Pylos und sein Heer: Untersuchungen zum spätmykenischen Militärwesen 9783515121200, 351512120X

Am Beispiel des Reiches von Pylos und auf Basis der Linear B-Texte bietet dieser Band eine umfassende Darstellung des sp

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Table of contents :
Zum Geleit
Inhalt
Einleitung
Teil I: Grundlagen des spätmykenischen Militärwesens
1. Spätmykenische Bewaffnung im archäologischen Befund (Andreas Konecny)
1.1 Angriffswaffen
1.2 Schutzwaffen
1.3 Wagen
2. Die Ikonographie des Krieges in der mykenischen Palastzeit (Fritz Blakolmer)
2.1 Definition und Eingrenzung des Themas
2.2 Krieg in den frühägäischen Bildmedien
2.3 Ikonographie des Kampfes
2.4 Synoptische Beobachtungen zu mykenischen Kampfdarstellungen
2.5 Wie sind die spätmykenischen Kampfdarstellungen zu verstehen?
2.6 Symbolische Bedeutung von Waffen, Krieg und Krieger
2.7 Abschließende Bemerkungen
3. Spätmykenische Bewaffnung nach Aussage der Linear B-Texte
3.1 Angriffswaffen
3.2 Schutzwaffen
3.3 Zusammenfassung
4. Formen und Einsatz des mykenischen Streitwagens
Teil II: Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens
1. Die o-ka-Tafeln
1.1 Einleitung
1.2 Die Reihenfolge der o-ka-Tafeln
1.3 Der Aufbau der o-ka-Tafeln
1.4 Die Kommandanten und Unteranführer
1.5 Die o-ka-Hauptquartiere und die Truppenstandorte
1.6 Die einzelnen Truppen und ihre Herkunft
1.7 Die den einzelnen o-ka zugeordneten e-qe-ta
1.8 Die ›Identifizierung‹ der einzelnen Arten von Truppen
1.9 Die Mannschaftsstärke der einzelnen Truppen in den o-ka-Tafeln
2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln
2.1 Die Rudererlisten
2.2 Aufseher der Rudermannschaften?
2.3 Die ›Personenlisten‹ Aq 218 und Aq 64
2.4 Die ›Sklavinnentafel‹ An 607
2.5 Andere ›Sklavinnentafeln‹
2.6 Die ke-ro-si-ja-Tafeln
2.7 Militärische Einheiten außerhalb der o-ka-Tafeln
2.8 Bronze für das pylische Militär
2.9 Besondere Waffenschmiede?
2.10 Andere ›Wirtschaftsbetriebe‹ im Dienst der Waffenproduktion für das pylische Militär
3. Als Vergleich: Texte militär-organisatorischen Inhalts aus Knossos
3.1 Repräsentanten der Militärverwaltung
3.2 Truppenkörper
3.3 Ausrüstung
3.4 Der Vergleich mit den pylischen Verhältnissen
4. Der geographische Aspekt: Lokale Herkunft und räumliche Verteilung des pylischen Heeres
4.1 Die Hauptquartiere der o-ka-Truppen
4.2 Die Einsatzorte der o-ka-Truppen
4.3 Die zahlenmäßige Verteilung der o-ka-Truppen
4.4 Die Herkunftsorte der o-ka-Truppen
4.5 Herkunfts- und Einsatzorte der e-qe-ta
4.6 Das Konzept der Landesverteidigung
4.7 Die Rekrutierungsgebiete der Flotte
4.8 Zusammenfassung
Schlußbetrachtung
1. Militärische Führung
2. Formen des Militärs
3. Bewaffnung
4. Wirtschaftliche Rolle von Truppen
5. Aufrechterhaltung der militärischen Infrastruktur
6. Landesverteidigung
Anhang I: Das hethitische Militär: Struktur und Organisation (Michaela Zinko)
1. Vorbemerkungen
2. Militärische Struktur
2.1 Militärische Führungsposition: Der hethitische König
2.2 Hierarchie der Offiziere
2.3 Das hethitische Heer
2.4 Ausstattung und Waffen
2.5 Infrastruktur
2.6 Truppenstandorte und Grenzschutz
2.7 Schlussbemerkungen
Anhang II: Mykenische und hethitische Militärorganisation: Ein Vergleich (Michaela Zinko und Klaus Tausend)
1. Militärsystem
2. Hierarchie
3. Truppengattungen
4. Standorte
5. Ausrüstung und Versorgung
6. Rekrutierung und Mobilmachung
7. Militär und Kult
Literatur
Register
Sachen und Personen
Geographica
Mykenische Begriffe
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Pylos und sein Heer: Untersuchungen zum spätmykenischen Militärwesen
 9783515121200, 351512120X

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Klaus Tausend

Pylos und sein Heer Untersuchungen zum spätmykenischen Militärwesen

Mit Beiträgen von Fritz Blakolmer, Andreas Konecny und Michaela Zinko

Alte Geschichte Franz Steiner Verlag

Geographica Historica – 39

Klaus Tausend Pylos und sein Heer

geographica historica Begründet von Ernst Kirsten, herausgegeben von Eckart Olshausen und Vera Sauer Band 39

Klaus Tausend

Pylos und sein Heer Untersuchungen zum spätmykenischen Militärwesen

Mit Beiträgen von Fritz Blakolmer, Andreas Konecny und Michaela Zinko

Franz Steiner Verlag

Gefördert mit Mitteln des Vizerektorats für Forschung der Universität Graz

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2018 Satz: Vera Sauer Druck: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12120-0 (Print) ISBN 978-3-515-12122-4 (E-Book)

Zum Geleit

Im Zentrum dieses Bandes der Geographica Historica steht die Auswertung aller bislang bekannten Linear-B Texte in militärhistorischer Hinsicht. Ergänzt um, oder genauer gesagt, kontrastiert mit den Ergebnissen der Untersuchung archäologisch faßbarer militärischer Realia und bildlicher Darstellungen von Waffen, Kriegern und Kampfszenen, erlaubt diese Auswertung detaillierte Einblicke in das Militärwesen der spätmykenischen Zeit. Bedingt durch die Überlieferungssituation gilt dies insbesondere für das Militärwesen des Reiches von Pylos. Der historische Vergleich mit dem hethitischen Militärwesen trägt dazu bei, die so gewonnenen Erkenntnisse vor dem weiteren Horizont der spätbronzezeitlichen Welt insgesamt zu sehen.  Das Konzept der pylischen Landesverteidigung und ihrer organisatorischen Grundlagen, das so erkennbar wird, hat vielfältige und deutlich faßbare geographische Aspekte. So stellt diese Untersuchung einen wesentlichen Beitrag zur Historischen Geographie des Reiches von Pylos dar und findet daher den ihr angemessenen Platz in den Geographica Historica. Eckart Olshausen und Vera Sauer

Für Wotan

Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil I: Grundlagen des spätmykenischen Militärwesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Spätmykenische Bewaffnung im archäologischen Befund (Andreas Konecny) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Angriffswaffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Lanzen und Speere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Schwerter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3 Pfeil und Bogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.4 Schleudern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Schutzwaffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Helme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Schilde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Panzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.4 Beinschienen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Wagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Ikonographie des Krieges in der mykenischen Palastzeit (Fritz Blakolmer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Definition und Eingrenzung des Themas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Krieg in den frühägäischen Bildmedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Ikonographie des Kampfes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Synoptische Beobachtungen zu mykenischen Kampfdarstellungen . . . . . . . . 2.4.1 Wie werden Kampf und Krieg dargestellt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Zum mykenischen Feindbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Wie sind die spätmykenischen Kampfdarstellungen zu verstehen? . . . . . . . . 2.6 Symbolische Bedeutung von Waffen, Krieg und Krieger . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7 Abschließende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Spätmykenische Bewaffnung nach Aussage der Linear B-Texte . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Angriffswaffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Lanzen und Speere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Wurfspieße oder Pfeile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Schwerter und Dolche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Schutzwaffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Helme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Rüstungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Andere Rüstungsteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Formen und Einsatz des mykenischen Streitwagens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17 17 18 18 20 24 25 26 26 27 28 30 30 33 33 34 36 48 49 53 56 59 66 67 68 68 71 71 74 74 76 79 83 86

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Inhalt

Teil II: Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die o-ka-Tafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die Reihenfolge der o-ka-Tafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Der Aufbau der o-ka-Tafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Die Kommandanten und Unteranführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Die o-ka-Hauptquartiere und die Truppenstandorte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.1 Die Hauptquartiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.2 Die Standorte der Truppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Die einzelnen Truppen und ihre Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6.1 Die Bezeichnungen der einzelnen Truppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6.2 Die Herkunftsangaben der einzelnen Truppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6.3 Die Mobilität pylischer Einheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7 Die den einzelnen o-ka zugeordneten e-qe-ta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7.1 Die gesellschaftliche Stellung der e-qe-ta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7.2 Die lokale Herkunft der e-qe-ta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7.3 Die Verteilung der e-qe-ta in den o-ka-Tafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7.4 Die verschiedenen Truppenbezeichnungen und die e-qe-ta . . . . . . . . . 1.7.5 Die Aufgaben der e-qe-ta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.8 Die ›Identifizierung‹ der einzelnen Arten von Truppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.9 Die Mannschaftsstärke der einzelnen Truppen in den o-ka-Tafeln . . . . . . . . . 2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die Rudererlisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Aufseher der Rudermannschaften? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Die ›Personenlisten‹ Aq 218 und Aq 64 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Die ›Sklavinnentafel‹ An 607 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Andere Sklavinnentafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Die ke-ro-si-ja-Tafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7 Militärische Einheiten außerhalb der o-ka-Tafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8 Bronze für das pylische Militär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.9 Besondere Waffenschmiede? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.10 Andere ›Wirtschaftsbetriebe‹ im Dienst der Waffenproduktion für das pylische Militär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Als Vergleich: Texte militär-organisatorischen Inhalts aus Knossos . . . . . . . . . . . . 3.1 Repräsentanten der Militärverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 wa-na-ka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 ra-wa-ke-ta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 me-nu-wa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.4 e-qe-ta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Truppenkörper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Ausrüstung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Der Vergleich mit den pylischen Verhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

103 103 103 105 109 121 124 124 126 135 135 138 142 143 144 145 150 152 153 157 164 174 174 186 188 200 201 208 210 218 225 228 246 247 247 247 249 250 257 259 268

Inhalt

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4. Der geographische Aspekt: Lokale Herkunft und räumliche Verteilung des pylischen Heeres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Die Hauptquartiere der o-ka-Truppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Die Einsatzorte der o-ka-Truppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Die zahlenmäßige Verteilung der o-ka-Truppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Die Herkunftsorte der o-ka-Truppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Herkunfts- und Einsatzorte der e-qe-ta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6 Das Konzept der Landesverteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7 Die Rekrutierungsgebiete der Flotte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

270 270 276 280 281 285 285 291 291

Schlußbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Militärische Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Formen des Militärs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bewaffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Wirtschaftliche Rolle von Truppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Aufrechterhaltung der militärischen Infrastruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Landesverteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

293 293 294 298 300 301 301

Anhang I: Das hethitische Militär: Struktur und Organisation (Michaela Zinko) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Militärische Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Militärische Führungsposition: Der hethitische König . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Hierarchie der Offiziere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Das hethitische Heer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Fußtruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Wagenkämpfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Reiterei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 Flotte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.5 Zusammensetzung des Heeres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Ausstattung und Waffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Bekleidung und Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Angriffswaffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Streitwagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Infrastruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1 Organisation und Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2 Training . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.3 Übergiffe und Plünderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.4 Verankerung in Religion und Ritus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Truppenstandorte und Grenzschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.1 Grenzsiedlungen und Garnisonsfestungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.2 Grenzgebiet im Südosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.3 Grenzgebiet im Westen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7 Schlußbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

303 303 306 306 310 310 310 311 313 313 314 316 316 318 319 320 320 320 321 323 324 324 326 327 327

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Inhalt

Anhang II: Mykenische und hethitische Militärorganisation: Ein Vergleich (Michaela Zinko und Klaus Tausend) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Militärsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Hierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Truppengattungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Standorte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ausrüstung und Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Rekrutierung und Mobilmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Militär und Kult . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

331 331 332 333 334 335 335 336

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachen und Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geographica . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mykenische Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

357 357 360 361

Einleitung Seit den 50er Jahren des 20. Jh. beschäftigt sich – neben der Sprachwissenschaft – auch die althistorische Forschung mit der schriftlichen Hinterlassenschaft der mykenischen Zeit, den Linear B-Texten. Von Anfang an stand hierbei der methodische Ansatz im Vordergrund, die Aussagen der Texte in Relation zur (weitaus umfangreicheren) archäologischen Evidenz zu interpretieren. Eine weitere Vorgehensweise bestand – zumindest für einige Zeit – darin, die mykenischen Texte im Lichte der mehr als 500 Jahre jüngeren homerischen Epen zu deuten. Um diese ihrem Charakter nach unterschiedlichen Quellengattungen fruchtbar machen zu können, ist der methodische Irrweg zu vermeiden, Lücken in den Aussagen der mykenischen Urkunden unter kritikloser Heranziehung von Evidenz, die aus den oben erwähnten Quellen bezogen wurde, schließen zu wollen. In Erkenntnis dessen wurde der Wert Homers, der in der früheren Forschung nachgerade als Primärquelle angesehen wurde, infolge des zeitlichen Abstands von rund einem halben Jahrtausend zwischen dem Ende der mykenischen Welt und der Abfassung der Epen schon vor längerem deutlich relativiert. Ein Vergleich archäologischer und schriftlicher Quellen mykenischer Provenienz ist zweckdienlich, sofern man nicht versucht ist, ein Linear B-Lexem vorschnell in Fundobjekten oder Kunstwerken ›wiederzuerkennen‹ (bzw. vice versa), und dadurch in Zirkelschlüsse und Fehlinterpretationen zu geraten. Auf methodisch etwas zuverlässigerem Terrain bewegt sich die Forschung, wenn sie sich – wie es heute auch meist geschieht – der Vergleichsmöglichkeiten bedient, wie sie die schriftlichen Zeugnisse anderer spätbronzezeitlicher Kulturen des östlichen Mittelmeerraumes bieten, also Aussagen vergleicht, die zwar örtlich voneinander getrennt sind, jedoch zur gleichen Zeit und meist unter ähnlichen historischen Rahmenbedingungen entstanden sind. Freilich besteht auch hierbei die wesentliche Einschränkung, daß nicht auf allen Themenfeldern ein solcher Vergleich sinnvoll oder auch nur möglich ist. Die Beschäftigung mit Linear B-Texten seitens der althistorischen Forschung zeigt nun gewisse Konzentrationen in zweierlei Hinsicht. Zum einen betrifft dies die Form der wissenschaftlichen Publikationen. Anders als etwa bei den sprachwissenschaftlichen Arbeiten zum mykenischen Griechisch, existiert an historischen Studien auf Grundlage von Linear B-Texten mittlerweile zwar eine große Fülle von Einzeluntersuchungen in Aufsatzform, jedoch relativ wenige Monographien. Zum anderen konzentrierten sich die Arbeiten auf eine sehr begrenzte Anzahl von historischen Themengebieten. Von diesen ist an erster Stelle die Erforschung der mykenischen Verwaltung zu nennen, gefolgt von jener der Wirtschaft und Gesellschaft der mykenischen Paläste. Für beide Themenfelder gilt, daß diese Konzentration primär durch den Inhalt und den Charakter der Linear B-Texte selbst bedingt ist. Des Weiteren fanden in der historischen Betrachtung dieser Quellen vor allem prosopographi-

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Einleitung

sche, topographische sowie auch religions- und kultgeschichtliche Themen vermehrt Beachtung. Weitaus weniger standen bislang militärhistorische Fragestellungen bei der Beschäftigung mit Linear B-Texten im Zentrum der Forschung. Zwar existieren durchaus Einzeluntersuchungen das mykenische Militärwesen betreffend, doch stehen bei diesen ganz deutlich die archäologischen Quellen im Vordergrund. In erster Linie ist hier natürlich die Behandlung der fortifikatorischen Anlagen, vor allem der großen Burgen, zu nennen, doch existieren auch zahlreiche Abhandlungen zu den bildlichen Darstellungen (Fresken, Glyptik, Abbildungen auf Metallgegenständen etc.) der mykenischen Zeit. Bei all diesen Arbeiten findet sich jedoch kaum eine Fokussierung auf die spätmykenische Zeit, viel eher bilden Forschungen zur frühmykenischen Epoche einen gewissen Schwerpunkt. Vor allem – und das ist in diesem Zusammenhang von Gewicht – nehmen Untersuchungen zum militärgeschichtlichen Inhalt von Linear B-Texten einen vergleichsweise geringen Raum ein. Bestenfalls bilden Fragen der Militärhistorie einen Anhang oder kleinen Teil von Werken, die andere Themen wie Verwaltung, Staatsaufbau, Abgabenwesen oder Wirtschaft zum eigentlichen Inhalt haben. Innerhalb dieser wenig befriedigenden Forschungslandschaft stellt unter den zum Thema einschlägigen Schriftquellen die Serie der spätmykenischen o-ka-Texte, deren Inhalt fast ausschließlich militärische Angelegenheiten betrifft, eine Ausnahme dar, die seit Jahrzehnten Aufsätze mit einer breiten Palette variierender Ergebnissen angeregt hat. Da diese Textgruppe jedoch als gleichsam erratischer Block betrachtet wird, der somit unabhängig vom rein militärischen Inhalt als selbständige Entität zu würdigen sei, fehlt nach wie vor die Zusammenschau mit der quantitativ weit größeren Masse der übrigen, zu militärischen Fragen heranzuziehenden Linear B-Texte. Dieses Defizit zu schließen wird daher vorrangiges Anliegen dieser Arbeit sein. Die bei Weitem umfangreichste Behandlung des Themas ›Mykenisches Militärwesen‹ liegt in einem Kongreßband vor, der unter dem Titel POLEMOS von Robert Laffineur herausgegeben wurde und dessen einzelne Beiträge zum einen sowohl archäologische als auch historische Studien beinhalten, zum anderen aber zeitlich die gesamte ägäische Bronzezeit (einschließlich des minoischen Kreta) umfassen. Trotz dieser breit angelegten Themenlage beinhaltet POLEMOS auch die größte Zusammenstellung von Untersuchungen, die sich auf der Quellenbasis von Linear B-Texten mit militärhistorischen Themen beschäftigen. Freilich kann auch diese Publikation nicht beanspruchen, eine Gesamtdarstellung des mykenischen oder auch nur des spätmykenischen Militärwesens zu sein. Die hier vorliegende Arbeit stellt nun den Versuch dar, die angesprochene Lücke zumindest teilweise zu schließen. Wenn von ›teilweise‹ gesprochen wird, so bedeutet dies, daß sich die Untersuchung zeitlich auf die spätmykenische Zeit, genauer gesagt auf das 13. Jh. v.Chr. beschränkt und geographisch vor allem das Reich von Pylos behandelt. Beides ist dem Umstand geschuldet, daß im Zentrum der Untersuchung Linear B-Texte militärischen Inhalts stehen und solche Zeugnisse eben nur für die ausgehende mykenische Palastzeit zur Verfügung stehen. Die Konzentration auf die Texte aus dem Palastarchiv von Pylos erklärt sich aus der Tatsache, daß diese Texte ungleich mehr Informationen zum Thema ›Militär‹ zu bieten in der Lage sind als die Linear B-Tafeln aus Knossos oder gar jene aus Mykene oder Theben.

Einleitung

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Bezüglich der Quellen erhebt die Arbeit den Anspruch, Vollständigkeit angestrebt zu haben, auch wenn sie diesem vielleicht nicht immer gerecht werden konnte. Dies bedeutet, daß alle Linear B-Texte, die irgendeinen Bezug – gleich welchen – zum Militärwesen aufweisen, in die Untersuchung einbezogen wurden und nicht nur die oft behandelten o-kaTafeln. Dies gilt ebenso für Texte, die eigentlich andere Themen im Focus haben und daher nur am Rande militärische Belange tangieren, wie auch für solche Zeugnisse, deren militärischer Inhalt keineswegs feststeht und von Teilen der Forschung sogar explizit bestritten wird. Die meisten dieser Texte erfuhren zwar ebenfalls eine Würdigung seitens der Forschung, doch standen hierbei militärhistorische Fragestellungen nur selten im Zentrum des Interesses. Für die vorliegende Untersuchung bedeutet dies, daß sie sich zwar in erheblichem Maß auf bereits geleistete Forschungen und deren Ergebnisse stützt, sich aber im Fall der nicht primär militärische Belange beinhaltenden Texte bemüht, die vorhandenen Bezüge zum Heereswesen herauszuarbeiten und in einen größeren Rahmen zu stellen. Im Fall von Texten jedoch, deren Inhalt deutlich das (pylische) Militär betrifft, wie die o-ka Tafeln, die auch – wie schon gesagt – des öfteren in der Forschung betrachtet wurden, wurde versucht, zum einen neue Aspekte zu berücksichtigen, zum anderen aber auch eine andere Sicht auf diese Tafeln zu eröffnen und letztlich zu neuen Ergebnissen zu gelangen. Letztere betreffen vor allem eines der ureigensten Gebiete der militärhistorischen Forschung, das Konzept der Landesverteidigung und deren organisatorische Grundlagen, woraus wiederum Rückschlüsse auf historische Szenarien gezogen werden können. Daraus ergibt sich das zugegebenermaßen hochgesteckte Ziel der vorliegenden Arbeit: Eine möglichst umfassende Darstellung des spätmykenischen Militärwesens am Beispiel des Reiches von Pylos in all seinen Aspekten, soweit die Linear B-Texte dies erlauben. Dieser bereits oben angesprochenen durch den Charakter der Linear B-Texte bedingten Einschränkung soll nun – zumindest teilweise – dadurch begegnet werden, daß diese Darstellung – in gewisser Weise dem richtungsweisenden Ansatz von POLEMOS folgend – durch archäologische Beiträge ergänzt wird.1 Diese Beiträge wurden nun bewußt nicht vom Bearbeiter der Linear B-Texte verfaßt, sondern von Spezialisten auf ihrem jeweiligen Gebiet, um möglichst die schon angesprochene methodische Falle zu vermeiden, Zeugnisse unterschiedlicher Quellengattungen in voller Kenntnis der anderen zu interpretieren. In einem zusammenfassenden Überblick wurden daher von Andreas Konecny die Funde von Waffen und Rüstungen der spätmykenischen Zeit nach letztem Stand der Forschung präsentiert und kommentiert. Fritz Blakolmer hat es unternommen, die bildlichen Darstellungen von Waffen, Kriegern und vor allem auch von Kampfszenen der spätmykenischen Zeit zusammenzustellen und zu bearbeiten. Dadurch, daß drei Fachleute getrennt voneinander die Bearbeitung von drei verschiedenen Quellengattungen zu ein und demselben Thema durchgeführt haben, kommt es zuweilen zu unterschiedlichen Meinungen bezüglich einzelner Fragen und Themenbereiche innerhalb des Gesamtgegenstandes. Eine Synopsis dieser Untersuchungen wurde von den Autoren bewusst nicht geboten, da dem Leser die eigenständige Einsicht in die den Quellengattungen und ihren Methoden ge1

Auf das Thema ›fortifikatorische Bauten‹ als Teil der Militärgeschichte wird lediglich am Rande eingegangen, da solche aus mykenischer Zeit in Messenien nur sehr selten feststellbar sind.

16

Einleitung

schuldeten, differierenden Sichtweisen anheimgestellt bleiben soll. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, eine möglichst erschöpfende Darstellung des mykenischen Militärwesens unter Heranziehung aller einschlägigen Linear B-Texte zu bieten, die bis dato fehlt. Um auch den Gesichtspunkt des historischen Vergleichs zu Wort kommen zu lassen, findet sich am Ende der Abhandlung ein von Michaela Zinko verfaßter Anhang über das hethitische Militärwesen des 14. und 13. Jh. Dieser soll nun keine (kurzgefaßte) hethitische Militärgeschichte sein – solche existieren bereits –, sondern vielmehr jene Themen und Bereiche der hethitischen Militärorganisation behandeln, für deren mykenisches Pendant Linear B-Texte vorhanden sind. Der dadurch mögliche Vergleich zweier spätbronzezeitlicher Militärorganisationen verfolgt allerdings nicht den Zweck, etwaige Informationsdefizite in den mykenischen Texten durch Zeugnisse hethitischer Provenienz auszugleichen, um auf diese Weise zu einer lückenlosen (spät)mykenischen Militärgeschichte zu gelangen. Vielmehr sollen durch einen solchen Vergleich Gemeinsamkeiten aber auch Unterschiede im Heereswesen dieser beiden spätbronzezeitlichen Kulturen deutlich gemacht werden, mit dem Ziel, Einflüsse und Austausch auf diesem speziellen Gebiet der Kulturgeschichte dieser beiden Zivilisationen, deren Kontakte auf anderen Sektoren, wie z.B. Handel, Kult bzw. Religion oder Diplomatie, ja unbestreitbar sind, sichtbarer zu machen. Das hethitische Militärwesen bietet sich als Vergleichsobjekt auch deshalb besonders an, da die Hethiter als einziges spätbronzezeitliches Reich mit Sicherheit auch Kontakte auf militärischem Gebiet zu Mykenern (Ahhijawa) hatten, während etwa die Berührungen von Mykenern zu Ägypten sich vor allem auf den Handel und (vielleicht) auf diplomatische Beziehungen beschränkten und militärische Kontakte nicht nachweisbar sind. ✴ Die Gestaltung der Linear B-Texte folgt der Ausgabe von Emmett L. Bennett und JeanPierre Olivier (The Pylos Tablets Transcribed, Rom 1973).

Teil I

Grundlagen des spätmykenischen Militärwesens

1. Spätmykenische Bewaffnung im archäologischen Befund (Andreas Konecny) Fragen zur minoischen und mykenischen Kriegsführung sind während der letzten Dekaden intensiv diskutiert worden. In erster Linie sind in diesem Zusammenhang die drei von Hans Georg Buchholz herausgegebenen Bände der Archaeologia Homerica zum Thema,1 Otto Höckmanns ergänzender Artikel in RGZM,2 dazu auch Paola CassolaGuidas und M. Zucconi Galli Fonseccas Bücher zur mykenischen Bewaffnung als Referenzwerke anzuführen,3 daneben auch die große, zweibändige Publikation des Aegaeum Symposions in Liège4 und Veröffentlichungen zu Spezialthemen wie z.B. dem Einsatz von Pferd und Wagen durch Joost H. Crouwel und Mary A. Littauer, und die Materialsammlungen von Robert A. J. Avila, Otto Höckmann, Irma KilianDirlmeier und Thanasis J. Papadopoulos.5 Im populärwissenschaftlichen Genre hat Nicolas Grguric eine allgemein verständliche Übersicht vorgelegt.6 Angesichts dieser umfassenden Veröffentlichungen und auch der immensen Komplexität des Themas will das folgende Kapitel keinen Anspruch erheben, mehr darzustellen als nur einen kurzen Überblick darüber, was dem Realienbefund zur Bewaffnung der Krieger der mykenischen Palastzeit zu entnehmen ist, und zu welchen Schlüssen betreffend der Einsatztaktik das Material berechtigt.7

1 2 3 4 5

6 7

Buchholz, Kriegswesen I–III. Höckmann, Lanze und Speer. Cassola-Guida, Armi difensive; Cassola-Guida, Zucconi Galli Fonsecca, Armi dei Micenei. Laffineur, Polemos. Crouwel, Chariots in Bronze Age Greece; Littauer, Crouwel, Wheeled Vehicles; Littauer, Crouwel, Chariots; Littauer, Military Use of the Chariot; Avila, Lanzen- und Pfeilspitzen; Höckmann, Lanze und Speer; Kilian-Dirlmeier, Schwerter; Papadopoulos, Daggers. Grguric, Mycenaeans. Hier sei auch auf die kurz gefasste, doch äußerst nützliche Zusammenschau bei Grguric, Mycenaeans verwiesen.

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I. Grundlagen des spätmykenischen Militärwesens

1.1 Angriffswaffen 1.1.1 Lanzen und Speere Spitzen von Lanzen und Speeren – eine Unterscheidung ist am erhaltenen Befund nicht immer leicht zu treffen – bilden im archäologischen Material zu mykenischen Waffen eine Fundgruppe von immenser Wichtigkeit. Ursprünglich leiten sich die vorkommenden Formen von mittelbronzezeitlichen levantinischen Waffen ab, die auf Kreta adaptiert und weiterentwickelt wurden. Von dort fanden sie schnell ihren Weg auf das Festland.8 Bronzene Lanzen- und Speerspitzen sind ab der Schachtgräberzeit weit verbreitete Grabbeigaben, woran sich bis ans Ende der mykenischen Palastzeit nichts ändert. Aus einem Typ der Schachtgräberzeit (Lanzenspitze C, Abb. 1) leitet sich eine Gruppe langer, schwerer Lanzenspitzen her, die bis SH IIIA Verwendung fand (Abb. 1D, F, G).9 Sie saßen an der Spitze von beträchtlich übermannshohen (bis zu 3m langen), beidhändig geführten Stoßlanzen. Darstellungen auf dem ›Kriegerkrater‹ aus Schachtgrab IV in Mykene10 und auf dem Löwenjagddolch aus Mykene – beides schachtgräberzeitliche Objekte – zeigen, wie die Waffe geführt wurde. Eine besonders raffinierte Ausformung ist die bajonettförmige Lanzenspitze (Höckmann Typ H; vgl. Abb. 1).11 Die Geometrie dieser Spitze mit schmalem Blatt und hoher, solider Mittelrippe erleichterte das Eindringen auch in widerstandsfähige Ziele (wie Panzer aus Blech oder anderen Materialien).12 Der gleitende Übergang der Schneiden in die Tülle vermied es, dass sich die Waffe im Opfer oder in dessen Panzer verhakte, sodass sie relativ leicht wiederzugewinnen war. Neben diesen Spezialtypen begegnen auch kleinere und leichtere Spitzen in beträchtlicher Anzahl, die oft die Formen ihrer großen Vorbilder aufnehmen (vgl. Abb. 1E, G, kurze Ausformungen). Die Waffen, die von ihnen repräsentiert werden, müssen um einiges kürzer und leichter gewesen sein als die Stoßlanzen und wurden mit Sicherheit einhändig geführt. Die lange Lanzenspitze und damit auch die lange Stoßlanze gerät in SH/SM IIIB beinahe vollständig außer Gebrauch. Im Befund begegnen nur mehr wenige Langspitzen. Die Speerspitzen, die den Befund nun dominieren, sind 20cm oder kürzer und zeigen, dass der kurze Speer die hauptsächlich verwendete geschäftete Waffe der mykenischen Palastzeit war.13 Die Spitzen sitzen durchgehend an einer teils sehr langen Tülle, die eine sichere, feste Verbindung mit dem Schaft herstellte. Typisch für den ägäischen Raum ist die Schlitztülle, die sich etwas aufweiten konnte, wenn der zugespitzte Schaft in sie hinein gerammt wurde und damit fester auf dem Schaft saß. In vielen Fällen wurde der Sitz des Lanzen- oder Speerschaftes mittels eines an der Basis der Tülle aufgeschrumpften Rings weiter verbessert. 8 9 10 11 12

13

Höckmann, Lanze 18f. Höckmann, Lanze Abb. 2, 4, 5, 7–9, 11–13. Vgl. den Beitrag von Fritz Blakolmer in diesem Band, Abb. 10. Höckmann, Lanze 55–64. Zu den physikalischen Aspekten des Durchschlagens von Panzerungen und anderen Schutzwaffen vgl. Blythe, Greek Armour, passim; Matthew, Storm of Spears 130–145. Eine beidhändig geführte Waffe von der Massivität dieser schweren Lanze besaß zweifellos das Potenzial, auch in harte Ziele einzudringen. Höckmann, Lanze und Speer 281; Höckmann, Lanze 62, 104–109; vgl. dazu auch das Fresko aus Pylos, dazu den Beitrag von Fritz Blakolmer in diesem Band.

1. Spätmykenische Bewaffnung im archäologischen Befund

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Abb. 1: Mykenische Lanzenspitzen, Typen C–K (Umzeichnung A. Konecny nach Vorlage Höckmann, Lanze und Speer, Abb. 2, 4, 5, 7, 9–11, 14, 15). Eine zusätzliche Fixierung konnte die Speerspitze durch einen Splint erfahren, der durch Bohrungen in der Tülle quer durch den Schaft geführt wurde. Ein weiterer Langwaffentyp zeichnet sich in einer Gruppe von besonders kleinen Spitzen ab, die teilweise Tüllenschäftung, teils Zungen- oder Dornschäftung aufweisen (vgl. Abb. 1I, K).14 Sie sind aufgrund der geringen Dimensionen wohl als Spitzen von Wurfspee-

14

Höckmann, Lanze 125–128.

20

I. Grundlagen des spätmykenischen Militärwesens

ren anzusehen. Otto Höckmann postuliert anhand eines aus dem Kuppelgrab von Vaphio stammenden Befunds und eines Siegels aus Tragana eine weitere Waffe, einen Kurzspeer, der im Nahkampf auf kürzeste Distanz auf den Gegner geschleudert und dann sofort am Schaftende gefasst und wieder zurückgezogen werden konnte.15 Im Material von SH III begegnet allerdings keine Evidenz, welche auf die weitere Verwendung dieses Waffentyps hinweisen könnte. Die Wirkung der Waffen ist leicht vorstellbar. Penetrationsverletzungen der Extremitäten, des Körpers und des Gesichtsschädels führten schnell zu dauernder Kampfunfähigkeit. Der Blutverlust aus solchen Verletzungen muss in vielen Fällen binnen kurzer Zeit tödlich gewesen sein. Auch wenn das nicht der Fall war, führten die unvermeidlichen Wundinfektionen zu einer hohen sekundären Mortalitätsrate. Die Lanze ist a priori nicht die Waffe des Einzelkämpfers, da mit ihr besonders in der langen, beidhändig geführten Version Richtungsänderungen nur relativ langsam und unbeholfen durchzuführen sind. Am wirksamsten kommt sie in dicht stehenden Formationen zum Einsatz, aus denen heraus der Lanzenträger seine Waffe frontal nach vorne zur Wirkung bringt.16 Das aus SM I stammende, mit der mykenischen Schachtgräberzeit gleichzeitige Miniaturfresko aus Thera zeigt eine Formation von Lanzenkriegern in Marschformation. Die hohen, am Telamon über der Schulter getragenen Turmschilde dieser Männer sind als Schutzwaffe ganz besonders für eine derartige, entfernt an die Phalanx der klassischen Epoche gemahnende Gefechtsformation geeignet. Der Löwenjagddolch und die Darstellung auf dem ›Kriegerkrater‹ zeigen, dass die Waffe beidhändig in Schulterhöhe geführt wurde. In SH IIIB gerät die lange Stoßlanze offenbar außer Gebrauch. Die dann gebräuchlichen, kleineren und leichteren Spitzen indizieren den Einsatz kürzerer, einhändig geführter Speere/Lanzen, wie dies auch den Darstellungen der mykenischen Palastzeit zu entnehmen ist, und wohl auch von Wurfspeeren.17 Es muss unbekannt bleiben, ob und inwieweit die Gefechtsformation, in der diese Speerträger zum Einsatz kamen, lockerer war als die Lanznerformation der Schachtgräberzeit. 1.1.2 Schwerter Wie die Lanze hat auch das Schwert seinen Ursprung im mittelbronzezeitlichen Arsenal. Ursprünglich aus der Levante kommend, findet es seinen Weg über Kreta auf das mittelhelladische Festland und wird dort schnell als äußerst wirksame, tödliche Waffe des Nahkampfs und als Statussymbol erster Ordnung adaptiert.18 Die Waffen der Schachtgräberzeit, die Typen A und B, sind aufgrund ihrer Klingengeometrie, der hohen, die Klinge versteifenden Mittelrippe und der Befestigung des Heftes als reine Stichwaffen in der Art eines Rapiers anzusprechen (vgl. dazu und zum Folgenden Abb. 2).19 Gleiches gilt für das ab 15 16 17 18 19

Höckmann, Lanze und Speer 287f.; Höckmann, Lanze. Grguric, Mycenaeans 14f.; vgl. die frontale Formation der klassischen Phalanx: Anderson, Military Theory; Hanson, Infantry Battle; Krentz, Marathon; Matthew, Storm of Spears. Vgl. den Beitrag von Fritz Blakolmer in diesem Band und Grguric, Mycenaeans 15f. Sandars, First Aegean Swords 18–22. Sandars, First Aegean Swords 18−21; Kilian-Dirlmeier, Schwerter 17−41.

1. Spätmykenische Bewaffnung im archäologischen Befund

21

Abb. 2: Mykenische Schwerter, Typen A–G (Umzeichnung A. Konecny nach Vorlage Sandars, First Aegean Swords, Taf. 17, 18; Sandars, Bronze Swords, Taf. 21, 23–26). SH II auftretende Schwert vom Typ C.20 In SH II setzt dann aber eine Entwicklung ein, die aus den langen, schmalen Waffen kürzere, breitere Schwerter mit soliden Griffbefestigungen macht, die auch zum Hieb einzusetzen sind. Der früheste Schwerttyp dieser Art ist das Schwert D1. Die Klinge wird breiter, der Schwerpunkt der Waffe verlagert sich etwas nach 20

Sandars, Bronze Swords 119–123; Cassola-Guida, Zucconi Galli Fonsecca, Armi dei Micenei 27−30.

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I. Grundlagen des spätmykenischen Militärwesens

vorne, eine Verbreiterung der Schulter dient als Parier. Allerdings weist die Waffe weiterhin eine hohe Mittelrippe auf, die das tiefe Eindringen beim Hieb erschwert haben muss.21 Das und die schlank zulaufende Spitze zeigen, dass dieses Schwert weiterhin wohl vorrangig im Stoß verwendet worden ist. Die Waffe läuft etwa bis SH IIIA2.22 Ab SH IIIA2 wandelt sie sich zum Typ D2 mit kreuzförmig verbreiterter Schulter als echter Parier und flacher Klinge, eine Hiebwaffe, die aufgrund der schlank gepfeilten Spitze weiterhin auch perfekt zum penetrierenden Stoß einsetzbar war.23 Dieses Schwert bleibt die gesamte mykenische Palastzeit hindurch in Verwendung. Schwerter vom Typ E wurden offensichtlich entwickelt, um dem Bedürfnis nach einfachen Hiebwaffen gerecht zu werden. Sie weisen kurze, breite, schwere Klingen ohne Parier auf. Die frühere Version, der in SH II aufkommende Typ E1, unterscheidet sich vom in SH III vorkommenden Typ E2 vor allem durch die Form des Hefts.24 Das Schwert vom Typ F vereint die Vorteile der Typen D und E.25 Eine relativ breite, flache Klinge prädestinierte die Waffe zum Hieb, die schlank zulaufende Spitze machte sie gleichzeitig auch zum Stich verwendbar und verschob ihren Schwerpunkt so weit hinter die Mitte, dass mit ihr zumindest einfache Fechtbewegungen möglich waren. Das T-förmige Heft gewährte der Schwerthand sicheren Griff. Die Waffe fand während des gesamten SH IIIB Verwendung. Schwert G weist an der Klingenschulter hornförmige Fortsätze auf, die als Parier die Schwerhand vor der abgleitenden gegnerischen Waffe schützten.26 Die schlankere Geometrie der flachen Klinge schiebt den Schwerpunkt weiter nach hinten als bei Typ F; die Waffe war zum Hieb ebenso einsetzbar wie zum Stich beim Fechten. Der Typ begegnet ab SH IIIA und läuft bis in SH IIIC durch. In ihrer möglichen Einsatzweise unterscheiden sich die beschriebenen Schwerter in betonter Weise voneinander. Die frühen minoisch-mykenischen Typen A und C waren eindeutig als Degen einzusetzen. Ihre Führung erforderte hohes Geschick, Beweglichkeit und intensives Training. Zum Hieb waren sie durch ihre Masseverteilung und die hohe Mittelrippe kaum einsetzbar und darüber hinaus bruchgefährdet. Dies änderte sich schon, unter Einschränkungen, mit Typ B, und dann besonders mit der Entwicklung von Typ D in SH II. Der frühe Typ D1 war noch primär als Degenwaffe konzipiert, die sekundär auch zum Hieb eingesetzt werden konnte. Typ D2 war für beides gleich gut geeignet. Die breite, normal auf die Klinge stehende Parier konnte auch einen kräftig geführten gegnerischen Schwerthieb, der an der eigenen Klinge abglitt, abfangen und schützte die Schwerthand vor schweren Verletzungen. Wollte das immanente Potenzial der Waffe genutzt werden, erforderte das allerdings weiterhin einen hohen Ausbildungsstand im Fechten.27 Die Entwick21 22 23 24 25 26 27

Sandars, Bronze Swords 123−127; Kilian-Dirlmeier, Schwerter 58−74, bes. 68 Abb. 17; Peatfield, Paradox of violence 70f. Zucconi Galli Fonsecca, Armi dei Micenei 28f. Sandars, Bronze Swords 130−132; Kilian-Dirlmeier, Schwerter, 58−74, bes. 69 Abb. 18; Peatfield, Paradox of violence 70. Zucconi Galli Fonsecca, Armi dei Micenei 29; Sandars, Bronze Swords 132f. Zucconi Galli Fonsecca, Armi dei Micenei 29f.; Sandars, Bronze Swords 133−139. Zucconi Galli Fonsecca, Armi dei Micenei 30. Peatfield, Paradox of violence 70.

1. Spätmykenische Bewaffnung im archäologischen Befund

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lung setzt sich in den Typen F und G fort. Besonders letzterer darf als elaborate, dadurch kostbare und deshalb prestigebeladene Waffe gewertet werden, die ihrem Träger zum Schutz und Schmuck gereichte. Typ E hingegen ist eine einfache Hiebwaffe, zu deren Verwendung kein besonderes Training erforderlich war. Schwerter der Typen D bis G sind die typischen Waffen der mykenischen Palastzeit, obwohl im Befund immer wieder auch die Typen B und C als Nachläufer begegnen. Eine Standardisierung lässt sich im Schwerterbestand demnach nicht ausmachen. In der Verwendung verschiedener Waffentypen schlagen sich wohl zum einen der soziale Stand der Besitzer, zum anderen aber auch ganz deutlich deren persönliche Präferenzen in der Wahl des Typs und daraus folgend in der bevorzugten Einsatzweise nieder. Mykenische Schwerter verursachten zum einen Penetrationsverletzungen, zum andern tiefe, klaffende Hiebschnittwunden, die, wenn Extremitäten betroffen waren, in vielen Fällen in traumatische Amputationen gemündet haben müssen. Die Mehrzahl dieser Verwundungen machte den Getroffenen sofort kampfunfähig. Wenn die Penetration lebenswichtige Organe oder große Blutgefäße traf, war sie ebenso in kürzester Zeit letal wie tiefer reichende Hiebverletzungen am Kranum. Amputationen werden in vielen Fällen binnen kurzer Zeit zum Tod durch Verbluten geführt haben. Die Waffen waren in erschreckender Weise effizient. Schwerter sind Waffen des Nahkampfes. Zur effizienten Führung benötigt ihr Anwender Raum, um zum Hieb ausholen und gegnerische Angriffe parieren zu können. Optimal anwendbar sind sie im Einzelkampf oder in einer aufgelockerten Formation, die dem Kämpfer die notwendige Beweglichkeit ermöglicht. Die Häufigkeit, in der das Schwert im mittel- und späthelladischen Befund begegnet, zeigt, abgesehen von der Prestigefunktion der Waffe, dass das Schwert ein wichtiger Bestandteil der Hauptbewaffnung mykenischer Kombattanten war. Die Gefechtsformation der Schwertkämpfer muss, um einen angemessen Einsatz der Waffe zu gewährleisten, eine offene gewesen sein, in welcher die Fechtkunst der Krieger zur Geltung kommen konnte. In die dichte frühmykenische Lanznerformation waren solche Einzelkämpfer nicht zu integrieren. Da unbekannt ist, ob die palastzeitlichen Speerträger weiterhin in einer soliden, phalanxartigen Formation agierten oder in einer stärker aufgelockerten Aufstellung, lässt sich nicht entscheiden, ob die spätmykenischen Schwertträger in diese Truppe integriert waren,28 oder ob sie in separaten Einheiten zum Einsatz kamen.29

28 29

Wie das Fresko aus Pylos indizieren würde, vgl. den Beitrag von Fritz Blakolmer in diesem Band. Grguric, Mycenaeans 25−29, postuliert eine Gattung leichter, mit dem Schwert bewaffneter Infanterie als organischer Bestandteil mykenischer Armeen. Sie hätte die schweren Lanzenformationen in einer Art von Schwärmertaktik unterstützt und augmentiert und eine wichtige Rolle im Gefecht im Bergland gespielt. Fraglich erscheint, abgesehen davon, dass die dünne Evidenz derartige, durchaus logisch erscheinende Schlüsse nur sehr bedingt stützt, ob die Gliederung mykenischer Armeen tatsächlich so schematisiert gewesen ist, oder ob nicht je nach Aufgabenstellung, Feind und Meinung bzw. Laune der Kommandierenden aus dem vorhandenen Pool an Spezialisten Truppen in der gerade erforderlichen Gliederung und Zusammensetzung aufgestellt worden sind.

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I. Grundlagen des spätmykenischen Militärwesens

1.1.3 Pfeil und Bogen Der Bogen als Fernwaffe gehörte selbstverständlich zum Arsenal mykenischer Kriegführung. Das wird durch Darstellungen auf dem ›Kriegerkrater‹, auf dem Siege-Rhyton und auf Siegelringen und Siegeln ebenso belegt wie durch Funde.30 Funde von Ziegenhörnern in einem in Mallia freigelegten Kontext könnten, wenn sie tatsächlich von einer Bognerwerkstatt stammen, indizieren, dass aus Holz, Horn und Sehnen verleimte, leistungsfähige Kompositbogen in den Arsenalen der ägäischen Bronzezeit vorkamen.31 Da Bogen jedoch aus organischem Material bestanden, haben sie sich im griechischen Boden nicht erhalten. Auf dem ›Kriegerkrater‹ lässt sich die Form des Bogens gut ablesen. Die Waffe ist relativ klein, besitzt ein verstärktes Griffstück und ist doppelt gekrümmt. Es handelt sich um einen Reflexbogen.32 Die Gegenkrümmung der Bogenendstücke auf dem Siege-Rhyton scheint zu indizieren, dass die dort dargestellten Bogenschützen ebenso mit Reflexbogen ausgerüstet sind. Der Bogen des fahrenden Jägers auf einem Siegel aus Schachtgrab IV im Gräberrund A von Mykene weist keine Gegenkrümmung auf. Die geringe Größe der Waffe indiziert aber, dass es sich bei ihr ebenfalls um einen Kompositbogen handelt.33 Die Darstellungen datieren alle in die Schachtgräberzeit,34 dürfen aber stellvertretend auch als Evidenz für das weitere Vorkommen solcher Waffen im hier behandelten Zeitraum gelten. Im Realienbefund ist die Waffe ausschließlich durch Pfeilspitzen und Objekte, die als Pfeilglätter angesprochen werden, fassbar.35 Verglichen mit Lanzen- und Speerspitzen ist die Menge an Pfeilspitzen aus palastzeitlichen Kontexten der ägäischen Bronzezeit allerdings relativ bescheiden, und in Befunden des SH IIIB begegnen sie nur in wenigen Fällen, z.B. im Palast von Theben in Gestalt von flachen bronzenen Spitzen mit langen Widerhaken.36 Jedoch erscheint die Vermutung legitim, dass der archäologische Befund die späthelladische Wirklichkeit nicht getreu wiedergibt. Die mykenische Gesellschaft war dezidiert elitär strukturiert und legte seit der Schachtgräberzeit eminenten Wert auf die kriegerische Befähigung ihrer führenden Mitglieder. Diese sahen, wie dem Gräberbefund zu entnehmen ist, Waffen des Nahkampfes wie Schwert und Lanze als primären Marker ihres Potenzials als Kämpfer an. Der Bogen als Fernwaffe war, im Vergleich zu Schwert und Lanze weniger elitär konnotiert,37 nicht die typische Waffe des mykenischen Adels, vielleicht auch einfach eine Alltagswaffe und deshalb nicht immer würdig, einem Adligen mit ins Grab gegeben zu werden.38 Aufgrund der Versatilität des Bogens und seines hohen Potentials in der Fern30 31 32 33 34 35 36 37

38

Vgl. den Beitrag von Fritz Blakolmer in diesem Band. Buchholz, Kriegswesen III 242 und Anm. 801; Archaeological Reports 1983/4, 62; TölleKastenbein, Pfeil und Bogen 12–18. Tölle-Kastenbein, Pfeil und Bogen 12–18. Grguric, Mycenaeans 20−23 differenziert in den Darstellungen zwischen Stabbogen, Kompositbogen und Reflexbogen. Zum Kompositbogen vgl. Tölle-Kastenbein, Pfeil und Bogen 12–18. Vgl. den Beitrag von Fritz Blakolmer in diesem Band. Buchholz, Kriegswesen III, 269–292. Aravantinos, Παραγναθίδια. Im Zeitalter der griechischen Klassik war der Bogen als heimtückische, für die Unterschicht oder verachtete Barbaren typische Waffe verschrien (Tölle-Kastenbein, Pfeil und Bogen 29–40). Vielleicht darf man für das Mykenische eine ähnliche pejorative Belegung dieser Fernwaffe annehmen. Jedoch zeigt die noch in MH III datierende Kriegerbestattung von Ägina, dass sich auch hochrangige Männer – die luxuriöse Ausfertigung des Schwerts in der Bestattung spricht eine deutliche

1. Spätmykenische Bewaffnung im archäologischen Befund

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wirkung muss jedoch davon ausgegangen werden, dass er, vielleicht vorrangig als Waffe des leicht bewaffneten, auf einer tieferen sozialen Stufe stehenden Plethos, durchaus verbreitet Einsatz im Gefecht gefunden hat. Die überlieferten Spitzen sind in ihrer Mehrzahl aus Feuerstein und Obsidian gefertigt, doch begegnen auch bronzene Spitzen. Die meisten, auch die steinernen, weisen Widerhaken auf.39 Die Waffenwirkung des Pfeils führte zu penetrativen Verletzungen. Läsionen der Muskulatur waren oft nicht primär tödlich, doch war in vielen Fällen eine sofortige Kampfunfähigkeit des Getroffenen erreicht. Hatte die Pfeilspitze ein größeres Blutgefäß geöffnet, konnte das zum schnellen Tod durch Verbluten führen. Die Geometrie der Spitzen, meist mit Widerhaken versehen, machte eine Entfernung der Waffe aus der Wunde extrem mühsam und schmerzvoll. In vielen Fällen war eine Exkavation der Spitze nicht ratsam. Der Pfeil musste durchgestoßen werden, bis seine Spitze auf der Gegenseite des getroffenen Körperteils wieder austrat. Es ist kaum anzunehmen, dass dies unter Gefechtsbedingungen durchführbar war, und auch abseits des Schlachtfelds muss alleine schon die notwendige Entfernung des Pfeils aus der Wunde die Mortalitätsrate unter den Verwundeten noch zusätzlich erhöht haben. 1.1.4 Schleudern Die Sphendone ist, gutes Training des Anwenders vorausgesetzt, eine Fernwaffe von hohem Potenzial.40 Mit ihr geschleuderte Geschosse konnten über eine Distanz von hundert oder mehr Metern traumatische Läsionen verursachen, die, obwohl in den seltensten Fällen penetrierend, doch mitunter zum Tod des Getroffenen führen konnten. Stumpfe Traumata waren zumindest schmerzhaft, Frakturen an den Extremitäten, am Thorax oder im Gesicht konnten Gefechtsuntauglichkeit bewirken, und Schädelfrakturen besaßen das Potenzial, den Getroffenen zu töten. Im archäologischen Befund schlägt sich die Schleuder jedoch kaum nieder. Aus Knossos stammen zwei Schleuderbleie aus einem in SM III datierenden Befund, aus Mykene stammen einige Ton- und Steingeschosse.41 Die Waffe selbst war aus organischem Material gefertigt, und Schleudergeschosse erschließen sich dem Ausgräber oft nicht von selbst. Doch scheint das Fehlen von als solche ansprechbaren Artefakten zu indizieren, dass für die Sphendone noch mehr das gilt, was für den Bogen gesagt wurde: Als Waffe des Plethos fand sie nicht Eingang in das kanonische Repertoire der Grabausstattung eines gehobenen Personenkreises. Wir besitzen von ihrem Einsatz alleine das Bild vom schachtgräberzeitlichen Siege-Rhyton.42 Doch wird wohl an38 39 40 41

42

Sprache von der eminenten gesellschaftlichen Position des Bestatteten – zumindest mitunter Pfeile und damit doch wohl auch einen Bogen ins Grab mitgeben ließen (Kilian-Dirlmeier, Ägina). Buchholz, Kriegswesen III 246f.; Grguric, Mycenaeans 22−24; Korfmann, Schleuder und Bogen 10−16. Buchholz, Schleuder; Korfmann, Schleuder und Bogen; Korfmann, Sling; Vutiropulos, Sling. Evans, Palace of Minos II 344f.; Buchholz, Kriegswesen III 230 und Anm. 724; Vutiropulos, Sling 283f.; Wace, Mycenae, 112. Zu Schleudergeschossen aus Zypern vgl. Aström, Nikolaou, Sling Bullets. Beispiele von Schleudergeschossen aus klassischer und hellenistischer Zeit u.a. bei Gebhard, Rehm, Schulze, Alexander der Große 225f. Siehe z.B. http://www.unc.edu/depts/classics/courses/clar244/MycSgRhyt.jpg (zuletzt aufgerufen am 27.08.2017).

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I. Grundlagen des spätmykenischen Militärwesens

zunehmen sein, dass auch diese wirksame Fernwaffe in der einen oder anderen Weise von den Truppen der mykenischen Palastzeit eingesetzt worden ist. 1.2 Schutzwaffen 1.2.1 Helme Seit dem Mittelhelladikum belegt ist die Verwendung des Eberzahnhelms (Abb. 3a).43 Auf eine Lederkappe wurden längs gespaltene Eberhauer aufgenäht, um die Kopfbedeckung zu härten. Das früheste erhaltene Exemplar aus dem Kriegergrab auf Ägina weist noch horizontal aufgelegte Eberzähne auf, die späteren Exemplare besaßen hingegen meist drei horizontal geführte Reihen senkrecht gestellter, dicht nebeneinander applizierter Hauer. Im archäologischen Befund finden sich mehrmals Konvolute der typischen, gespaltenen Eberzähne, ganze Helme fehlen aufgrund der Unbeständigkeit des organischen Trägermaterials. Die Gestalt des Helms erschließt sich jedoch eindeutig aus den vielen bekannten Darstellungen in Fresko, Glyptik und Kleinplastik. Im grabungsarchäologischen Befund sehr schlecht dokumentiert sind die Wangenklappen, die Bestandteil des Helms in vielen Darstellungen sind. Ihr organisches Trägermaterial ist ebenso vergangen wie die oft dargestellte Helmzier.44 Nur im Kammergrab bei Dendra, aus dem auch der weiter unten behandelte Körperpanzer stammt, wurden zwei in Bronzeblech getriebene Wangenklappen gefunden, die seitens des Ausgräbers eine Interpretation als Bestandteile eines im Befund noch durch 70 Eberzähne dokumentierten Helms erfahren. Interessanterweise waren die Zähne hier anders als in anderen Fällen nicht durchbohrt, was Fragen zu ihrer Anbringung auf der Helmkalotte aufwirft.45 Die Schutzwaffe war bis ans Ende der Palastzeit weit verbreitet46 und darf grosso modo als mykenischer Standardhelm angesehen werden. Daneben begegnen im archäologischen Befund des SH/SM III zwei aus Bronzeblech getriebene Helme. Einer von ihnen wurde aus einem in SM IIIA1 datierten Kriegergrab bei Knossos geborgen.47 Das zweite Exemplar stammt aus dem Antikenhandel und wird von Hans Georg Buchholz aufgrund seiner Form und des auffälligen Dekors ebenso der ägäischen Bronzezeit zugeschrieben.48 An beiden wurde das Blech in der Form von kegelförmigen Kappen ausgetrieben. Am konisch auslaufenden Scheitel konnte, in einem kleinen Blechknauf eingesetzt, die Helmzier befestigt werden. Der Helm aus Knossos besitzt gesondert gefertigte und am Helm befestigte Wangenklappen (Abb. 3b); das aus dem Handel stammende Exemplar lässt dieses Merkmal missen. Perforationen entlang der Helmkante und entlang der Kanten der Wangenklappen zeigen, dass die Schutzwaffen an der Innenseite mit organischem Material gefüttert waren. Das erhöhte den Tragekomfort, schütz43

44 45 46 47 48

Kilian-Dirlmeier, Ägina 35−40; zum Eberzahnhelm Buchholz, Kriegswesen III 192−198; Borchhardt, Helme 261−263; zu Darstellungen des Eberzahnhelms vgl. den Beitrag von Fritz Blakolmer in diesem Band. Buchholz, Kriegswesen III 195 Abb. 109.2, 211 Abb. 111 und den Beitrag von Fritz Blakolmer in diesem Band. Åström, Cuirass-Tomb I 13, 49f., mit der Vermutung, sie wären aufgeklebt gewesen, vgl. hier, Abb. 4. Buchholz, Kriegswesen III 193. Hood, de Jong, Warrior Graves 256−260. Buchholz, Kriegswesen III 135−212.

1. Spätmykenische Bewaffnung im archäologischen Befund

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Abb. 3: (a) Eberzahnhelm; (b) Bronzehelm aus einem Grab bei Knossos (Umzeichnung A. Konecny nach Vorlage Buchholz, Kriegswesen III Abb. 76, 67). te das Kranum vor direkter Berührung mit dem Blech, das in der Sonne unangenehm heiß werden konnte und diente als für den Träger potentiell überlebenswichtige Stoßdämpfung. Metallhelme sind im Befund in verschwindend geringer Stückzahl vertreten. Besonders aus SH/SM III ist kein Exemplar bekannt. Das indiziert, dass diese aufgrund ihres Materials teure Schutzwaffe weitaus weniger weit verbreitet war als der Eberzahnhelm. Andere Helmtypen, wie Zonenhelme und Kappenhelme, teils mit Appliken versehen, fehlen im ergrabenen Befund und begegnen alleine auf bildlichen Darstellungen der ägäischen Bronzezeit.49 Das berechtigt zur Annahme, sie seien aus organischen Materialien gefertigt gewesen, die durch die Bodenlagerung spurlos vergangen sind. 1.2.2 Schilde Schilde begegnen im mykenischen Material alleine auf Darstellungen.50 Fresken, Siegelringe, Metall- und Elfenbeinarbeiten zeigen hohe Turmschilde und Schilde in der Form einer 8, die beide aus organischen Materialien gefertigt waren und sich deshalb im Materialbefund nicht erhalten haben. Der 8-förmige Schild wird noch auf Fresken des SH IIIB2 dargestellt. Er scheint zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht mehr zur Ausrüstung der kämpfenden Truppe gehört zu haben, die auf kleinere, leichtere Schutzwaffen umgestellt hatte.51 Doch hat sich auch von letzteren nicht der geringste Rest im Befund erhalten.

49 50 51

Vgl. den Beitrag von Fritz Blakolmer in diesem Band. Borchhardt, Schilde; Vonhoff, Kampf und Krieg 71−78; vgl. auch den Beitrag von Fritz Blakolmer in diesem Band. Borchhardt, Schilde 11; Buchholz, Kriegswesen III 213f.; Grguric, Mycenaeans 16.

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I. Grundlagen des spätmykenischen Militärwesens

1.2.3 Panzer Zur Körperpanzerung ist die Evidenz im Artefaktbefund äußerst ausschnitthaft, dabei jedoch in hohem Maß instruktiv. Aus einem Kammergrab bei Dendra in der Argolis – in der Nekropole wurden wahrscheinlich die Herren des nahe gelegenen Sitzes von Midea bzw. von dessen Vorgängersiedlung bestattet – stammt eine vollständig erhaltene Bronzepanzerung (Abb. 4).52 Das Grab wird durch keramische Beigaben in SH IIIA1 datiert und steht somit am Übergang vom Frühmykenischen zur mykenischen Palastzeit. Der Panzer besteht aus zwei anatomisch geformten Halbschalen, welche die Brust und den Rücken des Trägers bedeckten. Der Hals wurde von einer hohen, aufgesetzten Halsberge geschützt. Zwei Schulterstücke waren beweglich, wohl mit Bronzedrähten, am Brustpanzer befestigt.53 Ihr mehrteiliger Aufbau bedeckte die Schulterpartie und den Oberarm in seinem oberen Drittel. Ihre vorne und hinten weit vor die Körpermitte gezogenen Bleche bildeten einen ausgezeichneten Schutz der Achselregion auch bei hoch angehobenem Arm. Der Unterbauch, das Skrotum, das Gesäß und die obere Partie der Oberschenkel waren von einer vorderen und einer hinteren Schürze bedeckt. Diese Schürzen bestanden aus jeweils drei halbrunden Blechreifen, die beweglich übereinander angeordnet und am unteren Rand des Brust- und des Rückenpanzers wiederum mit Riemen beweglich befestigt waren. Die vordere Schürze war, um die Beweglichkeit des Trägers nicht übermäßig einzuschränken, etwas kürzer als ihre rückwärtige Entsprechung. Zwei Unterarmschienen aus Bronzeblech und ein aus Resten erschließbarer Eberzahnhelm vervollständigen die Panhoplie von Dendra.54 Sämtliche Bestandteile des Panzers wurden in dünnem Bronzeblech ausgetrieben. Die Ränder des Blechs sind um einen Bronzedraht eingerollt, um keine scharfen Blechkanten anstehen zu lassen, an denen sich der Träger hätte aufscheuern und verletzen können. Perforationen entlang der Blechkanten belegen, dass die Panzerung an der Innenseite mit organischem Material ausgekleidet war. Damit wurde vermieden, dass das Blech die Haut des Trägers wundscheuerte. Auch schützte eine derartige Innenauskleidung vor direktem Kontakt mit dem von der Sonne unter Umständen auf physiologisch kritische Temperaturen erhitzten Bronzeblech. Die großflächige Abdeckung des Körpers durch die Panzerbleche sorgte für einen ausgezeichneten Schutz des Trägers vor feindlicher Waffenwirkung. Wenn auch das beträchtliche Gewicht der Panzerung die Mobilität ihres Trägers über längere Distanzen hinweg signifikant einschränken musste, ermöglichte doch die flexible Befestigung der Einzelteile aneinander eine angesichts ihrer unhandlichen Erscheinung erstaunlich versatile Beweglichkeit im Gefecht.55 Die durchdachte Gestaltung der Schutzwaffe und das hohe toreutische Geschick, das an ihr zur Anwendung kam, zeigen, dass es sich bei diesem Panzer um kein singuläres Erzeugnis handelte. Weitere komplette Exemplare sind nicht überliefert, doch begegnen Teile einer derartigen Schutzbewaffnung an mehreren Plätzen: Grab 8 in Dendra lieferte ein Schulterstück, und aus dem mykenischen Theben stammen zwei ähnliche Schulterstücke, zwei 52 53 54 55

Åström, Cuirass-Tomb I. Wardle, Dendra Suit. Åström, Cuirass-Tomb I 13. Wardle, Dendra Suit.

1. Spätmykenische Bewaffnung im archäologischen Befund

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Abb. 4: Panzer von Dendra und Rekonstruktion des Eberzahnhelms (Zeichnung A. Konecny). Brustplatten und zwei Armschienen aus einem Kontext, der in SH IIIA2 datiert wird.56 Von den notwendigen Vorstufen in seiner Entwicklung fehlt allerdings jegliche Spur. Auch wenn anzunehmen ist, dass die allermeisten derartigen Stücke schon in mykenischer Zeit eingeschmolzen wurden und von den wenigen Exemplaren, die in den Boden kamen, der Großteil während der inzwischen verstrichenen drei Jahrtausende durch Plünderung und Grabräuberei verloren gegangen ist, war eine derartige Schutzbewaffnung in keinem Fall weit verbreitet. Angesichts der materiellen und ikonographischen Überlieferung darf davon ausgegangen werden, dass der Dendra-Panzer nur von wenigen, im allerobersten Stratum der sozialen und militärischen Hierarchie der frühen Paläste angesiedelten Kriegern getragen wurde. Der durch den hohen Material- und Arbeitsaufwand bedingte Kostenfaktor sorgte wahrscheinlich gemeinsam mit der insgesamt trotz allen Bemühungen der mykenischen Plattner immer noch beträchtlichen Einschränkung der Mobilität ihrer Träger dafür, dass derartige Panzerungen nur in äußerst geringer Stückzahl gefertigt wurden. Der Nekropolenbefund aus Dendra ermöglicht auch einen zumindest indirekten Schluss auf die Einsatzweise des Mannes, der diesen Panzer trug. Aus dem Grabkontext durch einen illiziten Eingriff entfernt, doch ihm anscheinend zuzuordnen, sind zwei bronzene Schwerter, eines vom Typ C2, eine typische Stichwaffe, und eines vom Typ D2, eine zum 56

Midea: Åström, Cuirass-Tomb I 36 und Taf. 24.2; Persson, Tombs at Dendra 43, 119; Theben: Snodgrass, Early Greek Armour 98 Anm. 7; Illustrated London News, Dec. 5, 1964, 896f.

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I. Grundlagen des spätmykenischen Militärwesens

Stich wie zum Hieb einsetzbare Waffe.57 Lanzenspitze enthielt das Grab keine. Das indiziert, dass der Bestattete sich als Schwertkämpfer verstanden hat. Ein Lanzenkämpfer, der sinnvollerweise in einer geschlossenen Formation einzusetzen war, hätte auch nicht den elaborierten Rundumschutz benötigt, den der Panzer von Dendra seinem Träger bot. Der Dendrapanzer gibt einen Hinweis darauf, dass sich am Übergang zur mykenischen Palastzeit aus dem bislang ungeschützt agierenden Schwertkämpfer58 ein durch eine ausgefeilte Körperpanzerung geschützter Kämpfer mit ähnlicher Einsatzweise entwickelte. Die verschwindend geringe Präsenz derartiger Panzer im gesamten Befund indiziert allerdings, dass sich die erzielte Schutzwirkung nicht effektiv genug mit der für einen virtuosen Schwertkämpfer essenziellen Beweglichkeit im Einsatz in Einklang bringen ließ – was angesichts des Gewichts und der flächigen, die Bewegungen des Trägers trotz aller Geschicklichkeit des Plattners massiv beeinträchtigenden Körperbedeckung nicht zu überraschen vermag – und diese Art von Schutzbewaffnung deshalb noch in der frühen mykenischen Palastzeit wieder außer Verwendung geriet. Ersetzt wurde sie von anderen Typen, die sich im Materialbefund jedoch nicht und auch im ikonographischen Befund nur sehr schwer fassen lassen. Es ist davon auszugehen, dass sie zum größten Teil aus organischem Material – Leder oder Leinenlaminat – gefertigt waren.59 1.2.4 Beinschienen Beinschienen begegnen im archäologischen Befund erst nach dem Ende der mykenischen Palastzeit.60 Die einzige Ausnahme ist ein Paar aus Dendra, dessen Interpretation als Knemides jedoch umstritten ist.61 1.3 Wagen Eine der zentralen Fragen in der mykenischen Militärgeschichte ist die nach dem Einsatz des Wagens im Krieg der Wanakes. Im mykenischen Artefaktbefund sind Wagen nicht überliefert. Unser Wissen zur militärischen Verwendung dieser Geräte basiert deshalb darauf, was den Schrift- und Bilddokumenten der helladischen Spätbronzezeit zu entnehmen ist62 und daneben auf dem, was im Analogieschluss aus den besser dokumentierten Kulturräumen der Levante und vor allem Ägyptens abgeleitet werden kann. Die Unwägbarkeiten in der Interpretation dieser insgesamt sehr ambivalenten Zeugnisse haben zu einer lebhaften Diskussion geführt, die derzeit noch nicht abgeschlossen ist und in der es, ohne neue, aussagekräftige Befunde, auch nicht zu einer Entscheidung zwischen den verschiedenen Standpunkten kommen kann. Etwa im 18./17. Jh. v.Chr. taucht im vorderorientalischen Kulturbereich erstmals der von zwei Pferden gezogene, leichte, einachsige Streitwagen als neuartiges Waffensystem 57 58 59

60 61 62

Åström, Cuirass-Tomb I, 16, 18, Taf. VII. Vgl. Grguric, Mycenaeans 25−29. Vgl. Aldrete, Bartell, Aldrete, Linen Body Armor, passim, zur Fertigung und zur erstaunlichen Effektivität derartiger Textilpanzer der griechischen Klassik. Sie waren Metallpanzern in der Schutzwirkung ebenbürtig und im Tragekomfort eindeutig überlegen. Buchholz, Kriegswesen III 232. Åström, Cuirass-Tomb I 48f.; Grguric, Mycenaeans 20 mit einer Datierung in SH IIIB1. Vgl. dazu die Beiträge von Klaus Tausend und Fritz Blakolmer in diesem Band.

1. Spätmykenische Bewaffnung im archäologischen Befund

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auf. Wo genau dieses entwickelt worden ist, ob in den vorderasiatischen Steppengebieten oder doch eher im mesopotamisch-syrisch-ostkleinasiatischen Raum, in dem es erstmals für den Historiker fassbar wird, muss unklar bleiben.63 In diesen Gebieten, eingeschlossen auch Ägypten, dienten die Wagen als mobile Plattformen zum Einsatz von Fernwaffen. Am besten dokumentiert ist das für die ägyptische Wagenwaffe: Ein Fahrer lenkte den Wagen, ein neben ihm stehender Bogenschütze verschoss seine Pfeile auf opportune Ziele. Das Potential des Waffensystems ist evident. Wagen (der Einsatz erfolgte bald in Formationen von mehreren hundert) konnten sich einer feindlichen Formation mit hohem Tempo nähern, den Feind aus sicherer Distanz unter Beschuss nehmen und etwaigen Gegenangriffen flink ausweichen.64 Der Effekt derartiger rollender Angriffe auf eine Infanterieeinheit lässt sich, wenn sie für längere Zeit durchgeführt wurden, leicht vorstellen. Als am besten geeignete taktische Option zur Abwehr derartiger Abnützungsangriffe stellte sich bald der Einsatz eigener Wagentruppen heraus. Sie konnten einen angreifenden Wagenverband noch im Vorfeld abfangen und ihn mit der ihm eigenen Einsatztaktik bekämpfen. Der sich aus dieser Dialektik des Schlachtfelds ableitende Bedarf führte in den Flächenstaaten des spätbronzezeitlichen Vorderen Orients zur Aufstellung zahlenstarker, oft mehrere tausend Wagen umfassender Einheiten. Die Wagenkrieger – Marjanu – bildeten eine eigene, in der Hierarchie hoch eingeordnete soziale Gruppe aus.65 Das Prestige des Wagenkriegers war so hoch, dass sich der ägyptische Pharao seit der frühen 18. Dynastie in großen, prunkvollen Darstellungen als siegreicher Wagenkämpfer abbilden ließ.66 Für das mykenische Griechenland ist die Verwendung einachsiger, von Rossen gezogener Wagen seit der Schachtgräberzeit belegt.67 Der archäologische Befund liefert mit doppelten Pferdebestattungen in zwei Tumuli des späten MH in der Nekropole von Dendra und einer doppelten Pferdebestattung im Dromos des in SH II datierenden Kuppelgrabs bei Marathon eindrückliche Indizien dafür, dass derartige Streitwagen tatsächlich zum hoch geschätzten Besitztum mykenischer Herren gehörten.68 Von den Fahrzeugen selbst hat sich aufgrund ihrer Konstruktion ausschließlich aus vergänglichen Materialien im griechischen Boden keine Spur erhalten.69 Die Bestattung von Pferdepaaren als Grabbeigabe findet in SH III keine Fortsetzung. Als Zeugnisse für die weitere Verwendung des Wagens bis in SH IIIC sind wir deshalb beinahe 63

64

65 66 67 68 69

Gaebel, Cavalry Operations 35; Littauer, Crouwel, Wheeled Vehicles 68−71 sprechen sich mit nachvollziehbaren Argumenten für eine Entwicklung in den nahöstlichen Kulturländern aus. Vgl. auch Grguric, Mycenaeans 32. Littauer, Crouwel, Wheeled Vehicles 91; Gaebel, Cavalry Operations 35f. Der Einsatz einer Lanze, auch einer besonders langen Infanterielanze, vom Wagen aus war aus technischen Gründen unmöglich, vgl. Crouwel, Chariots in Bronze Age Greece 123f.; Gaebel, Cavalry Operations 41; Littauer, Military Use of the Chariot; Littauer, Crouwel, Chariots. Littauer, Crouwel, Wheeled Vehicles; Buchholz, Kriegswesen III 35. Vgl. nur Leclant, Ägypten 120−124. Bestandteile von Pferdetrensen im SH I datierenden Grab IV aus dem Schachtgräberrund A von Mykene: Aravantinos, Παραγναθίδια. Protonotariou-Deilaki, Tumuli 94–97; Andronikos, Totenkult 85; Ergon 1958, 23. Crouwel, Chariots in Bronze Age Greece 59–78 und Grguric, Mycenaeans 41−43 differenzieren nach den Darstellungen mehrere Wagentypen, deren Entwicklung sie von der Schachtgräberzeit bis in SH IIIC nachzeichnen. Vgl. dazu die grundlegende Arbeit von Crouwel, Chariots in Bronze Age Greece 59–87.

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I. Grundlagen des spätmykenischen Militärwesens

ausschließlich auf bildliche und schriftliche Zeugnisse angewiesen. Sie belegen, dass der Wagen durchgehend in SH IIIB und SH IIIC existierte und genutzt wurde.70 Elfenbeinerne und bronzene Teile von Pferdetrensen, dazu elfenbeinerne Appliken aus der Hoplothek der Kadmeia von Theben und ähnliche Objekte aus einem Grab des SH IIIB in Mykene untermauern das. Die Ausstattung der Fahrzeuge und der Rossgeschirre war in diesem Fall von höchstem Luxus geprägt, was zeigt, dass die Streitwagen, von denen sie stammen, von Mitgliedern des allerobersten Stratums der mykenischen Palastgesellschaft genutzt worden sind.71 Allerdings lässt sich die Art der Nutzung des Gefährts aus den Testimonia in keiner Weise präzise erschließen. Außer zwei Grabstelen der – hier nicht behandelten – Schachtgräberzeit72 existiert aus der ägäischen Bronzezeit ein einiges Stück an Evidenz, das auf den ersten Blick einen aktiven Einsatz im Gefecht erschließen lässt: das Streitwagenfresko aus Mykene.73 Jedoch ist gerade diese Darstellung stark ergänzt und der Streitwagen fehlt im Original. Deshalb kann der erhaltenen Evidenz (die zum mykenischen Streitwagen alleine bildlich und schriftlich ist) nicht entnommen werden, wie das Gefährt im Gefecht eingesetzt worden ist.74 Die Verwendung als mobile Waffenplattform war den mykenischen Griechen jedenfalls bekannt. Das belegt ein goldener Siegelring aus Grab IV von Schachtgräberrund A in Mykene,75 der zeigt, wie ein Bogenschütze vom fahrenden Wagen aus einen Hirsch erlegt. Jedoch macht der mykenische Wagen eine wichtige Entwicklung nicht mit, die im Vorderen Orient zur Ausstattung des Kriegswagens mit sechsspeichigen Rädern führt.76 Es erscheint fraglich, ob die auf den mykenischen Darstellungen durchgehend dargestellten, vierspeichigen Räder die strukturelle Festigkeit besaßen, ein im Gefecht oftmals notwendiges forciertes Tempo durchzuhalten. Daneben stellt sich die Frage, ob in der kleinteilig zergliederten Landschaft Griechenlands und Kretas der Gefechtseinsatz von Wagengeschwadern überhaupt taktisch sinnvoll erfolgen konnte.77 Insgesamt lässt das die Theorie plausibel erscheinen, dass der Wagen im mykenischen Griechenland vor allem der Oberschicht als Prestigeobjekt und dem Krieger zugleich auch als Transportmittel diente.78 Ein Fresko aus Pylos scheint das tatsächlich wiederzugeben.79 Für Infanteristen, die mit einem schweren Panzer wie dem von Dendra gewappnet waren, boten die Wagen die Möglichkeit, die 70 71 72 73 74 75 76 77

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Zu den bildlichen Darstellungen auf Keramik und im Fresko und zu den Belegen in den Linear BTexten vgl. die Beiträge von Fritz Blakolmer und Klaus Tausend in diesem Band. Aravantinos, Παραγναθίδια; Sakellariou, Οι θαλαμοτοι 33, 224–231 und Taf. 107–109. Mylonas, Mycenaean Stelai; Mylonas, Mycenae 218 Abb. 170. Vgl. dazu den Beitrag von Fritz Blakolmer in diesem Band; Mylonas, Mycenae 236 Abb. 196; Vonhoff, Kampf und Krieg Taf. 15, 16. Vgl. auch die Diskussion des Freskos im Beitrag von Fritz Blakolmer in diesem Band. Mylonas, Mycenae 41 Abb. 30. Crouwel, Chariots in Bronze Age Greece 81f. Grguric, Mycenaeans 43−48 rekonstruiert einen taktischen Einsatz von Wagen im Gefecht, sieht jedoch in SH IIIB einen Wandel hin zum Wagen als reines Transportmittel für abgesessen kämpfende Infanteristen hohen Standes. Gaebel, Cavalry Operations 41–43; Littauer, Crouwel, Chariots; Mylonas, Mycenaean Stelai; Mylonas, Mycenaean Age 91. Vgl. den Beitrag von Fritz Blakolmer in diesem Band und Vonhoff, Kampf und Krieg Taf. 21 Nr. 97; Mylonas, Mycenaean Stelai.

2. Die Ikonographie des Krieges in der mykenischen Palastzeit

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Strecke vom Feldlager bis zum Schlachtfeld in voller Ausrüstung zu bewältigen, ohne vom Gewicht der Panhoplie schon auf dem Anmarsch ermüdet zu werden und mit dem Transportmittel gleichzeitig ihre soziale und militärische Distinktion ganz augenfällig zu unterstreichen.

2. Die Ikonographie des Krieges in der mykenischen Palastzeit (Fritz Blakolmer) 2.1 Definition und Eingrenzung des Themas Kampf, Waffen, Kriegssymbolik und zugrundeliegende Ideologien spielten in der bronzezeitlichen Ägäis zweifellos zu allen Zeiten und in allen Regionen eine bedeutende Rolle. Neben archäologischen Funden und Linear B-Textzeugnissen informiert uns vor allem die repräsentative Ikonographie über diesen wichtigen Lebensbereich des minoisch-mykenischen Griechenland. Trotz der lange Zeit im Banne Homers stehenden Geschichte der Altägäis-Forschung, welche die Kriegsthematik insbesondere mit Mykenern verknüpfte, ist es prima vista verblüffend, daß umfangreichere vergleichende Studien zu diesem prominenten Thema erst seit den 1990er Jahren vorliegen.80 Bei eingehender Betrachtung gelangt man jedoch zum Schluß, daß Kampf und Krieg in der frühägäischen Bildkunst möglicherweise einen geringeren Stellenwert einnahmen, als ihnen in der Ikonographie des Vorderen Orients und Ägyptens im 2. Jt. v.u.Z. zukam.81 So präsentieren zum Beispiel die spärlichen mykenischen Monumentalreliefs an Architekturfassaden wie dem Löwentor und dem Stomion des sogenannten Schatzhauses des Atreus in Mykene als ›Kunst im öffentlichen Raum‹ keineswegs Kampfdarstellungen; und auch bei der Suche nach dem Bildzeugnis eines Herrschers als Kriegsherr in der mykenischen Palastzeit wird man heute passen bzw. als Erklärung für dessen Fehlen den überindividuellen, zeremoniell-sakralen Charakter der frühägäischen Bildwelt verantwortlich machen wollen.82 Und dennoch verbinden wir heute mit der minoisch-mykenischen Bronzezeit zurecht etwa Siegelbilder mit Zweikampfszenen, Elfenbeinköpfchen von Kriegern mit Eberzahnhelm und omnipräsente Achterschilde, und zwar auf Kreta, den Kykladen und dem mykenischen Festland. Stellenwert und Bedeutung von Kampfszenen und Kriegertum in der Altägäis sind somit eine vielseitige und ambivalente Thematik, bei der sich eine nähere Betrachtung lohnt. Im vorliegenden Beitrag soll daher anhand ausgewählter Bildzeugnisse und im Überblick das facettenreiche Thema Krieg vor allem während der mykenischen Palastzeit (SH IIIA2– IIIB2, 1360–1200 v.u.Z.) beleuchtet werden, und zwar die heute vorliegenden ikonographischen Quellen ebenso wie ihre Aussagekraft bezüglich Bewaffnung und Kampfweise, die Symbolik von Waffen wie auch die Ideologie des Krieges. Aufgrund des generell wenig eigenständigen Charakters einer ›spätmykenischen Bildkunst‹ wird es gelegentlich erforder80

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Döhl, Kampfdarstellungen; Hiller, Scenes of warfare; Militello, Rhytòn dei Lottatori, bes. 369–390; Tarlea, Playing by the rules; Vonhoff, Kampf und Krieg; Papadopoulos, Warriors; Molloy, Martial Minoans. Zum vergleichsweise geringen Stellenwert von Kampfdarstellungen im Repertoire der ägäischen Bildkunst siehe etwa Driessen, Archaeology of warfare 18; Gates, Warfare in Minoan art. Davis, Missing ruler; Younger, Iconography of rulership; Blakolmer, Battle Krater 214f.

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I. Grundlagen des spätmykenischen Militärwesens

lich, ja unvermeidbar sein, diesen engen chronologischen und geographischen Rahmen zu überschreiten und auf Zusammenhänge mit der Ikonographie der frühmykenischen Zeit sowie jener des neopalatialen Kreta hinzuweisen, um ein adäquateres Bild zu gewinnen. 2.2 Krieg in den frühägäischen Bildmedien Die bislang bekannten mykenischen Bildquellen zu Kampf und Krieg sind vielfältig, und aufgrund ihrer ikonographischen Spezifika und Abhängigkeiten empfiehlt sich hierbei vorerst ein Blick auf die relevanten Materialgattungen.83 So stark ausschnitthaft der Erhaltungszustand wie auch unser heutiger Kenntnisstand der Wandmalerei generell auch ist, bieten die mykenischen Wandfresken zweifellos die komplexesten und variantenreichsten Kriegsdarstellungen. Obgleich große Darstellungsformate anderen Bildthemen vorbehalten waren, sind uns in mykenischen Palästen ausgedehnte, detaillierte und inhaltlich vielseitige narrative ›Schlachtenfriese‹ bezeugt, deren Aussagewert gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann – und dies trotz des äußerst fragmentarischen Zustandes aller Beispiele (Abb. 13–19). Erwähnenswert ist jedoch der Umstand, daß bei näherer Betrachtung Kampfdarstellungen an Raumwänden in der mykenischen Palastzeit nur sehr sporadisch bezeugt sind.84 Auch wenn Steinreliefgefäße mit Ikonographie in der fortgeschrittenen Spätbronzezeit äußerst selten begegnen, dürfte es sich bei den beiden Rhytonfragmenten vom Kynortion bei Epidauros (Abb. 12) um spätmykenische Zeugnisse mit stark narrativer Ikonographie handeln.85 Eine spärlich bezeugte, exklusive Gattung sind auch FayenceGefäße, von denen zumindest ein – höchstwahrscheinlich minoisches – Kännchen aus Schachtgrab III die Reste eines Kriegerduells zeigt,86 während es sich bei den beiden Fayence-Fragmenten mit Kriegern mit Zonenhelm und Speer aus SH IIIB1-Kontext aus dem ›House of Shields‹ in Mykene um einen Import aus der Levante handeln dürfte.87 Besonders bedauerlich ist unser äußerst geringer Kenntnisstand frühägäischer Reliefgefäße aus Edelmetall, und so bleibt es allein eine Vermutung, daß Prunkgefäße wie der in minoischer Tradition stehende silberne ›Kriegerkrater‹ aus Schachtgrab IV88 (Abb. 10) auch noch in spätmykenischer Zeit gelegentlich auftraten. Reichhaltiger an Kriegermotiven präsentiert sich hingegen die Siegelglyptik (Abb. 6–9), selbst wenn es sich bei so manchen Beispielen in spätmykenischen Kontexten um ›Erbstücke‹ älterer Urheberschaft und/oder Importe aus Kreta handeln dürfte.89 Der kleine Darstellungsmaßstab dieser Gattung bringt es mit sich, daß hier Kampfszenen auf einige 83 84 85 86 87 88 89

Einen umfangreichen Katalog frühägäischer Kampfmotive bietet Vonhoff, Kampf und Krieg 279–318. Dies betonten bereits Shaw, Aegean sponsors and artists 495; Davis, Bennet, Making Mycenaeans 107. Dazu unten Anm. 105–106. Müller, Frühmykenische Reliefs 332; Karo, Schachtgräber 60f., Taf. XXIII; Evans, Palace of Minos IV, 690, 868 Abb. 858; Pendlebury, Aegyptiaca, Taf. IV90. Foster, Aegean Faience 126f., 129f., Taf. 37–38; Koehl, Bronze Age Rhyta 185f. (Nr. 820) Abb. 38, Taf. 48; Vonhoff, Kampf und Krieg 317 (Kat.-Nr. 247–248), Taf. 62. Dazu unten Anm. 103. Stürmer, Ikonographie des Kampfes; Pini, Richtige Ansicht, bes. 203–209; Vonhoff, Kampf und Krieg 13–29, 279–285. Zu einem Duell auf einem SM IA-zeitlichen Siegel aus dem ostkretischen Petras siehe Rupp, Death in Petras.

2. Die Ikonographie des Krieges in der mykenischen Palastzeit

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wenige Figuren beschränkt sind, hat jedoch den unschätzbaren Vorteil eines zumeist guten Erhaltungszustandes der Bildszenen, die uns somit eine adäquate Vorstellung von den sonst meist nur fragmentarisch erhaltenen Kriegerposen vermitteln. Siegelbilder stellen auch unsere primäre Quelle für symbolische Motive des Krieges dar. Im Gegensatz zu anderen Materialien wurde Elfenbein insbesondere in spätmykenischer Zeit meist für kleinformatige Reliefplaketten und -appliken genutzt. Groß ist die Zahl von behelmten Kriegerköpfchen (Abb. 22) wie auch Achterschilden, die Holzschatullen und Mobiliar schmückten. Daß Kriegerköpfchen auch in der Textilkunst als Gewanddekor begegneten, dürfte ein Freskofragment aus Theben (Abb. 23) bezeugen, dessen vertikale Reihe bärtiger Männerköpfe mit Eberzahnhelm in dunkler Zeichnung auf hellem Grund – und folglich weißhäutig – sich wahrscheinlich zur Gewandbordüre einer großformatigen (Frauen-?)Figur ergänzen läßt.90 Steinreliefs in großem Format sind in der Frühägäis ein nur sehr eingeschränkt, punktuell genutztes Bildmedium, das uns in der Schachtgräberzeit geringfügig variierende Kampfmotive auf Steinstelen in Mykene präsentiert91 (Abb. 5) und in Agia Irini auf Kea die Umrisse eines behelmten Kriegerkopfes auf dem Eckfragment einer Marmorplatte bezeugt hat.92 In der spätmykenischen Piktorialkeramik sind Bildmotive des Krieges weit, wenn auch in zeitlich wechselndem Ausmaß verbreitet (Abb. 20–21), doch sei gerade in dieser Bildgattung davor gewarnt, jede Darstellung eines Speerträgers als Kampfszene zu interpretieren und jeden Streitwagen in seiner Funktion als Kriegsgerät zu verstehen. In höherem Maße innovativ ist die Ikonographie des Krieges im Piktorialstil der Keramik im nachpalatialen SH IIIC.93 Darstellungen von bzw. Bezüge zum Kriegertum sind hingegen bei spätmykenischen Figurinen nahezu inexistent. Zwar kennen wir vereinzelt Terrakotten von Reitern mit spitzer Kopfbedeckung, die wir als Helme interpretieren könnten,94 doch erscheint es fraglich, ob wir bei der extrem spärlichen Evidenz für Reiter in der Altägäis tatsächlich von einer richtigen Kavallerie als Kampfgruppe sprechen dürfen.95 Auch in der frühägäischen Bronzeplastik begegnen bisweilen Männerfiguren mit Helm, bei denen es sich jedoch um aus der Levante angeregte oder importierte Götterfiguren vom Reschef-Typus handelt.96 Auf den spätmykenischen Larnakes schließlich dominiert die Ikonographie der Trauer gegenüber 90 91 92 93 94

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Siehe unten Anm. 196. Mylonas, Figured Mycenaean stelai; Marinatos, Stelai of Circle B; Younger, Stelai of Mycenae. Caskey, Excavations in Keos 375, Taf. 90b; Hood, Arts 97f. Nichts weist m.E. darauf hin, daß es sich bei dieser Darstellung nur um die Vorzeichnung eines unvollendeten Reliefs handelt. Hiller, Scenes of warfare; Crouwel, Fighting on land and sea; Papadopoulos, Warriors, bes. 73–76; Vonhoff, Kampf und Krieg 249–256. Hood, Mycenaean cavalryman; Crouwel, Chariots in Bronze Age Greece 161 (T18), Taf. 42; Sakellarakis, Sapouna-Sakellaraki, Archanes I, 315 Abb. 272; Vonhoff, Kampf und Krieg 127, 312 (Kat.-Nr. 227), Taf. 54. Contra: Lejeune, Civilisation mycénienne 75–77. Zu Reitern in der frühägäischen Bildkunst siehe bes. Levi, Dea micenea a cavallo; Wiesner, Fahren und Reiten 118 Abb. 21; Crouwel, Chariots in Bronze Age Greece 45–53; Younger, Iconography of rulership 179f. (Nr. 163–167), Taf. LXVIf–i. Boardman, Cretan Collection 76, 78, Taf. 25; Marinatos, Minoan Religion 169–171 Abb. 163– 165; Sapouna-Sakellaraki, Bronzene Menschenfiguren 55–57 (Nr. 97), 140f., 146f., Taf. 28; S. 140–142; Blakolmer, Dubcová, Orientalische Götterkronen. Vgl. Cornelius, Reshef and Baal.

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Abb. 5: Steinreliefstele aus dem Schachtgräberrund A in Mykene (nach Evans, Palace of Minos IV, Abb. 190, gegenüber S. 255). einer retrospektiven Verherrlichung der Verstorbenen, und dementsprechend selten treffen wir in dieser Bildgattung auf kriegerische Themen. Eine Ausnahme bildet ein polychrom gestalteter Sarkophag aus Tanagra, der in einem Register zwischen zwei Streitwagen zwei Schwertkrieger im Duell zeigt.97 So vielfältig und heterogen die spätbronzezeitlichen Bildmedien, die uns Kampf- und Kriegsszenen präsentieren, auch erscheinen mögen, wird bei dieser Auflistung doch bereits klar, wie eingeschränkt die Informationen der Ikonographie sind und welche Gattungen am meisten Aufschluß versprechen. 2.3 Ikonographie des Kampfes Betrachten wir die mykenischen Kampfdarstellungen eingehender, so bietet es sich an, Einzelkampfmotive und komplexere Schlachtdarstellungen ausgehend von der ikonographischen Verwandtschaft der Bildmedien exemplarisch zu präsentieren. Die Kampfmotive der Steinreliefstelen der Schachtgräber von Mykene bleiben entwicklungsgeschichtlich zwar ein weitgehend isoliertes Phänomen, doch begegnen zumindest Einzelelemente dieser Kampfdarstellungen auch noch in der jüngeren bronzezeitlichen Ikonographie. Gemeinsamkeiten bilden Schwert (oder Dolch) als Angriffswaffe, der bewaffnete Krieger im Streitwagen und Gefallene in passiven Körperhaltungen. Das mehrmals bezeugte Kampfmotiv des mit Nahwaffe ausgestatteten Kriegers als Lenker im Wagen gegen einen Fußkrieger vorpreschend (Abb. 5) macht beim Schwertkampf wenig Sinn und dürfte als abgekürzte

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Zu dieser Larnax aus Grab 22 in Tanagra siehe Spyropoulos, Nekrotafion tis Tanagras 192, 197 Abb. 17; Spyropoulos, Mycenaean Tanagra 206 Abb. unten; Benzi, Riti di passaggio, bes. 218– 223.

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Abb. 6: Lentoidsiegel im British Museum, London (nach Pini, Richtige Ansicht 206 Abb. 5).

Abb. 7: Lentoidsiegel aus Tragana (nach Pini, Richtige Ansicht 206 Abb. 4).

Abb. 8: Lentoidsiegel in Paris (nach CMS IX, Nr. 158).

Abb. 9: Lentoidsiegel in Berlin (nach CMS XI, Nr. 34).

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Bildformel für den Transport zum Kampfplatz und den darauf folgenden Nahkampf zu verstehen sein.98 Siegelbilder bezeugen zumeist Zweikampfmotive, doch kämpft ein Krieger gelegentlich auch gegen eine Übermacht von zwei oder sogar drei Gegnern. Auf einem wohl in SM I–II zu datierenden Lentoidsiegel im British Museum99 (Abb. 6) packt ein angreifender Krieger, mit um die Schulter gebundener Scheide und bekleidet mit Schurz, mit seiner Linken den Schildrand seines Gegners, während er mit der erhobenen Rechten mit einem Schwert über dem Kopf zum Stoß ausholt. Sein passiv gegenüberstehender Gegner trägt Helm sowie eine schräg nach vorn gesetzte Lanze und schützt sich mit einem Turmschild. Nicht die Überlegenheit in der Bewaffnung, sondern die Schilderung der Handlung macht hier deutlich, daß der aktivere Krieger seinen Gegner über den Schild hinweg treffen wird. Dicht im Siegelrund angeordnet zeigt ein wahrscheinlich minoisches Lentoid aus dem messenischen Tragana eine Kampfszene mit drei Figuren mit gleichem Schurz, von denen nur die zentra-

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Zur militärischen Funktion des Streitwagens in der Frühägäis siehe bes. Littauer, Military use of the chariot; Crouwel, Chariots in Bronze Age Greece 119–124, 145; Tausend, Kampf der Wagen. CMS VII, Nr. 129; Pini, Richtige Ansicht 206f. Abb. 5; Vonhoff, Kampf und Krieg 282f. (Kat.Nr. 25), Taf. 5. Vgl. eine Variation dieses Motivs auf einem Lentoid in der ehemaligen Sammlung Seager: CMS XII, Nr. 292.

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I. Grundlagen des spätmykenischen Militärwesens

le Hauptperson bewaffnet ist100 (Abb. 7). Während ein gegnerischer Krieger kopfüber und mit unkoordiniert abstehenden Gliedmaßen dargestellt als bereits getötet charakterisiert ist, stößt der Krieger im Zentrum dem in die Knie gegangenen Gegner vor ihm eine stark verkürzt wiedergegebene Lanze in den Rücken. Ein Lentoid in Paris (Abb. 8), dessen unteres Drittel fehlt, kombiniert im wesentlichen Figurenmotive der beiden zuvor erörterten Siegelbilder.101 Die zentrale Hauptfigur mit Schurz hat ihre Waffe über den Kopf erhoben und holt zum Stich gegen den von rechts anstürmenden Gegner aus, während zur Linken ein Gefallener kopfüber dargestellt ist. Bemerkenswert am Gegner ist sein Helm mit gekrümmter Bekrönung. Ein vermutlich SH IIIA-zeitliches Lentoid in Berlin mit Herkunftsangabe ›Athen‹ schließlich zeigt zwei aufeinander zustürzende Krieger in nahezu gespiegelter Pose102 (Abb. 9). Beide packen einander mit einer Hand am Kopf (am Haar?) und versuchen, ihrem Gegner das Schwert in Brust bzw. Hüfte zu stoßen. Der einzige nennenswerte Unterschied zwischen beiden Kriegern besteht im abgewandten Gesicht des rechten, was ihn als Unterlegenen charakterisieren dürfte, auch wenn sich die Spitze seines Schwertes näher am Körper des Gegners befindet. Außer dem abgekürzt wiedergegebenen ›minoischen Schurz‹ und der Angriffswaffe werden die Krieger hier ohne weitere Ausstattung geschildert, und dies läßt den Realitätswert eines solchen Kampfmotives fraglich erscheinen. Siegelbeispiele wie diese veranschaulichen die Bandbreite von Kampfdarstellungen im eingeschränkten Bildformat dieser Gattung, teils einander wiederholende Motive, deren Ursprung in einer größerformatigen Reliefgattung zu vermuten ist. Auch bei Kampfszenen in anderen Bildmedien fällt auf, daß die Motive ihre Wurzeln im Repertoire der frühen Spätbronzezeit besitzen, und zwar nicht in den helladischen Versionen auf den Reliefstelen von Mykene (Abb. 5), sondern in jenen minoischen Ursprungs (Abb. 10). Sie verdeutlichen aber auch Elemente der Erzählweise frühägäischer Schlachtenbilder mit Abkürzungen, Weglassungen und einer Variabilität von Waffen und Trachtelementen über einen längeren Zeitraum hinweg. Die ikonographische Abhängigkeit dieser und zahlreicher weiterer frühägäischer Kampfmotive von der großformatigen Reliefkunst des neopalatialen Kreta wird deutlich bei einem Vergleich mit dem Bildfries des ›Kriegerkraters‹ aus Schachtgrab IV von Mykene103 (Abb. 10). Wie an anderer Stelle dargelegt, sind Gefäßform, Ikonographie und Stil dieses SH I-zeitlichen Silberkraters minoischen Charakters und kretischen Ursprungs,104 doch lehrt er uns eine Reihe typischer Eigenheiten der Kriegsdarstellungen in der gesamten spätbronzezeitlichen Ägäis: ein Repertoire standardisierter, auswechselbarer Kriegerposen, variable Waffen und Helmformen, eine Kombination unterschiedlicher Waffengattungen, das Fehlen individueller Schilderung von Porträt, Rang und ethnischer Zugehörigkeit – Ägäer kämpfen gegen Ägäer –, und schließlich eine Reihe von kompositorischen Raffinessen, die den Kampfausgang und die Siegerpartei kennzeichnen dürften. Rekonstruiert man 100 101 102 103 104

CMS I, Nr. 263; Pini, Richtige Ansicht 205f. Abb. 4; Vonhoff, Kampf und Krieg 284 (Kat.Nr. 32), Taf. 7. CMS IX, Nr. 158; Stürmer, Ikonographie des Kampfes 115f.; Hiller, Scenes of warfare 320, Taf. LXIX, 5a; Vonhoff, Kampf und Krieg 284 (Kat.-Nr. 35), Taf. 3. CMS XI, Nr. 34; Pini, Richtige Ansicht 209; Vonhoff, Kampf und Krieg 285 (Kat.-Nr. 39), Taf. 9. Sakellariou, Cratère d’argent; Sakellariou, Scène de bataille; Blakolmer, Battle Krater 218–223. Blakolmer, Battle Krater 221–223.

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Abb. 10 und Abb. 11: ›Kriegerkrater‹ aus Schachtgrab IV von Mykene, Umzeichnung in Friesform und Rekonstruktion in Draufsicht (nach Blakolmer, Battle Krater, Taf. LVII 1 und 2). die beiden Kriegergruppen dieses Relieffrieses in dreidimensionaler Form als Draufsicht (Abb. 11), was durch den recht guten Erhaltungszustand und die zahlreichen Überschneidungen der Figuren mit ihren Waffen möglich ist, so erkennen wir vier individuell durchkomponierte Zweikampfszenen. Lanzenkämpfer gegen Lanzenkämpfer, Bogenschütze gegen Bogenschütze, und im Vordergrund treffen die ›Promachoi‹, die Anführer der beiden Kriegergruppen, mit ihren Lanzen aufeinander – die in der frühägäischen Bildkunst am häufigsten zitierten Figurenposen. Ein bemerkenswertes Bildzeugnis umstrittener Zeiteinordnung präsentieren die beiden Steinrhytonfragmente vom Kynortion bei Epidauros. Die Reliefdarstellung auf dem einen Fragment (Abb. 12) zeigt ausschnitthaft Reihen von Männerfiguren an der Küste und ein Schiff,105 während das andere Stück einen möglicherweise bei einem Boot treibenden nackten Ertrinkenden auf der durch das markante Schuppenmuster markierten Meeresfläche

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Papadimitriou, Apollon Maleatas 194, 200–202 Abb. 10; Sakellariou, Cratère d’argent; Sakellariou, Scène de bataille 532–534, Taf. 180; Kaiser, Relief 30, 95, 133f., 174 (›Epidauros 1‹) Abb. 27a; Sakellarakis, Mycenaean stone vases 184f.

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Abb. 12: Steinrhytonfragment vom Kynortion, Epidauros; Umzeichnung von K. Iliakis (nach Sakellariou, Vase mycénien en pierre 5 Abb. 3). zeigt.106 Aus stilistischen Überlegungen werden wir diese Relieffragmente m.E. in spätmykenische Zeit einordnen können, was keineswegs im Widerspruch zu der durch und durch neopalatial-kretischen Tradition der Ikonographie steht.107 Enge thematische und motivische Parallelen zu dieser Reliefdarstellung lassen sich in Wandmalereien wie den Miniaturfriesen aus dem theräischen ›Westhaus‹ und aus Agia Irini auf Kea erkennen, und auch auf mehreren Fragmenten von Steinreliefgefäßen aus dem SM I-zeitlichen Knossos begegnen uns gute ikonographische Entsprechungen.108 Sieht man von einer schaftförmigen Waffe und dem Ertrinkenden ab, läßt sich der kriegerische Charakter dieser Ikonographie nur indirekt aus den minoischen Parallelen erschließen. In dem anzunehmenden spätmykenischen Kontext seiner Entstehung steht dieses Reliefbeispiel mit der kleinfigurigen, narrativen Ikonographie den Wandbildern näher als den eingangs genannten Siegelbildern (Abb. 6–9), die trotz ihres Miniaturformats monumentale Kriegerduelle widerspiegeln. Umfangreichere Schlachtendarstellungen sind uns aus der mykenischen Palastzeit bislang vor allem in stark fragmentierten Wandmalereien bekannt. Der ›Schlachtenfries‹ aus Mykene (Abb. 13–15) zählte mit seiner ikonographischen Komplexität zweifellos zu den imposantesten Beispielen und schmückte sicherlich nicht zufällig den wohl bedeutendsten Raumkomplex der gesamten mykenischen Welt, nämlich das ›Megaron‹ im Palast von Mykene.109 Mit einer Frieshöhe von vermutlich etwa 1m erstreckten sich die Kampfszenen über mehrere Wände, möglicherweise sogar über deren Gesamtlänge von 46m. Auf blauem, gelbem und teils auch rotem Grund mit Übergängen durch vertikale und horizontale 106 107 108

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Lambrinoudakis, Ieron Maleatou Apollonos 172f., Taf. 149a; Sakellariou, Ikonografikos kyklos 533f., Taf. 180b. Blakolmer, Bull reliefs 469f.; Blakolmer, Mycenaean art. Blawatskaja, Epopée crétoise, bes. 358–359; Sakellariou, West House miniature frescoes; Sakellariou, Ikonografikos kyklos; Warren, Miniature Fresco; Morgan, Miniature Wall Paintings 166–171. Rodenwaldt, Fragmente 231–248, Taf. X–XII; Rodenwaldt, Fries, bes. 21–45; Lamb, Frescoes; Lamb, Frescoes from the walls, mit Taf. XLII–XLIII; Immerwahr, Aegean Painting 123– 125, 192 (My Nr. 11); Lurz, Einfluß Ägyptens 65–78; Vonhoff, Kampf und Krieg 49–58, 287– 290 (Kat.-Nr. 58–80), Taf. 13–18.

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Abb. 13: Fragment des Schlachtenfrieses aus Mykene (nach Smith, Interconnections, Abb. 118). ›Terrainlinien‹ sind Krieger mit einer Figurenhöhe von 20 bis 25cm dargestellt, aber auch Pferde und Streitwagen sowie aufgrund des divergierenden Maßstabs allem Anschein nach zwei unterschiedliche Siedlungen mit dem Motiv der Frau in Fensteröffnungen sowie vor der Stadt und mit minimalen Landschaftsangaben. Die Krieger tragen einen kurzen Chiton, Beinschienen bzw. Stiefel sowie Eberzahnhelm und sind mit Lanze oder Speer bewaffnet, während Schilde generell fehlen; wahrscheinlich ist in diesem Fries auch mindestens ein Bogenschütze bezeugt.110 Stehende, laufende, kämpfende und fallende Krieger, Pferdegespanne, Pferde und isolierte Wagen sind verhältnismäßig dicht beieinander und ohne klar erkennbare Ordnung über das Bildfeld verteilt; teils eilen übereinander angeordnete Krieger mit geschultertem Speer in Gegenrichtung (Abb. 15), sodaß uns die Fragmentanordnung ebenso schwerfällt wie das Erkennen differenzierter Handlungssequenzen. Daß der Fries nach dem konventionellen Raumkonzept der ›Kavaliersperspektive‹ komponiert war, verdeutlicht auch die Fragmentpartie, die einen von einem Pferdegespann (?) niedergestoßenen, nach hinten fallenden Krieger über Architektur zeigt (Abb. 13). Mag der Fragmentbestand des ›Megaron-Frieses‹ von Mykene auch verhältnismäßig umfangreich sein, erlaubt er dennoch nur ansatzweise eine Vorstellung des Bildprogramms dieser komplexen Kriegsdarstellung mit unterschiedlichen Stadien des Kampfgeschehens. Rechts des Eingangs wurde die Vorbereitung der Wagengespanne vor Schlachtbeginn geschildert: Stallknechte (Krieger?) mit einzeln oder paarweise geführten Pferden und isolierte Streitwagen – ikonographisch gut vergleichbar mit dem ein wenig älteren sogenannten 110

Skeptisch bezüglich des Vorhandenseins von Bogenschützen äußerte sich Immerwahr, Aegean Painting 124. Anders Rodenwaldt, Fries 42f. Nr. 16; Vonhoff, Kampf und Krieg 53, 57.

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Abb. 14: Fragment des Schlachtenfrieses aus Mykene (nach Rodenwaldt, Fries, Beil. I Nr. 2, 3). Groom Fresco aus dem nahe gelegenen ›Pithos Area‹111 –, und zwar nach links orientiert (Abb. 14), das heißt zum Eingang hin und nicht zu den nachfolgenden, rechts anschließenden Kampfhandlungen. Die rechts weiterführenden Partien präsentierten geradewegs ein ›Kampfgetümmel‹: Partien von Fußkriegern, Streitwagen sowie Architektur; und in der rechten Hälfte der Nordwand folgte erneut ein architektonischer Komplex.112 Die Krieger sind ähnlich gekleidet und gerüstet, sie tragen denselben Chiton in variabler Kolorierung und dieselben weißen Beinschienen. Anstatt eindeutiger Zweikampfmotive lassen sich im Fragmentbestand nur Krieger ohne Bezug zueinander oder Gruppen von Kriegern feststellen, doch könnte hierbei der Erhaltungszustand täuschen. Motive wie der zustoßende Krieger im Ausfallschritt oder der nach hinten Fallende sind in variabler Ausprägung gestaltet und kombiniert und besitzen deutliche Vorbilder in der Ikonographie des neupalastzeitlichen Kreta. So zog bereits Gerhart Rodenwaldt zurecht den Vergleich mit den Kriegerposen auf dem ca. 300 Jahre älteren Silberkrater aus Schachtgrab IV113 (Abb. 10). Der ›Fliegende Galopp‹ der Gespannpferde steht ebenso in minoischer Tradition114 wie die standardisierten Versatzstücke der Stadtarchitektur oder 111

112 113 114

Zum ›Groom Fresco‹ siehe Rodenwaldt, Fragmente 239–250, Taf. X; Lamb, Frescoes 164f., Taf. XXVI b. XXVII; Immerwahr, Aegean Painting 123f., 165, 192 (My Nr. 11), Taf. 64; Vonhoff, Kampf und Krieg 46–49. Siehe vor allem die Analyse bei Vonhoff, Kampf und Krieg, bes. 57. Rodenwaldt, Fries 26 mit Abb. 15; Immerwahr, Aegean Painting 124. Dies setzt voraus, daß der Goldring mit Jagdszene aus Schachtgrab IV (CMS I, Nr. 15) kretischminoischen Ursprungs ist. Zum ›fliegenden Galopp‹ eines Greifenpaares, das einen Wagen zieht, siehe CMS II 8, Nr. 193.

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Abb. 15: Fragment des Schlachtenfrieses aus Mykene (nach Rodenwaldt, Fries, Beil. III Nr. 11). das Motiv der Frau im Fenster.115 Auch das Phänomen, daß wir gegnerische Parteien ikonographisch nicht voneinander abgrenzen können, bildet ein traditionsreiches Spezifikum der frühägäischen Bildsprache. Das heißt, sowohl Stadtverteidiger als auch Angreifer wurden als Mykener bzw. Ägäer geschildert. Der fellartige Zipfel zwischen den Beinen eines Kriegers mit Beinschienen (Abb. 15) muß keineswegs für einen in ein Fell gekleideten ›Barbaren‹ sprechen,116 und auch der hier einmalig bezeugte Glocken- oder Kugelhelm reicht kaum aus, um darin einen nicht-mykenischen Gegner zu erkennen.117 Die weitreichende Homogenität aller Krieger in Tracht, militärischer Ausstattung, Bewaffnung und Kampftechnik ist unübersehbar, was unsere Interpretation des Dargestellten wesentlich erschwert. Wir können die Vorbereitungen und das Kampfgeschehen von ägäischen Kriegern unterschiedlicher Waffengattungen in Bereichen vor einer oder eher mehreren (Palast-?)Siedlungen mit gehobener ägäischer Architektur erkennen. Unklar bleibt jedoch, ob und in welcher Weise Wagenfahrer, Fußkrieger mit Speer und Bogenschützen innerhalb des ausgedehnten Bildfrieses koordiniert in Gruppen angeordnet waren. So unbefriedigend dieser Schluß auch erscheinen mag, weisen die erhaltenen Fragmente m.E. eher auf die Schilderung eines bunten ›Kampfgetümmels‹ hin. Wie problematisch die Identifizierung von Kriegsszenen in der mykenischen Wandmalerei ist, führen uns besonders deutlich die Fresken aus Tiryns vor Augen. Auch wenn hier 115 116 117

Nörling, Architekturbilder 76–78, Taf. 14–15; Boulotis, Villes et palais. Dazu Rodenwaldt, Fries 40; Rodenwaldt, Fragmente 237, Taf. XII2; Lurz, Einfluß Ägyptens 74. Contra: Vonhoff, Kampf und Krieg 55; Blakolmer, Missing barbarians. Lurz, Einfluß Ägyptens 74 (Nr. 13); Vonhoff, Kampf und Krieg 56, 289 (Kat.-Nr. 71), Taf. 16.

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I. Grundlagen des spätmykenischen Militärwesens

Abb. 16: Wandmalereifragmente aus Orchomenos (nach Smith, Interconnections, Abb. 96). nahezu alle ikonographischen Requisiten wie Männer mit geschulterten Speeren, Pferde, Streitwagen und Architekturdarstellungen ausschnitthaft bezeugt sind, wird man meist eher zu einer Interpretation als Jagddarstellung tendieren.118 Eine Kampfszene werden wir vor allem bei einem tirynther Fragment, das den unteren Teil eines Kriegers mit rechteckigem Schild mit Rinderfellbespannung zeigen dürfte, favorisieren,119 während der Ausschnitt eines Speer- oder Lanzenträgers im Streitwagen ebensogut auch von einer Jagddarstellung stammen könnte.120 Auch unter den Wandmalereien aus Orchomenos befinden sich zwei Fundkomplexe, die Bewaffnete abbilden. Ein Fragment zeigt zwei hintereinander schreitende Männer mit Eberzahnhelm, die einen bzw. zwei geschulterte Speere tragen,121 die jedoch in Verbindung mit Partien laufender Keiler, einem Hund und einem Streitwagen stehen und somit als Jäger verstanden werden müssen. Fragmente aus den älteren Grabungen in Orchomenos (Abb. 16) zeigen die Beine von männlichen Figuren mit weißen Beinschienen, die auf abgetreppten architektonischen Gliedern stehen und möglicherweise als

118

119 120 121

Rodenwaldt, Tiryns II, 5–18, 69–137; Kilian, Tiryns 1981, 307 Abb. 34 (aus dem sogenannten Haus der Priesterin in der Unterburg); Immerwahr, Aegean Painting 128; Vonhoff, Kampf und Krieg 67–70. Rodenwaldt, Tiryns II, 16, Taf. II3; Lurz, Einfluß Ägyptens 85 Abb. 18; Vonhoff, Kampf und Krieg 68, 293 (Kat.-Nr. 115), Taf. 25. Rodenwaldt, Tiryns II, 8f. (Nr. 4), Taf. I3; Vonhoff, Kampf und Krieg 69, 293 (Kat.-Nr. 110), Taf. 24. Immerwahr, Aegean Painting 132, 195 (Or Nr. 3); Boulotis, Mykinaiki Viotia 1118f., 1143 Abb. 10–11.

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Abb. 17: Wandmalereipartie aus Pylos (nach Lang, Pylos II, Taf. N [25 H 64]). Stadtverteidiger angesprochen werden dürfen.122 In Verbindung damit könnte das Fragment von zwei unbewaffneten Männern mit vorgestreckten Armen zu verstehen sein, bei denen der Interpretation als Getötete gegenüber jener als Stierspringer oder Ertrunkene m.E. der Vorzug zu geben ist.123 Vor kurzem geborgene Freskofragmente aus Agios Vasilios in Lakonien wiederum zeigen den Unterschenkel einer Männerfigur mit Beinschienen, den Teil eines Streitwagens und sogar das Motiv der Frau in Architektur,124 ein Motivspektrum, das uns an den ›Megaron-Fries‹ in Mykene erinnert. Aus dem Südwest-Gebäude des Palastes von Pylos schließlich ist uns aus dem Bereich vor der Nordostwand des Saales 64 ein prominentes und aufschlußreiches Wandbild mit umfangreichen Kampfdarstellungen bezeugt.125 Zwar lassen sich nur isolierte Passagen rekonstruieren (Abb. 17–19), die Kampfszenen in abstrakt wiedergegebenem Terrain, auf blauem und weißem Grund und getrennt durch ›Terrainlinien‹, zeigen, doch gewinnen wir zumindest einen gewissen Eindruck von diesem Schlachtenfries. Größtenteils zeigte er unterschiedlich gestaltete Fußkrieger mit einer Figurenhöhe von ca. 24cm, die im Kampf miteinander oft dicht und mit mehrfachen Überschneidungen angeordnet sind (Abb. 17–18). 122

123 124 125

Bulle, Orchomenos I, 74–79, Taf. XXVIII2–6; Smith, Interconnections 83 Abb. 96; Immerwahr, Aegean Painting 125–127, 195 (Or Nr. 1) Abb. 35b; Boulotis, Mykinaiki Viotia 1127, 1145 Abb. 14; Vonhoff, Kampf und Krieg 59, 290f. (Kat.-Nr. 85–89), Taf. 19. Bulle, Orchomenos I, 79f., Taf. XXVIII8; Immerwahr, Aegean Painting 127, 195 (Or Nr. 2); Boulotis, Mykinaiki Viotia 1127, 1144 Abb. 12. Petrakos, Agios Vasilios Lakonias 38f. Abb. 36a–c. Lang, Pylos II, 71–74, 214f. (22–30 H 64), Taf. 16–21, 117, 123–124, A und M; Immerwahr, Aegean Painting 128, 197 (Py Nr. 10), Taf. 66–67; Davis, Bennet, Making Mycenaeans, bes. 107– 111; Vonhoff, Kampf und Krieg 60–67.

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Abb. 18: Wandmalereipartie aus Pylos (nach Lang, Pylos II, Taf. M [22 H 64]). Mindestens zwei Pferdegespanne, davon eines mit behelmtem Wagenlenker und nachfolgendem Speerträger (Abb. 19), sind bezeugt.126 Auf den ergänzten Fragmentgruppen lassen sich unterschiedliche Kriegsparteien differenzieren, die in kurzen Chiton, verschiedene Schurzformen oder Felle gekleidet sind und Eberzahnhelm bzw. eine andere Helmform mit Nasenschutz127 sowie Beinschienen, Waffengurt und Schwert tragen können. Zumindest ein rechteckiger Schild dürfte dargestellt sein.128 Der jeweilige Erhaltungszustand könnte zwar täuschen, doch dürfte sich der Schlachtenfries in Pylos von dem in Mykene in einigen Aspekten unterscheiden: Die Kämpfenden im pylischen Beispiel sind teils sehr dicht und in vielen Zweikampfmotiven angeordnet,129 und die Posen der Gefallenen werden lebendiger und dramatischer geschildert. Der Fries aus Pylos weist keine Indizien für eine Kompositionsweise nach unterschiedlichen Phasen des Kampfes auf, und auch Architektur ist hier nicht bezeugt.130 Was den pylischen Schlachtenfries zudem auszeichnet, ist eine Unterscheidung der Kriegergruppen in Tracht, Frisur und 126 127 128 129 130

Lang, Pylos II, 73f. (26–27 H 64), Taf. 18–19, 123; Crouwel, Chariots in Bronze Age Greece 132, 171 (W35). Skeptisch gegenüber der Rekonstruktion dieses Helmes ist Lurz, Einfluß Ägyptens 62; siehe auch Vonhoff, Kampf und Krieg 63. Lang, Pylos II, 74f. (30 H 64), Taf. 21; Lurz, Einfluß Ägyptens 63f.; Vonhoff, Kampf und Krieg 65. So auch Immerwahr, Aegean Painting 128; Vonhoff, Kampf und Krieg 65. Siehe jedoch den Vorschlag von Shaw, Naval power 42f., daß die Fragmente eines Schiffes zu diesem Bildfries gehören könnten.

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Abb. 19: Wandmalereipartie aus Pylos (nach Lang, Pylos II, Taf. 123 [24 H 64]). Bewaffnung, und zwar in mehreren Passagen in verschiedener Gestaltung. Das heißt, hier sind nicht uniforme ›Mykener‹ im Kampf gegen ›Nicht-Mykener‹ dargestellt, sondern in unterschiedlicher Form gestaltet wurden in den diversen Abschnitten auch die ›Mykener‹ selbst. Eine Gruppe von Gegnern der ›Mykener‹ ist mit Fellen bekleidet und mit Schwert bewaffnet (Abb. 18), in einer anderen Wandpartie erscheinen die Gegner der ›Mykener‹ jedoch ebenfalls in mykenischer Ausrüstung. Das Kampfgeschehen in diesem Fries dürfte also keineswegs aus pylischen Kriegern und einer einzigen gegnerischen Kriegspartei bestanden haben, sondern die Kriegsparteien sind vielfältiger gestaltet und in mehreren Abschnitten uneinheitlich geschildert. Die übrigen Bildgattungen der mykenischen Palastzeit erlauben in geringerem Ausmaß Einblick in die Schilderung von Kriegshandlungen. Trotz ihrer großen Verbreitung, thematischen Vielfalt und ikonographischen Anbindung an andere Bildmedien wie vor allem die Wandmalerei präsentiert die Piktorialkeramik in dieser Periode erstaunlich wenige direkte Bezüge zu Kampf und Krieg. Wenn im figuralen Keramikdekor auf SH IIIA–Bzeitlichen Krateren Figuren mit Schwert am Gürtel oder im Streitwagen fahrend erscheinen, dann nur äußerst selten bei kriegerischen Aktivitäten. Streitwagen, Speer und Schwert lassen sich aus den Bildkontexten vielmehr als Würdezeichen verstehen.131 Nur wenige Beispiele können wir mit höherer Wahrscheinlichkeit als Kampfmotive deuten, wie eine Männerfigur mit weit vorgestrecktem Oberkörper beim Zustoßen mit der Lanze auf einem Kra131

Zu Waffentragenden in der Piktorialkeramik der mykenischen Palastzeit siehe z.B. Vermeule, Karageorghis, Vase Painting, Nr. III.19; III.21; III.29; V.26; XI.1A–B.

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Abb. 20: Kraterfragment aus Tiryns (nach Vermeule, Karageorghis, Vase Painting, X.37). terfragment aus Tiryns132 (Abb. 20) und vielleicht auch im Fall von zwei Bogenschützen, die möglicherweise zwei Gefangene vor sich her treiben, auf einem kypro-mykenischen Krater aus Enkomi133 (Abb. 21), doch ist beim ersten Beispiel ein Jagdmotiv nicht auszuschließen und im zweiten Beispiel auch ein agonistisches Thema in Betracht zu ziehen. Bemerkenswert ist jedenfalls, daß die Ikonographie des Krieges erst in der nachpalastzeitlichen Piktorialkeramik des SH IIIC beträchtlich an Bedeutung gewinnt,134 und zwar mit vielseitigen Schilderungen des Kampfes zu Land und zur See und unter Vernachlässigung des traditionsreichen Motivs des Zweikampfes.135 2.4 Synoptische Beobachtungen zu mykenischen Kampfdarstellungen Was lehren uns diese Bildzeugnisse über Kampf und Krieg sowie über deren ikonographische Schilderung in der mykenischen Palastzeit? Zunächst fällt auf, daß nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von spätmykenischen Bildwerken Schlachten und damit zusammenhängende Kriegshandlungen präsentieren. Die Zweikämpfe und standardisierten Kriegermotive der Siegelbilder (Abb. 6–9) – größtenteils frühmykenischer Zeitstellung – und in Beispielen wie dem ›Kriegerkrater‹ aus Schachtgrab IV (Abb. 10) gehen m.E. im wesentlichen auf monumentale Stuckreliefs in Knossos zurück136 und prägen die meisten Kriegerposen während der gesamten Spätbronzezeit. Die Schlachtenfriese an den Wänden der mykenischen Paläste mit ihren umfangreichen und stärker narrativ ausgerichteten Kampfschilderungen (Abb. 13–19) stehen deutlich in der Tradition der Malerei. Trotz des stark fragmentarischen Erhaltungszustandes dieser spätmykenischen Wandfriese präsentieren sich Figurenposen, Einzelmotive und ikonographische Versatzstücke stark uniform, und dem entspricht auch die Beobachtung von Christos Boulotis, daß manche Bewaffnete in 132 133

134 135 136

Vermeule, Karageorghis, Vase Painting 237 (Nr. X.37). Vermeule, Karageorghis, Vase Painting 202 (Nr. V.28, Seite B) (»archers and boxers(?)«); Döhl, Kampfdarstellungen 30f., Taf. 7 Abb. 16; Vonhoff, Kampf und Krieg 306 (Kat.-Nr. 193) (»zwei Faustkämpfer und zwei Bogenschützen«). Siehe oben Anm. 93. Dazu bes. Hiller, Scenes of warfare 322, 325; Vlachopoulos, Grotta Naxou 498, 511 Abb. 20– 21; Karantzali, Dodekanisa 521, 528 Abb. 8,1 und 21; Papadopoulos, Warriors. Blakolmer, Battle Krater 121–123; siehe auch Hiller, Scenes of warfare 323.

