpora zurückzuführen sein; daher enthält nur der Wackernagel-Jolles Korpus Beispiele von Ruhrgebietssprecherinnen.19 Auffällig ist v. a. der höhere Anteil der IKs in diesen Stichproben verglichen mit den im letzten Abschnitt dargestellten Werten in der Literatur. Hier liegen die Werte aller IKs jeweils knapp über 10%, während in den anderen Untersuchungen höchstens Anteile bis knapp 3% ermittelt wurden. Vier Erklärungen bieten sich an, wobei die erste mit Sicherheit eine Rolle spielt, aber nicht alleine entscheidend sein kann: Erstens werden in der hier durchgeführten Stichprobe sämtliche IKs berücksichtigt, also nicht nur subkategorisierte IKs. Zweitens basieren die unterschiedlichen Ergebnisse eventuell auf unterschiedlichen Klassifikationen, was aufgrund mangelnder Transparenz in den oben diskutierten Arbeiten nicht rekonstruierbar ist. Drittens könnte es tatsächlich größere interindividuelle Schwankungen im Gebrauch der IKs geben. Viertens schließlich könnten die Ergebnisse auf entsprechende Unterschiede im Gebrauch von IKs zwischen Kindern und erwachsenen Sprecherinnen hindeuten. Um die Validität des dritten Faktors zu testen, wurde in einem weiteren Arbeitsschritt überprüft, wie sehr die Verwendung von IKs individuell variiert, indem in zwei Teilkorpora des IDS-Korpus für einzelne Sprecherinnen ermittelt wurde, wie häufig sie IKs produzieren. Es zeigt sich in der Tat, daß die Häufigkeit der Verwendung von IKs sprecherabhängig ist. In der Stichprobe verwenden Sprecherinnen IKs in null bis dreißig Prozent ihrer Äußerungen. Dies ist aufgrund der geringen Datenmenge sicher nicht generalisierbar, aber als Tendenz kann man festhalten, daß der Anteil der IKs interindividuell stark variieren kann.
19
Ich gehe allerdings nicht davon aus, daß der Rheinische Infinitiv (vgl. 2.2) ausschließlich im Ruhrgebiet vorkommt. Er beispielweise auch von süddeutschen Sprecherinnen verwendet, vgl. auch Thieroff (1992).
61
3.2
Englisch "The common linguistic condition of 'infinitivitis' seems to be affecting an increasing number of British English speakers and appears in its most acute form when they are speaking in a formal context or using the written medium." (Allerton 1988:11)
Ziel des folgenden Abschnitts ist es zu untersuchen, ob im Englischen wirklich die „Infinitivitis" herrscht und ob dabei bestimmte Konstruktionen besonders dominant sind.
3.2.1 Ergebnisse aus der Literatur zum Englischen Zwar gibt es für das Englische mehr korpusbasierte Untersuchungen als für das Deutsche,20 doch bestehen die meisten Korpora aus geschriebenen Daten. Wie die Arbeiten zum Deutschen verfolgen auch die englischen unterschiedliche Ziele. Sie berücksichtigen deshalb oft nicht alle IKs, die für den vorliegenden Zusammenhang relevant sind. Die folgende Darstellung bezieht sich v.a. auf die Arbeiten von Mair (1984, 1987a, b, 1990), van Ek (1966), Erdmann (1986) und Biber (1988). Mair und Biber berücksichtigen auch das gesprochene Englisch in ihren Untersuchungen. Zwar gebe ich van Ek (1966:9) recht, daß es generell problematisch ist, geschriebenes und umgangssprachliches Englisch (bzw. Sprachen überhaupt) nicht zu differenzieren. Trotzdem kann ich im folgenden diesen problematischen Schritt nicht vermeiden. Da es hier vor allem darum geht, einen ersten Eindruck von der Verwendung von IKs zu erhalten, scheint diese Vorgehensweise angemessen. Zudem zeigt der Vergleich der genannten Arbeiten, daß es im Hinblick auf die IKs durchaus Parallelen zwischen gesprochenem und geschriebenem Englisch gibt. Im folgenden werden die Ergebnisse nach der Form der IK gegliedert präsentiert. Der anschließende Versuch, ein einheitliches und einigermaßen verläßliches Ergebnis festzuhalten, wird sich als schwierig erweisen. Aus diesem Grund folgt im nächsten Abschnitt auch für das Englische eine kurze Stichprobe. Tabelle 3.4 gibt einen Überblick über die for"tolnfinitive und ihre syntaktischen Funktionen.
20
Vgl. die Übersicht in Taylor et al. (1991).
62 Tabelle 3.4 Übersicht über syntaktische Funktion
for to
- lnfinitive (nach Mair 1987a:552)
Häufigkeit in 840.000 Wörtern gesprochen
geschrieben
total
Subjekt
59
34
93
Objekt
25
37
62
6
6
12
25
15
40
Adverbial (purpose)
4
12
16
Adverbial (result)
9
5
14
Grenzfälle21
5
10
15
133
119
262
Subj-Komplement Adnominal
for to
" lnfinitive kommen in allen syntaktischen Funktionen sowohl in den geschriebenen als auch in den gesprochenen Belegen vor. Als Objekte und als Finalsätze sind sie in der Schriftsprache häufiger. Mair beobachtet außerdem eine Konzentration auf wenige Matrixelemente, die jeweils einen Großteil der Beispiele ausmachen.22
Bei folgenden Adjektiven und Nomen stehen for"tolnfinitive häufig in Subjektposition: be + (im)possible, easy, necessary, difficult, good, alright, convenient, helpful, right, be + a good thing, a natural thing, an odd way, disappointment, trouble, surprise, nothing, plan, more sense sowie take, mean, (would) add. In Objektposition stehen for"tolnfinitive nach den Verben arrange, wait, long, ask, allow, look, be + anxious, desparate, happy, keen, ready; und als Attribute nach tendency, need, arrangement, demand, chance. Es herrscht große Übereinstimmung zwischen Mairs (1987a) und Erdmanns (1986) Beobachtungen, obwohl letztere auf einem Textkorpus beruhen. Tabelle 3.5 faßt die Matrixverben für tolnfinitive in Mair (1990:112, 153) zusammen.
2l
22
Dies sind Beispiele, die nicht eindeutig einer der anderen Kategorien zugeordnet werden können, vgl. (i) aus Mair (1987a:550): (i) and it's a very sensible house for you to buy Zwar ist eine Relativsatzinterpretation (a sensible house that you could buy) möglich, vernünftig ist jedoch nicht eigentlich das Haus, sondern der Kauf. Leider sind die Werte für die einzelnen Lexeme nicht danach aufgeschlüsselt, wie oft sie in gesprochenen versus geschriebenen Belegen auftreten.
63 Tabelle 3.5 Matrixverben für tolnfinitive (nach Mair 1990)
Matrixverb
Häufigkeit in 840.00 Wörtern gesprochen
geschrieben
Total
ask
48
60
108
want
57
31
88
get
39
10
49
enable
9
38
47
allow
23
22
45
expect
25
18
43
like
21
15
37
tell
21
15
36
243
209
452
Zunächst wird deutlich, daß tolnfinitive sehr viel häufiger vorkommen als for"tolnfinitive.23 In Bezug auf die belegten Matrixverben der tolnfinitive besteht zwischen den Ergebnissen von Mair (1990) und denen von van Ek (1966) recht große Übereinstimmung. Van Ek (1966) bezieht in seine Untersuchung zwar keine for~tolnfinitive ein, über die Häufigkeit und die Matrixelemente der tolnfinitive und auch der remenlnfinitive gibt seine Arbeit jedoch detailliert Auskunft. Tabelle 3.6 stellt die Matrixverben zusammen, die in van Eks Korpus24 am häufigsten mit rememlnfinitiv bzw. mit tolnfinitiv belegt sind.
23
24
Auch Altenberg (1993) untersucht Komplementtypen im Englischen. Aus dem London-LundKorpus extrahiert er 5004 Beispiele, die Komplemente (nominal, sentential etc.) enthalten. Unter diesen Komplementstrukturen findet er nur zwei tolnfinitive und zwei remelnfinitive. Dies macht jeweils 0,1% der Komplementstrukturen aus (vgl. Altenberg 1993:230). Dies erscheint mir extrem wenig. Möglich wäre, daß nicht alle IKs in sein Raster der Komplementtypen gepaßt haben — es geht Altenberg v.a. um Kopulastrukturen und nominale Komplemente —, so daß deshalb möglicherweise nicht alle IKs erfaßt wurden. Van Eks Korpus besteht aus 1.000.000 Wörtern aus verschiedenen Textsorten (z.B. Romane, Dramen, Zeitungen und acht Grammatiken).
64 Tabelle 3.6 Häufigste Matrixverben für reinelnfinitive und Infinitive25 to
reine
lnfinitive 1019
lnfinitive 634
Matrixverb
Matrixverb
Häufigkeit
Häufigkeit
make
244
want
139
let
244
ask
114
hear
54
enable
94
see
22
allow
73
Die Verben feel, help, know und have gehören zwar nicht zu den häufigsten Matrixverben, treten aber sowohl mit Infinitiven als auch mit reinenlnfinitiven auf (van Ek 1966:183f).26 Anhand von van Eks Gesamtaufstellung läßt sich außerdem ablesen, daß reinelnfinitive wesentlich seltener sind als tolnfinitive. Dieser Beobachtung entspricht auch, daß insgesamt nur zwölf Verben aufgelistet sind, die reinelnfinitive einbetten, hingegen 99 mit tolnfinitiv (van Ek 1966:1983f). Biber (1988) untersucht ein Korpus von ca. 960.000 Wörtern bestehend aus gesprochener und geschriebener Sprache. Da es ihm um den Vergleich von Textsorten geht, gibt er keine absoluten Häufigkeiten der untersuchten Strukturen an, sondern einen normalisierten Mittelwert bezogen auf 1.000 Wörter. Um einen Vergleich mit den anderen Arbeiten zu ermöglichen, sind in Tabelle 3.7 Mairs27 und van Eks Werte noch einmal zusammengestellt und ebenfalls auf die Häufigkeit pro 1.000 Wörter umgerechnet. Tkbelle 3.7 Überblick über Häufigkeiten von IKs im Englischen pro 1.000 Wörter
- lnfinitive
to
lnfinitive
total
gespr.
0,3 —
1
0,5
van Ek (1966)
0,3 —
1
Biber (1988)
—
—
15,7
Mair (1987a, b, 1990)
25 26
for to
total
gespr.
reine
lnfinitive
total
gespr.
—
—
— 0,6
—
14,6
—
—
Nach van Ek (1966:183f). Van Ek (1966:83) listet have zwar als mögliches Matrixverb für '"Infinitive, findet in seinem Korpus jedoch keinen Beleg. 27 Mair (1987a, b) gibt nicht expli/it an, wieviele Wörter seine gesprochenen Korpora enthalten. Seine gesamte Untersuchung bezieht sich auf 89 gesprochene und 71 geschriebene Texte, die jeweils etwa 5.000 Wörter enthalten, insgesamt also ca. 445.000 Wörter. Die Gesamthäufigkeit wurde also für Tablelle (3.7) auf diesen Wert umgerechnet.
65
Die Unterschiede sind frappierend; sie sind noch größer, als dies in der Literatur zum Deutschen der Fall war (vgl. S. 57). Die Frage ist, wie es dazu kommt. Entweder sind die Unterschiede in den unterschiedlichen Korpora begründet; dies würde allerdings eine ungeheure Schwankung zwischen verschiedenen Texten voraussetzen, was nach Bibers Gesamtergebnis eher unwahrscheinlich scheint. Oder in den Untersuchungen wurde unterschiedlich gezählt. Der Verdacht liegt nahe, daß beispielsweise bei Biber (1988) Auxiliar-Strukturen wie have to, going to mitgezählt wurden.28 Bei Mair (1990) sind diese Strukturen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht berücksichtigt, da er Komplementsätze untersucht. Um zu sehen, welche Zählweise am ehesten den Bedürfnissen der vorliegenden Arbeit entspricht, wird im nächsten Abschnitt auch für das Englische eine Stichprobe durchgeführt.
3.2.2
Stichprobe zum Gebrauch von Infinitivkonstruktionen im gesprochenen Englisch
In einem Interview-Korpus von ca. 18.200 Wörtern wurden for"tolnfinitive, tolnfinitive und reme lnfinitive gezählt.29 Tabel 3.8 faßt die Werte zusammen. Aus zwei Gründen wurde die Anzahl an Sätzen im Korpus ermittelt.30 Erstens ermöglicht dies den Vergleich mit den deutschen Werten, und zweitens scheint es mir wenig sinnvoll, die Häufigkeit einer syntaktischen Konstruktion auf Wortmengen zu beziehen. Interessanter ist vielmehr, wie oft eine Konstruktion durchschnittlich in Sätzen vorkommt. Tabelle 3.8 Häufigkeit von IKs im gesprochenen Englisch - Stichprobenergebnis
Typ
gesamt
for to
- lnfinitive
to
lnfinitive
reine
28 29 30 31
31
lnfinitive
Wörter gesamt 18.200
Sätze gesamt 1.416
pro 1.000 Wörter
davon in %
?1
0,05
0,07
225
12,4
15,9
12
0,7
0,8
237
13,1
16,9
Die Zählroutine für den Computer wird als „to + (ADV) + VB" angegeben (Biber 1988:232). Mein herzlicher Dank geht an Elsa Lattey, die mir ihre Daten zur Verfügung gestellt hat und an Diana Gierling, die mir beim Auszählen der englischen Korpora geholfen hat. Kurzantworten wie Yeah oder No, not really wurden dabei nicht als Sätze gezählt. Konstruktionen mit Semi-Auxiliarverben wurden — wie wohl auch bei Biber (1988) — mitgezählt, da sie bei den Erwerbsverläufen ebenfalls berücksichtigt werden.
66
Die Häufigkeiten für diese Stichprobe liegen näher an den Werten von Biber (1988) als an denen der anderen Autoren. Schon anhand von Tabelle 3.7 wurde deutlich, daß tolnfinitive am häufigsten zu erwarten sind; dieser Eindruck verstärkt sich in der Stichprobe noch. Besonders bemerkenswert ist, daß die for"tolnfinitive in der Stichprobe praktisch gar nicht auftreten. Ähnlich wie bei van Ek (1966) gibt es in den hier ausgezählten Interviews eine starke Konzentration auf wenige Matrixelemente. Tabelle 3.9 gibt einen Überblick über deren Häufigkeiten. Tabelle 3.9 Häufigkeiten von Matrixelementen — Stichprobenergebnisse Matrixelement
to
Verb
179
want, try, going, have, ...
Nomen
24
chance, something, somebody, someone, ...
Adjektiv
23
hard, ready, easy, curious, ...
frei
17
(in order) to
lnfinitive
reine
lnfinitive
12
let, see, make, help
Die Lexeme in Tabelle 3.9 sind nach der Häufigkeit angeordnet. So stehen die vier genannten Matrixverben in 97 der insgesamt 179 tolnfinitive nach Verben. Die vier aufgeführten Nomen sind je zweimal belegt; andere kommen nur einmal vor. Bei den Adjektiven verhält es sich ebenso. Die Liste der Matrixverben für reinelnfinitive ist vollständig: let ist in sechs Beispielen belegt, see in vier und make und help je einmal. Das Verb watch kommt in den Korpora — bedingt durch das Gesprächsthema Soap Operas — extrem häufig vor, allerdings nur ohne IK, obwohl es einen remenlnfmitiv einbetten könnte. Anhand dieser Zusammenstellung der Matrixelemente zeichnet sich auch ab, daß bestimmte Strukturen deutlich häufiger vorkommen als andere. Raising-Strukturen sind überhaupt nicht belegt. ECM-Strukturen kommen selten in remenlnfinitiven und vereinzelt nach want und like vor.
3.3
Schlußfolgerungen für den Erwerb von Infinitivkonstruktionen
In diesem Kapitel wurde untersucht, wie häufig IKs in der gesprochenen Sprache verwendet werden, ob alle vom System zur Verfügung gestellten Strukturen auch in der Umgangssprache vorkommen, und ob es besonders typische Umgebungen und/oder Matrixelemente für IKs gibt. Auch wenn die Häufigkeiten nicht mit letzter Sicherheit bestimmt werden konnten, kommen IKs im Deutschen wahrscheinlich mindestens in etwa 3% der Äußerungen, im Englischen in etwa 15% vor. Aufgrund dieser Häufigkeiten ist für die Fallstudien in den
67 Kapiteln 6 und 7 zu erwarten, daß wir in den englischen Daten der Kinder mehr IKs finden als in den deutschen. Der durchschnittliche Umfang der Korpora liegt bei über 300 Kinderäußerungen. Bei dieser Datenmenge sollte es aber auch für das Deutsche möglich sein, Entwicklungsverläufe zu skizzieren. Für beide Sprachen zeigte sich deutlich, daß nicht alle Typen von IKs in der Umgangssprache gleich oft vorkommen. ^Infinitive und tolnfinitive sind mit Abstand die häufigsten, im Deutschen gefolgt von """"^Infinitiven, im Englischen von remenlnfinitiven. In Kapitel 2 haben wir gesehen, daß *" und tolnfinitive nochmal jeweils aus unterschiedlichen Strukturen bestehen. Für beide Sprachen zeichnet sich ab, daß v.a. Kontrollstrukturen mit Subjektkontrolle vorkommen. Im Englischen sind außerdem Strukturen mit Semi-Auxiliaren recht häufig. Sie könnten neben den Matrixverben want, like und fry Kindern den Einstieg in den Erwerb der IKs erleichtern. Im Deutschen ist die Konzentration weniger deutlich. Es kommen auch einige „Nebenformen" wie attributive IKs und Nominalisierungen häufiger vor. Aus diesen Beobachtungen ergibt sich ein erster Anhaltspunkt für mögliche Erwerbsstrategien. Lexikalisches Lernen erscheint aufgrund der stärkeren Konzentration auf wenige Matrixverben für das Englische wahrscheinlicher als für das Deutsche. Im Deutschen liegt hingegen ein struktureller Einstieg in den Erwerb der IKs näher, weil zum einen die Konzentration auf eine kleine Gruppe von Matrixverben nicht ganz so deutlich ist wie im Englischen, und weil zum anderen nicht alle der häufiger verwendeten IKs subkategorisiert sind.
4
Spracherwerb: Zum Forschungsstand
Nachdem in den letzten beiden Kapiteln diskutiert wurde, welche IKs es im Deutschen und im Englischen überhaupt gibt, und welche davon im Sprachgebrauch vorkommen, sollen in den folgenden Abschnitten Forschungsergebnisse zum Erwerb der deutschen und der englischen Syntax und zum doppelten Erstspracherwerb von Deutsch und Englisch vorgestellt werden. Für beide Sprachen werden neben den Erkenntnissen zum Erwerb von IKs auch jeweils kurz der Erwerb der einfachen und der finiten komplexen Sätze skizziert. Erstens gibt es in diesem Bereich charakteristische Unterschiede zwischen den Erwerbsverläufen im Deutschen und im Englischen, die Auswirkungen auf den doppelten Erstspracherwerb haben könnten, und zweitens spielt beim Erwerb der Haupt- und Nebensatzformate die Unterscheidung von [+ finit] bereits eine Rolle, so daß auch hier ein Zusammenhang zum Erwerb der IKs nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann. Im Zusammenhang mit dem bilingualen Erwerb werden exemplarisch drei Bereiche diskutiert: die Trennung der Sprachsysteme, Sprachkontaktphänomene und Fallstudien zum bilingualen Erwerb des Deutschen und des Englischen. Die Forschungsschwerpunkte sind in den beiden Sprachen zum Teil unterschiedlich, so daß Parallelen im Erwerb des Englischen und des Deutschen nicht auf den ersten Blick erkennbar sind. Dennoch gibt es sie. In Kapitel 2 wurde die Analyse von Sätzen, wie sie im P & P Modell angenommen wird, vorgestellt. In dieser Analyse spielt X-Bar eine entscheidende Rolle. Phrasen bestehen aus einem obligatorischen Kopf und optional realisierten Komplementen und Spezifizierern. Deutsch und Englisch unterscheiden sich z.B. hinsichtlich der Abfolge von Kopf und Komplement innerhalb der VP. Wenn man von diesem und anderen Unterschieden jedoch abstrahiert, kann der Erwerb der englischen und deutschen Syntax — sehr simplifiziert — wie in Graphik l zusammengefaßt werden. Diese Darstellung orientiert sich an Tracy (1995:Kap. 5). Sie geht davon aus, daß viele der ersten Äußerungen, die mehr als zwei Wörter enthalten, als maximale Projektionen analysiert werden können, in denen der VP-Kopf eine Strukturdomäne eröffnet. Deutsche Äußerungen, die dem Meilenstein l entsprechen, wären etwa Julia bus fahren (Tracy 1995:148), englische mummy taking ball (Tracy 1995:148). Zur selben Zeit produzieren Kinder maximale Projektionen der lexikalischen Kategorien Nomen und Adjektiv, jedoch keine funktionalen Projektionen, wie DP, und keine Komplementierer und Finitheitsmarkierungen. Sobald die Kinder eine funktionale Projektionsebene oberhalb der VP eröffnet haben (Meilenstein 2), finden wir u.a. Evidenz für Tempus- und Kongruenzmarkierungen, im Deutschen auch zielsprachliche W-Bewegung und V2-Effekte und — in beiden Sprachen — Modal- und Auxiliarverben. Mit Erreichen des dritten Meilensteins sind komplementierereingeleitete Sätze und im Englischen dann auch zielsprachliche Wh-Bewegung mit Inversion belegt. Das Genus- und Kasussystem sind der jeweiligen Zielsprache angemessen.
