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German Pages 408 [409] Year 2010
Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht Band 84
Das Parlament und sein Heer Das Parlamentsbeteiligungsgesetz Von Philipp Scherrer
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
PHILIPP SCHERRER
Das Parlament und sein Heer
Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht Herausgegeben von Wo l f g a n g G r a f Vi t z t h u m in Gemeinschaft mit M a r t i n H e c k e l, K a r l - H e r m a n n K ä s t n e r Fe r d i n a n d K i r c h h o f, H a n s v o n M a n g o l d t M a r t i n N e t t e s h e i m, T h o m a s O p p e r m a n n G ü n t e r P ü t t n e r, B a r b a r a R e m m e r t Michael Ronellenf itsch, Christian Seiler sämtlich in Tübingen
Band 84
Das Parlament und sein Heer Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
Von Philipp Scherrer
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen hat diese Arbeit im Jahre 2008 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
D 21 Alle Rechte vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-6061 ISBN 978-3-428-13162-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Meinen Eltern
Danksagung Die vorliegende Arbeit wurde im Jahre 2008 von der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Tiefen Dank schulde ich meinem verehrten Doktorvater Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Wolfgang Graf Vitzthum für aufgewandte Zeit und Mühen, seinen wertvollen fachlichen Rat und die Möglichkeit, in der von ihm herausgegebenen Schriftenreihe publizieren zu können. Ebenso danke ich Herrn Prof. Dr. Martin Nettesheim für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens. Meinen Eltern schulde ich Dank für ihre die gesamte Entstehungszeit der Arbeit begleitende Unterstützung. München, im Oktober 2009
Philipp Scherrer
Inhaltsverzeichnis Einleitung
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A. Anlass und Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Gang und Methode der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Erstes Kapitel Materiell-rechtliche Voraussetzungen eines Einsatzes bewaffneter Streitkräfte und der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt A. Art. 24 Abs. 2 GG als Rechtsgrundlage eines Einsatzes bewaffneter Streitkräfte im Rahmen von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit . . . . . I. Ermächtigungsgehalt des Art. 24 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verhältnis von Art. 87a Abs. 2 und 24 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begriff des Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einzelne Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit neben den Vereinten Nationen und der NATO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Europäische Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) GASP und ESVP bis zum Helsinki Headline Goal . . . . . . . . . . . . bb) EU-Missionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Weiterentwicklung: Vom Battle-Group-Konzept bis zum Vertrag von Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Westeuropäische Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) OSZE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Handeln im Rahmen und nach den Regeln von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Handeln nach den Regeln eines Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Handeln im Rahmen eines Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Handeln im Rahmen und nach den Regeln mehrerer Systeme . . . . . . . . . B. Verteidigungsaufgabe und -auftrag der Bundeswehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. „Zentralnorm“ des Art. 87a GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fortwirkende Bedeutung des Art. 87a GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Art. 87a Abs. 1 GG als Befugnisnorm zum Verteidigungseinsatz . . . . . .
18
18 18 20 23 23 27 27 27 29 30 32 33 36 38 39 40 41 42 42 42 45
6
Inhaltsverzeichnis II. Anwendungsbereich des Art. 87a Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
III. Sinnvariabilität des Begriffs der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
1. Literaturmeinungen und das Sicherheitspolitische Programm der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
2. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
C. Wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
I. Inhalt und Grenzen des parlamentarischen Mitentscheidungsrechts . . . . . . .
66
1. Einsatz bewaffneter Streitkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
2. Grenzen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes . . . . . . .
67
3. Parlamentarisches Beratungsverfahren und konstitutive Beschlussfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Dogmatische Herleitung der Parlamentsbeteiligung durch das Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. BVerfGE 90, 286 – Grundsätze der Wehrverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
a) Normen parlamentarischer Kontrolle der Streitkräfte . . . . . . . . . . . . . .
72
b) Normen parlamentarischer Entscheidung über den Einsatz der Streitkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
2. BVerfGE 90, 286; 108, 34 – verfassungshistorische Auslegung . . . . . . . .
75
a) Abstrakt-methodische Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
b) Konkrete Normauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
3. BVerfGE 88, 173 und 89, 38 – soldatische Grundrechte . . . . . . . . . . . . . .
81
4. BVerfGE 104, 151 und BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008 – demokratischer Parlamentsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
a) Demokratieprinzip als Konstituens der Wesentlichkeitslehre . . . . . . . .
86
b) (Allgemeiner) Parlamentsvorbehalt als Sachvorbehalt . . . . . . . . . . . . . .
87
c) Anwendungsbereich der Wesentlichkeitsformel im Bereich der Auslandseinsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
d) Anhaltspunkte für das Zugrundelegen wesentlichkeitstheoretischer Überlegungen in den Streitkräfteentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96
aa) Kompensationsgedanke in BVerfGE 104, 151 und BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96
bb) Parlamentarisches Beratungs- und Beschlussverfahren . . . . . . . . .
98
cc) Abstufung der parlamentarischen Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . .
99 dd) Entscheidung der Regierung über konkrete Ausgestaltung eines Einsatzes bewaffneter Streitkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
Inhaltsverzeichnis ee) Wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt als Parlamentspflicht nicht nur -recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG als Leitgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zur dogmatischen Einordnung des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfassungsrechtliches Novum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsbeschluss als Bundesrecht i. S. von Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
100 102 103 104 104 106 110
Zweites Kapitel Staatspraxis in Folge der Out-of-area-Entscheidung und Umsetzungsmöglichkeiten einer Verfahrensregelung A. Bundesverfassungsgerichtliche Verfahrensvorgaben zur Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bislang ergangene konstitutive Bundestagsbeschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Exekutives und parlamentarisches Beschlussverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Inhaltliche Ausgestaltung eines Regierungsantrags auf Zustimmung . . . . . . IV. Befristete Zustimmungen und Protokolläußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erste Missionsverlängerung KFOR/Joint Guardian II im Juni 2000 . . . . 2. Konstituierende Beschlussfassung Enduring Freedom im November 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Dritte Missionsverlängerung und -erweiterung ISAF (Kunduz-Einsatz) im Oktober 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Operation Libelle am 14. März 1997 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Bewertung der Staatspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Staatspraxis und bundesverfassungsgerichtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . 2. Staatspraxis in rechtlichen Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfassungs- bzw. Geschäftsordnungsgewohnheitsrecht? . . . . . . . . . . . . b) Informale Verfassungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Klärungsbedarf und rechtstechnische Umsetzungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . I. Bundesverfassungsgerichtlicher Auftrag zum Erlass des Parlamentsbeteiligungsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Klärungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtstechnische Umsetzungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfassungsändernde Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geschäftsordnungsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einfachgesetzliche Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis Drittes Kapitel Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
140
A. Gesetzesgenese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 B. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Notwendigkeit und Möglichkeiten einer Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abstrakte Ausführungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kasuistik in BVerfGE 90, 286 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) VN-Friedenstruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Humanitäre Hilfsdienste und Hilfeleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verteidigungsfall nach Art. 115 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bündnisfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Defensive Ausrichtung und vermeintliche Routine . . . . . . . . . . . . . . . . b) Provozierte Gefahr im Verzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Türkei als völkerrechtliche Konfliktpartei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bundesrepublik als völkerrechtliche Konfliktpartei . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte in der Staatspraxis . . . . . . . . . IV. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte in der Literatur . . . . . . . . . . . V. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte im Parlamentsbeteiligungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausweitung des Einsatzbegriffs durch Gefahrenprognose in § 2 Abs. 1 Var. 2 ParlBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfassungskonforme Auslegung unter Berücksichtigung von BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 7. Mai 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine exekutive Einschätzungsprärogative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kriterium der Bewaffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kriterium des Bewaffnungszwecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Robuste Bewaffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) VN-Missionen und bewaffnete Selbstverteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Humanitäre Hilfsdienste und bewaffnete Selbstverteidigung . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gesamtbetrachtende Wertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kriterium der mittelbaren Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Kriterium der Soldaten auf kriegsbefangenem Territorium . . . . . . . . . . . . 7. Kriterium der Änderungen der Einsatzlage und -umstände . . . . . . . . . . . .
143 143 145 145 147 147 148 148 149 150 155 156 158 159 161 161 164 166 166 168 170 171 172 172 174 175 176 177 178 180 181
Inhaltsverzeichnis
9
a) Erdbebenhilfe in Afghanistan durch deutsche ISAF-Soldaten (2002) . . b) Bundeswehrtornados über Afghanistan (2006/2007) . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Die Tornado-Entscheidung BVerfGE 118, 244 . . . . . . . . . . . . . . Einsätze zur Verteidigung nach Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG und im Verteidigungsfall nach Art. 115a Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einsätze zur Rettung deutscher Staatsbürger aus akuter Gefahr . . . . . . . . Einsätze von geringer Intensität und Tragweite nach § 4 Abs. 2, 3 ParlBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erkundungskommandos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einzelne Soldaten in Austauschprogrammen bzw. im VN-, NATOoder EU-Einsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zustimmungsfreie Einsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorbereitende Maßnahmen und Planungen nach § 2 Abs. 2 ParlBG . . b) Sonstige zustimmungsfreie Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesamtbetrachtung: Operation Eagle Assist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Inhaltliche Angaben eines Regierungsantrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Spannungsfeld zwischen exekutivem Eigenbereich und rechtsstaatlichem Bestimmtheitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Staatspraxis bis zum Inkrafttreten des Parlamentsbeteiligungsgesetzes . . II. Regelung im Parlamentsbeteiligungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Inhalt des § 3 Abs. 2 ParlBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfassungsmäßigkeit der Einsatzkautelen des § 3 Abs. 2 ParlBG . . . b) Verfassungspolitische Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Exkurs: Verteidigungsfall nach Art. 115 Abs. 1 GG und Antrag auf konstitutive Zustimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kein parlamentarisches Recht zur Modifikation des Regierungsantrags . . 3. Mehrheitserfordernis nach Art. 42 Abs. 2 Satz 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. „Rechtzeitige“ Antragsübersendung an den Bundestag . . . . . . . . . . . . . . . .
201
8. 9. 10.
11.
12. 13.
D. Abstufung der Parlamentsmitwirkung nach Art und Rahmenbedingungen konkreter Einsätze bewaffneter Streitkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorgaben und Vorschläge des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . II. Regelung im Parlamentsbeteiligungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einsätze von lediglich geringer Intensität und Tragweite i. S. der §§ 4 Abs. 2 und 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verlängerung von Einsätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vereinfachtes Verfahren nach § 4 Abs. 1 ParlBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vereinfachtes Verfahren in der Staatspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erste Verlängerung AMIS (Mai 2005) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Verlängerung UNMIS (September 2005) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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201 201 202 205 205 206 207 210 211 214 214 216 216 218 218 219 219 221 221 222
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Inhaltsverzeichnis c) Zweite Verlängerung AMIS (November/Dezember 2005) . . . . . . . . . . d) Zweite Verlängerung UNMIS (März/April 2006) . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Dritte Verlängerung AMIS (Mai 2006) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Dritte Verlängerung UNMIS (Oktober 2006) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Vierte Verlängerung AMIS (November/Dezember 2006) . . . . . . . . . . . h) Fünfte Verlängerung UNMIS (März/April 2007) . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Fünfte Verlängerung AMIS (Mai/Juni 2007) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Bewertung des vereinfachten Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vereinfachtes Verfahren in praxi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vereinfachtes Verfahren und verfassungsgerichtliche Anforderungen c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einsatzausschuss als mögliche Alternative de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . 1. Parlamentsheer als Ausschussheer? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verhältnis zwischen Plenum und Ausschüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Demokratische Fundierung des Parlamentsvorbehaltes . . . . . . . . . . . . . 3. Wehr- und Bündnisfähigkeit als einschränkende Verfassungsprinizipien a) Integrierte Schnelleingreiftruppen: NATO Response Force (NRF) und European Rapid Reaction Force (ERRF) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bundesverfassungsgerichtliche Anforderungen an die Rechtsgrundlagen integrierter Verbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beschleunigte Zeitabläufe im Bündnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Geheimschutz und Einsätze bewaffneter Streitkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Staatspraxis im Falle des Kommandos Spezialkräfte . . . . . . . . . . . . . . . b) Bewertung der Staatspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausschusslösung der FDP-Initiativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Weitere Lösungsvorschläge zur Abstufung des parlamentarischen Beteiligungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einsatz integrierter Verbände als Gefahr im Verzug-Situation? . . . . . . . . 2. Generelle Vorabzustimmung zu Einsätzen integrierter Verbände . . . . . . . 3. Große Lösung über ein Revokationsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
222 223 223 224 224 225 225 226 226 228 229 230 230 232 232 233 236
E. Gefahr im Verzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Staatspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. IFOR/Joint Endeavour 1995 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufstockung der ISAF-Kräfte 2002 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Operation Libelle 1997 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Regelung im Parlamentsbeteiligungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff der Gefahr im Verzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
268 270 271 271 272 273 275
240 242 244 251 252 257 258 261 262 263 264 266 267
Inhaltsverzeichnis a) Wehr- und Bündnisfähigkeit als zu schützende Verfassungsprinzipien b) Lebensschutz und Wehrauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Geheime Einsätze als regelmäßige Gefahr im Verzug-Einsätze? . . . . . 2. Grad der zu besorgenden Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nachträgliches Billigungsverfahen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Nachträgliches Zustimmungserfordernis bei bereits abgeschlossenem Einsatz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. FDP-Entwürfe und Gefahr im Verzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Exkurs: (Inner-)Exekutive Einsatzkompetenz bei Gefahr im Verzug . . . . . . . 1. Grundsätzliche Einsatzkompetenz des Kabinetts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Staatspraxis im Fall Libelle und Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Das parlamentarische Revokationsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Regelung im Parlamentsbeteiligungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Antrag der Fraktion der Linken auf Abzug des KSK aus Afghanistan . . . . . III. Regelung des § 8 ParlBG vor dem Hintergrund von Verfassung und Verfassungsrechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mangelnde parlamentarische Initiativbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Parlamentarische Gebundenheit bei Einsatzentscheidung . . . . . . . . . . . . . . 3. Einsatzdauer und Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis . . . . . . . . . 4. Gefahr im Verzug als Regelausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Analogie zum Verteidigungsfall nach Art. 115l Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . 6. Gesamtanalogie nach Art. 87a Abs. 4 Satz 2, 80a Abs. 2 und 3 Satz 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Bündnisfähigkeit und Verfassungsorgantreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Staatspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Allgemeine parlamentarische Kontroll- und Einwirkungsmöglichkeiten . . 10. Clausula rebus sic stantibus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Bundeswehr als Parlamentsheer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Exekutive Unterrichtungspflicht über laufende Einsätze bewaffneter Streitkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Staatspraxis bis zum Inkraftreten des Parlamentsbeteiligungsgesetzes . . . . . II. Parlamentarische Informationsrechte und exekutive Unterrichtungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Regelung im Parlamentsbeteiligungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regelmäßige Unterrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterrichtung über im vereinfachten Verfahren beschlossene Einsätze bewaffneter Streitkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11 276 276 284 286 287 288 290 292 292 294 295 297 299 300 301 303 304 305 306 307 308 309 310 312 316 318 320 320 322 325 326 327 328
Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
12
Inhaltsverzeichnis
Anhang 1: Gesetz über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland (Parlamentsbeteiligungsgesetz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 Anhang 2: Auszug aus der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages . . . . . . 338 Anhang 3: Entwurf der SPD-Bundestagsfraktion für ein Parlamentsbeteiligungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Anhang 4: Parlamentsbeteiligungsgesetz – Positionspapier der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Anhang 5: Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 Anhang 6: Entwurf eines Gesetzes zur Mitwirkung des Deutschen Bundestages bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr (Auslandseinsätzemitwirkungsgesetz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 Anhang 7: Gesetzentwurf der Fraktion der FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 Anhang 8: Entwurf für ein Eckpunktepapier der CDU/CSU für ein neues „Parlamentsbeteiligungsgesetz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402
Einleitung A. Anlass und Ziel der Untersuchung Anfang des 19. Jahrhunderts karikierte Johann-Wolfgang von Goethe biedere Bürger seiner Zeit, welche für geographisch weit entfernte Konflikte nur delektierende Teilnahmslosigkeit aufbringen konnten: Nichts bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei, Wenn hinten, weit, in der Türkei, Die Völker aufeinanderschlagen. (. . .) Herr Nachbar, ja! So laß ich’s auch geschehn, Sie mögen sich die Köpfe spalten, Mag alles nur durch einander gehen; Doch nur zu Hause bleib’s beim alten1.
Ihre späte politische Umsetzung findet die Goethesche Kritik am Spießbürger in der seit Ausgang des 20. Jahrhunderts grundlegend gewandelten Agenda der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Galt es im geteilten Deutschland noch als politisch klug, sich in Friedenszeiten militärischer Mittel sowohl im In- als auch im Ausland zu enthalten, ist nunmehr ein Paradigmenwechsel zu beobachten. Regionalkonflikte und fragile Staatlichkeit, sowie der internationale Terrorismus und die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen beeinträchtigen „unsere Sicherheit auch über große Entfernungen hinweg“ 2. „In einer zunehmend interdependenten Welt wirken sich diese Risken nicht nur auf ihre unmittelbare Umgebung aus, sondern berühren in vielfältiger Weise die Sicherheit der gesamten internationalen Gemeinschaft“ 3. „Deshalb gilt es Risken und Bedrohungen für unsere Sicherheit vorzubeugen und ihnen rechtzeitig dort zu begegnen, wo sie entstehen“ 4. In der prägnanten Formel eines bekannten Ministerworts: Im 21. Jahrhundert wird die deutsche Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt.
1
Goethe, Faust I, Vor dem Tore. Weißbuch zur Sicherheit Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr vom 25.10.2006, S. 19. Das Weißbuch dient traditionell als sicherheitspolitisches Programm der Bundesregierung. 3 Ebda., S. 21. 4 Ebda., S. 19. 2
14
Einleitung
Dieser Paradigmenwechsel wurzelt im Ende des Ost-West-Konflikts. Anfang der 1990er Jahre zerbrach sukzessive der bequeme Parteienkosens der alten Bundesrepublik, wonach das Grundgesetz eine Beteiligung deutscher Streitkräfte an internationalen Friedensmissionen nicht zulasse. Nach dem Kampf um den Wehrbeitrag in den 1950er Jahren und den heftigen Kontroversen um die Notstandsverfassung des Jahres 1968 geriet mit dem Out-of-area-Einsatz5 der Bundeswehr die Wehrverfassung das dritte Mal sowohl in den bundespolitischen, als auch in den verfassungsrechtlichen Fokus. Im Unterscheid zu den beiden vorangegangenen Wehrrechtsdebatten konnte die erbitterte Auseinandersetzung um den Out-of-area-Einsatz nicht politisch im Wege einer Verfassungsänderung beendet werden. Es war das Bundesverfassungsgericht, das einer sich im selbstgefertigten Netz ihrer Verfassungsargumente hoffnungslos verfangenen Außenpolitik Bewegungsfreiheit sowie Verantwortung wiedergab6. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 konnte den innenpolitischen Streit durch einen salomononischen Kompromiss7 beilegen: Die Bundesregierung bekam die materielle Verfassungsmäßigkeit von Out-of-area-Einsätzen bestätigt, der Bundestag (bzw. die Opposition) ein konstitutives Mitentscheidungsrecht bei der Entsendung der Streitkräfte. Unter einen Parlamentsvorbehalt gestellt, kann die Bundeswehr nur mit parlamentarischer Zustimmung ins Ausland entsendet werden. Gleichwohl konnte es nach dem Richterspruch nicht bei einem „Karlsruhe locuta, causa finita“ bleiben. Die Karlsruher Richter äußerten kaum verhohlen ihre Verstimmung über das Herantragen eines primär politisch zu lösenden Streits und ließen die Beteiligten durch das Urteil wissen, dass es Sache des Gesetzgebers sei, „die Form und das Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung näher auszugestalten“.8 Es dauerte über 10 Jahre bis der Gesetzgeber dieser Aufforderung nachgekommen ist und am 3. Dezember 2004 mit dem Parlamentsbeteiligungsgesetz eine entsprechende Verfahrensregelung verabschiedete. In der Zeit dazwischen sammelte der Bundestag in 39 ohne kodifizierte Grundlage vollzogenen Zustimmungsverfahren reichlich praktische Erfahrung in der Wahrnehmung seines konstitutiven Rechts. Hierbei sah er sich immer wieder mit verschiedensten Herausforderungen konfrontiert: Die Bundeswehr entwickelte sich zu einer Armee im Einsatz9. Die im Grundgesetz veran5 Der Begriff „out of area“ schillert. Gemeint sind Konstellationen, in denen die NATO andere als ihre im Vertrag festgehaltenen Verteidigungsaufgaben wahrnimmt. Zumeist wird der Begriff jedoch herangezogen, wenn die Allianz außerhalb ihres Vertragsgebietes agiert; ein Fehlschluss, denn das geographische Einsatzgebiet wird durch den NATO-Vertrag nicht begrenzt. Richtiger, wenngleich umständlicher, wäre demnach der Begriff des „out of wording of the contract“. 6 Isensee, JZ 1996, 1085 (1088). 7 Ein Kompromiss, der juristisch allerdings nicht unumstritten blieb. 8 BVerfGE 90, 286 (389). 9 Weißbuch zur Sicherheit Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr vom 25.10.2006, S. 82 ff.
A. Anlass und Ziel der Untersuchung
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kerte traditionelle Landesverteidigung wurde mehr und mehr ein Anachronismus, während sich andere Gefahren für die westliche Sicherheit und Interessen diesseits und jenseits des euro-atlantischen Raumes auftaten, Gefahren, die es nicht substitutiv, sondern additiv zu bewältigen gilt. Sowohl das nationale als auch das internationale Zusammenspiel änderten sich und verlangten der Bundeswehr ein neues Profil ab. Seit dem Karlsruher Grundsatzjudikat beteiligte sich die Bundeswehr daher nicht nur an VN-mandatierten Friedensmissionen. Sie kam ebenso zur Evakuierung im Ausland befindlicher Bundesbürger zum Einsatz, wie im Kosovo-Krieg, im Kampf gegen den weltumspannenden Terrorismus des 21. Jahrhunderts sowie bei der Bekämpfung von Piraterie. Letztere Szenarien waren bei der Urteilsfindung 1994 nicht absehbar. Diese Vielfalt an neueren Auslandseinsätzen der Bundeswehr erhellt und belegt dann auch wie kaum ein anderer Sachverhalt die veränderte internationale Stellung der Bundesrepublik seit der Wiedervereinigung10. Die Entsendung von Streitkräfteeinsatz zählt zu den schwerwiegendsten und folgenreichsten Entscheidungen, vor die ein Gemeinwesen gestellt werden kann. Innenpolitische oder Machtkalküle treten in der Praxis kumulativ hinzu und vermengen sich mit den auf die konkrete Entsendung bezogenen Sacherwägungen. Als prominentes Beispiel dienen die Auseinandersetzungen um den deutschen Streitkräftebeitrag in Reaktion auf die terroristischen Anschläge des 11. Septembers: Bundeskanzler Gerhard Schröder verband die Entscheidung über die deutsche Beteiligung an der Antiterror-Mission Enduring Freedom mit der Vertrauensfrage und sicherte sich dadurch eine wenn auch denkbar knappe Mehrheit der Koalitionsfraktionen – jedoch um den Preis, dass einerseits eine SPDAbgeordnete die Fraktion verließ und acht Abgeordnete der Grünen, das Los warfen, um zu klären, wer von ihnen mit Ja und wer mit Nein stimmen durfte11. Andererseits lehnten die beiden Oppositionsfraktionen CDU/CSU und FDP, die der Beteiligung selbst von der Sache her zugestimmt hätten, sie wegen der Bindung an die Vertrauensfrage ab. Nach zehn Jahren staatspraktischer Übung in dem hochsensiblen und vielgestaltigen Bereich der Auslandseinsätze, war die Zeit nunmehr reif für ein Verfahrensgesetz12. Man wisse nun, „wie es geht“, fasste es der am Gesetzgebungsverfahren maßgeblich beteiligte Abgeordnete Dieter Wiefelspütz zusammen13. 10
Vgl. Wiefelspütz, Das Parlamentsheer (2005), S. 15. Siehe die Erklärung des Abg. Hermann (Bündnis 90/Die Grünen), BT-PlenProt. 14/202 vom 16.11.2001, S. 19904. 12 Nachdrücklich wiesen hierauf auch Vertreter des Bundesverfassungsgerichts hin. Die ehemalige Präsidentin Limbach regte im März 2002 (dpa-Meldung vom 17.03. 2002 ,Limbach empfiehlt Entsendegesetz für Soldateneinsätze‘) ebenso eine Verfahrensregelung an wie ein Jahr später ihr Nachfolger Papier (Die Welt vom 07.04.2003, ,Gerichtspräsident Papier sieht in Entsendegesetz mehr Rechtsklarheit‘). 13 Ders., Das Parlamentsheer (2005), S. 8. 11
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Einleitung
Katalytisch befördert wurden die zunächst innerfraktionellen Bemühungen zudem durch den Streit zwischen der Opposition und der Bundesregierung über die deutsche AWACS-Überwachung der türkisch-irakischen Grenze im Frühjahr 2003 und durch die stetig wachsenden Anforderungen seitens der NATO und der EU im Rahmen ihrer integrierter Streitkräfteverbände14. Mehr und mehr einem Regelungsdruck ausgesetzt, machte sich der Gesetzgeber an das ehrgeizige Unterfangen, die im Bereich der Auslandseinsätze auftretenden Spannungen zwischen dem Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis, der Bündnistreue und der parlamentarischen Legitimation auszutarieren. In kaum einem anderen Bereich ist die exekutive Handlungsfähigkeit und Flexibilität so ausschlaggebend wie auf militärischem Gebiet; auf der anderen Seite erfordert die fundamentale Entscheidungen über den Streitkräfteeinsatz in besondererweise eine parlamentarisch-demokratische Abstützung. Inwieweit das Parlamentsbeteiligungsgesetz einen Beitrag zur praktisch konkordanten Auflösung dieser Spannungen zu leisten vermag, ist Ziel der vorliegenden Untersuchung
B. Gang und Methode der Untersuchung In ihrem 1. Kapitel widmet sich die vorliegende Arbeit zunächst den materiellen Voraussetzungen, die Völker- und Verfassungsrecht an den Auslandseinsatz der Bundeswehr stellen. In formeller Hinsicht wird der durch das Bundesverfassungsgericht eingeführte und in verschiedenen Judikaten bestätigte wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt in seinen Gründen und Grenzen dargestellt. Vor allem die vom Bundesverfassungsgericht bemühten Gründe werden einer kritischen Analyse unterzogen. Ohne den Sinn und Zweck des parlamentarischen Mitwirkungsrechts zu klären, wäre im Verlauf der weiteren Untersuchung nicht erkennbar, ob der Gesetzgeber den Parlamentsvorbehalt in verfassungskonformer Weise ausgestaltete; und mit einer gelungene Ausformung der verfassungsrichterlichen Vorgaben steht und fällt die Zielerreichung einer praktisch konkordanten Vereinbarung der mitunter konfligierenden Grundsätze des exekutiven Eigenbereich, der Bündnistreue und des konstitutiven Parlamentsvorbehalts. Das 2. Kapitel ist der Staatspraxis geschuldet, wie sie sich infolge des Outof-area-Urteils bis zum Inkrafttreten des Parlamentsbeteiligungsgesetzes entwickelt hat. Es wird gezeigt, welche faktischen Verfahrensgänge sich vor dem Hintergrund einer fehlenden gesetzlichen Grundlage und den nur knappen Vor14 Vgl. nur die vor allem an die Bundesrepublik adressierte Forderung des NATOGeneralsekretärs Lord Robertson nach schnelleren nationalen Entscheidungsprozessen (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10.10.2003, ,Schnell einsatzbereit – Das Treffen der NATO-Verteidigungsminister in Colorado Springs‘).
B. Gang und Methode der Untersuchung
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gaben des Bundesverfassungsgerichts durchgesetzt haben. Einzelne Zustimmungsverfahren werden exemplarisch herausgegriffen, um typische Besonderheiten und Probleme des Zusammenspiels zwischen Regierung und Parlament zu verdeutlichen. Auf dieser Grundlage wird die Staatspraxis eingehend bewertet und an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gemessen. Das Aufzeigen der in der Staatspraxis aufgetretenen Schwierigkeiten im Umgang mit dem Parlamentsvorbehalt dient der Ermittlung von konkretem Regelungsbedarf. Ist dieser herausgearbeitet, ist der Frage nachzugehen, was eine gesetzliche Regelung zu leisten vermag. Erörtert wird insbesondere, ob – entgegen der apodiktischen Formulierung des Bundesverfassungsgerichts – auch eine andere Regelungsmöglichkeit, als die des formellen Gesetzes in Betracht gezogen werden kann. Schließlich widmet sich das 3. Kapitel den konkreten vom Gesetzgeber gewählten Regelungen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes. Die Normengenese und die unterschiedlichen Vorschläge der Parteien werden zunächst kurz skizziert. Eine ausführlichere Darstellung folgt dann bei den einzelnen, in der Staatspraxis und im Gesetzgebungsverfahren umstrittenen Teilbereichen der Streitkräfteentsendung. Von besonderem Interesse sind hier die Definition des Begriffs des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte, die inhaltliche Ausgestaltung der an das Parlament gerichteten Zustimmungsanträge, die Abstufung der Verfahrensdichte bei Einsätzen geringerer Bedeutung, die Gefahr im Verzug-Regelung, sowie nicht zuletzt die Frage nach einem parlamentarischen Rückholrecht der Streitkräfte. Unter Rückgriff auf die Darstellungen und Ergebnisse der vorangegangenen Kapitel finden sich die nunmehr getroffenen Regelungen anschließend zur Diskussion gestellt. De lege ferenda werden Alternativen entwickelt. Ebenso werden Lösungsvorschläge unterbreitet für gesetzgeberisch außen vor gelassene, gleichwohl aber praktisch relevante Problemstellungen. Der abschließende Ausblick dient der zusammenfassenden Bewertung des gesetzgeberischen Bemühens, die im Bereich des Streitkräfteeinsatzes auftretenden Zielkonflikte auf klare und transparente Weise auszugleichen.