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Abb. 21: Krater aus Enkomi (nach Vermeule, Karageorghis, Vase Painting, V.28, Seite B). Mykene und Tiryns von denselben Malern gestaltet wurden.137 Leiten sich diese von einem minoischen Bildzyklus der neopalatialen Miniaturkunst ab,138 von dem auch das Steinrhyton aus Epidauros (Abb. 12) einen späten Nachklang bildet? Oder verbinden sie eine allgemeine minoisch-mykenische Tradition der Kampfdarstellungen mit Anregungen aus Ägypten und der Levante? Letztgenannte Ableitung erscheint zumindest wahrscheinlicher, wobei auch hierbei die minoische Traditionsanbindung bei weitem überwiegt.139 Jedenfalls können die spätmykenischen ›Schlachtengemälde‹ nicht in unmittelbarer Nachfolge der narrativen SM I-zeitlichen Miniaturfresken gesehen werden, von denen sie sich thematisch und ikonographisch deutlich unterscheiden. Dennoch lassen alle spätmykenischen Beispiele eine starke Prägung durch die Bildtradition des neopalatialen Kreta erkennen. Gewisse Anlehnungen an Schlachtenbilder aus dem ramessidischen Ägypten wurden in der Forschung zwar festgestellt,140 doch läßt das geringe Fundspektrum in der Ägäis m.E. die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß selbst diese Motive bereits Teil der älteren Ikonographie Kretas waren. 2.4.1 Wie werden Kampf und Krieg dargestellt? Aufgrund der minimalen Landschaftsangaben mit stilisierten ›Terrainlinien‹ können wir in den mykenischen Schlachtenfriesen durchwegs von einer offenen Feldschlacht sprechen. Kampfszenen im Innenraum sind zumindest in der mykenischen Bildkunst nicht be137 138 139 140

Boulotis, Tichografies 20. Siehe oben Anm. 108. Ähnlich auch Hiller, Scenes of warfare 327f. Zu Parallelen in der ägyptischen Ikonographie siehe Döhl, Kampfdarstellungen 26–28; Hiller, Scenes of warfare 326–328; Hiller, Captain of the Blacks; Vonhoff, Kampf und Krieg 241–247. Siehe auch Lurz, Einfluß Ägyptens 78, 173–175 mit wenig überzeugender Argumentation.

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I. Grundlagen des spätmykenischen Militärwesens

zeugt,141 und wir besitzen keine ikonographischen Indizien für eine Schlacht außerhalb des ägäischen Raumes. Als Lokalität der dargestellten Kämpfe wird, soweit erkennbar, der Bereich unmittelbar vor einer ägäischen Siedlung geschildert, und zwar in einer Ebene ohne Felsen, die das rasche Fahren und Manövrieren von Streitwagen erlaubt – was übrigens an den allermeisten mykenischen Zentren schwer vorstellbar ist.142 Die frühägäische Bildkunst präsentiert insbesondere in den Siegelbildern ›Promachoi‹, hervorgehobene Einzelkämpfer, und zwar meist Zweikämpfe mit Schwert, seltener und vor allem in frühen Beispielen auch mit Speer oder Stoßlanze (Abb. 6–9). Auch der grundsätzlich sehr lehrreiche ›Kriegerkrater‹ aus Mykene (Abb. 10) scheint nur auf den ersten Blick das Aufeinandertreffen von zwei phalanxartigen Formationen wiederzugeben, die sich jedoch als unkoordinierte Zweikämpfe erweisen (Abb. 11). Besonders in den Schlachtenbildern der Wandmalerei in Mykene und Pylos erkennen wir hingegen ein dichtes Gewirr von kämpfenden, tötenden und gefallenen Kriegern (Abb. 13–19), das Stefan Hiller sehr prägnant als »a confusing muddle of warriors fighting each other« charakterisierte.143 Wir gewinnen den Eindruck, daß das ikonographische Konzept hier nicht ›wir gegen die anderen‹ lautet, sondern das Thema des Kämpfens an sich im Vordergrund steht. Neben standardisierten Figurenmotiven wie dem Krieger im Ausfallschritt, dem Bogenschützen in der Hocke und den Gefallenen mit unkoordiniert abstehenden Gliedmaßen begegnen in spätmykenischen Wandbildern – vor allem in jenem aus Pylos (Abb. 17–19) – weitere und gewalttätigere Figurenposen: das Packen des Gegners am Haar, das Eindringen der Waffe in die Brust und die sich teils dramatisch krümmenden Körper der Getroffenen in großer Zahl. Es hat den Anschein, daß sich die Kampfszenen in Pylos von den Schlachtenbildern aus Mykene und Orchomenos ikonographisch und vielleicht auch ihrem Charakter nach graduell unterscheiden.144 Eine Standardausrüstung mykenischer Krieger läßt sich schwer fixieren. Die Gewandung reicht von unterschiedlichen Schurztypen bis zum kurzen Chiton und läßt keinerlei Bindung an eine bestimmte Waffengattung erkennen; selbst die Kolorierung der Gewänder kann beliebig variieren, jedoch auch der Kennzeichnung einer uniformen Kriegerpartei wie im Wandfries aus Pylos (Abb. 17–18) dienen. Da die Siegelbilder größtenteils älteren Datums sind oder deutlich in frühmykenischer bzw. kretisch-neopalatialer Tradition stehen, erlauben sie kaum Aussagen über den Kampf in der mykenischen Palastzeit. Obwohl die Angriffswaffe in den meisten Siegelbildern wie ein Kurzschwert oder ein Dolch dimensioniert erscheint, weist ihre Führung zumeist auf eine Stichwaffe hin, die sich gegen Gesicht und Hals richtet und als Langschwert (Rapier) zu verstehen sein dürfte145 (Abb. 6, 8–9). Dies steht jedoch im Widerspruch zum ungenügenden Schutz durch einen Eberzahnhelm,146 ganz abgesehen von den übrigen, nahezu nackten Körperpartien. Die am häufigsten abgebildeten Angriffswaffen der spätmykenischen Zeit sind Speer bzw. Lanze und, we141 142 143 144 145 146

Zu Innenraumbildern in der frühägäischen Bildkunst siehe Blakolmer, Image and architecture 88–90. Vgl. auch Crouwel, Fighting on land and sea 456. Hiller, Scenes of warfare 325–328, Zitat: S. 326. Dazu auch Immerwahr, Aegean Painting 128. Tarlea, Playing by the rules. Siehe Tarlea, Playing by the rules, bes. 132.

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sentlich seltener, ein 40–45cm langes Kurzschwert, das zum Zustoßen verwendet wurde.147 Die traditionellen Duelle mit Rapier der frühmykenischen Beispiele werden in der mykenischen Palastzeit durch richtige Schlachten abgelöst, die selbstverständlich weiterhin von Zweikämpfen geprägt sind. In spätmykenischer Zeit ist der Schwertkampf nahezu auf den Schlachtfries in Pylos beschränkt (Abb. 17–18). Anders als in den Perioden davor und danach ist in Kampfdarstellungen während der mykenischen Palastzeit das Tragen von Schilden auffallend selten bezeugt.148 Insbesondere der Achterschild ist in Kampfszenen bislang weitgehend auf die frühmykenische Ikonographie beschränkt und begegnet in der mykenischen Palastzeit fast nur noch als isoliertes Emblem und in Kultszenen. Dies muß nicht zwingend auf ein tatsächliches Fehlen von Schilden im realen Kampf zurückgeführt werden, sondern könnte z.B. mit der symbolischen Aufgeladenheit des Achterschildes als Kult- und Herrschaftszeichen zusammenhängen.149 Bemerkenswert ist das Fehlen von Schilden jedoch auch bei den Waffennennungen in den Linear B-Texten.150 Sollte die gelegentlich geäußerte Annahme, daß Körperpanzer wie jener prominente aus Dendra (Abb. 4 im Beitrag Konecny) in spätmykenischer Zeit wesentlich weiter verbreitet waren,151 zutreffen, so könnte dies die geringe Notwendigkeit von Schilden im Kampf erklären, aber auch ihr weitgehendes Fehlen in den palastzeitlichen Kampfdarstellungen begründen. Bemerkenswert ist jedoch, daß der archäologisch und in den Linear B-Texten bezeugte metallene Körper- oder Schuppenpanzer in keiner einzigen Kampfdarstellung wiedergegeben ist.152 Helm und Beinschienen begegnen hingegen häufig; ihr gelegentliches Fehlen sollte jedoch nicht automatisch auf eine nicht-mykenische Identität der betreffenden Kriegergruppe schließen lassen – zu stark variabel ist das Auftreten dieser Schutzwaffen in der Ikonographie, als daß wir sie als unerläßlich betrachten dürften. Bei der Darstellung von Helmen haben wir es in den meisten Fällen mit dem Eberzahnhelm zu tun;153 ist in kleinformatigen Darstellungen nur die horizontale Gliederung des Helmes ohne Angabe der Keilerzähne angegeben, so ist vermutlich auch hierbei ein Eberzahnhelm gemeint.154 Bogenschützen begegnen in spätmykenischen Kampfdarstellungen gelegentlich, obgleich seltener als zuvor. Mit Ausnahme der Jagdszene auf einem Goldring aus Schachtgrab IV in Mykene kennen wir aus der Frühägäis bislang keinen Beleg für das im Orient und in 147 148

149 150 151 152 153 154

Tarlea, Playing by the rules; Jung, Mehofer, Sword of Naue II type, bes. 120f., 131f.; Peatfield, Paradox of violence. Dazu Immerwahr, Aegean Painting 123; Fortenberry, Mycenaean Warfare 314; Cultraro, Greco, Tradition proceeds with innovation 50; Papadopoulos, Dressing 649. Zu Schilden in der Frühägäis siehe Borchhardt, Schilde; Morgan, Miniature Wall Paintings 107–109; Daniilidou, Oktoschimi aspida. Zum Achterschild siehe Borchhardt, Schilde 6–15; Rehak, Warrior Goddess revisited 232– 236; Daniilidou, Oktoschimi aspida; Vonhoff, Kampf und Krieg 213–215. Lejeune, Civilisation mycénienne 69–74. Dazu etwa Cultraro, Greco, Tradition proceeds with innovation, bes. 47–50. So auch Buchholz, Kriegswesen 214. Dazu ferner Cultraro, Greco, Tradition proceeds with innovation 50, 52. Zum Eberzahnhelm siehe Borchhardt, Helme 18–37; Buchholz, Kriegswesen 135–209. Anders verhält es sich wohl bei den von Schofield, Parkinson, Helmets and heretics, als mykenisch angesprochenen Kriegern auf einem Papyrus aus Amarna im British Museum, bei denen es sich um Ägypter handeln dürfte; so auch Rehak, Aegean breechcloth 51 Anm. 104.

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Ägypten beliebte Motiv des Kriegers bzw. Herrschers als Bogenschütze im Streitwagen.155 Auch den Kampf unmittelbar vom Wagen aus treffen wir nur in frühen Beispielen an (Abb. 5). Der Streitwagen fungierte, neben seinem hohen gesellschaftlichen Prestigewert, vielmehr als Transportmittel des bewaffneten Kriegers zum Kampfplatz und zurück.156 Obwohl in der ägäischen Ikonographie ein eigener Wagenlenker nur selten dargestellt ist, erscheint es zweifelhaft, daß ein waffentragender Krieger in der Realität seinen Wagen selbst lenkte. Der Kampf zur See war – nach minoischem Vorbild – offensichtlich auf dem Steinreliefgefäß aus Epidauros (Abb. 12) geschildert,157 könnte aber auch in Wandmalereien mit vergleichbaren Schiffen in Pylos158 und nun auch im messenischen Iklaina159 dargestellt gewesen sein, obgleich der Kriegscharakter auf diesen Fragmenten nicht eindeutig bezeugt ist. Daß Darstellungen von Seeschlachten nicht erst in SH IIIC begegnen,160 wie angenommen wurde,161 wird auch durch die unten behandelte Symbolik des Krieges zur See nahegelegt. Über die Einheitlichkeit der Kampfrichtung in der Ikonographie läßt sich aus mehreren Gründen schwer urteilen, doch dürfte eine Orientierung der Sieger(partei) von links nach rechts favorisiert worden sein. Oft ist der aktivere Krieger auch der überlegene, siegreiche (Abb. 6–7, 9); keineswegs selten ist jedoch der Krieger in ›erhabener‹ Pose, meist im Ausfallschritt, als Sieger im Zweikampf gekennzeichnet (Abb. 6–8, 10). Eine bildliche Erzählweise, die unterschiedliche Handlungssequenzen des Kampfes in chronologischer Anordnung zeigt, wie sie seit Rodenwaldt für den ›Megaron-Fries‹ in Mykene angenommen wird, kann m.E. zumindest nicht als gesichert betrachtet werden,162 doch ist andererseits schwer vorstellbar, daß das Herbeiführen und Anschirren von Pferden an den Wagen an einer beliebigen Stelle im Kampfgetümmel angeordnet war. Der Ausgang des Kampfes dürfte vereinzelt prospektiv angegeben sein, wie etwa auf dem oben erörterten Siegel in Berlin (Abb. 9) durch das Abwenden des Gesichtes des Unterlegenen. Einen speziellen Fall bildet diesbezüglich der Fries des minoischen ›Krieger-Kraters‹ aus Schachtgrab IV (Abb. 10), in dem die Verliererseite auf noch subtilere Weise angedeutet worden sein könnte: Sollte der gefallene Waffenlose im Zentrum identisch sein mit dem über ihn hinwegstürmenden Anführer der rechten Gruppe, so hätten wir hier eine Kennzeichnung der Unterlegenheit dieser Kriegspartei vor uns, während es sich bei dem Krieger in Ausfallschritt im Vordergrund der linken Gruppe um den Anführer der Siegerpartei handeln dürfte.163 Ikonographische Raffinessen wie diese dürfen m.E. auch für andere frühägäische Bildwerke vorausgesetzt werden. Ein weiterer Aspekt könnte auf den Ablauf des Kampfgeschehens hinweisen: Sollte der Speer/die Lanze im Zweikampf primär dazu gedient haben, den Körperschild des Gegners unbrauchbar zu machen, bevor der Nahkampf beginnt, wie vermutet wurde,164 so 155

156 157 158 159 160 161 162 163 164

CMS I, Nr. 15. Vgl. Crouwel, Chariots in Bronze Age Greece 121f., 158 (G2), Taf. 10, der an der Praktikabilität des Bogenschießens vom Wagen aus in der griechischen Karstlandschaft zweifelt. Ebd. 121, 145. Siehe auch Tausend, Kampf der Wagen. Dazu oben Anm. 98. Siehe oben Anm. 105–106. Shaw, Naval power. Petrakos, Iklaina Messinias 24f. Abb. 12. Wedde, Ship Imagery 330 Nr. 6001–6003; Dakoronia, Pictorial style at Kynos. Crouwel, Fighting on land and sea 457. Diesbezüglich skeptisch äußerte sich bereits Döhl, Kampfdarstellungen 26. Blakolmer, Battle Krater 219f. Tarlea, Playing by the rules 136.

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könnten insbesondere die Siegelbilder bewußt die Endphase des Kampfes mit dem finalen, tödlichen Schwertstoß präsentieren. Was wird jedoch in spätmykenischen Schlachtenbildern nicht dargestellt? Wo bleiben Szenen der in Reih und Glied aufmarschierenden Soldaten und der Strategen, der Bogenschützen beim Training, Schilderungen eines Heerlagers, eventuell der Belagerungsmaschinen und anderer strategischer Mittel der Kriegsführung, der Waffenverteilung, von den Stadtmauern Stürzender, der Zerstörung und Einäscherung von Städten, des Fesselns und der Bestrafung der Besiegten, der Vorführung und der Deportation von Kriegsgefangenen, der Verschleppung von Frauen und Kindern, des Enthauptens oder Erschlagens der Feinde, des Abtransportes der Verletzten und Toten, der Heimkehr aus der Schlacht, der Siegesfeier oder der Weihung von Beute und Gefangenen an die Götter – Bildmotive, die uns aus Kriegsdarstellungen in Ägypten und dem Vorderen Orient gut bekannt sind?165 Ein Aufmarsch der Truppen könnte zumindest in Beispielen wie den Wandmalereifragmenten des sogenannten Captain of the Blacks aus Knossos dargestellt sein.166 Zudem fällt auf, daß Motive der frühmykenischen Zeit, wie der Kampf vom Wagen aus (Abb. 5) oder das isolierte Duell (Abb. 6, 9), in der Bildkunst der mykenischen Palastzeit weitgehend oder zur Gänze fehlen.167 Was jedoch im Vergleich mit nahöstlichen Kriegsdarstellungen besonders deutlich ins Auge sticht, ist das Fehlen eines ikonographisch oder durch Beischrift hervorgehobenen Feldherrn oder Herrschers. Daraus folgt, daß wir eine bildliche Schilderung der Überlegenheit mykenischer Kriegsmacht nur in sehr verhaltener Form antreffen. Entwicklungsgeschichtlich bemerkenswert an der Ikonographie des Krieges sind in der mykenischen Palastzeit insbesondere zwei Phänomene, die bereits von Stefan Hiller hervorgehoben wurden:168 einerseits die bis zur Schachtgräberzeit zurückreichende Tradition der Kampfmotive, die ihren Ursprung im minoischen Kreta haben, und andererseits ein gewisser Einbruch in der Beliebtheit des Kriegsthemas gegenüber den Perioden davor sowie auch danach; das heißt, die ikonographische Vielseitigkeit der Kampfdarstellungen aus frühmykenischer bzw. neopalatial-minoischer Zeit wird später nie wieder erreicht.169 2.4.2 Zum mykenischen Feindbild Es fällt nicht leicht, in minoisch-mykenischen Kampfdarstellungen ›Freund und Feind‹, das heißt, das ›wir‹ von den ›anderen‹, zu unterscheiden. Wie an anderer Stelle dargelegt, erlaubt uns die Bildkunst lediglich von einer gesamt-ägäischen Identität zu sprechen, und es gelingt uns nicht einmal ansatzweise, ikonographische Kriterien festzulegen, um regionale Identitäten wie Argiver, Boioter, Messenier, Lakonier, Knossier, Chanioten, Naxier etc. oder auch Festlandgriechen, Kreter, Kykladenbewohner im Bild voneinander zu unterscheiden, obgleich ein Denken und Handeln in lokalen und regionalen Kategorien zweifellos existier165 166 167 168 169

Von Soden, Assyrer und Krieg; Saggs, Assyrian warfare; Heinz, Feldzugsdarstellungen; Schulz, Sturm auf die Festung; Borchhardt, Schlacht und Triumph 322–334. Blakolmer, Afrikaner 84–91; Blakolmer, Black Minos. Siehe auch die Überlegungen von Hiller, Captain of the Blacks. Dazu auch Hiller, Scenes of warfare 322, 327. Hiller, Scenes of warfare, bes. 324, 327f. Hiller, Scenes of warfare, bes. 322.

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te, wie uns die Linear B-Texte eindeutig bezeugen.170 Wir können in der Bildkunst somit lediglich vom Kampf zwischen Mykenern und anderen Mykenern sprechen, und eine Definition dieser ›anderen‹ bereitet uns erhebliche Probleme. Die Evidenz der mykenischen Wandmalerei erlaubt uns, als gemeinsames Kriterium der Definition ägäischer Krieger bestenfalls das Tragen eines Helmes, in der Regel eines Eberzahnhelmes, festzulegen, doch selbst dies ist keineswegs immer der Fall, wie uns unbehelmte Krieger in Siegelbildern zeigen, bei denen es sich zweifellos um Ägäer handelt (Abb. 7–9). Der m.E. aus dem minoischen Kreta importierte ›Kriegerkrater‹ aus Schachtgrab IV (Abb. 10) führt deutlich vor Augen, daß innerhalb einer Kampfpartei Helmformen mit unterschiedlich gestalteter Bekrönung begegnen können und somit nicht der gruppenspezifischen Differenzierung dienen müssen. In diesem Relieffries kämpfen Eberzahnhelmträger gegen Eberzahnhelmträger, das heißt Ägäer gegen Ägäer – und dies bildet in der Ikonographie keinen Sonderfall, sondern die Regel, sodaß Hartmut Döhl ironisch von einem mykenischen »Bruderzwist«,171 andere von einem ›Bürgerkrieg‹ sprachen.172 Eine Definition der Kriegsgegner stellt daher nicht nur uns heute vor Probleme, sondern war in der minoisch-mykenischen Bildsprache allem Anschein nach zumeist gar nicht intendiert. Zwar erkennen wir in der frühägäischen Bildkunst keine Uniformen mit Rangabzeichen oder Waffengattungen mit spezieller Tracht,173 doch insbesondere Freskenpartien des Frieses aus Pylos zeigen jeweils sowohl gruppenspezifisch homogene Mykener – bis hin zum identischen Schurzdekor – als auch ihre Gegner jeweils in einheitlicher Gewandung (Abb. 17–18). Diese Einheitlichkeit wäre jedoch nicht gegeben, wenn mehrere dieser unterschiedlichen Partien von demselben Friesabschnitt stammten. Es ist unklar, ob die Heterogenität wie in Mykene oder die Einheitlichkeit wie in Pylos der Realität entsprach, oder ob wir hier Kriegsparteien bestehend aus Angehörigen mit unterschiedlicher Gruppenidentität vor uns haben, wie die pylischen Fragmente nahelegen. Verlockend, jedoch zu kühn und letztendlich unwahrscheinlich erscheint der Schluß auf ein Bündnis verschiedener regionaler Truppenkontingente von Kriegern, die in ihrer spezifischen Kampftracht dargestellt wurden, wie dies etwa im neuassyrischen Heer der Fall war174 – um hier das Beispiel ›Trojanischer Krieg‹ zu vermeiden. Der mangelhafte Erhaltungszustand der mykenischen Wandbilder könnte uns auch hierbei in vielerlei Hinsicht täuschen. Besonders die Freskopartien aus Mykene und Pylos lassen erkennen, daß das Kampfgeschehen zwischen den Kriegsparteien nicht einseitig polarisierend, sondern ausgeglichen erscheint, das heißt, auch Eberzahnhelmträger werden keineswegs selten getötet.175 Der nach hinten herabstürzende Krieger im ›Megaron-Fries‹ von Mykene (Abb. 13) ist durch 170 171

172 173 174 175

Blakolmer, Missing barbarians; Blakolmer, Weilhartner, Eberzahnhelmträger und ke-senu-wo. Döhl, Kampfdarstellungen 28. Vgl. bes. die Szene mit dem vom Wagen fallenden mykenischen Krieger im ›Megaron-Fries‹ von Mykene. Bereits Döhl, ebd. 26, fand es »bemerkenswert, daß ausgerechnet bei einer Kampfdarstellung in einem mykenischen Megaron ein mykenischer Krieger auf diese Weise zu Tode kommt«. Dies zogen in Erwägung Vermeule, Greece 201; Kontorli-Papadopoulou, Fresco fightingscenes 335. Dazu Papadopoulos, Dressing. Vgl. Saggs, Assyrian warfare 145f. Siehe bereits den Goldschieber mit Zweikampf aus Schachtgrab III in Mykene, auf dem ein barhäuptiger Krieger einen Gegner mit Helm und Achterschild erdolcht: CMS I, Nr. 11.

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Beinschienen und Gewandung klar als Mykener definiert. Auch im Schlachtenfries aus Pylos stürzen mehrmals Krieger in mykenischer Ausstattung, ja in den einzelnen Passagen erscheint das Kampfgeschehen zwischen den gegnerischen Parteien ausgewogen (Abb. 17– 18). Dies bedeutet nicht zwangsläufig, daß in Mykene getötete Krieger aus Mykene selbst und in Pylos gefallene Pylier dargestellt wurden; im Vordergrund steht vielmehr der Kampf selbst und nicht eine tendenziöse Verherrlichung der (eigenen) Siegerseite. Dies ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Diese Art der narrativen Schilderung des Kampfes erscheint dokumentarisch, neutralisierend, genrehaft, und darüber hinaus legt sie eine ideelle, übergeordnete ethnische Kategorie von ›Mykenern‹ im Sinne von Festlandgriechen oder – noch allgemeiner – ›Ägäern‹ nahe, die in gewisser Variabilität dargestellt werden konnten.176 Für die gesamte frühägäische Bildwelt gilt, daß im Kampf Unterlegene, Sterbende oder Tote ikonographisch und in ihrem Bildkontext klar als solche definiert sind, jedoch einerseits nicht verächtlich gemacht oder mit negativen Merkmalen wie einer pejorativen Mimik ausgestattet wurden, und andererseits sind sie in der Regel als Ägäer charakterisiert. Ein Ausdruck von Schmerz ist nicht eindeutig feststellbar.177 Was den Szenen Dramatik verleiht, sind vielmehr die bewegten Posen, insbesondere jene der Gefallenen. Mykenische Kampfbilder lassen auch nicht die Brutalität und offene Zurschaustellung des Tötens, ein einseitiges Niedermetzeln der Feinde erkennen, wie uns dies etwa in orientalischen Kampfszenen begegnet,178 oder auch bei Homer: »Peiroos stieß ihm den Speer in den Nabel, und alle Gedärme stürzten heraus auf die Erde«.179 Der Kampfgegner wurde nicht bloß wertfrei geschildert, sondern meist gar nicht als Feind charakterisiert. Dies zeugt wohl weniger von einem humanen militärischen Ethos als vielmehr von einer eigentümlichen Repräsentationsstrategie der Bildkunst: Dargestellt erscheint eine geradezu egalitäre Kriegergemeinschaft bei der Ausübung ihrer todbringenden Tätigkeit. Da es sich bei den allermeisten Kriegerdarstellungen somit um Mykener handelt, erscheint es folglich problematisch, von ›Gegnern der mykenischen Krieger‹ zu sprechen, da in der Regel Mykener gegen Mykener kämpfen. Wo dies nicht eindeutig der Fall ist, wurden die ›nicht-mykenischen‹ Krieger meist unbehelmt und mit längerem Haar dargestellt (Abb. 18). Sie begegnen ausschließlich als Fußkrieger; der Streitwagen war Angehörigen der mykenischen Palastkultur vorbehalten. Wie bereits erwähnt, weist nichts darauf hin, daß eine der dargestellten Schlachten in einem exotischen Umfeld außerhalb der Ägäis stattfindet, ja es fällt sogar schwer, von einem Krieg an der Peripherie des ägäischen Kulturraumes zu sprechen, wie uns dies in hethitischen, indirekt aber auch in Linear B-Quellen bezeugt ist. Auch wenn manche Krieger nicht mit Eberzahnhelm und Beinschienen ausgerüstet sind, werden wir ihnen in keinem einzigen Fall eine ethnisch-kulturelle Herkunft von außerhalb der Ägäis zuordnen können. Was uns minoisch-mykenische Kampfbilder vielmehr zeigen, sind ideelle Schlachten oder Kämpfe zwischen ›anonymen‹ gegnerischen 176 177

178 179

Blakolmer, Weilhartner, Eberzahnhelmträger und ke-se-nu-wo. Vonhoff, Kampf und Krieg 63 (zu seiner Kat.-Nr. 96), vermutete im erhobenen Arm eines getroffenen Kriegers einen Schmerzgestus, doch dürfte dieser Krieger eher seinen Gegner am Kopf packen. Vgl. Müller, Grausamkeit und Elend. Hom. Il. 4,525f. (Übers.: H. Rupé). Siehe allgemein Hellmann, Schlachtenszenen.

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Gruppen von Ägäern einerseits, aber auch Kämpfe zwischen der mykenischen Palastmacht und ›Wilden‹ außerhalb der palatialen Gesellschaftssphäre andererseits. Eine Art ethnische Differenzierung lag nur äußerst selten im Interesse palatialer Ikonographie180 und wird uns in Kampfdarstellungen bislang bestenfalls im Palast von Pylos nahegelegt, fehlt jedoch im Repertoire der mykenischen Paläste der Argolis und Böotiens. Wie zuvor geschildert, sind im pylischen Schlachtenfries felltragende ›Barbaren‹ mit langem Haar dargestellt (Abb. 18), die eine Art mykenische ›Zivilisationsarroganz‹ widerspiegeln dürften. Doch sogar hier ist zu beobachten, daß diese ›Barbaren‹ oder ›Hinterwäldler‹ mykenische Krieger mit Beinschienen und Helm töten.181 Das heißt, das Kampfgeschehen ist selbst hier nicht einseitig auf den (mykenischen) Triumph ausgerichtet, sondern der Kampf per se bildet das Hauptthema. Der schlechte Erhaltungszustand der umfangreichen Kampfhandlungen in den Wandfriesen aus Mykene und Pylos läßt uns leider im Ungewissen darüber, wo die Kriegshandlungen konkret angesiedelt sind. Attackieren jeweils Angehörige einer mykenischen Palastregion ein benachbartes mykenisches Territorium? Verteidigen sie ihr eigenes Territorium gegen feindliche mykenische Angreifer? Zumindest im Falle des ›Megaron-Frieses‹ in Mykene dürfte es sich teilweise um Kämpfe im Zuge einer Stadtbelagerung handeln. Greifen hier die Truppen von Mykene eine andere Stadt mykenischen Charakters an, oder ist hier eine erfolgreiche Verteidigung von Mykene selbst geschildert? All diese Fragen müssen nicht nur unbeantwortet bleiben, sondern unklar ist sogar, ob diese sich im 2. Jt. überhaupt stellten. Wenn das Selbstbild und die Identität des Gegners in so geringem Maße eine Rolle spielten, daß zwei Kampfparteien in größtmöglicher Beliebigkeit, allein mit Schurz und Schwert ausgestattet, geschildert werden konnten (Abb. 8–9), so stellt sich die Frage, warum dann überhaupt Krieger auch mit spezifisch mykenischer Ausstattung gezeigt wurden. Der Grund dafür liegt offensichtlich nicht in einer Klärung der ethnischen Identität der Kriegsgegner, sondern in der inner-ägäischen sozialen Selbstdefinition, der Demonstration von Zugehörigkeit zur Elite der mykenischen Palastgesellschaft. 2.5 Wie sind die spätmykenischen Kampfdarstellungen zu verstehen? Aus dem zuvor Dargelegten läßt sich bereits erschließen, daß wir über den Charakter frühägäischer Darstellungen von Kampf und Krieg im allgemeinen – und von solchen der mykenischen Palastzeit im besonderen – im Grunde wenig aussagen können. Das Spektrum der auswertbaren Bildquellen aus SH IIIA–B erweist sich letztendlich als sehr eingeschränkt, der Erhaltungszustand vor allem der entsprechenden Wandbilder ist äußerst schlecht und läßt viele Fragen a priori unbeantwortet, und die motivischen Parallelen aus früheren Perioden informieren uns nur bedingt über das Verständnis während der mykenischen Palastzeit. Daher soll hier in groben Zügen die Frage erörtert werden: Wie sind die spätmykenischen Kampfdarstellungen tatsächlich zu verstehen? 180 181

Dazu Blakolmer, Ethnizität und Identität 34f. Abb. 7–9; Blakolmer, Missing barbarians. Entgegen der Aussage von Davis, Bennet, Making Mycenaeans 109, dürfte der Fellträger im rechten Fragmentbereich sehr wohl ein Kurzschwert halten und mit diesem den ›Mykener‹ soeben attackieren.

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Unklar bleibt, ob mit den spätmykenischen Schlachtenbildern auf die lokale politische Geschichte Bezug genommen wurde, wie dies vor allem beim ›Megaron-Fries‹ in Mykene verlockend erschiene.182 Auch bei den Kriegsdarstellungen in Pylos erkannte man in der Schlacht zwischen Mykenern und strubbelhaarigen Fellträgern (Abb. 18) konkrete Feinde und in der Folge eine Widerspiegelung der bei Homer genannten Schlacht des Nestor gegen die Arkader183 bzw. »the enemies with whom the Pylian state contested in the course of its expansion as non-Mycenaean in material culture«.184 Angesichts des zuvor geschilderten, grosso modo unspezifisch ›ägäischen‹ Charakters aller Kriegsparteien185 kann nicht ausgeschlossen werden, daß es sich bei solchen historisierenden Interpretationen spätmykenischer Wandbilder als »theater of memory«186 eher um modernistische Vorstellungen handelt, doch sticht der Schlachtenfries von Pylos tatsächlich aus den Kampfdarstellungen heraus, indem hier eine der gegnerischen Kriegergruppen zumindest in einer Einzelpassage in Ausrüstung und Bewaffnung deutlich von den mykenischen Kriegern mit Schurz, Eberzahnhelm und Beinschienen unterschieden wird. Insbesondere für die in Felle gekleideten Krieger wird man einen anderen sozialen Charakter postulieren dürfen, der außerhalb der mykenischen Palastsphäre lag. Gegen eine Interpretation als mykenische Historienbilder mit konkreten Kriegen und Schlachten spricht der generell äußerst geringe Grad an Konkretheit in der ikonographischen Gestaltung. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, daß die Frage nach Konkretheit und Historizität von Kampfbildern in der bisherigen Forschung primär anhand kretisch-minoischer oder deutlich in minoischer Tradition stehender Beispiele der Schachtgräberzeit gestellt wurde.187 Während minoische Stadtdarstellungen der Neupalastzeit durchaus in ihrer individuellen, spezifischen Topographie geschildert wurden,188 dürfte dies nach bisherigem Wissen bei den spätmykenischen Schlachtenbildern, die weitaus weniger Individualismus und Konkretheit erkennen lassen, nicht der Fall sein. Keine Angabe einer speziellen Örtlichkeit, keine individuelle Architektur, die mehr als die konventionellen Versatzstücke erkennen läßt, keine Kampfereignisse, die uns aufhorchen lassen, auch keine regionalen Spezifika in der Bewaffnung der Krieger sind erkennbar. Und was bei der Beurteilung noch schwerer wiegt: Wir erkennen keine in ihrer Bedeutung oder als Individuum aus der Masse klar hervorgehobene Kriegergestalt, die als Einzelkämpfer oder Herrscher benennbar sein sollte. Allein schon die geringe Zahl mykenischer Schlachtenbilder dürfte uns vor Augen führen, in welch eingeschränktem Ausmaß die SH IIIA–B-zeitliche Bildkunst narrativ ausgerichtet war. Dem steht eine große Zahl unterschiedlicher Waffen- und isolierter Kriegermotive gegenüber, denen wir uns im Anschluß widmen werden. Jedenfalls nimmt die Pla182 183 184 185 186 187

188

Siehe z.B. Tournavitou, Fresco decoration and politics 724. Zurückhaltender äußerte sich Rodenwaldt, Fries 60f. Yalouris, Schlachtengemälde. Davis, Bennet, Making Mycenaeans 115. Dazu Blakolmer, Missing barbarians; Blakolmer, Weilhartner, Eberzahnhelmträger und ke-se-nu-wo. So Davis, Bennet, Making Mycenaeans 110. Siehe bes. Döhl, Kampfdarstellungen 22–28. Zu einer Deutung der Kampfmotive in frühägäischen Siegelbildern als »historisches Ereignis« tendierte auch Stürmer, Ikonographie des Kampfes 118. Dazu bes. Pavúk, City on the slope. Zu ägäischen Stadtdarstellungen siehe auch oben Anm. 115.

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I. Grundlagen des spätmykenischen Militärwesens

kativität in der Bildsprache des Krieges in der mykenischen Palastzeit deutlich zu. Bezüglich des Fehlens von Beischriften in mykenischen Kampfbildern – wie auch in der frühägäischen Ikonographie generell – könnte ein methodisches Problem auch in folgender Überlegung gesehen werden: Handelt es sich um eine historische Schlacht, obwohl keine Beischrift angebracht wurde? Oder handelt es sich um eine historische Schlacht, weil kein erklärender Text als erforderlich erachtet wurde, da Brisanz und Einzigartigkeit der jeweiligen Schlacht ohnedies jedem Betrachter präsent waren? Selbst in ägyptischen Kriegsdarstellungen ist der historisch-dokumentarische Charakter als ambivalent zu betrachten: »Die Historizität der Szenen muß von Fall zu Fall diskutiert werden, dürfte aber nicht allein im Vordergrund gestanden haben. Der magisch-mythische Aspekt war wohl der entscheidende, die historisch gebundene Aktualisierung des Geschehens erwünscht, aber wohl nicht zwingend notwendig.«189 Trotz aller Unterschiede zwischen der nahöstlichen und der frühägäischen Bildsprache könnte ein vergleichbares Verständnis m.E. auch für die mykenischen Kampfdarstellungen in Betracht gezogen werden. Wir haben es bei spätmykenischen Kampfdarstellungen wohl auch nicht mit mythischen, ›heroischen‹ Schlachten auf einer metaphysisch-abstrakten Ebene zu tun; dafür fehlen uns in frühägäischen Kampfbildern jegliche Indizien für Heroengestalten oder eine nähere Kennzeichnung der mythologischen Sphäre, etwa durch Mischwesen, Gottheiten oder Frauen in besonderer Position, wie wir dies zwar in Siegelbildern mit Kriegssymbolik bisweilen antreffen, in keinem einzigen Fall jedoch in Kampfdarstellungen selbst. Auf einen ›heroischen‹ Charakter könnte die überaus spärliche Bekleidung der Krieger mit Lendenschurz besonders in den Kampfdarstellungen der frühen Spätbronzezeit (Abb. 6–10) hindeuten, die nur geringfügigen Schutz bietet und in der spätmykenischen Ikonographie meist durch ein realistischeres Gewand ersetzt wird. Richtungsweisend könnte jedoch die Sichtweise von Cheryl D. Fortenberry sein, bei den Zweikämpfen in den Siegelbildern handle es sich um »ceremonial contests of strength which took place between social equals at the highest level of Mycenaean society and […] essentially irrelevant to the practice of real warfare«.190 Der stark abgekürzte, emblematische Charakter von Kampfmotiven in der Siegelglyptik und weiteren Bildmedien läßt sich zwar keineswegs auf einer phantastischen, mythologischen Ebene ansiedeln, könnte uns aber dennoch die Sicht auf die tatsächliche Kriegsführung in der militärischen Realität beträchtlich verstellen. Was aber – nach dieser Absage an Historienbilder und die mythisch-überhöhte Ebene – zeigen die spätmykenischen Schlachtenbilder und Kampfmotive dann? Wie bereits mehrfach angesprochen, vermitteln sie den Eindruck einer idealtypischen ›Schlachtenidylle‹, eine allgemeine, genrehafte Widerspiegelung von Krieg und Wehrhaftigkeit als Aussage per se. Emily Vermeule sprach in Bezug auf das ›Belagerungsrhyton‹ aus Schachtgrab IV in Mykene von »a generalized tradition of battle imagery«191 bestehend aus »quintessential distillations of all the great sieges«,192 und Hartmut Döhl wollte »in allererster Linie eine Zurschaustellung von Kriegsglück, herrscherlichem Geschick, Macht und Größe« 189 190 191 192

Schulz, Sturm auf die Festung 41. Fortenberry, Mycenaean Warfare 306f. Vermeule, Greece 102. Vermeule, Art of the Shaft Graves 42.

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erkennen,193 was auch durch die neutralisierten Wagendarstellungen in der SH IIIBzeitlichen Piktorialkeramik unterstützt wird. Demnach könnten wir diese Kampfszenen eher als allgemeine propagandistische Bildformeln des idealisierten ›Siegers im Zweikampf‹ und des Typus der ›Schlacht in der Ebene vor einer Siedlung‹ verstehen. Die Schilderung einer vorbildhaften, über-individuellen ›Aristie‹ des Kriegers kann in frühägäischen Kampfbildern zwar deutlich erkannt werden, jedoch in einer unkonkreten, anonymen, über-individuellen und regionalspezifisch indifferenten Art und Weise. Dies schließt keineswegs aus, daß mit den jeweiligen Schlachtenbildern an ein oder mehrere historische Kriegsereignisse erinnert werden sollte; im Bild konkretisiert und spezifiziert wurde dies jedoch, nach bisherigem Wissen, grundsätzlich nicht. Eine Ausnahme könnte dabei der Kampf mit den gegnerischen Fellträgern im Fries von Pylos (Abb. 18) bilden, der zumindest bei der Definition des Gegners eine Konkretheit erkennen läßt, die uns bislang in keiner anderen spätmykenischen Kampfdarstellung nachgewiesen ist. Es sei auch betont, daß die Spärlichkeit von ausgedehnten Schlachtenfriesen an den spätmykenischen Zentren nicht im Sinne von Bedeutungslosigkeit verstanden werden sollte, sondern vielmehr vom Gegenteil zeugen dürfte: von einer Exklusivität dieses Bildthemas. Beeindruckende Kriegsdarstellungen wie in den Palästen von Mykene und Pylos könnten in der Palastzeit durchaus ikonographisch und motivisch als vorbildhaft gegolten haben, als exklusiv im Sinne von Einzigartiges bewahrend, jedenfalls in ihrer Brisanz noch bedeutungsvoller als etwa Prozessionsdarstellungen in der spätmykenischen Wandmalerei. Zumindest gewinnen wir den Eindruck, daß die Exklusivität und die Konzentration der Schlachtengemälde auf ausgewählte, bedeutende Palastsäle dieser Bildthematik einen eminent wichtigen Stellenwert in der palatialen Ikonographie zukommen ließen. 2.6 Symbolische Bedeutung von Waffen, Krieg und Krieger Die frühägäische Bilderwelt ist nicht allein eine Quelle für militärische Realien und Kampftaktik, sondern sie bietet auch unverzichtbare Hinweise auf die symbolische Bedeutung dieses wesentlichen Lebensbereiches der ägäischen Bronzezeit. Dies kommt insbesondere in fünf Motivtypen zum Ausdruck. Ein weitverbreitetes Motiv im spätmykenischen Griechenland bilden Kriegerköpfchen im Elfenbeinrelief als Appliken der Kleinkunst,194 das heißt ein männlicher Kopf im Profil, selten en face,195 der einen Helm trägt, bei dem es sich stets um einen Eberzahnhelm handelt (Abb. 22). Daß dieser Topos auch in anderen Gattungen verbreitet war, dürfte das oben genannte Freskofragment aus Theben bezeugen, das eine Reihe vertikal angeordneter Kriegerprotomen als Gewanddekor präsentiert196 (Abb. 23). Auch wenn hier ganz offensichtlich der bewaffnete Krieger im Vordergrund steht, bleibt doch unklar, ob eine Reihe unbehelmter Männerköpfe mit Vollbart wie auf einer Silberschale mit Goldeinlage aus Mykene 193 194 195

196

Döhl, Kampfdarstellungen 28. Siehe auch Militello, Rhytòn dei Lottatori 384. Poursat, Essai 54–57. Dies ist der Fall bei einer Plakette aus Mykene (Poursat, Catalogue 89 [Nr. 290/2470], Taf. XXVII) und einem Stück aus Chania: Andreadaki-Vlazaki u.a., Land of the Labyrinth 109 (Nr. 81) mit Abb. Spyropoulos, Tichografimata 113–118, Taf. 25a–b; Blakolmer, Inkarnatsfarbe 10f. Abb. 4; Blakolmer, Body marks and textile ornaments 330, Taf. LXXIII9.

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Abb. 22: Elfenbeinernes Kriegerköpfchen aus Mykene (nach Kaltsas, National Archaeological Museum, Abb. S. 138). nicht dieselbe Aussage vermitteln sollte,197 wobei gleichsam ›Männlichkeit‹ zum reduzierten Symbol für ›Krieger‹ geworden wäre. Dies würde das Motiv gewissermaßen zu einer Chiffre für ›Mykener gehobenen Standes‹ machen, und der Kriegscharakter wäre eine plakative, aber untergeordnete Konnotation dieser gesellschaftlichen Aussage. Der Eberzahnhelm besaß auch in isolierter Form, ohne seinen Träger, eine Symbolik und kann in vielfacher Weise angetroffen werden. Er begegnet in einem Wandmalereifries mit einer Reihe realformatiger, polychromer Eberzahnhelme mit Helmbusch im theräischen Akrotiri198 ebenso wie als Emblem in der SM II-Gefäßkeramik199 und auf dem Bein eines stuckierten Dreifußes aus Mykene200 (Abb. 24). Mit seiner Kombination von Gestaltung und Funktion veranschaulicht der Eberzahnhelm deutlich den ideellen Zusammenhang von Jagd und Krieg und unterstreicht damit erneut die gesellschaftliche Ebene dieses schützenden Kriegsgerätes. Andere kriegerische Helmformen sind in der Altägäis als symbolische Embleme bislang nicht bezeugt, sondern bezeichnender Weise lediglich der markante Schutzhelm für den Boxkampf201 – auch dies ein Indiz für die hochgradige gesellschaftliche Bedeutung des Helmes, welche über die Symbolik des Krieges hinausreicht. So vertraut uns der Achterschild in der frühägäischen Ikonographie als isoliertes, symbolhaftes Motiv auch erscheint, stellt er nach Aussage der Bildquellen während der mykenischen Palastzeit keineswegs einen weit verbreiteten Ausrüstungsteil von Kriegern dar.202 197

198 199 200 201 202

Xenaki-Sakellariou, Chatziliou, Peinture en métal 30 (Kat.-Nr. 19), Taf. X2; siehe auch vergleichbare Einlagen aus Pylos: Blegen, Rawson, Pylos I, 57f. Abb. 261; Xenaki-Sakellariou, Chatziliou, Peinture en métal 32 (Kat.-Nr. 25), Taf. X1. Akrivaki, Odontofraktos kranos. Evans, Tomb of the Double Axes 26, Farbtaf. IV; Borchhardt, Helme 46 (Kat.-Nr. 8 III), Taf. 7–8. Lamb, Stucco altars 225, Taf. XXXVIIa und d; Borchhardt, Helme 34, Taf. 3,4. Blegen, Rawson, Pylos I, 314 Abb. 309; Borchhardt, Helme 55 (Kat.-Nr. 10 III), Taf. 9,4. Zum Achterschild siehe oben Anm. 149.

2. Die Ikonographie des Krieges in der mykenischen Palastzeit

Abb. 23: Wandmalereifragment aus Theben (nach Spyropoulos, Tichografimata, Taf. 25a).

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Abb. 24: Fußfragment eines stuckierten Dreifußes aus Mykene (nach Lamb, Stucco altars, Taf. XXXVIIa).

Dieses traditionsreiche Motiv mit symbolischer Brisanz begegnet als Gefäßdekor und in der Siegelglyptik bereits im altpalastzeitlichen Kreta,203 ist uns in Form eines Silberrhytons aus Schachtgrab IV in Mykene bekannt204 und tritt häufig als Einzelmotiv spätmykenischer Plaketten aus Gold oder Elfenbein auf.205 In monumentaler Form sind uns Reihen von Achterschilden in Wandmalereien aus Knossos, Mykene, Theben, Tiryns206 (Abb. 25) sowie im Palast von Pylos207 und möglicherweise bereits in Akrotiri auf Thera bezeugt.208 Die stuckierte Steinplatte mit Ritualszene um eine Göttin mit Achterschild aus Mykene209 besitzt nun eine mögliche Entsprechung aus dem Schrein in Agios Konstantinos bei Methana, auf der zumindest noch ein Achterschild erkennbar ist.210 Besaß der Eberzahnhelm unverkennbar eine Verbindung mit der Keilerjagd, so stand der Achterschild aufgrund seiner Bespannung in Verbindung mit der Tötung eines Stieres, möglicherweise in rituellem Kontext.211 Symbolisieren isolierte oder aufgereihte Achterschildmotive jedoch tatsächlich stets Kampf und Krieg, und in welchem Ausmaß standen sie in der Spätbronzezeit noch in Zusammenhang mit der militärischen Wehrhaftigkeit? Da der Achterschild in der mykenischen Palastzeit bei Kriegerdarstellungen nur noch ganz vereinzelt begegnet,212 könnte sich seine Symbolik bereits früh verselbstständigt und auf eine stärker allegorische Ebene verla203 204 205 206 207 208 209 210 211 212

Evans, Palace of Minos IV, 131 Abb. 99, 133; CMS II2, Nr. 32, 306. Sakellariou, Nea morfi; Daniilidou, Oktoschimi aspida 215f. (M4), Taf. 33. Poursat, Essai 98–100, Taf. IV1. 3, VII3, IX1, XI6. Immerwahr, Aegean Painting 138–140; Vonhoff, Kampf und Krieg 294f. (Kat.-Nr. 118–123). Shaw, Shields made of cloth. Zu dieser Deutung eines Wandmalereifragmentes aus Akrotiri, das allem Anschein nach eine Reihe paralleler Nähte der Schildbespannung zeigt, siehe Blakolmer, Battle Krater 222, Taf. LVI10. Rodenwaldt, Votivpinax, mit Taf. VIII; Rehak, Warrior Goddess; Hooker, Athena at Mycenae. Konsolaki-Yannopoulou, Mycenaean religious architecture 72, 94f. Abb. 14 a–b. Dazu u.a. Rehak, Warrior Goddess revisited 233. Siehe etwa die Elfenbeinplakette mit Krieger aus Delos: Poursat, Essai 157, 160, Taf. XIV1.

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gert haben. Als kleinformatiges Beizeichen in Siegelbildern unterschiedlicher Thematik213 und als Henkelform von Alabastra214 ist wohl nur noch gelegentlich eine Bedeutung von Wehrhaftigkeit und Schutz (als Gefäßverschluß?) in Betracht zu ziehen. Jedenfalls erscheint es zweifelhaft, jeden Achterschild als isoliertes Motiv mit kriegerischer Schutzfunktion oder militärischer Ideologie im engen Sinne zu assoziieren. Der Streitwagen bildete in der Altägäis ein wichtiges Statusobjekt, wobei bereits die frühesten Bildzeugnisse zu Beginn der Spätbronzezeit den Streitwagen in Verbindung mit Krieg (Abb. 5), Jagd und der religiösen Sphäre präsentieren.215 Zwar besitzen wir aus einer langen Zeitspanne deutliche und wohl auch zuverlässige ikonographische Evidenz für die Verwendung von Streitwagen im Kampf wie auch bei der Jagd, und auch die in Linear BTextserien aus Knossos und Pylos vermerkten Streitwagen geben beredtes Zeugnis von der realen Existenz und der großen Zahl dieses Gefährtes in der Ägäis ab.216 Gegenüber der Tauglichkeit des Streitwagens als flexibel manövrierfähiges und großräumig einsetzbares Transportmittel in der Karstlandschaft Kretas und des griechischen Festlandes ist jedoch Skepsis angebracht.217 Dennoch besaß der Streitwagen per se eine Bedeutung und allgemeine Symbolik, die den Krieg miteinschloß, wie uns zahlreiche Waffentragende in Streitwagen auf spätmykenischen Piktorialgefäßen vor Augen führen. Es muß jedoch daran erinnert werden, daß insbesondere in der mykenischen Palastzeit die plakativen Kratermotive den Wagen als Prestigegerät der palatialen Eliten präsentieren und keineswegs fokussiert auf seine kriegerische Funktion.218 Lange Zeit und teils bis heute in ihrer Symbolik gerne übersehen wurden die sogenannten Ikria, Heckkabinen mit markanter Bespannung aus Rinderfell oder Textilgewebe mit Ornamentdekor, die uns in großformatigen Wandbildern in Akrotiri auf Thera und in Mykene sowie in der Siegelglyptik bezeugt sind.219 Die eminente symbolische Bedeutung dieses Emblems im Kontext der Seefahrt steht heute außer Streit, und zumindest eine plausible Interpretationsmöglichkeit bildet der militärische Kontext der Seeschlacht. Achterschild und ›Ikrion‹ bilden somit Symbole für den Krieg zu Land und zur See – mit Maria Shaw gesprochen: »concentrated symbols of power when isolated from their narrative contexts«.220 Die tatsächliche Kriegssymbolik dieser fünf Motive ist einerseits – mit Ausnahme des ›Ikrion‹ – evident. Andererseits erscheint es in allen Fällen wahrscheinlich, daß bereits in der Symbolsprache des neopalatialen Kreta die Bedeutung über das eigentliche Kriegerische weit hinausgegangen sein dürfte; dies könnte ebenso auf weitere Waffen wie das 213 214 215 216 217 218 219 220

Siehe Marinatos, Minoan Sacrificial Ritual 52–58, 64–71; Daniilidou, Oktoschimi aspida 109–161. Siehe etwa Rehak, Minoan vessels with Figure-eight Shields. CMS I, Nr. 15; II6, Nr. 19, 260; II8, Nr. 193; V Suppl. 3, Nr. 391. Zu den Stelen der Schachtgräber von Mykene siehe oben Anm. 91. Driessen, Arsenal of Knossos. Dazu auch oben Anm. 142. Siehe bes. Rystedt, No words, only pictures, bes. 94–97; Rystedt, Pictorial matter, pictorial form 245; Hiller, Scenes of warfare, bes. 325f.; Hiller, Rise of the pictorial style 63f., 69f. Shaw, Painted Ikria; Shaw, Ship-cabins; Morgan, Miniature Wall Paintings 137–142. Shaw, Aegean sponsors and artists 501.

2. Die Ikonographie des Krieges in der mykenischen Palastzeit

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Abb. 25: Wandmalerei mit Achterschilden aus Tiryns (nach Rodenwaldt, Tiryns II, Taf. V). Schwert und den Köcher zutreffen.221 Wie zuvor bei der Ikonographie des Krieges gezeigt, erweist sich auch bei den in Verbindung mit Waffen stehenden Symbolen der Grundsatz, daß in der mykenischen Palastzeit schachtgräberzeitliche bzw. neopalatial-kretische Motivtypen gewählt wurden, als zutreffend. Das heißt, der Prozeß der Abstrahierung und Symbolisierung fand bereits in der frühen Spätbronzezeit statt, und zwar im minoischen Kreta. In der Symbolsprache prominente Motive wie der Achterschild und möglicherweise das ›Ikrion‹ haben in SH IIIA–B ihre Akme bereits hinter sich, während Keilerzahnhelm und Streitwagen zweifellos auch jetzt noch wichtige Elemente der zeitgenössischen kriegerischen Realität darstellen. Hier ist nicht der Platz für eine umfangreiche kontextuelle Analyse dieser prominenten minoisch-mykenischen Motive kriegerischen Ursprungs. Dennoch liegt es m.E. nahe, daß allgemeinere Funktionen, Assoziationen und Konnotationen mit Ritual und gehobenem Stand in einer Palastgesellschaft und mit dem palatialen Gedanken an sich – sei es in Verbindung mit Herrschaft oder mit Staatskult – die gesamte Spätbronzezeit hindurch die Bedeutungsebene dieser Waffen und Kriegsgeräte prägten, ohne daß der kriegerische Aspekt gänzlich verloren ging. Wenn in der frühägäischen Ikonographie das Tragen eines Helmes, eines Schildes und einer Angriffswaffe sowie die Verwendung des Streitwagens für den Kampf ebenso bezeugt sind wie für die Jagd, so verdeutlicht dies nicht allein unsere erheb221

Zur Symbolik des Schwertes siehe etwa Kilian-Dirlmeier, Non-military functions of swords; Rehak, Warrior Goddess revisited 230f.; Tarlea, Playing by the rules, bes. 137–141.

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I. Grundlagen des spätmykenischen Militärwesens

lichen Schwierigkeiten bei der Interpretation entsprechender Wandmalereifragmente, sondern legt auch die ideelle Nähe beider Aktivitäten in den gesellschaftlichen Statusmechanismen nahe.222 Dies gilt auch für agonistische Themen wie Boxkampf und Wagenrennen.223 Waffen bildeten in der spätmykenischen Ikonographie aber auch wichtige Elemente im religiösen Bereich. Frau und Waffe sind eine ikonographische Kombination, die in der Regel eine symbolhafte Aussage vermittelt. Da wir keinerlei ikonographische Hinweise auf die aktive Beteiligung von Frauen an Kampfhandlungen besitzen, fällt die Entscheidung leicht, weibliche Figuren mit Waffen als Göttinnen oder zumindest im rituellen Kontext zu verstehen, und dies gerade insofern, als sie dabei meist den für körperliche Aktivitäten denkbar ungeeigneten Volantrock tragen. Die Kombination von Frau und Waffe stellt das Thema Krieg auf eine überhöhte, rituell-sakrale Ebene, wie dies etwa in einem Wandbild mit einer weiblichen Figur mit Schwert gegenüber einer zweiten Frau im ›Kultzentrum‹ von Mykene224 oder auf dem bemalten Stuckpinax mit ›Schildgöttin‹225 zu erkennen ist. Nur vereinzelt begegnet uns eine weibliche Gestalt, die mit einer Waffe aktiv kämpft. Dies ist für die spätmykenische Wandmalerei durch ein vor kurzem vorgestelltes Fragment aus Pylos bezeugt, das eine Frau mit gespanntem Bogen zeigt.226 Da sie ein konventionelles Festgewand trägt,227 werden wir zweifellos auch hier nicht von einer sterblichen Kriegerin sprechen können, sondern von einer symbolischen Kombination von Weiblichkeit und Krieg in religiösem Kontext. Obgleich in der heutigen Forschung von Hoplolatrie in der Frühägäis keine Rede mehr sein kann, liegt in solchen Fällen der Schluß auf ein Palladion,228 eine ›Schildgöttin‹229 oder eine ›Kriegsgöttin‹230 nahe. Auch eine männliche ›Waffengottheit‹ wurde in der Forschung bisweilen erkannt, wobei die Argumentationsschwierigkeiten größer sind als im Falle einer ›Kriegsgöttin‹, besteht hier doch die Gefahr, jeden Bewaffneten nach Belieben als ›Kriegsgott‹ zu interpretieren. Folglich zeichnen einen ›Kriegsgott‹ meist nicht nur Waffen, sondern auch eine besondere Kopfbedeckung und seine Verbindung mit begleitenden Löwen aus, womit die Waffe zum Attribut für einen Kraft und göttliche Macht innehabenden ›Potnios Theron‹ wird – ein allgemeines, vielseitig einsetzbares und multivalentes Bildmotiv.231 Von der metaphysischen Bedeutung von Waffen und Kampf zeugen aber auch Affen, die als exotische, symbolische Wesen in Xeste 3 auf Thera beim Schwertkampf dargestellt wurden.232 Wesentlich schwieriger wird es, wenn wir versuchen, diese weiblichen und männlichen Figurenmotive mit den in den zeitgleichen Linear B-Texten vielfach bezeugten Gottheiten 222 223 224 225 226 227 228 229 230 231 232

Morris, Pursuit of the white tusked boar; Molloy, Martial Minoans 98–112. Militello, Rhytòn dei Lottatori, bes. 390–394. Siehe bes. Rehak, Tradition and innovation; Morgan, Cult Centre. Dazu oben Anm. 209. Brecoulaki u.a., An archer from Pylos. Vgl. die nächststehenden Parallelen: CMS XI, Nr. 26, 29. Hooker, Athena at Mycenae; Marinatos, Palladion. Nilsson, Minoan-Mycenaean Religion 406–412; Small, Shield-goddess. Skeptisch gegenüber der Existenz einer ›Schildgottheit‹ äußerte sich Marinatos, Minoan Sacrificial Ritual 52–58. Rehak, Warrior Goddess; Rehak, Warrior Goddess revisited; Laffineur, Seeing is believing 390; Warren, Shield and goddess. Chittenden, Master of Animals; Nilsson, Minoan-Mycenaean Religion 400f., 405f.; Marinatos, Minoan Religion 167–171; Müller, Herr der Löwen; Barclay, Potnia Theron. Siehe bes. Rehak, Monkey Frieze.

2. Die Ikonographie des Krieges in der mykenischen Palastzeit

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bzw. Theonymen in Verbindung zu setzen, informieren uns die frühägäischen Texte doch so gut wie gar nicht über Funktionen, göttliche Profile oder Attribute.233 Die Problematik der Zuweisung entsprechender Figurenmotive an konkrete Gottheiten ist insofern noch prekärer, als wir in der minoisch-mykenischen Götterikonographie schwerlich von konkret definierenden Attributen wie etwa später im klassischen Altertum sprechen können.234 So muß es gänzlich offen bleiben, ob waffentragende Götterfiguren der ägäischen Bildsprache mit a-re (Ares), a-ta-na-po-ti-ni-ja (Athena Potnia), *a-te-mi (Artemis) oder einer anderen Gestalt des spätmykenischen Pantheon identifiziert werden dürfen. Lediglich für das in Pylos bezeugte me-za-na, sollte es sich dabei um eine Göttin (›Messana‹) handeln, könnte kontextuell eine Verbindung mit dem Militär vermutet werden;235 und ›sprechende‹ Personennamen wie a-re-i-jo (Areios) oder a-re-i-me-ne (Areimenes), im Sinne von ›mit dem Geist des Ares‹,236 lassen es zumindest verlockend erscheinen, dem mykenischen Gott Ares eine ähnliche Funktion wie im klassischen Griechenland zuzuweisen. Dies führt uns zu Fragen des ideellen und ideologischen Charakters von Krieg und Kriegertum in spätmykenischer Zeit. Können wir von einer göttlichen Legitimation des Krieges sprechen, wie dies auch später im Vorderen Orient bezeugt ist?237 Standen zur Zeit der mykenischen Paläste expansive Eroberungskriege im Vordergrund? Oder sollten wir verstärkt mit internen militärischen Konflikten rechnen, wie dies die Bildkunst nahelegt? Es bedarf keiner weiteren Erklärung, daß wir mit diesen Fragen die Aussagemöglichkeiten der frühägäischen Ikonographie deutlich überschreiten. Kriegsideologie und Kriegspolitik der mykenischen Palastzeit lassen sich aus den Bildquellen schwer konkreter erschließen. Lediglich die bereits angesprochenen entwicklungsgeschichtlichen Unterschiede zu davor und danach erscheinen auffallend, besitzen Kampf und Krieg im ikonographischen Denkmälerspektrum der mykenischen Palastzeit doch die geringste Prominenz. Wie Angelos Papadopoulos in Verbindung mit SH IIIC betonte, verschwindet die Symbolik der Achterschilde und der Keilerzahnhelme mit den Palästen, während nun die Schilderung realer Kampfszenen in den Vordergrund tritt.238 Das traditionsreiche Motiv des Zweikampfes treffen wir im 12. Jh. nur noch außerhalb des mykenischen Kerngebietes an.239 Der Schluß, daß Krieg und Wehrhaftigkeit Teil einer eher abstrakten Symbolsprache der Paläste waren, während die post- bzw. ehemals subpalatialen Eliten den Kampfszenen einen höheren Realitätsgrad beimaßen, ist daher naheliegend, wobei viele palastzeitliche Darstellungstraditionen auch weiterhin Bestand hatten. Militärischer Kampf und Krieg dürften in der mykenischen Palastzeit oft in ihrem kompetitiven Charakter von Interesse gewesen und somit auf der Ebene agonistischer Darstellungen angesiedelt worden sein, wodurch sie zwar keineswegs an Brisanz einbüßten, ihnen jedoch eine stärker gesellschaftlich ritualisierte Bedeutung zukam als eine von omnipräsenten Kriegshandlungen geprägte. Auf den geringeren Stellenwert einer ›Militär-Ideologie‹ während der mykenischen Palastzeit wies auch Sigrid Deger-Jalkotzy hin, indem sie 233 234 235 236 237 238 239

Siehe bes. Rougemont, Les noms des dieux. Blakolmer, Pantheon without attributes, bes. 50–61. Zu diesem Theonym siehe bes. Weilhartner, Mykenische Opfergaben 149f. Rougemont, Les noms des dieux 366; Gulizio, A-re; Hiller, Herren der Paläste 45. Von Soden, Assyrer und Krieg 135f. Papadopoulos, Warriors, bes. 76f. Siehe oben Anm. 135.

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I. Grundlagen des spätmykenischen Militärwesens

in Grabinventaren, Onomastik der Linear B-Tafeln und Repräsentationskunst vom Ende der Schachtgräberzeit bis SH IIIB1 weniger Indizien für ideelle Wertvorstellungen in Verbindung mit Kampf und Krieg bei den palatialen Eliten feststellte240 und auf »no room for the ostentation of the military prowess of anyone except the king« schloß.241 Daß sich ein mykenischer ›Wanax‹ als theokratischer Monarch primär durch Insignien einer anderen Sphäre repräsentiert sehen wollte als die frühmykenischen Fürsten, wird gut veranschaulicht durch die Motivwahl der zu Beginn dieses Beitrags genannten Monumentalreliefs in Mykene: ›images of power‹ der mythologischen Sphäre und in der Nachfolge der Palastmacht von Knossos,242 obgleich integriert in massive Mauerkörper. Dies findet auch eine gute Entsprechung in dem zuvor erwähnten gehäuften Auftreten des Streitwagens in zeremoniellem und nicht-kriegerischem Kontext in der Piktorialkeramik während SH IIIA– IIIB1.243 Wie oben dargelegt, sollten wir uns durch die häufig anzutreffenden WaffenEmbleme, deren Bedeutung keineswegs auf Kampfhandlungen und Kriegertum im engen Sinne fokussiert gewesen sein dürfte, nicht täuschen lassen. Eine solche Sichtweise würde jedenfalls auch den quantitativ geringen Stellenwert von Schlachtenbildern in der mykenischen Palastzeit erklären, deren exklusive Position an der Spitze einer mykenischen Palasthierarchie Sinn macht. 2.7 Abschließende Bemerkungen Wie uns die Bildkunst der minoischen und mykenischen Palastperioden bezeugt, waren Krieg und Kriegertum elementare Bestandteile des Lebens, und dies gilt wohl für alle Regionen der Ägäis. Dennoch gewinnen wir den Eindruck, daß zumindest die ikonographisch komplexeren Schlachtenfriese der mykenischen Palastzeit nicht das Typisch-Alltägliche schildern, sondern vielmehr den brisanten Ausnahmefall. Der hohe Stellenwert des Themas Krieg wird uns durch das breite Spektrum und die Vielzahl von Waffen sowie militärischem Gerät als Symbole oder in Verbindung mit Kampf und göttlichen Gestalten vor Augen geführt, obgleich all diese Embleme bereits früh auf eine allgemeinere Ebene der Symbolsprache erhoben wurden und keineswegs auf ihren militärischen Gehalt reduziert zu betrachten sind. Generell läßt sich jedoch beobachten, daß Kampf und Krieg in Relation zu rituell-sakralen Bildthemen und im Vergleich mit den frühmykenischen Perioden und der Nachpalastzeit nun einen untergeordneten Stellenwert in der palatialen Repräsentationskunst einnehmen. Die mykenische Ikonographie von Kampf und Krieg läßt ein eher eingeschränktes thematisches Spektrum erkennen, und ihr Charakter präsentiert sich bemerkenswert aussageneutral und wenig informativ, wenn es um Kriegsführung und reale Kampfpraxis geht. Frühägäische Kampfdarstellungen sind keineswegs stets wörtlich zu nehmende, beliebig ausschnitthafte und wertneutrale Abbilder der Realität, sondern Zeugnisse einer traditionsgebundenen Bildkunst, die verschiedenen Intentionen palatialer Eliten unterworfen war, 240 241 242 243

Deger-Jalkotzy, Military prowess; siehe auch Hiller, Scenes of warfare; Neumann, Wertvorstellungen und Ideologie, bes. 138–146. Deger-Jalkotzy, Military prowess 126. Zu einem anderen Ergebnis gelangte Fortenberry, Mycenaean Warfare. Maran, Stavrianopoulou, Potnios Aner; Blakolmer, Vom Thronraum zum Löwentor. Dazu bes. Hiller, Scenes of warfare 325f.

3. Spätmykenische Bewaffnung nach Aussage der Linear B-Texte

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wie dies in zahlreichen Gestaltungsaspekten zum Ausdruck kommt. Die mykenische Ikonographie des Kampfes bedient sich einer sehr formelhaften Bildsprache, die mit Stereotypen, Abkürzungen, Weglassungen und distanzierter, überpersönlicher Neutralität arbeitet und zweifellos viele inhaltliche Vorkenntnisse beim Betrachter voraussetzte. Dies bringt es mit sich, daß wir ihren archäologisch-dokumentarischen Wert nicht überschätzen sollten. Auch der Grad an ikonographischer Narrativität ist in der mykenischen Palastzeit wesentlich geringer als während der kretischen Neupalastzeit. Der tendenziell konservative Charakter der spätmykenischen Bildkunst kommt somit auch deutlich in der Ikonographie des Krieges zum Tragen. Was die Monumentalität von Kampfdarstellungen betrifft, so muß betont werden, daß wir aus der mykenischen Palastzeit bislang kein einziges Wandbild kriegerischer Thematik kennen, das Figuren in Lebensgröße zeigt;244 große Bildformate wurden in der mykenischen Wandmalerei hingegen für Greifen, Löwen und Frauenfiguren in rituellem Kontext genutzt. Der hohe Wert und die Exklusivität der spätmykenischen Ikonographie des Krieges äußerten sich vielmehr in der ausgedehnten, detaillierten Schilderung von Schlachten in einem weiteren räumlichen Umfeld an spätmykenischen Palastwänden. Diese exklusiven Schlachtengemälde könnten durchaus als eigene, auf die Paläste beschränkte Bildgattung in spätmykenischer Zeit neu kreiert worden sein. Schlachten historischen Charakters werden im spätmykenischen Denkmälerspektrum zumindest nicht explizit geschildert, doch mahnen uns hierbei der Wandmalereifries aus Pylos und der fragmentarische Erhaltungszustand der spätmykenischen Wandbilder generell zur Vorsicht. Fest steht, daß, sollten wir Historienbilder in der mykenischen Palastzeit tatsächlich besitzen, diese allein in den ausgedehnten Schlachtengemälden zu erwarten wären, doch erscheint hier grundsätzliche Skepsis angebracht. Selbst wenn nahezu alle ikonographischen Requisiten dieser Schlachtenfriese Vorläufer im neopalatialen Kreta erkennen lassen, könnte es sich hierbei dennoch um eine gezielt geschaffene, exklusive Bildgattung handeln, die in der mykenischen Palastzeit aus eigenen Bedürfnissen heraus entwickelt wurde und der eine spezielle Funktion in der Repräsentation des palatialen Herrschaftsgefüges zukam.

3. Spätmykenische Bewaffnung nach Aussage der Linear B-Texte Die Linear B-Tafeln der Palastarchive von Knossos und Pylos245 listen – oftmals in ganzen Serien – auch Waffen oder Rüstungen und Rüstungsteile auf, aus deren Erwähnung und der zuweilen verzeichneten Zusammenstellung Rückschlüsse auf die Bewaffnung spätmykenischer Krieger und vielleicht sogar auf unterschiedliche Arten von Truppen gezogen werden können.246 Waffen und Rüstungen (bzw. Teile derselben) erscheinen auf diesen Linear B-Tafeln in zweierlei Form: Als Ideogramme oder in ausgeschriebenen Worten (vgl. Abb. 26), zuweilen aber auch in beiderlei Form gemeinsam. Bemerkenswert ist hierbei, daß sich bei genauerer Betrachtung – wie noch zu zeigen sein wird – gewisse Unterschiede zwischen der Evidenz aus Knossos und der aus Pylos feststellen lassen. 244 245 246

Dies könnte sich im neopalatialen Kreta anders verhalten haben: siehe Blakolmer, Battle Krater 221–223. Die Linear B-Tafeln aus Mykene und Theben sind in dieser Hinsicht unergiebig, in einem Fall wird jedoch auf Linear B-Tafeln aus Tiryns rekurriert. Zusammenfassend hierzu Lejeune, Civilisation mycénienne et la guerre 31–51.

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I. Grundlagen des spätmykenischen Militärwesens

Abb. 26a: Die Piktogramme für Waffen und Rüstungen sowie deren Linear B-Bezeichnungen. 3.1 Angriffswaffen 3.1.1 Lanzen und Speere Die Tafel R 1815 des Knossos-Archivs verzeichnet zwölf e-]ke-a ka-ka-re-a (enchea chalkarea) also bronzene Lanzen, wobei zusätzlich über den Text das Ideogramm *230 eingefügt ist, welches eine Lanze oder einen Speer darstellt. Von einer unbestimmten Anzahl von Lanzen (e-ke-pi=enchephi) ist auch auf der Tafel Wb 5131 die Rede, wobei der inhaltliche Zusammenhang wegen des fragmentarischen Zustandes der Tafel allerdings nicht mehr eruierbar ist. In der Schreibung e-ke-i-ja (encheia) tauchen Lanzen auch in der Pylostafel Va 1324 auf, wobei neben 30 vermerkten e-ke-i-ja, auch 20 pe-di-je-wi-ja erwähnt sind. Da es sich hier-

3. Spätmykenische Bewaffnung nach Aussage der Linear B-Texte

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Abb. 26b: Die Piktogramme für Waffen und Rüstungen sowie deren Linear B-Bezeichnungen. bei um ein Adjektiv pedieϝia > pedieia (Infanterie-) handelt, muß ein Substantiv sinngemäß ergänzt werden, was wiederum nur das zuvor genannte e-ke-i-ja sein kann. Die Tafel verzeichnet somit 30 Lanzen und 20 Infanterielanzen. Dies bedeutet aber, daß das spätmykenische Militär zumindest zwei Arten von Lanzen kannte: Solche für die Fußkämpfer, und andere.247 Unter letzteren kann man – da Infanteristen nicht mehr in Frage kommen – wohl nur Lanzen von Streitwagenkämpfern vermuten. Diese wiederum scheinen die häufigere, zumindest aber die in den Tafeln des Pylosarchivs häufiger verzeichnete Art von Lanzen gewesen zu sein, da sie – anders als die Infanterielanzen – offenbar kein Adjektiv zur näheren Bestimmung benötigten. 247

Siehe auch Höckmann, Lanze und Speer E 293; Chadwick, Documents 506.

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I. Grundlagen des spätmykenischen Militärwesens

Abgesehen von diesen beiden Arten von Lanzen sind in der Tafel noch zwei a-ko-so-ne (axones) erwähnt, was in diesem Zusammenhang möglicherweise als ›Schäfte‹ (für die Lanzen) interpretiert werden könnte. Solche axones (insgesamt 32) erscheinen auch in der Tafel Va 1323 derselben Serie mit dem Zusatz ka-zo-e was vielleicht als Komparativ von kakos (›schlecht‹) aufzufassen ist.248 Dasselbe Wort wird aber auch in der Pylostafel Vn 10 verwendet, wo a-ko-so-ne jedoch eindeutig Bestandteile von Streitwagen sind, und demnach als Achsen zu interpretieren sind. Schließlich werden Lanzen noch in der oftmals behandelten Pylostafel Jn 829 erwähnt. Dieser Text beinhaltet die Requirierung von Bronze durch Funktionsträger des Reichs von Pylos. Diese Bronze sollte zur Herstellung von a3-ka-sa-ma für pa-ta-jo-i-qe e-ke-si-qe dienen. a3-ka-sa-ma ist gesichert mit aiksmans (=aichmas) wiederzugeben249 und bedeutet demnach ›Spitzen‹. Die Bronze wurde also zur Herstellung von Spitzen für e-ke-si (enchesi), für Lanzen gebraucht. An dieser Stelle sei noch eine kurze Überlegung gestattet. Es fällt auf, daß die Bezeichnung für Lanze/Speer in zwei Formen auftritt: Zum einen in der Form e-ke-a, e-ke-si oder e-ke-pi, die sich vom Wort enchos ableitet, zum anderen aber in der Form e-ke-i-ja, welches als encheia wiederzugeben ist. Möglicherweise handelt es sich hierbei nicht um zwei Varianten für ein und dasselbe Kriegsgerät sondern um Bezeichnungen für unterschiedliche Waffen. Zu denken wäre hierbei etwa an ›Lanzen‹ einerseits und ›Speere‹ andererseits, also an eine nur zum Stoß geeignete Stangenwaffe bzw. eine, die auch zum Wurf geeignet war. Angesichts der oben festgestellten Unterscheidung von encheia für Fußsoldaten und solche für Streitwagenkämpfer kommt für die als encheia bezeichnete Waffe nur die ›Lanze‹ in Frage. Lediglich im Fall der Lanze macht die Unterscheidung zwischen Infanterie- und Streitwagenkämpferwaffen einen Sinn, da für die Verwendung auf dem Streitwagen eine wesentlich längere Lanze benötigt wurde als in der Hand eines Fußkämpfers; bei Speeren ist dies naturgemäß nicht der Fall. Unter dieser Annahme würde also encheia eine Lanze, enchos hingegen einen Speer bezeichnen. Vermutungsweise läßt sich demnach festhalten, daß in mykenischen Heeren drei Arten von Stangenwaffen Verwendung fanden: 1. Lanzen (e-ke-i-ja), die von Streitwagenkämpfern auf ihrem Gefährt eingesetzt wurden und die, um den Gegner erreichen zu können, eine dementsprechende Länge aufweisen mußten, 2. Infanterielanzen (e-ke-i-ja pe-di-je-wi-ja), die wohl kürzer waren und von Fußkämpfern getragen wurden, und 3. Speere (e-ke-a), die – ebenfalls von Fußkämpfern verwendet – noch kürzer waren und auch geschleudert werden konnten. Abgesehen von den Lanzen- oder Speerspitzen wurde die in Jn 829 verzeichnete Bronze jedoch auch für die Spitzen von pa-ta-jo-i verwendet, was wiederum mit palton=›Wurfspieß‹ in Zusammenhang steht.250 248 249 250

Bartonek, Handbuch 108, 269, 299, 303. Bartonek, Handbuch 169. Bartonek, Handbuch 207.

3. Spätmykenische Bewaffnung nach Aussage der Linear B-Texte

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3.1.2 Wurfspieße oder Pfeile Es erscheint das Wort pa-ta-jo bzw. pa-ta-ja (Pl.) nun auch in mehreren Tafeln des Archivs von Knossos. Drei Täfelchen (Ws 1702, 1704 und 1705), oder besser gesagt Siegel tragen unter anderem die Aufschrift pa-ta-ja, zwei (Ws 1704 und 8495) zusätzlich noch das Ideogramm *231, das einen Pfeil oder einen Wurfspieß darstellt. Hinzu kommt noch die Tafel R 4482, die ebenfalls das Ideogramm *231 (zweimal) trägt und die große Menge von 6010 und 6030 verzeichnet. Auf dieser Tafel ist das Ideogramm etwas abweichend dargestellt, insofern als die abgebildeten Pfeile hier deutlich befiedert sind, was die Deutung als Wurfspieße wohl ausschließt. Man könnte daher vielleicht annehmen, daß das Ideogramm mit Befiederung einen Pfeil, das ohne aber einen Wurfspieß darstellt und letzteres somit der späteren Wortbedeutung von palton entspricht,251 doch spricht der archäologische Befund dagegen. Die Siegel der Serie Ws wurden nämlich in unmittelbarer Nähe der Reste zweier Kisten gefunden, in denen sich die Spitzen und verkohlten Schäfte von Pfeilen befanden.252 Es deutet also alles darauf hin, daß sowohl das Ideogramm *231 (mit und ohne Befiederung) als auch das Wort pa-ta-jo ›Pfeil‹ bedeutet und niemals ›Wurfspeer oder -spieß‹. Dies korrespondiert auch mit der zuvor geäußerten Ansicht, daß es sich bei den e-ke-a um Speere handeln könnte. In diesem Fall ist es nämlich nicht notwendig, eine weitere Linear B-Bezeichnung für eine zu schleudernde Stangenwaffe anzunehmen. Das Vorhandensein von Pfeil und Bogen wird auch durch die Pylos-Tafel An 207 bestätigt, in der neben anderen Berufsgruppen auch to-ko-so-wo-ko (toxoϝorgoi) also ›Bogenmacher‹ erwähnt werden. Es geht aus dieser Tafel allerdings nicht hervor, ob diese Bogen für den militärischen oder zivilen Gebrauch (Jagd) bestimmt waren. Deutlicher ist in dieser Hinsicht die Knossos-Tafel V 150, in der die Worte to-ko-so-ta a-te-u-ke zu lesen sind. Dieser als toxotas ateuches (unbewaffneter Bogenschütze) zu deutende Eintrag macht die Verwendung von Pfeil und Bogen im knossischen Militär sehr wahrscheinlich. Somit spielten dem Ausweis der Linear B-Texte zufolge – neben Speeren – nur Pfeil und Bogen als Fernwaffe eine bestimmte Rolle. 3.1.3 Schwerter und Dolche Die größte Ansammlung von Blankwaffen findet sich in der Ra-Serie des Palastes von Knossos. Auf den Tafeln dieser Serie wird immer wieder – insgesamt neun Mal – das Wort pa-ka-na (phasgana) erwähnt (zusammen mit einer Zahlenangabe). Insgesamt elf Mal taucht aber auch das Ideogramm *233 auf, das deutlich ein kurzes Schwert oder aber einen langen Dolch darstellt. In einigen Fällen treten die Beizeichnung pa-ka-na und das Ideogramm *233 gemeinsam auf. Ebenfalls neun Mal erscheint in dieser Serie das Adjektiv a-raru-wo-a in Zusammenhang mit diesen pa-ka-na oder dem Ideogramm *233. Dieses Adjektiv ist mit dem Verbum ararisko (verfertigen) zu verbinden253 und bedeutet in diesem Zusammenhang wohl ›versehen mit‹, wobei nicht klar ist, womit diese pa-ka-na versehen wa251 252 253

Siehe Höckmann, Lanze und Speer E 294. Siehe Chadwick, Documents 361. Bartonek, Handbuch 268.

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I. Grundlagen des spätmykenischen Militärwesens

ren; lediglich in den Tafeln Ra 984 und 1028 dürften die pa-ka-na mit Horn (ke-ra=keras) beschlagen gewesen sein. In den beiden genannten Tafeln der Ra-Serie werden die pa-ka-na im Zusammenhang mit dem Wort e-pi-zo-ta genannt, das wohl am sinnvollsten als epizosta (›gegürtet‹ oder ›am Gürtel‹) zu deuten ist. Eben dieses Wort e-pi-zo-ta erscheint nun auch sowohl auf der Vorder- als auch auf der Rückseite einer Linear B-Tafel,254 die erst jüngst bei Ausgrabungen auf dem Hügel Aj. Vasilios etwa 10km südlich von Sparta gefunden wurde.255 Möglicherweise handelt es sich auch hier um eine Auflistung von Schwertern bzw. Dolchen, deren Gesamtzahl insgesamt immerhin 600 (!) Exemplare beträgt. Dies bestätigt nun die Annahme, daß gerade dieser Typ von Waffen zentral in den Palästen256 der mykenischen Welt gelagert wurde und möglicherweise für eine bestimmte im Palast stationierte Truppe zur Verwendung vorgesehen war. Zu bemerken wäre hier noch, daß bei den Ausgrabungen auf dem Hügel Aj. Vasilios auch ein großer Depotfund von (kurzen) Bronzeschwertern gemacht wurde, der in einer Art Magazin gelagert war. Dieser Fund dürfte jedoch mit den Angaben in der Tafel HV Rb 1 nicht in Zusammenhang stehen.257 Auffällig ist nun auch, daß in der Ra-Serie von Knossos zwei Berufsgruppen oder Ausübende einer bestimmten Tätigkeit häufig genannt werden. Insgesamt sieben Mal findet sich der Begriff ka-si-ko-no und immerhin vier Mal das Wort pi-ri-je-te. Ersteres wird mit dem griechischen kasignetos in Zusammenhang gebracht258 und bedeutet vielleicht ›Gefährte‹ oder ›Gehilfe‹, während pi-ri-je-te mit prio (sägen) in Verbindung gebracht wird und somit ›Säger‹ bedeuten würde.259 Sieht man nun – was naheliegend ist – die Erwähnung der pa-ka-na in einem militärischen Kontext, so könnte man die ka-si-ko-no vielleicht als eine Art von Hilfstruppen deuten, die mit dieser Waffe ausgerüstet wurden, oder aber die Wagenlenker, also gleichsam die ›Gefährten‹ des Streitwagenkämpfers, oder die Leibgarde des Herrschers von Knossos,260 doch sind all diese Erklärungen natürlich nur Spekulation. Völlig unklar bleibt hingegen der Zusammenhang zwischen den pa-ka-na und den ›Sägern‹ – sofern ein solcher überhaupt besteht; deutlich ist nur soviel, daß ka-si-ko-no und pi-ri-je-te niemals gemeinsam auf einer Tafel aufgeführt sind. Zu erwähnen wäre in diesem Zusammenhang noch, daß sowohl die ka-si-ko-no als auch die pi-ri-je-te auch in Tafeln des Archivs von Pylos erwähnt werden. Die Pylostafel An 128, in der als einziger das Wort ka-si-ko-no auftaucht, ist insofern von Interesse, als vor ka-siko-no das Wort ke-re-te zu lesen ist, welches als Kretes also Kreter interpretiert werden kann. Im Lichte der häufigen Erwähnung der ka-si-ko-no in Knossos mag dies auf eine typisch kretische Institution deuten, die in Pylos nicht existierte, vielleicht die schon vermutete Leibgarde des Herrschers. Die Bezeichnung pi-ri-je-te erscheint hingegen in drei Pylostafeln: An 7, An 207 und Fn 1427. In An 7 und Fn 1427 werden sie unmittelbar zusammen mit to-ko-do-mo (toi254 255 256 257 258 259 260

HV Rb 1. Siehe Aravantinos, Vasilogamvrou, Ayios Vasileios 45–49. Sofern es sich bei der Anlage von Aj. Vasilios tatsächlich um einen Palast handelt. Siehe Aravantinos, Vasilogamvrou, Ayios Vasileios 49 Anm. 30. Bartonek, Handbuch 194. Bartonek, Handbuch 255. So Chadwick, Mycenaean World 171.

3. Spätmykenische Bewaffnung nach Aussage der Linear B-Texte

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chodomoi) also ›Baumeistern‹ genannt, was die Beschäftigung dieser Gruppe mit Holzarbeiten untermauert, jedoch keinen Bezug zum Militär aufweist. In An 207 hingegen erscheinen sie zusammen mit to-ko-so-wo-ko (toxoϝorgoi), was aufgrund der Tatsache, daß diese als ›Bogenmacher‹ mit dem Militär in Verbindung stehen könnten, immerhin einen diesbezüglichen Konnex herstellt; allerdings werden in dieser Tafel auch eine Reihe anderer Berufe aufgeführt, die nichts mit dem Militär zu tun haben. Auf jeden Fall können auch die Pylostafeln die Frage nicht klären, weshalb diese beiden (Berufs-)Gruppen, besonders die pi-ri-je-te, in den Knossostafeln der Ra-Serie mit Schwertern oder Dolchen in Verbindung gebracht werden. Die zweite Bezeichnung für eine Blankwaffe im Mykenischen ist qi-si-pe-e. Hierbei handelt es sich um den Dual des Wortes qi-si-po, welches wiederum dem griechischen xiphos (Schwert) entspricht.261 In den Knossostexten existiert dieses Wort nicht, und auch in den Tafeln aus dem Archiv von Pylos taucht diese Bezeichnung nur ein einziges Mal auf: In der Tafel Ta 716. Hier erscheint in der zweiten Zeile dieses Wort – wie gesagt im Dual – zusammen mit dem Ideogramm *234, das offenkundig ein Schwert oder Messer darstellt, und dem Zahlzeichen ›zwei‹. In der ersten Zeile findet sich die Erwähnung zweier goldener Ketten und eines Stuhles sowie das Ideogramm *232, das eine liegende Doppelaxt darzustellen scheint. Offenkundig stehen diese beiden in der Tafel verzeichneten Schwerter in keinerlei militärischem Kontext sondern sind wie die auf derselben Tafel genannten anderen Dinge als Wertgegenstände aufgeführt. Dies paßt auch zu den übrigen Tafeln dieser Serie (Ta), welche fast ausschließlich wertvolle Gegenstände – hauptsächlich Gefäße verschiedenster Form – auflisten. Zum Thema Blankwaffen in Linear B-Texten kann hiermit zweierlei festgehalten werden. Zum einen scheinen die beiden Begriffe pa-ka-na und qi-si-po nahezulegen, daß es sich bei diesen um unterschiedliche Waffen und nicht um zwei Bezeichnungen für ein und dieselbe Waffe handelt. Angesichts des mit dem Begriff pa-ka-na verbundenen Ideogramms *233, das eine relativ kurze Waffe darstellt, könnten mit pa-ka-na Dolche, mit qisi-po hingegen Schwerter gemeint sein. Gesichert ist dies freilich angesichts der schmalen Quellenbasis keineswegs. Zum anderen muß man eingestehen, daß – wiederum nach Aussage der Schriftzeugnisse – Blankwaffen für das spätmykenische Militär überhaupt keine große Rolle gespielt zu haben scheinen. Die einzige Erwähnung in einem Pylos-Text bezieht sich offenkundig auf eine Prunkwaffe, sagt also für die militärische Verwendung nichts aus. In den KnossosTexten erscheint zwar eine relativ große Anzahl von (vermutlich) Dolchen, doch scheint deren Verwendung auf eine recht begrenzte Personengruppe beschränkt gewesen zu sein, in der man möglicherweise die Leibgarde des Herrschers zu sehen hat. Inwieweit pa-ka-na auch zur Ausrüstung von anderen militärischen Einheiten gehörten, kann nicht gesagt werden; diese Feststellung hat wohl auch für die in militärischem Kontext nie erwähnten qi-sipo Gültigkeit.

261

Bartonek, Handbuch 261.

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I. Grundlagen des spätmykenischen Militärwesens

3.2 Schutzwaffen Im Gegensatz zu den Angriffswaffen finden Schutzwaffen in mykenischen Texten sehr häufig Erwähnung. Auch ist von ihnen meist nicht in vereinzelten Tafeln oder solchen ohne militärischen Bezug die Rede, vielmehr sind es meist ganze Serien von Linear B-Tafeln – sowohl im Archiv von Knossos als auch in dem von Pylos –, die solche Waffen verzeichnen; meist bilden sie sogar den hauptsächlichen oder gar einzigen Inhalt der gesamten Serie. Zudem listen die meisten Tafeln dieser Serien nicht nur eine einzige Art von Schutzwaffe auf, sondern deren mehrere. 3.2.1 Helme Helme werden in Linear B-Tafeln auf dreierlei Art verzeichnet: Zum einen durch das Wort ko-ru (korys=Helm) selbst bzw. einen anderen Kasus dieses Wortes,262 zum anderen durch die Abkürzung KO263 und zum dritten durch das Ideogramm *191, das zusätzlich zu seiner offensichtlichen Bedeutung in einigen Tafeln durch eine Doppelnennung von Ideogramm plus ko-ru deutlich als Helm zu identifizieren ist. Nach dem Ideogramm zu schließen handelt es sich bei den Helmen um annähernd kegelförmige Kopfbedeckungen, die über einen Wagenschutz verfügten; über das Material der Helme kann freilich nichts ausgesagt werden. Zu bemerken ist auch, daß das Ideogramm *191 nur auf den Helm-Tafeln von Knossos, nicht aber auf denen von Pylos erscheint. Im Archiv des Palastes von Knossos erwähnt die Sk-Serie von Linear B-Tafeln neben anderen Rüstungsteilen, auf die noch weiter unten einzugehen sein wird, vor allem Helme und Helmteile. Die Helme sind – wie schon erwähnt – durch des Ideogramm *191 und/ oder das Wort ko-ru gekennzeichnet. Insgesamt sind es fünf Tafeln, die allerdings jeweils nur einen Helm verzeichnen. Abgesehen von den Helmen selbst erscheint auf zwei Tafeln264 das Wort pa-ra-wa-jo, das mit dem griech. pareiai (Wangen-) in Verbindung zu bringen ist265 und wohl einen Wangenschutz bezeichnet. Dies korrespondiert auch mit dem Ideogramm *191, das deutlich einen Helm mit Wangenklappen zeigt. Die Tatsache, daß nicht alle Helm-Tafeln auch diesen Wangenschutz verzeichnen, könnte anzeigen, daß nicht alle Helme über einen solchen verfügten; dieser Unterschied könnte jedoch auch einfach darauf zurückzuführen sein, daß alle Tafeln dieser Serie mehr oder weniger fragmentarisch sind, und das Wort pa-ra-wa-jo möglicherweise in jeder Tafel vorhanden war, jedoch nicht mehr erhalten ist. Noch ein zweites Wort bzw. eine Wortkombination erscheint in der Sk-Serie mit den Helmen vergesellschaftet. In Sk 8100 und 8149 werden neben dem Helm jeweils vier o-piko-ru-si-ja o-pa-wo-ta genannt; in Sk 789 erscheinen nur zwei e-pi-ko-ru-si-jo ohne den Zusatz o-pa-wo-ta. Beim Wort o-pi-ko-ru-si-ja bzw. e-pi-ko-ru-si-jo handelt es sich um ein 262 263 264 265

So erscheint neben dem Nominativ ko-ru auch der Genitiv ko-ru-to (korythos) und der Instrumentalis ko-ru-pi (koryphi). Das Zeichen KO kann allerdings auch als Abkürzung für ko-wo bzw. ko-wa (Knaben bzw. Mädchen) oder aber für ko-ri-a2-da-na (Koriander) stehen. Sk 789 und 8100. Bartonek, Handbuch 395.

3. Spätmykenische Bewaffnung nach Aussage der Linear B-Texte

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Adjektiv im Plural bzw. im Dual, zusammengesetzt aus den Bestandteilen epi266 und korys, und bedeutet etwa ›auf dem Helm‹. Nun zu den o-pa-wo-ta: Dieses Wort besteht aus der Präposition op=epi und dem Hauptteil a-wo-ta. Dies gibt vermutlich ein aϝorta wieder, was schließlich als griech. aorta bzw. aorte belegt ist. Dies wiederum steht mit den Verben artao (aufhängen) und aeiro (heben) in Zusammenhang.267 Der Linear B-Begriff o-pa-wo-ta wäre somit griech. als ep-aorta wiederzugeben und bezeichnet offenbar etwas, das hinzugefügt oder angehängt wurde. In der Form aorter ist das Wort übrigens als ›Waffengehenk‹ bei Homer überliefert. Die in den Tafeln der Sk-Serie erwähnten o-pi-ko-ru-si-ja o-pa-wo-ta dürften somit Teile (aus Metall?) sein, die am Helm befestigt waren und zwar immer vier an der Zahl. Worum es sich dabei jedoch genau handelte, kann nicht gesagt werden. Zu denken wäre etwa an Metallapplikationen an der Kalotte des Helms oder – was das Wort artao nahelegen würde – an zusätzliche Metall- oder Lederstreifen, die am Rand des Helmes befestigt wurden, um z.B. den Nacken des Trägers zu schützen; doch kann darüber letztlich nur spekuliert werden. Schließlich noch zur unterschiedlichen Schreibung von o-pi-ko-ru-si-ja und e-pi-ko-rusi-jo. Abgesehen von der Variante e-pi statt o-pi, die – wie gesagt – nicht viel zu besagen hat, fällt auf, daß die e-pi-ko-ru-si-jo nicht vierfach wie die o-pi-ko-ru-si-ja sondern als Paar auftreten und zudem nicht mit dem Wort o-pa-wo-ta kombiniert werden. Der Verdacht liegt also nahe, daß es sich bei den e-pi-ko-ru-si-jo nicht um dieselbe Helmapplikation handelte wie bei den o-pi-ko-ru-si-ja.268 Da hier nicht unbedingt an ein ›hängendes Teil‹ wie bei den o-pa-wo-ta gedacht werden muß, könnten darunter auch paarweise vorhandene Helmzierden wie Helmbüsche oder Hörner verstanden worden sein. Nicht in Frage kommen natürlich die beiden Wangenklappen des Helmes, da diese ja mit dem Wort pa-ra-wajo bezeichnet wurden. Nun zu den diesbezüglichen Pylos-Texten: Der knossischen Sk-Serie entspricht die ShSerie des Palastarchivs von Pylos, mit dem Unterschied, daß die Anzahl der hier erwähnten Helme bzw. Helmteile ungleich höher ist. Genau genommen sind in dieser Serie jedoch keine Helme verzeichnet sondern lediglich das ›Zubehör‹ derselben. So werden die Helme jeweils nur im Genitiv ko-ru-to (korythos) genannt oder als Abkürzung (KO), die jedoch ebenfalls als Genitiv zu lesen ist. Die tatsächlich im Nominativ genannten Gegenstände sind o-pa-wo-ta und pa-ra-wa-jo, die ebenfalls meist in Abkürzung (O für o-pa-wo-ta und PA für pa-ra-wa-jo) vorliegen. Wie schon bei den knossischen Helmteilen festgestellt, treten die o-pa-wo-ta immer zu viert auf während die pa-ra-wa-jo paarweise verzeichnet sind. Angesichts der großen Anzahl von 44 o-pa-wo-ta und 22 pa-ra-wa-jo, was immerhin insgesamt zehn Helmen entspricht, mutet es umso befremdlicher an, daß kein einziger Helm erwähnt ist. Drei Schlußfolgerungen ergeben sich aus diesem seltsamen Befund: Zum einen deutet er darauf hin, daß offenbar die Helme selbst getrennt von den zum Helm gehörigen Teilen der o-pa-wo-ta und pa-ra-wa-jo gelagert wurden. Dieses Phänomen begegnet uns auch bei den Streitwagen, bei denen die Räder getrennt von den Wagenkörben gelagert und verzeichnet wurden. Daraus ergibt sich zum zweiten ziemlich deutlich, daß so266 267 268

Die Varianten der Präposition o-pi und e-pi sind im Mykenischen austauschbar. Vgl. Bartonek, Handbuch 322. Vgl. Heubeck, Mykenisch qe-ro2 289.

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wohl die pa-ra-wa-jo als auch die o-pa-wo-ta leicht abnehmbare Teile des Helmes waren, was wiederum im Fall der o-pa-wo-ta eher für am Helmrand befestigte Teile (z.B. einen Nackenschutz) spricht als für Applikationen gleich welcher Art auf der Kalotte des Helms selbst. Zum dritten deutet die getrennte Lagerung möglicherweise auch darauf hin, daß Helme einerseits und o-pa-wo-ta und pa-ra-wa-jo andererseits aus unterschiedlichen Materialien bestanden und daher einer unterschiedlichen Wartung bedurften. Denkbar wäre in diesem Fall, daß die Helme selbst aus Leder (mit Eberzähnen besetzt oder nicht), die opa-wo-ta und pa-ra-wa-jo aber aus Metall bestanden. Schließlich sei auch noch die Pylostafel Ta 642 erwähnt, in der, wie in der gesamten TaSerie, wertvolle Gegenstände – in diesem Fall handelt es sich um einen Tisch – verzeichnet sind. Dieser Tisch war mit mannigfachen Darstellungen, darunter der eines Helmes (ko-rupi=›mit einem Helm‹) geschmückt. Jedenfalls steht diese Erwähnung eines Helmes in keinerlei militärischem Kontext und ist daher für die vorliegenden Betrachtungen irrelevant. Abschließend kann somit zu den in den Linear B-Texten erwähnten spätmykenischen Helmen festgehalten werden, daß diese aus mehreren Teilen (Kalotte, Wangenschutz und Nackenschutz) bestanden, die wahrscheinlich auch aus unterschiedlichen Materialien (Leder und Metall) gefertigt waren. Zudem ist zu bemerken, daß der Umstand, daß Helme in den Lagerräumen des Palastes aufbewahrt und verzeichnet wurden, darauf hinweist, daß diese Helme zur Ausrüstung von Soldaten gehörten, die direkt der (militärischen) Palastverwaltung unterstanden und dementsprechend von dieser auch ausgerüstet wurden – ein Tatbestand der stark an die Behandlung der Streitwagen erinnert. 3.2.2 Rüstungen Rüstungen oder Panzer erscheinen in Linear B-Texten gleich in zwei leicht unterschiedlichen Ideogrammen. Während im Palastarchiv von Knossos das Ideogramm *162 benutzt wurde, gebrauchte man im Palast von Pylos das Ideogramm *163. Beide Ideogramme zeigen ein tunica-artiges Gewand, das einen oder mehrere Streifen in Brusthöhe sowie einen am unteren Rand des Gewandes aufweist. Zusätzlich sind im Schulterbereich Aufsätze zu sehen, die offenbar Schulterstücke andeuten wollen. Während die beiden Ideogramme großteils sehr ähnlich sind, unterscheiden sie sich insofern im Detail als das Ideogramm *163 (also das pylische) zudem noch an beiden Seiten des Gewandes eine Art von kurzen Ärmeln zeigt und außerdem am oberen Ende einen dreieckigen Aufsatz hat, der vielleicht einen Halsschutz oder aber einen Helm269 bezeichnen könnte. Beide Zusätze fehlen beim in Knossos gebräuchlichen Ideogramm *162. Ob diese Unterschiede in den Ideogrammen auf unterschiedliche in Knossos und Pylos verwendete Rüstungen hinweisen oder lediglich auf unterschiedliche Schreibgewohnheiten in den beiden Palästen zurückzuführen sind, muß offen bleiben. Zu erwähnen wäre noch, daß die beiden Ideogramme, die schon aufgrund ihrer Deutlichkeit keinen Zweifel an ihrer Bedeutung offenlassen, zusätzlich durch ein überliefertes Wort bestätigt werden. Die 13 Tafeln der pylischen Sh-Serie nämlich sind vor allem durch die Existenz des Ideogramms *163 ausgewiesen; lediglich die Tafel Sh 736 weist an der Stel269

Siehe Snodgrass, Wehr und Waffen 46.

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le des Ideogramms das Wort to-ra-ke (thorakes=Panzer) auf und bestätigt somit die Deutung des Ideogramms. Wir haben die pylische Sh-Serie bereits oben kennengelernt als Verzeichnis von Helmen und deren Zusätzen. Diese Tafeln listen demnach gemeinsam Helme und Rüstungen im Depot des Palastes von Pylos auf. Wie bei den Helmen begnügen sie sich auch bei den Rüstungen nicht mit der bloßen Erwähnung dieser Schutzwaffen, sondern erfassen detailliert die Bestandteile der Rüstungen sowie deren Anzahl. Wie bei den Helmen werden diese Bestandteile als o-pa-wo-ta bezeichnet – in den meisten Fällen mit dem Silbenzeichen O abgekürzt. Bemerkenswert ist hierbei, daß diese o-pa-wo-ta in größere (me-zo-a2, vgl. meizon) und kleinere (me-u-jo-a2, vgl. meion) unterschieden werden. Insgesamt gehörten zu jeder einzelnen Rüstung 20 bis 22 größere und 10 bis 12 kleinere o-pa-wo-ta. Zwei Tafeln der Sh-Serie unterscheiden sich nun ein wenig von den übrigen und seien daher hier etwas näher betrachtet: Sh 736 to-ra-ke a-me-ja-to o-pa me-za-na wo-ke ne-wo An dieser Tafel geben nur die ersten drei Worte einen Sinn. Sie bedeuten ›Panzer, auferlegte Abgabe270 des a-me-ja‹. Während also die übrigen Tafeln der Sh-Serie offenbar einen Bestand an Rüstungen, Rüstungsteilen und Helmteilen auflisten, verzeichnet diese Tafel die Lieferung oder geschuldete Lieferung mehrerer Panzer seitens einer auch sonst aus den Pylos-Texten bekannten Person271 des Reiches von Pylos. Sh 740 .1 ko-ru-to O 4 PA 2 .2 pa-ra-jo ARM272 ZE 5 wi-so-wo-pa-na o-pa-wo-ta me-zo-a2 O 20 me-u-jo-a2 O 10 Der zweite Teil dieser Tafel (me-zo-a2 …) einschließlich des darüber geschriebenen Textes (ko-ru-to O 4 PA 2) entspricht völlig dem Formular der übrigen Tafeln, der erste Teil weicht jedoch erheblich davon ab. Er lautet: ›Alte (pa-ra-jo=palaioi) Rüstungen, fünf Paar (ZE), ? Rüstungsteile (o-pa-wo-ta)‹. Das hier als Fragezeichen wiedergegebene Wort lautet wi-so-wo-pa-na und ist in seiner Bedeutung völlig unklar. Da es den o-pa-wo-ta zugeordnet ist, handelt es sich wohl um ein Adjektiv, dessen erster Teil (wi-so) vielleicht mit griech. iso- wiederzugeben ist und demnach ›gleich-‹ bedeutet;273 die volle Bedeutung des Wortes ist dennoch nicht eindeutig zu eruieren.274 Unabhängig von der Bedeutung des Wortes wi-so-wo-pa-na ist auch der Zusammenhang des ersten Textteils mit dem zweiten nicht klar. Während im zweiten Teil – den übrigen Tafeln der Sh-Serie entsprechend – 20 größere und 10 kleinere o-pa-wo-ta der Rüstung sowie vier o-pa-wo-ta und zwei Wangenklappen des Helms verzeichnet sind, was offenbar dem Bestand einer Gesamtausrüstung entspricht, werden im ersten Teil gleich fünf Paar Rüstungen genannt, die zudem als ›alt‹ gekennzeichnet sind. Dies kann somit unmöglich 270 271 272 273 274

Zur Bedeutung des Wortes o-pa siehe ausführlich unten im Abschnitt über die knossischen Tafeln. In PY Sa 843 wird er im Zusammenhang mit Rädern genannt. In der Transkription der Texte gibt ARM das Ideogramm *163 wieder. Vgl. Bartonek, Handbuch 223 und Ruijgh, wi-so-wo- 533–550. Vgl. auch Killen, New Readings 143–147.

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mit der Anzahl der im zweiten Teil erwähnten Rüstungsteile zusammenpassen, die – wie gesagt – einer einzigen Rüstung entsprechen. Es scheint so zu sein, daß in dieser Tafel, wie üblich, eine Rüstung, deren Teile und ein Helm vermerkt sind, zudem aber auch zehn ›alte‹ Exemplare, deren o-pa-wo-ta besondere nicht zu ermittelnde Kennzeichen (wi-so-wo-pana) aufwiesen. Möglicherweise hat wi-so (isos) jedoch die später mit dem Wort aspis (Schild) zusammen anzutreffende Bedeutung ›gleichmäßig rund‹; das Wort wo-pa-na wiederum könnte mit griech. orphna (das Dunkle) in Zusammenhang stehen. Demnach wäre die Bedeutung von wi-so-wo-pa-na o-pa-wo-ta etwa mit ›runde, dunkle Beschläge‹ wiederzugeben. Weshalb diese beiden Verzeichnisse (eine gebrauchsfähige und zehn alte Rüstungen), die offensichtlich nichts miteinander zu tun hatten, in einer Tafel gemeinsam aufgeschrieben wurden, ist wohl nicht zu klären. Abgesehen vom pylischen Palastarchiv erscheint das Ideogramm *163 auch zweimal auf der Tafel Si 5 aus Tiryns, nahezu identisch mit der pylischen Variante. In beiden Zeilen der Tafel ist vor dem Ideogramm jeweils das Wort to-ra-ka zu lesen. Hätte es also noch einer Bestätigung der Bedeutung des Ideogramms *163 bedurft, so wäre diese durch die Tafel TI Si 5 unzweifelhaft gegeben. Im Palastarchiv von Knossos erscheint das Ideogramm für den Panzer (*162) gleich in zwei Serien und das in sehr großer Anzahl. In der weit über hundert Tafeln beinhaltenden Sc-Serie erscheint das Ideogramm *162 in der überwiegenden Anzahl der Texte und man darf vermuten, daß – angesichts des meist fragmentarischen Zustandes der Tafeln – das Ideogramm einst auf (fast) allen vorhanden war, was freilich nicht zu beweisen ist.275 Von Bedeutung ist an der Sc-Serie noch, daß auf den meisten Tafeln das Panzer-Ideogramm vergesellschaftet mit den Ideogrammen für Streitwagen (*240) und Pferd (*105) erscheint, wobei jeweils ein oder auch zwei Pferde erwähnt sind. In einigen Fällen sind auf der Tafel statt einem auch zwei Panzer vermerkt. Schließlich sei noch erwähnt, daß in einigen Tafeln der Sc-Serie in das Panzer-Ideogramm das Linear B-Zeichen ›QE‹ eingeschrieben ist, doch dazu später. Die zweite Gruppe von knossischen Texten, die das Ideogramm *162 aufweist, ist die LSerie, wobei der Kontext jedoch deutlich ein anderer ist als in der Sc-Serie. In dieser – sehr umfangreichen – Serie, die hauptsächlich die Auflistung von Textilien zum Inhalt hat, erscheint auf insgesamt fünf Tafeln276 das Panzer-Ideogramm. In allen Fällen wird dieses Ideogramm aber mit dem Silbenzeichen KI kombiniert, welches unzweifelhaft für ki-to (chiton), also Gewand, steht.277 Es geht hier offenbar primär um die Auflistung von Gewändern und anderen Textilien, wobei in den fünf genannten Fällen durch die Kombination von *162+KI wohl deutlich gemacht werden soll, daß es sich bei diesen Gewändern um solche handelt, die unter der Rüstung getragen werden. Etwas davon abweichend verhält es sich mit der knossischen Tafel L 178, in der das Ideogramm *162 nicht mit dem Silbenzeichen KI sondern mit RI kombiniert ist. Dies gibt wohl einen genaueren Hinweis auf das unter der Rüstung getragene Gewand; RI dürfte die Ab275 276 277

Zur Bedeutung des Sc-Serie siehe ausführlich unten im Kapitel über die knossischen Texte. KN L 593, 594, 595, 647 und 870. In zwei Tafeln dieser Serie (L 693 und 771) erscheint das Wort übrigens in ausgeschriebener Form.

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kürzung für ri-ta (lita) oder ri-no (linon) sein und somit anzeigen, daß das Gewand aus Leinen gefertigt war.278 Es besteht allerdings auch die Möglichkeit, daß die Kombinationen *162+KI und *162+RI nicht ein Untergewand der Rüstung meinen, sondern die Rüstung selbst279 und somit einen Hinweis auf das Material der Rüstung geben, wohl weil in diesen Fällen das Material (Leinen) vom üblichen (Leder oder Metall) abweicht. Diese Interpretation erscheint nun zwar für die Kombination *162+RI plausibel nicht jedoch für *162+KI, da KI (chiton) ein Untergewand und nicht ein bestimmtes Material anzeigt. 3.2.3 Andere Rüstungsteile Abgesehen von den Teilen einer spätmykenischen Rüstung, die zusammen mit den Panzern jeweils in ein und derselben Tafel erwähnt werden – wie etwa die o-pa-wo-ta –, sind in den Linear B-Texten noch andere Stücke verzeichnet, die zum Teil offensichtlich, zum Teil aber nur möglicherweise einer Rüstung zugeordnet werden können. 1. e-po-mi-jo: In insgesamt drei Knossostafeln der Sk-Serie,280 die uns schon im Zusammenhang mit dem Verzeichnis von Helmen begegnet ist, werden e-po-mi-jo genannt und zwar immer in unmittelbarem Kontext mit dem Wort qe-ro2, auf das noch einzugehen sein wird. Die Bedeutung von e-po-mi-jo scheint nun ziemlich klar zu sein: Es ist als epomion (›auf der Schulter‹) wiederzugeben und bezeichnet offenbar den die Schulter bedeckenden Teil einer Rüstung, der – zumal er von der Rüstung getrennt gelagert und verzeichnet wurde – deutlich abnehmbar war. 2. qe-ro2: Im Gegensatz zu e-po-mi-jo ist das Wort qe-ro2 nicht so ohne weiteres zu erklären. Es scheint in insgesamt sechs Tafeln aus Knossos auf, von denen fünf der Sk-Serie angehören;281 aus den Pylos-Texten ist das Wort ebenso unbekannt wie e-po-mi-jo. qero2 ist demnach vor allem mit den Schulterstücken von Rüstungen sowie den Metallteilen von Helmen aufgelistet und wohl auch aufbewahrt worden. Daraus könnte man schließen, daß auch die qe-ro2 aus Metall gefertigt waren. Dafür spricht auch die sechste Erwähnung dieses Wortes. In der Tafel KN K 740 werden Gegenstände aus Metall (z.B. Gefäße) aufgelistet, wobei das Metall, aus dem der jeweilige Gegenstand verfertigt war, durch ein Ideogramm angegeben ist. Beim Wort qero2 findet sich nun das Ideogramm *140, das Bronze bedeutet. Zu erwähnen ist noch, daß in K 740 unmittelbar auf qe-ro2 und das Bronze-Ideogramm ein Ideogramm folgt, das in der Zusammenstellung der Knossos-Texte im Jahr 1964282 noch mit *162, also Panzer, wiedergegeben wurde, während in der Ausgabe der Knossos-Texte im Jahr 1986283 statt dessen das Ideogramm mit *255 bezeichnet wird. Der Grund dafür ist wohl, daß dieses trapezförmige Ideogramm zwar eine generelle Ähnlichkeit mit dem Zeichen *162 aufweist, jedoch auch erhebliche Unterschiede zeigt. Insgesamt kann man sagen, 278 279 280 281 282 283

Heubeck, Mykenisch qe-ro2 294. So Heubeck, Mykenisch qe-ro2 l.c. Sk 789, 8100 und 8149. Sk 789, 5670, 7751, 8100 und 8149. Chadwick, Killen, Knossos Tablets 106. Chadwick, Inscriptions from Knossos 280.

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daß auch *255 wohl einen Panzer darstellt, der sich jedoch von denen mit *162 bezeichneten Rüstungen nicht unerheblich unterscheidet. Abgesehen von der Erklärung, die qe-ro2 als Armschutz interpretiert,284 ist hier vor allem die ausführliche Arbeit von Alfred Heubeck 285 zu beachten. Folgende Ergebnisse seiner Untersuchung sind hierbei von Bedeutung: a) qe-ro2 meine einen Brustpanzer, wobei der Dual der Wortform ebenso wie das zuweilen beigegebene Zahlzeichen ›2‹ auf die zwei Schalen des Panzers hinweise. b) qe-ro2 sei nicht identisch mit to-ra-ka, da letzteres nicht den Brustpanzer sondern die gesamte Rüstung meine – einschließlich des Helms.286 Darauf weise auch das pylische Ideogramm *163, das neben dem Panzer auch einen Helm andeute. Als deutlichstes Indiz hierfür solle die Tafel KN Sk 8100 dienen: .A qe-ro2 2 e-po-mi-jo 2 o-pa-wo[-ta .Ba o-pa-wo-ta 2 .Bb to-ra / ko-ru GAL 1 o-pi-ko-ru-si-ja 2 pa-ra-wa[-jo 2 Diese Tafel verzeichne in Zeile A den Brustpanzer und die dazugehörigen ›Anhängsel‹ (o-pa-wo-ta) in Ba, in Zeile Bb aber einen Helm mit den zugehörigen Metallteilen (opi-ko-ru-si-ja und pa-ra-wa-jo); vor beiden Zeilen jedoch (in doppelt so großer Schrift) stehen die Zeichen TO und RA, was wohl als Abkürzung für to-ra-ka zu werten sei. Somit stünde to-ra-ka gleichsam als Überschrift für die gesamte Tafel und beinhalte alle aufgezeichneten Rüstungsstücke einschließlich des Helmes. Ebenso verhalte es sich mit der Tafel KN Sk 789, in der vor dem Text, der qe-ro2, e-po-mi-jo, epi-ko-ru-si-jo und pa-ra-wa-jo verzeichnet, das (viel größer geschriebene) Zeichen RA zu lesen ist, welches wohl ebenfalls zu to-ra zu ergänzen sei. c) Sowohl qe-ro2 als auch to-ra-ka bestünden aus Leder, während die o-pa-wo-ta, die e-po-mi-jo sowie die pa-ra-wa-jo aus Metall gefertigt wären; aus Leder wäre auch der Helm, die o-pa-wo-ta o-pi-ko-ru-si-ja jedoch wären aus Metall. Während dieser ebenso eingehenden wie scharfsinnigen Untersuchung zwar generell sicherlich zuzustimmen ist, seien an dieser Stelle dennoch einige geringfügige Ergänzungen und (mögliche) Korrekturen vorgeschlagen: Vorausgeschickt sei, daß aufgrund der Ausführungen Heubecks wohl kein Zweifel daran bestehen kann, daß es sich zum einen bei qe-ro2 um einen Panzer, genauer gesagt um einen Brustpanzer mit Rückenteil handelt, und daß es zum zweiten einen Unterschied zwischen qe-ro2 und to-ra-ka geben muß. Auf der anderen Seite besteht jedoch kein Anlaß, in qe-ro2 einen Panzer aus Leder zu sehen. Zum einen spricht dagegen, daß auf der Tafel KN K 740 nur Gegenstände aus Metall vorkommen und es nicht einzusehen ist, daß die hier genannten Metall-qe-ro2 die Ausnahme sein sollen. Zum zweiten sei darauf hingewiesen, daß qe-ro2 niemals mit o-pa-wo-ta zusammen genannt werden. Bei der Annahme, qe-ro2 sei ein Lederpanzer, würde dies bedeuten, daß dieser Panzer anders als die to-ra-ke, die üblicherweise mit 30 284 285 286

Chadwick, Documents 394f. Heubeck, Mykenisch qe-ro2 285–296. So schon Killen, Linear B Tables from Knossos 30f.

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solcher Metallteile verstärkt waren, keine zusätzlichen Metallteile gehabt hätten, was wohl nicht wahrscheinlich ist. Nun zur Deutung von to-ra-ka als Gesamtrüstung einschließlich des Helmes: Wie sowohl von Heubeck als auch schon von Killen gezeigt, verzeichnet die Tafel KN Sk 8100 die Zeichen TO und RA gleichsam als Überschrift über einer Auflistung von Rüstungs- und Helmteilen, was darauf deutet, daß to-ra-ka (und somit auch die Ideogramme *162 und *163) die gesamte Ausrüstung bezeichnen. Andererseits jedoch verzeichnen die einzelnen Tafeln der pylischen Sh-Serie287 jeweils nebeneinander die o-pa-wo-ta einer Rüstung (*163) und eines Helmes (ko-ru-to) nach dem Schema: *163 1 me-zo-a2 O 20 me-u-jo-a2 O 10 ko-ru-to O 4 PA 2 Auf den Tafeln der Sh-Serie korrespondiert deutlich das Zeichen *163 im ersten Teil mit dem Wort ko-ru-to im zweiten Teil der Tafel. Da ko-ru-to ein Genitiv ist, muß auch *163 als Genitiv aufgefaßt werden. Demnach kann aber *163 nicht die gesamte Ausrüstung einschließlich des Helmes meinen, da dieser im zweiten Teil gesondert mit 4 o-pa-wo-ta und 2 pa-ra-wa-jo vermerkt ist, sondern nur die Rüstung des Körpers, die 30 o-pa-wo-ta aufweist. Auch kann *163 nicht wie in KN Sk 8100 als Überschrift gesehen werden, da sonst völlig offen bliebe, wozu die 20 o-pa-wo-ta me-zo-a2 und die 10 o-pa-wo-ta me-ujo-a2 gehören – die des Helms sind ja gesondert erwähnt. Als Ausweg aus diesem offenkundigen Dilemma bieten sich zwei mögliche Erklärungen an: a) Die Deutung von to-ra-ka als gesamte Ausrüstung stützt sich vornehmlich auf die Tafel KN Sk 8100 und das dort als ›Überschrift‹ zu lesende TO-RA, nicht aber auf irgendeine Tafel, die das Ideogramm *162 oder *163 trägt. Möglicherweise sind also die beiden (einander sehr ähnlichen) Ideogramme nicht mit dem Begriff tora-ka identisch. Es sei darauf hingewiesen, daß die pylische Sh-Serie mit einer einzigen Ausnahme das Ideogramm *163 zeigt; diese Ausnahme jedoch (Sh 736), in der to-ra-ke zu lesen ist, weist auch nicht das in der Serie sonst übliche Formular auf, sodaß *163 nicht zwingend mit to-ra-ka gleichgesetzt werden muß. Unter dieser Annahme würde also to-ra-ka eine gesamte Rüstung (einschließlich des Helmes) bezeichnen (so in Tafel KN Sk 810), während das Ideogramm *163 (und wohl auch *162) lediglich für den Körperpanzer stünde, wie es etwa aus der pylischen Sh-Serie hervorgeht. b) Der zweite Lösungsvorschlag bezieht sich auf die auffällige Tatsache, daß to-ra-ka als gesamte Rüstung sich auf die knossische Evidenz stützt, während die Bedeutung des Ideogramms nur in Pylos als deutlich sich ausschließlich auf den Panzer beziehend zu belegen ist. Möglicherweise geht daraus hervor, daß in Pylos das Wort to-ra-ka sowie das Ideogramm *163 den Körperpanzer bezeichnet, während dasselbe Wort sowie das Ideogramm *162 in Knossos die gesamte Ausrüstung benennt. Dagegen läßt sich allerdings einwenden, daß gerade das pylische Ideo287

Lediglich Sh 736 und 740 weichen von diesem Schema ab.

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gramm *163 vielleicht eine Rüstung mit Helm abzubilden scheint, während das knossische *162 keinen Helm zeigt. Die Ansicht, daß es die Rüstung betreffende Unterschiede in Pylos und Knossos gegeben haben könnte, wird durch eine weitere Beobachtung gestützt. Während sowohl in Pylos als auch in Knossos das Wort to-ra-ka sowie die einschlägigen Ideogramme (*163 bzw. *162) bekannt sind, sind der zweischalige Brustpanzer (qe-ro2) ebenso wie die Schulterstücke (e-po-mi-jo) nur in Knossos belegbar. Gerade die qe-ro2 aber betrifft eine weitere vielleicht aufschlußreiche Beobachtung. In einigen Tafeln der knossischen Sc-Serie288 findet sich das Ideogramm *162 mit einem ins Bild eingeschriebenen Silbenzeichen: QE. Dieses Silbenzeichen ist wohl mit Sicherheit als Abkürzung für qe-ro2 aufzufassen. Diese Kombination dürfte nun dahingehend zu interpretieren sein, daß der Schreiber festhalten wollte, es handle sich bei dem verzeichneten Waffenstück um eine Rüstung mit einem zweischaligen Brustpanzer, was wiederum bedeutet, daß die anderen mit *162 ohne QE bezeichneten Rüstungen eben über keinen Schalenpanzer verfügten. Ob dies allerdings auch für die pylischen Rüstungen (*163), von denen keine das QE aufweist, der Fall ist, kann nicht gesagt werden. Es besteht nämlich auch die Möglichkeit, daß es für die pylischen Schreiber selbstverständlich war, daß Rüstungen über Brustpanzer verfügten, sodaß dieser Umstand nicht eigens vermerkt werden mußte. Jedenfalls besteht zwischen den diesbezüglichen Verhältnissen in Knossos und Pylos offenbar ein Unterschied, sei es daß in Pylos der Brustpanzer im Gegensatz zu Knossos unbekannt war bzw. nicht getragen wurde, sei es daß er – anders als auf Kreta – immer Bestandteil der Ausrüstung und daher in to-ra-ka bzw. *163 inbegriffen war. 3. e-pi-ki-to-ni-ja: Dieser Begriff, der sich aus den griech. Wörtern epi und chiton zusammensetzt und demnach soviel wie ›am oder auf dem Chiton (befindlich)‹ bedeutet, findet sich auf zwei Linear B-Tafeln aus Knossos. Aus der einen Tafel (KN L 7514) ist aufgrund des fragmentarischen Erhaltungszustandes der Zusammenhang nicht mehr rekonstruierbar, sodaß die genaue Bedeutung des Wortes unklar bleibt. Etwas mehr an Aussagen läßt jedoch der zweite Knossostext zu: KN J 693 .1 ri-no re-po-to qe-te-o ki-to AES M 1 .2 sa-pa P 2 Q 1 e-pi-ki-to-ni-ja AES M 1 In dieser Tafel geht es offensichtlich um Textilien, die ›zu bezahlen‹ (qe-te-o, vgl. tino) sind. In der ersten Zeile ist von ›dünnem Leinen‹ (ri-no re-po-to=linon lepton) sowie von ›Chiton‹ (ki-to) die Rede, und auch in der zweiten Zeile figuriert wohl ein sa-pa genanntes Kleidungsstück289 zusammen mit den oben genannten e-pi-ki-to-ni-ja. Probleme bei der Deutung bereiten die beiden jeweils letzten Einträge in den zwei Zeilen der Tafel. Hier wird nämlich jeweils Bronze im Gewicht von etwa 1kg genannt. Für sich allein betrachtet legt die zweite Zeile die Deutung nahe, daß es sich bei dem sa-pa genannten Kleidungsstück um ein Gewand mit Applikationen (e-pi-ki-to-ni-ja) aus Bronze handelt, womit es sich im weiteren Sinne um eine Form von Rüstung handeln würde, 288 289

Sc 224+228, 227, 229, 266 und 8125. Siehe Chadwick, Documents 320f.