70
Nach dieser ersten sehr allgemeinen Charakterisierung von Parallelen im Erwerb des Englischen und Deutschen geht es in den folgenden Abschnitten darum, die Erwerbsverläufe etwas genauer zu beschreiben und auf Unterschiede einzugehen. Graphik l Meilensteine der syntaktischen Entwicklung
Meilenstein 1: VP v Meilenstein 2: IP SpecVP
v
XP
V°
SpecVP
p SpeclP
SpeclP
Meilenstein 3: CP bzw. CP/IP C"
VP
VP SpecCP
—obligatorisch
SpecCP
• "optional, lineare Abfolge spracnabhanglg
IP
4.1
Deutsch
4.1.1 Von einfachen zu komplexen Sätzen Dominik (3;01)! D: Da siebte ein Laster. Mu: Da STAND ein Laster. D: Das heißt da „stehte", weil das heißt doch auch „sagte" und „spielte".
So wie deutsche Kinder morphologische Regularitäten erkennen müssen und sie dabei wie Dominik im obigen Zitat den Anwendungsbereich einer zielsprachlichen Regel unterdifferenDie Alterangaben bezeichnen — soweit bekannt — Jahr;Monat:Tage.
71 zieren bzw. die Regel übergeneralisieren, so müssen sie auch mit den syntaktischen Regularitäten des Deutschen zurechtkommen.2 Im Zusammenhang mit den einfachen Sätzen besteht die Erwerbsaufgabe für die Kinder mindestens aus folgenden Teilaufgaben (vgl. auch Tracy 1989): • •
•
•
der Identifizierung verschiedener syntaktischer Kategorien, z.B. Verben und Nomen; der Erkenntnis, daß Verben und eventuell auch Finitheitsmerkmale in verschiedenen oberflächensyntaktischen Positionen auftreten können bzw. müssen und die produktive Umsetzung dieser Erkenntnis, d.h. der Schaffung eines Ableitungs- oder Transformation ssystem s; dem Erkennen von syntaktischen Beziehungen zwischen diskontinuierlichen verbalen Elementen in den beiden Satzklammern und den zielsprachlichen Beschränkungen zwischen diesen Elementen; dem Erkennen von Beziehungen zwischen Verben und anderen Konstituenten im Satz, z.B. subkategorisierten Argumenten.
In dieser sehr generellen Form besteht in der Forschung weitgehende Einigkeit über den Erwerb. Ich werde ihn gleich auch noch etwas präzisieren. Uneinigkeit herrscht jedoch, sobald Details, kausale Zusammenhänge und Erklärungsmechanismen diskutiert werden. Diese betreffen beispielsweise den Zusammenhang von Flexionserwerb und Verbbewegung, die Konsistenz von Wortstellungsformaten in den kindlichen Äußerungen, die Faktoren, die zur Ausbildung der Hauptsatzstruktur führen, und das Auftreten und die Signifikanz von Äußerungen, die von der Zielsprache abweichen. Auch diese Kontroversen werden gleich noch ausführlicher dargestellt. Nach den Tagebuchstudien vom Beginn des 20. Jahrhunderts (Stern & Stern 1928, Scupin & Scupin 1907, 1910) gehörten Roeper (1973), Grimm (1973, 1977), Grimm & Schöler (1975) und Miller (1976) zu den ersten, die sich in neuerer Zeit mit dem Erwerb des Deutschen auseinandersetzten. Clahsen (1982) unternimmt eine generativ ausgerichtete Fallstudie zum Erwerb des Deutschen. Er versucht in seiner Untersuchung von drei Kindern (männliche Zwillinge 1;06.15 bis 3;08.28 und deren jüngere Schwester 1;02.28 bis 2;05.28) Implikationsskalen und Erwerbsstufen zu formulieren und geht davon aus, daß „der L l Erwerb in einer streng geordneten Reihenfolge von Entwicklungsstufen verläuft" und somit „die sprachlichen Phänomene, die die Kinder nach und nach lernen, in einer Implikationsskala dargestellt werden können." (1982:40).3 Aufgrund von Stellungsregularitäten in Abhängigkeit von der Verbart und der Anzahl der Ergänzungen postuliert Clahsen vier
Mills (1985) gibt eine Zusammenfassung verschiedenster Daten und Untersuchungen nicht nur für den Syntaxerwerb. Für eine kurze Darstellung der Entwicklung von der Einwortphase bis zu ersten komplexen Vorläufern mit diversen kindersprachlichen Daten vgl. auch Cron-Böngeler (1985). Vgl. auch Clahsen & Smolka (1986) und Clahsen & Muysken (1986).
72 Stufen, die die Entwicklung von frühen Äußerungen bis zu zielsprachlichen eingeleiteten Syntagmen erfassen sollen. Der Wunsch, klare Entwicklungsstufen zu beschreiben, ist verständlich. Die Idee paßt auch gut zur heutigen Vorstellung der Parametersetzung (vgl. Kapitel 5). Doch schon die Sterns (1928:59) haben daraufhingewiesen, daß Kinder neben fortschrittlichen Strukturen auch noch Formen und Syntagmen produzieren, die längst überwunden scheinen.4 Diese Beobachtungen widersprechen einer strikten Stufeneinteilung.5 Kontrovers wird auch die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Verbalflexion und Verbstellung diskutiert. Meist wird ein sehr enger, wenn nicht gar kausaler, Zusammenhang zwischen dem Erwerb des verbalen Flexionsparadigmas (Clahsen 1982, Clahsen 1988b, c, Clahsen & Penke 1992) oder zumindest der Finitheit (Meisel 1990, Weissenborn 1990) und der V2-Regel des Deutschen postuliert, vgl. die Beobachtung von Rothweiler (1993:39): Im Bereich von Hauptsätzen gibt es also insgesamt nur sieben Abweichungen [d.h. finite Verben in Endposition oder fehlende Subjekt-Verb-Kongruenz, I.G.-M.] auf mehrere tausend Äußerungen. Die hier untersuchten Kinder beherrschen die V2-Regel und Subjekt-VerbKongruenz. Andere bezweifeln einen solchen direkten Zusammenhang zwischen Finitheit und V2-Effekt (vgl. Kaltenbacher 1990, Verrips & Weissenborn 1992). Schaner-Wolles (1994:222) beschreibt die Situation folgendermaßen: The morphological distinctions provide a helpful cue for the identification of the relevant element, but they are not immediately related to the grammatical causality of the V2 phenomenon. Hence, if the acquisition of inflection and the acquisition of verb placement are in principle independent but interacting, we have to expect that they can be dissociated in language acquisition. This is the case, indeed, both in unimpaired and impaired language acquisition.
4 5
Vgl. Grimm (1977:71f) zu ähnlichen Beobachtungen für den Erwerb von Morphemen. Weitere Langzeitstudien in den letzten Jahren haben dazu geführt, daß die von Clahsen beschriebenen Stufen nur noch als erste Orientierungspunkte dienen (Gawlitzek-Maiwald 1989, Fritzenschaft et al. 1990, Kaltenbacher 1990, Tracy 1991). — Für eine Diskussion dieser Beobachtung im Zusammenhang mit dem P & P Modell vgl. Kapitel 5, sowie Verrips (1994) und d'Avis & Gretsch (1994). Tracy (1991) beobachtet u.a. folgende Unterschiede zu Clahsens (1982) Daten: kein -/ als (In)transitivitätsmarker und relativ häufig V l-Syntagmen. Tracy schlägt deshalb vor, „daß man qualitativ unterscheidbare Schritte eher in 'Graden' der Integration oder der Differenzierung messen sollte." (Tracy 1991:405). Tracy (1991:410) legt auch dar, daß die geringe Zahl von VISyntagmen in Clahsens Daten ein Artefakt seiner Analyse sein könnte, da er für Äußerungen, die kein Subjekt enthalten, dieses als abstraktes Element im Vorfeld annimmt und die Äußerungen dann als V2-Syntagmen zählt.
73
Schaner-Wolles (1994) argumentiert auch aus universalgrammatischer Perspektive: Da es Sprachen wie Afrikaans gibt, das zwar eine V2-Sprache ist, jedoch keine Finitheitsmarkierungen am Verb aufweist, ist eine kausale Beziehung zumindest nicht zwingend. Auf der Basis bilingualer Daten (Deutsch/Englisch) argumentiert Döpke (1996) gegen eine Triggerfunktion der Kongruenzflexive für die V2-Stellung. Sie findet in ihren Daten wesentlich mehr Verben in Zweitposition, die auf -en enden. Auch die Frage, wie die deutsche Hauptsatzstruktur allmählich ausgebildet wird und in welchem Zusammenhang die beiden Verbpositionen zueinander stehen, wird nicht einheitlich beantwortet. Wenn deutschsprachige Kinder beginnen, mehrere Wörter zu kombinieren, stehen verbale Elemente, anfangs oft nur Verbalpartikel, häufiger am Ende der Äußerung als am Anfang. Diese verbalen Elemente sind noch nicht für Tempus und Kongruenz markiert (Meilenstein 1). Treten jedoch Modal- oder Hilfsverben bzw. deren Vorläufer6 auf, stehen diese meist in linker Position. Allmählich beginnen die Kinder dann, Hauptverben zu flektieren. Diese flektierten Formen stehen ebenfalls in linker Position. Nach und nach wird die Kongruenz dann vollständig ausgebildet, und das Spektrum der Konstituenten, die im Vorfeld vor dem Finitum stehen können, wird erweitert (Meilenstein 2).7 Clahsen (1982, 1988a, b, c) und Weissenborn (1990) leiten die V2-Stellung schon in den frühesten Äußerungen von der VE-Stellung ab. Andere (de Haan 1987, Gawlitzek-Maiwald 1989, Tracy 1987, 1991 und Kaltenbacher 1990) plädieren dafür, daß den Kindern zunächst zwei verschiedene Strukturmuster zur Verfügung stehen. (1)
a b
AUX .... .... Vnf
(la) repräsentiert Äußerungen, die ein flektiertes verbales Element enthalten, zunächst sind dies Modal- und Auxiliarverben, deshalb die Abkürzung AUX. In ein zweites Strukturformat (Ib) werden v.a. die Vollverben eingesetzt. Sobald die Kinder erkennen, daß Auxiliare und Vollverben Gemeinsamkeiten haben, z.B. daß sie in verschiedenen Positionen auftreten
In Fritzenschaft et al. (1990) haben wir vier Typen von Äußerungen unterschieden: Versatzstücke, Wegbereiter, Vorläufer und zielsprachliche Äußerungen. Ich verwende hier Vorläufer als Oberbegriff für alle Arten von Strukturen, die mit dem Erwerb der IKs in Zusammenhang stehen, aber auf unterschiedliche Art (vgl. Kapitel 5) noch von der Zielsprache abweichen. Unter der Annahme, daß deutsche Sätze symmetrisch strukturiert sind, stünde das Finitum in diesen Äußerungen in C°. Die meisten Spracherwerbsforscherlnnen gehen in der Tat von der Annahme aus, daß Kinder, die diesen Systemzustand erreicht haben, bereits den dritten Meilenstein ausgebildet haben (u.a. Clahsen 1988a, b, c, Clahsen & Penke 1992, Weissenborn 1990). Fritzenschaft et al. (1990), Gawlitzek-Maiwald et al. (1992), Tracy (1994, 1995), Gretsch (1993) und d'Avis & Gretsch (1994) und die vorliegende Arbeit folgen hingegen Reis (1985) und BRRZ (1992) in der Annahme, daß uneingeleitete und eingeleitete deutsche Sätze asymmetrisch strukturiert sind, das Finitum in uneingeleiteten Sätzen also in 1° steht und Kinder mit dem Hauptsatzformat erst über den zweiten Meilenstein, die IP, verfügen (vgl. auch Kapitel 2).
74
können und daß sie alle flektiert sind, konvergieren die beiden Strukturmuster auf ein gemeinsames, das die verschiedenen Verbpositionen zueinander in Beziehung setzt. Tracy (1991:403) beobachtet, daß bei allen Kindern die Heterogenität — d.h. die Koexistenz verschiedener Strukturen zu einem Aufnahmezeitpunkt — nach der Ausbildung erster elementarer Strukturtypen zunimmt. Sie argumentiert, daß sich zwei Konvergenzprozesse, die jeweils die Ausdifferenzierung der linken Satzperipherie betreffen, anschließen. In einem ersten Schritt werden holistische Kopulastrukturen und andere formelhafte Wendungen analysiert; in diesem Zeitraum treten auch die ersten Modal- und Hilfsverben auf.8 In einem weiteren Schritt werden dann einleitende (Diskurs-)Elemente wie gucken als Matrixverben reanalysiert und ebnen den ersten lexikalischen Komplementierern den Weg. Je mehr Kinder beobachtet wurden, desto deutlicher wurde auch, daß die von Clahsen postulierte Konsistenz der Wortstellungsmuster weder inter- noch intraindividuell haltbar ist. Dies gilt sowohl für den Hauptsatz (vgl. de Haan 1987, Kaltenbacher 1990, Tracy 1991, Schaner-Wolles 1994) als auch für die Ausbildung des dritten Meilensteins, nämlich den Erwerb der finiten Nebensätze (Fritzenschaft et al. 1990, Gawlitzek-Maiwald et al. 1992, Müller 1993, die Arbeiten in Tracy & Lattey 1994). Die Beispiele (2)-(4)9 illustrieren von der Zielsprache abweichende Äußerungen. (2) (3) (4)
was ich kann machen/ Benny 2; 11.21 DEN nachher sollme des spieln\ Max 2; 10.18 B deutet auf den Tisch, auf dem normalerweise eine Frisbeescheibe liegt: wo wo da hat doch immer frisbee immer liegen\ Benny 3;01.13
Die Frage, welchen Status Äußerungen dieser Art haben, ob es sich um Versprecher handelt oder ob sie relevant sind für den Erwerbsverlauf, hat eine heftige Diskussion ausgelöst. Interessanterweise haben aber bereits Stern & Stern (1928) sowohl auf abweichende als auch auf präkonjunktionale Nebensätze10 hingewiesen, trotzdem wurde lange von einem fehlerlosen Verbstellungserwerb in Nebensätzen ausgegangen (Clahsen 1982, 1988a, b, c).11
8
9 10
11
Kaltenbacher (1990) diskutiert nicht, wie die Kinder die verschiedenen Positionen generieren, nachdem sie sich auf ein Grundmuster festgelegt haben. de Haan (1987) nimmt zwei zugrundeliegende semantisch differenzierte Verbklassen an. Die Verben in Erst- und Zweitposition werden von dem Kind zunächst nicht der Klasse der Verben zugeordnet, sie sind nur Träger von Tempus- und Modalitätsmerkmalen. Die Beispiele (2)-(4) stammen aus Fritzenschaft et al. (1990:113-120). Dieser Begriff geht zurück auf Rothweiler (1989, veröffentlicht 1993). Er beschreibt die Zeit, in der (einige) Kinder uneingeleitete oder undifferenziert eingeleitete finite VE-Strukturen mit Nebensatzlesart produzieren. In Clahsen (1982) geht es zwar vor allem um den Erwerb der frühen Syntax. Interessant ist jedoch, daß auch in diesen Daten ein paar Nebensätze ohne Komplementierer belegt sind, (i) (1982:68):
75 (5)
so tun, tiä da is? = soll ich so tun, als ob Christine da ist?
Günter 2;4Vi (Stern & Stern 1928:103)
Inzwischen werden diese abweichenden Strukturen auch als Chance angesehen, dem Erwerbsprozeß genauer auf die Spur zu kommen, vgl. Tracy (1991:434): Die Untersuchung solcher Rekonstruktionsleistungen macht es erforderlich, sich Daten zuzuwenden, die man sich im allgemeinen nicht für eine Analyse wünscht: Ausnahmen, Strukturvarianten und vor allem systeminterne Inkonsistenzen. Aber gerade damit nähert man sich, wie hier gezeigt werden sollte, den 'Bewegern des Systems', die den Entwicklungsprozeß immer wieder vorantreiben. In d'Avis & Gretsch (1994:60-63) sind die beobachteten Vorläuferstrukturen zusammengestellt. 12 Das Variationsspektrum beim Erwerb der flniten Nebensätze erstreckt sich von der Reihenfolge des Erwerbs der verschiedenen Nebensatztypen über den Beginn und die zeitliche Ausdehnung des Erwerbs bis zu den verwendeten Vorläuferstrukturen und dem Zustand des kindlichen Sprachsystems, bevor der Erwerb der Nebensätze beginnt. Dieses Variationsspektrum ist ein Faktum und muß von der Spracherwerbsforschung akzeptiert und erklärt werden. Im Modell der Parametersetzung gelingt dies allerdings nur bedingt (vgl. Verrips 1994). Dies führt dazu, daß zunehmend dynamische Erwerbsmodelle entwickelt werden. Das Bausteinmodell von d'Avis & Gretsch (1994) ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.13 Hinter diesen kontroversen Diskussionen stehen grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen darüber, wie Spracherwerb abläuft und wie er organisiert ist. Welche Rolle spielt UG genau, und wie lassen sich die verschiedenen Beobachtungen mit Annahmen der Kontinuität vs. Diskontinuität vereinbaren? Ich werde auf diese Diskussion in Kapitel 5 kurz eingehen.
(i)
Mu: der papa is doch ganz weit weggeflogen, ne.
M: 12
13
weiß ich nich der hingeflogen is.
M (41.3;4,07)
(M. weiß nicht, wo der hingeflogen ist.) Wir finden bei manchen Kindern: uneingeleitete VE-Syntagmen (präkonjunktionale Nebensätze); VE-Strukturen, die durch phonologische Platzhalter eingeleitet werden; Abbruche nach lexikalischen Komplementierern; parataktische Verbindungen mit einer Intonationskontur; parataktische Verbindungen mit Subordinationslesarten; abweichende Verbstellungen in eingeleiteten Nebensätzen; komplementierereingeleitete Strukturen ohne Verb; Zitate unproduktiver Komplementierer; Komplementierer in nicht-zielsprachlicher Position; Lexeme anderer Kategorien in Komplementiererfunktion; komplexe Dialogmuster sowie komplementierereingeleitete Strukturen, die semantisch abweichend sind. Vgl. dazu auch Müller & Penner (1992) und Penner (1994). Vgl. auch die Vorarbeiten des Tübinger Projekts: Fritzenschaft et al. (1990) und GawlitzekMaiwald (1992) und neuere Überlegungen von Tracy (1995) und Hohenberger (1996). Hohenberger interpretiert den Spracherwerb als dynamisches System im Paradigma der Chaostheorie.