Erstes Kapitel
Materiell-rechtliche Voraussetzungen eines Einsatzes bewaffneter Streitkräfte und der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt A. Art. 24 Abs. 2 GG als Rechtsgrundlage eines Einsatzes bewaffneter Streitkräfte im Rahmen von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit I. Ermächtigungsgehalt des Art. 24 Abs. 2 GG Das Bundesverfassungsgericht sieht in Art. 24 Abs. 2 GG die verfassungsrechtliche Grundlage für die Übernahme der mit der Zugehörigkeit zu einem System kollektiver Sicherheit typischerweise verbundenen Aufgaben und damit auch für bewaffnete Einsätze der Bundeswehr, die im Rahmen und nach den Regeln dieses Systems stattfinden1. Das Bundesverfassungsgericht hat sich somit nicht die Meinung zu eigen gemacht, wonach Art. 24 Abs. 2 GG nur den Beitritt der Bundesrepublik zu einem System gegenseitiger Sicherheit zulasse, nicht aber auch die Befugnis verleihe, im Rahmen und nach den Regeln dieses Systems tätig zu werden. Dies war bis zur Out-of-area-Entscheidung vor allem wegen der einschränkenden Formulierung des Art. 87a Abs. 2 GG höchst umstritten: Letztere Verfassungsvorschrift lässt ihrem Wortlaut nach den Einsatz der Streitkräfte nur zu, soweit eine ausdrückliche grundgesetzliche Regelung besteht. Zur Begründung seiner extensiven Interpretation des Art. 24 Abs. 2 GG führt das Bundesverfassungsgericht an, dass sich ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit regelmäßig auch auf Streitkräfte stütze, die den Friedensauftrag des Systems erfüllbar machen und als ultima ratio gegen den Friedensstörer eingesetzt werden können. Das Mitglied eines solchen Systems müsse daher grundsätzlich bereit sein, der Sicherheitsorganisation zur Wahrung oder Wiederherstellung des Friedens auch militärische Mittel zur Verfügung zustellen2. Diese 1
BVerfGE 90, 286 (Leitsatz 1). BVerfGE 90, 286 (345). Das Bundesverfassungsgericht bewegt sich hier in argumentatorischer Nähe zu der dem US-amerikanischem Verfassungsrecht entstammenden Theorie von den „implied powers“ [vgl. Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), 2
A. Art. 24 Abs. 2 GG als Rechtsgrundlage
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systematisch-teleologische Auslegung des Art. 24 Abs. 2 GG wird mit dem verfassungsgeschichtlichen Argument untermauert, wonach die Verfassungsväter bei Schaffung des Art. 24 Abs. 2 GG die Möglichkeit einer deutschen Beteiligung an militärischen Maßnahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit gesehen haben3. Der von Beginn an im Grundgesetz verankerte Art. 24 Abs. 2 GG habe spätestens 1956 durch Schaffung der Bundeswehr eine militärische Bedeutungserweiterung erfahren, die auch durch den im Rahmen der Notstandsverfassung 1968 eingefügten Art. 87a Abs. 2 GG nicht nachträglich wieder eingeschränkt werden sollte4. Diesem Befund stehe der Wortlaut des Art. 87a Abs. 2 GG nicht entgegen, denn dessen maßgebliches Ziel sei es gewesen, die Möglichkeit für einen Einsatz der Bundeswehr im Innern durch das Gebot strikter Textreue zu begrenzen5. Art. 24 Abs. 2 GG hat durch diese verfassungsgerichtliche Rechtsprechung einen beachtlichen Wandel zur Konkurrenznorm des Art. 87a Abs. 1, 2 GG erfahren6. Letzterem wurde jahrzehntelang der „Charakter einer grundlegenden GG Bd. II (2005), Art. 24 Rndr. 89]. Die Gegenauffassung hatte neben dem Verweis auf die Grammatik der Norm eingewendet, dass die Bundesrepublik nur solche Kompetenzen übertragen konnte, die sie zum Zeitpunkt des VN-Beitritts 1973 auch besessen hat: Nemo ultra posse obligetur quam ipset habet. Auch die jahrzehntelange Staatspraxis belege eindrucksvoll, dass Art. 24 Abs. 2 GG keine Ermächtigung für die Auslandsentsendung deutscher Streitkräfte beinhalte. Gefolgt ist das Bundesverfassungsgericht hingegen Literaturstimmen, die in der Tatsache, dass die Bundesrepublik nicht unmittelbar verpflichtet ist, zu einem konkreten militärischen Einsatz beizutragen, die verfassungsrechtliche Ermächtigung nicht in Frage stelle. Es widerspräche dem telos des Art. 24 Abs. 2 GG, der gerade die Mitgliedschaft in einem System kollektiver Sicherheit fördern will, sogar um den Preis der Beschränkung von Hoheitsrechten [Randelzhofer, in: Maunz/Dürig et al. (Hrsg.), GG (Stand 1992), Art. 24 II Rndr. 46]. Eine andere Situation war beim Beitritt des Deutschen Reiches zum Völkerbund im Jahre 1926 gegeben. Damals meldete das Reich den Vorbehalt an, durch die Rüstungsbeschränkungen gehindert zu sein, an Sanktionen nach der Satzung des Völkerbundes teilzunehmen. Dem Argument, dass Art. 24 Abs. 2 GG in der Staatspraxis bis Anfang der 1990er Jahre nicht als Ermächtigungsnorm wahrgenommen wurde, entgegnet Randelzhofer, in: Maunz/Dürig et al. (Hrsg.), GG (Stand 1992), Art. 24 II Rndr. 58 pointiert: „Wo käme man hin, wenn nicht zutreffende Ansichten der Regierung zur Verfassungsrechtslage nur durch Verfassungsänderungen überwunden werden könnten? Nicht einmal der Repräsentant des Souveräns, der Bundestag, kann diese Schonung für sich in Anspruch nehmen. Irrt er in einem Gesetz über die Verfassungslage, so muss er sich durch das Bundesverfassungsgericht korrigieren lassen“. 3 BVerfGE 90, 286 (345). 4 Vertreter dieses genetischen Arguments waren im Vorfeld der Entscheidung vor allem Tomuschat und Randelzhofer, deren Ausführungen das Bundesverfassungsgericht ganz offenkundig beeinflussten, vgl. Tomuschat, Außenpolitik 1985, 272 (281 ff.); ders., in: Dolzer (Hrsg.), BK-GG (1985), Art. 24 Rndr. 122, 174; Randelzhofer, in: Maunz/Dürig et al. (Hrsg.), GG (Stand 1992), Art. 24 II Rndr. 43 ff. 5 BVerfGE 90, 286 (357), bestätigt in den Entscheidungen zum Neuen Strategischen Konzept der NATO, BVerfGE 104, 151 (212) und zum Luftsicherheitsgesetz BVerfGE 115, 118 (142). 6 Vgl. Hernekamp, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG Bd. 3 (2003), Art. 87a Rndr. 3.
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt
Verfassungsnorm für den militärischen Bereich“ 7 bescheinigt, während Art. 24 Abs. 2 GG in den frühen Jahren des Grundgesetzes als bloßer Programmsatz mit nur geringer rechtlicher Bedeutung8 oder als bloße „declaration of policy“ 9 gering geschätzt wurde.
II. Verhältnis von Art. 87a Abs. 2 und 24 Abs. 2 GG Entgegen einer immer wieder geäußerten Ansicht hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Out-of-area-Entscheidung nicht entschieden, in welchem dogmatischen Verhältnis Art. 24 Abs. 2 GG und Art. 87 Abs. 2 GG zueinander stehen10. Es hat keine Aussagen getroffen, ob die Verfassungsnorm des Art. 24 Abs. 2 GG als ausdrückliche Zulassung i. S. des Art. 87a Abs. 2 GG zu interpretieren sei11, oder ob hierin eine selbstständige, von Art. 87a Abs. 2 GG unabhängige Ermächtigungsnorm12 zu sehen ist. Diese Fragestellung wird relevant, wenn man Art. 87a Abs. 2 GG auch auf Auslandseinsätze anwenden will, denn er enthält einen Verfassungsvorbehalt für Streitkräfteeinsätze, die nicht der Verteidigung dienen. Einsatzermächtigungen aus der Natur der Sache oder deren stillschweigende Zulassung sind hierdurch ausgeschlossen13. Bei der Deutung des Art. 24 Abs. 2 GG lässt das Bundesverfassungsgericht überraschenderweise Art. 87a Abs. 2 GG weitgehend außen vor14, so dass die im Rahmen der letzteren Vorschrift vielfach diskutierten Problematiken der „aus7
Ipsen, in: Dolzer (Hrsg.), BK-GG (Stand 1969), Art. 87a Rndr. 8. Grewe, DRZ 1949, 313 (315). 9 Kaufmann, Sitzungsbericht der Sondersitzung des Deutschen Bundesrates vom 15.06.1951, S. 19 ff.; Wolgast, DÖV 1952, 133 (133). 10 Fehl gehen Sauer, ZaöRV 62 (2002), 317 (322); ders., JA 2004, 19 (20); F. Schröder, Das parlamentarische Zustimmungsverfahren (2005), S. 36; Kokott, in: Sachs (Hrsg.), GG (2003), Art. 87a Rndr. 21–22, wenn sie meinen, das Bundesverfassungsgericht hätte entschieden, dass Art. 24 Abs. 2 GG eine ausdrückliche Zulassung i. S. des Art. 87a Abs. 2 GG sei. 11 Grundlegend Tomuschat, Außenpolitik 1985, 272 (280 ff.); ders., in: Dolzer (Hrsg.), BK-GG (Stand 1985), Art. 24 Rndr. 174; hierfür auch Doehring, Diskussionsbeitrag, in: Frowein/Stein (Hrsg.), Rechtliche Aspekte einer Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an Friedenstruppen der Vereinten Nationen (1990), S. 42 f. und 60; Wolfrum, ebda., S. 45; Mosler, ebda., S. 50; Frowein, ebda., S. 73; Mußgnug, ebda., S. 66; Gornig, JZ 1993, 123 (126 f.). 12 Diese Ansicht wird wesentlich bestimmt durch Randelzhofer, in: Maunz/Dürig et al. (Hrsg.), GG (Stand 1992), Art. 24 II Rndr. 57 f. 13 Ausdrücklich von einem bestimmten Handeln der Streitkräfte sprechen etwa Art. 35 Abs. 2, 3 GG (Hilfe bei und Bekämpfung von Naturkatastrophen), vom Objektschutz, der Verkehrsregelung (Art. 87a Abs. 3 GG) oder der Bekämpfung Aufständischer (Art. 87a Abs. 4 GG). 14 „Hence, in contrast to a widely-held view, the Court does not deem Article 87a Basic Law to be the starting point for a legal evaluation of the legality of use ,out of area‘.“ Heintschel von Heinegg/Haltern, NILR 41 (1994), 285 (300). 8
A. Art. 24 Abs. 2 GG als Rechtsgrundlage
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drücklichen Zulassung“ sowie des „Innen-Vorbehalts“, aber auch die Begriffe der „Verteidigung“ und des „Einsatz“, weiterhin offen bleiben. Eine Untersuchung der Out-of-area-Entscheidung auf entsprechende Andeutungen, wie das Bundesverfassungsgericht den Geltungsbereich des Art. 87a Abs. 2 GG verstehen könnte, bleibt ebenfalls unfruchtbar. Zwar richtete das Bundesverfassungsgericht in seiner mündlichen Verhandlung Art. 87a Abs. 2 GG noch als verfassungsrechtliches Entrée seiner Untersuchung aus, worin zunächst eine Präferenz für Art. 24 Abs. 2 GG als ausdrückliche Zulassungsnorm gesehen werden könnte15. Hiergegen spricht jedoch der spätere Urteilsaufbau, bei dem vordringlich auf Art. 24 Abs. 2 GG eingegangen wird und Art. 87a GG als Randerscheinung behandelt wird, durch die „jedenfalls (. . .) der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit, dem die Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 24 Abs. 2 GG beigetreten ist, nicht ausgeschlossen (wird)“ 16.
Schlussfolgerungen aus dem Urteilsaufbau sind jedoch wiederum insofern zu relativieren, als vielfach davon ausgegangen wird, dass dieser methodisch falsch sei, da erst zur grundsätzlichen Anwendbarkeit von Art. 87a Abs. 2 GG auf Auslandseinsätze der Bundeswehr Stellung zu nehmen gewesen wäre. Am ehesten liegt daher der Schluss nahe, dass ein Dissens im entscheidenden Zweiten Senat über die Reichweite des Art. 87a Abs. 2 GG ursächlich für die Nichtbehandlung dieser zentralen Norm im Allgemeinen und dessen Verhältnis zu Art. 24 Abs. 2 GG im Besonderen war17. Die Literaturmeinung wonach Art. 24 Abs. 2 GG ein ausdrücklicher Fall sei, in dem die Streitkräfte (außer zur Verteidigung) eingesetzt werden dürfen, negiert die Bedeutung, die der Term „ausdrücklich“ im juristischen Sprachgebrauch beansprucht; denn expressis verbis ist von der Bundeswehr oder deren Einsatz, gar im Rahmen der Vereinten Nationen oder der NATO, nicht die Rede18. Selbst wenn man die Auffassung vertritt, die in Art. 24 Abs. 2 GG 15 Die vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene Gliederung der mündlichen Verhandlung vom 19./20. April 1994 ist abgedr. in Dau/Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte (1996), S. 652 ff. 16 BVerfGE 90, 286 (355 f.). Aus diesem Urteilsaufbau folgern daher mehrere Autoren, dass das Bundesverfassungsgericht den Art. 24 Abs. 2 GG als von Art. 87a Abs. 2 GG unabhängige lex specialis sehe, vgl. Dau, NZWehrr 1994, 177 (179); Bähr, MDR 1994, 882 (883); Zöckler, EJIL 1995, 274 (276). 17 Epping, in: Pieroth (Hrsg.), Verfassungsrecht und soziale Wirklichkeit in Wechselwirkung (2000), S. 183 (199); i. E. ebenso Heintschel von Heinegg/Haltern, NILR 41 (1994), 285 (303 f.); Stein/Kröninger, Jura 1995, 254 (260). 18 Vgl. Randelzhofer, in: Maunz/Dürig et al., GG (Stand 1992), Art. 24 II Rndr. 57. Dafür dass der in Art. 87a Abs. 2 GG verwendete Begriff „ausdrücklich“ expressis verbis zu verstehen ist, spricht der parallele Sprachgebrauch von Art. 87 Abs. 2 und Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG. Nach letzterer Vorschrift kann das Grundgesetz nur durch ein Gesetz geändert werden, dass den Wortlaut des Grundgesetzes ändert oder ergänzt.
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt
eröffnete Möglichkeit der Einordnung der Bundesrepublik in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit liege zugleich die Ermächtigung zum Einsatz der Streitkräfte des Bundes im Rahmen eines solchen Systems, wäre dies allenfalls eine implizite, nicht aber eine ausdrückliche Ermächtigung. Auch eine noch so völkerrechtsfreundliche Auslegung des Grundgesetzes kann aus einer konkludenten keine „ausdrückliche“ Zulassung machen19. Ausgangspunkt muss vielmehr sein, dass Art. 87a Abs. 2 GG an den schon vor seiner Einfügung 1968 in das Grundgesetz auch nur implizit eröffneten Möglichkeiten des Einsatzes der Streitkräfte nichts ändern wollte, wohl aber künftige weitere Möglichkeiten des Einsatzes außerhalb der Verteidigung von der ausdrücklichen Zulassung durch das Grundgesetz abhängig machen wollte. Der schon im Urtext der Verfassung enthaltene Art. 24 Abs. 2 GG hat 1956 durch Schaffung der Bundeswehr eine militärische Bedeutungserweiterung erfahren, stellte also 1968 bei der Einfügung des Art. 87a Abs. 2 GG bereits eine eröffnete Möglichkeit des Streitkräfteeinsatzes dar. Art. 24 Abs. 2 GG ist somit außerhalb der Regelungsreichweite des Verfassungsvorbehalts des Art. 87a Abs. 2 GG20. Hätte der Verfassungsgeber von 1968 den Ermächtigungsinhalt des Art. 24 Abs. 2 GG tatsächlich modifizieren wollen, hätte dessen Wortlaut nach Art. 79 Abs. 1 Satz 1 geändert werden müssen21. Der Anwendungsbereich des Art. 87a Abs. 2 GG ist demnach teleologisch zu reduzieren auf die Zeit nach 1968. Zukünftige militärische Einsatzszenarien bedürfen einer Verfassungsänderung; bis 1968 anerkannte Einsatzformen bleiben aber unberührt. Art. 24 Abs. 2 GG ist daher als eine unabhängige, von Art. 87a Abs. 2 GG losgelöste Ermächtigungsgrundlage zu betrachten22.
19 Vgl. auch E. Klein, Diskussionsbeitrag, in: Frowein/Stein (Hrsg.), Rechtliche Aspekte einer Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an Friedenstruppen der Vereinten Nationen (1990), S. 61 f.: „so einfach kann man sich über diese Bestimmung und diesen Wortlaut nicht hinwegsetzen“. 20 Dies besagt noch nichts darüber, ob Art. 87a Abs. 2 GG nur auf den Inneneinsatz anwendbar ist; hierzu gleich. 21 Verfahrensbevollmächtigte Isensee/Randelzhofer, Gegenäußerung der CDU/CSUFraktion vom 22. April 1993, abgedr. in: Dau/Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte (1996), S. 524 (554); Frowein, in: Frowein/Stein (Hrsg.), Rechtliche Aspekte einer Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an Friedenstruppen der Vereinten Nationen (1990), S. 1 (12). 22 Wie hier Randelzhofer, in: Maunz/Dürig et al., GG (Stand 1992), Art. 24 II Rndr. 55; Doehring, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. VII (1993), § 177 Rndr. 24; Khan/Zöckler, EJIL 1992, 163 (167 ff.); Wieland, DVBl. 1991, 1174 (1180); Oldiges, in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht (2000), S. 648 Rndr. 12.
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III. Begriff des Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit 1. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts In den internationalen Beziehungen wird allgemein zwischen kollektiver Sicherheit und kollektiver Selbstverteidigung unterschieden. Ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit hat sich zum Ziel gesetzt, Aggression eines Mitgliedstaates gegenüber anderen Mitgliedstaaten zu verhindern oder zu unterdrücken23. Das maßgebliche historische Vorbild und den heute noch typischen Anwendungsfall bilden die Vereinten Nationen24. Umstritten war bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts inwieweit diese völkerrechtlich geprägte Terminologie auf das Begriffsverständnis des Art. 24 Abs. 2 GG übertragbar ist25. Bei einer Übertragung wäre die praktische Folge, dass Organisationen wie die NATO und die WEU, die von ihrer historischen Konzeption her primär gegen einen Feind von außen gerichtet sind, von der Norm des Art. 24 Abs. 2 GG nicht erfasst würden26. Das Bundesverfassungsgericht hat die Einordnung der NATO als ein kollektives Sicherheitssystem in seiner Pershing-Entscheidung vom 18. Dezember 1984 noch offengelassen27, in seiner Out-of-areaEntscheidung dann aber festgestellt, dass Bündnisse kollektiver Selbstverteidi23 Vgl. nur Bothe, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht (2004), 8. Abschn. Rndr. 5, 31 ff. m.w. N. 24 Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG Bd. II (2005), Art. 24 Rndr. 77. Dem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit folgte auch der Völkerbund, auch wenn seine Praxis den spezifischen Systemsinn verfehlte, weil die potentiellen Gegner gerade nicht permanent einbezogen waren. Die USA traten dem Völkerbund niemals bei, das Deutsche Reich verließ ihn und die Sowjetunion wurde ausgeschlossen, vgl. Doehring, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. VII (1992), § 177 Rndr. 2. 25 Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates hatten wohl in erster Linie den völkerrechtlichen Begriff vor Augen. In der Entgegnung auf einen Antrag, den Begriff der kollektiven Sicherheit durch den der „gemeinsamen Sicherheit“ zu ersetzen, führte der Vorsitzende Carlo Schmid im Hauptausschuss aus: „(. . .) der Ausdruck ,gemeinsame Sicherheit‘ entspricht einem indifferentiellen Sprachgebrauch, unter dem man sich das verschiedenste vorstellen kann. Unter ,kollektiver Sicherheit‘ ist etwas ganz präzises zu verstehen, eine Institution aus dem großen Gebiet des Kriegsverhütungsrechts, das in den modernen Lehrbüchern als besonderer Abschnitt des Systems des positiven Völkerrechts behandelt zu werden pflegt“, ders., Hauptausschuss, StenProt. 6. Sitzung vom 19.11.1948, S. 69 (70). Bei Tomuschat, in: Dolzer (Hrsg.), BK-GG (1985), Art. 24 Rndr. 127 ff. finden sich indes beachtliche Argumente, nach denen die Entstehungsgeschichte des Art. 24 Abs. 2 GG nicht eindeutig ist. 26 Dass Verteidigungsbündnisse nicht unter Art. 24 Abs. 2 GG subsumiert werden können, vertreten etwa Doehring, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. VII (1992), § 177 Rndr. 6, 13; Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG Bd. II (2005), Art. 24 Rndr. 77 ff.; a. A.: Grewe, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. III (1988), § 77 Rndr. 77 f.; E. Klein, ZaöRV 34 (1974), 429 (442 f.); Tomuschat, in: Dolzer (Hrsg.), BK-GG (1985), Art. 24 Rndr. 132; Randelzhofer, in: Maunz/Dürig et al. (Hrsg.), GG (Stand 1992), Art. 24 II Rndr. 21. 27 BVerfGE 68, 1 (95).
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt
gung sehr wohl Sicherheitssysteme i. S. des Art. 24 Abs. 2 GG sein können, wenn und soweit sie strikt auf die Friedenswahrung verpflichtet sind28. Denn die von Art. 24 Abs. 2 GG ersichtlich verfolgte Zielsetzung der Friedenswahrung sei entscheidend für die Definition des verfassungsrechtlichen Begriffs der kollektiven Sicherheit29. Grundsätzlich könne das Ziel der Friedenswahrung durch beide Konzepte erreicht werden. Insbesondere gingen auch die Vereinten Nationen durch den Hinweis auf die kollektive Verteidigung in Art. 51 VNCharta von deren friedenssichernder Funktion aus30. Eine strikte Gegenläufigkeit von kollektiver Sicherheit und kollektiver Selbstverteidigung lehnte das Bundesverfassungsgericht demnach ab. Stattdessen seien Systeme kollektiver Sicherheit i. S. des Art. 24 Abs. 2 GG durch folgende Komponenten bestimmt31: • • • •
ein friedensicherndes Regelwerk, der Aufbau einer eigenen Organisation, der Status völkerrechtlicher Gebundenheit, die wechselseitige Verpflichtung zur Friedenswahrung und Sicherheitsgewahrung (Garant bzw. Garantieempfänger).
Der Out-of-area-Beschluss hätte indes die Frage, ob auch die NATO den Voraussetzungen eines kollektiven Sicherheitssystems i. S. des Art. 24 Abs. 2 GG gerecht wird, ebenso gut offenlassen können. Die Bundesregierung hatte im
28
BVerfGE 90, 286 (349); vgl. auch BVerfGE 118, 244 (261 f.) wonach „(. . .) das Gebot der Friedenswahrung stets zwingender Bestandteil der Vertragsgrundlage eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit (ist); die friedenswahrende Zwecksetzung ist nicht nur einmalige Voraussetzung des Beitritts, sondern fortdauernde Voraussetzung des Verbleibs Deutschlands in dem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit. Diente ein solches System in seiner generellen Ausrichtung nicht mehr der Wahrung des Friedens im Sinne von Art. 24 Abs. 2 GG, wäre dadurch auch die verfassungsrechtliche Ermächtigung zur Einordnung in ein entsprechendes militärisches Bündnissystem überschritten.“ 29 Mit Recht merkt Deiseroth, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG Bd. I (2002), Art. 24 Rndr. 285 FN 536 kritisch an, dass wenn es tatsächlich alleine darauf ankäme, ob das jeweilige Bündnis auf die Friedenswahrung „verpflichtet“ ist, auch der Warschauer Pakt ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit gewesen wäre; denn nach Art. 1 des Warschauer Vertrages vom 14. Mai 1955 hatten sich die Paktstaaten verpflichtet, „sich in ihren internationalen Beziehungen der Drohung mit Gewalt oder ihrer Anwendung zu enthalten und ihre internationalen Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln zu lösen, dass der Weltfrieden und die Sicherheit nicht gefährdet werden.“ 30 Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG Bd. III (2005), Art. 24 Rndr. 79 wendet zu Recht ein, dass der Verweis auf die VN-Charta jedoch missachte, dass Art. 51 VN-Charta das Selbstverteidigungsrecht der Staaten regelt und damit primär im Kontext der Existenzsicherung der Staaten, nicht so sehr in dem der Friedenssicherung stehe. Auch wenn sich das System kollektiver Sicherheit der VN einerseits und Art. 51 VN-Charta „ergänzen“, liegt darin eben keine Identität beider Organisationsformen und Sicherheitskonzepte; vgl. auch Kreß, IclQ 44 (1993), 414 (418) „it remains true that complementarity is not identity“. 31 BVerfGE 90, 286 (349).
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Vorfeld zu Recht argumentiert32, das Gericht könne sich auf die unbestrittene Feststellung beschränken, dass die Vereinten Nationen ein entsprechendes Sicherheitssystem seien und die drei zur Entscheidung stehenden Bundeswehrbeteiligungen33 alle zur Umsetzung von Beschlüssen dieses Systems durchgeführt worden waren34. Dies gilt unbeschadet dessen, dass den NATO-Stäben bei den Einsätzen in Restjugoslawien Befehlsgewalt über deutsche Truppen eingeräumt wurde. Zwar wertete das Bundesverfassungsgericht diesen Vorgang nicht als Übertragung von Hoheitsrechten nach Art. 24 Abs. 1 GG sondern lediglich als Einschränkung von Hoheitsrechten nach Art. 24 Abs. 2 GG35. Die Annahme einer Beschränkung von Hoheitsgewalt setzt jedoch nicht voraus, dass es sich bei der Organisation um ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit handelt36. Art. 24 Abs. 2 GG hebt hier nur im Speziellen hervor, was allgemein über Art. 32 Abs. 1 und 59 Abs. 2 GG ohnehin eröffnet ist37. Den Anforderungen des Art. 24 Abs. 2 GG hätte es entsprochen, wenn die Vereinten Nationen als Sicherheitssystem i. S. des Art. 24 Abs. 2 GG insofern beteiligt wären, als sie ihr Mandat an die NATO als „geeignete internationale Einrichtungen“ 38 bzw. „regionale Abmachungen oder Einrichtungen“ 39 richteten. Die Bewertung der NATO als Sicherheitssystem ist jedoch dann verständlich, wenn eine Beteiligung der Bundeswehr an friedenswahrenden Aktionen der 32 Verfahrensbevollmächtigte Frowein/Ipsen, Gegenäußerung der Bundesregierung vom 14. Januar 1993, abgdr. in: Dau/Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte, S. 463 (501 f.). 33 Dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt wurden die die deutsche Beteiligung an der VN-mandatierten Mission UNOSOM II in Somalia (Einsatz eines Kontingents von 1700 zum Eigenschutz bewaffneter Bundeswehrsoldaten für den Aufbau, sowie Unterstützung und Sicherstellung der Verteilerorganisation für Hilfsund Logistikgüter in Belet Huen), der Mission Sharp Guard (Einsatz von mehreren Kriegschiffen und einem mehreren Hundert Soldaten starken Truppenkontingent in der Adria zur Durchsetzung des von den VN verhängten und von den Flotten der WEU und NATO durchgesetzten Handels- und Waffenembargos gegen das frühere Jugoslawien), der Mission Deny Flight (unbewaffneter Einsatz von deutschen AWACSFlugzeugen, zur Unterstützung der VN-autorisierten und NATO-durchgeführten Luftschläge gegen die Streitkräfte im früheren Jugoslawien. 34 Nolte, ZaöRV 54 (1994), 653 (657); Stein/Kröninger, Jura 1995, 254 (260); a. A. Schroeder, JuS 1995, 398 (402). 35 BVerfGE 90, 286 (350). 36 So aber Schultz, Die Auslandsentsendung von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz (1998), S. 154. 37 Differenzierter Randelzhofer, in: Maunz/Dürig et al. (Hrsg.), GG (Stand 1992), Art. 24 II Rndr. 6. 38 Vgl. Art. 48 II VN-Charta. 39 Vgl. Art. 52–54 VN-Charta. Kapitel VIII der UN-Charta (Art. 52 bis 54) betrifft regionale Abmachungen oder Einrichtungen, deren Aufgabe es ist, örtlich begrenzte Streitigkeiten friedlich beizulegen. Der Sicherheitsrat kann solche regionalen Einrichtungen auch zur Durchführung von Zwangsmaßnahmen unter seiner Autorität in Anspruch nehmen.
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NATO außerhalb der eigentlichen Bündnisverpflichtungen auch dann verfassungsrechtlich erlaubt sein soll, wenn kein Mandat der Vereinten Nationen vorliegt. Zwar leitet das Bundesverfassungsgericht seine Bewertung der NATO als Sicherheitssystem i. S. des Art. 24 Abs. 2 GG mit der Feststellung ein, nunmehr führte die NATO Mandate des VN-Sicherheitsrates im ehemaligen Jugoslawien unter deutscher Beteiligung aus40; doch kann die Out-of-area-Entscheidung durchaus dahin verstanden werden, dass eine deutsche Beteiligung an NATOAktionen auch ohne VN-Mandat zulässig sein soll41. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass das Bundesverfassungsgericht nur über die Zulässigkeit VN-mandatierter Bundeswehreinsätze entschieden hat. Indem sich das Bundesverfassungsgericht explizit weiterer Aussagen enthielt, hat es eine autoritative Stellungnahme hinsichtlich der Zulässigkeit eines Auslandseinsatzes vermieden, der nicht durch eine entsprechende Autorisierung des VN-Sicherheitsrates gedeckt wäre42. Auch in seinem späteren Urteil zum Neuen Strategischen NATOKonzept im Jahre 2001 setzt das Bundesverfassungsgericht offenkundig die grundsätzliche Mandatierung durch die Vereinten Nationen voraus43. Hingegen findet die weiterführende Behauptung, für eine deutsche Beteiligung an militärischen Missionen sei nicht nur eine Ermächtigung durch die Vereinten Nationen, sondern auch ein VN-Oberbefehl conditio sine qua non44, weder eine Grundlage in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts, noch in der Charta der Vereinten Nationen45. Wenn es nach dem Bundesverfassungsgericht entscheidend auf die Einordnung in internationale Strukturen und die Erbringung eines eigenen Beitrags im Rahmen multinationaler Streitkräfte ankommt, bleibt weiterhin offen, ob ein alleinverantwortlicher Einsatz der Bundeswehr auf Mandat der Vereinten Nationen von Art. 24 Abs. 2 GG gedeckt wäre. Zweifel sind angebracht, da es an der gegenseitigen Kontrolle und Verflechtung mangelt, die eine gemeinschaftliche militärische Unternehmung einer Organisation auf Grundlage eines friedenssichernden Regelwerks kennzeichnet46. 40 Unter Hinweis auf die Oberhoheit des Sicherheitsrates wird auch von Tomuschat, AFDI 1994, 371 (376) gefolgert, dass „les unités l’OTAN sont réduites au rôle de bras exécutif, servituer de l’ONU“, sie mithin lediglich Hilfsfunktionen erfüllten; unklar hingegen ders., EuGRZ 2002, 535 (544). 41 Wie hier Nolte, ZaöRV 54 (1994), 653 (660 f.); Stein/Kröninger, Jura 1995, 254 (260). 42 Wolfrum, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. VIII (1993), § 192 Rndr. 47; Epping, in: Pieroth (Hrsg.), Verfassungsrecht und soziale Wirklichkeit in Wechselwirkung (2000), S. 183 (198). 43 Vgl. BVerfGE 104, 151 (210 ff.). 44 So Arndt, NJW 1994, 2197 (2199). 45 Vgl. Stein/Kröninger, Jura 1995, 254 (260); Dau, NZWehrr 1994, 177 (181); Raap, JuS 1996, 980 (982); ders., DVP 2002, 282 (284). 46 Ablehnend Schulze, JR 1995, 98 (101 f.).
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2. Einzelne Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit neben den Vereinten Nationen und der NATO Soll sich die rechtswissenschaftliche Literatur nicht nur zu den abstrakten Vorgaben und Bedingungen der kollektiven Sicherheitssysteme äußern, bleibt sie spärlich. Vor allem wenn die Frage im Raum steht, welche internationalen Organisationen – außer den VN oder der NATO – denn tatsächlich die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 24 Abs. 2 GG erfüllen. Deshalb sollen im weiteren Verlauf dieser Arbeit in Betracht kommende Organisationen zuerst in ihrer historischen Konzeption und ihrer aktuellen Ausrichtung dargestellt werden, um anschließend eine mögliche Einstufung als kollektives Sicherheitssystem vorzunehmen. Interesse findet hier auch die EU, da sie trotz ihrer rasanten Entwicklung und fortschreitenden Bedeutung gerade im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik kaum das Interesse der Wissenschaft als mögliches Sicherheitssystem i. S. des Art. 24 Abs. 2 GG findet. Hingegen bedarf es aufgrund der apodiktischen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass es sich bei den Vereinten Nationen und der NATO aus Sicht des deutschen Verfassungsgebers um Systeme kollektiver Sicherheit i. S. des Art. 24 Abs. 2 GG handelt47, hierzu keiner weiteren Erörterungen mehr. Mit Blick auf die sich abzeichnende strategische Akzentverschiebung des Bündnisses in Richtung eines militärischen Interventionismus (NATO Response Force)48 bleibt indes abzuwarten, ob die Anforderungen an die strikte Friedenswahrung des Bündnisses konsequent aufrechterhalten werden49. a) Europäische Union aa) GASP und ESVP bis zum Helsinki Headline Goal Im sog. Drei-Säulen-Modell der EU bildet die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) die immer noch intergouvernemental organisierte zweite Säule50. Die Konzeption der GASP ist demnach völkerrechtlicher und gerade (noch) nicht gemeinschaftsrechtlicher Natur. Der rein zwischenstaatliche Charakter hat in der Vergangenheit ein wirksames Vorgehen der in der EU zusammengeschlossenen Staaten im Krisenfall oftmals erschwert. Zu nennen sind etwa das – ein gemeinschaftliches Handeln nicht erkennen lassende – Agieren
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BVerfGE 90, 286 (350 ff.). Drittes Kapitel, D. III. 4. a). 49 So zu Recht Schmidt-Radefeldt, Parlamentarische Kontrolle der internationalen Streitkräfteintegration (2005), S. 66. 50 Hieran wird nochmals deutlich, wie visionär die Pläne zum supranationalen Charakter der 1954 gescheiterten Europäischen Verteidigungsgemeinschaft waren. 48
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt
auf dem Balkan in den 1990er Jahren sowie in den Irak-Krisen der Jahre 1991, 1998 und 200351. Integraler Bestandteil der GASP ist die Implementierung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) in Art 17 EU-Vertrag52. Danach beinhaltet die GASP auch die sukzessive Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik, die in eine gemeinsame Verteidigungspolitik münden könnte, falls der Europäische Rat dies beschließt (Art. 17 Abs. 1 UAbs. 1 EU-Vertrag). In die Verteidigungspolitik eingeschlossen sind nach Art. 17 Abs. 2 EU-Vertrag humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsatze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedenschaffender Maßnahmen (sog. Petersberg-Aufgaben). Damit stößt die GASP in Kernbereiche der klassisch-nationalstaatlichen Souveränität vor, ohne indes – anders als NATO und die WEU – den Beistand im Angriffsfall zu garantieren53. Der Europäische Rat bekundete auf seiner Tagung in Köln vom 3./4. Juni 1999 die Absicht, der EU die notwendigen Mittel und Fähigkeiten an die Hand zu geben, um den selbst formulierten Ansprüchen einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik gerecht zu werden54. Ultima ratio müsse die künftige Außenpolitik auch militärisch durchsetzbar sein. Hierzu müsse die EU auf militärische Einheiten zurückgreifen können, die in der Lage seien, internationale Krisen losgelöst von der NATO zu bewältigen, falls diese sich in einer Krise für unzuständig erklärt oder unter schwindendem Zusammenhalt leidet55. Bereits sechs Monate später beschloss der Europäische Rat von Helsinki ein umfassendes ESVP-Konzept (Helsinki Headline Goal). Im Bereich der militärischen Kapazitäten wurde hierbei folgendes Fähigkeitsziel gesetzt: Ab 2003 sollten die EU-Mitgliedstaaten in der Lage sein, innerhalb von 60 Tagen für den gesamten Bereich der Petersberg-Aufgaben bis zu 60.000 Soldaten einzusetzen. Diese Verbände sollen u. a. mit den notwendigen Kapazitäten in den Bereichen Kommando, Kontrolle, Aufklärung und Logistik ausgestattet sein und zumindest ein Jahr im Einsatz verbleiben können. Die Bereitstellung nationaler Kontingente durch Mitgliedsstaaten bleibt deren souveränes Recht. Das Entscheidungsverfahren über EU-geführte Einsätze ist in den Grundzügen dem Verfahren in der NATO angelehnt. Durch ein im März 2003 abgeschlossenes Rahmenabkommen hat die EU überdies die Möglichkeit, auf NATO-Mittel und -Fähigkeiten zurückzugreifen (Berlin Plus).