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um einen (Leinen-)Panzer mit Verstärkungen aus Bronzeblättchen, ähnlich dem mit Bronzeschuppen besetzten Leinenpanzer griechischer Hopliten des 4. Jh. v.Chr. Diese Interpretation kann allerdings für die erste Zeile keine Gültigkeit haben, da hier von einem Chiton aus dünnem Leinen ohne Applikationen die Rede ist, also wohl um keine wie auch immer geartete Form von Panzer, und dennoch am Ende der Zeile das Gewicht von 1kg Bronze erwähnt ist. In diesem Fall kann somit die Bronze nicht Bestandteil des Kleidungsstückes sein und muß daher eine andere Bedeutung haben. Zu denken wäre hier primär an eine Wertangabe, d.h. zu bezahlen ist Kleidung aus feinem Leinen im Wert von 1 kg Bronze. In paralleler Bedeutung könnte daher die Angabe der Bronze in der zweiten Zeile den Wert der sa-pa genannten Kleidung angeben und hätte somit mit den e-pi-ki-to-ni-ja nichts zu tun. In diesen wären dann andere Applikationen zu sehen, die nichts mit einer als Schutzwirkung zu verstehenden Verstärkung des Kleidungsstückes zu tun hätten, womit die Deutung als ›Panzer‹ oder einem anderen im militärischen Kontext zu sehenden Gewandstück entfiele. Letztlich ist diese Frage mangels weiterer Informationen vorerst nicht zu klären. Abschließend kann somit zur aufwendigen Schutzbewaffnung spätmykenischer Krieger, wie sie uns aus den Linear B-Texten entgegentritt, folgendes festgehalten werden: Die hauptsächliche Schutzbewaffnung bestand aus einem tunica-artigen Lederpanzer, der gewöhnlich mit o-pa-wo-ta genannten Metallteilen (bis zu 30 oder 32 an der Zahl) verstärkt oder auch (an der Unterseite) ergänzt war; so ein Lederpanzer wurde to-ra-ka genannt und durch die Ideogramme *162 und *163 wiedergegeben. Zuweilen wurde – wohl über dem Lederpanzer – zusätzlich ein aus Metall (Bronze) gefertigter zweischaliger Brustund Rückenpanzer, der qe-ro2 genannt wurde, sowie ebenfalls aus Bronze getriebene Schulterstücke (e-po-mi-jo) getragen. Sowohl qe-ro2 als auch e-po-mi-jo sind allerdings nur in den Tafeln aus Knossos nicht aber in Pylos nachweisbar, was jedoch nicht bedeuten muß, daß es sie dort nicht gab; sie könnten in Pylos unter dem Begriff to-ra-ka bzw. im Ideogramm *163 inbegriffen gewesen sein. Als zweite wichtige Schutzbewaffnung sind in beiden Palästen Helme (als ko-ru oder als Ideogramm *191) nachweisbar, die wohl ebenfalls aus Leder bestanden und so wie die tora-ke mit 4 Metallbeschlägen oder angehängten bzw. aufgesetzten Metallteilen (o-pa-wo-ta o-pi-ko-ru-si-ja) versehen waren. Zusätzlich verfügten die Helme auch über einen – wohl bronzenen – Wangenschutz (pa-ra-wa-jo) zu beiden Seiten des Helmes. Schließlich sei noch erwähnt, daß zumindest in Knossos das Wort to-ra-ka möglicherweise nicht nur als Bezeichnung für den Körperpanzer sondern auch für die gesamte Rüstung (einschließlich des Helmes) gedient hat. 3.3 Zusammenfassung Die Linear B-Archive von Pylos und Knossos (und mit Einschränkungen von Tiryns) verzeichnen demnach nahezu das gesamte Arsenal an Angriffs- und Verteidigungswaffen, das in dieser Zeit zu erwarten ist. Es kennt Lanzen (sowohl für Streitwagenkämpfer als auch für Fußsoldaten), Speere, Pfeile, Schwerter und Dolche sowie Helme aus Leder mit mannigfachen Metallbeschlägen und Ergänzungen aus Bronze, Lederpanzer, die ebenfalls mit Metallteilen verstärkt waren und zusätzlich durch zweischalige Brustpanzer aus Bronze ergänzt sein konnten. Diese Angaben vermitteln somit einen Eindruck davon, welche Waffen

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I. Grundlagen des spätmykenischen Militärwesens

in spätmykenischen Heeren Verwendung fanden, abgesehen von der sehr auffälligen Tatsache, daß niemals Schilde erwähnt werden; doch darauf wird noch zurückzukommen sein. Beachtet man jedoch den Aspekt, in welchem Zusammenhang diese Waffen erwähnt werden, genauer, so ergibt sich doch ein etwas differenzierteres Bild. Es ist nämlich klar zwischen Linear B-Tafeln zu unterscheiden, die Waffen – gleich welcher Art – verzeichnen, weil diese in den Arsenalen aufbewahrt wurden, und solchen die – aus welchen Gründen auch immer – Waffen lediglich erwähnen, ohne sie als ›Inventar‹ zu vermerken. Nur im ersten Fall handelt es sich nämlich um Waffen und Ausrüstungsgegenstände, die im Palast aufbewahrt und demnach wohl auch vom Palast zur Verfügung gestellt wurden. Zu dieser Kategorie gehören in erster Linie die Verteidigungswaffen, Helme und Rüstungen, die – zum Teil in sehr großer Anzahl – sowohl in Pylos als auch in Knossos gelagert waren. Hinzu kommen noch – allerdings auf Knossos beschränkt – Dolche (pa-ka-na), die, wie oben erwähnt, wohl zur Ausrüstung der Garde des Herrschers gehört haben dürften. Schwerter (qi-si-po) fehlen hingegen in beiden Palästen völlig und erscheinen lediglich als Zierelement. Lanzen (e-ke-i-ja) wiederum gehörten zum Bestand der in den Palästen aufbewahrten Waffen. Ein besonderes Problem stellen in diesem Zusammenhang Pfeile und Speere dar. Während diese nämlich in Knossos in mehreren Serien verzeichnet und somit als im Palast aufbewahrt zu belegen sind, erscheinen sie in Pylos nur in einem einzigen Text, in der Tafel Jn 829. Diese Tafel, die noch weiter unten genauer betrachtet werden soll, beinhaltet eine Art von ›Notstandsmaßnahme‹, der zufolge hohe Funktionäre in den Provinzen und Distrikten des Pylischen Reiches veranlaßt wurden, Bronze zu akquirieren, welche zur Herstellung von Pfeil- und Speerspitzen dienen sollte. Da diese Spitzen jedoch im Palastinventar niemals aufscheinen, darf wohl davon ausgegangen werden, daß diese Waffen in den einzelnen Distrikten – und nicht im Palast – hergestellt, aufbewahrt und an Soldaten verteilt wurden. Ähnliches, selbst wenn es nicht positiv nachzuweisen ist, dürfte auch für andere in den Archiven und Arsenalen der Paläste nicht aufscheinende sehr wohl aber anderwärtig bezeugte Waffen gelten: für Schwerter, Dolche (in Pylos) und vor allem für Schilde. Sollte diese Annahme aber zutreffen, so ergibt sich daraus ein weiterer, letztlich die Heeresorganisation der spätmykenischen Reiche betreffender Schluß. Der typische vom Palast ausgerüstete spätmykenische Krieger verfügte nach Ausweis der Linear B-Dokumente über einen Helm, einen Panzer, der unterschiedlich stark mit Bronzeteilen ergänzt sein konnte, und über eine Lanze. Schwert, Dolch, Pfeile und Speere, die – wie gesagt – aus anderen Texten bekannt sind, gehörten demnach nicht zu seiner Ausstattung. Insgesamt ergibt dies das Bild eines schwer gerüsteten Kriegers, dem seltsamerweise jedoch der Schild fehlte. Die Ausrüstung von leichtbewaffneten Soldaten, die mit Pfeil und Bogen, mit Wurfspeeren und/oder mit Dolchen und Schwertern bewaffnet waren, konnte zwar vom Palast veranlaßt werden, wie die Tafel PY Jn 829 zeigt, ihre Waffen befanden sich jedoch offenkundig nicht in den Rüstkammern des Palastes und wurden dementsprechend auch nirgends verzeichnet. Daraus ergibt sich aber, daß wohl auch die leicht bewaffneten Krieger selbst nicht im Palast stationiert waren, sondern in den einzelnen Distrikten des Reiches ihren Dienst versahen – ein Umstand, der ebenfalls von der Tafel PY Jn 829, die sich ja an Beamte und Funktionsträger in den Distrikten richtet, nahegelegt wird. Im Palast von Pylos waren also offenbar nur schwer bewaffnete Soldaten stationiert, während die Leichtbewaffneten nur in den Distrikten ihren Militärdienst versahen. Deut-

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lich anders lagen die Verhältnisse jedoch in Knossos. Dort fanden sich im Palast neben der mit Dolchen (pa-ka-na) bewaffneten Garde auch Leichtbewaffnete, die mit Speeren bzw. Pfeil und Bogen ausgerüstet waren, wobei man vielleicht an die bekannte noch weiter unten genauer zu besprechende ›Nubiergarde‹ des Herrschers von Knossos denken darf. Theoretisch kann natürlich auch nicht ausgeschlossen werden, daß im Reich von Knossos die gesamte militärische Ausrüstung im Palast aufbewahrt wurde und die verzeichneten Pfeile und Speere somit nicht den im Palast dienenden Truppen gehörten, sondern solchen, die außerhalb des verwaltungstechnischen Zentrums stationiert waren. Aufgrund praktischer Überlegungen erscheint diese Möglichkeit jedoch nicht als sehr wahrscheinlich; allenfalls könnte es sich bei den im Palast gelagerten Waffen um eine Art von ›Reserve‹ gehandelt haben. Nun zum auffälligen Befund des Fehlens von Schilden der sonst schwer gerüsteten im Palast stationierten Truppen. Natürlich besteht die Möglichkeit, daß die Schilde einst auf Tafeln registriert waren, die uns heute nicht mehr erhalten sind. Will man jedoch nicht zu diesem argumentum e silentio Zuflucht nehmen, so bleibt eigentlich nur eine Erklärung für das Fehlen der Schilde. Ein sonst sehr gut ausgerüsteter Krieger trug wohl nur dann keinen Schild, wenn er diesen entweder nicht benötigte oder nicht führen konnte. Ein Schild wurde jedoch nur dann nicht benötigt, wenn die Rüstung so umfassend und aufwendig war, daß ein zusätzlicher Schutz (durch einen Schild) überflüssig war, wie es etwa bei der bekannten mykenischen Rüstung von Dendra der Fall war. Dieser Typ von Rüstung ist allerdings um mehr als 150 Jahre älter und war zur Zeit der Linear B-Tafeln von Pylos längst außer Gebrauch. Die in den Linear B-Tafeln verzeichneten Rüstungen waren aber nach all dem vorhin Gesagten wesentlich weniger aufwendig und auf alle Fälle wesentlich kleiner; ein zusätzlicher Schutz durch einen Schild erübrigte sich also auch für die mit Rüstungen ausgestatteten Krieger der spätmykenischen Zeit keineswegs. Es bleibt demnach das zweite Erklärungsmuster, nämlich daß der Krieger den Schild nicht führen konnte. Dies wiederum kann wohl nur bedeuten, daß er keine Hand frei hatte, um den Schild halten zu können, weil er beide Hände zum Führen der Waffe(n) benötigte. Dies ist nun entweder bei Bogenschützen der Fall, die allerdings zumindest im Palast von Pylos nicht nachweisbar sind und zudem meist den Leichtbewaffneten zuzurechnen sind, die daher auch keine Rüstungen trugen. Die zweite Waffe aber, zu deren Führung beide Hände vonnöten sind, ist die lange Stoßlanze. Diese ist nun tatsächlich in den Pylos-Texten nachweisbar und wurde e-ke-i-ja genannt. Wie oben gezeigt, unterschied man eine wohl kürzere Lanze für Fußsoldaten (e-ke-i-ja pe-di-je-wi-ja) und eine längere, die von den Streitwagenkämpfern verwendet wurde. Demnach handelte es sich bei den Kriegern, die zwar eine Rüstung (samt Helm) besaßen, jedoch keinen Schild führten, um die mit der langen Stoßlanze bewaffneten Streitwagenkämpfer. Diese aber waren offenkundig im Palast stationiert. Ein letztes Indiz sei hier noch vorgebracht, das in dieselbe Richtung deutet. Die weitaus größte Anzahl von Rüstungen findet sich in der knossischen Sc-Serie erwähnt. Diese Serie besteht aus mehr als 140 großteils fragmentierten Tafeln, welche alle – soweit noch ersichtlich – dem selben Aufbau folgen: An erster Stelle wird ein Personenname genannt, sodann folgt das Ideogramm für Panzer (*162), dann jenes für Streitwagen (*240) und zum Schluß das Zeichen für Pferd(e) (*105), wobei die Reihenfolge bisweilen variieren kann. Die Bedeutung der einzelnen Tafeln dürfte klar sein. Einem namentlich genannten Mann, wohl ei-

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nem Streitwagenkämpfer, werden ein Wagen, eine Rüstung sowie Pferde zugeordnet.290 Der Zusammenhang zwischen dem Besitz einer Rüstung und der Verwendung des Streitwagens dürfte somit evident sein, sodaß der Schluß naheliegt, daß in den spätmykenischen Heeren die vollständige schwere Rüstung zum Equipment eines Streitwagenkämpfers – und wohl nur eines solchen – gehörte. Insgesamt kann aus der Linear B-Evidenz bezüglich der Bewaffnung in spätmykenischer Zeit folgendes ausgesagt bzw. geschlußfolgert werden: Während aus den Texten beinahe der gesamte Waffenbestand bronzezeitlicher Krieger – sowohl der schwer wie auch der leicht bewaffneten – auch in den mykenischen Reichen belegbar ist, zeigen die Arsenale der Paläste von Knossos und Pylos, daß hier lediglich mit Stoßlanze und Rüstung ausgestattete schwer gepanzerte Streitwagenkämpfer stationiert waren. Die – wohl viel zahlreicheren – leicht bewaffneten Soldaten, deren Bewaffnung aus den Texten durchaus bekannt ist, versahen offenbar in den einzelnen Distrikten des Reiches ihren Militärdienst, sodaß ihre Waffen nicht im Palast gelagert werden konnten bzw. mußten. Im Palast von Knossos allerdings existierte neben den Streitwagenkämpfern auch eine mit Dolchen bewaffnete Garde sowie Leichtbewaffnete (vielleicht Söldner?), die mit Wurfspeeren oder mit Pfeil und Bogen ausgestattet waren. Daß es solche Truppen (Garde und Leichtbewaffnete) auch im Palast von Pylos gab, darf per analogiam zwar vermutet werden, ist jedoch mangels schriftlicher Evidenz nicht zu beweisen.

4. Formen und Einsatz des mykenischen Streitwagens Seit der Schachtgräberzeit gehört die Darstellung des Streitwagens zum festen Repertoire mykenischer Kunstdenkmäler291 und erscheint auf Grabstelen ebenso wie auf Fresken, Siegeln und Vasenbildern.292 Hinzu gesellt sich die Tatsache, daß in den Linear B-Texten sowohl von Pylos als auch von Knossos große Zahlen von Streitwagen bzw. von Teilen derselben (vor allem Räder) verzeichnet sind. All dies deutet nun unzweifelhaft darauf hin, daß der Streitwagen im spätbronzezeitlichen Griechenland im Allgemeinen und im Kriegswesen dieser Zeit im Besonderen eine große Rolle gespielt hat. Damit stellt sich das mykenische Griechenland in eine Reihe mit den zeitgleichen Kulturen Ägyptens, Vorderasiens und Anatoliens, in denen der Streitwagen ebenfalls eine militärisch überragende Rolle spielte,293 wie u.a. am Ablauf der Schlacht von Kadesch deutlich sichtbar wird.294 Es lassen sich im mykenischen Raum allerdings auch bezüglich des Streitwagens und seiner Verwendung einige Unterschiede zu Ägypten, Anatolien und dem Vorderen Orient feststellen: So haben Darstellungen von Streitwagen in Griechenland keineswegs den Stellenwert, den sie in Ägypten und Mesopotamien genießen, was vor allem für das Thema ›Kampfdarstellungen‹ gilt – worauf jedoch weiter unten noch näher einzugehen sein wird. Weiters handelt es sich im mykenischen Griechenland um ganz andere Zahlenverhältnisse, sodaß die militärische Rolle der Streitwagen nicht mit der in Ägypten oder bei den 290 291 292 293 294

Genaueres zur Sc-Serie siehe unten im Abschnitt über das knossische Militärwesen. Siehe hierzu die Übersicht bei Wiesner, Fahren und Reiten 5–110. Letztere allerdings erst relativ spät. Vgl. Drews, The End of the Bronze Age 104–134. Dazu Beal, Hittite Military 291–294 und besonders ausführlich Mayer, Mayer-Opificius, Qades 321–367.

4. Formen und Einsatz des mykenischen Streitwagens

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Hethitern und Assyrern vergleichbar ist. Als Beispiel mag die bereits erwähnte Schlacht von Kadesch dienen, in der die Hethiter ungefähr 4.000 Streitwagen einsetzten, während das größte in den Linear B-Texten feststellbare Streitwagenkontingent eines mykenischen Staates, das von Knossos,295 etwa 600 Wagen umfaßte; der mykenische Palast von Pylos konnte überhaupt lediglich über ungefähr 120 Streitwagen verfügen. Allerdings ist bei diesem Vergleich zu berücksichtigen, daß auch das militärische Gesamtaufgebot der einzelnen mykenischen Staaten an Größe keinesfalls mit dem der Hethiter oder Ägypter zu vergleichen ist. Bemerkenswert ist jedoch, daß das Verhältnis von Fußtruppen zu Streitwagen sowohl im Vorderen Orient und in Ägypten als auch in den mykenischen Staaten ungefähr dasselbe ist, nämlich 10:1.296 Der dritte wesentliche Unterschied betrifft die technische Entwicklung des Streitwagens, die im mykenischen Griechenland hinter der in Ägypten, Anatolien und Vorderasien zurückgeblieben war. Während nämlich in den Staaten des Vorderen Orients (einschließlich Ägyptens) der Streitwagen mit 4-speichigen Rädern ab dem 14. Jh. von dem leichteren, beweglicheren und demnach wesentlich manövrierfähigeren Wagen mit 6-speichigen Rädern abgelöst wurde, blieb in Griechenland vom Beginn bis zum Ende der mykenischen Zeit (und auch noch später) der Streitwagen mit 4-speichigen Rädern in Gebrauch.297 Für die moderne Forschung besteht das größte Problem hinsichtlich des mykenischen Streitwagens jedoch in der Frage nach dessen Verwendung in der Schlacht. Zieht man die ägyptischen bzw. die vorderorientalischen Verhältnisse als Vergleich heran, so bestehen zwei völlig unterschiedliche Möglichkeiten des militärischen Einsatzes298 eines Streitwagens. Zum einen kann er als Transportmittel zum und vom Kampfplatz verwendet werden oder aber als Kriegsgerät selbst, das mit einem oder mehreren Kriegern besetzt ist und somit eine eigene Waffengattung bildet. Das bronzezeitliche Ägypten sowie der Vordere Orient und Anatolien kennen den Streitwagen vornehmlich in letzterer Funktion. Gleichwohl wird von vielen Forschern für das mykenische Griechenland die ausschließliche Verwendung des zweirädrigen Wagens als Transportmittel postuliert.299 Für diese Annahme, die das bronzezeitliche Griechenland bezüglich der Verwendung des Streitwagens in eklatanten Gegensatz zu allen anderen spätbronzezeitlichen Kulturen setzt,300 werden vor allem drei Argumente vorgebracht: 1. In Ägypten, Anatolien und dem Vorderen Orient wurden Streitwagen üblicherweise in großen, weit auseinandergezogenen Geschwadern im Kampf eingesetzt, wofür al295 296 297 298

299 300

Siehe Gschnitzer, Heerwesen 258 und Godart, Le role du palais 237f. und unten II 1.9. Siehe Anhang I zum hethitischen Militärwesen, besonders Abschnitt 2.4.3. Siehe weiter unten in diesem Kapitel. Zivile Verwendungsmöglichkeiten des Streitwagens (etwa bei der Jagd oder bei Prozessionen), sollen hier außer Betracht bleiben. Den Wagen im mykenischen Bereich gar keine militärische Funktion zuzuschreiben, verbieten allein schon die häufigen Szenen kriegerischen Inhalts, in denen auch Wagen dargestellt sind. Auch wäre es absurd anzunehmen, daß das gut ausgebaute Straßensystem einiger mykenischer Staaten (etwa der Argolis oder Boiotiens), auf dem an mehreren Stellen – darunter auch Brücken – Wagenspuren zu sehen sind, lediglich für die Jagd oder für Prozessionen angelegt wurde. So u.a. Littauer, Military Use of the Chariot 145–157; Littauer, Crouwell, Chariots 183–192 und Littauer, Crouwell, Role of Chariotry 297–305. Gegen diese Ansicht siehe ausführlich Drews, End of the Bronze Age 115–119, der allerdings meint, auch die mykenischen Streitwagen wären mit einem Bogenschützen besetzt gewesen.

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I. Grundlagen des spätmykenischen Militärwesens

lerdings ein ausgedehntes, ebenes Terrain vonnöten war, welches in den meisten Teilen Griechenlands nicht vorhanden ist. Eine Verwendung des Streitwagens als in Geschwadern operierendes Kampffahrzeug sei daher schon aus Gründen des ungeeigneten Geländes im mykenischen Griechenland nicht anzunehmen. 2. In den Epen Homers, besonders in der Ilias werden Streitwagen nicht als Kampfinstrument eingesetzt sondern vornehmlich als Transportmittel, das die schwerbewaffneten Helden der Griechen und Trojaner in die Schlacht bringt, wo diese absteigen und den Kampf zu Fuß führen. Unter der Annahme, daß die homerischen Epen eine Erinnerung an die mykenische Zeit bewahren, bedeutet dies, daß hier ein Reflex auf den Gebrauch des Streitwagens in mykenischer Zeit vorliegt. Das von Homer überlieferte Bild vom Einsatz des Streitwagens sei somit auch das für die mykenische Zeit mit Sicherheit anzunehmende. 3. Die Ikonographie des Streitwagens in mykenischer Zeit – sowohl die frühmykenischen (Grabstelen und Siegelringe) als auch die spätmykenischen (Fresken) – zeigt niemals einen Streitwagen in der Schlacht. Die meisten Darstellungen stellen Jagdund Prozessionsszenen dar und gehören somit deutlich dem nicht-militärischen Bereich an. Wenn wiederum bewaffnete Krieger gezeigt werden, so sind sie immer Teil von statischen Szenen oder aber sie sind auf dem fahrenden Streitwagen dargestellt, wobei jedoch niemals ein Gegner abgebildet ist. Im Gegensatz dazu ist in den Streitwagendarstellungen in Ägypten und dem Vorderen Orient die vorherrschende Form die des Streitwagens mit galoppierenden Pferden und einem gestürzten Gegner unter den Hufen der Pferde. Da solche Szenen im mykenischen Raum vollkommen fehlen, sei dies ein Hinweis auf eine ganz andere Verwendungsart des Streitwagens im späthelladischen Griechenland als in den orientalischen Großreichen. Diese wesentlichsten Argumente dagegen, daß mykenische Streitwagen im Kampf eingesetzt wurden, bedürfen jedoch einer genaueren Betrachtung: Das erste Argument zielt darauf ab, daß die zum Wagenkampf unbedingt nötigen Ebenen, wie sie in Ägypten oder dem Vorderen Orient zur Verfügung stehen, in Griechenland nicht vorhanden sind. Generell mag dieser Einwand wohl zutreffen, bei genauerer Betrachtung ist er jedoch nur sehr bedingt richtig. Trotz des an sich gebirgigen Charakters Griechenlands finden sich auch hier mehr oder minder große Ebenen, in denen gerade die mykenischen Paläste des Landes gelegen sind. Da die Streitwagenkontingente aber großteils in eben diesen Palästen stationiert waren, standen diesen genügend ebene Flächen für das Training zur Verfügung und konnten zudem etwa 30km um den jeweiligen Palast wirkungsvoll zum Einsatz gebracht werden. Solche in den Ebenen (oder an deren Rand) gelegenen mykenischen Paläste finden sich in der argivischen Ebene (Mykene und Tiryns), in der Mesara (Phaistos), in der nordkretischen Strandebene (Knossos und Mallia), in der thessalische Ebene (Iolkos und Dimini) sowie auch im flachen Becken Boiotiens (Orchomenos und Theben). Besonders deutlich zeigt sich die Sinnhaftigkeit von größeren Streitwagenkontingenten am Beispiel der mykenischen Festung von Gla, die inmitten des völlig flachen Terrains des damals großteils trockengelegten Kopaissees lag und die, den Bauten im Inneren der Burg nach zu schließen, die zum Teil als Stallungen für Pferde zu interpretieren sind, als Stationierungsort von Streitwagen gedient haben dürfte. Natürlich könnte man hier einwenden, daß die Ebenen in Griechenland an Größe jenen in Ägypten und dem Vorderen Orient oder denen in Anatolien keinesfalls nahe kommen,

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doch gilt dasselbe auch für die Größe der Streitwagenkontingente: Die einzelnen mykenischen Staaten konnten bestenfalls zwischen 100 und 600 Streitwagen ins Feld stellen, während Ägypter oder Hethiter jeweils an die 5.000 Streitwagen in ihren Heeren einsetzten. Diese relativ geringe Anzahl an mykenischen Wagen, wie sie uns in den Linear B-Texten entgegen tritt, konnte aber auch in massierten Geschwadern in den (kleineren) Ebenen Griechenlands operieren. Schließlich könnte man noch ins Treffen führen, daß selbst die ebenen Gebiete in Griechenland für den Einsatz von Streitwagen nur sehr bedingt geeignet sind, zumal sie nicht so eben und frei von terrainbedingten Hindernissen sind und somit wohl nicht so problemlos befahrbar sind wie die Ebenen Ägyptens und des Vorderen Orients. Dies trifft nun sicher zu, doch ist die Oberflächengestalt griechischer Ebenen keinesfalls so unwegsam, daß Streitwagengeschwader sich nicht in ihnen bewegen konnten; außerdem scheint man diesem Nachteil im mykenischen Griechenland durch die Bauweise des Streitwagens begegnet zu sein. Der mykenische Streitwagen weist nämlich gegenüber dem ägyptischen aber auch dem hethitischen Pendant gewisse Abweichungen auf, die möglicherweise mit dem anders gearteten d.h. schwierigeren Terrain weiter Teile Griechenlands zu erklären sind. Wie schon erwähnt kam in Griechenland niemals das modernere, leichtere 6-speichige Rad in Gebrauch, vielmehr blieb das 4-speichige in Verwendung. Dieses hatte zwar Nachteile (Gewicht!) gegenüber dem 6-speichigen Rad, doch war es andererseits durch die stärkeren Speichen und den robusteren Rahmen weniger bruchanfällig und somit für schwierigeres Gelände besser geeignet. Auf denselben Zweck dürfte auch ein weiterer Unterschied in der Bauweise der Streitwagen abzielen. Der mykenische Streitwagen unterscheidet sich von seinen ägyptischen und hethitischen Verwandten nämlich auch dadurch, daß er über eine Verstärkung der Deichsel verfügte, die vom vorderen Ende derselben zum oberen Rand des Wagenkorbes führte und durch eine Verstrebung mit der eigentlichen Deichsel verbunden war. Diese Konstruktion diente dazu, dem Streitwagen mehr Stabilität zu verleihen, und die natürliche Bruchanfälligkeit der Verbindungsstelle von Wagenkorb und Deichsel zu minimieren, Eigenschaften, die vor allem in unwegsamerem Gelände sicherlich von Vorteil waren. Resümierend kann zu dem Argument, Griechenland sei aufgrund des Fehlens von Ebenen für den Einsatz von Streitwagengeschwadern ungeeignet, folgendes gesagt werden: Zwar existieren in Griechenland keine an Größe und Oberflächenbeschaffenheit dem Vorderen Orient und Ägypten vergleichbare Ebenen, doch ist auch die Anzahl der im Geschwader einsetzbaren Streitwagen wesentlich geringer (etwa 1/10) als in den bronzezeitlichen Großreichen. Zudem verfügte der mykenische Streitwagen über einige Unterschiede in der Bauweise, die einen Einsatz des Kampfgerätes auch in schwierigerem Gelände möglich machten. Was das Argument anbelangt, daß in der Ilias, die mykenische Verhältnisse widerspiegle, nur der Apobatenkampf, bei dem der Krieger auf dem Wagen in die Schlacht fährt und sodann absteigt und zu Fuß kämpft, geschildert werde, ist zunächst einmal zu hinterfragen, ob hier tatsächlich ein Reflex auf die mykenische Zeit vorliegt und nicht vielmehr eine Erinnerung an die ›Dunklen Jahrhunderte‹, doch führt diese komplexe Frage an dieser Stelle wohl zu weit. Doch selbst unter der Annahme, daß die Schilderungen des Streitwagens und seiner Verwendung in der Ilias mykenische Verhältnisse wiedergeben, kann keine Rede davon sein, daß der Apobatenkampf die einzige geschilderte Form der Verwendung des

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Streitwagens in diesem Epos ist. Fast ebenso häufig finden sich nämlich Schilderungen, in denen ein Held wie vom Wagen herab einen zu Fuß streitenden tötet oder wie er selbst zu Fuß kämpfend einen Gegner mit der Lanze aus dem Streitwagen sticht.301 Die Darstellung eines Kampfes zweier auf ihren Wagen stehender Krieger gegeneinander findet sich allerdings seltener.302 Noch wesentlich aussagekräftiger als Beleg dafür, daß die Ilias auch den Einsatz von Streitwagen im Schlachtgeschwader kennt, sind drei Stellen des Epos: So erzählt der greise Nestor303 eine Kampfepisode aus seiner Jugend, in der anläßlich einer Schlacht zwischen den Pyliern und den Epeiern letztere am Ufer des Alpheios ihre Streitwagengeschwader auffahren ließen. An anderer Stelle304 findet sich als Teil der Aristie des Agamemnon eine – nahezu idealtypische – Schilderung des Schlachtgeschehens vor den Mauern Troias: »Fußvolk mordet nun Fußvolk, das gezwungen zurückfloh, Reisige305 nun der Reisigen Schar …« In dieser Passage sind nun ganz deutlich Fußkämpfer und Wagenkämpfer einander gegenübergestellt, womit wohl intendiert ist, die volle Bandbreite von Arten des Kampfes zu zeigen: Zum einen der Kampf zwischen Fußkämpfern, zum anderen aber auch die Schlacht der Streitwagenbesatzungen gegeneinander. Die Tatsache, daß auch die Ilias den Kampfeinsatz von Streitwagengeschwadern kennt, wird in der dritten Stelle am deutlichsten:306 Minutiös wird hier die Einrichtung der Schlachtordnung für die Streitwagen wiedergegeben sowie die Anweisungen an die einzelnen Gespanne, wie sie den Kampf zu führen hätten. Verantwortlich hierfür ist wiederum Nestor, der nicht vergißt darauf hinzuweisen, daß so, wie er es den jungen Kämpfern rät, in alter Zeit, d.h. in seiner Jugend, die großen Helden ihre Kämpfe erfolgreich bestritten haben. In die erste Linie der Schlacht werden die Streitwagen gestellt, dahinter die Fußkämpfer, wobei die Wagenlenker eindringlich aufgefordert werden, darauf zu achten, die Schlachtreihe nicht zu verlassen. Weder dürften sie mit den Wagen vorpreschen noch hinter dieser zurückbleiben, damit auf jeden Fall die Geschlossenheit des Geschwaders gewahrt bliebe. Sobald ein Streitwagen aber einen feindlichen Wagen erreicht, soll der Wagenkämpfer die Lanze zum Stoß vorstrecken. Aus dieser Schilderung geht nun deutlich hervor, daß – in Nestors Augen – die erfolgversprechendste Vorgehensweise darin bestand, in dicht geschlossener Reihe mit den Streitwagen vorzurücken; im Moment des Zusammenpralls aber versuchten die Wagenkämpfer, ihre Gegner mit den Lanzen aus den Wagen zu stechen. Es entsteht allerdings der Eindruck, daß in der Anschauung des Dichters die Einsatzweise der Streitwagen in geschlossenen Reihen zur Zeit des Kampfes um Troia bereits veraltet war und einer früheren Zeit angehörte. Zusammenfassend ist also zu konstatieren, daß die Kampfesweise, in der der Kämpfer vom Streitwagen absteigt und zu Fuß seinem Feind begegnet, zwar die am häufigsten ge301 302 303 304 305 306

Als Beispiele seien hier nur einige Stellen der Ilias angeführt: Hom. Il. 5,10–19; 5,38–40; 5,43–47; 5,159–164; 5,274–296; 6,42f.; 8,80f.; 8,316; 11,107f.; 11,127. So Hom. Il. 5,846–863. Hom. Il. 11,709–715. Hom. Il. 11,150f. In der Übersetzung von Voss sind mit den Reisigen die Wagenkämpfer gemeint. Hom. Il. 4,297–309.

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schilderte Form der gewaltsamen Konfrontation ist, daß aber die Situation, in der ein Streitwagen mitten in das gegnerische Fußvolk fährt und ein Krieger vom Wagen herab die zu Fuß streitenden Feinde bekämpft, fast ebenso oft dargestellt wird. Der Einsatz von Streitwagen in geschlossenen Formationen wird zugegebenermaßen nur dreimal geschildert, unbekannt ist jedoch auch diese militärische Vorgangsweise dem Dichter der Ilias nicht, wenngleich sie eine veraltete, für die vom Dichter dargestellte Zeit des Troianischen Krieges nicht mehr übliche Taktik zu sein scheint. Gänzlich unbekannt ist der Ilias hingegen der in Ägypten, Anatolien und Mesopotamien übliche Einsatz von mit Bogenschützen bemannten Streitwagen. Gerade dieser Umstand, daß der in mesopotamischen, hethitischen und ägyptischen Heeren typische Einsatz von Streitwagen als Geschwaderangriff auf den Wagen stehender Bogenschützen dem Ilias-Dichter offenbar völlig unbekannt ist, wird in der modernen Forschung seltsamerweise negiert und die ›Geschwaderszenen‹ der Ilias werden als Einfluß bzw. Kenntnis vorderasiatischer Verhältnisse gesehen, die mit der Wirklichkeit im griechischen Raum nichts zu tun hätten.307 Wenn in diesen Szenen – was die Schilderung an sich schon nicht nahelegt308 – tatsächlich die Beschreibung eines Kampfes vorderasiatischer oder mesopotamischer Streitwagentruppen vorläge, so wäre es völlig unerklärlich, weshalb gerade auf das charakteristische Element des vom Wagen herab kämpfenden Bogenschützen verzichtet wurde. Auch der Einwand, es wäre hier die Kampfesweise hethitischer Streitwagen beschrieben, die nicht nur den Einsatz von Bogenschützen sondern auch von Speerkämpfern auf dem Streitwagen kannten, ist nicht schlüssig. Die Darstellungen der hethitischen Wagen in der Schlacht von Kadesch in Abu Simbel zeigt sehr deutlich, daß die hethitischen Wagenkämpfer als Fernwaffe agierten und entweder Pfeil und Bogen oder aber kurze Speere verwendeten, niemals aber die lange Lanze, die Nestor ganz klar als für den Angriff entscheidend hervorhebt. In der Ilias muß demnach auch die Erinnerung an den Einsatz von Streitwagengeschwadern, wie er im griechischen Raum üblich gewesen war, erhalten geblieben sein, deren Kämpfer – anders als in ägyptischen, hethitischen oder vorderasiatischen Heeren der Bronzezeit – mit der Stoßlanze kämpften.309 Das Argument, der mykenische Streitwagen sei nur als Transportmittel verwendet worden, weil keine bildliche Darstellung ihn im Kampfeinsatz zeigt, ist eo ipso problematisch, da es sich hierbei um ein reines argumentum e silentio handelt. Die bloße Nicht-Existenz von solchen bildlichen Zeugnissen würde tatsächlich noch nichts darüber aussagen, ob der Streitwagen im Kampf Verwendung gefunden hat oder nicht. Umgekehrt jedoch, würde eine einzige Abbildung, die den Streitwagen in einer Kampfszene zeigt, belegen, daß es sich bei ihm zweifelsohne um ein Gerät für den Kampfeinsatz gehandelt hat. Vor allem aus spätmykenischer Zeit sind nun einige Fresken auf uns gekommen, in denen Streitwagen zusammen mit bewaffneten Kriegern abgebildet sind, doch zeigen diese Fresken keine Kampfszenen, weshalb die Wagen auch als bloße Transportmittel der dargestellten Krieger zur Schlacht interpretiert werden können. Eine außergewöhnlich große 307 308

309

So Littauer, Military Use of Chariots 157. Immerhin ist es jeweils der Grieche Nestor, der von solchen Kämpfen erzählt bzw. die Rede vor seinen Truppen hält, und nicht etwa der dem kleinasiatischen Raum angehörende Hektor bzw. ein anderer Troianer oder die Lykier Glaukos und Sarpedon, welchen eine Schilderung vorderasiatischer Streitwagentaktiken nähergelegen wäre. Vgl. Greenhalgh, Horsemen and Chariots 7–12 und ders., Dendra Charioteer, 201–205.

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Anzahl von Streitwagen, die allerdings nur in zum Teil sehr kleinen Bruchstücken erhalten sind, stellen die Fresken dar, die im Megaron von Mykene aufgefunden wurden.310 Insgesamt zwei dieser Fresken zeigen, was hier von Interesse ist, ausschließlich Szenen mit einem militärischen Kontext. Das Fresko an der Südwand des Megarons von Mykene beinhaltet insgesamt mindestens vier Szenen, in denen entweder angeschirrte Streitwagenpferde oder ganze Streitwagen abgebildet sind. Neben den Pferden sind jeweils die Wagenlenker zu sehen sowie Krieger, die mit Lanzen bewaffnet sind. Trotz des generell fragmentarischen Erhaltungszustandes der Fresken läßt sich klar erkennen, daß die Wagen sich zwar nicht im Kampfeinsatz, aber offenbar unmittelbar vor einem solchen befinden. Genau genommen handelt sich bei diesem Fresko also nicht um eine Schlachtendarstellung, sondern vielmehr um einzelne Rüstungsszenen. Im Gegensatz hierzu sind auf dem Fresko an der Nordwand des Megarons – soweit dies aus den Bruchstücken der einzelnen Szenen noch ersichtlich ist – ausschließlich Kampfdarstellungen abgebildet, die in zwei Reihen übereinander angeordnet sind. So sieht man im rechten Teil des Freskos in der oberen Reihe zwei Krieger, die sich – dies ist aus der Beinstellung der beiden Kämpfer erkennbar – in heftiger Bewegung befinden: Es handelt sich also offensichtlich um die Darstellung eines Kampfes. In der Reihe darunter sind allerdings nur noch die Abbildung des oberen Teiles des Helmes und der Lanze eines Kriegers erhalten. Im linken Teil des Freskos sind zwei Streitwagen dargestellt. Der eine, welcher anscheinend der oberen Reihe des Freskos angehört und von dem nur der vordere Teil des Wagenkorbes und der Rücken eines Pferdes sowie die Zügel zu sehen sind, dürfte stehend abgebildet sein, da der Hals des Pferdes, von dem lediglich noch ein winziges Stück erhalten ist, sehr aufrecht erscheint, während er bei einem galoppierenden Pferd wohl weiter nach vorne geneigt sein müßte. In der unteren Reihe der linken Seite ist ebenfalls ein Streitwagen dargestellt, von dem noch das Rad und ein Teil des Wagenkorbes sichtbar sind. Auch dieser Wagen befindet sich offenbar im Stillstand,311 was aus den vor ihm stehenden Hinterbeinen (bzw. Teilen derselben) eines Wagenpferdes erkennbar ist. Hinter dem Wagen jedoch befindet sich ein Krieger, der in heftigem Lauf begriffen ist, was wiederum nur mehr aus der Stellung seiner Beine ersichtlich ist. Die für die Frage, ob Streitwagen im Kampfeinsatz in der bildlichen Kunst der Mykener nachweisbar sind, entscheidende Szene (vgl. Abb. 13) findet sich jedoch zwischen den beiden Streitwagen zur rechten und den Fußkämpfern zur linken. In der unteren Reihe des Freskos ist ein Gebäude mit Dach und Säulen dargestellt, bei dem es sich möglicherweise um einen Palast handelt; in einem Fenster des Gebäudes ist eine menschliche Gestalt erkennbar. In der oberen Reihe sind noch der Unterleib und die Beine (mit Beinschienen) eines rücklings zu Boden stürzenden Kriegers zu sehen. Oberhalb der Beine des Kriegers ist nur noch ein dunkelbrauner Streifen mit leicht gebogenem unterem Rand erhalten. Der Bearbeiter312 des Freskos sieht darin den Bauch bzw. die Brust eines über den gestürzten Krieger hinwegjagenden Pferdes, genauer eines Wagenpferdes. Dahinter habe sich nämlich noch der Streitwagen befunden. 310 311 312

Siehe Rodenwaldt, Fries 24–45. Ausschließlich mit Darstellungen stehender Wagenpferde in der mykenischen Malerei rechnet auch Immerwahr, Aegean Painting 123–125. Rodenwaldt, Fries 32.

4. Formen und Einsatz des mykenischen Streitwagens

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Sofern nun die eben vorgestellte Ergänzung des Freskos und damit verbunden die Interpretation der Szene zutrifft,313 so stellt sie wohl den deutlichen Beweis dafür dar, daß mykenische Streitwagen in der Schlacht als Kampffahrzeuge eingesetzt und auch abgebildet wurden. Die szenische Darstellung im Megaron von Mykene beinhaltet genau all jene Elemente, die für Streitwagenkämpfe und deren bildliche Repräsentation in der ägyptischen und vorderorientalischen Kunst charakteristisch sind, die jedoch in mykenischen Fresken angeblich nicht vorhanden sind: »Yet the typical signature of the battle chariot of these areas is conspicuous by its absence. This is the fallen enemy beneath … the hooves of a team represented at a bounding gallop.«314 Will man daher die These, daß der mykenische Streitwagen niemals im Kampf eingesetzt wurde, aufrechterhalten,315 ist man gezwungen, die Rekonstruktion der oben beschriebenen Szene durch Gerhard Rodenwaldt als unzutreffend zu verwerfen. Zunächst wird als Einwand gegen diese Rekonstruktion der Umstand ins Treffen geführt, daß eine solche Szene in den mykenischen Fresken singulär und somit sehr unwahrscheinlich ist.316 Hierbei handelt es sich jedoch um einen von einer petitio principii ausgehenden Zirkelschluß, der eigentlich keiner weiteren Erörterung bedarf: Der mykenische Streitwagen kann nicht im Kampf verwendet worden sein, weil es davon keine Darstellung gibt; sollte eine solche jedoch möglicherweise doch existieren, so kann dies nicht sein, weil keine weiteren derartigen Abbildungen vorhanden sind; also: der mykenische Streitwagen wurde nicht im Kampf verwendet. Der zweite Einwand gegen die Richtigkeit der Rekonstruktion des Freskos bezieht sich auf den kleinen gerundeten Farbrest, der als Pferdebrust und -bauch interpretiert wurde. An der Brust des Pferdes, so die Argumentation, müßte, wenn es sich tatsächlich um den Leib eines Streitwagenpferdes handeln sollte, ein Gurt zu sehen sein.317 Dem ist nun entgegenzuhalten, daß zum einen nicht bei allen mykenischen Darstellungen von Wagenpferden der Brustgurt des Geschirrs zu sehen ist. Zum anderen aber – und dies ist hier entscheidender – ist in diesem Fresko gerade der Teil des Pferdekörpers, an dem der Gurt liegt – das ist der vorderste erhaltene Abschnitt auf dem Fresko – nur mehr in seiner Grundierung nicht aber mit der deckenden Fellfarbe erhalten. Ein etwaig vorhandener Gurt, der erst auf die Grundierung bzw. auf die Fellfarbe aufgetragen wurde, kann also gar nicht mehr sichtbar sein. Lehnt man die oben vorgestellte Interpretation der Szene jedoch ab, so stellt sich natürlich die Frage: Wenn der – zugegebenermaßen sehr kleine Rest eines Tierkörpers nicht zu einem galoppierenden Wagenpferd gehört, welches Tier oder was sonst ist dann hier dargestellt? Nach Größe und Farbe des schmalen Ausschnitts des Freskos oberhalb der Beine des rücklings gestürzten Kriegers zu urteilen, sollte es sich auf alle Fälle um ein Tier handeln. 313

314 315 316 317

Zu Komposition und Motiv dieser Szene und ihren Parallelen außerhalb des mykenischen Raumes siehe Hiller, Scenes of Warfare 326f. Vgl. auch Kontorli-Papadopoulou, Fighting-Scenes 334f. So apodiktisch Littauer, Military Use of the Chariot 157. Crouwel, Fighting on Land and Sea 455f. ignoriert bei seiner Besprechung dieser Szene aus dem Megaron von Mykene den (möglichen) Streitwagen vollkommen. Littauer, Military Use of the Chariot 150f. Littauer, Military Use of the Chariot 151.

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I. Grundlagen des spätmykenischen Militärwesens

Ein in der mykenischen Ikonographie sehr beliebtes Tier ist der Löwe, vor allem der im gestreckten Lauf oder Sprung dargestellte Löwe im Rahmen von Jagdszenen. Da auf dem Fresko der Ansatz der Vorderbeine des Tieres erkennbar sind, die deutlich auf vorgestreckte Beine hinweisen, würde dies durchaus zu einem Löwen im gestreckten Lauf passen, vergleichbar etwa dem auf dem bekannten Silberdolch aus dem Schachtgräberrund A von Mykene.318 Dieser an sich sehr plausiblen Interpretation der Freskoszene ist lediglich entgegenzuhalten, daß in den Fresken des Megarons von Mykene eigentlich nichts auf eine Jagdszene hindeutet. Vielmehr weisen die (stehenden) Streitwagen, vor allem aber das abgebildete Gebäude – gleichgültig, ob es sich hierbei um einen Palast handelt oder nicht – viel eher auf eine in der Nähe einer Stadt spielende Schlachtdarstellung und nicht auf eine wohl in der freien Natur angesiedelte Jagdszene. Verwirft man also die These, es handle sich bei dem Fresko um eine Jagdszene, und sieht darin doch die Darstellung eines Kampfgeschehens, so kann es sich bei dem Tier, von dem nur ein winziger Teil erhalten ist, nur um ein Pferd handeln, genauer gesagt um ein Wagenpferd. Ein stehendes Pferd kann jedoch hier nicht abgebildet gewesen sein, da in diesem Fall die Beine des Tieres zu sehen wären; außerdem müßten diese die Beine des gestürzten Kriegers überschneiden. Dies wiederum bedeutet, daß die Vorderläufe des Pferdes vorgestreckt dargestellt worden sein müssen, wie es auch der erhaltene Beinansatz an der Brust des Pferdes nahelegt. Es handelt sich daher bei dem abgebildeten Tier wohl tatsächlich um ein galoppierendes Pferd, im Kontext der gesamten Szene also um ein im Kampfeinsatz vor einen Wagen gespanntes Pferd.319 Noch ein Faktum soll hier noch einmal angesprochen werden. Diese Rekonstruktion der Szene ist, wie etwa schon Stefan Hiller 320 festgestellt hat, eine sehr genaue Parallele zu einigen ägyptischen Darstellungen vor allem der Schlacht von Kadesch: In diesen Szenen jagt jeweils ein Streitwagen in vollem Galopp über einen Kämpfer hinweg, der unter den gestreckten Vorderbeinen und der Brust des Streitwagenpferdes rücklings zu Boden stürzt. All diese Indizien sprechen wohl dafür, daß im Großen und Ganzen die Rekonstruktion des Freskos an der Nordwand des Megarons von Mykene Richtigkeit beanspruchen darf, einschließlich des sich im Kampfeinsatz befindlichen Streitwagens.321 Bei genauerer Betrachtung der (rekonstruierten) Bruchstücke des Freskos zeigt sich ein weiteres aus militärischem Blickwinkel auffallendes Detail. Kein Krieger, weder auf dem Schlachtenfresko der Nordwand noch in den Rüstungsszenen der Südwand, trägt – soweit dies angesichts des bruchstückhaften Erhaltungszustandes der Fresken gesagt werden kann – einen Schild. Von der anzunehmenden Ausrüstung eines Kriegers sind auf den Freskobruchstücken Helme, Beinschienen und Lanzen – zumindest in Teilen – zu sehen, es fehlt jedoch eine wesentliche Waffe: der Schild. Angesichts der Größe dieser Verteidigungswaffe wäre unbedingt zu erwarten, daß zumindest etwas erhalten ist, das als Rest eines Schildes 318 319 320 321

In diese Richtung argumentiert etwa Thomas, War Animal 304f. Dagegen Crouwel, Chariots in Bronze Age 130f. Hiller, Scenes of Warfare 326f. Rodenwaldt scheint in dem gestürzten Krieger nicht einen Gegner sondern den Wagenkämpfer des Streitwagens zu sehen, weshalb er den Wagen mit nur einem Mann besetzt rekonstruiert. Nach dem Vorbild der Kadesch-Darstellung zu schließen, könnte es sich jedoch auch um einen Gegner handeln, weshalb sich im Wagen zwei Krieger befinden müßten.

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interpretiert werden könnte. Da dies aber nicht der Fall ist, kann es sich bei den in der Nähe der dargestellten Reste von Streitwagen befindlichen Krieger wohl nicht um Apobaten handeln, zumal diese immer schwer bewaffnet und daher auch mit dem Schild ausgerüstet sind und in späteren (SH IIIC) Vasenbildern auch so abgebildet werden. Sofern es sich also bei diesen Kriegern um Wagenkämpfer handelt, sind es solche, die zwar neben dem Wagen dargestellt sind, diesen jedoch im Kampf nicht verlassen. Auch in diesem Fall erfordert das Fehlen des Schildes allerdings noch eine Begründung. Diese könnte nun darin gelegen sein, daß der Wagenkämpfer als Waffe vor allem eine lange Stoßlanze trug, zu deren Handhabung – aufgrund des Gewichts und der Länge der Waffe – er beide Hände benötigte und daher keinen Schild tragen konnte. Auffällig ist jedoch – und dafür bedarf es einer anderen Erklärung –, daß auch die Krieger auf dem Fries der Nordwand, die offenbar nichts mit den Streitwagen zu tun haben und somit wohl als Fußkämpfer anzusprechen sind, allesamt – soweit aus den Bruchstücken noch erkennbar – keine Schilde tragen. Wenn diese jedoch keine Wagenkämpfer sind, muß es sich bei ihnen um leichtbewaffnete Fußkämpfer handeln, die ein Schild in ihrer Schnelligkeit und Beweglichkeit behindert hätte. Im Megaron von Mykene sind demnach einerseits (an der Südwand) Rüstungsszenen mit Kriegern und stehenden Streitwagen dargestellt, andererseits (an der Nordwand) aber auch Kampfszenen. Diese zeigen zum einen Krieger zu Fuß, die sich in heftig bewegtem Kampf befinden, zum anderen sieht man inmitten von Fußkämpfern stehende Streitwagen, deren Wagenkämpfer dank des schlechten Erhaltungszustandes jedoch nicht sichtbar sind, und zum dritten ein Streitwagen im Kampfeinsatz, der über einen gefallenen Gegner oder einen herabgestürzten Wagenkämpfer hinwegjagt. Es machen somit auch die bildlichen Darstellungen wahrscheinlich, daß in der mykenischen Welt der Streitwagen als Kampffahrzeug ebenso bekannt war wie in Anatolien, dem Vorderen Orient und Ägypten. Der – nicht unerhebliche – Unterschied zu den Darstellungen in den bronzezeitlichen Großreichen liegt allerdings darin, daß in den mykenischen Darstellungen Streitwagen niemals im Zusammenhang mit Bogenschützen erscheinen, sondern immer mit Kriegern, die mit langen Lanzen bewaffnet sind. Das Fresko aus dem Megaron von Mykene stellt somit eine genaue Parallele zu Nestors Schilderung in der Ilias über den Kampf von Streitwagenbesatzungen mit der Lanze dar. Wenden wir uns nun den Linear B-Texten zu, um zu sehen, ob diese Quellen Auskunft – und sei es auch nur indirekt – über die Verwendung des mykenischen Streitwagens geben können. Es steht wohl außer Zweifel, daß die Verwendung eines Streitwagens als bloßes Transportmittel nicht nur dem eigentlichen Zweck widerspricht sondern angesichts der Außerachtlassung der Möglichkeiten dieses Kampfmittels eine Vergeudung von Ressourcen dieses in Anschaffung und Erhaltung sehr teuren Kriegsgerätes darstellt, die zudem nur einen sehr bescheidenen militärischen Nutzen erbringt.322 Eine derartige Verwendung des Streitwagens entspringt demnach wohl nicht militärischen Erwägungen oder Notwendigkeiten, sondern gehört vielmehr zum weiten Feld der Statussymbole einer sozialen Oberschicht, 322

Dieser besteht lediglich in der Schonung der mit dem Wagen zum Kampf fahrenden Kämpfer und in dem raschen Abtransport Verwundeter. Gleichwohl finden sich solche militärischen Taktiken des öfteren im Altertum; dazu ausführlich Anderson, Mounted Infantry 175–187.

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I. Grundlagen des spätmykenischen Militärwesens

die in der Lage war, sich den teuren Wagen bauen zu lassen und ihn (und die Pferde) zu erhalten. Das bedeutet aber, daß diese Elite den Streitwagen und die Pferde auch ausschließlich aus eigenen Mitteln finanzierte. Diese politischen und gesellschaftlichen Bedingungen sind nun zwar zweifelsohne für die homerische Welt gegeben, in der die (an Zahl natürlich nur sehr wenigen) Adeligen mit dem Wagen in die Schlacht fuhren und sodann abstiegen, um zu kämpfen – aber auch nicht immer, wie oben gezeigt wurde. Für die mykenische Welt gelten jedoch nicht die selben Voraussetzungen, wie eine Betrachtung der das Thema ›Streitwagen‹ betreffenden Linear B-Texte zeigt. Von besonderer Bedeutung ist hierbei die Sa-Serie der pylischen Texte, in der auf insgesamt 38 Tafeln Räderpaare mykenischer Streitwagen verzeichnet sind, die im ›Arsenal‹ des Palastes von Pylos gelagert waren. Bei einigen ist sogar angegeben, welchem Streitwagenbesitzer diese Räder gehörten bzw. zugeteilt waren. Einige dieser Räderpaare waren offenbar zum Zeitpunkt der Registrierung nicht einsatzfähig, was jeweils ausdrücklich vermerkt wurde. Diese Tafeln legen ein deutliches Zeugnis dafür ab, daß, abgesehen von den vornehmlich in den Grenzgebieten im Einsatz stehenden Streitwagen,323 der Großteil dieser Waffengattung in zerlegter Form in den Magazinen des Palastes lagerte und bei bestimmten Gelegenheiten, wozu vor allem das Training und natürlich der militärische Einsatz zählten, zusammengebaut und an die Streitwagenbesatzungen ausgegeben wurde. Sieht man von den als nicht einsatzfähig (no-pe-re-a2=an-opheles) charakterisierten Rädern ab, verfügte der Palast von Pylos über eine Streitmacht von mehr als 120 Streitwagen, die zusätzlich zu den an den Grenzen und anderen Einsatzorten bereits im Dienst stehenden Streitwagen mobilisiert werden konnte. Daß der mykenische Streitwagen nicht nur von einer sehr kleinen sozialen Elite (den Fürsten) militärisch benutzt wurde, sondern von einer größeren Gruppe militärischer ›Spezialisten‹, zeigt allein schon die verhältnismäßig große Anzahl von 600 Streitwagen im mykenischen Knossos und immerhin noch 120 Fahrzeugen in Pylos. Abgesehen von diesen generellen Überlegungen zeigen auch die Linear B-Texte ganz deutlich, daß in den mykenischen Reichen sowohl die Wagen als auch die Pferde sich nicht im Besitz der jeweiligen Benutzer, d.h. der Streitwagenkämpfer, befanden, sondern – zumindest zum größten Teil – zentral im Palast aufbewahrt wurden.324 Die Streitwagen selbst wurden zu diesem Zweck übrigens zerlegt und zumindest die Räder wurden getrennt vom Wagen aufbewahrt.325 Im Einsatzfall sowie zum Training wurden die Streitwagen und die Pferde an die Besatzungen, also an die Streitwagenkämpfer und ihre Lenker gegeben. Die Herstellung und die Wartung der Wagen sowie die Aufzucht und die Fütterung der Pferde lagen also nicht bei den Benutzern der Streitwagen, sondern beim Palast oder wurden – soweit es die Pferde betrifft – an vermögende Privatleute delegiert.326 Es besteht nun kein ersichtlicher Grund für die Annahme, daß die mykenischen Paläste den Adeligen des Landes die Streitwagen finanziert haben, wenn diese kaum einen militärischen Wert hatten und lediglich als teures Statussymbol dienten. Dafür spricht auch, daß die Wagenkämpfer den Streitwagen offenbar nur zu den oben genannten Gelegenheiten verwenden durften. Die Texte legen also nahe, 323 324 325 326

Siehe hierzu ausführlich II 4.5. Siehe die diesbezüglichen Zusammenstellungen bei Chadwick, Documents 361–375. Chadwick, Documents 359–375. Siehe dazu und zu den ein solches Vorgehen belegenden Linear B-Tafeln ausführlich Kapitel II 2.3.

4. Formen und Einsatz des mykenischen Streitwagens

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daß diese wertvollste Waffe des mykenischen Militärs der genauen Aufsicht und Kontrolle seitens des Palastes unterstand und nur für den Einsatz an die Wagenbesatzung ausgegeben wurde, ein Einsatz, der nur in der Verwendung in der Schlacht selbst bzw. im Training für den Kampf bestehen konnte. Einige Linear B-Texte bieten noch weitere Informationen, die auf einen Kampfeinsatz mykenischer Streitwagen deuten. Die selben Tafeln nämlich, die die Ausgabe von Streitwagen samt Wagenpferden seitens des Palastes an die – e-qe-ta genannten – Wagenkämpfer verzeichnen, erwähnen zuweilen auch die Zuteilung eines Körperpanzers an den Wagenkämpfer.327 Von Bedeutung für unser Thema ist nun, daß in einigen Fällen zusammen mit dem Wagen nicht nur ein Panzer ausgegeben wird, sondern deren zwei. Dies kann jedoch nur dahingehend interpretiert werden, daß nicht nur der Wagenkämpfer vom Palast mit einer Rüstung ausgestattet wurde, sondern offenkundig auch der Wagenlenker. Dies wiederum ist, bedenkt man die zweifelsohne hohen Kosten, die die Anfertigung einer Rüstung verursachte, nur dann erklärlich, wenn auch der Wagenlenker am Kampf selbst teilnahm bzw. unmittelbar in Feindberührung kam. Das bedeutet aber, daß der Streitwagen nicht nur als Transportmittel zum Kampfplatz eingesetzt wurde, sondern direkt ins Kampfgeschehen involviert war. Der Grund dafür, warum nur sehr wenige Linear B-Tafeln die Ausgabe von zwei Rüstungen ausweisen, könnte vielleicht sein, daß die Ausgabe von Streitwagen, Pferden und Rüstungen zumeist nicht zur selben Zeit erfolgte und daher auch nicht auf ein und derselben Tafel verzeichnet wurde. Die zweite – vielleicht plausiblere – Erklärung könnte darin liegen, daß die ausgegebenen Gegenstände (Rüstungen und Streitwagen) und Pferde als Ergänzung für verlorengegangene oder zerstörte Stücke (und tote Pferde) zu verstehen sind und die Zuteilung daher in den einzelnen Fällen sehr unterschiedlich ausfällt.328 In diesem Fall dürfte es klar sein, daß die zu ergänzenden (massiven) Ausfälle nur im Zuge eines Kampfgeschehens passiert sein können, einem Kampfgeschehen, in das die Streitwagen selbst involviert gewesen sein müssen.329 Schließlich sei noch die Bauweise des mykenischen Streitwagens selbst als Argument für die Verwendung des Wagens als Kampfinstrument angeführt. Aus den erhaltenen Bildquellen mit Streitwagendarstellungen des 13. Jh. geht, wie auch aus den Ideogrammen für ›Streitwagen‹ in den Linear B-Texten, unzweifelhaft hervor, daß der Wagenkorb des mykenischen Streitwagens mit starken Rinderfellen bespannt war. Nun war nicht nur der Vorderteil und die Seitenwände des Wagenkorbes auf diese Weise gegen feindlichen Beschuß geschützt, sondern auch die halbkreisförmige Ausbuchtung, die den Korb weit nach hinten verlängerte (vgl. Abb. 19). Somit war diese ›Ausbuchtung‹ am Korb nicht allein deswegen angebracht, um als eine Art Geländer als Aufstiegshilfe auf den Wagen zu dienen, sondern sie sollte – zum Teil wenigstens – den Wagenkämpfer und den Lenker auch gegen einen Beschuß von schräg hinten schützen. Der militärische Vorteil dieser Verkleidung des gesamten Wagenkorbes mit dicker Rindshaut wurde auf der anderen Seite natürlich dadurch aufgehoben, daß der Streitwagen aufgrund des wesentlich höheren Gewichts des Korbes 327 328

329

Chadwick, Documents 379–381. Auch hierzu siehe Genaueres in Kapitel I 3.3. Als besonders deutliches Beispiel hierfür mag eine Tafel aus Knossos (KN Sc 226) dienen, welche die Übergabe nur eines Pferdes an einen Wagenkämpfer festhält, allerdings mit der Zusatzbemerkung: ›eines hat er schon‹ (e-ko=echon 1). Siehe hierzu genauer in der Behandlung der militär-relevanten Linear B-Texte aus dem Archiv des Palastes von Knossos.

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I. Grundlagen des spätmykenischen Militärwesens

schwerfälliger und langsamer wurde; selbstverständlich war diese Art des Wagens auch wesentlich teurer. Wenn diese Nachteile aber zugunsten eines größeren Schutzes der Wagenbesatzung in Kauf genommen wurden, kann dies nur bedeuten, daß der Streitwagen selbst ins Schlachtgewühl gefahren wurde. Ein Streitwagen hingegen, der als bloßes Transportmittel Verwendung fand, war üblicherweise nur mit einem Korb ausgestattet, der aus einem leichten Rahmengeflecht bestand, was den Vorteil bot, den Kämpfer schnell zum und vom Kampfplatz transportieren zu können. Die generelle Richtigkeit der oben angestellten Überlegungen bezüglich der leichten bzw. schwereren Bauweise von Streitwagen wird bestätigt durch die diesbezüglichen Verhältnisse in Ägypten und dem Hethiterreich. Der ägyptische Streitwagen, der als Besatzung einen Lenker und einen Bogenschützen trug und als mobile Plattform für den Pfeilbeschuß als Fernwaffe eingesetzt wurde, war dem Verwendungszweck entsprechend auf Schnelligkeit und Manövrierfähigkeit hin konstruiert. Deshalb besaß er auch einen nur aus einem sehr leichten Gestänge als Rahmen bestehenden Wagenkorb, der der Besatzung keinerlei Schutz zu bieten in der Lage war. Ganz deutlich war dieser Streitwagen also dahingehend konzipiert, nicht in den Wirkungsbereich feindlicher Lanzen und Speere – sei es von Fußkämpfern, sei von anderen Streitwagenkämpfern – zu geraten. Die hethitischen Streitwagen hingegen waren – neben den Lenkern und den Bogenschützen – auch mit Speerkämpfern bemannt und dienten somit dazu, sich in direkten Kontakt mit dem Feind, sowohl mit gegnerischen Streitwagen als auch mit Fußkämpfern, zu begeben. Ganz deutlich zeigt sich dies am Verlauf der Schlacht von Kadesch,330 an deren Beginn sich eine hethitische Streitwagenabteilung mitten in die Reihen der ägyptischen Infanterie stürzt und sodann die ägyptischen Streitwagen vom Schlachtfeld jagt. Um solche Kampfaufgaben erfüllen zu können, war der hethitische Streitwagen deutlich schwerer gebaut und besaß einen Korb, der zum Schutz der Besatzung entweder über eine Holzverkleidung oder eine Lederbespannung verfügte. Es läßt sich also die Einsatzform des Streitwagens aus seiner Bauweise recht klar erkennen: Streitwagen in ›Leichtbauweise‹, die große Schnelligkeit und Manövrierfähigkeit gewährleisteten, aber keinen Schutz für Lenker und Kämpfer bieten konnten, sollten keinesfalls in einen Nahkampf mit feindlichen Wagen oder Fußtruppen geraten; sie wurden vielmehr entweder als Fernwaffe (mit Bogenschützen) oder als Transportmittel für Apobaten eingesetzt. Streitwagen hingegen, die über einen (schweren) Schutz für die Besatzung in Form eines Holzverbaus oder von gespannten Rinderfellen verfügten, waren als schnelles Transportmittel oder als mobile Feuerplattform zu langsam und daher ungeeignet. Diese wagen waren vielmehr dazu gedacht, sich in den Nahkampf mit anderen Wagen oder Fußkämpfern zu begeben. Die ganz deutliche Ähnlichkeit des mykenischen Streitwagens mit dem hethitischen deutet also darauf, daß auch seine Einsatzweise eine sehr ähnliche war, zumindest was die Intention und die Möglichkeit eines direkten Feindkontaktes in der Schlacht betrifft. Diese hier beschriebene Rolle und Funktion des mykenischen Streitwagens scheint allerdings bald eine entscheidende Wandlung erfahren zu haben. Während, wie oben zu zeigen versucht wurde, in der Periode SH IIIB ausschließlich der voll mit Rinderhaut bespannte schwere Streitwagen Verwendung fand, werden in der Phase SH IIIC – vor allem auf Va330

Mayer, Mayer-Opificius, Qades 321–367.

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senbildern – mykenische Wagen dargestellt, die ganz offensichtlich über einen Korb in Rahmenbauweise ohne Verkleidung verfügen, bei denen zudem die Achse von der Mitte des Wagenkorbes an das hintere Ende verschoben erscheint.331 Bei diesen Vasenbildern handelt es sich offensichtlich um Szenen aus dem militärischen Bereich, zumal diese Streitwagen mit zwei Kriegern bemannt sind, von denen einer auch Waffen (eine Lanze oder einen Speer) trägt. Im Unterschied zu Darstellungen von Wagenkämpfern der Periode SH IIIB jedoch tragen die meisten dieser Krieger auf Streitwagen aus SH IIIC nun auch einen (großen) Schild. Noch auffälliger als die Abweichungen in der Bewaffnung sind jedoch die beschriebenen Unterschiede in der (Leicht-)Bauweise des Wagens.332 Aufgrund dieser eklatanten Unterschiede muß wohl auf eine geänderte Kampfesweise der Streitwagen in der Periode SH IIIC geschlossen werden. Ganz offensichtlich ist man nunmehr zur Taktik des Apobatenkampfes übergegangen, zumal der ungeschützte leichte Streitwagen als Fahrzeug im Nahkampf gegen feindliche Infanterie oder Streitwagen nicht mehr eingesetzt werden konnte; aber auch die ägyptische Kampfesweise mit dem Streitwagen als mobile Feuerplattform wurde in dieser Zeit offenbar nicht praktiziert, da die Wagenkämpfer niemals als Bogenschützen dargestellt sind, sondern in schwerer für den Nahkampf geeigneter Bewaffnung, wofür vor allem die dargestellten Schilde Zeugnis ablegen. Während es nun nach dem eben Gesagten evident sein dürfte, daß sich die Einsatzweise des Streitwagens etwa am Übergang von der Phase SH IIIB zu SH IIIC geändert hatte, sind die Gründe dafür, daß der Streitwagen nicht mehr als Kampfinstrument, sondern nurmehr als Transportmittel eingesetzt wurde, nicht so deutlich. Ein möglicher Hinweis darauf könnte in den bereits vorgestellten Linear B-Texten liegen. Es geht nämlich aus den schriftlichen Zeugnissen sehr klar hervor, daß die Streitwagen und ihr Einsatz zur Gänze von den mykenischen Palästen kontrolliert und gesteuert wurden. Im Palast wurden die Streitwagen konzentriert aufbewahrt und verwaltet, was wiederum die Voraussetzung für den geordneten massierten Einsatz dieses Kampfinstrumentes darstellt. Nachdem diese Paläste jedoch in SH IIIC (großteils) nicht mehr existierten und Streitwagen sich somit nurmehr vereinzelt im Besitz einzelner Adeliger, d.h. ehemaliger e-qe-ta, befanden, war auch das koordinierte Vorgehen dieser Truppe nicht mehr gewährleistet. Als einzeln in den Kampf eingreifendes Instrument war der Streitwagen jedoch weitgehend nutzlos, sodaß seine Rolle auf ein bloßes Transportmittel reduziert wurde. Hierfür war freilich auch die aufwendige, Schutz gewährende Bauweise nicht mehr vonnöten und wich der ›Leichtbauweise‹. Diesen Wandel spiegelt auch die Ilias wieder, wenn sie im allgemeinen den Apobatenkampf als die übliche Taktik darstellt, an einigen Stellen jedoch auch den Einsatz des Streitwagens, wie er in SH IIIB üblich war, schildert. Nach dem oben Ausgeführten kann somit wohl ausgeschlossen werden, daß der mykenische Streitwagen als bloßes Transportmittel gebraucht wurde. Andererseits ist auch eine Verwendungsweise, wie sie für die ägyptischen Heere charakteristisch ist, für die mykenischen Fahrzeuge nicht wahrscheinlich, da der mykenische Wagen zum einen wohl zu schwer war und zum anderen nicht das wesentlichste Charakteristikum aufweist: Den vom Wagen aus operierenden Bogenschützen, für den weder in der Bildkunst noch in den Line331 332

Siehe Littauer, Military Use of the Chariot 153f. Dazu ausführlich Catling, Lefkandi 41–49.

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ar B-Texten Hinweise existieren. Sucht man nach einer Parallele zum mykenischen Streitwagen, so deutet dessen Bauweise nun eher auf den hethitischen Wagen, was wiederum nahelegt, daß auch seine Verwendungsweise eine ähnliche war, nämlich als Kampfwagen im Nahkampf. Ein wesentlicher Unterschied besteht allerdings darin, daß der mykenische Wagenkämpfer nicht mit mehreren leichten Speeren sowie dem Bogen bewaffnet war, wie sein hethitisches Pendant, sondern mit einer langen Lanze.333 Es scheint allerdings, als ob die Taktik, in Geschwaderformation mit den Streitwagen auf den Gegner einzudringen, nicht die einzige Einsatzweise des mykenischen Streitwagens war. Die Bilddokumente legen nämlich nahe, daß Wagen auch einzeln in der Schlacht als Kampffahrzeug auftraten. Dafür sprechen die bereits oben besprochenen Darstellungen aus dem Megaron von Mykene, in denen mehrmals einzelne Streitwagen umgeben von leicht bewaffneten Fußkämpfern, die keinen Schild tragen, abgebildet sind. In diesem Falle muß der Streitwagen jedoch im engen Verband mit Fußkämpfern eingesetzt worden sein. Eine solche Einsatzweise dürften auch die o-ka-Tafeln334 nahezulegen, in denen jeweils vereinzelte e-qe-ta, also Wagenkämpfer,335 genannt sind, die bestimmten Truppengattungen, in denen wohl leicht bewaffnete Krieger zu sehen sind,336 zugeordnet sind. Sucht man nun nach historischen Beispielen für den Einsatz solcher kombinierter Kräfte, so finden sich solche sowohl in der späteren griechischen Geschichte als auch in kontemporären Verhältnissen des Vorderen Orients und Ägyptens. So findet sich in griechischen (vor allem thebanischen) Heeren des 5. und 4. Jh. eine Truppe, die Hamippoi genannt wurde. Diese waren bewegliche, leicht bewaffnete Fußkämpfer, die im Verbund mit Reitern – daher kommt auch die Bezeichnung Hamippoi (Halb-Reiter) – am Kampf teilnahmen.337 Diese Hamippoi scheinen unmittelbar hinter den wohl langsam vorrückenden Reitern in die Schlacht gezogen zu sein und kämpften Seite an Seite mit diesen, wobei sie vor allem die Pferde zu schützen hatten. Da die Zahl der Hamippoi den – wenigen – literarischen Belegen338 zufolge immer gleich groß war wie die der ihnen zugeordneten Reiter, ist es auch möglich, daß sie sich von den Pferden in die Schlacht mitschleifen ließen, wie es auch germanische Fußkämpfer und die ihnen beigegebenen Reiter – die bekannten ›Doppelkämpfer‹ – taten, eine Kampfesweise, die vor allem Caesar im Gallischen Krieg ausführlich beschreibt.339 Kombinierte Verbände spielten jedoch auch in einigen Armeen der späten Bronzezeit eine wichtige Rolle.340 In den Feldzügen Ramses II. gegen die Hethiter und des Merenptah gegen die Libyer erscheint eine Truppe, die als ›Renner‹ (phrr) bezeichnet wurde, und aus schnellbeweglichen leichtbewaffneten Fußsoldaten bestand. Diese Renner operierten jedoch nicht vereinzelt, sondern immer zusammen mit den Streitwagentruppen, denen sie entweder zu Fuß in die Schlacht folgten oder aber von diesen mitbefördert wurden. Ihre 333 334 335 336 337 338 339 340

Dagegen Drews, End of the Bronze Age 114f., der den mykenischen wie den hethitischen Streitwagenkämpfer für einen Bogenschützen hält. Die Tafeln PY An 657, 654, 656, 519 und 661. Dazu grundlegend Deger-Jalkotzy, e-qe-ta 110–117. Siehe dazu ausführlich im Kapitel über die o-ka Tafeln. Zu Bewaffnung und Kampfesweise der Hamippoi siehe Gaebel, Cavalry Operations 140. Thuk. 5,57,2; Xen. Hipparch. 5,13; Xen. Hell. 7,5,24. Siehe auch Tausend, Caesars Reiter 491–497. Drews, End of the Bronze Age 141–147.

4. Formen und Einsatz des mykenischen Streitwagens

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Aufgabe war es, die Streitwagen im Kampf gegen feindliche Infanterie zu schützen und zu unterstützen, sowie Streitwagen des Gegners am Manövrieren zu hindern.341 Ähnliche leichtbewaffnete Infanteristen, die mit den Streitwagen zusammen operierten, existierten auch in den Armeen von Nuzi342 – unter der Bezeichnung ahu – sowie wohl auch bei den Hethitern,343 wo sie unter der Bezeichnung sarikuwa erscheinen. Im übrigen sei darauf hingewiesen, daß in der bereits oben besprochenen Szene in der Ilias344 Nestor die Kampflinien der Griechen so einrichtet, daß unmittelbar hinter den Streitwagen die Fußkämpfer in die Schlacht folgten. Aus den oben beigebrachten Erwägungen läßt sich demnach ein Bild von der Einsatzweise des mykenischen Streitwagens rekonstruieren, das – soviel sei hier angemerkt – nicht völlig unwidersprochen bleiben wird. Dies zeigt allein schon die vom hier Vorgebrachten abweichende Darstellung von Fritz Blakolmer weiter oben, wobei bewußt keine Harmonisierung intendiert war. In der hier interessierenden Zeit, dem 13. Jh. v.Chr., wurde in den mykenischen Heeren – jedenfalls in denen der großen, von Palästen regierten Reichen – ein Streitwagen eingesetzt, der über relativ robuste, vierspeichige Räder verfügte sowie über einen schweren mit Rinderfellen bespannten Wagenkorb, der eine auffällige seitliche Verlängerung nach hinten hatte, die wohl zum Schutz der Besatzung diente. In seiner Bauweise ähnelte dieser Wagen – mit geringen Abweichungen – am ehesten dem schweren hethitischen Kampfgefährt. Die Besatzung des mykenischen Streitwagens bestand aus einem Wagenlenker und einem Krieger, der als wichtigste Angriffswaffe eine Lanze verwendete, die sich von der von Fußkämpfern getragenen unterschied. Der Bogen, den ägyptische Streitwagenkämpfer trugen, sowie mehrere Wurfspieße, die von den hethitischen Streitwagenbesatzungen eingesetzt wurden, gehörten offenbar nicht zur Ausrüstung der mykenischen Kämpfer. Zum Schutz waren nach Ausweis der Linear B-Zeugnisse in den meisten Fällen sowohl der Wagenlenker als auch der Kämpfer mit einem Körperpanzer sowie einem Helm ausgestattet. Schilde als Schutzwaffe – und dies ist von Bedeutung – sind für Streitwagenbesatzungen nicht nachweisbar. Aus der Bauweise des mykenischen Streitwagens und der Bewaffnung seiner Besatzung lassen sich nun Rückschlüsse auf die Einsatzweise des Gefährtes ziehen. Der primäre Verwendungszweck bestand wohl – wie auch bei den vorderasiatischen und ägyptischen Heeren dieser Zeit – im geschlossenen Geschwaderangriff gegen feindliche Wagenreihen oder massierte Truppen von Fußkämpfern. Abgesehen davon dürften mykenische Streitwagen zuweilen aber auch im Verband mit leichtbewaffneten Fußkämpfern (vornehmlich gegen feindliche Fußtruppen) zum Einsatz gekommen sein. Der Einsatz des Wagens als bloßes Transportmittel für Krieger, die dann zum Kampf abstiegen, erscheint sehr unwahrscheinlich, zumal einerseits der Wagen hierzu keines aufwendigen Schutzes bedurfte und andererseits der Kämpfer wohl unbedingt mit einem Schild ausgerüstet sein mußte, der – wie gesagt – nirgends nachweisbar ist. 341 342 343 344

Siehe Schulman, Egyptian Chariotry 89f. Siehe Kendall, Nuzi Tablets 78f. Vgl. Beal, Hittite Military 125–127. Hom. Il. 4,297f.

102

I. Grundlagen des spätmykenischen Militärwesens

Völlig anders verhält es sich jedoch mit Streitwagendarstellungen aus der Periode SH IIIC, in der dies die übliche Taktik gewesen zu sein scheint, zumal die Vasenbilder dieser Zeit einen Streitwagen ohne Schutzverkleidung und Wagenkämpfer, die mit dem Schild ausgerüstet sind, zeigen. Dies verweist offensichtlich auf den Apobatenkampf, bei dem der Krieger mit dem Wagen in die Schlacht fuhr, dann aber abstieg und zu Fuß (mit Schild!) kämpfte. Diese Kampfesweise ist auch in der Ilias die Regel, wenngleich im Epos auch auf die oben geschilderte in mykenischer Zeit übliche Art des Streitwagenkampfes (in Ausnahmefällen) Bezug genommen wird. Die drei bei Homer geschilderten Einsatzweisen des Streitwagens (Geschwaderkampf, Einzelkampf, Transportmittel) trifft man also nur im Epos gleichzeitig nebeneinander an, während sie in der Realität wohl verschiedenen Epochen zuzuordnen sind.

Teil II

Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

1. Die o-ka-Tafeln 1.1 Einleitung Innerhalb der militärgeschichtlich relevanten Linear B-Texte aus spätmykenischer Zeit stellen die sogenannten o-ka-Tafeln eine Besonderheit dar. Es handelt sich dabei um eine Serie von fünf Tafeln, die sowohl aufgrund des eindeutig selben Schreibers aller Tafeln als auch aus inhaltlichen Gründen unzweifelhaft zusammengehören. Die o-ka-Tafeln sind somit das größte militärische Inhalte behandelnde Corpus mykenischer Texte, sodaß es angebracht erscheint, daß sie am Beginn der Untersuchung von Linear B-Tafeln stehen, welche die militärische Organisation in einem mykenischen Staat – in diesem Fall dem Reich von Pylos – behandeln. Das folgende Kapitel stellt den Versuch dar, auf der Basis vieler schon geleisteter Arbeiten zu den pylischen o-ka-Tafeln einen weiteren Beitrag zur vielleicht einmal zu erwartenden Vervollständigung des Bildes beizutragen, das diese – bislang einzigartige – Gruppe von Linear-B-Texten bietet. Zu allererst sei hier festgehalten, daß der militärische Charakter der o-ka-Tafeln – trotz anderslautender Erklärungsmodelle1 – wohl die größte Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen darf. Das in allen Tafeln an prominenter Stelle vorhandene Wort o-ka dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach ein militärisches Kommando (vgl. arché) bezeichnen, sodaß auch in der vorliegenden Untersuchung von dieser Annahme ausgegangen wird. Als grundlegende – wenngleich in Teilen korrekturbedürftige – Basis jeder Behandlung der o-kaTafeln darf wohl nach wie vor die Arbeit von Leonard R. Palmer gelten.2 An dieser Stelle sei nun zunächst die Serie der o-ka-Tafeln in der Reihenfolge der Nummerierung der Tafeln vorgestellt, wobei diese Anordnung nicht unbedingt mit der tatsächlichen Reihenfolge der Texte identisch sein muß. Dieser Frage wird vielmehr gleich im Anschluß an die Vorstellung der Tafeln nachgegangen.

1 2

Siehe u.a. Deroy, Leveurs d’impots 136–163. Palmer, Military 120–145. Davon stark abweichend Was, The kingdom of Pylos 147–176, dessen scharfsinnige Deutung der o-ka-Tafeln jedoch von der unbeweisbaren und wohl falschen Annahme ausgeht, das Reich von Pylos habe sich über die gesamte westliche Peloponnes (von Achaia bis Lakonien) erstreckt.

104

II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

An 519 .1 to-ro-o, o-ka, ro-o-wa, .2 ka-da-si-jo, mo-ro-qa, zo-wo, .3 ki-ri-ja-i-jo, wa-tu-wa-o-ko, mu-to-na, .4 o-ka-ra3, a2-ra-tu-wa, VIR 110 .5 vacat .6 ke-wo-no-jo, o-ka, ka-ke[ .7 tu-si-je-u, po-te-u, e-ta-wo-ne-u[ .8 a-pi-te-wa, i-wa-so VIR 20[ .9 vacat .10 a2-te-po, de-wi-jo, ko-ma-we, .11 o-*34-ta-qe, u-ru-pi-ja-jo, .12 o-ru-ma-si-ja-jo VIR 30 .13 vacat .14 pi-ru-te, ku-re-we VIR 50 .15 me-ta-qe, pe-i, e-qe-ta, ro-u-ko .16 ku-sa-me-ni-jo, [ .17 vacat

An 654 .1 ku-ru-me-no-jo, o-ka, pe-ri-te-u, .2 wo-ne-wa, a-ti-ja-wo, e-ru-ta-ra, .3 o-*34-ta, me-ta-pi-jo, ke-ki-de, .4 VIR 50 .5 vacat .6 u-pi-ja-ki-ri-jo, ku-re-we, VIR 60 .7 me-ta-qe, pe-i, e-qe-ta, .8 a-re-ku-tu-ru-wo, e-te-wo-ke-re-we.9 -i-jo, .10 vacat .11 ta-ti-qo-we-wo, o-ka, to-wa, .12 po-ki-ro-qo, pe-ri-no, de-u-ka-ri-jo, .13 ra-pe-do, do-qo-ro, pe-ri-ra-wo, .14 e-no-wa-ro, to-so-de, pe-di-je-we, .15 wa-wo-u-de, ke-ki-de, VIR 10 .16 u-ru-pi-ja-jo VIR 10 ku-re-we VIR 20 .17 i-wa-so VIR 10 .18 o-ka-ra3 VIR 10

An 656 .1 wa-pa-ro-jo, o-ka, ne-wo-ki-to, .2 [di-wi-je-u,] e-ri-ko-wo, a2-di-je-u, .3 a-ki-wo-ni-jo, [ ] .4 wa-ka-ti-ja-ta, ke-ki-de, sa-pi-da, .5 me-ta-qe, pe-i, e-qe-ta, .6 pe-re-qo-ni-jo, a-re-i-jo, .7 ne-wo-ki-to, wo-wi-ja, ko-ro-ku-ra-i-jo, .8 VIR 20 me-ta-qe, pe-i, e-qe-ta .9 di-wi-je-u, .10 vacat .11 du-wo-jo-jo, o-ka, a-ke-re-wa, .12 a2-ku-ni-jo, pe-ri-me-de, [ ] .13 pu2-ti-ja, a-pu2-ka-ne, ke-ki-de, po-ra-i, VIR 20 .14 me-ta-qe, pe-i, e-qe-ta, di-ko-na-ro, a-da-ra-ti-jo .15 u-wa-si, ke-ki-de, ne-wo VIR 10 .16 me-ta-qe, pe-i, pe-re-u-ro-ni-jo, e-qe-ta .17 vacat .18 a-ke-re-wa, ko-ro-ku-ra-i-jo, VIR 80 .19 me-ta-qe, pe-i, e-qe-ta, ka-e-sa-me-no .20 a-pu2-ka, .21 vacat

An 657 .1 o-u-ru-to, o-pi-a2-ra, e-pi-ko-wo, .2 ma-re-wo, o-ka, o-wi-to-no, .3 a-pe-ri-ta-wo, o-re-ta, e-te-wa, ko-ki-jo, .4 su-we-ro-wi-jo, o-wi-ti-ni-jo, o-ka-ra3 VIR 50 .5 vacat .6 ne-da-wa-ta-o, o-ka, e-ke-me-de, .7 a-pi-je-ta, ma-ra-te-u, ta-ni-ko, .8 a2-ru-wo-te, ke-ki-de, ku-pa-ri-si-jo VIR 20 .9 vacat .10 a3-ta-re-u-si, ku-pa-ri-si-jo, ke-ki-de VIR 10 .11 me-ta-qe, pe-i, e-qe-ta, ke-ki-jo, .12 a-e-ri-qo-ta, e-ra-po, ri-me-ne, .13a o-wi.13 o-ka-ra, -to-no, VIR 30 ke-ki-de-qe, a-pu2-ka-ne, .14 VIR 20 me-ta-qe, pe-i, a3-ko-ta, e-qe-ta, .15 vacat

1. Die o-ka-Tafeln

105

An 661 .1 e-ki-no-jo, o-ka, e-o-te-u, .2 a-ti-ro-[ ], i-da-i-jo, e-se-re-a2, .3 e-na-po-ro, i-wa-so, VIR 70 .4 .]-o-ri-jo, ko-ro-ku[-ra-]i-jo VIR 30 .5 ka-ra-do-ro, ko-ro-ku-ra-i-jo VIR 10 .6 za-e-to-ro, ko-ro-ku-ra-i-jo VIR 20 .7 me-ta-qe, pe-i, e-qe-ta, wo-ro-tu-mi-ni-jo .8 ] .9 e-ko-me-na-ta-o, o-ka, .10 ti-mi-to, a-ke-i, ma-[.]-u, ro-qo-ta, .11 a-ke[ ]u, a-ke-wa-to, .12 a2-ka-a2-ki-ri-jo, u-ru-pi-ja-jo, .13 ne-do-wa-ta-de VIR 30 me-ta-qe, pe-i, e-qe-ta Tab. 1: Übersicht der o-ka-Tafeln. 1.2 Die Reihenfolge der o-ka-Tafeln Einen bedeutenden Schritt in der Behandlung und vor allem der richtigen Anordnung dieser Tafeln stellte die Arbeit von Mabel L. Lang dar, die aufgrund des Vergleichs der o-kaTafeln mit der Pylos-Tafel Cn 3 die richtige Reihenfolge der Täfelchen wohl unzweifelhaft festlegen konnte.3 In dieser Tafel sind Körperschaften des Gebietes me-za-na aufgelistet, die jeweils ein Rind (qo-o=boos/bous) an einen Aufseher (e-re-u-te, vgl. griech./kret. ereutas)4 namens di-wi-e-u – hier jeweils im Dativ e-re-u-te-re bzw. di-wi-je-we angegeben – abliefern (jo-i-e-si=hos hiensi): Cn 3 .1 jo-i-je-si, me-za-na, .2 e-re-u-te-re, di-wi-je-we, qo-o, .3 a2-ra-tu-a, o-ka-ra3 BOS 1 .4 pi-ru-te, ku-re-we BOS 1 .5 e-na-po-ro, i-wa-si-jo-ta, BOS 1 .6 o-ru-ma-to, u-ru-pi-ja-jo, BOS 1 .7 a2-ka-a2-ki-ri-ja-jo, u-ru-pi-ja-jo-jo, BOS 1 .8–9 vacant Alle in dieser Tafel Cn 3 genanten Gruppen, die a2-ra-tu-a o-ka-ra3, die pi-ru-te ku-re-we, die e-na-po-ro i-wa-si-jo-ta, die o-ru-ma-to u-ru-pi-ja-jo und die a2-ka-a2-ki-ri-ja-jo u-ru-

3 4

Lang, O-ka Tablets 113–125. Zur Bedeutung dieses Titels und der dahinter stehenden möglichen Funktionen siehe ausführlich Lindgren, People of Pylos 50f.

106

II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

pi-ja-jo-jo, sind auch aus zwei o-ka-Tafeln (An 519 und 661) bekannt. Allerdings findet sich die a2-ra-tu-a o-ka-ra3 in An 519 in der Schreibung o-ka-ra3 a2-ra-tu-wa und die a2-kaa2-ki-ri-ja-jo u-ru-pi-ja-jo-jo in An 616 in der Variante a2-ka-a2-ki-ri-jo u-ru-pi-ja-jo. Die o-ru-ma-to u-ru-pi-ja-jo wird in An 519 als u-ru-pi-ja-jo o-ru-ma-si-ja-jo bezeichnet, wobei wohl o-ru-ma-si-ja-jo das Adjektiv zum Substantiv o-ru-ma-to sein dürfte. Die e-napo-ro i-wa-si-jo-ta schließlich erscheinen auch in An 616 in der etwas abweichenden Form e-na-po-ro i-wa-so. Die offensichtliche geographische Nähe dieser in der Tafel Cn 3 genannten Gruppen, die ja der ›Überschrift‹ dieser Tafel zufolge wohl alle zum Gebiet von me-za-na5 gehörten, was allerdings weder einen Distrikt noch eine andere uns bekannte polit-geographische Einteilung des pylischen Staates darstellt, macht es nun – eine geographische Reihenfolge auch der o-ka-Tafeln vorausgesetzt – wahrscheinlich, daß auch die Tafeln An 519 und 661 unmittelbar aufeinander folgen. Angesichts des Einleitungssatzes o-u-ru-to o-pi-a2-ra e-pi-ko-wo (›so bewachen die Wächter die Küste‹) in An 657 muß diese Tafel den Anfang der Reihe gebildet haben und die Tafeln An 519 und 661 sind an deren Ende zu setzen, weil 661 aufgrund ihres unvollständigen Zustandes deutlich die letzte (der erhaltenen Tafeln) darstellt.6 An 654 und 656 sind somit zwischen 657 und 519 zu plazieren. Demnach wird hier folgende Reihenfolge der o-ka-Tafeln – mit Lang – als feststehend angenommen: An 657, 654, 656, 519 und schließlich 661. Den Tafeln Ng 319 und 332 zufolge, die die Zuteilung von Leinen verzeichnen, war der Staat von Pylos in zwei Provinzen geteilt, in eine Diesseitige (de-we-ro-a3-ko-ra-i-ja) und eine Jenseitige (pe-ra3-ko-ra-i-ja).7 Einen weiteren wesentlichen Beitrag zur Erhellung des Problems stellt die Arbeit von John Bennet 8 dar, die zwar nicht den o-ka-Tafeln im speziellen, sondern den geographischen Vorstellungen in mykenischer Zeit im allgemeinen gewidmet ist, in der jedoch die Geographie des Reiches von Pylos einen besonderen Stellenwert einnimmt. Bennet konnte zeigen, daß bei der Auflistung der Distrikte der Diesseitigen Provinz von Pylos auf mehreren voneinander inhaltlich unabhängigen Linear-B-Tafeln immer eine feste Reihenfolge eingehalten wurde.9 Eine Zusammenstellung der Listen Jn 829 (eine Aufstellung der Lieferungen an Bronze zur Herstellung von Waffen, die hohe Beamte der einzelnen Distrikte zu gewährleisten hatten), Cn 608 (eine Aufstellung über die Fütterung von Schweinen in den einzelnen Distrikten) und Vn 20 (eine Auflistung der Verteilung von Wein an die einzelnen Distrikte) zeigt hierbei folgendes jeweils gleichbleibendes Schema:

5 6 7 8 9

Zu einer anderen Deutung siehe Blakolmer, oben Kapitel I 2.6; Weilhartner, Überlegungen. Siehe dazu auch Mühlestein, Pylos 311–316. Griech. deuro und pera. Bennet, Conceptualization 131–157 sowie Bennet, Spatial Organisation 588–596. Für die Jenseitige Provinz gilt dies nicht in dem Maße.

107

1. Die o-ka-Tafeln

Jn 829

Cn 608

Vn 20

pi-*82 me-ta-pa pe-to-no pa-ki-ja-pi a-pu2-we a-ke-re-wa ro-u-so ka-ra-do-ro ri-jo ti-mi-to a-ke-e ra-wa-ra-ta2 sa-ma-ra a-si-ja-ti-ja e-ra-te-re-wa-pi za-ma-e-wi-ja e-re-i

pi-*82 me-ta-pa pe-to-no pa-ki-ja-si a-pu2-we a-ke-re-wa e-ra-te-i ka-ra-do-ro ri-jo

pi-*82-de me-ta-pa-de pe-to-no-de pa-ki-ja-na-de a-pu2-de a-ke-re-wa-de e-ra-to-de ka-ra-do-ro-de ri-jo-de

Die Jenseitige Provinz erscheint auch auf der Tafel On 300, einer sehr fragmentierten Auflistung hoher Distriktsbeamter, in der Schreibung pe-ra-a-ko-ra-i-jo (wohl das Adjektiv zu pe-ra3-ko-ra-i-ja).10 Unter dieser ›Überschrift‹ werden Beamte der Distrikte ra-u-ra-ti-ja, esa-re-wi-ja, e-ra-te-re-wa, te-mi-ti-ja, sa-ma-ra und a-si-ja-ti-ja sowie eines weiteren nicht mehr lesbaren Distriktes genannt. Hierbei ist wohl ra-u-ra-ti-ja mit ra-wa-ra-ta2 und te-miti-ja mit ti-mi-to a-ke-e zu identifizieren. Der nicht mehr lesbare Distriktsname muß (aufgrund des Vergleichs mit dem zweiten Teil der Liste in Jn 829) entweder za-ma-e-wi-ja oder e-re-i gelautet haben und folglich muß e-sa-re-wi-ja mit dem übrig bleibenden Distriktsnamen identifiziert werden. Die Distrikte ti-mi-ti-ja, e-sa-re-wi-ja, za-ma-e-wi-ja und e-ra-te-re-wa werden auch in der Tafel Vn 493 genannt, weshalb e-sa-re-wi-ja nicht mit za-ma-e-wi-ja ident sein kann und folglich mit e-re-i gleichzusetzen ist. Jn 829

On 300

Vn 493

ti-mi-to a-ke-e ra-wa-ra-ta2 sa-ma-ra a-si-ja-ti-ja e-ra-te-re-wa-pi za-ma-e-wi-ja e-re-i

te-mi-ti-ja ra-u-ra-ti-ja sa-ma-ra a-si-ja-ti-ja e-ra-te-re-wa nicht lesbar e-sa-re-wi-ja

ti-mi-ti-ja

10

Zur Schreibung siehe Risch, Hiat 382.

e-ra-te-re-wa za-ma-e-wi-ja e-sa-re-wi-ja

108

II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

Zur Jenseitigen Provinz gehörten demnach die Distrikte ti-mi-ti-ja/ti-mi-to a-ko, ra-wa-rata2, sa-ma-ra, a-si-ja-ti-ja, e-ra-te-re-wa, za-ma-e-wi-ja und e-re-i/e-sa-re-wi-ja, während alle übrigen Distrikte folglich der Diesseitigen Provinz des Pylischen Reiches zugerechnet werden müssen. Die Diesseitige Provinz umfaßte also neun Distrikte, die ohne jegliche Abweichung – wenn man von der Doppelbenennung des 7. Distriktes (ro-u-so/e-ra-to) einmal absieht11 – in fester Anordnung aufgelistet sind; die Jenseitige Provinz bestand – soviel ist zumindest sicher – aus sieben Distrikten deren Reihenfolge jedoch nicht so streng fixiert ist wie bei der Diesseitigen Provinz.12 Lediglich die Stellung von ti-mi-to a-ko als 10. Distrikt und mit der Diesseitigen Provinz in besonderem engem Zusammenhang stehend dürfte als gesichert gelten.13 Vergleicht man diese – wie gezeigt feststehende – Liste pylischer Distrikte mit der Aufzählung der zehn o-ka nach der von Lang glaubhaft gemachten Reihenfolge der Tafeln, so zeigt sich folgendes bemerkenswerte Ergebnis: Von den Distrikten, die wohl namensgleich sind mit ihren Hauptstädten, tauchen zwei auch als Hauptquartiere14 einer o-ka auf: a-kere-wa und ti-mi-to a-ko. Der Distriktsliste Jn 829 zufolge ist a-ke-re-wa der 6. Distrikt (bzw. dessen Hauptstadt) und ti-mi-to a-ko der 10. In den o-ka-Tafeln figuriert a-ke-re-wa als Hauptquartier der 6. und ti-mi-to a-ko als Standort der 10. o-ka. Eine weitere Koinzidenz ergibt sich für den 7. Distrikt. Dessen Hauptstadt ro-u-so steht nach der (stark fragmentierten) Tafel Mn 1370 anscheinend in engem Zusammenhang mit der Stadt ro-o-wa, ro-o-wa ist aber das Hauptquartier der 7. o-ka. Es zeigt sich also, daß von den fünf in den o-ka-Tafeln genannten Hauptquartieren15 zwei mit Distriktshauptstädten ident sind und eines mit der Hauptstadt in gewissem Zusammenhang steht. Für alle drei gilt aber, daß sie in den o-ka-Tafeln in genau derselben Reihenfolge aufgeführt sind wie sie auch in den Distriktslisten erscheinen. Daraus ergibt sich der Schluß, daß offensichtlich die Auflistung der einzelnen o-ka genau in derselben Ordnung erfolgt wie die der Distrikte und daß somit – was für die militärische Organisation des Staates von Pylos relevant ist – jedem Distrikt des Landes eine o-ka entspricht bzw. diesem zugeordnet ist. Es stellt sich nun die Frage, warum dann nicht alle fünf o-ka-Hauptquartiere einer Distriktshauptstadt entsprechen. Als Erklärung dafür könnte angeführt werden, daß vielleicht nicht alle Distrikte den gleichen Namen trugen wie ihre Hauptstädte16 oder – was wohl wahrscheinlicher ist – daß nicht alle Distrikthauptstädte an der Küste oder in unmittelbarer Nähe derselben gelegen waren und somit als Hauptquartier der zur Küstenverteidigung bestimmten o-ka nicht in Frage kamen. 11 12 13 14 15 16

Dazu Bennet, Conceptualization 139. Zu den Gründen hierfür siehe Bennet, Conceptualization 141f., 149 und Bennet, Kingdom of Nestor 117–123. Siehe auch Hope Simpson, Messenia 54–56. Auch dazu siehe Bennet, Conceptualization 142. Zum Problem der Hauptquartiere siehe II 1.5.1 und II 4.1. Auf die Frage, warum für die zehn o-ka nur fünf Hauptquartiere genannt sind, wird noch einzugehen sein. Dies könnte vielleicht bei den Distrikten mit Doppelbezeichnung wie e-ra-to/ro-u-so der Diesseitigen und e-sa-re-wi-ja/e-re-i der Jenseitigen Provinz der Fall sein, sodaß ein Name den Distrikt selbst, der andere aber seine Hauptstadt bezeichnet.

1. Die o-ka-Tafeln

109

1.3 Der Aufbau der o-ka-Tafeln Jede der fünf o-ka-Tafeln bzw. die auf ihnen verzeichneten jeweils zwei o-ka folgen in ihrem Aufbau – mit geringen Abweichungen, die noch später zu besprechen sein werden – folgendem Schema: 1. An erster Stelle ist der Kommandant der jeweiligen o-ka genannt, wobei der Name im Genitiv steht; also: o-ka des XY. 2. An zweiter Stelle wird durch einen Ortsnamen das Hauptquartier der o-ka angegeben, wobei der Name im Nominativ oder Lokativ stehen kann. 3. An dritter Stelle werden unterschiedlich viele (3–7) Personennamen im Nominativ erwähnt, bei denen es sich offenbar um ›Offiziere‹ der o-ka handelt. 4. Als vierte Information wird der Standort oder prospektive Einsatzort der o-ka meist im Lokativ zuweilen aber auch im Nominativ angegeben. 5. Sodann folgt die Truppenbezeichnung (im Nominativ) von denen in den o-ka-Tafeln 26 (davon sechs verschiedene) genannt sind, und von denen auch mehrere verschiedene in ein und derselben o-ka vorhanden sind können. 6. Als genauere Angabe zur Truppe wird deren Herkunft – wohl der Ort in dem sie rekrutiert wurde oder aus dem sie stammte – meist in adjektivischer Form erwähnt. 7. An siebenter Stelle wird die Anzahl der Männer genannt, die die jeweilige Truppe bilden. 8. Zuletzt erfolgt die Nennung eines als e-qe-ta bezeichneten Mannes (zuweilen mit Patronymikon) im Nominativ, der einer bestimmten Truppe (nicht der gesamten o-ka) zugeordnet ist. Von diesen hier idealtypisch aufgezählten Informationen finden sich jedoch nur die Punkte 1, 3, 5 und 7 bei allen zehn o-ka. Die Nennung des Hauptquartiers erfolgt nur bei fünf o-ka, ein Truppenstandort wird in acht Fällen erwähnt. Hierbei ist allerdings zu bemerken, daß niemals sowohl Hauptquartier als auch Standort fehlen, sodaß in den zwei Fällen, in denen kein Standort genannt ist, wohl das Hauptquartier gleichzeitig auch der Standort der Truppe ist, zumal in diesen beiden Fällen – als einzigen – die o-ka jeweils nur aus einer Truppe besteht. Die Herkunft der Truppe ist in 19 von 26 Fällen verzeichnet und ein e-qe-ta ist in 11 von 26 Fällen vorhanden. Weiters muß angemerkt werden, daß die Reihenfolge der Informationspunkte nur an den Positionen 1, 2, 3, 7 und 8 feststehend ist, während 4, 5 und 6 variieren. Das bedeutet, daß der Standort einer Truppe vor oder nach derselben erwähnt sein kann und daß das die Herkunft bezeichnende Adjektiv ebenfalls vor oder nach der Bezeichnung der Truppe genannt werden kann. Im folgenden sollen nun die einzelnen o-ka-Tafeln besprochen und – wenn möglich – kommentiert werden.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

Abb. 27: PY An 657 (Replik) Die ›erste o-ka Tafel‹. Auf der Tafel An 657 sind die o-ka 1 und 2 aufgeführt, der Zuordnung zu den Distrikten gemäß also die o-ka aus pi-*82 und die aus me-ta-pa. I.

17

Kommandant der 1. o-ka (aus pi-*82) ist ma-re-u (hier im Genitiv ma-re-wo); als namentlich genannte Mitglieder, vermutlich als Unteranführer, führt die Tafel a-pe-rita-wo, o-re-ta, e-te-wa, ko-ki-jo und su-we-ro-wi-jo an.17 Von diesen ist der Name e-

su-we-ro-wi-jo könnte auch eine Ortsbezeichnung sein, doch liegt – wie Lang, O-ka Tablets 120f. ausführt – die Annahme eines Personennamens näher.

1. Die o-ka-Tafeln

II.

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te-wa aus der Tafel Cn 254 bekannt, in der Leute aus dem Distrikt a-si-ja-ti-ja aufgelistet sind,18 die Schafe an einen nicht genannten Empfänger (wohl an den Palast) liefern. Zwischen dem Kommandanten und den Unteranführern wird ein Ortsname aufgeführt, o-wi-to-no, das offensichtlich das Hauptquartier der 1. o-ka war. Als Truppe nennt die Tafel eine o-ka-ra3, die als nähere Bezeichnung das Adjektiv o-wi-ti-ni-jo führt, also auch aus o-wi-to-no stammt. Truppenstandorte erwähnt die Tafel für die 1. o-ka nicht, ebensowenig ist ein e-qe-ta vorhanden; die Truppenstärke beträgt 50 Mann. Das Fehlen der Standorte kann offenbar nur bedeuten, daß die o-ka-ra3 nicht nur aus o-wi-to-no stammte, sondern in diesem Ort, der gleichzeitig als Hauptquartier der 1. o-ka diente, auch stationiert war. Kommandant der 2. o-ka (aus me-ta-pa) ist ne-da-wa-ta, der aus der Tafel Jo 438 bekannt ist, in der hohe Beamte (mo-ro-qa, qa-si-re-u, ko-re-te, po-ro-ko-re-te) aufgelistet sind,19 die Goldlieferungen (an den Palast?) tätigen müssen. ne-da-wa-ta selbst war offenbar mo-ro-qa. Als Unteranführer dieser o-ka werden e-ke-me-de, a-pi-je-ta, ma-ra-te-u und tani-ko angeführt, von denen drei auch auf anderen Tafeln Erwähnung finden. e-keme-de ist auf derselben Tafel (Jo 438) genannt wie ne-da-wa-ta,20 und war mo-ro-qa, also ebenfalls ein hoher lokaler Beamter. ma-ra-te-u erscheint auf der Tafel Aq 218; er stammt demnach aus dem Ort a-pu2-ka und gehört zu einer Gruppe lokaler Potentaten (Großgrundbesitzer, Beamte?) die Männer oder ein Paar von ? zur Verfügung stellen mußten. ta-ni-ko schließlich figuriert in der Tafel An 1281 als Mann in hoher kultischer Funktion, der Sklaven an eine Gottheit (d.h. zum Dienst an einer Gottheit) entsandte. Ein Hauptquartier wird für diese o-ka nicht erwähnt. Als Standorte für diese o-ka sind (im Lokativ) a2-ru-wo-te, a3-ta-re-u-si und (zwei Mal) e-ra-po ri-me-ne angeführt, wobei aus dem Namen des letztgenannten deutlich hervorgeht, daß es sich um einen Hafen (ri-me-ne=limen) handelte. An diesen Orten sind Truppen der Gattungen ke-ki-de (drei Mal) und o-ka-ra3 stationiert: in a2-ru-wo-te und a2-ta-re-u-si je eine ke-ki-de von 20 bzw. 10 Mann, in e-ra-po ri-me-ne eine o-ka-ra3 von 30 und eine ke-ki-de von 20 Mann. Als Herkunftsbezeichnung wird für die ersten beiden ke-ki-de das Adjektiv ku-pari-si-jo angegeben, sie stammen also aus dem Ort ku-pa-ri-so. Die o-ka-ra3 kommt aus o-wi-to-no, wobei hier (als einzigem Fall) nicht das zu erwartende Adjektiv o-wiIn diesem wie auch in allen folgenden Fällen, in denen ein in den o-ka-Tafeln genannter Personenname auch auf einer anderen Tafel auftaucht, ist keine Sicherheit gegeben, daß es sich auch um dieselbe Person handelt. Man wird in dem einen oder anderen Fall mit der Möglichkeit zweier Personen desselben Namens rechnen müssen. Jedenfalls wird in jedem einzelnen Fall die Wahrscheinlichkeit einer Identität zweier Träger desselben Namens zu prüfen sein. Hierbei sei allerdings angemerkt, daß ko-re-te-re und po-ro-ko-re-te-re (im Gegensatz etwa zum qa-si-re-u) vielleicht nicht lokale Beamte im engeren Sinn, sondern Repräsentanten des Palastes auf lokaler Ebene sind. Vgl. Nakassis, Individuals and Society 9–11; dagegen: Killen, Wheat and Olive Production 20 und Rougemont, Contrôle economique 531. Zur Funktion des mo-roqa siehe Thompson, Mycenaean mo-ro-qa 225–240. In diesen beiden Fällen (ne-da-wa-ta und e-ke-me-de) darf somit die Identifizierung der in der oka-Tafel erwähnten Personen mit denen in Jo 438 genannten Beamten als gesichert gelten.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

ti-ni-jo steht, sondern das Substantiv o-wi-to-no. Es muß allerdings angemerkt werden, daß es sich hierbei offenkundig um eine Verschreibung des Schreibers handelt, zumal der Ortsname offenbar nachträglich eingefügt und aus Platzmangel in 2 Zeilen übereinander geschrieben wurde. Die 4. genannte Truppe (ke-ki-de) hat das Adjektiv a-pu2-ka-ne und stammt somit aus dem Ort a-pu2-ka. Diesen Truppen sind auch zwei e-qe-ta beigegeben. Den beiden ke-ki-de aus ku-pa-ri-so ist der e-qe-ta a-e-ri-qo-ta ke-ki-jo zugeordnet, wobei das zweite Wort wohl ein Patronymikon sein dürfte und a-e-ri-qo-ta offenbar als Adeligen ausweist. Dieser a-e-ri-qo-ta wird sowohl in den Tafeln An 192 und 209 als auch in der Tafel Aq 218 als Potentat genannt (wie auch der schon erwähnte ma-ra-te-u), der jeweils einen Mann abzustellen hat. In dieser Tafel wird auch der Herkunftsort des a-e-ri-qo-ta angeführt: o-wi-to-no. Der zweite e-qe-ta, welcher der o-ka-ra3 aus o-wi-to-no und der ke-ki-de aus a-pu2-ka zugeordnet ist, ist a3-ko-ta. Dieser Mann erscheint ebenfalls in der gerade genannten Tafel Aq 218 als Lokalpotentat adeliger Herkunft d.h. als Sohn des a-da-ra-to. Der Herkunftsort des a3-ko-ta kann nicht mit Sicherheit bestimmt werden, doch bietet sich aus dem Zusammenhang der Tafel Aq 218 der Ort o-wi-to-no an. Die Gesamtstärke der 2. o-ka beträgt 80 Mann. Die o-ka von me-ta-pa besteht somit aus Truppen aus ku-pa-ri-so, a-pu2-ka und o-wi-to-no, einem Ort, der offenbar im Gebiet der o-ka von pi-*82 liegt. Auch stammt zumindest einer der beiden e-qe-ta (a-e-ri-qo-ta), die der 2. o-ka zugeordnet sind, aus o-wi-to-no. Festzuhalten ist auch, daß eine der Truppen der 2. o-ka aus a-pu2-ka kommt, woher auch einer der Unteranführer (ma-ra-te-u) dieser o-ka stammt. Die Tafel An 654 führt die 3. und 4. o-ka auf, also die Kontingente der Distrikte pe-to-no und pa-ki-ja-ne. III.

Kommandant der o-ka aus pe-to-no ist ku-ru-me-no,21 der auch in der Tafel Aq 64 aufscheint, in der Landbesitzer genannt werden, denen jeweils ein Paar von ? durch den qa-si-re-u zugeteilt werden. ku-ru-me-no wird hier als mo-ro-qa und ko-re-te bezeichnet und stammt aus dem Ort i-te-re-wa. Unteranführer dieser o-ka sind pe-rite-u, wo-ne-wa, a-ti-ja-wo und e-ru-ta-ra, von denen nur der Name wo-ne-wa auf keiner anderen Tafel auftaucht. pe-ri-te-u scheint ein Landbesitzer aus me-ta-pa zu sein, der in der Tafel Vn 130 ein *34-to-pi an einen ke-sa-do-ro liefert. Ähnliches gilt für e-ru-ta-ra, der laut Tafel Aq 64 ebenfalls Landbesitzer in me-ta-pa ist und ein Paar ? erhält. a-ti-ja-wo schließlich wird in der Tafel Jn 845 unter mehreren Schmieden22 angeführt. o-ka Hauptquartier wird für die 3. o-ka keines angeführt und auch als Truppenstandort wird nur der Ort o-*34-ta genannt.23 An Truppen sind in dieser o-ka ke-ki-

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Zur Person des ku-ru-me-no und seinen Funktionen im Reich von Pylos siehe Deger-Jalkotzy, Drei mykenische Karrieren 179–197. Zu Rolle und Bedeutung der Schmiede in den o-ka-Tafeln siehe genauer Nakassis, Individuals and Society 89–93. Ich möchte o-*34-ta auf jeden Fall mit Hiller, Geographie 32, 42, 64 und 66, Palmer, Interpretation 156 und Schmitt-Brandt, O-KA-Tafeln 75–78 für einen Ortsnamen halten und nicht wie Lang, O-ka Tablets 120, Mühlstein, o-ka-Tafeln 318f. oder Duhoux, Syllabogrammes 122 für

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1. Die o-ka-Tafeln

IV.

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24 25

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de (50 Mann) und ku-re-we (60 Mann) zusammengefaßt, von denen ke-ki-de das Adjektiv me-ta-pi-jo hat, also aus me-ta-pa stammt, und ku-re-we als u-pi-ja-ki-ri-jo bezeichnet wird. Beiden Truppen ist ein e-qe-ta namens a-re-ku-tu-ru-wo zugeordnet, der durch das Patronymikon e-te-wo-ke-re-we-i-jo als Adeliger ausgewiesen ist. Als Landbesitzer, der zu jährlichen Abgaben verpflichtet ist, scheint a-re-ku-tu-ru-wo in den Tafeln Es 644, 649 und 650 auf. Ein anderer Sohn dieses e-te-wo-ke-re-we mit Namen neqe-u – also vermutlich der Bruder des a-re-ku-tu-ru-wo – ist in der Tafel Aq 43 als Landbesitzer angeführt zusammen mit e-ru-ta-ra, einem Unteranführer derselben oka, der aus me-ta-pa stammt. Die Vermutung liegt also nahe, daß auch die Familie des e-te-wo-ke-re-we in me-ta-pa beheimatet ist. Die Gesamtstärke der 3. o-ka beträgt 110 Mann. Auffallend an dieser o-ka ist die starke Präsenz von Leuten aus me-ta-pa, die man eigentlich in der 2. o-ka erwarten würde. Sowohl die Unteranführer pe-ri-te-u und e-ru-ta-ra als auch beinahe die Hälfte der Gesamtstärke – eine ke-ki-de mit 50 Mann – stammen aus me-ta-pa; dazu kommt noch der e-qe-ta a-re-ku-tu-ru-wo, der vermutlich ebenfalls in me-ta-pa zu Hause ist. Die o-ka aus pa-ki-ja-ne wird von ta-ti-qo-we-u kommandiert, der in der Tafel An 724 neben dem ra-wa-ke-ta, dem militärischen Oberbefehlshaber des pylischen Staates24 aufscheint und für die Stellung von Ruderern (auf Kriegsschiffen?), die offenbar abwesend sind, verantwortlich ist; es handelt sich bei ihm also offenbar um einen hohen Beamten an der Seite des ra-wa-ke-ta.25 Von den Unteranführern – po-kiro-qo, pe-ri-no, de-u-ka-ri-jo, ra-pe-do, do-qo-ro, pe-ri-ra-wo und e-no-wa-ro – sind nur zwei Namen auch auf anderen Tafeln vorhanden: po-ki-ro-qo gehört auf der Tafel Aq 64 zu den Landbesitzern, denen vom qa-si-re-u ein Paar ? zugeteilt wird. Der zweite (möglicherweise) auch sonst bekannte Unteranführer ist pe-ri-no, dessen Name in der Tafel Jn 706 auftaucht, in der Schmiede aus verschiedenen Orten aufgelistet sind. pe-ri-no war demnach Schmied in der Ortschaft pa-to-wo-te (loc.). Als Hauptquartier der 4. o-ka wird to-wa genannt, eine sonst nicht bekannte Ortschaft. Als Stationierungsort der einzelnen Truppen der o-ka erscheint wa-wo-u-de. Diese spezifische Ortsangabe enthält das Suffix -de, also eine Richtungsangabe: ›nach einen Personennamen. Als Hauptargument dient etwa Lang hierbei der Hinweis auf einen gleichlautenden Personennamen in Theben (Ug 3). Dieses Argument ist jedoch nicht zwingend und kann vor allem den Einwand nicht aufwiegen, daß bei Annahme eines Personennamens für o-*34ta die Truppen der 3. o-ka weder ein Hauptquartier noch einen einzigen Standort hätten. Zur Stellung und Funktion des ra-wa-ke-ta siehe zusammenfassend die Arbeit von Hildebrandt, Damos 102–106. Zur Etymologie (>λαγέτας) Bartonek 383. In dieser Tafel wird möglicherweise auch dessen Name genannt: e-ke-ra2-wo. Mit Chadwick, Documents 186f. und 283 ist in dem Wort e-ke-ra2-wo, das auf insgesamt drei Tafeln (An 610, An 724 und Un 718) auftaucht, wohl ein Personennamen zu sehen, obwohl dagegen einzuwenden ist, daß auf der Tafel Un 718 die Lieferung verschiedener Produkte verzeichnet ist, wobei die Lieferanten Gemeinden sind und e-ke-ra2-wo somit als Personenname eine Ausnahme darstellen würde. Das gleiche gilt für die Tafel An 610, in der die von einzelnen Orten gestellte Mannschaft verzeichnet ist, und die Tafel An 724, in der die in einzelnen Orten abgängigen Ruderer aufgelistet sind. Sowohl in An 724 als auch in Un 718 steht in unmittelbarer Nähe von e-ke-ra2-wo allerdings der Titel des ra-wa-ke-ta.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

wa-wo-u‹. Dies ist also dahingehend zu interpretieren, daß sich die Truppen der 4. oka noch nicht an ihrem Einsatzort befinden, der Schreiber diesen aber bereits in der Tafel vermerkte. Bezüglich der Truppen stellt diese o-ka insofern eine Ausnahme dar, als in ihr die größte Anzahl verschiedener Truppen (fünf von insgesamt sechs in den o-ka-Tafeln vermerkten) vorhanden sind: ke-ki-de, u-ru-pi-ja-jo, ku-re-we, i-wa-so und o-ka-ra3. Auch hinsichtlich der Herkunftsbezeichnung der Truppen bildet diese o-ka eine Besonderheit. Während üblicherweise jede Truppe ein eigenes Herkunftsadjektiv besitzt, werden alle Truppen der o-ka von pa-ki-ja-ne kumulativ als pe-di-je-we bezeichnet. Auch scheint dieses Adjektiv – anders als bei den übrigen Herkunftsbezeichnungen – keinen bestimmten Ort zu benennen, sondern eine topographische Situation. Das Wort pe-di-je-we dürfte wohl soviel wie ›aus der Ebene‹ oder ›vom offenen Land‹ (etwa im Gegensatz zu einer befestigten Siedlung) bedeuten. e-qe-ta ist dieser o-ka keiner zugeordnet, und die Gesamtstärke beträgt 60 Mann, wobei von den einzelnen Truppen nur die ku-re-we 20 Mann umfassen, die übrigen Truppen jeweils nur 10 Mann. Die Tafel An 656 verzeichnet die 5. und 6. o-ka, d.h. die Kontingente der Distrikte a-pu2 und a-ke-re-wa. V.

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Als Befehlshaber der o-ka aus a-pu2 erscheint wa-pa-ro, dessen Name sonst auf keiner anderen Tafel zu finden ist. Als Unteranführer werden ne-wo-ki-to, e-ri-ko-wo, a2-dije-u und a-ki-wo-ni-jo angeführt. ne-wo-ki-to wird auch in der Tafel Aq 218 genannt als Priester (i-je-re-u), der einen Mann abzustellen hat.26 Auch der zweitgenannte Unteranführer, e-ri-ko-wo, ist aus einer anderen Tafel bekannt. In der schon erwähnten Auflistung von Schmieden (Jn 845) erscheint e-ri-ko-wo als lokaler Verwaltungsbeamter, als qa-si-re-u. Die beiden letzten Unteranführer sind sonst nicht bekannt. Zwischen ne-wo-ki-to und e-ri-ko-wo erscheint noch der eradierte aber doch lesbare Name di-wi-je-u, der – wie schon erwähnt – in der Tafel Cn 3 als Aufseher (e-re-u-te) über die Ablieferung von Rindern fungiert. Die Eradierung könnte darauf hindeuten, daß di-wi-e-u ursprünglich als Unteranführer der 5. o-ka vorgesehen war, jedoch aus nicht näher bekannten Gründen ausgefallen ist bzw. abgezogen wurde. Faßt man also ne-wo-ki-to als Person auf, so wird für die 5. o-ka kein Hauptquartier genannt. Auf die Standorte der Truppen wird etwas später eingegangen. Als Truppen der o-ka werden ke-ki-de und ko-ro-ku-ra-i-jo genannt, wobei für die ke-ki-de die Herkunftsangabe wa-ka-ti-ja-ta (d.h. wohl ›aus wa-ka-ti-ja‹) genannt wird, während für die ko-ro-ku-ra-i-jo keine Angaben zur Herkunft gemacht werden. Allgemein (Lang, Hiller, Bennet) wird ne-wo-ki-to in der o-ka-Tafel nicht als Personenname gesehen, sondern als Ortsname, in Anlehnung an den in derselben Tafel erwähnten unzweifelhaften Ortsnamen ne-wo-ki-to wo-wi-ja. Wenn man ne-wo-ki-to als Ortsnamen auffaßt, dann wäre dies – seiner Stellung in der Tafel gemäß – das Hauptquartier der o-ka. Es scheint jedoch die Parallele zu dem in Aq 218 erwähnten Priester ne-wo-ki-to zu stark, sodaß die Annahme, es handle sich auch in der o-ka-Tafel um eine Person, näher liegt. So auch Chadwick, Documents 192. Zudem sei darauf verwiesen, daß ein Ortsname durchaus aus der Verbindung eines Personennamens mit wo-wi-ja gebildet werden kann, wie das Beispiel ru-ke-wo-wo-wi-ja (in PY Na 1053) zeigt, wo ruke-wo wohl als Genitiv zum Personennamen ru-ke-u (Lynkeus) aufzufassen ist.

1. Die o-ka-Tafeln

VI.