76 4.1.2
Der Erwerb der Infinitivkonstruktionen
Obwohl sich die Forschungssituation und Datenlage in Deutschland in den vergangenen fünfzehn Jahren entscheidend verbessert hat, sind Erkenntnisse zum Erwerb infiniter Strukturen immer noch sehr spärlich. Die meisten Langzeitstudien haben sich, wie oben dargestellt, mit dem Erwerb der frühen Syntax oder der finiten Nebensätze beschäftigt; IKs werden im Deutschen jedoch später erworben. So kann Mills (1985:214) in ihrer Zusammenfassung lediglich auf die Ergebnisse aus Grimm & Schöler (1975) zurückgreifen und bemerkt: A detailed study of these constructions [i.e. non-finite constructions, I.G.-M.J in spontaneous speech and through careful experimentation would throw some light on the dependence of interpretation strategies on the word order possibilities allowed and most frequently used within a language. Auch die Tagebuchstudien liefern relativ wenig Material. Stern & Stern (1928:47) notieren eine erste IK ihrer Tochter Hilde im Alter von 2;0: ein remerlnfinitiv nach lassen, (6). Der nächste Beleg ist dann erst fast zwei Jahre später festgehalten, (7), wieder ein reinerlnflnitiv, diesmal nach einem Wahrnehmungsverb (Stern & Stern 1928:78). (6) (7)
als H einen Bleistift auf dem Tisch spazieren führt: laufen machen lassen! ich habe nur jemand hilde rufen gehört
H 2;00 H 3; 10
Soweit man dies auf der Basis der aufgeführten Beispiele sagen kann, produziert Hilde früh vereinzelte IKs. Wann welche Typen von IKs produktiv verwendet werden, kann man leider nicht entscheiden. Scupin & Scupin (1907, 1910) berichten v.a. über die psychologische Entwicklung ihres Sohnes, dennoch sind über einen Zeitraum von fast zwei Jahren verschiedene Beispiele belegt, die im Zusammenhang zum IK-Erwerb zu stehen scheinen. Zweimal kommentieren die Scupins abweichende Kombinationen von Hilfs- und Vollverb, (8) und (9). Diese Belege werden hier aufgeführt, weil sich im empirischen Teil zeigen wird, daß solche Strukturen für den Erwerb der IKs relevant sind. (8)
3;04.10 Eine Stilprobe, die besonders die Konfusion zeigt, die noch zwischen Verben und Hilfszeitverben angestellt wird, sei hier wiedergegeben. [...] 'Ich hab' nich geweint, bloß die Lottel is unatig gehabt und hat geweint!' — 'Warum hat sie denn geweint?' — 'Nu, wir haben doch getanzt, und da sind wir beide hingefallen, und da hab' ich so auf n Kopp lag (gelegen) von der Lottel, und da hat se geweint, und da hab' ich aufgestanden und schnell fortgelaufen.' [Hervorheb. I.G.-M.] (Scupin & Scupin 1910:38)
77
(9)
4;04.08 Mit den Verbformen lebt das Kind noch häufig auf dem Kriegsfuße. (Scupin & Scupin 1910:110)
Bei diesen Hilfsverbstrukturen geht es wie bei den IKs um die Kombination von verschiedenen verbalen Elementen. Diese unterliegen in der Zielsprache bestimmten Restriktionen, die Kinder erwerben müssen. So hat Scupins Sohn in (8) beispielsweise noch nicht (endgültig) erkannt, daß Verben wie aufstehen und fortlaufen mit dem Auxiliar sein kombiniert werden, während das Voll verb haben mit dem Auxiliar haben das Perfekt bildet. IKs sind für Scupins Sohn ab 2;07.20 dokumentiert. Als erstes sind Kombinationen aus Vollverben belegt, (10), bald darauftreten auch ^Infinitive wie (11) auf. Für letztere werden auch später immer wieder Beispiele angeführt, (12)-(14). (10) (11)
2;07.20 2:08.03
(12)
2;08.21
(13) (14)
2; 11.23 4;01.08
Ich bin schon genug gesitzen bleibt! (Sc & Sc 1907:145) Eine harte Brotkruste, die er nicht durchbeißen konnte, legte er mit den Worten fort: 'Das geht nich zun ab - e - beißen!' (Sc & Sc 1907:148) S-teh doch lieber auf, Mama, ich wer' dich helfen aufzun-s-tehen (Sc & Sc 1907:160) Helf emal 'm Bubi der Bissen zu aufessen! (Sc & Sc 1907:207) Das Piepel hat sich schon wieder Federn ausgezupft, die wer' ich meiner Zecke (= Schecke) zu fressen geben, daß se auch ein Vögerle wird (Sc & Sc 1910:94)
Nur drei Monate später sind eine erste ECM-Struktur, (15), das Verb lassen, (16), sowie Nominalisierungen, (17)-(21), belegt. (15) (16) (17)
2;10.15 2; 11.23 2; 11.04
(18) (19)
3;00.00 3;00.00
(20)
3;07.05
(21)
3; 10.23
Da seh ich zwei Rauchen! (Sc & Sc 1907:185) Aber laß'n Bubi nich fallen! (Sc & Sc 1907:207) Weiß Bubi den Namen eines Dinges nicht, so nennt er einfach dessen Zweck, auf eine Reibemaschine deutend, sagte er also: 'Das is zun drehn!' und auf eine Regenrinne weisend: 'Das is zun Wasserrauskommen!' (Sc & Sc 1907:195) Aber wo is denn die Treppe zun 'raufs=teigen? (Sc & Sc 1910:1) Nein, das is meine zecke (= Schecke), ich bin doch noch nich fertig zun reiten! (Sc & Sc 1910:1) Nein, 's kann doch gar kein Wind sein, der Wind hat doch gar keine Blätter zun Windigsein. (Sc & Sc 1910:62) Gib mir zun rieben. (= ?) (Sc & Sc 1910:80)
78
Ab dem dritten Geburtstag sind Ergänzungen zu Nomen notiert, (18), (22)-(23). Zweckfragen sind erst einige Monate später belegt (24). Interessanterweise treten dann auch Raisingverben wie in (25)-(26) auf. (22) (23)
3;01.23 4;04.02
(24)
3;07.01
(25)
3;07.14
(26)
3;08.13
Der Bär will was zu fressen haben (Sc & Sc 1910:14) Aber da geb" ich dem Mann' ein' Apfel zu essen, wo ein Worm drin' is, und der Worm beißt, und da tut Männern's Bauch weh. (Sc & Sc 1910:108) Wozu brauchst Du das? Wozu macht man das? Wozu wird das genommen? (Sc & Sc 1910:62) Die Verben 'scheinen' und 'meinen' kommen jetzt in häufigerer Anwendung vor, z.B. 'der Papa scheint zu kommen.' (Sc & Sc 1910:64) Es scheint mir, ob das nich sehr fest is, das Eis (Sc & Sc 1910:70)
Zwei Beobachtungen sollen hervorgehoben werden: Einmal die auffällige Verwendung des n, das der Junge an die Infinitivpartikel zu klitisiert. Möglich wäre, daß es sich um eine abgewandelte Version des erwachsenensprachlichen zum oder um eine reduzierte Version eines pronominalen Objektes handelt. Die zweite Beobachtung betrifft eine (seltene) Stellungsabweichung der Infinitivpartikel zu in (11) und (13). Ich komme darauf ebenso wie auf die Kasusabweichung in (12) im Zusammenhang mit den Fallstudien in den Kapiteln 6-8 zurück. In beiden genannten Tagebuchstudien sind relativ früh einzelne IKs dokumentiert. Zuerst scheinen die Kinder ECM-Strukturen und aspektuelle Vollverbkombinationen sowie Kontrollverben mit ^Infinitiv zu produzieren. Bald kommen dann auch nicht subkategorisierte IKs und Nominalisierungen hinzu. In neueren Untersuchungen findet man im Zusammenhang mit dem Erwerb der IKs Informationen zu drei Bereichen: Überblicke über verwendete Matrixverben (Grimm 1973, Rothweiler 1993), vereinzelte Belege von Vorläufern oder ersten IKs in Fallstudien zum Erwerb anderer Strukturen (Cron-Bögeler 1985, Tracy 1991), sowie Ergebnisse aus experimentellen Studien (Grimm & Schöler 1975, Rothweiler & Siebert-Ott 1988, SchanerWolles & Haider 1987). In Grimms Analyse (1973:136fF) der von Kindern verwendeten Matrixverben fallt auf, daß die Kinder zwar diverse Verben verwenden, die einen finiten Nebensatz einbetten können, z.B. sagen. Von den Matrixverben, die auch IKs einbetten können, sind in Grimms Daten jedoch nur wissen und probieren — und das nur sehr selten und nicht unbedingt mit IK - belegt. Rothweiler (1993) untersucht den Erwerb der finiten Nebensätze (vgl. 4.1.1) und stellt die verwendeten Matrixverben zusammen. Beim Erwerb der komplexen Sätze können Kinder nach Rothweiler (1993:85) entweder neue Verben ins Lexikon aufnehmen oder bestehende Subkategorisierungsrahmen erweitern. Die Autorin gibt der zweiten Möglichkeit den Vorzug,
79 weil viele Verben, die zielsprachlich mit Satzkomplementen auftreten können, bereits mit NP-Komplementen belegt sind, also nicht völlig neu erworben werden müssen. Sie findet in ihren Daten zwar Belege für Wahmehmungs-, Mitteilungs- und andere Verben, die auch IKs einbetten können; Belege für Verben, die typischerweise IKs einbetten, wie Phasenverben (beginnen), Verben des Erreichens (versuchen), des Fürchtens ((be)ßirchteri) und des Vorgebens (vorgeben, sich vorstellen) sind jedoch nicht belegt (Rothweiler 1993:87-89). Ein Grund, warum IKs viel später auftreten als finite Komplemente, könnte nach Rothweiler (1993:89f) eine Hierarchisierung der Lexikoneinträge sein: Prädikate, die sowohl infinite als auch finite Komplementsätze erlauben, bevorzugen in der Regel eine Variante. Das bedeutet, ein Infinitivsatz kann eine markierte Variante eines finiten Komplementsatzes sein und umgekehrt. Da Infinitivsätze später auftreten als finite Nebensätze, kann daraus geschlossen werden, daß Matrixprädikate, die für infinite Satzkomplemente subkategorisiert sind, später erworben werden; selbst wenn sie finite Komplemente als markierte Varianten grundsätzlich erlauben. Die im hier untersuchten Material auftretenden Matrixprädikate bestätigen das. Infinitivsätze wären — wenn überhaupt möglich — immer markierte Varianten und treten nicht auf. Der Erwerb folgt also der Hierarchie im Lexikoneintrag. Entweder triggert der Erwerb von Lexikoneinträgen, die Infinitivsätze fordern, den Erwerb der zw-Struktur (=lexikalischer Trigger), oder Verben, die diesen Eintrag haben, bleiben solange unproduktiv, bis die syntaktische Struktur Infinitivsatz erworben ist. Rothweiler hat recht, wenn sie annimmt, daß abhängig vom Matrixverb entweder der finite Nebensatz (etwa bei Verba dicendi) oder die IK die häufigere Komplementform darstellt. Ihre Überlegungen zur Erwerbslogik sind jedoch tautologisch: Sie beobachtet, daß bestimmte Strukturen seltener vorkommen als andere, also schließt sie, daß diese eine markierte Variante darstellen. Sie geht dann davon aus, daß die Lexikoneinträge hierarchisch gegliedert sind und bestimmte Strukturen deswegen seltener vorkommen, weil sie markiert sind. Auch die Annahme, daß der Lexikoneintrag den Erwerb der Struktur triggert oder unproduktiv bleibt, bis die Struktur erworben ist, erklärt auch nicht, warum IKs spät erworben werden und wie sie erworben werden. Tabelle 4.1 faßt zusammen, welche IKs in Rothweilers Korpus (1993:89)14 belegt sind.
14
Monika Rothweiler hat mir unveröffentliche Auszählungsbögen ihrer Daten sowie Manuskripte zu Rothweiler & Siebert-Ott (1988) überlassen, dafür möchte ich ihr herzlich danken. Die Zahlen in Klammern in Tabelle 4.1 geben die absoluten Häufigkeiten an.
80 Tabelle 4.1 IKs im Rothweiler-Korpus Matrixverben zielsprachlich
abweichend
reine
lnfinitive (25)
gehen (7), kommen (6), lassen (5), brauchen (4), helfen (2)
/ossen (mit Dativ statt Akkusativ)
^Infinitive (21)
brauchen (11), aufhören (4), vergessen (1), /ew/en (1), drankommen (1), versuchen (1)
vergessen (mit Partizip), brauchen
Das heißt, in den Spontansprachdaten sind v.a. aspektuelle IKs belegt. Außerdem finden wir das Matrixverb brauchen mit rememlnfinitiv und mit ^Infinitiv.15 Daneben sind Kontrollund ganz vereinzelt ECM-Strukturen (nur nach lassen) belegt. In Grimm (1973) is lassen eines der wenigen belegten Matrixverben. Bevor die Kinder Nebensätze produzieren, treten in Grimms Daten folgende remelnfinitive auf, (27). (27)
a b c d e f
Die kann man fuhren lassen Und hab ich das ufflöse laßt Die will jetzt dadrin sitze lasse Die müssen da sitzen bleiben Dann müssen wir erst noch draußen sitzen bleiben und dann soll er fortgegangen sein Ich will schlafen gehen
(Grimm 1973:120) 16
Neben lassen-IKs (27a-c) handelt es sich um aspektuelle Vollverbkombinationen (27d-f). Leider ist eine genauere Analyse der Beispiele ohne Kontextangaben und ohne Kenntnis des jeweiligen Gesamtsystems nicht möglich. Dies gilt auch für die vereinzelten Vorläufer von um zu ' lnfinitiven, (28) und (29).n Bei diesen Beispielen fehlt zum einen die Partikel zu, und zum anderen ist die Bedeutung unklar.
15
Brauchen ist im Erwachsenensystem auch Raisingverb; da es seinem Subjekt aber durchaus auch eine -Rolle zuweisen kann, (i), ist nicht eindeutig zu bestimmen, ob die Kinder es als Raisingverb analysieren. Eine ähnliche Ambiguität besteht auch bei den Phasenverben, die im Erwachsenensystem ebenfalls oft als Raisingverben analysiert werden (Rosengren 1992), vgl. (ii)(iv). (i) Sally braucht Harry nicht (zum Glücklichsein) (ii) Sally fängt an (iii) Sally fängt an, Harry zu mögen (iv) Es fängt an zu regenen 16 Die Daten stammen von den Altergruppen I-V, d.h. 3;01-5;12. 17 Beide Beispiele stammen wahrscheinlich aus der Altersgruppe III, d.h. 4;01-4;06, Grimm macht keine Angabe.
81
(28) (29)
Ich weiß schon, was die Menschen sind, um auf die Tiere aufpasse (Grimm 1973:142) Von der Mama hat mich gesagt und Rapi, wenn ihr mir wachst, um unser Auto zu putzen (Grimm 1973:143)
Auch in Cron-Böngeler (1985:169) sind einige wenige IKs aufgeführt, (30)-(32): (30)
H 2;05
(31)
H 2;07
(32)
N 2; 10
die letzten lede iß ohne würfeln „die letzten (Karten) lege ich, ohne zu würfeln" hast du lust, in den sand zu dehn? „hast du Lust, in den Sand zu gehen?" Bild in der Zeitschrift
du kannst ja versuchen, noch ein bebi zu finden Bis auf (32) handelt es sich hier um nicht subkategorisierte IKs. Auch in den Daten von Scupin & Scupin (1907, 1910) waren solche Beispiele belegt. Sie sprechen gegen eine Analyse, die nur lexikalisches Lernen für den Erwerb der IKs verantwortlich macht. Auch in Tracy (1991) sind ein paar Vorläufer von IKs dokumentiert. Interessanterweise handelt es sich wieder um aspektuellen Vollverbkombinationen und lassen Konstruktionen; letztere sind nach Grimm & Schöler (1975) (vgl. unten) besonders schwierig zu erwerben. (33) (34) (35) (36) (37) (38) (39)
J (2;00.02) J(2;08.12) J (2;08.12) F (2;08.25) S (1; 10.11) S (2;00.08) S (2;00.02)
geht ARbeitn\ hör da AUF äugen zumachen\ da HÖRT man jeman drinne komm\ DA stehen(-)bleiben die die AUtossen\ LAß mal klettern\ laß S. machen\ [de] laß AUCH noch was malen\
(Tracy (Tracy (Tracy (Tracy (Tracy (Tracy (Tracy
1991:201) 1991:286) 1991:286) 1991:392) 1991:306) 1991:306) 1991:324)
Diese neueren Studien bestätigen den ersten Eindruck aus den Tagebuchstudien: Deutsche Kinder produzieren spontan aspektuelle Vollverbkombinationen, remelnfinitive nach lassen und Kontrollstrukturen nach wenigen Matrixverben. Raisingstrukturen und ECM-Strukturen nach anderen Verben als lassen sind kaum belegt, bzw. ihr Status ist zweifelhaft (vgl. Fn. 17). Diese Beobachtungen wären noch mit einer Hypothese rein lexikalischen Lernens in dem Sinn, daß Kinder lediglich die entsprechenden Matrixlexeme für IKs erwerben müssen, vereinbar; doch anscheinend treten schon bald auch nicht subkategorisierte um~zulnfinitive und Nominalisierungen auf, für die eine solche Erklärung nicht zutreffen kann. Wie sich gleich zeigen wird, bestätigen dies auch experimentelle Studien. Grimm & Schöler (1975) testen IKs nach lassen, erlauben, befehlen und versprechen in drei Experimenten. Ihre Ausgangshypothesen sind, daß lassen komplexer ist als die anderen Verben, weil es weniger semantische und syntaktische Restriktionen bezüglich seiner
82
Komplemente ausübt als andere Matrixverben.18 Außerdem gehen die Autorinnen davon aus, daß die Wertigkeit der Verben eine Rolle spielt und daß döjS-Komplemente einfacher sind als IKs, weil in ihnen das logische Subjekt auch lexikalisch realisiert ist. Sie nehmen auch an, daß irreversible Handlungen für Kinder leichter zu interpretieren sind als reversible, weil sie bei deren Interpretation ihr Weltwissen zu Hilfe nehmen können. Den Kindern (3;6-7;10) wurden u.a. Sätze wie die in (40) vorgegeben (vgl. Grimm & Schöler 1975:107), wobei die Kinder (teils ungrammatische) Fragen wie: „Wer spielt?" oder „Wer erlaubt?" beantworten sollten. (40)
a b c d
Die Mutter erlaubt, daß Peter spielt Die Mutter befiehlt Peter zu arbeiten Der Vater erlaubt, daß Ulrike den Stein wirft Die Lehrerin befiehlt Heiner, Olga zu suchen
Die problematischen Vorannahmen sind wohl mit ein Grund, warum sich in den beiden ersten Tests, die nach der oben angedeuteten Interviewmethode durchgeführt wurden, nur ein Einfluß der Wertigkeit der Verben auf die Interpretation nachweisen läßt. Es zeigt sich zudem, daß befehlen und erlauben unterschiedlich komplex sind. Wenn Fehler auftreten, dann interpretieren Kinder die erste NP im Satz, nicht die, die am nächsten beim Verb steht, als Agens des eingebetteten Verbs, d.h. Subjektkontrolle scheint eine größere Rolle zu spielen als das Minimal Distance Principle.19 Im dritten Test — einem Nachspieltest mit Kindern zwischen 5;0 und 6;4 — deutet sich an, daß versprechen komplexer ist als lassen und lassen schwieriger als erlauben. Es ergaben sich auch erste Anzeichen dafür, daß da/J-Komplemente bei zweiwertigen Verben für die Kinder tatsächlich einfacher zu interpretieren sind als IKs. Die Bedeutung dieser Ergebnisse für die Beschreibung von Erwerbsverläufen und für die Beantwortung theoretischer Fragestellungen ist schwer zu bestimmen. Erstens wissen wir nicht, in welchem Zusammenhang die Ergebnisse zu den jeweiligen Gesamtsystemen der Kinder stehen. Zweitens scheint mir die Testkonzeption fragwürdig. Die Interviewmethode ist nicht sonderlich interessant, v.a. nicht für kleinere Kinder. Die Tatsache, daß die jüngeren den Test nicht machen wollten, muß nicht unbedingt auf die Schwierigkeit der angebotenen Strukturen zurückgeführt werden, sondern könnte auch darin begründet sein, daß der Test 18
19
Man fragt sich, welcher Komplexitätsbegriff hinter dieser Annahme steht, denn intuitiv scheint ein Verb, das seine Komplemente weniger restringiert als ein anderes, weniger komplex, da die Kinder die entsprechende Struktur produzieren können, ohne weitere semantische oder syntaktische Beschränkungen zu kennen. Vgl. auch die Daten aus Grimm (1973), wo lassen zu den wenigen belegten Verben mit IK gehört. Dieses Prinzip beschreibt Beschränkungen für Koreferenzbeziehungen von PRO. Ursprünglich geht es auf Rosenbaum (1967) zurück, der es als hierarchisches Prinzip definiert. C. Chomsky (1969), deren Definition Grimm & Schöler (1975) verwenden, versteht es in einem rein linearen Sinn, d.h. die dem Verb am nächsten stehende NP bestimmt die Referenz von PRO, (vgl. auch Fn. 43).
83
den Kindern nicht gefiel. Drittens schließlich — und das ist das schwerwiegendste Argument — sind die Ausgangshypothesen problematisch: Lassen bettet einen rcinenlnfinitiv ein, erlauben, befehlen und versprechen hingegen ^Infinitive. Es wird also auch ein Konstruktionskontrast getestet, der weder in die Testkonzeption noch in die Testauswertung einging. Zudem betten die Kontrollverben alternativ a ] du brauchst keine ANGST haben\ L flüstert: Ag: Ja, mhm. L: aber ihr braucht keine ANGST haben\ L & Ag schauen nach Gespenstern Ag: Nee, das ist nicht da! L: nee des kommt uns GAR nich beSUCHen\ L schiebt Ag's Spielfigur zurück L: du mußt deins STEHEN lassen wo deins STAND\
173
In Lisa29 wurde der Nachsprechtest mit Handpuppen durchgeführt. Wieder wurden durch den Input infinite Strukturen bereitgestellt. (69) (70)
R:
Lisa, frag ihn (= den Löwen) doch mal, ob er in die Stadt gehen will, um sich
L:
die Haare schneiden zu lassen. willst-du in die Stadt gehen um dir die HAAre schneiden zu lassen/
R: L:
(71) (72)
R: L: R:
Frag ihn doch mal, ob er in die Stadt gehen will, um etwas einzukaufen, was er seinen Freunden schenken kann. willst-du in die Stadt gehen um was Einzukaufen was du deinen FREUNden schenkst/ Lisa, weißt du, warum er (= der Bär) heute in die Stadt gefahren ist? um — dir zu — einen BALL zu kaufen\ Und Lisa sag ihm (= dem Löwen) auch, daß ich in die Stadt gegangen bin, um
ihm einen Schwimmring zu kaufen. L:
und — der bar is noch in-die STADT gegangen um dir-einen SCHWIMMring zu kaufen\
Bis auf die Plazierungschwierigkeit bei zu in (71) sind diese Beispiele alle zielsprachlich. Neben diesen elizitierten IKs sind außerdem spontan ein reinerlnfinitiv nach lassen, (73), ^Infinitive nach Pronomen, (74), Verb, (75), sowie Nominalisierungen, (76)-(77), belegt. (73) (74) (75) (76) (77) (78) (79)
L: aber wir lassen die NOCH schlafen\ ne/ Spiel mit Puppenstubenfamilie, zu Puppe: L: willst-du auch was zu essen/ Puppe Peter holt Puppe Ute aus dem Bett Ag: Und wobei soll der helfen? L: tja die ute in HOCHstuhl zu setzen\ Ag: Und wozu laufen se inne Küche? L: tja\ zum alles HOlen\ (2x) R: Das Mädchen muß auch gebadet werden. L: das liegt am besten zum HAArewaschen\ „Geister" essen Gummibärchen auf: L: nur ICH weil ich hab die pipi LANGstrumpf und [ti] und TOMmy und ANnika ins wasser gesprungen gesehen\ R: Wozu trägt se'n den auf n Dachboden? L: damit sie-ihn nich immer UNten stehen lassen brauchen\
Interessant ist (78). Hier versucht Lisa sich an einer ECM-Konstruktion nach dem Wahrnehmungsverb sehen, verwendet jedoch das Partizip statt des zielsprachlichen Infinitivs. Dies ist (außer der finiten Struktur in (10) oben) der einzige Beleg für eine ECM-Struktur nach einem Wahrnehmungsverb bei den drei monolingualen Kindern, und hier kommt es zu einer Abweichung, die bei den Infinitiven nach lassen nie belegt ist. Wenn Hannig (1974) mit ihrer Beobachtung recht hätte, daß Grundschülerinnen sehr viele Wahrnehmungsverben mit ECMStruktur produzieren (vgl. Kapitel 3), bestünde eine sehr große Diskrepanz zwischen den ersten IKs und dem, was Kinder im Grundschulalter produzieren.