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Epping, NZWehrr 2002, 90 (98 f.). In der Fassung des Vertrages von Nizza; zur Entwicklung bis Nizza, s. unten die Ausführungen zum Verhältnis WEU/EU. 53 Epping, NZWehrr 2002, 90 (99 f.) m.w. N. 54 BullEU 1999, Bd. 6, S. 36. 55 Epping, NZWehrr 2002, 90 (102 f.) m.w. N. 52
A. Art. 24 Abs. 2 GG als Rechtsgrundlage
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bb) EU-Missionen Entscheidende Schritte vom Aufbau zur Anwendung ihrer Krisenmanagement-Fähigkeiten hat die EU ab dem Jahr 2003 unternommen. Zunächst mit der European Police Mission (EUPM) Anfang 2003, mit der sie die Nachfolge der bis Ende 2002 von den VN geführten Polizeimission in Bosnien und Herzegowina angetreten ist56. Eine weitere Polizeimission der EU (EUPOL Proxima) hat im Dezember 2003 in Mazedonien ihre Tätigkeit aufgenommen57. Die erste militärische Unternehmung der EU stellt die im März 2003 begonnene Operation Concordia in Mazedonien dar58. Noch im Juni desselben Jahres folgte mit Artemis der zweite militärische Einsatz59. Von Juni 2004 bis Juli 2005 fand die erste ESVP-Rechtstaatsmission EUJUST Themis in Georgien statt60. Im selben Jahr diente EUPOL Kinshasa dem Aufbau einer integrierten Polizeieinheit in der kongolesischen Hauptstadt61. Ebenso im Jahre 2004 entschied sich die Union für ihre bislang umfangreichste Militäroperation, die mit über 7.000 Soldaten geführte Operation Althea in Bosnien und Herzegowina62. Im Jahre 2005 wurden vier weitere Missionen eingeleitet 63. Von großem öffentlichen Interesse begleitet wurde die im Frühsommer 2006 von der EU zur Absicherung der Präsidenten- und Parlamentswahl erfolgende Entsendung eines Militärkontingentes in den Kongo (EUFOR RD Congo)64. Die Kongolesen absolvierten am 30. Juli 2006 ihre erste demokratische Wahl seit mehr als vier Jahrzehnten. Auf Bitten der VN unterstützt EUFOR RD Congo die seit dem Jahr 2000 im Kongo stationierte VN-Mission MONUC. Im September 2007 ermächtigte der VN-Sicherheitsrat die EU im Osten Tschads und im Nordosten der Zentralafrikanischen Republik alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um Zivilpersonen, insbesondere Flüchtlinge und Binnenvertriebene zu schützen. Diese Mission soll übergangsweise errichtet werden, bis eine spätere, VN-eigene Mission etabliert ist. Drei Wochen später wurde auf europäischer Ebene die auf 3.700 Soldaten angelegte Operation EUFOR Tchad/RCA beschlossen65. Mit der Operation Atalanta wurde Ende 2008 die erste Marinemission der EU beschlossen. Zuvor 56
Council Joint Action 2003/141/CFSP vom 27.02.2003. Council Joint Action 2003/681/CFSP vom 15.12.2003. 58 Council Joint Action 2003/92/CFSP vom 27.01.2003. 59 Council Joint Action 2003/319/CFSP vom 08.05.2003. 60 Council Joint Action 2004/523/CFSP vom 28.06.2004. 61 Council Joint Action 2004/847/CFSP vom 09.12.2004. 62 Council Joint Action 2004/570/CFSP vom 12.07.2004. 63 EUJUST LEX (Council Joint Action 2005/190/CFSP vom 07.03.2005); EUSEC Kongo (Council Joint Action 2005/355/CFSP vom 02.05.2005); AMIS II (Council Joint Action 2005/557/CFSP vom 18.07.2005); AMM (Council Joint Action 2005/ 643/CFSP vom 09.09.2005). 64 Council Joint Action 2006/319/CFSP vom 27.04.2006. 65 Council Joint Action 2007/677/CFSP vom 15.10.2007. 57
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt
stellte der VN-Sicherheitsrat in einer Reihe von Resolutionen fest66, dass Vorfälle von Seeräuberei in den Hoheitsgewässern Somalias und auf Hoher See vor der Küste Somalias die Situation in Somalia verschärfen, die nach wie vor eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit in der Region darstelle. Die Mitgliedstaaten und Regionalorganisationen wurden daher aufgefordert, sich aktiv am Kampf gegen die Seeräuberei und bewaffnete Raubüberfälle auf See vor der Küste Somalias zu beteiligen, insbesondere durch Entsendung von Marine- und Militärluftfahrzeugen. Die EU reagierte am 10. November 2008 mit dem Beschluss die Operation Atalanta durchzuführen67. Die Beschlussfassung wurde im Dezember 2008 durch die Sicherheitsrats-Resolution 1851 ausdrücklich begrüßt68. Der Beitrag der Bundeswehr liegt in der Bereitstellung von bis zu 1.400 Soldaten, sowie der Fregatte „Karlsruhe“, um vor allem den Schiffen des Welternährungsprogramms Schutz zu gewähren. Den Bundeswehrsoldaten ist nach dem Bundestagsmandat die „Durchführung der erforderlichen Maßnahmen, einschließlich des Einsatzes von Gewalt, zur Abschreckung, Verhütung und Beendigung von seeräuberischen Handlungen (. . .)“ erlaubt. Dies beinhaltet auch das „Aufgreifen, Festhalten und Überstellen von Personen, die in Verdacht stehen, seeräuberische Handlungen oder bewaffnete Raubüberfälle begangen zu haben sowie Beschlagnahme der Seeräuberschiffe (. . .)“ 69. cc) Weiterentwicklung: Vom Battle-Group-Konzept bis zum Vertrag von Lissabon Die weitere institutionelle Fortentwicklung der ESVP-Strukturen beginnt mit dem im Lichte der Europäischen Sicherheitsstrategie und des Verfassungsvertrages im Juni 2004 vom Europäischen Rat verabschiedetem Europäische Streitkräfteziel 2010. Das Helsinki Headline Goal von 1999 wurde hierbei angepasst und modifiziert. Ebenso wurde das neue Konzept für die Aufstellung von Gefechtsverbänden für die schnelle Krisenreaktion (Battle Groups) beschlossen. Die Fähigkeitenkonferenz am 22. November 2004 für den zivilen und militärischen Bereich der ESVP sowie die Battle-Group-Konferenz am 11. Mai 2005 erbrachten weitere wichtige Fortschritte, insbesondere bei der Umsetzung des Battle-Group-Konzepts und der erstmaligen Einigung auf die Verabschiedung eines Konsolidierten Zivilen Planziels. Hierbei wurde der Europäische Aktionsplan zur Verbesserung der Streitkräftefähigkeiten (ECAP) evaluiert und im Rah66 Res. 1814 (2008) vom 15.05.2008; Res. 1816 (2008) vom 02.06.2008; Res. 1838 (2008) vom 07.10.2008; Res. 1846 (2008) vom 02.10.2008; Res. 1851 (2008) vom 16.12.2008. 67 Council Joint Action/CFSP 2008/851. 68 Res. 1851 (2008) vom 16.12.2008. 69 BT-Drs. 16/11337 vom 10.12.2008.
A. Art. 24 Abs. 2 GG als Rechtsgrundlage
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men der Europäischen Verteidigungsagentur weiterentwickelt, um die noch bestehenden Defizite in Bezug auf das Leitziel von Helsinki bzw. des oben erwähnten Streitkräftezieles 2010 abzubauen. Der Aktionsplan sieht vor, nationale Bemühungen stärker zu koordinieren und durch Synergieeffekte eine höhere Effizienz zu erreichen. Vor allem von deutsch-französischer Seite eingebrachte Vorschläge haben dann auch Eingang in den im Oktober 2004 unterzeichneten Verfassungsvertrag gefunden. Als wichtigste Punkte sind hier hervorzuheben70: • Die Einführung von Flexibilitätsinstrumenten für die ESVP. Entsprechende Bestimmungen sollen ermöglichen, dass eine Gruppe von EU-Mitgliedstaaten im Rahmen der ESVP in der Zusammenarbeit und Integration voranschreiten kann, ohne dass die anderen EU-Mitgliedstaaten ihre Zustimmung erteilen müssen. • Die Beistandsverpflichtung der EU-Mitgliedstaaten bei gleichzeitiger Anerkennung der Rolle der NATO, die für ihre Mitglieder Grundlage der kollektiven Verteidigung bleibt und der besonderen Position der neutralen/nichtgebundenen EU-Mitgliedsstaaten. • Aufnahme einer Solidaritäts-Klausel zur Bewältigung der Folgen von terroristischen Anschlägen und Katastrophen71. • Erweiterung der Petersberg-Aufgaben um gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen, militärische Beratung und Unterstützung, Stabilisierungsoperationen nach Konflikten und um den Hinweis, dass alle Missionen zur Bekämpfung des Terrorismus beitragen. • Schaffung einer Europäischen Verteidigungsagentur. Nach den in Frankreich und den Niederlanden gescheiterten Verfassungsreferenden wurden die entsprechenden Regelungen ohne Substanzverlust mit Beschluss der Staats- und Regierungschefs vom 13. Dezember 2007 in den Vertrag von Lissabon überführt. Wie sich neben dem französischen und holländischen Nein zum Verfassungsvertrag, nunmehr auch auch das Irische Nein zum Vertrag von Lissabon auf GASP und ESVP auswirkt, bleibt abzuwarten. Die rasante Entwicklung der europäischen Sicherheitspolitik72 wird aber mindestens ebenso vom Aufkeimen internationaler Krisen bzw. akuter Bedrohungen, sowie 70 Zur ESVP im Verfassungsvertrag vgl. Schmidt-Radefeldt, UBWV 2005, 201 ff.; Koch, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz (2006), S. 49 ff. m.w. N. 71 Die Solidaritätsklausel wurde nach dem Terroranschlag von Madrid im März 2004 durch den Europäischen Rat vorab in Kraft gesetzt, abrufbar unter: consilium. europa.eu/uedocs/cmsUpload/DECL-25.3.pdf. 72 Regelmäßig wird von „Lichtgeschwindigkeit“ gesprochen, wenn die außervertragliche Entwicklung der ESVP analysiert wird, s. nur Regelsberger, Integration 2001, 156 (161).
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt
von der weiteren Entwicklung der US-amerikanischen Sicherheitspolitik und nicht zuletzt der NATO abhängen. dd) Zwischenergebnis Nach allem kann geschlussfolgert werden, dass die EU inzwischen in Titel V EU-Vertrag mit einem friedenssichernden Regelwerk ausgestattet ist, das eine Eindordnung als System gegenseitiger kollektiver Sicherheit i. S. des Art. 24 Abs. 2 GG zulässt73. Seit dem Rat von Köln 1999 sind diesem friedenssichernden Regelwerk durch die Schaffung neuer Gremien (insbesondere PSK74, EUMC75, EUMS76, CIVCOM77) und Mechanismen mehr und mehr Instrumente zu seiner praktischen Umsetzung an die Hand gegeben worden. Zudem wurden und werden diese Instrumente mit denen der NATO und der WEU stetig verzahnt und mit dem Abschluss von Dauervereinbarungen (Berlin Plus) institutionalisiert. Nicht zuletzt darf an die historische Konzeption der Union erinnert werden, die vor allem auf die Verhinderung weiterer europäischer Kriege ausgelegt war78. An der Einstufung der EU als Sicherheitssystem vermag die (bislang) fehlende Beistandsverpflichtung nichts zu ändern, schließlich hat das Bundesverfassungsgericht nicht verlangt, dass ein System gegenseitiger Sicherheit 73 So auch Röben, ZaöRV 63 (2003), 585 (591); Spies, in: Fischer et al. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Fleck (2004), S. 531 (538); Wiefelspütz, Das Parlamentsheer (2005), S. 149; a. A. Epping, NZWehrr 2002, 90 (110), der aber bescheinigt, dass mit der ESVP für eine mögliche Qualifizierung der EU als Sicherheitssystem der erste Grundstein gelegt sei. 74 Das auf dem Gipfel von Nizza 2000 geschaffene Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK) arbeitet an der Formulierung von politischen Strategien und kontrolliert die Umsetzung der beschlossenen Politik. Das PSK besteht hauptsächlich aus nationalen Vertretern und ist Mittelpunkt der Krisenbewältigungsaktionen. 75 Der Militärausschuss (EUMC) besteht aus den Generalstabschefs, vertreten durch ihre militärischen Repräsentanten, die zumeist in Personalunion bei der EU und der NATO ihr Land vertreten. EUMC ist das höchste militärische Gremium und berät das PSK in militärischen Fragen. Er pflegt die Beziehungen zu anderen internationalen Organisationen und den Nicht-EU-Mitgliedern. Zudem leitet er den Militärstab und die konkreten Militäroperationen. 76 Der Militärstab (EUMS) ist Teil des Generalsekretariats des Rates. Zu seinen Aufgaben gehören die Frühwarnung, Lagebeurteilung und strategische Planung bezüglich der Petersberg-Aufgaben. Diese wurden ursprünglich für die WEU definiert und später dann auf die EU übertragen. Der Stab soll im Krisenfall die multinationalen Streitkräfte bestimmen, erfassen und aufstellen, meist in Abstimmung mit der NATO. Der EUMS bestimmt das „Wie“ der militärischen Missionen, das „Ob“ liegt auf der politischen Ebene. 77 Der Ausschuss für die zivilen Aspekte der Krisenbewältigung (CIVCOM) entwickelt die zivilen Planziele der EU und ist verantwortlich für deren Umsetzung. Er gibt Empfehlungen und Stellungnahmen an das PSK und andere Ratsgremien. Zusätzlich ist seit 2001 im Ratssekretariat eine Polizeieinheit für die Planung und Durchführung von EU-Polizeimissionen installiert. 78 Dies wird in der Literatur interessanter Weise – soweit besehen – nicht angeführt.
A. Art. 24 Abs. 2 GG als Rechtsgrundlage
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eine Bündnisklausel im Sinne von Art. 5 NATO-Vertrag aufweisen muss. Allenfalls bleibt mit Blick auf die sich abzeichnende sicherheitspolitische Akzentverschiebung der Union – ähnlich der der NATO – in Richtung eines militärischen Interventionismus (Battle-Group-Konzept) abzuwarten, ob die bundesverfassungsgerichtlichen Anforderungen an die strikte Friedenswahrung der EU als System kollektiver Sicherheit konsequent aufrechterhalten werden. b) Westeuropäische Union Erstaunlich ist an der Out-of-area-Entscheidung, dass es das Gericht unterlässt, auch der WEU ausdrücklich den Status eines kollektiven Sicherheitssystems zuzuerkennen79, zumal auch die WEU an der Überwachungsmission Sharp Guard in der Adria beteiligt war. Denkbar ist, dass eine explizite Einstufung als Sicherheitssystem unterblieben ist, weil der Prozess der operativen Neubelebung der WEU zum Zeitpunkt der Out-of-area-Entscheidung völkerrechtlich noch nicht ausreichend abgesichert war80. Ob die WEU mittlerweile als Sicherheitssystem i. S. des Art. 24 Abs. 2 GG eingestuft werden kann, erfordert eine Skizzierung ihrer Entwicklung. Die WEU ist ursprünglich als Verteidigungsbündnis westeuropäischer Staaten konzipiert worden, das sich in die europäische Integration einfügen und Ergänzungsfunktion zur NATO besitzen sollte. Aufgrund der in Art. IV WEU-Vertrag getroffen Vereinbarung besitzt die WEU keine mit der NATO vergleichbaren militärischen Strukturen, die zur aktiven Friedenswahrung und Beistandsleistung genutzt werden können. Der Aufbau einer Parallel- oder Konkurrenzorganisation war unerwünscht. Daher verkümmerten die Bestrebungen zur militärischen Zusammenarbeit auf Grundlage des WEU-Vertrages während der Blockkonfromtation zur Bedeutungslosigkeit. Erst durch die weltpolitischen Veränderungen Anfang der neunziger Jahre gewinnt die WEU die ihr ursprünglich zugedachte militärische Komponente zurück. Hierzu hat insbesondere die allmähliche Heranführung der WEU an die EU und die Erweiterung ihres Aufgabenspektrums auf militärische Konfliktbewältigung im Dienste der internationalen Friedenssicherung beigetragen (Petersberg-Erklärung)81. 79 Im Schrifttum wird immer wieder verkannt, dass das Bundesverfassungsgericht seine Ausführungen nur auf die NATO bezogen hat. 80 Vgl. Wieland, in: Grawert et al. (Hrsg.), Festschrift für Ernst-Wolfgang Böckenförde (1993), S. 219 (234); Rojahn, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2 (2001), Art. 24 Rndr. 88. 81 Epping, NZWehrr 2002, 90 (100). In der sog. „Petersberg Erklärung“ bieten die Außen- und Verteidigungsminister der WEU (Bull. BReg 1992, Nr. 68, S. 649) die Unterstützung der WEU für die Durchführung von Maßnahmen der Konfliktbewältigung der OSZE oder des Vereinten Nationen an. Hierfür wird die Bereitstellung militärischer Einheiten unter die Befehlsgewalt der WEU vorgesehen. Voraussetzung für die Übernahme bzw. der Unterstützung einer friedenserhaltende Operation der Verein-
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt
Der am 1. Mai 1999 in Kraft getretene Vertrag von Amsterdam misst der WEU in Art. 17 Abs. 1 UAbs. 2 wesentliche Bedeutung für die verteidigungspolitische Entwicklung der EU bei. Letzterer wird durch Art. 17 Abs. 2 EUVAmsterdam ermöglicht, insbesondere im Zusammenhang mit den PetersbergAufgaben auf die operativen Fähigkeiten der WEU zurückzugreifen. Die Union fördert daher engere institutionelle Beziehungen zur WEU im Hinblick auf die Möglichkeit einer Integration in die Union, falls der Europäische Rat dies beschließt. Der in Art. 17 Abs. 1 UAbs. 1 EUV-Amsterdam vorgesehen Integrationsbeschluss des Europäischen Rates bezieht sich auf den Übergang zu einer gemeinsamen Verteidigung unter Einbeziehung der WEU. Damit wird klargestellt, dass die gemeinsame Verteidigung nur durch die vollständige Integration der WEU in die EU verwirklicht werden darf82. Des Weiteren sieht Art. 17 Abs. 3 EUV-Amsterdam vor, dass die EU die WEU für die Ausarbeitung und Durchführung von Maßnahmen mit verteidigungspolitischen Bezügen in Anspruch nehmen wird. Mit dieser Feststellung wird eine Verbindung zwischen EU und WEU zum Ausdruck gebracht, ohne diese aber näher zu spezifizieren. Wenn im folgenden Untersatz ausgeführt wird, dass die Befugnis des Europäischen Rates zur Festlegung von Leitlinien nach Art. 13 EUV-Amsterdam auch in Bezug auf die WEU bei denjenigen Angelegenheiten gilt, für welche die Union die WEU in Anspruch nimmt, scheint dies auf eine Unterordnung der WEU unter die EU hinzudeuten. Indes handelt es sich bei der WEU auch weiterhin um eine selbstständige Internationale Organisation mit einem anderen Mitgliederbestand als die EU, auch wenn die EU einige Bereiche der WEU, insbesondere große Teile des Personals bereits übernommen hat83. Eine Bindung an die Leitlinien des Europäischen Rates ergeben sich für diejenigen WEU-Mitgliedstaaten, die gleichzeitig Mitglieder der EU sind, nicht aber für den Ministerrat der WEU84. Ungeachtet dessen hat der WEU-Ministerrat in einer Erklärung Juli 1997 die Bestimmungen des Amsterdamer Vertrages nicht nur zustimmend zur Kenntnis genommen, sondern sich sogar bereit erklärt, die der WEU zugedachte Rolle bei der Ausarbeitung und Durchführung von verteidigungspolitischen Maßnahmen zu übernehmen und sich dabei auch an die ent-
ten Nationen oder der OSZE ist, dass (1.) der Einsatz im Einklang mit den Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen steht, (2.) der Beschluss der WEU einstimmig erfolgt, (3.) jedem Mitgliedstaat die souveräne Entscheidung über eine Beteiligung vorbehalten bleibt und (4.) Planung und Durchführung der Aktion mit den Verpflichtungen und erforderlichen militärischen Vorkehrungen des Atlantischen Bündnisses im Rahmen der kollektiven Verteidigung vereinbar sind. 82 Epping, NZWehrr 2002, 90 (101). 83 Hierzu Pache/Schorkopf, NJW 2001, 1377 (1385). 84 Epping, NZWehrr 2002, 90 (101). Dies kommt auch durch den dritten Unterabsatz zum Ausdruck, der im Falle der Inanspruchnahme der WEU durch die EU auf das Einvernehmen zwischen dem Rat der EU und den Organen der WEU abhebt.
A. Art. 24 Abs. 2 GG als Rechtsgrundlage
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sprechenden Leitlinien des Europäischen Rates zu halten85. Der Kreis der WEU wird hierfür im konkreten Einzelfall um alle EU-Mitgliedstaaten ad hoc erweitert, die sich an den betreffenden Aktionen beteiligen, d.h. auch um solche Staaten, die der WEU etwa nur als Beobachter angehören86. Zu erinnern ist in diesem Kontext aber daran, dass die WEU selbst auf die Mittel und Fähigkeiten der NATO angewiesen ist (s. Art. IV WEU-Vertrag), z. B. hinsichtlich der Luftüberwachung, der Kommandos und der Hauptquartiere. Die konkrete, durch Amsterdam bewirkte institutionelle Verbindung von EU und WEU ist äußerst ungewöhnlich. Sie erfolgte ohne formelle Änderung des Vertrages über die WEU. Rechtlich ist dieser Vorgang daher nicht ohne weiteres fassbar. Am ehesten kann von einer konkludenten Änderung des WEU-Vertrages ausgegangen werden. Da alle WEU-Mitgliedstaaten gleichzeitig Mitglieder der EU sind, bedeutet der Abschluss des Amsterdamer Vertrages auch eine konkludente Änderung des Vertrages über die WEU87. Parteien eines multilateralen Vertrages können auch ohne förmliche Vertragsänderung durch zusätzliche vertragliche Einigung den Inhalt des multilateralen Vertrages verändern. Das ist hier geschehen, denn der WEU-Vertrag sah bisher bestimmte Aktionen, wie sie im Rahmen der EU beabsichtigt sind, nicht vor88. Gleichwohl ist die WEU weiterhin eine eigenständige internationale Organisation. Bezogen auf ihre Aufgabe der kollektiven Verteidigung und der rüstungspolitischen Zusammenarbeit existiert die WEU weiter, ohne auf eine bloße „Vertragshülle“ 89 reduziert zu sein. Dennoch lässt sich eine gewisse Aushöhlung der WEU nicht bestreiten. Dieser Umstand lässt sich schon im Text des auf Amsterdam folgenden und am 1. Februar 2003 in Kraft getreten Vertrags von Nizza erkennen, in dem die Bezüge auf die WEU entfallen sind. Die rasante Entwicklung der ESVP hat sie schlicht obsolet werden lassen. Seit Nizza ist die Verteidigungspolitik als eigenständige Politik der Union ausgestaltet. 85 „Erklärung zur Rolle der westeuropäischen Union und zu ihren Beziehungen zur Europäischen Union und zur Atlantischen Allianz“, Abl. EG C 340/125 vom 10.11. 1997. 86 Dies sind Dänemark, Finnland, Irland, Österreich und Schweden. 87 Frowein, in: Tomuschat (Hrsg.), Rechtsprobleme einer europäischen Sicherheitsund Verteidigungspolitik, S. 11 (13). 88 Diese Veränderung wirft keine verfassungsrechtlichen Probleme auf, die eine Zustimmung des Parlamentes für Vertragsänderungen verlangen, da die in Art. 17 EUVertrag getroffene Regelung die Zustimmung des Bundestages erhalten hat, vgl. auch BVerfGE 90, 286 (366): „Diese vertragsförmlichen Regelungen über die Einbeziehung der Westeuropäischen Union in die gemeinsame Sicherheitspolitik der EU stützen sich aus verfassungsrechtlicher Sicht auf das Zustimmungsgesetz vom 18. Dezember 1992 (. . .). Soweit die WEU die Definition ihrer Aufgaben hierauf ausrichtet, kommt eine Verletzung von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 von vornherein nicht in Betracht.“ 89 So aber Pache/Schorkopf, NJW 2001, 1377 (1385); ähnlich skeptisch auch Regelsberger/Kugelmann, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV (2003), Art. 17 EUV Rndr. 17, nach denen die WEU ein neuerliches „vie comateuse“ erwarte.
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt
Die enge Anlehnung der WEU an das kollektive Sicherheitssystem der EU strahlt auf den institutionellen Charakter zurück. Nach dieser folgenreichen Neubestimmung ihrer Aufgaben wird in der wissenschaftlichen Literatur die WEU dann auch ganz überwiegend und zu Recht als System gegenseitiger kollektiver Sicherheit i. S. des Art. 24 Abs. 2 GG angesehen90. Nur vereinzelt – unter grundsätzlicher Ablehnung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – wird der Status der WEU auf den eines reinen Verteidigungsbündnisses beschränkt91. c) OSZE Die OSZE ist aus der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) hervorgegangen. Obwohl die in der KSZE-Schlussakte gefassten Beschlüsse völkerrechtlich nicht verbindlich sind92, hat die KSZE in der OstWest-Entspannung eine Schlüsselrolle gespielt, die ihr ursprünglich nicht zugetraut worden war. In der Zeit des Kalten Krieges war die KSZE ein krisenstabiles Element, das den Dauerdialog aufrechterhielt. Seit der weltpolitischen Wende Anfang der neunziger Jahre kommt auch der OSZE eine neue Rolle im Bereich organisierter internationaler Friedenswahrung zu. Im Jahre 1992 hat sich die KSZE im sog. Helsinki-Dokument selbst zu einer regionalen Abmachung i. S. des Kapitel VIII der VN-Charta erklärt93. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat dies im Oktober 1992 ausdrücklich anerkannt94. Auf der Budapester Gipfelkonferenz im Dezember 1994 wurde die KSZE zu einer festen Organisation erhoben und in OSZE umbenannt. Ihre heutigen Hauptaufgaben bestehen in der Verhütung und Bewältigung von Krisen in ihrer Region, einschließlich der Frühwarnung und Normalisierung der Lage nach Konflikten in Europa. Die große friedenspolitische Bedeutung der OSZE liegt vor allem darin, dass sie das einzige sicherheitspolitische Forum Europas ist, dass Russland als gleichberechtigten Partner der westalliierten Allianz einbezieht. Als ursprünglich rein politischer Friedensprozess konnte die KSZE nicht als ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit eingestuft werden95. Hinsichtlich der OSZE halten einige Stimmen in der Literatur eine andere Bewertung 90 F. Kirchhof, NZWehrr 1998, 152 (153); Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein (Hrsg.), GG (2004) Art. 24 Rndr. 4a m.w.N.; Badura, Staatsrecht (2003), S. 386 Rndr. 124 und S. 819 Rndr. 4. 91 So etwa Deiseroth, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG Bd. I (2002), Art. 24 Rndr. 296 ff. 92 Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht (2004), 1. Abschn. Rndr. 67. 93 Abgedr. in: EuGRZ 1992, 372. Kapitel VIII der VN-Charta (Art. 52 bis 54) betrifft regionale Abmachungen oder Einrichtungen, deren Aufgabe es ist, örtlich begrenzte Streitigkeiten friedlich beizulegen. Der Sicherheitsrat kann solche regionalen Einrichtungen auch zur Durchführung von Zwangsmaßnahmen unter seiner Autorität in Anspruch nehmen. 94 UNGA-Res. 47/10 vom 28.10.1992, abgedruckt in: VN 1993, 150.
A. Art. 24 Abs. 2 GG als Rechtsgrundlage
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für möglich96. Die Umbenennung der KSZE in die OSZE bringe die institutionelle Verfestigung dieses zwischenstaatlichen Forums zum Ausdruck97. Zu einer möglichen Subsumtion unter Art. 24 Abs. 2 GG habe auch die Anerkennung der OSZE als Regionalorganisation nach Kapitel VIII der VN-Charta durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen beigetragen, nachdem sich die KSZE im gleichen Jahr selbst in ihrem Helsinki-Dokument als eine solche bezeichnet hatte. Dieser Auffassung ist jedoch entgegenzuhalten, dass regionale Einrichtungen oder Abmachungen zwar strukturell Systeme kollektiver Sicherheit im völkerrechtlichen Sinne sind; dieser Umstand impliziert hingegen nicht, dass es sich bei der OSZE um ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit im verfassungsrechtlichen Sinne handelt. Zwischen Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit im völkerrechtlichen und im verfassungsrechtlichen Sinne ist zu differenzieren, denn die vom Bundesverfassungsgericht getroffene Definition des Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit ist für die Völkerrechtslehre genauso wenig bindend, wie umgekehrt das Bundesverfassungsgericht bei der Interpretation verfassungsrechtlicher Begriffe an die Sinngebung der Völkerrechtslehre gebunden ist. Das Bundesverfassungsgericht hat bislang über einen militärischen Einsatz der Bundeswehr im Rahmen einer „regionalen Abmachung oder Einrichtung“ auf der Grundlage von Art. 52 ff. VN-Charta nicht entschieden. Die Berücksichtigung der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten verfassungsrechtlichen Prämissen führt zu dem Ergebnis, dass es sich bei der OSZE – zumindest im derzeitigen Zustand – nicht um ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit i. S. des Art. 24 Abs. 2 GG handelt98. Dies gilt schon deshalb, weil über die Organisation kein förmlicher Gründungsvertrag geschlossen wurde, dem der deutsche Gesetzgeber nach Art. 24 Abs. 2 i.V. m. 59 Abs. 2 S. 1 GG hätte zustimmen müssen. In einem solchen völkerrechtlichen Gründungsvertrag müsste überdies die Beteiligung von Soldaten bereits angelegt sein99. Außerdem begründen die im Rahmen der OSZE getroffenen Beschlüsse nur politische und keine rechtlichen Verpflichtungen (sog. soft law)100. Im Gegensatz zu den Organisationen der Vereinten Nationen und der 95 Vgl. Randelzhofer, in: Maunz/Dürig et al. (Hrsg.), GG (Stand 1992), Art. 24 II Rndr. 23 FN 54; Schürr, Der Aufbau einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität im Beziehungsgeflecht von EU, WEU, OSZE und NATO (2003), S. 145. 96 So z. B. Fastenrath, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19.03.1997, Neues Kapitel der Bundeswehrgeschichte ohne rechtliche Grundlage?‘; Arndt, DÖV 1992, 618 (624); ders., NJW 1994, 2197 (2198). 97 Gleichwohl sollte man nicht übersehen, dass es sich hierbei lediglich um Umbenennungen und neue Bezeichnungen für unverändert geblieben Organe handelt. 98 Günther, in: Thiel (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie (2003), S. 329 (360); Deiseroth, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG Bd. I (2002), Art. 24 Rndr. 277 ff.; Raap, DVP 2002, 282 (284). 99 Zu diesem Erfordernis BVerfGE 90, 286 (351). 100 Zum soft law vgl. etwa Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht (2004), 1. Abschn. Rndr. 14, 68, 155. Ausnahmen im Rahmen der OSZE bilden derzeit nur ei-
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt
NATO entstehen der Bundesrepublik durch ihre Mitgliedschaft in der OSZE auch keine völkerrechtlichen Pflichten. Insbesondere existiert keine wechselseitige Verpflichtung zur Friedenswahrung und Sicherheitsgewährung. Die OSZE kann demnach (noch) nicht als ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit i. S. des Art. 24 Abs. 2 GG eingestuft werden.