27 28 29

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Für die zweite Truppe, ko-ro-ku-ra-i-jo, wird als Standort ne-wo-ki-to-wo-wi-ja und als Stärke 20 Mann genannt. Für ke-ki-de wa-ka-ti-ja-ta ist die Sachlage jedoch nicht so klar. Auf jeden Fall fehlt bei dieser Truppe eine Angabe zur Mannschaftsstärke. Es findet sich lediglich als letzte Angabe zur Truppe das Wort sa-pi-da, das meist27 als Ersatz für eine Zahlenangabe aufgefaßt wird. Seiner Position gemäß – nach der Bezeichnung der Truppe – könnte es jedoch auch der Name eines Standortes der Truppe sein.28 Faßt man in diesem Fall sa-pi-da als Truppenstandort auf, so wird man auch der Schwierigkeit enthoben, daß die ke-ki-de wa-ka-ti-ja-ta, nach Wegfall von ne-wo-ki-to als Ortsname, keinen Standort hätte. Auch müßte man somit nicht bei der eher schwachen Erklärung Zuflucht nehmen, daß sa-pi-da statt einer Zahlenangabe genannt sei. Stattdessen hätte man es also mit einem Fehlen der Zahlenangaben zu tun, was jedoch auf ein Versehen des Schreibers zurückgeführt werden kann. Für das Problem, das die Angaben zu dieser o-ka unzweifelhaft darstellen, bieten sich also zwei Lösungen an: a. Man sieht in ne-wo-ki-to einen Ortsnamen, womit ein Hauptquartier und zugleich ein Standort für ke-ki-de wa-ka-ti-ja-ta vorhanden wäre. Das unerklärliche Wort sa-pi-da stünde sodann anstelle einer Zahl für die Mannschaftsstärke. b. Wenn man in ne-wo-ki-to einen Personennamen sieht, wird sa-pi-da als Ortsname benötigt,29 da es sonst keinen Standort für die ke-ki-de gäbe. Die fehlende Mannschaftszahl wäre durch einen Schreiberfehler erklärbar. Aus den oben genannten Gründen (ne-wo-ki-to in Aq 218; einfacher Schreiberfehler statt unerklärliches Wort) wird hier klar der zweiten Lösung der Vorzug gegeben. Jeder der beiden Truppen der o-ka ist ein e-qe-ta zugeordnet: Bei der ke-ki-de waka-ti-ja-ta befindet sich pe-re-qo-ni-jo a-re-i-jo, der durch das Patronymikon (pe-reqo-ni-jo) als Adeliger ausgewiesen ist. Sein Vater pe-re-qo-no wird in den Tafeln Jn 605 und 725 jeweils in einer Liste von Schmieden genannt und erscheint in Ea 270 als Besitzer einer Rinderherde. Bei der Truppe ko-ro-ku-ra-i-jo befindet sich schließlich der e-qe-ta di-wi-je-u, der mit dem in der Tafel Cn 3 im Dativ (di-wi-je-we) genannten ›Aufseher‹ über die Zuteilung von Ochsen an verschiedene Truppen ident sein könnte. Ebenfalls im Dativ erscheint der Name in der Tafel Es 646 als Empfänger von Getreide. Die gesamte Truppenstärke der o-ka ist nicht eruierbar, da zwar die Stärke der koro-ku-ra-i-jo mit 20 Mann angegeben wird, die der ke-ki-de jedoch – wie gezeigt – ausgefallen ist. Die 6. o-ka (aus a-ke-re-wa) wird von du-wo-jo kommandiert, dessen Name auch in der Tafel Jn 750, einer Liste von Schmieden aus a-si-ja-ti-ja, vorhanden ist, was jedoch nicht unbedingt auch eine Identität der Träger belegt. Als Unteranführer der oka werden a2-ku-ni-jo, pe-ri-me-de und pu2-ti-ja genannt, von denen pe-ri-me-de in So Lang, O-ka Tablets 116; Bennet, Conceptualization 152; Chadwick, Documents 193. So schon Hiller, Geographie 60. Dieses Wort taucht sonst (PY Vn 19, MY Ge 602 und 605) lediglich als Bezeichnung für irgendeinen Behälter auf (siehe Chadwick, Documents 193). Ein Ortsname dieses Typs (vgl. den griechischen Ortsnamen Kypsele) ist durchaus denkbar und vielleicht wahrscheinlicher als eine derartige Bezeichnung anstelle einer Zahl.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

der Tafel Aq 64 als Vater eines Landbesitzers erwähnt ist und pu2-ti-ja in der Tafel Jn 601 als Schmied in po-wi-te-i-ja erscheint. Das Hauptquartier der 6. o-ka ist a-ke-re-wa, welches gleichzeitig – wie schon gezeigt – Hauptstadt des 6. Distrikts der Diesseitigen Provinz ist. Als ersten Standort der Truppen der 6. o-ka finden wir po-ra-i, welches auch in der Tafel An 1, in der Ruderer verzeichnet sind, aufscheint30 und somit wohl eine der bedeutenderen Hafenstädte des Reiches von Pylos ist. Als zweiter Standort ist (ebenfalls im Lokativ) u-wa-si genannt und als dritter a-ke-re-wa, das also nicht nur Hauptquartier der o-ka, sondern auch Standort einer Truppe ist. Der Grund, warum a-ke-re-wa als Hauptquartier gesondert als Stationierungsort angeführt wird, während dies beim Parallelfall o-wi-tono in der 1. o-ka unterlassen wird, dürfte wohl darin gelegen sein, daß a-ke-re-wa – anders als o-wi-to-no – nicht alleiniger Standort der Truppen der o-ka ist. Daß a-ke-re-wa auch einer der wichtigsten Häfen der pylischen Küste war, zeigen die Tafeln An 610, An 724 und Mn 1408 in denen a-ke-re-wa als Hafenstadt oder Rekrutierungsort von Ruderern aufscheint. Die o-ka von a-ke-re-wa umfaßt drei Truppen: eine ke-ki-de a-pu2-ka-ne – also aus a-pu2-ka –, die in po-ra-i stationiert ist, eine ke-ki-de ne-wo in u-wa-si und eine ko-ro-ku-ra-i-jo, für die keine Herkunftsbezeichnung gegeben wird, in a-ke-re-wa. Jeder dieser drei Truppen ist auch jeweils ein e-qe-ta beigegeben. Bei der ke-ki-de a-pu2-ka-ne ist dies der Adelige di-ko-na-ro a-da-ra-ti-jo. Da er offensichtlich ein Sohn des a-da-ra-to ist, dürfte er auch ein Bruder des a3-ko-ta sein, der als e-qe-ta in der 2. o-ka dient und laut Tafel Aq 218 ebenfalls ein Sohn des a-da-ra-to ist. Bemerkenswert ist auch, daß sowohl a3-ko-ta als auch di-ko-na-ro als e-qe-ta ke-ki-de Truppen aus a-pu2-ka zugeteilt sind. Bei der ke-ki-de ne-wo der 6. o-ka befindet sich der eqe-ta pe-re-u-ro-ni-jo und der ko-ro-ku-ra-i-jo ist ka-e-sa-me-no beigegeben, der ebenfalls aus a-pu2-ka stammt und in der Tafel Vn 1191 als Besitzer einer Sklavin aufscheint. Diese Konzentration von Leuten (zwei e-qe-ta, eine ke-ki-de) aus a-pu2-ka in der o-ka von a-ke-re-wa ist insofern erstaunlich, als a-pu2-ka wohl im – weit entfernten? – Distrikt me-ta-pa gelegen ist, in dessen o-ka auch mehrere Leute aus a-pu2-ka Dienst tun. Die Gesamtstärke der o-ka beträgt 130 Mann, wobei die ke-ki-de a-pu2-ka-ne 20, die ke-ki-de ne-wo 10, die ko-ro-ku-ra-i-jo aber 80 Mann umfassen. Diese auffällig große Mannschaftsstärke der ko-ro-ku-ra-i-jo unterstreicht abermals die Bedeutung ihres Stationierungsortes a-ke-re-wa für das Pylische Reich. Die Tafel An 519 verzeichnet die 7. und 8. o-ka, die Kontingente der Distrikte ro-u-so/e-rato und ka-ra-do-ro. VII. Die 7. o-ka, die o-ka aus ro-u-so, wird von dem ansonsten nicht bekannten to-ro kommandiert. Als Unteranführer fungieren ka-da-si-jo, ki-ri-ja-i-jo und mu-to-na. Von diesen werden – ansonsten auf den o-ka-Tafeln nicht üblich – ka-da-si-jo und kiri-ja-i-jo näher charakterisiert. ka-da-si-jo ist ein mo-ro-qa,31 ein hoher lokaler Ver30 31

Diese Stadt hieß offenkundig po-ra; während in der o-ka-Tafel der Lokativ jedoch po-ra-i lautet, ist dieser in den beiden anderen Tafeln als po-ra-pi gebildet. Vgl. An 64.

1. Die o-ka-Tafeln

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waltungsbeamter, und außerdem wo-zo, was offenbar eine Form feudaler Pflicht umschreibt.32 ki-ri-ja-i-jo wiederum wird als wa-tu-wa-o-ko bezeichnet, als Inhaber von ?. Der dritte Unteranführer, mu-to-na, schließlich könnte mit dem gleichnamigen Schmied aus pa-to-wo-te auf der Tafel Jn 706 ident sein. Das Hauptquartier dieser o-ka ist ro-o-wa, eine Stadt, die der Tafel Mn 1370 zufolge in engerem geographischen Zusammenhang mit der Distriktshauptstadt ro-u-so steht und die auch eine der bedeutendsten Hafenstädte des Pylischen Reiches sein muß. Dies bezeugen vor allem die Rudererlisten der Tafeln An 1 und An 724 sowie die Aufstellung von Hafenorten in Mn 1408. Truppenstandorte werden für die 7. oka nicht genannt. Als einzige Truppe der o-ka ist eine o-ka-ra3 verzeichnet, die als Herkunftsangabe das Adjektiv a2-ra-tu-wa trägt. Diese Truppe dürfte ident mit der a2-ra-tu-a o-ka-ra3 sein, die zusammen mit anderen Truppen genannt wird (Tafel Cn 3), die Ochsen an den Aufseher di-wi-je-u senden.33 Diese Truppe und somit die gesamte o-ka umfaßt 110 Mann, die – mangels Standortangabe – wohl im Hauptquartier ro-o-wa stationiert sind. Diese sehr hohe Mannschaftszahl unterstreicht – ebenso wie im Fall von ake-re-wa – die strategische Bedeutung der Hafenstadt ro-o-wa für das Reich von Pylos. VIII. Die 8. o-ka aus ka-ra-do-ro wird von dem sonst nicht bekannten ke-wo-no kommandiert. Unteranführer sind ka-ke[.], tu-si-je-u, po-te-u, e-ta-wo-ne-u, a2-te-po, de-wijo und ko-ma-we. Von diesen ist der Name po-te-u aus der Tafel Cn 45 bekannt als Lieferant von sieben Schweinen nach pu-ro ra-wa-ra-ti-ja;34 e-ta-wo-ne-u und de-wijo erscheinen als Landbesitzer auf den Tafeln Aq 64 bzw. Aq 218.35 Der Name ko-mawe findet sich schließlich in einer Liste von Schmieden aus a-si-ja-ti-ja auf der Tafel Jn 750. Ergänzt man übrigens den Namen des erstgenannten Unteranführers ka-ke[.] zu ka-ke-u, dann existiert sein Name ebenfalls als der eines Schmiedes in der genannten Tafel Jn 750. Auffallend und von allen anderen Tafeln der o-ka-Serie abweichend ist die Tatsache, daß die Liste der Unteranführer nach der Nennung des e-ta-wo-ne-u durch die Erwähnung eines Standortes und einer Truppe (einschließlich der Mannschaftsstärke) unterbrochen wird und erst dann mit dem Namen a2-te-po fortgeführt wird. Möglicherweise sollte dadurch – anders als bei den übrigen o-ka-Tafeln – klargestellt werden, daß die beiden Gruppen von Unteranführern auf die zwei für die o-ka genannten Standorte aufgeteilt waren.36 Ein Hauptquartier wird für die 8. o-ka nicht genannt, und als Truppenstandort werden a-pi-te-wa und o-*34-ta angeführt, wobei es nicht zu entscheiden ist, ob es sich bei o-*34-ta um den selben Ort handelt wie in der 3. o-ka, oder ob nur eine Namensgleichheit vorliegt. Als Truppen verfügt die o-ka über eine i-wa-so in a2-pi-te-wa 32 33 34 35

36

Siehe Chadwick, Documents 255. Zu di-wi-je-u siehe oben bei der 5. o-ka. Zu dieser Stadt siehe Bennet, Conceptualization 144 und 149. Genau genommen zählt de-wi-jo zu der Gruppe von Leuten in der Tafel Aq 218, die kein Land besitzen aber dennoch ein Paar von ? stellen mußten. Unzweifelhaft hatte er also eine gewisse Funktion, aufgrund der er zu Leistungen gegenüber dem Palast verpflichtet war. Zu der Verteilung der Unteranführer in den anderen Tafeln siehe weiter unten.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

sowie eine u-ru-pi-ja-jo und eine ku-re-we in o-*34-ta. Die i-wa-so wird durch kein Herkunftsadjektiv näher bestimmt, die u-ru-pi-ja-jo wird als o-ru-ma-si-ja-jo, also aus o-ru-ma-to, und die ku-re-we als pi-ru-te bezeichnet. Die beiden letztgenannten Truppen scheinen auch auf der Tafel Cn 3 als Lieferanten von Ochsen auf, wobei hier – wie schon oben festgestellt – die u-ru-pi-ja-jo nicht mit dem Adjektiv o-ru-ma-sija-jo, sondern durch den Nominativ o-ru-ma-to näher bestimmt wird. Den ku-re-we pi-ru-te ist ein e-qe-ta beigegeben, der Adelige ro-u-ko ku-sa-meni-jo, der in der Liste der Landbesitzer der Tafel Aq 218 genannt wird und aus me-tapa stammt. Die Gesamtstärke der o-ka von ka-ra-do-ro beträgt 100 Mann, wobei die i-wa-so 20, die u-ru-pi-ja-jo 30 und die ku-re-we 50 Mann umfassen. Die Tafel An 661 schließlich verzeichnet die 9. und 10. o-ka aus den Distrikten ri-jo und timi-to a-ko. IX.

Als Befehlshaber der 9. o-ka (aus ri-jo) erscheint e-ki-no, dessen Name sonst nicht überliefert ist. Dasselbe gilt auch für die Namen der Unteranführer e-o-te-u, a-ti-ro[.], i-da-i-jo und e-se-re-a2, wenngleich e-se-re-a2 als Personenname sowohl für Knossos als auch für Theben bezeugt ist.37 Ein Hauptquartier wird für diese o-ka nicht angegeben; als Standorte der Truppen fungieren e-na-po-ro, [.]-o-ri-jo, ka-ra-do-ro und za-e-to-ro, wobei jedem Standort eine Truppe zugeordnet ist. e-na-po-ro scheint im übrigen eine größere Hafenstadt gewesen zu sein, was generell die häufigen Nennungen in den Tafeln (An 37, Cn 3, Mb 1435, Mn 1408, Na 1027, Nn 228 und Vn 130) bezeugen, im besonderen aber die Erwähnungen in Mn 1408, Nn 228 und Vn 130 zusammen mit so bedeutenden Orten wie ro-o-wa, me-ta-pa, ka-ra-do-ro und ro-u-so. Bei einer näheren Betrachtung der Truppenstandorte der o-ka von ri-jo fallen zunächst zwei Merkwürdigkeiten ins Auge. Zum einen verwundert die Nennung des Ortes ka-ra-do-ro, welcher der Einleitung der o-ka-Tafeln gemäß ein Küstenort gewesen sein muß. In diesem Fall hätte er jedoch bereits unter den Standorten der 8. o-ka Erwähnung finden müssen, zumal ka-ra-do-ro nicht nur im Gebiet dieser o-ka gelegen haben muß, sondern sogar die Hauptstadt dieses Distriktes war.38 Warum also die an der Küste gelegene Hauptstadt des Distrikts der 8. o-ka von Truppen der 9. oka verteidigt wurde, bleibt vorerst unklar.39 Zum anderen erstaunt auch die Tatsache, daß unter den Standorten die Hauptstadt des Distrikts, ri-jo, nicht aufscheint, obwohl ihr Name, ›Vorgebirge‹, eine Position an der Küste nahelegt.40 Zudem bezeugen die Tafeln An 1, 610 und 724, in denen Städte aufscheinen, die Ruderer stellen oder stellen sollten, daß ri-jo nicht nur am Meer gelegen war, sondern sogar – neben a-ke-re-wa und ro-o-wa eine der bedeutendsten

37

i-da-i-jo: KN K 875 bzw. TH Of 28. Die Tatsache, daß bei den meisten o-ka die Hauptstadt nicht als Truppenstandort diente (Ausnahmen: a-ke-re-wa, ti-mi-to a-ko), wird wohl damit zu erklären sein, daß diese Hauptstädte eben nicht an der Küste lagen und somit nicht in den Verteidigungsring einbezogen wurden. Es sei denn, man nimmt an, daß es sich bei diesem ka-ra-do-ro nicht um die Hauptstadt des 6. Distrikts handelt, sondern um einen gleichnamigen Ort. Zur Bezeichnung ri-jo siehe Chadwick, Mycenaean World 41.

38

39 40

1. Die o-ka-Tafeln

X.

119

Hafenstädte des pylischen Staates gewesen ist. Möglicherweise – doch kann dies nur eine unbeweisbare Vermutung bleiben – ist der Name der Hauptstadt des Distrikts im defekten Standortnamen [.]-o-ri-jo enthalten; der zweite Namenbestandteil lautet ja ri-jo, sodaß der erste (nicht erhaltene) Teil eine nähere Angabe zum Ort bedeutet haben könnte.41 An Truppen umfaßt die o-ka eine in e-na-po-ro stationierte i-wa-so, die auch in der Tafel Cn 3 in der Form e-na-po-ro i-wa-si-o-ta erwähnt wird, sowie drei ko-roku-ra-i-jo in den übrigen Standorten. Keine der vier Truppen hat übrigens ein Adjektiv zur Angabe ihrer Herkunft. Der letzten ko-ro-ku-ra-i-jo (in za-e-to-ro) ist auch ein sonst nicht bekannter e-qe-ta namens wo-ro-tu-mi-ni-jo beigegeben. Die Gesamttruppenstärke der o-ka beträgt 130 Mann, wobei die i-wa-so 70 Mann, die drei ko-ro-ku-ra-i-jo 30, 10 bzw. 20 Mann umfassen. Die als letzte aufgeführte 10. o-ka gehört bereits einem Distrikt der Jenseitigen Provinz des Pylischen Reiches an, dem von ti-mi-to a-ko.42 Kommandant dieser o-ka ist e-ko-me-na-ta, dessen Name auch in der Tafel Aq 218 aufscheint. Dort wird sein Sohn a-ka-re-u unter den zur Stellung eines Paares von ? verpflichteten Leuten genannt. Die Unteranführer ma-[.]-u, ro-qo-ta, a-ke[.]-u und a-ke-wa-to sind sonst nicht bekannt. Als Hauptquartier der 10. o-ka erscheint die Distriktshauptstadt selbst. An Stelle von Truppenstandorten wird, wie schon bei der 4. o-ka, ein Ortsname mit dem Suffix -de, ne-do-wa-ta-de, angegeben. Die Truppen befinden sich also noch nicht an ihrem Einsatzort, sondern sollen sich erst dorthin, nach ne-do-wa-ta, begeben. Als einzige Truppe der 10. o-ka wird eine u-ru-pi-ja-jo erwähnt mit dem Herkunftsadjektiv a2-ka-a2-ki-ri-jo, die auch in der Tafel Cn 3 als a2-ka-a2-ki-ra-ja-jo uru-pi-ja-jo aufscheint. Diese Truppe besteht aus 30 Mann. Ihr ist auch ein e-qe-ta beigegeben, dessen Name jedoch aufgrund des defekten Zustandes der Tafel nicht bekannt ist. Wegen dieses Umstandes (der unvollständigen Erhaltung der o-ka-Tafel An 661) können auch über die ursprüngliche Truppenanzahl sowie die Gesamtstärke der o-ka nur bedingt Aussagen getroffen werden. Es ist nämlich nicht auszuschließen, daß in der Tafel noch weitere Truppen aufgelistet waren; andernfalls wäre diese o-ka aus einem der bedeutendsten Distrikte des Pylischen Reiches mit einer Gesamtstärke von 30 Mann ungewöhnlich schwach besetzt.

Der Aufbau der o-ka-Tafeln stellt sich demnach dar, wie in umseitiger Tabelle zusammengefaßt.

41 42

Vgl. den boiotischen Ort o-ke-u-ri-jo (TH Av 104 und 191). Zur wohl gesicherten Lokalisierung von ti-mi-to ak-o siehe Bennet, Conceptualization 143. Vgl. auch Ruipérez, Land-Division 183.

120 Distrikt PI*82

II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens okaFührer marewo

Offiziere aperitowo

Haupt- Standort quartier owitono

Einheit okara

Herkunft

eqeta

Zl



50

owitinijo

oreta etewa kokijo suwerowijo METAPA nedawatao ekemede

PETONO kurume-

nojo

aruwote

kekide

kuparisijo

apijeta

atareusi

kekide

kuparisijo

marateu

erapo rimene

okara

owitinijo

taniko

erapo rimene

kekide

apukane

o*34ta

kekide

metapijo

kurewe

upijakirijo

periteu





wonewa

– kekijo aeriqota – aikota

20 10 30 20

– arekuturuwo etewokerewejo

50 60

atijawo erutara PAKIJANE

tatiqowewo

pokiroqo

towa

wawoude kekide

pedijewe



10

perino

urupijajo



10

deukarijo

kurewe



20

rapedo

iwaso



10

doqoro

okara



10

perirawo enowaro APU

waparojo

erikowo



adijeu

sapida

kekide

wakatijata

newokito korokuwowija raijo



preqonijo areijo ? diwijeu

20

newokito akiwonijo [diwijeu] AKEREWA

ROUSO

duwojojo

toroo

akunijo

akerewa porai

kekide

apukane

dikonaro adaratijo

20

perimede

uwasi

kekide

newo

pereuronijo

10

putija

akerewa

korokuraijo

kaesameno

80

kadasijo kirijaijo mutona

roowa



okara

– aratuwa



110

121

1. Die o-ka-Tafeln Distrikt KARADORO

okaFührer

Offiziere

kewonojo tusijeu

Haupt- Standort quartier –

Einheit

Herkunft

apitewa

iwaso

o*34ta

urupijajo orumasijajo

eqeta



Zl 20

poteu etawoneu atepo dewijo

kurewe

pirute

30 rouko kusamenijo

50

komawe ka… RIJO

TIMITO AKO

ekinojo

ekomenata

enaporo

iwaso





70

atiro…

eoteu

…orijo

korokuraijo





30

idaijo

karadoro korokuraijo





10

eserea

zaetoro

korokuraijo



nedowatade

urupijajo akaakirijo

ma…u



timito ako

worotuminijo

20

eqeta …

30

roqota ake…u akewato

Im folgenden sollen nun die einzelnen Punkte in der Auflistung jeder o-ka in einer Zusammenschau näher erörtert werden. 1.4 Die Kommandanten und Unteranführer Betrachtet man die Liste der insgesamt 55 namentlich genannten Kommandanten und Unteranführer,43 so läßt sich zunächst festhalten, daß von diesen 55 Personen die Hälfte (genau 26) – zumeist aus anderen Tafeln44 – näher bekannt sind. Demnach ist es deutlich, daß mehrere (8) dieser in militärischer Führungsposition befindlichen Personen im ›zivilen‹ Leben hohe Beamte der lokalen Verwaltung waren: ko-re-te: ku-ru-me-no qa-si-re-u: e-ri-ko-wo mo-ro-qa: e-ke-me-de, ne-da-wa-ta, ku-ru-me-no, ka-da-si-jo e-re-u-te: di-wi-je-u ki-e-u: e-ru-ta-ra Ein dem ra-wa-ke-ta nahestehender Beamter war ta-ti-qo-we-u. Zwei Personen waren Priester bzw. hohe Beamte im Kultbetrieb: ta-ni-ko, ne-wo-ki-to. 43 44

Zu dieser Personengruppe siehe Nakassis, Individuals and Society 117–123, 148–151. Immer unter der Voraussetzung, daß es sich bei der Erwähnung gleicher Namen auch um die identen Personen handelt.

122

II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

Die bei weitem größte Gruppe (10) von Kommandanten bzw. Unteranführern einer o-ka, die auch außerhalb der o-ka-Tafeln aufscheinen, stellen Männer dar, die zur Stellung von Personen und/oder zur Lieferung von Tieren verpflichtet sind, oder aber gewisse Zuteilungen vom Palast empfangen. Es sind dies: e-te-wa, ma-ra-te-u, pe-ri-te-u, e-ru-ta-ra, po-kiro-qo, pe-ri-me-de, po-te-u, e-ta-wo-ne-u, de-wi-jo und e-ko-me-na-ta. Diese Leute waren offenbar Großgrundbesitzer mit daraus resultierenden Verpflichtungen gegenüber dem Palast, welche die lokale soziale Spitze in den einzelnen Distrikten darstellten. Die meisten zu diesen Gruppen zählenden Kommandanten und Unteranführer finden sich in den Tafeln Aq 64 und 218. Ein zweiter – etwas kleinerer Teil – dieser militärischen Führer rekrutiert sich aus Schmieden,45 wie sie in der Jn-Serie verzeichnet sind: a-ti-ja-wo, pe-ri-no, du-wo-jo, pu-tija, mu-to-na und ko-ma-we. Insgesamt sieben Personen (erwähnt in den Tafeln Jn 601, 706, 750 und 845) stammen aus dieser Berufsgruppe, wobei man in diesen Männern wohl nicht einfache Handwerker zu sehen hat, sondern die Besitzer von größeren metallverarbeitenden Betrieben in den einzelnen Distrikten. Dies wird vor allem in der Tafel Jn 601 klar, in der neben den Namen von Schmieden und den zugeteilten Metallmengen auch die Anzahl von Sklaven genannt ist, die den einzelnen Schmieden gehörten und – so darf vermutet werden – die eigentlichen Schmiedearbeiten ausführten. Die militärische Führung der o-ka setzte sich also aus hohen Beamten (8 belegbare Personen),46 Männern in religiöser Funktion (2 Fälle), Großgrundbesitzern (insgesamt 10) und ›Industriellen‹ aus der Waffenproduktion (7 Fälle) zusammen. Diese Aufstellung der ›Zivilberufe‹ der führenden Personen in den einzelnen o-ka zeigt unmißverständlich, daß es sich weder bei den o-ka-Kommandanten noch bei den Unteranführern um Berufssoldaten handelte. Diese Leute nahmen nicht einmal Positionen in der unmittelbaren Palasthierarchie ein,47 sondern gehörten entweder der lokalen Distriktsverwaltung (einschließlich der mit kultischen Aufgaben betrauten) an oder waren begüterte, in Landwirtschaft und Handwerk tätige Privatpersonen. Auffallend ist hierbei noch, daß unter den Oberkommandierenden der zehn o-ka – von denen insgesamt fünf (ne-da-wa-ta, ku-ru-me-no, ta-ti-qo-we-u, du-wo-jo und e-ko-mena-ta) auch aus anderen Tafeln bekannt sind – die Gruppe der hohen Lokalbeamten mit drei Fällen besonders stark vertreten ist; die beiden anderen bekannten Kommandanten dieser o-ka sind der Schmied du-wo-jo und der Landbesitzer e-ko-me-na-ta. Man könnte also annehmen, daß sich die lokale Zivilverwaltung in der militärischen widerspiegelte, zumal es nicht auszuschließen ist, daß auch die beiden o-ka-Kommandanten du-wo-jo und eko-me-na-ta hohe Ränge in der Zivilverwaltung ihrer jeweiligen Distrikte eingenommen haben. Daß es solche ›Doppelfunktionen‹ gab, zeigen die Beispiele des ku-ru-me-no, der in der Tafel Aq 64 sowohl als ko-re-te als auch als mo-ro-qa aufscheint, und besonders das Beispiel des e-ri-ko-wo, der einerseits in der Tafel Jn 845 in eine Liste von Schmieden48 auf45 46 47

48

Zur sozialen Stellung der Schmiede in mykenischen Reichen siehe grundlegend Gillis, Smith 505–513. Siehe Deger-Jalkotzy, Military Prowess 125 Anm. 35. Mit der möglichen Ausnahme des ta-ti-qo-we-u, der dem höchsten militärischen Würdenträger, dem ra-wa-ke-ta, nahesteht; der ra-wa-ke-ta gehört allerdings mit Sicherheit dem Palast selbst und nicht der lokalen Verwaltungsebene an. Als Schmied erscheint e-ri-ko-wo auch in Jn 944.

1. Die o-ka-Tafeln

123

genommen ist, andererseits jedoch den Titel qa-si-re-u trägt und zudem in Ep 212 offenkundig eine Funktion im Kultbetrieb innehat. Es besteht demnach die Möglichkeit oder sogar die Wahrscheinlichkeit, daß alle o-kaKommandanten auch in der lokalen Zivilverwaltung des pylischen Staates hohe Positionen einnahmen. Dennoch läßt sich die zivile Verwaltungsstruktur nicht exakt auf die militärische der o-ka-Tafeln übertragen. In diesem Falle müßte nämlich der oberste zivile Beamte eines Distrikts, der ko-re-te,49 auch die militärische Führung innehaben, also Kommandant der dem Distrikt zugeordneten o-ka sein; dies ist jedoch nur ein einziges Mal der Fall, in welchem der ko-re-te ku-ru-me-no auch Anführer der o-ka des Distrikts pe-to-no ist. Zwar könnte man anführen, daß für die übrigen o-ka-Kommandanten eben nur durch den Zufall der Überlieferung die Funktion des ko-re-te nicht überliefert aber dennoch anzunehmen ist, doch existiert ein deutliches Zeugnis gegen diese Annahme. In der Tafel Aq 64 ist der ko-re-te von ti-mi-ti-ja/ti-mi-to a-ko namentlich genannt: pe-ri-mo. Kommandant der oka von ti-mi-to a-ko aber ist e-ko-me-na-ta. Man betraute also offensichtlich hohe Beamte der Zivilverwaltung der einzelnen Distrikte, die gleichzeitig Angehörige der lokalen gesellschaftlichen und ökonomischen Elite waren, im Kriegsfall mit der Führung der den jeweiligen Distrikten zugeordneten Truppenkontingente, wobei vor allem für das Oberkommando der o-ka in erster Linie ein hoher Beamter der zivilen Distriktsverwaltung herangezogen wurde. Dies bedeutete jedoch nicht, daß die Hierarchie der Zivilverwaltung auch im militärischen Bereich genau eingehalten wurde. Bezüglich der lokalen Herkunft dieser militärischen Führer – sofern diese überhaupt feststellbar ist – ist der Umstand auffallend, daß ein Kommandant oder Unteranführer einer o-ka nicht unbedingt aus dem Distrikt stammen mußte, dem die jeweilige o-ka zugeordnet war. So stammt e-ru-ta-ra, der als Unteranführer der 3. o-ka (aus pe-to-no) zugeteilt ist, der Tafel Aq 64 zufolge aus me-ta-pa, dem Distrikt der 2. o-ka. Noch auffälliger ist dies bei den Schmieden ka-ke-[u], ko-ma-we, du-wo-jo und dem Landbesitzer e-te-wa, die als Unteranführer in den o-ka von ka-ra-do-ro, a-ke-re-wa und pi-*82 dienten, aber allesamt aus a-si-ja-ti-ja stammten (Jn 725 und 750, Cn 254), einem Distrikt, der nicht einmal der Diesseitigen Provinz angehörte. Noch bedeutender ist dieser Umstand im Fall des du-wo-jo der ebenfalls Schmied in a-si-ja-ti-ja war, aber in der o-ka von a-ke-re-wa sogar als Kommandant diente. Eine mögliche Erklärung für diesen überraschenden Umstand könnte in der Tatsache liegen, daß – wie noch zu zeigen sein wird – auch die einzelnen Truppen einer o-ka nicht ausschließlich aus dem der o-ka zugewiesenen Distrikt stammten. Daß dies auch aus einem Distrikt der Jenseitigen Provinz geschehen konnte, mutet zwar seltsam an, doch scheint zum einen die Zweiteilung des Reiches von Pylos in eine Diesseitige und eine Jenseitige Provinz auf militärischem Sektor eine sehr geringe Rolle gespielt zu haben,50 zum anderen aber grenzte das Gebiet von a-si-ja-ti-ja offensichtlich auch an mehrere Distrikte der Diesseitigen Provinz.51 49 50 51

Vgl. Palaima, Security 349f. Dazu II 4.4. Siehe Chadwick, Further Province 276f.

124

II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

Möglicherweise wurden zusammen mit diesen ›fremden‹ Truppen auch Anführer in die o-ka eines anderen Distriktes verschoben. Dies wiederum würde hinsichtlich der militärischen Organisation des pylischen Staates bedeuten, daß die militärischen Führungspersonen primär nicht einem bestimmten Distrikt zugeordnet waren, sondern bestimmten Truppen und daß sie folgerichtig zusammen mit diesen auch in einem anderen Distrikt als dem, aus dem sie stammten, eingesetzt bzw. zeitweise an einen anderen Ort verschoben werden konnten. Nur so ist es wohl erklärlich, daß jemand in einem Distrikt das militärische Kommando innehatte, obwohl er in diesem Distrikt nicht beheimatet war. Voraussetzung dafür wäre allerdings, daß im Fall eines ›fremden‹ o-ka-Kommandanten der Großteil der o-ka-Truppen ebenfalls aus dem Distrikt dieses Anführers stammen müßten. Im Fall eines aus einem anderen Distrikt stammenden Unteranführers müßte zumindest eine Truppe der o-ka aus eben diesem anderen Distrikt, aus dem der Unteranführer kommt, stammen. Tatsächlich ist dies in der 3. o-ka (pe-to-no) der Fall, wo nicht nur der eben erwähnte Unteranführer e-ru-ta-ra aus me-ta-pa Dienst tat, sondern auch eine ke-ki-de me-ta-pi-jo. Ob dies auch für die genannten Fälle von Kommandanten bzw. Unteranführern aus a-si-jati-ja, die in den o-ka von pi-*82, a-ke-re-wa und ka-ra-do-ro dienten, Gültigkeit hat, ist nicht zu sagen, da in den betreffenden o-ka zwar mehrere Truppen zum Einsatz kamen, für die (meist) auch eine Herkunftsangabe existiert, die angegebenen Herkunftsorte jedoch nicht alle einem bestimmten Distrikt zuzuordnen sind. Ein klares Gegenbeispiel zu dieser – vermuteten – Regel bei der Besetzung von Kommandostellen bildet die o-ka von pi-*82. Einer der Unteranführer dieser o-ka ist e-te-wa, ein Landbesitzer aus a-si-ja-ti-ja, was – wie gesagt – die Anwesenheit von Truppen aus a-sija-ti-ja in dieser o-ka voraussetzen würde. In der o-ka von pi-*82 diente jedoch nur eine einzige Truppe, eine o-ka-ra3 aus o-wi-to-no; o-wi-to-no aber lag zumal als Hauptquartier dieser o-ka sicherlich im Gebiet von pi-*82 und nicht in dem vom a-si-ja-ti-ja. Möglicherweise steht diese ›Ausnahme von der Regel‹ mit dem – ebenfalls einzigartigen – Mißverhältnis von Anführern und Truppen in dieser o-ka zusammen. Doch darauf wird noch weiter unten einzugehen sein.52 Nicht zu beantworten ist vorerst die Frage nach den Gründen für die unterschiedlich starke Präsenz von Unteranführern in den einzelnen o-ka; sie reicht von drei Personen (in der 6. und 7. o-ka) bis zu sieben Anführern (in der 4. und 8. o-ka). 1.5 Die o-ka-Hauptquartiere und die Truppenstandorte 1.5.1 Die Hauptquartiere Bezüglich der o-ka-Hauptquartiere fällt zunächst die Tatsache ins Auge, daß nicht jede o-ka ein eigenes Hauptquartier besitzt und somit offenbar in einigen Fällen (oder auch in allen) für mehrere o-ka ein Hauptquartier zuständig ist.53 Offensichtlich besitzen nur die 1., die 4. 52 53

II 1.9. Lang, O-ka Tablets 124f. nimmt daher folgende Orte als Hauptquartiere an: ne-wo-ki-to für die 5. o-ka, o-wi-to-no für die 1., 2., 3. und 4. o-ka, a-ke-re-wa für die 6. o-ka, ro-o-wa für die 7., 8. und 9. o-ka und ti-mi-to a-ko für die 10. o-ka. An dieser Aufstellung mutet vor allem die ungleiche Verteilung der o-ka auf die einzelnen Hauptquartiere sehr seltsam an.

1. Die o-ka-Tafeln

125

die 6. und 7. und die 10. o-ka ein Hauptquartier, also nur fünf der zehn Distriktskontingente, womit schon rein rechnerisch der Verdacht nahe liegt, daß jeweils ein Hauptquartier für zwei o-ka zuständig ist. Bei genauer Betrachtung der Reihenfolge der Nennung der o-ka-Hauptquartiere fällt auf, daß zwar nicht exakt bei jeder zweiten o-ka ein Hauptquartier genannt ist, daß aber tatsächlich auf jeweils zwei hintereinander aufgelistete o-ka jeweils ein Hauptquartier kommt, sodaß sich folgende Aufstellung ergibt: Für die 1. und 2. o-ka (p-*82 und me-ta-pa) ist das Hauptquartier o-wi-to-no im Distrikt der 1. o-ka, für die 3. und 4. o-ka (pe-to-no und paki-ja-ne) ist das Hauptquartier to-wa im Distrikt der 4. o-ka, für die 5. und 6. o-ka (a-pu2 und a-ke-re-wa) ist das Hauptquartier a-ke-re-wa im Distrikt der 6. o-ka, für die 7. und 8. o-ka (ro-u-so und ka-ra-do-ro) ist das Hauptquartier ro-o-wa im Distrikt der 7. o-ka und für die 9. und 10. o-ka (ri-jo und ti-mi-to a-ko) ist das Hauptquartier ti-mi-to a-ko im Distrikt der 10. o-ka. Offenkundig dient also jeweils ein Ort als Hauptquartier für die Kontingente zweier benachbarter Distrikte. Diese Erklärung beantwortet auch einige Fragen bezüglich der Aufteilung der o-ka Tafeln selbst. Bekanntlich sind ja fünf o-ka-Tafeln erhalten, auf denen insgesamt zehn o-ka verzeichnet sind, und zwar jeweils zwei o-ka auf einer Tafel. Es stellt sich nun die Frage, warum nicht jede o-ka eine eigene Tafel besitzt, oder warum nicht mehr als zwei o-ka auf einer Tafel aufgelistet werden. Platzgründe können dafür nicht verantwortlich gemacht werden, da die Tafeln – wegen der unterschiedlichen Häufigkeit der Nennung von Personen und Truppen – eine sehr unterschiedliche Zeilenanzahl aufweisen.54 Warum also wird weder für jede o-ka eine eigene Tafel angelegt noch für mehr als zwei o-ka eine Tafel verwendet? Offenbar sollte sofort kenntlich sein, daß die zwei jeweils auf einer Tafel verzeichneten o-ka in einer näheren Beziehung zueinander standen. Diese Beziehung war aber offenkundig der Umstand, daß für beide auf einer Tafel verzeichneten o-ka nur ein Hauptquartier zuständig war. Es kann nämlich kein Zufall sein, daß auf jeder o-ka-Tafel ein Hauptquartier genannt ist, in keiner fehlt ein solches und in keiner sind deren zwei erwähnt. Jede o-ka-Tafel verzeichnet also eine o-ka mit Hauptquartier und eine o-ka ohne dieses; es handelt sich also bei jeder o-ka Tafel um die Aufstellung von Truppen die durch das gemeinsame Hauptquartier in engerem militärischen und – was für die Verwaltung wohl ausschlaggebend war – versorgungstechnischen Zusammenhang standen. Auffallend ist nun die Tatsache, daß nur in zwei Fällen, bei a-ke-re-wa und ti-mi-to a-ko das Hauptquartier der o-ka gleichzeitig auch die Hauptstadt des Distriktes ist, der die o-ka zugeordnet ist. In weiteren zwei Fällen (o-wi-to-no und ro-o-wa) ist eine der größeren Städte55 des Reiches von Pylos das Hauptquartier einer o-ka, während im fünften Fall ein ansonsten völlig unbekannter und dementsprechend wohl kleiner, unbedeutender Ort, nämlich to-wa, als Hauptquartier einer o-ka diente. Es stellt sich demnach die Frage, weshalb nicht immer die Hauptstadt eines der beiden zu einer größeren militärischen Verwaltungseinheit zusammengeschlossenen Distrikte Hauptquatier für die beiden betreffenden o-ka war. Zumindest sollte man erwarten, daß, wenn schon nicht eine Distriktshauptstadt, so doch zumindest eine der bedeutenderen Städte des Pylischen Reiches als Zentrum der 54 55

So hat beispielsweise die Tafel An 656 20 Zeilen, während die Tafel An 657 nur 14 Zeilen aufweist. Darauf kann wohl aus ihrer mehr oder minder häufigen Erwähnung in anderen Pylos-Tafeln geschlossen werden.

126

II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

Militärverwaltung diente. Weshalb aber diente das unbekannte to-wa als Hauptquartier für die dritte und vierte o-ka, also unter anderem für das Gebiet von pa-ki-ja-ne, in dem nicht nur der Palast von Pylos, sondern auch mehrere größere archäologisch nachweisbare Siedlungen gelegen haben. Als Erklärung für diesen befremdlichen Umstand können nur strategische Hintergründe vermutet werden, und hierbei wiederum vor allem solche der schnellen und unbehinderten Kommunikationslinien, d.h. gut ausgebaute und auch für Streitwagen problemlos passierbare Straßen. Die Hauptquartiere für jeweils zwei o-ka dürften wohl so gewählt worden sein, daß sie für die einzelnen Truppenstandorte des vorgesehenen Einsatzgebietes möglichst zentral gelegen und schnell zu erreichen waren. Wenn diese Bedingungen von den jeweiligen Distriktshauptstädten oder anderen größeren Orten nicht erfüllt wurden, konnte wohl auch eine unbedeutende Siedlung als Hauptquartier gewählt werden. 1.5.2 Die Standorte der Truppen Bezüglich der Truppenstandorte läßt sich zunächst einmal festhalten, daß für die 1. o-ka kein Stationierungsort genannt ist. Man wird also davon ausgehen können, daß die 1. o-ka im Hauptquartier der o-ka, o-wi-to-no, stationiert ist. Das gleiche gilt auch für die 7. o-ka, für die ebenfalls keine Truppenstandorte genannt sind, und deren Aufgebot somit im Hauptquartier ro-o-wa stationiert gewesen sein sollte. Es dürfte also generell so sein, daß diejenigen o-ka, für die ein Hauptquartier genannt ist (o-ka I, IV, VI, VII und X), ebendort ihren Standort haben. Bei den ebengenannten o-ka I und VII ist dies evident. Deutlich ist dies auch bei o-ka IV und X der Fall, jedoch findet sich bei diesen der Zusatz, daß die gesamte o-ka vom Hauptquartier weg verlegt werden soll. Bei der 4. o-ka ist dies die Angabe wa-wo-u-de, bei der 10. o-ka ne-do-wa-ta-de. Es bleibt also noch die 6. o-ka zu betrachten: Deren Hauptquartier ist a-ke-re-wa, wo jedoch nur ein Teil der o-ka stationiert ist, ein Umstand, der eigens vermerkt ist; der Rest der o-ka ist auf die Standorte po-ra-i und u-wa-si verteilt. Bezüglich der o-ka ohne Hauptquartier gilt die Feststellung, daß – wie schon bei der o-ka von a-ke-re-wa – jede Truppe einen eigenen Standort besitzt, oder jeweils zwei Truppen an einen Ort verlegt sind. Es dürfte also dem gesamten System der Truppenstationierung folgendes Schema zugrundeliegen: Generell ist das Aufgebot einer o-ka im Hauptquartier stationiert. Dort bleibt auch zumindest ein Teil der Truppen bestehen, sofern das Hauptquartier an der Küste gelegen ist, wie es im Fall von a-ke-re-wa, ro-o-wa56 und wohl auch o-wi-to-no gegeben ist. Bemerkenswert ist hierbei auch, daß es sich bei den in den genannten Hauptquartieren stationierten Truppen um vergleichsweise besonders starke Einheiten (50, 80 bzw. 100 Mann) handelt. Wenn das o-ka Hauptquartier jedoch nicht an der Küste gelegen ist, wie es für ti-mi-to ako gesichert sein dürfte57 und für to-wa anzunehmen ist, wird die o-ka an einen wohl an der Küste gelegenen Ort verlegt (wa-wo-u bzw. ne-do-wa-ta). Diejenigen o-ka, die kein eigenes Hauptquartier, oder besser gesagt, kein in ihrem Distrikt gelegenes Hauptquartier haben, 56 57

Daß es sich bei a-ke-re-wa und ro-o-wa um Hafenstädte handelt, zeigen die Tafeln An 1, 610 und 724. Hierzu Bennet, Conceptualization 143.

1. Die o-ka-Tafeln

127

werden grundsätzlich auf mehrere Küstenplätze verteilt, die auch nicht unbedingt im eigenen Distrikt gelegen sein müssen, wie die Stationierung einer ko-ro-ku-ra-i-jo-Truppe der o-ka von ri-jo in einem Ort des Distriktes ka-ra-do-ro zeigt. Festzuhalten ist auch, daß im Gegensatz zu den Hauptquartieren, die ausschließlich in der grammatikalischen Form des Nominativ erscheinen, die Truppenstandorte in acht Fällen im Lokativ und zehnmal im Nominativ erwähnt sind. Man darf annehmen, daß dem Einleitungssatz der o-ka-Tafeln gemäß, alle Truppenstandorte an der Küste gelegen sind. Positiv nachzuweisen ist dies – abgesehen von den schon erwähnten auch als Hauptquartier dienenden Orten ro-o-wa und a-ke-re-wa – für ena-po-ro (vgl. Tafel Mn 1408), za-e-to-ro (Tafel An 610), po-ra-i (Tafeln Mn 1408 und An 1) und ri-jo (Tafeln An 1, 610 und 724) sofern der Name dieses Ortes in der defekten Ortsbezeichnung [.]-o-ri-jo in der 9. o-ka erhalten ist. Beim Ort e-ra-po ri-me-ne (2. o-ka) ergibt sich die Lage an der Küste aus dem zweiten Teil des Namens (ri-me-ne=limen) selbst, der ›Hafen‹ (im Dativ) bedeutet. Schließlich noch ein Punkt: Sowohl in der 3. o-ka als auch in der 8. o-ka scheint o-*34-ta als Stationierungsort einer Truppe auf. Es kann hier jedoch noch nicht entschieden werden, ob es sich dabei um ein und denselben Ort handelt, in dem Truppen aus zwei – örtlich relativ weit getrennten – o-ka stationiert sind, oder aber um zwei verschiedene Orte desselben Namens. Möglicherweise existiert jedoch ein Hinweis darauf, daß es sich bei o-*34-ta um nur einen Ort handelt, wenngleich die folgenden Überlegungen naturgemäß sehr spekulativ sind. o-*34-ta in der Tafel An 654 ist der einzige Stationierungsort von Truppen der 3. o-ka; es liegen hier zwei Truppen mit der hohen Gesamtstärke von 110 Mann. Unzweifelhaft muß es sich bei o-*34-ta also um einen sehr wichtigen Hafenort vergleichbar mit ro-o-wa (110 Mann) und a-ke-re-wa (80 Mann) handeln. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die erstaunliche und in den o-ka-Tafeln einzigartige Maßnahme, daß diese an sich schon relativ starke Truppe zusätzlich mit zwei Kontingenten der 8. o-ka in der Gesamtstärke von 80 Mann ergänzt wurde, obwohl deren Distrikt ka-ra-do-ro nicht in unmittelbarer Nachbarschaft von pe-to-no, wo o-*34-ta wohl zu lokalisieren ist, gelegen sein dürfte. Diesem ungewöhnlichen Umstand, daß eine Truppe der 8. o-ka relativ weit weg verlegt wurde, könnte der Schreiber der o-ka Tafel An 519 mit der zweiten Nennung von o-*34-ta dadurch Rechnung getragen haben, daß er in der Auflistung der 8. o-ka eine Art Zäsur durchführt. Nach der Erwähnung des Kommandanten, der Unteranführer und Truppen, die in a-pi-te-wa – wohl einem Küstenort des Distrikts ka-ra-do-ro – stationiert sind, beginnt er – was sonst in keiner Tafel geschieht – gleichsam von vorne mit der Aufzählung von Anführern und Truppen, die in o-*34-ta ihren Dienst versehen. Diese einmalige Hervorhebung eines Standortes (plus Mannschaft) könnte also dadurch zu erklären sein, daß dieser Ort nicht – wie sonst üblich – im Distrikt der o-ka oder in unmittelbarer Nachbarschaft gelegen ist, sondern relativ weit entfernt. Sollten also diese 80 Mann von ka-ra-do-ro nach pe-to-no verlegt worden sein, bleiben von der 8. o-ka nur 20 Mann in ka-ra-do-ro, und zwar im Ort a-pi-te-wa. Dies würde nun erklären, warum es notwendig wurde, daß ka-ra-do-ro – in diesem Fall die Hauptstadt selbst – nun ihrerseits durch Truppen aus dem Nachbardistrikt rijo, wenn auch nur mit 10 Mann, verstärkt wurde.

128

II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

Die Mannschaftsstärke der in o-*34-ta stationierten Truppen beträgt somit insgesamt 190 Mann und ist also beinahe doppelt so groß wie die selbst der bedeutendsten Hafenstädte des pylischen Staates. Sollte diese Annahme richtig sein, so zwingt dies zu einer Erklärung für die gewaltige Truppenkonzentration (190 Mann, 7 Anführer und 2 e-qe-ta) in o-*34-ta. Die Bedeutung des Hafens von o-*34-ta wird dadurch noch weit über jene der unzweifelhaft wichtigen Häfen von e-na-po-ro (70 Mann), a-ke-re-wa (80 Mann) und ro-o-wa (110 Mann) hinausgehoben, sodaß man in o-*34-ta wohl den wichtigsten Hafen des Reiches von Pylos sehen muß. Eine solche Bedeutung kommt aber wohl nur dem Hafen des Palastes von Pylos selbst zu. Allerdings kann es sich bei o-*34-ta nicht um eine Hafenstadt wie e-na-po-ro, a-ke-rewa oder ro-o-wa gehandelt haben, da sie weder in einer der Rudererlisten (An 1, 610 und 724) noch in sonst einer der erhaltenen Tafeln aufscheint, was bei der aus den o-ka-Tafeln erschlossenen Bedeutung von o-*34-ta jedoch unbedingt zu erwarten wäre. Möglicherweise handelt es sich bei o-*34-ta daher zwar um einen für den Palast von Pylos sehr wichtigen Hafen, aber eben um keine Hafenstadt, sondern nur um einen Schiffsanlegeplatz ohne Siedlung. An dieser Stelle ist es unumgänglich, wenigstens kurz auf die Distriktszugehörigkeit von Pylos selbst einzugehen. Ein möglicher Kandidat für den Distrikt, in dem sich der Palast von Pylos befand, ist pe-to-no. Die Ma-Serie der Pylostafeln,58 welche einen genauen Einblick in die Abgaben von verschiedenen Produkten erlaubt, die jeder Distrikt des Reiches von Pylos an den Palast zu entrichten hatte, zeigt den Distrikt pe-to-no in einer besonderen Position. *146 RI

KE

*152 O

ME

Ma 225

pi-*82

28

M 28

M8

12

M6

600

Ma 90

me-ta-pa

28

M 28

M8

12

M6

600

gesamt

64

M 64

M 16

24

M 12

1200

Ma 120

pe-to-no

63

M 63

M 17

27

[M] 14 1350

Ma 365

ro-u-so

17

M 14[ ]

M5

8

M4

Ma 193

ri-jo

17

M 17

M5

7

M4

362

Ma 346

ka-ra-do-ro

18

M 18

M4

[8

M 4]

200[

gesamt

52

M 49

M 14

23

M 12

562+?

Ma 221

pa-ki-ja-pi

22

M 22

M7

10

M 4[ ] 400[

Ma 222

a-ke-re-wa

23

M 23

M7

10

M5

500

Ma 124

a-pu2-we

23

M 23

M7

10

M5

500

gesamt

68

M 68

M 21

30

M 14

1400+?

58

Shelmerdine, Ma Tablets 261–275.

129

1. Die o-ka-Tafeln

Offenbar waren beide Provinzen von Pylos in eine Art von Steuerbezirken unterteilt, wobei jeweils mehrere Distrikte zu einem solchen Bezirk zusammengefaßt wurden. Unabhängig von der Art der Abgaben59 hatten diese Steuerbezirke jeweils die gleiche Menge – in Gewichtseinheiten (M) angegeben – an Abgaben zu leisten. So stellten pi-*82 und me-ta-pa einen solchen Steuerbezirk dar, pa-ki-ja-ne, a-pu2 und a-ke-re-wa einen zweiten und e-ra-to/ ro-u-so, ka-ra-do-ro und rijo den dritten der Diesseitigen Provinz. Lediglich pe-to-no wurde nicht mit einem zweiten (oder gar dritten) Distrikt zusammengefaßt, sondern bildete allein einen Steuerbezirk. Dies bedeutet, daß pe-to-no allein soviel Abgaben zu entrichten hatte wie etwa pa-ki-ja-ne, a-pu2 und a-ke-re-wa zusammen. pe-to-no muß demnach der mit Abstand reichste Distrikt der Diesseitigen Provinz gewesen sein, und auch in der Jenseitigen Provinz erreicht nur ra-wa-ra-ta2, der Hauptort dieser Provinz, ein ähnlich hohes Steueraufkommen. Für die Jenseitige Provinz, deren Distriktseinteilung nicht völlig mit der in den oben besprochenen Tafeln Jn 829 und On 300 übereinstimmt, gelten hierbei – wie aus der Tabelle ersichtlich – die gleichen Regeln: *146

RI

KE

*152

O

ME

Ma 216

ra-wa-ra-ta2

70

M 70

M 20

30

M 20

1500

Ma 330

e-sa-re-wi-ja

42

M 42

M 12

18

M8

900[

Ma 393

]za-ma-e-wi-ja

28

M 28

M8

12

M5

600

gesamt

70

M 70

M 20

30

M 13

1500

sa-ma-ra

24

M 24

M7

10

M5

500

24

M 24

M 2[

10

M 5]

500[

ti-mi-to a-ke-e

24

M 24

M7

10

M5

500

gesamt

72

M 72

M 16+? 30

M 15

1500

Ma 333[+]526

e-ra-te-re-we

46

M 46

M [13

20

M 10

1000[

Ma 335

a-te-re-wi-ja

23

M 23

M 4[ ]

10

[M 5

500

gesamt

69

M 69

M 17+? 30

M 15

1500

Ma 378

Ma 397[+]1048 a-[.]-ta2 Ma 123

Ein ähnliches Bild zeigen die Tafeln Cn 608 und Vn 20, in denen zum Teil jedoch nicht Abgaben (von Schweinen), sondern Zuteilungen (Wein) an die einzelnen Distrikte verzeichnet sind:60

59 60

Die Bedeutung der Ideogramme (*146, RI, KE, *152, O und ME) ist unbekannt. Zu diesen Ideogrammen siehe Chadwick, Documents 290f. und Bennett, Pylostexts I, 192f. Die Übersetzung der Kopfzeilen lautet: »So werden die Einwohner die Mastschweine (=SI) füttern« (Cn 608) und »So wurde der Wein des pa-ra-we verteilt« (Vn 20). Man vergleiche die sehr defekte Tafel Vn 19.

130

II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

Cn 608 jo-a-se-so-si, si-a2-ro, o-pi-da-mi-jo

Vn 20 o-a2, e-pi-de-da-to, pa-ra-we-wo, wo-no

pi-*82 SUS + SI 3

pi-*82-de 50

me-ta-pa SUS + SI 3

me-ta-pa-de 50

pe-to-no SUS + SI 6

pe-to-no-de 100

pa-ki-ja-si SUS + SI 2

pa-ki-ja-na-de 35

a-pu2-we SUS + SI 2

a-pu2-de 35

a-ke-re-wa SUS + SI 2

a-ke-re-wa-de 30

e-ra-te-i SUS + SI 3

e-ra-to-de 50

ka-ra-do-ro SUS + SI 2

ka-ra-do-ro-de 40

ri-jo SUS + SI 2

ri-jo-de 20

Man könnte also annehmen, daß der Palast von Pylos im wirtschaftlich stärksten Gebiet des Reiches gestanden hat61 und somit zum Distrikt pe-to-no gehörte.62 Dieser Annahme steht lediglich entgegen, daß pe-to-no – von den diversen Distriktslisten abgesehen – nie in den Pylostafeln erwähnt wird. Man sollte aber doch annehmen, daß – auch verwaltungstechnisch – die engsten Beziehungen des Palastes zu seinem eigenen Umland existierten, die sich auch in den ›Verwaltungsurkunden‹ hätten niederschlagen müssen. Der zweite für das Pylos-Umland in Frage kommende Distrikt ist pa-ki-ja-ne. pa-ki-jane ist der mit Abstand am häufigsten in den Pylos-Tafeln genannte Distrikt und somit der, der wohl die engsten Beziehungen zum Palast von Pylos hatte. Zudem scheint pa-ki-ja-ne auch die für den Palast wichtigsten Heiligtümer beherbergt zu haben.63 Als stärkstes Argument spricht wohl die Existenz einer Art von Kataster, der die Landbesitzverhältnisse in paki-ja-ne festhält, für pa-ki-ja-ne als Umland von Pylos.64 Es darf wohl als sicher gelten, daß der Palast an einer genauen Aufstellung der Landbesitzverhältnisse interessiert sein mußte und daß dies in allererster Linie für das unmittelbar um den Palast gelegene Gebiet Geltung hat. Gegen pa-ki-ja-ne als Distrikt, in dem der Palast lag, spricht lediglich die Tatsache, daß pa-ki-ja-ne – den Ma-Tafeln zufolge – kein besonders reicher Distrikt war. Doch könnte gerade der Umstand, daß der Palast selbst mit all seinen direkt ihm unterstehenden Ländereien sowie den abgabefreien Ländereien des wa-na-ka und des ra-wa-ke-ta65 im Distrikt paki-ja-ne lag, eine Erklärung dafür bieten, daß der ›Rest‹ des Gebiets von pa-ki-ja-ne nicht überdurchschnittlich reich gewesen ist. Man darf ja wohl davon ausgehen, daß die direkt zum Palast gehörenden Gebiete sowie das te-me-no (temenos; Landeigentum) des wa-naka und das des ra-wa-ke-ta zum einen keine Abgaben liefern mußten, zum anderen aber 61 62 63 64 65

Wie ja auch der wirtschaftlich stärkste der Jenseitigen Provinz – ra-wa-ra-ta2 – auch der Sitz der Provinzhauptstadt ist. So Bennet, Conceptualization 144. Siehe dazu auch McDonald, Rapp, Messenia Expedition 108 sowie Chadwick, Mycenaean World 43–45, 90f. Dazu Bennett, Landholders 131–133. Zur Residenz des ra-wa-ke-ta in einem Teil des Palastes von Pylos selbst siehe Bennet, Davies, Making Mycenaeans 117f.

1. Die o-ka-Tafeln

Karte 1 (Klaus Tausend; Kartographie: Richard Szydlak)

131

132

II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

auch keine Zuteilungen empfingen. Zudem lagen – wie schon gesagt – in pa-ki-ja-ne zahlreiche Heiligtümer. Neben dem wa-na-ka und dem ra-wa-ke-ta verfügten aber (als einzige) auch Heiligtümer über ein te-me-no, weshalb anzunehmen ist, daß auch deshalb ein weiterer Teil des Gebietes von pa-ki-ja-ne nicht abgabenpflichtig war. Schließlich sei auch noch darauf hingewiesen, daß – wie schon oben gezeigt – der Kommandant der 4. o-ka, also der o-ka von pa-ki-ja-ne, in engerer Beziehung zum ra-wa-ke-ta, der nach dem wa-na-ka ranghöchsten Person von Pylos stand.66 Da aber der ra-wa-ke-ta wohl einerseits dem Palast zugehörig zu sehen ist, andererseits aber offensichtlich mit dem Kommandanten von pa-ki-ja-ne in Beziehung stand, dürfte dieser Umstand ebenfalls dafür sprechen, daß der Palast von Pylos im Distrikt pa-ki-ja-ne lag. Aus all dem kann somit festgehalten werden, daß die meisten Hinweise dafür sprechen, daß pa-ki-ja-ne der Distrikt war, in dem Pylos selbst gelegen hat. Dementsprechend wird pa-ki-ja-ne auch im Gebiet zwischen den heutigen Orten Chora und Tragana lokalisiert.67 Danach hätte pa-ki-ja-ne jedoch keinen Zugang zum Meer, da der nächste Hafen, Koryphasion, wohl mit ro-o-wa68 oder aber mit a-ke-re-wa69 zu identifizieren ist. Die Annahme, daß pa-ki-ja-ne über keinen Zugang zum Meer verfügte, würde im übrigen auch erklären, warum die gesamte 4. o-ka vom Hauptquartier wegbeordert wird, da dieses (to-wa) ebenso wie der gesamte Distrikt von pa-ki-ja-ne nicht am Meer gelegen war.70 Die geographische Verteilung der Distrikte in der Nähe von Pylos stellt sich somit wie folgt dar (vgl. Karte 1): Das Gebiet unmittelbar nördlich der Bucht von Navarino (einschließlich des Hafens von Koryphasion) gehört wahrscheinlich zum 6. Distrikt a-ke-re-wa. Der 5. Distrikt, a-pu2 liegt unmittelbar westnordwestlich davon im Gebiet des modernen Iklaina,71 und hatte somit – wie pa-ki-ja-ne – keinen Zugang zum Meer. Folgerichtig war die o-ka von a-pu2 auch dem Hauptquartier der nächsten an der Küste gelegenen o-ka, der von a-ke-re-wa (Koryphasion) zugeteilt. Im Norden schließt das Gebiet von pe-to-no direkt an das von a-ke-re-wa an und umfaßt die gesamte Küstenebene nördlich von Voidokoilia über das Gebiet von Gargaliani bis Filatara.72 Wiederum würde diese geographische Konstellation erklären, weshalb das ausgedehnte Küstengebiet von pe-to-no ein gemeinsames Hauptquartier mit dem Binnenlanddistrikt von pa-ki-ja-ne hatte. Folgerichtig lag auch der Haupthafen für beide o-ka im Gebiet von pe-to-no, eben o-*34-ta. Weshalb o-*34-ta nicht auch – wie z.B. a-ke-re-wa – Hauptquartier für die 3. und 4. o-ka war, liegt wohl daran, daß o-*34-ta – wie oben erwähnt – nur ein Hafen und keine Stadt war. 66 67 68 69 70

71 72

ta-ti-qo-we-u, der o-ka-Kommandant von pa-ki-ja-ne, wird in der Tafel An 724 unmittelbar neben dem ra-wa-ke-ta genannt. So Chadwick, Mycenaean World 43–45; McDonald, Rapp, Messenia Expedition 108 und Hope Simpson, Mycenaean Greece 146; Bennet, Conceptualization 147. Hope Simpson, Mycenaean Greece 146. Bennet, Conceptualization 146. Gleiches ist in der 10. o-ka der Fall, wo das Hauptquartier ti-mi-to a-ko, das mit Nichoria identifiziert wird, nicht am Meer gelegen ist, weshalb die gesamte o-ka zu einem Hafenort abkommandiert wird. Hope Simpson, Mycenaean Greece 147; Bennet, Conceptualization 147. Hope Simpson, Mycenaean Greece 148; Bennet, Conceptualization 144f.

1. Die o-ka-Tafeln

133

Der Hafen o-*34-ta, der offenbar der wichtigste Hafen von Pylos war und im Distrikt peto-no gelegen ist, muß also im Küstengebiet nördlich von Voidokoilia gesucht werden, wobei man ihn jedoch nicht allzu weit nördlich ansetzen darf, da etwa in der Gegend von Gargaliani die vorauszusetzende Nähe zum Palast von Pylos nicht mehr gegeben ist. Weiters ist – wie gesagt – ein Hafen zu suchen, zu dem keine Siedlung gehörte. Erschwert wird diese Suche durch die Tatsache, daß die Westküste Messeniens in diesem Bereich nicht gerade reich an Stellen ist, die als Hafen geeignet erscheinen. Dementsprechend findet sich entlang der gesamten Küstenlinie zwischen Voidokoilia und dem Gebiet von Gargaliani – genauer gesagt der Stätte Ordines73 westlich von Gargaliani – keine Hafenstadt aus mykenischer Zeit.74 In den Jahren 1992 bis 1995 führte ein internationales Forscherteam unter amerikanischer Leitung das ›Pylos Regional Archaeological Projekt‹ durch, dessen topographische Untersuchungen sich vor allem auf die Umgebung des ›Nestorpalastes‹ von Ano Englianos konzentrierten. Im Zuge dieses Projektes75 gelang die Entdeckung einer aufwendigen wasserbaulichen Anlage mykenischer Ingenieurskunst: Etwa 5km westsüdwestlich des Palastes von Pylos, südwestlich des heutigen Ortes Tragana und ca. 500m von der Küste entfernt, entdeckte man eine natürliche Senke, die in spätmykenischer Zeit künstlich vertieft und erweitert worden war. Auf diese Weise entstand ein etwa 400m langes und 250m breites Becken, das offenbar als besonders geschütztes Hafenbecken diente. Zu diesem Zweck hatte man nämlich das Becken durch einen 500m langen Stichkanal mit dem Meer verbunden. Weiters wurde mittels eines Dammes der Fluß Selas nordöstlich des Hafenbeckens gestaut, sodaß ca. 200m oberhalb des Beckens ein Stausee entstand, den man wiederum durch einen Kanal mit dem Hafenbecken verband. Dies war notwendig, um das Hafenbecken ständig mit sauberem Fließwasser zu versorgen, was ein Verlanden des Hafens verhindern sollte. Der Stausee nahm also das Wasser des Selas auf, die Sinkstoffe des Flusses konnten sich durch das Aufstauen ablagern und das saubere von Sinkstoffen freie Wasser wurde in das Hafenbecken geleitet, durchfloß dieses und gelangte schließlich ins Meer. Es handelt sich hierbei um eine höchst aufwendig angelegte künstliche Hafenanlage an der Westküste Messeniens, an einer Stelle, die den kürzesten und einfachsten Zugang zum Palast von Pylos entlang des Selas-Flußlaufes ermöglichte. Unzweifelhaft stand also diese künstliche Hafenanlage mit dem Palast in Verbindung und wurde wohl mit Sicherheit von diesem erbaut.76 Warum aber wurde eine so aufwendige und somit auch teure Hafenanlage für den Palast geschaffen, obwohl sich am Nordende der Bucht von Navarino bereits bestehende Hafenorte – vor allem Koryphasion – als Hafen für den Palast angeboten hätten? Der Grund für die Anlage dieses künstlichen Hafens wird wohl in dem Umstand gelegen sein, daß die Häfen am Nordende der Bucht von Navarino für den Palast sowohl zu weit entfernt als auch zu umständlich zu erreichen waren. Auf je73 74 75 76

Ordines wird zuweilen auch mit pe-to-no identifiziert; siehe Bennet, Conceptualization 144. Siehe die Karte bei Hope Simpson, Mycenaean World 144. Siehe ausführlich Zangger, Timpson, Yavzenko, Kuhnke, Knauss, PRAP 619–623 und Zangger, The Port of Nestor 69–74. Siehe hierzu Bennet, Davies, Making Mycenaeans 106.

134

II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

den Fall aber zeigt dieser aufwendige künstliche Hafen deutlich, welcher Stellenwert ihm seitens des Palastes zugemessen wurde.77 Wo aber lag dieser künstliche Hafen innerhalb der Geographie der Linear-B-Tafeln von Pylos? Zum einen kann festgehalten werden, daß bekannte Hafenstädte wie etwa a-ke-rewa oder ro-o-wa als Ort dieses Hafens auszuschließen sind, da – wie gesagt – es sich bei diesen nicht bloß um Häfen, sondern auch um Städte mit dort ansässigen Mannschaften handelte, während zu dem künstlichen Hafen offenbar keine Siedlung gehörte. Zieht man weiters in Betracht, daß – wie oben gezeigt – der Distrikt pa-ki-ja-ne wohl beim heutigen Ort Tragana endete und der Distrikt a-ke-re-wa nur den Landstrich unmittelbar nördlich der Bucht von Navarino umfaßte, so drängt sich der Schluß auf, daß der künstliche Hafen von Pylos in dem Distrikt gelegen haben mußte, der nördlich an a-ke-re-wa und westlich an paki-ja-ne anschloß, also in pe-to-no. Sucht man nun unter den in den o-ka-Tafeln erwähnten Stationierungsorten – denn, daß dieser künstliche Hafen mit direktem Zugang zum Palast von Pylos im Falle einer Bedrohung von See her militärisch geschützt wurde, dürfte außer Frage stehen – so kommt zuerst der Ort wa-wo-u in Betracht, da dorthin immerhin die gesamte o-ka von pa-ki-ja-ne, dem Distrikt von Pylos, gesandt wurde. Da wa-wo-u sonst in den Tafeln von Pylos nicht aufscheint, könnte es sich tatsächlich um einen Hafen ohne Siedlung gehandelt haben. Gegen diese Identifikation spricht jedoch, daß wa-wo-u mit nur 60 Mann gesichert wurde, was der hohen Bedeutung, die der künstliche Hafen für Pylos fraglos gehabt haben muß, keineswegs entspricht. Somit bleibt als wahrscheinlichster Kandidat für den künstlichen Hafen von Pylos nur noch das – allerdings außerhalb der o-ka-Tafeln in keinem anderen pylischen Text genannte – o-*34-ta, das wohl alle Bedingungen für die Identifizierung mit dem künstlichen Hafen erfüllt: 1. o-*34-ta lag – wie auch der künstliche Hafen – im Distrikt pe-to-no. 2. Wie der künstliche Hafen, muß o-*34-ta für den Palast von besonderer, ja überragender (militärischer und/oder wirtschaftlicher) Bedeutung gewesen sein, da es von 200 Mann bewacht wurde. 3. Trotz dieser offenkundigen Bedeutung scheint es sich bei o-*34-ta nur um einen Hafen, aber nicht um eine Siedlung gehandelt zu haben, ein Umstand, der auch auf den archäologisch erschlossenen künstlichen Hafen zutrifft. Mit aller gebotenen Vorsicht – vor allem aufgrund der nur lückenhaften Kenntnis pylischer Geographie sowohl hinsichtlich der textlichen als auch hinsichtlich der archäologischen Evidenz – kann also festgehalten werden, daß der in jüngster Zeit von Archäologen entdeckte künstliche Hafen unweit des Palastes von Pylos mit dem in den o-ka-Tafeln durch seine starke militärische Besatzung hervorgehobenen Ort o-*34-ta identifiziert werden könnte.78

77 78

Shelmrdine, Where do we go from here? 293. Vgl. Hope Simpson, Messenia 57, der ro-o-wa als den künstlichen Hafen von Pylos ansieht.

1. Die o-ka-Tafeln

135

1.6 Die einzelnen Truppen und ihre Herkunft 1.6.1 Die Bezeichnungen der einzelnen Truppen Als Bezeichnungen für die in den einzelnen o-ka vorhandenen Truppen erscheinen in den o-ka-Tafeln insgesamt sechs Begriffe: o-ka-ra3, ke-ki-de, ku-re-we, u-ru-pi-ja-jo, i-wa-so und ko-ro-ku-ra-i-jo. Nicht zuletzt mangels anderer Worterklärungen werden hinter diesen Namen ethnische Bezeichnungen vermutet.79 Es würden also damit nicht Truppengattungen im engeren Sinn bezeichnet, sondern Krieger nach ihrer ethnischen Herkunft benannt, vergleichbar etwa den ›Kretern‹ späterer Zeit, die in vielen griechischen Heeren als Söldner (Bogenschützen) dienten. Jedenfalls seien mit diesen sechs Bezeichnungen wohl landfremde Söldnerkontingente gemeint, deren Namen die genauere Herkunft angaben. Daraus folgt aber, daß das gesamte in den o-ka organisierte, zur Küstenverteidigung aufgestellte pylische Heer aus fremden Söldnerkontingenten bestanden hätte. Dies bedeutet aber wiederum, daß man zu diesen Söldnern noch das eigentliche Landesaufgebot des Reiches von Pylos rechnen müßte, um auf die Gesamtheeresstärke dieses mykenischen Staates zu kommen, was angesichts der geringen Zahl der o-ka-Truppen auch selbstverständlich wäre.80 Auf die Frage der Heeresstärke des pylischen Aufgebotes soll noch weiter unten genauer eingegangen werden,81 vorerst aber zu den Truppenbezeichnungen. Zwei Tatsachen sprechen gegen die Auffassung, daß es sich bei allen Truppen-Namen um ethnische Bezeichnungen handelt. 1. Wenn die Bezeichnungen der Truppen selbst bereits die Angabe ihre Herkunft beinhalten, dann sollte es keiner weiteren Bestimmung ihrer Herkunft bedürfen. Die meisten Truppen besitzen jedoch eine Angabe ihrer Herkunft in adjektivischer Form, welche nicht mit dem Hinweis auf den Stationierungsort verwechselt werden darf, da dieser – wie oben gezeigt – gesondert vermerkt ist. Zwar kann die Herkunftsangabe mit dem Stationierungsort ident sein, wie bei der in o-wi-to-no stationierten o-wi-tini-jo o-ka-ra3, meist jedoch ist dies nicht der Fall. Zudem gibt es mehrere Truppen die eine völlig unterschiedliche Herkunftsangabe besitzen (z.B. me-ta-pi-jo ke-ki-de und ku-pa-ri-si-jo ke-ki-de), was bei der Deutung von ke-ki-de als ethnische Angabe widersinnig wäre. Bei einer genaueren Betrachtung der einzelnen Truppenbezeichnungen fällt auch auf, daß von den 26 genannten Truppen nur 14 eine Herkunftsangabe besitzen, während zu sieben keine Angaben bezüglich der Herkunft gemacht wird; die restlichen fünf (in der o-ka von pa-ki-ja-ne) werden kumulativ als pe-di-je-we bezeichnet und sollen gesondert behandelt werden. Bei den Truppen ohne Herkunftsangabe handelt es sich ausnahmslos um Truppen mit der Bezeichnung i-wa-so oder ko-ro-ku-ra-i-jo während o-ka-ra3, ke-ki-de, u-rupi-ja-jo und ku-re-we immer eine Herkunftsangabe besitzen. Wenn es sich nun bei den Truppenbezeichnungen tatsächlich um Ethnika handelte, so wäre es doch sehr 79 80 81

Gschnitzer, Heerwesen 259f. und Gschnitzer, Stammesnamen 90f.; Chadwick, Mycenaean World 175f. und Driessen, MacDonald, Military Aspects 50f. Siehe Gschnitzer, Heerwesen 261–263. II 1.9.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

befremdlich, daß bestimmte Truppen – und zwar immer dieselben – zusätzlich noch eine genauere Bestimmung ihrer Herkunft tragen, während bei anderen immer nur das generelle Ethnikon angegeben wird. Wesentlich plausibler scheint daher die Annahme, daß es sich zwar bei den Namen i-wa-so und ko-ro-ku-ra-i-jo um ethnische Bezeichnungen82 handelt, womit durch die Nennung allein schon ihre Herkunft feststand, daß die Namen o-ka-ra3, ke-ki-de, ku-re-we und u-ru-pi-ja-jo jedoch Gattungen von Truppen bezeichnen – möglicherweise auch den Verwendungszweck –, die daher eine zusätzliche Ortsangabe zur Kennzeichnung ihrer Herkunft benötigten. Dies schließt jedoch die Annahme nicht aus, daß es sich auch bei diesen Truppenbezeichnungen – oder einigen davon – ursprünglich um Ethnika gehandelt hat, daß diese jedoch zum Zeitpunkt der Abfassung der o-ka-Tafeln den Charakter der Herkunftsbezeichnung bereits verloren haben und vielmehr ihre Bewaffnung und/oder ihren Verwendungszweck bezeichneten.83 Stimmt diese Annahme aber, so kann es sich bestenfalls bei den i-wa-so und ko-roku-ra-i-jo um Söldner gehandelt haben, während die anderen, mit Gattungsnamen bezeichneten Truppen zum Aufgebot des Landes zu zählen sind. Wesentlich wahrscheinlicher ist es übrigens, daß auch in den i-wa-so und ko-ro-ku-ra-i-jo Aufgebote aus dem Gebiet des Reiches von Pylos zu sehen sind, die jedoch als Herkunftsangabe nicht einen Ortsnamen, sondern – statt des Gattungsnamen – ein Ethnikon tragen; als Parallele mögen hier die Skiriten im Heer der Spartaner dienen, deren Bezeichnung gleichzeitig Herkunftsangabe und Funktionsbezeichnung einer bestimmten Truppe war.84 2. Bezeichnungen von Truppen findet man auf Linear B-Tafeln auch außerhalb von Pylos. Im Archiv von Knossos haben sich auf einigen Tafeln ebenfalls Namen erhalten, die Truppenbezeichnungen sein dürften.85 Die solcherart gedeuteten Bezeichnungen lauten: o-ka-ra3,86 ku-re-we,87 u-ru-pi-ja-jo,88 ke-ki-de,89 a-da-wo-ne und i-ja-wone.90 Wie unschwer zu erkennen, tauchen die ersten vier Bezeichnungen auch in den o-ka-Tafeln auf, während die Bezeichnungen a-da-wo-ne und i-ja-wo-ne auf Knossos beschränkt sind. Die Erklärung für den Umstand, daß o-ka-ra3, ke-ki-de, u-ru-pi-ja-jo und ku-rewe sowohl in Pylos als auch in Knossos bekannt sind, während ko-ro-ku-ra-i-jo und i-wa-so nur in Pylos, a-da-wo-ne und i-ja-wo-ne nur in Knossos aufscheinen, könnte 82 83

84 85 86 87 88 89 90

Speziell zur Bezeichnung i-wa-so siehe Krigas, Pylian i-wa-so 61–66. Als weit hergeholter Vergleich sei hier der ›Thraker‹ in der römischen Arena genannt. Ursprünglich bezeichnete dies die Herkunft des Gladiators mit seiner spezifischen angestammten Bewaffnung. Später sagte die Bezeichnung ›Thraker‹ nur mehr etwas über die Bewaffnung und Kampfesweise des jeweiligen Gladiators aus. Zu den Skiriten siehe Thuk. 5,67; 68,3; Xen. hell. 5,2,24; 5,4,52. Vgl. Christien, Lacedaemonian state 172. Driessen, MacDonald, Military Aspects 49–56. KN Xd 70 und X 7631. KN X 7668 und B 164. KN Fh 392. KN F 7362. Beide in KN B 164.

1. Die o-ka-Tafeln

137

darin bestehen, daß die in beiden Archiven bezeugten Namen eben Truppengattungen hinsichtlich ihrer militärischen Funktion oder ihrer Bewaffnung bezeichnen, während die übrigen jeweils nur in Knossos oder Pylos bezeugten Namen ethnische Benennungen sind. Die vier funktionalen Truppenbezeichnungen (und somit die Truppen selbst) sind natürlich in beiden mykenischen Staaten vorhanden, während die mit einem Ethnikon bezeichneten Truppen auf Pylos oder Knossos beschränkt waren; es kann auch nicht verwundern, daß ein bestimmtes in Messenien beheimatetes Ethnos nur in der pylischen Armee aufscheint, nicht aber in der knossischen. Dies bestätigt auch die oben vorgetragene Annahme, daß es sich bei i-wa-so und ko-ro-kura-i-jo um Ethnien des messenischen Raumes oder unmittelbar benachbarter Gebiete handelte und nicht um Söldner aus weit entfernten Teilen der ägäischen Welt. Solche Söldner dürfte man nämlich auch im Heer von Knossos erwarten und nicht nur in der pylischen Armee. Es spricht also auch ein Vergleich der Truppennamen in den Archiven von Pylos und Knossos dafür, daß es sich bei den o-ka-ra3, u-ru-pi-ja-jo, ke-ki-de und ku-re-we um eine Form von Waffengattungen handelte, die sowohl in Pylos als auch in Knossos Verwendung fanden, während die mit ethnischen Bezeichnungen benannten koro-ku-ra-i-jo und i-wa-so nur im Reich von Pylos vorkamen, wie es a-da-wo-ne und i-ja-wo-ne nur auf Kreta gab. Die Frage, welche Truppengattung mit o-ka-ra3, ke-ki-de, u-ru-pi-ja-jo und ku-re-we bezeichnet wurden, läßt sich mangels zusätzlicher Informationen über diese Truppen aus den Schriftzeugnissen nicht beantworten. Lediglich aus den Zahlenangaben in den o-ka-Tafeln lassen sich einige wenige Anhaltspunkte gewinnen. So fällt auf, daß die zahlenmäßig stärksten Einzeltruppen mit einer Durchschnittsgröße von 50 Mann die Bezeichnung o-ka-ra3 tragen. ku-re-we sind durchschnittlich 43 Mann stark, gefolgt von i-wa-so und ko-ro-kura-i-jo mit durchschnittlich 33 bzw. 32 Mann. Die kleinsten Einheiten sind u-ru-pi-ja-jo mit 23 und ke-ki-de – die am häufigsten genannte Truppenart – mit 20 Mann. Möglicherweise hat man in den größeren Einheiten Truppen, die gemeinsam in Verbänden operierten, zu sehen, während die kleinen Einheiten (wie die ke-ki-de) als bewegliche Einzelkämpfer eingesetzt wurden. Angesichts der jedoch sehr unterschiedlichen Größe von Kontingenten derselben Gattung – so gibt es eine o-ka-ra3 von 30 Mann und eine von 110 Mann – können solche Überlegungen nur sehr spekulativ bleiben. Auf dieses Problem wird jedoch noch weiter unten genauer eingegangen werden.91 Ein anderer seltsam anmutender Umstand in den o-ka-Tafeln läßt sich nun mit der Annahme verschiedener Waffengattungen erklären. So verwundert auf den ersten Blick die Tatsache, daß die o-ka von me-ta-pa durch Truppen aus o-wi-to-no, dem Hauptquartier der o-ka von pi-*82 verstärkt wurde, während andererseits Truppen aus me-ta-pa in der oka von pe-to-no dienten. Man sollte annehmen, daß es einfacher gewesen wäre, direkt Truppen von pi-*82 nach pe-to-no zu schicken ohne den ›Umweg‹ über me-ta-pa zu nehmen. Gründe der geographischen Nähe können für diese Maßnahme nicht verantwortlich gemacht werden, da auch Truppen aus dem weit entfernten ka-ra-do-ro nach o-*34-ta in 91

II 1.9.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

pe-to-no abkommandiert wurden, während in ka-ra-do-ro Truppen aus der o-ka von ri-jo stationiert wurden. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, daß me-ta-pa ke-kide-Truppen nach pe-to-no abstellte, während eine o-ka-ra3 von pi-*82 in die o-ka von meta-pa abgestellt wurde. Ähnliches gilt für ka-ra-do-ro: Truppen der Gattung u-ru-pi-ja-jo und ku-re-we wurden nach pe-to-no verlegt, während ko-ro-ku-ra-i-jo von ri-jo in ka-rado-ro stationiert wurden. Leitet man aus dieser Beobachtung mit aller gebotenen Vorsicht eine Regel ab, so lautet diese, daß, wenn Truppen eines Distrikts in einen anderen Distrikt abkommandiert werden und durch Truppen eines dritten Distrikts ersetzt werden, diese niemals zur selben Gattung gehören wie die Truppen, an deren Stelle sie nun eingesetzt werden. Offenbar wurden demnach in me-ta-pa – vielleicht aufgrund der spezifischen topographischen Situation im zu bewachenden Küstenabschnitt e-ra-po ri-me-ne – Truppen der Gattung o-ka-ra3 benötigt, während andererseits ke-ki-de-Truppen entbehrlich waren und nach pe-to-no geschickt werden konnten. Ähnliches mag auch für den ›Truppenaustausch‹ im Distrikt ka-ra-do-ro gelten. 1.6.2 Die Herkunftsangaben der einzelnen Truppen Neben ihrer ›Gattungsbezeichnung‹ haben diejenigen Truppen, deren Name – wie oben zu zeigen versucht wurde – keine Ethnosbezeichnung ist, auch immer die Angabe ihrer Herkunft bei sich, meist in der adjektivischen Form eines Ortsnamens. Nur in einem einzigen Fall ist der Herkunftsort einer Truppe mit ihrem Einsatzort identisch. Bezüglich der Herkunftsorte der einzelnen Truppen können nur wenige Aussagen getroffen werden, da die meisten Orte nicht zu lokalisieren sind. Lediglich für die Truppen der o-ka von pi-*82, me-ta-pa und pe-to-no kann festgehalten werden, daß die einzelnen Truppen aus dem Norden des Pylischen Reiches zu stammen scheinen. In der o-ka von pi-*82 gibt es nur eine Truppe, eine o-ka-ra3 Einheit, die als aus o-wi-tini-jo bezeichnet wird. In diesem Fall stammte also die Truppe aus dem Ort, in dem sie auch eingesetzt wurde, aus der (wohl bedeutenden) Hafenstadt o-wi-to-no. Die o-ka von me-ta-pa umfaßt vier Truppen, eine o-ka-ra3 Einheit und drei ke-ki-de, deren Einsatzorte allesamt sonst unbekannt und wohl nur Gebietsbezeichnungen sind. Die oka-ra3 stammt ebenso wie die in pi-*82 aus o-wi-to-no und zwei ke-ki-de Einheiten werden als ku-pa-ri-si-jo bezeichnet, was auf den später bekannten Ort Kyparissos im Norden Messeniens hindeuten könnte, der jedoch in den anderen Pylos-Tafeln keine Erwähnung findet. Die dritte ke-ki-de Truppe trägt die Herkunftsbezeichnung a-pu2-ka-ne, stammte also aus dem Ort a-pu2-ka; dieselbe Herkunftsangabe gilt auch für eine ke-ki-de Truppe der 6. o-ka. Diese beiden ke-ki-de a-pu2-ka-ne waren jedoch in den relativ weit von einander getrennten o-ka von me-ta-pa und a-ke-re-wa stationiert. Bemerkenswert ist hierbei, daß neben der ke-ki-de a-pu2-ka-ne in der me-ta-pa-o-ka auch der Unteranführer ma-ra-te-u tätig war, der ebenfalls aus a-pu2-ka stammte. Ähnliches gilt für die o-ka von a-ke-re-wa, wo nicht nur eine ke-ki-de a-pu2-ka-ne Dienst tat, sondern auch der aus a-pu2-ka stammende e-qe-ta ka-e-sa-me-no. Offenbar standen diese beiden o-ka durch ihre Kontingente und Offiziere aus a-pu2-ka in engerer Verbindung, was auch zusätzlich durch den Umstand un-

1. Die o-ka-Tafeln

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terstrichen wird, daß ein e-qe-ta der o-ka von me-ta-pa, nämlich a3-ko-ta, der Bruder eines e-qe-ta der o-ka von a-ke-re-wa namens di-ko-na-ro ist, da beide als Söhne des a-da-ra-to bezeichnet werden. Nicht zu entscheiden ist vorerst jedoch die Frage, ob der Ort a-pu2-ka nun im Gebiet von me-ta-pa oder im Distrikt a-ke-re-wa lag,92 da sowohl Unteranführer als auch e-qe-ta in einer o-ka Dienst tun konnten, die nicht das Aufgebot des Distriktes ihrer Heimatstadt war. So finden sich die aus me-ta-pa stammenden Unteranführer pe-ri-te-u und e-ru-ta-ra ebenso in der o-ka von pe-to-no, wie der vermutlich gleichfalls aus me-ta-pa stammende eqe-ta a-re-ku-tu-ru-wo. Zu erklären könnte dieser Fall übrigens mit der schon oben erwähnten Anwesenheit relativ starker (50 Mann) Kontingente aus me-ta-pa in der o-ka von pe-to-no sein. Nun zu eben dieser o-ka von pe-to-no. Diese umfaßte lediglich zwei Truppen, die beide beim Hafen o-*34-ta stationiert waren, eine Einheit der ke-ki-de und eine der ku-re-we. Die ke-ki-de Truppe stammt ihrer Benennung als me-ta-pi-jo gemäß offenkundig aus der Hauptstadt des zweiten Distriktes me-ta-pa, obwohl sie der o-ka pe-to-no angehörte. Die zweite Truppe, eine ku-re-we Einheit, wird als u-pi-ja-ki-ri-jo bezeichnet, stammte also aus dem Ort u-pi-ja-ki-ro. Da dieser Ort sonst in den Pylos-Tafeln völlig unbekannt ist, gestaltet sich eine Lokalisierung sehr schwierig, doch existiert möglicherweise ein Hinweis darauf in der Tafel Ma 90. Die Ma-Serie verzeichnet, wie schon erwähnt, die Abgaben einzelner Produkte, welche die einzelnen Distrikte des Reiches von Pylos zu leisten hatten. Die Tafel Ma 90 nennt nun die Abgaben des Distrikts me-ta-pa und erwähnt unter den zur Abgabenleistung verpflichteten Gruppen, die ihr Soll nicht erfüllt haben, neben Schmieden auch eine ku-re-we Einheit. Angesichts der Tatsache, daß ku-re-we Truppen im allgemeinen sehr selten erwähnt werden und für me-ta-pa im speziellen nur die ku-re-we u-pi-ja-ki-ri-jo bekannt sind, liegt die Vermutung nahe, daß die in Ma 90 genannten ku-re-we aus me-ta-pa mit den in der oka von pe-to-no verzeichneten ku-re-we u-pi-ja-ki-ri-jo, die am selben Ort eingesetzt wurden wie eine ke-ki-de Einheit aus me-ta-pa, identisch sind. Sie stammten demnach aus demselben Distrikt wie die ke-ki-de Einheit, jedoch nicht aus der Hauptstadt me-ta-pa selbst, sondern aus dem im Distrikt me-ta-pa gelegenen unbedeutenden Ort u-pi-ja-ki-ro. Ein besonderes Problem bezüglich der Herkunft stellen die Truppen der o-ka von pa-kija-ne dar. Die insgesamt fünf Truppen – je eine ke-ki-de, u-ru-pi-ja-jo, ku-re-we, i-wa-so und o-ka-ra3 – haben keine gesonderten Herkunftsangaben, sondern werden kumulativ als pe-di-je-we, also als ›Leute von der Ebene‹ oder ›Leute vom Land‹ bezeichnet. Die Begründung für diesen in den o-ka-Tafeln einzigartigen Umstand könnte in der besonderen Stellung von pa-ki-ja-ne zu suchen sein. Wie schon oben genauer ausgeführt, sprechen einige Argumente dafür, daß pa-ki-ja-ne jener Distrikt war, in dem der Palast von Pylos selbst lag. Wie ebenfalls schon ausgeführt, handelt es sich bei den in den einzelnen o-ka konzentrierten Truppen um Aufgebote der einzelnen Distrikte – fallweise verstärkt durch Truppen aus anderen Distrikten – , weshalb auch die Kommandanten der o-ka aus den Reihen der lokalen zivilen Verwaltungsbeamten (qa-si-re-u, mo-ro-qa, ko-re-te etc.) bestimmt wurden. Von diesen lokalen Aufgeboten getrennt ist natürlich der Palast von Pylos selbst mit seinen Beamten und den dort konzentrierten Streitkräften zu sehen. Der Distrikt pa-ki-ja-ne ist 92

Siehe dazu ausführlich II 4.4 bei der Behandlung der e-qe-ta.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

also sowohl was die Zivilverwaltung als auch was das Militärwesen betrifft gleichsam zweigeteilt. Zum einen existierte hier der Palast mit seiner zentralen Verwaltungsstruktur, seinen Beamten und seinen mit Landwirtschaft, gewerblicher Produktion und Handel beschäftigten Menschen sowie seinen Kriegern, die in Bewaffnung und Ausbildung als die militärische Elite des Reiches anzusehen sind und wohl Berufssoldaten gewesen sein dürften. Zum anderen aber gab es den Distrikt außerhalb des Palastes mit seinen lokalen Beamten, den Landbesitzern und Handwerkern und mit seinem in der o-ka organisierten lokalen Aufgebot. Möglicherweise wurde zur Herkunftsbezeichnung dieser lokalen Kontingente von pa-ki-ja-ne der Begriff pe-di-je-we im Sinn von ›Leute vom Land‹ gewählt, um sie von den ebenfalls im Distrikt pa-ki-ja-ne stationierten Soldaten zu unterscheiden, die direkt dem Palast und seinen Offizieren (vor allem dem ra-wa-ke-ta und den e-qe-ta) unterstanden. Als – wenngleich auch zeitlich weit entferntes – Parallelbeispiel zu der Bezeichnung pedi-je-we sei hier die Bevölkerungseinteilung Attikas im 6. Jh. v.Chr. erwähnt. Es ist hier nicht der Ort, auf die politischen und sozio-ökonomischen Implikationen der sogenannten Drei-Parteien-Geschichte im archaischen Athen einzugehen,93 sondern lediglich auf die in diesem Zusammenhang interessierenden Bezeichnungen der ›Stasis-Parteien‹. Zum ersten Mal von Herodot94 überliefert und sodann von Aristoteles95 und Plutarch96 wieder erzählt, war die Bevölkerung Attikas auf drei regionale Gruppen aufgeteilt: Die Leute aus der Kephisosebene, die Bewohner der Küstengebiete und die im Hügelland wohnhaften Menschen. Dementsprechend war die Bezeichnung für die Küstenbewohner ›Paralier‹, für die Leute aus dem Hügelland Hyperakrier (bei Herodot) bzw. Diakrier (bei Aristoteles und Plutarch) und für die Bewohner der Kephisosebene ›Pediaker‹ (bei Aristoteles) bzw. ›Pedieis‹ (bei Plutarch).97 Herodot verwendet für diese letzte Gruppe die Umschreibung ›die aus der Ebene‹. Von Interesse ist hierbei die Tatsache, daß es in Attika zwar mehrere Ebenen (die am Kephisos, die von Marathon, die von Brauron und die von Eleusis) gab, die am Kephisos allerdings die Ebene war, deren Bewohner somit auch schlichtweg als ›Pediaker‹ oder ›Pedieis‹ bezeichnet werden konnten. Noch ein Punkt ist hier von Bedeutung: In dieser Ebene am Kephisos lag auch die Stadt Athen selbst; dennoch sind deren Bewohner nicht unter den ›Pediakern/Pedieis‹ inbegriffen, da sich in der Hauptstadt adelige Vertreter aller drei ›Parteien‹ niedergelassen hatten, die ihre Besitzungen sowohl in der Kephisosebene als auch an der Küste und im Hügelland hatten. Die Bezeichnung ›Pediaker‹ oder ›Pedieis‹ diente also einerseits zur Unterscheidung der Bewohner dieser Ebene von denen des Hügellandes und den an der Küste siedelnden, andererseits aber wohl auch zur Differenzierung der ländlichen Bevölkerung der Kephisosebene von den Einwohnern der ebenfalls in dieser Ebene gelegenen Hauptstadt des Landes, Athen. 93 94 95 96 97

Zu den drei ›Landschaftsgruppen‹ in Athen siehe vor allem Hopper, ›Plain‹, ›Shore‹ and ›Hill‹ 189–219 und Stahl, Aristokraten 56–77. Hdt. 1,59–64. Ath. Pol. 13,4–15,5. Solon 13. Zu den unterschiedlichen Bezeichnungen siehe Rhodes, Commentary 184–186.

1. Die o-ka-Tafeln

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Die o-ka von a-pu2 umfaßte – neben einer ko-ro-ku-ra-i-jo Einheit – nur eine Truppe, eine ke-ki-de wa-ka-ti-ja-ta. Der aus diesem Adjektiv zu erschließende Ortsname wa-ka-tija (wie Tegea – Tegeates) oder wa-ka-ti-jo (wie Lepreon – Lepreatai) ist sonst unbekannt, weshalb diese Truppe lokal nicht zugeordnet werden kann. In der o-ka von a-ke-re-wa diente neben einer ko-ro-ku-ra-i-jo Einheit und den schon oben besprochenen ke-ki-de a-pu2-ka-ne eine weitere ke-ki-de Truppe mit der Bezeichnung ne-wo. Ob hinter dieser Bezeichnung freilich eine Herkunftsangabe steht oder das Adjektiv neos im Sinne on ›neu-gebildet‹ oder ›neu-ausgehoben‹, kann nicht gesagt werden, zumal ein Ort ähnlichen Namens nicht bekannt ist, was allerdings auch für die Mehrzahl der Herkunftsangaben in den o-ka-Tafeln gilt. Ähnliches wie für die ke-ki-de wa-ka-ta-ja kann auch über die einzige Truppe der o-ka von ro-u-so, eine o-ka-ra3 Einheit mit der Bezeichnung a2-ra-tu-wa, gesagt werden. Dahinter könnte wohl ein Ort a2-ra-tu stehen, der jedoch völlig unbekannt und demnach nicht lokalisierbar ist. In der o-ka von ka-ra-do-ro findet man neben einer erwartungsgemäß beinamenlosen iwa-so Truppe eine u-ru-pi-ja-jo und eine ku-re-we Einheit die als o-ru-ma-si-jo bzw. als piru-te bezeichnet werden. Hinter dem Adjektiv o-ru-ma-si-jo steht unzweifelhaft der Ortsname o-ru-ma-to, wie aus der Tafel Cn 3 hervorgeht, in der diese u-ru-pi-ja-jo Einheit erwähnt wird – allerdings mit der genaueren Ortsangabe in substantivischer Form (o-ru-mato). Der hinter pi-ru-te möglicherweise stehende Ortsname pi-ru (nach dem Muster Aipy) ist aus keiner der Pylos-Tafeln bekannt. Schließlich sei als letzte Herkunftsangabe noch a2-ka-a2-ki-ri-jo genannt, womit eine uru-pi-ja-jo Einheit der o-ka von ti-mi-to a-ko bezeichnet wird. Auch der hinter diesem Adjektiv zu vermutende Ortsname a2-ka-a2-ki-ro ist sonst nicht bekannt und die Herkunft dieser Truppe somit nicht eruierbar. Einen Hinweis auf die ungefähre Lage der Herkunftsorte a2-ra-tu, o-ru-ma-to und pi-ru liefert allerdings die schon am Beginn dieses Kapitels besprochene Pylos-Tafel Cn 3. Unter den dort zur Ablieferung von Rindern verhaltenen Gruppen befinden sich die a2-ra-tu-a oka-ra3, die pi-ru-te ku-re-we und die a2-ka-a2-ki-ri-ja-jo u-ru-pi-ja-jo, welche alle unter dem Begriff me-za-na zusammengefaßt werden. Man darf also annehmen, daß die drei genannten Herkunftsorte von Truppen in einem geographischen Zusammenhang stehen, d.h. zu einem bestimmten, begrenzten Gebiet gehörten. Da nun alle drei Einheiten – ebenso wie die vierte in Cn 3 genannte Truppe98 – den o-ka von Distrikten, nämlich ro-u-so, kara-do-ro, ri-jo und ti-mi-to a-ko, zugehörten, die im Bereich der messenischen Halbinsel gelegen sein dürften, ist wohl anzunehmen, daß die Herkunftsorte der einzelnen Truppen ebenfalls in diesem Gebiet zu suchen sind. Zwar ist des öfteren in den o-ka-Tafeln festzustellen, daß Truppen nicht im Distrikt ihres Herkunftsortes eingesetzt wurden, doch geschahen solche Truppenverschiebungen vornehmlich zwischen benachbarten Distrikten und zudem wäre es schon sehr ungewöhnlich, wenn diese Verschiebung alle drei Einheiten betroffen hätte. Betrachtet man nun die Herkunftsorte der einzelnen Truppen in ihrer Gesamtheit, so zeigt sich ein ebenso auffallendes wie unerwartetes Phänomen. Von den insgesamt zwölf 98

Eine i-wa-si-jo-ta in e-na-po-ro.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

Herkunftsangaben betreffen nur zwei größere Siedlungen des Reiches von Pylos (o-wi-tono und me-ta-pa), von denen wiederum nur eine der Hauptort eines Distrikts war. Dies trifft – allerdings in wesentlich geringerem Umfange – auch auf die o-ka Hauptquartiere zu, doch bot sich hierbei die strategische Lage als Erklärung an, was im Fall der Herkunftsorte wohl nicht ins Treffen geführt werden kann. Vielmehr sollte man doch erwarten, daß gerade die größeren Siedlungen des Reiches von Pylos (einschließlich ihres jeweiligen Umlandes) die ergiebigste Rekrutierungsbasis für die Truppen der lokalen Aufgebote darstellten und folglich sich in der Herkunftsangabe der einzelnen Einheiten niederschlugen. Es ist wohl auch höchst unwahrscheinlich, anzunehmen, daß Städte wie ro-o-wa, a-ke-re-wa oder e-na-po-ro zwar als Standorte für Truppen dienten, daß aus ihrer Bevölkerung aber nicht so viele Soldaten rekrutiert wurden, daß die eine oder andere Einheit auch einen entsprechenden Herkunftsnamen trug. Die Ortsbezeichnung in den Beinamen der Truppen kann somit wohl keine Angabe der Herkunft der einzelnen Einheiten sein, im Sinne des Wohnortes der Soldaten in ihrem ›Zivilleben‹. Vielmehr dürfte es sich um den Garnisonsort bzw. den Versammlungsplatz von lokalen Einheiten handeln, die sich eben meist nicht in oder bei den größeren Siedlungen befanden. Man muß folgerichtig mit einer Anzahl von zumindest zwölf ›Kasernen‹ in den Distrikten der Diesseitigen Provinz (einschließlich des jenseitigen Distrikts von ti-mi-to a-ko) rechnen. Unter dieser Annahme erklärt sich auch der befremdliche Umstand, daß aus den meisten Orten nur Truppen einer einzigen Gattung kamen, wie etwa aus o-wi-to-no nur oka-ra3 Einheiten und aus ku-pa-ri-so oder a-pu2-ka nur ke-ki-de. Wenn es sich dabei tatsächlich um die Rekrutierungsorte handelte, so bedürfte es einer Erklärung, warum beispielsweise in o-wi-to-no nur o-ka-ra3 beheimatet waren. Nimmt man hingegen an, daß es sich bei diesen Herkunftsbezeichnungen um Garnisonsstandorte handelte, so erscheint es leicht erklärbar, daß – nicht zuletzt aus militärischen Gründen – bestimmten Kasernen oder Versammlungsplätzen eben Soldaten derselben Waffengattung zugeordnet waren und – so darf man vermuten – sich regelmäßig zu Übungen einfanden, wie es für Milizverbände notwendig ist. Schließlich erscheint die Annahme einer Herkunftsbezeichnung im Sinn von ›Nennung des Garnisonsortes‹ auch aus verwaltungstechnischen Gründen wahrscheinlicher. Für die zentrale Palastverwaltung, die mit Einsatz, Versorgung und Ausrüstung der lokalen Verbände befaßt war, dürfte es wohl eher von Interesse gewesen sein, zu wissen, wo sich die einzelnen Einheiten versammelten, als Informationen darüber zu haben, in welchen Orten die Angehörigen der jeweiligen Einheit rekrutiert worden waren. 1.6.3 Die Mobilität pylischer Einheiten Aus den oben eruierten Informationen über die Herkunft, die Standorte und die Einsatzpunkte der einzelnen Truppen der zehn überlieferten o-ka zeigt sich eine große Variabilität und zuweilen eine geradezu erstaunliche Mobilität der einzelnen Einheiten. Im einfachsten Fall wurden z.B. Männer, die in o-wi-to-no wohnhaft waren, in eine o-wi-ti-ni-jo o-ka-ra3 eingezogen, hatten also ihren Garnisonsort in ihrer Heimatstadt. Bei der Bildung der o-ka von pi-*82 und me-ta-pa wurde dieser Ort auch das gemeinsame Hauptquartier und fungierte zudem als Einsatzort dieser o-ka-ra3.

1. Die o-ka-Tafeln

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Ganz anders erging es unter Umständen einigen aus dem Distrikt me-ta-pa kommenden Männern. Sie stammten z.B. aus einem namentlich uns nicht bekannten Ort dieses Distrikts und wurden in eine ke-ki-de Einheit eingezogen, die ihren Garnisonsstützpunkt in a-pu2-ka hatte. Bei der Bildung der o-ka Verbände wurde diese ke-ki-de Truppe der o-ka von a-ke-re-wa zugeteilt und hatte somit ihr Hauptquartier in a-ke-re-wa, das ja für a-kere-wa und a-pu2 zuständig war. Aus aktuellen Gründen der militärischen Notwendigkeit wurden schließlich Teile der o-ka, darunter diese ke-ki-de a-pu2-ka-ne von a-ke-re-wa zum Schutz der Küste abkommandiert und hatte somit ihren Einsatzort in der Stadt po-ra. Diesen – zumindest für den heutigen Betrachter – fallweise höchst verwirrend anmutenden Verhältnissen mußte natürlich auch eine sehr hoch entwickelte Militärverwaltung Rechnung tragen. Sie hatte in erster Linie die Aufgabe, die zum Teil sehr komplexen Truppenbewegungen evident zu halten, um zum einen die Versorgung und Supplementierung der Truppen gewährleisten zu können und zum anderen, um auf Veränderungen der militärischen Lage möglichst rasch reagieren zu können. Wie sich dies in der Evidenz der Verwaltung niederschlug, zeigt gerade die Tatsache, daß diese komplizierten Truppenbewegungen aus den Angaben der o-ka-Tafeln rekonstruiert werden können. Offenbar wurden sogar Verschiebungen von Einheiten registriert, die noch gar nicht vorgenommen worden, sondern erst geplant waren, wie die Ortsangaben wa-wo-u-de und ne-do-wa-ta-de bezeugen. 1.7 Die den einzelnen o-ka zugeordneten e-qe-ta Den einzelnen o-ka sind insgesamt elf Männer zugeordnet,99 welche die Bezeichnung e-qeta tragen. Wie die umfangreiche Untersuchung von Sigrid Deger-Jalkotzy 100 zu dieser Personengruppe nachweisen konnte, handelte es sich bei den e-qe-ta (vgl. hepomai), ein Titel, der mit ›Gefolgsmann‹ übersetzt werden könnte, um hochrangige Männer in mykenischen Staaten,101 die neben anderen Aufgaben vor allem mit dem Pferd – oder genauer gesagt: mit dem pferdebespannten Streitwagen – in Verbindung zu bringen sind. Zwar sind zuweilen auch andere (zivile) Funktionen der e-qe-ta nachzuweisen, doch bezeugt die überwiegende Zahl der die e-qe-ta betreffenden Linear B-Texte deren Rolle in Zusammenhang mit dem Militärwesen.102 Sie waren Berufssoldaten, die ihren Dienst in der Elitetruppe mykenischer Heere, dem Streitwagenaufgebot, versahen und dafür vom Palast mit materiellen Zuwendungen, vor allem mit Landzuteilungen entlohnt wurden. Ausdrücklich belegt ist diese Entschädigung für militärische Dienste durch Landzuweisung allerdings nur in zwei Fällen. In der Tafel An 724 ist von einem – namentlich allerdings nicht genannten – e-qe-ta im Distrikt ro-u-so die Rede, der ka-ma (vgl. chamai) e-toni-jo hat. Dieser terminus technicus aber bezeichnet offenkundig Landbesitz, für den keine Abgaben zu leisten sind. So beansprucht in den Tafeln Eb 297 und Ep 704 die Priesterin eri-ta ihr Pachtland als e-to-ni-jo also ›abgabenfrei‹. Die Gegenleistung besteht im Fall der 99 100 101 102

Zu diesen elf e-qe-ta siehe Nakassis, Individuals and Society 117–123, 148–151. Deger-Jalkotzy, E-QE-TA. Zur sozialen Herkunft der e-qe-ta siehe Sherratt, Potemkin Palaces 229f. Ausführlich Deger-Jalkotzy, E-QE-TA 17–21.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

Priesterin wohl in ihrer Tätigkeit im Heiligtum für die Gemeinde. Ein zweiter e-qe-ta, der über ka-ma e-to-ni-jo erfügte, scheint a-pi-me-de aus dem Distrikt pa-ki-ja-ne zu sein, wie sich aus einer Kombination der Tafeln Ed 317, Ep 539 und Eb 473 bzw. der dort verzeichneten Getreidemengen ergibt. Demnach gehörten e-qe-ta nicht der lokalen militärischen Verwaltung an, sondern unterstanden wohl direkt dem Palast, auch wenn sie Landbesitz in verschiedenen Gebieten des jeweiligen mykenischen Staates hatten und demnach auch zur lokalen Oberschicht zu zählen sind. 1.7.1 Die gesellschaftliche Stellung der e-qe-ta Von den elf in den o-ka-Tafeln genannten e-qe-ta gehören nun diejenigen (insgesamt sieben), über die uns aus anderen Tafeln Informationen vorliegen, deutlich der lokalen Oberschicht der einzelnen Distrikte an. In der Tafel Aq 218, in der zwölf lokale Potentaten aufgelistet sind, die zur Stellung von Personen verpflichtet wurden, erscheinen drei der in den o-ka-Tafeln genannten e-qe-ta: a-e-ri-qo-ta, Sohn des ke-ko, a3-ko-ta, Sohn des a-da-ra-to, und ro-u-ko, Sohn des ku-sa-me-no. Dieser Gruppe darf wohl auch der e-qe-ta di-ko-na-ro zugerechnet werden, der – durch das Patronymikon a-da-ra-ti-jo ausgewiesen – ein Bruder des a3-ko-ta ist.103 Daß es sich bei diesen Personen durchwegs um Landbesitzer handelt, geht aus der Tafel Aq 218 selbst hervor, in der diese Personen einer zweiten Gruppe gegenübergestellt werden, die als ›nicht Land besitzend‹ charakterisiert wird. Als zur Stellung von Leuten verpflichtet erscheint a-e-ri-qo-ta übrigens auch in den Tafeln An 192 und 209. Ebenfalls zur Schicht der Landbesitzer ist der e-qe-ta a-re-ku-tu-ru-wo, Sohn des e-tewo-ke-re-we, zu zählen. Er selbst scheint in den Tafeln Es 644, 649 und 650 unter den zu Beitragszahlungen in Form von Getreide verpflichteten Personen auf, und sein Bruder neqe-u wird in Aq 64 explizit als Landbesitzer bezeichnet. Einen besonderen Fall stellt der e-qe-ta a-re-i-jo pe-re-qo-ni-jo dar. Sein Vater pe-re-qono ist uns nämlich einerseits (aus Tafel Ea 270) als Eigentümer einer Rinderherde (qo-qota=boubotas) bekannt und somit zu den Gutsbesitzern zu rechnen, andererseits erscheint er in zwei Listen (Jn 605 und 725), in denen Bronzezuteilungen an Schmiede verzeichnet sind. pe-re-qo-no war also auch Eigentümer eines metallverarbeitenden Betriebs. Jedenfalls ist auch er, wie sein Sohn a-re-i-jo, der lokalen Elite seines Distriktes zuzurechnen. Schließlich sei noch der e-qe-ta di-wi-je-u erwähnt, dessen hohe Stellung in der lokalen, über den einzelnen Distrikt hinausgehenden Verwaltung durch die Tafel Cn 3 belegt wird. di-wi-je-u fungiert hier nämlich als für die Ablieferung von Rindern verantwortlich; er hatte offenbar zu kontrollieren, ob einzelne Gruppen aus insgesamt drei Distrikten (ro-u-so, ka-ra-do-ro, ri-jo) ihren Verpflichtungen nachgekommen sind. Ob di-wi-je-u allerdings ebenfalls der lokalen Elite (des Gebietes me-za-na?) angehört, oder aber bloß als vom Palast entsandter Kontrollbeamter zu sehen ist, kann nicht entschieden werden.

103

Das Patronymikon muß allerdings nicht unbedingt bedeuten, daß Personen den selben Vater hatten, sondern könnte auch darauf hinweisen, daß sie von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen. Dazu Wundsam, Politische und soziale Struktur 127 und Deger-Jalkotzy, E-QE-TA 46.

1. Die o-ka-Tafeln

145

1.7.2 Die lokale Herkunft der e-qe-ta Über die lokale Provenienz der e-qe-ta liefern die Linear B-Tafeln des pylischen Archivs vergleichsweise viele Informationen. So kann der Herkunftsort von immerhin sechs der zehn namentlich in den o-ka-Tafeln verzeichneten e-qe-ta mehr oder minder genau eruiert werden. In der o-ka-Tafel An 656 wird der e-qe-ta ka-e-sa-me-no als aus dem Ort a-pu2-ka stammend gekennzeichnet; es ist allerdings nicht bekannt, in welchem Distrikt dieser Ort gelegen ist, zumal a-pu2-ka außerhalb der o-ka-Tafeln nirgends aufscheint. Die Tafel Aq 218 enthält – wie schon oben festgestellt – die Namen mehrerer auch in den o-ka-Tafeln erwähnter e-qe-ta und nennt bei einigen auch den Herkunftsort bzw. den Ort, in dem die Besitzungen der jeweiligen Person liegen. Demnach kommt der e-qe-ta ro-u-ko ku-sa-me-ni-jo aus der Stadt me-ta-pa und a-e-ri-qo-ta ke-ki-jo ist im Ort o-wi-to-no ansässig. Diese beiden e-qe-ta sind also in den Distrikten me-ta-pa respektive pi-*82, wo o-wito-no als o-ka-Hauptquartier fungiert, beheimatet. In derselben Tafel findet sich auch der e-qe-ta a3-ko-ta a-da-ra-ti-jo, dessen Herkunft freilich nicht angegeben ist. Die Tatsache allerdings, daß a3-ko-ta in der o-ka-Tafel An 657 ebenso im Zusammenhang mit ke-ki-de a-pu2-ka-ne genannt wird wie sein Bruder di-kona-ro in der Tafel An 656, läßt die vorsichtige Vermutung zu, daß die beiden Brüder in apu2-ka ansässig sind. Es ist nun der e-qe-ta a-re-ku-tu-ru-wo e-te-wo-ke-re-we-i-jo zu betrachten, dessen lokale Herkunft nicht direkt belegbar ist. Der Umstand jedoch, daß in der Tafel Aq 64 ne-qeu der Bruder des a-re-ku-tu-ru-wo zusammen mit e-ru-ta-ra aus me-ta-pa genannt ist, sowie der Umstand, daß a-re-ku-tu-ru-wo mit eben diesem e-ru-ta-ra in der selben o-ka dient und zudem noch einer ke-ki-de me-ta-pi-jo zugeordnet ist, spricht deutlich für eine Herkunft des a-re-ku-tu-ru-wo aus me-ta-pa. Schließlich bleibt noch, der Herkunft des e-qe-ta a-re-i-jo nachzugehen, dessen Provenienz ebenfalls nicht direkt nachzuweisen ist. a-re-i-jo ist der Sohn des pe-re-qo-no, dessen Rinderherde laut Tafel Ea 270 ein Mann namens a-pi-a2-ro (in Besitz oder zur Nutzung?) hat.104 Dieser a-pi-a2-ro wird in mehreren Pylos-Tafeln erwähnt. In An 192 wird er zusammen mit dem e-qe-ta a-e-ri-qo-ta genannt, der wiederum in der Tafel Aq 218 als aus o-wito-no (Distrikt pi-*82) stammend aufscheint. In Jn 478 figuriert a-pi-a2-ro als Schmied aus dem Ort wi-ja-we-ra2; dieser Ort aber muß in einem der nördlichen Distrikte, wahrscheinlich in pi-*82 gelegen haben, da er in den Tafeln Cn 643 und 719 jeweils in enger Verbindung mit pi-*82 verzeichnet ist. In der Tafel Ea 109 ist a-pi-a2-ro als Inhaber von ko-to-na (ktoina) des su-qo-ta verzeichnet. Diese Tafel gehört aber zu einer Serie, in der mehrere Inhaber von Nutzland des su-qo-ta genannt werden, darunter (in Ea 822) auch ein Mann namens e-u-me-ne. Der Name dieses e-u-me-ne wiederum erscheint in der Tafel Jn 725 – einer Liste von Schmieden – unmittelbar vor dem des ne-qe-u; dieser aber, der ein Sohn des e-te-wo-ke-re-we und somit ein Bruder des a-re-ku-tu-ru-wo war, des e-qe-ta in der o-ka von pe-to-no, steht gemäß der Tafel Aq 64 in engem geographischem Zusammenhang mit e-ru-ta-ra, der wiederum in me-ta-pa ansässig war. 104

Vgl. Killen, Pylos Tablet Un 1482 385–387.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

Schließlich sei auch noch auf die Tafel On 300 eingegangen, in der a-pi-a2-ro genannt wird. Wie schon am Beginn dieses Abschnitts über die o-ka-Tafeln erwähnt, verzeichnet diese Tafel alle Distrikte des pylischen Staates und deren Mengen an ? in geographischer Reihenfolge. Die Liste ist offensichtlich unterteilt in die Distrikte der Diesseitigen und die der Jenseitigen Provinz. Es ist allerdings nur der zweite Teil der Liste, in der die Distrikte der Jenseitigen Provinz verzeichnet sind, relativ vollständig erhalten, während der erste Teil mit den Distrikten der Diesseitigen Provinz stark zerstört ist. Allerdings sind die (nicht deutbaren) Ideogramme mit der jeweiligen Mengenangabe vollständig erhalten, sodaß erkennbar wird, daß alle neun Distrikte (zum Teil mit deren Vertretern) einst genannt waren. Von den diesseitigen Distrikten sind lediglich zwei namentlich erhalten: pa-ki-ja-ne und era-to, deren Namen an vierter bzw. an achter Stelle genannt werden.105 An zweiter Stelle ist der Name des Distrikts zwar nicht erhalten, jedoch ist hier der Name a-pi-a2-ro zu lesen, weshalb man annehmen darf, daß dieser dem zweiten Distrikt, me-ta-pa, zugeordnet ist. Aufgrund dieser – zugegebenermaßen verschlungenen – Argumentation läßt sich demnach vermuten, daß a-pi-a2-ro in einem der beiden nördlichen Distrikte ansässig ist, und daß selbiges auch für den mit ihm in Verbindung stehenden pe-re-qo-no sowie dessen Sohn, den e-qe-ta a-re-i-jo, gilt; beweisen läßt sich dies allerdings nicht. Da über die Herkunft der übrigen namentlich in den o-ka-Tafeln genannten e-qe-ta diwi-je-u, pe-re-u-ro-ni-jo und wo-ro-tu-mi-ni-jo nichts ausgesagt werden kann, läßt sich die Frage nach der lokalen Provenienz der in den o-ka vertretenen e-qe-ta wie folgt zusammenfassen: Von den lokal zuordenbaren Personen dieser Gruppe kommen zwei aus der Stadt me-ta-pa (Distrikt me-ta-pa), einer aus o-wi-to-no (Distrikt pi-*82) und drei aus apu2-ka (Distrikt unbekannt). Vielleicht läßt sich jedoch auch der letztgenannte Ort geographisch etwas genauer bestimmen. Abgesehen von den o-ka-Tafeln wird der Ort106 a-pu2-ka nur noch in der Tafel Aq 218 (hier in der Schreibung a-pu-ka) erwähnt; unter den dort genannten Personen befindet sich der auch in der o-ka-Tafel An 657 erwähnte ma-ra-te-u aus a-pu2-ka, wobei allerdings über die Distriktszugehörigkeit von ma-ra-te-u bzw. a-pu2-ka nichts verlautet. ma-ra-te-u erscheint nun auch in einer Tafel der Cn-Serie (Cn 382), in der offenbar Lieferungen von Schafen im oder an den Distrikt ro-u-so verzeichnet sind. Man könnte also annehmen, daß ma-ra-te-u und somit auch sein Herkunftsort a-pu2-ka dem Distrikt ro-u-so zugehörig sind. In den o-ka-Tafeln gibt es lediglich eine Person, deren Herkunft angegeben ist: der e-qeta ka-e-sa-me-no aus a-pu2-ka. ka-e-sa-me-no wird ebenfalls in einer Tafel der Cn-Serie er105 106

Die Reihenfolge stimmt also nicht völlig mit der üblichen überein, da sonst e-ra-to/ro-u-so an siebenter Stelle stehen müßte. An dieser Stelle sei nun etwas Grundsätzliches, das vielleicht schon weiter oben bei der Behandlung der Herkunft der einzelnen Truppen erwähnt hätte werden sollen, zu den Bezeichnungen a-pu2-ka und a-pu2-ka-ne gesagt. Hierbei könnte es sich um den Namen einer Stadt (a-pu2-ka) handeln und um das zugehörige Adjektiv (a-pu2-ka-ne); es könnte sich dahinter jedoch auch ein Ethnikon im Singular (a-pu2-ka) bzw. im Plural (a-pu2-ka-ne) verbergen. Für die hier gestellten Fragen bezüglich der Herkunft einzelner Truppen oder e-qe-ta ist dies jedoch nicht von Bedeutung. Zu diesem (sprachlichen) Problem siehe Gschnitzer, Stammesnamen 95 und Lindgren, People of Pylos 22. 

1. Die o-ka-Tafeln

147

wähnt (Cn 131), allerdings in der Schreibung ke-sa-me-no. Auch diese Liste verzeichnet die Lieferung von Schafen, jedoch ist der Distrikt pi-*82 der Ort bzw. der Empfänger der Lieferungen. Dementsprechend wäre also ka-e-sa-me-no im Distrikt pi-*82 ansässig und apu2-ka wäre ein Ort dieses Distrikts. Die Informationen dieser beiden Tafeln aus der CnSerie ergeben demnach einen klaren Widerspruch: Sowohl ma-ra-te-u als auch ka-e-sa-meno stammen aus a-pu2-ka, der eine wird jedoch dem Distrikt ro-u-so zugerechnet, der andere aber pi-*82. Es ist daher notwendig, diese beiden Tafeln etwas genauer zu betrachten. Die Liste in der Tafel Cn 131 verzeichnet neben k(a)-e-sa-me-no weitere 13 auch aus anderen Tafeln bekannte Personen, die – wie der e-qe-ta aus a-pu2-ka – Schafe im Distrikt pi-*82 abliefern. Vier dieser Personen (ku-pi-ri-jo, ko-ru-ko, o-ku-ka und a-ka-ma-wo) werden auch in einer anderen Tafel dieser Serie (Cn 719) als Lieferanten von Schafen erwähnt. Orte der in dieser Liste verzeichneten Lieferungen sind pi-*82 sowie wi-ja-we-ra3 und ma-ro-pi (Lok.), was die Vermutung zuläßt, daß es sich bei allen drei, um Orte des Distrikts pi-*82 handelt. Fünf der in Cn 131 genannten Personen (e-ti-ra-wo, se-no, pu-wi-no, a-ri-wo und a-tama-ne-u) erscheinen in einer weiteren Tafel der Cn-Serie (Cn 655) als Lieferanten von Schafen im Ort ma-ro-pi, der – wie gesagt – zum Distrikt pi-*82 gehören dürfte.107 Diese Tafeln sind also geeignet, die in der Tafel Cn 131 erwähnten neun Personen als Bewohner des Distriktes pi-*82 zu bestätigen. Anders verhält es sich jedoch mit den letzten vier Namen: ke-ro-wo liefert zwar in Cn 131 Schafe in pi-*82, wird aber in der Tafel Ae 134 als Hirte im Distrikt a-si-ja-ti-ja genannt. po-ro-u-te-u erscheint in Jn 310 als Hirte in a-ke-re-wa und taucht zudem in der Tafel Vn 493 als in e-ra-te-re-wa ansässig auf. po-ko-ro liefert nicht nur Schafe in pi-*82 (Cn 131), sondern auch in pu-ro ra-wa-ra-ti-jo (Cn 45) in der Jenseitigen Provinz. a-weke-se-u schließlich erscheint gleich in den Listen dreier Distrikte als Lieferant von Schafen: in pi-*82 (Cn 131), in ro-u-so (Cn 285) und in me-ta-pa (Cn 595). Die nähere Betrachtung der in Cn 131 genannten Personen zeigt also, daß diese Leute zwar alle im Distrikt pi-*82 Schafe abzuliefern hatten, daß dies jedoch nicht bedeutet, daß sie auch in diesem Distrikt ansässig waren. Zwar zeigt sich eine auffällige Häufung von Personen (insgesamt neun), die abgesehen von Cn 131 nur in Tafeln erwähnt werden, die sich ebenfalls auf pi-*82 beziehen, doch sind auch vier Männer erwähnt, die entweder ihre Schafe gleich an mehrere Distrikte (pi-*82, ra-wa-ra-ti-ja, me-ta-pa) liefern, sodaß daraus ihre eigene Distriktszugehörigkeit nicht abgeleitet werden kann, oder aber die explizit als in einem anderen Distrikt (a-si-ja-ti-ja, a-ke-re-wa) ansässig bezeugt sind. Es ist daher nicht möglich, aus der Tatsache der Nennung des ka-e-sa-me-no in der Tafel Cn 131 darauf zu schließen, daß dieser e-qe-ta in pi-*82 wohnhaft und somit a-pu2-ka in diesem Distrikt gelegen ist. Die Tafel Cn 328 verzeichnet die Lieferanten von Schafen im Distrikt ro-u-so, darunter ma-ra-te-u aus a-pu2-ka. Drei weitere Namen aus dieser Tafel scheinen auch in anderen Listen auf. wi-sa-to wird in Vn 130 zusammen mit e-wi-te-wi-jo erwähnt, der von ihm *34107

Deger-Jalkotzy, E-QE-TA 72 lokalisiert den Ort ma-ro-pi in der Jenseitigen Provinz, allerdings im Nordwesten diese Provinz und somit dem Distrikt pi-*82 benachbart.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

to-pi (unbekannt!) erhält. Dieser e-wi-te-wi-jo wiederum wird in der Tafel Na 245 zusammen mit ma-ra-te-u genannt; diese drei Personen stehen also in einem engeren auch geographischen Zusammenhang, was freilich über die Zugehörigkeit der drei zu einem bestimmten Distrikt nichts aussagt. Ein weiterer in Cn 328 aufgelisteter Name ist a3-ta-ro, der auch in der Tafel Cn 285 als Lieferant von Schafen in ro-u-so aufscheint, was mit Cn 328 in Einklang steht. Der dritte Name dieser Liste jedoch, ra-mi-ni-jo, liefert nicht nur in ro-u-so Schafe ab, sondern gemäß der Liste in Cn 719 auch in pi-*82. Die Tafel An 209 verzeichnet ihn unter Personen, die anscheinend Männer abgeben müssen, und nennt ihn zusammen mit a-e-ri-qo-ta, der wiederum gemäß der Tafel Aq 218 aus o-wi-to-no, also aus dem Distrikt pi-*82, stammt. Es dürfte somit auch ra-mi-ni-jo aus pi-*82 oder aus einem benachbarten (nördlichen) Distrikt stammen; als Vergleich sei die Tafel An 129 herangezogen, in der a-e-ri-qo-ta zusammen mit einem Mann namens a-ke-o genannt wird, der wiederum (nach Cc 660) in me-ta-pa – also einem Nachbardistrikt von pi-*82 – ansässig ist. ra-mi-nijo ist also höchstwahrscheinlich in einem der nördlichen Distrikte (me-ta-pa oder pi-*82) wohnhaft, liefert aber Schafe im Distrikt ro-u-so. Demnach ist also die Tafel Cn 328 kein Beleg dafür, daß ma-ra-te-u aus ro-u-so stammt und sagt folglich über die Lokalisierung von a-pu2-ka nichts aus. Generell kann also zu den Tafeln Cn 131 und Cn 328 – wie überhaupt zur Cn-Serie – festgehalten werden, daß hier Lieferungen von Nutztieren (Schafe, Ziegen) an bestimmte Orte bzw. Distrikte des Reiches von Pylos sowie die Lieferanten dieser Tiere verzeichnet sind. Diese zur Abgabe der Tiere verpflichteten Personen müssen jedoch nicht unbedingt in den Distrikten ansässig sein, an die sie die Schafe oder Ziegen liefern. Sie sind zum Teil sogar in weit entfernten Distrikten wohnhaft, und einige von ihnen liefern die Schafe auch an zwei oder mehr Distrikte aus. Für die Feststellung des Herkunftsortes dieser Tierzüchter im allgemeinen sind die Tafeln der Cn-Serie also nicht heranzuziehen und können somit im speziellen zur Lokalisierung von a-pu2-ka nichts beitragen. Man kann also nur versuchen, die Lage des Ortes a-pu2-ka aufgrund der Informationen aus den o-ka-Tafeln selbst näher einzugrenzen. Personen108 und Truppen aus a-pu2-ka dienen nur in den o-ka von me-ta-pa (ma-ra-te-u, a3-ko-ta, ke-ki-de a-pu2-ka-ne) und a-kere-wa (di-ko-na-ro, ka-e-sa-me-no, ke-ki-de a-pu2-ka-ne), weshalb der Verdacht nahe liegt, daß der Ort a-pu2-ka in einem der beiden Distrikte gelegen ist. Möglicherweise aussagekräftiger ist die Tafel Aq 218: Von den hier namentlich genannten Personen sind abgesehen von den aus a-pu2-ka stammenden (a3-ko-ta und ma-ra-te-u) nur a-e-ri-qo-ta nach o-wi-to-no und ro-u-ko nach me-ta-pa zuordenbar. Offenbar sind in dieser Liste nur Personen mit Landbesitz in den nördlichen Distrikten (me-ta-pa, pi-*82) des pylischen Staates verzeichnet, weshalb möglicherweise auch a-pu2-ka in einem dieser Nord-Distrikte zu suchen sein dürfte. Angesichts der Tatsache, daß Truppen einschließlich der Offiziere und e-qe-ta aus a-pu2-ka ausschließlich in den o-ka von a-ke-re-wa und meta-pa Dienst tun, liegt der Verdacht nahe, daß a-pu2-ka ein Ort im Distrikt me-ta-pa ist. Daraus ergibt sich aber der erstaunliche Schluß, daß alle sieben lokal zuordenbaren e-qe-ta 108

Hierzu vgl. Nakassis, Individuals and Society 150f.