174
Bleibt noch darauf hinzuweisen, daß die Nominalisierung in (76) strukturell nicht ganz zielsprachlich ist, denn hier wäre die angemessenere Form ein """^Infinitiv. Das Beispiel (79) illustriert eine Struktur, die mit drei Verben, davon zwei eingebette remelnfinitive, an der rechten Peripherie ausgesprochen fortschrittlich ist. Fassen wir die Entwicklung von Lisas IKs kurz zusammen: Ausgangspunkt ist ein ziemlich kohärentes System. Lisa produziert die ersten finiten Nebensätze recht früh. Wir finden schon in den ersten Korpora vereinzelt IKs und auch potentielle Matrixverben. Ab Lisa 11 (2; 04.23) sind nominalisierte IKs belegt, und wir finden einen ersten Vorläufer für einen ^Infinitiv, der auf Lisas beginnende Sensibilisierung für diese Strukturen schließen läßt. In den folgenden Aufnahmen treten nach und nach auch um"zulnfinitive auf (Lisa 15 & Lisa20). Etwas später dann sind die ersten ^Infinitive mit dazugehörigem Matrixverb belegt (Lisa22 (2; 11.27)). Wenige Wochen danach beobachten wir einen auffallend häufigen Gebrauch des Matrixverbs versuchen, vgl. Zeile 3 in Tabelle 6.9. Ab diesem Zeitpunkt sind verschiedene zielsprachliche IKs dokumentiert. Das Spektrum der IKs bei Lisa deckt sich im wesentlichen mit dem nach der Inputanalyse (vgl. Kapitel 3) erwarteten Konstruktionen. Tabelle 6.9 gibt noch einmal einen quantitativen und Graphik 12 einen qualitativen Überblick über die wesentlichen Entwicklungsschritte. Graphik 12
Lisa: Detaillierter Überblick über IK-Erwerb
Lisa [+/- Partikel]. 2s Verben rechts
«T zu
rlauter
umzu
Ozu fen
tentielles •''i!2!5 Matrixlexem..· ""
brauchen ™ · gehen
/daß/damit /{Sonstiges
brauchen «"fangen
versuchen
^mmen
damit [stehenlassen brauchen
CP/IP
2;3 2;4
2;6 2;7 2;8
2;9 2;10
3;2
3;4
175
Tabelle 6.9 Lisa: Übersicht über Matrixverben und IKs LISA
03
08
18
2;1.8
2;3.17
2;8.13
19 2;9.4
390
712
233
581
versuchen
0
0
0
brauchen
0 (D
0
0
#Ättl
probieren lassen
(2)
0 (1)
0
0
1 (1)
1
0
22 20 25 2; 10.1 2;11.27 3;2.18
27 3;4.27
29 3;9.10
472
278
405
472
370
0
0
0
5 (12)
0
0
0 (3)
0
1
0 (2)
4 (8)
1
(D
0
0 (D
0
0
0
0
0
0
0 (2)
1
3
0
0
0
0
0
0 (3)
0) 1 (1)
(D
scheinen
0
0
0
0
0
0
helfen
0
0 (3)
1
0 (1)
0
2
(D
anfangen
0
0
0 (1)
0
0
1
0
0 (5)
0
aufhören
0
0
0
0
0
0
0
0
0
Nominal.
0
0
0
5
1
0
0
1
3
Vorläufer
2
2
1
1
1
1
0
0
0
reinejnf.
0
0
1
1
0
0
0
6
3
^Inf.
0
0
0
0
0
4
8
1
2
um-zulnf
0
0
0
0
5
0
0
0
4
damit
0
0
1
5
1
0
0
2
4
daß^
0
0
0
0
0
0
0
2
0
Fragen, die in der Diskussion in Kapitel 8 erörtert werden, sind unter anderem: Gibt es eine systeminterne Motivation für die Reihenfolge, in der Lisa die verschiedenen Konstruktionen erwirbt? Welche Rolle spielt das Verb versprechen? Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Austesten dieses einen Lexems und der Emergenz sämtlicher IKs?
6.4
Zusammenfassender Vergleich der monolingualen Erwerbsverläufe
In den vorausgegangenen Abschnitten wurden die Erwerbsverläufe für IKs von drei monolingualen deutschen Kindern beschrieben. Wenn wir noch einmal versuchen, die Menge von
176
Daten zusammenzufassen, dann kristallisieren sich vier zentrale Beobachtungen zum Erwerb der deutschen IKs heraus: 1. Im Vergleich zu finiten Nebensätzen beginnt der Erwerb der IKs wie bisher angenommen (vgl. Kapitel 4) im Deutschen tatsächlich später. Bei allen drei Kindern beobachten wir eine zeitliche Korrelation zwischen dem Erwerb der CP/IP und einem Anstieg der Vorläufer zu IKs. Die Frage liegt nahe, ob hier ein systematischer Zusammenhang besteht. Dieser Frage werde ich in Kapitel 8 nachgehen. 2. Wir beobachten verschiedene Vorläufertypen, die von den Kindern unterschiedlich genutzt werden. Wir haben außerdem gesehen, daß die Kinder nicht gleich konsistent sind oder — man könnte beinahe sagen — zielstrebig in der Art, wie sie die IKs erwerben. 3. Zwei Beobachtungen sprechen gegen eine Hypothese des rein lexikalischen Lernens: Erstens verwenden alle drei Kinder potentielle Matrixverben mit nominalen Ergänzungen und teilweise auch mit finiten Nebensätzen, lange bevor sie IKs produzieren. Zweitens produziert keines der drei Kinder zuerst subkategorisierte IKs. Die ersten IKs sind vielmehr Adverbial- und Attributstrukturen oder Nominalisierungen; und wenn die Kinder schließlich potentielle Komplement-IKs produzieren, dann zunächst ohne das Matrix verb zu realisieren. 4. Die Erwerbssequenzen der drei beobachteten Kinder bestätigen, was auf der Grundlage der Literaturdiskussion (Kapitel 4) und der Inputanalyse (Kapitel 3) zu erwarten war: Neben aspektuellen IKs werden Subjektkontrollstrukturen als erste erworben. Das einzige Verb, das unter anderem ECM-Strukturen einbetten kann und das die Kinder verwenden, ist lassen. Die Kinder verwenden als einzige Verben, die im Erwachsenensystem (auch) als Raisingverben zu analysieren sind, brauchen und anfangen, wobei ersteres stark modalen Charakter hat und letzteres sowohl in Raising- als auch in Kontrollstrukturen vorkommt. Bei den Kinderäußerungen läßt sich nicht definitiv entscheiden, um welche Struktur es sich handelt. """^Infinitive werden später erworben als ^Infinitive in Kontrollstrukturen, und von den hier beobachteten Kindern sind sie gegen Ende der Datenerhebung nur bei Lisa produktiv. Vorformen zu um"zulnfinitiven können hingegen (wie bei Benny) zu den frühesten Vorläuferstrukturen gehören. Rekapitulieren wir noch einmal die wichtigsten Gemeinsamkeiten der drei Erwerbsverläufe. Die zentralen Beobachtungen sind: 1. Alle drei Kinder produzieren früh vereinzelte IKs, die zielsprachlich wirken. Diese variieren weder formal noch lexikalisch und sind sehr selten. Bei Paul verschwinden sie für mehr als ein halbes Jahr sogar wieder völlig. Diese „stumme" Phase korreliert bei ihm genau mit der von d'Avis & Gretsch (1994) identifizierten Vorläuferphase für die finiten Nebensätze. Sobald letztere erworben sind, beginnt Paul auch allmählich, IKs bzw. ihre Vorläufer zu produzieren.
177
2. Alle drei Kinder produzieren Vorläufer, die als solche klassifiziert wurden, weil (a) Abweichungen von der Zielsprache auf aktives Arbeiten an der Struktur deuten, (b) diese mit vermehrtem Gebrauch bestimmter Matrixverben (noch ohne Infinitivkomplement) einhergehen und weil (c) die Häufigkeit leicht ansteigt. Das Spektrum der Vorläufer umfaßt: aspektuelle Vollverbkombinationen, Äußerungen, deren Lesart auf einen Zusammenhang mit den IKs schließen läßt (z.B. /osrc/i-Auslassungen), fehlende Partikeln oder die Ersetzung von um und zu durch andere Partikeln (v. a. für) und das Ausweichen auf andere Strukturen. Zudem lassen sich für jedes der drei Kindern Rarallelen aufzeigen zwischen den Strategien, die sie bei den finiten Nebensätzen (Gretsch 1993) und z.B. dem Passiv (Bryan 1995) anwenden und denen, die beim Erwerb der IKs auftreten. D.h. die Kinder bleiben ihren eigenen, individuellen Erwerbsstrategien über verschiedene Strukturbereiche hinweg treu. Unterschiede beobachten wir v.a. hinsichtlich der verwendeten Vorläufer: Benny probiert verschiedene Strukturen aus, wobei die Semantik seiner Äußerungen klar erschließbar ist und er auf IKs angemessen reagiert. Er ersetzt die Partikeln, und subkategorisierte Infinitive treten bei ihm relativ spät auf. Paul beginnt die strukturelle Analyse der IKs wohl über Konjuktivstrukturen. Ein entscheidendes Moment in seinem Erwerbsverlauf ist das strikte Festhalten an einem bestimmten Strukturformat, das es ihm zunächst nicht erlaubt, mehr als ein Verb in der rechten Satzklammer zu plazieren. Zu dem Zeitpunkt (Paul24), als finites damit mehrmals belegt ist, finden wir dann auch verstärkt Vorläufer zu IKs. Lisa testet scheinbar systematisch verschiedene Strukturen durch. Auch bei ihr besteht ein Zusammenhang zwischen finiten und infiniten Finalsätzen. """^Infinitive erscheinen einen Monat, nachdem die finale Subjunktion damit öfter belegt ist. Am Ende dieses Kapitels soll der Blick noch einmal kurz auf die Theoriediskussion gelenkt werden. In welchem Zusammenhang, wenn überhaupt, stehen diese Erwerbsverläufe zu den Problemen, die für das Erwachsenensystem diskutiert wurden? Nur ganz vereinzelt scheinen Beispiele in Verbindung zu stehen zu Fragen der Projektionshöhe oder der Verbanhebung vs. Reanalyse. Dennoch sehe ich einen indirekten Zusammenhang. Ich denke, die Erwerbsdaten machen deutlich, daß zum einen die Unterscheidung von [±finit] diffiziler ist als häufig angenommen wird. Dies zeigen unter anderem die bei allen Kindern belegten Äußerungen mit Fehlkombinationen von Verben. Auch scheinen die Kinder vor strukturellen Problemen zu stehen, die in der Spracherwerbsforschung so noch nicht wahrgenommen und beschrieben wurden, z.B. die Realisierung von mehr als einem Verb in der rechten Satzklammer. Kinder müssen auch für die IKs Evidenz auf verschiedenen linguistischen Ebenen sammeln, um die zielsprachlichen Strukturen vollständig zu erwerben. Diese Beobachtungen legen nahe, daß wir für eine angemessene Analyse der IKs in der Erwachsenensprache differenziertere Fragen stellen müssen als bisher.
Bilinguale Fallstudien
„What's that auf englisch?" Laura (4;02.27)
In den folgenden Abschnitten (7.1-7.3) werden die Erwerbsverläufe von drei bilingualen Kindern vorgestellt. Für alle drei Kinder wird die Entwicklung des deutschen und des englischen Systems getrennt beschrieben. Die Veränderungen von den einfachen Sätzen bis zu komplexen finiten Strukturen wird knapp, jedoch etwas ausführlicher als für die monolingualen Kinder skizziert, da — anders als bei den monolingualen Kindern — zumindest von Adam und Laura noch keine Daten veröffentlicht sind.1 In einem dritten Teil wird jeweils die Entwicklung des Deutschen mit der des Englischen verglichen und durch Evidenz aus Mischäußerungen ergänzt. Es zeigt sich für alle drei Kinder, daß sie über zwei getrennte Systeme verfügen, so daß „monolinguale" Verläufe nachgezeichnet werden können. Zudem kommen auch nicht alle Abweichungen in den Mischäußerungen vor. Wir finden vielmehr abweichende Strukturen, die in das Spektrum dessen fallen, was wir vom jeweiligen monolingualen Erwerb kennen. Die Äußerungen, in denen die beiden Sprachen direkt in Kontakt treten, geben Evidenz dafür, daß Kinder ihre Ressourcen aus beiden Sprachen gleichzeitig nutzen können (vgl. Gawlitzek-Maiwald & Tracy 1996).
7.1
Hannah
Die Daten von Hannah stammen aus drei Quellen: Tagebuchaufzeichnungen der Mutter, frühe Tonbandaufnahmen der Eltern,2 sowie Videoaufzeichnungen, die im Rahmen des Tübinger Projektes gemacht wurden. Die Aufnahmen, die von den Eltern erstellt wurden (Hannah-I-X)3, wurden von mir phonetisch transkribiert und dann von der Mutter sowie 1 2
3
Zu Hannah und Adam vgl. Tracy (1995). An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei Hannahs Eltern bedanken, die dem Projekt die frühen Aufzeichnungen und Tagebuchnotizen zugänglich gemacht haben. Die römische und arabische Nummerierung der Protokolle wird im folgenden beibehalten, um nachvollziehbar zu machen, wie die Daten erhoben wurden. Dies ist insofern wichtig, als in den Aufnahmen, die die Eltern gemacht haben (römische Nummern), der Input fast ausschließlich englisch ist, in den Projektaufnahmen (arabische Nummerierung) überwiegend deutsch. Daten aus den Tagebuchaufzeichnungen der Mutter sind nur durch das Alter gekennzeichnet; diese Beispiele geben auch die orthographische Schreibweise der Mutter wieder, folgen also nicht den sonst verwendeten Konventionen (vgl. Kapitel S).
180
mindestens einer weiteren Projektmitarbeiterin gegengehört. Die Prqjektaufnahmen wurden wie die Daten der monolingualen Kinder aufbereitet (vgl. Kapitel 5). Graphik 13 (übernommen aus Gawlitzek-Maiwald & Tracy 1996) illustriert Hannahs Sprachhintergrund. Hannah ist das erste von zwei Kindern einer englischen Mutter und eines deutschen Voters. Der zweite Pfeil links im Schaubild, deutet an, daß Hannahs Eltern, nachdem Hannah in der Kindertagestätte mit mehr Deutsch in Kontakt kam, die Strategie änderten. Sie wechselten von einer personenorientierten Aufteilung zu einer, bei der Englisch als Familiensprache ein stärkeres Gegengewicht zum Deutschen als Umgebungssprache bieten sollte.4 Graphik 13
Hannah: Die Sprachsituation Englisch
Vater (Deutsch)
bls1;7 \ Deutsch '·..
Mutter (Englisch)
ab 1;7 Englisch Englisch
Hannah
Umgebung: Deutsch (Schwäbisch)
-f Englisch •t Deutsch
Insgesamt stehen von Hannah 25 Aufnahmen zur Verfügung. Die Datenerhebung umfaßt einen Zeitraum von dreieinhalb Jahren. Tabelle 7. l gibt eine Übersicht über die kodierten Daten.
Dies entspricht einem Wechsel von Harding & Rileys (1986:47ff) Typ l „one person - one language" zu Typ 2 „non-dominant home language", vgl. auch die Charakterisierung in Romaine (1989:166ff) .
181
Tabelle 7.15 Quantitative Übersicht über Hannahs Äußerungen Kor -pus
Alter
. tu
Dt
Äußerungen [+V] total
in %
[+V]
ttl
Mix
Eg ttl
[+V]
tu
[+V]
I
2;01.13
150
43
29
86
29
29
8
18
7
II
2;02.27
158
73
46
49
26
56
31
36
26
III
2;03.17
213
104
49
88
56
62
21
38
27
IV
2;04.17
159
84
53
76
42
24
16
35
31
v
2;06.15
127
73
58
62
36
31
25
25
21
VI
2;07.10
182
64
35
94
58
12
3
9
2
01
2;07.18
165
36
24
98
31
23
3
9
3
02
2;08.13
142
44
31
67
31
39
11
11
6
VII
2;09.02
210
155
74
63
57
117
77
26
21
VIII
2;09.17
218
127
58
89
57
79
57
21
19
3;00.13
162
78
48
3
1
136
74
5
4
03
3;00.15
434
229
53
179
91
213
119
46
34
04
3;01.06
423
237
56
328
186
59
39
19
17
08
3; 10.07
368
213
58
327
207
3
3
7
5
09
4;00.03
781
500
64
672
470
57
25
19
15
10
4;01.00
619
388
63
582
386
2
1
9
1
11
4;01.19
439
210
48
398
264
19
4
4
2
12
4;03.09
687
496
72
622
465
48
28
15
10
5637
3154
56
3883
2493
1009
545
352
251
Die Information in dieser Tabelle und den Überblickstabellen für Adam (7.2) und Laura (7.3) entspricht denen für die monolingualen Kinder (vgl. Kapitel 6, Fn. 3); bei den bilingualen Kindern wird allerdings zusätzlich zwischen den Sprachen differenziert. Die Summe der deutschen, englischen und gemischten Äußerungen addiert sich nicht immer zu der Gesamtzahl der Äußerungen, da es eine weitere Kategorie „beides" gibt, die in die Tabelle nicht aufgenommen wurde. Hierbei handelt es sich v.a. um Diskurspartikel (ja, mhm), die auch die Eltern in englischen Äußerungen verwenden, oder um Eigennamen, die nicht eindeutig der einen oder anderen Sprache zugeordnet werden können.
182
7.1.1
Das deutsche System
7.1.1.1
Hannah: Zum einfachen deutschen Satz6
Hannah produziert schon in den ersten Protokollen (Hannah-I, 2;01.13) VI- und V2Äußerungen; allerdings handelt es sich bei den Vl-Strukturen zunächst nicht um Fragen, sondern um Vorfeldellipsen und Aufforderungen wie in (1) und (2). (1) (2)
hab keine AUa\ hör auA
Hannah-I Hannah-II
Die erste eindeutige Entscheidungsfrage ist in Hannah-IV belegt, (3). (3)
gehst du nach heim mama/7
Rein deutsche W-Fragen finden wir in den ersten Aufnahmen noch nicht.8 Bei der Mehrzahl der V2-Syntagmen handelt es sich um Kopulastruktureri. Wir beobachten eine Koexistenz von (annähernd) zielsprachlichen Äußerungen wie (4) und (5) mit solchen, bei denen die Kopula nicht realisiert ist, (6) und (7). Oft kann nicht mit letzter Sicherheit entschieden werden, ob die Kopula wirklich nicht realisiert ist, da das vorangehende Element in einem Frikativlaut endet, (6). (4) (5) (6) (7)
nein/ ich bin eine HANnah\ du/\ des is hap HANna\ des kaputt\ da auch aua\
Hannah-II Hannah-I Hannah-I Hannah-I
Neben Vl/V2-Syntagmen sind in den ersten Aufnahmen noch zahlreiche nicht finite VESyntagmen wie in (8)-(9) belegt, wie sie aus dem Erwerb Monolingualer bekannt sind (vgl. Kapitel 4 und 6). Alle Äußerungen dieser Art weisen die deutsche Abfolge Komplement vor verbalem Kopf auf. (8) (9)
6 7
8
mama schuhe proBIEREN\ ich des ESsenV
Hannah-I Hannah-II
Für eine ausführliche Diskussion der frühen Entwicklung von Hannahs Syntax vgl. Tracy (1995). Die Äußerung ist wohl eine Kontamination aus Gehst du heim? und Gehst du nach hause?. Sie ist nach Auskunft der Mutter auf den Input der griechischen Betreuerin in der Kindertagesstätte zurückzuführen. Die ersten W-Phrasen sind in gemischten Äußerungen belegt, (i)-(ii) aus Hannah-II: (i) wo-is meine cake (ii) wo-is [di] moon
183
Ab Hannah-III finden wir erstmals Strukturen wie (10)-(11), in denen beide Satzklammern besetzt sind. (10) (11)
WER/ hat das gemacht\ ich will was SPIEleN
In Hannah-IV (2;04.17) nimmt der Anteil der V2-Syntagmen deutlich zu: Innerhalb eines Monats steigen sie von 22% (13 Belege) auf 80% (33 Belege) an. Mit diesem quantitativen Anstieg ist auch eine qualitative Veränderung verbunden: Zwar waren in Hannah-I und Hannah-III ((l 1) oben) schon je ein Modalverb zu finden. Diese sind jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit nicht produktiv; dies ändert sich jetzt allmählich, vgl. die folgenden Beispiele. (12) (13) (14) (15) (16)
ich mache das noch — so\ ich hab so viele Sachen da\ du hast du den mund aufgemacht/ jetzt kannst du hause gehen\ du bist auf mich und du sitzt auf die stuhl\
Das Verb in der zweiten Person Singular ist zielsprachlich flektiert. Der deutsche Hauptsatz mit der V2-Stellung scheint erworben. In den folgenden Aufnahmen nimmt der Anteil der W-Fragen unter den V2-Strukturen stetig zu.9 Einige Wochen später, ab Hannah-VII, kann man davon ausgehen, daß das deutsche Hauptsatzschema etabliert ist. Bei vielen der V2Syntagmen sind inzwischen beide Verbklammern besetzt, (17), (19) und (20). Hannah topikalisiert verschiedene Konstituenten, nicht mehr nur Subjekte, u.a. auch eine VP wie in (21). Auch die V3-Syntagmen10 sind jetzt alle zielsprachlich, (22)-(23). (17) (18) (19) (20) (21) (22) (23)
9
ehm\ willst du schneiden/ was kriegt DER denn/ ?hm/M\ was will die M 11 KAUfen\ M woll{t} was KAUfen\ M anZIEHen tu ich nicht alleine\ aber mit mein schere kann man schneiden\ und DA is ein ameise dadrauA
HannahOl und Hannah02 wirken wie ein Rückfall auf einen früheren Entwicklungsstand; so fällt in HannahOl (2;07.18) der MLU-Wert (gemessen in Worten) auf 1,9 während er in Hannah-VI bereits bei 2,6 lag. Das ist wohl darauf zurückzuführen, daß dies die ersten Projektaurhahmen in unbekannter Umgebung und mit unbekannten Interaktionspannerinnen waren. 10 Wie oben angedeutet, sind die Verbstellungen oberflächennah bestimmt. V3- steht zum einen für zielsprachliche Strukturen, die durch eine koordinierende Konjunktion wie und eingeleitet sind, aber auch für zeitweilig abweichende Verbstellungen wie Bennys warum weiter geht nicht. " „M" ist der Name von Hannahs Teddy.