IV. Handeln im Rahmen und nach den Regeln von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit Das Bundesverfassungsgericht stellte in der Out-of-area-Entscheidung sicher, dass ein Einsatz der Streitkräfte auf Grundlage des Art. 24 Abs. 2 GG nur im Rahmen von Systemen kollektiver Sicherheit erfolgen kann, denen die Bundesrepublik auch beigetreten ist101. Das fehlende Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 GG kann auch nicht durch einen konstitutiven Parlamentsbeschluss geheilt werden, weil die parlamentarische Zustimmung zu einem Einzeleinsatz nicht die verfassungsrechtliche Grundlage des Beitritts zu ersetzen vermag. Ausgeschlossen sind daher Einsatze im Rahmen von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit, wie etwa der Arabischen Liga oder der Afrikanischen Union102. Art. 24 Abs. 2 GG ermächtigt also nicht nur zum Streitkräfteeinsatz sondern begrenzt ihn auch auf Einsätze im Rahmen kollektiver Sicherheitssysteme, denen die Bundesrepublik beigetreten ist. Lässt sich nicht mit letzter Klarheit ermitteln, ob sich militärische Operationen noch im Rahmen und nach den Regeln eines Systems kollektiver Sicherheit bewegen, erfüllt Art. 87a Abs. 2 GG – neben Art. 24 Abs. 2 GG – auch nach der Out-of-area-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine wichtige Rolle bei unstreitig völkerrechtskonformen Streitkräfteeinsätzen. Zweifelsfragen waren in der Vergangenheit nicht auszuschließen103. Art. 24 Abs. 2 GG stellt weiterhin nur für solche militärischen Einsätze der Bundeswehr eine Ermächtigung dar, die (1.) nach den Regeln und (2.) im Rahmen des Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit stattfinden104. Allerdings lässt das Bundesverfassungsgericht offen, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit ein Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte im Rahmen und nach den Regeln eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit erfolgt. So stellt sich die nige ausdrücklich als völkerrechtliche Übereinkommen geschlossene Verträge auf dem Gebiet der vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen und der Abrüstung sowie das Stockholmer Vergleichs- und Schiedsübereinkommen vom 15. Dezember 1992. 101 BVerfGE 90, 286 (287 Leitsatz 6). 102 Die deutsche Beteiligigung an AMIS II zur Unterstützung der Afrikanischen Union in der sudanesischen Region Darfur ist VN-mandatiert (Res. 1574 vom 19.11. 2004). 103 Erstes Kapitel, B. I. 1. 104 BVerfGE 90, 286 (286 Leitsatz 1).
A. Art. 24 Abs. 2 GG als Rechtsgrundlage
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Frage, ob und inwieweit es für eine verfassungskonforme Auslandsentsendung ausreicht, wenn diese im Rahmen eines solches Systems erfolgt und der strikten Friedenswahrung verpflichtet ist, oder ob es darüber hinaus erforderlich ist, dass sich solche Aktionen innerhalb des spezifischen Vertragsrahmen der jeweiligen Organisation halten. 1. Handeln nach den Regeln eines Systems Ein Handeln nach den Regeln eines Systems liegt vor, wenn die zuständigen Organe des jeweiligen Systems, Aufgaben und Kompetenzen wahrnehmen, die in der Satzung der betreffenden Organisation angelegt sind105. Ein Handeln extra pactum schließt daher ein Handeln nach den Regeln des Systems aus. Die Prüfung „nach den Regeln eines Systems“ hat demnach die Frage nach dem „Wie“ zum Gegenstand. Da keine Satzung eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit jegliches Handeln des Systems enumerativ erfassen kann, ist bei der Beurteilung, ob ein Handeln nach den Regeln eines Systems erfolgt, neben der Beachtung der einzelnen Aufgaben- und Kompetenzregelungen auch dem Regelungszweck des Systems eine wichtige Funktion beizumessen. Jegliches Handeln muss vom Regelungszweck der im Einzelfall anwendbaren Satzungen im Rahmen der Auslegung gedeckt sein. Nur so kann sichergestellt werden, dass Name und organisatorische Fähigkeiten einer internationalen Organisation nicht von einzelnen Mitgliedern desavouiert oder gar missbraucht werden. Vielfach wird daher eine Auslegung der betreffenden Satzung erforderlich sein. Am Regelungszweck internationaler Organisationen orientiert sich auch das Bundesverfassungsgericht. Ansonsten hätte es mangels einer ausdrücklichen Normierung von Peacekeeping-Missionen in der Charta der Vereinten Nationen die Teilnahme deutscher Streitkräfte an Blauhelmeinsätzen nicht für zulässig erachten können. Entsprechendes gilt für die im NATO-Vertrag ungeregelte Teilnahme von NATO-Verbänden an VN-mandatierten Missionen106. Dadurch wird deutlich, dass die Satzungen der einzelnen Systeme unter Berücksichtigung ihrer Vertragsziele extensiv ausgelegt werden können, sofern dies der Friedenswahrung dient. Die Anforderung, dass Militärmissionen im Rahmen und nach den Regeln eines Sicherheitssystems erfolgen müssen, erfährt hierdurch eine starke Relativierung. Diese extensive Auslegung bedeutet auch, dass eine ledig-
105 Vgl. dazu und im Weiteren Schultz, Die Auslandsentsendung von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz (1998), S. 331 f. 106 Das Bundesverfassungsgericht prüfte deshalb auch, ob die Inanspruchnahme von NATO und WEU für VN-Maßnahmen nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG als zustimmungspflichtige Vertragsänderung anzusehen ist, lehnte dies jedoch in einer 4:4-Entscheidung ab, BVerfGE 90, 286 (359 ff.). Berkemann, JR 1995, 184 (191) spricht angesichts der gespaltenen Richterbank von einem „Musterbeispiel politischen Vorverständnisses“.
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt
lich informelle Erweiterung der Befugnisse durch die Mitgliedstaaten einer Organisation nicht ausgeschlossen ist. Neben der formellen Änderung einer Organisationssatzung ist auch deren formlose Änderung möglich. So können Mitglieder einer internationalen Organisation deren Satzung durch eine vom allgemeinen Konsens getragene und sich wiederholende Handlungsweise modifizieren107. Entsprechend reagierten die NATO-Mitgliedstaaten 1999 mit dem Neuen Strategischen Konzept auf die gewandelten sicherheitspolitischen Herausforderungen108. Das grundlegende Ziel, die kollektive Verteidigung des Bündnisses bleibt zwar unberührt; gleichzeitig wird jedoch der in der Präambel des NATO-Status niedergelegte Sicherheits- und Friedensauftrag fortgeschrieben109. Aus der Sicht der Verfassung berührt dieses Verhalten allenfalls den Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG, so dass die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieses Verhaltens an dieser Norm zu messen ist. 2. Handeln im Rahmen eines Systems Das Handeln nach den Regeln des Systems indiziert ein Handeln im Rahmen des Systems110. Entscheidend für ein Handeln im Rahmen des Systems ist, dass das System gegenseitiger kollektiver Sicherheit die politische und völkerrechtliche Verantwortung für das Handeln übernimmt. Dies ist prima facie der Fall, wenn Truppenkontingente aus dem nationalen Organisationsverband herausgelöst und in das Organisationsgefüge einer internationalen Organisation eingegliedert werden, um für diese tätig zu werden111. Welche Voraussetzungen vorliegen müssen, damit vom einem Handeln unter der Verantwortung eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit und damit ein Handeln im Rahmen des Systems vorliegt, lässt sich nicht generell beantworten, sondern muss im Einzelfall unter Heranziehung allgemeiner völkerrechtlicher Grundsätze und des Satzungsstextes bzw. -sinnes der betreffenden Organisation geprüft werden. Entscheidend für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines deutschen Beitrags zu einer militärischen Mission nach Art. 24 Abs. 2 GG ist jedenfalls, dass die völkerrechtliche Verantwortung für die deutschen Soldaten nicht bei der Bundesrepublik liegt, sondern bei dem entsprechenden Sicherheitssystem. Die Übernahme der völkerrechtlichen Verantwortung setzt die juridical personality dieses Systems voraus. 107
E. Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht (2004), 4. Abschn. Rndr. 39 ff. Zum Neuen Strategischen Konzept, s. Zivier, RuP 1999, 210 ff.; E. Klein/ Schmahl, RuP 1999, 198 ff.; Gazzini, EJIL 2001, 291 ff. 109 Vgl. Blumenwitz, ZRP 2002, 102 (103 f.). 110 Blumenwitz, BayVBl. 1994, 641, 678 (643). 111 Dieser Vorgang kann mit der aus dem Verfassungsrecht bekannten Rechtsfigur der Organleihe verglichen werden, bei der ein Organ zur Erfüllung einer Aufgabe aus dem üblichen Weisungs- und Kontrollstrang herausgelöst wird, um einem anderen Weisungsgeber unterstellt zu werden. 108
A. Art. 24 Abs. 2 GG als Rechtsgrundlage
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3. Handeln im Rahmen und nach den Regeln mehrerer Systeme Nicht nur denkbar, sondern auch praktisch relevant sind solche Fälle, in denen sich Mitglieder der Vereinten Nationen zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen gegenüber der Weltorganisation des institutionellen Rahmens anderer Organisationen bedienen, denen sie angehören. Diese Konstellation lag auch der Beteiligung deutscher Streitkräfte an integrierten NATO- und WEU-Verbände an UNPROFOR in Jugoslawien zugrunde, über die das Bundesverfassungsgericht in seinem Grundsatzjudikat vom 12. Juli 1994 zu entscheiden hatte. Die Vereinten Nationen haben damals die politische und militärische Verantwortung für das Handeln der NATO-Verbände getragen, da alle militärischen Operationen unter dem Kommando der Vereinten Nationen standen112. Bei derartigen Konstellationen stellt sich die grundsätzliche Frage, ob der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen und nach den Regeln beider Systeme erfolgen muss, oder ob für die Zulässigkeit einer Auslandsentsendung nach Art. 24 Abs. 2 GG ein Handeln im Rahmen und nach den Regeln eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit genügt113. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu keine expliziten Vorgaben gemacht, es formuliert aber Anhaltspunkte wonach zumindest das Handeln nach den Regeln der Systeme kumulativ vorliegen muss. Für diese Annahme einer doppelten Zulässigkeit sprechen sowohl der Umstand, dass das Bundesverfassungsgericht die Qualifikation der NATO als ein System kollektiver Sicherheit für nötig hält, als auch die höchstrichterliche Feststellung, dass die Zustimmung zum NATO-Beitritt auch den Fall umfasst, dass integrierte Verbände der NATO im Rahmen einer Aktion der Vereinten Nationen eingesetzt werden114. Damit legt das Bundesverfassungsgericht den NATO-Vertrag aus, was nicht zwingend wäre, wenn es für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines Auslandseinsatzes genügte, zumindest nach den Regeln der Vereinten Nationen zu handeln. Auch aus völkerrechtlicher Sicht findet sich eine Entsprechung der These, wonach ein Handeln nach den Regeln beteiligter Sicherheitssysteme kumulativ gegeben sein muss. So darf eine mandatierte internationale Organisation keine Aufgaben wahrnehmen, die ihr nicht von ihren Mitgliedstaaten übertragen worden sind115. Der Verpflichtung der internationalen Organisation nach ihren Regeln zu handeln, können sich die ihre Mitgliedstaaten auch nicht mit dem Argument entziehen, dass sie die Strukturen und Mittel dieser Organisation nur zur Erfüllung ihrer Pflichten gegenüber einer anderen internationalen Organisation benutzen. Verfassungs- sowie völkerrechtlich dürfen demnach deutsche Soldaten 112
Vgl. BVerfGE 90, 286 (354). In diese Richtung tendieren wohl Riedel, DÖV 1995, 135 (139) und Stein/Kröninger, Jura 1995, 254 (260). 114 BVerfGE 90, 286 (355). 115 Vgl. E. Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht (2004), 4. Abschn. Rndr. 189 ff. m.w. N. 113
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt
im Rahmen multinationaler Verbände an der Friedenssicherung der Vereinten Nationen nur mitwirken, wenn gleichzeitig die mandatierte bzw. autorisierte Organisation nach ihrer Satzung bzw. nach ihren entsprechenden Spezialvorschriften verfährt. Ein Handeln ultra vires der mandatierten Organisation hätte demnach die Verfassungswidrigkeit des Beitrags der Bundeswehr zur Folge116. Gleichzeitig genügt, dass zumindest eine der involvierten Organisationen die völkerrechtliche Verantwortung für das Handeln übernimmt.
B. Verteidigungsaufgabe und -auftrag der Bundeswehr I. „Zentralnorm“ des Art. 87a GG 1. Fortwirkende Bedeutung des Art. 87a GG Art. 87a Abs. 1 GG positiviert die Verteidigung der Bundesrepublik als staatliche Aufgabe und als Verfassungsauftrag117; seine indikative Formulierung deutet auf eine unmittelbare Verfassungspflicht hin, Streitkräfte aufzustellen und zu unterhalten118. Die dem Bund119 zugewiesene Kompetenz zum Aufbau der Streitkräfte, ist das „logische Komplement“ 120 zu Art. 73 Ziff. 1 GG, wonach dem Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für den Bereich der Verteidigung zusteht; hierzu gehören vor allem Aufstellung, Organisation und Ausrüstung der Streitkräfte. Jahrzehntelang galt Art. 87a GG dann auch als konstitutionelle „Zentralnorm für den militärischen Bereich“ 121. Durch die Outof-area-Entscheidung ist Art. 87a GG nun in Art. 24 Abs. 2 GG eine beacht116 Vgl. W. Schroeder, JuS 1995, 398 (402); Schultz, Die Auslandsentsendung von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz (1998), S. 388 f. 117 BVerfGE 28, 36, (47) 46, 48 (159 f.); 69, 1 (57 ff.); Baldus, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck (Hrsg.), GG Bd. III (2005), Art. 87a Rndr. 1, 5; a. A. Frank, in: Denniger et al. (Hrsg.), AK-GG Bd. III (2001), nach Art. 87 Rndr. 15. 118 Darüber hinaus verschafft die Formulierung eine gesetzesfeste institutionelle Garantie. Demnach ist die Existenz der Streitkräfte der Dispositionsbefugnis des einfachen Gesetzgebers entzogen. Zur Abschaffung der Streitkräfte bedürfte es einer Verfassungsänderung [Hillgruber, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG Bd. II (2002), Art. 87a Rndr. 12], welcher die „Ewigkeitsgarantie“ nach Art. 79 Abs. 3 GG allerdings nicht entgegenstünde [a. A. Fröhler, Grenzen legislativer Gestaltungsfreiheit in zentralen Fragen des Wehrverfassungsrechts (1993), S. 30 ff.]. 119 Im Unterschied zu älteren Verfassungen verteilt das Grundgesetz die Wehrkompetenz nicht zwischen Zentralstaat und Gliedstaaten. Eine solche Verteilung nahm sowohl die Paulskirchenverfassung, (§ 12: das „aus der Landmacht der einzelnen Staaten“ bestehende Reichsheer; § 19: Seemacht als „Sache des Reiches“) wie auch die RV von 1871 (Art. 53: „Kriegsmarine des Reiches“, Art. 60 Erstellung des Heeres durch die einzelnen Bundesstaaten) vor. Anders dagegen Art. 79 WRV: „Die Verteidigung des Reiches ist Reichssache.“ 120 K. Ipsen, in: Dolzer (Hrsg.), BK-GG (Stand 1969), Art. 87a Rndr. 12. 121 BVerfGE 48, 127 (159); 69, 1 (21).
B. Verteidigungsaufgabe und -auftrag der Bundeswehr
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liche Konkurrenz erwachsen. In der Praxis erfolgt die überwiegende Mehrzahl der Bundeswehreinsätze nach Maßgabe des Art. 24 Abs. 2 GG. Dennoch bleibt verfassungsrechtlich daran festzuhalten, dass der Verteidigungsauftrag nach wie vor die zentrale Aussage über die Aufgaben der Streitkräfte unter dem Grundgesetz enthält. Die Streitkräfte sind in erster Linie durch den Verteidigungsauftrag legitimiert. Dies schließt die Wahrnehmung sekundärer Aufgaben – nach außen wie nach innen – zwar nicht aus; diese dürfen aber den Verteidigungsauftrag nicht faktisch überlagern, oder gar an seine Stelle treten122. Dem Verteidigungsauftrag verbleibt auch zukünftig eine aktualisierbare praktische Relevanz, etwa wenn sich bei unstreitig völkerrechtskonformen Militäreinsätzen nicht mit der erforderlichen Klarheit ermitteln erlässt, ob sich der Einsatz noch im Rahmen und nach den Regeln eines Systems kollektiver Sicherheit bewegt123. Einer entsprechenden Klärung harren etwa militärische Operationen, die • sich nur auf eine Empfehlung des Sicherheitsrates berufen können124, • erst nachträglich vom Sicherheitsrat autorisiert werden125, • im Rahmen der Uniting for Peace-Resolution nur auf Mandat der VN-Generalversammlung erfolgen126, • durch unklar gefasste und international unterschiedlich interpretierte Sicherheitsrat-Resolutionen autorisiert sind127, 122 So zu Recht Gramm, NZWehrr 2005, 133 (134); vgl. auch Isensee, in: Wellershoff (Hrsg.), Frieden ohne Macht? (1991), S. 210 (220), wonach sich die Wahrnehmung dieser Sekundäraufgaben durch die Bundeswehr mit der verwaltungsrechtlichen Kategorie der Randnutzung erfassen lasse. 123 Blumenwitz, BayVBl. 1994, 641, 678 (678). 124 Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Out-of-area-Urteil ausschließlich über vom Sicherheitsrat autorisierte Einsätze zu befinden. Offen bleibt deshalb, ob auch von einem Handeln im Rahmen und nach den Regeln der VN-Systematik ausgegangen werden kann, wenn militärische Einsätze auf einer schlichten Empfehlung (recommandation) des Sicherheitsrates beruhen. 125 Nicht abschließend geklärt ist, inwieweit der Sicherheitsrat eine militärische Gewaltanwendung nachträglich autorisieren kann. Seine Praxis deutet in diese Richtung, wie sich insbesondere an der nachträglichen Autorisierung der ECOWAS-Intervention in Liberia zeigt, vgl. die Nachweise bei Röben, ZaöRV 63 (2003), 585 (599 FN 45). 126 Kann der Sicherheitsrat – z. B. wegen eines Vetos eines seiner ständigen Mitglieder – seinen satzungsgemäßen Pflichten nicht nachkommen, begründet der Beschluss der Generalversammlung Uniting for Peace vom 3. November 1950 [abgedr. in: VN 1980, 29] die Zuständigkeit der Generalversammlung. In seinem Certain ExpensesGutachten [ICJ Reports 1962, S. 151 (162)] hat der IGH die Rechtmäßigkeit der Uniting for Peace-Resolution bestätigt, in dem er feststellte, dass der Generalversammlung gegenüber dem Sicherheitsrat subsidiäre Handlungsbefugnisse habe. 127 Problematisch kann ebenfalls sein, dass in aller Regel Resolutionen des Sicherheitsrats, mit welchen militärische Sanktionen beschlossen, autorisiert oder empfohlen werden, keinen Hinweis auf die entsprechende Rechtsgrundlage in der Charta finden; dies kann zu unklar gefassten und international unterschiedlich interpretierten Sicher-
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt
• auf Mandat des Sicherheitsrats von der Bundeswehr alleine durchgeführt werden128, • im Rahmen des sog. provozierten Bündnisfall erfolgen129, • im Bündnis zu Meinungsverschiedenheiten über den aktuellen Stand des entsprechenden Aufgabenspektrums führen, • der ad hoc-Verteidigung eines Staates dienen, mit dem die Bundesrepublik nicht verbündet ist130, • die Evakuierung an Leib und Leben bedrohter, im Ausland befindlicher deutscher Staatsbürger zum Ziel haben131, • als sog. humanitäre Intervention zur Rettung fremder Staatsbürger durchgeführt werden132, heitsratsresolutionen führen. So wurden die im Zusammenhang mit der irakischen Invasion in Kuwait 1990 erlassenen Resolutionen in Ermangelung einer ausdrücklichen Nennung entsprechender Charta-Bestimmungen in der Völkerrechtslehre kontrovers diskutiert [zu den unterschiedlichen Auffassungen siehe Rostow, AJIL 85 (1991), 506 ff.; Schachter, AJIL 85 (1991), 452 ff.; E. Klein, AVR 1991, 421 ff.; Bothe, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht (2004), 8. Abschn. Rndr. 24 m.w. N.]. 128 Erstes Kapitel, A. III. 1. 129 Zu dessen Problematik vgl. K. Ipsen, in: Schwarz (Hrsg.), Sicherheitspolitik (1978), S. 615 (623). 130 Erstes Kapitel, B. III. 131 Drittes Kapitel, E. II. 1. 132 Zur völkerrechtlichen Rechtfertigung der sog. humanitären Intervention wurde in jüngerer Zeit insbesondere von Karl Doehring, vertreten, dass durch eine Vielzahl völkerrechtlicher Verträge und durch die Praxis der Staaten heute allgemein anerkannt sei, dass die Völker, soweit sie ihr Selbstbestimmungsrecht ausüben, und auch das Individuum, soweit es seine fundamentalen Rechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit verteidige, Rechtspersönlichkeit im Völkerrecht genieße. Wenn das Individuum durch das Völkerrecht zur Selbstverteidigung, d.h. zur Notwehr berechtigt ist, muss ihm von jedem anderen Völkerrechtssubjekt, also auch von einem Staat Nothilfe geleistet werden können [Doehring, Völkerrecht (2004), Rndr. 1015; schon in der Vorauflage von 1999, Rndr. 1008 ff.]. Verfassungsrechtlich hieße das, dass der KosovoEinsatz dann schließlich auch über den Verteidigungsbegriff des Art. 87a Abs. 1 GG gedeckt wäre, vgl. Fink, JZ 1999, 1016 (1021). Zu den völkerrechtlichen Implikationen der humanitären Intervention und zum Kosovo-Krieg, s. Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht (2004), 3. Abschn. Rndr. 218 ff.; Bothe, ebda., 8. Abschn. Rndr. 22; K. Ipsen, in: ders. et al. (Hrsg.), Festschrift für Klaus Dau (1999), S. 103 ff.; Nettesheim, JZ 2002, 569 (574 f.); Cassese, EJIL 10 (1999), 23 ff.; Henkin, AJIL 93 (1999), 824 ff.; Reisman, AJIL 93 (1999), 860 ff.; Wedgwood, AJIL 93 (1999), 828 ff.; Hillgruber, Der Staat 40 (2001), 165 ff.; Simma, EJIL (10) 1999, 1 ff.; ders., sieht in einem Interview mit der Süddeutsche Zeitung vom 27. April 1999 im Kosovo-Krieg einen Sündenfall des Völkerrechts; die NATO habe aber alles getan, um diesen im Status der „lässlichen Sünde“ zu halten. Zu den verfassungsrechtlichen Implikationen der deutschen Beteiligung am Kosovo-Krieg, Fink, JZ 1999, 1016 ff.; Wild, DÖV 2000, 622 (627 f.); Oeter, NZWehrr 2000, 89 (94 ff.); Epping, in: Pieroth (Hrsg.), Verfassungsrecht und soziale Wirklichkeit in Wechselwirkung (2000), S. 183 (203).
B. Verteidigungsaufgabe und -auftrag der Bundeswehr
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• als sog. Intervention auf Einladung erfolgen133, • die Bundesmarine durchführt, um Angriffe von Piraten auf deutsche Schiffe abzuwehren134, • als Reaktion auf dem 11. September vergleichbare Terroranschläge auf deutschem Territorium erfolgen135. 2. Art. 87a Abs. 1 GG als Befugnisnorm zum Verteidigungseinsatz Vor allem im „Kampf um den Wehrbeitrag“ der 1950er Jahre wurde die Befugnis zu militärischen Verteidigungsmaßnahmen aus einem – dem Grundgesetz vorgelagerten – naturgegebenen Recht abgeleitet136. Einer besonderen Ermächti133
Vgl. hierzu die Nachweise bei Vöneky/Wolfrum, ZaöRV 62 (2002), 569 (598). Diese Frage stellt sich bei der Entsendung der Fregatte „Karlsruhe“ im Rahmen der EU-Anti-Pirateri-Mission Atalanta indes nicht. Atalanta ist über Art. 24 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich abgedeckt. In einer Reihe von Resolutionen [Res. 1814 (2008) vom 15.05.2008; Res. 1816 (2008) vom 02.06.2008; Res. 1838 (2008) vom 07.10.2008; Res. 1846 (2008) vom 02.10.2008; Res. 1851 (2008) vom 16.12.2008] hat der VN-Sicherheitsrat festgestellt, dass die Vorfälle von Seeräuberei in den Hoheitsgewässern Somalias und auf Hoher See vor der Küste Somalias die Situation in Somalia verschärfen, die nach wie vor eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit in der Region darstelle. Die Mitgliedstaaten und Regionalorganisationen wurden daher aufgefordert, sich aktiv am Kampf gegen die Seeräuberei vor der Küste Somalias zu beteiligen, insbesondere indem sie Marinefahrzeuge und -luftfahrzeuge entsenden. Die Europäische Union reagierte am 10.11.2008 (Council Joint Action/ CFSP 2008/851) mit Operation Atalanta. Diese Operation wurde durch die Sicherheitsrats-Resolution 1851 (2008) vom 16.12.2008 ausdrücklich begrüßt. 135 Erstes Kapitel, B. III. 2. 136 Insbesondere wurde argumentiert, die Wehrhoheit und die ihr innewohnende Ermächtigung zur Verteidigung bedürfen eines verfassungstextlichen Niderschlags deshalb nicht, weil diese elementarer Grundbestandteil der Staatsgewalt seien. Die Staatsgewalt als umfassende staatliche Herrschaftsgewalt schließe jegliche materiellen Hoheitsbefugnisse ein, ohne dass diese erst durch eine ausdrückliche Aufnahme in die Verfassung entständen. Die Positivierung materieller Kompetenzen sei weder konstitutiv, noch enumerativ. In ihrem Kern unterstützten diese Auffassung Gutachten von Kaufmann, abgedr. in: Institut für Staatslehre und Politik e. V. in Mainz (Hrsg.), Der Kampf um den Wehrbeitrag, Bd. II/2 (1953), S. 42 (45 ff.), S. 786 ff.; Scheuner, ebda., S. 94 (111 ff.); Weber, ebda., S. 177 ff.; Thoma, ebda., S. 155 (158 ff.); Wolff, ebda., S. 202 ff.; v. Mangoldt, ebda., S. 72 (81 ff.); ders., Der Kampf um den Wehrbeitrag, Bd. II/1 (1952), S. 271 (275 ff.); Süsterhenn, ebda., S. 260 (268 ff.). Die Gegner dieser Auffassung führten an, dass der Versuch die junge Bundesrepublik nach den Regeln der allgemeinen Staatslehre zu bemessen, an ihren rechtlichen und politischen Eigentümlichkeiten scheitern müsse. Folgerungen aus dem Wesen der Staatlichkeit im alten Stile überzeugten nicht mehr, vgl. Forsthoff, abgedr. in: Der Kampf um den Wehrbeitrag Bd. II/2 (1953), S. 312 (319 ff.). Nach Smend, ebda., S. 559 (563) werde die Verfassung der Bundesrepublik geprägt durch die „einzigartige, einmalige, vorübergehende Lage dieses Staatsfragments mit seinem Gefälle hin zur Vereinigung mit der Ostzone“. Einer „positivistischen“ Auffassung waren auch E. Menzel, in: Der Kampf um den Wehrbeitrag Bd. II/1 (1952) S. 280 (291 ff.); Schätzel, ebda., S. 323 134
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gungsnorm bedarf es nach dieser Meinung nicht137. Eine derartige Argumentation verkennt indes, dass es zwar in der Tat das Recht eines souveränen Staates ist, sich Streitkräfte zu seiner Verteidigung zu unterhalten138, dass aber innerstaatlich eine solche Kompetenz, so lange nicht exekutierbar ruht, wie sie durch die Verfassungsgebung nicht aktualisiert und einem oder mehreren Organen zur Wahrnehmung übertragen ist139. Maßgebend für die gegenständliche Ausdehnung und zugleich Begrenzung der Staatsgewalt ist im neuzeitlichen Rechtstaat allein dessen konkrete Verfassungsordnung; aus ihr ergibt sich, welche Materien effektiv seiner Zuständigkeitshoheit unterworfen sind. Jenseits des durch die Verfassung aufgezeigten Aufgabenbereichs kann sich die Staatsgewalt nicht entfalten, ohne den Willen und das Wirken des Verfassungsgebers zu desavouieren140. Eine Befugnis praeter constitutionem zum Verteidigungseinsatz der Streitkräfte ist daher abzulehnen. Eine Mehrzahl von Autoren geht dann auch davon aus, dass sich die Ermächtigung zum Einsatz von Streitkräften zur Verteidigung aus Art. 87a Abs. 2 GG ergebe141. Begründet wird diese Auffassung zumeist nicht. Getragen wird sie wohl durch den Wortlaut des Abs. 2, der nicht nur – wie Abs. 1 S. 1 – von zur Verteidigung aufgestellten Streitkräften spricht, sondern auch von deren Einsatz142. Diese Auffassung wird von Paul Kirchhof indes ad absurdum geführt: Hätte erst der 1968 eingefügte Art. 87a Abs. 2 GG die Einsatzbefugnis erteilt, so hätte der Bund zwischen 1956 und 1968 die zur Verteidigung aufgestellten Streitkräfte nicht ihrem Aufstellungszweck entsprechend einsetzen dürfen143. (331 ff.); ders., in: Der Kampf um den Wehrbeitrag Bd 2/2 (1953), S. 620 (628 ff.); Löwenstein, ebda., S. 337 (393 ff.); Klein, ebda., S. 456 (476 f.); Kraus, ebda., S. 530 (532 ff.). Kommentierte Rückschauen des „Kampfes um den Wehrbeitrag“ finden sich bei Martens, Grundgesetz und Wehrverfassung (1961), S. 81 ff.; Hofmann, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. I (2003), § 9 Rndr. 44 ff. 137 Aus der späteren Literatur etwa Riedel, Der Einsatz deutscher Streitkräfte (1989), S. 80. 138 „Wo eine nach Innen und Außen sich selbst behauptende Staatsgewalt nicht gewollt wird, dort entsteht und besteht kein Staat“, Heller, Staatslehre (1970), S. 202; vgl. auch Smend, Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze – Rudolf Smend zum Goldenen Doctorjubiläum (1968), S. 119 (160): „(. . .) deshalb ist der Staat nur wirklich, wenn er im Innern von Rechts wegen und durch tatsächliche Unwiderstehlichkeit seiner Macht herrscht, und wenn er nach außen zu siegreicher Verteidigung imstande ist.“ 139 Vgl. Arndt, DÖV 1992, 618 (619). 140 Martens, Grundgesetz und Wehrverfassung (1961), S. 82 m.w. N. 141 Etwa K. Ipsen, in: Dolzer (Hrsg.), BK-GG (Stand 1969) Art. 87a Rndr. 6; ders., DÖV 1971, 583 (587); Oldiges, in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht Bd. II (2000), S. 648 Rndr. 13; Graf Vitzthum/Hahn, VBlBW 2004, 71 (72). 142 So ausdrücklich nur Baldus, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. III (2005), Art. 87a Rndr. 13. 143 Ders., in: Beyerlin (Hrsg.), Festschrift für Rudolf Bernhardt (1993), S. 797 (804 f.); ders., Diskussionsbeitrag, in: Frowein/Stein (Hrsg.), Rechtliche Aspekte einer
B. Verteidigungsaufgabe und -auftrag der Bundeswehr
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Zudem spricht die in Art. 87a Abs. 2 GG gewählte Formulierung „außer zur Verteidigung“ gerade gegen die These, wonach diese Bestimmung auch die Ermächtigung zur Verteidigung beinhalte144. Der Wortsinn deutet vielmehr daraufhin, dass Art. 87a Abs. 2 GG die Befugnis zur militärischen Verteidigung nicht selbst normiert, sondern in Art. 87a Abs. 1 S. 1 GG voraussetzt. Zwar spricht dessen eigener Wortlaut nicht explizit vom Einsatz zur Verteidigung; der Aufstellungszweck impliziert jedoch den Verwendungszweck. Die überzeugenderen Argumente sprechen somit deutlich für Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG als grundgesetzliche Ermächtigung zur militärischen Verteidigung.