1. Die o-ka-Tafeln

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in den o-ka-Tafeln aus den beiden Nord-Distrikten (me-ta-pa und pi-*82) des Reiches von Pylos stammen. Diese Zahl würde sich noch um einen e-qe-ta erhöhen, sofern man eine Zeile der Tafel Aq 218, die – wie gesagt – Personen aus den beiden nördlichsten Distrikten verzeichnet, entsprechend ergänzt. In Zeile 2 dieser Tafel sind nämlich von einem aus vier Zeichen bestehenden Namen nur die beiden mittleren Zeichen (schwach) lesbar, welche .]-wi-je-[. lauten. Ergänzt man nun das erste Zeichen zu ›di‹ und das vierte zu ›u‹, so lautet der Name diwi-je-u, womit auch dieser (achte) e-qe-ta entweder in me-ta-pa oder aber in pi-*82 ansässig wäre. Dies würde somit bedeuten, daß acht von den zehn namentlich bekannten e-qe-ta aus den beiden Norddistrikten stammen und für die verbleibenden zwei die lokale Herkunft nicht eruiert werden kann, sodaß wohl eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, daß der eine oder andere dieser beiden e-qe-ta – wenn nicht sogar alle beide – ebenfalls in diesen beiden nördlichen Distrikten ansässig sind. Es drängt sich somit aber die Frage nach dem Grund für diese auffällige Konzentration von e-qe-ta in den nördlichen Provinzen des Reiches von Pylos auf. Für diese Fragestellung könnte möglicherweise die Pylos-Tafel An 607 aufschlußreich sein.109 In dieser Tafel sind Frauen aufgelistet, die als do-e-ra bezeichnet werden und in denen man – wie DegerJalkotzy glaubhaft zeigen konnte – Palastsklavinnen sehen muß. Insgesamt 13 von ihnen sind, wie das Verbum e-e-to (Perf. Pass. von ἵημι)110 zeigt, vom Palast weggeschickt worden, wobei der Ort, an dem sie sich nunmehr befinden gleich am Beginn der Tafel genannt ist: me-ta-pa. Zwar ist der Zweck dieser Entsendung von Sklavinnen nicht genannt, sehr wohl aber – unmittelbar vor dem Verbum – der ›Empfänger‹ dieser Frauen: e-qe-ta-i (Dat. Plur.), also mehrere e-qe-ta im Distrikt (oder der Stadt) me-ta-pa. Der Grund für die Entsendung dieser Palastsklavinnen nach me-ta-pa könnte vielleicht – so Deger-Jalkotzy – darin gelegen haben, daß diese e-qe-ta kurz zuvor ebenfalls dorthin entsandt worden waren, um an der Nord- bzw. Nordostgrenze des Pylischen Reiches Dienst zu tun. Demnach wären eine Gruppe von e-qe-ta aus militärischen Gründen der Grenzverteidigung nach me-ta-pa geschickt worden, was als Konsequenz dieser Maßnahme auch die oben festgestellte ungewöhnliche Konzentration von e-qe-ta in diesem Distrikt sowie dem benachbarten Gebiet von pi-*82 erklären würde. Das Pylische Reich fühlte sich offenbar an seiner Nordgrenze bedroht, und begegnete dieser Gefahr mit einer Konzentration seiner Elitesoldaten im betreffenden Gebiet. Allerdings hat diese militär-organisatorische Maßnahme nichts mit der Situation zu tun, in der die o-ka-Tafeln entstanden sind, da die daraus erkennbare Gefahr für das Reich von Pylos nicht speziell die Nordgrenze des pylischen Territoriums betraf, sondern die gesamte Küste. Diese Gefahr muß wohl als noch bedrohlicher angesehen worden sein, zumal viele der an der Nordgrenze stationierten e-qe-ta sowie auch mehrere aus den nördlichen Distrikten stammende Truppen von dort abgezogen und an verschiedene Abschnitte der Küste verlegt worden sind. 109 110

Diese Tafel wurde eingehend von Deger-Jalkotzy, Women 137f. und Deger-Jalkotzy, EQE-TA 57–62 behandelt. Siehe Bartonek, Handbuch 311.

150

II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

1.7.3 Die Verteilung der e-qe-ta in den o-ka-Tafeln In den zehn o-ka dienen insgesamt elf e-qe-ta, die jedoch auf die einzelnen o-ka äußerst ungleich verteilt sind. So ist in den o-ka I (pi-*82), IV (pa-ki-ja-ne) und VII (ro-u-so) überhaupt kein e-qe-ta vorhanden, in den o-ka III (pe-to-no), VIII (ka-ra-do-ro), IX (ri-jo) und X (ti-mi-to a-ko) dient jeweils ein e-qe-ta, der II. (me-ta-pa) und V. (a-pu2) o-ka sind jeweils zwei, der VI. (a-ke-re-wa) o-ka schließlich sogar drei e-qe-ta zugeteilt. Auch unter der Annahme, daß die e-qe-ta nicht den einzelnen o-ka als solchen, sondern den fünf o-ka-Hauptquartieren zugeteilt sind, bleibt diese Ungleichheit bestehen. In diesem Fall wären zwei e-qe-ta dem Hauptquartier in o-wi-to-no zugeteilt, lediglich einer wäre in to-wa vorhanden, während gleich fünf in a-ke-re-wa Dienst täten. ro-o-wa wären dann zwei und ti-mi-to a-ko wiederum nur ein e-qe-ta zugeordnet. Auch unter diesem Blickwinkel läßt sich demnach kein klares Schema der Verteilung der e-qe-ta erkennen. Ähnliches gilt für die Annahme, daß die Anzahl der e-qe-ta von der Anzahl der in den einzelnen o-ka vorhandenen Truppen abhängt, wie eine kurze Aufstellung der zehn o-ka zu zeigen vermag: 1. o-ka 2. o-ka 3. o-ka 4. o-ka 5. o-ka 6. o-ka 7. o-ka 8. o-ka 9. o-ka 10. o-ka

1 Truppe 4 Truppen 2 Truppen 5 Truppen 2 Truppen 3 Truppen 1 Truppe 3 Truppen 4 Truppen 1 Truppe

kein e-qe-ta 2 e-qe-ta 1 e-qe-ta kein e-qe-ta 2 e-qe-ta 3 e-qe-ta kein e-qe-ta 1 e-qe-ta 1 e-qe-ta 1 e-qe-ta

Auffällig ist hier lediglich der Umstand, daß offenbar dann kein e-qe-ta vorhanden ist, wenn die o-ka lediglich aus einer Truppe besteht. Dies gilt zwar nicht für die X. o-ka (nur eine Truppe und dennoch ein e-qe-ta), doch ist hierbei zu bedenken, daß die Tafel, in der diese o-ka verzeichnet ist, sehr defekt ist und es nicht ausgeschlossen werden kann, daß hier noch weitere Truppen verzeichnet waren. Schließlich scheint die Anzahl der e-qe-ta auch nicht mit der Stärke der o-ka-Truppen zu korrelieren. So besitzen die 110 Mann starken Truppen von ro-u-so keinen e-qe-ta, während der gleich starken o-ka von a-ke-re-wa gleich drei e-qe-ta zugeteilt sind und die wohl wesentlich kleinere111 o-ka von a-pu2 über zwei e-qe-ta verfügt. In einer Hinsicht scheint jedoch eine – wenngleich nicht völlige – Korrelation zu bestehen. Ausgehend von der eben getroffenen Feststellung, daß o-ka mit nur einer Truppe keinen e-qe-ta aufweisen, kann man diesen Umstand auch so sehen, daß den o-ka, die nur einen Truppenstandort haben, meist kein e-qe-ta zugeteilt ist. Vergleicht man nun die An111

Bei dieser o-ka ist allerdings die Mannschaftsstärke einer ke-ki-de Truppe nicht erhalten und kann daher nur geschätzt werden. Im Durchschnitt sind ke-ki-de Einheiten nur 10 bis 20 Mann stark, sodaß die Gesamtstärke der o-ka von a-pu2 maximal 40 Mann wäre.

1. Die o-ka-Tafeln

151

zahl der Truppenstandorte112 mit der Anzahl der e-qe-ta, so zeigt sich, daß in drei o-ka (peto-no, a-pu2, a-ke-re-wa) jedem Standort ein e-qe-ta beigegeben ist. In den drei o-ka (pi*82, pa-ki-ja-ne, ro-u-so) mit nur einem Standort gibt es gar keinen e-qe-ta und in drei oka stimmt die Anzahl der Standorte nicht mit der der e-qe-ta überein: Die o-ka von me-tapa hat drei Standorte (a-ru-wo-te, a-ta-re-u-si, e-ra-po ri-me-ne) jedoch nur zwei e-qe-ta, die von ka-ra-do-ro hat zwei Standorte (a-pi-te-wa, o-*34-ta) und nur einen e-qe-ta und die von ri-jo hat vier Standorte und lediglich einen e-qe-ta. Es läßt sich demnach auch aus diesem Vergleich nur ablesen, daß niemals mehr e-qe-ta als Truppenstandorte existieren. Die Tatsache, daß es in einigen o-ka mehr Standorte als e-qe-ta gibt, könnte möglicherweise dahingehend erklärt werden, daß die betreffenden Truppenstandorte geographisch so nahe beieinander gelegen haben, daß sie von einem e-qe-ta ›versorgt‹ werden konnten. Auffällig ist – wie schon festgestellt – der Umstand, daß bei den o-ka mit nur einem Truppenstandort kein e-qe-ta stationiert ist. Bei näherer Betrachtung dieser (jeweils einzigen) Standorte von o-ka-Truppen zeigt sich, daß es sich bei diesen um größere Städte des Pylischen Reiches handelt: um o-wi-to-no und um ro-o-wa.113 Sollte die Annahme zutreffen, daß e-qe-ta bei Truppen, die in größeren Orten stationiert sind, nicht eingesetzt werden, so würde dies erklären, warum in der o-ka von ri-jo bei vier Standorten nur ein e-qeta vorhanden ist, lediglich in za-e-to-ro ist ein solcher stationiert, während er in e-na-po-ro, .]-o-ri-jo und ka-ra-do-ro fehlt. Im Gegensatz zu za-e-to-ro nämlich waren e-na-po-ro und ka-ra-do-ro größere Orte114 des Landes, und dasselbe gilt natürlich auch für .]-o-ri-jo, sofern dieser Ort – wie oben schon angesprochen wurde – in irgendeiner Verbindung mit der großen Stadt115 ri-jo zu sehen ist. Es muß jedoch eingestanden werden, daß auch zu dieser ›Regel‹ (keine e-qe-ta in größeren Städten) eine gewichtige Ausnahme existiert: Der e-qe-ta ka-e-sa-me-no ist in a-ke-rewa stationiert, das unzweifelhaft eine bedeutende Siedlung ist.116 Von den übrigen in den oka-Tafeln genannten Stationierungsorten wird lediglich po-ra-i in den Pylos-Tafeln noch genannt,117 alle anderen sind außerhalb der o-ka-Tafeln völlig unbekannt, sodaß sich die Frage aufdrängt, ob es sich bei diesen überhaupt um Siedlungen des pylischen Staates handelt oder nicht vielmehr lediglich um Toponyma, also Plätze an der Küste – vorzugsweise Buchten –, an denen keine Ansiedlungen existierten.

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114

115 116 117

Die o-ka von ti-mi-to a-ko muß aufgrund des unvollständigen Erhaltungszustandes der Tafel An 661 außer Betracht bleiben. Die Klassifizierung als ›größer‹ erfolgt hierbei aufgrund der Nennung dieser Orte in anderen PylosTafeln. So findet man o-wi-to-no in den Tafeln Aa 775, Ab 277, Ad 685 und Aq 218 während ro-owa in An 1, An 172, An 724, Mn 1370, Mn 1408 und Mn 228 genannt wird. Für e-na-po-ro bezeugen dies die Tafeln An 37, Cn 3, Mb 1435, Mn 1408, Na 1027, Nn 228 und Vn 130; ka-ra-do-ro scheint in Ac 1273, An 424, Cn 608, Jn 829, Jo 438, Ma 346, Na 543, Qa 1304, Vn 20, Vn 130 und Xn 952 auf. ri-jo wird in den Tafeln An 1, An 724, Cn 608, Jn 829, Ma 193, Na 252 und Vn 20 genannt. Dies belegen die Tafeln Ac 1277, An 427, An 610, An 724, Cn 202, Cn 608, Eq 213, Jn 310, Jn 693, Jn 725, Jn 829, Jo 438, Ma 222, Vn 20 und Vn 493. Als po-ra-pi in An 1, Mn 1408 und Nn 228.

152

II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

1.7.4 Die verschiedenen Truppenbezeichnungen und die e-qe-ta Geht man nach den oben aufgestellten Prämissen nun von der Annahme aus, daß die einzelnen e-qe-ta den Truppenstandorten zugeteilt waren, so lohnt es sich, den Blick darauf zu richten, welche Truppen an diesen Standorten stationiert waren. e-qe-ta

Standort

Truppe

a-e-ri-qo-ta

a-ta-re-u-si

ke-ki-de ku-pa-ri-si-jo

a3-ko-ta

e-ra-po ri-me-ne

o-ka-ra o-wi-to-no ke-ki-de a-pu2-ka-ne

a-re-ku-tu-ru-wo

o-*34-ta

ke-ki-de me-ta-pi-jo ku-re-we u-pi-ja-ki-ri-jo

a-re-i-jo

sa-pi-da

ke-ki-de wa-ka-ti-ja-ta

di-wi-je-u

ne-wo-ki-to wo-wi-ja

ko-ro-ku-ra-i-jo

di-ko-na-ro

po-ra-i

ke-ki-de a-pu2-ka-ne

pe-re-u-ro-ni-jo

u-wa-si

ke-ki-de ne-wo

ka-e-sa-me-no

a-ke-re-wa

ko-ro-ku-ra-i-jo

ro-u-ko

o-*34-ta

u-ru-pi-ja-jo o-ru-ma-si-ja-jo ku-re-we pi-ru-te

wo-ro-tu-mi-ni-jo

za-e-to-ro

ko-ro-ku-ra-i-jo

e-qe-ta ?

ne-do-wa-ta-de

u-ru-pi-ja-jo a-ka-a-ki-ri-jo

Wie aus dieser Zusammenstellung ersichtlich, sind acht der elf e-qe-ta an Standorten eingesetzt, in denen jeweils nur eine Truppe stationiert ist, drei e-qe-ta jedoch sind zusammen mit jeweils zwei Truppen einem Standort zugeordnet. Betrachtet man die acht e-qe-ta, die in Verbindung mit nur einer Truppe eingesetzt sind, so zeigt sich, daß es sich bei diesen Truppen in vier Fällen um ke-ki-de Einheiten, in drei Fällen um ko-ro-ku-ra-i-jo und in einem Fall um eine u-ru-pi-ja-jo Truppe handelt. Truppen mit der Bezeichnung o-ka-ra3, kure-we und i-wa-so sind also in der weitaus überwiegenden Anzahl der Standorte mit einem e-qe-ta nicht vertreten, sodaß der Schluß naheliegt, daß e-qe-ta grundsätzlich nur den Truppen ke-ki-de, ko-ro-ku-ra-i-jo und u-ru-pi-ja-jo beigegeben sind. Prüft man diese Annahme anhand der drei Standorte, an denen zwei Truppen stationiert sind, so zeigt sich, daß auch an diesen Orten jeweils eine der drei Truppen (ke-ki-de, ko-ro-ku-ra-i-jo oder uru-pi-ja-jo), die als mit den e-qe-ta in Verbindung stehend angenommen wurden, vorhanden ist. Das Vorhandensein einer o-ka-ra3 zusammen mit dem e-qe-ta a3-ko-ta in e-ra-po ri-me-ne sowie jeweils einer ku-re-we zusammen mit a-re-ku-tu-ru-wo bzw. ro-u-ko in o*34-ta spricht demnach nicht dagegen, daß ein e-qe-ta nur in Verbindung mit einer ke-kide, ko-ro-ku-ra-i-jo oder u-ru-pi-ja-jo Einheit eingesetzt wird. Diese Annahme hat jedoch Konsequenzen für die Beurteilung des Charakters der einzelnen Truppen, d.h. für die Fra-

1. Die o-ka-Tafeln

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ge, welche Art von Truppen sich hinter den überlieferten Bezeichnungen verbergen; doch auf dieses Problem wird noch später einzugehen sein.118 1.7.5 Die Aufgaben der e-qe-ta Über diesen Punkt existieren in der Forschung zwei von einander etwas divergierende Auffassungen. Sieht man einmal von der – bereits oben diskutierten und verworfenen – Ansicht ab, daß es sich bei den e-qe-ta um Funktionäre des Palastes mit primär zivilen Aufgaben handelt, so werden e-qe-ta als eine Art von Verbindungsoffizieren zwischen dem Palast und den lokalen Einheiten verstanden, die entweder zur Unterstützung der einzelnen Truppenkommandanten oder aber zur Ausübung einer gewissen Kontrollfunktion ihren Dienst versahen.119 Jedenfalls – und dies ist beiden Auffassungen gemeinsam – seien sie als Repräsentanten der pylischen Zentralgewalt,120 also wohl des wa-na-ka oder des ra-wa-keta, gegenüber den Beamten und Kommandanten der einzelnen Distrikte zu verstehen. Ihre unzweifelhafte Verbindung zum Streitwagen würde sich dadurch erklären, daß sie als Streitwagenfahrer in der Lage waren, eine schnelle Kommunikation zwischen den einzelnen Standorten und dem Palast aufrecht zu erhalten. Neben diesen nicht primär taktischen Funktionen der e-qe-ta wird auch eine vermutet, die unmittelbar den Sektor der Truppenführung betrifft. So könnte der e-qe-ta und nicht der o-ka-Kommandant den tatsächlichen Einsatz der jeweiligen Truppe im Kampf gegen allfällige Angreifer befehligt haben. Dies würde demnach bedeuten, daß die o-ka-Kommandanten (als ›Milizoffiziere‹) zwar die organisatorische Führung der lokalen Truppen innehatten, daß aber im Einsatzfall der Oberbefehl über die einzelnen Einheiten an einen ›Berufsoffizier‹, eben den e-qe-ta, überging.121 Zusammenfassend wäre ein in einer o-ka Diensttuender e-qe-ta also ein Kontrollorgan der Palastverwaltung gegenüber den lokalen Distriktsbeamten in militärischer Funktion, oder ein Verbindungsoffizier zur raschen Aufrechterhaltung der Kommunikation zwischen den einzelnen Truppenstandorten und dem Palast bzw. dem militärischen Oberkommando, oder aber ein Berufsoffizier, der im Einsatzfall das Kommando in der o-ka von den lokalen Milizoffizieren übernahm; schließlich wäre auch eine Kombination all dieser Aufgaben denkbar. Gegen all diese Annahmen sprechen nun sowohl einzelne aus den o-ka-Tafeln selbst belegbare Tatsachen als auch einige generelle militärische Überlegungen. 1. Zur Rolle der e-qe-ta als Kontrollorgane des Palastes oder Verbindungsoffiziere: Hierbei stellt sich zuallererst die Frage nach der ungleichen Verteilung der e-qe-ta in den o-ka. Wie oben gezeigt, sind in einigen o-ka gar keine e-qe-ta vorhanden während in anderen sogar deren drei anwesend sind, was bedeuten würde, daß bei einigen lokalen Aufgeboten eine massive Kontrolle vonnöten wäre, während andere einer solchen überhaupt nicht bedurften. Sieht man sie als Verbindungsoffiziere, so würde 118 119 120 121

II 1.8. So Mühlestein, o-ka-Tafeln 34; van Brock, Notes mycéniennes 222–224; Was, Anatolica 3 157f.; Palmer, Texts 53. Siehe dazu Deger-Jalkotzy, E-QE-TA 17f., 26–28. In diesem Sinn schon Chadwick, Mycenaean World 73, 176f. sowie Deger-Jalkotzy, E-QETA 40f.; vgl. auch Schmitt-Brandt, O-ka-Tafeln.

154

II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

dies bedeuten, daß mit einigen o-ka keine Verbindung seitens des Palastes aufrecht erhalten werden mußte, während diese Verbindung bei anderen gleich dreifach abgesichert wurde. Geographische Gründe können diese irritierende Ungleichheit in der Verteilung der e-qe-ta nicht erklären. So verfügt die wohl am weitesten vom Palast von Pylos entfernte o-ka von pi-*82 über gar keinen e-qe-ta und die beiden o-ka der an der Südküste Messeniens zu lokalisierenden Distrikte ka-ra-do-ro und ri-jo hatten jeweils nur einen e-qe-ta zugeordnet. Den o-ka der relativ nahe dem Palast gelegenen Gebiete von a-pu2 und a-ke-re-wa hingegen waren zwei bzw. sogar drei e-qe-ta beigegeben. Noch eklatanter wird diese Ungleichheit, wenn man annimmt, daß die einzelnen eqe-ta gleichsam in den Hauptquartieren stationiert waren und demnach jeweils zwei o-ka kontrollierten oder die Verbindung zwischen den beiden o-ka und dem Palast herstellten. Demnach hätte das am weitesten vom Palast entfernte Hauptquartier, owi-to-no im nördlichsten Distrikt, das für pi-*82 und me-ta-pa zuständig war nur zwei Kontroll- bzw. Verbindungsoffiziere während in der vom Palast nicht allzuweit entfernten Stadt a-ke-re-wa (als Hauptquartier für die Distrikte a-pu2 und a-ke-re-wa zuständig) insgesamt fünf e-qe-ta stationiert gewesen wären. Da somit geographische Erwägungen für die ungleiche Verteilung der e-qe-ta nicht verantwortlich gemacht werden können, bliebe nur die Annahme, daß einige oka bzw. deren lokale Kommandanten entweder zuverlässiger oder aber militärisch wesentlich geschulter waren als andere und daher keiner Kontrolle bedurften. Faßt man die e-qe-ta als Verbindungsoffiziere auf, so würde dies bedeuten, daß einige o-ka keine Verbindung mit dem Palast aufrecht erhielten, während andere einen besonders regen Austausch pflegten, oder aber, daß die o-ka über andere Möglichkeiten der Kommunikation verfügten (Brieftauben, Feuerzeichen etc.). All diese Erklärungen erscheinen höchst unwahrscheinlich, wenn nicht gar absurd. Es stellt sich überhaupt die Frage, wieso die e-qe-ta, die als Streitwagenkämpfer zur militärischen Elite des Pylischen Reiches gehörten, mit vergleichsweise – aus militärischer Sicht – so unbedeutenden militärischen Aufgaben wie der Kontrolle und Meldung betraut waren. Immerhin handelte es sich um insgesamt mindestens elf e-qe-ta, die bei den einzelnen o-ka ihren Dienst versahen, was bei einer anzunehmenden Zahl von ungefähr 120 Streitwagen im Pylischen Reich122 immerhin ca. 10% des Gesamtaufgebotes dieser Elitetruppe bedeutet. Eine so ›artfremde‹ Verwendung der e-qe-ta wäre demnach nicht nur eine Verschwendung militärischer Ressourcen, sondern sogar eine – unnötige – Schwächung der Schlagkraft des pylischen Heeres. 2. Zur Funktion der e-qe-ta als Kommandanten der o-ka im Einsatzfall: Diese Annahme von der Funktion der e-qe-ta bei den o-ka berücksichtigt zwar den hohen militärischen Stellenwert dieser Personengruppe, stößt aber ebenfalls auf einige Probleme. So stellt sich auch in diesem Fall die Frage nach dem Grund für die ungleiche Verteilung der e-qe-ta auf die einzelnen o-ka. Es ist nicht einzusehen, warum manche o-ka im ›Ernstfall‹ einen e-qe-ta – oder sogar deren mehrere – benötigten, während in anderen der Kommandant seine Funktion auch im Kampfeinsatz beibehielt. Als Erklärung böte sich bloß die Annahme an, daß einige o-ka-Kommandanten eben militärisches 122

Zur Größe des pylischen Streitwagenkontingentes siehe II 1.9.

1. Die o-ka-Tafeln

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Können und Erfahrung aufweisen konnten, während dies bei anderen nicht der Fall war. Man fragt sich jedoch, warum diese militärisch nicht brauchbaren Männer dann überhaupt das Kommando über die o-ka innehatten, zumal – wie oben gezeigt wurde – für die meisten o-ka-Führer zwar auch eine hohe zivile Funktion nachweisbar ist, das militärische Kommando jedoch nicht an ein bestimmtes ›Amt‹ – etwa das des kore-te – gebunden war. Innerhalb der recht großen Gruppe von Beamten eines Distrikts (ko-re-te, po-ro-ko-re-te, qa-si-re-u, mo-ro-qa) sollte doch jeweils ein geeigneter zu finden gewesen sein. Daß nicht nur Berufsoffiziere für den Einsatzfall in Frage kamen, zeigt ja die Tatsache, daß einigen o-ka kein e-qe-ta beigegeben war. Überhaupt zeigt sich bei genauerer Betrachtung der o-ka-Tafeln, daß – wie schon oben ausführlich dargelegt – die e-qe-ta nicht einer bestimmten o-ka zugeordnet waren, sondern einzelnen Truppen (me-ta-qe pe-i=meta te sphei) und Standorten der oka. Sie können also keinesfalls das Kommando über die gesamte o-ka ausgeübt haben, sondern allenfalls die Truppen befehligt haben, denen sie beigegeben waren. Doch auch dann bleibt die Frage unbeantwortet, warum nur einige Truppen von einem eqe-ta kommandiert wurden. Das Problem zeigt sich in diesem Falle sogar dahingehend verschärft, als nur der kleinere Teil der Truppen (elf von 26) über einen e-qe-ta verfügten. Schließlich sei auch noch auf die bemerkenswerte Tatsache hingewiesen, daß nur drei ›Arten‹ von Truppen (ke-ki-de, u-ru-pi-ja-jo und ko-ro-ku-ra-i-jo) e-qe-ta bei sich hatten und daß gerade den Truppen, die zur Verteidigung der bedeutenden Siedlungen eingesetzt waren – mit der Ausnahme von a-ke-re-wa – kein e-qe-ta zugeordnet war. Auch sind – ebenfalls mit einer Ausnahme – ausgerechnet in den mannschaftststarken Einheiten (über 50 Mann) niemals e-qe-ta vorhanden. All diese Tatsachen vertragen sich wohl nicht mit der Annahme, daß die e-qe-ta, im Falle, daß es zu einem Kampfeinsatz kam, das Kommando über die einzelnen Truppen übernommen haben. Worin bestand dann aber die Aufgabe der den o-ka zugeordneten e-qe-ta? Zunächst sollte man einmal von folgender Tatsache ausgehen: Ein e-qe-ta war ein hoch spezialisierter Elitekrieger, der über eine – zum Teil vom Palast gestellte – sehr teure Ausrüstung (Pferde, Streitwagen, Panzer und Wagenlenker) verfügte. Er beherrschte professionell verschiedene Kampftechniken, wie sie schon weiter oben beschrieben wurden, für deren exakte Ausführung es jedoch eines ständigen Trainings bedurfte. Es wäre also absurd, anzunehmen, daß eine so teure und wertvolle ›Kriegsmaschine‹ nicht ihrer eigentlichen Bestimmung, dem Einsatz als Streitwagenkämpfer, gemäß verwendet wurde. Diese Annahme muß also auch für den Einsatz der e-qe-ta bei den Truppen einzelner o-ka Gültigkeit haben. Weiters sollte man den Informationen, die aus den o-ka-Tafeln über die e-qe-ta zu gewinnen sind, nähere Beachtung schenken. Zunächst ist hier die – schon öfter angesprochene – ungleiche Verteilung der e-qe-ta-auf die zehn o-ka bzw. auf einzelne Truppen der o-ka zu erwähnen. Diese muß – nach Ausschluß anderer Erklärungsmöglichkeiten – ihren Grund in eben der spezifischen Verwendungsweise der e-qe-ta haben, d.h. die e-qe-ta wurden eben nicht in allen o-ka bzw. in allen Truppen der o-ka und nicht an jedem Standort gebraucht. Was die Truppen, die e-qe-ta bei sich hatten, betrifft, so wurde bereits oben festgestellt, daß nur Truppen der Gattung ke-ki-de, u-ru-pi-ja-jo und ko-ro-ku-ra-i-jo einen eqe-ta bei sich hatten, daß aber diese e-qe-ta nicht Bestandteil der Truppen, sondern diesen

156

II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

lediglich beigegeben waren, wie aus der Formulierung me-ta-qe pe-i deutlich hervorgeht. Dies bedeutet, daß diese Truppen auch ohne e-qe-ta operieren konnten, was auch die Tatsache beweist, daß einige ke-ki-de oder ko-ro-ku-ra-i-jo Einheiten auch ohne e-qe-ta eingesetzt wurden. Umgekehrt gilt dies jedoch nicht: die e-qe-ta operierten wohl nicht getrennt von den Einheiten, denen sie zugeordnet waren. Schließlich sei noch daran erinnert, daß e-qe-ta nur Truppen zugeordnet sind, die (mit einer Ausnahme) im freien Gelände, außerhalb der großen Siedlungen stationiert waren. Auch dieser Umstand spricht dafür, daß die e-qe-ta ihrer eigentlichen Bestimmung gemäß als Streitwagenkämpfer bei den einzelnen Truppen der o-ka dienten, zumal ein Streitwagen, der in einer Siedlung oder gar zur Verteidigung einer Befestigungsanlage eingesetzt wird, wohl nicht besonders sinnvoll ist. Nun erscheint der Einsatz eines einzelnen Streitwagens – und den betreffenden Truppen einer o-ka ist jeweils nur ein einziger e-qe-ta beigegeben – an sich schon nicht sehr sinnvoll, da die spezifische Einsatzform des Streitwagens die im Geschwaderverband ist, unabhängig davon, ob er als bewegliche Feuerplattform für Fernkämpfer (Bogenschützen) oder als schweres Gerät zum Durchbrechen feindlicher Infanteriereihen oder aber zur Bekämpfung gegnerischer Streitwagen verwendet wird. Lediglich zwei Verwendungsarten des Streitwagens machen auch den Einsatz eines einzelnen Kampfgefährtes sinnvoll. Zum einen ist dies der Einsatz als reines Transportmittel für einen schwer bewaffneten Krieger, der zum eigentlichen Kampf vom Wagen absteigt und in den Reihen der Fußkämpfer in der Schlacht operiert. Dem entspräche auch die Tatsache, daß e-qe-ta nur mit bestimmten Truppen der o-ka auftreten, in denen man, da sie eine ähnliche Bewaffnung wie der e-qe-ta selbst haben sollten, wohl schwerbewaffnete Infanteristen sehen müßte. Dem widerspricht jedoch der Umstand, daß Truppen mit e-qe-ta fast nur außerhalb großer Siedlungen eingesetzt wurden; zudem ist es zweifelhaft, daß es solch schwerbewaffnete Infanterietruppen innerhalb der in den o-ka versammelten lokalen Milizverbände überhaupt gegeben hat.123 Schließlich erscheint auch ein solcher Einsatz der e-qe-ta als schwerbewaffneter Fußkämpfer in den Reihen der o-ka-Truppen als Verschwendung der taktischen Möglichkeiten eines Streitwagenkämpfers. Zum andern macht der Einsatz eines einzelnen Streitwagens dann Sinn, wenn er im Verband mit sehr schnellen und beweglichen, leicht bewaffneten Fußkämpfern auftritt, wie das bei den schon weiter oben beschriebenen ägyptischen Streitwagen der Fall ist, die zusammen mit den sogenannten Rennern operierten. Die Annahme eines solchen Einsatzes auch des mykenischen Streitwagens im Rahmen der o-ka-Verbände erklärt nun auch den Umstand, warum die e-qe-ta nur bestimmten Truppengattungen zugeordnet sind. Es mußte sich bei diesen um sehr bewegliche, leicht bewaffnete Einheiten handeln, die in der Lage sein mußten, mit der Schnelligkeit des Streitwagens mitzuhalten, um zusammen mit dem e-qe-ta den Kampf gegen die Feinde aufnehmen zu können, sobald der Streitwagen in die Reihen des Gegners eingebrochen war und den Zusammenhalt der feindlichen Verbände zerstört und zersprengt hatte. Schließlich steht eine solche Verwendung der e-qe-ta auch in Einklang mit der Tatsache, daß Truppen mit e-qe-ta fast nur außerhalb größerer Siedlungen eingesetzt wurden, da die Verwendung solch ›gemischter‹ Verbände nur in offenem Gelände möglich war. Diese to123

Siehe dazu ausführlich im Anschluß.

1. Die o-ka-Tafeln

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pographische Einschränkung erklärt auch, warum nicht an allen Stationierungsorten außerhalb der großen Siedlungen e-qe-ta vorhanden waren. Offenbar waren geländebedingt nicht überall die Bedingungen vorhanden, die für den Einsatz auch nur eines Streitwagens erforderlich sind. Zusammenfassend kann demnach festgehalten werden, daß die einzelnen Truppen innerhalb der o-ka zugeordneten e-qe-ta die Aufgabe hatten, auf ihrem Streitwagen zusammen mit schnell beweglichen Infanterieeinheiten in die Reihen des Gegners einzubrechen und die Feinde zu zerstreuen. Hierzu waren sie nur bestimmten, diese Voraussetzung mitbringenden Einheiten zugeteilt und wurden auch nur an Standorten stationiert, die alle Bedingungen des Geländes für den Kampf mit dem Streitwagen aufwiesen. 1.8 Die ›Identifizierung‹ der einzelnen Arten von Truppen Im folgenden soll nun versucht werden, aufgrund der in den vorangehenden Punkten eruierten Informationen eine – natürlich nur hyothetische – Identifizierung der einzelnen Truppenbezeichnungen mit bestimmten Truppengattungen bzw. Bewaffnungstypen vorzunehmen. Wie schon im ersten Kapitel dieser Untersuchung festgestellt, existierten im Reich von Pylos folgende sich in ihrer Bewaffnung unterscheidende Arten von Truppen: 1. schwerbewaffnete Streitwagenkämpfer, ausgerüstet mit Körperpanzer, Helm, Schwert und Lanze, 2. schwerbewaffnete Infanterie mit Helm, Körperpanzer, Schild, Schwert und Lanze, 3. leichter bewaffnete Fußtruppen ausgestattet mit Helm, kleinem Schild, Wurfspeer und Dolch, 4. noch etwas leichter bewaffnete Fußtruppen mit Helm, Wurfspeer und Dolch (ohne Schild), 5. Bogenschützen ohne Schutzbewaffnung, 6. Schleuderer, ebenfalls ohne Schutzwaffen. Für die Zuordnung der in den o-ka-Tafeln aufscheinenden Truppenbezeichnungen o-kara3, u-ru-pi-ja-jo, ke-ki-de und ku-re-we kann nun die erste Gruppe nicht herangezogen werden, da in den o-ka-Tafeln Streitwagenkämpfer (als e-qe-ta bezeichnet) gesondert von diesen genannten Truppen aufgeführt werden, sodaß ausgeschlossen werden kann, daß sich hinter einer dieser Bezeichnungen Streitwagenkämpfer verbergen. Was die zweite Gruppe, die schwerbewaffnete Infanterie betrifft, so ist zu bezweifeln, ob diese Truppengattung überhaupt in den o-ka-Kontingenten vorhanden war. Schon die Tatsache, daß die Ausrüstung dieser Truppen (vor allem der Körperpanzer) extrem teuer war, läßt nicht erwarten, daß diese Truppen in den lokalen Milizaufgeboten existierten. Dafür spricht auch, daß Körperpanzer in nur zwölf Pylos-Tafeln aufscheinen; diese Linear B-Texte weisen auch keinen Kontext mit den Distrikten des Reiches von Pylos auf, sodaß angenommen werden kann, daß sie sich nur auf den Palast von Pylos beziehen, also auf die Ausrüstung von Truppen, die im Palast selbst Dienst taten. Schließlich darf auch vermutet werden, daß diese teure und trainingsintensive Ausrüstung (fast) nur Berufssoldaten vorbehalten war und, da in den einzelnen o-ka – wie gezeigt – nur Milizaufgebote organisiert waren, demnach bei den o-ka-Truppen nicht vorkam. Möglicherweise waren jedoch einige Männer in den o-ka-Aufgeboten sehr wohl mit dem teuren Körperpanzer (plus Helm und Schild) ausgerüstet: Die Anführer und Offiziere

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

der einzelnen o-ka. Wie gezeigt, gehörten wohl alle Personen dieser Gruppe der lokalen Elite in den einzelnen Distrikten des pylischen Staates an, und waren demnach auch in der wirtschaftlichen Lage, sich diese teure Ausrüstung leisten zu können. Auch könnte der auffallende Umstand, daß diese Männer in den o-ka-Tafeln namentlich genannt sind, wofür hinsichtlich der Unteranführer – anders als bei den Kommandanten – wohl keine verwaltungstechnische Begründung gefunden werden kann, durch ihre anders geartete Bewaffnung und die daraus resultierenden Kosten erklärt werden. Als Parallele sei darauf verwiesen, daß sonst nur die e-qe-ta, die in ähnlich teurer Weise ausgerüstet waren, namentlich in diesen Listen aufgeführt werden. Als Erklärung, warum sich in den Linear B-Tafeln keine Hinweise auf diese Ausrüstung im Zusammenhang mit den lokalen Distrikten finden, mag der Umstand dienen, daß im Gegensatz zu den im Palast stationierten mit dem Körperpanzer ausgerüsteten Berufssoldaten, die Kommandanten und Unteranführer der o-ka-Kontingente eben Milizsoldaten waren, die nicht vom Palast ausgerüstet wurden und die sich die teure Rüstung nur aufgrund ihres Wohlstandes leisten konnten. Demnach bleiben also noch vier Truppengattungen (Leichtbewaffnete mit und ohne Schild, Bogenschützen und Schleuderer) auf die vier überlieferten Truppenbezeichnungen o-ka-ra3, u-ru-pi-ja-jo, ke-ki-de und ku-re-we zu verteilen. Hierzu seien einige aus der Analyse der o-ka-Tafeln eruierte Informationen ins Gedächtnis gerufen, welche die einzelnen Truppenbezeichnungen betreffen bzw. zu deren Unterscheidung dienen:124 1. Die Gesamtstärken aller Einheiten jeweils einer Truppengattung differieren sehr stark: So gibt es insgesamt 160 Mann in ke-ki-de Einheiten, 200 Mann bei den o-kara3, 130 Mann dienen in ku-re-we Truppen und 70 bei den u-ru-pi-ja-jo. Auffallend hierbei ist die geringe Anzahl von in u-ru-pi-ja-jo Truppen versammelten Männern. 2. ke-ki-de und u-ru-pi-ja-jo Einheiten sind mit durchschnittlich 20 bzw. 30 Mann wesentlich kleiner als o-ka-ra3 und ku-re-we Truppen, deren Stärke im Durchschnitt zwischen 50 und 60 Mann liegt. 3. In größeren Städten sind ausschließlich o-ka-ra3 Einheiten stationiert.125 Dies könnte vielleicht bedeuten, daß nur Truppen Verwendung fanden, die zur Verteidigung von Befestigungswerken gut geeignet waren. 4. Ausschließlich ke-ki-de und u-ru-pi-ja-jo Einheiten ist ein e-qe-ta beigegeben.126 Nur diese Truppen waren offensichtlich in der Lage, die spezifische Kampfesweise der eqe-ta sinnvoll zu unterstützen. ke-ki-de und u-ru-pi-ja-jo hatten ihrerseits fast immer einen e-qe-ta beigegeben. Der entscheidende Punkt für eine mögliche Identifizierung der Truppenbezeichnungen dürfte der letztgenannte sein. Wie oben ausführlich dargelegt wurde, konnte ein einzelner e-qe-ta nur dann sinnvoll militärisch eingesetzt werden, wenn er zusammen mit leicht bewaffneten, sehr beweglichen Fußtruppen zusammenarbeitete. Zwar sind wohl alle in den oka-Kontingenten vorhandenen Truppen leicht bewaffnet, für einen Einsatz zusammen mit 124 125 126

Die auf ethnische Namen zurückgehenden Truppenbezeichnungen ko-ro-ku-ra-i-jo und i-wa-so bleiben hier vorerst außer Betracht. Abgesehen von i-wa-so und ko-ro-ku-ra-i-jo Truppen. Wiederum von den ko-ro-ku-ra-i-jo abgesehen.

1. Die o-ka-Tafeln

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dem Streitwagen kommen jedoch Bogenschützen und Schleuderer nicht in Frage. Vielmehr operierten etwa im ägyptischen Heer ausschließlich mit Wurfspeeren bewaffnete Soldaten im Verband mit jeweils einem Streitwagen. Man darf demnach davon ausgehen, daß von allen für das mykenische Militär eruierten Bewaffnungstypen nur die beiden mit Dolch und Speer bewaffneten Truppengattungen, von denen eine auch einen kleinen Rundschild trug, als diejenigen Einheiten in Frage kommen, die zusammen mit dem Streitwagen ins Feld gezogen sind. Da aber nur zwei Truppen, den ke-ki-de und den u-ru-pi-ja-jo, in den o-ka-Tafeln ein eqe-ta zugeordnet ist, müssen also diese beiden Truppenbezeichnungen mit den Leichtbewaffnet mit Speer und Dolch (mit und ohne Schild) identifiziert werden. Welche der beiden zusätzlich mit einem kleinen Rundschild ausgerüstet war, ist nicht zu entscheiden, doch liegt die Annahme nahe, daß die sehr häufig in den Bilddenkmälern dargestellten Krieger ohne Schild mit den ungleich zahlreicheren ke-ki-de Einheiten gleichgesetzt werden dürfen, während die u-ru-pi-ja-jo Einheiten folglich einen kleinen Schild trugen. Jedenfalls sind in beiden Truppen wohl schnelle, bewegliche Speerkämpfer zu sehen. Für die beiden Truppengattungen der Bogenschützen und Schleuderer bleiben somit die Bezeichnungen ku-re-we und o-ka-ra3 übrig. Aufgrund der sehr ähnlichen Kampfesweise beider Truppen – als Fernkämpfer – , ist es kaum möglich, eine Zuweisung zu einer der beiden Bezeichnungen vorzunehmen, da wohl beide Truppen in ähnlicher Weise und auch unter ähnlichen Bedingungen eingesetzt wurden. Vergleicht man nun die Einheiten der kure-we mit denen der o-ka-ra3 innerhalb der o-ka-Tafeln, so zeigen sich doch einige Unterscheidungsparameter. Während die Einheiten beider Truppengattungen annähernd gleich groß sind, ist die Gesamtzahl aller o-ka-ra3 mit 200 Mann doch um vieles höher als die der ku-re-we (130). Der wesentlichste Unterschied liegt jedoch in den Einsatzorten: o-ka-ra3 Einheiten werden hauptsächlich in größeren Orten, ku-re-we Truppen jedoch ausschließlich auf freiem Feld eingesetzt, genauer gesagt in der Nähe des künstlichen Hafens von Pylos, o-*34-ta, der ja – wie schon oben festgestellt – über keine Siedlung verfügte. Offenbar waren also die o-ka-ra3 Einheiten besonders gut dazu geeignet, befestigte Stützpunkte (Wälle, Mauern etc.) zu verteidigen. Da nun aber sowohl Schleuderer als auch Bogenschützen den Fernkampf (z.B. aus der Deckung oder von einer Mauer herab) zu führen in der Lage sind, kommen beide Truppengattungen als die mit den o-ka-ra3 zu identifizierenden Einheiten in Frage. Andererseits waren die ku-re-we Einheiten, die, um es noch einmal zu betonen, nur in o*34-ta aufscheinen, offenbar in der Lage, wirkungsvoll zusammen mit den anderen dort eingesetzten Truppen zusammenzuarbeiten. Bei diesen handelt es sich um zwei e-qe-ta sowie zusammen mit diesen operierende ke-ki-de und u-ru-pi-ja-jo Einheiten. Bei o-*34-ta befanden sich also Streitwagen, mit Speer und Dolch bewaffnete schnell bewegliche Fußkämpfer sowie die ku-re-we Truppen, die entweder Bogenschützen oder Schleuderer waren. Nun existiert ein aufschlußreiches Bilddokument, das eine Kampfszene zeigt, in der ebenfalls drei verschiedene Arten von Bewaffneten aufscheinen. Es handelt sich hierbei um die Fresken aus dem Megaron von Mykene,127 genauer gesagt um die der Südseite. Soweit 127

Siehe hierzu Rodenwaldt, Fries 24–45.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

der sehr fragmentarische Erhaltungszustand eine Aussage zuläßt, sind hier zum einen drei Streitwagen abgebildet sowie vier Krieger zu Fuß, die mit Helm und Speer bewaffnet sind, aber keine Schilde tragen – also bewegliche, leicht bewaffnete Truppen. Ein Freskofragment zeigt neben einem Teil eines Streitwagens die mit leinernen Beinschienen bekleideten Beine eines Kriegers, deren charakteristische Haltung schon den ersten Bearbeiter, Gerhard Rodenwaldt dieser Bildwerke dazu veranlaßt hat, in ihnen die Beine eines Bogenschützen zu sehen. Sollte aber diese Rekonstruktion richtig sein, wofür gute Gründe sprechen, so wäre hier ein Kampfgeschehen bzw. die Vorbereitungen zu einem solchen zu sehen, in dem nebeneinander Streitwagen, schnell bewegliche Speerkämpfer und Bogenschützen eingesetzt wurden. Diese Darstellung entspräche demnach genau der Situation der Truppen bei o-*34-ta, sofern man die dort stationierten ku-re-we Einheiten als Bogenschützen identifiziert. Es sei jedoch betont, daß diese Hypothese sehr stark von der Richtigkeit der Rekonstruktion des Freskofragments aus Mykene abhängt. Unter der Annahme, daß es sich bei den ku-re-we Einheiten um Bogenschützen handelte, bleibt nur mehr die Option, die als o-ka-ra3 bezeichneten Truppen als Schleuderer zu identifizieren. Diese am wenigsten geschützten und auch am billigsten ausgerüsteten Truppen in einem mykenischen Heer waren wohl am sinnvollsten zur Verteidigung von Befestigungswerken einzusetzen, wo sie als Fernkämpfer gegen einen konzentriert auftretenden Gegner am besten wirken konnten. Im Gegensatz zu Bogenschützen konnten Schleuderer einen Gegner nur auf geringere Distanzen bekämpfen, da sie sowohl was die Durchschlagskraft und Reichweite der Geschosse als auch was die Treffergenauigkeit anbelangt den Bogenschützen unterlegen waren. Als Verteidiger von Befestigungsanlagen hatten sie diese Nachteile kaum zu gewärtigen, da ein Angreifer natürlich gezwungen war, sich nahe an die Mauern heranzuwagen. Schließlich sei auch darauf hingewiesen, daß die Ausrüstung von Schleuderern sehr billig war und dementsprechend auch von einer breiten Masse der in den Milizverbänden dienenden Personen aufgebracht werden konnte; insgesamt stellen aber die in den o-ka-ra3 Einheiten versammelten Kämpfer die bei weitem größte Gruppe dar. Abschließend sei nun noch ein Blick auf die wohl ethnische Bezeichnungen tragenden Einheiten der ko-ro-ku-ra-i-jo und i-wa-so geworfen. Wie schon oben gezeigt, dürften diese beiden Namen keine Truppengattungen im Sinne von z.B. Bogenschützen etc. beschreiben, sondern auf lokale oder ethnische Bezeichnungen zurückgehen, was freilich nicht ausschließt, daß auch mit diesen beiden Einheiten spezifische Kampfesweisen bzw. Bewaffnungen verbunden sind. Was die Größe der einzelnen Truppen betrifft, so sind keine signifikanten Unterschiede zwischen ko-ro-ku-ra-i-jo und i-wa-so feststellbar, da beide sowohl über relativ große Einheiten (70 bzw. 80 Mann) als auch über sehr kleine (10 Mann) verfügen. Hinsichtlich der Gesamtstärke sind die ko-ro-ku-ra-i-jo mit insgesamt 160 Mann doch wesentlich größer als die i-wa-so mit 100 Mann, was sich auch in der Tatsache niederschlägt, daß fünf ko-ro-kura-i-jo Einheiten in den o-ka-Tafeln verzeichnet sind aber nur drei i-wa-so Truppen. Schließlich lassen sich mit Hinblick auf die Einsatzorte der beiden Truppen keine wesentlichen Unterschiede feststellen. i-wa-so Einheiten sind in zwei von drei Fällen an Orten stationiert, die durch andere Linear B-Tafeln als Siedlungen ausgewiesen sind, in e-na-po-

1. Die o-ka-Tafeln

161

ro128 und a-pi-te-wa.129 Es dürfte sich allerdings nur bei e-na-po-ro um eine größere Siedlung gehandelt haben. ko-ro-ku-ra-i-jo Einheiten sind zweimal in größeren Siedlungen (ake-re-wa und ka-ra-do-ro) stationiert, einmal in einer kleineren Siedlung (za-e-to-ro)130 und zweimal wohl im freien Gelände (ne-wo-ki-to wo-wi-ja und .]-o-ri-jo). All diese Daten lassen somit keine Rückschlüsse auf Bewaffnung und Kampfesweise der ko-ro-ku-ra-i-jo bzw. der i-wa-so Einheiten zu. Eine aus den o-ka-Tafeln zu gewinnende Information zu den ko-ro-ku-ra-i-jo könnte jedoch aufschlußreich sein. Dreien der fünf ko-ro-ku-ra-i-jo Einheiten ist jeweils ein e-qe-ta zugeordnet, seltsamerweise auch einer Einheit, die in einer großen Stadt (a-ke-re-wa) stationiert war. Nach dem, was oben über die anzunehmende Kampfesweise der e-qe-ta in den o-ka-Kontingenten sowie über Bewaffnung und Einsatz er ihnen zugeordneten Truppen gesagt wurde, müssen diese ko-ro-ku-ra-i-jo Truppen, um sinnvoll mit den Streitwagen kooperieren zu können, wohl ähnlich bewaffnet gewesen sein wie die sonst zusammen mit den Streitwagen auftretenden Einheiten der ke-ki-de oder u-ru-pi-ja-jo. Demnach wären also die ko-ro-ku-ra-i-jo Krieger mit Dolch und Speer bewaffnete, sehr bewegliche Kämpfer, die keine Schutzwaffen trugen außer möglicherweise einem kleinen Schild. Was übrigens die in a-ke-re-wa stationierten ko-ro-ku-ra-i-jo betrifft, so muß man wohl annehmen, daß diese nicht zur Verteidigung von Mauern eingesetzt wurden, sondern eher vor der Stadt in freiem Gelände kämpfen sollten. In diese Richtung deutet ohnehin schon die Anwesenheit eines e-qe-ta, zumal ein Streitwagen bei der Verteidigung einer befestigten Siedlung natürlich nur vor den Mauern verwendet werden kann. Hinsichtlich einer näheren Bestimmung der i-wa-so Truppen kann daraus nur ein negativer Befund erstellt werden. Keiner der i-wa-so Einheiten ist ein e-qe-ta beigegeben, unabhängig davon, ob sie in einer großen Siedlung eingesetzt wurde oder nicht. Man könnte daraus lediglich den Schluß ziehen, daß die i-wa-so aufgrund ihrer ›nationalen‹ Bewaffnung (z.B. Fernwaffen) eben nicht geeignet waren, an der Seite von Streitwagen eingesetzt zu werden, doch wäre dagegen einzuwenden, daß auch nicht alle ke-ki-de und u-ru-pi-ja-jo Einheiten einen e-qe-ta bei sich hatten. Die bloße Tatsache, keinem e-qe-ta zugeordnet zu sein, sagt somit noch nichts über die Bewaffnung der jeweiligen Truppe aus. Auch die Tatsache, daß eine i-wa-so Einheit in einer größeren Siedlung (e-na-po-ro) stationiert war, spricht nicht unbedingt für ihre Ausrüstung mit Fernwaffen. Auf die geringen Entfernungen beim Kampf an Befestigungsanlagen konnten selbstverständlich neben Schleudern und Pfeilen131 auch Wurfspeere dienen, wie sie sonst die Truppen der ke-ki-de und u-ru-pi-jajo trugen. Bewaffnung und Kampfesweise der i-wa-so Einheiten müssen also mangels weiterer Informationen offen bleiben. Abschließend nur noch einige Bemerkungen zur Herkunft der ko-ro-ku-ra-i-jo und iwa-so. Betrachtet man die Verteilung von Einheiten der ko-ro-ku-ra-i-jo und i-wa-so auf die einzelnen o-ka, so zeigt sich, daß in den o-ka I bis III sowie VII überhaupt keine Trup128 129 130 131

Zur Klassifizierung von e-na-po-ro als größere Siedlung siehe II 2.1. a-pi-te-wa erscheint nur noch in der Tafel Na 1021, in einer Reihe von Tafeln, die den Besitz von Leinen verzeichnen. Die Bedeutung von za-e-to-ro geht aus der ›Rudererliste‹ An 610 hervor, in der za-e-to-ro drei Mann stellen muß, während etwa a-ke-re-wa 25 stellt. Ausdrücklich bezeugt sind Bogenschützen (to-ko-so-ta) allerdings nur in einer Tafel aus Knossos (KN V 150).

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

pen dieser Bezeichnung aufscheinen. Für die 7. o-ka mag als Erklärung hierfür dienen, daß diese o-ka nur einen Standort, nämlich die große Stadt ro-o-wa besitzt, und diese Truppen vielleicht nicht sinnvoll zur Verteidigung von Befestigungsanlagen eingesetzt werden konnten.132 Für die ersten drei Distrikte steht eine solche Erklärung allerdings nicht zur Verfügung.133 Die 4. o-ka hat eine kleine i-wa-so Einheit, die 5. und 8. o-ka beherbergen eine kleine ko-ro-ku-ra-i-jo bzw. eine i-wa-so Truppe. In der 6. o-ka steht eine große ko-roku-ra-i-jo Einheit und in der 9. o-ka befinden sich gleich drei ko-ro-ku-ra-i-jo und eine (sehr große) i-wa-so Truppe; diese o-ka (von ri-jo) besteht überhaupt nur aus Einheiten der ko-ro-ku-ra-i-jo und i-wa-so. Aus einem geographischen Blickwinkel bedeut dies, daß im gesamten Norden des Pylischen Reiches (pi-*82, me-ta-pa, pe-to-no) keine ko-ro-ku-ra-i-jo und i-wa-so Einheiten stationiert waren, im dicht besiedelten zentralen Raum um Pylos (pa-ki-ja-ne und a-pu2) relativ wenige, im Süden des Landes jedoch sehr viele Truppen dieser beiden Bezeichnungen vorhanden waren. Das Aufgebot von ri-jo bestand – wie schon gesagt – zur Gänze aus ko-ro-ku-ra-i-jo und i-wa-so Einheiten und das von ka-ra-do-ro immerhin zur Hälfte. Berücksichtigt man nun weiters, daß ko-ro-ku-ra-i-jo und i-wa-so ethnische Bezeichnungen sein dürften und diese so benannten Truppen somit von einer räumlich begrenzten Bevölkerungsgruppe (bzw. deren zwei) gestellt wurden, so liegt die Vermutung nahe, daß diese beiden Ethnien im Süden des pylischen Staates, genauer gesagt wohl im Bereich der messenischen Halbinsel beheimatet waren. Betrachtet man nun einerseits die Topographie der messenischen Halbinsel sowie die Verteilung der mykenischen Besiedelung dieser Region so zeigt sich ein auffallender Befund. Das gesamte Innere der messenischen Halbinsel wird von einem Berg- und Hügelland eingenommen, dessen höchste Erhebungen der Lykodimo (960m) im Norden (auf der geographischen Höhe von Pylos) und der Mavrovouni (509m) an der Südspitze der Halbinsel bilden. Fruchtbare zum Ackerbau gut geeignete Ebenen finden sich nur an wenigen Stellen der Küste, an denen sich meist auch die (wenigen) natürlichen Häfen befinden. Das Innere der Halbinsel ist zwar nicht unfruchtbar zu nennen, doch sind diese höher gelegenen Regionen wohl besser für die Viehzucht als für den Ackerbau geeignet.134 Diese topographischen Gegebenheiten schlagen sich auch deutlich in der Verteilung mykenischer Siedlungsplätze nieder.135 Südlich der Bucht von Navarino nimmt die Dichte mykenischer Siedlungen signifikant ab und erstreckt sich zudem nur wenig (bis zu 3km) landeinwärts. An der gesamten Westküste der messenischen Halbinsel existieren südlich des modernen Pylos nur drei mykenische Siedlungen. Noch spärlicher fällt der Befund an der Südküste der Halbinsel aus, wo nur bei den heutigen Orten Methoni und Phinikounda mykenische Ansiedlungen existierten. Etwas mehr mykenische Siedlungen gab es entlang der Ostküste der messenischen Halbinsel, wenngleich diese meist nicht unmittelbar an der Küste, sondern in geringer Entfernung vom Meer gelegen waren. Im gesamten Inneren der Halbinsel konnten bislang überhaupt nur zwei mykenische Siedlungsplätze festgestellt wer132 133 134 135

Es sei nochmals daran erinnert, daß die ko-ro-ku-ra-i-jo Einheit, die in a-ke-re-wa diente, dies zusammen mit einem e-qe-ta tat und somit wohl vor den Mauern im Einsatz war. Sie käme allenfalls noch für die 1. o-ka in Betracht, die in der Stadt o-wi-to-no stationiert ist, keinesfalls aber für die o-ka von me-ta-pa und pe-to-no. Siehe Philippson, Kirsten, Peloponnes 391. Hierzu die Karte in Hope Simpson, Mycenaean Greece 114.

1. Die o-ka-Tafeln

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den. Der eine, beim heutigen Exochiko liegt gleichsam am Nordrand der sich ca. 5km ins Inland ziehenden Küstenebene und ist somit noch dem Küstenbereich zuzuzählen. Lediglich die zweite Siedlung, bei Kato Ambelochori, liegt im Bergland der Halbinsel an den Südostausläufern des Lykodimo. Das restliche Innere der Halbinsel weist keine mykenischen Siedlungen auf, was umso bemerkenswerter ist, als das nördlich des Lykodimo gelegene fruchtbare Hügelland136 sowie das Inlandsgebiet noch weiter im Norden137 von einem dichten Netz mykenischer Siedlungen geprägt ist. Der eben skizzierte Befund bedeutet nun nicht unbedingt, daß dieses große Gebiet im Inneren der messenischen Halbinsel völlig unbesiedelt war, sondern nur, daß die dortige Bevölkerung, die wohl hauptsächlich von der Kleinviehzucht lebte, lediglich schwach von der mykenischen Kultur erfaßt war. Angesichts der oben festgestellten deutlichen Konzentration der ko-ro-ku-ra-i-jo und i-wa-so Einheiten in Stationierungsorten der messenischen Halbinsel liegt die Vermutung nahe, daß diese beiden Ethnien in diesem Berg- und Hügelland im Inneren der Halbinsel beheimatet waren. Die Einheiten der ko-ro-ku-ra-i-jo und i-wa-so sind in Standorten derjenigen pylischen Distrikte stationiert, die gleichsam das Berg- und Hügelland im Inneren der messenischen Halbinsel umrahmen: in a-pu2, a-ke-re-wa, ka-ra-do-ro und ri-jo, was angesichts der vorgeschlagenen Lokalisierung der Heimat dieser Truppen nur logisch erscheint. Eine Truppe jedoch, eine i-wa-so Einheit, gehört zum Aufgebot des Distrikts pa-ki-ja-ne, der nicht an das Hügelland im Inneren der Halbinsel grenzt. Da gerade diese i-wa-so Einheit aber eine Herkunftsangabe besitzt – sie wird ebenso wie die anderen Truppen des Distrikts als pe-dije-we, also aus der Ebene um den Palast von Pylos stammend, bezeichnet –, ist wohl nicht anzunehmen, daß diese i-wa-so von weit her nach pa-ki-ja-ne beordert wurden, sondern daß sie aus diesem Distrikt stammten. Dies würde jedoch bedeuten, daß Teile des Ethnos der i-wa-so über das Binnenland der messenischen Halbinsel hinaus weiter nach Norden ausgegriffen haben und so dem Distrikt pa-ki-ja-ne angehörten. Dies würde auch die für iwa-so Truppen einzigartige zusätzliche Herkunftsangabe (pe-di-je-we) erklären: Es sollte dadurch wohl deutlich gemacht werden, daß diese i-wa-so Einheit nicht, wie es bei den übrigen der Fall war, aus dem Raum der messenischen Halbinsel stammte, sondern aus dem Umland des Palastes von Pylos. Zusammenfassend kann somit zu den ›Truppengattungen‹ – vermutungsweise – folgendes festgehalten werden: Neben den zum Teil im Palast von Pylos, zum Teil an der Nordgrenze des Reiches stationierten Streitwagenkämpfern (e-qe-ta) und der schwer (mit Körperpanzer) bewaffneten Infanterie, die beide aus Berufssoldaten gebildet wurden, gab es im pylischen Staat auch lokale Aufgebote der einzelnen Distrikte, die als o-ka bekannt sind. In diesen o-ka existierten Einheiten leicht (mit Speer und Dolch) bewaffneter Soldaten, die als ke-ki-de bezeichnet wurden, sowie Einheiten, die zusätzlich mit einem kleinen Rundschild ausgerüstet waren und u-ru-pi-ja-jo genannt wurden. Beide Truppen konnten auch – da sehr schnell und beweglich – zusammen mit Streitwagenkämpfern operieren. Neben diesen Einheiten findet man in einigen o-ka auch (relativ große) Verbände von Schleuderern (oka-ra3) und Bogenschützen (ku-re-we). Abgesehen von diesen nach ihrer Bewaffnung oder ihrem Verwendungszweck benannten Einheiten gab es auch Truppen, die ethnische Be136 137

Zwischen den heutigen Orten Koukounara, Chandrinos und Mesopotamos. Gemeint ist das gesamte Gebiet zwischen den Orten Chora im Norden und Iklaina im Süden.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

zeichnungen trugen (ko-ro-ku-ra-i-jo und i-wa-so) und wohl aus dem Bergland im Inneren der messenischen Halbinsel stammten. Auch diese Truppen dürften leicht bewaffnet und beweglich gewesen sein, da zumindest eine (ko-ro-ku-ra-i-jo) ebenfalls zusammen mit Streitwagenkämpfern (mehrmals) aufgeführt wird. 1.9 Die Mannschaftsstärke der einzelnen Truppen in den o-ka-Tafeln Wie oben festgestellt, dürfte es sich bei den in den einzelnen o-ka organisierten Truppen um Aufgebote der Distrikte des Pylischen Reiches handeln, die, fallweise durch Kontingente anderer Distrikte ergänzt, offenbar den jeweiligen Gegebenheiten der Küstenverteidigung angepaßt sind. Kommandiert werden sie ihrer lokalen Provenienz entsprechend von hohen lokalen Beamten der zivilen Verwaltung. Keinesfalls handelt es sich also bei den oka-Tafeln um Söldnerkontingente oder bloße Spezialeinheiten. Die – wie schon gezeigt – verbreitete Ansicht, daß es sich um spezialisierte Söldnertruppen handelt, bezieht diese Ansicht vornehmlich aus der Überlegung, daß die in den o-ka-Tafeln angegebenen Zahlen für die Mannschaftsstärke für ein Gesamtaufgebot der pylischen Distrikte viel zu gering wäre, weshalb es sich eben nur um Spezialeinheiten handeln könne und das lokale Aufgebot noch gar nicht mobilisiert wäre. Es seien daher diese Zahlenangaben im folgenden genauer betrachtet. Die einzelnen Truppen der zehn o-ka differieren in ihrer Mannschaftsstärke beträchtlich, sodaß Truppen von 10 bis zu 110 Mann überliefert sind. Aber auch die Gesamtstärken der einzelnen o-ka unterschieden sich erheblich und reichen von 30 Mann in der 10. o-ka bis zu 130 Mann in der 9. o-ka. Lediglich wenn man – was, wie oben gesagt, gut zu begründen ist – jeweils zwei o-ka mit gemeinsamem Hauptquartier als enger zusammengehörende Einheit auffaßt, ergibt sich ein etwas ausgewogeneres Bild. So beinhalten die 1. und 2. o-ka mit Hauptquartier in o-wi-to-no zusammen 130 Mann, die 3. und 4. o-ka (Hauptquartier to-wa) 170 Mann, die 5. und 6. o-ka (Hauptquartier a-ke-re-wa) etwa 160 Mann,138 die 7. und 8. o-ka (Hauptquartier ro-o-wa) 210 Mann und die 9. und 10. o-ka (Hauptquartier timi-to a-ko) 160 Mann. Angemerkt soll hier auch werden, daß von der einzigen ungewöhnlich großen o-ka, der von ro-o-wa, – wie oben gezeigt – 80 Mann zur Bewachung des künstlichen Hafens von Pylos, o-*34-ta, abgestellt wurden und nicht in ihrer o-ka Dienst taten. Somit bewegt sich die Stärke eines Kommandobezirkes zwischen 130 und 170 Mann, wobei letzteres wiederum für den Sonderfall oder o-ka III und IV gilt, in deren Gebiet der Palast von Pylos und der Hafen o-*34-ta lag. Die Gesamtstärke aller in den zehn o-ka versammelten Truppen beträgt 800 Mann. Hinzu kommen noch die Männer der ke-ki-de wa-ka-ti-ja-ta, deren Zahlenangabe in der Tafel offenbar ausgefallen ist. Bedenkt man, daß eine ke-ki-de-Truppe durchschnittlich – wie oben gezeigt – 20 Mann stark ist, so kommt man zu einer hypothetischen Gesamtzahl von 820 Mann. Schließlich sind noch die Kommandanten und Unteranführer miteinzubeziehen. Deren Zahl beträgt 55, sodaß man unter Hinzuzählung der 11 den Truppen beigegebenen e-qe-ta auf eine Gesamtstärke aller in den fünf o-ka-Tafeln erwähnten Truppen von 138

In der 5. o-ka ist – wie gezeigt – eine Zahlenangabe ausgefallen, und zwar bei einer ke-ki-deEinheit. ke-ki-de-Truppen sind im Durchschnitt 20 Mann stark.

1. Die o-ka-Tafeln

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887 Mann kommt. Es sind demnach in den Kontingenten von zehn pylischen Distrikten – die Ungenauigkeit in der Mannschaftsstärke der 5. o-ka berücksichtigt – ungefähr 900 Mann versammelt. Geht man nun davon aus, daß diese 900 Mann die lokalen Aufgebote der einzelnen Distrikte – und keine Söldnertruppen – darstellen, so fällt natürlich auf, daß nur insgesamt 10 Distrikte mit ihren Truppen in den o-ka-Tafeln vertreten sind, genau gesagt die 9 Distrikte der Diesseitigen Provinz und ein Distrikt der Jenseitigen Provinz. Nicht erwähnt werden hierbei die Distrikte ra-wa-ra-ta2, sa-ma-ra, a-si-ja-ti-ja, e-ra-te-re-wa, za-ma-e-wi-ja, e-sare-wi-ja, a-te-re-wi-ja bzw. e-re-i. Je nachdem ob man e-sa-re-wi-ja und a-te-re-wi-ja als eigenständige Distrikte oder beide als Teile des Distrikts e-re-i sieht, umfaßte die Jenseitige Provinz – abgesehen von ti-mi-to a-ko – also sechs oder sieben zusätzliche Distrikte.139 Nun ist aber selbstverständlich anzunehmen, daß – gemäß dem Beispiel der Diesseitigen Provinz – auch alle Distrikte der Jenseitigen Provinz über ein lokales Aufgebot verfügt haben werden, das in einer o-ka organisiert war. Rechnet man nun von der Mannschaftsstärke der belegbaren o-ka von zehn Distrikten auf die der Distrikte der Jenseitigen Provinz hoch, so ergibt sich folgende Kalkulation: Die überlieferten zehn o-ka stellten ca. 900 Mann also durchschnittlich 90 Mann pro o-ka. Demnach kann man davon ausgehen, daß in den verbleibenden sechs bzw. sieben o-ka der Jenseitigen Provinz zusätzliche 540 bzw. 630 Mann versammelt waren. Die Gesamtstärke der lokalen Aufgebote aller 16 bzw. 17 Distrikte des Reiches von Pylos betrug also ungefähr 1500 Mann. Es stellt sich nun jedoch die Frage, warum in den o-ka-Tafeln nur die Aufgebote von 10 der 16 (oder 17) Distrikte aufgelistet sind. Zwei mögliche Erklärungen bieten sich an. Zum einen könnte der uns erhaltene Bestand an o-ka Tafeln nicht vollständig sein. Darauf könnte auch der Umstand deuten, daß die letzte der o-ka-Tafeln (An 661) nicht ganz vollständig erhalten ist. Zum anderen wäre es auch denkbar, daß nur die Aufgebote der Distrikte der Diesseitigen Provinz plus der o-ka von ti-mi-to a-ko mobilisiert werden – denn um eine Art von Mobilmachung handelt es sich bei den o-ka-Tafeln wohl –, während die Kontingente der jenseitigen o-ka nur in Bereitschaft gehalten wurden, weil eine Bedrohung lediglich für die langen Küsten der Diesseitigen Provinz befürchtet wurde. Den relativ kurzen Küstenabschnitt der Jenseitigen Provinz hätte dann lediglich die o-ka von ti-mi-to a-ko – unterstützt vielleicht von den Truppen des Distrikts ri-jo – zu bewachen gehabt.140 Letztlich ist diese Frage jedoch nicht zu entscheiden. Doch nicht allein die Distriktsaufgebote des Pylischen Reiches wurden (zum Teil?) mobilisiert. Offenbar wurden auch Schiffe bemannt, die entweder zur Erkundung vor der pylischen Küste patrouillieren sollten, oder sogar eine Art ersten Verteidigungsring vor der Küste zu bilden hatten. Drei Tafeln aus dem Archiv von Pylos belegen eine ›Einberufung‹ von Ruderern, wobei die Involvierung des ra-wa-ke-ta (in Tafel An 724) zusätzlich für den militärischen Charakter dieser Maßnahme spricht. In Tafel An 12 werden offenbar Hafen139 140

Zu diesem Problem siehe Chadwick, Further Province 276–278. Dafür spräche auch die Entsendung der Truppen von ti-mi-to a-ko nach ne-da-wa-ta, sofern die Identifizierung dieses Toponymons mit dem Fluß Nedon an der Südostgrenze des Pylischen Reiches korrekt ist. Siehe dazu Hope Simpson, Mycenaean Greece 149.

166

II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

städte erwähnt, aus denen Ruderer zusammengezogen werden, um pe-re-u-ro-na-de (also nach pe-re-u-ro) zu fahren. Die in dieser Tafel genannte Anzahl von insgesamt 30 Mann könnte auf die Besatzung eines Schiffes deuten.141 Die Tafel An 19 nennt sowohl Orte als auch Personengruppen, die Ruderer zu stellen haben. Insgesamt werden 444 Mann genannt, doch sind von den insgesamt 28 aufgelisteten Orten oder Gruppen nur 19 mit der vollständigen Mannschaftszahl erhalten. Eine Hochrechnung der nicht erhaltenen Zeilen ergibt eine mögliche Gesamtzahl an Ruderern von ungefähr 650 Mann. Die Tafel An 724 schließlich nennt Orte und Personen, die offenkundig für abwesende Ruderer verantwortlich sind. Insgesamt ist auf diesen Tafeln von etwa 700 Ruderern142 die Rede, die also bei der Berechnung der Gesamtheeresstärke des Pylischen Reiches zu den ca. 1500 Mann der lokalen Aufgebote hinzugezählt werden müssen. Beiden (den o-ka-Truppen wie den Ruderern) gemeinsam scheint übrigens die Tatsache zu sein, daß sie aufgeboten und aus verschiedenen Orten zusammengezogen werden mußten. Es handelt sich also auch bei den Ruderern nicht um verfügbare Söldnerkontingente, sondern um lokale pylische Bevölkerung (vor allem der Küstenorte), die im Bedarfsfall zum Kriegsdienst herangezogen wurde. Zur Berechnung der Gesamtstärke des pylischen Heeres muß noch eine Truppengattung betrachtet werden, die sicherlich nicht – wie die bislang genannten – zum lokalen Aufgebot zu zählen ist: die Streitwagen. Wie die Tafeln des Archivs von Pylos bezeugen, waren die Streitwagen wohl nicht über einzelne Stützpunkte im Reich verteilt, sondern zur Gänze in Pylos selbst konzentriert; dies stellt einen Unterschied zu Kreta dar, wo auch außerhalb von Knossos Streitwagenkontingente stationiert gewesen zu sein scheinen.143 Die Besatzung, die aus einem Streitwagenlenker und einem Kämpfer bestand, war – zumindest was den Kämpfer betrifft – sehr schwer mit einem Körperpanzer bewaffnet,144 wobei zumindest in einigen Fällen auch der Wagenlenker einen Panzer besessen hat.145 Die Stärke des pylischen Streitwagenkorps dürfte etwa 120 Wagen betragen haben,146 was eine Besatzung von 240 Mann erfordert. Zusammen mit den o-ka-Truppen und den auf den Schiffen eingesetzten Kämpfern kommt man somit auf 2.440 Mann. Bedenkt man schließlich, daß der Palast von Pylos selbst zur Verteidigung147 eine Mannschaft benötigte, so sind 60 Mann für diesen Zweck sicherlich nicht zu hoch gegriffen. Für das gesamte militärische Aufgebot des Pylischen Reiches ergibt sich demnach aus diesen Überlegungen folgende Kalkulation: 141 142

143

144 145 146 147

Siehe II 2.1. Hinsichtlich der Bezeichnung ›Ruderer‹ ist hierbei festzuhalten, daß zu dieser Zeit, wie auch später (z.B. in homerischer Zeit) die Schiffsbesatzungen ebenso als Ruderer wie als Kämpfer zu Wasser und zu Lande dienen mußten und somit als militärisches Aufgebot zu werten sind. Siehe hierzu ausführlich Crouwel, Fighting on Land and Sea 469f. Dies geht daraus hervor, daß – den Texten des knossischen Archivs zufolge – die Streitwagenkämpfer, die e-qe-ta, nicht nur in Knossos, sondern auch andernorts in Kreta anzutreffen sind. Dazu siehe ausführlich II 3.1.4 über die Verhältnisse in Kreta. Siehe die Tafeln der Sc-Serie des Archivs von Knossos, in denen neben Streitwagen und Pferd auch Körperpanzer genannt sind. Wahrscheinlich ist dies sogar die Regel. Auch hierzu siehe genauer weiter unten im Kapitel über die knossischen Texte (II 3.3). Godart, Le role du palais 250f. und Gschnitzer, Heerwesen 258. Zumal jetzt klar zu sein scheint, daß auch Pylos selbst Verteidigungswerke besaß. Bennet, Davies, Making Mycenaeans 105f.

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1. Die o-ka-Tafeln

1. o-ka-Truppen

1.500 Mann

2. Truppen auf Schiffen

700 Mann

3. Streitwagenbesatzung

240 Mann

4. Palasttruppen gesamt

60 Mann 2.500 Mann

Man hat also beim Reich von Pylos mit einer militärischen Gesamtstärke von ungefähr 2.500 Mann (oder etwas mehr) zu rechnen, eine Zahl, die – wie schon oben gezeigt – als zu gering angesehen wird, weshalb in den o-ka-Truppen nur Spezialeinheiten gesehen werden, zu denen – neben Streitwagenkämpfern und Ruderern – noch das eigentliche Aufgebot der Miliz hinzugerechnet werden müsse, was insgesamt eine mindestens doppelt so hohe Truppenstärke ergeben würde. Zur richtigen Einschätzung dieser Zahl sei ein Blick auf die Stärke anderer bronzezeitlicher Heere geworfen. In der wohlbekannten ›Anklage des Maduwatta‹148 des Hethiterkönigs Arnuwanda I. an Maduwatta, einen hethitischen Versallen, ist die Rede von einem Angriff auf das Gebiet dieses Maduwatta. Der Angreifer ist Attarassiya, der als Mann von Ahhiya, bezeichnet wird und offenbar ein mykenischer Herrscher ist.149 Attarasiya war offenkundig siegreich gegen Maduwatta und konnte erst von einer zu Hilfe eilenden hethitischen Armee zum Rückzug gezwungen werden. Die Stärke des Heeres des Attarasiya wird mit 100 Streitwagen beziffert, die Zahl der Fußtruppen wird – wie häufig – nicht angegeben. Offenbar stellte also das Heer des Attarasiya, in dem sich 100 Streitwagen befanden, eine ernste Bedrohung eines Versallenstaates des hethitischen Großreiches dar. Überhaupt läßt sich aus den sogenannten Ahhijawa-Urkunden insgesamt ablesen, daß dieses mykenische Reich am Rande der hethitischen Welt ein ernstzunehmender Partner und Gegner war.150 Auf dem Rückweg von seinem Feldzug gegen Arzawa151 wurde der Hethiterkönig Tudchalija I/II (Ende 15. Jh.) von einer Koalition von mehr als 20 Kleinstaaten des nordwestlichen Kleinasien unter Führung von Assuwa angegriffen, deren Heer aus mehr als 10.000 Mann Fußtruppen und 600 Streitwagen bestand. Das Zahlenverhältnis von Fußtruppen zu Streitwagen betrug also in diesem für Steitwagen sicherlich nicht so idealen Terrain – anders als etwa in Syrien – ca. 20 zu 1. So erwähnt Mursili II., daß Hyasa, einer der mächtigeren Nachbarn des Hethiterreiches, in der Lage war 10.000 Mann Fußtruppen und 700 Streitwagen im Feld zu stellen,152 während ein Herrscher eines kleinen Reiches etwa 3.000 Mann mobilisieren konnte.153 Nun zu den hethitischen Streitkräften selbst: Die vollständigsten Zahlenangaben zu einem hethitischen Heer existieren bezüglich der Schlacht von Kadesch, wenngleich nicht aus hethitischen, sondern ägyptischen Quellen. Für die richtige Einschätzung des militäri148 149 150 151 152 153

KUB XIV 1; Kbo XIX 38. Siehe Niemeier, Mycenaeans and Hittites 146f. Dazu ausführlich Niemeier, Mycenaeans and Hittites 141–154. KUB XXIII Vs II 13–29. KBo IV 4 II 73f. KBo II 5 III 4f.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

schen Potentials des Hethiterreiches und seiner Versallen ist der Feldzug von Kadesch deshalb besonders gut geeignet, da angenommen werden darf, daß Muwattalli für diese entscheidende Schlacht alles an Mannschaften mobilisierte, was im Reich der Hethiter und ihrer Verbündeten zur Verfügung stand (abgesehen von Wachmannschaften in den Festungen).154 Aus den ägyptischen Angaben über das eigene sowie das Heer der hethitischen Gegner läßt sich demnach erschließen, daß Muwattalli zwischen 40.000 und 50.000 Mann ins Feld stellen konnte, von denen etwa 10.500 Streitwagenbesatzungen waren.155 Dies scheint als besonders hoher Anteil an Streitwagen, doch wenn man bedenkt, daß sich auf hethitischen Streitwagen jeweils drei Mann befanden, so kommt man auf ein Zahlenverhältnis von ca. 40.000 Mann Infanterie zu 3.500 Streitwagen also ungefähr 10 zu 1, was der üblichen Praxis vorderasiatischer Staaten entspricht. Verglichen mit dem erschlossenen Gesamtaufgebot des Pylischen Reiches von 2.500 Mann konnten die Hethiter demnach ca. 20 Mal so viele Soldaten mobilisieren. Die Hethiter werden hier übrigens deshalb als Vergleich herangezogen, weil sich – anders als in Ägypten – Landesnatur, Bevölkerungsdichte, Besiedlungsstruktur und militärische Organisation in Kleinasien wohl einigermaßen mit den Verhältnissen im mykenischen Griechenland des 13. Jh. vergleichen lassen. Das Hethiterreich konnte also etwa die zwanzigfache Militärstärke von der des Pylischen Reiches aufbieten. Ein Blick auf die politische Landkarte des 13. Jh. zeigt aber deutlich, daß die Ausdehnung des Hethiterreiches einschließlich der Versallen und Verbündeten wesentlich mehr als die zwanzigfache Ausdehnung Messeniens hatte. Wenn also das hethitische Heer 50.000 Mann (oder auch 60.000–70.000 Mann einschließlich der Garnisionen) umfaßte, so ist eine Heeresstärke von 2.500 Mann für das Reich von Pylos ohnehin schon sehr beachtlich. Ein Vergleich mit den Heeresaufgeboten anderer spätbronzezeitlicher Staaten zeigt also, daß die erschlossenen 2.500 Mann als Gesamtaufgebot des pylischen Heeres dem anderer mykenischer Staaten (Attarasiya) entsprechen und im Vergleich mit den über 50.000 Mann des hethitischen Großreiches geradezu als sehr hoch angesehen werden müssen. Es besteht demnach keinerlei Veranlassung, ja es wäre angesichts dieser Vergleiche geradezu abwegig, anzunehmen, daß es sich bei den o-ka-Truppen und den ›Ruderern‹ von Pylos – abgesehen von den Streitwagen – nur um einen aus Söldnern gebildeten Teil der pylischen Streitkräfte handelte, der noch um die zahlenmäßig natürlich weit stärkeren Lokalaufgebote ergänzt werden müßte. Es bleibt also dabei: Die in den einzelnen o-ka organisierten Truppen bildeten zusammen mit den auf den Schiffen Dienst tuenden Mannschaften das Gros des pylischen Heeres. Natürlich muß für eine richtige Einschätzung der pylischen Verteidigungsmaßnahmen auch die potentielle Stärke dessen ins Kalkül gezogen werden, gegen den sich diese Maßnahmen richteten. Sowohl die ›Einleitung‹ zu den o-ka-Tafeln, in der von der Bewachung der pylischen Küste die Rede ist, als auch die relativ hohe Zahl von ca. 700 Soldaten, die auf Schiffen Dienst taten, sprechen dafür, daß man in Pylos offenbar einen Angriff von der See 154

155

Der wohl beste Kenner des hethitischen Militärwesens, Richard H. Beal, drückt dies folgendermaßen aus: »… the Hittite army, including presumably every soldier in Hatti who could be spared from his garrison, plus contingents from all the allies and tributaries …« (Hittite Military 291f.). Siehe Beal, Hittite Military 290–294.

1. Die o-ka-Tafeln

169

her erwartete. Es sei daher ein solcher etwa zur gleichen Zeit stattgehabter maritimer Überfall in der Levante als Vergleich herangezogen. In einem Brief an den König von Alaschia klagt der König von Ugarit darüber, daß seine Stadt von der See her angegriffen und geplündert wurde.156 Die Angreifer kamen hierbei auf sieben (!) Schiffen. Legt man hypothetisch die aus der oben erwähnten Pylos-Tafel An 12 errechnete Stärke von 30 Mann als Besatzung eines Schiffes zugrunde, so kommt man auf 210 Angreifer, die Ugarit attackierten und plünderten. Auch wenn man berücksichtigt, daß – wie der genannte Brief deutlich macht – das Gros der ugaritischen Streitkräfte sich außer Landes aufhielt, so zeigt dies doch, daß eine auf den ersten Blick geringe Anzahl von Angreifern eine Stadt wie Ugarit, die doch sicherlich noch über Wachmannschaften verfügte, gefährden konnte. Nimmt man nun ähnliche Mannschaftsstärken auch für die von Pylos erwarteten Angreifer an, so zeigt sich, daß die getroffenen Verteidigungsmaßnahmen – 700 Mann auf Schiffen, 900 Mann entlang der messenischen Westküste – durchaus adäquat waren. Jedenfalls fügt sich die Zahl von 210 (erfolgreichen) Angreifern auf die Stadt Ugarit sehr gut in das oben skizzierte Bild der üblichen Mannschaftsstärken von Heeren der ausgehenden Bronzezeit. Zum Abschluß sei noch ein Vergleich mit Zahlenangaben späterer Zeit erlaubt. Der sogenannte Schiffskatalog im zweiten Gesang der Ilias nennt die Anzahl von Schiffen, die aus den verschiedenen griechischen Landschaften unter ihren jeweiligen Anführern nach Troja aufgebrochen sind. Es sei hierbei jedoch festgehalten, daß die darin geschilderten Verhältnisse sich natürlich nicht auf die ausgehende Bronzezeit beziehen, sondern vielmehr Verhältnisse widerspiegeln, wie sie der Dichter in seiner Zeit, also dem 8. oder 7. Jh., vorgefunden hat bzw. sich vorstellen konnte. Auch muß damit gerechnet werden, daß – dem gewaltigen heroischen Anlaß des Trojanischen Krieges gemäß – gerade bei Zahlenangaben Übertreibungen vorkommen, die jedoch nicht soweit gehen durften, daß sie für die militärisch gebildeten Zuhörer völlig unglaubhaft erschienen. Aus dem Gebiet des ehemaligen mykenischen Reiches von Pylos zieht der greise Held Nestor mit insgesamt 90 Schiffen nach Troja,157 wobei dieses Kontingent das größte im griechischen Heer ist abgesehen von dem Agamemnons, des Herrschers von Mykene, der insgesamt 100 Schiffe befehligt.158 Die durchschnittliche Größe der Kontingente der einzelnen griechischen Gebiete liegt übrigens bei ca. 40 Schiffen. Aus einer Angabe des Schiffskatalogs159 geht auch der Schiffstyp hervor, mit dem zumindest die meisten Kontingente ausgestattet gewesen sein dürften: Es handelt sich um ein mit 50 Ruderern besetztes Schiff, also um einen Pentekontoros, welcher im 8. Jh. (vor der Erfindung der Diere) den größten Schiffstyp darstellte und noch bis ins 6. Jh. das am meisten verwendete Schiff in griechischen Flotten war. Auf der Grundlage dieser Zahlenangaben läßt sich somit berechnen, daß in den Augen des Dichters des Schiffskataloges Nestor ein Heer von 90 mal 50 d.h. 4.500 Mann nach Troja geführt hat, während das durchschnittliche Aufgebot einer Landschaft etwa 40 mal 50 d.h. 2.000 Mann betragen hat. 156 157 158 159

RS 20.238; siehe dazu Astour, Last Days of Ugarit 255. Hom. Il. 2,601f. Hom. Il. 2,576. Hom. Il. 2,719.

170

II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

Das Kontingent Nestors wurde deshalb als Vergleich zu den Zahlenangaben der mykenischen Täfelchen herangezogen, weil das Herrschaftsgebiet Nestors ungefähr dem des mykenischen Reiches von Pylos entspricht.160 Es sei allerdings darauf hingewiesen, daß das Reich Nestors im Norden möglicherweise weit über das des mykenischen Pylos hinausreicht, da dieses an der Neda geendet haben könnte, während jenes unter Einschluß ganz Triphyliens sich bis zum Alpheios erstreckte.161 Andererseits scheint das Reich Nestors die Pamissosebene in Messenien nicht umfaßt zu haben, ein Gebiet, das ungefähr dem der Jenseitigen Provinz des mykenischen Reiches von Pylos entspricht. Auf jeden Fall kann festgehalten werden, daß die für das eigentliche Messenien angegebenen Mannschaftszahlen im homerischen Schiffskatalog in ihrer Größenordnung – die dem heroischen Stoff angemessene dichterische Übertreibung eingerechnet – ungefähr den aus den Linear B-Texten erschlossenen (und hochgerechneten) Mannschaftsstärken des spätmykenischen Heeres von Pylos entsprechen. Schließlich sei noch ein – wenn auch zeitlich noch weiter entfernter – Vergleich angestellt. Eine der verläßlichsten Zahlenangaben für ein Heer des griechischen Altertums bezieht sich auf die Schlacht von Marathon (490 v.Chr.).162 In diese Schlacht rückte Athen mit einem Aufgebot von 9.000 Mann, wobei selbst alte Männer und freigelassene Sklaven mobilisiert wurden. Wie bei den mit Athen in dieser Schlacht verbündeten Plataiern, von denen dies bei Herodot sogar ausdrücklich vermerkt ist, handelte es sich beim athenischen Aufgebot also um eine Art Generalmobilmachung, im Zuge derer jeder waffenfähige Mann zum Militärdienst eingezogen wurde, mit Ausnahme derer die sich die für einen Hopliten notwendige Ausrüstung nicht leisten konnten. Deren Anzahl kann zwar nur geschätzt werden, doch dürfte die Annahme, es handelte sich dabei um ca. 50% der gesamten wehrfähigen Bevölkerung (also etwa 10.000 Mann), nicht allzuweit fehlgehen.163 Somit gelangt man für Athen am Beginn des 5. Jh. v.Chr. zu einer Gesamtzahl an Wehrfähigen von 24.000 Mann. Um aus dieser Zahl auf die Gesamtbevölkerung Attikas zu schließen, muß im Normalfall die angegebene Mannschaftsstärke mit dem Faktor 5 multipliziert werden, im vorliegenden Falle jedoch, in dem auch die älteren Jahrgänge (wohl bis 60) eingezogen wurden, sind lediglich noch die Frauen und Jugendlichen (unter 20 Jahren) zu berücksichtigen, wodurch sich der Multiplikationsfaktor auf 4 reduziert. Man gelangt somit zu einer Gesamteinwohnerzahl Attikas im Jahre 490 von 96.000 Menschen, eine Zahl, die unter Berücksichtigung der – damals allerdings noch nicht sehr zahlreichen – Sklaven auf ungefähr 100.000 aufgerundet werden kann. Bezüglich der Größe und landschaftlichen Beschaffenheit (ein Hügelland mit einigen fruchtbaren Ebenen) ist nun Attika durchaus mit Messenien zu vergleichen164 (allerdings 160 161 162 163 164

Siehe Hope Simpson, Lazenby, Catalogue of Ships 82–87. Zum Problem der pylischen Geographie und der Ausdehnung des Gebietes von Pylos in spätmykenischer Zeit siehe II 4.8. Nepos Milt. 5; Hdt. 6,103; 6,106; Paus. 10,20,2. Dies ergibt sich aus den Angaben über die athenische Flotte in der Schlacht von Salamis, in der auch die Theten (als Ruderer) aufgeboten wurden. Dies gilt selbstverständlich nur, wenn man die sehr fruchtbare Ebene von Eleusis, die sich seit dem 6. Jh. in athenischem Besitz befand, in das Gebiet Attikas miteinbezieht. Insgesamt ist Attika ein wenig größer als Messenien, was durch den etwas höheren Anteil fruchtbarer Ebenen in Messenien jedoch ausgeglichen wird.

1. Die o-ka-Tafeln

171

unter Abzug der doch zahlreichen Einbürgerungen, die seit Kleisthenes stattgefunden hatten, sowie der bereits als beträchtlich anzusetzenden Zahl von Metöken in Athen), sodaß man für diese Landschaft von einer Gesamtbevölkerung von ungefähr 70.000 bis 80.000 Menschen und somit von 14.000 bis 16.000 Wehrfähigen ausgehen darf; die Zahl der Wehrfähigen entspricht aber gleichzeitig der Zahl der männlichen arbeitsfähigen Bevölkerung eines Landes. Es ist nun weiters zu bedenken, daß die in den o-ka-Tafeln verzeichneten Truppenaufstellungen keineswegs eine Generalmobilmachung des mykenischen Staates von Pylos angesichts einer unmittelbar bestehenden existentiellen Bedrohung darstellen,165 sondern lediglich Maßnahmen waren, die einer erhöhten Wachsamkeit gegenüber möglichen Überfällen von See her entsprangen.166 Dies bedeutet aber, daß sowohl die zur Küstenverteidigung in den einzelnen o-ka aufgestellten Truppen als auch die auf den Schiffen vor der Küste diensttuenden Mannschaften nicht – wie etwa das athenische Heer bei Marathon – kurzfristig zusammengezogen wurden, sondern wohl über jeweils eine längere Zeit Militärdienst versahen. Da in den griechischen Gewässern die Zeit, in der die Seefahrt einigermaßen gefahrlos möglich ist, von März bis Oktober andauert, so bedeutet dies, daß die zur Küstenbewachung und auf den Schiffen abgestellten Männer acht Monate Militärdienst leisteten und in dieser Zeit natürlich dem Arbeitsprozeß entzogen waren. Aus der Kombination der Hinweise bezüglich Charakter und Dauer der ›Küstenbewachung‹ sowie der erschlossenen Bevölkerungsstärke von Messenien ergibt sich nun folgender Schluß: Das – wie oben gezeigt – insgesamt 2.500 Mann starke Heer des mykenischen Staates von Pylos stellt etwa 17% der gesamten arbeitsfähigen männlichen Bevölkerung des Landes dar, und dieser Prozentsatz war über mehrere Jahre hinweg für den Großteil des Jahres – zumindest teilweise – dem Arbeitsprozeß entzogen.167 Einen derart hohen Anteil nicht erwerbstätiger männlicher Bevölkerung findet man gewöhnlich nur in historischen Ausnahmesituationen, wie sie beispielsweise – weil gut dokumentiert – in Rom während des Zweiten Punischen Krieges eingetreten sind. Bei einer Gesamtstärke wehrfähiger Bevölkerung von ca. 800.000 Mann waren über mehrere Jahre (vor allem von 216 bis 212 v.Chr.) zwischen 185.000 und 225.000 Mann beständig unter Waffen, sodaß durschnittlich 25% der arbeitsfähigen männlichen Bevölkerung der Wirtschaft entzogen wurden.168 Die Konsequenz dieser langjährigen enormen Belastung, die durch den Entzug von Arbeitskräften aus dem Arbeitsprozeß gegeben war, war der Niedergang, um nicht zu sagen der Kollaps der italischen Landwirtschaft. Für die vorliegende Fragestellung der Größe des mykenischen Heeres von Pylos bedeutet dies, daß die errechneten 2.500 Mann militärisches Aufgebot zur Bewachung der Küsten über einen längeren Zeitraum hinweg bei einer erschlossenen Gesamtbevölkerung Messe165 166 167

168

Dies legt Shelmerdine, Pylian Polemics 403–408 ausführlich dar. Siehe Palaima, Last Days 525f. Hinzu kommen noch die Personen, die im Palastdienst beschäftigt waren und somit nicht in der Landwirtschaft eingesetzt werden konnten. Auch deren Zahl wird man nicht unter 1.000 ansetzen dürfen, wenn man allein das in den Linear B-Texten erwähnte Palastpersonal bedenkt. Hierzu siehe Chadwick, Documents 155–168. Siehe dazu ausführlich Brunt, Italian Manpower 416–423.

172

II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

niens von ungefähr 70.000 bis 80.000 Menschen169 ohnehin schon das äußeste waren, was der Staat sich leisten konnte,170 ohne den Zusammenbruch der Wirtschaft zu riskieren. Noch höhere Heereszahlen anzunehmen, ist daher auch aus diesen Überlegungen völlig unangebracht. Man kann also festhalten, daß es im mykenischen Staat von Pylos wohl niemals mehr Männer unter Waffen gegeben hat, als in den verschiedenen Linear B-Täfelchen verzeichnet sind, und daß ihre Gesamtzahl 2.500 Mann wohl kaum überschritten hat. Überblick über die o-ka-Tafeln Distrikt Nr. PI*82

I

okaFührer

Unteranführer

Hauptquartier

Standort

marewo aperitowo owitono

Truppe Herkunft

eqeta

Zl

okara

owitinijo



50

aruwote

kekide

kuparisijo



20

apijeta

atareusi

kekide

kuparisijo kekijo aeriqota 10

marateu

erapo rimene

okara

owitinijo

taniko

erapo rimene

kekide

apukane

o*34ta

kekide

metapijo

kurewe

upijakirijo

oreta etewa kokijo suwerowijo METAPA II

PETONO III

nedawatao

ekemede

kuruperiteu menojo wonewa





– aikota

30 20



50

arekuturuwo 60 etewokerewejo

atijawo erutara PAKIJANE

IV

tatiqowewo

pokiroqo perino

towa

wawoude kekide urupijajo

pedijewe



10



10

deukarijo

kurewe



20

rapedo

iwaso



10

doqoro

okara



10

perirawo enowaro

169

170

Es finden sich auch noch geringere Schätzungen (50.000) der Gesamtbevölkerung, sodaß die Zahl von 2.500 Soldaten noch bedeutender erscheint. Siehe Nakassis, Individuals and Society 156 und Palaima, Security 347. Dies auch aufgrund der Faustregel, daß im Altertum zehn in der Landwirtschaft arbeitende Menschen notwendig sind, um einen nicht in der Nahrungsmittelproduktion tätigen zu ernähren.

173

1. Die o-ka-Tafeln Distrikt APU

Nr. V

okaFührer waparojo

Unteranführer erikowo

Hauptquartier –

adijeu

Standort sapida

Truppe Herkunft kekide

newokito korokuwowija raijo

wakatijata –

eqeta

Zl

pereqonijo areijo

?

diwijeu

20

newokito akiwonijo [diwijeu] AKEREWA

ROUSO

VI

VII

duwojojo

toroo

akunijo

akerewa porai

kekide

apukane

dikonaro adaratijo

20

perimede

uwasi

kekide

newo

pereuronijo

10

putija

akerewa

korokuraijo



kaesameno

80

kadasijo

roowa



okara

aratuwa



110

kirijaijo mutona KARADORO

VIII kewo-

nojo

tusijeu



apitewa

iwaso



o*34ta

urupijajo orumasijajo

20

poteu etawoneu atepo dewijo

kurewe

pirute

30 rouko kusamenijo

50

komawe ka… RIJO

TIMITO AKO

IX

X

ekinojo eoteu

enaporo

iwaso





70

atiro…

…orijo

korokuraijo





30

idaijo

karadoro korokuraijo





10

eserea

zaetoro

korokuraijo



nedowatade

urupijajo akaakirijo eqeta …

ekome- ma…u natao roqota ake…u akewato



timito ako

worotuminijo

20 30

174

II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln 2.1 Die Rudererlisten Innerhalb derjenigen Pylos-Texte, welche die Zuteilung oder Abstellung von Personen – zu welchem Zweck auch immer – verzeichnen, stellen die Tafeln An 1, 610 und 724 eine besondere Gruppe dar, weil in ihnen Männer verzeichnet sind, die als Ruderer abgestellt wurden bzw. als solche dienen sollten. Den Ausgangspunkt bei der Betrachtung dieser Texte muß die Tafel An 1 darstellen, da hier der Zweck und der Charakter dieser Mannschaften am deutlichsten werden: An 1 .1 e-re-ta, pe-re-u-ro-na-de, i-jo-te .2 ro-o-wa VIR 8 .3 ri-jo VIR 5 .4 po-ra-pi VIR 4 .5 te-ta-ra-ne VIR 6 .6 a-po-ne-we VIR 7[ .7–8 vacant Der Einleitungssatz dieser Liste gibt bereits deutlich an, wobei es sich bei den im folgenden aufgelisteten Personen handelt. Es sind Ruderer (e-re-ta=eretai), die nach pe-re-u-ro (Pleuron) gehen, wobei ›gehen‹ (i-jo-te=iontes) selbstverständlich nicht wörtlich, sondern wohl vielmehr im Sinn von ›fahren‹ zu verstehen ist. Das Ziel dieser Reise, der Ort Pleuron, muß allerdings nicht mit der aus späterer Zeit bekannten gleichnamigen Stadt in Aitolien171 identisch sein, sondern könnte auch einen später nicht mehr bekannten Ort im messenischen Raum bezeichnen, zumal der Name selbst ein sprechender ist und lediglich soviel wie ›Seite‹ oder ›Landstrich‹ bedeutet. Im weiteren werden in der Tafel noch diejenigen Orte genannt, aus denen die Ruderer kommen, sowie die jeweilige Anzahl von Männern, die die einzelnen Orte abstellten. Zuallererst stellt sich nun die Frage, ob dieser Text überhaupt einen militärischen Zusammenhang aufweist, d.h., ob es sich bei den verzeichneten Ruderern um Leute handelte, die auf Kriegsschiffen dienten, oder aber um die Besatzung eines oder mehrerer Handelsschiffe. Hierzu sei zunächst ein Blick auf die – durch Bildquellen dokumentierbaren – Schiffe der späten Bronzezeit geworfen. Hinsichtlich der Bauweise sind im Altertum grundsätzlich zwei Typen von Schiffen zu unterscheiden.172 Zum einen existierte ein – Rundschiff genannter – Typus, der sich durch einen bauchigen, an Heck und Bug gerundeten Schiffskörper auszeichnete, relativ breit war und vornehmlich gesegelt und nicht mit Riemen fortbewegt wurde. Diese Schiffe, deren wohl prominentester bronzezeitlicher Vertreter die Flotte auf dem Schiffsfresko von Thera ist, konnten relativ große Mengen an Ladung fassen und waren auch geeignet, größere 171 172

Dies favorisiert Shelmerdine, Mycenaean Society 147. Siehe zur unterschiedlichen Bauweise antiker Schiffe grundsätzlich Höckmann, Seefahrt 40–46, 52–62 und Casson, Ships 36–58.

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

175

Massen an Truppen zu transportieren. Allerdings waren diese Schiffe nicht sehr schnell und auch nicht sonderlich beweglich, weil sie auf einen von achtern oder halbachtern kommenden Wind angewiesen waren, da sie von Ruderern kaum bewegt werden konnten. In späterer Zeit, d.h. ab der archaischen Epoche, sind Rundschiffe vor allem als Handelsschiffe im Mittelmeer eingesetzt worden. Für den zweiten Typus, das Langschiff, ist ein über den Bug hinausgezogener Kiel charakteristisch, sodaß ein Bootskörper entsteht, der relativ lang und schmal ist. Diese Schiffe hatten nur sehr beschränkte Segeleigenschaften und wurden daher meist von Ruderern angetrieben. Sie waren schneller und wendiger als Rundschiffe und zusätzlich vom Wind unabhängig. Ihr größter Nachteil lag in dem Umstand, daß der größte Teil des Schiffraumes für die Unterbringung der Ruderer benötigt wurde, weshalb diese Schiffe kaum Ladung aufnehmen konnten und daher als Handelsschiffe nur begrenzt einsetzbar waren. Seit den Dunklen Jahrhunderten entwickelte sich dieser Typus vom 20-Ruderer über den 30- und 40-Ruderer zum mit fünfzig Mann besetzten Pentekontoros, um schließlich – über das Vorstadium der Diere, in der die Ruderer in zwei Ebenen im Schiffrumpf plaziert waren – in der Triere des 5. Jh. v.Chr. ihre ultimative Entwicklungsstufe zu erreichen. Spätestens ab dieser Zeit nun war das geruderte Langschiff gleichbedeutend mit dem Kriegsschiff aller griechischen Flotten. Während nun – wie schon erwähnt – Rundschiffe im ägäischen Raum bereits im gesamten zweiten vorchristlichen Jahrtausend anzutreffen waren, stellen die von Ruderern angetriebenen Langschiffe eine vergleichsweise junge Errungenschaft dar. Die ersten, die das von Riemen angetriebene Langschiff verwendeten, waren nach heutigem Wissensstand Bewohner des mykenischen Griechenland.173 In der Phase SH IIIB taucht zum ersten Mal sowohl auf einer Larnax aus Gazi (Kreta)174 als auch auf einem Graffito in Dramesi (Boiotien)175 jeweils ein Langschiff mit deutlich vorspringendem Kiel auf. Zwar scheinen beide Schiffe auch über Masten zu verfügen, doch kann kein Zweifel darüber bestehen, daß diese Schiffe meist gerudert und nur selten gesegelt wurden. Ergänzt werden diese beiden Abbildungen durch ein annähernd gleichzeitiges Tonmodell eines Langschiffes mit vorspringendem Kiel, das in der Unterburg von Tiryns gefunden wurde.176 Auch wenn diese geruderten Langschiffe auch zu Transportzwecken genutzt werden konnten, so bestand doch unzweifelhaft ihr Hauptzweck darin, als Patrouillienschiff vor der Küste oder aber als eigentliches Kriegsschiff entweder zum Angriff auf feindliche Schiffe oder aber als Truppentransporter bei amphibischen Operationen zu dienen, wobei – anders als bei den späteren Trieren – die Ruderer gleichzeitig auch die Kampfmannschaft bildeten.177 In letzterem Fall mußte das Schiff rasch direkt an den Strand gelangen, um ein möglichst schnelles und unbehindertes Vonbordgehen der Mannschaft zu gewährleisten. Diesem Zweck dürfte übrigens auch primär der vorgezogene Kiel dienen, da dieser beim Aufgleiten des Schiffes auf 173 174 175 176 177

Siehe dazu ausführlich Wedde, War at Sea 465–470, 475f. Alexiou, Arch. Eph. (1972) 86–98. Blegen, Hyria 39–42. Kilian, Tiryns 122f. Dies gilt beispielsweise auch noch für die homerische Zeit, wie die Mannschaftsstärken im homerischen Schiffskatalog zeigen.

176

II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

den Strand eine Beschädigung des Schiffsbauches verhinderte. Ganz abgesehen von der äußerst geringen Ladekapazität von Langschiffen ist schon allein an der technischen Entwicklung des vorgezogenen Kiels zu erkennen, daß diese Langschiffe vor allem für den militärischen Einsatz konzipiert wurden.178 Man kann also festhalten, daß man es bei den von Ruderern angetriebenen Langschiffen der Mykener mit den ersten hauptsächlich und wohl auch am vorteilhaftesten für militärische Einsätze entwickelten Schiffen des östlichen Mittelmeers zu tun hat: Sie konnten zur Überwachung von Küsten, zum Transport von Truppen, zum Kampf gegen andere Schiffe sowie für Landungsunternehmen in feindlichem Territorium eingesetzt werden, und kannten wohl auch schon verschiedene nach der Anzahl der Ruderer zu unterscheidende Typen vom kleinen 20-Ruderer bis zum großen mit 50 Ruderern bemannten Schiff.179 Aufgrund unserer Kenntnis über spätbronzezeitliche Schiffe kann daher mit Sicherheit davon ausgegangen werden, daß es sich bei den in der Tafel An 1 aufgelisteten Männern um Ruderer handelte, welche die Besatzung eines Langschiffes bildeten. Es kann wohl auch kein Zufall sein, daß es sich insgesamt um genau 30 Mann handelte, also genau die Größe der Besatzung eines 30-Ruderers, eines Typs, der möglicherweise das ›Standardschiff‹ der pylischen Flotte war. Aus dem, was über Charakter und Verwendung von Langschiffen oben zu zeigen versucht wurde, geht aber auch deutlich hervor, daß diese Schiffe vornehmlich – und einzig sinnvoll – für militärische Zwecke verwendet wurden, sodaß die Annahme berechtigt erscheint, daß es sich auch bei den in An 1 genannten Ruderern um die Besatzung eines Kriegsschiffes (mit 30 Ruderern) handelte; demzufolge ist aber auch diese Tafel in die Gruppe der Pylos-Texte einzuordnen, die sich auf die Militärorganisation des pylischen Staates beziehen. Die in der Tafel An 1 gebotenen Informationen zur Militärorganisation sind ziemlich dürftig. Neben der Anzahl der zum Schiffsdienst abkommandierten Männer erfahren wir lediglich das Ziel des Einsatzes, pe-re-u-ro, wobei abgesehen von der Tatsache, daß dieser Ort nicht sicher lokalisierbar ist, auch der eigentliche Zweck der Operation aus dem Text nicht hervorgeht. Wir wissen also nicht, ob das Schiff und seine Besatzung beispielsweise zur Durchführung einer amphibischen Operation, d.h. um einen Angriff auf feindliches Gebiet durchzuführen, entsandt worden sind, oder aber, um etwa die Truppen an einem Ort des eigenen Territoriums zu verstärken. Schließlich – und dies ist vielleicht die plausibelste Auslegung dieses Textes – könnte das Schiff auch zum Patrouilliendienst vor einem bestimmten Abschnitt der pylischen Küste namens pe-re-u-ro beordert worden sein, also letztlich dieselbe Aufgabe zu erfüllen gehabt haben wie die in den o-ka-Tafeln aufgelisteten Truppen der Landstreitkräfte. Einige Aufschlüsse vermag jedoch die Betrachtung der Liste von Städten geben, aus welchen die Ruderer für das Schiff abgestellt wurden. Von den genannten Orten sind ro-o-wa und ri-jo sowohl aus den o-ka-Tafeln180 als auch aus vielen anderen Pylos-Texten als größe178 179 180

Diese Entwicklung führte schließlich zur Ausbildung des Rammsporns. Wedde, War at Sea 66. ri-jo erscheint in den o-ka-Tafeln allerdings nur als ]-o-ri-jo, das wohl einen Ort oder Platz in der näheren Umgebung von ri-jo bezeichnen dürfte.

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

177

re Ansiedlungen des Pylischen Reiches bekannt. Der Ort po-ra (in An 1 im Lokativ po-rapi genannt) erscheint in der o-ka-Tafel An 656, während te-ta-ra-ne und a-po-ne-we – von einer Ausnahme abgesehen – sonst unbekannt sind. Auffällig dabei ist, daß die bekannten Orte dieser Tafel offenbar ausschließlich im mittleren und südlichen Teil des Pylischen Reiches, d.h. südlich des Reichszentrums Pylos zu lokalisieren sein dürften. ro-o-wa lag ja – wie oben gezeigt wurde – im Distrikt ro-u-so, ri-jo im gleichnamigen Distrikt und po-ra gehörte der genannten o-ka-Tafel zufolge wohl zum Distrikt a-ke-re-wa; dies legt nun die begründete Vermutung nahe, daß wohl alle erwähnten Ortschaften181 auch te-ta-ra-ne und apo-ne-we im Gebiet der messenischen Halbinsel gelegen waren. Zu erwähnen ist noch, daß a-po-ne-we (allerdings in der Schreibvariante a-pu-ne-we) auch in der Tafel Ad 684 aufscheint, und zwar in einer Aufzählung von Jünglingen (ko-wo=korϝoi/kouroi), die auch durch die (summarische) Nennung der Väter charakterisiert werden. Im Falle der Jünglinge aus a-po-ne-we werden die Väter (genitivisch) als e-re-ta-o bezeichnet, also als ›Ruderer‹.182 Erwähnt sei an dieser Stelle auch, daß in einem Text derselben Serie, in Ad 697, der nicht nur vom selben Schreiber stammt, sondern auch inhaltlich – wie alle anderen Tafeln der Ad-Serie auch – in engem Zusammenhang steht, möglicherweise ebenfalls Ruderer, oder zumindest ein Ruderer, genannt werden. Es ist hier von e-re[ ]qe-ro-me-no die Rede, was als ›(Leute), die Ruderer sein werden‹ interpretiert werden kann.183 Sicherheit ist auf Grund des fragmentarischen Erhaltungzustandes dieser Tafel freilich nicht zu gewinnen. Aus diesem Umstand wiederum könnte man mit aller gebotenen Vorsicht folgern, daß auch der pe-re-u-ro genannte Abschnitt der messenischen Küste, vor dem das Schiff zu patrouillieren hatte, im südlichen Bereich des Staates von Pylos lag. Selbstverständlich besteht jedoch – wie schon gesagt – auch die Möglichkeit, daß das Schiff zu einem weiter entfernten Einsatzort beordert wurde und pe-re-u-ro ganz woanders zu lokalisieren ist. In diesem Falle bliebe als geographische Aussage der Tafel An 1 der Umstand bestehen, daß die Rudermannschaft dieses Schiffes zwar nicht aus einem einzigen Ort, so doch immerhin aus einem räumlich zusammenhängenden, begrenzten Gebiet des pylischen Staates rekrutiert wurde. Es sei daher schon jetzt die Vermutung geäußert, daß möglicherweise im Reich von Pylos fest definierte Rekrutierungsgebiete (für Ruderer ebenso wie für Soldaten) existierten und daß die in An 1 aufgelistete Mannschaft demnach aus einem dieser Rekrutierungsgebiete stammte. Dieser Frage wird jedoch noch weiter unter genauer nachzugehen sein.184 In thematisch wie geographisch engem Zusammenhang185 mit An 1 ist die Tafel An 610 zu sehen:

181

182 183 184 185

Es sei hier darauf hingewiesen, daß die Bezeichnungen te-ta-ra-ne und a-po-ne-we aufgrund ihrer Wortbildung auch Ethnika sein könnten und somit nicht Ortschaften, sondern ethnische Personenverbände benennen könnten. Siehe dazu Gschnitzer, Stammesnamen 95. Zu einer ähnlichen im Einzelnen allerdings stark abweichenden Interpretation dieser Tafel kommt Tritsch, PY Ad 684 156–162. Bartonek, Handbuch 320. Siehe auch Chadwick, Women 87f. II 4.7. Hierzu Killen, PY An 1 und Killen, Economy 171.

178

II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

An 610 .1 ]ne, e-re-ta [ .2 ]e, ki-ti-ta .3 me-]ta-ki-ti-ta .4 ]wa ki-ti-ta .5 me-ta-ki-ti-ta .6 e-wi-ri-po VIR 9 .7 a-ke-re-wa VIR 25 .8 ri-jo VIR 24 .9 te-ta-ra-ne VIR 31 .10 a-po-ne-we VIR 37 .11 ma-ra-ne-nu-we VIR 40 .12 ]ku-si-jo VIR 8 .13 da-mi-ni-jo VIR 40 .14 we-da-ne-wo VIR 20 .15 po-ku-ta VIR 10 .16–20

] vacat [ VIR 46[ VIR 19[ VIR 36[ VIR 3[ po-si-ke-te-re wo-qe-we wi-nu-ri-jo[ me-ta-ki-[ti-ta me-ta[ po-ti-ja-ke-e za-e-to-ro e-ke-ra2-wo-no ko-ni-jo 126 me-ta-ki-ti-ta we-re-ka-ra te-qa-ta-qe vacant

[VIR [VIR VIR VIR VIR VIR 6[ VIR 3 VIR 40[ VIR 26 VIR 20

Thematisch ergibt sich die Parallele schon allein dadurch, daß – wie in der Tafel An 1 – die Liste in An 610 gleichsam als Überschrift das Wort e-re-ta nennt. Eine weitere Parallele stellen die in beiden Tafeln genannten Orte, die offenbar Ruderer stellten, dar. Sowohl in An 1 als auch in An 610 finden sich (in derselben Reihenfolge) die Orte ri-jo, te-te-ra-ne und a-po-ne-we. Allerdings sind in An 610 wesentlich mehr Orte aufgeführt als in An 1: Es sind dies die Siedlungen e-wi-ri-po, a-ke-re-wa, wo-qe-we, ma-ra-ne-nu-we, po-ti-ja-kee186 und za-e-to-ro sowie vielleicht auch noch wo-qe-we. Andererseits fehlen in der Aufzählung in An 610 die Städte ro-o-wa und po-ra(-pi), wozu jedoch anzumerken ist, daß die ersten Zeilen dieser Tafel stark zerstört sind, in denen zumindest noch ein weiterer Ortsname (ro-o-wa?) gestanden haben dürfte. Der wesentlichste Unterschied dieser Liste zu der in der Tafel An 1 besteht allerdings darin, daß hier nicht nur Städte verzeichnet sind,187 die Ruderer abzustellen hatten.188 So finden sich auch höchstwahrscheinlich ethnische Bezeichnungen wie wi-nu-ri-jo, [za-]kusi-jo, da-mi-ni-jo und ko-ni-jo, die – wie im Fall der ko-ni-jo – zum Teil sehr viel Rudermannschaft (bis zu 126 Mann!)189 stellten. Eine weitere Gruppe von Personen, die Ruderer abzustellen hatten, bilden Berufsgruppen bzw. Personen mit einem bestimmten sozialen Status. Hierzu zählen die ki-ti-ta (ktites; Siedler) und me-ta-ki-ti-ta (metaktites; Nach- bzw. 186 187 188 189

Die Bildung dieses Toponyms po-ti-ja-ke-e scheint nach demselben Muster erfolgt zu sein wie auch bei ti-mi-to a-ke-e. Sofern es sich nicht – wie oben schon angedeutet – bei den in An 1 genannten te-te-ra-ne und apo-ne-we ebenfalls um ethnische Gemeinschaften handelt. Zur Tafel An 610 und den dort erwähnten Ortsnamen siehe auch Lang, Place-Names 187–189. Es sei hier allerdings noch angemerkt, daß vor den Zahlzeichen das in anderen Listen übliche Ideogramm für ›Mann‹ fehlt, sodaß die Möglichkeit in Betracht zu ziehen ist, daß statt des Zahlzeichens für ›hundert‹ eigentlich das Ideogramm für ›Mann‹ stehen sollte und die Gesamtzahl sich somit auf lediglich 26 reduzieren würde.

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

179

Neu-Siedler),190 die po-si-ke-te-re (Flüchtlinge?; vgl. hiketeres) sowie die po-ku-ta, die were-ka-ra und te-qa-ta. Daß es sich bei den letzten drei Begriffen um Berufsgruppen handeln dürfte, geht aus den Listen An 207 und 298 hervor, wo diese beiden Personengruppen ebenfalls genannt werden;191 diese beiden Tafeln der An-Serie verzeichnen nämlich ausschließlich verschiedene Berufsgruppen wie ra-pte-re (rapteres; Näher), ki-ri-se-we (Anstreicher oder aber mit der Herstellung von Salben beschäftigte Leute; vgl. chrio), ke-ra-mewe (kerameis; Töpfer), to-ko-so-wo-ko (Bogenmacher; vgl. toxon) und ku-ru-so-wo-ko (Goldschmiede; vgl. chrysos). Schließlich – und dies ist von besonderer Bedeutung – werden in dieser Tafel An 610 auch zwei Einzelpersonen erwähnt, die Ruderer stellten. Diese Personen tragen die Namen e-ke-ra2-wo (hier im Gen. e-ke-ra2-wo-no genannt) und we-da-ne-u (hier: Gen. we-da-newo) und müssen wohl bedeutende Funktionsträger192 im Reich von Pylos gewesen sein. Festgehalten soll an dieser Stelle noch werden, daß von allen Personen bzw. Orten und Personengruppen nur diese beiden Namen im Genitiv stehen, also in irgendeiner Weise als ›Besitzer‹ dieser zum Rudererdienst abgestellten Männer oder als für sie verantwortlich fungieren, während sowohl die ethnischen Verbände als auch die Berufsgruppen im Nominativ aufscheinen. Bemerkenswert ist weiters, daß die Anzahl der von diesen beiden (wohl hochrangigen) Personen gestellten Ruderer mit 40 bzw. 20 Mann relativ groß ist und die mancher ethnischer Verbände (z.B. [za-]ku-si-jo: 8) sowie einiger Berufsgruppen (z.B. die nicht näher zu bestimmenden po-ku-ta: 10 Ruderer, sowie die we-re-ka-ra und te-qa-ta zusammen: 20 Ruderer) und einiger Städte (z.B. za-e-to-ro: 3 Ruderer; e-wi-ri-po: 9 Ruderer) bei weitem übertrifft, was wiederum Rückschlüsse auf die Stellung dieser beiden Einzelpersonen und auf deren ökonomisches Potential zuläßt. Unklar bleibt an dieser Aufstellung, ob die Berufsgruppen, vor allem aber die als Siedler bzw. als Neu-Siedler (ki-ti-ta und me-ta-ki-ti-ta) genannten Personen sowohl den einzelnen Städten als auch den ethnischen Gruppen – zumal sie in der Liste in mehreren Zeilen aufscheinen – zugeordnet sind oder aber mit diesen in keinerlei Verbindung stehen. Wahrscheinlicher dürfte angesichts der mehrmaligen Nennung dieser Gruppen wohl die erste Erklärung sein. Sicherlich gesondert von allen anderen Personen sind die drei Berufsgruppen zu sehen, was sich auch darin ausdrückt, daß diese auch getrennt von den anderen am Ende der Liste aufgeführt sind. Dies gilt allerdings nicht für die abgestellten Männer des eke-ra2-wo und des we-da-ne-u, die demnach auch gesondert von den anderen betrachtet werden sollten. Schließlich sei auch noch erwähnt, daß ebenso wie die Tafel An 1 auch die Liste in An 610 offenbar nur Orte an und südlich der Bucht von Navarino, also im Gebiet der messenischen Halbinsel erwähnt. Es liegt somit die Annahme nahe, daß die nicht lokalisierbaren Orte und ethnischen Gruppen ebenfalls in diesem südlichen Teil des Reiches von Pylos zu suchen sind. Angesichts der Nennung von po-ti-ja-ke-e in An 298 zusammen mit rawa-ra-ta2 liegt der Verdacht nahe, daß dieser Ort in der Jenseitigen Provinz von Pylos gele190 191 192

Zu diesen beiden Personengruppen siehe de Fidio, Miceneo ki-ti-ta 159–178 und Palmer, War and Society 44–47. In der Tafel An 298 ist übrigens auch der Ort po-ti-ja-ke-e (neben ra-wa-ra-ta2) genannt. Zu e-ke-ra2-wo siehe noch genauer weiter unten in diesem Kapitel.