184
Zusammenfassend kann man festhalten, daß sich Hannahs Syntagmen — wie aus dem monolingualen Erwerb des Deutschen bekannt — von anfänglich einfachen VPs mit infiniter VE-Stellung bis etwa Hannah-VII (2;09.02) zu zielsprachlichen IPs entwickeln. Die Projektionsstufe der IP steht Hannah wohl bereits ab Hannah-IV zur Verfügung, der vollständige Erwerb mit allen zielsprachlichen Topikalisierungsmöglichkeiten erstreckt sich über mehrere Monate (vgl. Tracy 1995). Im folgenden Abschnitt skizziere ich kurz den Erwerb der finiten Nebensätze.
7.1.1.2
Hannah: Zu finiten, komplexen deutschen Sätzen
Tabelle 7.2 gibt einen Überblick darüber, wie oft Komplementierer in ausgewählten Aufnahmen belegt sind. Tabelle 7.2 Hannah: Anzahl komplementierereingeleiteter Syntagmen Korpus
03
04
08
09
10
11
12
C°-Lexeme
0
5
19
43
27
31
40
Anhand dieser quantitativen Übersicht kann man vermuten, daß die CP zwischen Hannah04 und HannahOS erworben wird. Zwischen diesen beiden Protokollen liegen neun Monate; aus organisatorischen Gründen konnten die Aufnahmen in dieser Zeit nicht im gewohnten Rhythmus stattfinden. Ein Blick in eines der Korpora dazwischen zeigt, daß der Erwerb spätestens bis HannahOo (3;03.17) stattgefunden hat. Dies wird durch drei qualitative Aspekte bestätigt: die Vielfalt der verwendeten Komplementierer, das gleichzeitige Auftreten von V2Komplementen und das Ausbleiben von abweichenden Strukturen. Der Komplementierer weil ist mit beiden zielsprachlichen Optionen (V2- und VE-Stellung) belegt, andere Komplementierer treten — bis auf wenige Ausnahmen in einem begrenzten Zeitraum, vgl. unten — nur mit VE-Stellung auf. (24) (25) (26) (27) (28)
H: I: H: H: H: H:
(29) (30)
H: H:
12
weil des so ISTA Wis würdest du machen, wenn du eine Ente wärst? wundern was ich machen soll\12 wenn du das malst dann kommt niemand REIN\ damit du-es sagen kannst\ ich ich tu die leute schon wieder wipp drauf damit sie noch wippen können\ ja haben auch ein-paar sachen reingetan die wir nicht haben\ ich glaub die brauchen ein neues bett\
Hannah04 HannahOo HannahOo HannahOo HannahOS Hannah09 Hannah04
Bei dieser Äußerung handelt es sich wohl um eine Sprachmischung. Wundern erscheint fälschlich als Übersetzung von wonder (sich fragen).
185
In den Protokollen sind erste Komplementierer ab Hannah-IV (2;04.17) belegt, (31)-(37). Auch in den Tagebuchaufzeichnungen sind ab etwa 2;06 Vorläufer zu komplexen Sätzen dokumentiert, (38)-(43). Wie auch bei den ersten W-Fragen handelt es sich bei ihnen zum Teil um gemischte Äußerungen. (31) (32) (33) (34) (35) (36) (37) (38) (39) (40) (41) (42) (43)
da/ [das das] du gehen nicht heim\ {where-is glaubt das} [das] du das haben\ oder/ kalteHÄNde [ 3 v 3 ] ich bin schnee\ wenn er fällt dann SCHREIT er\ nackt nackt nackt is alles was ich hab\ daRUM lieb ich alles was so nackt is\ wenn-man NACKT is kann-man DES nich machen\ wenn hab ich des gegessen dann krieg ich ein eis ich habe gesagt ob papa kann das finden auch buch lesen wenn wir essen breakfast aber wenn des is fertig is wenn ich bin finished zuerst da sag ich ob ich ein buch kriegen
Hannah-IV Hannah-VIII Hannah-V Hannah-VI Hannah-VIII13 Hannah-VIII Hannah-VIII 2;06.25 2;06.28 2;07.03 2;07 2;07.01 2;06.23
Diese Vorläufer entsprechen — abgesehen von der lexikalischen Mischung — durchaus dem, was bei monolingualen deutschen Kindern beobachtet wurde. Neben den frühen Vorläufern, bei denen zum Teil nicht ganz klar ist, ob Hannah wirklich die Lexeme daß oder \venn/if produziert, finden wir völlig unauffällige VE-Stellungen, bei denen es sich allerdings vor allem um (abgewandelte) Zitate aus Liedtexten handelt, (35)-(36). Schon etwas früher sind Stellungs- und Flexionsabweichungen der Verben (38)-(43) belegt; diese sind vor allem relevant, da sie — wie bei Benny, vgl. 6.1 — nicht nur nach weil vorkommen, und da Hannah auch V l-Stellungen wie in (38) nach dem Komplementierer produziert. Abweichungen wie in (43) sind auch direkt im Zusammenhang mit dem Erwerb der IKs interessant. Hier steht ein infinites Verb in Endposition. Möglich scheint, daß — wie bei Paul — ein finites Modalverb, das ebenfalls rechts plaziert sein müßte, nicht realisiert ist. Ich komme auf diese Beispiele im nächsten Abschnitt zurück. Aufgrund des Verbstellungsüberblicks und einer detaillierten Analyse kristallisieren sich zwei wichtige Zeiträume für die Entwicklung von Hannahs deutschem System heraus. Das Hauptsatzschema entwickelt sich zwischen HannahIV (2;04.17) und VII (2;09.02) mit weiteren Ausdifferenzierungen bis Hannah03. Zwischen Hannah04 (3;01.06) und HannahOo (3;03.17) werden die finiten Nebensätze produktiv. Mit diesen beiden Zeiträumen korreliercn jeweils erhöhte Anteile abweichender Äußerungen. Zwei Arten von Abweichungen sind auch im Zusammenhang mit dem Erwerb der IKs interessant: abweichende Subjekt-Verb-Kongruenz, (44)-(50), sowie nicht zielsprachliche Kombinationen aus Auxiliarverb und Vollverb, (51)-(53) unten. Da diese Abweichungstypen
13
Nach dem Muster des Kinderlieds Grün, grün, grün sind alle meine Kleider, grün grün grün ist alles, was ich hab.
186
nur zu bestimmten Zeiten auftreten, lassen sie Rückschlüsse auf interne Systemrestrukturierungen und -entwicklungen zu. (44) (45) (46) (47) (48) (49) (50)
mama gehen mit MIR\ guck/ du geh mit mir\ du-s eine DICKkopf papa\ ich bine... ich wille... da will{t} die rinn\ die will{t} [da] badgehen\ alleine\
Hannah-III Hannah-III Hannah-III Hannah-IV Hannah-IV Hannah04 Hannah04
In (44)-(46) kongruieren die Verben nicht mit dem Subjekt; in (47)-(50) übergeneralisiert Hannah die Flexive der Vollverben auf die Modalverben. Dies deutet auf eine produktive Verbalflexion hin. Die ersten Abweichungen dieser Art treten in der Zeit auf, als Hannah die IP ausbaut, der zweite Schub, als die CP/IP etabliert wird.14 Nicht zielsprachliche Kombinationen aus Auxiliar- und Vollverb treten erst ab HannahVIII (2;09.17) auf und sind insgesamt selten. Zunächst (Hannah-VIII bis Hannah04) hat Hannah Schwierigkeiten mit der Klassifikation von machen. In den frühen Belegen ist es mit einem anderen Vollverb im Infinitiv kombiniert, (51)-(53). Es könnte sich hier durchaus um Vorläufer zu IKs handeln.15 (51) (52) (53)
aber DER macht reparieren\ dann mach-mer die bäume aufmachet machen wir was mit DAS spielen\ BAUen\
Hannah-VIII HannahOS Hannah04
In den Korpora ab HannahOS (3; 10.07) sind die Äußerungen fast ausschließlich deshalb abweichend, weil Hannah zielsprachliches sein durch haben ersetzt, (54)-(58). Der umgekehrte Fall kommt nie vor. (54) (55) (56) (57)
14
15
wie hat das passiert\ ein kind hat runtergefallen\ die hat nur ein bißchen gePURzelt\ sagt der vater weil der hat umgefallenV
HannahOS Hannah09 Hannah 10 Hannah 11
Diese Abweichungen könnten auch ein Zeichen dafür sein, daß Hannah sich nicht über den Status der deutschen Modalverben im klaren ist. Im Gegensatz zum Englischen gibt es auch weniger Evidenz dafür, daß es sich um eine eigene VerbkJasse handelt, vgl. die Diskussion in Buscha (1973), Reis (1976), Höhle (1978) und Öhlschläger (1989); vgl. Ross (1969) und C.L. Baker (1981) für Überlegungen zum Englischen. Zwei Einflüsse aus dem Englischen könnten bei dieser Äußerung eine Rolle spielen: Small-Clause Konstruktion wie you make [sc him dance] oder eine Analogie zur ifo-Umschreibung. Gegen den Einfluß von do spricht jedoch, daß Hannah es noch gar nicht produziert, als Äußerungen wie (i) auftreten, vgl. auch die Diskussion von (i) in Tracy (1995:252). (i) nein [u:] machen TANzen\ Hannah-II (2;02.27)
187
(58)
ah da hast du — da — aber [da] mann hat ausgestiegen und da hat-er Straße gebracht und-dann is er überfahren geworden\
Hannah 12
Diese Abweichungen korrelieren mit dem vermehrten Auftreten von Vorläufern zu IKs. Soweit entspricht die Entwicklung von Hannahs deutschem System dem, was wir für monolinguale Kinder erwarten würden. Bemerkenswert ist die recht genaue Korrelation der abweichenden Strukturen mit dem Erwerb der deutschen Meilenseiten 2 und 3, d.h. der IP und der CP/IP.
7.1.1.3
Hannah: Die Entwicklung der deutschen Infinitivkonstruktionen
Auch beim Erwerb der IKs finden wir Parallelen zu monolingualen deutschen Kindern. Die Graphik 14 gibt einen ersten Überblick über die Entwicklung. Graphik 14
Hannah: Erster Überblick über den deutschen IK-Erwerb
Hannah (De) [+/-
PartM
2s Verben
rechts
lufer
otentteles /Matrixlexem daß/damit Sonstiges
(CP/IP IP VP 2;3
2;S
3;3
3;5
3;7
3;9
4,3
Wie auch bei den monolingualen Kindern gehören aspektuelle Vollverbkombinationen wie in (59) zu den ersten belegten IKs. (59)
MAMa komm mit spazieren\
Hannah-III (2;03.17)
Strukturen dieser Art kommen über den gesamten Erhebungszeitraum vor. Keine von ihnen weicht von der Zielsprache ab, vgl. die Auswahl in (60)-(63).
188
(60) (61) (62) (63)
geht [d a] mit den BAden\ müsset ja jetzt schlafen gehen\ die KINder die bleiben immer sitzen/ bleib stehen/
Hannah04 Hannah09 Hannah09 Hannah 12
Abgesehen von diesen ersten Vollverbkombinationen finden wir lange keine Belege für IKs oder ihre Vorläufer. Erst in Hannah04 (3;01.06) tauchen wieder entsprechende Äußerungen auf. In dem folgenden Beispiel verwendet Hannah wahrscheinlich das Matrixverb aufhören, das in der Zielsprache "'Infinitive einbettet; Hannah konstruiert es zunächst abweichend mit Partizip II. (64)
H hält I Laterne hin H: da/ I: Was soll ich damit machen? H: [AN Jal a n]\ (= anschnallen?) H pustet: H: [h "auf] (= hör auf?) — die kerze ausgeblasen\
Hannah04
Im selben Korpus finden wir weitere Vorläufer: Beispiel (65) klingt wie eine Mischstruktur, genauer wie die wörtliche Übersetzung eines englischen for~tolnfinitivs. Wir haben aber gesehen, daß auch die monolingualen deutschen Kinder Benny und Lisa solche Vorläufer produzieren, deshalb wurde (65) als deutsch klassifiziert. Dies gilt vor allem im Zusammenhang mit den oben schon zitierten, hier als (66)-(68) wiederholten Beispielen. (65)
(66) (67) (68)
H baut Bett, bezeichenet Duploteile als „Liegeteil": I: Wofür sind denn diese Liegeteile? H: für die nich auszuRUTschen\ nich die auszuRUTschen\ für nich die ausRUTschen\ H: zuerst da sag ich ob ich ein buch kriegen H: da/ [das das] du gehen nicht heim\ H: {where-is glaubt das} [das] du das haben\ oder/
Hannah04
2;06.23 Hannah-IV Hannah-VIII
Die Realisierung von zu in zwei der drei Syntagmen in der Sequenz in (65) rechtfertigt eine Analyse als Vorläufer von IKs. Aber sind sie wirklich alle nicht-finit? Möglich ist nämlich auch, daß das Verb in für nicht die ausrutschen finit (3.Pers.Pl.) markiert ist (vgl. die Analyse dieser Beispiele in Tracy 1995); semantisch sind beide Zieläußerungen möglich, (65'). (65') a b
um nicht auszurutschen damit die (Puppen) nicht ausrutschen
Zwei Ebenen der Ähnlichkeit scheinen mir hier entscheidend: Zum einen besteht auf der Ebene der X'-Struktur eine abstrakte Ähnlichkeit zwischen den finiten und den infiniten
189
Äußerungen, vgl. das Strukturschema in (69). Zum anderen bestehen bei den Beispielen in (65) ganz konkrete Ähnlichkeiten durch die Wortstellung und die Morphologie, weil sich 3.Pers.Pl. und die Infinitivendung oberflächlich nicht unterscheiden.
(69)
XP X'
VP YP
um damit
PRO die
V
l v
auszurutschen ausrutschen
(69) veranschaulicht, daß finite und infinite Strukturen mit einer Partikel eingeleitet werden; in beiden Strukturen steht das Verb an der rechten Peripherie. Somit gibt es schon auf der Basis des deutschen Systems genügend Evidenz für eine Ähnlichkeit der finiten und der infiniten Struktur. Hinzu kommt bei einem bilingualen Kind eine Parallele zum Englischen, deren Einfluß nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, nämlich die zu den for to ' lnfinitiven. In denen wird — anders als in um"zulnfinitiven — das Subjekt lexikalisch realisiert (vgl. Kapitel 2). Kurz: Semantische und strukturelle Parallelen zwischen finiten und infiniten deutschen Syntagmen sowie englischen for"tolnfinitiven können dazu geführt haben, daß Hannah in (65) lexikalische Subjekte realisiert. Zwischen HannahOS (3; 10.07) und Hannah 11 (4;01.19) finden wir eine ganze Reihe von Belegen dafür, daß Hannah dabei ist, die IKs zu erwerben: Nominalisierungen und die Verwendung finiter Strukturen in Kontexten, in denen Erwachsene eher mit einem um zu " lnfinitiv antworten würden. Die Beispiele (70)-(76) illustrieren die ersten Nominalisierungen. Bis auf (70), in dem die Infinitivpartikel fehlt, sind sie zielsprachlich. (70) (71) (72) (73) (74)
H hat Wippe für Duplofiguren gebaut. Feuerwehrleute passen wegen ihrer großen Hüte nicht drauf: H: du-ich glaub ich nehm jetz was ANderes {baun dran}\ H: n nageln und ein HAMmer zum wieder machen\ ja/ H: färbe zum bestrichen\ I: Wozu braucht man das? H: zum runterrutschen\ H: jetzt tut die mutter den wieder zum SCHLAfen\
HannahOS HannahOS HannahOS HannahOS Hannah09
190
(75) (76)
H sucht Räder. I zeigt ihr ein Duploteil: I: Sowas? H: nein des is doch zum wippen\ H: des kann ja etwas für die KINder {was} zum SPIElen sein\
Hannah09 Hannah 10
Die Struktur des folgenden remenlnfinitivs nach lassen ist unklar: Möglich wäre eine Kombination aus Übergenerierung von zu als deutlicher Infinitivmarkierung und Extraposition, so daß die D-Struktur in etwa (77') entspräche. (77)
H versucht, Babyfiguren auf Anhänger zu stellen, es gelingt nicht: H: aber die babys die können net stehen\ I: Mhm. H: ich [kanzn] die net lassen bißle zu STEHNX
Hannah09
(77') D-Struktur: ich kann die net bißle stehen lassen =* „zu-Einsetzung": ich kann die net bißle zu stehen lassen => „Extraposition": ich kann die net t; lassen [bißle zu stehen]; Möglich wäre aber auch, daß sie lassen falsch subkategorisiert, nämlich als Verb, das inkohärente Konstruktionen einbetten kann. Unabhängig davon, welche Analyse richtig ist, geht dieses Beispiel über das Spektrum dessen hinaus, was wir bei den monolingualen Kindern an Vorläufern beobachtet haben, da Hannah hier die Infinitivpartikel übergeneriert. Ab Hannah 10 (4; 01.00) sind dann auch Nominalisierungen nach der Präposition bei belegt, (78) und (79). (78) (79)
Mu und I unterhalten sich, H rennt durch das Zimmer {halt} ich war erste beim {langeweil}\ ja/ H lädt Duplofiguren aus Flugzeug aus: aber beim HOLen da {TIPP} mer sie — weißt/
Hannah 10 Hannah 11
Jetzt finden wir auch weitere Evidenz für die Analyse von (65) oben. Das Äußerungspaar in (80) rechtfertigt post hoc die Analyse als Vorläufer zu einem finalen um"zulnfinitiv. Hier steht die finite, finale Äußerung direkt neben der infiniten, die wieder mil für gebildet ist, diesmal ohne Subjekt. Mit (81) und (82) sind weitere ffirlnfinitive belegt. (80) (81) (82)
Figuren werden umgesetzt: damit sie noch wippen können\ {für neu wippen}\ Puppenfamilie macht einen Ausflug, um Blätter zu sammeln: aber DIE {die brauchen} nur ein\ ein paar blatter [fi 9] fahren\ für des da is [ a ] unsere AU to zum fahren\
HannahOS Hannah09 Hannah 10
Die folgenden Beispiele illustrieren ein Phänomen, das wir auch bei monolingualen Kindern beobachten, auch wenn sie bei Hannah sicherlich nicht denselben Stellenwert haben wie etwa
191
bei Paul (vgl. Abschnitt 6.2), einfach weil es nicht so häufig ist wie bei ihm: Strukturen-, (83)-(85), oder gar Themenwechsel, (86). (83) (84) (85) (86)
I: Guckmal, wozu brauchen die den Hydranten? H: hat jetzt immer noch nich kein stuhl\ H & I malen I: Wozu denn das? Wozu braucht man denn Fenster? H: weil man — sonst kann man nix SEHN\ I findet eigenartig geformtes Teil: H: des is eins — da muß man aber so I: Wozu braucht denn die Feuerwehr ne Wiege? H geht nicht auf Frage ein und kommentiert das Plazieren einer Figur: H: KIND sitzt hier\
Hannahll Hannah06
Hannahll
Selbst wenn Äußerungen dieser Art bei Hannah nicht denselben Stellenwert besitzt wie bei Paul, so ist immerhin bemerkenswert, daß diese Beispiele in einem Zeitraum belegt sind, in dem es auch noch andere Evidenz für den allmählichen Erwerb der IKs gibt. Im folgenden Beispiel ist die linke Peripherie nicht ganz verständlich. [?ets] könnte für wird es, hat es oder jetzt stehen. Wenn es sich um hat es handelte, wäre dies der erste Beleg dieser Art; falls es sich um wird es oder jetzt handelt, wäre die Kombination mit zu ungrammatisch. In diesem Fall handelte es sich um die zweite belegte Übergeneralisierung von zu bei Hannah. (87)
Spielfiguren im Güterwagen fallen um I: Geht des nicht? Laß mal probieren. H: aber wenn-es fahrt\ [9ets] sicher umzukippen\
Hannah09
Auch eine Aufnahme später finden wir zwei Belege, die nicht eindeutig zu klassifizieren sind. Es handelt sich einmal um eine Äußerung mit lassen, wobei das Element, das kasusmarkiert sein sollte, nicht klar verständlich ist, (88). In (89) könnte zu entweder Infinitivpartikel oder Lokalpräposition sein. Der Kontext läßt keine eindeutige Klassifizierung zu. (88) (89)
laß [m a] mal gucken/ er fahrt jetzt zu male DA\
Hannah 10 Hannah 10
Ab Hannah09 (4;00.03), also eine Aufnahme nach den ersten Nominalisierungen, finden wir auch subkategorisierte ^Infinitive. Die Äußerung helfmich mal in (90) könnte entweder eine Übergeneralisierung der Kasusmarkierung in ECM-Strukturen sein oder allgemein eine Akkusativübergeneralisierung. Da Hannah Dative zu dieser Zeit praktisch noch nicht zielsprachlich markiert und sie andererseits noch keine ECM-Struktur nach lassen produziert, ist die zweite Annahme wahrscheinlicher: Es handelt sich wohl um eine Akkusativüber-
192
generalisierung, die bei Hannah — wie auch bei den anderen Kindern — unabhängig von der IK vorkommt. (90)
(91)
H will Geschenk auspacken, bekommt Verpackung nicht auf Mu: Why don't you ask Ira to help you? H: helf mich mal\ I: Mhm. Komm gleich. Was soll ich denn machen? H: {mich helfen des} aufzumachen\ H läßt Puppenmutter aus Badewanne steigen I: Warum ist die jetzt ausgestiegen? H: weil die hat vergessen wasser reinzulassen unten\
Hannah09
Hannah09
Obwohl insgesamt nicht sehr viele IKs belegt sind, läßt sich für Hannah dennoch ein Entwicklungsverlauf nachzeichnen. Es gibt klare Parallelen zu den monolingualen deutschen Kindern, aber auch einen Unterschied. Wie bei den monolingualen Kindern treten bei Hannah zunächst aspektuelle Vollverbkombinationen, eine ganze Weile später erst Nominalisierungen und kurz nach diesen dann auch subkategorisierte ^Infinitive auf. Im Gegensatz zu den monolingualen Kindern übergeneralisiert Hannah vereinzelt die Infinitivpartikel zu. Es bleibt abzuwarten, ob dies auch bei den anderen bilingualen Kindern beobachtet werden kann. Zielsprachliche """^Infinitive sind bei Hannah während des gesamten Erhebungszeitraumes nicht belegt, wir finden allerdings wie bei Benny Vorläufer mit finaler Lesart. Tabelle 7.3 gibt einen quantitativen und die Graphik 15 einen differenzierten qualitativen Überblick über den Entwicklungsverlauf. Graphik 15
Hannah: Detaillierter Überblick über deutschen IK-Erwerb
Hannah (De) '[+/- Partfcaq 2sVertjen" rechts .«r zu zu «Or fV en
jdaßldamli /Sonätiges" ~
CP/IP IP
VP 2:1
2
27
2:11
3;1
*3
3.T
3.8
S;11
4;3
193
Ihbelle 7.3 Hannah: Übersicht über deutsche Matrixverben und IKs HANNAH
III VIII 04 02 03 2;3.17 2;8.13 2;9.17 3;0.15 3;1.6
08 3;10.7
09 4;0.3
11 12 10 4;1.0 4;1.19 4;3.9
#Ädt versuchen
88
67
89
179
328
327
672
582
398
622
0
0
0
0
0
0
0
0
0 (2)
0
brauchen
0
0
0 (1)
0
6
0 (1)
1 (14)
0 (5)
0 (3)
0 (10)
probieren
0
0
0
0
0
0 (1)
0 (1)
0
0
0
lassen
0
0
0
0
0
0 (2)
0 (1)
1
0 (1)
0 (2)
scheinen helfen
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
1
0
0
0
0
0 (3)
1 (1)
0
0
(D
0 (2)
(D anfangen
0
0
0
0
0
0
0 (5)
0 (2)
0
0
aufhören
0 (1)
0
0
0
0
0
0
0
0
0
Nominal.