II. Anwendungsbereich des Art. 87a Abs. 2 GG Das Grundgesetz enthält keine ausdrückliche Regelung über den Einsatz deutscher Streitkräfte im Ausland. Lediglich Art. 96 Abs. 2 GG belegt, dass der Gesetzgeber die Auslandsverwendung zumindest für möglich gehalten hat; diese Norm sagt jedoch nichts über die Voraussetzungen von Auslandseinsätzen. Als eine die Auslandsentsendung der Bundeswehr regelnde Verfassungsnorm kommt jedoch Art. 87a Abs. 2 GG in Betracht; denn diese Norm verlangt, dass ein Streitkräfteeinsatz außer zur Verteidigung ausdrücklich im Grundgesetz geregelt sein muss. Art. 87a Abs. 2 GG scheidet aber dann aus, wenn sein Anwendungsbereich allein auf das Inland beschränkt wäre. Dies ist seit jeher in einer mittlerweile kaum mehr überschaubaren Literatur umstritten. Vielfach wird vertreten, dass Art. 87a Abs. 2 GG den Auslandseinsatz der Streitkräfte ungeregelt lassen wolle, so dass dieser nur den Beschränkungen der Art. 25 und 26 GG unterliege145. Eine ebenso stattliche Anzahl an Autoren vertritt die entgegengeBeteiligung der Bundesrepublik Deutschland an Friedenstruppen der Vereinten Nationen (1990), S. 86; ebenso sehen Art. 87a Abs. 1 GG als Befugnisnorm Lerche, Diskussionsbeitrag, ebda., S. 44; Heyde, Diskussionsbeitrag, ebd., S. 80; Randelzhofer, in: Maunz/Dürig et al. (Hrsg.), GG (Stand 1992), Art. 24 II Rndr. 47; Hillgruber, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG Bd. II (2002), Art. 87a Rndr. 10; Dau, NZWehrr 1998, 89 (92); F. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. IV (2006), § 84 Rndr. 49. 144 Dies spricht auch gegen den Einwand von Baldus, wonach Art. 87a Abs. 2 GG hinsichtlich der Einsatzfrage sowohl die jüngere, als auch die speziellere Norm sei, so ders., in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG Bd. III (2005), Art. 87a Abs. 2 Rndr. 13. 145 Diese Auffassung wurde vor allem durch einen Vortrag von Torsten Stein im Rahmen eines Heidelberger Kolloquiums 1989 forciert, vgl. ders., in: Frowein/Stein (Hrsg.), Rechtliche Aspekte einer Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an Friedenstruppen der Vereinten Nationen (1990), S. 17 (23 ff.); ders., in: Hailbronner et al. (Hrsg.), Festschrift für Karl Doehring (1989), S. 935 (941 ff.). Der These Steins in der Diskussionsrunde folgend Herdegen, Diskussionsbeitrag, ebd., S. 50; Rudolf, ebd., S. 67 f.; Frowein, ebd., S. 55; Krüger-Sprengel, ebd., S. 57; Steinberger, ebd., S. 53 und Randelzhofer, ebd., S. 56. Grundlegend waren indes schon die Arbeiten von K. Ipsen, in: Dolzer (Hrsg.), BK-GG (Stand 1969), Art. 87a Rndr. 27; ders., Schwarz (Hrsg.), Sicherheitspolitik (1978), S. 615 (624 f.); Kersting, NZWehrr 1983, 64 (72 f.).
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt
setzte Position, wonach Art. 87a Abs. 2 GG auch auf den Auslandseinsatz anzuwenden sei146. Auf eine ausführliche Darstellung der Diskussion muss hier verzichtet werden. Erwähnt sei nur soviel, dass die Auffassung, wonach Art. 87a Abs. 2 GG nur den nach innen gerichteten Einsatz der Streitkräfte erfasse, eine vor allem systematisch-entstehungsgeschichtliche geprägte Reduktion des Art. 87a Abs. 2 vornimmt147, während sich die Gegenansicht vornehmlich am Wortlaut und der ratio orientiert148. Des Weiteren verstehen Art. 87a Abs. 2 GG als Norm mit ausschließlichem Inlandsbezug Kokott, in: Sachs (Hrsg.), GG (2003), Art. 87a Rndr. 12a; Oeter, NZWehrr 2000, 89 (93 f.); Randelzhofer, in: Maunz/Dürig et al. (Hrsg.), GG (Stand 1992), Art. 24 II Rndr. 66; Isensee, in: Wellershoff (Hrsg.), Frieden ohne Macht? (1991), S. 210 (215 f.); F. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. IV (2006), § 84 Rndr. 54 ff., 58; Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 21 f.; Wiefelspütz, Das Parlamentsheer (2005), S. 71 ff. m.w. N. Zur Literatur vor dem Out-of-area-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vgl. die erschöpfende Übersicht bei Bähr, Verfassungsmäßigkeit des Einsatzes der Bundeswehr im Rahmen der Vereinten Nationen (1994), S. 51 FN 4. 146 Siehe zu dieser traditionellen Auffassung auch die Äußerungen anlässlich des Heidelberger Kolloquiums von Lerche, Diskussionsbeitrag, in: Frowein/Stein (Hrsg.), Rechtliche Aspekte der Bundesrepublik Deutschland an Friedenstruppen der Vereinten Nationen (1990), S. 44 f.; Tomuschat, ebd., S. 46; Wolfrum, ebd., S. 45; Kind, ebd. 24. E. Klein, ebd. S. 62. Des Weiteren wenden Art. 87a Abs. 2 GG auch auf den Auslandseinsatz an Depenheuer, DVBl. 1997, 685 (687); Epping, AöR 124 (1999), 423 (429 ff.); ders., in: Pieroth (Hrsg.), Verfassungsrecht und soziale Wirklichkeit in Wechselwirkung, (2000), S. 183 (201 f.); Brenner/Hahn, JuS 2001, 729 (732 f.); Stern, Staatsrecht Bd. II (1980), S. 1477 f.; Hömig, in: Seifert/Hömig (Hrsg.), GG (2003), Art. 87a Rndr. 5; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG Bd. 3 (2000), Art. 87a Rndr. 16; März, Bundeswehr in Somalia (1993), S. 19 ff.; Baldus, in: Erberich et al. (Hrsg.), Frieden und Recht (1998), S. 259 (276 f.); ders., in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG Bd. III (2005), Art. 87a Abs. 2 Rndr. 30 ff.; Graf Vitzthum/Hahn, VBlBW 2004, 39, 71 (72 f.). Auch Dürig, in: Maunz/Dürig et al. (Hrsg.), GG (Stand 1971), Art. 87a Rndr. 24 ist Vertreter dieser traditionellen Ansicht [„jede anderweitige Verwendung (wird), insbesondere bei Aufgaben im Landesinneren, als Ausnahmeerscheidung gekennzeichnet“ – Hervorhebung nicht im Original], wird aber fälschlicherweise von der neueren Ansicht des Öfteren in Anspruch genommen. Erschöpfende Nachweise zur Literatur bis 1994 finden sich wiederum bei Bähr, Verfassungsmäßigkeit des Einsatzes der Bundeswehr im Rahmen der Vereinten Nationen (1994), S. 68 FN 54. 147 So spreche die systematische Stellung des Art. 87a Abs. 2 GG im VIII. Abschnitt des Grundgesetzes, welcher die Ausführungen der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung regelt, für eine nach innen gerichtete Anwendung der Norm; auch der Zusammenhang des Art. 87a Abs. 2 GG mit den Art. 87a Abs. 3 und 4 GG spreche hierfür. Art. 87a Abs. 2 GG sei als ultima ratio des nach innen gerichteten Streitkräfteeinsatzes im Konfliktfalle zu verstehen, der den Missbrauch der Bundeswehr als innenpolitisches Machtmittel verhindern solle. Art. 87a Abs. 2 GG habe zusammen mit Art. 87a Abs. 3 und Abs. 4 GG bei seiner Einfügung in das Grundgesetz den Art. 143 GG a. F. ersetzen wollen; da diese Norm eindeutig nur den inneren Notstand betroffen habe, könne sie keine Bedeutungserweiterung erfahren haben. 148 Angeführt wird, dass Art. 87a Abs. 2 GG nur vom Einsatz der Streitkräfte spreche, ohne dies näher einzugrenzen, was eine Reduktion der Anwendbarkeit auf den Innenbereich nicht rechtfertige. Des Weiteren lasse die teleologische Betrachtung des Art. 87a Abs. 2 GG erkennen, dass der Einsatz der Streitkräfte möglichst umfassend
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Entgegen aller Erwartung hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Out-ofarea-Entscheidung schließlich die Frage offengelassen, ob Art. 87a Abs. 2 GG nur den Inneneinsatz der Bundeswehr regeln will149; dies habe schlicht keiner Antwort bedurft: „Denn wie immer dies zu beantworten sein mag, jedenfalls wird durch Art. 87a GG der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit, dem die Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 24 Abs. 2 GG beigetreten ist, nicht ausgeschlossen.“ 150
Indem das Bundesverfassungsgericht mit seiner „jedenfalls“-Argumentation zuerst auf Art. 24 Abs. 2 GG eingeht und erst danach auf Art. 87a GG, ist unter systematisch-methodischen Gesichtspunkten überraschend. Methodisch überzeugender wäre es, zuerst zur grundsätzlichen Anwendbarkeit von Art. 87a Abs. 2 GG auf Auslandseinsätze der Bundeswehr Stellung zu nehmen, sodann bejahendenfalls zu fragen, ob Art. 24 Abs. 2 GG dem Erfordernis eines ausdrücklich zugelassenen Einzelfalls genügt. Erst bei Verneinung letzterer Frage wären Überlegungen anzustellen, wie Konkordanz zwischen den dann gegenläufigen Verfassungsnormen hergestellt werden kann151. Nach Ansicht verschiedener Literaturstimmen enthält das Out-of-area-Urteil jedoch Andeutungen, wonach das Bundesverfassungsgericht dazu neige, Art. 87a Abs. 2 GG als reine Inlandsvorschrift zu sehen152. So verweise es auf die Entstehungsgeschichte, nach der Art. 87a Abs. 2 GG in das Grundgesetz aufgenommen worden war, um „die Voraussetzungen zu regeln, unter denen die Streitkräfte im Falle eines inneren Notstandes eingesetzt werden dürfen. Darüber hinaus sollte die Notstandsverfassung weder neue Einsatzmöglichkeiten der Streitkräfte schaffen noch im Grundgesetz bereits zugelassene beschränken“ 153.
geregelt werden soll. Wenn schon der Inneneinsatz strengen Regeln unterworfen sei, könne der außenpolitisch brisante Einsatz von Streitkräften nicht ungeregelt bleiben. Art. 25 und 26 GG stellten eine zu unbestimmte Schranke dar. 149 Entgegen des klaren Wortlauts der Entscheidung, diese Frage offen zulassen, gehen manche Autoren davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht im Sinne der engen Auffassung entschieden habe, so etwa Oldiges, in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht (2000), S. 651 Rndr. 19 FN 55; Schulze, JR 1995, 98 (99 und 102). 150 BVerfGE 90, 286 (355 f.) – Hervorhebung nicht im Original. 151 Stein/Kröninger, Jura 1995, 254 (260); Roellecke, Der Staat 34 (1995), 415 (415). 152 Roellecke, Der Staat 34 (1995), 415 (417 und 423); Randelzhofer, in: Hanns-Seidel-Stiftung (Hrsg.), Die Zukunft der Vereinten Nationen (1996), S. 31 (42); Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 21; Krings/Burkiczak, DÖV 2002, 501 (504 FN 48). 153 BVerfGE 90, 286 (356).
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Indizwirkung hätten auch die Ausführungen, wonach die Notstandsverfassung, als deren Teil Art. 87a GG mit neuem Wortlaut versehen wurde, darauf ausgerichtet war, „den Verfassungsvorbehalt des Art. 143 des Grundgesetzes in der Fassung vom 19. März 1956 (. . .) auszufüllen und im Grundgesetz nunmehr auch die Voraussetzungen zu regeln, unter denen die Bundeswehr im Falle eines inneren Notstands eingesetzt werden dürfe“ 154.
An anderer Stelle heißt es ebenfalls unter Rückgriff auf die Entstehungsgeschichte, dass es maßgebliches Ziel des Art. 87a Abs. 2 GG gewesen sei, „die Möglichkeiten für einen Einsatz der Bundeswehr im Innern durch das Gebot strikter Texttreue zu begrenzen. Die schon im ursprünglichen Text des Grundgesetzes zugelassene Mitgliedschaft in einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit und die damit mögliche Teilnahme deutscher Streitkräfte an Einsätzen im Rahmen eines solchen Systems sollten nicht eingeschränkt werden“ 155.
Diese kursorischen Ausführungen allein vermögen indes eine Präferenz des Bundesverfassungsgericht für eine nach innen gerichtete Wirkung des 87a Abs. 2 GG nicht nachzuweisen156. Im Kontext der Entscheidung dienen die entstehungsgeschichtlichen Ausführungen lediglich zur Verstärkung der extensiven Interpretation des Art. 24 Abs. 2 GG. Auch der Umstand, dass die Entscheidung zuerst auf Art. 24 Abs. 2 GG eingeht und erst hernach auf Art. 87a Abs. 2 GG vermag eine derartige Lesart nicht zu stützen. Zum einen wäre es schon aus dogmatischer Sicht sauberer gewesen, zunächst zur grundsätzlichen Anwendbarkeit von Art. 87a Abs. 2 GG auf Auslandseinsätze der Bundeswehr Stellung zu nehmen157. Und zum anderen erfährt der verfassungsrichterliche Untersuchungsweg durch die eigene „jedenfalls“-Argumentation eine derartige Relativierung, die eher den Schluss zulässt, dass ein Dissens im erkennenden Senat über den Gehalt des Art. 87a Abs. 2 GG zu dieser durchaus erstaunlichen Prüfabfolge führte158. So rangierte etwa Art. 87a Abs. 2 GG in der vom Zweiten Senat vorgegebene Gliederung der mündlichen Verhandlung vom 19./20. April 1994 noch vor Art. 24 Abs. 2 GG159. Demnach ließe sich die Out-of-area-Entscheidung auch dergestalt deuten, dass das Gericht Art. 87a Abs. 2 GG eher 154
BVerfGE 90, 286 (356). BVerfGE 90, 286 (357). 156 Im Ergebnis ebenso Nolte, ZaöRV 54 (1994), 652 (655); Heintschel von Heinegg/ Haltern, NILR 41 (1994), 285 (303 f.); Baldus, in: Erberich et al. (Hrsg.), Frieden und Recht (1998), S. 259 (277); Epping, AöR 124 (1999), 423 (427); ders., in: Pieroth (Hrsg.), Verfassungsrecht und soziale Wirklichkeit (2000), S. 183 (199). 157 Siehe Erstes Kapitel, A. II. 158 Im Ergebnis ebenso Heintschel von Heinegg/Haltern, NILR 41 (1994), 285 (303 f.); Stein/Kröninger, Jura 1995, 254 (260); Epping, AöR 124 (1997), 423 (428); ders., in: Pieroth (Hrsg.), Verfassungsrecht und soziale Wirklichkeit (2000), S. 183 (199). 159 Vgl. Erstes Kapitel, A. II. 155
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einen weiten Regelungsbereich zugestehe160. Das Gericht vermochte sich offenbar dem in Art. 87a Abs. 2 GG formulierten Gebot einer im Verfassungstext nachgewiesenen Einsatzgrundlage nicht vollständig zu entziehen161. Ansonsten hätte es sich nämlich die ausführliche Begründung, warum der Einsatz der Bundeswehr in den zur Entscheidung stehenden Fällen nach Art. 24 Abs. 2 GG zulässig ist, ersparen können. Denn nach der „schlanken Lösung“ über die Binnengerichtetheit des Art. 87a Abs. 2 GG käme es auf Art. 24 Abs. 2 GG gar nicht an; eine militärische Operation wäre vielmehr über Art. 32 Abs. 1 GG erlaubt und nur durch Art. 25 und 26 GG begrenzt. Die gegenläufigen Interpretationsansätze der Literatur zeigen nur die mangelnde Konsistenz der Begründungsstränge des Bundesverfassungsgerichts auf. Der Anwendungsbereich des Art. 87a Abs. 2 GG bleibt demnach weiterhin offen. Über kurz oder lang kann sich diese Frage jedoch wieder stellen. Die Literatur ist reich an Stellungnahmen, alle Argumente sind schon vielfach hinund hergewendet worden. Es soll hier nicht der unfruchtbare Versuch unternommen werden, die Ausgangsfrage durch Wiederholung alter Argumentationsketten zu beantworten. Lediglich zwei methodische Aspekte sollen hervorgehoben werden, die in der ansonsten üppigen Literatur vergleichsweise wenig thematisiert werden. Die vielfach für einen begrenzten Geltungsbereich des Art. 87 Abs. 2 GG in Anspruch genommene systematische Auslegung kann aus einem übergeordneten Gesichtspunkt kaum überzeugen. Wenn etwa die Stellung des Art. 87 Abs. 2 GG im Abschnitt VIII der Verfassung (Die Ausführung der Bundesgesetze und die Verwaltung) angeführt wird, verkennt dies, dass die Stellung des Art. 87a GG unstreitig verfehlt ist162. Schon die Einfügung der alten Fassung des Art. 87a GG im Jahre 1956 wurde von der Literatur als gesetzestechnisch misslungen angesehen163. Umso mehr gilt dies für seine Neufassung von 1968. Warum sich im Rahmen der Verhandlungen zur Notstandsverfassung die
160 Schultz, Die Auslandsentsendung von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz (1998), S. 149 ff. 161 Baldus, in: Erberich et al. (Hrsg.), Frieden und Recht (1998), 259 (277); vgl. auch Kreß, IclQ 44 (1993), 414 (420). 162 Nach Dürig, in: Maunz/Dürig et al. (Hrsg.), GG (Stand 1971), Art. 87a Rndr. 3 ff., ist die Stellung „nahezu vollständig verfehlt (. . .). Niemand würde an dieser Stelle des Grundgesetzes – als ,a‘-Artikel optisch ohnehin von minderem Gewicht – eine Vorschrift von zentraler Bedeutung für unser gesamtes Verfassungsleben vermuten.“ So konstatiert z. B. auch Kokott, in: Sachs (Hrsg.), GG (2003), Art. 87a Rndr. 2, 2a eine mangelnde Gesetzestechnik und bedient sich dennoch der Systematik als Auslegungsmittel. 163 Vgl. Martens, Grundgesetz und Wehrverfassung (1961), S. 186; Schäfer, NJW 1956, 529 (532); Willms, Parlamentarische Kontrolle und Wehrverfassung (1959), S. 181. Selbst in den Wehrgesetzberatungen war ohne Erfolg schon auf die unsystematische Einordnung der Norm hingewiesen, vgl. nur die berichterstattende Abg. Schwarzhaupt (CDU/CSU) in der 113. Sitzung des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht, StenProt. Nr. 113 (1956), S. 8.
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Anregungen des Rechtsausschusses des Bundestages, solch heterogene Bestimmungen in einem Artikel zusammenzufassen164 und diesen dann im VIII. Abschnitt des Grundgesetzes einzuordnen, durchsetzen konnten, bleibt auch in der Retrospektive offen165. Wäre es nach dem Verteidigungsausschuss gegangen, fänden sich alle Bestimmungen mit Bezug zur Bundeswehr in einem eigenen Abschnitt des Grundgesetzes unter dem Titel „Die Streitkräfte“ oder „Das Wehrwesen“ wieder. Wegen befürchteter Verweisungen und Überschneidungen lehnte der Rechtsauschuss einen eigenen Abschnitt jedoch ab und plädierte für ein dezentrales Einordnen der einzelnen Vorschriften166. Eine Erklärung für diese Vorgehensweise könnte sein, dass sich der Verfassungsgeber bewusst an die Regelung der Weimarer Reichsverfassung anlehnte, während die Bismarcksche Verfassung von 1871 dem „Reichskriegswesen“ noch einen eigenen (XI.) Abschnitt gewidmet hatte. Angesichts dieser konfusen gesetzestechnischen Ausgestaltung der Wehrverfassung meinte Christian Tomuschat in treffend überspitzter Form, dass „die Arbeiten zur Inkorporierung der Bundeswehr in das Grundgesetz (. . .) das Cannae der Bonner Ministerialbürokratie (sind). Man stößt auf ein einzigartiges Verwirrspiel. Die Regelung ist in einer derart ungeschickten Weise getroffen worden, dass man vielleicht schon den Eindruck haben könnte, hier sei Absicht mit im Spiel gewesen, den Parlamentariern die Möglichkeit aus der Hand zu schlagen, überhaupt noch Sinn in diesem ,System‘ zu finden“ 167.
Eine Norm, die gesetzestechnisch derart missglückt ist, kann als Interpretationsmaßstab im System der Verfassung nicht dienen168. Im konkreten Fall ist die Systematik schlichtweg ein untaugliches Mittel der Verfassungsinterpretation. 164 Lediglich die Kompetenzverteilung des Abs. 1 S. 1 lässt sich dem VIII. Abschnitt des Grundgesetzes zuordnen, nicht jedoch der Art. 87a GG in seiner Gesamtheit. Durch die Kompetenzverteilung wird zum Ausdruck gebracht, dass die Ausführung der Gesetze über die Streitkräfte zum Gebiet einer Bundeswehrverwaltung gehört. Ebenso inkonsequent wird der Katastropheneinsatz aus dem Art. 87a GG ausgeschieden und getrennt in Art. 35 Abs. 2, 3 GG geregelt, als handle es sich lediglich um einen Sonderfall der Amtshilfe, nicht aber um eine tiefgreifende Kompetenzverschiebung. 165 Vgl. Bähr, ZRP 1994, 97 (98). Der Rechtsauschuss begründete dies wenig aufschlussreich damit, dass sich Art. 87a GG für diesen Zweck eigne, vgl. den Schriftlichen Bericht des Rechtsauschusses vom 9. Mai 1968 (BT-Drs. V/2873, S. 12). Nach Stern, Staatsrecht Bd. II (1980), S. 1474 f. gehört die Systematik „zu den schwer aufklärbaren Ergebnissen der Diskussion um die Notstandsverfassungsnovelle im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages“. 166 Zur Entstehungsgeschichte Jäger, BayVBl. 1956, 289 ff. und 329 ff. und Schäfer, NJW 1956, 529 ff. 167 Tomuschat, Diskussionsbeitrag, in: Frowein/Stein (Hrsg.), Rechtliche Aspekte einer Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an Friedenstruppen der Vereinten Nationen (1990), S. 46. 168 Bähr, ZRP 1994, 97 (98); Epping, AöR 124 (1999), 423 (431 f.).
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Die zweite große Argumentationslinie der Vertreter eines engen Anwendungsbereichs des Art. 87a Abs. 2 GG orientiert sich an dessen Entstehungsgeschichte. Dieses Abstellen auf die Historie ist nicht nur im konkreten Fall des Art. 87a Abs. 2 GG angreifbar169, sondern auch methodisch-abstrakt. Gesetzesmaterialien können nach stetiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur unterstützend und lediglich insofern herangezogen werden können, als sie auf einen „objektiven Sinngehalt schließen lassen“ 170. Für diese objektive Auslegung gibt es nach dem Bundesverfassungsgerichts auch gute Gründe, denn eine Norm kann einen Bedeutungswandel erfahren, und ihre Interpretation hat sich diesem anzupassen171. Nachdem die Systematik – wie aufgezeigt – als objektives Auslegungskriterium entfällt und der Wortlaut deutlich gegen die enge Interpretation spricht, können sich die Befürworter einer Binnengerichtetheit des Art. 87a Abs. 2 GG kaum auf dessen Entstehungsgeschichte berufen. Demnach sprechen die dogmatisch stringenteren Überlegungen für die Einbeziehung militärischer Auslandseinsätze unter den Verfassungsvorbehalt des Art. 87a Abs. 2 GG.
III. Sinnvariabilität des Begriffs der Verteidigung Wie andere Begriffe der Verfassung auch, kann der Verteidigungsbegriff als offener Verfassungsbegriff qualifiziert werden. Eingeführt wurde er mit der sog. Wehrrechtsnovelle des Jahres 1954172 und wird im Grundgesetz auch in einer Reihe von anderen Verfassungsvorschriften verwendet173. Die Ambivalenz des Begriffs der Verteidigung bleibt auch in der Gegenüberstellung zu dem nach Art. 26 GG verbotenen Angriffskrieg bestehen. Schließen sich Angriff und Verteidigung begrifflich zunächst zwar aus, weicht diese begriffliche Klarheit beim Versuch praktischer Konkretisierung schnell einer diffusen Ungewissheit174. So kann in krassen Ausnahmefällen auch ein präventiver Erstschlag zur Vermeidung eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs dem Verteidigungstitel unterfal169 Dazu, dass die Entstehungsgeschichte des Art. 87a Abs. 2 nicht eindeutig ist, siehe Zimmer, Einsätze der Bundeswehr im Rahmen kollektiver Sicherheit (1994) S. 50 ff. m.w. N. 170 St. Rspr. seit BVerfGE 1, 299 (312); 11, 126 (130 f.); 105, 135 (157). 171 So schon BVerfGE 2, 380 (401). 172 Indem dem Bund im Rahmen der Neufassung des Art. 73 Nr. 1 GG die alleinige Gesetzgebungskompetenz über die „Verteidigung“ eingeräumt wurde, vgl. BGBl. I 1954, S. 45. 173 „Verteidigung“ in Art. 12a Abs. 3; 17 Abs. 2; 73 Nr. 1; 79 Abs. 1 S. 2; 80 Abs. 1 S. 1; 87 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 – „Verteidigungsauftrag“ in Art. 87a Abs. 3 S. 1 „Verteidigungsfall“ in Art. 12a Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1, Abs. 6 S. 1 und 53 a Abs. 2 S. 1; 80a Abs. 1 S. 1; 87a Abs. 3 S. 1; 96 Abs. 2 S. 2 und im gesamten Abschnitt Xa –„Ausschuss für Verteidigung“ in Art. 45a Abs. 1, Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 – „Bundesminister der Verteidigung“ in Art. 65a. 87b Abs. 2 GG. 174 Depenheur, DVBl. 1997, 685 (686).
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len175. Ungeachtet dessen wusste die „politische Propaganda noch jede Aggression als ,Verteidigungshandlung‘ darzustellen“ 176. Aufgrund dieser Ambivalenz beschäftigt sich ein mittlerweile kaum mehr überschaubares Schrifttum mit dem schillernden Verteidigungsbegriff. Unbestritten enthält der Terminus der Verteidigung ein finales und ein gegenständliches Element: das Verteidigungsziel und das Verteidigungsobjekt. Der Wortsinn legt zunächst nur nahe, Verteidigung als Abwehr eines Angriffs zu verstehen. Zu wessen Gunsten dies geschieht, was mithin das zu schützende Reservat ausmacht, bleibt zunächst offen177. Ebenfalls unbestritten umfasst Verteidigung nicht nur das Recht zur militärischen Abwehr eines Angreifers an der Staatsgrenze, sondern auch das Recht, Streitkräfte über die Grenzen hinaus ins Ausland zu entsenden, um dort alle Maßnahmen zu treffen, die zu einer wirksamen Verteidigung notwendig sind. Der Verteidigungseinsatz enthält daher keine Beschränkung hinsichtlich des Verteidigungsraumes178. Nach tradiertem Verteidigungsverständnis muss der Angreifer von außerhalb der Landesgrenzen kommen179, sonst würde der Verteidigung nach Abs. 1 und 2 des Art. 87a GG nicht in Abs. 4 die Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer innerhalb des Landes gegenübergestellt. Einigkeit herrscht auch in der Auslegungsgrenze des Verteidigungsbegriffs. So ist die Verfassung nach dem Friedensgebot der Präambel, Art. 24 bis 26 und Art. 9 Abs. 2 GG von dem beherrschenden Gedanken durchzogen, dass die Bundesrepublik ein friedsamer Staat ist. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts hat dieses „Prinzip des friedlichen Zusammenlebens der Völker“ 180 Verfassungsrang. Die nach außen gerichtete Verteidigung ist daher nicht mehr alleine nach Verfassungsrecht zu bestimmen, denn mit einem Außeneinsatz der Streitkräfte verlagert sich das Geschehen auf die internationale Rechtsebene181. Ein nach außen gerichteter 175 Aus völkerrechtlicher Sicht vgl. Randelzhofer, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations (2002), Art. 51 Rndr. 39 m.w. N. und das Atomwaffengutachten des IGH, ICJ Rep. 1996, 226; aus grundgesetzlicher Sicht etwa Stern, Staatsrecht Bd. II (1980), S. 855. 176 Depenheur, DVBl. 1997, 685 (686). 177 Bähr, ZRP 1994, 97 (99). 178 Statt aller F. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. IV (2006), § 84 Rndr. 50. 179 Graf Vitzthum, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. VII (1992), § 170 Rndr. 30; Schmidt-Jortzig, DÖV 2002, 773 (775). 180 Vgl. etwa BVerfGE 47, 377 (382). 181 Völkerrechtlich unterliegt der Verteidigungsakt auch der rule of proportionality. Reaktionsexzesse sind danach verboten. Der verteidigende Staat darf vielmehr (nur) so zurückschlagen, dass der Angriff endgültig abgewehrt ist. Ob die Verteidigung mit Kernwaffen gegenüber einem konventionellen Angriff unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit von vornherein verboten ist („atomarer Erstschlag“) ist umstritten. Der IGH wollte in seinem Gutachten zur Rechtmäßigkeit eines Atomwaffeneinsatzes diese Möglichkeit „in an extreme circumstance of self-defence, in which a State’s survival is at stake“, nicht ausschließen, ICJ Rep. 1996, 226 .