180

II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

gen war. Setzt man weiters eine geographische Reihenfolge der in dieser Tafel genannten Orte und ethnischen Gruppen voraus, so dürften zumindest auch diejenigen Orte und Ethnien, die nach po-ti-ja-ke-e genannt sind, also die za-ku-si-jo, da-mi-ni-jo und ko-ni-jo sowie der Ort za-e-to-ro, zur Jenseitigen Provinz gehört haben. Für die Orte te-ta-ra-ne, a-pone-we und ma-ra-ne-nu-we sowie die ethnische Gruppe der wi-nu-ri-jo muß die Provinzzugehörigkeit offen bleiben, da sie nach ri-jo, also dem letzten Distrikt der Diesseitigen Provinz, und vor po-ti-ja-ke-e aufgelistet sind. Gleichsam als Ergänzung zu An 610 ist die Tafel An 724 zu betrachten:193 An 724 .1 ro-o-wa, e-re-ta, a-pe-o-te, .2 me-nu-wa, a-pe-e-ke, a-re-sa-ni-e .3 o-pi-ke-ri-jo-de, ki-ti-ta, o-pe-ro-ta, .4 e-re-e VIR 1 VIR .5 e-ke-ra2-wo-ne, a-pe-e-ke, a2-ri-e, .6 o-pe-ro-te, e-re-e VIR 5 .7 ra-wa-ke-ta, a-pe-e-ke[ ]e .8 ta-ti-qo-we-u, o[ ]qe-[.]-jo .9 a-ke-re-wa, ki-e-u, o-pe[]e, a-ri-ja-to .10 ki-ti-ta VIR 1 o-ro-ti-jo, di-qo, a-[ .11 o-pe-ro, [ ], e-ko-si-qe, e-qe-ta, ka-ma[ .12 e-to-ni-jo, e-nwa-ri-joVIR 1 .13 wo-qe-we, [ ]qo-te, ru-ki-ja, a-ko-wo .14 ri-jo, o-no, e-qo-te VIR 10[

[VIR 1] [e] [VIR 1] VIR 1[ ,VIR 1 VIR 1

VIR[

Dieser Text ist aufgrund vieler nicht deutbarer Passagen sowie einiger hapax legomena nur schwer verständlich.194 Klar ist, daß es sich auch hier um eine Aufstellung von Ruderern (ere-ta) handelt, und zwar um eine, die verzeichnet, welche Ruderer ›fehlen‹ (apeontes); nicht eindeutig auszumachen ist jedoch, ob diese Ruderer fehlen, weil sie bei der Flotte diensttun, oder aber, ob sie zum Rudererdienst nicht erschienen sind und somit in den Ruderermannschaften fehlen. Auch diese Liste folgt offenkundig einer geographischen Reihenfolge, zumal jede neue Aufzählung fehlender Männer mit der Nennung des Ortes beginnt, der sie abzustellen hatte; die hier verzeichneten Orte sind ro-o-wa, a-ke-re-wa, ri-jo und möglicherweise wo-qewe. Innerhalb der jeweils durch einen Ortsnamen eingeleiteten Paragraphen werden auch Personen genannt, welche die (offenbar fehlenden) Ruderer zu stellen hatten. Diese Personen (me-nu-wa, e-ke-ra2-wo-ne, ra-wa-ke-ta, ta-ti-qo-we-u und e-nwa-rijo) stellen – in grammatikalischer Hinsicht – jedoch insofern ein Problem dar, als e-ke-ra2wo-ne eindeutig ein Dativ, während ta-ti-qo-we-u ebenso eindeutig ein Nominativ ist; für die übrigen kommen sowohl der Dativ als auch der Nominativ in Frage. Entscheidend für die Beantwortung dieser Frage dürfte wohl die Bedeutung des Verbums a-pe-e-ke sein. 193

194

Zur sprachlichen Bearbeitung dieses umfangreichen, schwierigen Textes siehe Georgiev, Liste des rameurs 239–245 sowie – wesentlich umfassender – Perpillou, Flotte pylienne 205–218 und del Freo, La tablette An 724 143–171. Generell zu dieser Tafel Deger-Jalkotzy, E-QE-TA 53–57.

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

181

Zwei unterschiedliche jeweils einen anderen grammatikalischen Fall verlangende Übersetzungen bieten sich für diese Passage an: 1. ›er hat gesandt‹ (apheeke) + Nom., oder 2. ›er/es fehlt‹ (apeeche) + Dat. Da nun a-pe-e-ke zwar bei me-nu-wa, e-ke-ra2-wo-ne und ra-wa-ke-ta, wovon e-ke-ra2wo-ne sicherlich, me-nu-wa und ra-wa-ke-ta möglicherweise Dative sind, steht, nicht aber beim eindeutigen Nominativ ta-ti-qo-we-u und bei e-nwa-ri-jo – wo er nur ergänzt werden könnte –, ist zu vermuten, daß a-pe-e-ke mit dem Dativ zu verwenden ist und somit ›es fehlt‹ bedeutet. In den Zeilen 11 und 12 ist von – namentlich allerdings nicht genannten – e-qe-ta (im Plural!) die Rede, die ka-ma e-to-ni-jo haben. Dieser terminus technicus aber bezeichnet offenkundig eine Form von Landbesitz, für den keine Abgaben zu leisten sind. So beansprucht, wie bereits erwähnt, etwa in den Tafeln Eb 297 und Ep 704 eine Priesterin namens e-ri-ta ihr von der Gemeinde (da-mo=damos) erhaltenes Pachtland als e-to-ni-jo also als ›abgabenfrei‹. Die Gegenleistung besteht im Fall der Priesterin wohl in ihrer Tätigkeit im Heiligtum für die Gemeinde. Im folgenden sei daher zwar keine Übersetzung des Textes – dies ist, wie gesagt, wegen vieler nicht deutbarer Silbenfolgen nicht möglich – so doch eine ungefähre ›Nacherzählung‹ des Inhalts versucht: ro-o-wa: abwesende Ruderer es fehlt dem me-nu-wa …?…: einen abhängigen Siedler, der verpflichtet ist, zu rudern 1 Mann es fehlt dem e-ke-ra2-wo …?…: 1 Mann (es sind) verpflichtet zu rudern 5 Mann es fehlt dem ra-wa-ke-ta …?…: 1 Mann ta-ti-qo-we-u ist [verpflichtet zu …?…] 1 Mann a-ke-re-wa: der ki-e-u ist verpflichtet, er …?… 1 Mann einen Siedler 1 Mann …?… verpflichtet; und es haben die e-qe-ta Land abgabenfrei; e-nwa-ri-jo 1 Mann wo-qe-we: es folgen …?… Mann ri-jo: …?… folgen 10 Mann Der Sinn dieses Textes dürfte demnach folgender sein: In den Orten ro-o-wa, a-ke-re-wa, ri-jo und vielleicht wo-qe-we fehlen Männer, die zum Dienst als Ruderer in der (Kriegs-) Flotte eingeteilt waren. Offenbar waren innerhalb der Dienstverpflichtung einige Ruderer bestimmten Personen, dem me-nu-wa, dem e-ke-ra2-wo und dem ra-wa-ke-ta zugeteilt, fehlen nun aber. All diese verwaltungstechnisch genau festgehaltenen Umstände bezüglich des Fehlens von Ruderern gelten für den möglicherweise wichtigsten Hafen des pylischen Staates, ro-o-wa. Der nächste Eintrag betrifft den Ort a-ke-re-wa. Eine Ausnahme von der Stellungspflicht betrifft hier einige e-qe-ta, die, wohl weil sie abgabenfreies Land besitzen, ihrer Pflicht, Leu-

182

II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

te für die Flotte abzustellen, nicht nachkommen müssen; die Ausnahme gilt aber nicht für einen Mann namens ta-ti-qo-we-u, der übrigens aus der o-ka-Tafel An 654 als Kommandant der o-ka von pa-ki-ja-ne bekannt ist.195 Diese seine militärisch hervorgehobene Stellung machte es vielleicht notwendig, zu betonen, daß für ihn die Ausnahme nicht gilt, die für die ebenfalls in militärisch bedeutender Position befindlichen e-qe-ta zum Tragen kommt. Was die Orte ri-jo und wo-qe-we betrifft, so kann, wegen der nicht befriedigend zu deutenden Passagen im Text, über die dort fehlenden Ruderer und den Grund ihres Fehlens nichts Genaueres ausgesagt werden. Schließlich sollen die in den Tafeln An 610 und 724 genannten Einzelpersonen genauer betrachtet werden. Die einzige Person, die in beiden Tafeln genannt wird, ist e-ke-ra2-wo. Abgesehen von diesen beiden Tafeln taucht der Name noch in Un 718 und (wahrscheinlich) in Er 880 auf. In beiden Texten erscheint e-ke-ra2-wo als Grundbesitzer in einem sara-pe-do bzw. sa-ra-pe-da genannten Gebiet.196 Während in Er 880 lediglich die Getreidemengen vermerkt sind, die e-ke-ra2-wo aus diesem Landbesitz lukrierte, werden in Un 718 die Mengen an Getreide, Wein und Weihrauch und Nutzvieh angegeben, die Landbesitzer im Gebiet sa-ra-pe-da an ein Poseidonheiligtum gaben. Neben e-ke-ra2-wo werden hier noch der ra-wa-ke-ta,197 der dortige da-mo (Gemeinschaft der Grundbesitzer),198 sowie ein wo-ro-ki-no-je-jo ka-ma, also der Grundbesitz (ka-ma=chama) einer Kultgemeinschaft (wo-ro-ki-no-je-jo=orgiwneios=orgewnikos)199 als Lieferant der Abgaben an das Heiligtum genannt. Fast dieselben Grundbesitzer werden auch in der Tafel Er 312 erwähnt, die vom selben Schreiber verfaßt wurde wie die eben genannte Tafel Er 880. In Er 312 findet man nun aufgelistet ein ra-wa-ke-si-jo te-me-no (Landeigentum des ra-wa-ke-ta), ein wo-ro-ki-jo-ne-jo e-re-mo (eremos; dem wo-ro-ki-jo-ne-jo ka-ma aus Un 718 entsprechend) sowie der Grundbesitz der te-re-ta (telestai; wohl dem da-mo entsprechend). Statt des Grund und Bodens des e-ke-ra2-wo ist jedoch ein wa-na-ka-te-ro te-me-no (Landeigentum des wa-na-ka) genannt. Aufgrund der Parallelität dieser beiden Tafeln liegt nun der Verdacht nahe, daß eke-ra2-wo der Eigentümer des wa-na-ka-te-ro te-me-no ist, also der wa-na-ka200 von Pylos.201 Demnach hatten neben einigen te-re-ta (Großpächtern) und einer Kultgemeinschaft

195 196 197 198

199 200

201

Vgl. Nakassis, Individuals and Society 120, 381. Vgl. Lejeune, Le dossier sa-ra-pe-da 60–76. Vgl. Nikoloudis, Role of the ra-wa-ke-ta 569–586. Daß da-mo auch Gemeinschaft der Grundbesitzer (ko-to-no-o-ko=ktoinouchoi) bedeuten kann, geht aus dem Rechtsstreit mit der Priesterin e-ri-ta hervor, der in den Tafeln Eb 297 und Ep 704 belegt ist. Vgl. dazu Lejeune, Damos 1–22. Heubeck, wo-ro-ki-no-je-jo ka-ma 119–135. Zur Stellung und Funktion des wa-na-ka siehe Hooker, wanax 100–111; Carlier, wa-na-ka derechef 411–415; Plaima, Nature of the Mycenaean Wanax 119–139; Palaima, Wanaks and related Power Terms 53–71; Hildebrandt, Damos 95–102. Vgl. auch Palaima, Society and Kingship 129–140; Nakassis, Individuals and Society 6; Carlier, Royauté 44–101, 117–134. Zum rawa-ke-ta vgl. Carlier, Royauté 102–107; Nikoloudis, ra-wa-ke-ta 156–160; Nikoloudis, Role of the ra-wa-ke-ta 569–586. Grundlegend Carlier, Face du pouvoir 37–52. Gegen eine Gleichsetzung des e-ke-ra2-wo mit dem wa-na-ka von Pylos siehe Petrakis, E-ke-ra2wo 391–398.

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

183

noch der wa-na-ka sowie der ra-wa-ke-ta von Pylos Landbesitz im Gebiet sa-ra-pe-da/do, das wohl in der Nähe von Pylos selbst gelegen sein dürfte.202 Ähnlich wie in der Tafel Er 312, in der das temenos des wa-na-ka unmittelbar vor dem des ra-wa-ke-ta erwähnt wird, scheint auch in der Ruderer-Tafel An 724 der ra-wa-ke-ta unmittelbar nach dem wa-na-ka von Pylos, e-ke-ra2-wo, als ›Empfänger‹ von Ruderern oder besser gesagt als Empfänger von zum Rudern abgestellten Männern, dem jedoch ein Ruderer fehlt. Völlig parallel ist nun die Liste in An 610 aufgebaut, in der neben Städten und Ethnien auch zwei Einzelpersonen Ruderer stellen; auch hier wird als erste Einzelperson der wa-naka (ϝanax) e-ke-ra2-wo genannt, an zweiter Stelle jedoch ein Mann namens we-da-ne-u, der genau halb so viele Ruderer, nämlich zwanzig, stellt wie (der wa-na-ka) e-ke-ra2-wo. Aufgrund der Parallelität der beiden genannten Rudererlisten einerseits sowie angesichts des Vergleichs beider Listen mit der temenos-Tafel Er 312 andererseits drängt sich nun der Schluß auf, daß es sich bei dem aus anderen Pylos-Texten203 als Besitzer großer Ländereien und zahlreicher Viehherden bekannten we-da-ne-u204 um niemand anderes handelt als um den ra-wa-ke-ta, den ›zweiten Mann im Staate‹ und militärischen Oberbefehlshaber der Truppen des Reiches von Pylos.205 Die dritte in den Rudererlisten aufscheinende Einzelperson ist ein Mann namens ta-tiqo-we-u, der in der Tafel An 724 jedoch nicht – wie e-ke-ra2-wo und der ra-wa-ke-ta – Männer zu bekommen hat, sondern die Stellung ebensolcher schuldet; außerdem geht aus der Tafel An 654 hervor, daß ta-ti-qo-we-u auch der Kommandant der o-ka von pa-ki-jane war. Möglicherweise hängt die Tatsache, daß ta-ti-qo-we-u diese Ruderer offenbar nicht in einem bestimmten Ort zu stellen hatte, sondern bestimmten Personen übergeben sollte, d.h. dem ra-wa-ke-ta und e-ke-ra2-wo, mit der Position des ta-ti-qo-we-u als o-kaKommandant zusammen. Sollte nämlich die oben vorgebrachte Annahme zutreffen, daß eke-ra2-wo der wa-na-ka von Pylos war und sowohl er als auch der ra-wa-ke-ta in Pylos ihren Aufenthaltsort hatten, und daß weiters ihr Landbesitz (nämlich der in sa-ra-pe-da/do) vor allem im Distrikt pa-ki-ja-ne gelegen war, so ist es erklärlich, warum der militärische Kommandant von pa-ki-ja-ne Ruderer für die Kriegsflotte direkt an den wa-na-ka und den ra-wa-ke-ta abzustellen hatte. Ähnliches könnte vielleicht auch für den ki-e-u geltend gemacht werden, der wohl in seiner Eigenschaft als hoher Beamter206 der lokalen Verwaltung für die Abstellung von Ruderern im Gebiet von a-ke-re-wa zu sorgen hatte. Welche Rolle im Gebiet von a-ke-re-wa aber

202

203 204 205 206

Zur Identifikation des e-ke-ra2-wo mit dem wa-na-ka von Pylos vgl. Chadwick, Documents 264– 268; Chadwick e-ke-ra2-wo 450–453; Lindgren, People of Pylos150–153; Deger-Jalkotzy, E-QE-TA 53f. sowie Palaima, Wanaks and related Power Terms 63. So Cn 40, 45, 254, 600, 643, 655, Es 644 bis 653, 726 bis 729, Na 856 bis 1041 und Un 1193. Siehe auch Killen, 213f.; Nakassis, Individuals and Society, 162f. Siehe Lindgren, People of Pylos 134–136 und Shelmerdine, Mycenaean Society 13. Aus nicht erkennbaren Gründen sieht Nakassis, Individuals and Society 290 in ki-e-u einen Personennamen.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

der namentlich genannte e-nwa-ri-jo207 spielte, ob er vielleicht – was wohl eher unwahrscheinlich ist – mit dem oben erwähnten ki-e-u identisch ist, oder aber, ob er eine andere hohe Position in der lokalen Verwaltung dieser Stadt bzw. dieses Distrikts innehatte, kann nicht gesagt werden, da e-nwa-ri-jo sonst in keinem der erhaltenen Pylos-Texte aufscheint. Schließlich bleibt noch me-nu-wa zu betrachten. Die in An 724 genannten Einzelpersonen sind – wie oben gezeigt – ganz deutlich in zwei Gruppen eingeteilt: Solche die (fehlende) Ruderer stellen müßten und solche, denen eben diese Ruderer gestellt werden sollten. Zur ersten Gruppe gehören demnach eindeutig ta-ti-qo-we-u in ro-o-wa, sowie in a-ke-rewa der namentlich nicht genannte ki-e-u und e-nwa-ri-jo. Zur zweiten Gruppe aber zählen e-ke-ra2-wo und der ra-wa-ke-ta. Der Formulierung mit dem Verbum a-pe-e-ke zufolge gehört auch me-nu-wa zu diesen Leuten, was jedoch bedeutet, daß – da in einem Atemzug mit dem wa-na-ka und dem ra-wa-ke-ta genannt – me-nu-wa wohl eine sehr hochgestellte Persönlichkeit im Reich von Pylos gewesen sein muß. In dieselbe Richtung deutet auch die Tatsache, daß me-nu-wa auch in der Tafel Aq 218 erwähnt wird, in der sonst nur hohe militärische Funktionsträger – vor allem solche, die in den o-ka-Verbänden des Nordens des pylischen Territoriums Erwähnung finden – aufscheinen. Es muß allerdings bemerkt werden, daß me-nu-wa in Aq 218 in der Schreibung me-nu-a2 aufscheint, doch dürfte es sich hierbei wohl nur um eine Schreibvariante von me-nu-wa und nicht um eine andere Person handeln, wobei jedoch – vorerst – nicht zu entscheiden ist, ob me-nu-wa ein Personenname oder aber eine Funktionsbezeichnung bzw. der Titel eines pylischen Amtsträgers ist.208 Welcher Funktion aber verdankt me-nu-wa seine Nennung in An 724? Seine Bedeutung muß wohl auf militärischem Gebiet gelegen haben, sodaß er in dieser Funktion nur dem wa-na-ka selbst und dem ra-wa-ke-ta untergeordnet war. Zu denken wäre hier etwa – zumal es in diesen Tafeln ja ausschließlich um Ruderer geht – an den Oberkommandierenden der pylischen Kriegsflotte oder aber um den Befehlshaber der Schiffe, die im bedeutenden Hafen von ro-o-wa stationiert waren. Für die zweite Variante spricht vielleicht auch der Umstand, daß me-nu-wa unmittelbar nach der ›Überschrift‹ ›ro-o-wa: abwesende Ruderer‹ genannt wird, also gleichsam als der Mann, dem die in ro-o-wa abwesenden Ruderer nun fehlen. Es muß allerdings zugegeben werden, daß beide Lösungsvorschläge stark spekulativen Charakter haben. Zusammenfassend läßt sich demnach zu den sogenannten Rudererlisten209 hinsichtlich der militärischen Organisation folgendes festhalten: In diesen Listen sind offenbar die Besatzungen von pylischen Kriegsschiffen – hauptsächlich wohl 30-Ruderern – verzeichnet, wobei sowohl tatsächlich anwesende Mannschaft als auch zum Dienst verpflichtete aber abwesende Leute erwähnt sind. Zur Stellung dieser Ruderer waren einerseits Gebiete bzw. größere oder auch kleinere Orte verpflichtet, die jedoch nicht unbedingt an der Küste gelegen sein mußten. Andererseits waren es augenscheinlich Personenverbände, die solche Ru-

207 208 209

Siehe Nakassis, Individuals and Society 247. Vgl. Perpillou, Flotte pylienne 215; del Freo, La tablette An 724 165f. und Palaima, Maritime Matters 285–287. Siehe auch Chadwick, Pylian Fleet 75–84.

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

185

derer der pylischen Flotte zu entsenden hatten.210 Unter diesen Personenverbänden wiederum finden sich zum einen solche, die mit einiger Sicherheit als ethnische Gruppen innerhalb des pylischen Staates zu identifizieren sind, zum anderen aber solche, die aufgrund anderer Pylos-Tafeln ganz deutlich als Berufsverbände anzusprechen sind. Als dritte Gruppe erscheinen in den Ruderlisten auch (wenige) wohl hochgestellte Einzelpersonen – meist staatliche Funktionsträger –, die zur Stellung von zum Teil sehr zahlreichen Mannschaften verpflichtet waren. Aus den Listen gehen aber auch – gleichsam als gesondert festgehaltene Ausnahme – Personen, wie z.B. einige e-qe-ta, hervor, die zwar eigentlich ebenfalls Leute hätten stellen müssen, die aber – wohl aufgrund ihres besonderen Dienstes211 – von dieser Pflicht befreit waren. Diese zum Rudererdienst verpflichteten Mannschaften, die insgesamt mehr als 600 Mann zählten, waren offensichtlich an verschiedenen Standorten und unter dem Kommando verschiedener Personen stationiert. Erwartungsgemäß werden als Standorte Städte wie ro-o-wa, a-ke-re-wa oder ri-jo erwähnt, die auch nach dem Ausweis anderer Pylos-Texte zu den großen Hafenstädten des Pylischen Reiches gehörten; hierbei fällt allerdings die befremdliche Tatsache ins Auge, daß o-*34-ta, der künstliche Hafen von Pylos, in diesen Texten nicht erwähnt wird. Möglicherweise ist dieser Umstand damit zu erklären, daß die einzelnen Flottenkontingente dorthin beordert worden waren, wo sie auch zum Einsatz kommen sollten, d.h. vornehmlich in diejenigen Küstengebiete, die in der Nähe der dicht besiedelten Städte des Landes gelegen waren. Es bietet sich jedoch noch eine andere – vielleicht plausiblere – Erklärung an. Abgesehen von den Standorten werden die Ruderermannschaften zum Teil auch einzelnen (hochrangigen) Personen zugeteilt. In erster Linie waren dies der wa-na-ka und der rawa-ke-ta des Reiches von Pylos. Da diese beiden Personen aber unzweifelhaft im Palast von Pylos selbst fungierten und ihren Aufenthaltsort hatten, ist wohl anzunehmen, daß die von ihnen kommandierten Flottenabteilungen in dem Hafen in Bereitschaft lagen, der dem Palast zunächst gelegenen war; dies war aber – wie schon oben eingehend ausgeführt wurde – der künstlich angelegte Hafen von o-*34-ta im Südwesten des Palastes von Pylos. Abgesehen von dem wa-na-ka und dem ra-wa-ke-ta dürften sehr wahrscheinlich auch den Kommandeuren der in den großen Häfen gelegenen Flottenabteilungen persönlich Mannschaften zugeteilt worden sein. Einer von ihnen war ein Mann namens me-nu-wa (oder, was wahrscheinlicher ist, mit dem Titel me-nu-wa), der möglicherweise der Befehlshaber der in ro-o-wa liegenden Schiffe gewesen ist. Schließlich läßt sich auch noch zum lokalen Umfang der Stellungspflicht von Ruderern sowie zu deren geographischer Verteilung eine vielleicht aufschlußreiche Beobachtung anstellen. Alle geographisch lokalisierbaren Orte, die den Tafeln zufolge Ruderer zu stellen hatten, lagen unmittelbar an oder aber südlich der Bucht von Navarino, also im Bereich der messenischen Halbinsel, und die von ihnen gestellten Mannschaften dienten demnach in Flottenabteilungen, die in Häfen der messenischen Halbinsel stationiert waren.

210 211

Vgl. hierzu Shelmerdine, Palatial Administration 78f. Del Freo, La tablette An 724 166.

186

II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

Lediglich die Ruderer die von ta-ti-qo-we-u, dem Kommandeur der o-ka von pa-ki-jane, gestellt wurden, dürften aus eben diesem Distrikt gekommen sein und dienten in o-*34ta, dem Hafen, der dem Palast von Pylos zugeordnet war. Alle Gebiete nördlich von Pylos, aus denen – wie oben gezeigt wurde – der Großteil der Mannschaften und Offiziere der einzelnen o-ka stammte, hatten offenbar keine Ruderer für die pylische Flotte zu stellen. Ob dieser bemerkenswerte Umstand auch für die in den Rudererlisten erwähnten stellungspflichtigen Personenverbände – für die ethnischen Gruppen ebenso wie für die Berufsverbände – Gültigkeit hat, ist nicht zu sagen, da diese mangels Angaben in anderen PylosTexten nicht sicher lokalisiert werden können. 2.2 Aufseher der Rudermannschaften? Insgesamt fünf Pylostafeln verzeichnen einen Begriff, der möglicherweise ebenfalls mit der pylischen Militärorganisation in Zusammenhang steht: Das Wort taucht in Nn 831 in der Form e-re-e-u (Nom. Sing.) auf und erscheint in An 723, Cn 1197 und Jn 881 als e-re-e-we (Dat. Sing. oder Nom. Dual/Plur.) sowie in Na 284 als e-re-e-wo (Gen. Sing.). Dieses Wort (e-re-e-u) kann nun als Eigenname aufgefaßt werden212 oder aber als Titel eines Funktionsträgers des Pylischen Reiches. Wie Thomas G. Palaima in einer ausführlichen Erörterung zeigen konnte,213 hat die zweite Variante aufgrund des Textzusammenhangs sowie durch den Vergleich mit anderen Pylostafeln größere Wahrscheinlichkeit für sich und soll im folgenden näher betrachtet werden. Die Tafel Cn 1197 nennt jeweils Empfänger eines Widders, während Na 284 offenbar den e-re-e-u als jemanden verzeichnet, dem die Lieferung von Flachs in einer bestimmten Menge erlassen wird. Beide Tafeln vermögen also keinen unmittelbaren Konnex zur pylischen Militärorganisation herzustellen, wenngleich sie einem solchen auch nicht entgegenstehen. Ähnlich verhält es sich mit der Tafel Nn 831, in der die Abgaben an Flachs verzeichnet sind. Unter den zu diesen Lieferungen veranlaßten finden sich namentlich genannte Einzelpersonen ebenso wie Vertreter von Berufen wie Schmieden (ka-ke-u=chalkeus) und Hirten (po-me-ne=poimenes) sowie Amtsträgern des Pylischen Reiches (ko-re-te). Neben e-re-e-u findet sich auch der wohl zu u-re-[u] zu ergänzende Name, der auch in der Liste Vn 865 auftaucht, in der ausschließlich Schiffsbaumeister (na-u-do-mo=naudomoi) verzeichnet sind.214 In der Tafel Jn 881 werden offenbar Funktionsträger (wie der o-pi-su-ko) des Staates von Pylos im Zusammenhang mit Mengen an Bronze genannt. Aufgrund des fragmentarischen Zustandes der restlichen Tafel seien hier nur die beiden ersten Zeilen des Textes wiedergegeben: .1 e-re-e-we, o-pi-ko-wo .2 o-pi-su-ko

AES M 1 AES M 4 N 2

Bemerkenswert ist hierbei, daß diese Tafel vom selben Schreiber verfaßt wurde wie auch die Tafel Jn 829, in der es ebenfalls um die Abgaben von Bronzemengen durch hohe Beamte des Pylischen Reiches wie ko-re-te (vielleicht von griech. korennumi), po-ro-ko-re-te, du212 213 214

In diesem Fall ist die Deutung von e-re-e-we als Nom. Dual/Plur. natürlich hinfällig. Palaima, Maritime Matters 301–304. Siehe auch Killen, Mycenaean e-re-e-u 159–168. Zu dieser Tafel siehe genauer weiter unten.

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

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ma-te und o-pi-su-ko (griech. epi und sukon) geht; diese Bronze aber sollte zur Herstellung von Waffen dienen.215 Stellt man einen Zusammenhang zwischen den Tafeln Jn 829 und Jn 881 her, so dürfte es sich bei den e-re-e-we216 um Beamte des Reiches handeln, die zumindest hier auch Funktionen innehatten, welche die militärische Organisation betrafen. Noch ein weiterer Punkt ist an dieser Tafel bemerkenswert: Die e-re-e-we sind genauer als o-pi-ko-wo charakterisiert, was wohl als epikorϝoi (>epikouroi) zu deuten ist, also als Leute, welche eine Art von Aufsicht oder Kommando über korϝoi, junge Männer, hatten. Zusammengefaßt lassen sich die e-re-e-we in der Tafel Jn 881 somit als in die Militärorganisation eingebundene Funktionsträger des Pylischen Reiches deuten, die auch die (militärische?) Aufsicht über junge Männer innehatten. Nun noch zur Tafel An 723: .1 e-re-e-we .2 a-ri-qo e-u-ka-ro .3 ra-wa-ra-ta e-pa-re .4–5 vacant

VIR 1 VIR 1

Diese Tafel weist (in Zeile 2 und 3) zwei Einträge auf, die offenkundig die Stellung von Männern betreffen; die erste Zeile ist demnach als Überschrift aufzufassen und nennt die ere-e-we. Die zweite und dritte Zeile beinhalten jeweils neben dem Ideogramm für ›Mann‹ und der Zahl ›1‹ zwei Worte, von denen das erste in der dritten Zeile ra-wa-ra-ta lautet. Bekanntlich handelt es sich dabei um eine (große) Ortschaft in der Jenseitigen Provinz des Reiches von Pylos. Der Verdacht liegt also nahe, daß auch Zeile 2 eine Ortsbezeichnung aufweist, was in diesem Fall der Reihenfolge gemäß wohl a-ri-qo wäre; allerdings ist dieser Ort ansonsten aus keiner Pylos-Tafel bekannt. Bei den jeweils zweiten Wörtern in den Zeilen 2 und 3 könnte es sich um die genauere Bezeichnung der e-re-e-we handeln, also um Eigennamen. Da offenkundig zwei Personen in der Tafel namentlich genannt werden, dürfte in diesem Fall e-re-e-we als Nominativ Dual/Plur. aufzufassen sein. Die Übersetzung der Tafel mag somit folgendermaßen lauten: »Die beiden e-re-e-we stellen (oder: beaufsichtigen) [Männer]: e-u-ka-ro in a-ri-qo einen Mann, e-pa-re in ra-wa-ra-ta einen Mann«. Diese Tafel unterstützt somit die aufgrund des Inhalts der Tafel Jn 881 getroffene Annahme, daß die e-re-e-we Funktionsträger des Pylischen Reiches waren, die (junge) Männer unter ihrer Aufsicht bzw. unter ihrem Kommando hatten. Aber um welche Männer handelte es sich hierbei und zu welchem Zweck beaufsichtigten (oder kommandierten) sie diese? Einen Hinweis auf die Funktion der e-re-e-we mag die Bezeichnung selbst geben, die – ebenso wie die des e-re-ta – mit griech. eretto (›rudern‹) in Zusammenhang gebracht werden könnte. In dieselbe Richtung deutet der Umstand, daß die Tafel An 723 im gleichen archäologischen Kontext gefunden wurde wie die bereits oben vorgestellte ›Rudererliste‹ An 724. Es besteht demnach die Wahrscheinlichkeit, daß die als e-re-e-we bezeichneten Personen in irgendeiner Weise mit Ruderern bzw. dem Ruderdienst in der Flotte in Beziehung standen. 215 216

Auch zu dieser Tafel siehe ausführlich weiter unten. Analog zu Jn 829 muß es sich bei e-re-e-we um einen Nominativ handeln.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

Zusammenfassend kann also über die e-re-e-we folgendes festgehalten werden: Sie waren – analog zu den in der ›Bronzeabgabenliste‹ Jn 829 genannten Personen Funktionsträger der lokalen Verwaltung (Jn 881), die zur Abgabe bestimmter Güter verpflichtet waren (Nn 831) oder solche vom Palast empfingen (Cn 1197). Ihre eigentliche Aufgabe bestand wohl darin, die Aufsicht bzw. das Kommando über Mannschaften auszuüben (An 723 und Jn 881), die als Ruderer in der pylischen Flotte Dienst taten. Da solche Ruderer aber primär zum Betrieb der Kriegsschiffe benötigt wurden, sind auch die e-re-e-we als ›Aufseher der Ruderer‹ der Militärorganisation des Reiches von Pylos zuzurechnen. Aus diesem Grund stehen einige der Tafeln, auf denen e-re-e-we verzeichnet sind in inhaltlichem oder durch die Schreiberhand gegebenem Zusammenhang mit anderen pylischen Texten (An 724 bzw. Vn 865), die ebenfalls Personen der maritimen Militärverwaltung (Ruderer, Hafenkommandanten, Schiffsbaumeister) und ihre Aufgaben zum Inhalt haben. Es sei allerdings nochmals betont, daß diese Interpretation der e-re-e-we-Texte von der nicht völlig gesicherten Annahme abhängt, daß es sich beim Wort e-re-e-u (bzw. den anderen Kasus) um einen Titel der lokalen Verwaltung handelt und nicht um einen Personennamen.217 2.3 Die ›Personenlisten‹ Aq 218 und Aq 64 Abgesehen von diesen sogenannten ›Rudererlisten‹ verdienen noch einige andere Texte der An- und Aq-Serien, die ja insgesamt – in unterschiedlichem Kontext – Aufstellungen von Personen enthalten, nähere Betrachtung. Insbesondere gilt dies für die bezüglich ihres Inhalts offensichtlich zusammengehörigen Tafeln Aq 218 und Aq 64:218 Aq 218 .1 o-da-a2, a-na-ke-e, o-pe-ro-te[ .2 ri-so-wa, i-je-re-u[ di-wi-je-u .3 ne-wo-ki-to, i-je[-re-]u, da-i-ja-ke-re-u .4 ro-]u-ko, ku-sa-me-ni-jo, me-ta-pa .5 a-e-ri-qo-ta[ ]jo o-wi-to-no .6 a3-ko-ta, a-da-ra-ti-jo .7–8 vacant .9 o-da-a2, e-ke-jo-to, a-ko-to-no .10 pa-ku-ro2, de-wi-jo .11 ]ka-re-u, e-ko-me-na-ta-o, *34-te .12 ], ke-ki-jo .13 ]me-ta, po-ru-da-si-jo .14 ]me-nu-a2 .15 ]ma-ra-te-u, a-pu-ka .16 qo-te-wo, i-*65 .17 vacat 217 218

]VIR 1 VIR 1 VIR 1 VIR 1 VIR 1

ZE 1 ZE 1 ZE 1 ZE 1 ZE 1 ZE 1 ZE 1

Siehe auch Bartonek, Handbuch 282, 286, 363. Diese beiden schon in der Form fast identischen Tafeln wurden auch deutlich von demselben Schreiber verfaßt und wurden an derselben Stelle in Raum 8 des Archivs von Pylos aufgefunden. Siehe hierzu Bennett, Olivier, Pylos Tablets 63.

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

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Aq 64 .1 qa-si]-re-wi-jo-te .2 ]-ja mo-ro-qa, to-to, we-to, o-a-ke-re-se ZE 1 *171 3 .3 ka-do-wo, mo-ro-qa, o-u-qe, a-ke-re-se ZE 1 .4 ru-ro, mo-ro-qa, o-u-qe, a-ke-re-se ZE 1 .5 ku-ru-me-no, mo-ro-qa, i-te-re-wa, ko-re-te, to-to, we-to, o-a-ke-re-se *171 6 .6 pe-ri-mo, ti-mi-ti-ja, ko-re-te, to-to-we-to, o-a-ke-re-se ZE 1 *171 3 .7a o-a-ke-re-se .7 pe-ri-me-de-o, i-*65, po-so-ri-jo-no, te-ra-ni-ja, a-ke-re-se, to-to-we-to, *171 12 .8 po-ki-ro-qo, e-qe-o, a-to-mo ZE 1 .9–11 vacant .12 o-da-a2, ko-to-na e-ko-te .13 e-ta-wo-ne-u, to-to-we-to, o-a-ke-re-se ZE 1 *171 6 .14 a-qi-zo-we, to-to, to-to, we-to, o-a-ke-re-se ZE 1 [ .15 ne-qe-u, e-te-wo-ke-re-we-i-jo, to-to, we-to, o-a-ke-re-se ZE 1 [ .16 me-wi, e-ru-ta-ra, me-ta-pa, ki-e-wo, to-to-we-to, o-a-ke-re-se ZE 1 [ .17–23 vacant Die Liste der Tafel Aq 218 scheint auf den ersten Blick keinerlei militärischen Bezug aufzuweisen. Es sei jedoch daran erinnert, daß auch die ›Rudererlisten‹ ihre militärische Bedeutung erst durch die – wohl begründete – Annahme gewinnen, daß es sich bei den Ruderern um solche von Kriegsschiffen handelt. In Aq 218 liegt nun ein möglicher militärischer Bezug in den zur Stellung von Leuten verpflichteten Personen219 begründet. Von den zwölf in dieser Tafel namentlich genannten ›stellungspflichtigen‹ Männern werden drei (ne-wo-kito, de-wi-jo und ma-ra-te-u) als Offiziere der o-ka von a-pu, ka-ra-do-ro bzw. me-ta-pa in den o-ka-Tafeln erwähnt und drei weitere sind uns als e-qe-ta bekannt: ro-u-ko in ka-rado-ro, a-e-ri-qo-ta220 und a3-ko-ta in me-ta-pa; (.]-ka-re-u wiederum ist der Sohn eines oka-Kommandanten e-ko-me-na-ta in ti-mi-to a-ko) und einer, dessen Name nicht mehr erhalten ist, dürfte ein Sohn des ke-ko und somit ein Bruder des e-qe-ta a-e-ri-qo-ta gewesen sein. Schließlich wird noch der aus der ›Rudererliste‹ An 724 als mit dem Militär befaßte Person bekannte me-nu-a2 (=me-nu-wa) erwähnt. Sollte die Ergänzung di-wi-je-u in Zeile 2 zutreffen, ist auch diese Person der Gruppe bekannter militärischer Funktionsträger zuzuzählen, da di-wi-je-u in den o-ka-Tafeln als Offizier in derselben o-ka (von a-pu2) diente wie ne-wo-ki-to. Ähnliches gilt auch für die Personen, die in der Tafel Aq 64 aufscheinen. Von den zehn namentlich bekannten Männern in dieser Liste werden sechs direkt oder indirekt, d.h. über ein Verwandtschaftsverhältnis, in den o-ka-Tafeln genannt. So war ku-ru-me-no, der hier als mo-ro-qa und ko-re-te von i-te-re-wa figuriert, der Kommandant der o-ka von pe-tono. In derselben o-ka diente e-ru-ta-ra aus me-ta-pa, der hier als ki-e-u fungiert, als Offizier. Ebenfalls als o-ka-Offiziere sind pe-ri-me-de (o-ka von a-ke-re-wa) und po-ki-ro-qo (o-ka von pa-ki-ja-ne) sowie e-ta-wo-ne-u (o-ka von ka-ra-do-ro) bekannt. Schließlich fin219 220

Siehe Palmer, War and Society 52f. Hinter a-e-ri-qo-ta stand übrigens ein Wort, das auf -jo endete und wohl zu ke-ki-jo (vgl. An 654) zu ergänzen ist.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

den wir noch ne-qe-u, den Sohn des e-te-wo-ke-re-we, erwähnt, dessen Bruder a-re-ku-turu-wo als e-qe-ta der o-ka von pe-to-no zugeteilt war. Nun zum Inhalt dieser beiden (wohl zusammengehörigen)221 Tafeln: Aq 218 ist gleichsam in zwei Paragraphen unterteilt, wobei der erste sechs Zeilen umfassende Teil als ›Überschrift‹ die Worte trägt: »so die herbeizuführen Verpflichteten«. Der zweite Teil bildet gewissermaßen eine Untergruppe zum ersten, indem die dort aufgelisteten Personen als solche ohne ktoina (a-ko-to-no) charakterisiert werden, im übrigen gilt die erste Überschrift selbstverständlich auch für den zweiten Teil der Liste. Wie schon John Chadwick 222 bemerkte, verlangt das in der ›Überschrift‹ gebrauchte Verbum a-na-ke-e (anagein) ein Objekt, das lebendig ist und sich bewegen kann. Dieses Verbum kann also beispielsweise nicht für das Herbeibringen von Getreide oder Gegenständen verwendet werden. Dementsprechend führt der erste Teil der Liste als von den namentlich genannten Personen herbeizubringendes Objekt jeweils einen Mann auf. Der zweite Teil jedoch, für den das übergeordnete anagein ebenfalls Gültigkeit hat, nennt als Objekt jeweils ein Paar. Seltsamerweise gibt der Text keine Auskunft darüber, wovon ein Paar beizubringen war. Der oben angesprochenen Bedeutung von anagein gemäß, ist wohl am ehesten an Tiere zu denken, weshalb Chadwick auch ›Pferde‹ als von den einzelnen Personen jeweils herbeizuführendes Paar für sehr wahrscheinlich hält. Genausogut könnte es sich jedoch um Ziegen, Schafe, Esel oder – was angesichts der offenbar paarweisen Verwendung dieser Tiere wohl am wahrscheinlichsten wäre – um Ochsen (als Zugtiere eingesetzt) handeln. Angesichts der sonst zu bemerkenden Genauigkeit und der zuweilen geradezu redundant wirkenden ›Informationsfreude‹ solcher Listen, verwundert es jedoch sehr, daß der Schreiber keinerlei spezifische Angaben über die Art der herbeizuführenden Paare gemacht hat, es sei denn, es war vollkommen unzweifelhaft und selbstverständlich, worum es sich bei diesen handelte. Die – aus textimmanenter Sicht –wohl wahrscheinlichste Annahme, bei der es sich erübrigte, auszuführen, wovon ein Paar herbeizubringen war, besteht darin, daß es sich bei den im zweiten Teil der Liste erwähnten Paaren um dasselbe ›Produkt‹ handelte wie im ersten, nämlich um Menschen. Unter dieser Annahme hätten demnach die im ersten Teil der Tafel Aq 218 aufgeführten Personen jeweils einen Mann zu stellen gehabt, während diejenigen, die im zweiten Teil der Tafel aufgeführt sind, jeweils zwei Männer beibringen mußten. Gegen diese Annahme spricht jedoch eine nähere Betrachtung des Gebrauchs des Ideogramms ZE (*74) in anderen Linear B-Texten. Abgesehen von den beiden Tafeln der AqSerie erscheint dieses Zeichen in 34 Tafeln der Sa-Serie,223 und zwar fast ausschließlich (32mal) in Verbindung mit dem Zeichen für ›Rad‹ (*243); es sind auf diesen Tafeln somit Räderpaare von Streitwagen verzeichnet, die jeweils noch eine genauere Beschreibung erfahren. In einem Fall (Sa 761) wird das Zeichen ohne genauere Angaben verwendet, und in einem weiteren (Sa 22) steht es in Verbindung mit dem Ideogramm für Pferd (Zeichen *105). Auf dieser letztgenannten Tafel ist somit deutlich ein Paar von Streitwagenpferden verzeichnet. 221 222 223

Als solche behandelt sie auch Chadwick, Documents 175–178. Loc. cit. Diese Serie umfaßt insgesamt 36 Tafeln.

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

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Zwei Tafeln der Sh-Serie224 (Sh 736 und 740) erwähnen jeweils ein Paar von Panzern (*163), während die übrigen Tafeln dieser Serie jeweils nur einen Panzer verzeichnen. Unzweifelhaft handelt es sich hierbei um die Ausrüstung von Streitwagenbesatzungen, wobei meist nur einer (wohl der Kämpfer) mit einem Panzer ausgerüstet wurde und nur als Ausnahme der Kämpfer und der Lenker mit diesem kostspieligen Körperschutz ausgestattet wurden. Die Tafel Ub 1315, die lederne Ausrüstungsteile von Streitwagen auflistet, verzeichnet unter anderem 11 Paare von Pferdehalftern (po-qe-wi-ja=phorbeia), also das Geschirr für insgesamt 22 Streitwagenpferde. Schließlich erscheint das Ideogramm ZE noch auf der Tafel Va 482,225 wobei jedoch keine genaueren Angaben gemacht werden, wovon hier ein Paar verzeichnet ist. Nahezu vollkommen identisch ist die Verwendung des Zeichens ZE auch in den Linear B-Tafeln des Archivs von Knossos. Auch hier diente es dazu, Paare von Streitwagenrädern,226 von Panzern der Streitwagenbesatzung und von Streitwagenpferden227 zu verzeichnen. Insgesamt zeigt diese vergleichende Betrachtung von Linear B-Texten aus Pylos und Knossos, daß das Zeichen ZE ausschließlich im Zusammenhang mit dem mykenischen Streitwagen verwendet wurde, für seine Räder, seine Pferde, deren Geschirr sowie die Ausrüstung seiner Besatzung. Überträgt man dieses Ergebnis nun auf den Inhalt der Pylostafeln Aq 64 und 218, so bedeutet dies, daß auch hier dieses Ideogramm höchstwahrscheinlich zur Bezeichnung von Dingen oder Lebewesen diente, die – paarweise – mit dem Streitwagen in Verbindung standen. Dies wiederum bestätigt die eingangs aufgrund der meisten in diesen beiden Tafeln namentlich genannten Personen, zumal diese auch in den o-kaTafeln in einer militärischen (Führungs-)Funktion aufscheinen, getroffene Annahme, daß die Texte Aq 64 und 218 ebenfalls zu den militärgeschichtlich relevanten Quellenzeugnissen der mykenischen Zeit zu zählen und folglich auch in unserem Zusammenhang zu behandeln sind. Aufgrund der Vergleichsbeispiele müßte es sich also bei den in den Texten Aq 46 und 218 verzeichneten Paaren entweder um Räder, um Zaumzeug oder um das Pferdegespann von Streitwagen handeln oder aber um die Panzer von Streitwagenbesatzungen. Da aber – wie schon oben ausgeführt – das Verbum anagein als Objekt nur ein Lebewesen nach sich ziehen kann, müßte es sich somit bei den genannten Paaren in den beiden Tafeln um Streitwagenpferde handeln. Freilich ist es dennoch nicht gänzlich auszuschließen, daß aus den schon oben genannten Gründen – Paare von Männern gemeint sind und die beiden Texte somit eine neue Kategorie von ›Paaren‹ auflisten. Unbedingt anzunehmen wäre jedoch auch in diesem Fall, daß diese Personenpaare in irgendeinem Zusammenhang mit dem Streitwagen standen und somit unter dem Gesichtspunkt der mykenischen Militärorganisation zu behandeln sind. Auch die Tafel Aq 64 listet als wesentlichsten zu verzeichnenden Punkt jeweils ein Paar auf, das aufgrund der schon oben festgestellten Zusammengehörigkeit der beiden Tafeln 224 225 226 227

Diese Serie verzeichnet ausschließlich Körperpanzer und Helme. Vgl. Killen, Pylos Tablet Va 482 63–76. So in den Tafeln der So-Serie. Siehe z.B. die Tafel Sc 222.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

völlig parallel zu den Paaren in Aq 218 zu sehen ist. Wenn es sich demnach in Aq 218 – was wie gesagt wohl am wahrscheinlichsten ist – um Paare von Pferden handelt, so ist dies wohl auch für Aq 64 anzunehmen. Dieser Text ist mit der Überschrift qa-si-]re-wi-jo-te (›die als qasirees amtierenden‹) versehen und zählt eine Reihe von Personen auf, die meist mit den Ideogrammen ZE, d.h. in dieser Liste – wie schon oben dargelegt – einem Pferdegespann, und *171 in Verbindung stehen. Die Bedeutung dieses Zeichens *171 ist nun einigermaßen unklar, da es sonst nur in zwei Tafeln aus Knossos aufscheint.228 Während die eine Tafel (G 519) für die Bedeutung des Ideogramms nichts hergibt, geht aus der anderen (G 464) immerhin soviel hervor, daß an einigen Orten eine Pflicht besteht, die große Mengen an Getreide und jeweils 4 *171 beinhaltet. Es scheint sich also bei dem hinter dem Ideogramm *171 stehenden Begriff um etwas zu handeln, das mit dem Landbesitz bzw. der landwirtschaftlichen Produktion zu tun hat.229 Eine Bezeichnung für eine bestimmte Getreideart ist es wohl nicht, da hierfür die angegebenen Mengen viel zu gering sind: So stehen den jeweils 4 *171 in der Knossostafel einmal 1.800 und im zweiten Fall sogar 3.156 Liter Gerste gegenüber; auch in der Pylostafel Aq 64 sind jeweils nur Mengen von 3 bis 12 *171 aufgeführt. Es muß sich bei *171 also um etwas aus dem Umfeld der Landwirtschaft handeln, das nur in vergleichsweise geringen Mengen vorhanden war. Zur genaueren Bestimmung von *171 sei nun die zweite Zeile der Tafel Aq 64 eingehender betrachtet: Hier ist verzeichnet, daß der mo-ro-qa X – sein Name ist nicht mehr erhalten – in diesem Jahr (to-to we-to=touton etos) folgendes übernommen hat (o-a-ke-re-se; vgl. griech. agreio): ein Paar (Pferde) und drei *171. Das Ideogramm *171 steht also einerseits (nach Aussage der oben zitierten Knossostafel) mit Landbesitz bzw. daraus resultierender Produktion andererseits aber (nach der hier vorliegenden Pylostafel) mit der Übernahme von Pferden in Verbindung. Die logische Verbindung dieser zwei Hinweise bestünde wohl in der Annahme, daß es sich bei *171 um das Zeichen für das zum Unterhalt der Pferde notwendige Futtergetreide handelt, doch ist dies – wie oben ausgeführt – aufgrund der sehr geringen Mengenangaben auszuschließen. Denkbar wäre nun aber auch, daß mit *171 nicht das Pferdefutter selbst bezeichnet wird, sondern das zur Produktion eben dieses Futters notwendige Stück (Weide-) Land. Nun wird in den mykenischen Texten allerdings grundsätzlich nicht das Stück Land, das zur Produktion bestimmter Produkte diente, durch Größenangabe verzeichnet, sondern immer der erwirtschaftete bzw. der zu erwartende Ertrag an landwirtschaftlichen Produkten, da für die Verwaltung natürlich nicht die Größe eines verpachteten Grundstückes, sondern der Ertrag und somit die entsprechende Abgabenmenge von Interesse war. Weshalb sollte hierzu also eine Ausnahme bestehen? Möglicherweise liegt die Erklärung hierfür in dem Umstand, daß das zum Unterhalt der Pferde übernommene Land keinen mengenmäßig meßbaren Ertrag brachte, sondern das primäre Futtermittel lieferte: Gras. In diesem Fall konnte somit nicht – wie sonst üblich – die Ertragsmenge aufgeführt werden, sondern lediglich die Größe des zur Verfügung gestellten Weidelandes, womit *171 ein Flächenmaß gewesen wäre. Es fällt übrigens auf, daß in der Tafel Aq 64 als Mengenangaben zum Ideogramm *171 nur Vielfache von drei (3, 6, 228 229

KN G 519 und G 464. Vgl. Chadwick, Documents 175.

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

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12) aufscheinen, was die Annahme nahelegt, daß 3 *171 Grasland notwendig waren, um zwei Pferde zu ernähren. In diesem Falle wären also 1,5 *171 zum Unterhalt eines Pferdes vonnöten, was wiederum bedeutet, daß ein *171 etwa die Größe von 2/3 eines Hektars hatte, da ungefähr ein Hektar Wiese zur Ernährung eines Pferdes vonnöten ist. Offenbar hat der in Zeile 2 der Tafel Aq 64 genannte mo-ro-qa ein Gespann von Streitwagenpferden zur ›Betreuung‹ erhalten, und zu deren Ernährung ein Stück Grasland in der Größe von drei *171. Gleiches gilt auch für die Zeile 6 dieser Tafel, der zufolge pe-ri-mo, der ko-re-te von timi-ti-ja (also aus dem Distrikt ti-mi-to a-ko), ebenfalls ein Gespann (Pferde) zugewiesen bekommen hat, zu dessen Erhaltung ihm wiederum ein Stück Land derselben Größe zur Verfügung stand. Anders verhält es sich mit den Einträgen in den Zeilen 5 und 10, wonach ku-ru-me-no, der mo-ro-qa und ko-re-te in i-te-re-wa war, sowie e-ta-wo-ne-u, ein Landbesitzer, jeweils ebenfalls ein Gespann zur Betreuung hatten, wofür ihnen aber jeweils sechs *171, also genau die doppelte Größe, an Grasland, zur Verfügung standen. Da das Ende der Zeilen 11 bis 13 nicht erhalten ist, kann nicht gesagt werden, wieviel Land den in diesen Zeilen genannten Personen zur Ernährung des ihnen übergebenen Pferdegespannes zugewiesen worden war. In den Zeilen 3 und 4 werden die mo-ro-qa ka-do-wo und ru-ro aufgeführt, die – so der Text – ›nicht übernommen haben‹ (o-u-qe a-ke-re-se). Hier ist somit auch das Zeichen *171 einschließlich Mengenangabe nicht vorhanden, sehr wohl aber wird ZE angegeben, also das Pferdegespann. Beachtet man weiters die Tatsache, daß die Angabe ›hat nicht übernommen‹ durch -qe mit dem jeweiligen Namen verbunden ist, so ergibt sich bezüglich des grammatikalischen Aufbaues der einzelnen Zeilen folgendes Schema: ›X (bekam) ein Paar (Pferde) und hat 3 (bzw. 6) *171 (Grasland) übernommen‹; oder: ›Y (bekam) ein Paar (Pferde) und hat nicht (Grasland) übernommen‹. Ähnliches, wenngleich sprachlich nicht ausgeführt, dürfte in Zeile 8 vorliegen, in der po-ki-ro-qo, der e-qe-o a-to-mo,230 sowie das Zeichen ZE vorhanden sind, jedoch *171 plus Mengenangabe fehlt. Über die Gründe für diese unterschiedliche Ausdrucksweise in den Aufzeichnungen wird noch weiter unten ausführlicher zu sprechen sein. Schließlich ist noch auf die Zeile 7 einzugehen, in der ein etwas komplexerer Inhalt vermittelt wird. Hier ist vom Sohn231 des pe-ri-me-de die Rede, der die te-ra-ni-ja des po-siro-jo übernommen hat (a-ke-re-se) und so in diesem Jahr (Grasland) in der Größe von zwölf *171 übernommen hat (o-a-ke-re-se). Das Ideogramm ZE ist hier nicht vorhanden und – dies sei hervorgehoben – das zweite Verbum (o-a-ke-re-se) ist offensichtlich aus Platzgründen über dem Ende der Zeile eingefügt. Von Interesse ist in dieser Zeile vor allem das Wort te-ra-ni-ja. Neben anderen Deutungsversuchen232 dieses Wortes scheint besonders diejenige, die dahinter das Wort therapon (hier in der Form therapnias) also ›Diener‹ 230

231 232

Die genaue Bedeutung dieses Begriffs ist unbekannt. das Wort a-to-mo (arthmos) könnte im Zusammenhang mit e-qe-o (als Variante von i-qi-ja) soviel wie ›Wagenbauer‹ bedeuten oder aber ›der, der die Gefolgschaft (e-qe-o, vgl. e-qe-ta) zusammenhält‹. Siehe dazu Lindgren, People of Pylos 45f. Zur Bedeutung von i-*65 siehe Bartonek, Handbuch 275, 375. Zu diesen siehe Lindgren, People of Pylos 143.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

vermutet,233 von Interesse. Im Zusammenhang dieses Textes macht die Deutung als ›Diener‹ zwar wenig Sinn, es könnte dieser jedoch durch eine geringfügig abweichende Deutung sehr wohl gewonnen werden. Wenn man nämlich te-ra-ni-ja nicht als therapnias, sondern – was sprachlich ebenso möglich ist – als therapnia (=therapeia), d.h. ›Pflege‹ deutet, ergibt die Zeile 7 in der Tafel Aq 64 folgenden Sinn: Der Sohn des pe-ri-me-de hat von po-so-ri-jo die Pflege (sc. der Pferde) übernommen und hat (daher) in diesem Jahr (oder: für dieses Jahr) zwölf *171 Grasland übernommen. Folgt man nun dieser – hypothetischen – Deutung der unklaren Begriffe in der Tafel Aq 64, so ergibt sich der generelle Inhalt dieses Textes sehr klar: Verschiedenen Personen werden Gespanne von Streitwagenpferden zur Betreuung übergeben, für deren Unterhalt diese Leute Grasland bestimmter Größe übernehmen. Diese Betreuung der Pferde einschließlich des zugewiesenen Landes konnte auch von anderen Personen als den ursprünglich vorgesehenen übernommen werden. Erklärungsbedürftig sind jedoch einige Fragen, die sich aus den einzelnen Einträgen in der Tafel ergeben: a. Warum werden Grundstücke sehr unterschiedlicher Größe vergeben, während die Anzahl der zu betreuenden Pferde jeweils die gleiche ist (ein Paar)? b. Warum haben zwei (oder drei) Personen zwar ein Pferdegespann zur Betreuung, aber kein Grundstück zu deren Ernährung übernommen? c. Warum wurde in zwei Fällen zwar jeweils das Stück Grasland übernommen, aber kein Pferdegespann? Zwei mögliche Erklärungen bieten sich für diese auffälligen Ungereimtheiten in der Tafel Aq 64 an: 1. Die ersten beiden Fragen werden damit beantwortet, daß nicht automatisch mit einem Pferdegespann auch ein zur Ernährung desselben dienendes Grundstück übergeben wurde. Unter der Annahme, daß für den Unterhalt eines Pferdegespannes sechs *171 vonnöten waren, mußte in den Fällen, in denen z.B. nur drei *171 vergeben wurden, derjenige der die Betreuung der Tiere übernommen hatte, das restliche nötige Grasland aus dem eigenen Besitz zur Verfügung stellen. In den drei Fällen, in denen überhaupt kein Land übergeben wurde, würde dies bedeuten, daß diese Personen das gesamte zum Unterhalt des Gespannes benötigte Weideland selbst zur Verfügung stellen mußten. Die Antwort auf die dritte Frage könnte schlicht darin bestehen, daß aus Platzgründen – schließlich handelt es sich in beiden Fällen um Zeilen, die den gesamten Raum der Tafel ausfüllen, und in einem Fall wurde auch das Wort o-a-kere-se über der Zeile eingefügt – die (für den Schreiber selbstverständliche) Nennung des Gespannes oder in einem Fall wohl eher der beiden Gespanne234 weggelassen wurde. 2. Die zweite – etwas kompliziertere – Erklärung stützt sich vor allem auf die mehrmalige Erwähnung von to-to we-to (in diesem Jahr) in der Tafel Aq 64. Möglicherweise bedeutet das Fehlen der Übernahme von Weideland in drei Fällen lediglich, daß eben 233 234

So Ruiperez, Charte royale 156. Es dürfte sich wohl um zumindest zwei Gespanne handeln, da wohl zusammen mit dem Weideland auch ein Gespann von dem ursprünglich verantwortlichen po-so-ri-jo übernommen wurde.

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

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in diesem Jahr kein Land zugeteilt wurde, weil es schon im Vorjahr – ebenso wie das Gespann – von der jeweiligen Person übernommen worden war; die Angabe der Tafel wäre demnach so zu verstehen, daß X ein Gespann zur Betreuung hat, aber in diesem Jahr kein Weideland bekommen hat, weil er dies schon seit dem Vorjahr hat. Folgerichtig fehlt die Angabe ›in diesem Jahr‹ nie, wenn ein Grundstück zugeteilt wurde. Ähnlich wären auch die unterschiedlichen Größen des zugeteilten Weidelandes zu verstehen. Einigen Personen wurden sechs *171 für den Unterhalt eines Pferdegespannes zugeteilt, während andere nur drei *171 erhielten, weil sie weitere drei *171 schon im Vorjahr erhalten hatten. Was den dritten Punkt (keine Nennung eines Pferdegespannes) betrifft, so bleibt die Erklärung dieselbe wie im ersten Erklärungsmodell. Welchem der beiden Erklärungsmodelle der Vorzug zu geben ist, kann wohl mangels weiterer Informationen nicht entschieden werden, wenngleich vielleicht die erste etwas wahrscheinlicher ist. Beiden Erklärungen gemeinsam ist jedenfalls der Umstand, daß die oben geäußerte Ansicht, für den Unterhalt zweier Pferde seien drei *171 Weideland notwendig gewesen, dahingehend zu revidieren wäre, daß nicht drei, sondern vielmehr sechs *171 hierzu nötig waren. Dementsprechend hätte also ein *171 ungefähr die Größe von 1/3 Hektar, da – wie schon oben gesagt – ein Hektar Weideland zum Unterhalt eines Pferdes zu veranschlagen ist. Nun zurück zur Tafel Aq 218. Auch hier sind (im zweiten Teil der Tafel) Personen aufgeführt, die ein Pferdegespann haben. Im Unterschied zu Aq 64 ist hier aber nicht von zugeteiltem Weideland die Rede, was wohl damit zusammenhängt, daß diese Liste – wie es die erste Zeile der Tafel deutlich sagt – nicht die Übernahme von Gespannen (und Weideland) verzeichnet, sondern Personen, die jeweils ein Pferdegespann herbeibringen müssen. Im Lichte der Tafel Aq 64 bedeutet dies wohl, daß die im zweiten Teil der Tafel Aq 218 aufgeführten Personen jeweils ein Gespann von Streitwagenpferden samt dem zu deren Unterhalt nötigen Weideland übernommen hatten und nunmehr diese Pferde zurückbringen müssen. Der Grund hierfür könnte entweder darin bestehen, daß die Pferde eben benötigt wurden, oder aber – was vielleicht wahrscheinlicher ist –, daß sie auf ordentliche Haltung und Ernährung hin überprüft werden sollten. Die Tafel Aq 218 würde demnach die ordnungsgemäße Durchführung sowie die Auswirkung von Maßnahmen kontrollieren, wie sie etwa in der Tafel Aq 64 von Seiten der Palastadministration (regelmäßig?) getroffen worden sind. Wie schon oben gezeigt wurde, führt auch der erste Teil dieser Tafel Personen auf, die jemanden herbeibringen müssen, doch handelt es sich hier nicht wie bei den anderen um Pferdegespanne, sondern um jeweils einen Mann der gebracht werden sollte. Geht man nun davon aus, daß – ebenso wie die Gespanne im zweiten Teil der Liste – auch diese herbeigeführten Männer entweder überprüft werden sollten oder aber aktuell gebraucht wurden, so drängt sich die Vermutung auf, daß es sich bei diesen Personen um Männer handelte, die in irgendeiner Weise mit den Streitwagenpferden bzw. dem Streitwagen selbst in Verbindung gestanden haben müssen. Diese Tätigkeitsbeschreibung trifft nun in erster Linie auf zwei Personengruppen zu: auf die Streitwagenkämpfer zum einen und auf die Lenker der Streitwagen zum anderen. Bevor wir uns der Frage, welche von diesen beiden Gruppen hier gemeint sein könnte, zuwenden, seien zuvor noch jene Personen abermals be-

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

trachtet, welche einerseits diese Männer und andererseits die Streitwagengespanne herbeizubringen hatten. Fast alle Personen in den beiden Listen von Aq 218 und Aq 64 finden sich – wie schon oben erwähnt wurde – in militärischer Funktion auch in den o-ka-Tafeln wieder. Bei genauerer Betrachtung der in den beiden Tafeln verzeichneten Gruppierungen zeigen sich jedoch markante Unterschiede. In Aq 64 sind zwei Gruppen von einander geschieden, wobei die erste (im Folgenden A genannt) als qa-si-re-we (basileis), also lokale Amtsträger, bezeichnet wird, während die zweite (als B bezeichnet) dadurch charakterisiert wird, daß sie Landbesitz (ko-to-na=ktonia) haben. In Aq 218 wird die erste Gruppe (im Weiteren C genannt) nicht näher bestimmt, sehr wohl aber die zweite (als D bezeichnet), die offenbar keinen Landbesitz (a-ko-to-no) hatte. Vergleicht man nun diese vier Gruppen mit den in den o-ka-Tafeln genannten Personen, so zeigt sich, daß alle namentlich in den o-ka-Tafeln erwähnten Männer der Gruppen A, B und D dort entweder in der Funktion eines Kommandanten (ku-ru-me-no, e-ko-me-na-ta) oder eines Unteranführers (pe-ri-me-de, po-ki-ro-qo, e-ta-wo-ne-u, e-ru-ta-ra, de-wi-jo, ma-ra-te-u) aufscheinen. Deutlich unterscheidet sich hiervon die Gruppe C, d.h. die ersten, nicht näher charakterisierten Personen in der Tafel Aq 218. Es handelt sich hierbei um insgesamt fünf Männer, von denen zwei (ri-so-wa/di-wi-je-u235 und ne-wo-ki-to) als Priester (i-je-re-u=hiereus) bezeichnet werden; ne-wo-ki-to wird auch in der o-ka-Tafel An 656 erwähnt, in der – sollte die Ergänzung di-wi-je-u in Aq 218 richtig sein – auch dieser Mann aufscheint. Die restlichen drei Männer (ro-u-ko, a-e-ri-qo-ta und a3-ko-ta) erscheinen in den o-ka-Tafeln als eqe-ta. Es fällt also auf, daß in Gruppe C nur Priester und e-qe-ta zusammengefaßt sind, während in den Gruppen A, B und D zwar ebenfalls meist hochgestellte Personen vertreten sind, jedoch kein einziger Priester und vor allem auch kein e-qe-ta. Es kann nun wohl kein Zufall sein, daß gerade diese prosopographisch deutlich hervorstechende Gruppe auch jene ist, die als einzige nicht mit Pferdegespannen, sondern mit der Stellung von einzelnen Männern in Verbindung steht. Im Lichte dieser Ergebnisse muß nun auch die Frage gesehen werden, worum es sich bei den Männern gehandelt hat, die herbeigebracht werden sollten, um Streitwagenkämpfer oder um Streitwagenlenker. Angesichts der Tatsache, daß drei der fünf Personen, die diese Männer zu bringen hatten, selbst e-qe-ta, also Streitwagenkämpfer, waren und daß es auch bei den verbleibenden zwei nicht auszuschließen oder, besser gesagt, sogar anzunehmen ist, daß sie ebenfalls der Gruppe der e-qe-ta angehörten,236 verbietet es sich wohl, in den herbeigebrachten Männern Wagenkämpfer zu sehen. Aufgrund dieser Überlegungen ist es demnach sehr wahrscheinlich, daß die Männer die von den e-qe-ta (und Priestern) herbeigebracht werden sollten, Wagenlenker waren, die wohl auch im Haushalt des e-qe-ta lebten. 235 236

Es ist hier nicht ganz klar, ob ri-so-wa oder di-wi-je-u der Personenname ist, zumal di-wi-je-u nur auf einer unsicheren Lesung beruht. Vgl. Lindgren, People of Pylos 30f. Zumindest bei ne-wo-ki-to steht es fest, daß er nicht nur Priester war, sondern auch in militärischer Funktion tätig war. Die Kombination Priester plus eine andere offizielle Funktion ist mehrmals belegbar. Vgl. Lindgren, People of Pylos 30f. und 54f.

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

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Es stellt sich nun die Frage, weshalb gerade die genannten e-qe-ta als einzige der in den Tafeln Aq 218 und Aq 64 aufgeführten Gruppen kein Gespann herbeizubringen hatten. Diese auf den ersten Blick geradezu widersinnig anmutende Tatsache erklärt sich vielleicht daraus, daß diese Streitwagenkämpfer sowohl den Wagen selbst als auch die Pferde bei sich hatten und selbstverständlich – schon aus Eigeninteresse – auf deren tadellosen Zustand achteten237 und deshalb keiner weiteren Überprüfung bedurften. Für die Mobilisierung dieser e-qe-ta wurde dann in den Tafeln offensichtlich nur soviel festgehalten, daß die e-qeta neben dem Streitwagen und den Pferden (die sich offenbar von selbst verstanden) auch – was wohl nicht mehr selbstverständlich war – einen Wagenlenker mitzubringen hatten. Man darf also aus der Tatsache, daß dies ausdrücklich festgehalten ist, vielleicht schließen, daß nicht alle Wagenlenker bei ›ihrem‹ e-qe-ta lebten. Im Folgenden seien nun kurz die Ergebnisse der Betrachtung der beiden Tafeln Aq 64 und 218 hinsichtlich ihrer Aussagekraft zur Militärorganisation des Pylischen Reiches zusammengefaßt. Beide Tafeln beziehen sich offenkundig auf die Militärorganisation im Reich von Pylos und betreffen im speziellen die Elitestreitkräfte des Landes, nämlich die Streitwagenkontingente. Ein Großteil der Streitwagen von Pylos, insgesamt mindestens 120 Gefährte, war – wie die einschlägigen Listen eindrucksvoll belegen238 – in den Magazinen des Palastes selbst gelagert und wurde wohl bei Bedarf aktiviert und an die Streitwagenbesatzungen ausgegeben. Die dazugehörigen Pferde – immerhin eine Herde von ungefähr 300 Stück (Reservepferde eingerechnet) – konnte wohl kaum im Palast selbst oder in der unmittelbaren Umgebung desselben gehalten werden, da allein schon das zur Verfügung stehende Weideland um Pylos hierzu keinesfalls ausreicht, selbst wenn alles Land nur als Weide (statt als Ackerland) genutzt worden wäre. Hinzu kommt noch, daß zur Betreuung dieser großen Menge an Pferden relativ viele Pferdeknechte notwendig gewesen wären, von denen – womit man auf jeden Fall rechnen müßte – in den Aufzeichnungen des Palastarchivs sich irgendwelche Spuren finden lassen müßten, was allerdings bislang nicht der Fall ist. Die Haltung dieser Streitwagenpferde muß demnach auf andere Weise bewerkstelligt worden sein. Wie dies nun – zum Teil wenigstens – geschah, belegen die beiden Tafeln der Aq-Serie. Die Pferde wurden – sinnvollerweise jeweils zu zweit – an Personen außerhalb des Palastes zur Betreuung übergeben. Um die Pferde auch ernähren zu können, bekamen diese Personen (oder wenigstens einige von ihnen) Weideland zugewiesen. Die unterschiedliche Größe des jeweils zugewiesenen Landes könnte ein Hinweis darauf sein, daß die betreffenden Personen einen (unterschiedlich großen) Teil des Weidelandes selbst zur Verfügung zu stellen hatten. Wovon es abhing, wer der zur Betreuung Verpflichteten wieviel Weideland bekam und wieviel er selbst bereitstellen mußte, kann nicht gesagt werden, doch ist es möglich, daß dies von der persönlichen Stellung des einzelnen (Landbesitzer, NichtLandbesitzer, Beamter der lokalen Verwaltung etc.) abhängig war; auch war es offenbar möglich, daß die Betreuungspflicht – einschließlich des zugewiesenen Weidelandes – auf eine andere Person übertragen wurde. 237 238

Es sei hier an die bekannte Tafel KN Sc 226 erinnert, in der die Ausgabe eines Wagens, zweier Pferde und einer Rüstung an einen Wagenkämpfer festgehalten ist. Zu diesen Texten siehe I.4.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

Diese eher komplizierten Regelungen scheinen jeweils für den Zeitraum nur eines Jahres gegolten zu haben, nach Ablauf dessen die Betreuung der Streitwagenpferde neu geregelt wurde. Zu bemerken ist hierbei auch, daß offenbar vornehmlich Personen zur Betreuung und – damit verbunden – zum Unterhalt der Streitwagengespanne herangezogen wurden, die auch in der Militärverwaltung (des pylischen Milizheeres) wichtige Positionen einnahmen, wie ein prosopographischer Vergleich mit den o-ka-Tafeln deutlich zu zeigen vermag. Bei Bedarf oder auch in regelmäßigen Abständen – entweder zur Überprüfung des Zustandes der Pferde oder zur Abhaltung des für Streitwagenpferde unbedingt notwendigen Trainings – mußten die Pferde wieder in den Palast gebracht werden. Dies gilt auch für eine andere mit dem Streitwagen in Verbindung stehende Gruppe, nämlich einzelne e-qe-ta. Auch diese mußten sich im Palast einfinden, wobei sie jeweils eine weitere Person, wohl den Wagenlenker, mitzubringen hatten. In diesen Fällen darf wohl als selbstverständlich angenommen werden, daß die e-qe-ta auch die Pferde ihres Streitwagens zur Überprüfung bzw. zum Training mitbrachten. Man kann somit in diesen Texten – vermutungsweise – zwei Formen des Unterhalts der Streitwagentruppen im Reich von Pylos fassen. Zum einen gab es Gespanne (d.h. Wagen plus Pferde), die an einen (zum Teil weit) außerhalb des Palastes wohnhaften e-qe-ta übergeben wurden, der auch den Wagenlenker bei sich hatte. Zum anderen – und dies dürfte die Mehrheit darstellen – wurden die Streitwagen in den Magazinen des Palastes gelagert und nur im Einsatzfall oder zum Training hervorgeholt. Auch die Besatzungen dieser Wagen – sowohl die Streitwagenkämpfer als auch die Lenker – werden wohl aus Gründen der raschen Verfügbarkeit im Palast von Pylos selbst oder in seiner unmittelbaren Nähe gelebt haben. Die Pferde dieser Streitwagen jedoch wurden – zumindest zu einem gewissen Teil – aus organisatorischen Gründen zur Betreuung an Privatpersonen vergeben, die über die hierzu notwendigen Mittel und Möglichkeiten verfügten, wobei sie auch durch Zuweisungen von Weideland (und wohl den zur Bearbeitung der Äcker notwendigen Arbeitskräften) unterstützt wurden. In diesem Zusammenhang sei auch noch erwähnt, daß in einer Pylostafel (Fn 79) möglicherweise die Bezeichnung für solche mit der Versorgung von Pferden beauftragten Leute erhalten ist: Es geht in dieser Liste um die Zuteilung von Getreide und Öl an verschiedene zumeist namentlich genannte Personen; abgesehen von diesen bekommt jedoch auch ein als i-po-po-qo bezeichneter Mann eine solche Zuteilung. i-po-po-qo wiederum kann mit dem griechischen hippophorbos also ›Pferdefütterer‹ in Zusammenhang gebracht werden, was genau auf die Aufgabe zutrifft, die die oben erwähnte Personengruppe zu erfüllen hatte. Übrigens wird in der Tafel Fn 79 – in derselben Zeile wie der i-po-po-qo – auch eine als ze-u-ke-u-si (vgl. zeugitai) bezeichnete Personengruppe erwähnt, die als ›Ochsenführer‹ interpretiert werden könnte.239 Es sei an dieser Stelle auch darauf hingewiesen, daß solche als i-po-po-qo bezeichnete Personen auch in anderen mykenischen Reichen existierten. Die Verwaltung des Palastes von Theben registriert gleich auf zwölf (!) Tafeln240 eine mit dieser Bezeichnung – in der Schreibvariante als i-qo-po-qo – versehene Personengruppe, die Zuwendungen in Form 239 240

Siehe Chadwick, Documents 593. Es sind dies die Tafeln TH Fq 169, Gp 199, Fq 214, 247, 252, 254, 269, 272, 276, 305 und 367.

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

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von Getreide seitens des Palastes erhält. Auf zwei dieser Tafeln241 finden sich die i-qo-po-qo vergesellschaftet mit Personen, die als e-pi-qo bezeichnet werden. Dieser Name242 ist wohl mit griech. ephippoi wiederzugeben, bezeichnet also Personen die ebenfalls mit Pferden zu tun haben. Da sie wohl nicht dieselbe Aufgabe gehabt haben können wie die i-qo-po-qo könnte man in den e-pi-qo vielleicht ›Aufseher‹ oder. ›Trainer‹ der Streitwagenpferde sehen, während die i-qo-po-qo die ›Ernährer‹ bzw. ›Züchter‹ der Tiere waren. Für eine Art Aufsichtsfunktion spricht ja auch die Vorsilbe ep(i) in ihrem Namen. Möglicherweise hatten die e-pi-qo in Theben dieselbe Aufgabe wie die als po-ro-du-ma-te bezeichneten Personen im Palast von Pylos.243 Schließlich soll noch eine Pylostafel herangezogen werden, die möglicherweise ebenfalls mit dem Problem der Haltung von Streitwagenpferden in Zusammenhang steht. Die Tafel Ea 59 verzeichnet Pachtland (nebst dem zu erwartenden Getreideertrag), das zur Nutzung (o-na-to; vgl. oninemi) einer Person namens ke-re-te-u244 von verschiedenen Eigentümern, wie dem da-mo oder auch dem ra-wa-ke-ta zur Verfügung gestellt wurde. Bei einem Eintrag (Zeile 5) findet sich auch die Bemerkung e-ne-ka i-qo-jo (heneka hippoio) also ›wegen des Pferdes‹. Offenbar wurde dieses betreffende Ackerland dem ke-re-te-u zur Haltung eines Pferdes zur Verfügung gestellt. Es liegt nun nahe, auch diesen Fall im Kontext mit den oben vorgestellten Beispielen zu sehen und den ke-re-te-u als Person zu sehen, die ein Streitwagenpferd zur Betreuung übernommen hatte und dafür mit Pachtland bedacht wurde. Im Unterschied zu den anderen Fällen handelte es sich bei dieser Landvergabe jedoch deutlich nicht um Weideland für die Pferde, sondern um Ackerland, das wirtschaftlich genutzt werden konnte, sodaß hier eine Entschädigung im engeren Sinn vorliegt. Trifft diese Interpretation zu, so läge hier eine weitere Form der Versorgung von Streitwagenpferden vor; freilich geht aus der Tafel nicht hervor, daß es sich bei dem erwähnten Pferd tatsächlich um ein Gespannpferd für einen Streitwagen handelte. Doch zurück zur Tafel Aq 218. Auf einen auffälligen Umstand diesen Text betreffend sei hier noch verwiesen. Wie schon oben angemerkt wurde, sind die meisten in dieser Liste namentlich bekannten Personen in den nördlichen Distrikten des Pylischen Reiches verortet; dies gilt sowohl für die drei genannten e-qe-ta als auch für die Personen ma-ra-te-u und ...] ke-ki-jo. Es stellt sich nun die Frage, ob die oben skizzierte Form des Unterhalts der Streitwagentruppen, bei der weit vom Palast entfernt wohnhafte e-qe-ta das gesamte zum Einsatz notwendige Ensemble (Streitwagen, Pferde, Lenker und vielleicht auch die Rüstung) bei sich ›zu Hause‹ hatten und nur zur Überprüfung bzw. im Einsatzfall zum Palast beordert wurden, im gesamtem Staatsgebiet von Pylos gängige Praxis war oder nur in den Norddistrikten des Landes zur Anwendung kam. Zur Klärung dieser Frage könnte vielleicht eine weitere Tafel aus dem Archiv von Pylos, die ebenfalls dem Umfeld des Themas ›Militärorganisation‹ zugeordnet werden kann, beitragen. 241 242 243 244

TH Fq 214 und 252. Auch in TH Fq 229 bezeugt. Siehe zu diesen II 2.10. ke-re-te-u erscheint übrigens als Pächter in vielen Tafeln der Ea-Serie.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

2.4 Die ›Sklavinnentafel‹ An 607 An 607 .1a -ja .1 me-ta-pa, ke-ri-mi-ja, do-qe-ja, ki-ri-te-wi .2 do-qe-ja, do-e-ro, pa-te, ma-te-de, ku-te-re-u-pi .3 MUL 6 do-qe-ja, do-e-ra, e-qe-ta-i, e-e-to, .4 te-re-te-we MUL 13 .5 do-qe-ja, do-e-ro, pa-te, ma-te-de, di-wi-ja, do-e-ra, .6 MUL 3 do-qe-ja, do-e-ra, ma-te, pa-te-de, ka-ke-u, .7 MUL 1 do-qe-ja, do-e-ra, ma-te, pa-te-de, ka-ke-u, .8 MUL 3 .9–10 vacant .11 ka .12–14 vacant In dieser Tafel245 sind Frauen aufgelistet, die als do-e-ra bezeichnet werden und in denen man – wie Sigrid Deger-Jalkotzy 246 glaubhaft zeigen konnte – wohl Palastsklavinnen sehen muß. Insgesamt 13 von diesen Frauen – es dürfte sich bei ihnen um Gersteköchinnen handeln – sind, wie das Verbum e-e-to (Perf. Pass. von hiemi) zeigt, vom Palast weggeschickt worden, wobei der Ort, an dem sie sich nunmehr befinden gleich am Beginn der Tafel genannt ist: der im Norden des pylischen Staates gelegene Distrikt me-ta-pa. Zwar ist der Zweck dieser Entsendung von Sklavinnen nicht genannt, sehr wohl aber – unmittelbar vor dem Verbum – der ›Empfänger‹ dieser Frauen: es handelt sich um e-qe-ta-i (Dat. Plur), also mehrere e-qe-ta, die im Distrikt (oder der Stadt) me-ta-pa ansässig waren. Der Grund für die Entsendung dieser Palastsklavinnen nach me-ta-pa könnte demnach vielleicht – so Deger-Jalkotzy – darin gelegen haben, daß diese e-qe-ta erst kurz zuvor ebenfalls dorthin (nach me-ta-pa) entsandt worden waren, um an der Nord- bzw. Nordostgrenze des Pylischen Reiches ihren militärischen Verpflichtungen nachzukommen. Als Entschädigung bzw. als wirtschaftliche Grundlage für diese Streitwagenkämpfer, die fernab vom Palast ihren militärischen Aufgaben nachzukommen hatten, die aber nicht der lokalen eingesessenen Grundbesitzerschicht (den ko-to-no-o-ko=ktoinouchoi) angehörten, sondern schließlich Berufssoldaten waren, dürfte wohl nicht nur die Zuteilung von Sklaven gedient haben, sondern vor allem die Überantwortung von landwirtschaftlich nutzbarem Grund und Boden. Ausdrücklich belegt ist diese Entschädigung für militärische Dienste durch Landzuweisung in zwei Fällen. In der schon oben ausführlich besprochenen Tafel An 724 ist von einem – namentlich allerdings nicht genannten – e-qe-ta im Distrikt ro-u-so die Rede, der ka-ma e-to-ni-jo hat. Der andere e-qe-ta, der über ka-ma e-to-ni-jo erfügte, war augenscheinlich a-pi-me-de aus dem Distrikt pa-ki-ja-ne; dies läßt sich aus der Kombination der 245 246

Ausführlich zu dieser Tafel siehe Bennett, PY An 607 5–13 und Heubeck, An 607 61–90; Palmer, War and Society 59–62 sowie Carlier, Parenté 185–187. Diese Tafel wurde eingehend von Deger-Jalkotzy, Women 137f. und Deger-Jalkotzy, EQE-TA 57–62 behandelt.

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

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Tafeln Ed 317, Ep 539 und Eb 473 hinsichtlich der dort verzeichneten Getreidemengen erschließen. Dieser terminus technicus aber bezeichnet offenkundig Landbesitz, für den keine Abgaben zu leisten sind. So beansprucht – wie schon weiter oben festgehalten – in den Tafeln Eb 297 und Ep 704 die Priesterin e-ri-ta ihr Pachtland als e-to-ni-jo also ›abgabenfrei‹. Die Gegenleistung besteht im Fall der Priesterin – wie ebenfalls schon weiter oben festgestellt wurde – wohl in ihrer Tätigkeit im Heiligtum für die Gemeinde. Sowohl die Tafel Aq 218 als auch die Tafel An 607 sowie die Analyse der o-ka-Texte hinsichtlich der lokalen Herkunft247 der dort genannten e-qe-ta legen demnach den Schluß nahe, daß ein überproportional großer Anteil der außerhalb des Palastes wohnhaften bzw. angesiedelten Streitwagenkämpfer in den beiden nördlichen Grenzdistrikten des Reiches von Pylos, in me-ta-pa und pi-*82, ansässig war. Man kann somit in diesem Bereich von einer Art ›Militärgrenze‹ sprechen, zumindest was die Präsenz des Streitwagenkämpfer-Adels betrifft. Das Pylische Reich fühlte sich offenbar an seiner Nordgrenze bedroht und begegnete dieser Gefahr mit einer Konzentration seiner Elitesoldaten im betreffenden Gebiet. Gegenstand dieser Bedrohung dürften die Bewohner der westarkadischen Gebirgsländer gewesen sein, die kaum mykenisiert waren und sicherlich nicht zum Territorium des pylischen Staates gehörten, zumindest nicht in Form einer direkten Oberhoheit des Palastes. Vielleicht ist es auch dieser Gegner an der Nord- und Nordostgrenze des Pylischen Reiches, der in einem bekannten Fresko aus dem Palast von Pylos dargestellt ist,248 das mykenische (d.h. wohl pylische) Krieger im Kampf mit einem deutlich als Barbaren charakterisierten Feind zeigt.249 Daß es solche nicht im Palast von Pylos selbst diensttuende e-qe-ta auch anderswo als in den Norddistrikten gab, zeigt übrigens der Fall des e-qe-ta a-pi-me-de. Dieser war im Distrikt pa-ki-ja-ne wohnhaft und verfügte ebenfalls über ka-ma e-to-ni-jo, wie sich aus einer Kombination der Tafeln Ed 317, Ep 539 und Eb 473 bzw. der dort verzeichneten Getreidemengen ergibt.250 Daraus läßt sich schließen, daß a-pi-me-de zwar im Umland von Pylos, nämlich in pa-ki-ja-ne wohnhaft war, daß er seine wirtschaftliche Lebensgrundlage aber nicht im Palast selbst hatte. Um diesen e-qe-ta ihren Dienst außerhalb des Palastes wirtschaftlich zu ermöglichen, wurden sie also durch Zuweisungen von Land und Sklaven seitens des Palastes unterstützt. Zu dieser Unterstützung gehörte wohl auch die Zuteilung von Wagen und Pferden sowie eines Wagenlenkers. 2.5 Andere ›Sklavinnentafeln‹ In gewisser Weise verwandt mit der oben behandelten Tafel An 607 sind die ebenfalls Sklavinnen verzeichnenden Pylos-Tafeln der Serien Aa, Ab und Ad. Auch wenn diese Texte keinen unmittelbaren militärischen Inhalt nahelegen,251 so werfen sie vielleicht dennoch Licht auf militärische Aktivitäten der Pylier. 247 248 249 250 251

Siehe dazu ausführlich Abschnitt II 4.7.2 über die Herkunft der e-qe-ta. Siehe auch Blakolmer, Weilhartner, Eberzahnhelmträger und ke-se-nu-wo 21. Siehe im Abschnitt von Fritz Blakolmer. Dazu eingehend Deger-Jalkotzy, E-QE-TA 76–78. Anderer Meinung mit wenig plausiblen Argumenten ist Tritsch, PY Ad 684 661f.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

Der Aufbau der einzelnen Texte ist trotz des zum Teil fragmentarischen Zustandes der Tafeln in allen Fällen klar erkennbar und folgt – mit kleinen Abweichungen – immer demselben Schema. Aufgelistet werden Frauen – durch das Ideogramm MUL wiedergegeben – in unterschiedlicher Anzahl sowie ihre Söhne (ko-wo=κοῦροι) und Töchter (ko-wa= κῶραι). In einigen Fällen sind nur diese Söhne und Töchter genannt, allerdings mit der Angabe, wessen Kinder sie sind. Schließlich sei noch erwähnt, daß in vielen Fällen der Ort genannt ist, in dem diese Frauen zu arbeiten hatten (z.B. pu-ro=Πύλος). In allen Fällen jedoch ist der Herkunftsort der Frauen verzeichnet, gleichgültig, ob sie selbst oder ihre Kinder Gegenstand der jeweiligen Liste sind.252 Der überwiegende Teil der in den Listen genannten Frauen kann bezüglich ihrer Herkunft nicht näher bestimmt werden, da die angegebenen Orte nicht lokalisierbar sind, oder aber die Frauen stammen aus Messenien selbst, wie die als ti-nwa-si-ja bezeichneten Personen. Die übrigen Frauen (und ihre Kinder) sind jedoch von besonderem Interesse, da sie offenbar aus Gebieten meist weit entfernt von den Grenzen des des Pylischen Reiches stammten. Die betreffenden Tafeln sind folgende: Aa 61: pu-ro ze-pu2-ra3 MUL 16 ko-wa 11 ko-wo 7… Aa 506: ku-te-ra3 MUL 28 ko-wa[ Aa 701: a-*64-ja MUL 21 ko-wa 5 ko-wo 11 Aa 770: ki-si-wi-ja MUL 6 ko-wa 4 ko-wo 6 Aa 792: ki-ni-di-ja MUL 21 ko-wa 12 ko-wo 10 Aa 798: ro-u-so, mi-ra-ti-ja MUL 54 ko-wa 35 ko-wo 22 Aa 1180: pu-ro mi-ra-ti-ja MUL … Ab 186: pu-ro ra-mi-ni-ja MUL 7 ko-wa 1 ko-wo 2 Ab 189: pu-ro, ki-ni-di-ja MUL 20 ko-wa 10 ko-wo 10 Ab 382: ro-u-so, mi-ra-ti-ja MUL 54 ko-wa 31 ko-wo 20 Ab 515: pu-ro a-*64-ja MUL 35 ko-wa 12 ko-wo 11 Ab 562: ku-te-ra3 MUL [ Ab 573: pu-ro, mi-ra-ti-ja MUL 7 ko-wa 4 ko-wo 4 Ad 380: pu-ro mi-ra-ti-ja-o a-ra-te-ja-o ko-wo 3 Ad 390: pu-ro ku-te-ra-o ko-wo [ ] VIR 22 Ad 664: pu-ro ra-u-ra-ti-jo ze-pu2-ra-o ko-wo … VIR 4 Ad 683: pu-ro, ki-ni-di-ja-o ko-wo VIR 5 … Ad 675: pu-ro ki-si-wi-ja-o o-nu-ke-ja-o ko-wo VIR 3 … Ad 690: pu-ro mi-ra-ti-ja-o ko-wo VIR 2 An 292: si-to-ko-wo ki-ni-di[-ja MUL] 21 ko[-wo Von den in diesen Tafeln erwähnten Orten,253 aus denen die Frauen gekommen sind, können nun einige mit hoher Wahrscheinlichkeit bestimmt werden: So finden sich in den Listen 28 Frauen und 22 Knaben aus Kythera (ku-te-ra3), 62 Frauen, 25 Knaben und 22 Mädchen aus Knidos (ki-ni-di-ja=Κνίδιαι), 7 Frauen, 2 Knaben und 1 Mädchen aus Lemnos (ra-mi-ni-ja=Λάμνιαι) sowie 54 Frauen, 69 Knaben und 51 Mädchen aus Milet (mi-ra-ti252 253

Zu Aufbau und Bedeutung dieser Serien siehe Tritsch, Women 406–445 sowie richtungsweisend Nosch, Center and Periphery 65–68 und vor allem Chadwick, Women 44–93. Im Text kursiv gedruckt (z.B. mi-ra-ti-ja).

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

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ja=Milatiai>Μιλήσιαι). Hinzu kommen – wobei die Herkunftsorte allerdings nicht mit Sicherheit zu identifizieren sind – 21 Frauen, 11 Knaben und 5 Mädchen aus Nordwestkleinasien, d.h. aus der Troas (a-*64-ja=a-swi-ja=Ασία), 6 Frauen, 9 Knaben und 4 Mädchen aus Chios (ki-si-wi-ja) sowie 16 Frauen, 11 Knaben und 4 Mädchen aus Zephyra (ze-pu2ra3); Zephyra aber soll laut Strabon eine andere Bezeichnung für Halikarnassos gewesen sein.254 Ein Bezug zum Heerwesen läßt sich allerdings weder aus der (nur bei wenigen angegebenen) Tätigkeit dieser Personen noch aus der in den übrigen Tafeln der Aa, Ab und AdSerien ableiten, da es sich bei ihnen vor allem um Arbeiterinnen bei der Textilherstellung (Ad 380: a-ra-[ka]-te-ja – vgl. elakate –, Spinnerin; Ad 675: o-nu-ke-ja) handelt,255 sie also in Berufsfeldern tätig waren, die nur schwer mit der Produktion militärischen Equipments in Verbindung zu bringen sind. Ähnlich negativ fällt auch das Ergebnis der Untersuchung des ›Einsatzortes‹ der betreffenden Personen aus, da sie abgesehen von Pylos (pu-ro) selbst nur in pu-ro ra-wa-ra-ti-jo und ro-u-so, also der Hauptstadt der Jenseitigen Provinz und dem Distrikt der wichtigsten (und größten) Hafenstädte (a-ke-re-wa und ro-o-wa) des Reiches beschäftigt waren. Diese Frauen sind demnach nicht mit den in der Tafel An 607 genannten zu vergleichen, die ja offenbar einzelnen an der Grenze (me-ta-pa) dienenden e-qe-ta zugeteilt waren. Lediglich rou-so ist – wie oben ausgeführt – auch als Stationierungsort bzw. als Ort der Besitzungen (ka-ma) eines e-qe-ta aus der Tafel An 24 bekannt. Zwar könnte man daraus insofern einen militärischen Kontext erschließen, als natürlich in den Verwaltungszentren pu-ro und pu-ro ra-wa-ra-ti-jo Streitwagenkämpfer stationiert gewesen sein werden und für ro-u-so dies zumindest in einem Fall bezeugt ist, doch spricht vor allem die Tätigkeit der Frauen als Textilarbeiterinnen gegen eine Parallele zu den Frauen von me-ta-pa, die ja im weiteren Sinne als Hilfen bei der Bewirtschaftung der Wohnstätten und landwirtschaftlichen Güter der e-qe-ta eingesetzt gewesen sein dürften. Lediglich die in der Tafel An 292 – also nicht in den Aa-, Ab- und Ad-Reihen – erwähnten Frauen sind mit den in An 607 genannten Personen vergleichbar, da es sich bei ihnen um si-to-ko-wo (=›die, die Getreide aufschütten‹)256 handelte. Leider ist gerade für diese 21 knidischen Frauen zwar die Beschäftigung, nicht aber der Ort derselben überliefert. Dennoch lohnt es, diese Tafel etwas näher zu betrachten: An 292 .1 si-to-ko-wo .2 ka-pa-ra2-de MUL 24 ko-wo 10 .3 ko-ro-ki-ja[ ] MUL 8 ko-wo[ .4 ki-ni-di[-ja MUL] 21 ko[-wo] In dieser Tafel sind insgesamt 53 Frauen genannt, die allesamt als Getreideaufschütterinnen bezeichnet werden. Gemeinsam ist diesen Frauen weiters, daß sie alle aus Gebieten außerhalb des Pylischen Reiches stammen dürften: Neben den Knidierinnen sind dies die ka-pa254 255 256

Strab. 14,2,16. Zu den Tätigkeitsfeldern aller in den Aa, Ab und Ad-Serien genannten Frauen siehe ausführlich Chadwick, Women 78–84. Als σιτοχόοι (von σῖτος=Gerste und χέω=gießen) zu deuten. Bartonek, Handbuch 198.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

ra2-de und ko-ro-ki-ja, Bezeichnungen von offenbar Ethnika, die jedoch – nach dem Zeugnis aller pylischen Texte – wohl nicht im Reich von Pylos beheimatet waren.257 Woher diese Frauen also stammten, bleibt unbekannt. Lediglich für die ko-ro-ki-ja käme vielleicht der lakonische Ort Krokeai in Frage, doch ist auch dies eine unbeweisbare Vermutung. Als Fazit bleibt nur festzuhalten, daß die Tafel An 292 eine gewisse Verwandtschaft mit An 607 aufweist und die genannten Frauen daher ebenfalls als Bedienstete von hochrangigen Militärpersonen eingesetzt worden sein dürften. Definitv nachzuweisen ist dies allerdings nicht. Doch zurück zu den in den Serien Aa, Ab und Ad verzeichneten Frauen aus dem kleinasiatischen Bereich: Es fällt auf, daß mit Ausnahme von Kythera, einer Insel südlich von Lakonien, alle Herkunftsorte dieser in Pylos registrierten Frauen entweder an der kleinasiatischen Küste selbst (Knidos, Milet, Halikarnassos, Asia) oder auf Inseln (Chios, Lemnos) vor dieser Küste gelegen sind.258 Es stellt sich nun die Frage, aus welchem Grund und wie diese Frauen aus dem kleinasiatischen Raum ins Reich von Pylos gelangt sind, um dort niedrigen Tätigkeiten nachzugehen. In der Forschung wurden diese Frauen zum einen als politische Flüchtlinge angesehen.259 Doch ist diese Interpretation wohl abzulehnen, da nicht zu erklären ist, wieso alle aus dem kleinasiatischen Raum stammen und daß sie alle nach Pylos geflüchtet sein sollen, um dort in sehr untergeordneter Funktion zu leben, und nicht in einen der an der Ägäis gelegenen mykenischen Palaststaaten wie Mykene oder Theben. Zudem müssen diese Frauen – zusammen mit ihren Kindern – schon längere Zeit als Arbeitsgruppen im Pylischen Reich tätig gewesen sein260 und schließlich ist es nicht verständlich, warum nur Frauen (und Kinder) aber keine Männer – wovor auch immer – geflohen sein sollen.261 Ein letzter Einwand: Wie konnten (weibliche) Flüchtlinge überhaupt von der kleinasiatischen Küste über die Ägäis nach Griechenland gelangen? Dazu hätte es – vor allem wenn man die relativ große Menge von Menschen bedenkt – einer Art von Schlepperwesen bedurft, dessen Schiffe die Flüchtlinge hätten benutzen können. Nichts von alledem ist bekannt oder kann auch nur wahrscheinlich gemacht werden. Wesentlich wahrscheinlicher ist es wohl, in diesen Frauen Sklavinnen zu sehen, wobei sich jedoch die Frage stellt, wie und auf welchem Weg sie in die Sklaverei gerieten und nach Pylos gelangten. Eine Erklärungsmöglichkeit – und diese stellt den Konnex mit dem Heerwesen dar – besteht darin, in ihnen die Opfer von militärischen Aktionen zu sehen, die z.B. im Zuge von Raubfahrten pylischer Kriegsschiffe, die neben sonstigen Plünderungsaktionen auch der ›Sklavenjagd‹ nachgingen,262 entlang der Küste Kleinasiens erbeutet wurden. Als Vergleichsbeispiele für solche Frauenraubaktionen werden Stellen bei Homer herangezogen, wie etwa Agamemnons Drohung, die Stadt Troia zu zerstören, die Leichen der Männer den Vögeln zum Fraß vorzuwerfen, Frauen und Kinder aber in die Sklaverei wegzufüh257 258 259 260 261 262

Siehe Chadwick, Women 79f. In den genannten pylischen Serien sind, wie gesagt, noch weitere Herkunftsangaben vorhanden, die jedoch mit keinem in historischer Zeit belegbaren Ort in Verbindung gebracht werden können. Heubeck, An 607 85; Tritsch, Women of Pylos 438f. Carlier, La femme 16. Zu den Argumenten gegen die Deutung als Flüchtlinge siehe Chadwick, Women 90f. Siehe Fischer, Sklaverei 45–84, Parker, Aktivitäten 495–502 und kritisch relativierend Chadwick, Women 89–92.

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ren.263 Noch deutlicher wird dies in der Lügenerzählung des Odysseus ausgeführt, wenn er davon spricht, wie er nur aus dem Motiv heraus, Beute zu machen, die ägyptische Küste aufsuchte und seine Männer sodann zu plündern begannen, die Frauen in die Sklaverei wegführten, Männer und unmündige Kinder jedoch erschlugen.264 Besonders auffällig ist hierbei eine Parallele zu den Sklavinnen in den Pylostafeln. In der Odyssee wird ausdrücklich betont, daß die Frauen weggeschleppt, Männer und unmündige Kinder aber erschlagen wurden. Dies kann nur bedeuten, daß nicht nur Frauen geraubt und in die Sklaverei geführt wurden, sondern auch dem Kleinkindalter entwachsene Jugendliche (wohl beiderlei Geschlechts). Dies ist aber genau die Situation, welche die Sklavinnentafeln der Aa-, Ab- und Ad-Serien wiedergeben.265 So plausibel diese Interpretation der kleinasiatischen Frauen im Speziellen und der aller in den betreffenden Serien genannten Frauen im Allgemeinen auch scheinen mag, so spricht doch ein (schwerwiegendes) Argument dagegen. In einigen Tafeln (Aa 807, Ab 586, Ad 686) werden die Frauen genauer als ra-wi-ja-ja bezeichnet.266 Dieser Begriff wird als lawiajjai gedeutet, welches mit dem bei Homer bezeugten ληΐη bzw. ληϊάδες (=Beute bzw. Beutefrauen) in Zusammenhang steht.267 Dies bedeutet aber, daß die in den drei genannten Tafeln aufgeführten Frauen als Kriegsgefangene oder besser gesagt als im Zuge von militärischen Aktionen in Gefangenschaft geratene Personen bezeichnet wurden. Wenn jedoch der Sprachgebrauch in den Pylos-Texten einen speziellen Begriff für Kriegsgefangene kennt und sogar in den Serien Aa, Ab und Ad verwendet, so ist nicht anzunehmen, daß die in denselben Serien aufgeführten Frauen aus Kleinasien ebenfalls Kriegsgefangene waren, jedoch nicht (wie andere) als ra-wi-ja-ja bezeichnet wurden.268 Dementsprechend geht die dritte Interpretation der Sklavinnentafeln dahin, daß es sich bei diesen Frauen zwar um Sklavinnen handelte, diese aber nicht durch einen Raubzug pylischer Kriegsschiffe in Gefangenschaft und folglich in die Sklaverei geraten sind, sondern durch Kauf erworben wurden.269 Dem unbedingt vorzubringende Einwand, daß in diesem Fall die Existenz so vieler Kleinasiatinnen nicht zu erklären wäre, wird dadurch begegnet, daß ein entsprechender Sklavenmarkt (oder auch mehrere) im kleinasiatischen Bereich postuliert wird, dem die Frauen auch ihre Herkunftsbezeichnung (Milesierinnen, Knidierinnen, Lemnierinnen etc.) verdankt haben könnten. Auf diesen Märkten hätten also die Pylier ihre Sklavinnen erworben und auf die Peloponnes gebracht. Trotz dieser Argumente stellen sich noch einige Fragen: 1. Warum kauften die Pylier eine erhebliche Anzahl von Sklavinnen auf Märkten, die so weit von ihrem Reich entfernt lagen? 2. Warum wurden dort nur weibliche Sklaven erworben? 3. Sklaven, für deren Erwerb solch ein Aufwand (weite Reise) getrieben wurde, sollten eigentlich ganz besondere Fähigkeiten aufweisen;270 die Beschäftigung der Frauen in den Aa, Ab und Ad Serien lassen diesen Schluß aber nicht zu. 263 264 265 266 267 268 269 270

Hom. Il. 4,237–239. Hom. Od. 15,258–265. Vgl. Nosch, Center and Periphery 65f. Zu diesen siehe Hiller, ra-mi-ni-ja 388–412. Bartonek, Handbuch 173, 376. Chadwick, Women of Pylos 92. Chadwick, Women 92f. und Nosch, Center and Periphery 68. Tatsächlich nimmt genau dies Lindgren, People of Pylos II 136 an.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

Auch die Deutung der Frauen als durch Kauf in Kleinasien erworbene Sklavinnen mag demnach nicht völlig zu befriedigen. Halten wir also die wesentlichen Punkte nochmals fest: 1. Bei den Personen auf den Tafeln der Serien Aa, Ab und Ad handelt es sich ausschließlich um Frauen und (halbwüchsige) Kinder. 2. Alle Frauen stammten aus Gebieten außerhalb des Reiches von Pylos, einige aus Kleinasien. 3. Die Frauen verrichten mehr oder minder niedrige, keine speziellen Fähigkeiten erfordernde Tätigkeiten. 4. Für im Zuge von Kriegshandlungen erbeutete Frauen existiert ein terminus technicus (ra-wi-ja-ja), mit dem jedoch nur die Frauen auf drei Tafeln bezeichnet werden; unter diesen befinden sich keine Frauen aus dem kleinasiatischen Raum. Punkt 1 und 2 sprechen deutlich für Frauen, die im Zuge von Kriegshandlungen erbeutet wurden und sodann als Sklavinnen nach Pylos gelangten. Punkt 4 spricht allerdings ebenso deutlich gegen diese Auffassung. Punkt 4 scheint Kaufsklavinnen nahezulegen, Punkt 1, 2 und 3 sprechen vor allem bezüglich der Kleinasiatinnen dagegen. Möglicherweise ist dieses Dilemma durch das folgende, hypothetische Szenario aufzulösen: Einige der Frauen, auf jeden Fall aber jene aus dem kleinasiatischen Raum dürften durch Kriegshandlungen in Gefangenschaft geraten sein. Allerdings sind damit keine militärischen Aktionen seitens pylischer Truppen und Kriegsschiffe gemeint, sondern solcher anderer, nicht näher bestimmbarer Provenienz. Dies bedeutet, daß diese Frauen durch Plünderungsaktionen von z.B. kretischen Schiffen oder solchen aus der Levante an der kleinasiatischen Küste geraubt und sodann in griechische Gewässer vielleicht nach Kreta oder die Peloponnes gebracht wurden. Dort wurden sie schließlich von Pyliern gekauft und nach Messenien geführt. Dies würde erklären, warum diese Frauen zwar letztlich Kriegsbeute waren, in den Pylostexten jedoch nicht als solche bezeichnet wurden, da sie von den Pyliern nicht erbeutet, sondern gekauft wurden. Ein ähnliches Schicksal dürften wohl auch andere in den Tafeln erwähnte Frauen nicht näher bestimmbarer Herkunft erlitten haben. Wie man sich einen solchen Vorgang vorzustellen hat, dafür mag eine Erzählung in der Odyssee271 dienen. Im Zuge der Erzählung des Eumaios über sein Schicksal, ist von einer Phoinikerin aus Sidon die Rede, welche von Seeräubern aus Taphos, einer Insel vor der Küste Westgriechenlands, geraubt und nach Syria272 gebracht wurde, wo sie dem dortigen Herrscher verkauft wurde. Übrigens hatte Eumaios ein ähnliches Los, da er seinerseits von Phoinikern geraubt und nach Ithaka verkauft wurde. Zusammenfassend ist zu sagen, daß es unter den Sklavinnen der Serien Aa, Ab und Ad solche gab, die zwar nicht von Pyliern erbeutet, sondern von anderen auf Plünderungsfahrt befindlichen Kriegern geraubt und an Pylier verkauft wurden; zu diesen gehören (wohl nicht nur) die Kleinasiatinnen. Andere wiederum waren wohl Kaufsklavinnen aus Nachbargebieten des Pylischen Reiches. Neben diesen beiden Gruppen von Frauen, die von den pylischen Texten nicht als Kriegsbeute klassifiziert wurden, gab es jedoch auch solche, die 271 272

Hom. Od. 15,424–428. Insel vor der kleinasiatischen Küste gegenüber von Ephesos.

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

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eindeutig als Kriegsgefangene bezeichnet wurden. Diesen soll nun der letzte Teil der Ausführungen über die Sklavinnen gelten. Als ra-wi-ja-ja bezeichnete Frauen finden sich auf drei Tafeln (Aa 807, Ab 586 und Ad 686) und sind als ›echte‹, von pylischen Truppen in die Sklaverei geführte Gefangene zu werten. Den drei Tafeln, auf denen ra-wi-ja-ja (insgesamt über 50) registriert sind, sind mehrere Tatsachen gemeinsam. Zum einen wird in keiner der drei Tafeln die Tätigkeit der Frauen genannt, und zum anderen wird in allen als Ort ihres Aufenthalts pu-ro ke-re-za erwähnt, eine Lokalität die in keiner anderen Pylostafel auftaucht. Es handelt sich dabei wohl um einen Platz in Pylos selbst oder in unmittelbarer Umgebung des Palastes. Da auch keine der anderen Sklavinnen in ke-re-za tätig war, muß man darin einen Ort sehen, an dem speziell und ausschließlich die als Kriegsgefangene bezeichneten Frauen (und deren Kinder) gehalten wurden. Weshalb und zu welchem Zweck diese Menschen dort festgehalten wurden, bleibt mangels einer Tätigkeitsangabe unklar, doch können immerhin über ihre Herkunft Vermutungen angestellt werden. Wie schon weiter ober ausgeführt, war das wichtigste und von den meisten Truppenverbänden geschützte Einsatzgebiet des pylischen Heeres die Distrikte an der Nordgrenze des Reiches. Dementsprechend waren die zu bekämpfenden Gegner die Bewohner der südwestarkadischen Gebirgsländer, sodaß die Vermutung naheliegt, daß die Kriegsgefangenen vornehmlich aus diesen Gebieten stammten. Zur Bekräftigung dieses Verdachtes könnte auch die Tafel Ad 686 selbst dienen. Wie schon gesagt, werden hier insgesamt 15 Söhne von kriegsgefangenen Frauen genannt. Zur näheren Kennzeichnung findet sich auch ein (defektiv erhaltenes) Wort, welches zu ta-ra-[ko]-po-ro plausibel ergänzt werden kann.273 Die Richtigkeit dieser Ergänzung vorausgesetzt, lautet die griech. Transkription des Begriffs τραγοφόρος und bedeutet ›Träger von Ziegenfell‹, wobei damit keine Tätigkeit gemeint ist, sondern auf die Bekleidung anspielt. Diese Bezeichnung wäre auch nicht wörtlich zu verstehen, sondern soll den damit Bezeichneten als ›Primitiven‹ oder ›Barbaren‹ stigmatisieren.274 Als gleichsam bildliche Entsprechung hierzu sei an das bekannte Fresko aus dem Palast von Pylos erinnert, welches pylische Krieger im Kampf mit Gegnern zeigt, die durch ihre Fellbekleidung als Barbaren gekennzeichnet sind. Daß diese Gegner die Bewohner der an die nördlichen Distrikte des Reiches von Pylos grenzenden arkadischen Gebirge gewesen sein dürften, wurde bereits oben275 dargelegt. Noch ein letzter Punkt sei hier hinsichtlich der Kriegsgefangenen angesprochen. Wie schon erwähnt, befanden sich alle kriegsgefangenen Frauen mit ihren Kindern an einem Ort, ke-re-za genannt, an dem sich keine anderen Sklavinnen befanden; die Kriegsgefangenen wurden also offenkundig bewußt von den anderen Sklavinnen abgesondert gehalten. Hinzu kommt, daß in allen drei die ra-wi-ja-ja verzeichnenden Tafeln keine Tätigkeit dieser Personen erwähnt wird.276 Dies könnte man nun dahingehend interpretieren, daß die rawi-ja-ja gar keiner Tätigkeit nachgingen, sondern lediglich gefangen gehalten wurden. In diesem Falle wären sie wohl nicht als Sklavinnen anzusehen, sondern vielmehr als Geiseln. 273 274 275 276

Chadwick, Documents 161f. Vgl. dazu etwa die Verunglimpfung seiner Gegner als ›δορὰς αἰγῶν (Felle von Ziegen) tragend‹ durch Theognis von Megara (1,55). Bei der Behandlung der Tafel An 607 in II 2.4. Dies gilt allerdings auch für einige andere Tafeln der Aa-, Ab- und Ad-Serien.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

Auf jeden Fall sind die drei Tafeln, in denen ra-wi-ja-ja aufgelistet sind, als Zeugnisse zu sehen, die einen gewissen Konnex zum mykenischen (d.h. pylischen) Militärwesen und seinem Wirken aufweisen. 2.6 Die ke-ro-si-ja-Tafeln Im folgenden sollen zwei Pylos-Tafeln behandelt werden, die möglicherweise – jedoch nicht zwingend – mit der Militärorganisation des Reiches in gewissem Zusammenhang stehen könnten: An 616 v.1 ta-we-si-jo-jo, ke-ro-si-ja VIR 20[ v.2 a-pi-qo-o, ke-ro-si-ja VIR 17 [ v.3 a-pi-i-to, ke-ro-si-ja VIR 18 v.4 o-to-wo-o, ke-ro-si-ja VIR 13277 lat. sin. ka-ma-e-we VIR 10 Diese Liste, die sich auf der Rückseite der Tafel278 befindet, wiederholt sich in nahezu identer Weise279 auf der Rückseite (ab Zeile 3) der Tafel An 261,280 wobei jedoch der an der Seite von An 616 angebrachte Eintrag ka-ma-e-we VIR 10 in An 261 am Ende der Tafel aufscheint. Auf der Vorderseite dieser Tafel An 261 (ab Zeile 2) und in den ersten beiden Zeilen der Rückseite (insgesamt 18 Zeilen) finden sich ebenfalls Männer (VIR) aufgelistet, jedoch in jeder Zeile jeweils nur einer nach dem Muster: o-two-we-o ke-ro-si-ja a3-nu-me-no VIR 1[ (Z. 2). Die jeweils am Beginn jeder Zeile genannten Namen – insgesamt vier verschiedene – sind dieselben wie auf der Rückseite und in An 616, wenngleich in zuweilen etwas abweichender Schreibweise. Der wesentlichste Unterschied zur Rückseite (und zu An 616) besteht jedoch darin, daß jeweils nur ein Mann in jeder Zeile verzeichnet ist und daß vor dem Eintrag VIR offenbar der Name des Mannes erwähnt wird. Fassen wir also zusammen: Jede Zeile beginnt mit der Nennung eines Namens im Genitiv (ta-we-si-jo-jo, a-pi-(j)o-to, a-pi-qo-ta-o und o-to-wo-o/o-two-we-o) gefolgt von dem Begriff ke-ro-si-ja. Am Ende findet sich das Ideogramm VIR und eine Zahl; wenn diese Zahl 1 lautet, es sich also nur um einen Mann handelt, wird vor dem Ideogramm noch der Name dieses Mannes verzeichnet. Es handelt sich also bei beiden Tafeln um eine Auflistung von Männern – einzeln oder in Gruppen verzeichnet – wobei die einzeln genannten Männer auch namentlich genannt sind. Die Anzahl der einzeln gelisteten Männer steht übrigens in keiner Beziehung zu den Zahlen der jeweiligen Gruppe. So beträgt etwa die Summe der dem ta-we-si-jo zugeordneten Männer fünf während die Gruppe desselben Mannes 20 umfaßt. Diese Männer (sowohl die einzeln verzeichneten als auch die Gruppen) standen also in einer Beziehung zu vier Personen, von denen drei (a-pi-jo, a-pi-qo-ta und o-to-wo) auch 277 278 279 280

Die Zahl könnte auch als 14 zu lesen sein. Die Vorderseite enthält einige Produkte der Landwirtschaft (z.B. Wolle oder Gewürze) ist aber aufgrund zahlreicher Eradierungen kaum verständlich. Die Unterschiede bestehen im Namen a-pi-qo-o der hier (wohl in der richtigen Schreibweise) a-piqo-ta-o lautet. Sowie in der Nennung der Zahl 14 (statt 13) in der letzten Zeile. Zu dieser Tafel siehe Deger-Jalkotzy, Working for the Palace 65–81.

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

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aus anderen Pylostafeln bekannt sind (Jn 725, Jn 431 bzw. Jn 658),281 und zwar als Schmiede oder als mit Schmieden in Zusammenhang stehender qa-si-re-u (a-pi-qo-ta), der möglicherweise auch selbst Schmied war. Worin jedoch besteht der Zweck dieser beiden Tafeln? An 261 weist gleichsam eine Kopfzeile auf, in der jedoch nur ein Wort zu lesen ist: ke-ke-tu-wo-e. Dieses Wort – ein Part. Perf. Akt. – bedeutet wohl soviel wie ›zusammengeschlossen, vereinigt‹282 und weist auf die auf der Tafel verzeichneten Männer hin. Doch worin sind diese vereinigt? Die Antwort auf diese Frage liegt wohl im nur schwer deutbaren wenngleich in jeder Zeile wiederkehrenden Wort ke-ko-si-ja. Die meist vertretene Deutung283 dieses Wortes sieht darin die Linear B-Schreibung des griechischen Begriffes geronsia > gerousia und übersetzt es als ›Ältestenrat‹ oder ›Ratsversammlung‹. Während diese Deutung nun sprachlich sicherlich möglich ist, scheint sie aus inhaltlichen Gründen jedoch wenig wahrscheinlich. Die zum Begriff ke-ro-si-ja gehörigen Männer – unabhängig ob einzeln oder in größeren Gruppen – stehen in irgendeiner Abhängigkeit von vier Personen, von denen drei unzweifelhaft, wahrscheinlich jedoch alle vier Betreiber von großen Schmiedewerkstätten waren. Die Größe und damit wohl auch die Bedeutung dieser Betriebe und ihrer Besitzer oder Repräsentantan für den Palast von Pylos ergibt sich schon aus der Menge der diesen drei Personen vom Palast zugeteilten Bronzemengen.284 Das bedeutet nun, daß diesen drei/vier ›Großindustriellen‹ des metallverarbeitenden Gewerbes eine ke-ro-si-ja hatten, der eine relativ große Anzahl von Männern angehörte. Setzen wir nun für ke-ro-si-ja ›Ältestenrat‹ ein, so zeigt sich sehr schnell die Unhaltbarkeit dieser Übersetzung. Zumindest ist kein Grund ersichtlich, weshalb einem Schmied bzw. dem Besitzer oder Aufseher einer Schmiedewerkstatt ein Ältestenrat – oder auch nur irgendeine Ratsversammlung – zugeordnet sein sollte, noch dazu in dieser Größe (13 bis 20 Personen). Wesentlich plausibler ist wohl die Annahme, daß es sich bei der mit ke-ro-si-ja bezeichneten Gruppe um Männer handelte, die in einer direkten Beziehung zur Tätigkeit der vier Personen standen, denen die ke-ro-si-ja zugeordnet war. Mit anderen Worten: ke-ro-si-ja bezeichnet eine Gruppe von Männern, die mit den Schmiedewerkstätten in Verbindung standen. Folgendes Szenario ist vorstellbar: Der Palast von Pylos hat einigen Schmiedewerkstätten des Landes große Mengen von Bronze zur Produktion von vom Palast gewünschter Güter – es handelt sich hierbei um Waffen, wie noch auszuführen sein wird – zugeteilt. In einigen Betrieben reichten die vorhandenen Arbeitskräfte für diesen ›Sonderauftrag‹ jedoch nicht aus, sodaß diesen Werkstätten bzw. deren Leitern zusätzliche Handwerker zugeteilt werden mußten, was natürlich im Palast verzeichnet wurde; eine Gruppe solcher Handwerker wurde als ke-ro-si-ja bezeichnet. Wie aber ist in diesem Fall die Bezeichnung sprachlich zu erklären? Die sinntragende Silbe des Wortes ke-ro-si-ja ist zweifelsohne ›ker‹ und könnte das griechische cher bzw. cheir ›Hand‹ wiedergeben. In übertragener Bedeutung kann cheir allerdings auch ›Mannschaft‹ 281 282 283 284

o-to-wo (-we-i) erscheint auch in der Tafel PY Vn 851. Siehe Bartonek, Handbuch 268 und Plath, Mykenisch ke-ke-tu-wo-e 103–122. So Chadwick, Documents 172 und Bartonek, Handbuch 566. Hierzu genauer II 2.8.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

oder ›(Krieger-)Schar‹ bedeuten,285 ein Wort wie *cheirousia ist im späteren Griechisch jedoch nicht bekannt. Dies bedeutet aber nicht, daß es im mykenischen Griechisch eine solche Wortbildung aus dem Stamm cheir nicht gegeben haben kann. Man muß allerdings zugeben, daß diese Herleitung nur spekulativen Charakter hat. Unabhängig nun davon, ob ke-ro-si-ja mit cheir in Verbindung zu bringen ist oder nicht, stellt sich die Frage, ob die mit diesem Wort bezeichnete Gruppe von Männern etwas mit dem pylischen Militärwesen zu tun hat. Zum einen – doch dies erscheint äußerst unsicher, weil auf einer späteren Wortbedeutung von cheir beruhend – könnte es sich um eine Kriegerschar handeln, die unter dem Kommando jeweils eines der vier Männer, deren Namen im Genitiv genannt sind, standen. Es würde sich demnach um Milizverbände des pylischen Heeres handeln, zumal die Kommandeure ja einen Zivilberuf (Schmied) ausübten. Zum anderen – und diese Interpretation dürfte wohl wahrscheinlicher sein – könnten die in ke-ro-si-ja zusammengefaßten Männer mit der Waffenproduktion im Reich von Pylos in Verbindung zu bringen sein. Dies ergibt sich aus der Tatsache, daß drei der vier Männer, denen die ke-ro-si-ja zugeordnet waren, als Betreiber von Schmiedebetrieben – und nur als solche – bekannt sind, denen, wie schon erwähnt, seitens des Palastes große Mengen von Bronze zur Waffenproduktion zugeteilt wurden. Zur Bewältigung dieser Aufgabe dürften die in ke-ro-si-ja organisierten Männer als Arbeitskräfte in der Waffenproduktion ebenfalls zur Verfügung gestellt worden sein. Noch ein Punkt ist zu erwähnen: Sowohl auf der Tafel An 261 als auch auf An 616 ist gleichsam als resümierendes Nachwort am Ende der Liste bzw. an der Seite der Tafel das Wort ka-ma-e-we verzeichnet. Diese sind sicherlich als Besitzer von ka-ma zu deuten. Kama erscheint in den Pylostexten in zweierlei Form, die jedoch auf dieselbe Erklärung hinauslaufen: Entweder ist ka-ma als e-to-ni-jo also als ›abgabenfrei‹ verzeichnet286 oder aber die Inhaber von ka-ma – ausgedrückt als e-ke-i (echei) ka-ma bzw. als ka-ma e-u – werden mit dem Wort wo-ze (von griech. erdo, rezo)287 verbunden.288 Dies bedeutet, daß die kama-e-we für ihren als ka-ma bezeichneten Landbesitz eine Leistung gegenüber dem Palast zu erbringen hatten, wofür die Nutzung des Landes auch abgabenfrei sein konnte.289 Mit diesen ka-ma-e-we in den Tafeln An 261 und 616 sind wohl die vier Männer gemeint, denen die ke-ro-si-ja zugeteilt wurden. Ihre Gegenleistung für ka-ma bestand wohl darin, daß sie ihre Schmiedebetriebe der Waffenproduktion für das pylische Militär zur Verfügung gestellt haben, unterstützt von als ke-ro-si-ja bezeichneten Gruppen von Handwerkern, die der Palast stellte. 2.7 Militärische Einheiten außerhalb der o-ka-Tafeln Wie oben ausführlich dargestellt, existierten im Heer des Pylischen Reiches verschiedene Truppengattungen, nämlich die o-ka-ra3, ke-ki-de, ku-re-we, u-ru-pi-ja-jo, ko-ro-ku-ra-ijo und i-wa-so, die in den o-ka-Tafeln häufig Erwähnung finden. Doch auch außerhalb der 285 286 287 288 289

Vgl. u.a. Hdt. 1,174,4; 5,72,1; 7,20,1; 7,157,2; Thuk. 3,96,3; Eur. Heraklidai 337; Elektra 629. So etwa in An 607, Eb 297 und Ep 704. Bartonek, Handbuch 315. Siehe besonders die Tafel PY Ep 613. Vgl. Chadwick, Documents 261–263.