0
0
0
0
0
3
2
3
1
0
Vorläufer
1
0
1
0
6
1
4
2
0
1
reiner^
2
0
0
0
1
0
5
1
1
2
^Inf.
0
0
0
0
0
0
2
0
0
0
um-zu jnf
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
damit
0
0
0
0
0
1
5
0
0
0
daß
0
0
0
0
1
2
1
0
2
0
7.1.2
(D
Das englische System
Obwohl Hannahs Input in den frühen Aufnahmen praktisch durchgängig Englisch ist, ist die Mehrzahl von Hannahs Äußerungen deutsch.16 So kommt es, daß anfangs nur sehr wenig englische Syntagmen belegt sind. In späteren Aufnahmen (ab HannahOS (3;00.15)) verbrachte Hannah die meiste Zeit während der Aufnahmen mit einer deutschen Interaktionspartnerin,
16
Vgl. für eine ausführliche Analyse der Sprachsituation Tracy (1995: Kapitel 8).
194
vgl. auch Tabelle 7.l, d.h. daß wieder weniger englische als deutsche Äußerungen dokumentiert sind. Trotzdem läßt sich ein Entwicklungsverlauf skizzieren, der charakteristische Übereinstimmungen mit dem monolingualer englischer Kinder zeigt. 7.1.2.1
Hannah: Zum einfachen englischen Satz
Auch in Hannahs englischen Äußerungen sind scheinbar alle zielsprachlichen Verbpositionen vertreten. Das Verb steht zwar relativ häufig in Erstposition17, doch dies ist durch elliptische und unvollständige Äußerungen bedingt, in denen das Subjekt fehlt, (l)-(4). Mama in (l)-(3) ist Vokativ, deshalb wurden diese Äußerungen als Vl-Syntagmen analysiert. VISyntagmen, die durch Inversion entstehen, sind überhaupt noch nicht belegt. (1) (2) (3) (4)
MAma put [d a] knife in CUP\ mama sing it please\ [j a] mama do it up\ want — my SLIPpers\
Hannah-II Hannah-II Hannah-I Hannah-I
Ebenso fehlen in den ersten Korpora noch alle charakteristischen Elemente und Eigenschaften einer I-Projektion: Modal- und Auxiliarverben, sowie Flexion der dritten Person Singular. Die Kopula be ist häufig ebenfalls nicht realisiert. V3-Syntagmen18 spielen zunächst nur eine untergeordnete Rolle. Ihr Anteil nimmt ab Hannah-V jedoch zu und liegt dann zwischen zehn und 25 Prozent. In Hannah-II (2;02.27) gibt es einige Syntagmen, die fortschrittlicher wirken; es handelt sich jedoch bei allen um Versatzstücke oder Zitate aus Liedern, (5)-(7). (5) (6) (7) 17
18
19
John brown had a little soldien this-is why we do it\ one I love\19 Englische Strukturen mit dem Verb in erster oder zweiter Position haben natürlich einen anderen Status als deutsche mit diesen Verbstellungen, vgl. auch die Darstellung der zugrundeliegenden Satzanalysen in Kapitel 2. Mit den Bezeichnungen VI, V2, V3 wird in Bezug auf englische Äußerungen keine theoretische Klassifizierung verbunden, es handelt sich lediglich um oberflächennahe Beschreibungen. Unter V3-Strukturen sind im Englischen sowohl komplementierereingeleitete als auch Topikalisierungsstrukturen und Äußerungen mit Adverb vor dem Subjekt oder zwischen Subjekt und Verb subsumiert. Bei diesen Äußerungen tritt außerdem das Problem auf, daß man aufgrund der Kürze eigentlich nicht entscheiden kann, ob es sich nicht vielleicht doch um V3- oder VE-Äußerungen handelt. Letztere würde man in englischen Syntagmen zwar nicht erwarten, kann sie bei einem deutschenglisch bilingualen Kind jedoch nicht von vornherein ausschließen. Sie werden hier als V3-Syntagmen analysiert, weil erstens keine Äußerungen, die nur als VE-Strukturen analysierbar wären, belegt sind und zweitens, weil es sich bei allen frühen V3-Strukturen um Zitate aus englischen
195
In Hannah-IV (2;04.17) beobachten wir einen entscheidenden Entwicklungsschritt. Nachdem in Hannah-III bereits erste -zng-Formen belegt sind, treten diese jetzt erstmals auch mit finiten Auxiliarverben auf. Auch das Modalverb can ist erstmals belegt, (10), es bleibt jedoch für einige Wochen das einzige. Eine Aufnahme später finden wir eine erste Tempusmarkierung an einem Vollverb, (12). Doch auch bei diesem Beispiel handelt es sich — wie schon bei den komplexeren Syntagmen in Hannah-II — um ein Zitat. (8) (9) (10) (11) (12)
I-am cleaning [ s] you\20 I-am making mummy — mi — much BETter\ I can-not walk\ I-am WIPing it all up\ I burnt my hand on my ovendoor\
Hannah-IV Hannah-IV Hannah-IV Hannah-V Hannah-V
Im selben Korpus (Hannah-V, 2;06.15) sind auch erste Wh-Fragen belegt, allerdings handelt es sich auch hier um Zitate, (13). Drei Aufnahmen später in Hannah02 (2;08.13) ist eine erste Wh-Frage mit klarer Inversion belegt, diese koexistiert mit Fragen, in denen das Verb, hier die Kopula, fehlt. (13) (14) (15) (16)
why what is [d 3] PROBlem/ (2x) where-is-the tractor/ mama what the colour/ what red colourN
Hannah-V Hannah02 Hannha02 Hannah02
Einen Monat später, ab Hannah-VII (2;09.02), finden wir schließlich eindeutige Evidenz für eine funktionale Projektion oberhalb der VP: Entscheidungsfragen mit Inversion, (17), do als Auxiliar, (18), verschiedene Modalverben, (19)-(22) und zielsprachliche Flexion, (23)(27). (17) (18) (19) (20) (21) (22) (23) (24) (25)
20
H: have you got WHITE scissors orH: DO-not sit on the white scissors\ H: shall I punch/ H: can he have the old PUNCH/ H: Mcan-not\ H: he can have the BQAT\ H: they are WAtching teleVIsion\ H: it is STICKingN H setzt ihren Teddy auf den Topf: H: WHAT he can have when he POOHS on his toilet\
Hannah-VII Hannah-VII Hannah-VII Hannah-VII Hannah- VH Hannah-VII Hannah-Vm Hannah-Vm Hannah-Vm
Liedern etc. handelt. Es sei an dieser Stelle noch einmal die eingerührte Notationsweise erinnert: Durch Bindestrich verbundene Äußerungsteile sind klitisiert. Die Darstellung in den Beispielen steht also für I'm und can't etc. in konventioneller Orthographie.
196
(26) (27)
Mu: I thought you caught not a whiff H: I thought you caught not a whiff H: he want{s} to have a FIREstation\
2;08.09 Hannah-VII
Damit hat Hannah entscheidende Aspekte der englischen IP erworben. Äußerungen wie (25)(27) kündigen auch schon die CP an; daß sie noch nicht ganz zielsprachlich erworben ist, wird in Beispielen wie (25) deutlich, wo Hannah das Modalverb in Wh-Fragen noch nicht mit dem Subjekt invertiert. Diese Erwerbsfolge entspricht völlig dem, was wir vom monolingualen Erwerb des Englischen kennen, vgl. Abschnitt 4.2.1. In HannahOS (3;00.15) beobachten wir dann eine interessante Übergeneralisierung von auxiliarem (nicht-emphatischem) do. Es handelt sich um ein kurzfristiges Phänomen, das durch die Ausbuchstabierung der I°-Position bedingt sein dürfte. Ähnliche Strukturen sind später nicht mehr belegt. (28) (29)
WHO does want to do the SPOTty one\ oh this one does HAVE to come as well\
Die folgenden Beispiele illustrieren, daß Hannah weiß, daß sie in englischen V3-Äußerungen andere Stellungsmöglichkeiten nutzen kann als im Deutschen. Wahrscheinlich weiß sie dies schon vor Hannah09 (4;00.03), (30), doch davor sind manchmal so wenige englische Daten in den Korpora belegt, daß wir wohl eher zufällig keine früheren Belege haben. Bei den verwendeten Adverbien handelt es sich um Lexeme, deren deutsche Entsprechungen keine V3-Stellung hervorrufen würden und die Hannah im Deutschen auch nicht abweichend verwendet. (30) (31) (32) (33) (34)
no she only sits outside\ she just throws him out again\ then she stands up and gets him OUT again\ now the CAR came and RAN over\ in the kindergarten we have got one\
Hannah04 Hannah09 Hannah09 Hannah 12 Hannah 12
Bei der Ausbildung des englischen Hauptsatzes (Hannah-V bis VIII) gibt es also anscheinend keine gravierenden Unterschiede zum monolingualen englischen Erwerb. Ähnliches gilt auch für den Erwerb der CP, wie ich im nächsten Abschnitt zeige. 7.1.2.2
Hannah: Der Erwerb finiter, komplexer englischer Sätze
In den Aufnahmen ist der erste englische Komplementierer in Hannah02 (2;08.13) belegt; in den Tagebüchern finden sich bereits ab 2;06 erste Beispiele. In den folgenden Korpora gibt es weitere Evidenz für die allmähliche Ausbildung der CP. (35)
cause they-are warm\
Hannah02
197
(36) (37) (38)
IF — I-am going to FEEL it\ cause it CRASHED\ cause I gonna fiddle on it\
Hannah-VII Hannah-VIII Hannah-X
Ab Hannah-X (3;00.13) sind unterschiedliche Typen von finiten Nebensätzen, neben Anschlüssen mit because jetzt auch Relativsätze mit that, (39)-(41), dokumentiert. (39) (40) (41)
we where-is my new SPOT that I got for my birthday\ (2x) that {sledge where the TAPES hold}\ because — cause I want a box for the tapes\
Hannah-X Hannah-X Hannah-X
Ich erinnere daran, daß Hannah in den folgenden Aufnahmen vor allem auf Deutsch angesprochen wird, so daß der Anteil der englischen Äußerungen leider so gering ist, daß oft überhaupt keine finiten Nebensätze mehr belegt sind (vgl. auch die \Vferte in Tabelle 7.1.). Trotzdem scheint es gerechtfertigt, ab Hannah04 (3;01.06) davon auszugehen, daß die finiten Nebensätze erworben sind.21 Die Strukturen sind syntaktisch und semantisch unauffällig, (42)-(44). Es sind verschiedene Komplementierer sowie subkategorisierte uneingeleitete Nebensätze belegt. (42) (43) (44)
cause it-is only a [ a m]I think it-is a because it drove right on the GRASS\
figure\
Hannah04 Hannah04 Hannahl2
Auch in Bezug auf die finiten Nebensätze finden wir also keine Abweichungen von dem, was über monolinguale englische Erwerbsverläufe bisher bekannt ist: Am Anfang fehlen Auxiliarverben oder Kopula oft ganz, Vollverben sind nicht flektiert. Bevor die CP erworben ist, werden Auxiliarverben in Wh-Fragen nicht invertiert. Außerdem kommt es bei Hannah ganz selten zu Fehlkombinationen von Verbformen, (45). (45)
oh\ I-ve got lef{t} the WINdows open-
Hannah03
Schwerpunktmäßig fallen diese Abweichungen wieder, wie auch schon im deutschen System, in die Zeiten, in denen Hannah die I- und die C-Position ausdifferenziert, d.h. zwischen 2;04.17 und 2;09.02 sowie zwischen 3;00.15 und 3;01.06. Ein weiterer Schub von Abweichungen kommt dann allerdings erst nach der Ausbildung der englischen CP; er korreliert zeitlich mit der Differenzierung der deutschen IKs.
21
Vgl. auch die Analysen in Tracy (1995), in denen außer den hier zitierten Daten auch die Äußerungen aus den Tagebüchern stärker berücksichtigt werden.
198
7.1.2.3
Hannah: Der Erwerb der englischen Infinitivkonstruktionen
Graphik 16 gibt einen ersten Überblick über Hannahs Erwerb von englischen IKs. Wir finden schon zu Beginn der Aufnahmen potentielle Matrixverben und strukturelle Vorläufer; es handelt sich vor allem um tolnfinitive. Dann sind eine Weile keine Strukturen belegt, die im Zusammenhang mit dem IK-Erwerb stehen, erst als die IP als erworben gelten kann finden wir vielfältigere Vorläuferstrukturen. Graphik 16
Hannah: Erster Überblick über den englischen IK-Erwerb
Hannah (Eg) ;+/- Partikel] Vorlaufer
·%
J N*
itentWIes ,' itrbdexem * v '
-.
[ CP IP VP 23
25
27
2
2t 1 3.O 31
3;3
3;6
3,7
4f>
4;1
4;3
Die Beispiele (46)-(49) illustrieren die frühesten Formen. (46) (47) (48) (49)
22
Mu zu Va über Hannah l ; 10 Mu: Perhaps she'll go to sleep. H: nein go to sleep H: I want to look at the PUPpets/ (3x) Hannah-Ill H: wanttoplay\ Hannah-Ill H: I {want-to} put [di] TELly an\ - you [d put [d 3] telly on\22 Hannah-Ill
Streng genommen handelt es sich bei dem ersten Teil dieser Äußerung um eine Mischung, doch ich denke, daß die Lehnübersetzung von an keine Auswirkungen auf die Struktur der IK hat, deshalb diskutiere ich sie hier mit den englischen Syntagmen.
199
Bemerkenswert sind zwei Aspekte bei diesen frühen Strukturen: Oben wurde gezeigt, daß es aufgrund des einfachen Satzmusters zu diesem Zeitpunkt keine Evidenz dafür gibt, daß die IP erworben ist. In den Beispielen (46)-(49) ist aber ein Element, das in der Zielsprache in 1° realisiert wird, vorhanden, nämlich die Infinitivpartikel to. Es ist verlockend zu argumentieren, daß diese Strukturen noch nicht analysiert sind. Das ist jedoch insofern problematisch, als Hannah — im Gegensatz zu vielen monolingualen Kindern (vgl. Limber 1973, Bloom et al. 1984) — want und to nicht zu wanna kontrahiert. Es gilt deshalb zu überlegen, ob to ein erstes I°-Element sein könnte. Nach diesen ersten Belegen finden wir etwa fünf Monate lang überhaupt keine englischen IKs mehr, auch keine Äußerungen, die sich als Vorläufer interpretieren lassen, was sicherlich auch mit Hannahs Präferenz für Deutsch zusammenhängt. Ab Hannah-VII, dem Korpus, in dem Hannah die englische IP erworben hat, sind want to Infinitive regelmäßig und auch in größerer Zahl belegt. Zwischen Hannah-VII (2;09.02) und HannahOö (3;03.17) sind in den Korpora und den Tagebuchaufzeichnungen etwa 20 tolnfinitive bzw. ihre Vorläufer nach want dokumentiert, vgl. die Auswahl in (50)-(56). (50) (51) (52) (53) (54) (55) (56)
daddy and MUMmy want to pay it\ he want{s} to have a FIREstation\ and I want to cut with MY scissors\ H hält Löwen-Handpuppe und geht zu Mu he wants to KISS you\ I want to buy in-a SHOP\ do you want to/ H will Puppenstubenfamilie auspacken: I want to pack the other things out\
Hannah-VII Hannah-VII Hannah-VII 3;03.17 Hannah-X HannaWB Hannah04
Die große Mehrzahl dieser want to-Äußerungen scheint zielsprachlich (abgesehen von der Sprachmischung in (56)), lediglich ein paar Abbruche nach der Partikel to sind belegt, (57). Gleichzeitig mit dem „want ro-Boom" finden wir weitere zielsprachliche tolnfinitive nach have und going. Dies entspricht ebenfalls dem, was wir vom monolingualen Erwerb kennen. (57) (58) (59) (60) (61) (62) (63) (64)
I want tohe has to make it\ {I-have} to put his arms DOWN\ now/ you have to turn them over like that\ like that\ — and like that\ {?dann-ist-da in} and mama is going to DRIVEN nobody is going to drive\ I-am not going to get THIS one\ mummy are you going to HELP-us/
Hannah-VII Hannah-VII Hannah-VIII Hannah-X Hannah-VIII Hannah-VIII Hannah-X Hannah 12
Ganz vereinzelt finden wir auch nach going Abbruche nach der Partikel, (65). In (66) produziert Hannah eine auffällige Koordination.
200
(65) (66)
I-am going toI-am going and FETCH his clothes\
Hannah-VII Hannah-VII
Die Ursache hierfür könnte die futurische Bedeutungskomponente sein. Das Present Progressive und eingeschränkter auch das Simple Present können futurisch verwendet werden. Die Koordination von beiden ist jedoch ungrammatisch. Wird Futur hingegen durch shall/will markiert, können darauffolgende VPs koordiniert werden. I'll go and fetch his clothes wäre eine mögliche Zieläußerung. Auch einen Einfluß des Deutschen kann man hier nicht ganz ausschließen. Äußerungen wie ich geh und hol seine Kleider können sowohl präsentische als auch futurische Bedeutung haben, die hier auf das englische Präsens übertragen sein könnte. Etwa zu dieser Zeit sind auch erste Belege für Partizipialkomplemente zu finden, (67)(69). Dies ist erstaunlich, weil englische Kinder normalerweise spät beginnen, diese zu produzieren (de Villiers & de Villiers 1985). (67) (68) (69)
this bear likes — eating chocky-yoghurts\ I want you coming with me no — I-am not ready for putting them on\
Hannah02 3;00.04 Hannah04
Bis zum Alter von etwa drei Jahren sind bei Hannah aber lediglich drei verschiedene IKs belegt: tolnfinitive nach want und den Semi-Auxiliaren have und going. In den Tagebuchaufzeichnungen finden wir darüber hinaus weitere infinite Strukturen dokumentiert, (70)-(73). (70) (71) (72) (73)
Why are some people quick to eat and some people slow? What is the knife for doing for? What is the fork for doing for? I got some {THINGS} to {THINGS} to {mend-with you}\
3;02.12 3;00.20 3;00.20 Hannah-VIII
In Beispiel (70) bettet Hannah einen tolnfinitiv unter einem Adjektiv ein, in (71)-(73) produziert sie finale Ergänzungen zu Nomen — allerdings wieder mit Partizip. Nach dem dritten Geburtstag sind ganz allmählich auch weitere potentielle Matrixverben belegt, nämlich try, need und help. Diese sind zwar wie auch Limber (1973) es beobachtet mit NPKomplementen belegt, aber anders als bei den von Limber beobachteten Kindern, verwendet Hannah sie während des gesamten Erhebnungszeitraums nicht mit IKs. (74) (75)
oh I-am trying {it} all aGAIN\ H macht Puzzle, fragt Mu: {will you help me find them/}
Hannah-VIII HannahOo
Gleichzeitig mit help in (75) sind in HannahOo (3;03.17) die ersten Wh-Infinitive, (76)-(77), sowie eine Ergänzung zu einem Adjektiv, (78), belegt.
201
(76) (77)
donald daisy did-not know what to do on a rainy day but/ H erzählt die Geschichte von Robin Hood: mhm\ robin hood the {xx} did-not know where to go/ Beim Ausschneiden und Aufkleben: you do the leaves cause I-am too tired to do the leaves\
(78)
In diesem Korpus ist auch eine ECM-Struktur dokumentiert. Etwa zwei Monate vorher finden wir in den Tagebüchern einen ersten Beleg, (79). In beiden ist want Matrixverb.