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Einsatz der Streitkräfte ist daher nur verfassungskonform, wenn er völkerrechtlich statthaft ist182. 1. Literaturmeinungen und das Sicherheitspolitische Programm der Bundesregierung Bei näherer Betrachtung des Diskussionsstands lassen sich im Wesentlichen fünf Meinungsstränge ausmachen. Nicht in Abrede gestellt wird, dass unter Verteidigung die Landesverteidigung im engeren Sinne, also die Abwehr von feindlichen, bewaffneten Angriffen auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik fällt. Eine ältere Ansicht möchte den Verteidigungsgegenstand aber auch schon auf das Territorium der Bundesrepublik beschränkt wissen183. Vertreten wird auch, Verteidigung nach Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG bedeute zwar stets Verteidigung der Bundesrepublik, dies jedoch nicht notwendigerweise in Gestalt der Abwehr eines bewaffneten Angriffs auf ihr Territorium. Auch der Schutz bestimmter Außenpositionen, sowie anderer, das staatliche Gemeinwesen betreffender Interessen sei umfasst184. Die staatlichen Außenpositionen werden dabei eng an Art. 3 der VN-Aggressionsdefinition von 1974 angelehnt185. Vorgetragen wird 182 Blumenwitz, NZWehrr 1998, 133 (133); K. Ipsen, in: Schwarz (Hrsg.), Sicherheitspolitik (1978), S. 615 (616 f.); Kokott, in: Sachs (Hrsg.), GG (2003), Art. 87a Rndr. 12a; Burmester, NZWehrR 1993, 133 (134) 183 Dürig, in: Maunz/Dürig et al. (Hrsg.), GG (Stand 1971), Art. 87a Rndr. 22; Arndt, DÖV 1992, 618 (618 f.). Hierfür spreche schon die begriffliche Ähnlichkeit zu Art. 115a Abs. 1 S. 1 GG wonach der Verteidigungsfall dann gegeben ist, wenn das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht. Auch die Entstehungsgeschichte ließe offenbar werden, dass Verteidigung in erster Linie Territorialverteidigung bedeute. Im Hinblick auf die darauf beruhenden bündnispolitischen Probleme wird des öfteren betont, niemand habe sich 1968 bei der Neufassung des Art. 87a GG vorstellen können, dass Bündnis- und Verteidigungsfall auseinander fallen könnten [dazu meinte Kriele, ZRP 1994, 103 (104): „So phantasielos können selbst die engstirnigsten germanozentrischen Abgeordneten nicht gewesen sein.“]. Von einer zumindest partiellen Gleichsetzung der beiden Begriffe ausgehend Graf Vitzthum, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VII (1992), § 170 Rndr. 33 f. 184 Schmidt-Jortzig, DÖV 2002, 773 (775), geht vom „Schutz der übergreifenden Werte und Interessen“ aus, „für welche die Bundesrepublik Deutschland einsteht“; Kokott, in: Sachs (Hrsg.), GG (2003) Art. 87a Rndr. 18, verlangt die „Berührung eines deutschen Sicherheitsinteresses“; Kreß, ZaöRV 57 (1997), 329 (354), plädiert für einen „allgemein auf den Schutz deutscher Rechtspositionen abstellenden verfassungsrechtlichen Verteidigungsbegriff“; nach Burmester, NZWehrR 1993, 133 (136) seien bewaffnete Angriffe „gegen den völkerrechtlich geschützten Bereich der Bundesrepublik im Sinne des Art. 51 UN-Charta“ ausschlaggebend; präzisierend will Blumenwitz, NZWehrr 1988, 133 (139), auch den Schutz „strategisch wichtige(r) Rohstoff(e)“ der Bundesrepublik miteinbeziehen. 185 UNGA-Res. 3314 (XXIX) vom 14. Dezember 1974, abgedruckt in VN 1975, S. 120. Im wesentlichen fallen unter die VN-Aggressionsdefinition Angriffe auf staatliches Hoheitsgebiet durch Streitkräfte oder Bombardierungen, Hafen- oder Küstenblockaden, Angriffe auf Land-, See- oder Luftstreitkräfte oder zivile Handelsflotten,
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt
weiterhin, dass Verteidigung nicht nur als individuelle, sondern auch als kollektive Selbstverteidigung entsprechend Art. 51 VN-Charta zu verstehen sei186. Da der Verteidigungsbegriff im völkerrechtstreuen Grundgesetz nicht konkretisiert sei, müsse er am Völkerrecht ausgerichtet werden. Die wohl herrschende Lehre schränkt diesen an Art. 51 VN-Charta orientierten Verteidigungsbegriff derart ein, dass ein Einsatz zur Verteidigung nur zur Abwehr von Angriffen gegen die Bundesrepublik und ihrer Bündnispartner, nicht jedoch zur Verteidigung von Drittstaaten zulässig sei187. Eine neuere, im Vordringen begriffene Ansicht weitet den Verteidigungsbegriff beträchtlich aus. Verteidigung sei jede völkerrechtlich zulässige Gewalt, d.h. nicht nur die individuelle und kollektive Selbstverteidigung nach Art. 51 VN-Charta, sondern auch und gerade Zwangsmaßnahmen nach Kap. VII VN-Charta, sowie Blauhelmeinsätze 188. Verteidigungsobjekt sei demnach nicht nur die Bundesrepublik sondern schließe auch die internationale Sicherheit und den Weltfrieden mit ein189.
vertragswidriger Einsatz von Stationierten Streitkräften, Überlassung des eigenen Hoheitsgebietes für Aggressionshandlungen gegen Drittstaaten und Entsendung bewaffneter Banden erheblichen Umfangs mit nachfolgender Aggressionshandlung. 186 So schon K. Ipsen, Rechtsgrundlagen und Institutionalisierung der atlantischwesteuropäischen Verteidigung (1967), S. 25; ders., in: Schwarz (Hrsg.), Sicherheitspolitik (1978), S. 615 (622 f.); Tomuschat, in: Dolzer (Hrsg.), BK-GG (1985), Art. 24 Rndr. 124; Baldus, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG Bd. III (2005), Art. 87a Rndr. 44; wohl auch Randelzhofer, in: Maunz/Dürig et al. (Hrsg.), GG (Stand 1992), Art. 24 II Rndr. 45 ff. Sinn und Zweck des Begriffs Verteidigung in Art. 87a GG sei lediglich, dass die Schranken der Art. 25, 26 GG und Art. 51 VN-Charta beachtet werden müssen. Verteidigung im Sinne des Art. 87a GG sei daher die Abwehr eines Angriffes auf ein völkerrechtlich geschütztes Rechtsgut der Bundesrepublik oder eines anderen Staates mit militärischen Mitteln. Art. 51 VN-Charta räume jedem Staat im Falle eines Angriffs ein individuelles und kollektives Selbstverteidigungsrecht ein. Durch Art. 25 GG habe das gewohnheitsrechtlich begründete und in Art. 51 VNCharta kodifizierte Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung Eingang in das Grundgesetz gefunden. 187 F. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. III (2006), § 84 Rndr. 53; Depenheuer, DVBl. 1997, 685 (687 f.); Wieland, DVBl. 1991, 1174 (1179); Riedel, Einsatz deutscher Streitkräfte im Ausland (1989), S. 107 f., 140 ff.; E. Klein, ZaöRV 34 (1974), 429 (437 ff.); Stein, in: Hailbronner et al. (Hrsg.), Festschrift für Karl Doehring (1989), S. 935 (940). Das Grundgesetz könne den völkerrechtlichen Verteidigungsbegriff zwar nicht erweitern, jedoch seine Beschränkung vornehmen. Deshalb sei die Wertentscheidung des Verfassungsgebers aus Art. 24 Abs. 2 und 80a Abs. 3 GG zu berücksichtigen, wonach die Bündnisverteidigung privilegiert werde. Ad-hoc-Bündnisse erschöpften sich in ihrer militärischen Funktion und seien mit dem Friedensgebot des Grundgesetzes nicht vereinbar. 188 Schon frühzeitig K. Ipsen, in: Schwarz (Hrsg.), Sicherheitspolitik (1978), S. 615 (6245); Tomuschat, in: Dolzer (Hrsg.), BK-GG (1985), Art. 24 Rndr. 173; des Weiteren P. Kirchhof, in: Beyerlin (Hrsg.), Festschrift für Rudolf Bernhardt (1993), S. 797 (804, 821 ff.); Hernekamp, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG Bd. 3 (2003), Art. 87a Rndr. 4; Hillgruber, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG Bd. II (2002), Art. 87a Rndr. 62; Doehring, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. VII (1993), § 178 Rndr. 24.
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Schrittmacher der letztgenannten, weitesten Literaturmeinung ist das aktuelle sicherheitspolitische Programm der Bundesregierung. Dieses wurde eingeleitet durch den Erlass der Verteidigungspolitischen Richtlinien am 26. November 1992 unter Bundesverteidigungsminister Volker Rühe, indem erstmals die Wahrung „legitimer nationaler Interessen“ als Verteidigungsziel formuliert wurde, worunter auch die „Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt“ 190 fällt. An anderer Stelle heißt es ebenso neu: „Deutschland ist aufgrund seiner internationalen Verflechtungen und globalen Interessen vom gesamten Risikospektrum betroffen. Wir müssen daher in der Lage sein, auf entstehende Krisen im Rahmen kollektiver Sicherheitssysteme einwirken zu können“ 191. Diese Abkehr vom traditionellen Verteidigungsverständnis wurde durch die am 21. Mai 2003 von Bundesverteidigungsminister Peter Struck erlassenen, neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien und durch das von der Bundesregierung am 25. Oktober 2006 beschlossenen Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands fort- und festgeschrieben. Zur Darstellung des aktuellen sicherheitspolitischen Programms der Bundesregierung seien hier die Struckschen Richtlinien herausgegriffen. Sie formulieren das weiteste Verständnis von Verteidigung und gehen gleichzeitig auch auf die Herausforderungen des internationalen Terrorismus des 21. Jahrhunderts ein. Nach den Verteidigungspolitischen Richtlinien umfasse Verteidigung heute „mehr als die herkömmliche Verteidigung an den Landesgrenzen gegen einen konventionellen Angriff. Sie schließt die Verhütung von Konflikten und Krisen, die gemeinsame Bewältigung von Krisen und die Krisennachsorge ein. Dementsprechend lässt sich Verteidigung geografisch nicht mehr eingrenzen, sondern trägt zur Wahrung unserer Sicherheit bei, wo immer diese gefährdet ist.“ (Ziff. 5 VPR)192.
Die Lösung der vielfältigen regionalen Krisen und Konflikte bleibe „von herausragender Bedeutung für Sicherheit und Stabilität im europäischen und globalen Rahmen. Ungelöste politische, ethnische, religiöse, wirtschaftliche und gesellschaftliche Konflikte wirken sich im Verbund mit dem internationalen Terroris-
189 Militärische Einsätze im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit dienten der Verteidigung des Weltfrieden und damit letztlich auch der Sicherheit und der Schutz der Bundesrepublik Deutschland. Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes werde der Weltfrieden vornehmlich von Konflikten kleinerer bis mittlerer Größe sowie vom internationalen Terrorismus bedroht. Solchen Entwicklungen vorzubeugen und den daraus resultierenden Gefahren durch Teilnahme an den VN-Friedenssicherung realistisch zu begegnen falle unter „erweiterte Landesverteidigung“. Die militärisch weniger intensiven Friedenssicherungsmaßnahmen seien a maiore ad minus im Verteidigungsbegriff enthalten. Dies sei auch deshalb gerechtfertigt, weil Art. 51 VNCharta der Friedenssicherung den Vorrang vor der Selbstverteidigung einräume. 190 VPR 8 Nr. 8 (1992). 191 VPR 27 (1992). 192 Vgl. auch die als Struck-Doktrin bekannte Wendung, wonach Deutschland am Hindukusch verteidigt werde.
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt mus, mit der international operierenden Organisierten Kriminalität und den zunehmenden Migrationsbewegungen unmittelbar auf die deutsche und europäische Sicherheit aus“ (Ziff. 25 VPR).
Geschützt werden sollen unter anderem Handelswege (Ziff. 27 VPR) und Kommunikationsstränge (Ziff. 26 VPR) der Bundesrepublik in aller Welt, also substanzielle wirtschaftliche Interessen. Künftige Einsätze ließen „sich wegen des umfassenden Ansatzes zeitgemäßer Sicherheits- und Verteidigungspolitik und ihrer Erfordernisse weder hinsichtlich ihrer Intensität noch geografisch eingrenzen. Der politische Zweck bestimmt Ziel, Ort, Dauer und Art eines Einsatzes. Die Notwendigkeit für eine Teilnahme der Bundeswehr an multinationalen Operationen kann sich weltweit und mit geringem zeitlichen Vorlauf ergeben und das gesamte Einsatzspektrum bis hin zu Operationen mit hoher Intensität umfassen“ (Ziff. 57 VPR).
2. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Unter den vom Bundesverfassungsgericht am 12. Juli 1994 ausdrücklich offengelassen „mannigfachen Meinungsverschiedenheiten“ 193, finden sich auch jene wieder, die um das richtige Verständnis des Verteidigungsbegriffs ringen. Ohne eine positive Umschreibung des Verteidigungsbegriffs zu erarbeiten, negiert das Bundesverfassungsgericht allerdings in seinem Judikat sowohl den engsten als auch den weitesten Ansatz zum Begriff der Verteidigung i. S. des Art. 87a Abs. 1 GG; ersteren explizit durch ein obiter dictum, letzteren implizit. So hat das Bundesverfassungsgericht eher beiläufig dargelegt, dass die Feststellung des Verteidigungsfalles in Art. 115a Abs. 1 GG „nicht Voraussetzung für jeden Verteidigungseinsatz der Bundeswehr“ ist194. Damit wird sachlich verneint, dass der Begriff der Verteidigung in Art. 87a GG identisch mit dem des Verteidigungsfalls aus Art. 115a GG ist195. Indem weiterhin eine Subsumtion von Blauhelm-Einsätze und VN-Zwangsmaßnahmen unter den Verteidigungsbegriff unterbleibt, wird gleichzeitig auch der weite, am Weltfrieden orientierte
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BVerfGE 90, 286 (355). BVerfGE 90, 286 (385 f.). 195 Heun, JZ 1994, 1073 (1073 f.). Nur scheinbar gegenläufig sind frühere Entscheidungen in denen das Gericht in den Vorschriften des Art. 12a, 73 Nr. 1, 87a und 115b GG eine verfassungsrechtliche Grundentscheidung für eine militärische Landesverteidigung sah, vgl. BVerfGE 12, 45 (52); 28, 243 (261); 32, 40 (46); 48, 127 (159 f.); 69, 1 (21). Prima vista könnte der bundesverfassungsgerichtliche Terminus der Landesverteidigung zwar als Synonym zur Territorialverteidigung verstanden werden; doch wird im zweiten Judikat zur Kriegsdienstverweigerung präzisiert, dass Landesverteidigung weit zu verstehen sei und „die Sicherung der staatlichen Existenz“ bedeute, BVerfGE 69, 1 (23). Dass das Bundesverfassungsgericht schon vor der Outof-area-Entscheidung nicht der engen Ansicht folgte, lässt sich auch an früheren Entscheidungen ablesen, in denen es die Bündnisverteidigung als mit dem Grundgesetz vereinbar ansah, vgl. z. B. BVerfGE 48, 127 (160); 68, 1 (90 ff.). 194
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Verteidigungsbegriff abgelehnt. Das Bundesverfassungsgericht sieht vielmehr in Art. 24 Abs. 2 GG die verfassungsrechtliche Legitimation derartiger internationaler Streitkräfteeinsätze 196. Die umfangreichen Ausführungen zu Systemen kollektiver Sicherheit hätte sich das Bundesverfassungsgericht ersparen können, wenn es dem weiten Verteidigungsbegriff gefolgt wäre. Obwohl die Literatur Argumente in reicher Zahl böte, um die bundesverfassungsrichterlichen Stellungnahmen, nach denen das Verteidigungsobjekt des Grundgesetzes zwar nicht auf das Territorium der Bundesrepublik begrenzt ist197, aber auch nicht den Welt-
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BVerfGE 90, 286 (Leitsatz 1). Grundlegend waren Arbeiten von Knut Ipsen ab Ende der 1960er Jahre, ders., Rechtsgrundlagen und Institutionalisierung der atlantisch-westeuropäischen Verteidigung (1967), S. 25 f.; ders., in: Dolzer et al. (Hrsg.), BK-GG (Stand 1969), Art. 87a Rndr. 27 ff.; ders., DÖV 1971, 583 (585 ff.); ders., in: Schwarz (Hrsg.), Sicherheitspolitik (1978), S. 615 (616 ff.). Die sprachliche Ähnlichkeit von „Verteidigung“ bzw. „Verteidigungsfall“ ließe sich zwar in der Tat als Hinweis dafür erklären, dass Verteidigung und Verteidigungsfall zusammenfallen. Mit derselben Berechtigung kann man aber auch auf eine fehlende Identität beider Worte sowie die unterschiedliche Wortwahl in Art. 87a Abs. 2 und 3 GG verweisen [v. Bülow, Der Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung (1984), S. 97 f. hält zutreffend fest: „Verteidigung beschreibt eine aktive Handlung . . . Verteidigungsfall hingegen eine bloße Lage.“]. Der Sinn des Art. 115a GG liegt vielmehr darin, die innerstaatliche Rechtsordnung vom Normalzustand auf Notstandserfordernisse umzustellen, nicht aber den Verteidigungsfall territorial einzuengen [März, Bundeswehr in Somalia (1993), S. 28 ff.; Randelzhofer, in: Maunz/Dürig et al. (Hrsg.), GG (Stand 1992), Art. 24 II Rndr. 46]. Die Inkongruenz von Verteidigung und Verteidigungsfall findet einen weiteren Anhalt in den Materialien zur Notstandsgesetzgebung 1968. Der Entwurf zu Art. 115a GG enthielt ursprünglich an Stelle des Begriffs „Verteidigungsfall“ die Formulierung „Zustand äußerer Gefahr“ und empfahl im Hinblick auf die weit reichenden innerstaatlichen Rechtsfolgen dieses Zustandes eine parlamentarische Kontrolle. Erst später wurde der deskriptive Begriff „äußere Gefahr“ durch den reaktiven Begriff „Verteidigungsfall“ ersetzt [Burmester, NZWehrR 1993, 133 (137); zur Entstehungsgeschichte ausführlich Kind, DÖV 1993, 139 ff.]. Die Remilitarisierung der Bundesrepublik und damit die Wiederherstellung ihrer nationalen Verteidigungsfähigkeit war eng mit einem deutschen Beitrag zur Bündnisverteidigung verknüpft. Die Möglichkeit zur nationalen Verteidigung erhielt die Bundesrepublik nur durch die Bereitschaft, sich in die westlichen Militärbündnisse eingliedern zu lassen. Die Remilitarisierung wurde demnach weniger unter nationalen Aspekten diskutiert, als mit Blick auf die Integration in die westlichen Bündnisse [vgl. Mössner, in: v. Münch (Hrsg.), Festschrift für Hans-Jürgen Schlochauer, (1981), S. 97 (103); Isensee, in: Wellershoff (Hrsg.), Frieden ohne Macht? (1991), S. 61 (66)]. Folgerichtig enthält das Grundgesetz in Art. 80a GG die Bündnisverpflichtung. Würde man Art. 87a GG so auslegen, dass unter Verteidigung nur eine solche gemeint ist, die sich unmittelbar auf die Bundesrepublik bezieht, würden man dem Grundgesetz eine geradezu schizophrene Bewusstseinslage unterstellen [Tomuschat, in: Dolzer (Hrsg.), BK-GG (1985), Art. 24 Rndr. 172]. Zudem wäre nach Art. 115a GG ein präventiver Einsatz der Streitkräfte verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn der Verteidigungsfall neben den gegenwärtigen auch bereits den unmittelbar drohenden Angriff umfasste. Damit bestünde ein Widerspruch zum herrschenden Verständnis der Art. 2 Nr. 4 und 51 VN-Charta. So folgert dann auch Cassese, RdC 192 (1985–III), 331 (427), dass die deutsche Verfassung offenbar die antizipierte Selbstverteidigung gestatten wolle. 197
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frieden umfasst198, greift das Bundesverfassungsgericht diese Vorlagen nicht auf. Das Bundesverfassungsgericht hatte bislang auch keinen Anlass eine autoritative Stellungnahme abzugeben, inwiefern auch die kollektive Selbstverteidigung nach Art. 51 VN-Charta in Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG ihre verfassungsrechtliche Entsprechung findet, oder ob gemeinsame Verteidigungsbemühungen nur in Bündnissen zulässig sein sollen. Ebenfalls bleibt offen, ob auch solche völkerrechtlich geschützten Rechtspositionen der Bundesrepublik verteidigungsfähig sind, die nicht unmittelbar das deutsche Territorium zum Schutzgut haben, insbesondere die Rettung deutscher Staatsbürger aus akuten Gefahren im Ausland199. Bislang unbeachtet hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Luftsicherheitsgesetz vom 15. Februar 2006 in apodiktischer Weise dargelegt, dass die Abwehr von Terroranschlägen mittels entführter Passagierflugzeuge nicht unter den Verteidigungstitel fällt200. Es führte aus, dass es sich bei der Abschussermächtigung des § 14 Abs. 3 Luftsicherheitsgesetz „nicht um Verteidigung“ handle201, weder i. S. des Art. 87a GG, noch i. S. der Kompetenznorm des Art. 73 Nr. 1 GG. Diese höchstrichterliche Feststellung zum formellen Recht ging angesichts des medialen und rechtswissenschaftlichen Interesses an der materiellen Frage, ob der Abschuss eines vollbesetzten Passagierflugzeuges gegen Art. 1 und 2 Abs. 2 GG der (unschuldigen) Insassen verstoße, weitgehend unter. Angesichts der drängenden völker- und verfassungsrechtlichen Fragen, die ein dem 11. September vergleichbarer Anschlag auf deutschem Boden impli198 Ein weiter, am Weltfrieden orientierter Verteidigungsbegriff entspricht sicherlich einer interdependenten, auf internationale Gemeinschaftlichkeit angelegten Staatenwelt. Maßnahmen kollektiver Sicherheit unterscheiden sich jedoch von Verteidigungsmaßnahmen. Letztere setzen nach Art. 51 VN-Charta zwingend einen bewaffneten Angriff voraus und reagieren darauf. Maßnahmen kollektiver Sicherheit haben zum Ziel, einen gefährlichen Zustand zu befrieden. (Klassische) VN-Friedenstruppen „verteidigen“ nicht. Sie überwachen Waffenstillstände, kontrollieren Grenzen, nehmen Polizeiaufgaben wahr und bilden Puffer zwischen Konfliktparteien. Militärische Streitkräfte unter VN-Kommando (auf Grundlage von Art. 42 und 43 VN-Charta) verteidigen ebenfalls nicht, sondern versuchen auf der Grundlage der Aufgabenstellung der Art. 42 ff. VN-Charta, „die zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderliche Maßnahmen durchzuführen“. Die Beteiligung von Bundeswehreinheiten an VN-Friedenstruppen oder an VN- Militäreinsätzen unter VN-Kommando ist daher kein minus zur Verteidigung iS des Art. 87a Abs. 1 GG, sondern ein aliud und deshalb auch nicht implizit gedeckte Selbstverteidigung [Heintschel von Heinegg/Haltern, NILR 41 (1994), 285 (294)]. Der Begriff der Verteidigung ist nicht bestimmbar, indem man von allen denkbaren Maßnahmen diejenigen abzieht, die völkerrechtlich eine Aggression bedeuten [so auch Graf Vitzthum/Hahn, VBlBW 2004, 39, 71 (72)]. 199 Hierzu Drittes Kapitel, E. II. 1. 200 BVerfGE 115, 118 (141). 201 Vgl. schon zuvor M. Fischer, JZ 2004, 376 (379 f.).
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ziert, wäre eine eingehendere Auseinandersetzung wünschenswert gewesen. Terroristische Anschläge wurden bislang lediglich als schwere Straftaten angesehen, die im Rahmen internationaler Konventionen als Straftaten nach nationalem Recht und nach dem Grundsatz aut dedere aut judicare behandelt wurden. Die neue Dimension des internationalen Terrors zwingt dem Völkerrecht hingegen fundamentale Herausforderungen auf 202. Entsprechend uneinig reagieren Politik und Wissenschaft. Entgegen wiederholter Stimmen in der Wissenschaft203 hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Terroranschläge des 11. Septembers nicht als bewaffneten Angriff i. S. des Art. 51 VN-Charta qualifiziert204. In der Präambel der vielfach in Bezug genommen Resolution 1373 führte der Sicherheitsrat lediglich aus, dass „reaffirming, that such acts, like any acts of international terrorism, constitute a threat to international peace and security (. . .) reaffirming to the inherent right of individual and collective self-defense as regognized by the Charter of the United Nations“ 205.
In diesen einleitenden Sätzen der Resolution wird das Selbstverteidigungsrecht demnach nur als Bestandteil der Charta zitiert, nicht aber auf die Terroranschläge bezogen. Auch im operativen Teil der Resolution ist lediglich von „terrorist attacks“, nicht aber von „armed attacks“ die Rede; nur letztere sind jedoch geeignet, das Selbstverteidigungsrecht auszulösen. Die Resolution gewichtet die Anschläge vielmehr ausdrücklich als „threat to international peace and security“ i. S. von Art. 39 VN-Charta206. Richtig verstanden hat der VN-Sicherheitsrat die Voraussetzungen der Selbstverteidigung daher nicht ausdrücklich bejaht, diese Möglichkeit aber auch nicht ausgeschlossen. Die Vereinigten Staaten207 sowie das Vereinigte Königreich208 haben hin202 Eingehend zu den völkerrechtlichen Aspekten militärischer Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus als Reaktion auf den 11. September, Tomuschat, EuGRZ 2001, 535 ff.; Cassese, EPIL 12 (2001), 993 ff.; Heintschel von Heinegg/Gries, AVR 40 (2002), 145 (155 ff.); Kendler/Bartelmann/Delfs, Wissenschaftliche Dienste des Bundestages, Fachbereich II, Nr. 21/2001 vom 10.10.2001; Bruha/Brotfeld, VN 2001, 161 ff.; Bruha, AVR 40 (2002), 383 ff.; Frowein, ZaöRV 62 (2002), 879 ff.; Murphy, Harvard ILJ 43 (2002) 41 (50); Franck, AJIL 95 (2001), 839 ff.; Dederer, JZ 2004, 421 (423 ff.); Neuhold, ZaöRV 64 (2004), 263 (272); Dörr, in: ders. (Hrsg.), Symposium für Albrecht Randelzhofer (2004), S. 33 (39 ff.); Blumenwitz, ZRP 2002, 102 ff.; Talmon, in: März (Hrsg.), An den Grenzen des Rechts – Kolloquium zum 60. Geburtstag von Wolfgang Graf Vitzthum (2003), S. 101 ff. jeweils m.w. N. 203 Etwa bei Scholz, in: Derra (Hrsg.), Festschrift für Jürgen Meyer (2006), S. 177 ff.; Kendler/Bartelmann/Delfs, Wissenschaftliche Dienste des Bundestages, Fachbereich II, Nr. 21/2001 vom 10.10.2001. 204 Überzeugend Blumenwitz, ZRP 2002, 102 (105). 205 UNSC Res. 1373 vom 28.11.2001. 206 Bothe, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht (2004), 8. Abschn. Rndr. 11. 207 UN Doc. S/2001/946 vom 07.10.2001. 208 UN Doc. S/2001/947 vom 07.10.2001.
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gegen ausdrücklich ihre im Oktober 2001 begonnene Militäraktion in Afghanistan mit Hinweis auf das naturgegebene Recht zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung gerechtfertigt. Auf internationaler Ebene hat auch der NATO-Rat nach dem 11. September den Bündnisfall ausgerufen209, also implizit die Voraussetzungen des Art. 51 VN-Charta bestätigt. Ähnlich berief sich auch die Bundesregierung auf Art. 51 VN-Charta, als sie den Bundestag um Zustimmung zu einer Beteiligung deutscher Soldaten an Enduring Freedom ersuchte210. In der Wissenschaft ist diese Berufung auf das naturgegebene Selbstverteidigungsrecht auf Widerstand gestoßen211. Auf der Grundlage des traditionellen Völkerrechts vermag diese Kritik auch zu überzeugen. Danach bestehen für die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts als Voraussetzungen das modale Element des bewaffneten Angriffs, das personale der staatlichen Zurechnung „privaten“ Terrors, sowie das temporale der Gegenwärtigkeit des Angriffs. Alle drei Elemente sind im Hinblick auf den 11. September problematisch. Jedoch ist nicht auszuschließen, dass es durch die Terroranschläge des 11. Septembers zu einer spontanen Fortbildung des Völkerrechts gekommen ist212. Ob die Voraussetzungen des von Bin Cheng begründeten instant international customary law gegeben sind213, kann hier nicht überprüft werden. Sollte dies aber der Fall sein, und die Ereignisse des 11. Septembers demnach völkerrechtlich legitimierte militärische Selbstverteidigungsmaßnahmen ermöglichen, erfährt unter Umständen auch der Verteidigungsbegriff des Grundgesetzes eine neue Deutungsmöglichkeit214. Das Bundesverfassungsgericht hat es in seiner Entschei209
NATO Press Release (2001) 124 vom 12.09.2001. BT-Drs. 14/7269 vom 07.11.2001, S. 1. 211 Vgl. nur Blumenwitz, in: Fischer et al. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Fleck (2004), S. 23 (24 FN 4). 212 Talmon, in: März (Hrsg.), An den Grenzen des Rechts (2003), S. 101 (136 ff.); vgl. auch Simma in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 14.09.2001, S. 6. 213 Ders., IJIL 5 (1965), 23 ff. 214 Von diesem Befund deutlich abzugrenzen ist hingegen eine erweiternde Auslegung des Verteidigungsfalls nach Art. 115a GG. Schließlich verfolgen die Art. 115a ff. GG „im Sinne einer streng verstandenen Proportionalität (. . .) das Ziel,die der Normallage angemessen Regelungen nur so weit zu modifizieren, als es für die rasche Wiederherstellung dieser Normallage notwendig erscheint“ [Graf Vitzthum, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. VII (1992), § 170 Rndr. 29]. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip verlangt daher, dass der Angriff von einiger Erheblichkeit sein muss. Die gravierenden Änderungen im Kompetenzgefüge des Grundgesetzes lassen sich nur dann rechtfertigen, wenn die Bundesrepublik existenziell gefährdet ist und wegen dieser Gefährdung eine Zentralisierung der staatlichen Gewalt unausweichlich ist, um die staatliche Existenz der Bundesrepublik erfolgreich verteidigen zu können. Dies gilt nicht nur dann, wenn sich die Terroristen atomarer, biologischer oder chemischer Waffen bedienen; auf die zerstörerische Wirkung abstellend, kommen grundsätzlich auch nicht-militärische Vorgehensweisen, wie der Missbrauch von Passagierflugzeugen als fliegende Kerosinbomben, als Angriff i. S. des Art. 115a GG in Betracht. Lediglich punktuelle konventionelle Terroranschläge, auch wenn sie eine 210
B. Verteidigungsaufgabe und -auftrag der Bundeswehr
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dung zum Luftsicherheitsgesetz hingegen versäumt hierzu Stellung zu nehmen, indem es apodiktisch am tradierten Verteidigungsbegriff festhält, als habe der 11. September nicht stattgefunden. 3. Zwischenergebnis Die Rechtmäßigkeit nach außen gerichteter Verteidigungshandlungen wird in erheblichem Maße durch das Völkerrecht bestimmt, das einem steten Wandel unterliegt, auf den der deutsche Verfassungsgeber keinen Einfluss nehmen kann. Der Begriff der Verteidigung bleibt daher notwendig schillernd und harrt einer verfassungsrechtlichen Klärung, deren Versuch vorliegende Arbeit nicht leisten kann. Eine Absage ist jedoch jenen Stimmen zu erteilen, die mit teilweise fast beliebig anmutender Argumentation und unterschiedlichen Topoi den Verteidigungsbegriff des Art. 87a Abs. 1 GG praktisch entbehrlich machen und genauso gut dessen Streichung aus dem Grundgesetz befürworten könnten. Wenn die Sicherheit Deutschlands tatsächlich überall dort verteidigt werden kann, wo die Politik eine Bedrohung der Sicherheit Deutschlands erkannt haben will, käme dem grundgesetzlichen Verteidigungsbegriff als Rechtsbegriff keine inhaltlich-begrenzende Funktion mehr zu215. Sollen der Bundeswehr grundlegend neue Aufgaben zuwachsen, reicht es auf Dauer nicht aus, dass sich besonders mutige Verfassungsinterpreten, der einfache Gesetzgeber, der Bundesverteidigungsminister oder die Bundesregierung mehr oder weniger einig wissen216. Vielmehr sind Bundestag und Bundesrat gefordert, die Verfassung entsprechend anzupassen217. Das Grundgesetz sollte gerade im Bereich der Streitkräfteverhohe Zahl an Todesopfern zur Folge haben, die die Umstellung der innerstaatlichen Rechtsordnung zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit der staatlichen Organe aber nicht erforderlich machen, führen hingegen nicht zum Verteidigungsfall. Die Symbolik der Angriffsziele vom 11. September war in erster Linie nach den Aspekten psychologischer Kriegsführung gewidmet. Eine militärische Schwächung der Bundesrepublik, die substanziell ist, ist auf diese Weise weder beabsichtigt, noch erreichbar. Ein Angriff wie am 11. September 2001 könnte mithin, wenn er sich gegen die Bundesrepublik gerichtet hätte, für sich alleine nicht zur Feststellung des Verteidigungsfalls führen. Gleiches gilt für den Spannungsfall. Freilich haben diese Ausführungen nur auf dem Hintergrund lediglich punktueller Attacken gesicherten Bestand, wie hier Krings/Burkiczak, DÖV 2002, 501 (502 f.); Wiefelspütz, NZWehrr 2003, 45 (59); a. A. wohl Schmidt-Jortzig, DÖV 2002, 773 (777); Sterzel, in: Denninger et al. (Hrsg.), AK-GG (Stand 2001), Spannungs- und Verteidigungsfall Rndr. 37. Nach Hochhuth, NZWehrr 2002, 154 (155 FN 2) tritt die Fiktion des Verteidigungsfalls nach Art. 115 Abs. 4 Satz 1 GG ein, wenn ein herannahendes Flugzeug absichtlich über einem Kernkraftwerk zum Absturz gebracht werden soll. 215 So zu Recht Gramm, NZWehrr 2005, 133 (135). 216 Gramm, NZWehrr 2005, 133 (144). 217 Erste Überlegungen setzten nach der Luftsicherheitsgesetz-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein, wonach die Abschussermächtigung eines entführten, vollbesetzten Flugzeuges gegen Art. 1 und 2 Abs. 2 GG verstoße. Wenn unter Bundesinnenminister Schäuble nunmehr Reformüberlegungen angestellt werden (s. Frankfur-
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt
wendung „nicht durch interpretative Gewaltmaßnahmen ohne Not in ihrem normativen Geltungsanspruch geschwächt werden“ 218. Beispielgebend für eine gelungene Verfassungsanpassung sind Art. 35 Abs. 2 und 3 GG, die beide 1968 als Reaktion auf die Hamburger Flutkatastrophe in den Verfassungstext aufgenommen wurden. Aber seit 1968 harrt die Wehrverfassung einer substantiellen Änderung. Weder wurde auf den Zusammenbruch des Ost-West-Konflikts und die folgenden Akzentverschiebungen im Bündnis reagiert, noch auf den globalen Terrorismus. So ist die Wehrverfassung immer noch auf das Bedrohungsszenario gewaltiger Armeen östlich der Elbe zugeschnitten219.
C. Wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt Das Grundgesetz enthält keine ausdrückliche Aussage darüber, welches Verfassungsorgan über die Kompetenz verfügt, einen Einsatz deutscher Streitkräfte im Ausland anzuordnen. Vor der verfassungsrichterlichen Grundsatzentscheidung vom 12. Juli 1994 wiesen die Bundesregierung220 und die herrschende Staatsrechtslehre221 der Exekutive als Trägerin der auswärtigen Gewalt222 die ter Allgemeine Zeitung vom 02.01.2007, ,Flugzeugentführung wie Verteidigungsfall‘), einen „Quasi-Verteidigungsfall“ im Grundgesetz zu normieren, durch den die Würdeverletzung „geheilt“ werden könne, so sind diese ebenfalls verfassungswidrig: Unter einem neu zu fassenden Art. 87a Abs. 2 GG („Außer zur Verteidigung sowie zur unmittelbaren Abwehr eines sonstigen Angriffs auf die Grundlagen des Gemeinwesens dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt.“), gelte nach den Überlegungen des Bundesinnenministers im Ernstfall das Kriegsvölkerrecht, dessen Verhältnismäßigkeitsprinzip indes gewahrt bleibe, wenn zur Vermeidung einer noch größeren Katastrophe der Abschuss eines entführten Zivilflugzeugs, also die Tötung von unschuldigen Flugpassagieren, gesetzlich erlaubt werde. Schließlich habe sich das Verfassungsgericht bei seiner Entscheidung nicht mit der Frage befasst, wie die rechtliche Situation im Verteidigungsfall zu bewerten sei. Diese Überlegungen verkennen jedoch, dass die Staatsgewalt auch im Verteidigungsfall nicht von der Beachtung der Menschenwürde suspendiert ist. Im Verteidigungsfall können nach Art. 115c Abs. 2 GG nur die dort ausdrücklich genannten Grundrechte (Art. 14 Abs. 2, Art. 104 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 1 GG), sowie gem. Art. 12a auch Art. 12 Abs. 1 GG eingeschränkt werden, dagegen nicht die anderen Grundrechte und damit auch nicht der die Würde des Menschen schützende Art. 1 GG. Das Grundgesetz sieht auch im Verteidigungsfall keine generelle Suspendierung der Grundrechte vor. 218 Wieland, in: Fischer et al. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Fleck (2004), S. 167 (180). 219 So zu Recht Gramm, NZWehrr 2005, 133 (143 f.). 220 Siehe Frowein/Ipsen, Gegenäußerung der Bundesregierung vom 14. Januar 1993, abgdr. in: Dau/Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte, S. 463 (499 ff.). 221 Uneinigkeit herrscht bei den Vertretern dieser Auffassung nur hinsichtlich der Frage, ob der Bundesminister der Verteidigung aufgrund Art. 65a GG die alleinige Entscheidungsbefugnis besitzt. Wegen der Bedeutung der Entscheidung wurde jedoch überwiegend nur der Bundesregierung als Kollegialorgan die Entscheidungskompetenz
C. Wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt
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alleinige Kompetenz zu, über einen Einsatz der Streitkräfte zu entscheiden. Schließlich berühre die Entscheidung über den Einsatz von Truppen ein anderes Völkerrechtssubjekt – klassischerweise fremde Staaten – in der Sphäre der Völkerrechtsordnung. Insoweit sei die Wehrhoheit als nach außen gewendetes Hoheitsrecht Teil der auswärtigen Gewalt. Dieser mehrheitlichen Auffassung ist das Bundesverfassungsgericht indes nicht gefolgt. Nachdem es die allgemeine Zulässigkeit von Bundeswehreinsätzen im Rahmen der Systeme kollektiver Sicherheit des Art. 24 Abs. 2 GG bejahte, verpflichtete es die Bundesregierung, für jeden Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte die vorherige, konstitutive Zustimmung des Bundestages einzuholen223. Dieses Erfordernis an parlamentarischer Mitwirkung ergebe sich insbesondere im Hinblick auf die Historie der Verfassung sowie aus einer Gesamtanalogie der Wehrvorschriften des Grundgesetzes. Durch die Statuierung einer parlamentarischen Mitwirkungsbefugnis erzielte das Bundesverfassungsgericht Rechtsfrieden in einem überaus erregt geführten verfassungspolitischen und -rechtlichen Streit um die Zulässigkeit militärischer Einsätze der Bundeswehr. Es ist sein Verdienst, dass es der Bundesrepublik in dem politisch hochsensiblen Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik den notwendigen außenpolitischen Handlungsspielraum wiedergegeben hat, den die Bundesrepublik aufgrund der jahrelangen verfassungsrechtlichen Diskussion verloren hatte224.
über einen Auslandseinsatz eingeräumt, vgl. Klein, ZaöRV 34 (1974), 429 (441 f.); Gornig, JZ 1993, 123 (127); Mössner, in: v. Münch (Hrsg.), Festschrift für Hans-Jürgen Schlochauer, (1981), S. 97 (114); Stein, in: Hailbronner et al. (Hrsg.), Festschrift für Karl Doehring (1989), S. 935 (943); Blumenwitz, NZWehrr 1988, 133 (145); Burmester, NZWehrR 1993, 133 (146). 222 Die „auswärtige Gewalt“ als ein zentraler Begriff der deutschen Staatsrechtslehre erscheint erstmals 1892 bei Albert Haenel, Deutsches Staatsrecht Bd. 1 (1892), S. 531. Der Begriff ist indes irreführend, denn die auswärtige Gewalt ist keine eigenständige, gegenständlich abgrenzbare Gewalt im Sinne der Gewaltentrennung. Sie ist vielmehr eine Sammelbezeichnung für Zuständigkeiten staatlicher Organe im Bereich der auswärtigen Beziehungen, vgl. Hailbronner, VVDStRL 56 (1997), S. 7 (9). 223 Damit haben sich die Karlsruher Richter zumindest im Ergebnis der (Minder-) Meinung angeschlossen, die die Entscheidung über eine Auslandsentsendung deutscher Streitkräfte nicht in das alleinige Ermessen der Bundesregierung stellen wollte, s. etwa Fuchs, Die Entscheidung über Krieg und Frieden nach deutschem Verfassungsrecht (1981), S. 270; Thomsen, Der Parlamentsvorbehalt für den Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung, (1988), S. 30 ff.; Wieland, DVBl. 1991, 1174 (1181 f.); Arndt, DÖV 1992, 618 (620 f.); Kriele, ZRP 1994, 103 (106). Hiervon zu unterscheiden ist die Auffassung derer, die de lege lata das Erfordernis einer parlamentarischen Zustimmung verneinten, aber aufgrund der erheblichen Bedeutung einer solchen Entscheidung eine Verfassungsänderung forderten, so z. B. K. Ipsen, DÖV 1971, 583 (588); ders., in: Schwarz (Hrsg.), Sicherheitspolitik (1978), S. 615 (626 f.); Kersting, NZWehrr 1982, 84 (91); Burmester, NZWehrr 1993, 133 (146). 224 Vgl. Scholz, Referat, DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 2 (3); Dau, in: Goebel (Hrsg.), Von Kambodscha bis Kosovo (2000), S. 21 (25).
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt
I. Inhalt und Grenzen des parlamentarischen Mitentscheidungsrechts Zunächst sollen die Grundaussagen des Gerichts zur Tragweite der parlamentarischen Mitentscheidungsrechte beim Auslandseinsatz der Bundeswehr in aller Kürze skizziert werden. Im Anschluss daran folgt die Darstellung der bundesverfassungsgerichtlichen Begründungsstränge, die zur Parlamentsbeteiligung beim Einsatz bewaffneter Streitkräfte führen. Es wird sich dabei zeigen, dass das Bundesverfassungsgericht in den auf das Grundsatzurteil folgenden Judikaten in seiner Begründung des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes rechtsdogmatisch teilweise andere Wege wählt, als in seiner Entscheidung vom 12. Juli 1994. 1. Einsatz bewaffneter Streitkräfte In seiner Grundsatzentscheidung unterwirft das Bundesverfassungsgericht den „Einsatz bewaffneter Streitkräfte grundsätzlich der vorherigen konstitutiven Zustimmung des Bundestages“ 225.
Der Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte wird hierbei nicht näher erläutert oder definiert, sondern vorausgesetzt. Das Gericht hat sich mit eher kasuistischen Überlegungen begnügt. An anderer Stelle der Entscheidung spricht das Gericht synonym von der Entscheidung über militärische Einsätze deutscher Streitkräfte226. Wenn das Bundesverfassungsgericht weiter ausführt, dass „die Verwendung von Personal der Bundeswehr für Hilfsdienste und Hilfeleistungen im Ausland, sofern die Soldaten dabei nicht in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind“ 227,
nicht der Zustimmung des Bundestages bedürfen, gilt im Umkehrschluss, dass der Parlamentsvorbehalt auch dann ausgelöst wird, wenn deutsche Soldaten zwar selber keine Waffen tragen, aber „in bewaffnete Unternehmungen einbezogen“ sind228. Wiederum lässt das Bundesverfassungsgericht weitgehend offen, welche verfassungsrechtlichen Maßstäbe an ein „Einbezogensein“ zu stellen sind. Nur indirekt lassen sich Hinweise gewinnen, indem das Gericht konkrete, dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt unterfallende Szenarien benennt. Hierzu gehören sowohl die deutsche Beteiligung an klassischen Blauhelmeinsätzen, als auch an militärischen Zwangsmaßnahmen nach Kap. VII VN-Charta229. Das Gericht erstreckt den Parlamentsvorbehalt auch auf die 225 226 227 228 229
BVerfGE 90, 286 (381). BVerfGE 90, 286 (387). BVerfGE 90, 286 (388); BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 59. So dann auch BVerfGE 108, 34 (43). BVerfGE 90, 286 (388); BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 59.
C. Wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt
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Fälle, in denen Soldaten der Bundeswehr zur Verteidigung eines Bündnispartners eingesetzt werden. Das Zustimmungsgesetz zum Bündnisvertrag, der die Beistandspflicht begründet, erfasse regelmäßig nicht den konkreten Einsatz230. Die Feststellung des Verteidigungsfalles (Art. 115a Abs. 1 GG) beinhaltet nach den Erkenntnissen des Gerichts uno actu die Ermächtigung zum Einsatz der Streitkräfte231. Eines besonderen Parlamentsbeschlusses bedarf es in dieser Situation nicht. Eine abstrakte Konturierung bietet hingegen die AWACS II-Entscheidung vom 7. Mai 2008. Danach sind Bundeswehrsoldaten bereits dann in bewaffnete Unternehmungen einbezogen, wenn eine „qualifizierte Erwartung einer Einbeziehung in bewaffnete Auseindersetzungen“
bestehe. Eine solche Erwartung bedarf zum einen „tatsächlicher Anhaltspunkte dafür, dass ein Einsatz nach seinem Zweck, den konkreten politischen und militärischen Umständen sowie den Einsatzbefugnissen in die Anwendung von Waffengewalt münden kann (. . .). Zum anderen bedarf es für eine qualifizierte Erwartung der Einbeziehung von Bundeswehrsoldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen einer besonderen Nähe der Anwendung von Waffengewalt. Danach muss die Einbeziehung unmittelbar zu erwarten sein.“ 232
2. Grenzen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes Das Bundesverfassungsgericht hat den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt als Prinzip klassifiziert233, also als einen optimierbaren Zustand, der aber durch gleichgewichtige Prinzipien eingeschränkt werden kann. Demnach kann der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt keine absolute Geltung beanspruchen. Folgerichtig benennt das Bundesverfassungsgericht mögliche, der Beteiligung des Bundestages gegenläufige Prinzipien. Verfassungsrechtliche Schranken des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes ergeben sich zum einen aus der militärischen Wehr- und Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik. So dürfen Wehr- und Bündnisfähigkeit durch die verfassungsrechtlich gebotene Mitwirkung des Parlaments nicht beeinträchtigt werden. Zwar hat die konstitutive Beschlussfassung grundsätzlich vor der Entsendung der Streitkräfte zu erfolgen; das Erfordernis einer vorherigen Zustimmung entfällt aber ausnahmsweise dann, wenn Gefahr im Verzug besteht234. Um die Wehrfähigkeit der Bundesrepublik und ihre Bündnisfähigkeit nicht zu beeinträchtigen, dürfe die Regierung in diesem Falle den Einsatz von Streitkräften vorläufig beschließen und an entsprechenden Beschlüssen in den Bündnissen 230
BVerfGE 90, 286 (387). BVerfGE 90, 286 (387). 232 BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 78–79. 233 BVerfGE 90, 286 (383 und 387). 234 BVerfGE 90, 286 (388); BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 58. Zum Begriff der Gefahr im Verzug, siehe Drittes Kapitel, E. II. 1. 231
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt
oder internationalen Organisationen ohne vorherige Einzelermächtigung durch das Parlament mitwirken und diese vorläufig vollziehen. Sie muss jedoch den Bundestag „umgehend mit dem so beschlossenen Einsatz befassen“. Die Streitkräfte sind zurückzurufen, wenn der Bundestag es verlangt. Ein weiteres gegenläufiges Verfassungsprinzip, das in der Praxis der Auslandseinsätze immer wieder zu politischen und rechtlichen Spannungen führt, liegt in dem der Regierung von der Verfassung für außenpolitisches Handeln gewährte Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis und Verantwortlichkeit. Dieser wird durch den wehrverfassungsgerchtlichen Parlamentsvorbehalt nicht berührt, das gelte „insbesondere hinsichtlich der Entscheidung über die Modalitäten, den Umfang und die Dauer der Einsätze, die notwendige Koordination in und mit den Organen internationaler Organisationen“ 235. „Ein Mitentscheidungsrecht über die Einsatzmodalitäten steht dem Bundestag (. . .) unter keinem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt zu.“ 236
Folgerichtig kann es dann auch gegen den Willen der Bundesregierung zu keiner Auslandsentsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte kommen, denn: „Der Zustimmungsvorbehalt für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte verleiht dem Bundestag keine Initiativbefugnis.“ 237
Der Bundestag könne einem von der Bundesregierung beabsichtigten Einsatz seine Zustimmung versagen oder ihn, wenn er ausnahmsweise ohne seine Zustimmung schon begonnen habe, unterbinden. Der Bundestag kann den Zustimmungsantrag der Bundesregierung nur insgesamt annehmen oder ablehnen. Denn wenn der Bundestag die Möglichkeit zur Modifizierung eines Regierungsantrages hätte, stünde ihm – mittelbar – eine Initiativbefugnis zu. Erst recht kann der Bundestag im Verlauf einer militärischen Mission deren operative Einzelheiten nicht bestimmen. 3. Parlamentarisches Beratungsverfahren und konstitutive Beschlussfassung Für einen Beschluss des Bundestages zur Entsendung von Streitkräften entnimmt das Bundesverfassungsgericht aus Art. 42 Abs. 2 GG die Regel, dass hierfür die Mehrheit der abgegebenen Stimmen maßgebend und ausreichend sei238. Weiterhin sei es Sache des Gesetzgebers, die Form und das Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung auszugestalten. Denn jenseits der vom Bundes235
BVerfGE BVerfGE 237 BVerfGE Abs. 58. 238 BVerfGE 236
90, 286 (389 f.). 90, 286 (338). 90, 286 (389); vgl. auch BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, 90, 286 (388).
C. Wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt
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verfassungsgericht statuierten Mindestanforderungen und Grenzen des Parlamentsvorbehaltes seien das Verfahren und die Intensität der Beteiligung des Bundestages in der Verfassung nicht vorgegeben239. Je nach dem Anlass und den Rahmenbedingungen des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte seien unterschiedliche Formen der Mitwirkung denkbar. Insbesondere im Hinblick auf unterschiedliche Arten der Einsätze, vor allem bei solchen, die keinen Aufschub dulden oder erkennbar von geringerer Bedeutung seien, empfehle es sich, den Zeitpunkt und die Intensität der Kontrolle im Parlament näher zu umgrenzen. Dabei könne es angezeigt sein, im Rahmen völkerrechtlicher Verpflichtungen die parlamentarische Beteiligung nach der Regelungsdichte abzustufen, in der die Art des möglichen Einsatzes der Streitkräfte bereits durch ein vertraglich geregeltes Programm militärischer Integration vorgezeichnet sei. Ungeachtet der Gestaltungsfreiheit im Einzelnen müsse die gesetzliche Regelung das Prinzip förmlicher parlamentarischer Beteiligung hinreichend zur Geltung bringen.
II. Dogmatische Herleitung der Parlamentsbeteiligung durch das Bundesverfassungsgericht Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt ist mittlerweile ständige Rechtsprechung. Kaum wissenschaftliche Beachtung finden hingegen die unterschiedlichen dogmatischen Begründungen. Um Art und Umfang, sowie Sinn und Grenzen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes abzustecken, wird zumeist auf das Grundsatzjudikat vom 12. Juli 1994 abgestellt; divergierende verfassungsgerichtliche Argumentationsketten werden dabei ausgeblendet. Es ist jedoch unerlässlich, den komplexen Hintergrund der bundesverfassungsrichterlichen Rechtsprechung zu reflektieren, um die Reichweite des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes sinnvoll bestimmen zu können. Schließlich ist er Element des dreiseitigen Spannungsverhältnisses von Parlamentsbeteiligung, deutscher Wehr- und Bündnisfähigkeit und exekutivem Eigenbereich, welches durch das Parlamentsbeteiligungsgesetz aufgelöst werden soll. Zunächst sollen die unterschiedlichen Begründungsansätze hier auf einen Blick vorgestellt werden, um anschließend einzeln und ausführlicher erörtert zu werden (III. 1–4.). Das Out-of-area-Urteil orientiert sich bei der Herleitung der Mitwirkungsrechte des Bundestages an der Gewaltenteilung. Beim wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt handelt es sich danach um eine Ableitung aus und für die Sondermaterie der Wehrverfassung240. Die parlamentarische (Mit-)Zuständigkeit wird als Ausnahme zur Regelzuständigkeit der Exekutive für die auswärtigen Angelegenheiten beschrieben: 239 240
BVerfGE 90, 286 (389). Röben, ZaöRV 63 (2003), 585 (593).
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt „Während die auswärtige Gewalt von der Verfassung weitgehend dem Kompetenzbereich der Exekutive zugeordnet wird, sehen die grundgesetzlichen Regelungen über die Wehrverfassung und die Verfassungstradition für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte grundsätzlich die vorherige Beteiligung des Parlamentes vor. Die auf die Streitkräfte bezogenen Regelungen des Grundgesetzes sind – in den verschiedenen Stufen ihrer Ausformung – stets darauf angelegt, die Bundeswehr nicht als Machtpotential allein der Exekutive zu überlassen, sondern als „Parlamentsheer“ in die demokratisch rechtsstaatliche Verfassungsordnung einzufügen, d.h. dem Parlament einen rechtserheblichen Einfluss auf Aufbau und Verwendung der Streitkräfte zu sichern.“ 241
Einen anderen Ansatz lässt das Bundesverfassungsgericht in einem obiter dictum zum NATO-Strategie-Konzept vom 22. November 2001 erkennen242. „Darüber hinaus ist wegen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts jeder Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der NATO sowohl zur kollektiven Verteidigung als auch zur Krisenreaktion von der Zustimmung des Bundestags abhängig (vgl. BVerfGE 90, 286 [363 ff.]), sodass auch im Hinblick darauf die Bundesregierung bei der Fortentwicklung des Einsatzbereichs der NATO und damit der völkervertraglichen Grundlage für Auslandseinsätze der Bundeswehr vorsorglich um die politische Unterstützung des Bundestags nachsuchen wird.“243
Das Gericht erwähnt die im Out-of-area-Urteil bemühte verfassungshistorische Grundlage des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes nicht mehr, sondern sieht die Entscheidungszuständigkeit des Bundestages als Kompensation für die typischerweise geringe Bestimmtheit der Vertragsgrundlagen von Sicherheitssystemen i. S. des Art. 24 Abs. 2 GG. Das Urteil nimmt implizit Abstand von einer Herleitung aus der Gewaltenteilung. Diesen Ansatz intensiviert das Gericht in seiner AWACS II-Entscheidung vom 7. Mai 2008 und verlässt gleichzeitig die obiter dictum-Ebene244. Im Gegensatz zu den vorgenannten Entscheidungen beruhen die einstweiligen Anordnungen, die das Bundesverfassungsgericht vor seinem Grundsatzjudikat erlassen hat, nicht auf organisationsrechtlichen Überlegungen. Es sind vielmehr die Grundrechte der eingesetzten Soldaten, die den Ausgangspunkt der verfassungsgerichtlichen Argumentation bilden. So hielt das Gericht im Urteil über den Einsatz deutscher Soldaten in AWACS-Flugzeugen im April 1993 einen Beschluss des Bundestages nicht für erforderlich. Es stellte dabei insbesondere
241 BVerfGE 90, 286 (381 f.) – Hervorhebungen nicht im Original; vgl. auch BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 57. 242 Ein ähnlicher Gedanke findet sich eher unauffällig schon in BVerfGE 90, 286 (357), wonach bei Verträgen nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 das „Erfordernis der vorherigen Zustimmung“ den Bundestag davor schützen solle, dass sein Kontrollrecht durch die völkerrechtliche Bindungswirkung eines Vertrages unterlaufen werde, „die durch eine spätere parlamentarische Missbilligung nicht mehr beseitigt werden kann“. 243 BVerfGE 104, 151 (208). 244 BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 68–71.
C. Wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt
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heraus, dass für die eingesetzten Soldaten „bei der gegebenen Einsatzplanung keine erhebliche Gefährdungslage“ 245 bestand. Demgegenüber entschied das Gericht in seinem Urteil zum Somalia-Einsatz im Juni 1993, dass die Beteiligung der Bundeswehr an UNOSOM II nur aufrechterhalten und fortgeführt werden dürfe, wenn und soweit der Bundestag dies beschließt. In der Begründung führte das Gericht vor allem aus, dass bei UNOSOM II nicht unerhebliche Gefahren einzuschätzen und zu bewerten sind, die den Soldaten bei Erfüllung des VN-Mandats an Leib und Leben drohten 246. In der Literatur wurde im Anschluss an den Somalia-Eilbeschluss dann auch für das Hauptsacheverfahren ein grundrechtlich radizierter Parlamentsvorbehalt erwartet247.
III. Bewertung Nach der kurzen Vorstellung der unterschiedlichen Argumentationsketten des Bundesverfassungsgerichts sollen diese nun eingehender dargestellt und einer kritischen Bewertung unterzogen werden. Die verschiedenartigen dogmatischen Ansätze werden untersucht, um herauszukristallisieren, welcher am ehesten zu überzeugen vermag. Dieser soll dann Ausgangspunkt sein, um die Reichweite des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes sinnvoll bestimmen zu können. Nur so lassen sich brauchbare Abgrenzungskriterien gewinnen, um im Folgenden die durch den Parlamentsvorbehalt erzeugten Spannungen entschärfen zu können. 1. BVerfGE 90, 286 – Grundsätze der Wehrverfassung Das Gericht leitet in seiner Grundsatzentscheidung die Notwendigkeit parlamentarischer Beteiligung am Streitkräfteeinsatz zunächst aus den grundgesetzlichen Regelungen über die Wehrverfassung ab. „Die auf die Streitkräfte bezogenen Regelungen des Grundgesetzes sind – in den verschiedenen Stufen ihrer Ausformung – stets darauf angelegt, die Bundeswehr nicht als Machtpotential allein der Exekutive zu überlassen, sondern als „Parlamentsheer“ in die demokratisch rechtsstaatliche Verfassungsordnung einzufügen, d.h. dem Parlament einen rechtserheblichen Einfluss auf Aufbau und Verwendung der Streitkräfte zu sichern.“ 248 245
BVerfGE 88, 173 (183). BVerfGE 89, 38 (45). 247 Etwa von Sachs, JuS 1994, 75 (75). 248 BVerfGE 90, 286 (381 f.); BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 57. Interessanterweise findet sich in der Wissenschaft der Begriff des „Parlamentsheers“ erstmalig in Ernst-Wolfgangs Böckenfördes Habilitationsschrift „Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung“ von 1964, ebd. S. 154 ff. und 259 ff. Später greift Böckenförde diesen Begriff in einem Referat im Rahmen einer Arbeitstagung der Hochschule für politische Wissenschaften zur Befehls- und Kommandogewalt über die 246
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt
Das Bundesverfassungsgericht bemüht hierbei in einer Gesamtanalogie sowohl (a) Normen über die allgemeine parlamentarische Kontrolle der Streitkräfte (Art. 45a, 45b, Art. 87a Abs. 1 Satz 2 GG)249, als auch solche (b) über die parlamentarische Entscheidung zur konkreten Verwendung der Bundeswehr (Art. 35 Abs. 3 S. 2, Art. 87 Abs. 4 S. 2 und Art. 115a GG)250. a) Normen parlamentarischer Kontrolle der Streitkräfte Sofern das Bundesverfassungsgericht zur Begründung des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes auf den Verteidigungsausschuss abhebt, ist zunächst anzumerken, dass Art. 45a Abs. 1 GG lediglich vorsieht, dass der Bundestag einen solchen bestellt. Zwar ist der Verteidigungsausschuss dadurch ein verfassungsunmittelbarer Pflichtausschuss des Parlaments; es ist ihm aber keine materielle Sonderstellung eingeräumt251. Auch der Verweis, dass dem Verteidigungsausschuss nach Art. 45a Abs. 2 Satz 1 GG die Rechte eines Untersuchungsausschusses zustehen, vermag nicht zu überzeugen. Denn aus dieser Norm folgt auch, dass der Bundestag auf dem Gebiet der Verteidigung einen Untersuchungsausschuss nicht selbst einsetzen darf252. Ob der Verteidigungsausschuss eine Angelegenheit zum Gegenstand einer Untersuchung machen will, unterliegt ausschließlich seiner Eigeninitiative und kann daher nicht durch das Bundestagsplenum determiniert werden. Hat demnach Art. 45a Abs. 2 GG die ausschließliche Untersuchungskompetenz des Verteidigungsausschusses zur Folge, bedeutet dies konträr zur extensiven These des Bundesverfassungsgerichts, dass durch die Bestimmung des Art. 45a Abs. 2 GG die Beteiligung des Bundestags(-plenums) gerade eingeschränkt wird253. Um den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt zu begründen führt das Bundesverfassungsgericht auch das Amt des Wehrbeauftragten an. Art. 45b GG sieht einen Wehrbeauftragten des Bundestages zum Schutze der Grundrechte der Soldaten und zur Unterstützung des Bundestages bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle im militärischen Bereich. Der Wehrbeauftragte ist aber nicht etwa Verfassungsorgan mit Doppelstellung inner- und außerhalb des Bundestages, sondern ein Hilfsorgan zur Ausübung der parlamentarischen Streitkräfte wieder auf, ders., in: Hochschule für politische Wissenschaften (Hrsg.), Stellvertretung im Oberbefehl (1966), S. 43 (48). Ernst-Wolfgang Böckenförde war dann auch an der Out-of-area-Entscheidung als Richter des Zweiten Senats beteiligt. 249 BVerfGE 90, 286 (384 f.). 250 BVerfGE 90, 286 (385 ff.). 251 F. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. IV (2006), § 84 Rndr. 37. 252 Pieroth, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.), GG (2006), Art. 45a Rndr. 2; F. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. IV (2006), § 78 Rndr. 37. 253 Roellecke, Der Staat 34 (1995), 415 (423); Epping, AöR 124 (1997), 423 (446).
C. Wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt
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Kontrolle254. Als Hilfsorgan verfügt er gerade nicht über Weisungs- oder Eingriffsrechte gegenüber den Streitkräften und ihrer Verwaltung255. Dem Wehrbeauftragten kommen lediglich Informations- und Kontrollrechte zu256. Wenn sich dann das Gericht auf Art. 87a Abs. 1 Satz 2 GG als Teil seiner Gesamtanalogie bezieht, ist vorweg zuschicken, dass hierdurch ein Widerspruch zu anderen Passagen im Urteil entsteht; denn Art. 87a GG soll nach eigener Interpretation des Zweiten Senats mit bewaffneten Auslandseinsätzen nichts zu tun haben257. Des Weiteren bestimmt Art. 87a Abs. 1 Satz 2 GG in concreto lediglich, dass sich die zahlenmäßige Stärke und Grundzüge der Organisation aus dem Haushaltsplan ergeben müssen. Die Budgethoheit des Parlaments ist festgeschrieben, um der Möglichkeit zur Schaffung einer „Schwarzen Reichswehr“ entgegenzuwirken. Art. 87a Abs. 1 Satz 2 GG verbietet demnach eine vom parlamentarischen Willen abgekoppelte Aufstockung der Streitkräfte in Organisation und Personalstärke, wie sie von der Reichswehr in den Jahren 1920 bis 1923 betrieben wurde258. Ebenso wie die Art. 45a und 45b GG erschöpft sich demnach Art. 87a Abs. 1 Satz 2 GG in seiner Funktion als Instrumentarium der politischen Kontrolle, der grundsätzlichen Steuerung von Planung und Einrichtung der Streitkräfte259. Zur Frage der Einsatzkompetenz enthalten sich die genannten Vorschriften, weshalb aus ihnen die konstitutive, also rechtsverbindliche Mitentscheidungsbefugnis des Parlaments nicht überzeugend hergeleitet werden kann. b) Normen parlamentarischer Entscheidung über den Einsatz der Streitkräfte Zur Herleitung des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes werden schließlich Normen konkreter parlamentarischer Entscheidungen über die Verwendung der Bundeswehr bemüht. Eine davon sei Art. 115a Abs. 1 GG: „Vor allem der Übergang der Befehlsgewalt vom Bundesminister der Verteidigung auf den Bundeskanzler nach Art. 115b GG zeigt, dass die Feststellung des Verteidi254 F. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. IV (2006), § 84 Rndr. 38. 255 Magiera, in: Sachs (Hrsg.), GG (2003), Art. 45b Rndr. 5. 256 Vgl. § 3 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten. Überdies sei der Wehrbeauftragte in der Praxis – wie es Roellecke, Der Staat 34 (1995), 415 (423) zugespitzt ausdrückt – „ein hoffnungslos überforderter Ombudsmann für alle, die mit der Bundeswehr etwas zu tun haben“. 257 So zumindest BVerfGE 90, 286 (355 f.); zu diesem Widerspruch schon Roellecke, Der Staat 34 (1995), 415 (423); Kreß, IclQ 44 (1993), 414 (417); Epping, AöR 124 (1997), 423 (446). 258 F. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. IV (2006), § 84 Rndr. 31 m.w. N. 259 Dau, NZWehrr 1994, 177 (182).