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

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o-ka-Tafeln finden sich all diese Einheiten zuweilen in pylischen Linear B-Texten wieder, wobei sie in der Tafel Cn 3 besonders gehäuft auftreten: Cn 3 .1 jo-i-je-si, me-za-na, .2 e-re-u-te-re, di-wi-je-we, qo-o, .3 a2-ra-tu-a, o-ka-ra3, .4 pi-ru-te, ku-re-we .5 e-na-po-ro, i-wa-si-jo-ta, .6 o-ru-ma-to, u-ru-pi-ja-jo, .7 a2-ka-a2-ki-ri-ja-jo, u-ru-pi-ja-jo-jo, .8–9 vacant

BOS 1 BOS 1 BOS 1 BOS 1 BOS 1

Diese Tafel trägt als Überschrift den Satz: »So sendet (das Gebiet) me-za-na dem ›Aufseher‹ di-wi-je-u Ochsen«. Gleich drei Informationen sind in dieser Überschrift enthalten. Zum einen existierte im pylischen Staat offenbar ein (landschaftlich geschlossenes?) Gebiet namens me-za-na;290 zum zweiten mußte dieses Gebiet an den Palast291 Rinder abliefern; zum dritten schließlich wurde diese Lieferung von einem Mann namens di-wi-je-u kontrolliert, der einerseits in der Tafel Aq 218 als Priester (und e-qe-ta?) aufscheint und der andererseits aus der o-ka-Tafel An 656 als Offizier der o-ka von a-pu2 bekannt ist. Dieser Mann hatte also Funktionen inne sowohl in der zivilen Verwaltung als auch beim Heer sowie im Kultbetrieb. Sollte di-wi-je-u tatsächlich auch ein e-qe-ta gewesen sein, so wäre dies eine Parallele zur Tafel Wa 917, in der ebenfalls die Begriffe e-qe-ta und e-re-u-tere-[ nebeneinander aufscheinen.292 Der Zweck dieser Rinderlieferung wird übrigens nicht erwähnt, doch könnten die Ochsen zur Opferung bestimmt gewesen sein, wenn man bedenkt, daß di-wi-je-u auch Priester war;293 doch ist dies nicht unbedingt zwingend und könnte zufällig sein. Im Hinblick auf die pylische Heeresorganisation sind allerdings die aufgelisteten Gruppierungen aus me-za-na von besonderem Interesse, die jeweils einen Ochsen abzuliefern hatten. Es handelt sich hierbei nämlich ausschließlich um militärische Truppengattungen, eine o-ka-ra3, eine ku-re-we, eine i-wa-so,294 und zwei u-ru-pi-ja-jo295 Einheiten. Durch die Herkunftsangaben dieser Einheiten wird deutlich, daß die in Cn 3 aufgeführten Truppeneinheiten dieselben sind, die auch in den o-ka-Tafeln An 519 und 661 erwähnt sind als Bestandteile der o-ka-Truppen von ro-u-so, ka-ra-do-ro, ri-jo und ti-mi-to a-ko. Der Kontext der Tafel Cn 3 ist jedoch deutlich kein militärischer, zumal es um die Lieferung von Rindern im Gebiet von me-za-na geht.296 Man würde demnach als Lieferanten der Tiere vielmehr Personen oder auch Personengruppen erwarten, die mit der Landwirtschaft respektive mit der Viehzucht, allenfalls solche, die mit der Verarbeitung von 290 291 292 293 294 295 296

Siehe dazu oben im Abschnitt über die o-ka-Tafeln. Daß der Palast der Empfänger sein dürfte, geht schon aus der Tatsache hervor, daß die Lieferung der Rinder im Archiv des Palastes registriert wurde. Dazu siehe Deger-Jalkotzy, E-QE-TA 72–76. So auch Deger-Jalkotzy, E-QE-TA 19f. Hier in der Schreibung i-wa-si-jo-ta. Bei der Form u-ru-pi-ja-jo-jo in Zeile 7 dürfte es sich um eine Verschreibung handeln. Zur Geographie in den Tafeln der Cn-Serie siehe Godart, Place Names 159–161.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

Schlachtvieh zu tun hatten, in Verbindung zu bringen sind, und nicht unbedingt militärische Einheiten. Ähnlich verhält es sich mit einer weiteren Tafel der Cn-Serie. Cn 655 .1 ma-ro-pi, qe-re-wa-o, pa-ra-jo .2 ma-ro-pi, to-ro-wi-ko, pa-ra-jo .3 ma-ro-pi, ke-ro-wo-jo .4 ma-ro-pi, ra-pa-sa-ko-jo .5 ma-ro-pi, pu-wi-no, a-pi-me-de-o, a-ko-ra .6 ma-ro-pi, i-wa-so, we-da-ne-wo, a-ko-ra .7 ma-ro-pi, ti-ke-wo, pa-ra-jo .8 ma-ro-pi, o-ka-ri-jo, pa-ra-jo .9 ma-ro-pi, e-ti-ra-wo, pa-ra-jo .10 ma-ro-pi, a-ta-ma-ne-u, pa-ra-jo .11 ma-ro-pi, qi-ri-ta-ko, a-ke-o-jo, a-ko-ra .12 ma-ro-pi, a-ri-wo, a-ke-o-jo, a-ko-ra .13 ma-ro-pi, ro-ko-jo, we-da-ne-wo, a-ko-ra .14 ma-ro-pi, o-pe-re-ta, we-da-ne-wo, a-ko-ra .15 ma-ro-pi, po-ro-qa-ta-jo, we-da-ne-wo, a-ko-ra .16 ma-ro-pi, to-ru-ko-ro, we-da-ne-wo, a-ko-ra .17 ma-ro-pi, ma-ma-ro, we-da-ne-wo, a-ko-ra .18 ma-]ro-pi, ma-du-ro, we-da-ne-wo, a-ko-ra .19 ma-ro-]pi, se-no, we-da-ne-wo, a-ko-ra .20 ma-ro-]pi, ta-ta-ke-u, [we-]da-ne-wo, a-ko-ra

OVISm 136 OVISm 133 OVISm 85 OVISm 69 OVISm 190 OVISm 70 OVISm 70 OVISm 95 OVISm 70 OVISm 60 OVISm 90 []14 []80 OVISf 86 OVISf 63 OVISf 88 OVISm 90 OVISm 100 OVISf 40 OVISf 30

In dieser Liste sind Herden (a-ko-ra, vgl. agorai) von Schafen (getrennt nach weiblichen und männlichen Tieren) im Gebiet von ma-ro297 aufgeführt. Die Tatsache, daß es sich bei diesen Herden entweder um ausschließlich männliche oder um ausschließlich weibliche Tiere handelte, macht es unwahrscheinlich, daß dies ›normale‹ Schafherden waren. Vielmehr dürften hier Tiere ausgesondert worden sein, wobei jedoch der Zweck dieser Maßnahme aus dem Text nicht ersichtlich ist. Die einzelnen Einträge in dieser Liste führen also Schafe auf, die jeweils zur Herde einer bestimmten Person gehörten. Bei den meisten Einträgen sind nun jeweils zwei Personen genannt, wobei der eine im Nominativ der andere aber (meist gefolgt vom Wort a-ko-ra) im Genitiv steht. Der im Nominativ stehende Name, der immer vorhanden ist, ist in jedem Eintrag ein anderer während die im Genitiv stehenden Namen sich sehr oft wiederholen, sodaß insgesamt – bei 20 Einträgen – nur drei oder vier Namen aufscheinen. Es dürfte sich demnach bei den im Genitiv stehenden Namen um die der eigentlichen Besitzer der Herden handeln, während die Personen, deren Namen im Nominativ stehen, die Herden zur Betreuung oder aber zur wirtschaftlichen Nutzung – ähnlich einem Pachtland – hatten. Daher kam es nun offenbar diesen Leuten zu, einen Teil der Herde – und nur um einen sol297

ma-ro dürfte im Norden des Reiches von Pylos gelegen haben, möglicherweise im Norden der Jenseitigen Provinz. Siehe Deger-Jalkotzy, E-QE-TA 72.

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

213

chen kann es sich hier aufgrund der geschlechtsspezifischen Trennung der Tiere handeln – einer bestimmten Verwendung zuzuführen. Die drei in der Tafel genannten eigentlichen Besitzer der Herden sind auch aus anderen Pylostafeln gut bekannt. Es handelt sich bei ihnen um den schon erwähnten e-qe-ta a-pime-de, der jedoch nur einen ›Schafspächter‹ hat, sowie um we-da-ne-u, der – wie schon oben festgestellt wurde – möglicherweise der ra-wa-ke-ta des Reiches von Pylos gewesen ist. we-da-ne-u hat in diesem Text insgesamt acht Pächter und somit fast die Hälfte aller verzeichneten Herden. Der dritte Eigentümer schließlich, ein Mann namens a-ke-o, ist aus anderen Tafeln der Cn-Serie als Besitzer von Schaf- und Ziegenherden in verschiedensten Teilen des pylischen Staates bekannt, wobei er übrigens des öfteren zusammen mit we-dane-u erwähnt wird.298 Was die Gruppe betrifft, deren Namen im Nominativ stehen und die als Betreuer oder ›Pächter‹ der Herden angesprochen wurden, so erscheinen mehrere von ihnen (z.B. pu-rino, o-pe-re-ta, se-no) auch in anderen Tafeln, immer jedoch im Kontext mit Pachtland, Getreideerträgen, Getreideabgaben oder -spenden etc. Aufgrund dieser Evidenz erscheint es geraten, in dieser Gruppe nicht bloßes Betreuungspersonal für die Herden zu sehen, sondern das, was sie auch in den von Landbesitz und Getreideerträgen handelnden Texten sind, nämlich Pächter. Bezüglich der Schafherden wäre es somit denkbar, daß z.B. ein Mann wie se-no nicht nur Ackerflächen, sondern auch eine Schafsherde – in diesem Fall vom Eigentümer we-da-ne-u – pachtete, diese betreute und ihren Ertrag (d.h. Wolle) nutzte und dafür entsprechende Abgaben zu zahlen hatte. Jedenfalls handelt es sich bei diesen Pächtern der Schafsherden – erwartungsgemäß – um Leute, die nach dem Ausweis anderer Pylostexte in der Landwirtschaft tätig waren. Als Pächter scheinen nun in Cn 655 mit einer Ausnahme nur Einzelpersonen auf, wenn man von einigen Begriffen wie o-ka-ri-jo oder po-ro-pa-ta2-jo absieht, hinter denen auch ein Nominativ Plural und somit eine Personengruppe stehen könnte. Die einzig gesicherte Ausnahme betrifft die Zeile 6, in der als Pächter eine i-wa-so aufscheint, eine Truppeneinheit also, wie sie auch mehrmals in den o-ka-Tafeln vertreten ist. Somit findet man auch in dieser Tafel eine militärische Einheit in einem Kontext, der deutlich in den Bereich der Viehzucht gehört. Diese eben festgestellte eher unerwartete Rolle militärischer Einheiten wird besonders augenfällig dokumentiert durch mehrere Tafeln aus der Na-Serie, welche durch die Präsenz des Ideogrammes für ›Leinen‹ (SA) charakterisiert ist. In den Tafeln dieser Serie, die zum Großteil von einem einzigen Schreiber stammt, ist die Leinen- oder wohl eher die Flachsproduktion an verschiedenen Orten des pylischen Staates festgehalten; hierbei wird zwischen solchen unterschieden, die – mit e-ko-si (echonsi/echousi) eingeleitet – die geforderte oder aktuelle Produktionsmenge angeben, und solchen, die – mit o-u-di-do-si (ou didonsi/ didousi) eingeleitet – die geforderte Menge nicht erbracht haben bzw. davon befreit wurden.299 298

299

Diese beiden Männer, we-da-ne-u und a-ke-o, waren offenbar die Besitzer der mit Abstand größten Herden des Landes, verteilt auf zahlreiche Distrikte sowohl der Diesseitigen als auch der Jenseitigen Provinz. Siehe auch Killen, Collectors 213f. Siehe hierzu ausführlich Chadwick, Documents 297–301, 468–473.

214

II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

Als Produzenten werden in den Tafeln Personengruppen in den verschiedenen Orten des Landes genannt, von denen relativ viele als Berufsgruppen zu identifizieren sind. So finden sich (als größte Gruppe) Schmiede (ka-ke-we=chalkeis) in Na 106, 252, 425, 529, 923 und 941, Schiffsbauer (na-u-do-mo=naudomoi) in Na 568, Pflanzer (pu2-te-re=phyteres) in Na 520 und Jäger (ku-na-ke-ta=kynegetai) in Na 248. Mit Ausnahme der Pflanzer sind all diese Berufsgruppen nicht primär mit der Landwirtschaft in Verbindung zu bringen, müssen aber dennoch gleichsam eine ›landwirtschaftliche Sparte‹ besessen haben, welche die Flachsproduktion gewährleistete. Unter diesen in der Na-Serie verzeichneten, Flachs produzierenden Gruppen finden sich aber auch zahlreiche militärische Einheiten. So wird in der Tafel Na 103 eine ke-ki-de Einheit erwähnt, die offenbar keinen Flachs ablieferte, und in Na 514 ist eine weitere ke-ki-de Truppe aufgeführt, für die auch eine Ortsangabe existiert: die Stadt ku-]pa-ri-so. Es ist also sehr wahrscheinlich, daß es sich bei dieser Einheit um eine der beiden ke-ki-de ku-pa-ri-sijo handelt, die in der o-ka-Tafel An 657 als Bestandteil der o-ka von me-ta-pa verzeichnet sind. Eine u-ru-pi-ja-jo Einheit ist in der Tafel Na 928 als Flachsproduzent verzeichnet und trägt hier die Bezeichnung a2-ke-wo-a-ki[-ri-jo?]. Möglicherweise – aber bei weitem nicht gesichert – handelt es sich hierbei um dieselbe Truppe, die in der o-ka-Tafel An 661 unter der Bezeichnung u-ru-pi-ja-jo a2-ka-a2-ki-ri-jo als Einheit in der o-ka von ti-mi-to a-ko vermerkt ist. Besonders häufig werden ko-ro-ku-ra-i-jo Einheiten in den Tafeln der Na-Serie aufgeführt. So ist in Na 396 eine ko-ro-ku-ra-i-jo Truppe in wo-no-qe-wa registriert und in Na 405 ist die Rede von ko-ro-ku-ra-i-jo, die zum Ort to-ro-wa-so gehörten. Eine weitere allerdings nicht näher bestimmte ko-ro-ku-ra-i-jo Einheit ist in Na 516 vermerkt und in der Tafel Na 543 findet man eine Truppe ko-ro-ku-ra-i-jo in der Stadt ka-ra-do-ro erwähnt; diese ist mit Sicherheit als dieselbe Einheit zu identifizieren, die in der o-ka-Tafel An 661 als Teil der 9. o-ka (von ri-jo) ins benachbarte ka-ra-do-ro abkommandiert und dort stationiert wurde. Insgesamt sind also sieben militärische Einheiten der Gattungen ke-ki-de, u-ru-pi-ja-jo und ko-ro-ku-ra-i-jo als Produzenten in der Landwirtschaft, genauer gesagt von Flachs in den Na-Tafeln erwähnt; diese stellen somit zusammen mit den neun Nennungen identifizierbarer Berufsgruppen die Mehrheit aller in der Na-Serie registrierten Gruppen von Flachsproduzenten dar. Zwei oder drei der sieben genannten Einheiten scheinen auch in den o-ka-Tafeln auf. Wiederum finden wir also militärische Einheiten – ebenso wie andere (handwerkliche) Berufsgruppen – abseits ihrer sonstigen Tätigkeit mit der landwirtschaftlichen Produktion beschäftigt. Die oft und ausführlich behandelte Ma-Serie der Pylos-Texte300 verzeichnet auf insgesamt 18 Tafeln Mengen an verschiedenen Produkten, welche die einzelnen Distrikte des pylischen Staates abzuliefern hatten, wobei jedem einzelnen Distrikt eine eigene Tafel gewidmet ist. Insgesamt werden auf jeder Tafel die immer gleichen sechs Produkte (in gleichbleibender Reihenfolge) durch Einzelzeichen vermerkt, von denen jedoch nur drei – und diese auch nur vermutungsweise – identifizierbar sind: bei diesen drei Zeichen handelt es sich 300

Zu den Tafeln der Ma-Serie siehe Chadwick, Documents 289–295 und grundlegend Shelmerdine, Ma-Tablets 261–275 und Shelmerdine Palatial Administration 76–79.

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

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wohl um Textilprodukte (*146), um Bienenwachs (KE) und um Rinderfelle (*152), also um Produkte, die einerseits von handwerklichen andererseits aber auch von landwirtschaftlichen Betrieben stammen. Der Aufbau der einzelnen Tafeln ist in allen Fällen derselbe: Nach der Nennung des Distriktes wird die volle geforderte bzw. veranschlagte Menge der sechs Produkte angegeben. In den weiteren Zeilen findet sich sodann die tatsächlich abgegebenen Produktmengen sowie – durch den Eintrag o-u-di-do-si gekennzeichnet – diejenigen Gruppen, die einen gewissen Teil der Gesamtmengen nicht ablieferten oder nicht abliefern mußten. Die letztgenannten Einträge sind nicht immer beide in den einzelnen Tafeln vorhanden. Die Tafel Ma 90 dieser Serie ist nun in unserem Zusammenhang von ganz besonderem Interesse: Ma 90 .1 me-ta-pa *146 28 RI M 28 KE M 8 *152 12 O M 6 ME 600 .2a *152 [ .2 o-da-a2, ka-ke-we, o-u-di-do-si *146 1 RI M 1[ ] ku-re-we, o-u-di-do-si *146 4 RI M 4 *152 2 KE M 1 N 2 ME 100

]1

Bei dieser Liste handelt es sich demnach um die ›Veranlagung‹ des Distriktes me-ta-pa, wobei vermerkt ist, daß bestimmte Gruppen ihren Beitrag nicht zu leisten brauchen. Zum einen sind dies die Schmiede (ka-ke-we), die auch in vielen anderen Distrikten von den Leistungen befreit sind. Zum anderen betrifft dies aber auch eine militärische Einheit, nämlich eine ku-re-we Truppe. Möglicherweise handelt es sich bei dieser, zumal sie aus me-ta-pa stammt, um dieselbe Einheit, die in der o-ka-Tafel An 654 als ku-re-we u-pi-ja-ki-ri-jo in der o-ka von pe-to-no aufscheint und zusammen mit einer me-ta-pi-jo ke-ki-de Einheit in o-*34-ta eingesetzt ist. Die Annahme, daß diese ku-re-we u-pi-ja-ki-ri-jo eine metapische Truppe ist, wird zusätzlich dadurch erhärtet, daß ihr auch der aus me-ta-pa stammende eqe-ta a-re-ku-tu-ru-wo e-te-wo-ke-re-we-jo zugeordnet ist. Jedenfalls ist diese ku-re-we Einheit aus me-ta-pa der Tafel Ma 90 zufolge für die Produktion bestimmter landwirtschaftlicher und handwerklicher Produkte verantwortlich, auch wenn im vorliegenden Fall auf die Abgabe dieser Produkte verzichtet wird. Schließlich sei noch kurz die Tafel An 614 betrachtet.301 An 614 .1 ]-ne-[.] .2 ]ko-do-[.]-no[ .3 ]-ro, e-qe-ta, [ .4 ko-ro-]ku-ra-i-jo VIR 1[ .5 ]e-o-te [ ]VIR 30 .6 ] vacat [ ] vacat .7 ]a-pe-e-si[ ] VIR

[ [ [

Die einzige Information, die aus diesem stark fragmentierten Text zu entnehmen ist, besteht darin, daß hier offenbar Männer bereitgestellt wurden, oder vielmehr, daß Männer, die zur Verfügung stehen sollten, nicht anwesend waren; darauf deutet das Verbum a-pe-esi (apeisin) in der letzten Zeile. Dem Schema anderer pylischen Mannschaftslisten zufolge, 301

Zu dieser Tafel siehe Deger-Jalkotzy, E-QE-TA 52.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

wurden solche Männer gewöhnlich von Orten, ethnischen Verbänden oder Berufsgruppen sowie von hochrangigen Einzelpersonen zur Verfügung gestellt. Dementsprechend dürften in dieser Tafel die identifizierbaren Personen, die diese Männer bereitzustellen hatten, ein e-qe-ta, dessen Name nicht erhalten ist, sowie eine militärische Einheit, und zwar eine koro-ku-ra-i-jo Truppe sein. Da der Zweck, zu dem die Männer abgestellt werden sollten, der sehr zerstörten Tafel nicht mehr zu entnehmen ist, kann auch nicht gesagt werden, ob diese ko-ro-ku-ra-i-jo Einheit Männer für militärische Aufgaben oder aber für zivile Arbeitsleistungen bereitstellen mußte. Zusammenfassend läßt sich demnach zur Rolle militärischer Einheiten des Pylischen Reiches außerhalb der o-ka-Tafeln folgendes festhalten: Alle in den o-ka-Tafeln erwähnten Gattungen von Truppen kommen – zumindest einmal – auch in anderen Pylos-Texten vor. ke-ki-de Einheiten werden dreimal genannt, o-ka-ra3 einmal, u-ru-pi-ja-jo dreimal, ko-roku-ra-i-jo fünfmal und i-wa-so zweimal. Insgesamt findet man somit 14 Nennungen von militärischen Einheiten außerhalb der o-ka-Tafeln, wobei allerdings allein fünf davon auf die Tafel Cn 3 entfallen. Von diesen 15 Truppenkörpern sind wiederum sieben mit Sicherheit und weitere zwei mit einiger Wahrscheinlichkeit mit Einheiten zu identifizieren, die in den o-ka-Tafeln aufgeführt sind: ku-pa-ri-si-jo ke-ki-de, a2-ra-tu-a o-ka-ra3, pi-ru-te ku-re-we, e-na-po-ro iwa-si-jo-ta, o-ru-ma-to u-ru-pi-ja-jo, a2-ka-a2-ki-ri-ja-jo u-ru-pi-ja-jo und ka-ra-do-ro koro-ku-ra-i-jo bzw. ku-re-we u-pi-ja-ki-ri-jo (aus me-ta-pa) und u-ru-pi-ji-jo a2-ke-wo-a-kiri-jo. Die sechs verbleibenden Einheiten, die offenbar nicht in den o-ka-Tafeln aufscheinen, belegen nun auf der anderen Seite aber ganz deutlich, daß es außer den in den o-ka-Tafeln genannten noch weitere militärische Einheiten im Reich von Pylos gegeben hat. Dies kann auch nicht allzu sehr verwundern, wenn man bedenkt, daß in den (uns noch erhaltenen) oka-Tafeln die auf einzelne Truppen verteilten militärischen Aufgebote von nur zehn der sechzehn (oder gar siebzehn) Distrikte des pylischen Staates verzeichnet sind, und somit davon auszugehen ist, daß es noch weitere Truppen in den übrigen sechs oder sieben Distrikten des Landes gegeben hat. Weiters ist auffallend, daß alle Nennungen dieser militärischen Einheiten, mit der – möglichen – Ausnahme der ko-ro-ku-ra-i-jo Truppe in An 614, in einem Kontext belegbar sind, der keinesfalls militärisch ist. Die bedeutet, daß man all diese Einheiten mit nichtmilitärischen Tätigkeiten befaßt antrifft: Sie liefern Rinder, besitzen Schafherden, pflanzen Flachs an und liefern Textilien, Rinderfelle, Bienenwachs und andere nicht näher bestimmbare Produkte. Dies bedeutet aber, daß diese militärischen Einheiten sowohl in der Landwirtschaft tätig sind (Rinder- und Schafszucht, Flachsanbau, Bienenzucht) als auch mit der Produktion von Textilien und vielleicht noch anderen handwerklichen Produkten beschäftigt sind. Dies wiederum hat zwingend den Schluß zur Folge, daß ihr Dasein als Soldaten nicht nur nicht die einzige Beschäftigung dieser Einheiten war, sondern wahrscheinlich nicht einmal ihre – vom zeitlichen Aufwand her betrachtet – vornehmliche Tätigkeit, wenn man bedenkt, wieviel Zeit die genannten zivilen Tätigkeiten beansprucht haben müssen. Nun ist dieses skizzierte Erscheinungsbild für ein Milizheer, wie es das in den o-ka organisierte Aufgebot der einzelnen pylischen Distrikte zweifelsohne war,302 keineswegs überraschend, zumal es im Charakter eines Milizaufgebotes liegt, daß seine Mitglieder außerhalb 302

Siehe dazu ausführlich II 1.3.

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

217

des Militärdienstes ›zivilen‹ Berufen nachgehen müssen. Sehr wohl überraschend ist es jedoch, daß diese Leute auch dann, wenn sie nicht als Soldaten handeln bzw. wenn sie nicht ihren Dienst mit der Waffe leisten, offenbar dennoch in Gruppen auftreten, die mit ihren militärischen Einheiten vollkommen identisch sind und dementsprechend auch dieselben Bezeichnungen wie diese tragen. Dies bedeutet, daß beispielsweise eine aus der Stadt ku-pari-so (und ihrem Umkreis) stammende oder – was vielleicht wahrscheinlicher ist – dort stationierte ke-ki-de Truppe ihren Militärdienst in a-ru-wo-te (im Distrikt me-ta-pa) leistete, außerhalb ihrer militärischen Dienstzeit jedoch (auf Anordnung des Palastes) gemeinschaftlich Flachs – wahrscheinlich – in der näheren Umgebung des Ortes ku-pa-ri-so anbaute und eben dort wohl auch noch anderen landwirtschaftlichen und/oder handwerklichen Betätigungen nachging. Offenbar war also die lokale Bevölkerung – oder zumindest ein erheblicher Teil derselben – der einzelnen Distrikte des pylischen Staates in feststehenden und vom Palast auch als solche registrierten Einheiten organisiert, die gemeinschaftlich sowohl Militärdienst zu leisten hatten als auch wirtschaftliche Leistungen in Handwerk und Landwirtschaft zu erbringen hatten. Sie besaßen jeweils einen Treffpunkt, der als geographisches Zentrum der Einheit anzusehen ist, von dem sowohl die zivilen als auch die militärischen Tätigkeiten der Einheit ausgingen und dem sie fix zugeordnet war. Man könnte demnach diese Einheiten in ihrer zivilen Tätigkeit mit einem anachronistischen Begriff auch als ›Arbeitsbrigaden‹ bezeichnen. Diesem Bild einer Militärorganisation, die letztlich nur ein – wenn auch sehr spezieller – Ausfluß der zivilen Organisation war, entspricht schließlich auch die Kommandostruktur der jeweiligen Einheiten. Wie schon bei der Behandlung der o-ka-Tafeln festgestellt, waren ja die Kommandanten und Offiziere der einzelnen o-ka im ›Zivilleben‹ Beamte der lokalen Verwaltung und/oder hochgestellte Persönlichkeiten (Landbesitzer, Schmiede etc.) im Wirtschaftsleben ihrer Distrikte. Der Mann der normalerweise, d.h. z.B. bei der Bestellung der Äcker oder bei der Herstellung von Textilien, seinen Arbeitskräften Direktiven gab, tat dies auch gegenüber denselben Leuten, wenn diese gemeinsam zum Dienst mit der Waffe einberufen wurden. Die lokale militärische Organisation in den einzelnen Distrikten des Reiches von Pylos war also letztlich ein vollkommenes Abbild der Organisation des lokalen Wirtschaftslebens. Beide Bereiche – der wirtschaftliche ebenso wie der militärische – wurden vom Palast entsprechend registriert und durchaus parallel behandelt, sodaß es auf den ersten Blick nicht immer erkennbar ist, welcher der beiden Bereiche in einer Pylos-Tafel gerade angesprochen wird. Als Beispiel hierzu mag die oben vorgestellte (stark fragmentierte) Tafel An 614 dienen. Unter diesem Gesichtspunkt sei noch eine – allerdings nicht beweisbare – Vermutung hinsichtlich des militärischen Aufgebots der einzelnen pylischen Distrikte und seiner Provenienz angestellt. Möglicherweise entsprachen die zivilen Einheiten zwar namentlich und auch qualitativ nicht aber quantitativ ihren gleichnamigen militärischen Pendants. Gemeint ist damit, daß die zivilen Gruppen im Bedarfsfalle zwar auch eine Truppe aus ihren Reihen stellen mußten, daß diese aber nicht alle Mitglieder der Arbeits-Gruppe umfaßte, sondern nur eine – zuvor wohl bereits vom Palast festgesetzte – bestimmte Anzahl von Soldaten; diese stand zwar in einer gewissen Relation zur Größe der zivilen Gruppe, beinhaltete aber eben nur einen Teil derselben.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

Für die Palastverwaltung hatte ein solches System zudem den Vorteil, daß sie im Bedarfsfall immer mit einer bestimmten, genau fixierten Anzahl von Soldaten der jeweiligen Einheit rechnen konnte, ungeachtet etwaiger eintretender Widrigkeiten, wie Krankheitsund Todesfälle, arbeitsbedingte Unabkömmlichkeit etc. Wer von der jeweiligen einberufenen Einheit für den Militärdienst abgestellt wurde, blieb wohl dieser selbst überlassen, solange die vom Palast festgesetzte, geforderte Sollzahl erfüllt wurde, wenngleich gerade dies nicht immer gegeben gewesen sein wird, wie das Parallelbeispiel der oben behandelten Rudererlisten303 lehrt. Auf der anderen Seite hatte dieses System für die Wirtschaft im allgemeinen und die einzelnen Betriebe im speziellen den Vorteil, daß zum einen nicht alle Arbeitskräfte – auch nicht kurzfristig – dem Produktionsprozeß entzogen wurden, zum anderen auf lokaler Ebene entschieden werden konnte, wer am leichtesten von der Arbeit abkömmlich war. Dafür, daß dieses System tatsächlich der Milizorganisation des pylischen Staates zugrunde lag, spricht vielleicht auch der Umstand, daß alle in den o-ka-Tafeln aufgelisteten Truppen über eine Mannschaftsstärke verfügten, die ein Vielfaches von zehn betrug. 2.8 Bronze für das pylische Militär Im folgenden soll hier zunächst noch eine Pylos-Tafel betrachtet werden, die in der Lage ist, einen gänzlich anderen Aspekt der militärischen Organisation im Reich von Pylos zu beleuchten: Jn 829 .1 jo-do-so-si, ko-re-te-re, du-ma-te-qe, .2a -e-we-qe .2 po-ro-ko-re-te-re-qe, ka-ra-wi-po-po-ro-qe, o-pi-su-ko-qe, o-pi-ka-pe.3 ka-ko, na-wi-jo, pa-ta-jo-i-qe, e-ke-si-qe, a3-ka-sa-ma .4 pi-*82, ko-re-te, AES M 2 po-ro-ko-re-teAES N 3 .5 me-ta-pa, ko-re-te AES M 2 po-ro-ko-re-teAES N 3 .6 pe-to-no, ko-re-te AES M 2 po-ro-ko-re-teAES N 3 .7 pa-ki-ja-pi, ko-re-te AES M 2 po-ro-ko-re-teAES N 3 AES M 2 po-ro-ko-re-teAES N 3 .8 a-pu2-we, ko-re-te .9 a-ke-re-wa, ko-re-te AES M 2 po-ro-ko-re-teAES N 3 .10 ro-u-so, ko-re-te AES M 2 po-ro-ko-re-teAES N 3 .11 ka-ra-do-ro, ko-re-te AES M 2 po-ro-ko-re-teAES N 3 .12 ri-]jo, ko-re-te AES M 2 po-ro-ko-re-teAES N 3 .13 ti-mi-to-a-ke-e, ko-re-te AES M 2 po-ro-ko-re-teAES N 3 AES M 2 N 3 po-ro-ko-re-teAES N 3 .14 ra-]wa-ra-ta2, ko-re-te .15 sa-]ma-ra, ko-re-te AES M 3 N 3 po-ro-ko-re-teAES N 3 .16 a-si-ja-ti-ja, ko-re-te AES M 2 po-ro-ko-re-teAES N 3 .17 e-ra-te-re-wa-pi, ko-re-te AES M 2 po-ro-ko-re-teAES N 3 .18 za-ma-e-wi-ja, ko-re-te AES M 3 N 3 po-ro-ko-re-teAES N 3 .19 e-re-i, ko-re-te AES M 3 N 3 po-ro-ko-re-teAES N 3 .20–23 vacant 303

Vor allem An 724.

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

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Diese Tafel verzeichnet die Lieferungen von Bronze der 16 pylischen Distrikte. Verantwortlich für die Auslieferung war jeweils der höchste Verwaltungsbeamte (ko-re-te) des Distrikts und sein Stellvertreter (po-ro-ko-re-te), wobei allerdings weitere Amtsträger wie die du-ma-te (hohe Kontrollbeamte),304 ka-ra-wi-po-ro (klaϝiphoros; Beamte, die mit wirtschaftlichen Agenden des Kultbetriebs befaßt waren),305 o-pi-su-ko (epi und sykon; wohl die Verwalter bzw. die Kontrolleure der Feigenpflanzungen)306 und o-pi-ka-pe-e-we (epikarpeis; Aufseher der Obstpflanzungen)307 Aufsichtsfunktionen wahrnahmen. Auf jeden Fall handelt es sich bei diesen Personen um hohe und höchste Beamte der lokalen Distriktsverwaltung bzw. um Aufsichtsorgane lokaler Wirtschaftsbetriebe.308 Die Aufgabe dieser Beamten war es nun, ka-ko na-wi-jo zu requirieren und abzuliefern. Dieser Begriff läßt nun zwei unterschiedliche Interpretationen zu.309 Während ka-ko sicherlich ›Bronze‹ bedeutet, könnte na-wi-jo das Adjektiv entweder zu naos (Tempel) oder aber zu naus (Schiff) sein, also entweder ›Tempelbronze‹ oder ›Schiffsbronze‹. Angesichts der Tatsache, daß unter anderem höchstrangige Kultbeamte, die ka-ra-wi-po-ro, mit der Beschaffung der Bronze befaßt waren, ist wohl der Deutung ›Tempelbronze‹ der Vorzug zu geben. Der militärische Kontext dieses Textes wird im letzten Teil des Einleitungssatzes deutlich, in dem der Zweck dieser Bronzelieferungen angegeben wird: Sie soll zur Verarbeitung als Spitzen (a3-ka-sa-ma: aixmas) für Pfeile oder Wurfspieße (pa-ta-jo-i: paltaiois) und Speere (e-ke-si: enchesi) dienen. Zwei Details dieser ›militärischen‹ Verwendung der Bronze sind hierbei von weiterreichender Relevanz: 1. Der genaue Verwendungszweck der Bronze, d.h. zur Herstellung welcher Waffen das Metall gebraucht wurde und 2. das Gesamtgewicht der abgelieferten Bronze. Ad 1: Es ist nicht mit Sicherheit zu sagen, welche Waffe der Begriff pa-ta-jo in mykenischer Zeit tatsächlich beschreibt.310 Einerseits bedeutet das Wort paltaion im Griechischen nicht ›Pfeil‹, sondern ›Wurfspieß‹ und das Wort ›aichme‹ wird im späteren Griechisch nur für die Spitzen von Speeren gebraucht nicht aber für Pfeilspitzen, wofür gewöhnlich das Wort ›akis‹ verwendet wird. Auf der anderen Seite findet sich das Wort pa-ta-jo auf Siegeln in Knossos,311 die im Zusammenhang mit Behältern gefunden wurden, die Schäfte und Spitzen von Pfeilen enthielten.312 Es kann demnach nicht entschieden werden, ob es sich in mykenischer Zeit bei den pa-ta-ja um sehr leichte Wurfspeere oder aber – was vielleicht wahrscheinlicher ist – um Pfeile gehandelt hat; auf jeden Fall aber ist hier ein Geschoß gemeint, das zur Ausrüstung sehr leicht bewaffneter Truppen gehörte. 304 305 306 307

308 309 310 311 312

Siehe Lindgren, People of Pylos 40f. Lindgren, People of Pylos 72f. Lindgren, People of Pylos 105f. Für diese Bezeichnung existieren mehrere Interpretationen, von denen aufgrund der inhaltlichen Nähe zu den o-pi-su-ko der als Aufseher über Obstplantagen der Vorzug gegeben wird. Siehe dazu Lindgren, People of Pylos 104f. Vgl. Palaima, Security 354. Siehe Chadwick, Documents 356–358 und Lindgren, People of Pylos 104f. Siehe dazu genauer I 3.1.2. Siehe KN Ws 1702, 1704 und 1705. Hierzu Chadwick, Documents 513f.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

Das gleiche gilt im übrigen auch für den zweiten in diesem Text erwähnten Waffentyp, den Speer (enchos), über dessen Wortbedeutung nun keinerlei Zweifel besteht. Auch er gehört primär zur Ausrüstung eines leichtbewaffneten Soldaten der spätmykenischen Zeit. Aufschlußreicher als die Aufstellung der Waffen, für deren Herstellung die Bronze gesammelt wird, ist die Absenz anderer Bronzewaffen in der Tafel Jn 829. Die gesammelte Bronze wird weder zur Produktion von Schwertern oder Dolchen (qi-si-pe-e bzw. pa-kana) noch für Rüstungen (to-ra-ke bzw. qe-ro2) oder für Helme (ko-ru) verwendet bzw. deren plattenartige Bronzebeschläge (o-pa-wo-ta); dies gilt auch für die Herstellung von Schilden (Buckel und Ränder). Schließlich wurde diese Bronze offenkundig auch nicht für die bronzenen Beschläge der Streitwagen und ihrer Räder gebraucht. Gemeinsam ist all diesen – nicht erwähnten – Gerätschaften und Waffen die Tatsache, daß sie zur Ausrüstung der schwerbewaffneten mykenischen Fußsoldaten sowie der Streitwagenkämpfer gehörten. Offenbar wurde das gesammelte Metall also ausschließlich zur Herstellung von Waffen verwendet, die von leichtbewaffneten Soldaten getragen wurden, nicht aber zur Supplementierung der Ausrüstung schwerbewaffneter Einheiten des Pylischen Reiches. Diese schwerbewaffneten Krieger jedoch – Fußsoldaten wie Streitwagenkämpfer – waren, wie schon oben ausgeführt, wohl hauptsächlich im Palast von Pylos selbst stationiert, wie die Linear B-Evidenz über die Waffenarsenale des Palastes nahelegt. Die leichtbewaffneten Soldaten hingegen bildeten, wie ebenfalls schon dargelegt, die Milizaufgebote der einzelnen pylischen Distrikte, gegliedert in die Einheiten der o-ka-ra3, ke-ki-de, ku-re-we, u-ru-pi-ja-jo, ko-ro-ku-ra-i-jo und i-wa-so. Die Bronze aus den Heiligtümern wurde demnach eingezogen, um Waffen für die lokalen Aufgebote der Distrikte des Reiches von Pylos zu produzieren. Dementsprechend lag auch die Durchführung dieser Maßnahme in den Händen verschiedener lokaler Funktionsträger, von denen wiederum die höchsten Beamten der jeweiligen Distrikte, die ko-re-te und po-ro-ko-re-te für den korrekten Ablauf der Prozedur verantwortlich zeichneten. Das ganze Verfahren trägt somit ein ausgesprochen lokales lediglich die einzelnen Distrikte betreffendes Gepräge, das allerdings im Palast evident gehalten wurde: Bronze aus den Heiligtümern der einzelnen pylischen Distrikte wurde von den Beamten der jeweiligen Distrikte für die Truppenaufgebote der Distrikte eingezogen. Ad 2: Nun zum Gewicht der abgelieferten Bronze. Mit umgerechnet etwa 51kg313 (2,75 bis 4,5kg pro Distrikt) ist die Gesamtmenge im Hinblick auf die Waffenproduktion relativ gering. Sie würde zur Herstellung von etwa 110 Speerspitzen ausreichen, was wiederum bedeutet, daß lediglich ungefähr 60 bis 110 Soldaten damit ausgerüstet werden könnten, abhängig davon, ob der Soldat einen oder zwei Speere trägt; hierbei ist noch nicht berücksichtigt, daß ein Teil der Bronze zur Herstellung von Pfeilspitzen gebraucht wurde, von denen natürlich wesentlich mehr mit dieser Menge an Bronze314 produziert werden konnten. Man kann also davon ausgehen, daß mit der in der Tafel Jn 829 registrierten Bronze die Waffen (der genannten Art) für maximal 100 bis 150 Mann hergestellt werden konnten. Gemessen an der Gesamtzahl der in den Distriktsaufgeboten, einschließlich der Besatzung der Schiffe, welche ebenfalls aus den Distrikten (vor allem wohl aus den Hafenstädten) rekrutiert wur313 314

Hierzu Chadwick, Documents 357f. Deger-Jalkotzy, Women 137f.

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

221

den, versammelten Soldaten, die – wie oben schon festgestellt wurde – etwa 2200 Mann betrug, ist dies ein nur äußerst geringer Prozentsatz (4,5 bis 7%). Man wird demnach davon ausgehen dürfen, daß diese getroffenen und in Jn 829 festgehaltenen umfangreichen Aquirierungsmaßnahmen seitens der Palastverwaltung bestenfalls komplementär zu anderen, wohl weniger spektakulären Beschaffungs- und Verteilungsmechanismen der für die Waffenproduktion benötigten Bronze anzusehen sind.315 Die – wie man aufgrund der ›Überschrift‹ wohl annehmen darf – vollständige Menge an Bronze, die zu Waffen verarbeitet wurde, findet sich schließlich in der Tafel Ja 749 registriert, die allerdings nur soviel an Auskunft gibt, als sie besagt: »insgesamt (to-so-pa) 1.046kg Bronze«. Genaueres ist zu erfahren, wenn man die gesamte Jn-Serie der Pylostafeln betrachtet.316 Mit Ausnahme zweier Tafeln stammt die gesamte Serie aus der Hand eines Schreibers und wurde auch gesammelt im Archiv des Palastes von Pylos aufbewahrt. Die Jn-Serie verzeichnet auf insgesamt 17 Tafeln eine Reihe von Orten des pylischen Staates, wobei jedoch Pylos selbst sowie der Distrikt, in dem der Palast lag, pa-ki-ja-ne, in der Auflistung fehlen; es sind allerdings auch Bruchstücke anderer Tafeln vorhanden, die so sehr beschädigt sind, daß hier kein Ortsname mehr zu eruieren ist; pa-ki-ja-ne könnte also hier erwähnt gewesen sein. In diesen Orten nun waren offensichtlich Schmiede, d.h. Schmiedebetriebe, ansässig, denen unterschiedlich große Mengen an Bronze zur Verarbeitung zugeteilt wurden. Daneben sind jeweils auch diejenigen Schmiede in den einzelnen Orten registriert, denen keine Bronze übergeben worden war. Die Gesamtmenge der an die verschiedenen Schmiedewerkstätten in den einzelnen Distrikten ausgegebenen Bronze beträgt 801kg, wobei allerdings aus den Tafelfragmenten – aufgrund des Erhaltungszustandes – keine Bronzemengen mehr zu erkennen sind. Rechnet man jedoch aus den vorhandenen Bronzemengen (801kg in 17 Tafeln) auf die zerstörten Tafeln hoch, so kommt man schätzungsweise auf eine ursprünglich verzeichnete Gesamtmange von etwas über 1.000kg, was wiederum zur Tafel Ja 749, die ja eine Bronzegesamtmenge von 1.046kg verzeichnet, vorzüglich paßt;317 mit dieser Menge an Bronze konnten etwa 3.000 Speerspitzen hergestellt werden.318 Geht man nun von der Annahme aus, daß die Tafel Jn 829 eine Art Ergänzung zu den Bronzebeständen im Reich von Pylos war, welche wiederum an die verschiedenen, in den einzelnen pylischen Distrikten ansässigen Schmiedebetriebe verteilt und in der Jn-Serie registriert wurde, so darf man es wohl als gegeben ansehen, daß die Einleitungszeile von Jn 829, die den Zweck der Bronzeaquirierung angibt, nicht nur für diese Tafel selbst, sondern für die gesamte Jn-Serie Gültigkeit hat. Dies bedeutet aber, daß die gesamte Bronzemenge von über 1.000kg zur Herstellung von Speer- und Pfeilspitzen verwendet wurde, was wiederum – wie oben dargelegt wurde – zur Konsequenz hat, daß die gesamte Maßnahme der Bewaffnung der lokalen Aufgebote der einzelnen Distrikte (einschließlich der Schiffsbesatzungen) dienen sollte. 315 316 317 318

Daß diese Maßnahmen nicht unbedingt als Beweis für den letzten Kampf des Pylischen Reiches zu sehen sind, zeigt Palaima, Security 355 und Palaima, Last Days 625. Vgl. Stavrianopoulos, Struktur 95–110 und Lang, Jn Formulas 397–412. Siehe zur Jn-Serie Chadwick, Documents 352–359 und Höckmann, Lanze und Speer 293f. Die von Chadwick, Documents 356 angegebene Zahl von 2.300 Speerspitzen bezieht sich auf die Menge von Bronze, die in den erhaltenen Jn-Tafeln insgesamt verzeichnet ist, nicht auf die in Ja 749 verzeichnete Gesamtmenge von 1.046kg.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

Es sei daher im folgenden ein kurzer Blick darauf geworfen, inwieweit die verarbeitete Bronzemenge in einer plausiblen Relation zu den lokalen Aufgeboten der pylischen Distrikte an o-ka-Truppen und Schiffsmannschaften und deren Bewaffnung sowie der hierfür benötigten Metallmenge steht. Wie im Abschnitt über die o-ka-Tafeln ausführlich dargelegt, bestand das lokale Aufgebot aller pylischen Distrikte aus ungefähr 1.500 Mann, die in 16 o-ka organisiert waren. Zu diesen kommen noch etwa 700 Mann, die ihren Milizdienst in der Flotte versahen, sodaß man von einer Gesamtstärke des Milizaufgebotes von ca. 2.200 Mann wird ausgehen dürfen. In den o-ka-Einheiten waren – so darf wohl vermutet werden – vier sich in ihrer Bewaffnung unterscheidende Truppengattungen vorhanden: Schleuderer, Bogenschützen, Speerkämpfer mit und ohne Schild, die jeweils ungefähr ein Viertel des Gesamtaufgebotes der o-ka-Truppen ausgemacht haben dürften. Hinsichtlich der Waffenproduktion bedeutet dies, daß etwa ¾ dieser Soldaten mit Produkten der lokalen Schmiedebetriebe versorgt werden mußten, also mit Pfeil- bzw. Speerspitzen. In Zahlen heißt das, daß für ca. 800 Mann Speerspitzen und für ca. 400 Mann Pfeilspitzen benötigt wurden. Hinzu kommt auch noch die Ausrüstung für weitere 700 Mann der Schiffsbesatzungen, die wohl hauptsächlich mit Speeren bewaffnet waren.319 Insgesamt bedeutet dies somit, daß Speerspitzen für 1.500 Mann und Pfeilspitzen für etwa 400 Mann benötigt wurden, wollte man das gesamte Aufgebot an lokalen Milizen mit Waffen versorgen. Welche Mengen an Bronze hierzu vonnöten waren, hängt nun vor allem von der Frage ab, ob die Speerkämpfer mit einem oder aber mit zwei Speeren ausgestattet waren. Beide Formen sind in Bildwerken der spätmykenischen Kunst belegbar; während etwa die Speerkämpfer in einem pylischen Fresko, das den Kampf mykenischer Soldaten mit Barbaren zeigt, mit nur einem Speer bewaffnet sind, tragen Soldaten auf einem etwa gleichzeitigen Fresko aus Tiryns jeweils zwei Speere.320 Würde man voraussetzen, daß alle 1.500 pylischen Speerkämpfer jeweils zwei Speere trugen, so hätte dies zur Konsequenz, daß die gesamte in der Jn-Serie aufgeführte Bronze zur Produktion der 3.000 benötigten Speerspitzen herangezogen wurde; für die Herstellung von Pfeilspitzen bliebe in diesem Fall nichts mehr übrig. Möglicherweise – doch ist dies nur eine unbeweisbare Annahme – hängt diese Frage auch mit dem oben (im Abschnitt über die o-ka-Tafeln) festgestellten Unterschied zwischen Speerkämpfern mit und ohne Schild zusammen. Man darf vielleicht annehmen, daß die Kämpfer, die auch einen Schild trugen, mit einem Speer bewaffnet waren, während diejenigen ohne Schild zwei Speere führten. Führt man diese Annahme nun weiter, hat dies zur Konsequenz, daß in den o-ka-Kontingenten etwa doppelt so viele Soldaten ohne Schild (=ke-ki-de Truppen) als solche mit Schild (=u-ru-pi-ja-jo Einheiten) verzeichnet sind, daß von den erschlossenen insgesamt 1.500 Speerkämpfern etwa ⅔ mit jeweils zwei Speeren und der Rest mit einem Speer (und einem Schild) ausgerüstet waren. Demnach würden 2.500 Speerspitzen gebraucht, wofür wiederum etwa 850kg Bronze benötigt würden. Für die Herstellung von Pfeilspitzen stünden dann noch ca. 160kg Bronze zur Verfügung, was wiederum zur Produktion von rund 40.000 Pfeilspitzen ausreichen würde. Berücksichtigt man, daß etwa ¼ der o-ka-Truppen (knapp 400 Mann) aus Bogenschützen bestand, so 319 320

Siehe Höckmann, Lanze und Speer 293. Siehe zu dieser Frage Höckmann, Lanze und Speer 287 und 290 sowie die Abb. 67 und 74.

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

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konnte aus der verbleibenden Bronzemenge jeder Bogenschütze mit ungefähr hundert Pfeilspitzen versorgt werden. Tatsächlich also reichte die in der Jn-Serie verzeichnete Menge von etwas mehr als 1.000kg Bronze, die an lokale Schmiedebetriebe zur Herstellung von Pfeil- und Speerspitzen ausgegeben wurde, gerade aus, um 1.500 Speerkämpfer (einschließlich derer, die auf Schiffen eingesetzt wurden) und 400 Bogenschützen mit Waffen auszurüsten, was wiederum die Annahme bestärkt, daß diese lokale Waffenproduktion genau zu diesem Zweck, nämlich zur Versorgung der lokalen Streitkräfte eingesetzt wurde. An dieser Stelle muß jedoch noch eine Tatsache Erwähnung finden, die das Gesamtgewicht der für Pfeile und Speerspitzen zur Verfügung stehenden Bronze einschränken könnte. In zwei Tafeln der Jn-Serie (Jn 750 und 832) sind abgesehen von den als ka-ke-we aufgelisteten Schmieden als Empfänger der Bronze auch Personen genannt, die als pa-ra-ke-te-ewe (Pl.) (bzw. im Sg. als pa-ra-ke-te-e-u)321 bezeichnet werden. Die wahrscheinlichste Deutung dieser Bezeichnung bringt sie mit den griechischen Worten für ›Helm‹ (pelex/palax) und ›Rüstung‹ (entea) in Zusammenhang322 und sieht im pa-ra-ke-te-e-u demnach einen ›Waffenschmied‹. Wie die Jn-Serie jedoch deutlich zeigt, waren auch die als ka-ke-we bezeichneten Personen mit der Herstellung von Waffen beschäftigt, sodaß eine Spezifizierung einiger Schmiede als ›Waffenschmiede‹ nicht sinnvoll erscheint. Sehr wohl Sinn macht diese Unterteilung in ka-ke-we und pa-ra-ke-te-e-we allerdings, wenn man die pa-ra-ke-te-ewe als besondere Waffenschmiede interpretiert. Ausgehend von der wahrscheinlichen Wortbedeutung, die eine Verbindung mit den Worten für ›Helm‹ und ›Rüstung‹ nahelegt, könnte es sich bei den pa-ra-ke-te-e-we um Schmiede handeln, die, anders als die ›normalen‹ ka-ke-we, nicht mit der – vergleichsweise einfachen – Produktion von Speer- und Pfeilspitzen beschäftigt waren, sondern mit der aufwendigen Herstellung von Helmen und Rüstungen. Wie auch die seltene Erwähnung der pa-ra-ke-te-e-we in der Jn-Serie zeigt, dürfte das Gesamtgewicht der an diese Leute ausgegebenen Bronze nicht allzu hoch gewesen sein und somit die Anzahl der herzustellenden Speer- und Pfeilspitzen nicht einschneidend geschmälert haben. Dies bedeutet aber, daß die in der Jn-Serie323 genannten pa-ra-ke-te-e-we Waffenstücke für nur sehr wenige Personen der o-ka-Aufgebote produziert haben, wobei natürlich in erster Linie an die (deutlich hervorgehobenen) Anführer der einzelnen o-ka zu denken ist. Schließlich sei noch ein Blick auf die Orte geworfen, in denen die Schmiedebetriebe ansässig waren, denen die Bronze zugeteilt wurde. Von den 15 lesbaren Ortsnamen sind sechs ansonsten in den Pylos-Texten nicht belegbar und somit geographisch nicht zuordenbar. Unter den verbleibenden neun finden sich die Distriktshauptstädte a-ke-re-wa, a-pu2, ro-uso und a-si-ja-ti-ja. Von den übrigen fünf Orten liegen über drei aus anderen Pylos-Tafeln so viele Informationen vor, daß sie zumindest ungefähr zu lokalisieren sind. Der Ort na-ise-wi-jo erscheint in Mn 1408 zusammen mit den Städten ro-o-wa, po-ra(-pi) und e-napo-ro324 und ist somit dem Bereich der messenischen Halbinsel zuzuordnen. Dasselbe gilt für den Ort a-pi-no-e-wi-jo, der in An 37 neben e-na-po-ro Männer zu stellen hat und in 321 322 323 324

In Jn 832 erscheint allerdings nur eine Person mit der Bezeichnung pa-ra-ke-te-e-u. So Bartonek, Handbuch 368. Zu den in der Jn-Serie genannten Schmieden siehe Nakassis, Individuals and Society 74–80. Zur Lokalisierung dieser Orte siehe weiter oben.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

der Tafel Vn 130 zwischen me-ta-pa und (wiederum) e-na-po-ro aufgelistet ist. Die Zugehörigkeit von a-pi-no-e-wi-jo zur messenischen Halbinsel wird schließlich durch die Liste Nn 228 bestätigt, in der dieser Ort zusammen mit ro-o-wa, po-ra(-pi) und e-na-po-ro als zur Lieferung von Leinen verpflichtet aufscheint. Als dritter ist noch der Ort wi-ja-we-ra2 ungefähr zuordenbar, da diese Siedlung in den Tafeln Cn 643 und 719 jeweils als Standort großer Schafherden genannt wird, und zwar zusammen mit den Orten pi-*82 und ma-ro. Diese beiden Orte lagen nun mit Sicherheit im äußersten Norden des Pylischen Reiches, wobei allerdings pi-*82 in der Diesseitigen, maro325 jedoch in der Jenseitigen Provinz gelegen war. Jedenfalls sind die in der Jn-Serie mit Bronze belieferten, lokalisierbaren Schmiedebetriebe über das gesamte Gebiet des Reiches von Pylos verstreut, sodaß mit einer annähernd gleichmäßigen geographischen Verteilung der zu verarbeitenden Bronze gerechnet werden darf. Ein Ort, der jedoch nicht lokalisierbar ist, soll hier noch kurz Erwähnung finden. In e-nipa-te(-we) ist nicht nur die größte Anzahl an Schmieden (43 von insgesamt 193) beheimatet, sondern diesen Schmiedebetrieben wird auch die bei weitem größte Menge an Bronze (152 kg) zugeteilt. Angesichts der beträchtlichen Differenz zum Ort mit der zweithöchsten Anzahl von Schmieden (17) bzw. der zweitgrößten Bronzemenge (56 kg) scheint es sich bei e-ni-pa-te(-we) um eine Art von ›Schmiedezentrum‹ des Pylischen Reiches gehandelt zu haben. Die Tatsache, daß der Ort in anderen Pylos-Texten nicht aufscheint, könnte dafür sprechen, daß es sich bei e-ni-pa-te(-we) weder um eine Hafenstadt noch um ein anderes bedeutenderes Zentrum der Wirtschaft im pylischen Staat gehandelt hat. Möglicherweise waren dort wirklich nur Schmiedebetriebe konzentriert, was mit Gründen der leichten Versorgung mit großen Mengen an (Brenn-)Holz in Zusammenhang stehen könnte, oder aber mit einer verkehrstechnisch leichten Erreichbarkeit, d.h. mit einer geographischen Nähe zum Palast von Pylos.326 Trifft letzteres zu, so wäre e-ni-pa-te(-we) im Distrikt pa-ki-ja-ne zu suchen. Die vorgeschlagenen Lokalisierungen für e-ni-pa-te(-we) sollen jedoch noch etwas genauer ausgeführt werden. So wäre für ein Schmiedezentrum etwa ein Ort bestens geeignet, der in der Nähe eines der großen Häfen des Reiches wie ro-o-wa oder a-ke-re-wa gelegen war, was den Transport von großen Bronzemengen, der ja üblicherweise auf dem Seeweg erfolgte, erleichtert hätte. Es stellt sich dabei jedoch die Frage warum dieses Schmiedezentrum nicht direkt in diesen Hafenstädten angesiedelt war. Man sollte daher eine Region suchen, in der keine größere Siedlung zur Aufnahme der Schmiedebetriebe vorhanden war. Eine solche Region findet sich an den Abhängen des Aigaleongebirges, welche den Vorteil sehr großen Holzreichtums bieten konnte. Dieser war für Betriebe dieser Art nämlich unbedingt Voraussetzung, da er das zur Herstellung der für die Bronzeverarbeitung nötigen Holzkohle erforderliche Rohmaterial bereitstellen konnte. Letztlich muß die Frage nach der Lage von e-ni-pa-te(-we) jedoch offen bleiben. Zu dieser ungefähren Lokalisierung paßt auch die Tatsache, daß der den Westabhang berührende Distrikt a-pu2-we eine Sonderstellung (Abgabenfreiheit in Ma 124) bezüglich Schmiede einnimmt. e-ni-pa-te(-we) könnte demnach im Distrikt a-pu2-we gelegen haben.327 325 326 327

Zur Lokalisierung von ma-ro siehe Deger-Jalkotzy, E-QE-TA 72. Selbstverständlich ist auch eine Kombination der beiden angeführten Gründe in Erwägung zu ziehen. Vgl. Hope Simpson, Messenia 57.

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

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Unter Einbeziehung der Angaben der Jn-Serie kann also die oben getroffene Aussage über die Organisation der Bronzeverwertung im militärischen Bereich dahingehend ausgeweitet werden, daß Bronze aus (zum Teil wenigstens) lokaler Provenienz von lokalen Beamten der einzelnen Distrikte requiriert wurde, um dann an lokale über die einzelnen Distrikte verteilte Schmiedebetriebe ausgegeben zu werden;328 diese erzeugten daraus Speerund Pfeilspitzen, mit denen die lokalen Aufgebote der Distrikte (o-ka-Truppen ebenso wie Schiffsbesatzungen) ausgerüstet wurden. In engstem inhaltlichem Zusammenhang mit Jn 829 steht übrigens auch die weiter oben bereits besprochene Tafel Jn 881, in der ebenfalls Bronzelieferungen seitens pylischer Funktionsträger an den Palast verzeichnet sind. Möglicherweise ist noch eine weitere Serie von Pylostafeln in Verbindung329 mit der Tafel Jn 829 zu sehen. Es ist hierbei die Ac-Serie genauer zu betrachten. Die insgesamt neun Tafeln dieser Serie sind (wenngleich in einigen Fällen defektiv) alle nach demselben Schema aufgebaut, sodaß es genügt, eine der Tafeln zu zitieren: Ac 1280 me-ta-pa VIR 22 o-pe-ro VIR 7 Offenbar werden auf diesen Tafeln Orte des Reiches von Pylos erwähnt (im Fall von Ac 1280 me-ta-pa), die eine bestimmte Anzahl von Männern gestellt haben oder zu stellen hatten. Der letzte Eintrag der Tafel – mit o-pe-ro (ophelon) eingeleitet – gibt an, wie viele Männer noch fehlen. Die erwähnten Ortsnamen stellen nun auch die Verbindung zur Tafel Jn 829 dar: ka-ra-do-ro, pe-ti-ni-jo, pi-*82, a-ke-re-wa, te-mi-ti-jo und me-ta-pa; die drei Tafeln, in denen der Ortsname nicht erhalten ist, dürften die fehlenden drei Distrikte der Diesseitigen Provinz enthalten haben. Sollten die Tafeln der Ac-Serie also in engerer Verbindung zu Jn 829 zu sehen sein, so ergibt sich daraus, zumal – wie gezeigt – Jn 829 ja Bronzebeschaffung für die Waffenproduktion in den einzelnen Distrikten verzeichnet, daß auch die Ac-Serie in dieser Hinsicht zu interpretieren sein könnte. Bei den in den Tafeln der Serie aufgeführten Männern könnte es sich entweder, wenn man den Zusammenhang sehr eng sieht, um Arbeitskräfte im Dienste der Waffenproduktion handeln, oder aber – in einem weiteren Zusammenhang – um Männer, die in den einzelnen Distrikten zum Militärdienst eingezogen werden sollten, wobei es sehr charakteristisch wäre, daß – ähnlich wie bei den Rudererlisten330 – die Männer nicht namentlich aufgeführt werden, sondern nur die vom jeweiligen Distrikt zu stellende Anzahl verzeichnet ist. 2.9 Besondere Waffenschmiede? Oben wurden die als pa-ra-ke-te-e-we bezeichneten Personen als besondere Gruppe innerhalb der Schmiede beschrieben, zumal sie für die Herstellung von aufwendigerer Bewaffnung, nämlich von Rüstungen und Helmen zuständig waren. Ihre relativ zu anderen mit der Waffenproduktion beschäftigten Schmieden geringe Zahl könnte sich dadurch erklä328 329 330

Hierzu siehe Killen, Subjects of the Wanax 96–98. Siehe Bennett, Olivier, Pylos tablets 42. Siehe II 2.1.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

ren, daß auch die pa-ra-ke-te-e-we – ebenso wie die übrigen Schmiede – für die Bewaffnung der o-ka-Kontingente verantwortlich waren, und bei diesen in den einzelnen Distrikten bzw. an den Grenzen stationierten Truppen die Ausstattung mit aufwendigen Schutzwaffen (Helm, Panzer) eine sehr untergeordnete Rolle spielte. Für solch einen speziellen Waffenschmied existiert allerdings noch ein Begriff, der in den Pylos-Tafeln insgesamt vier Mal auftaucht. Er lautet e-te-do-mo und bezeichnet somit den Hersteller (domos) von Rüstungen (entea).331 Auffällig sind hierbei zwei Umstände: Zum einen findet sich der Begriff niemals in den sich auf Schmiede beziehenden Serien (etwa Jn), und zum anderen beziehen sich drei der vier Erwähnungen auf ein und denselben Mann, sodaß aus den Aufzeichnungen des Palastes von Pylos insgesamt nur zwei e-te-domo bekannt sind. Sehen wir uns diese beiden Personen also etwas genauer an. Der in drei Tafeln (En 609, Eo 211 und Ep 301) als e-te-do-mo aufgeführte a-tu-ko erscheint hier als Besitzer von Grundstücken (ko-to-no-o-ko/ktoinouchos) und ist hierbei (unter anderen) mit einem Mann namens wa-na-ta-jo, einem Großpächter (te-re-ta/telestas), vergesellschaftet. In einem Fall (Ep 301) hat er wie dieser ein o-na-to (Pachtland; vgl. oninemi), in den beiden anderen (En 609, Eo 211) hat er ein o-na-to eben von diesem telestas wa-na-ta-jo. Auffällig ist hierbei, daß beide, a-tu-ko und wa-na-ta-jo auch in den oben genannten Schmiedelisten aufscheinen: wa-na-ta-jo in Jn 832 und a-tu-ko in Jn 658, 725 und 927, wenngleich hier a-tu-ko nicht als e-te-do-mo bezeichnet wird. Diese Auflistung des a-tu-ko in den Schmiedelisten deutet – abgesehen von der sprachwissenschaftlichen Erklärung des Begriffs e-te-do-mo – darauf hin, daß es sich bei den e-te-do-mo tatsächlich um in irgendeiner Weise besondere Schmiede handelte.332 Auf eine weitere Besonderheit muß hier noch hingewiesen werden: In der Tafel En 609 wird a-tu-ko als e-te-do-mo wana-ka-te-ro, also als ›Waffenschmied des wanax‹ bezeichnet, ein Umstand, auf den später noch näher einzugehen sein wird. Der andere e-te-do-mo ist ka-ra-pi und findet sich auf der Tafel Ea 808. Er ist ebenfalls Inhaber von Pachtland und zwar solchem des damos. Näheres kann über diesen Mann nicht ausgesagt werden, außer, daß in der Serie Ea, der diese Tafel angehört, in mehreren Tafeln der lawagetas (in adjektivischer Form: ra-wa-ke-si-jo) genannt ist, sodaß die Spekulation erlaubt ist, daß es sich bei ka-ra-pi um den ›Waffenschmied des lawagetas‹ gehandelt haben könnte, ebenso wie a-tu-ko der des wanax war.333 Somit stünden die beiden einzigen bekannten e-te-do-mo des Reiches von Pylos in direktem Verhältnis zu den beiden höchstrangigen Personen des Reiches. Doch zurück zu a-tu-ko. Dieser Mann war also ein Schmied (ka-ke-u) wohl im Dienst der ›gewöhnlichen‹ Waffenproduktion, wofür ihm, wie vielen anderen Schmieden auch, bestimmte Mengen an Bronze vom Palast zugeteilt wurden. Er war aber auch der Hersteller besonderer Waffen (e-te-do-mo), nämlich von Rüstungen, wofür er offenbar Pachtland erhielt. In dieser seiner zweiten Funktion stand er in enger Beziehung zum wanax, für den er 331 332 333

Palaima, Potter and Fuller 407 sieht diese Deutung von e-te-do-mo als wahrscheinlich an, während Lindgren, People of Pylos I 34f. und II, 52 die Frage offen läßt. Nakassis, Individuals and Society 62f., 100f. So Nakassis, Individuals and Society 276 und Palmer, Interpretation 220.

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

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diese Rüstungen verfertigte. Als e-te-do-mo des wanax muß a-tu-ko wohl im Palast oder in dessen Nähe tätig gewesen sein, wofür auch spricht, daß sein Pachtland im Distrikt pa-kija-ne gelegen haben dürfte, dem Distrikt in dem oder in dessen Nähe der Palast von Pylos stand.334 In En 609 ist dies direkt bezeugt, für die Nennung in Ep 301 liegt dies nahe, da in dieser Serie neben zahlreichen, in dieser Häufigkeit wohl nur in pa-ki-ja-ne anzutreffenden, Leuten im Dienst von Heiligtümern auch Personen wie a-pi-me-de, ein e-qe-ta aus pa-kija-ne335 und ka-pa-ti-ja,336 eine ka-ra-wi-po-ro (Schlüsselträgerin)337 aus demselben Distrikt, genannt sind. Wie aber verträgt sich diese räumliche Bindung des a-tu-ko an den Palast von Pylos mit seiner anderen Tätigkeit als Waffenschmied für die in den Distrikten stationierten Truppen? Wie bei der Behandlung der geographischen Verteilung der in die Waffenproduktion involvierten Schmiedebetriebe festgestellt wurde, befand sich eine Art Zentrum der Waffenherstellung im Ort e-ni-pa-te(-we), der vermutungsweise im Distrikt pa-ki-ja-ne, auf jeden Fall aber in der Nähe des Palastes von Pylos lokalisiert wurde. Zu den Schmieden aus eni-pa-te(-we) gehört aber auch a-tu-ko. Damit stehen aber keinerlei geographische Gründe der Annahme entgegen, daß a-tu-ko sowohl als ›normaler‹ ka-ke-u in der Produktion von Waffen für die Truppen in den Distrikten tätig war als auch in seiner speziellen Funktion als e-te-do-mo wa-na-ka-te-ro für den Palast arbeitete. Ähnliches läßt sich für den zweiten e-te-do-mo, ka-ra-pi, mangels anderer Tafeln, die diesen Mann aufführen, allerdings nicht ins Treffen führen. Eine Frage bleibt jedoch noch zu klären: Warum werden a-tu-ko und ka-ra-pi mit der sonst unbekannten Bezeichnung e-te-do-mo belegt und nicht einfach als ka-ke-we oder – wie andere Hersteller von Panzern und Helmen auch – als pa-ra-ke-te-e-we bezeichnet? Als Begriff für den ›königlichen‹ Rüstungsschmied kommt e-te-do-mo nicht in Frage, da in diesem Fall das in einer Tafel beigegebene Adjektiv wa-na-ka-te-ro überflüssig wäre. Möglicherweise – doch kann dies natürlich nur eine unbeweisbare Vermutung bleiben – wurde mit e-te-do-mo ein Waffenschmied bezeichnet, der Prunkwaffen herstellte, wie das in zeitgleichen vorderasiatischen Palästen der Fall war. Hierzu würde auch die Tatsache passen, daß in Pylos e-te-do-mo nur für den wanax und (vielleicht) für den lawagetas gearbeitet haben. Der Vollständigkeit halber sei noch ein Text erwähnt. In der Knossostafel Uf 432 wird neben mehreren anderen Personennamen ein Mann aufgeführt (ki-te[…), der genauer als e-te-do-mo benannt wird. Diese Tafel verzeichnet Landzuweisungen – durch die ideographisch verwendeten Zeichen DA und PA ausgewiesen – an einzelne Personen, zu denen auch der e-te-do-mo gehörte. Mehr, als daß es auch in Knossos eine als e-te-do-mo bezeichnete Person gab, läßt sich diesem Text jedoch nicht entnehmen.

334 335 336 337

Siehe Hope Simpson, Mycenaean Greece 146. Nakassis, Individuals and Society 7 Anm. 40 und 208f. sowie weiter oben bei der Behandlung der ›Sklavinnentafel‹ An 607 (II 2.4). Nakassis, Individuals and Society 274f. Hierzu Lindgren, People of Pylos 72.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

2.10 Andere ›Wirtschaftsbetriebe‹ im Dienst der Waffenproduktion für das pylische Militär Abgesehen von den durch die Jn-Serie gut dokumentierten Schmieden sind noch weitere Berufsgruppen belegbar, die auf die eine oder andere Weise mit der Produktion von Waffen und anderem Kriegsgerät befaßt waren oder zumindest mit dieser in Zusammenhang gebracht werden können. In engerem sachlichem Kontext mit den genannten Schmieden könnten möglicherweise manche Personen bzw. Personengruppen zu sehen sein, die in einigen Pylostafeln – zuweilen auch gemeinsam – aufscheinen. Ausgangspunkt der Betrachtung müssen hierbei die Tafeln An 39, Fn 50 und Fn 79 sein. An 39 .1 pu-ka-wo, X VIR 16 .2 me-ri-du-ma-te VIR 10 X .3 mi-ka-ta X VIR 3 .4 o-pi-te-u-ke-e-we VIR 4 X .5 e-to-wo-ko X VIR 5 .6 ka-sa-to X VIR .7 pu-ka-wo, X VIR 23 .8 me-ri-da-ma-te, VIR 6 .9 o-pi-]te-u-ke-e-we, VIR 5 X .10 mi-ka-]ta, .11 e-]to-wo-ko VIR 4 a-to-po-qo .12 ] vacat Rev. v.1 po-ru-da-ma-te v.2 vacat v.3 qa-ra2-te, v.4 pu-ko-ro, v.5 a-ko-so-ta, v.6 pi-ri-ja-me-ja v.7 e-ni-ja-u-si-jo v.8 pte-jo-ko VIR v.9 a-ta VIR v.10 v.1

VIR 6 X VIR 3

VIR 4 VIR VIR VIR VIR VIR [ ] qo-ta-wo, te-o-po-[ vestigia vacat

VIR[ VIR

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

Fn 50 .1 a-ki-to-jo, qa-si-re-wi-ja HORD[ .2 ke-ko-jo, qa-si-re-wi-ja HORD[ .3 a-ta-no-ro, qa-si-re-wi-ja HORD T[ .4 me-za-ne HORD V 2 a3-ki-a2-ri-jo .5 me-ri-du-{ma}-te HORD V 3 mi-ka-ta .6 di-pte-ra-po-ro HORD V 2 e-to-wo-ko .7 a-to-po-qo HORD V 2 po-ro-du-ma-te .8 o-pi-te-u-ke-e-we HORD V 2 i-za-a-to-mo-i HORD V 3 .9 ze-u-ke-u-si HORD V 4 .10 vacat .11 au[-ke-i-]ja-te-wo, do-e-ro-i HORD T 1 .12 mi-jo[-qa ] do-e-ro-i HORD V 3 .13 a-pi-e-ra do-e-ro-i HORD V 3 .14 ]-wo[ ]ne[ do-e-ro-]i HORD T 3 .15–19 vacant Fn 79 .1 a3-pu-ke-ne-ja .2 a-ki-re-we .3 du-ni-jo, ti-ni-ja-ta .4 to-sa-no .5 ne-e-ra-wo, .6 a-e-se-wa .7 ka-ra-so-mo .8 wa-di-re-we .9 pe-qe-we .10 ze-u-ke-u-si, i-po-po-qo-i-qe .11 te-ra-wo-ne .12 to-wa-no-re .13 e-to-wo-ko-i .14 a-ki-to .15 a3-ki-a2-ri-jo

229

V 2[ HORDV 3 V2 HORD V 2

HORD T 6 V 4 OLIV 1[ HORD T 5 HORD T 5 HORD T 6 V 4 OLIV 1 HORD T 6 V 4 OLIV 1 HORD T 6 V 4 OLIV 1 HORD V 5 [OLIV] HORD T 2 V 3 OLIV T 7 HORD T 1 V 4 HORD 1 T 7 V 3 HORD V 5 HORD T 6 V 4 OLIV 1[ HORD T 5 V 1 HORD T 2 V 3 OLIV 1 HORD T 1 V 4

Betrachtet man den Zweck der drei oben stehenden Pylos-Tafeln,338 so haben diese auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun. Während es sich nämlich bei An 39 um eine Personenliste ohne Zweckangabe handelt, verzeichnen die Tafeln Fn 50 und 79 Getreiderationen, die sowohl an Einzelpersonen als auch an Personengruppen ausgegeben werden. Bei näherem Hinsehen zeigt sich allerdings, daß fast alle in der Tafel An 39 genannten Personengruppen auch als Getreideempfänger in Fn 50 aufscheinen, wobei diese Liste jedoch

338

Zu den Personen in den Tafeln der Fn-Serie siehe Nakassis, Individuals and Society 135–139.

230

II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

noch weitere (in An 39 nicht erwähnte) Gruppen vermerkt. Es seien demnach zunächst die Liste An 39 und die darin verzeichneten Personen und Personengruppen näher betrachtet. In An 39 (Vorder- und Rückseite der Tafel zusammengenommen) sind insgesamt zehn Personen namentlich genannt,339 von denen vier auch aus anderen Pylos-Texten bekannt sind: a-ko-so-ta, ka-sa-to, pu-ko-ro und qa-ra2. a-ko-so-ta war offenkundig ein Funktionär der Palastverwaltung der mannigfache Kontrollfunktionen ausübte.340 ka-sa-to erscheint in einer Liste,341 in der ausschließlich Schmiede verzeichnet sind, war also wohl selbst ein Schmied oder der Besitzer eines Schmiedebetriebs. Gleiches gilt auch für pu-ko-ro, der ebenfalls in einer Aufstellung von Schmieden342 aufscheint. qa-ra2 schließlich erscheint in einer Personenliste,343 in der zumindest drei weitere Schmiede344 aufgeführt sind, sodaß es wahrscheinlich erscheint, daß es sich auch bei qa-ra2 um einen Schmied handelt. Die namentlich bekannten Personen in der Liste An 39 sind also mit einer Ausnahme Schmiede – die Ausnahme bildet a-ko-so-ta, ein Repräsentant des Palastes von Pylos.345 Es ist daher wohl anzunehmen, daß sich unter den namentlich sonst nicht belegten Personen noch einige Schmiede befunden haben werden. Nun zu den Personengruppen in der Tafel An 39: Hierzu sei vorausgeschickt, daß alle in der Liste aufgeführten Gruppen etymologisch als griechisch zu identifizieren sind, daß es jedoch unterschiedliche Deutungen gibt und selbst bei einhelliger Übersetzung divergierende Erklärungen existieren. Klar ist nur, daß es sich bei allen Personengruppen um Berufs- bzw. Tätigkeitsbezeichnungen handelt. 1. pu-ka-wo: Diese in der Tafel zweimal erwähnte Gruppe wird einhellig mit einer Tätigkeit in Verbindung gebracht, die mit Feuer zu tun hat. Die griechische Bezeichnung wäre demnach pyrkaeus oder pyrikaos (aus pyrkaϝos), womit man es bei dieser Gruppe mit ›Feueranzündern‹ oder ›Heizern‹ zu tun hätte.346 2. me-ri-du-ma-te: Auch diese Gruppe wird zweimal genannt (einmal in der Form meri-da-ma-ta) und besteht aus dem ›Amtstitel‹ du-ma-te, der generell vom Palast bestellte ›Aufseher‹ bezeichnet,347 und der Zusatzbestimmung me-ri, das gewöhnlich als meli (Honig) gedeutet wird. Demnach handelt es sich hierbei um Personen, welche die Aufsicht über den Honig und vielleicht auch über andere mit der Bienenzucht in Verbindung stehende Bereiche hatten.348 339 340 341 342 343 344

345

346 347 348

Einer auf der Vorderseite, drei auf der Rückseite. Siehe Eq 213. Jn 320. Jn 478. An 192. Es handelt sich hierbei um ka-ra-u-ro (in Jn 750 als Schmied genannt), um a-pi-a2-ro (Schmied in Jn 478) und pe-re-qo-ta, der als Schmied in Jn 693, allerdings in der Schreibung pe-ri-qo-ta auftaucht. Zur Person des a-ko-so-ta siehe die ausführlichen Studien von Nightingale, A-KO-SO-TA 569– 586, Killen, Collectors 213f., Rougemont, Collectors 129–138 und Olivier, Collecteurs 139– 159. Hierzu ausführlich Lindgren, People of Pylos 125f. Lindgren, People of Pylos 40f. Zur Problematik der me-ri-du-ma-te siehe Lindgren, People of Pylos 96f.

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

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3. mi-ka-ta: Diese Gruppe (ebenfalls zweimal verzeichnet) wird als miktai gedeutet, also Leute die etwas mischten, wobei jedoch nicht klar ist, was von ihnen gemischt wurde. Meist geht man allerdings davon aus, daß es sich bei ihnen um ›Mischer von Wein‹ handelt,349 wenngleich dies keineswegs gesichert ist und auch andere Möglichkeiten in Erwägung gezogen werden sollten. 4. o-pi-te-u-ke-e-we: Diese (zweimal in der Liste genannten) Leute sind wohl am besten als epiteucheis wiederzugeben, also als Personen, die sich um teuchea, ›Gerätschaften‹ zu kümmern hatten. Um welche Gerätschaften es sich dabei handelt, ist nicht zu sagen, doch geht die Meinung meist dahin, daß sie Tempelinventar zu betreuen hatten oder generell im Palast verwahrte Geräte kontrollierten.350 5. e-to-wo-ko: Die Bezeichnung dieser (zweimal aufgeführten) Personengruppe kann unterschiedlich gedeutet werden. Während der zweite Wortbestandteil, wo-ko, wohl eindeutig als -ϝorgoi (Arbeiter) zu sehen ist, kann der erste, e-to, entweder von ento (innen) oder von entea (Rüstung oder Geschirr) abgeleitet werden. Dementsprechend werden die e-to-wo-ko als Personen die im Inneren (eines Tempels) arbeiteten gedeutet oder aber als Arbeiter, die an der Herstellung von Rüstungen oder von Pferdegeschirr beteiligt waren.351 6. a-to-po-qo: Über die Deutung dieser (in der Tafel nur einmal erwähnten) Gruppe herrscht hingegen weitgehend Übereinstimmung. Der Begriff wird meist mit artos (Brot) in Zusammenhang gebracht und dementsprechend als ›Bäcker‹ interpretiert. Uneinigkeit besteht lediglich in der Frage, ob diese ›Bäcker‹ im sakralen Bereich (Tempel) oder aber für den Palast arbeiteten.352 7. po-ru-da-ma-te: Bei diesem in der Liste nur einmal auftauchenden Begriff dürfte es sich um eine Verschreibung oder eine Schreibvariante der sonst üblichen Bezeichnung po-ro-du-ma-te handeln.353 Demnach hätten wir es hier wiederum mit Aufsehern (du-ma-te) für einen bestimmten Bereich zu tun, welcher durch den ersten Wortbestandteil angegeben wird. po-ro allerdings wird unterschiedlich gedeutet. Zum einen könnte er als pro wiederzugeben sein, wonach die po-ro-du-ma-te – analog zum Paar ko-re-te/po-ro-ko-re-te – die Stellvertreter der du-ma-te wären. Die zweite Erklärung deutet po-ro als sporo (Samen, Saat), sodaß man in den po-ro-duma-te vom Palast bestellte Aufseher über das Saatgut sehen müßte. Die dritte Deutung sieht in po-ro das griechische polo (Pferd, Fohlen) und in den po-ro-du-ma-te somit Aufseher über (junge) Pferde.354 Was nun die generelle Interpretation der Tafel An 39 angeht, so stehen einander grundsätzlich zwei Ansichten gegenüber: Die eine Meinung geht dahin, daß die in der Liste aufgeführten Einzelpersonen und Personengruppen inhaltlich, d.h. was die Art ihrer Tätigkeit angeht, nichts miteinander zu tun haben und eher zufällig in einer Auflistung erwähnt werden. Die zweite Ansicht geht von der genau gegenteiligen Annahme aus, d.h. sie setzt einen 349 350 351 352 353 354

Lindgren, People of Pylos 98. Zur Diskussion über die genaue Bedeutung siehe Lindgren, People of Pylos 107. Lindgren, People of Pylos 53. Siehe dazu Lindgren, People of Pylos 27f. So Chadwick, Documents 574. Lindgren, People of Pylos 121f.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

inhaltlichen Zusammenhang der genannten Tätigkeitsfelder voraus. Worin jedoch dieser Zusammenhang besteht, darin besteht bei den einzelnen Bearbeitern des Textes keineswegs Einigkeit. Eine – eher vorsichtige – Interpretation sieht in dieser Liste eine Aufstellung von Berufen bzw. deren Vertretern, die sowohl im Palast von Pylos als auch außerhalb desselben tätig waren und für den Palastbetrieb Bedeutung hatten.355 Dieser Ansicht ist eigentlich nichts entgegenzuhalten, zumal die Tatsache allein, daß sich diese Aufstellung im Palastarchiv von Pylos befand, für die Bedeutung spricht, die den einzelnen Tätigkeiten (und den damit Beschäftigten) zugemessen wurde. Wesentlich prononcierter ist hingegen die Ansicht, es handle sich um eine Aufstellung von Personen, deren Tätigkeiten im Betreib eines Heiligtums vonnöten waren.356 Den Angelpunkt der Interpretation bilden hierbei offenbar die Funktionen der me-ri-du-ma-te und po-ro-du-ma-te, die als Untergebene von Beamten mit der Bezeichnung du-ma-te (Sing.: du-ma) angesehen werden.357 Diese wiederum erscheinen auch in der Tafel Jn 829, in der sie als für die Ablieferung von Bronze zur Herstellung von Waffen verantwortlich zeichnen.358 Da diese Bronze wiederum als ka-ko na-wi-jo, also als ›Tempelbronze‹, bezeichnet wird, werden die du-ma-te – und folgerichtig somit auch ihre Untergebenen, die me-ri-du-ma-te und po-ro-du-ma-te, – als Beamte im Dienst des Tempels aufgefaßt. Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß in der Liste Jn 829 auch die ko-re-te und po-ro-ko-re-te für die Ablieferung dieser Tempelbronze zuständig sind,359 welche keinesfalls als Beamte im Tempeldienst aufgefaßt werden können.360 Nachdem der kultisch-sakrale Charakter der in der Tafel An 39 aufgeführten Personen und Berufsgruppen wohl als nicht erwiesen anzusehen ist, soll im folgenden versucht werden, diese Liste in einem anderen Kontext zu sehen. Ausgegangen wird hierzu von den in der Tafel namentlich erwähnten Personen. Bei diesen handelt es sich – wie oben gezeigt – in der Mehrzahl (wenn nicht bei allen) um Schmiede. Im Lichte der Evidenz anderer Zeugnisse – etwa der Tafel Jn 829 – liegt es nun nahe, auch diese Schmiede im Dienst der Waffenproduktion zu sehen,361 weshalb zu prüfen ist, ob auch die in der Tafel genannten Personengruppen mit der Herstellung und/oder Betreuung von Dingen, die für den militärischen Einsatz bestimmt waren, beschäftigt waren. Beginnen wir mit den offensichtlichen ›Berufen‹: 1. e-to-wo-ko: Deutet man den ersten Wortbestandteil nicht – wie die Vertreter der Kultpersonaltheorie es tun – als ento, sondern als entea, so handelt es sich bei den eto-wo-ko (wie schon oben ausgeführt) um Arbeiter, die mit der Herstellung von Rüstungen und/oder von Geschirr beschäftigt waren. 355 356 357 358 359 360

361

Siehe die Rezension von Palmer, Gnomon 34, 707–711. So etwa Olivier, Liste de desservants passim, bes. 137–147. Hierin sind sich Palmer und Olivier bei sonstigen Interpretationsunterschieden einig. Siehe dazu ausführlich II 2.8. Vgl. Godart, Sacrifices d’animaux 252f. Siehe Lindgren, People of Pylos 84–86, die die ko-re-te als Repräsentanten des Palastes in Schlüsselpositionen definiert. Auch hält sie die du-ma-te als Funktionäre im Tempeldienst für nicht nachweisbar und wenig wahrscheinlich (Lindgren, People of Pylos 40f.). Womit nicht gesagt sein soll, daß Schmiede nur in militärischem Kontext erwähnt werden.

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

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2. o-pi-te-u-ke-e-we:362 Diese für die Herstellung von teuchea (Geräten) verantwortlichen Personen363 können wohl ohne Probleme mit der Produktion von Kriegsgerät in Zusammenhang gebracht werden, am besten wohl mit der Herstellung der Streitwagen. 3. pu-ka-wo: Wie oben festgestellt, handelt es sich bei den pu-ka-wo um ›Feueranzünder‹ oder ›Heizer‹, doch müssen diese nicht unbedingt im Tempel Beschäftigung gefunden haben, sondern können ebensogut bei der Metallerzeugung, genauer gesagt in der Waffenproduktion in einem Schmiedebetrieb tätig gewesen sein. 4. mi-ka-ta: Diese wohl richtig als ›Mischer‹ von Flüssigkeiten gedeuteten Personen werden üblicherweise mit dem Mischen von Wein in Verbindung gebracht. Die Bezeichnung sagt jedoch nichts darüber aus, was diese mi-ka-ta gemischt haben. Sieht man sie nun im Kontext der Waffenproduktion, so könnten sie auch Metalle, im speziellen Zinn und Kupfer, gemischt haben und somit bei der Herstellung von Bronze beteiligt gewesen sein, also wiederum ein Bestandteil der Waffenproduktion. Übrigens sind die mi-ka-ta – die Richtigkeit der Deutung als ›Metallmischer‹ – vorausgesetzt nicht mit Schmieden (ka-ke-we) identisch, da diese üblicherweise erst die schon ›gemischte‹ Bronze in Barrenform364 zur weiteren Bearbeitung geliefert bekamen.365 5. a-to-po-qo: Auf den ersten Blicken passen diese als ›Bäcker‹ gedeuteten Personen366 nun keineswegs in einen wie immer gearteten militärischen Kontext. Der Bedeutung von artos gemäß besagt die Bezeichnung a-to-po-qo jedoch nur, daß diese Personen mit der Zubereitung von Getreide (im speziellen von Weizen) beschäftigt waren; es geht daraus jedoch nicht hervor, was genau zubereitet wurde, und vor allem bleibt offen, für wen dieses Getreide bestimmt war. In einem militärischen Kontext können damit nur Pferde, genauer gesagt Streitwagenpferde, gemeint sein, für die das Getreide zubereitet wurde. Nun gibt es bei der Pferdezucht tatsächlich die Praxis, einen speziellen Brei (Mash genannt) zuzubereiten, der Pferden regelmäßig, vor allem aber bei Krankheit und bei Gelegenheiten verabreicht wird, wenn Pferde besondere Leistung erbringen müssen.367 Dieser Brei, bestehend aus einem Gemisch von Weizen, Gerste und Heu, wird verkocht und dann im abgekühlten (aber noch warmen) Zustand den Pferden verabreicht, wobei besonders die leichte Verdaulichkeit dieser Nahrung von Bedeutung ist. Daß genau dieses Futtermittel jedoch keine Erfindung moderner Ernährungswissenschaft ist, sondern bereits im Altertum bekannt war, bezeugt der Kikkuli-Text.368 Dieser aus dem frühen 14. Jh. v.Chr, aus dem Hethiterreich stammende Text beschäftigt sich mit dem Training und der Fütterung hethitischer Streitwagenpferde und belegt (mit genauen Mengenangaben) einen gekochten Brei aus Gerste 362 363 364 365 366 367 368

In der offensichtlichen Verschreibung o-pi-te-ke-e-u erscheint der Titel auch in der Tafel Un 2, die allerdings zur Deutung des Begriffs nichts beiträgt. Ruijgh, ϝanax et ses dérivés 523 und Lindgren, People of Pylos 107. Übrigens auch als Ideogramm *166 vorhanden. Vgl. die Reihe Jn, die durch das Ideogramm *140 für Bronzebarren, die an Schmiede übergeben werden, charakterisiert ist. Shelmerdine, Mycenaean Administration(s) 570, 573. Vgl. Meyer, Coenen, Pferdefütterung 3f. Siehe zum Text dieser Abhandlung Kammenhuber, Hippologica Hethitica sowie zur Interpretation des Inhalts Starke, Streitwagenpferde.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

und Weizenspreu als Nahrungsmittelzusatz für Streitwagenpferde, zumal diese ja temporäre Höchstleistungen erbringen mußten. Es steht demnach der Annahme nichts im Wege, daß auch im mykenischen Pylos solche Kenntnisse über die Ernährung von Streitwagenpferden vorhanden waren und es demnach auch Personen gab, die sich auf die exakte Zubereitung dieses gemischten Getreidebreis verstanden. Nun zu den schwieriger zu erklärenden Begriffen: 6. po-ro-du-ma-te: Abgesehen von der völlig unmotivierten und daher wohl nicht in Frage kommenden Deutung369 des ersten Wortbestanteils als pro- bieten sich – wie schon gezeigt – die Lesungen sporo- (Samen, Saat) oder polo- (junges Pferd) an. Sieht man in dieser Tafel nun eine Auflistung von Personen, die mit der Herstellung oder Wartung von Kriegsgerät zu tun hatten, so bietet sich die Interpretation an, daß es sich bei den po-ro-du-ma-te um Leute handelte, die sich um die (jungen) Pferde kümmern mußten, welche für die Verwendung als Streitwagenpferde vorgesehen oder bereits abgestellt waren. Diese Deutung hätte zudem den Vorteil, eine weitere Ungereimtheit erklären zu können. In Zeile 1 der Rückseite der Tafel ist statt der (richtigen) Schreibung po-rodu-ma-te370 die Bezeichnung po-ru-da-ma-te zu lesen. Hierbei könnte es sich jedoch nicht bloß um eine einfache Verschreibung handeln, sondern gleichsam um eine, die Sinn macht. Der Wortteil -da-ma-te ist wohl mit dem Verbum damnan (bändigen) in Verbindung zu bringen; die Verschreibung von -du-ma-te zu -da-ma-te wäre somit dadurch zu erklären, daß eben beide Varianten einen Sinn ergaben. Dies ist allerdings nur bei der Deutung von po-ro als polo-damate (Pferdebändiger) der Fall, nicht aber bei der als sporo-damate (Samenbändiger). Es erscheint demnach möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich, in den po-ro-du-ma-te die Betreuer bzw. auch die Trainer der (zukünftigen?) Streitwagenpferde im Palast von Pylos zu sehen. 7. me-ri-du-ma-te: Die allgemein akzeptierte Deutung dieser Personen als ›Honig (meli)-Aufseher‹ macht es wohl unmöglich, sie in einem militärischen Kontext zu interpretieren. Sprachlich ist jedoch noch eine andere Identifikation des Wortbestandteiles me-ri- möglich: Die Silben könnten statt meli- als meri- wiedergegeben werden, womit sie in Zusammenhang mit dem griechischen meris (Anteil oder Portion) zu sehen wären. In diesem Fall müßte man die me-ri-du-ma-te als übergeordnete Aufsichtsbeamte auffassen, welche über die Zuteilung (z.B. bestimmter Materialien) zu wachen hatten. Auf eine übergeordnete Aufsichtsposition dieser Leute deutet übrigens auch die Tatsache, daß Zuwendungen an die me-ri-du-ma-te jeweils etwas größer ausfallen als beispielsweise an die po-ro-du-ma-te.371 Diese Interpretation der me-ri-du-ma-te als ›Zuteiler von Materialien‹ würde zwar nicht primär auf einen militärischen Hintergrund deuten, einen solchen allerdings auch nicht ausschließen, sofern es sich bei dem Zugeteilten um für die militärische Produktion relevante Materialien handelt. 369 370 371

Siehe hierzu weiter oben. So etwa in Ep 613 und Fn 50. Siehe auch Palmer, Gnomon 708f.

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Nun zur Tafel Fn 50: Wie erwähnt werden fast alle in Jn 39 erwähnten ›Berufsgruppen‹ auch in Fn 50 aufgeführt. In dieser Tafel geht es um die Empfänger von Gerste, deren Auflistung deutlich dreigeteilt ist, sodaß zwischen den drei aufgeführten Gruppen nicht unbedingt ein inhaltlicher Zusammenhang – etwa hinsichtlich ihrer Betätigungsfelder – bestehen muß. Die erste Gruppen bilden drei qa-si-re-wi-ja also Zuständigkeitsbereiche eines qa-si-re-u, der jeweils auch namentlich genannt ist. Da von den hier erwähnten Funktionsträgern nur einer auch sonst bekannt ist372 und ein qa-si-re-u als Funktionär des Palastes für mannigfache Bereiche zuständig sein konnte, ist nicht zu sagen, womit die drei Vertreter der ersten Gruppe beschäftigt waren. Die dritte Gruppe in der Liste – von den anderen deutlich durch eine Leerzeile getrennt – umfaßt die Bediensteten (do-e-ro) von vier Männern, von denen wiederum drei in der Tafel An 1281 erscheinen, welche offenbar Zuweisungen an Heiligtümer verzeichnet.373 Ob sie bzw. ihre do-e-ro auch hier in Fn 50 als für ein Heiligtum tätig gesehen werden müssen, bleibe dahingestellt. Es sei aber erwähnt, daß zumindest einer der namentlich genannten Männer au-ke-i-ja-te-u auch in der Tafel Ub 1318 als Empfänger von Tierhäuten erwähnt wird. In derselben Tafel sind auch ze-u-ke-si (wohl eine Verschreibung für ze-u-ke-u-si) verzeichnet, in denen man ›Ochsenführer‹ oder ›Ochsenzüchter‹ sehen darf, also die Lieferanten der genannten Häute.374 Die zweite Gruppe auf dieser Tafel schließlich besteht aus insgesamt elf Einträgen, nämlich zwei Personennamen und neun Berufsgruppen. Der erste Name, a3-ki-a2-ri-jo, erscheint noch in einer anderen Liste (Fn 79), die ebenfalls die Zuteilung von Gerste verzeichnet, und die vom selben Schreiber stammt wie Fn 50 und auch neben dieser Tafel gelagert war. Der Beruf des a3-ki-a2-ri-jo geht jedoch auch aus dieser Tafel nicht hervor. Die zweite namentlich verzeichnete Person in dieser Gruppe ist me-za-ne, bei dem es sich möglicherweise um eine Verschreibung aus me-za{-wo}-ne handeln könnte.375 Sollte diese Konjektur richtig sein, so wäre diese Person auch in der Pylos-Tafel Un 138 genannt, wo er lediglich als Schuldner von Gerste und Oliven aufscheint – also ebenfalls ohne Berufsangabe verzeichnet ist. Bezüglich dieser beiden in Fn 50 namentlich genannten Personen kann demnach nicht gesagt werden, ob ihre Tätigkeit in kultischem, militärischem oder einem anderen – zivilen – Zusammenhang stand. Nun zu den Berufsgruppen: Abgesehen von den auch in An 39 erwähnten sechs Berufen sind in Fn 50 noch drei weitere verzeichnet: 1. di-pte-ra-po-ro: Personen mit dieser wohl als diphtheraphoroi (Lederträger oder Lederbringer) oder als diphtherapoloi (Lederverkäufer) wiederzugebenden Bezeichnung376 sind auch in den Tafeln Ea 814 und Un 219 verzeichnet.377 In Ea 814 steht ein di-pte-ra-po-ro namens o-ke-u in Verbindung mit einem Mann, der seinerseits 372 373 374 375 376 377

a-ta-no taucht in der Tafel Vn 130 (im Dat. a-ta-no-re) auf, doch geht auch aus dieser Tafel nicht hervor, wofür er zuständig war. Dieser Umstand ist auch der Grund für Palmers (Gnomon 708) Sicht von Fn 50 in einem kultischen Kontext. Siehe Palmer, Gnomon 707. Siehe Olivier, Liste de desservants 118. Siehe Lindgren, People of Pylos 34f. Ruijgh, ϝanax et ses dérivés 525.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

dem ›Gefolge‹ des ra-wa-ke-ta angehört. Auch in der Tafel Un 219 wird oder werden di-pte-ra-po-ro in einer Liste zusammen mit dem ra-wa-ke-ta genannt. Unter Berücksichtigung dieser (zugegebenermaßen spärlichen) Informationen könnte es sich bei den di-pte-ra-po-ro um Personen handeln, die Leder oder Rohhäute für die Waffenproduktion lieferten, etwa für die Herstellung lederner Panzer oder auch für die Bespannung von Streitwagenkörben. 2. ze-u-ke-u-si: Wie schon oben festgestellt handelt es sich bei diesen als zeugeusi zu lesenden Leuten378 um ›Ochsenführer‹ bzw. ›Ochsenzüchter‹, welche der schon zitierten Tafel Ub 1318 zufolge möglicherweise die Tiere züchteten, um Rinderhäute für das pylische Militär zur Verfügung stellen zu können. Sie wären demnach diejenigen Personen, die das Rohmaterial für die eben besprochenen di-pte-ra-po-ro ›herstellten‹. Gestützt wird diese Interpretation durch die Tatsache, daß in einem anderen Text derselben Reihe (Ub 1315) neben Häuten auch von ›Zügeln‹ (a-ni-ja=heniai) und ›Halftern‹ (po-qe-wi-ja=phorbeia) die Rede ist, wobei letzteres eindeutig mit der Produktion von Streitwagen zu tun hat, was wiederum die Tafel An 1282 nahelegt, in der unter anderem von ›Rädern‹ (a-mo-si, von harma) und wohl auch dem Streitwagen selbst gesprochen wird, sofern in dem aufgeführten Begriff a-qi-ja eine Verschreibung von i-qi-ja (hippia) zu sehen ist. Zu erwähnen ist schließlich noch, daß im ›Wagentext‹ Ub 1315 auch das Wort te-u-ke-pi (teuchephi) zu lesen ist, also ›mit dem Gerät‹, was wiederum von den oben besprochenen o-pi-te-u-ke-e-we, den Aufsehern über die Gerätschaften – Streitwagen wohl inbegriffen –, nicht getrennt werden kann.379 3. i-za-a-to-mo-i: Die plausibelste Deutung dieses nur einmal in den Linear B-Texten belegbaren Wortes trennt – wegen der unüblichen Schreibung eines doppelten a-Lautes – das Wort in iza-atomo. Der zweite Wortbestandteil ist wohl mit arthmoi (Erbauer) von arthmein (verbinden) zu erklären, der erste hingegen sei eine Schreibvariante von (in Pylostexten nicht belegten) i-qi-ja (Streitwagen),380 womit wir es mit Herstellern von Streitwagen zu tun hätten.381 Gestützt wird diese Interpretation durch die Tatsache, daß der Begriff i-za-a-to-mo-i hier in unmittelbarer Nähe der ze-u-ke-u-si steht, welch letztere in der Tafel Fn 79 in derselben Zeile genannt sind wie die i-popo-qo-i (hippophorboi) in denen man wohl Pferdezüchter382 bzw. Ernährer von Streitwagenpferden sehen darf.383 In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß die Tafel Fn 79 überhaupt enge Verwandtschaft zu Fn 50 zeigt. Nicht nur, daß beide Texte die Zuteilung von Gerste an Gruppen und Einzelpersonen behandeln und von der Hand desselben Schreibers stammen, sie stehen auch insofern in einem engeren inhaltlichen Zusammenhang, als einige der Gersteempfänger in beiden Listen aufscheinen. Von den durch ihre Tätigkeit charakterisierten drei Personengruppen sind dies die ze-u-ke-u-si und die e-te-wo-ko-i, die dritte Gruppe, 378 379 380 381 382 383

Lindgren, People of Pylos 161. Palmer, Gnomon 707f. Ruijgh, ϝanax et ses dérivés 532. Siehe Lindgren, People of Pylos 59. Dagagen Olivier, Liste de desservants 128f. Lindgren, People of Pylos 57. Siehe zu diesen genauer II 2.3.

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die i-po-po-qo-i, zeigen – wie erwähnt – enge ›berufliche‹ Verwandtschaft mit anderen in Fn 50 genannten Gruppen. Die übrigen in Fn 79 aufgelisteten Empfänger sind Einzelpersonen (13 an der Zahl). Von diesen wiederum sind zwei Namen aus anderen Pylos-Tafeln bekannt. Der eine ist duni-jo, der aus immerhin sechs anderen Texten bekannt ist, doch dürfte es sich dabei um mehrere Personen desselben Namens handeln. Dies geht aus der Tatsache hervor, daß duni-jo meist durch einen Zusatz charakterisiert ist, der seine Tätigkeit bzw. seinen Rang anzeigt, wohl um ihn von anderen Trägern dieses Namens zu unterscheiden. So ist in An 192 ein du-ni-jo als du-ma (Aufseher) charakterisiert und in derselben Tafel wird ein zweiter du-ni-jo als a-no-ke-wa (nicht zu deutender Titel) bezeichnet. In Eb 169 und Ep 705 wird ein offenkundig dritter du-ni-jo als te-o-jo do-e-ro (theoio doulos; Tempelbediensteter) bezeichnet. Der du-ni-jo unserer Tafel trägt ebenfalls einen Titel, ti-ni-ja-ta, der jedoch nicht gedeutet werden kann. Es kann daher nicht gesagt werden, welche Funktion der in Fn 79 genannte du-ni-jo hatte. Die zweite namentlich aus einem anderen Text bekannte Person schließlich ist a3-ki-a2-ri-jo, der eben in der Tafel Fn 50 aufscheint. Zusammenfassend kann demnach zu den in An 39 und Fn 50 (und auch Fn 79) aufgelisteten Personengruppen und Einzelpersonen folgendes ausgesagt werden: Unter einem militärischen Aspekt betrachtet sind in den drei behandelten Tafeln Vertreter fast aller Berufe verzeichnet, die für die Bereitstellung der gesamten Ausrüstung (einschließlich der Pferde) eines Streitwagenkämpfers, eines e-qe-ta, vonnöten sind. 1. Bronze: Heizer (pu-ka-wo), die für die richtige Temperatur der Schmelzöfen zuständig waren, arbeiteten zusammen mit den für das richtige Mischungsverhältnis von Kupfer und Zinn verantwortlichen Leuten (mi-ka-ta). Die so gewonnene und in Barren gegossene Bronze wurde den Schmieden (ka-ke-we), wie ka-sa-to einer war, zur Bearbeitung übergeben. Aus dem geschmiedeten Bronzeblech fertigten sodann die Rüstungsmacher (e-to-wo-ko) den Panzer für den Streitwagenkämpfer. 2. Leder: Das Ausgangsprodukt für alle Lederteile der Rüstung des e-qe-ta sowie für Zaumzeug und Bespannung des Streitwagens lieferten Ochsenzüchter (ze-u-ke-u-si) in Form von Rinderhäuten, welche sodann von den Lederlieferanten (di-pte-ra-poro) verarbeitungsfertig gemacht und gegebenenfalls auch gegerbt wurden. Das gegerbte Leder sowie die Häute wurden weiters von den i-za-a-to-mo bei der Bespannung und Ausstattung (Zügel und Pferdegeschirr) des Streitwagens verarbeitet und von den e-to-wo-ko bei der Produktion der Rüstung. Bei diesem Arbeiten dürften wohl die ›Zeugmeister‹ (o-pi-te-u-ke-we) die Aufsicht geführt und den Produktionsprozeß geleitet haben. Das Rohprodukt ›Streitwagen‹ d.h. der Holzrahmen und die Räder, war bei diesem Prozeß nicht inbegriffen, also wohl schon vorhanden.384 3. Für die Einsatzfähigkeit des e-qe-ta fehlten somit nur noch die Pferde: Von Pferdezüchtern (i-po-po-qo) bereitgestellt wurden die Pferde – weil für die hochqualifizierte Tätigkeit als Zugtiere des Streitwagens vorgesehen – mit einer ausgewogenen Nahrung versorgt, die von eigens dazu abgestellten Personen (a-to-po-qo) zubereitet wurde. Um sie schließlich ›diensttauglich‹ zu machen, wurden die jungen Pferde einem Training unter der Aufsicht dafür ausgebildeter Leute (po-ro-du-ma-te) unterzogen. 384

Damit beschäftigt sich die nächste gleich weiter unten in diesem Kapitel zu besprechende Tafel.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

4. Die Oberaufsicht für all diese angeführten Produktionsschritte führten vielleicht die als me-ri-du-ma-te bezeichneten Personen, denen vor allem die Aufgabe zukam, die angelieferten Materialien (wie Bronze, Leder, Futtermittel etc.) den entsprechenden Handwerkern zuzuteilen.385 Ein wesentlicher Bestandteil der militärrelevanten Produktion bestand demnach in der Herstellung von Streitwagen und der Tätigkeit von ›Zulieferbetrieben‹ für die Bereitstellung dieser Elitewaffe des pylischen Heeres. So kann es auch nicht verwundern, daß zumindest ein Teil der Streitwagenproduktion unter direkter Kontrolle des Palastes, genauer gesagt des höchsten militärischen Funktionsträgers, des ra-wa-ke-ta, stand. Dies bezeugen zwei Pylos-Texte (Ea 421 und Ea 309) in denen von einem a-mo-te-u (harmoteus)386 rawa-ke-si-jo also einem Wagenbauer des ra-wa-ke-ta die Rede ist. Um den Bau von Streitwagen, genauer gesagt um die Herstellung der Holzteile des Gefährts, die in den eben genannten Tafeln ja ausgespart blieben, geht es nun auch im nächsten zu behandelnden Text: Vn 10 .1 o-di-do-si, du-ru-to-mo, .2 a-mo-te-jo-na-de, e-pi-[.]-ta 50 .3 a-ko-so-ne-qe 50 .4 to-sa-de, ro-u-si-jo, a-ko-ro, a-ko-so-ne .5 100 to-sa-de, e-pi-[.]-ta 100, In diesem Text387 erscheint als Subjekt eine du-ru-to-mo genannte Gruppe, die man zweifelsohne als Holzfäller (drytomoi) zu übersetzen hat. Diese liefern etwas an das a-mo-te-jo (armoteon), in dem man wohl die Werkstätte oder das Magazin für die a-ma-ta (harmata), die Streitwagen, zu sehen hat. Die gelieferten Produkte sind einerseits a-ko-so-ne (axones) also Achsen für die Wagen sowie e-pi-[.]-ta. Die Bedeutung dieses Wortes ist nun nicht ganz klar; liest man das dritte Zeichen als ›pu‹, so könnte das Wort epiphyta (Schößlinge) gemeint sein. Dies würde bedeuten, daß man junges noch sehr biegsames Holz z.B. für das Geländer des Wagenkorbes verwendete. Auf jeden Fall muß es sich dabei um Holz handeln und zwar um solches, das für einen bestimmten Teil des Streitwagens Verwendung fand. Das fragliche dritte Zeichen, das starke Ähnlichkeit mit dem Zeichen *19 aufweist,388 ist möglicherweise aber als ›qa‹ zu lesen, womit das Wort e-pi-qa-ta lauten würde. Dies wiederum müßte im späteren Griechisch epibata (von epibainein) heißen, und wäre folglich mit ›das, worauf man tritt‹ zu übersetzen; es handelt sich also um ein Trittbrett oder – auf die speziellen Gegebenheiten des Streitwagens bezogen – um die hölzerne Standfläche des Wagenkorbes. Insgesamt liefern die Holzfäller 50 Achsen und 50 Trittbretter(?) an die Streitwagenwerkstätte des Palastes von Pylos. 385

386 387 388

Es sei hier allerdings noch einmal betont, daß die eben getätigten Ausführungen hypothetischen Charakter haben und nicht zuletzt auch davon abhängen, ob man gewillt ist, all diese Pylos-Texte in einem militärischen Kontext zu sehen. Diese Sicht hat jedoch wohl unbestreitbar den Vorteil, in sich nicht widersprüchlich zu sein und zudem einige dunkle Begriffe glaubhaft erklären zu können. Von harmozo=zusammenfügen. Hierzu siehe Killen, Pylos Tablet Un 1482 388f. und ebenso Killen, New Readings in the Pylos Tablets 348f. So Bennett, Oliver, Pylos Tablets 257.

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

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In den Zeilen vier und fünf der Tafel ist ebenfalls von einer Lieferung von Achsen und Trittbrettern(?) die Rede, wobei hier die doppelte Menge – also jeweils 100 Stück – abgeliefert wird. Der Lieferant dieser jeweils 100 Stück ist jedoch ein anderer. Keine bestimmte Gruppe wird hier zur Lieferung herangezogen, sondern ein genau bezeichnetes Gebiet im Pylischen Reich: die ro-u-si-jo a-ko-ro (l/rousios agros oder l/rousioi agroi) also die Gefilde von ro-u-so. Diese ro-u-si-jo a-ko-ro werden noch in fünf weiteren Pylos-Texten erwähnt:389 In den Tafeln Ua 1413 und Un 47 erscheint ro-u-si-jo a-ko-ro als Besitzer oder Lieferant von verschiedenen landwirtschaftlichen Produkten oder auch von Tieren (Getreide, Wein, Schafe etc.). In den Tafeln Fr 1220 und 1226 geht es zwar ebenfalls um landwirtschaftliche Produkte der ro-u-si-jo a-ko-ro, doch wird hier genauer angegeben, daß diese – wie auch alle anderen in der Fr-Serie verzeichneten Produkte – als Abgaben an verschiedene Gottheiten dargebracht wurden. Vergleicht man den Inhalt der beiden letztgenannten Texte mit dem der übrigen Tafeln dieser Serie, so fällt auf, daß sonst – sofern dies noch eruierbar ist – niemals ein Ort oder ein Gebiet als Lieferant der Gaben an die verschiedenen Gottheiten auftaucht, abgesehen von den völlig parallel gebildeten a-ko-ro pa-ki-ja-ni-jo in Fr 1236. Dieser offensichtlich kultische Zusammenhang läßt nun die Vermutung zu, daß es sich bei den ro-u-si-jo a-ko-ro nicht um ein bestimmtes Gebiet, sondern vielmehr um eine Personengruppe handelte, die (auch) mit kultischen Aufgaben befaßt war. In diesem Falle wäre das Wort a-ko-ro nicht mit agros, sondern mit agoros wohl in der Bedeutung von ›Versammlung‹ (vgl. das Substantiv agora) zu transkribieren;390 eine solche Vereinigung hätte demnach sowohl im Gebiet vom pa-ki-ja-ne als auch in dem von ro-u-so existiert. Für diese Interpretation spricht auch, daß in Un 47 die erste Zeile die folgenden Worte anführt: ro-u-so ro-u-si-jo a-ko-ro. Das erste Wort, ro-u-so, dient ganz offensichtlich als Ortsangabe bzw. als lokale Herkunftsangabe der in den Zeilen 2 bis 5 aufgelisteten Produkte. Es ist also nicht sehr wahrscheinlich, daß unmittelbar nach dieser Ortsangabe (ro-u-so) eine weitere wie ›rousische Gefilde‹ festgehalten wird, zumal diese ja nicht ein anderes Gebiet meinen kann, sondern von ro-u-so geographisch wohl nicht getrennt werden kann. Viel wahrscheinlicher ist es demnach, daß neben dem Herkunftsort (ro-u-so) der verschiedenen Produkte auch der Produzent, eben die ›rousische (Kult-)Vereinigung‹ registriert wurde. Sieht man also in diesen ro-u-si-jo a-ko-ro eine Personengruppe, so sind in der Tafel Vn 10 demnach zwei Personenverbände als Lieferanten von Achsen und Trittbrettern(?) an die Streitwagenwerkstätte genannt. Nun sind aber die ro-u-si-jo a-ko-ro keineswegs auf Holzarbeiten spezialisiert – wie man dies vielleicht bei den du-ru-to-mo vermuten könnte –, sondern scheinen vielmehr als Besitzer umfangreicher landwirtschaftlicher Betriebe Produzenten unterschiedlichster Güter gewesen zu sein. Es ist daher wohl anzunehmen, daß auch die du-ru-to-mo nicht aufgrund spezieller handwerklicher Fähigkeiten als Lieferanten von Holzteilen für die Streitwagenherstellung herangezogen wurden, sondern aus einem anderen Grund, den sie allerdings mit den ro-u-si-jo a-ko-ro gemeinsam haben müßten. 389 390

Ein Text, Mn 1411, läßt allerdings aufgrund seines Erhaltungszustandes keine näheren Aussagen über die ro-u-si-jo a-ko-ro zu. Zur sprachlichen Argumentation siehe Gallavotti, Documenti unguentuari 101.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

Möglicherweise bestand dieser ja darin, daß beide Personengruppen – die du-ru-to-mo aus durchaus einsichtigen Gründen – über umfangreiche Waldbestände verfügt haben, welche die gewünschten Holzteile der Streitwagen liefern konnten. Jedenfalls sind offensichtlich beide in Vn 10 genannten Personengruppen nicht auf diese hier genannten Produkte spezialisiert, sondern gingen normalerweise auch anderen Beschäftigungen nach. Da jedoch für die militärischen Bedürfnisse etwas gebraucht wurde, wofür die ro-u-si-jo a-ko-ro und die du-ru-to-mo die besten Ressourcen besaßen, wurden sie zur Lieferung der entsprechenden Erzeugnisse veranlaßt. Dies ist – mutatis mutandis – durchaus mit der Stellung von Ruderern oder der Bildung lokaler militärischer Einheiten, wie sie oben beschrieben wurde, vergleichbar, da ja auch diese Personen ganz andere ›Zivilberufe‹ hatten und nur bei Bedarf für militärische Zwecke herangezogen wurden. Noch eine Berufsgruppe, die ebenfalls – zumindest zeitweise – mit der Produktion militärischen Geräts im weitesten Sinn zu tun gehabt haben muß, sei an dieser Stelle kurz angesprochen: die Schiffsbaumeister. Unter der Bezeichnung na-u-do-mo erscheinen sie in insgesamt drei Linear B-Tafeln aus Pylos, wobei ein Text (PY Xn 990) nicht mehr als diese Bezeichnung, na-u-do-mo, bietet und sich somit jeglicher weiterer inhaltlicher Interpretation entzieht. Der zweite Text listet Einzelpersonen und Personengruppen im Zusammenhang mit der Abgabe bzw. der nicht erfolgten Abgabe von Flachs (Leinen) auf: Na 568 . A e-sa-re-u, ke-po-da, e-re-u-te-ro-se, SA 50 . B ]wa, SA 20 to-sa-de, na-u-do-mo, o-u-di-do-si Die dritte Tafel schließlich, aufgefunden im selben Raum (8) des Archivs wie die vorhin genannte, bietet eine Liste von Personennamen, die allesamt unter der Bezeichnung na-u-domo zusammengefaßt sind und möglicherweise allesamt zur Abgabe eines nicht näher bezeichneten Gutes oder zur Stellung von Personen verpflichtet sind: Vn 865 .1 na-u-do-mo .2 a3-me-wa 1 .3 sa-mo-ta-jo 1 qe-te-re-u 1 .4 ta-ra-pe-se 1 wa-tu-o 1 .5 ka-ro-qo 1 a-re-ki-si-to 1 .6 a-wa-ne-u 1 .7 ki-nu-ra 1 .8 o-ro-do-ko 1 a-mi-ja[ .9 u-re-u [ ] vacat .10–11 vacant Diese Texte zeigen eine Personengruppe, deren Profession zwar nicht aus dem Zusammenhang der Tafel – hier erscheinen sie lediglich (zusammen mit anderen) als abgabenpflichtig –, sondern aus der Wortbedeutung hervorgeht: Bei den na-u-do-mo handelt es sich wohl unzweifelhaft um Schiffsbaumeister (naudomoi).

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

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Diese Schiffsbaumeister oder Schiffsbauer, die sicherlich neben ›Handelsschiffen‹ auch solche für den militärischen Einsatz391 herstellten, standen zweifelsohne unter der Kontrolle des Palastes von Pylos,392 eine Annahme, die vom Inhalt zweier weiterer anscheinend vom selben Schreiber verfaßter Pylos-Tafeln (Vn 46 und 879) gestützt wird. Erschwert wird die Interpretation dieser beiden Texte jedoch zum einen durch den fragmentarischen zustand der Tafeln, zum anderen aber durch die Tatsache, daß einige Wörter sich einer Gleichsetzung mit späteren griechischen Vokabeln und somit auch jeglicher Interpretation entziehen. Gleichwohl könnten die übersetzbaren Wörter auf einen mit dem Schiffsbau in irgendeiner Form in Zusammenhang stehenden (und damit militärischen) Inhalt der beiden Tafeln deuten. Vn 46 .1 pi-ra3-[ .2 ka-pi-ni-ja, a-ti-ta, 6[ .3 ka-pi-ni-ja, e-ru-mi-ni-ja, .4 ka-pi-ni-ja, ta-ra-nu-we .5 *35-ki-no-o 81 o-pi-ra3-te-re .6 e-to-ki-ja 23[ ]-ke-te-re .7 pi-ri-ja-o, ta-ra-nu-we 6 .8 qe-re-ti-ri-jo 2 me-ta-se-we .9 e-po-wo-ke, pu-to-ro 16 .10 *35-ki-no-o, pu-to-ro 100 .11 ta-to-mo, a-ro-wo, e-pi-*65-ko .12 e-ru-mi-ni-ja 2 ki-wo-qe 1 Vn 879 .1 a-ti[ ], pe-*65-ka .2 ko-ni-ti-ja-ja, pe-*65-ka .3 e-to-ki-ja, qa-ra-de-ro .4 pa-ke-te-re, qa-ra-de-ro

4[ 12[ 40[ 140 10

1

8 24 10 86

Diese beiden Tafeln wurden bereits ausführlich von Fred Hooker und Thomas G. Palaima behandelt,393 sodaß es hier genügt, die Ergebnisse dieser Untersuchung kurz zusammen zu fassen: Einige der in den beiden Texten aufscheinenden Wörter können – aber müssen nicht unbedingt – mit Bestandteilen eines Schiffes identifiziert werden. So ist in den Zeilen 2, 3 und 4 von ka-pi-ni-ja die Rede, welches mit griech. skaphos (Schiffsrumpf) in Zusammenhang stehen könnte und hier jeweils als Genitiv aufzufassen wäre. Die mit kapi-ni-ja jeweils in derselben Zeile genannten Begriffen wären demnach Bestandteile des Schiffes, von denen e-ru-mi-ni-ja (auch in Zeile 12) als elymniai (Querbalken) und ta-ranu-we (auch in Zeile 7) als thranyϝes (Ruderbänke) identifiziert werden könnten. Die in den Zeilen 6 in Vn 46 und 3 in Vn 879 genannten e-to-ki-ja sind wohl mit entoichia wiederzugeben und als Bestandteile der Schiffshaut (Beplankung) zu verstehen. Der Begriff piri-ja-o (Zeile 7) ist sicherlich als phliaon (Pfeiler, Pfosten) zu deuten und ki-wo (Zeile 12) 391 392 393

Zu den Typen spätmykenischer Schiffe siehe II 2.1. Vgl. Palaima, Maritime Matters 287f. Hooker, Palaima, Aegean Ships 297–339 und Palaima, Maritime Matters 295–301.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

entspricht griech. kion (Säule) und könnte in diesem Zusammenhang als ›Mast‹ verstanden werden. Die in Zeile 4 von Vn 879 genannten pa-ke-te-re könnten mit dem Verb pegnymi zusammenhängen und als ›Nägel‹ zu deuten sein. Die übrigen in den beiden Tafeln genannten Begriffe (oder zumindest der Großteil davon) dürften verschiedene zum Bau des Schiffes verwendete Hölzer bezeichnen, von denen möglicherweise pe-*65-ka (in Vn 879 Zeilen 1 und 2) als peuka (Pinie) zu deuten ist. Es muß nun eingestanden werden, daß der Inhalt dieser beiden Pylos-Tafeln bzw. die erwähnten Begriffe nicht unbedingt auf den Schiffsbau bezogen werden müssen, sondern auch die Materialien zum Bau oder zur Ausstattung eines Gebäudes bezeichnen könnten; es muß jedoch zumindest die Möglichkeit, daß die Texte ein Zeugnis für den pylischen Schiffbau darstellen, in Betracht gezogen werden, oder mit den Worten des Autors des zitierten Artikels: »Regardless of the actual purpose of the document, its most important contribution to the study of Mycenaean ship construction would be as a clear indication of palace interest of material aspects of shipbuilding«.394 Wenn diese Interpretationsvariante aber zutrifft, so ist es nicht zu bestreiten, daß diese Linear B-Tafeln auch mit der Militärorganisation des Reiches von Pylos zu tun haben. Die Erwähnung von Ruderbänken (ta-ra-nu-we) zeigt, daß es sich bei den Schiffen, deren Baumaterialien in den Tafeln aufgeführt werden, nicht um Rundschiffe, sondern um Langschiffe handeln muß, zu deren Fortbewegung – neben einem Mast – Ruderer notwendig waren. Solche Langschiffe dienten jedoch – wie schon weiter oben ausgeführt – vornehmlich als Kriegschiffe. Nun zurück zu den na-u-do-mo: Sie erscheinen in der Tafel Na 568 im übrigen nicht im Zusammenhang mit ihrer eigentlichen Profession. Vielmehr handelt diese Tafel von der Abgabe von Flachs oder Leinen bzw. der Befreiung (o-u-di-do-si) der Schiffsbauer von derselben. Dies bedeutet jedoch, daß auch diese Berufsgruppe neben ihrer namensgebenden Tätigkeit auch in die landwirtschaftliche und/oder handwerkliche Produktion involviert gewesen sein muß. Bei dieser Gelegenheit soll nun noch einmal auf die schon weiter oben kurz angesprochenen Na- und Ma-Serien der Pylos-Tafeln etwas ausführlicher eingegangen werden. Die Na-Serie verzeichnet Abgaben von Flachs/Leinen verschiedener Personengruppen oder vielmehr die Befreiung von den Abgaben bzw. von einem bestimmten Anteil der Abgaben. Gekennzeichnet ist dies durch Begriffe wie o-u-di-do-si (sie leisten keine Abgabe) eko-si (sie behalten bei sich) oder eine bestimmte Menge ist e-re-u-te-ra (eleuthera; frei).395 Ähnliches findet sich in der Ma-Serie, nur daß es sich hier um verschiedene Produkte der landwirtschaftlichen und handwerklichen Produktion handelt; außerdem werden in dieser Serie nicht nur die ›Befreiungen‹ von den Abgaben, sondern auch die eigentlich festgesetzten Abgabenmengen sowie die tatsächlich geleisteten Abgaben, der einzelnen Gruppen verzeichnet. Ein Vergleich der jeweils von den Abgaben gänzlich oder teilweise befreiten Gruppen in beiden Serien, ergibt ein ziemlich eindeutiges Bild. In der Na-Serie erscheinen als die am häufigsten von den Abgaben befreite Gruppe die (auch) im militärischen Einsatz dokumentierten Einheiten der ke-ki-de, ku-re-we, u-ru-pi-ja-jo, ko-ro-ku-ra-i-jo und i-wa-so 394 395

Palaima, Maritime Matters 307. Dazu ausführlich Chadwick, Documents 295–301, 468–470.