(79) (80)
I want she to get it and he wants me to tell you another story\
3;01 HannahOo
(80) ist unauffällig; doch in (79) beobachten wir eine Kasusabweichung. Die Tatsache, daß Hannah das intervenierende Pronomen im Nominativ realisiert, spricht dafür, daß sie es als Subjekt der IK analysiert und nicht als Objekt des Matrixverbs. Leider ist dies der einzige Beleg dieser Art. Es würde jedoch nicht verwundern, wenn Kinder systematisch solche Kasusabweichungen in ECM-Strukturen produzierten, auch wenn sie die Kasusmarkierung in Matrixsätzen bereits beherrschen.23 In den folgenden Aufnahmen hat Hannah sehr wenig Gelegenheit, Englisch zu sprechen, was dazu führt, daß praktisch keine IKs mehr belegt sind. Fassen wir also zunächst noch einmal zusammen, welche IKs Hannah bis zum Alter von 3;03 produziert. Ich werde das Bild im nächsten Abschnitt gleich noch durch einige IKs in gemischten Äußerungen ergänzen. Mit Ausnahme einiger weniger tolnfinitive nach want finden wir bei Hannah IKs erst, nachdem sie die englische IP (2;09.02) ausgebildet hat. Ab diesem Zeitpunkt sind Subjektkontrollstrukturen nach want und den Semi-Auxiliaren regelmäßig belegt. Neben diesen Verben verwendet Hannah auffallend wenig potentielle Matrixverben, lediglich help kommt gegen Ende des Erhebungszeitraumes noch mit einer IK vor. for"tolnfinitive produziert Hannah nicht.24 ECM-Strukturen sind zweimal belegt. Tabelle 7.4 gibt eine quantitative und Graphik 17 eine qualitative Zusammenfassung.
23 24
In der Tat sind aus der Literatur solche Abweichungen bekannt, vgl. Pinker (1984), Radford (1994) und die Diskussion in Kapitel 8. Allerdings finden wir in Hannah04 eine Partizipialkonstruktion, die mit ./or eingeleitet ist, vgl. (72) oben.
202
Tabelle 7.4 Hannah: Übersicht über englischen Matrixverben und IKs Hannah
04 09 12 X 03 02 VII VIII I IV V III 2;1.13 2;3.17 2;4.17 2;6.15 2;8.13 2;9.2 2;9.17 3;0.13 3;0.15 3-1.6 4;0.3 4;3.9
# Ä engl
29
56
42
31
39
117
79
136
213
59
57
48
try
0
0
0
0
0
0
1 (3)
0
0
0
0
0
need
0
0
0
0
0
0
0
0
0 (1)
0
0
0 (3)
let seem help
0
0
0
0
0
0
0
0
0
1
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0 (1)
want
0 (1)
5
0
0
0 (1)
10 (5)
1
3 (8)
13 (3)
3
1
0
*P
0
0 (1)
0
0
0
6
2
2
1
0
0
1
have
0
0
0
0
3
2
6
5
0
0
1
make
0
0
0 (8)
0 (1) 0
0
0 (4)
0
0
0 (3)
0
0
0
\forlauier
0
6
0
0
0
16
5
0
0
1
0
0
reine
0
0
0
0
0
0
0
0
0
1
0
0
to
lnf.
0
0
0
0
0
0
0
10
21
3
2
2
for-tolßf
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
lnf.
Für die Klassifizierung der Beispiele in dieser Tabelle ist der Gesamtsystemzustand ausschlaggebend, daher sind selbst IKs, die bereits zielsprachlich wirken, bis Hannah-VIII als Vorläufer klassifiziert, weil es im restlichen System zu wenig Evidenz dafür gibt, daß bereits eine IP bzw. eine CP ausgebildet ist. Ab Hannah-X sind dann (mit einer Ausnahme in Hannah04) auch keine strukturell abweichenden Vorläufer mehr belegt, so daß die Klassifikation als tolnfinitive gerechtfertigt scheint.
Diese und die nächste Zeile erfassen nur den semi-auxiliaren Gebrauch von go und have in Strukturen wie I'm going to see a film tonight bzw. I have to see this film.
203 Graphik 17
Hannah: Detaillierter Überblick über den englischen IK-Erwerb
Hannah (De) [+/- Partikel]
zürn zu beim
2s Verben rechts .for zu •zu ' für • 4 -*Vrlp. . gehen bleiben aufhören
*
helfen vergween
CP/IP
IP VP as
as
3;7
»n
7.1.3 Hannah: Das Mischsystem Bis jetzt wurden für Hannah zwei getrennte Entwicklungsverläufe beschrieben. Schon die Tatsache, daß dies möglich war, ohne in größerem Maße auf Mischäußerungen oder Äußerungen in der jeweils anderen Sprache Bezug nehmen zu müssen, zeigt, daß Hannah zumindest ab dem hier dokumentierten Zeitraum zwei getrennte Sprachsysteme ausbildet. Es wurden außerdem mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede mit monolingualen Erwerbsverläufen beobachtet. Möglich wäre jedoch immerhin, daß alle Abweichungen von monolingualen Erwerbsverläufen in den Mischäußerungen auftreten (eine Überlegung, die Tracy 1995 anstellt). Beispielsweise könnten finite Nebensätze mit VE-Stellung mit englischen Verben in den gemischten Äußerungen vorkommen. Dies ist zwar nicht der Fall, dennoch spielen die Mischstrukturen eine wichtige Rolle.26 Ziel dieses Abschnitts ist es nicht, alle Mischäußerungen von Hannah darzustellen und zu klassifizieren. Wie bereits beschrieben wurde (vgl. Kapitel 4.3), herrscht in der Forschung keine Einigkeit darüber, wie mit Mischäußerungen umzugehen ist — nicht einmal darüber,
26
Eine der wenigen belegten Abweichungen ist when on the pot chairs poohs. Bei Beispielen dieser Art kann man jedoch argumentieren, daß die deutsche VE-Struktur mit englischen Lexemen gefüllt wird, für eine ausführlichere Diskussion u.a. dieser Beispiele vgl. Tracy (1995) und Gawlitzek-Maiwald & Tracy (1996).
204 was genau als Mischung zu klassifizieren ist. Ich werde mich in diesem Abschnitt auf syntaktische Sprachkontaktphänomene beschränken und zwar auf die, die im Zusammenhang mit den IKs stehen.27 Tabelle 7. l zeigt, daß der Anteil der Mischäußerungen sehr stark schwankt. Ein absolutes Hoch liegt bei den Korpora Hannah-III und Hannah-IV (etwa 2;04), in einem Zeitraum also, in dem Hannah im Deutschen das Hauptsatzformat erwirbt, im Englischen jedoch erst über den ersten Meilenstein, die VP, verfügt.28 Auch in Bezug auf die Entwicklung der IKs spielen die Mischäußerungen eine besondere Rolle, wie ich im folgenden zeigen werde. In Tabelle 7.5 sind noch einmal entscheidende Schritte für den Erwerb der IKs in den beiden Sprachen zusammengestellt und mit gemischten IKs und ihren Vorläufern kontrastiert. Tabelle 7.5 Hannah: IKs in Mischäußerungen Alter 2;03.17
Deutsch Vollverbkombinationen MAma komm mit spazienen\
Mischungen
want to helfen + Inf
2;06.14 bis 2;08.13
warten for to brauchen + ^Inf ADJ + zulnf etwas + ^Inf
2;09.02
want to
2;09.11
eins zu look at?
4;03.09
27
28
want to
want to have to going to
try ECM (ADJ + for Ving) wh [to ...] help + Inf
2;09.17 3;01.06 bis 4;01.19
Englisch
für + ^Inf zum fltr + Inf helfen + Inf vergessen + ^Inf Nominal isierungen
wissen [wo + Inf]
Dies sind zum Teil auch Äußerungen, in denen zwar alle Lexeme dem Lexikon einer Sprache entstammen, deren Struktur jedoch der Syntax der anderen Sprache folgt, In der Literatur werden solche Äußerungen oft gar nicht als Mischungen oder Code-Switches behandelt, vgl. die Diskussion in Kapitel 4.3. Vgl. Tracy (1995) für eine ausführliche Analyse dieser frühen Mischungen. Sie schlägt als Ursache den Entwicklungsvorsprung der deutschen IP vor, so daß Hannah eine Zeitlang die linke Satzperipherie, d.h. die IP, nur deutsch realisieren kann, selbst wenn die VP der englischen Struktur folgt; vgl. dazu auch Gawlitzek-Maiwald & Tracy (1996).
205
Die zweite Spalte faßt den deutschen und die vierte den englischen Erwerbsverlauf zusammen. In den vorangegangenen Abschnitten wurde für beide Sprachen eine Phase beobachtet, in der Hannah praktisch keine IKs produziert. Nachdem für beide Sprachen in demselben Korpus (2;03.17) erste Vorläufer gefunden wurden, dauert die stille deutsche Phase etwa sieben Monate, die englische nur etwa zwei Monate (vgl. die grauen Felder). Diese stillen Phasen werden jedoch, wie Tabelle 7.5 verdeutlicht, überbrückt von gemischten Äußerungen, die in den Kontext der IKs gehören. Diese Äußerungen sollen nun im Detail diskutiert werden. In (1) kombiniert Hannah eine deutsche Matrixstruktur, eine IP, mit einem englischen reinen lnfinitiv, d.h. einer VP. (1)
H: die einstrap IN die DOLly\ Mu: What are you doing with the dolly? H: [jp die MAma helf mir — [yp strap it in]]\
( ) (l")
Eg: Dt:
Hannah-III (2;03.17)
[jp help me [yp strap it in ]] [jp hilf mir [yp sie anschnallen ]] [JP hilf mir [Cp/IP sie anzuschnallen ]]
Monolinguale Zielstrukturen sind in ( ) und (l") dargestellt. Sicherlich erleichtern die strukturelle Parallele und lautliche Ähnlichkeit der Matrixverben helfen bzw. helf und help die Aktivierung und Vermischung beider Strukturen. Hinzu kommt, daß Hannah mit 2;03 über die deutsche IP, nicht aber über die englische verfügt. Die Beispiele (2)-(6) stammen aus den Tagebuchaufzeichnungen der Mutter. Zwar haben wir nur diese fünf Belege, doch die Tatsache, daß sie über einen Zeitraum von mehr als einem Monat auftreten und dann anscheinend nicht mehr, spricht dafür, daß es sich um einen entwicklungsspezifischen Schritt handelt.29 (2) (3) (4) (5) (6)
papa du mußt warten for me to dressed warte doch for ich bin fertig warte doch for ich bin fertig mit diesem puzzle warte doch for ich habe mein apfel gegessen ich warte for es ist faschingsfest dann kann ich mein clown suit wearen
2;06.14 2;07.06 2;07.11 2;07.14 2;07.20
Es sei hier auch noch einmal an die deutschen Beispiele in (65) (für die nicht auszurutschen) erinnert, die kurz danach belegt sind und die bereits diskutiert wurden. In diesem Zusammenhang wurde auf die abstrakten strukturellen und im Fall von (65) auch konkreten morphologischen Parallelen zwischen finiten und nicht finiten Strukturen hingewiesen.
29
Es hat sich gezeigt (Tracy 1995), daß die Tagebuchaufzeichnungen von Hannahs Mutter sehr gut mit den Analysen der Ton- und Videoaufzeichnungen konvergieren, so daß der im Text gezogene Schluß zulässig scheint.
206
Ähnliches gilt auch für die Mischungen in (2)-(6). Sie setzen sich aus verschiedenen Elementen zusammen, die im Deutschen eine finite Struktur erzeugen sollten, im Englischen hingegen eine infinite: (3')
Deutsch: Englisch:
warte bis ich fertig bin waiter me to get ready
Ihre Struktur erinnert an deutsche Vorläufer wie geldför da unten reinschmeißen ((40) in 6.1.2, S. 140), allerdings ist bei Hannah — im Gegensatz zu Benny — nicht ganz klar, ob die Zieläußerung finit oder infinit ist. Hannah hat zu diesem Zeitpunkt zwar die deutsche IP erworben und produziert erste Vorläufer zu deutschen CP/IP-Syntagmen, die englische IP ist jedoch — wie in Abschnitt 7.1.2.1 gezeigt wurde — nicht erworben. (6') repräsentiert die Struktur, die (6) in Hannahs System unter dieser Voraussetzung haben könnte; englische Elemente sind unterstrichen. Drei Lexeme stammen aus dem englischen Lexikon, wobei das Verb morphologisch an die deutsche Struktur angepaßt ist.
for
NP mein clown suit
\,^ Spec es k
1°
/
^V ^
,0 V° wear-en
VP
Spec NP
V°
Faschingsfest t, Das Beispiel illustriert, daß Hannah Rekursivität auf der Ebene der deutschen IP erworben hat. Gleichzeitig weisen zwei Aspekte bereits über den gegenwärtigen Systemzustand hinaus: die Verwendung des Lexems for und die Semantik. Zwei Analysen sind möglich: Entweder Hannah adjunguiert^r an die IP, so wie in (6') dargestellt, oder for bzw. für in deutschen Äußerungen sind Platzhalter für Komplementierer. Für die Adjunktionsanalyse spricht, daß Hannah zwischen 2;6 und 2;7 gerade erste Vorläufer für die deutsche CP/IP produziert,
207
während für das Englische die IP noch nicht aktiv ist, vgl. Graphik 18. So scheint es wahrscheinlich, daß ./or und fllr noch keine Kategorie zugewiesen ist und sie zunächst einmal adjugiert werden (Roeper 1992). Obwohl die folgenden Äußerungen in (7) und (8) nur aus deutschen Lexemen bestehen, wurden sie als Sprachmischungen klassifiziert. Denn erstens sind zu diesem Zeitpunkt keine entsprechenden deutschen Strukturen belegt, und zweitens folgt die Syntax der Äußerungen dem Englischen. (7)
(8)
über H: Mu: H: H:
einen Schirm: braucht er (= Vater) das zu oben machen? What? put it up simone is zu klein zu gehen in die kita
2;07.02
2;07.14
Bei (7) ist die Klassifizierung als Mischäußerung vielleicht zweifelhafter als bei (8), weil es mehr mögliche deutsche Zieläußerungen gibt, (7'a-c). (7')
(8')
a b c d a b
braucht er das, um es aufzuspannen braucht er das zum Aufspannen muß er es aufspannen does he need (it) to put it up Simone is too little to go to the kita Simone ist zu klein, (um) in die Kita zu gehen
Semantisch gesehen ist (7'c) die wahrscheinlichste Lösung, (7'a und b) stehen Hannah strukturell noch nicht zur Verfügung, wohl aber die englische Struktur des tolnfinitivs, und oberflächlich betrachtet ist die nächste Entsprechung dazu ein ^Infinitiv. In (8) realisiert Hannah die englische Wortstellung des tolnfinitivs; die PP folgt dem Verb. Semantisch weisen beide Äußerungen wieder über den momentanen Systemzustand hinaus. In der Tat ist zwei Monate später ein Beispiel dokumentiert, in dem Hannah brauchen zielsprachlich mit einem ^Infinitiv kombiniert, (9). (Die Entlehnung des englischen Partikelverbs strap in kann im Zusammenhang mit der IK vernachlässigt werden.) (9) Strap yourself in. Panda sitzt hier. ER braucht nich einzustrappen.
2;09
Die folgende Sequenz aus Hannah-VII läßt darauf schließen, daß die -Rollen-Zuweisung und die Interpretation von Subjekten in IKs doch nicht so einfach ist, wie es in den meisten Äußerungen zunächst den Anschein hat. Obwohl die (englischen) Äußerungen auf der Oberfläche perfekt aussehen, deutet Hannahs Reaktion auf Interpretationsschwierigkeiten.
208
(10)
H schiebt (nackten) Teddy im Buggy a H: ich schieb dem nackt\ Mu: Why? b H: why — he wants to push him NACKT\ Mu: He wants who to push him nackt — naked? H: I Mu: He wants you to push him. Aha. c H: no I-am pushing M nackt\
In Gawlitzek-Maiwald & Tracy (1996) haben wir drei Analysen diskutiert: (A) Es handelt sich um einen Versprecher, und die Zieläußerung für (lOb) wäre / want to push him naked gewesen. Diese Möglichkeit kann nicht völlig ausgeschlossen werden; es gibt aber auch strukturelle Erklärungen, die interessanter und im Systemzusammenhang wahrscheinlicher sind. (B) Die Zieläußerung ist he wants me to push him naked. Hannah produziert jedoch noch keine ECM-Strukturen, verfügt also wohl nicht über die entsprechende Zielstruktur. (C) Möglich wäre auch eine passivische Zielstruktur (he wants to be pushed naked), Doch Hannah produziert auch noch keine Passivstrukturen. Sowohl Interpretation (B) als auch (C) ist mit Hannahs Reaktion in (lOc) verträglich. Die Tatsache, daß Hannah die ECM-Struktur der Mutter (He wants you to push him) nicht zielsprachlich interpretiert, scheint mir ein starkes Argument dafür zu liefern, daß sie ECMStrukturen auch passiv noch nicht beherrscht und die entsprechende Zielstruktur noch nicht produzieren kann. Auch (11) orientiert sich an der englischen Syntax. Diese Äußerung tritt auf, lange bevor Hannah in ihrem deutschen System die Strukturen (lTb) und (ll'c) zur Verfügung stehen. (l 1)
Mu: H: (11') a b c
Do you want one to look at? willst du auch eins zu look at? one to look at eins um es anzuschauen eins zum Anschauen
2;09.11
In den folgenden Monaten nimmt der Anteil der Mischäußerungen insgesamt ab (vgl. Tabelle 7.5 und Tracy 1995), und Mischungen, die in einem strukturellen Zusammenhang zu den IKs stehen, sind überhaupt nicht mehr belegt. Erst im letzten Korpus finden wir ein Beispiel, das eventuell als Mischung zu interpretieren ist. (12)
H & I bauen Stadt auf I: Schau mal, wo kommt wohl die Telefonzelle hin? H: ich WEIß wo sie hinstellen/ ich stell die DAhin\
Hannah 12
209
Für eine solche Analyse spricht — trotz der durchgehend deutschen Lexeme —, daß Hannah diese Konstruktion im Englischen seit langem beherrscht und zweitens, daß solche Äußerungen bei keinem der monolingualen deutschen Kinder belegt sind. Zwar sind reine lnfinitive in W-Fragen im Deutschen eingeschränkt möglich, doch sie weisen normalerweise zwei Intonationskurven auf. Hannahs Äußerung hat jedoch nur einen Intonationsbogen.
7.1.4
Hannah: Zusammenfassung der Entwicklung
In diesem Kapitel wurde nach Sprachen getrennt die Entwicklung der einfachen Sätze, der finiten Nebensätze und der IKs untersucht. Dies war weitgehend möglich, ohne auf das jeweils andere System Bezug zu nehmen. Es zeigte sich, daß in keiner der Sprachen gravierende Unterschiede zu monolingualen Kindern zu beobachten sind. Dies spricht für die Entwicklung von zwei Systemen bei Hannah. Die Emergenz der deutschen IKs entspricht weitgehend dem, was wir bei den monolingualen Kindern in Kapitel 6 beobachtet haben. In den englischen Daten sind früh Strukturen dokumentiert, die zielsprachlichen tolnfinitiven nach want gleichen. Ich habe dafür argumentiert, daß es sich bei diesen um Schrittmacher für die englische IP handelt. Erst als wir auch Evidenz für eine I-Prqjektion in einfachen Sätzen finden, ist ein breiteres Sprektrum von IK-Vorläufern belegt. In beiden Sprachen ist für die Entwicklung der IKs ein unterschiedlich langer Zeitraum zu beobachten, in dem Hannah praktisch keine IKs und auch keine Vorläufer produziert. In diesen Phasen beobachten wir eine ausgeprägte Asynchronie in der Entwicklung von Deutsch und Englisch und den Mischäußerungen kommt eine besondere Bedeutung zu: Sie füllen strukturelle Lücken in den Systemen. Das bemerkenswerte an den gemischten Vorläufern zu IKs ist, daß sie größtenteils der englischen Syntax folgen, die Lexeme jedoch aus dem Deutschen stammen. Daraus ergibt sich auch ein interessanter Konflikt für die Theorie lexikalischen Lernens. Graphik 18 gibt noch einmal einen Überblick über die Entwicklung in beiden Sprachen.
210 Graphik 18
Hannah: Vergleich Deutsch und Englisch
Hannah Mischungen
IK-VortÄufer
IKs
-C
ü £
YP '
SpecYP W/Z,
Y° to
VP SpecVP ' XP t.
reanalysiert als ==== >
SpecIP w/i, (vorläufig)
Unter anderem durch die Evidenz von lexikalischen Komplementierern und invertierten Auxiliaren können die Kinder das syntaktische Teleskop weiter bis zur Ebene der CP ausziehen, bis schließlich Wh-Phrasen wie im Erwachsenensystem in der Spezifiziererposition der CP stehen. Kontrahierte Formen von Matrixverb und to, wie sie im monolingualen Erwerb des (amerikanischen) Englisch oft beobachtet wurden, könnten in dieser Entwicklung eine Vorstufe darstellen. Die Kinder betten zunächst eine VP unter einem Verb ein, das Matrixverb und die Infinitivpartikel verschmelzen zu wanna oder [h avts]. Ab dem Moment, in dem to als eigenständiges Lexem realisiert wird, ist der Analyseschritt (7a) erreicht. Interessanterweise sind keine Stellungsabweichungen mit to belegt. Mit deutschem zu finden wir neben Auslassungen aber gerade auch Stellungsabweichungen. In (10)-(15) sind noch einmal Äußerungen zusammengestellt, welche die Kinder produzieren; (16)-(18) dokumentieren Abweichungen in der Plazierung von zu in der Erwachsenensprache. (10) (11)
... zu drinne bleiben des geht nicht zu kleinschneiden
Benny 14 (= (44) oben) Lisal4 (= (29) oben)
298
(12) (13) (14) (15) (16) (17) (18)
jetzt müssen die gespenster zu was trinken sich suchen La.un.42 die die - die hei hei HELfen [f s s 3] zu RAUSkommen\ Laura29E (= (90) oben) die/ guck/ die helfen mit zu RAUSziehen\ Laura29E (= (91) oben) ich mag mithelfen zu reintragen\ Laura29E (= (92) oben) Die Regierung in P weigert sich, die Atomanlagen zu kontrollieren lassen (SWF3 Nachrichten 7.6.94) um des bezuzuschussen (Hörbeleg) ... so daß die Dinger jetzt auch anzuproduzieren fangen (Hörbeleg)
In all diesen Beispielen steht die Infinitivpartikel zu nicht in der zielsprachlichen Position, wobei sie in (10)-(16) links von der zielsprachlichen Position vor weiteren Elementen des Verbalkomplexes steht, also noch nicht in den Verbalkomplex integriert ist. In (17) und (18) hingegen sind andere Partikeln innerhalb des Verbalkomplexes nach links verschoben. Angesichts der linguistischen Kontroversen um die Analyse des deutschen Verbalkomplexes (vgl. Kapitel 2) ist es eigentlich erstaunlich, daß nicht mehr dieser Abweichungen bei den Kindern beobachtet wurden. Ich kann an dieser Stelle keine genaue Analyse des Verbalkomplexes leisten, denke jedoch, daß diese Beispiele folgendes verdeutlichen: Es ist schwieriger, die zielsprachliche Position von zu zu erkennen, als die des englischen to. Abweichungen in den Kinderdaten deuten ebenso wie die Versprecher Erwachsener darauf hin, daß die zielsprachliche morphologische Positionierung im Deutschen ein komplexes Phänomen ist. Ein weiterer Typ von Vorläufern sind Äußerungen, die wie Beispiel (13) von für bzw. for eingeleitet werden, die in der Literatur zum deutschen Erwerb bisher kaum und zum englischen meines Wissens überhaupt nicht beschrieben wurden. Obwohl viele deutsche Dialekte diese Partikel gar nicht als Komplementierer nutzen, waren diese Vorläufer auch bei den monolingualen Kindern relativ stark vertreten.19 Welche Rolle spielen diese Äußerungen? Ich denke, daß sie in beiden Sprachen sowohl semantisch als auch syntaktisch relevant sind. Semantisch markieren für und for in allen Beispielen finale Lesarten. Sie ersetzen somit teilweise zielsprachliche Formen, welche die finale Bedeutungskomponente weniger deutlich zum Ausdruck bringen: um-zu, zu bzw. to. Syntaktisch sind for bzw. für Platzhalter für die entsprechenden zielsprachlichen Partikel. Für das Englische bedeutet dies, daß sie noch einmal eine weitere Projektionsstufe oberhalb der IP eröffnen. Die folgenden Beispiele illustrieren, daß es sich bei den hier beobachteten Vorläufern mit for bzw. für nicht etwa um ein Tübinger Phänomen handelt. Äußerungen (19)-(24) stammen von dem bilingualen (Deutsch/Französisch) Kind Ivar (Müller 1993).20
19 20
Diese Beobachtung zeigt auch, daß Leopolds (1949b) Schluß nicht zwingend ist, daß die ^Infinitive seiner Tochter auf einen englischen Einfluß zurückzuführen sind. Natascha Müller hat mir eine Zusammenstellung der Beispiele in (19)-(24) zur Verfügung gestellt, wofür ich ihr herzlich danken möchte.
299
(19) (20) (21) (22) (23) (24)
das is für musikhören ... das is eine vitamine für für emm saft einfüllen (= zum Saft einfüllen) das is für blutabnehmen das is für dadrin sich hinsetzen und wieder ausruhen das is für fische verhaken wo-wollen wir denn nun hin für uns wehren?
Ivar (3;02.14) Ivar (3;06.13) Ivar Ivar Ivar Ivar
(3;08.22) (3; 10.11) (5;07.04) (5;07.19)
In den Äußerungen von Ivar ersetzter, wie bei den hier vorgestellten Kindern, entweder um-zu, um oder zum. Noch viel ausgeprägter als die Kinder im Tübinger Projekt hat Ivar/«r als einen Komplementierervorläufer sowohl für finite als auch für infinite Strukturen verwendet (Müller 1993), vgl. auch die ambigen Strukturen von Hannah in 7.1.2. Zwei Aspekte sind dabei bedenkenswert: Zum einen die Tatsache, daß für bzw. for bei manchen Kindern sowohl finite als auch infinite Strukturen einleiten können und zum anderen ein möglicher Zusammenhang zwischen Sprachentwicklung und Diachronie. Die erste Beobachtung liefert ein Indiz für die Relevanz der X-Bar Theorie; die Art, wie die Kinder ßir/for einsetzen, spricht dafür, daß für sie finite und infinite Strukturen nicht völlig unterschiedlich sind, sondern daß es sich auf einer abstrakten Ebene um Mehr desselben, nämlich endozentrischen Projektionen, handelt (vgl. Tracy 1995). Diese können durch einen Komplementierer oder dessen Platzhalter eingeleitet werden. Platzhalter können bei phonologisch orientierten Kindern Füllsilben sein, bei semantisch orientierten (z.B. Benny) in ihrer Bedeutung transparentere Formen als die zielsprachlichen oder bei bilingualen Kindern Lexeme aus der jeweils anderen Sprache (z.B. Hannah und Adam if/ob). Der sprachhistorische Zusammenhang ist folgender: Es läßt sich beobachten, daß Infinitivpartikel — wie andere Elemente auch — im Laufe der Zeit grammatikalisieren und ihre semantische Signalwirkung verlieren (Hopper & Traugott 1993, v. Gelderen 1993). So hatten im Althochdeutschen reinelnfinitive noch deutlich finale Lesart, sie wurden dann mehr und mehr von ^Infinitiven abgelöst, und heute wird Finalität in IKs v.a. durch um"zulnfinitive ausgedrückt (Demske-Neumann 1994, Paul & Stalte 1962: § 205, 208) und von den Kindern zum Teil durch für. Entsprechend können die Vorläufer zu for"tolnfinitiven und die Kombinationen aus for und -wg-Form analysiert werden. Sie sind wahrscheinlich deshalb in den englischen Erwerbsverläufen seltener, weil die strukturellen Voraussetzungen für zwei funktionale Projektionen bei den hier beobachteten Kindern erst allmählich entstehen.
8.6
Zusammenfassung
Aufgrund der Systembeschreibung (Kapitel 2) und der Fallstudien (Kapitel 6 und 7) wäre es möglich gewesen, ein breites Spektrum von Fragen zu diskutieren; in diesem Kapitel habe ich einen Teil dieser Fragen aufgegriffen und versucht, Antworten aus der Perspektive der Spracherwerbsforschung zu geben.
300
Unterschiede im Erwerb der IKs zwischen dem Deutschen und dem Englischen habe ich vor dem Hintergrund der gesamten Erwerbsverläufe darauf zurückgeführt, daß den IKs in den beiden Sprachen innerhalb des Erwerbs unterschiedliche Funktionen zukommen: Im Englischen sind tolnfinitive Schrittmacher für die Ausbildung der IP-Projektion, während die deutschen IKs weitere Strukturformate sind, die in ein bestehendes — schon recht komplexes System — integriert werden müssen. Trotz dieser generellen Unterschiede gibt es Gemeinsamkeiten, v.a. was die Reihenfolge des Erwerbs der verschiedenen IKs in beiden Sprachen angeht. Es hat sich gezeigt, daß eine Komplexitätsanalyse der IKs innerhalb des P & P Modell erste Voraussagen über die Erwerbssequenz macht, daß sie jedoch ergänzt werden muß um weitere Aspekte, welche die Erwerbsreihenfolge ebenfalls beeinflussen: Als besonders wichtig hat sich die Art der Subjektrealisierung erwiesen. Prototypisch für IKs ist ein nicht-lexikalisches Subjekt. Konstruktionen wie ECM und Raising mit lexikalischem Subjekt werden deshalb später erworben. Außerdem wirken bestimmte Sonderbedingungen, wie außergewöhnliche Kasusmarkierung, verzögernd auf den Erwerb einer Struktur. Auf der Grundlage der einheitlichen Analyse der IKs im Deutschen und im Englischen schien die unterschiedliche Erwerbsfolge in Bezug auf das Gesamtsystem zunächst überraschend. Durch eine detaillierte Analyse der verschiedenen Vorläufertypen im Kontext der jeweiligen Sprachsysteme der Kinder, war es jedoch möglich, ein kohärentes Bild der Erwerbsverläufe zu entwickeln. Im Zusammenhang mit dem jeweiligen Gesamtsystem konnte auch für die unterschiedlichen Erwerbsfolgen in beiden Sprachen eine Erklärung gefunden werden.
9
Zusammenfassung und Ausblick
In dieser Arbeit habe ich mich anhand von drei monolingualen deutschen und drei bilingualen deutsch-englischen Fallstudien mit dem Erwerb von Infinitivkonstruktionen (IKs) beschäftigt. Ziel der Arbeit war es, eine Datenlücke in der deutschen Spracherwerbsforschung zu schließen und im Vergleich der englischen und deutschen Erwerbsverläufe generelle Erkenntnisse zum Wie des Erwerbs der IKs beizusteuern. Außerdem sollte die komparative Perspektive helfen, den Stellenwert der IKs für den Erwerb der beiden Sprachen näher zu bestimmen und auslösende Elemente für Veränderungen zu identifizieren. Die Untersuchung basiert auf der Analyse von etwa 60.000 spontansprachlichen Äußerungen, die auf das allmähliche Auftreten der verschiedenen IKs und ihrer Vorläuferstrukturen hin untersucht wurden. Der Ansatz, eine bestimmte Konstruktion oder Struktur nicht losgelöst vom sonstigen System zu betrachten, sondern ihren Erwerb in größere Zusammenhänge einzuordnen, hat sich einmal mehr als sinnvoll und unverzichtbar erwiesen. Erst dieser integrative Ansatz hat es ermöglicht, die sprachspezifischen und auch die sprachübergreifenden Phänomene in einen kohärenten Zusammenhang zu stellen (Kapitel 8). Die zentralen Ergebnisse sind im einzelnen: 1. Sowohl die bilingualen als auch die monolingualen Kinder in der Studie produzieren bis zum Ende der Datenerhebung nicht alle zielsprachlichen IKs. In beiden Sprachen können zuerst die Kontrollstrukturen (v.a. mit Subjektkontrolle) als erworben gelten. ECM- und Raising-Strukturen kommen nur in einzelnen Beispielen vor. Im Deutschen erwerben die Kinder neben den Kontrollstrukturen noch aspektuelle Vollverbkombinationen, Nominalisierungen und zum Teil um"zulnfinitive. Als ECM-Matrixverb ist nur lassen belegt, potentielle Raisingverben sind brauchen, anfangen und aufhören. 2. Die IKs, welche die Kinder als erste produzieren, sind auch die häufigsten im gesprochenen Deutsch und Englisch (vgl. Kap. 3). Dies beeinflußt sicherlich die Erwerbsreihenfolge. Ich habe jedoch dafür argumentiert, daß der Input nicht die einzige Ursache für die Erwerbsreihenfolge ist. Vielmehr können sowohl die Häufigkeit der Subjektkontrollstrukturen als auch ihre führende Rolle im Erwerb auf unabhängige grammatische Faktoren zurückgeführt werden. Dabei hat sich der modulare Aufbau des P & P Modells als hilfreich erwiesen: Je mehr Module aktiv an der Generierung einer Struktur beteiligt sind, desto später wird sie erworben. Neben der Zahl der interagierenden Module spielen die Form der Subjektrealisierung als [± lexikalisch] und eventuell beteiligte Sonderbedingungen wie Exceptional Case Marking eine entscheidende Rolle. 3. Bei den Kindern unterscheiden sich die deutschen und englischen Sprachsysteme grundlegend zu der Zeit, als die ersten IKs auftreten. Im Deutschen sind Hauptsätze bereits produktiv, und der Erwerb der finiten Nebensätze hat begonnen, d.h. wir finden Evidenz für mindestens eine funktionale Projektion oberhalb der VP. Im Englischen hingegen gibt es keine oder kaum Evidenz für funktionale Projektionen oberhalb der VP. Aufgrund dieser Beobachtung habe ich die Funktion der IKs im Erwerbszusammenhang unterschiedlich interpretiert: für das Englische als Schrittmacher-Struktur, für das
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4.
5.
6. 7.
8.
9.
Deutsche als weitere Strukturformate, die in die bestehende Grammatik integriert werden müssen. Eine Konsequenz daraus ist, daß die Erwerbsreihenfolge, die für das Englische in der Literatur bisher vorgeschlagen wurde (vgl. Kap. 4), reinterpretiert werden muß: to lnfinitive sind nicht die ersten Komplementstrukturen, die nach einfachen Sätzen erworben werden; sie ebnen vielmehr erst den Weg, um den englischen Hauptsatz mit seinen funktionalen Ausprägungen zu erwerben. Wir finden bei den IKs, ebenso wie bei W(h)-Fragen, finiten Nebensätzen und anderen Strukturen, sogenannte Vorläufer, d.h. Äußerungen, die sich post hoc als relevant für den Erwerb der IKs erweisen und die in vielen Fällen (zumindest in Teilaspekten) von der zielsprachlichen Struktur abweichen. Die Vielfalt der Vorläufer für IKs ist im Englischen wesentlich kleiner als im Deutschen. Dieser Unterschied spiegelt ebenfalls die unterschiedlichen Systemzustände und die unterschiedliche Funktion der IKs innerhalb des gesamten Erwerbsverlaufs wider. Schon in der Einleitung zu dieser Arbeit wurde gezeigt, daß Finitheit Auswirkungen auf verschiedenen grammatischen Ebenen hat. Bei den Erwerbsverläufen zeigt sich, daß Kinder die diversen grammatischen Ebenen unterschiedlich für ihre Analyse der IKs nutzen. Diese Differenzierung und Variation ist im deutschen Erwerb größer als im Englischen, was durch die unterschiedlichen Systemzustände zu Beginn des IK-Erwerbs bedingt ist. In beiden Sprachen hat sich auf der semantischen Ebene Finalität als ein wichtiger Erwerbsfaktor für die IKs erwiesen. Im Deutschen müssen Kinder außerdem erkennen, daß der Verbalkomplex im Prinzip unendlich lang sein kann, und daß sie mehr als ein Verb in die rechte Verbklammer plazieren dürfen. Für die drei bilingualen Kinder war es möglich, je einen Erwerbsverlauf für jede Sprache zu beschreiben, die denen monolingualer Kinder durchaus entsprechen. Selbst wenn eine der Sprachen ziemlich dominant ist, wie bei Hannah bis 2;07 und Adam und Laura generell das Deutsche, weist der Erwerb der schwächeren Sprache trotzdem charakteristische Gemeinsamkeiten mit dem Erwerb monolingualer englischer Kinder auf. Auch wenn zeitweise Sprachmischungen auftreten, so haben diese eine funktionale Aufgabe im Erwerb und sind — für die hier beobachteten Kinder — nicht Ausdruck mangelnder Kompetenz sondern vielmehr Zeichen der Fähigkeit, mithilfe der einen Sprache Lücken in der anderen zu überbrücken.
In dieser Arbeit wurde der Beginn der Erwerbsphase für die IKs im Deutschen und Englischen detailliert beschrieben und analysiert. Es hat sich auch gezeigt, daß sich der Erwerb der IKs vergleichsweise lange hinzieht und daß er bei einigen Kindern mit einer Beobachtungsdauer von mehr als zwei Jahren nicht voll erfaßt werden konnte. Dies gilt auch für die englischen Daten, obwohl für das Englische bisher angenommen wurde, daß die IKs früh und schnell erworben werden (vgl. die Diskussion in Kapitel 4.2). Richtig ist, daß der Erwerbsbeginn früher einsetzt als im Deutschen. Das gilt auch für die hier beobachteten bilingualen Kindern, obwohl deren Englisch die schwächere Sprache ist. Um sicherzustellen,
303
daß diese Beobachtung kein Artefakt der Untersuchung bilingualer Kinder ist, sollte sie an Langzeituntersuchungen monolingualer englischer Kinder überprüft werden. Auch für den Erwerb des Deutschen gilt, daß wir spontansprachliche Daten aus Langzeiterhebungen mit älteren Kindern brauchen. Dann könnte beobachtet werden, wann und wie die noch ausstehenden IKs in die jeweiligen Systeme integriert werden. Wünschenswert wären auch Experimente mit denselben Kindern, in denen die in Kapitel 8 vorgeschlagenen Faktoren systematisch kontrolliert und variiert werden. Die Ergebnisse dieser Arbeit zeigen einmal mehr, wie wichtig es ist, spontansprachliche Daten zu erheben und zu analysieren. Bei allen Nachteilen, die sich mit dieser Methode verbinden (vgl. Kapitel 5), bietet sie die Chance, die experimentell erhobene Daten ohne Rückbindung an Langzeitstudien nicht bieten: den Erwerb eines Strukturtyps in einen größeren Kontext einzuordnen und damit das Spektrum möglicher und individueller Erwerbswege aufzudecken.
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Infinitiv, reiner 2, 5, 6, 12, 15, 21ff, 28ff, 46, 48, 56, 59f, 63ff, 76, 80ff, 91f, 114, 142, 145, 147f, 150, 159, 162f, 166, 168f, 172f, 175, 190, 193, 203, 206, 210, 219, 221ff, 243, 245f, 255, 257-260, 270, 272, 280, 299 - to 2, 6, llf, 15, 17ff, 40, 44ff, 62ff, 87, 91f, 97, 155, 162, 169f, 173-77, 198, 200if, 208, 210, 234-38, 243ff, 269-272, 274, 276f, 280, 283, 285, 288, 292-300, 302 ~ um-zu 2, 5, 14, 28ff, 36ff, 45ff, 59f, 67, 80ff, 115f, 140, 143, 146ff, 189ff, 221, 225, 257-260, 280, 289, 295, 299, 301 - zu 2, 5, llf, 28ff, 36ff, 45ff, 56, 59f, 67, 77ff, 118, 141, 143-49, 159-63, 166-76, 188, 191ff, 205, 208, 222-26, 245, 255, 258-260, 280, 286, 292, 299 Komplementierer 14, 16ff, 26, 48, 69, 74f, 91, 104, 107, 112, 136f, 144, 147f, 151, 184f, 197f, 207, 215ff, 230, 236, 240, 253, 266f, 273, 290, 297ff Kontinuitätshypothese 75, 121 ff Kontrolle 8, 21, 25, 31, 38, 40f, 45f, 48, 50f, 91ff, 133, 224, 283, 286f, 291, 295
Grammatikalisierung 299 Infinitiv, am 37, 56, 59f, 145, 148, 219, 257f - ECM- 19ff, 33ff, 44ff, 48, 51, 67, 77f, 80f, 83, 85, 91f, 95, 97, 113f, 116, 146, 166, 173, 176, 191, 202, 205, 209, 236, 259, 276, 280, 290-294, 300f - for-to 2, 6, llf, 15ff, 23ff, 45f, 48, 51, 61ff, 92, 95, 116, 188f, 202f, 236, 238, 240, 243, 272, 274, 289f, 294, 299 - freier 34, 67 - für 35, 37, 115ff, 140, 144, 148, 158, 177, 190, 221ff, 258f, 274, 293, 298f - Kontroll- llf, 19ff, 25f, 31ff, 38ff, 44ff, 51, 67, 78, 80ff, 85, 91ff, 116, 146, 172, 176, 202, 224, 246, 271, 276f, 281, 283, 286, 289, 290f, 295f, 301 ~ Raising- 11, 19ff, 23ff, 31ff, 39ff, 44, 47, 50, 67, 78, 80ff, 92, 146, 176, 224, 276, 280, 283, 286-92, 300f
Matrixelemente 2, llf, 16ff, 30ff, 36, 38, 40ff, 45, 48, 51, 54, 59f, 62ff, 66ff, 74, 78ff, 91ff, 114ff, 125, 129f, 133, 138, 140f, 146^9, 162f, 165ff, 170f, 174ff, 188, 193, 198, 201ff, 206, 221ff, 235-43, 254f, 259f, 270ff, 280, 283, 290, 293f, 296f, 301 Minimal Distance Principle 42, 82, 84, 93f Minimalität 49, 284 Modalverben, deutsch 12, 33ff, 38, 42, 44, 56f, 102, 136, 150, 153, 161, 164, 183, 185f, 214, 218, 222, 245, 250, 264, 280, 283-88 - englisch 12ff, 18, 23, 47, 85ff, 114, 195ff, 227ff, 265f, 276, 282, 284ff
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Nebensätze, finit 26, 49, 55, 69, 74ff, 90f, 104ff, Ulf, 116f, 125, 128, 137f, 141f, 144, 146ff, 151, 154f, 164ff, 169, 176f, 184f, 198, 204, 210, 214f, 217ff, 222, 224ff, 239, 243, 253, 276, 280f, 295f, 301f Nominalisierung 2, 3, 12, 36, 38, 59, 68, 77f, 81, 114, 140, 142, 157, 159, 163, 166f, 169f, 173, 176, 189ff, 205, 221, 223f, 256, 259, 268, 276, 280, 295 Ökonomie 13, 49, 124, 284, 289 Optimalität 14, 282, 284, 289 Prototypik 39, 48, 288f, 300 Raising, Subject-to-Object 20, 289, 291 f Reifiingshypothese 122f Schrittmacher 210, 232, 242, 284f, 288, 292, 300f Symmetriehypothese 27, 73 Tough-Movement 32 Uniformitätshypothese 27, s.a. Symmetriehypothese Vorläufer 9, 12, 71, 73, 75, 78, 80f, 104, 110, 113f, 133, 136-49, 151-63, 165-70, 174-77, 185-93, 198ff, 203, 205-10, 214, 218-26, 232, 235, 238ff, 243ff, 252, 254, 256-260, 267-276, 279-83, 289, 292-302 W-Bewegung 27f, 45, 69, 146f, 164, 182f, 185, 210, 214, 251f, 281f Wh-Bewegung 12ff, 45, 69, 85, 88f, 196ff, 201, 228f, 240, 242, 263, 281ff, 285f, 296f