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

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mit insgesamt sieben Einträgen, gefolgt von den Schmieden (ka-ke-we) mit sechs Nennungen. Alle übrigen in der Na-Serie aufgeführten Gruppen werden jeweils nur einmal genannt: die Schiffsbauer (na-u-do-mo), die Pflanzer (pu2-te-re) und die Jäger (ku-na-ke-ta); abgesehen von einigen nicht deutbaren Gruppenbezeichnungen seien hier noch die ma-rate-we ra-wa-ke-si-jo genannt, also eine dem ra-wa-ke-ta in irgendeiner Weise nahestehende Gruppe. Möglicherweise bedeutet die Bezeichnung ma-ra-te-we soviel wie ›Kalfaterer‹ (mit griech. maltha verwandt),396 meint also eine Berufsgruppe, die für das Abdichten von Schiffsrümpfen zuständig war. In den Tafeln der Ma-Serie erscheint – von zwei Ausnahmen abgesehen – überhaupt nur eine Personengruppe als von den Abgaben befreit: die Schmiede mit insgesamt zehn Nennungen. Die beiden anderen abgabenbefreiten Gruppen sind eine militärische Einheit (kure-we) sowie ein Personenverband der ma-ra-ne-ni-jo hieß, der jedoch nicht näher zu bestimmen ist.397 Betrachtet man nun beide Serien zusammen hinsichtlich der von Abgaben befreiten Gruppen, so zeigt sich als gleichermaßen auffälliges wie eindeutiges Ergebnis, daß in der weitaus überwiegenden Anzahl der Fälle die Schmiede (16 mal) und die militärischen Einheiten (8 mal) von den üblichen Abgaben ausgenommen waren. Gemeinsam ist beiden Gruppen, daß sie mit dem Militärwesen in Verbindung standen, entweder direkt, wie die einzelnen Truppengattungen, die Dienst mit der Waffe tun mußten, oder indirekt, wie die Schmiede, die der Jn-Serie zufolge im Dienst der Waffenproduktion standen. Gleiches gilt wohl auch für die ebenfalls abgabenbefreiten Schiffsbauer und Kalfaterer,398 die beide zur Instandsetzung der pylischen (Kriegs-)Flotte gebraucht wurden. Der Verdacht liegt demnach nahe, daß gerade die ›militärische‹ Verwendung dieser Gruppen der Grund dafür war, daß sie von den Abgaben befreit wurden.399 Wie oben dargelegt, waren alle diese Gruppen ja auch in der landwirtschaftlichen und/ oder handwerklichen Produktion tätig, wofür sie natürlich Abgaben leisteten. Wenn sie jedoch – wie dies offensichtlich im Jahr der Entstehung der Pylos-Texte der Fall war – über das gewöhnliche Ausmaß hinaus von ihren militärischen Pflichten beansprucht waren, konnten sie die ihnen vorgeschriebenen Produktionsmengen wohl nicht oder zumindest nur teilweise erfüllen, weshalb ihnen dementsprechende Ausnahmereglungen zugestanden werden mußten. Geht man somit davon aus, daß die von den Abgaben befreiten Gruppen in irgendeiner Weise mit dem Militärwesen – als Truppen oder im Bereich der Waffenproduktion – in Verbindung zu bringen sind, so stellt sich allerdings die Frage, wie die ebenfalls abgabenbefreiten ›Pflanzer‹ (pu2-te-re) und ›Jäger‹ (ku-na-ke-ta) in dieses Schema passen und mit militärischen Belangen – wenn auch im weitesten Sinne – befaßt gewesen sein könnten. 396 397 398

399

Siehe Lindgren, People of Pylos 93. Lindgren, l.c. Bei den ma-ra-te-we spricht zusätzlich die Bezeichnung ra-wa-ke-si-jo für deren militärischen Kontext: Sie waren dem ranghöchsten militärischen Repräsentanten des Reiches von Pylos, dem ra-wa-ke-ta, zugeordnet. Siehe zum militärischem Kontext dieser Handwerker Palaima, Potter and Fuller 407–412. Dies vermutete schon Chadwick, Documents 474 aufgrund des Fundortes dieser Serie zusammen mit Listen über Streitwagen und Waffen.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

In der Tafel Na 248 ist die Gruppe der ku-na-ke-ta (Jäger) in ta-mi-ta-na ansässig, einem Ort, der in Mn 1409 mit einem anderen Ort, qe-re-me-[ in Verbindung steht; dieser Ort wiederum (qe-re-me-ti-wo) erscheint in der Tafel Cr 875 im Zusammenhang mit Rotwild.400 Es scheint diese Gruppe demnach in einem Gebiet beheimatet gewesen zu sein, in der Rotwild besonders häufig vorkam; möglicherweise hat man in ihnen auch nicht bloß Jäger zu sehen, sondern Leute, die – neben der üblichen landwirtschaftlichen Betätigung – mit der Pflege des Wildbestandes in einem bestimmten – wohl stark bewaldeten – Areal beauftragt worden waren. Inwieweit nun diese Gruppe mit militärischen Aufgaben in Verbindung zu bringen ist, bleibt unklar. Möglicherweise lag das (Wald-)Gebiet von ta-mi-ta-na in einer der militärisch neuralgischen Zonen an der Küste oder aber an der Nordgrenze des Pylischen Reiches, weshalb die dortigen ›Jäger‹ aufgrund ihrer naturgemäß ausgezeichneten Vertrautheit mit den Geländebedingungen dieses Waldgebietes zu militärischen Hilfsdiensten – etwa als Kundschafter und Führer – herangezogen wurden; vielleicht waren sie selbst auch zu eben diesem Zweck in einer eigenen militärischen Einheit organisiert und sind einberufen worden. Es sei jedoch betont, daß diese Überlegungen letztlich nur rein spekulativen Charakter haben können. Für die Gruppe der ›Pflanzer‹ (pu2-te-re) und deren Befreiung von Abgaben existiert nicht einmal eine solche Spekulation als Erklärung. Bemerkenswert ist lediglich, daß die Tafel Na 520 eine – sonst nicht übliche – Zusatzerklärung bietet, indem sie angibt, die Pflanzer ›machen kultivierbar‹ (ki-ti-je-si; vgl. ktizo).401 Da eine solche Tätigkeit eigenlicht als ›normale‹ Aufgabe von Pflanzern anzusehen ist, kann sie als Erklärung für die Abgabenbefreiung wohl nicht dienen, es sei denn, etwas Besonderes ist damit gemeint, wofür ja auch die Tatsache spricht, daß es eigens in der Tafel vermerkt wurde. Im Hinblick auf den – vermuteten – generell militärischen Kontext der Na-Serie müßten die pu2-te-re demnach (neues) Land kultivierbar gemacht haben, um etwas anzupflanzen, das in irgendeiner Weise militärischen Zwecken dienen konnte. Was dies allerdings war, muß wohl offen bleiben bis weitere Evidenz zur Verfügung steht. Erwähnt sei an dieser Stelle nur noch die Ansicht,402 es hätte – wie auch anderes, das in der Na-Serie verzeichnet ist – der Herstellung von Bogen gedient, zumal in der Tafel An 207 ja eine Personengruppe vermerkt ist, die als Bogenmacher (to-ko-so-wo-ko) bezeichnet wird. Interpretiert man nun die Abgabenfreiheit von Jägern und Pflanzern im Hinblick auf die Erzeugung von Bogen, so könnten die Jäger dazu verpflichtet worden sein, Rotwild in großer Stückzahl zu erlegen, um genügend Sehnen für die Bogen zu erhalten; die Pflanzer wiederum könnten auf neu erschlossenen Anbauflächen rasch wachsende, biegsame Hölzer zur Herstellung der Bogen gepflanzt haben. Doch ist auch diese Annahme um nichts weniger spekulativ als die zuvor geäußerte. Schließlich sei in diesem Zusammenhang noch die zuvor schon erwähnte Tafel An 1282 angesprochen:

400 401 402

Siehe dazu Lindgren, People of Pylos 90. So Chadwick, Documents 299 und Lindgren, People of Pylos 126. Chadwick, Documents 474.

2. Pylos-Texte zur Militärorganisation außerhalb der o-ka-Tafeln

An 1282 .1 a-qi-ja-i VIR 18 a-mo-si .2 ki-u-ro-i VIR 13 po-qe-wi-ja-i .3 do-ka-ma-i VIR 36 .4–5 vacant

245

VIR 18 VIR 5

Generell geht es in diesem Text um Gruppen von Männern, die einem bestimmten Zweck dienten und deshalb in der Liste verzeichnet wurden. Dieser Zweck ergibt sich deutlich aus der grammatikalischen Form der aufgeführten Substantiva. Es handelt sich nämlich ausnahmslos um Plural Dative, die zweifelsohne als finale Dative aufzufassen sind und mit ›für …‹ zu übersetzen sind. Nun zu den einzelnen Substantiva: a-qi-ja-i (Nom. a-qi-ja) ist wohl eine Verschreibung von i-qi-ja, der im Mykenischen üblichen Bezeichnung für den Streitwagen. In dieselbe Richtung deutet das zweite Wort der ersten Zeile a-mo-si, dem Dat. Plur. von a-mo: ›Rad‹. Dies gilt auch für das zweite Wort der zweiten Zeile: po-qe-wija-i (Nom. po-qe-wi-ja). Wie schon oben gezeigt steckt dahinter das Wort phorbeia: ›Pferdehalfter‹. Da diese drei Worte eindeutig in den Streitwagenkontext gehören, ist anzunehmen, daß auch die beiden letzten Worte, die nicht so einfach zu erklären sind, in diese Richtung zu interpretieren sind. Das Wort ki-u-ro-i (Nom. ki-ru-o) könnte mit dem bei Hesych nachweisbaren kiouros (›Korb‹) in Zusammenhang stehen403 und als Wagenkorb zu interpretieren sein, doch stehen dem eine sprachliche und eine sachliche Erwägung entgegen. Sprachlich ist gegen diese Interpretation einzuwenden, daß der griechische Laut ›ou‹ gewöhnlich nicht mit dem Zeichen für ›u‹, sondern mit dem für ›o‹ wiedergegeben wird. Dementsprechend hätte griech. kiouros im Mykenischen als ki-o-ro geschrieben werden müssen. Sachlich ist gegen die Deutung ins Treffen zu führen, daß mit dem Begriff i-qi-ja bereits der Wagen als solcher genannt ist, sodaß eine zusätzliche Nennung des Wagenkorbes überflüssig ist, doch beinhaltet i-qi-ja letztlich auch die Räder, die immerhin auch gesondert in der Tafel aufgeführt werden. Noch problematischer gestaltet sich die Deutung des letzten Wortes do-ka-ma-i (Nom. do-ka-ma). Möglicherweise ist do-ka-ma mit griech. dokos (›Balken‹) zu verbinden404 und meint bestimmte Holzteile des Wagens wie etwa die Deichsel, aber wohl nicht die Achsen – zumindest nicht diese allein –, da diese vielmehr mit dem Wort a-ko-so-ne (axones)405 bezeichnet werden. Denkbar wäre auch eine Ableitung von griech. dechomai (›fassen‹) zur Benennung von Wagenteilen, an denen man sich festhielt, wie z.B. den Handlauf am oberen Rand des Wagenkorbes. Keine dieser Deutungen stellt freilich mehr als eine vage Möglichkeit dar. Schließlich ist bei der Betrachtung dieser Tafel noch ein weiterer Gesichtspunkt zu beachten. Den einzelnen aufgeführten Wagenteilen ist jeweils eine bestimmte Anzahl von Männern – wohl zu deren Herstellung oder Bearbeitung – zugeordnet. Die ›Basiszahl‹ der zur Verfügung gestellten Arbeitskräfte beträgt offenbar 18 Personen. So viele werden je403 404 405

Siehe Bartonek, Handbuch 391. Chadwick, Documents 522. Bartonek, Handbuch 390

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

weils für die a-qi-ja-i und die a-mo-si abgestellt, während die ki-u-ro und die po-qe-wi-ja sich mit 13 und 5 Männern die Zahl offenbar teilen müssen. Besonders auffällig ist nun, daß für die do-ka-ma-i 36 Arbeitskräfte, also die doppelte Anzahl, vorgesehen sind, was wohl nur so zu deuten ist, daß die Herstellung bzw. die Bearbeitung der do-ka-ma sehr arbeitsintensiv war. Es muß also bei der Frage nach der Bedeutung von do-ka-ma ein Teil des Streitwagens oder etwas zum Streitwagen Gehöriges gesucht werden, dessen Herstellung sehr viele Arbeitskräfte benötigte. Halten wir fest: Es sind aufgeführt 18 Arbeitskräfte für die Rahmengestänge der Streitwagen (a-qi-ja-i), 18 für die Räder (a-mo-si), 13 für des Flechtwerk bzw. die Bespannung der Wagenkörbe (ki-u-ro-i), und 5 für das Zaumzeug (po-qe-wi-ja-i). Es verbleiben noch 36 Arbeiter für die do-ka-ma-i, worunter nur die noch nicht genannten Bestandteile der Streitwagen verstanden werden können. Noch nicht erwähnt wurden vor allem drei wesentliche Teile eines mykenischen Wagens: Die Achse, die doppelte Deichsel und das Joch der Zugpferde. Diesen drei Teilen gemeinsam ist der Umstand, daß alle aus massiven Stücken von Holz, also aus Stangen und dünnen Balken, gefertigt wurden. Diese Interpretation, so spekulativ sie sein mag, würde auch zu der sprachlichen Deutung passen, die – wie oben erwähnt – do-ka-ma mit griech. dokos (›Balken, Pfosten‹) in Verbindung bringt. Auch wenn diese Frage derzeit wohl nicht beantwortet werden kann, bleibt dennoch festzuhalten, daß es sich bei der Tafel An 1282 um eine Auflistung von Arbeitskräften handelt, die mit der Herstellung von militärischem Gerät, von Streitwagen und deren Zubehör beschäftigt waren. Dies ist nun ein weiterer Beleg für die ohnehin sehr wahrscheinliche Annahme, daß die Herstellung der Elitewaffe spätmykenischer Heere in der Verantwortung und unter der Aufsicht der Paläste gestanden hat.

3. Als Vergleich: Texte militär-organisatorischen Inhalts aus Knossos Vor dem Hintergrund der aus den Pylos-Tafeln gewonnenen Informationen über Struktur und Organisation des spätmykenischen Militärwesens soll nun versucht werden, die Linear B-Texte aus dem Palast-Archiv von Knossos auf diese Fragestellungen hin auszuwerten. Diese Tafeln – soviel sei schon jetzt festgestellt – bieten generell wesentlich weniger Informationen als die Texte aus Pylos und sind nur dann wenigstens bedingt aussagekräftig, wenn man in den Knossos-Texten fehlende aber zu einer schlüssigen Interpretation unbedingt nötige Punkte aus den Tafeln des Pylos-Archivs ergänzt. Eine solche Vorgehensweise ist zwar eo ipso sehr hypothetisch, doch scheint sie zu einem gewissen Grad dadurch berechtigt, daß die organisatorischen Verhältnisse in mykenischen Palaststaaten im Allgemeinen und die der Militärstruktur im Speziellen weitgehend vergleichbar sind und somit Interpolationen vorgenommen werden können.406 Dennoch bleiben dadurch viele Aussagen mehr oder weniger spekulativ.

406

Zu den Unterschieden zwischen der pylischen und der knossischen Verwaltung siehe Olivier, Administrations 11–18.

3. Als Vergleich: Texte militär-organisatorischen Inhalts aus Knossos

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3.1 Repräsentanten der Militärverwaltung 3.1.1 wa-na-ka Es ist wohl anzunehmen, daß der wa-na-ka auch in Knossos eine Position einnahm, die der des wa-na-ka im pylischen Staat entsprach, also gleichsam das ›Staatsoberhaupt‹ darstellte.407 Verglichen mit den pylischen Zeugnissen ist der wa-na-ka (einschließlich des entsprechenden Adjektivs wa-na-ka-te-ro) in Knossos allerdings nur sehr spärlich bezeugt. So kann der knossische wa-na-ka lediglich mit der Textilherstellung408 und der Produktion von Gewürzen409 in Zusammenhang gebracht werden.410 Ähnliches gilt nun auch für die militärischen Aspekte der Stellung des wa-na-ka. So fehlen etwa Hinweise darauf, daß der wa-na-ka von Knossos wie der von Pylos in die Heeresorganisation durch Zuteilung von Mannschaften eingebunden war. Andererseits ist ein Textzeugnis möglicherweise in der Lage den wa-na-ka von Knossos in wesentlich direkteren Zusammenhang mit militärischem Geschehen zu bringen als dies bei seinem pylischen ›Amtskollegen‹ der Fall ist. Die Tafel Vc(1) 73 – möglicherweise ein Duplikat411 der Tafel Vd 136 – beinhaltet nur ein Wort: wa-na-ka. Die Tafeln der Vc(1)-412Serie jedoch stehen ihrerseits in enger Verbindung zur Sc-Serie413 von Knossos, welche den Besitz (oder die Zuteilung) von Waffen, Streitwagen und Pferden an einzelne Personen registriert. Die Tafeln der Vc(1)-Serie, die jeweils nur einen Namen verzeichnen, könnten vielleicht diejenigen Personen verzeichnen, die über die vollständige Kampfausrüstung (einschließlich der Pferde) verfügten;414 unter diesen Personen befand sich aber der wa-na-ka, was wohl auf seine persönliche Teilnahme an allfälligen Kampfhandlungen im Verband der knossischen Streitwagenverbände deuten dürfte. 3.1.2 ra-wa-ke-ta Wie schon oben festgestellt wurde, hatte im Reich von Pylos ein Mann die zweithöchste Position im Staat inne, dessen wichtigste Funktion wohl die Leitung des pylischen Heeres war und der den Titel ra-wa-ke-ta trug. In den Tafeln des Archivs von Knossos taucht nun diese Bezeichnung nicht auf, lediglich das zu diesem Substantiv gehörende Adjektiv ra-wa-ke-sijo wird in drei Tafeln415 genannt. Hierbei handelt es sich um Abgaben- oder Zuteilungsmengen von Saatgetreide, d.h. die Bezeichnung bezieht sich offensichtlich auf das Land des ra-wa-ke-ta, das nach Ausweis der Pylos-Tafeln als temenos bezeichnet wurde und in dessen Eigentum stand. Ein viertes knossisches Textzeugnis (As 1516) schließlich nennt in Zeile 2 den Begriff rawa-ke-ja. Dieser möglicherweise zu ra-wa-ke-si-ja zu korrigierende Terminus könnte als 407 408 409 410 411 412 413 414 415

Grundlegend Carlier, Face du pouvoir 37–52. Lc(1) 525 und X 976. Ga(1) 675. Siehe Palaima, Wanaks and related Power Terms 4–67. Siehe Driessen, Chariot Tablets 213. Eingehend zu dieser Serie siehe Driessen, Scribes 126–165. Dazu genauer II 3.3. Siehe Carlier, Wa-na-ka 412 und Palaima, Wanaks and related Power Terms 7f. Xd 154, E 846 (in der vermutlich als Verschreibung zu wertenden Version ra-wa-e-si-jo) und E 1569.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

Abstraktum zu ra-wa-ke-ta das Amt an sich oder seine Funktion bzw. seinen Wirkungsbereich bezeichnen.416 Diese längste aller Knossos-Tafeln, deren erste Zeile aufgrund des defektiven Erhaltungszustandes unverständlich und die am Ende stark zerstört ist, stellt ein Verzeichnis von Männern dar, das in drei Sektionen unterteilt ist.417 Jeder Abschnitt beginnt mit der adjektivischen Nennung eines Ortsnamens (ko-no-si-ja, [ ]-ti-jo418 und se-toi-ja) und zählt sodann die Männer namentlich auf; am Ende jeder Sektion wird die Gesamtsumme der Männer genannt: (31 bzw. 23).419 In unserem Zusammenhang ist nun vor allem der jeweilige Eintrag jedes Abschnitts, der nach der geographischen Angabe steht, von Interesse. In der ersten Sektion lautet diese – wie schon gesagt – ra-wa-ke{-si}-ja, in der zweiten und dritten aber jeweils qa-si-re-wi-ja, was wiederum das Abstraktum (d.h. Funktion oder Amtsbereich) zum Beamtentitel des qa-si-re-u ist. Soweit sich demnach aus dieser Tafel ein Inhalt rekonstruieren läßt, scheinen in den Verwaltungsgebieten von Knossos, Setoia und einem dritten nicht sicher eruierbaren Ort Männer rekrutiert worden zu sein, wobei in Knossos der ra-wa-ke-ta, in den beiden anderen Orten jeweils ein qa-si-re-u dafür zuständig war. Wofür diese Männer aber abgestellt oder rekrutiert wurden, ist nicht sicher zu sagen, da die erste Zeile der Tafel, welche wohl die Angabe des Zweckes dieser Maßnahme beinhaltete, nicht erhalten ist. Listen, die – wie die vorliegende – Personen aufführen, sind nun sowohl aus Pylos als auch aus Knossos mehrfach vorhanden, wobei die meisten Personen (auch weibliche) anführen, die zu unterschiedlichen Arbeiten abgestellt oder eingeteilt waren. Auffallend an dieser Liste As 1516 ist nun die Nennung des ra-wa-ke-ta bzw. seines Kompetenzbereiches oder seines Gefolges. Unter allen aus Pylos oder Knossos bekannten Personenlisten und unter allen Nennungen von Personengruppen in den Tafeln dieser beiden Paläste wird nur in zwei Fällen – von dem vorliegenden abgesehen – der ra-wa-ke-ta zusammen mit Personengruppen (ob kumulativ genannt oder einzeln aufgeführt) erwähnt. Hierbei handelt es sich um die schon weiter oben besprochenen Pylostafeln An 724 und Na 245. Von diesen steht die eine (Na 245), welche die Abgabenbefreiung von Kalfaterern der pylischen Flotte verzeichnet, möglicherweise, die andere (An 724) sicherlich in militärischem Kontext. Letztere handelt – wie oben ausführlich dargestellt – von Ruderern für pylische Kriegsschiffe, welche nicht zum Dienst abgestellt worden waren. Unter den genannten mit militärischen Belangen befaßten Personen, denen diese Ruderer fehlten, befand sich auch der rawa-ke-ta, d.h. einige dieser Ruderer fielen in den Funktionsbereich des ra-wa-ke-ta. Der Verwendungszweck (Ruderdienst) der in dieser pylischen Tafel verzeichneten Männer geht übrigens nur aus der ersten Zeile des Textes hervor. Aufgrund dieser – zugegebenermaßen spärlichen – Parallelen besteht die Wahrscheinlichkeit, daß auch die Knossostafel As 1516 in militärischem Kontext zu sehen ist. Demnach wären in drei kretischen Bezirken Männer für den Militärdienst rekrutiert worden, wobei für Knossos selbst der ra-wa-ke-ta, für Setoia und den dritten Ort jeweils ein qa-sire-u zuständig waren. Ob diese Männer zum Dienst im Heer oder in der Flotte verpflichtet wurden, ist natürlich nicht zu sagen, und es ist auch denkbar, daß es sich bei dieser Liste – 416 417 418 419

So Chadwick, Documents 171. Zu dieser Tafel siehe ausführlich Driessen, Grande Tablette 169–193. Vielleicht zu ku-ta-ti-jo zu ergänzen; siehe Chadwick, Inscriptions from Knossos II 149. Das Ende und somit die Gesamtzahl der Männer der dritten Sektion ist nicht erhalten.

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parallel zur Pylostafel An 724 – um ein Verzeichnis von ›Fehlbeständen‹ handelt. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit hat vielleicht auch die Annahme,420 daß es sich bei den in dieser Tafel verzeichneten Männern um die aus dem Zuständigkeitsbereich bzw. der Entourage der ra-wa-ke-ta und zweier qa-si-re-we gebildete militärische ›Garde‹ des Herrschers von Knossos handelt.421 Schließlich – und dies soll nochmals betont werden – besteht trotz der gezeigten Parallelen und der auf eine militärische Verwendung deutenden Überlegungen natürlich auch die Möglichkeit, daß diese Tafel überhaupt nichts mit dem knossischen Militär (oder der Flotte) zu tun hat, sondern Männer zum ›zivilen‹ Arbeitsdienst beordert; in diesem Fall wäre jedoch zu klären, warum der ra-wa-ke-ta, und zwar nicht als Person, sondern in seiner Amtsbefugnis (ra-wa-ke{-si}-ja) oder durch sein Gefolge, mit diesem Vorgang befaßt war. Sieht man diese Liste aber in militärischem Kontext, so ist der bemerkenswerte Umstand festzuhalten, daß außerhalb des Palastbereichs offenbar auch primär zivile Beamte der lokalen Verwaltung, wie etwa der qa-si-re-u, in die Militärorganisation eingebunden waren und Aufgaben hatten, die sonst dem ra-wa-ke-ta zukamen. Wenn eben hinsichtlich der Obliegenheiten des ra-wa-ke-ta des Reiches von Pylos darauf hingewiesen wurde, daß er auch für die Bereitstellung von Rudermannschaften für die pylische Flotte zuständig war, so sei in diesem Zusammenhang erwähnt, daß ähnliches auch für knossische ra-wa-ke-ta gelten könnte. Wie gezeigt waren diese ebenfalls für die Stellung von Mannschaften – zu welchem Dienst auch immer – verantwortlich. Nun existiert auch eine Mannschaftsliste (As(1) 5841), die ganz offensichtlich e-re-ta, also Ruderer verzeichnet.422 Aufgrund des fragmentarischen Zustands der Tafel kann nicht gesagt werden, zu welchem Zweck diese Ruderer aufgelistet wurden, oder wer für deren Bereitstellung verantwortlich war, doch besteht die Möglichkeit, daß in Knossos ebenso wie in Pylos die Organisation der Ruderer (auf den Kriegsschiffen) zum Aufgabenbereich des ra-wa-ke-ta gehöre. 3.1.3 me-nu-wa Wie schon oben festgestellt, handelt es sich bei me-nu-wa, der auch in zwei Pylostafeln (An 724 und An 218) Erwähnung findet, wahrscheinlich um den Titel eines mit militärischen Belangen befaßten Beamten, dessen Stellung immerhin so hoch war, daß er in PY An 724 zusammen mit dem wa-na-ka und dem ra-wa-ke-ta genannt wird; möglicherweise war er ein Flottenbefehlshaber oder Kommandant des wichtigsten Hafens in Messenien. Analog zu den Verhältnissen im Reich von Pylos könnte der dreimal auch in Tafeln aus Knossos genannte me-nu-wa in Kreta ebenfalls ein Beamter mit hoher militärischer Funktion gewesen sein. Die drei knossischen Texte geben darüber allerdings nur wenig Aufschluß. In der Tafel Xd 7702 erscheint überhaupt nur das Wort me-nu-wa. Die beiden anderen Texte haben wenigstens einen gewissen militärischen Bezug: In Sc 238 erscheint me-nu-wa als Empfänger eines Panzers und eines Streitwagens und die Tafel V 60 verzeichnet abgesehen von mehreren offensichtlichen Personennamen neben me-nu-wa auch noch einen Mann namens wo-di-jo, der (mit offenbar nachträglich eingefügten kleineren Schriftzeichen) als a-ni-o-ko, also als ›Wagenlenker‹ (aniochos=eniochos) bezeichnet wird. 420 421 422

So Driessen, Grande tablette 192f. Vgl. Chadwick, Documents 515. Siehe hierzu Killen, Followers 265f.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

Ähnlich wie in Sc 238 ist demnach auch hier ein gewisser militärischer Bezug, genauer gesagt einer zu den Streitwagen, gegeben. Welche Funktion der me-nu-wa in Knossos jedoch im Speziellen ausübte, kann angesichts der dürftigen Zeugnisse nicht gesagt werden. Außerdem muß natürlich auch die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, daß es sich bei me-nu-wa in Knossos nicht um einen Titel, sondern lediglich um einen Personennamen handelt. Die Liste in V 60, in der sonst nur Personennamen erscheinen, spricht für diese Annahme, der Vergleich mit den Pylostafeln, die me-nu-wa erwähnen, deutet allerdings eher auf einen Beamtentitel hin.423 3.1.4 e-qe-ta Als Streitwagenkämpfer sicherlich dem militärischen Bereich zuzuordnen sind die in den Knossostafeln erwähnten e-qe-ta.424 Vor allem drei Tafeln sind für unsere Belange von größerem Interesse: As 4493 .1 ]-e-pi-ko-wo e-qe-ta e-re-u-te-[ .2 ]-da-mo e-ro-pa-ke-u VIR 1 ko-ki-[ .3 ]-jo ra-wo-po-qo ze-ro-[ Das erste erhaltene Wort dieser Tafel e-pi-ko-wo macht einen militärischen Kontext dieses aufgrund seines Erhaltungszustandes nur schwer zu deutenden Textes sehr wahrscheinlich,425 zumal e-pi-ko-wo (epikouroi) schließlich in der ›Überschrift‹ der o-ka-Tafeln steht und dort soviel wie ›militärische Wachtposten‹ bedeutet. Der Begriff e-re-u-te-[ (vgl. griech./kret. ereutas) wiederum ist in der Bedeutung von ›Aufseher‹ aus den Pylostafeln Cn 3 und Wa 917 bekannt, in denen – wie in der hier vorliegenden Knossostafel auch – jeweils ein e-qe-ta diese Funktion ausübt. Allerdings tut der e-qe-ta dies in der Pylostafel Cn 3 nicht in militärischer Funktion, sondern offenbar zur Kontrolle von Abgaben, die jedoch immerhin von Truppenkörpern, also militärischen Einheiten, geleistet werden. Im Lichte dieser einigermaßen sicher zu eruierenden Fakten läßt sich der generelle Inhalt dieser Tafel – vermutungsweise – rekonstruieren: Es geht um Wächter, vielleicht solche, die – analog zu den pylischen Verhältnissen – bestimmte Abschnitte der Küste zu bewachen hatten. Ähnlich wie in den o-ka-Tafeln gab es auch e-qe-ta426 bei diesen Wachmannschaften, die eine gewisse Kontrollfunktion auszuüben hatten. Obwohl sich nicht mehr aus diesem Dokument herauslesen läßt, so ist doch aus den wenigen erkennbaren Informationen eine gewisse Nähe – den Zweck und die Organisation betreffend – zu den pylischen o-ka-Tafeln erkennbar. Trotz der vorgestellten Argumente kann jedoch ein nichtmilitärischer Inhalt der Tafel As 4493 nicht ganz ausgeschlossen werden, da – wie schon ge423 424

425 426

So auch Uchitel, Charioteers 52. Diese Personengruppe wurde eingehend von Deger-Jalkotzy, E-QE-TA 83–105 behandelt; die weiteren Ausführungen zu dem e-qe-ta hier stützen sich großteils auf diese Untersuchungen und können daher kurz gehalten werden. Driessen, MacDonald, Military Aspects 53–55. Aus der Schreibung e-qe-ta geht nicht hervor, ob es sich um den Nominativ Singular oder Plural handelt; behält man den generellen Sinn im Auge, so ist der Plural allerdings wahrscheinlicher.

3. Als Vergleich: Texte militär-organisatorischen Inhalts aus Knossos

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sagt – e-qe-ta zuweilen auch Aufsichtsfunktionen bei zivilen Angelegenheiten wahrnehmen konnten.427 B 1055 .1 ko-no-si-jo e-qe-ta .2 pi-sa-wa-ta VIR [ ]-se[ .3 wo-si-jo-ne VIR [ 2 Zeilen fehlen .6 ] VIR 1 e-ko-te[ .7 ]wi-[ ] VIR 1 me-tu[ .8 ]-ma-ro VIR 1 .9 to-so pa-teVIR 213 Die erste Zeile der Tafel zeigt, daß es sich hierbei um eine Auflistung von e-qe-ta handelt, die dadurch näher charakterisiert sind, daß sie aus Knossos kommen. Die folgenden Zeilen scheinen Personennamen mit dem Ideogramm für ›Mann‹ sowie – in den erhaltenen Passagen – das Zahlzeichen ›eins‹ aufzuweisen. Berücksichtigt man den zur Verfügung stehenden Platz auf der Tafel sowie die räumliche Verteilung der erhaltenen Schriftzeichen, so kommt man zum Schluß, daß in jeder Zeile – von den letzten beiden abgesehen – jeweils zwei Personennamen (einschließlich Ideogramm und Zahlzeichen) gestanden haben dürften. Interpoliert man dieses Schema weiters auf die beiden vollständig zerstörten Zeilen, so ergibt sich eine Gesamtzahl von zwölf Namen plus einem dreizehnten in der achten Zeile der Tafel (]-ma-ro). Soweit scheint der Sinn dieses Textes klar zu sein: Die ›Überschrift‹ kündigt ›knossische e-qe-ta‹ an, die in den Zeilen zwei bis acht namentlich genannt werden. Auf den ersten Blick erstaunlich ist nun die Aussage der letzen Zeile: ›so viele insgesamt 213 Männer‹. Nun findet sich eine solche zusammenfassende Gesamtzahl des öfteren am Ende von Listen, die Zahlenangaben beinhalten, und zwar sowohl bei der Auflistung von Produktionsmengen als auch beim Verzeichnis von Tieren oder Menschen. Das Besondere an dieser Liste ist nun, daß die Gesamtzahl (213) mit den einzeln vermerkten Personen (13) bei weitem nicht übereinstimmt. Man könnte nun vermuten, daß diese – wie gesagt stark zerstörte – Liste ursprünglich mehr Namen beinhaltet hat, doch verbietet sich diese Annahme durch die Tatsache, daß sowohl die erste (Überschrift) als auch die letzte Zeile (Gesamtzahl) erhalten sind.428 Die erste Zeile mit der Überschrift spricht auch dagegen, daß die vorliegende Tafel nur eine (die letzte) einer ganzen Serie gewesen wäre, welche insgesamt 213 knossische eqe-ta verzeichnete. Denkbar wäre lediglich, daß eine solche Serie von Tafeln kretische e-qeta insgesamt und die erhaltene Tafel eben nur diejenigen aus Knossos verzeichnete, am Ende aber die Gesamtzahl aller e-qe-ta vermerkte. In diesem Falle wäre es aber ebenso seltsam wie unwahrscheinlich, daß von 15 bis 20 anzunehmenden Tafeln dieser Serie nur eine einzige (die letzte und wichtigste) auf uns gekommen ist. 427 428

So nimmt beispielsweise Melena, Textiles 37f. an, es handle sich bei diesen e-qe-ta um Aufseher im Zusammenhang mit der Erzeugung von Textilien. Abgesehen davon, daß in diesem Falle die Tafel etwa 16mal so lang gewesen sein müßte, was mehr als ungewöhnlich wäre.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

Somit bleibt als letzter Lösungsvorschlag nur die Annahme, daß die ›Überschrift‹ und die am Ende genannte Gesamtzahl sich nicht auf dieselben Personen beziehen. Demnach würde die ›Überschrift‹ die im folgenden einzeln namentlich genannten e-qe-ta ankündigen, während die Gesamtzahl eine wesentlich größere Zahl von Personen und nicht nur die e-qe-ta vermerkt. Wenn dem aber so ist, so dürfte auch die ›Ähnlichkeit‹ der beiden Zahlen (13 e-qe-ta, 213 Mann insgesamt) kein Zufall sein. Zieht man nämlich die Anzahl der e-qeta von der Gesamtzahl ab, so bleibt die sehr runde Zahl von 200 Mann bestehen. An dieser Stelle sei nun daran erinnert, daß die Mannschaftsstärken der einzelnen in den pylischen oka-Tafeln verzeichneten Truppen sich zwar sehr stark von einander unterscheiden, daß aber jede angegebene Zahl ein Vielfaches von 10 darstellt. Dies dürfte wohl darauf hindeuten, daß der Einteilung mykenischer Heere grundsätzlich das Dezimalsystem zugrunde lag und somit bei der Angabe von Truppenstärken solche runden Zahlen zwangsweise aufscheinen müssen. Im vorliegenden Fall würde dies bedeuten, daß den 13 knossischen e-qeta zudem noch 200 Mann (wohl Infanterie) zugeteilt waren. Über den Zweck dieses Mannschaftsverzeichnisses kann mangels irgendwelcher Angaben im Text nur spekuliert werden. So ist nicht klar, ob die verzeichneten e-qe-ta den 200 Mann beigegeben waren, was etwa eine Parallele zu den in den o-ka-Tafeln – wie oben dargelegt wurde – darstellen würde, oder ob die e-qe-ta als Kommandanten oder Kontrollorgane der Mannschaft fungierten, was wiederum mit den Verhältnissen im Einklang stünde, wie sie die eben besprochene Knossostafel As 4493 nahelegt. Auf jeden Fall besteht ein signifikanter Unterschied zwischen den in dieser Tafel verzeichneten militärischen Gegebenheiten und den generell vergleichbaren Heeresstrukturen, wie sie aus den o-ka-Tafeln zu entnehmen sind. In den einzelnen o-ka von Pylos sind etwa 800 Mann versammelt, denen insgesamt 12 e-qe-ta beigegeben sind, was einem Zahlenverhältnis von 67:1 entspricht, während die 13 e-qe-ta von Knossos mit ihren 200 Mann ein Verhältnis von 15:1 repräsentieren. Schon aus diesem Grund sind wohl die in dieser Tafel aufgeführten knossischen Truppen hinsichtlich ihres Verwendungszwecks nicht ganz mit den o-ka-Kontingenten von Pylos und ihren Aufgaben vergleichbar. Es kann demnach nicht vorbehaltlos der Ansicht beigepflichtet werden, daß diese Truppen zur Küstenverteidigung im Raum Knossos eingesetzt wurden.429 Ähnliches gilt auch für die Kommandostruktur dieser Einheiten, wenn man unter Zuhilfenahme der Tafel As 4493430 die e-qe-ta als Kommandeure oder auch als Aufseher der übrigen 200 Mann ansieht.431 Die pylischen e-qe-ta in den o-kaTafeln haben – wie oben ausführlich dargelegt wurde – ganz deutlich völlig andere Aufgaben. In anderer Hinsicht sind die Verhältnisse der pylischen Militärorganisation jedoch sehr wohl mit denen der knossischen vergleichbar. Die dezidierte Angabe der Tafel B 1055, daß es sich bei den verzeichneten e-qe-ta um solche aus Knossos handelt, legt den zwingenden Schluß nahe, daß es auch e-qe-ta gab, die nicht in der Hauptstadt Knossos selbst, sondern in anderen Teilen Kretas stationiert waren und ihren Militärdienst versahen, was – wie oben zu zeigen versucht wurde – genau den Verhältnissen im Reich von Pylos entspricht. Ob allerdings diese kretischen e-qe-ta ebenso wie die pylischen für ihren Militärdienst außerhalb 429 430 431

So Deger-Jalkotzy, E-QE-TA 97. Zur Interpretation dieser Tafel siehe auch Killen, Followers 263–266. Zur anderen Funktion knossischer e-qe-ta vgl. auch Shelmerdine, Mycenaean Society 131.

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der Hauptstadt mit abgabenfreiem Land (ka-ma) entlohnt wurden, muß freilich offen bleiben. Am 821 .1 ]-ra-jo, e-qe-ta-e, e-ne-ka, e-mi-to VIR 2 ki-ta-ne-to, su-ri-mo, e-ne-ka, o-pa VIR 1 .2 si-ja-du-we, ta-ra, i-je[-re]-u, po-me, e-ne-ka, o-pa X VIR 1 ko-pe-re-u, e-qe-ta, e-kisi-jo VIR 1 Auch dieser vergleichsweise vollständig erhaltene Text bietet eine Auflistung von Personen. In zwei Zeilen sind insgesamt fünf Personen verzeichnet, die man zwei unterschiedlichen Gruppen zuordnen kann. An der ersten und der letzten Stelle sind die Personen erwähnt, die hier in erster Linie von Interesse sind, nämlich e-qe-ta: Als erste sind zwei e-qe-ta genannt (sowohl durch den Dual e-qe-ta-e als auch durch das Ideogramm ›Mann‹ mit dem Zahlzeichen ›zwei‹ bestimmt), die offenbar durch einen Ortsnamen in adjektivischer Form ( ]-ra-jo) näher charakterisiert sind. An der letzten Stelle ist es nur ein e-qe-ta der sowohl durch seinen Namen (ko-pe-re-u) als auch – wie die e-qe-ta in der ersten Zeile – durch einen Ortsnamen (e-ki-si-jo=Adj. zum zentralkretischen Ort e-ko-so) bestimmt ist. Zwischen diesen e-qe-ta sind zwei Personen erwähnt, ein Mann namens ki-ta-ne-to aus dem Distrikt su-ri-mo, der auch als Besitzer von Schafen im selben Distrikt bekannt ist,432 sowie ein Mann, der wohl ta-ra hieß und als Priester (i-je-re-u) und Besitzer von Vieh – vielleicht Schafen – (po-me)433 in si-ja-du-we434 bekannt ist. Beide hatten offenbar primär keine militärischen Funktionen, sondern waren vor allem Besitzer von Viehherden, wobei ta-ra zudem auch priesterliche Funktionen hatte. Zusätzlich zur Nennung des Namens und der Ortsangabe wird zu den einzelnen Personen – abgesehen von der letzten (ko-pe-re-u) – jeweils noch eine Information gegeben, nämlich die Angabe des Grundes (mit e-ne-ka=›wegen‹) eingeleitet, weshalb die einzelnen Personen Aufnahme in der Liste fanden. Und hier ist nun der zweite Unterschied zwischen den beiden Gruppen festzustellen. Während sich bei den Herdenbesitzern ki-ta-ne-to und ta-ra die Wortkombination e-ne-ka o-pa findet, wird bei den am Beginn der Tafel genannten e-qe-ta die Wendung e-ne-ka e-mi-to gebraucht; für den e-qe-ta ko-pe-re-u existiert – wie gesagt – keine solche Information, kann aber vielleicht analog zu den ersten beiden eqe-ta extrapoliert werden. Das Wort o-pa ist nun sprachlich nicht befriedigend zu erklären, inhaltlich kann jedoch aus dem Zusammenhang der Texte, in denen dieses Wort auftaucht, erschlossen werden, daß es wohl in das Wortumfeld ›Abgabe, Abgabenpflicht, Leistungsverpflichtung‹ gehören dürfte. Die Silbenfolge e-mi-to hingegen ist am glaubhaftesten mit emmisthos zu identifizieren und bedeutet somit ›jemand, der Sold oder Lohn empfängt‹. Dies bedeutet nun, daß die Viehzüchter ta-ra und ki-ta-ne-to wegen bestimmter zu erbringender Abgaben oder Leistungen auf der Tafel vermerkt sind, während die beiden ›namenlosen‹ e-qe-ta – und wohl auch der e-qe-ta ko-pe-re-u – wegen Männern, die Sold oder Lohn empfingen, in diesem offenbar einzigartigen Dokument erwähnt werden. 432 433 434

So in der Knossos-Tafel Da 1108. Hier ist po-me wohl nicht als ›Hirte‹, sondern vielmehr als ›Viehzüchter‹ zu verstehen. Dieser Distrikt scheint in den Knossos-Tafeln häufig als Standort von Schafherden auf; vgl. Dl 930, Dl 933 und Dl 946.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

Trotz des guten Erhaltungszustandes der Tafel geht allerdings aus dem Text nicht hervor, zu welchem Zweck diese Liste archiviert wurde, d.h. wofür die genannten Männer Lohn empfingen, was die Aufgabe der e-qe-ta war und welche Abgaben oder Leistungen genau unter den o-pa zu verstehen sind. Sigrid Deger-Jalkotzy 435 hat hierfür eine – in sich sehr schlüssige – Interpretation angeboten: Die beiden Viehzüchter (d.h. Schafzüchter) hatten Schafe oder Produkte derselben (Wolle) dem Palast abzuliefern, während die drei eqe-ta als Aufseher der für diese Arbeiten (Schafschur) angeworbenen Lohnarbeiter zu fungieren hatten. Die Tafel Am 821 hätte demnach keine für das Militärwesen von Knossos relevante Bedeutung, und auch die erwähnten e-qe-ta schienen nicht in militärischer, sondern in ziviler Funktion innerhalb des Wirtschafts- und Verwaltungssystems des Palastes in diesem Dokument auf. Man könnte – ohne die Fakten an sich zu ändern oder die Einzelinterpretation bestimmter Wörter anzuzweifeln – diesem Text jedoch einen anderen (naturgemäß ebenso spekulativen) Sinn unterlegen: Diese Interpretation geht in erster Linie von der Bedeutung des Wortes e-mi-to (emmisthos) aus. Diesem erst seit dem späten 5. Jh. bezeugten Wort liegt das – schon bei Homer belegbare – misthos (Lohn, Sold) zugrunde, das ursprünglich eine allgemeinere Bedeutung hatte, mit der Zeit aber stark auf den militärischen Bereich eingeschränkt wurde, d.h. auf die Bedeutung von Lohn für militärische Dienste, sodaß ›Empfänger von misthos‹, die misthophoroi zum terminus technicus für ›Söldner‹ wurden. Nun ist zwar anzunehmen, daß im mykenischen Griechisch diese Einschränkung noch nicht existierte und misthos demnach die unspezifische Bedeutung von ›Lohn‹ gleich welcher Art und für welchen Dienst hatte, doch ist es andererseits wohl auch nicht sehr wahrscheinlich, daß eine Einschränkung der Bedeutung dieses Wortes dahingehend existierte, daß der Lohn für Kriegsdienst nicht ebenfalls misthos genannt wurde. Der in dieser Knossostafel verwendete Begriff e-mi-to (emmisthos) könnte demnach auch in der Bedeutung von misthophoros (Söldner) gebraucht worden sein, womit die Tafel selbst nun in militärischem Kontext zu sehen wäre. Söldner sind nun im 14. und 13. Jh. v.Chr. ein wohlbekanntes und weitverbreitetes Phänomen in der Welt des östlichen Mittelmeeres. Vor allem das Pharaonenreich beschäftigte zahlreiche Söldner als Elitetruppen,436 von denen die Sherdana437 wohl die bekanntesten sind.438 Für die Verwendung von Söldnern im Gebiet der mykenischen Palaststaaten liegt allerdings keine direkte (schriftliche) Evidenz vor, kann allerdings für das Ende der Palastzeit archäologisch aus der weiten Verbreitung von Waffen, die nicht aus der mykenischen Welt stammen, erschlossen werden.439 Lediglich auf Kreta sind nachweisbar schon im 14. Jh. nubische Söldner als Resultat der Beziehungen des Herrschers von Knossos zu Pharao Amenophis III. vorhanden gewesen.440 435 436 437 438 439 440

Deger-Jalkotzy, E-QE-TA 90f. Drews, End of the Bronze Age 151. Vgl. Drews, End of the Bronze Age 91. Schon früher dienten Sherdana als Söldner in Byblos und Ugarit; siehe Haider, Griechenland 53, 57, 71. Siehe hierzu Catling, Bronze Sword 121 und Drews, End of the Bronze Age 64. Siehe Haider, Griechenland 44f.

3. Als Vergleich: Texte militär-organisatorischen Inhalts aus Knossos

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Es ist demnach durchaus wahrscheinlich oder sogar anzunehmen, daß im 14. und 13. Jh. v.Chr. in Knossos Söldner beschäftigt wurden,441 und sprachlich wie inhaltlich spricht wohl nichts dagegen, daß diese Söldner in den Aufzeichnungen des Palastes als e-mi-to, also schlichtweg als Lohnempfänger bezeichnet wurden. Um auf Grundlage dieser Annahme eine Gesamtsicht der Tafel Am 821 zu erlangen, muß zunächst noch einmal der Blick auf die anderen Personen dieser Liste, d.h. auf die nicht als e-qe-ta gekennzeichneten Männer, gerichtet werden. Wie schon oben festgestellt, unterscheiden sich die Passagen, die diese Männer zum Inhalt haben, unter anderem dadurch, daß sie e-ne-ka o-pa hier aufgelistet wurden. Der Begriff o-pa bezeichnet – wie gesagt – eine Verpflichtung zu einer Abgabe oder einer Leistung. Eine genauere Definition dieses Begriffs verdanken wir den Arbeiten von José L. Melena 442 und – auf diesem fußend – John T. Killen:443 Demnach bezeichnet o-pa (=hopa) – von Verbum hepo (behandeln) abgeleitet – die Verpflichtung, eine bestimmte Leistung zu erbringen, die in allen Fällen darin besteht, ein ›gebrauchsfertiges Produkt‹ abzuliefern. So bezeichnet o-pa etwa im Zusammenhang mit Streitwagen nicht die Verpflichtung, solche Wagen herzustellen, sondern sie in einen verwendungsfähigen Zustand zu versetzen. Ähnliches gilt für Waffen aller Art oder auch Textilien. Schwerer zu deuten sind Texte, in denen o-pa im Kontext mit Tieren (vor allem Schafen) auftaucht; hier dürfte o-pa bedeuten, daß die hierzu verpflichteten Personen Schafe in einem Zustand abliefern mußten, der es erlaubte, die Tiere einer bestimmten Verwendung (Schlachtung, Opfer) zuzuführen.444 Auf die vorliegende Tafel Am 821 angewandt bedeutet dies, daß die hier zu o-pa verpflichteten Personen (ki-ta-ne-to und ta-ra) – zumal es sich bei ihnen um Viehzüchter handelt – Schafe (oder andere Tiere) aufziehen und abliefern mußten, um sie einer speziellen Verwendung zuführen zu können. Sieht man nun die Tafel Am 821 – wie oben insinuiert – als militärgeschichtliches Dokument, so könnte dies bedeuten, daß diese Tiere entweder zur Ernährung der in der ersten Zeile angeführten Söldner (e-mi-to) dienen sollten, oder aber daß bestimmte von diesen Tieren gewonnene Produkte wie Wolle oder Leder zur Ausrüstung dieser Söldner bestimmt waren. Es sei an dieser Stelle jedoch auf einen Umstand aufmerksam gemacht, der vielleicht von Bedeutung sein könnte. Das Wort o-pa taucht in insgesamt 22 Linear B-Tafeln auf, von denen lediglich in drei der Kontext aufgrund des fragmentierten Zustandes der Tafeln unklar ist. Von den verbleibenden 19 Zeugnissen, ist aus jedem einzelnen ganz deutlich ersichtlich, worauf sich o-pa bezieht, ersichtlich dadurch, daß das jeweilige ›Produkt‹, das in verwendungsfähigem Zustand abgeliefert werden soll, durch ein Ideogramm (Wagen, Rad, Speer, Wolle, Schaf, Ziege etc.) angegeben ist. Lediglich in unserer Tafel Am 821 kann dieses ›Produkt‹ – mangels Ideogramm – dem Text selbst nicht entnommen werden, sondern muß – wie oben ausgeführt – aus der Tatsache erschlossen werden, daß es sich bei den zu o-pa verpflichteten Männern um Viehzüchter handelt, weshalb es sich wohl um Tiere (Schafe) oder aber um Wolle oder Leder gehandelt haben wird. Es stellt sich nun die berechtigte Frage, 441 442 443 444

Die aus einem Fresco im Palast von Knossos bekannte ›Nubiergarde‹ hält allerdings einer näheren Überprüfung kaum stand; siehe Blakolmer, Ethnizität und Identität 29–31. Melena, Mycenaean o-pa 258–286. Killen, Mycenaean o-pa 325–341. Siehe hierzu auch Sacconi, o-pa nei testi micenei 691–706.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

weshalb in Am 821 nicht wie in allen anderen Texten, die von o-pa handeln, das entsprechende Ideogramm für Schaf, Wolle oder Leder vermerkt ist. Dies ist um so befremdlicher, als es sich bei dieser (fehlenden) Information ja nicht um ein ›Nebenprodukt‹ des Verzeichnisses handelt, sondern – neben der Nennung der namentlich erwähnten Personen – um den Hauptinhalt des Textes. Eine mögliche Erklärung für diesen seltsamen Umstand könnte vielleicht darin liegen, daß die o-pa gar nichts mit dem Beruf (also Viehzüchter) der beiden Personen ki-ta-ne-to und ta-ra zu tun haben und sich vor allem auch nicht auf ein einziges Produkt beziehen, das durch ein Ideogramm hätte angegeben werden können. Möglicherweise bestand die Verpflichtung der beiden Männer nämlich darin, den in der ersten Zeile erwähnten und unter der Aufsicht von drei e-qe-ta stehenden Söldnern eine komplette Ausrüstung einschließlich der Waffen, der Kleidung und der Verpflegung zur Verfügung zu stellen. Dies würde jedoch bedeuten, daß diesen beiden – offenbar sehr wohlhabenden – Personen die Verpflichtung auferlegt worden war, sämtliche Kosten für die Söldner (abgesehen vom Sold selbst) zu übernehmen, und für den tadellosen Zustand ihrer Ausrüstung zu sorgen; diese komplexe Verpflichtung aber war natürlich nicht durch ein einziges Ideogramm – oder auch durch mehrere – abbildbar. Es sei daher – gleichsam als militärisches Gegenstück zur Interpretation von DegerJalkotzy – folgende Deutung der Tafel Am 821 vorgeschlagen: Es wird in diesem Text festgehalten, daß drei e-qe-ta für eine besondere Art von Truppen verantwortlich sind, nämlich für Söldner. Für die Ausrüstung und vielleicht auch die Verpflegung dieser Soldaten aber werden zwei Männer herangezogen, die es sich aufgrund ihres Reichtums als Herdenbesitzer leisten können, dieser Verpflichtung nachzukommen. Man hätte es demnach – mutatis mutandis – mit einer Art von Leiturgiesystem zu tun, bei dem gewisse für den Staat notwendige Leistungen (vor allem auf militärischem Gebiet) nicht von diesem selbst (oder in diesem Fall vom Palast) übernommen wurden, sondern von einzelnen wohlhabenden Privatpersonen. Unter dieser Voraussetzung wäre die Tafel Am 821 auch ein Beleg dafür, daß in den mykenischen Reichen – oder zumindest im Reich von Knossos – drei unterschiedliche Systeme der Heeresorganisation nebeneinander existiert haben: Zum einen gab es Berufssoldaten, allen voran die Streitwagentruppen, deren Ausrüstung und Lebensunterhalt vom Palast bestritten wurde, sei es durch direkte Zuwendungen oder durch Zuweisungen von landwirtschaftlich nutzbarem Land, aus dem diese Aufwendungen bestritten werden konnten. Zum zweiten – und dies bildete wohl die Mehrheit – existierte ein Milizsystem,445 das aus den im Bedarfsfall eingezogenen Aufgeboten der einzelnen Distrikte des Reiches bestand und das zum Teil vielleicht vom Palast zum größeren Teil aber wohl aus eigenen Mitteln (d.h. durch Aufwendungen der lokalen Gemeinschaften) ausgerüstet und verpflegt wurde. Zum dritten aber gab es Söldner, die – wohl vom Palast bezahlt – unter dem Kommando von ›Berufsoffizieren‹ standen, für deren Unterhalt und Ausrüstung aber wohlhabende Privatpersonen aufzukommen hatten. Es sei aber nochmals betont, daß diese Interpretation des Textes sehr hypothetisch ist und ein rein ziviler Kontext, wie er von DegerJalkotzy vorgeschlagen wurde, nicht ausgeschlossen werden kann. 445

Zu den Belegen hierfür siehe weiter unten.

3. Als Vergleich: Texte militär-organisatorischen Inhalts aus Knossos

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Unabhängig davon jedoch, ob man diese Tafel in einem militärischen oder einem ›zivilen‹ Kontext interpretiert, bleibt der merkwürdige Umstand bestehen, daß weder die Anzahl der zu kontrollierenden oder zu kommandierenden Lohnarbeiter (oder Söldner) noch die Art und Menge der abzuliefernden ›Produkte‹ angegeben wird. Man wird daher vielleicht annehmen müssen, daß diese Tafel gleichsam nur die erste einer Serie darstellt und dementsprechend – wie es die einzig verzeichneten Ideogramme (›Mann‹) auch nahelegen – nur die Anzahl und Namen der jeweils für das Folgende verantwortlichen Personen (eqe-ta bzw. zu o-pa Verpflichtete) verzeichnet. Auf weiteren Tafeln wäre somit die Anzahl der ›Lohnempfänger‹ und die Art und Menge der geforderten Leistungen festgehalten gewesen; dies ist jedoch lediglich Spekulation. 3.2 Truppenkörper Aus den Tafeln des Palastarchivs von Pylos sind uns – wie oben ausführlich erörtert wurde – insgesamt sechs Bezeichnungen für militärische Einheiten bekannt: o-ka-ra3, ke-ki-de, ku-re-we, u-ru-pi-ja-jo, i-wa-so und ko-ro-ku-ra-i-jo. Die ersten vier Truppengattungen finden sich auch in den Knossostafeln wieder, wobei o-ka-ra3446 und ku-re-we447 jeweils zweimal, ke-ki-de448 und u-ru-pi-ja-jo449 jeweils nur einmal belegt sind; i-wa-so und ko-roku-ra-i-jo finden sich überhaupt nicht. Statt dieser beiden sind jedoch zwei Begriffe überliefert, die aufgrund des Zusammenhangs der Tafel450 wohl ebenfalls als militärische Einheiten zu verstehen sind: a-da-wo-ne und i-ja-wo-ne.451 Wie ebenfalls schon oben ausgeführt wurde, dürfte es sich bei den vier sowohl in Pylos als auch in Knossos belegten Begriffen um ›echte‹ Truppengattungen (definiert nach Bewaffnung und/oder Einsatzweise) handeln während in den kretischen a-da-wo-ne und i-ja-wo-ne analog zu den pylischen i-wa-so und ko-ro-ku-ra-i-jo wohl ethnische Einheiten zu sehen sind. Leider lassen diese Knossostexte aufgrund ihrer Dürftigkeit kaum Aussagen über die einzelnen Truppenkörper zu, die über das bloße Faktum, daß es sie gab, hinausgehen. Lediglich eine Tafel, in der auch die größte Anzahl militärischer Einheiten verzeichnet ist,452 bietet etwas mehr an Informationen: B 164 .1 .2 ku-re-we [ .3 a-da-wo-ne [ .4 i-ja-wo-ne [ .5 ku-[ .6 o-da [ .7 to- [ 446 447 448 449 450 451 452

] ] ru-wo

] to [

VIR 37 VIR 143

] 40 ] 4 ] VIR 144

Xd 70 und X 7631. B 164 und X 7668. F 7362. Fh 392. B 164. i-ja-wo-ne sind auch in der Tafel Xd 146 verzeichnet, deren Inhalt jedoch völlig unklar ist. Driessen, MacDonald, Military Aspects 50–52.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

Diese Tafel beinhaltet offensichtlich eine Liste von insgesamt mehr als 468 Personen; zu Beginn jeder Zeile scheint jeweils die Personengruppe genannt zu sein, welche die am Ende jeder Zeile vermerkte Anzahl von Männern umfaßte oder zu stellen hatte. In der ersten Zeile ist diese Personengruppe nicht erhalten, in der zweiten ist es eine ku-re-we Einheit; möglicherweise ist auch in der fünften Zeile das erste Wort zu ku-[re-we] zu ergänzen.453 Der Beginn der Zeilen sechs und sieben ist so zerstört, daß die dort wohl verzeichnete Personengruppe nicht mehr eruiert werden kann. Am Beginn der Zeilen drei und vier schließlich sind die a-da-wo-ne und i-ja-wo-ne verzeichnet, in denen man wohl ethnische Einheiten454 zu sehen hat. Jan M. Driessen 455 sieht in dieser Auflistung ein Verzeichnis von Söldnern, die im Palast von Knossos Dienst taten, doch spricht die Erwähnung der ku-re-we Truppe gegen diese Ansicht, da ku-re-we – wie oben zu zeigen versucht wurde – militärische Einheiten des Milizsystems waren. Der mittlere Teil der gesamten Tafel ist, wie deutlich ersichtlich, fast vollständig zerstört, lediglich in der zweiten Zeile ist die Silbenfolge ru-wo zu lesen. Möglicherweise war in diesem mittleren Teil – analog zum Aufbau der o-ka-Tafeln, mit denen dieser Knossostext wohl auch vergleichbar ist – die Herkunftsangabe der jeweiligen Truppe enthalten. Eine solche Information ist vor allem dann unbedingt zu erwarten, wenn man das erste Wort in der fünften Zeile zu ku-[re-we] ergänzt. In diesem Fall mußten die beiden ku-re-we Truppen dieses Verzeichnisses zur Unterscheidung mit einer Zusatzinformation ausgestattet werden, was eben am besten durch die Angabe der Herkunft der beiden Einheiten geschehen konnte. Denkbar, wenngleich wohl weniger wahrscheinlich, wäre auch die Nennung des Kommandanten der jeweiligen Truppe, doch widerspricht dies dem Usus, wie er uns sowohl in den o-ka-Tafeln und als auch in anderen pylischen Verzeichnissen entgegentritt, in denen immer die Herkunftsangabe unmittelbar vor oder nach der Nennung der Truppe selbst aufscheint. Der Zweck dieser Liste ist nicht angegeben bzw. nicht mehr erhalten, und sollte eigentlich gleichsam als ›Überschrift‹ der Tafel existiert haben. In dieser Aufstellung ein Truppenverzeichnis zu sehen, wie es die o-ka-Tafeln darstellen, scheitert wohl daran, daß die erhaltenen Zahlenangaben nicht nur sehr unterschiedlich groß,456 sondern vor allem auch nicht ›rund‹ sind, mykenische Truppenzahlen aber stellen in allen uns aus den o-ka-Tafeln bekannten Fällen ein Vielfaches von zehn dar. Die Anzahl solcher Truppen ist nun aber so groß, daß es sich bei diesem evidenten Dezimalsystem keinesfalls um eines handeln kann, das nur durch den Zufall der Überlieferung bedingt ist. Dementsprechend können die in dieser Knossostafel angegebenen Zahlen nicht die Gesamtstärken der einzelnen Truppen meinen, sondern nur Männer, die den einzelnen Einheiten zugeführt oder von diesen abgestellt werden sollten. 453 454 455 456

So Chadwick, Inscriptions from Knossos I 81. Siehe Gschnitzer, Heerwesen 102. Driessen, MacDonald, Military Aspects 52. Zwar könnten die ›kleinen‹ Zahlen in den Zeilen 5 und 6 ursprünglich größer gewesen sein, da der unmittelbar vor der erhaltenen Zahl liegende Teil der Tafel jeweils zerstört ist, doch trifft dies sicherlich nicht auf die vollständig lesbaren Zahlenangaben in Zeile 1 und 2 zu, die ebenfalls von sehr unterschiedlicher Größe (37 und 143) sind.

3. Als Vergleich: Texte militär-organisatorischen Inhalts aus Knossos

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3.3 Ausrüstung Abgesehen von einigen Tafeln,457 die eine Art von ›Inventarlisten‹ darstellen, in denen Streitwagen, Wagenkasten, Räder, Rüstungen, Helme und Waffen aller Art verzeichnet sind, findet sich im Archiv von Knossos, genauer gesagt im ›Room of the Chariot Tablets‹ eine Serie von Linear B-Texten, die einen gewissen Einblick in die Militärorganisation des Palastes von Knossos erlauben: die Sc-Serie. Innerhalb der Texte des Palastarchivs von Knossos stellt die als Sc-Serie benannte Gruppe von Tafeln gleich in vielerlei Hinsicht eine Besonderheit dar.458 Zum einen ist sie eine der umfangreichsten Serien (insgesamt mehr als 150 Tafeln oder Bruchstücke derselben) von Linear B-Texten überhaupt, zum anderen aber wird sowohl durch die Tatsache, daß alle Tafeln dieser Serie von einer einzigen Schreiberhand stammen, als auch durch die Fundumstände – alle Tafeln wurden im sogenannten Room of the Chariot Tablets aufgefunden – nahegelegt, daß diese Texte zusammengehören und als geschlossenes Corpus zu behandeln sind. Der Aufbau dieser jeweils nur aus einer einzigen Zeile bestehenden Texte folgt (fast) immer dem selben Schema: An der ersten Stelle im Text findet sich in allen Fällen jeweils ein Personenname (PN), der den Besitzer oder Empfänger der im weiteren aufgelisteten Positionen angibt, an der zweiten Stelle findet sich zumeist das Ideogramm für ›Rüstung‹ (TUN), an der dritten das Zeichen für ›Streitwagen‹ (BIG) und an der letzten das für ›Pferd‹ (EQU). Gefolgt werden die einzelnen Ideogramme in den meisten Fällen von einer Zahl (eins oder zwei) bzw. im Falle des Ideogramms EQU auch vom Zeichen für ›Paar‹ (ZE) oder dem Zeichen MO, das wohl für monos (einzeln) steht. Idealtypisch präsentiert sich das der Sc-Serie zugrundeliegende Schema demnach wie folgt: PN TUN 2 BIG 1 EQU ZE (oder MO) 1. Es kann nun nicht gesagt werden, ob tatsächlich alle Texte der Sc-Serie diesem Schema – oder den davon abweichenden Varianten, die im weiteren noch besprochen werden sollen – gefolgt sind, da ein großer Teil der Serie nur unvollständig erhalten ist, und daher nicht alle Positionen enthält;459 aufgrund der großen Menge zumindest teilweise erhaltener Tafeln ist es jedoch möglich, dieses Schema als den meisten Tafeln zugrunde liegend zu betrachten. Von diesem oben skizzierten idealtypischen Schema der Sc-Serie lassen sich allerdings – unabhängig vom Erhaltungszustand der jeweiligen Tafel – folgende Abweichungen feststellen: 1. Die Reihenfolge der Positionen 2 bis 4 ist verändert.460 2. Statt einem Paar (ZE) Pferde ist nur eines (MO) aufgeführt.461 3. Statt einem Paar Pferde sind zwei Paare verzeichnet.462 457 458 459 460 461 462

So etwa die Serien Sd, Se, Sf, So, Sk, Ra und Ws. Die folgenden Ausführungen stützen sich stark auf die Abhandlung von Uchitel, Charioteers 47–58, weichen aber in den Schlußfolgerungen zum Teil davon ab. Dies macht sich vor allem dann unangenehm bemerkbar, wenn nicht der rechte oder linke Rand der Tafel, sondern nur das Mittelstück erhalten ist. So etwa in Sc 249 und 259. Z.B. Sc 220, 221, 5062, 5169 u.a. Sc 224.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

4. Es sind nicht zwei Rüstungen (TUN) verzeichnet, sondern nur eine.463 5. In das Ideogramm TUN ist das Zeichen ›qe‹ eingeschrieben.464 6. Einige TUN-Ideogramme wurden eradiert.465 7. Einige TUN-Ideogramme wurden mit dem Zeichen *165 (Metall) überschrieben.466 8. In einem Fall wurde das Ideogramm EQU mit *165 überschrieben.467 9. An der Stelle des Ideogramms TUN steht von vornherein das Zeichen *165.468 10. Der eine oder andere Posten fehlt gänzlich.469 Von diesen Abweichungen ist die erste nicht besonders gravierend und ist wohl auf eine Inkonsequenz oder einen Fehler seitens des Schreibers zurückzuführen. Die übrigen neun Punkte bedürfen allerdings einer Erklärung. Bevor eine solche jedoch versucht werden kann, ist zu allererst abzuklären, was diese Tafeln der Sc-Serie eigentlich verzeichnen und zu welchem Zweck sie angelegt wurden. Letztlich reduziert sich das Problem auf die Frage, ob die Texte einen Ist-Zustand beschreiben oder den Bedarf zur Erreichung des SollZustandes festhalten. Man darf wohl davon ausgehen, daß ein Streitwagenkämpfer über einen Wagen verfügen sollte, ebenso über zwei Pferde und auch über zwei Rüstungen (für sich und den Wagenlenker). Es stellt sich also die Frage, ob die einzelnen Tafeln festhalten sollten, welche ›Ausrüstungsgegenstände‹ (inklusive der Pferde) die namentlich genannten Personen in ihrem Besitz hatten, oder aber ob sie verzeichneten, welche Dinge den Leuten zur Vervollständigung der Ausrüstung noch fehlten und folglich vom Palast gestellt werden mußten. Auf den ersten Blick scheint der Unterschied zwischen diesen beiden Deutungsvarianten nicht allzu groß zu sein. In beiden Fällen befand sich ein Teil der Ausrüstung bereits im Besitz der einzelnen Personen, während in vielen Fällen einige Dinge fehlten. Der eigentliche Unterschied in der Deutung ergibt sich aus den die ›mangelhafte Ausrüstung‹ betreffenden Schlußfolgerungen. So sieht Alexander Uchitel 470 in diesen Fehlbeständen das Resultat eines mehr oder minder beklagenswerten Umgangs mit den ihnen anvertrauten Ausrüstungsgegenständen. Mit anderen Worten: Die einzelnen namentlich genannten Personen hatten einst eine vollständige Ausrüstung zur Verfügung gestellt bekommen, mit der Zeit war ihnen jedoch der eine oder andere Teil (durch Verlust, Beschädigung oder Verkauf) abhanden gekommen, was wiederum von der Palastverwaltung – vielleicht im Zuge von regelmäßigen Kontrollen – festgestellt und aufgezeichnet wurde. Das Wesentliche an dieser Deutung der Texte ist nun, daß sie davon ausgeht, daß ursprünglich jeder der namentlich genannten Männer eine vollständige Ausrüstung besessen hatte und die Tafeln der Sc-Serie lediglich festhalten, was davon noch vorhanden war. 463 464 465 466 467 468 469 470

Sc 243, 260, 5059, 7475 u.a. Sc 224, 227, 229 und 266. Sc 135, 219, 235, 237 u.a. Sc 247 und 2461. Sc 248. Sc 246 und 249. So fehlt in Sc 219, 5057 und 5155 u.a. das Pferd, in Sc 222, 224 und 266 u.a. der Wagen, in Sc 240, 5058 und 5073 u.a. die Rüstung und in Sc 248, 5156 und 7444 sowohl Wagen als auch Pferd. Uchitel, Charioteers 57f. (aufgrund des Vergleichs mit ähnlichen altorientalischen Aufzeichnungen).

3. Als Vergleich: Texte militär-organisatorischen Inhalts aus Knossos

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Mit dieser Deutung der Texte ist jedoch die (oft zitierte) Tafel Sc 226 nur schwer in Einklang zu bringen: ti-ri-jo-qa BIG 1 TUN 1 EQU 1 e-ko 1 Gemäß der vorgebrachten Deutung der Sc-Serie wäre dieser Text somit folgendermaßen zu übersetzen: ti-ri-jo-qa besitzt (noch) einen Wagen, eine Rüstung, ein Pferd, eines habend.471 Der (etwas kleiner geschriebene) Zusatz e-ko 1 ergibt mit diesem Interpretationsansatz keinen Sinn, zumal zu den Dingen, die ti-ri-jo-qa besitzt, zusätzlich der Besitz von einem Pferd vermerkt würde; zu erwarten wäre in diesem Fall statt EQU 1 e-ko 1 vielmehr EQU ZE 1, wie es in den übrigen Tafeln der Sc-Serie, in denen zwei Pferde aufgeführt sind, ja auch der Fall ist. Wesentlich plausibler erscheint jedoch eine Lesung, die auf der generellen Deutung der Sc-Serie als Verzeichnis der Dinge, welche die jeweilige Person noch zu bekommen hat, beruht: ti-ri-jo-qa hat (noch) einen Wagen, eine Rüstung, ein Pferd zu bekommen, eines hat er (schon). Natürlich ist auch Uchitel 472 dieses Problem mit dem Text Sc 226 aufgefallen, weshalb er folgende – allerdings wohl wenig überzeugende – Lösung anbietet: ti-ri-jo-qa hat (vom Staat) einen Wagen, eine Rüstung, ein Pferd, eines hat er (in Privatbesitz). Von den über 150 Tafeln der Sc-Serie ist – wie schon oben festgestellt wurde – der Großteil nur unvollständig erhalten, sodaß nicht gesagt werden kann, wie viele Tafeln eine komplette Ausrüstung (d.h. zwei Rüstungen, einen Wagen und zwei Pferde) verzeichnet haben. Es kann somit nur von den (zumindest fast)473 vollständig erhaltenen Tafeln ausgegangen werden, um die Relation von kompletter zu defektiver Ausrüstung annähernd bestimmen zu können. Lediglich fünf dieser vollständig erhaltenen Tafeln474 verzeichnen eine komplette Ausrüstung; diesen stehen fünfzehn Tafeln gegenüber, die sicherlich nur ein Pferd auflisten sowie weitere zwölf, in denen überhaupt kein Pferd aufgeführt ist. Drei von diesen zwölf verzeichnen überdies auch keinen Wagen; kein Wagen ist zudem in weiteren fünf Tafeln zu finden. Allein diese Zusammenstellung zeigt, daß den fünf Tafeln, die eine komplette Ausrüstung enthalten, über dreißig gegenüberstehen, in denen zumindest ein Pferd, zuweilen jedoch auch beide sowie der Wagen fehlen. Schließlich kommen hierzu noch sechzehn Tafeln, in denen entweder überhaupt keine Rüstung oder nur eine verzeichnet ist, bzw. das Ideogramm für diese eradiert und zuweilen durch das Zeichen für Metall überschrieben ist. Somit entsprechen nur fünf Tafeln dem oben erwähnten ›Idealfall‹, während insgesamt fast fünfzig Verzeichnisse mit Sicherheit hiervon abweichen. Wenn man also von den einigermaßen vollständig erhaltenen Tafeln der Sc-Serie ausgeht, verzeichnen nur ca. 10% eine komplette Ausrüstung während 90% den einen oder anderen ›Gegenstand‹ nicht beinhalten. Im Lichte dieses mehr als eindeutigen prozentuellen Verhältnisses müssen wohl auch die oben genannten beiden Möglichkeiten, die Aussage der gesamten Sc-Serie zu sehen, beurteilt werden. Geht man nämlich davon aus – wie es etwa Uchitel tut –, daß ursprünglich 471 472 473 474

Das Wort e-ko ist wohl am sinnvollsten mit dem Präsenspartizip echon wiederzugeben. Uchitel, Charioteers 48. Das Fehlen des Personennamens in einigen Tafeln spielt hierbei keinerlei Rolle. Sc 217, 231, 232, 5060 und 5085.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

jede der namentlich in der Sc-Serie genannten Personen eine komplette Ausrüstung erhalten habe und die Tafeln den noch davon vorhandenen Bestand wiedergeben, so würde dies bedeuten, daß nur 10% aller Streitwagenkämpfer noch alle Ausrüstungsgegenstände (und Pferde) besessen hätten, während 90% das eine oder andere Stück abhanden gekommen wäre – ein Umstand, der wohl selbst bei extrem sorglosem oder kriminellem Umgang mit dem vom Palast zur Verfügung Gestellten als äußerst unwahrscheinlich einzustufen ist. Es sollte daher wohl auch unter diesem Gesichtspunkt die Deutung Uchitels der Sc-Serie verworfen werden. Schließlich sei noch ein bemerkenswerter Umstand erwähnt, der wohl gegen eine Deutung der Sc-Serie als Bestandsaufnahme der bei den einzelnen Personen noch vorhandenen Ausrüstungsgegenstände sprechen dürfte. In einigen Tafeln475 steht an der Stelle des Ideogramms für ›Rüstung‹ das Zeichen für (Metall-)Barren (*165) oder ersteres wurde eradiert und durch das zweite überschrieben. In einem Fall476 wurde sogar das Ideogramm für ›Pferd‹ eradiert und durch das Zeichen *165 ersetzt. Soll man wirklich sinnvollerweise annehmen, daß die betreffende Person zwar das ihm anvertraute Pferd (oder die ihm übergebene Rüstung) nicht mehr vorweisen konnte, stattdessen jedoch einen Metallbarren präsentiert hat? Nimmt man nun aus den eben vorgebrachten Gründen von der Deutung Abstand, es handle sich bei der Sc-Serie um eine Bestandsaufnahme derjenigen Ausrüstungsgegenstände (einschließlich der Pferde), die sich noch im Besitz der einzelnen namentlich aufgeführten Personen befanden, so stellt sich dennoch die Frage nach dem Sinn der Tafeln dieser Serie und wie die zahlreichen schon erwähnten Abweichungen vom ›Idealtyp‹ (PN TUN 2 BIG 1 ZE 1) zu erklären sind. Zunächst einmal ist anzumerken, daß zusammen mit den Tafeln der Sc-Serie eine andere Gruppe von Täfelchen gefunden wurde, die hinsichtlich der Schreiberhände und auch bezüglich der Form auf eine große – vielleicht auch inhaltliche – Nähe zur Sc-Serie schließen lassen.477 Diese Vc(1)-Serie umfaßt insgesamt 82 Tafeln, welche jeweils lediglich einen Personennamen verzeichnen. Von besonderem Interesse ist nun die Tafel Vc(1) 289, die statt eines Personennamens die Silbenfolge a-mi-ni-si-jo (amnisioi) trägt, und gleichsam als Überschrift für die gesamte Serie gedient haben könnte. Unter der Annahme eines inhaltlichen Zusammenhangs der Sc- und Vc(1)-Serien würde dies nun bedeuten, daß in der Vc(1)-Serie (wie in der Sc-Serie) ebenfalls Streitwagenkämpfer verzeichnet sind, und zwar aus Amnisos stammende oder (wahrscheinlicher) in Amnisos stationierte.478 Geht man nun – wie oben nahegelegt wurde – davon aus, daß die Sc-Serie diejenigen Ausrüstungsgegenstände verzeichnete, die den namentlich genannten Streitwagenkämpfern noch auszuhändigen waren, so ergibt sich zwingend der Schluß, daß die Vc(1)-Serie ausschließlich solche Streitwagenkämpfer verzeichnete, die – zumal keine Gegenstände oder Pferde genannt sind – bereits alles für ihre Ausrüstung Notwendige erhalten hatten oder zumindest nichts mehr zu erwarten hatten. 475 476 477 478

Sc 246, 247, 249 und 7461. Sc 248. Siehe dazu Uchitel, Charioteers 50f. Siehe Hiller, Amnisos 45–49.

3. Als Vergleich: Texte militär-organisatorischen Inhalts aus Knossos

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Ein Problem für diesen Erklärungsversuch stellt nun die Person des ti-ri-jo-qa dar, der sowohl in Sc 226 als auch in Vc(1) 303 genannt wird, also als jemand der der einen Tafel zufolge noch Rüstung, Streitwagen und ein Pferd zu erhalten hatte, der anderen nach jedoch bereits alles Notwendige in seinem Besitz hatte. Zwei Erklärungen bieten sich für diesen seltsamen Umstand nun an: Entweder handelt es sich bei ti-ri-jo-qa um zwei Personen des selben Namens oder aber die Sc-Serie entstand zu einem früheren Zeitpunkt als die Vc(1)Serie, sodaß ti-ri-jo-qa zunächst die meisten Ausrüstungsgegenstände noch zu erhalten hatte, dann aber – in der Vc(1)-Serie verzeichnet – bereits alles besaß.479 Beide Erklärungen sind jedoch nicht wirklich befriedigend, sodaß auch in Betracht gezogen werden muß, daß diese beiden Serien trotz aller erwähnten Gemeinsamkeiten inhaltlich nichts miteinander zu tun haben. Bezüglich der Sc-Serie sei hier noch ein Umstand erwähnt, der sie in die Nähe der Vc(1)Serie rückt. Auf insgesamt zehn Tafeln findet sich auf der Rückseite ein ›Vermerk‹, der – ähnlich der ›Überschrift‹ der Vc(1)-Serie eine Ortsangabe darstellen dürfte. Fünf Tafeln480 tragen (mehr oder minder vollständig) die Aufschrift a-mi-ni-si-jo und kennzeichnen somit den jeweiligen Empfänger der verzeichneten Gegenstände als in Amnisos stationiert. Einer der in Amnisos stationierten Empfänger von Ausrüstungsgegenständen ist übrigens der schon oben unter den militärischen Funktionsträgern genannte me-nu-wa.481 Wie gezeigt hatte dieser Würdenträger im Pylischen Reich eine mit der Flotte bzw. dem wichtigsten Hafen des Landes verbundene Funktion inne. Möglicherweise gilt dies auch für das Reich von Knossos, wenn man bedenkt, daß der knossische me-nu-wa in Amnisos stationiert war und Amnisos generell einer der wichtigsten Häfen Kretas war und im Speziellen als der Hafen von Knossos diente. Die fünf anderen Tafeln482 verzeichnen übrigens unbekannte Namen, bei denen es sich vielleicht ebenfalls um Örtlichkeiten im weiteren Umkreis des Palastes von Knossos handeln könnte. Doch nun zurück zur ungleichen Verteilung der Ausrüstungsgegenstände auf den Täfelchen der Sc-Reihe: Es stellt sich zunächst die grundlegende Frage, warum nicht alle Ausrüstungsgegenstände (einschließlich der Pferde) im dauernden Besitz derer war, die damit umgehen mußten, nämlich der Streitwagenkämpfer. Die bloße Tatsache der Existenz dieser Aufzeichnungen im Palastarchiv von Knossos zeigt, daß dem Palast daran gelegen war, die volle Kontrolle über alle Waffen, Geräte und Pferde zu haben.483 Dies beinhaltet jedoch nicht nur die Kenntnis darüber, wer welche Gegenstände und wie viele Pferde in Besitz hatte, sondern zweckmäßigerweise auch die dauernde Überprüfung des Zustandes des zugeteilten Gerätes, vor allem aber der Pferde. Demnach müßten also alle Waffen, Wagen und Pferde im Palast vorhanden gewesen sein und erst bei Bedarf an die Streitwagenkämpfer zur Übung oder im Einsatzfall ausgegeben worden sein. In den Tafeln müßte sich dies darin niederschlagen, daß jeweils das volle Repertoire (TUN 2 BIG 1 ZE 1) an die einzelnen Kämpfer – man sollte sie vielleicht im folgenden, wie schon bei der Behandlung der pyli479 480 481 482 483

Vgl. Chadwick, Mycenaean World 169, der übrigens starke Zweifel an der Zusammengehörigkeit der beiden Serien äußert. Sc 217, 237, 252, 7476 und 8471. Sc 238. Sc 242, 255, 256, 7457 und 7471. Vgl. Driessen, Schoep, Scribes and Warriors 396.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

schen Verhältnisse dargelegt, als e-qe-ta bezeichnen – ausgegeben wurde. Dies ist jedoch, wie erinnerlich, nur in etwa 10% der Tafeln der Fall. Es müssen demnach zwingende Gründe dafür vorhanden gewesen sein, daß der Palast nicht alle Gerätschaften und Pferde bei sich behielt, sondern einen Teil davon auch außerhalb des Bedarfsfalles herausgab. Hinsichtlich der Pferde wurde der wahrscheinlichste Grund für diese Vorgangsweise bereits bei der Behandlung der pylischen Verhältnisse dargelegt. Bei einer Anzahl von etwa 150 in den Tafeln der Sc-Serie verzeichneten e-qe-ta ist mit einer Herde von ca. 300 Pferden zu rechnen, die für die Streitwagen zur Verfügung stehen mußten. Bei einem Bedarf von etwa einem Hektar Weideland pro Pferd müßte zur Erhaltung dieser Pferde also eine Fläche von 300 Hektar beim Palast vorhanden gewesen sein, eine Größenordnung, die die Möglichkeiten des Palastes wohl bei weitem überstieg. Es dürfte daher der Palastverwaltung zweckmäßig erschienen sein, eine größere Anzahl dieser Pferde den einzelnen e-qe-ta ganzjährig zur Betreuung zu übergeben, wobei es wohl von der Größe des den e-qe-ta zur Verfügung gestellten Landes abhing, ob ihnen beide Pferde anvertraut wurden oder nur eines;484 in letzterem Falle verblieb das zweite Pferd wohl in der Betreuung durch den Palast selbst. Man darf wohl annehmen, daß diese e-qe-ta zwar nicht in unmittelbarer Umgebung des Palastes ansässig waren, jedoch auch nicht in allzu großer Entfernung von Knossos, sodaß eine Ergänzung der Ausrüstung sowie die Ausgabe des zweiten Pferdes in relativ kurzer Zeit möglich waren, vor allem um ein regelmäßiges Training des Gespanns zu ermöglichen. In einer solchen zeitlich bewältigbaren Entfernung lag beispielsweise Amnisos, das auf den Tafeln der Sc-Serie485 einige Male aufscheint. Folgerichtig dürften dann viele von denjenigen e-qe-ta, denen noch beide Pferde auszufolgen waren, die also kein Pferd bei sich hatten, hauptsächlich im Palast selbst oder in unmittelbarer Nähe zu diesem ansässig gewesen sein. Es bietet sich jedoch noch eine andere Erklärung für die unterschiedliche Zuteilung von Pferden an, doch wird darauf noch weiter unten einzugehen sein. Etwas anders stellt sich das Problem im Fall der Streitwagen dar. Hier bestand für den Palast durchaus die Möglichkeit, alle Wagen in seinen Magazinen zu lagern und die doch sehr verschleißanfälligen Gefährte permanent zu überprüfen und entsprechend zu warten bzw. gegebenenfalls zu reparieren. Anders gesagt: es bestand keine Notwendigkeit, die Wagen – außer im Einsatzfalle oder zu Übungszwecken – den e-qe-ta zu überlassen. Dafür, daß dies auch tatsächlich in der beschriebenen Weise gehandhabt wurde, legen Inventarlisten des Palastes von Knossos über komplette Streitwagen486 (sowohl gebrauchsfähige als auch beschädigte), über Wagenkasten und gesondert aufbewahrte Räder (wiederum unterschieden in solche, die noch gebrauchsfähig waren, und solche, bei denen dies nicht der Fall war) ein beredtes Zeugnis ab.487 Auch die Tafeln der Sc-Serie zeigen, daß die Lagerung im Palast der Regelfall gewesen zu sein scheint. Von den ca. 150 Tafeln bezeugen 92, daß der 484

485 486 487

In Ausnahmefällen, d.h. wenn die Größe des zugewiesenen Landes es zuließ, konnten einem e-qeta wohl auch mehr als zwei Pferde zur Betreuung übergeben werden wie im Fall des e-qe-ta pa-dijo, der zwei Paare von Pferden in seiner Obhut hatte (Sc 224). Sc 217, 237, 252, 7476 und 8471. Zu den knossischen Wagentafeln siehe auch Killen, TA-RA-SI-JA 173f. Es handelt sich hierbei vor allem um die Sd- und die So-Serie des knossischen Archivs. Zu diesen siehe Chadwick, Documents 361–372.

3. Als Vergleich: Texte militär-organisatorischen Inhalts aus Knossos

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Wagen auszugeben war, also sich noch im Palastmagazin befand. Lediglich in neun Fällen kann man wohl davon ausgehen, daß der jeweilige e-qe-ta sich bereits im Besitz des Streitwagens befand.488 Warum aber wurde überhaupt (wenn auch sehr selten) ein Streitwagen in die Obhut eines e-qe-ta übergeben und nicht im Palast gelagert? Man könnte annehmen, daß diese neun e-qe-ta den Streitwagen bereits bekommen hatten, weil sie sich im militärischen Einsatz befanden oder aus einem anderen Grund diesen (z.B. zu Übungszwecken) verwenden mußten. Diese Annahme scheitert jedoch bereits daran, daß von diesen neun e-qe-ta lediglich drei sich auch im Besitz beider Pferde befanden, während den übrigen sechs e-qe-ta nur ein oder noch gar kein Pferd ausgehändigt worden war, ein Umstand, der eine aktuelle Verwendung des Streitwagens wohl ausschließen dürfte. Eine andere Erklärung könnte nun darin bestehen, daß die Streitwagen routinemäßig dem Palast übergeben wurden, um Reparaturarbeiten an diesen bruchanfälligen Geräten durchzuführen, worauf die häufige Erwähnung nicht gebrauchsfähiger Wagenkasten und Räder ja hindeutet. In den (wenigen) Fällen, in denen dies nicht geschah, war möglicherweise keinerlei Veranlassung zu dieser Maßnahme gegeben, weil der Streitwagen völlig in Ordnung war, oder aber der betreffende e-qe-ta die Möglichkeit hatte, an seinem Stationierungsort den Wagen wieder instand setzen zu lassen. Dies würde jedoch bedeuten, daß – anders als bei den Wagenpferden – der übliche Aufbewahrungsort des Gerätes nicht das Palastmagazin war, sondern der jeweilig Aufenthaltsort der e-qe-ta. Der Palast diente somit nicht als ›Lagerhalle‹ für die Streitwagen, sondern lediglich als eine – allerdings sehr häufig benutzte – Reparaturwerkstätte. Noch schwieriger gestaltet sich die Interpretation der unterschiedlichen Ausgabe der Rüstungen in der Sc-Serie. Insgesamt sechs e-qe-ta haben keine Rüstung zu erhalten,489 sind also offenbar im Besitz von jeweils zwei Körperpanzern. Für weitere zwölf e-qe-ta scheint das gleiche zu gelten, auf deren Tafeln zwar das Zeichen für Rüstung aufscheint, nachträglich jedoch eradiert wurde.490 Dreizehn e-qe-ta hatten noch jeweils eine Rüstung zu bekommen491 und zwanzig Streitwagenkämpfer492 hatten noch beide Rüstungen zu erhalten, hatten also gar keine in ihrem Besitz. In insgesamt vierundzwanzig Fällen493 ist es nicht klar, ob sie einen oder zwei Körperpanzer zu bekommen hatten. Schließlich ist noch der bemerkenswerte Umstand festzuhalten, daß insgesamt sieben e-qe-ta statt der Rüstung(en) eine bestimmte Menge 488

489 490 491 492 493

Es sind dies die in den Tafeln Sc 222, 224, 227, 229, 248, 266, 5156, 7444 und 7453 verzeichneten Listen. In den übrigen ca. 50 Fällen kann aufgrund des unvollständigen Erhaltungszustandes der Tafel hierüber keine Aussage getroffen werden. Siehe die Tafeln Sc 240, 244, 245, 5058, 5073 und 7453. Dies ist in den Tafeln Sc 135, 219, 235, 236, 237, 253, 5046, 5137, 5138, 5162, 5164 und 5169 offenkundig der Fall. So in Sc 226, 231, 243, 260, 266, 5058, 5086, 5142, 7475, 8471, 8474, 9114 und 9115. Siehe Sc 103, 217, 222, 224, 227, 229, 232, 234, 252, 254, 255, 256, 259, 5060, 5085, 5156, 7444, 7456, 7468 und 7481. Belegt in den Tafeln Sc 221, 233, 238, 239, 250, 251, 261, 263, 5068, 5070, 5084, 5139, 5155, 7466, 7469, 7480, 8124, 8125, 8271, 8467, 8468, 8469, 8470 und 9113.

266

II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

Bronze erhalten sollten,494 wobei in zwei Fällen495 ursprünglich das Zeichen für Körperpanzer auf der Tafel gestanden hatte, dann aber eradiert und durch das Zeichen für Metallbarren ersetzt wurde; in einem Fall496 wurde übrigens das Ideogramm für Pferd eradiert und durch das für Metallbarren überschrieben. In insgesamt sechs Fällen scheint es sich bei den Rüstungen, die der jeweilige e-qe-ta bekommen sollte, um besondere Waffenstücke gehandelt zu haben, da in das Ideogramm TUN zusätzlich das Silbenzeichen ›qe‹ eingeschrieben wurde.497 Wie sind nun diese augenscheinlich sehr großen Unterschiede – sowohl hinsichtlich der Quantität als auch hinsichtlich der Qualität – bei der Zuteilung der Körperpanzer an die einzelnen e-qe-ta zu erklären? Eine mögliche Erklärung bietet sich an, wenn man die eben hinsichtlich der Streitwagen geäußerte Sicht der Funktion des Palastes als Reparaturwerkstätte auch auf die Rüstungen anwendet. Demnach befänden sich die Körperpanzer – und zwar beide – jeweils im Besitz eines e-qe-ta (und seines Wagenlenkers). Wenn die Rüstung – oder auch nur Teile derselben, wie etwa die Verbindungsstücke oder die Lederteile – beschädigt waren, wurde die gesamte Rüstung in den Palast zur Reparatur gebracht. Das Archiv des Palastes hielt nun fest, welcher e-qe-ta wie viele Körperpanzer gerade im Palast zur Reparatur hatte, die demnach an ihn wieder auszufolgen waren. Anders als bei den Streitwagen, deren Beschädigung wohl in allen Fällen im Bruch eines Teiles bestand und demnach entsprechend schwerwiegend war, konnten bei den Rüstungen wohl Schäden unterschiedlichen Schweregrades auftreten. Auch dieser Umstand dürfte in den Tafeln festgehalten worden sein. Leichtere Schäden wurden relativ schnell repariert, sodaß das Waffenstück rasch wieder an den Besitzer ausgefolgt wurde. In den Tafeln schlug sich dies dadurch nieder, daß die Rüstung zwar in die Tafel des betreffenden e-qe-ta als zu übergebende aufgenommen, nach ihrer baldigen Übergabe jedoch wieder eradiert wurde. In Fällen schwereren Schadens verblieb der Panzer im Palast und somit auch auf der Tafel. In besonders schweren Fällen – man könnte gleichsam von Totalschäden sprechen –, in denen eine Reparatur nicht mehr möglich war, wurde statt des Ideogramms für ›Rüstung‹ die Menge an Metall auf der Tafel festgehalten, die für die Herstellung eines neuen Panzers erforderlich war. War ein solcher Totalschaden sofort ersichtlich, wurde er auch umgehend als solcher in der jeweiligen Tafel registriert; wurde jedoch erst bei näherer Überprüfung der Rüstung erkannt, daß der Körperpanzers nicht mehr zu reparieren war, war zunächst zwar das Ideogramm für ›Rüstung‹ in der Tafel aufgezeichnet worden, wurde dann aber – nachdem das Ausmaß des Schadens offenbar war – durch das für ›Metallbarren‹ ersetzt. Schließlich noch zu den ›besonderen‹ Rüstungen, in deren Ideogramm das Zeichen ›qe‹ eingeschrieben wurde. Es liegt wohl nahe, im Zeichen ›qe‹ eine Abkürzung für das Wort qero2 zu sehen,498 welches anderen Knossostafeln zufolge499 ein aus Metall verfertigtes jeweils paarweise auftretendes Zusatzteil zum Körperpanzer bezeichnet.500 Das Palastarchiv verzeichnete also die Tatsache, daß einige e-qe-ta eine besonders aufwendige mit bronzenen 494 495 496 497 498 499 500

In Sc 225, 246, 247, 248, 249, 5141 und 7461. Sc 248 und 7461. Sc 248. In Sc 224, 227, 229, 266, 8125 und 8271. Siehe Uchitel, Charioteers 48. So in K 740, Sk 789, 5670 und 8100. Chadwick, Documents 380f. Vgl. aber auch I 3.2.3 (›zweischaliger Brustpanzer‹).

3. Als Vergleich: Texte militär-organisatorischen Inhalts aus Knossos

267

Ergänzungsstücken versehene Rüstung zur Reparatur abgegeben und somit eine solche auch wieder zu erhalten hatten. Geht man nun von dieser – zugegebenermaßen sehr spekulativen – Sicht der Sc-Serie als einer Art von Liste zu reparierender Rüstungen und Streitwagen aus, so drängt sich wohl unvermeidbar eine Frage auf: Wie ist dieser enorme Verschleiß an Ausrüstungsgegenständen zu erklären? Auch wenn nur zwölf der e-qe-ta sowohl beide Rüstungen als auch den Wagen zur Reparatur gegeben hatten,501 so kommen immerhin weitere dreizehn Streitwagenkämpfer dazu, die einen Wagen und eine Rüstung in nicht gebrauchsfähigem Zustand besaßen; und schließlich haben fast alle der ca. 150 e-qe-ta zumindest einen Ausrüstungsgegenstand zur Reparatur im Palast. Vergleicht man diese Anzahl (150) mit der Gesamtstärke des Streitwagenkontingentes von Pylos (über 120), wie es oben bereits dargelegt wurde, so wird klar, wie exorbitant hoch diese Zahl von 150 e-qe-ta, die irgendeinen Verlust hinnehmen mußten, eigentlich ist, auch wenn man davon ausgehen darf, daß diese Elitetruppe im Reich von Knossos um vieles größer war als die im pylischen Staat.502 Mit unsachgemäßer oder nachlässiger Wartung von Wagen und Waffen allein ist dieses Phänomen daher wohl nicht befriedigend zu erklären.503 Was also verursachte diesen großen Verschleiß an Streitwagen und Ausrüstungsgegenständen? Die vielleicht einzige plausible Erklärung hierfür besteht in der Annahme eines unmittelbar vor der Anlage der Tafeln stattgehabten militärischen Einsatzfalls größeren Ausmaßes, d.h. einer kriegerischen Auseinandersetzung. Es ist natürlich nicht zu eruieren, um was für eine Schlacht es sich dabei gehandelt hat, ja nicht einmal, wer der Gegner war, worum es dabei ging, oder welchen Ausgang sie genommen hat. Lediglich die Örtlichkeit des Kampfes – doch auch dies ist nur eine vage Vermutung – könnte an der Nordküste Kretas unweit von Amnisos zu suchen sein, wenn man an die prominente Rolle denkt, die Amnisos in der örtlichen Kennzeichnung einiger Tafeln des Sc-Serie spielt. Auch die Anwesenheit des me-nu-wa, der wohl mit Flotten- oder Hafenangelegenheiten betraut war, in dieser Schlacht, könnte dafür sprechen, daß die Kampfhandlungen in irgendeiner Beziehung zum wichtigen Hafen von Amnisos gestanden haben. Doch muß dies alles natürlich Spekulation bleiben. Zu vermuten ist auch, daß diese Auseinandersetzung für die knossischen Streitwagenverbände nicht leicht und wohl auch verlustreich gewesen sein dürfte, wenn man die großen Mengen von in diesem Kampf beschädigten Kriegsgerätes bedenkt. Unter dieser Annahme wären dann die oben als ›Idealtypus‹ hingestellten Tafeln der Sc-Serie (PN TUN 2 BIG 1 ZE 1) wohl der worst case für den jeweils betreffenden e-qe-ta,504 nämlich der Totalverlust aller Ausrüstungsgegenstände. Nimmt man somit an, daß die Tafeln der Sc-Serie letztlich die Auswirkungen von schweren Kampfhandlungen der knossischen Streitwagentruppen bezeugen, so muß noch einmal auf das Problem der in den Tafeln der Sc-Serie aufgeführten Pferde kurz eingegangen werden. Oben wurde als Erklärung für die ungleiche Zuteilung von Pferden vorgeschlagen, daß aus Gründen des beschränkten Vorhandenseins von Weideland einige Pferde in die Obhut 501 502 503 504

Siehe Sc 103, 217, 230, 234, 249, 252, 254, 255, 256, 5060, 5085 und 7468. Man darf vielleicht davon ausgehen, daß im Reich von Knossos insgesamt ca. 600 Streitwagen existierten; siehe hierzu Gschnitzer, Heerwesen 258. In diese Richtung argumentiert etwa Uchitel, Charioteers 58. Vom Verlust des eigenen Lebens oder dem des Wagenlenkers einmal abgesehen.

268

II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

der e-qe-ta gegeben wurde, der Großteil aber beim Palast verblieb und erst im Einsatzfall an die e-qe-ta übergeben wurde. Unter der Annahme allerdings, daß die Sc-Reihe hinsichtlich der Streitwagen und der Rüstungen die Schäden und Verluste nach einer militärischen Auseinandersetzung festhält, bietet sich auch für die Verteilung der Pferde eine andere oder zusätzliche Erklärung an. Ebenso wie bei den Rüstungen und Streitwagen könnte in den Tafeln festgehalten sein, welcher e-qe-ta eines oder beide seiner Wagenpferde im Kampf verloren hatte und dementsprechend neue Tiere aus den Herden des Palastes benötigte, um mit seinem Wagen wieder einsatzbereit zu sein.505 Der Inhalt der schon mehrmals paradigmatisch genannten Tafel Sc 226 müßte nach dem eben Gesagten also folgend übersetzt und interpretiert werden: (der e-qe-ta) ti-ri-jo-qa hat eine Rüstung und einen Streitwagen zu erhalten sowie ein Pferd, (denn) eines hat er noch (e-ko 1).506 Es muß allerdings festgestellt werden, daß unter dieser Annahme die extrem hohe Anzahl von über hundert Pferden in diesem Kampf getötet oder zumindest so schwer verletzt worden wäre, daß die Tiere für den Einsatz nicht mehr brauchbar waren. Es wäre dies somit ein weiterer Hinweis auf eine äußerst schwere Auseinandersetzung zwischen dem knossischen Streitwagenkontingent und seinen Gegnern, die zu einer solchen Verlustrate geführt hat. Es kann somit festgehalten werden, daß diese einzigartige Serie von Linear B-Texten aus dem Archiv von Knossos und die ihr innewohnenden zahlreichen Unterschiede und Abweichungen von ›Idealtyp‹ vielleicht am plausibelsten dahingehend interpretiert werden können, daß es sich um die Feststellung von Schäden und Verlusten an Pferden und Ausrüstungsgegenständen nach schweren Kampfhandlungen handelt, die den jeweiligen Besitzern ersetzt werden mußten. Sieht man mit einem Teil der Forschung – wie oben dargelegt – auch die Vc(1)-Serie im Zusammenhang mit der Sc-Serie, die nur Namen aber keine Ausrüstungsgegenstände und Pferde verzeichnet, so würde dies folgerichtig bedeuten, daß in dieser Serie die Namen derjenigen Streitwagenkämpfer (einschließlich des wa-na-ka) verzeichnet waren, die in diesen Kämpfen keinerlei Schaden erlitten hatten und daher auch keinen Ersatz an Material oder Pferden bekommen mußten. Mangels anderer Hinweise auf solche kriegerischen Auseinandersetzungen sowie aufgrund des Fehlens vergleichbarer Listen oder Serien aus anderen Orten der mykenischen Welt, muß diese Interpretation freilich sehr spekulativ bleiben, ein Umstand, dem lediglich die Auffindung neuer Texte Abhilfe schaffen könnte. 3.4 Der Vergleich mit den pylischen Verhältnissen Vergleicht man nun hinsichtlich der militärischen Organisation die eher spärlichen Aussagen des Palastarchivs von Knossos mit der vergleichsweise reichhaltigen diesbezüglichen Evidenz der Pylos-Tafeln, so läßt sich folgendes festhalten: Im Wesentlichen entspricht das, was wir aus den Knossos-Texten über die spätmykenische Militärorganisation erfahren, 505 506

Warum allerdings der in Tafel Sc 224 genannte e-qe-ta pa-di-jo gleich zwei Paare also vier neue Pferde zugeteilt bekam, bleibt auch unter der vorgestellten Annahme unerklärbar. Nicht ›schon‹, wie in der oben vorgestellten Interpretation.

3. Als Vergleich: Texte militär-organisatorischen Inhalts aus Knossos

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durchaus dem Bild, das die Pylos-Texte zu diesem Thema vermitteln. So nimmt etwa der ra-wa-ke-ta im Heerwesen beider mykenischer Staaten eine führende Rolle ein, die sich vor allem bei der Rekrutierung von Mannschaften (für das Landheer oder die Flotte) wahrscheinlich machen läßt. Auch das militärische Amt des me-nu-wa existierte in beiden Reichen, wenngleich der einzige militärische Bezug in Knossos-Tafeln darin besteht, daß er dem Kontingent der Streitwagenkämpfer angehörte; allerdings gibt es auch einen (schwachen) Hinweis darauf, daß der me-nu-wa, so wie in Pylos, auch in Knossos mit dem Haupthafen oder der Flotte in Verbindung stand. Für den wa-na-ka schließlich, der wohl in beiden Reichen das Oberhaupt darstellte, existieren in den Knossos-Tafeln keine Hinweise darauf, daß er – wie der Herrscher von Pylos – in der Militärorganisation eine Rolle spielte; andererseits ist aber nachzuweisen, was in Pylos nicht der Fall ist, daß der wa-na-ka persönlich an kriegerischen Handlungen teilgenommen hat, sofern die Vc(1)-Serie tatsächlich die Besitzer vollständiger Ausrüstungen mit Wagen und Pferden verzeichnet. Die militärische Elite bestand sowohl in Knossos als auch in Pylos aus den e-qe-ta, den Streitwagenkämpfern, deren Ausrüstung einschließlich der Waffen, Pferde und Streitwagen wohl vom Palast gestellt und bei allfälligem Verlust von diesem auch repariert oder ersetzt wurde. Diese Tatsache kann übrigens in Knossos (durch die Sc-Serie) wesentlich deutlicher nachgewiesen werden als in Pylos. Ähnlich scheint auch das Verteidigungssystem des Landes organisiert gewesen zu sein, indem Einheiten von Miliztruppen den Kern der Bewachungsmannschaften – vergleichbar wohl den pylischen o-ka-Kontingenten – darstellten, wobei diesen Milizverbänden auch Berufssoldaten in Gestalt von e-qe-ta zugeordnet waren; die Belege hierzu sind in den knossischen Texten allerdings viel spärlicher als in den o-ka-Tafeln. Die Milizverbände selbst dürften in beiden Reichen sehr ähnlich gegliedert gewesen sein, wie die Existenz der Einheiten der o-ka-ra3, ke-ki-de, ku-re-we und u-ru-pi-ja-jo in beiden Heeren belegt. Statt der pylischen ethnischen Verbände der i-wa-so und ko-ro-ku-ra-i-jo findet man im knossischen Aufgebot jedoch die (wohl ebenfalls ethnischen) Einheiten der a-da-wo-ne und i-jawo-ne. Ein gewisser Unterschied zwischen den beiden mykenischen Reichen dürfte allerdings hinsichtlich des Aufenthaltsortes der militärischen Elitetruppen bestehen. Während nämlich im pylischen Staat der Großteil der e-qe-ta im Palast selbst oder in dessen unmittelbarer Umgebung ansässig war und nur in einigen Ausnahmefällen diese Streitwagenkämpfer an der Grenze oder anderen strategisch bedeutenden Orten des Landes stationiert waren, zeigen die Knossos-Texte ein deutlich anderes Bild. Hier waren die e-qe-ta offenbar über das ganze Land verteilt und oftmals auch in weit vom Palast entfernten Orten wohnhaft, wo sie neben den militärischen Aufgaben auch Verwaltungs- und Aufsichtsfunktionen wahrnahmen.507 Auf der anderen Seite waren im Reich von Knossos auch Beamte (die qa-si-re507

Diese Unterschiede sowohl, was die lokale Verteilung betrifft, als auch hinsichtlich der Funktionen zwischen den knossischen und pylischen e-qe-ta betonen auch Deger-Jalkotzy, E-QE-TA 84, 201–206 sowie Hildebrandt, Damos 121.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

we), die sonst nur in zivilen (Aufsichts-)Funktionen bekannt sind, in der Militärverwaltung tätig, wo ihnen offenbar Rekrutierungsaufgaben auf lokaler Ebene zukamen.508 Schließlich sei auf noch einen Punkt hingewiesen: Zu den mannigfachen Aufgaben der knossischen e-qe-ta, die offenbar wesentlich umfangreicher waren als die ihrer pylischen Standesgenossen, gehörten möglicherweise auch Funktionen, die sich auf ›Lohnarbeiter‹ im militärischen Bereich, also Söldner bezogen. Dies bedeutet aber, daß es in der knossischen Armee neben den Berufssoldaten (allen voran den e-qe-ta) und den Milizverbänden auch Truppen gab, die für Sold angeworben worden waren; die finanziellen Aufwendungen für die Ausrüstung und den Unterhalt dieser Söldnertruppen lagen aber – wenigstens zum Teil – nicht beim Palast selbst, sondern wurden von (wohlhabenden) Privatpersonen des Reiches in der Art einer leitourgia übernommen. Ein solches System, wie die Existenz von Söldnern überhaupt, kann bislang allerdings nur für das Reich von Knossos, nicht aber für das von Pylos wahrscheinlich gemacht werden.

4. Der geographische Aspekt: Lokale Herkunft und räumliche Verteilung des pylischen Heeres Im folgenden Abschnitt soll nun der Versuch unternommen werden, die Ergebnisse der vorangegangenen Abschnitte hinsichtlich ihrer geographischen Aussagekraft genauer zu betrachten und – wenn möglich – auf die Siedlungsgeographie Messeniens im 13. Jh. v.Chr., wie sie sich aufgrund der archäologischen Evidenz darstellt, umzulegen. Als Ergebnis sollten sich sodann die aus den militärhistorisch relevanten Linear B-Texten des Palastarchivs von Pylos eruierten geographischen Angaben einzelnen Regionen Messeniens zuordnen und – allerdings wohl nur in Einzelfällen – mit bestimmten archäologischen Fundstätten identifizieren lassen. Diese Identifizierungsversuche werden sich großteils auf die diesbezüglichen Untersuchungen von John Chadwick,509 John Bennet,510 Stefan Hiller 511 und Richard Hope Simpson 512 stützen können. 4.1 Die Hauptquartiere der o-ka-Truppen Von den fünf für die o-ka-Truppen zuständigen Hauptquartieren waren nur – wie schon weiter oben ausgeführt – zwei auch Hauptorte pylischer Distrikte: a-ke-re-wa und ti-mi-to a-ko. Zwei weitere waren offensichtlich in größeren Orten des Reiches, o-wi-to-no und roo-wa angesiedelt, während das fünfte an einem ansonsten völlig unbekannten Ort namens to-wa beheimatet war.

508

509 510 511 512

Dieser verglichen mit dem Pylischen Reich weniger stark ausgeprägte zentralisierte Charakter der knossischen Militärstruktur hat – im weitesten Sinne – seine Parallele in der ökonomischen Struktur des Reiches von Knossos. Siehe dazu Bennet, Outside the Distance 26–41. Mycenaean World 40–60. Conceptualization 139–149 und Geography 151–155. Geographie 46–67. Mycenaean Greece 146–152 und Messenia 54–69.

4. Der geographische Aspekt

Karte 2 (Klaus Tausend; Kartographie: Richard Szydlak)

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

ti-mi-to a-ko Bezüglich der Lokalisierung dieses Ortes scheint in der Forschung513 nunmehr weitgehend Übereinstimmung zu herrschen: Der gleichnamige Distrikt der Jenseitigen Provinz lag offenkundig an der Westseite des messenischen Golfes südwestlich der Pamisosmündung und hatte über das Tal des Karia eine bequeme geographische Anbindung an die Diesseitige Provinz,514 ein Umstand, der auch durch die vergleichsweise engen Beziehungen dieses Distrikts515 zu solchen der Diesseitigen Provinz nahegelegt wird. Der Zentralort des in Frage kommenden Gebietes und somit des Distrikts ti-mi-to a-ko war aber unzweifelhaft die ausgedehnte mykenische Siedlung von Nichoria, weshalb das gesuchte o-ka-Hauptquartier ebenfalls bei Nichoria zu lokalisieren ist. Hierzu paßt auch, daß der Ort ti-mi-to a-ko, der zwar ein o-ka-Hauptquartier, nicht aber Stationierungsort von Truppen war, wohl nicht am Meer gelegen sein kann, was schließlich auch auf die archäologischen Reste von Nichoria zutrifft. a-ke-re-wa und ro-o-wa Diese beiden o-ka-Hauptquartiere müssen hinsichtlich ihrer Lokalisierung aus Gründen, die im weiteren noch dargelegt werden, gemeinsam behandelt werden. In beiden Fällen handelt es sich um aus den Linear B-Tafeln von Pylos gut bekannte größere Städte des Reiches, von denen allerdings nur a-ke-re-wa auch Distriktshauptstadt war. Aus den oben besprochenen Rudererlisten sowie aus der Tatsache, daß beide Städte nicht nur o-ka-Hauptquartier, sondern auch Stationierungsort einer Truppe waren, ergibt sich, daß sowohl a-kere-wa als auch ro-o-wa am Meer gelegen sein müssen. Schließlich ist für die Lokalisierung noch von Bedeutung, daß ro-o-wa offenbar in engerem Zusammenhang mit ro-u-so stand.516 Dies und der Umstand, daß ro-o-wa in den o-ka-Tafeln als Hauptquartier der siebenten o-ka, also der von ro-u-so genannt ist, zeigt, daß ro-o-wa zum Distrikt ro-u-so gehörte.517 Die Reihenfolge der pylischen Distrikte – eine geographische Ordnung von Norden nach Süden vorausgesetzt518 – legt zudem nahe, daß sowohl a-ke-re-wa (sechster Distrikt) als auch ro-o-wa (siebenter Distrikt) südlich des Palastes von Pylos (pa-ki-ja-ne=vierter Distrikt) gelegen waren. Zusammen mit der Beobachtung, daß es sich bei beiden Orten um größere Hafenstädte handelte, deutet dies nun sehr klar auf eine Lokalisierung dieser beiden Städte im Bereich der Bucht von Navarino. Die archäologische Evidenz legt ihrerseits zwei engere Bereiche für der Lokalisierung der beiden wichtigen – vielleicht sogar wichtigsten – Hafenstädte der Diesseitigen Provinz des Reiches von Pylos nahe: Zum einen ist dies das Gebiet von Koryphasion mit der bedeutenden Siedlung von Beylerbey, welches über bequeme Zugänge vor allem zum ideal gelegenen natürlichen Hafen an der Osmanaga Lagu513 514 515 516 517 518

Chadwick, Mycenaean World 48, Bennet, Conceptualization 143 und Hope Simpson, Mycenaean Greece 149. Auch heute führen die wichtigsten Verkehrswege vom Pamisostal (Kalamata) in den Raum des modernen Pilos über diese Route. So Bennet l.c. Siehe Mn 1370. Zur Lage von ro-u-so und dem Verhältnis zu ro-o-wa siehe auch Bennet, Conceptualization 147. Dazu ausführlich II 1.2.

4. Der geographische Aspekt

273

ne aber auch zur eigentlichen Bucht von Navarino verfügt. Zum anderen ist aber die Ebene von Gialova mit der großen mykenischen Siedlung von Gialova selbst an der Ostseite der Bucht von Navarino sicherlich ein vielversprechender Kandidat für die Lokalisierung einer der beiden bedeutenden pylischen Hafenstädte. Dementsprechend wurden auch in der Forschung eben diese beiden Bereiche und ihre archäologischen Reste mit a-ke-re-wa respektive ro-o-wa identifiziert, wobei von einigen Forschern519 ro-o-wa mit Beylerbey gleichgesetzt wird, weil dieser Hafen relativ nahe dem Palast von Pylos gelegen ist und ro-o-wa »probably … the main port of Pu-ro« war,520 womit für die Lokalisierung von a-ke-re-wa die Siedlung bei Gialova übrig bleiben würde. Auf der anderen Seite wird jedoch auch a-ke-re-wa mit den archäologischen Resten von Beylerbey identifiziert.521 Nach dem jedoch, was schon weiter oben ausführlich über die geographische Reihenfolge der o-ka-Distrikte dargelegt wurde, sowie mit Hinblick auf die Tatsache, daß ro-o-wa im Distrikt ro-u-so anzusetzen ist, kann es wohl keinen Zweifel darüber geben, welcher Ort mit Beylerbey und welcher mit Gialova zu identifizieren ist: a-ke-re-wa ist der sechste, ro-uso (mit ro-o-wa) aber der siebente Distrikt in nord-südlicher Reihenfolge; ro-o-wa ist demnach auf alle Fälle südlich von a-ke-re-wa anzusetzen,522 womit die Siedlung von Beylerbey das mykenische a-ke-re-wa wäre und ro-o-wa in der Gialova-Ebene im Osten der Bucht von Navarino zu suchen wäre. Nicht unerwähnt soll jedoch bleiben, daß aufgrund von topographischen Erwägungen auch der Raum des modernen Pilos (und südlich davon) am Südende der Bucht von Navarino für die Lokalisierung von ro-o-wa in Frage käme; allerdings konnte bislang keine in ihrer Bedeutung passende mykenische Siedlung in diesem Gebiet festgestellt werden. o-wi-to-no Das größte Problem, das Hauptquartier der ersten o-ka, der von pi-*82, auch nur ungefähr zu lokalisieren, besteht darin, daß nicht klar ist, wie weit sich das Reich von Pylos nach Norden ausdehnte. In der Forschung reduziert sich dieses Problem letztlich auf die Frage, ob der Fluß Neda die Nordgrenze des pylischen Staates bildete,523 oder ob das Gebiet von Triphylien bzw. Teile desselben ebenfalls dem Reich angehörten.524 Letztlich ist diese Streitfrage nach heutigem Forschungsstand nicht mit Sicherheit zu entscheiden, doch ergäbe sich bei einer Ausdehnung des Pylischen Reiches bis an den Alpheios der doch etwas befremdliche Umstand, daß das gesamte Gebiet vom Palast von Pylos bis an den Alpheios auf nur drei Distrikte verteilt wäre, während das nicht einmal halb so große Territorium vom Palast bis zur Südspitze der messenischen Halbinsel insgesamt sechs Distrikte aufgewiesen hätte. Abgesehen von dieser befremdlichen Aufteilung spricht auch die Ertragslage der einzelnen 519 520 521 522 523 524

Chadwick, Mycenaean World 46 und Hope Simpson, Mycenaean Greece 146f. Hope Simpson, l.c. Carothers, Pylian Kingdom 233f. und Bennet, Conceptualization 146. So schon Hiller, Geographie 36. So Chadwick, Mycenaean World 45, Chadwick, Arcadia 219–227, Hope Simpson, Mycenaean Greece 148 und Bennet, Conceptualization 148. Pugliese Carratelli, Estensione 52f., wo das Reich von Pylos nach Norden bis Achaia ausgedehnt wird. Am Alpheios sieht Hiller, Geographie 99f. die Nordgrenze des Reiches.

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II. Die Organisation des spätmykenischen Militärwesens

Distrikte, wie sie aus der Ma-Serie der Pylos-Tafeln und den Listen in Cn 608 und Vn 20 ablesbar ist, gegen eine solche gewaltige Ausdehnung der drei Norddistrikte pe-to-no, meta-pa und pi-*82. Demnach erwirtschafteten nämlich die sechs südlichen Distrikte zusammen zwar tatsächlich nur etwas mehr an landwirtschaftlichen Erträgen als die drei nördlichen, was darauf schließen läßt, daß insgesamt die Fläche des ertragfähigen Landes (einschließlich der Weidegebiete) in den drei nördlichen Distrikten annähernd so groß war wie in den sechs südlichen, von einer mehr als doppelt so großen Fläche kann jedoch – nach den Erträgen – keine Rede sein. Es darf daher wohl angenommen werden, daß die drei nördlichen Distrikte (vor allem pe-to-no) an Fläche tatsächlich jeweils wesentlich größer waren als die südlichen sechs, sodaß man bei einer angenommenen Ausdehnung aller Norddistrikte, die an Größe der der südlichen entspricht, die Nordgrenze des Reiches etwa an der Neda ansetzen darf. Schließlich sei auch noch darauf hingewiesen, daß die beiden nördlichsten Distrikte me-ta-pa und pi-*82 offenkundig engere (wirtschaftliche) Verbindung zu a-te-re-wi-ja und e-sa-re-wi-ja, also Distrikten der Jenseitigen Provinz im oberen Pamisostal, hatten,525 was bei einer Lokalisierung von pi-*82 und/oder me-ta-pa in Triphylien aus verkehrsgeographischen Gründen nur schwer vorstellbar wäre, da der Weg entweder über einen anderen Distrikt oder aber über die Ausläufer der südwestarkadischen Gebirge verlaufen müßte.526 Daraus ergibt sich nun, daß man die Stadt o-wi-to-no im äußersten Norden des pylischen Staates, d.h. im Gebiet unmittelbar südlich des Flusses Neda wird suchen müssen, wobei nur ein Ort an der Küste in Frage kommt, da o-wi-to-no nicht nur Hauptquartier, sondern auch Stationierungsort einer Truppe ist. Angesichts der Tatsache, daß offenbar sowohl me-ta-pa als auch pi-*82 Verbindung zu Distrikten im oberen Pamisostal hatten und eine solche Verbindung wohl nur durch die Täler des Peristeri und der Soulima bestanden haben kann,527 muß der Distrikt pi-*82 an der Küste nördlich dieser Täler gelegen haben; er erstreckte sich somit der Küste entlang zwischen den Mündungen des Peristeri und der Neda oder allenfalls etwas über die Neda hinausgehend. Da die meisten mykenischen Siedlungen dieses Gebietes im Inland liegen, kommen sie für eine Identifizierung mit der Hafenstadt o-wi-to-no nicht in Frage. Lediglich die mykenische Siedlung nahe des heutigen Ortes Tholo liegt an der Küste und könnte die Stelle des mykenischen o-wi-to-no gewesen sein; sie befindet sich etwa 3km nördlich der Nedamündung und kontrolliert den Verkehrsweg ins Inland nach Lepreon und weiter in die Berge Arkadiens. Größere Sicherheit in dieser Frage könnte möglicherweise eine genauere archäologische Erforschung der mykenischen Siedlung von Tholo erbringen. In Frage kommt allerdings auch die knapp südlich der Neda-Mündung gelegene mykenische Siedlung von Phonissa.528

525

526 527 528

Dies legen die Pylos-Tafeln Aa 779, eine Auflistung von Arbeitern aus me-ta-pa und a-te-re-wi-ja, und An 830, ebenfalls eine Liste von Personen aus a-te-re-wi-ja, e-sa-re-wi-ja und pi-*82, nahe. Siehe hierzu Bennet, Conceptualization 148. Zur Nordausdehnung des Reiches von Pylos siehe Hope Simpson, Messenia 55. Siehe Chadwick, Mycenaean World 45. Hope Simpson, Mycenaean Greece 142 und ders., Messenia, Karte 6.

4. Der geographische Aspekt

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to-wa Das Hauptquartier für die o-ka-Truppen von pe-to-no und pa-ki-ja-ne ist mangels sonstiger Erwähnung in den Pylos-Texten nicht lokalisierbar. Es lassen sich lediglich einige Kriterien festhalten, die für die Lage von to-wa ausschlaggebend sind. to-wa gehört sicherlich zum Distrikt pa-ki-ja-ne, ist aber offenbar keine größere Siedlung, zumal sie für die Palastverwaltung keine Rolle gespielt zu haben scheint, obwohl gerade pa-ki-ja-ne und seine Orte und Heiligtümer in den Linear B-Texten von Pylos sehr präsent sind. Weiters ist to-wa im Binnenland zu suchen, weil zum einen in to-wa keine Truppen stationiert waren bzw. diese verlegt werden sollten, und zum anderen pa-ki-ja-ne ein Distrikt ohne Zugang zum Meer gewesen sein dürfte.529 Der Name to-wa, der – wie gesagt – sonst nicht belegbar ist, könnte vom griechischen Wort thoos (oria (Grenze) zu transkribieren ist544 – könnte darauf hindeuten, daß sich dieser Platz (an der Küste) an der Grenze zweier pylischer Distrikte befand, was in diesem Fall nur die Distrikte a-ke-re-wa und ro-uso sein können, deren Häfen a-ke-re-wa und ro-o-wa ja am Nord- bzw. Südende dieser Bucht liegen. Der Platz ne-wo-ki-to wo-wi-ja wäre demnach im südlichen Bereich der Bucht von Navarino zu lokalisieren und sa-pi-da folglich nördlich davon. Eben an dieser Bucht müssen auch die drei Einsatzorte der o-ka-Truppen von a-ke-rewa gesucht werden. Neben a-ke-re-wa selbst (an der Osmanaga Lagune) sind dies die Orte po-ra und u-wa-si, von denen po-ra – wie schon oben festgestellt – eine Siedlung, u-wa-si aber wohl nur eine mögliche Landungsstelle war, da es sonst nirgends Erwähnung findet. Gemäß der schon erwähnten Zugehörigkeit von po-ra zu den Orten der messenischen Halbinsel, ist eine Lage dieser Stadt im südlichen Bereich der Bucht – vielleicht bei Vigla545 knapp nördlich des heutigen Pilos – anzunehmen. Ob u-wa-si an der Bucht von Navarino selbst oder eher, wie a-ke-re-wa, an der Osmanaga Lagune anzusetzen ist, kann nicht gesagt werden. Es bleibt somit nur noch ein einziger Einsatzort von o-ka-Truppen zu erwähnen: das gesamte o-ka-Kontingent des Distriktes ti-mi-to a-ko war zwar noch in der Distriktshauptstadt stationiert, sollte aber an einen Platz namens ne-do-wa-ta entsandt werden. Mit diesem Toponymon ist wohl unzweifelhaft der bei der heutigen Stadt Kalamata in den messenischen Golf mündende Fluß Nedon (