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt gungsfalles durch das Parlament gemäß Art. 115a Abs. 1 GG zugleich zum militärischen Einsatz der Streitkräfte ermächtigt.“ 260
Allerdings kann man bezweifeln, ob der Übergang der Befehlsgewalt auf den Bundeskanzler gleichzeitig zum militärischen Einsatz der Streitkräfte ermächtigt; im Vordergrund steht vielmehr die mit der Feststellung des Verteidigungsfalles bewirkte Umstellung der innerstaatlichen Rechtsordnung261. Auch der Rückgriff des Zweiten Senats auf die Art 35 Abs. 3 S. 2 und Art. 87 Abs. 4 S. 2 GG262 ist problematisch. Nicht nur, dass beide Verfassungsnormen lediglich den Inlandeinsatz der Bundeswehr betreffen; sie räumen dem Bundestag und dem Bundesrat auch lediglich das Recht ein, den Einsatz zu beenden. So hätte das Bundesverfassungsgericht allenfalls ein nachträgliches Mitwirken des Bundestages über diese Normen herleiten können. Die Auslegung des Bundesverfassungsgerichts steht daher konträr zum Wortlaut dieser reaktiven Normen. Ebenfalls unklar bleibt, inwiefern die dem Bundesrat – also der Vertretung der Länderregierungen – verfassungsrechtlich garantierte Beendigungsrecht Ausdruck eines ausgeprägten Systems der parlamentarischen Kontrolle über die Bundeswehr sein soll263. c) Zwischenergebnis Aus den im Out-of-area-Urteil bemühten wehrrechtlichen Normen lässt sich per analogiam der konstitutive Parlamentsvorbehalt nicht überzeugend herleiten264. Soweit das Grundgesetz konkrete parlamentarische Entscheidungen für den Einsatz der Streitkräfte vorsieht, beziehen sich die Mitwirkungsrechte ge260
BVerfGE 90, 286 (386). K. Ipsen, DÖV 1971, 583 (585 f.); ders., in: Schwarz (Hrsg.), Sicherheitspolitik (1978), S. 615 (617 ff.); Stein, in: Hailbronner et al. (Hrsg.), Festschrift für Karl Doehring (1989), S. 935 (939 f.); März, Bundeswehr in Somalia (1993), S. 28 ff.; F. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. IV (2006), § 84 Rndr. 49; Randelzhofer, in: Maunz/Dürig et al. (Hrsg.), GG (Stand 1992), Art. 24 II Rndr. 46; a. A. Graf Vitzthum, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. VII (1992), § 170 Rndr. 33 f. 262 BVerfGE 90, 286 (386 f.). 263 Dreist, KritV 2004, 79 (82); ähnlich schon W. Schroeder, JuS 1995, 398 (404). 264 Im Ergebnis ebenso Blumenwitz, BayVBl 1994, 641, 678 (679 f.); Nolte, ZaöRV 54 (1994), 652 (674 f.); ders. in: Ku/Jacobson (Hrsg.), Democratic Accountability and the Use of Force in International Law (2003), S. 231; Heintschel von Heinegg/Haltern, NILR 41 (1994), 285 (308); Heun, JZ 1994, 1073 (1074); Roellecke, Der Staat 34 (1995) 415 (423); W. Schroeder, JuS 1995, 398 (404); Stein/Kröninger, Jura 1995, 254 (261); Sachs, JuS 1995, 163 (165 f.); Epping, AöR 124 (1999), 423 (445 ff.); ders., in: Pieroth (Hrsg.), Verfassungsrecht und soziale Wirklichkeit in Wechselwirkung (2000), S. 183 (205 ff.); Starck, in: Badura/Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht Bd. 1 (2001), S. 1 (21); Scholz, in: Badura/Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht Bd. 2 (2001), S. 663 (674); Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 46 ff. 261
C. Wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt
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setzgebender Körperschaften auf Einsätze der Bundeswehr im Innern und eher von einer reaktiven denn von einer konstitutiven Mitwirkung265. Da dem Bundestag außerhalb der dort erwähnten Bereiche gerade keine ausdrücklichen Entscheidungskompetenzen bezüglich der Einsätze der Bundeswehr zustehen266, wäre argumentum e contrario eine Ablehnung parlamentarischer Einsatzzuständigkeiten für Auslandsverwendungen der Streitkräfte gar überzeugender. Wenn das Bundesverfassungsgericht feststellt, dass die Bundeswehr ein „Parlamentsheer“ sei, eingebunden in den Primat der Politik und den unterschiedlichen Mechanismen parlamentarischer Kontrolle unterworfen, ist dem selbstverständlich zuzustimmen; doch die Tatsache der parlamentarischen Kontrolle ist von der Frage der Kompetenz zum Einsatz bewaffneter Streitkräfte zu trennen267. 2. BVerfGE 90, 286; 108, 34 – verfassungshistorische Auslegung Das Gericht schlägt in seinem Grundsatzjudikat – in Anleihen auch in seiner AWACS-Eilentscheidung aus dem Jahre 2003 – den entscheidenden Bogen zum Parlamentsvorbehalt für Bundeswehreinsätze in verfassungshistorischer Auslegung. Danach ergebe sich die vorherige konstitutive Zustimmung des Bundestages aus einer deutschen Verfassungstradition, die seit der Parlamentarisierung der Reichsverfassung von 1871 bis heute ungebrochen sei. a) Abstrakt-methodische Kritik Wenn der Zweite Senat auf eine vermeintliche Verfassungstradition abstellt, ist dies schon aus allgemein-methodischer Sicht zumindest überraschend. Abgesehen von den grundsätzlichen Zweifeln an der historisch geprägten Auslegung, hat das Bundesverfassungsgericht selbst in ständiger Rechtsprechung bis in die jüngste Zeit der Historie einer Norm nur bestätigende, keine eigenständige Bedeutung zukommen lassen268. Im Zusammenhang mit seinen expliziten metho265 Blumenwitz, BayVBl. 1994, 641, 678 (680). Nach Dau, NZWehrr 1994, 177 (182) habe die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht am 19. April 1994 „sehr deutlich gemacht, welche Mühe der Zweite Senat darauf verwandte, Vorschriften des Grundgesetzes auszumachen, denen ein Parlamentsvorbehalt für die Einsatzentscheidung der Streitkräfte im Ausland entnommen werden könnte“; Abdruck der Verhandlung in: Dau/Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte (1996), S. 668 ff. 266 Zu Recht stellte Isensee in seinem Plädoyer vor dem Bundesverfassungsgericht am 20. April 1994 fest, dass die Regelungen der Verfassung gerade für den Bereich des Militärischen so dicht und differenziert sind, wie für keine andere Staatsfunktion sonst, abgdr. in: Dau/Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte (1996), S. 876. 267 Dau, NZWehrr 1994, 177 (182). 268 BVerfGE 1, 299 (312); 6, 55 (75); 6, 389 (431); 10, 234 (244); 11, 126 (130 f.); 36, 342 (367); 41, 291 (309); 52, 303 (352); 64, 261 (275); 72, 330 (398); 80, 257
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dologischen Reflexionen bekennt sich das Bundesverfassungsgericht zur objektiven Theorie der Gesetzesinterpretation. Die historisch geprägte Vorgehensweise des Gerichts im Falle des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes befindet sich daher im Widerspruch zu dem stets betonten objektiven Auslegungsgrundsatz269. b) Konkrete Normauslegung Zunächst weist das Bundesverfassungsgericht zu Recht daraufhin, dass das Parlament seit 1918 zuständig für Erklärungen des Krieges bzw. des Verteidigungsfalles ist270. Art. 11 Abs. 1 Satz 2 der Reichverfassung von 1871 siedelte die Entscheidung über Krieg und Frieden noch beim Kaiser an. Eine parlamentarische Mitwirkung des Reichstages war nach den Grundsätzen des deutschen monarchischen Konstitutionalismus ausgeschlossen. Erst durch das Gesetz zur Abänderung der Reichsverfassung vom 28. Oktober 1918271, also in den letzten Tagen des Ersten Weltkrieges, wurde in Einschränkung der Kaiserlichen Prärogative die Erklärung des Krieges und der Abschluss von Friedensverträgen in allen Fällen der Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften, des Bundesrates und des Reichstages, unterworfen272. In dieser Tradition steht auch die Weimarer Reichsverfassung. Nach deren Art. 45 Abs. 2 erfolgten Kriegserklärungen und Friedensschluss durch Reichsgesetz273. Nach Gerhard Anschütz fungierte die Legislative nun „nicht mehr als bloß zustimmender Teil, sondern als
(267 f.); 105, 135 (157); vgl. insbesondere BVerfGE 62, 1 (45) – Erste Bundestagsauflösung. 269 Heintschel von Heinegg/Haltern, NILR 41 (1994), 285 (308); Blumenwitz BayVBl., 1994, 641, 678 (680); Epping, AöR 124 (1999), 423 (447). 270 Zur Verfassungshistorie siehe Wieland, in: Grawert et al. (Hrsg.), Festschrift für Ernst-Wolfgang Böckenförde (1993), S. 219 (226 ff.); Böckenförde, in: Hochschule für politische Wissenschaften (Hrsg.), Die Eingliederung der Streitkräfte in die demokratisch-parlamentarische Verfassungsordnung und die Vertretung des Bundesverteidigungsministers in der militärischen Befehlsgewalt (1966), S. 45 ff. Die Wurzeln eines solchen Entscheidungsvorbehaltes liegen hingegen noch tiefer; bereits im Heiligen Römischen Reich, musste der Reichstag Kriegserklärungen und Friedensschlüssen des Kaisers sowie dem Abschluss von Bündnissen auf Reichsebene zustimmen, vgl. Stern, Staatsrecht Bd. V (2000), S. 50. 271 RGBl. 1274. 272 Vgl. Badura, Staatsrecht (2003), S. 817 Rndr. 1; instruktiv zu den Hintergründen dieser Abänderung, Rieder, Die Entscheidung über Krieg und Frieden nach deutschem Verfassungsrecht (1984), S. 238 ff. 273 Schon 1953 schlug E. Menzel, VVDStRL 12 (1953), S. 179 (219) vor, die grundgesetzliche Kompetenzlücke, wer über Krieg und Frieden zu entscheiden habe, bis zu einer Verfassungsergänzung durch die Anwendung des Art. 45 WRV als „verfassungsrechtliches Gewohnheitsrecht“ zu schließen.
C. Wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt
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Herr des Geschäfts“ 274. Dem wird man mit Hinblick auf die starke Stellung des Reichspräsidenten als Oberbefehlshaber der Wehrmacht in Art. 47 WRV nur bedingt zustimmen können275; auf Grund der unmittelbaren demokratischen Legitimation des Reichspräsidenten waren die Streitkräfte unter der Weimarer Verfassung zwar in die demokratische, aber nicht in die parlamentarische Verfassungsstruktur einbezogen276. Indem das Bundesverfassungsgericht des Weiteren annimmt, dem Bundestag stünde kein Initiativrecht zu einem militärischen Einsatz der Streitkräfte zu277, übernimmt es auch nicht die Rechtsfolgen des von ihm herangezogenen Art. 45 Abs. 2 WRV; denn war einmal das betreffende Reichsgesetz nach Art. 45 Abs. 2 WRV verfassungsgemäß ergangen, dann musste der Reichspräsident die korrespondierenden völkerrechtlichen Willenerklärungen vornehmen. Er war insofern lediglich Ausführungsorgan des Parlamentswillens278. Die maßgebliche Rolle in den historischen Überlegungen des Bundesverfassungsgerichts spielt der frühere Art. 59a GG279, der zwischen 1956 und 1968 im Grundgesetz bestimmte, dass der Verteidigungsfall durch einen Beschluss des Bundestages festgestellt werden musste. Die Maßgeblichkeit lässt sich in verschiedener Hinsicht unschwer erkennen. So verlangte Art. 59a Abs. 1 a. F. GG 274 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 (1933), Art. 45 Anm. 5. 275 Vgl. Arndt, NJW 1994, 2197 (2198). So ging etwa die Staatsrechtlehre der Weimarer Zeit unter Hinweis auf entsprechende Äußerungen im Verfassungsausschuss davon aus, dass obwohl die Reichsverfassung für eine Kriegserklärung ein Reichsgesetz vorschreibt, der Reichspräsident, als Oberbefehlshaber der Wehrmacht nicht gehindert werde, einen feindlichen Angriff abzuwehren, vgl. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 (1933), Art. 45 Anm. 8; Pötzsch-Heffter, Handkommentar der Reichsverfassung (1928), Art. 45 Anm. III 8b; Giese, Die Verfassung des Deutschen Reiches (1931), Art. 45 Anm. 4. 276 So konstatiert dann auch Böckenförde, dass das Grundgesetz die erste deutsche Verfassung sei, in der sich die Eingliederung der militärischen Streitkräfte in die demokratisch-parlamentarische Verfassung vollziehe, ders., in: Hochschule für politische Wissenschaften (Hrsg.), Stellvertretung im Oberbefehl (1966), S. 43 (46, 57). 277 BVerfGE 90, 286 (389); BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 58. 278 Prägnant formuliert Kraus, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), Handbuch des deutschen Staatsrechts, Bd. 2 (1932), S. 355, dass die Kriegserklärung der Exekutive den Befehl erteilte „ihr sollt das Deutsche Reich und Volk verteidigen und dafür kämpfen“. 279 Dieser lautete: (1) Die Feststellung, dass der Verteidigungsfall eingetreten ist, trifft der Bundestag. Sein Beschluss wird vom Bundespräsidenten verkündet. (2) Stehen dem Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegen, so kann bei Gefahr im Verzug der Bundespräsident mit Gegenzeichnung des Bundeskanzlers diese Feststellung treffen und verkünden. Der Bundespräsident soll zuvor die Präsidenten des Bundestages und des Bundesrates hören. (3) Der Bundespräsident darf völkerrechtliche Erklärungen über das Bestehen des Verteidigungsfalles erst nach Verkündung abgeben. (4) Über den Friedensschluss wird durch Bundesgesetz entschieden.
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt
ebenfalls nur einen einfachen Mehrheitsbeschluss280 und sah die Mitwirkung des Bundesrates gleichfalls nicht vor. Zudem enthielt Art. 59a Abs. 2 a. F. GG eine exekutive Notkompetenz bei Gefahr im Verzug, die das Bundesverfassungsgericht unter wortgetreuer Übernahme der Terminologie auch in seinem Out-of-area-Urteil statuierte281. Dennoch ist die Berufung auf Art. 59a a. F. GG nicht frei von Widersprüchlichkeiten. So stützt das Bundesverfassungsgericht im Verteidigungsfall nach Art. 115 a Abs. 1 GG den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt nicht auf Art. 59a a. F. GG, sondern sieht hierfür in Art. 115a Abs. 1 GG eine lex specialis. Dieser unterschiedlichen Herleitung lässt das Bundesverfassungsgericht jedoch keine Differenzierung folgen. Der verfassungsändernde Gesetzgeber knüpfte 1956 mit der Einfügung des Art. 59a a. F. GG an die Regelung des Art. 45 Abs. 2 der Weimarer Reichsverfassung an. Nach „damaliger Auffassung“ – so das Gericht – sei die Feststellung des Verteidigungsfalles eine Voraussetzung eines jeden Einsatz der Streitkräften gewesen282 und mit der Aufhebung des Art. 59a GG a. F. im Zuge der Verfassungsreform 1968 habe der verfassungsändernde Gesetzgeber keine Entparlamentarisierung des Streitkräfteeinsatzes beabsichtigt283. Das Bundesverfassungsgericht argumentiert, die Streichung sei quasi nur redaktionell erfolgt, ohne am Inhalt des früheren Art. 59a GG etwas ändern zu wollen. Das Bundes280
v. Mangoldt/Klein (Hrsg.), GG Bd. II (1964), Art. 59a Anm. III 4 a. BVerfGE 90, 286 (388). 282 Aus der Literatur vgl. v. Mangoldt/Klein (Hrsg.), GG Bd. II (1964), Art. 59a Anm. III 3; Willms, Parlamentarische Kontrolle und Wehrverfassung (1959), S. 160. 283 BVerfGE 90, 286 (382). Zur Frage, warum der Parlamentsvorbehalt nach Art. 59a GG a. F. im Zuge der Notstandsverfassung entfallen ist, hörte das Bundesverfassungsgericht in der mündlichen Verhandlung Claus Arndt und Carl Otto Lenz als Auskunftspersonen. Lenz war seinerzeit Berichterstatter der CDU/CSU-Fraktion für die Grundgesetzänderung im Rechtsausschuss. Arndt war Leiter des Verfassungsreferats der Hamburger Behörde für Inneres, und als einer von zwei Vertretern für den Bundesrat an den Beratungen zur Notstandsverfassung beteiligt. Lenz bestätigte das Bestehen einer parlamentarischen Zustimmungslücke im reinen Bündnisfall [abgdr. in: Dau/Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte (1996), S. 712 und 714]. Demgegenüber meinte der Zeitzeuge Arndt, dass bei den Verfassungsberatungen ein durchgängiger und lückenloser Parlamentsvorbehalt für den Streitkräfteeinsatz gewollt gewesen sei. Man habe zwar ein Auseinanderfallen von Bündnis- und Verteidigungsfall diskutiert, sich dies aber nicht vorstellen können [ebda., S. 721 und 723)]. In seinem Urteil vom 12. Juli 1994 stützt sich das Bundesverfassungsgericht dann alleine auf die Aussage von Arndt; Darstellung und Bewertung der mündlichen Verhandlung bei Randelzhofer, in: Hanns-Seidel-Stiftung (Hrsg.), Politische Studien Sonderheft 1, 1996, S. 31 (41) und Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 48 ff., 54. Das Heranziehen nachträglicher Aussagen von am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten ist recht ungewöhnlich. Das Bundesverfassungsgericht bedient sich bei der Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte von Grundgesetznormen in erster Linie der Beratungsunterlagen des Parlamentarischen Rates einschließlich des sog. Herrenchiemsee-Berichts bzw. der Gesetzgebungsmaterialien bei späteren Verfassungsänderungsgesetzen; allgemein zur Problematik der Befragung von Zeitzeugen Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff (1991), S. 449 f. 281
C. Wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt
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verfassungsgericht geht hierbei sogar soweit, dass es in seinem Urteil die Vorschrift des Art. 59a a. F. GG trotz dessen Aufhebung nicht unter den Gliederungspunkt a) der deutschen Verfassungstradition, sondern unter b) in die Vorschriften des Grundgesetzes einordnet284. Selbst wenn Art. 59a GG a. F. das Grundprinzip enthalten haben sollte, wonach die Feststellung des Verteidigungsfalles Voraussetzung für jeden Einsatz der Streitkräfte ist und mit dessen Aufhebung insofern auch kein Änderungswille verbunden gewesen ist, kann das Gericht die Fortgeltung dieser Vorschrift nicht ohne weiteres dekretieren285. Schließlich hat der Verfassungsgeber von 1968 die Regelung des Art. 59a GG a. F. nicht unerheblich modifiziert286, indem er für die Feststellung des Verteidigungsfalles nunmehr eine Zwei-Drittel-Mehrheit, sowie die Mitwirkung des Bundesrates verlangt hat. Da der Normtext geändert wurde, ist die vom Bundesverfassungsgericht in Anspruch genommene Kontinuitätsregel suspendiert. Die textliche Modifikation bedingt eine neue Lesart. Wenn das Bundesverfassungsgericht weiterhin ausführt, dass mit der Ersetzung des Rechtsbegriffs der Kriegeserklärung durch die „Feststellung, dass der Verteidigungsfall eingetreten ist“ berücksichtigt wurde, „dass nach den neueren geschichtlichen Erfahrungen und den nunmehr geltenden völkerrechtlichen Regeln über militärische Gewaltanwendung nicht mehr mit einer förmlichen Kriegserklärung gerechnet werden konnte“ 287,
mag letzteres zwar zutreffend sein288. Mit diesen Ausführungen verknüpft das Gericht allerdings in problematischer Weise die Kriegserklärung bzw. die Feststellung des Verteidigungsfalls nach Art. 59a Abs. 1 a. F. GG mit der Kompetenz zum Streitkräfteeinsatz. Die Kriegserklärung hat wenig mit der Einsatzentscheidung zu tun289. Die Kriegserklärung bewirkt die Suspendierung des Frie284 BVerfGE 90, 286 (383 f.); vgl. auch Schaefer, Verfassungsrechtliche Grenzen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes (2005), S. 116. 285 Nolte, ZaöRV 54 (1994), 653 (674); ders., in: Ku/Jacobson (Hrsg.), Democratic Accountability and the Use of Force in International Law (2003), S. 231 (243); vgl. auch Sachs, JuS 1995, 163 (165 f.). 286 Durch das Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 24. Juni 1968 BGBl. I 709; vgl. zu den Gesetzesberatungen ausführlich Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 48 ff. 287 BVerfGE 90, 286 (384). 288 Schon 1971 verweist K. Ipsen auf die Staatenpraxis nach dem Zweiten Weltkrieg, die gezeigt habe, dass ein Aggressor weder gewillt sei, sich durch die vorangegangene Kriegserklärung des bedeutsamer denn je gewordenen Überraschungsmoment zu begeben, noch bereit sei, seinen Verstoß gegen das Gewaltverbot nach Art. 2 Nr. 4 VN-Charta durch eine Kriegserklärung offenkundig zu machen, ders., DÖV 1971, 583 (587); ähnlich auch schon Berber, Lehrbuch des Völkerrechts Bd. 2 (1969), S. 11. 289 Stein/Kröninger, Jura 1995, 254 (260); Heintschel von Heinegg/Haltern, NILR 41 (1994), 285 (308); Eitel, in: Götz (Hrsg.), Liber amicorum Günther Jaenicke (1998), S. 947 (955); Epping, AöR 124 (1999), 423 (447); ders., in: Pieroth (Hrsg.), Verfassungsrecht und soziale Wirklichkeit in Wechselwirkung, 2000, S. 183 (205). Schon die Weimarer Staatsrechtlehre ging unter Hinweis auf entsprechende Äußerun-
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densrechts und damit eine Veränderung der Rechtslandschaft. Innerstaatlich bewirkt sie die Umstellung der Rechtsordnung, völkerrechtlich hat sie Auswirkungen u. a. auf den Bestand von Verträgen und ermöglicht die Beschlagnahme von Feindvermögen290; insoweit ist die Einschaltung des Parlaments gebotene Konsequenz. Jedoch hat nicht jede Kriegserklärung einen Streitkräfteeinsatz zur Folge291. So haben sich etwa 20 der Staaten, die Deutschland im Laufe des Zweiten Weltkrieges den Krieg erklärten, nicht mit Streitkräften beteiligt292. Umgekehrt hat auch nicht jeder Streitkräfteeinsatz die Suspendierung des Friedensrechts zur Voraussetzung. Dies zeigt die ganz überwiegende Regel bei militärischen Einsätzen im Rahmen der Friedensicherung der Vereinten Nationen. Weiterhin sind Auslandseinsätze der Bundeswehr auch verfassungsdogmatisch nicht mit Kriegshandlungen vergleichbar. Die dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegten Auslandseinsätze erfolgten nicht als Reaktion auf eine akute Gefahr für das Staatsganze. Bei ihnen ging es gerade nicht um die Änderung des status quo, der regelmäßig Gegenstand von Kriegen ist293. So sind die deutschen Auslandseinsätze vor allem Einsätze im Rahmen der VNFriedenssicherung. Solche Friedensmissionen sind nicht ein minus, sondern ein aliud zum Verteidigungsfall. Das Bundesverfassungsgericht wendet damit den Grundgedanken einer zwischenzeitlich gestrichen Norm in methodisch nicht näher erläuterter Art und Weise in einem Bereich an, auf den diese Norm während ihrer Geltungsdauer nie anwendbar war und deren Aktualität seinerzeit auch nicht vorhergesehen wurde294. Die von seiten des Bundesverfassungsgerichts verwischten Unterschiede zwischen einem Kriegseinsatz im Verteidigungsfall und den in der Realität stattfindenen Bundeswehrmissionen, haben sogar im Verfassungstext selbst eine Trennung erfahren, wie mit Blick auf geforderte parlamentarische Mehrheiten deutlich wird. So kommt bei einem Beitritt der Bundesrepublik zu einem Sicherheitssystem i. S. des Art. 24 Abs. 2 GG – welcher regelmäßig die materiell-rechtliche Grundlage der Auslandseinsätze bildet – das einfache Beteiligungsverfahren zur Anwendung (Art. 59 Abs. 2 i.V. m. Art. 42 Abs. 2 GG), während die Feststellung des Verteidigungsfalles gen im Verfassungsausschuss davon aus, dass die Kriegserklärung eine Sache, die konkrete Abwehr eines Angriffs eine andere sei, vgl. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs (1933), Art. 45 Anm. 8; Pötzsch-Heffter, Handkommentar der Reichsverfassung (1928), Art. 45 Anm. III 8b; Giese, Die Verfassung des Deutschen Reiches (1931), Art. 45 Anm. 4. 290 Vgl. Meng, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. 4 (2000), S. 1334 (1338). 291 Mössner, in: v. Münch (Hrsg.), Festschrift für Schlochauer (1981), S. 97 (103); Meng, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. 4 (2000), S. 1334 (1335). 292 Blumenwitz, BayVBl. 1994, 641, 678 (680 FN 70). 293 Roellecke, Der Staat 34 (1995), 415 (424); Epping, AöR 124 (1997), 423 (447). Wenn Zöckler, EJIL 1995, 274 (284) davon spricht, dass eine deutsche Beteiligung an VN-Truppen „could be just as fateful“ wie die Frage der Feststellung des Verteidigungsfalls, ist diese pauschale Formulierung empirisch nicht verifizierbar. 294 So zu Recht Sachs, JuS 1995, 163 (166).
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wie eine Verfassungsänderung behandelt wird (Art. 115a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 GG)295. c) Zwischenergebnis Die mehrfache, „geradezu autosuggestiv“ 296 wirkende Berufung des Bundesverfassungsgerichts auf eine deutsche Verfassungstradition, wonach es stets die Parlamente seien, denen die Entscheidung über Krieg und Frieden oblag, ist nach allem nur vordergründig297. Rechtsvergleichend ist festzustellen, dass der Umstand, dass Kriege nicht mehr formell erklärt würden, hat – soweit ersichtlich – bisher nur in der Bundesrepublik dazu führte, die Vorrechte der Exekutive im Bereich militärischer Einsätze einzuschränken298. 3. BVerfGE 88, 173 und 89, 38 – soldatische Grundrechte Aufgrund der bisher skizzierten argumentativen Schwächen des Zweiten Senats ist es verwunderlich, dass das Bundesverfassungsgericht nicht ausdrücklich auf die Wesentlichkeitstheorie zurückgegriffen hat, um den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsbeschluss zu begründen. Immerhin geht es bei einzelnen Bundeswehreinsätzen um Leben und Sterben deutscher Soldaten299. Die sog. Wesentlichkeitstheorie wird aus dem Grundsatz des Vorbehaltes des Gesetzes abgeleitet, der sich im Verfassungstext zwar nicht wiederfindet, nach höchstrichterlicher Rechtsprechung jedoch in Art. 20 Abs. 3 GG enthalten ist. So resümierte das Bundesverfassungsgericht in seiner Kalkar-Entscheidung vom 8. August 1978: „Der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes wird zwar in der Verfassung nicht ausdrücklich erwähnt, seine Geltung ergibt sich jedoch aus Art. 20 Abs. 3 GG (. . .). Das Verständnis dieses Grundsatzes hat sich, insbesondere mit der Erkenntnis auch seiner demokratischen Komponente, in den letzten Jahren gewandelt (. . .). Heute ist es ständige Rechtsprechung, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, – losgelöst vom Merkmal des „Eingriffs“ – in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, soweit diese staatlicher Regelung zugänglich ist, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen (. . .). Die Art. 80 Abs. 1 und 59 295
Roellecke, Der Staat 34 (1995), 415 (424); Epping, AöR 124 (1997), 423 (447). Stein/Kröninger, Jura 1995, 254 (261). 297 Epping, in: Pieroth (Hrsg.), Verfassungsrecht und soziale Wirklichkeit in Wechselwirkung (2000), S. 183 (205); ders., AöR 124 (1997), 423 (446). Nach Isensee, Diskussionsbeitrag, DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 10 habe das Bundesverfassungsgericht „mit Griff in das verfassungshistorische Museum des 19. Jahrhunderts das ,Parlamentsheer‘ geschaffen; ein Produkt der konstitutionellen Monarchie, das in dieser Form in der parlamentarischen Demokratie etwas fremdartig wirkt“. 298 Heike Krieger, zit. nach Wiefelspütz, Das Parlamentsheer (2005), S. 202. 299 Die politischen und militärischen Folgewirkungen – zunächst noch – außer Acht gelassen. 296
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt Abs. 2 Satz 1 zweiter Halbsatz GG sowie die besonderen Gesetzesvorbehalte sind Ausprägungen dieses allgemeinen Gesetzesvorbehalts“ 300.
Die Wesentlichkeitstheorie hat demnach zwei Wurzeln: Das grundgesetzliche Rechtsstaatsprinzip, sowie das Prinzip der parlamentarischen Demokratie mit seiner Zuweisung der Leit- und Lenkungskompetenz bei der Ausübung öffentlicher Gewalt an das Parlament. Soweit das Bundesverfassungsgericht in seiner Wesentlichkeitsrechtsprechung den Begriff des Vorbehaltes des Gesetzes verwendet, meint es damit das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage für ein Handeln der Verwaltung; die Einzelheiten können dann gegebenenfalls in Normen des untergesetzlichen Rechts enthalten sein301. Die wesentlichen Fragen aber müssen vom Gesetzgeber selbst geregelt werden. Der Grundlage in einem formellen Gesetz bedürfen unstreitig jedenfalls Eingriffsakte, also belastende Maßnahmen der Verwaltung – in der herkömmlichen Terminologie des Konstitutionalismus Eingriffe in „Freiheit und Eigentum“ 302. Angesichts der dogmatisch angreifbaren Herleitung des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes aus einer durch die Historie verstärkten Gesamtanalogie, erstaunt es nicht, dass in jüngster Zeit – insbesondere von Manfred Baldus – Versuche unternommen wurden, den tragenden Grund für den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt in der erhöhten Gefährdung soldatischer Rechtsgüter zu sehen303. Militärischen Missionen ist die Gefahr für 300
BVerfGE 49, 89 (126 f.). BVerfGE 34, 165 (192). Beispielhaft hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Kalkar-Entscheidung ausgesprochen, dass die Grundsatzentscheidung für oder gegen die rechtliche Zulässigkeit der friedlichen Nutzung der Kernenergie der Gesetzgeber jedenfalls selbst treffen müsse, BVerfGE 49, 89 (127). 302 BVerfGE 34, 165 (192); 40, 237 (249); 41, 251 (260); 45, 400 (417); 47, 46 (78). 303 Baldus, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG Bd. III (2005), Art. 87a GG Rndr. 66; ders., Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 39 (51 ff.); in diese Richtung auch Schmidt-Radefeldt, Parlamentarische Kontrolle der internationalen Streitkräfteintegration (2005), S. 157 f., 166; Bundesminister Struck, Deutscher Bundestag, 15. WP, Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G 9 vom 05.06.2003, S. 8. Ansonsten ist geradezu erstaunlich, wie wenig sich in der Literatur zum soldatischen Recht auf Leben nach Art. 2 Abs. 2 GG finden lässt; Ausnahme bei Fröhler, Grenzen legislativer Gestaltungsfreiheit in zentralen Fragen des Wehrverfassungsrechts (1993), S. 168 ff. allerdings nur aus der Sicht Wehrpflichtiger. Die Strafgefangenen-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1972 [BVerfGE 33, 1 (11 ff.)] stellt eindeutig klar, dass Grundrechtsbeschränkungen auch im Sonderstatusverhältnis einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. Die Vorschriften des Soldatengesetzes, insbesondere § 7, schweigen sich hierzu in ihrer unbestimmten Form jedoch aus. Mag im Verteidigungsfall das soldatisches Recht auf Leben im Wege praktischer Konkordanz noch zurücktreten müssen, so kann dies jedoch kaum für Blauhelm- oder NATO-Einsätze gelten; allgemein zur Pflicht zum Einsatz von Leben und Gesundheit in öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen, vgl. Sachs, BayVBl. 1983, 460 ff. u. 489 ff.; ders., Verfassungsrecht Bd. 2, Grundrechte (2003), S. 207. 301
C. Wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt
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Leib und Leben der Soldaten immanent. Deshalb bemühte die FDP-Bundestagsfraktion in ihrem AWACS-Anordnungsantrag vom 2. April 1993 die Wesentlichkeitstheorie, um eine parlamentarische Entscheidung über die AWACS-Mission zu erreichen. Die Voraussetzung für eine einstweilige Anordnung hat sie darin gesehen, „dass unter Umständen Leben und Gesundheit deutscher Soldaten auf dem Spiel stehen, ohne dass dies in seiner ganzen Tragweite parlamentarisch entschieden und verantwortet ist“ 304.
Die SPD-Fraktion stellt erst in der Antragsschrift zum Somalia-Einsatz auf die betroffenen Soldaten ab. Dort heißt es, die Gesamtsituation in dem ostafrikanischen Land führe dazu, „dass auch Leben und Gesundheit der deutschen Soldaten in Somalia hoch gefährdet sind (. . .) Diese Gefährdung von Leben und Gesundheit der Soldaten ohne verfassungsrechtliche Grundlage muss durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung beendet werden.“ 305
In diesem Sinne entschied dann auch das Bundesverfassungsgericht im Juni 1993 im Somalia-Eilverfahren. Die Beteiligung der Bundeswehr an UNOSOM II durfte nur aufrechterhalten und fortgeführt werden, „wenn und soweit der Bundestag dies beschließt“. Denn bei UNOSOM II waren „nicht unerhebliche Gefahren (. . .), die den Soldaten bei Erfüllung des VN-Mandats an Leib und Leben drohten“ 306
zu besorgen307. Das Bundesverfassungsgericht hat diese grundrechtliche Tendenz zur Begründung einer Parlamentsmitwirkung in seinen auf den SomaliaEilbeschluss folgenden Urteilen indes nicht weiterentwickelt. Dies ist schon daran zu erkennen, dass die parlamentarische Zustimmung zu einem Auslandseinsatz nicht als Gesetz ergeht308. Aus der Bundeswehr wurde in den Folgejudi304 Verfahrensbevollmächtigter Schmidt-Jortzig, Antragsschrift der FDP vom 2. April 1993, abgedr. in: Dau/Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte (1996), S. 19 (25). 305 Verfahrensbevollmächtigter Bothe, Antragsschrift der SPD vom 15. Juni 1993, abgedr. in: Dau/Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte (1996), S. 192 (196 f.). 306 BVerfGE 89, 38 (45). 307 Bei der bundesverfassungsgerichtlichen Forderung nach einer Parlamentsbeteiligung dürfte auch eine weitere, dem Anordnungsverfahren inhärente Folgenabwägung eine Rolle gespielt haben: Der Abzug der deutscher Soldaten aus den AWACS-Verbänden hätte deren Einsatzfähigkeit so erheblich beeinträchtigt, dass die gesamte Operation gefährdet gewesen wäre. Dies hätte einen kaum wieder gutzumachenden Vertrauensverlust in die deutsche Bündnisfähigkeit bedeutet. Zwar hätte auch der Abzug der deutschen Soldaten im Rahmen von UNOSOM II außenpolitische Implikationen mit sich geführt, doch war diese Operation nicht in gleichem Maße von der Unterstützung der Bundeswehr abhängig. 308 Nach Riedel, DÖV 1993, 994 (999) wäre dies auch insofern problematisch, als ein unzulässiges Einzelfallgesetz i. S. des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG vorläge.
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt
katen kein „Grundrechteheer“, sondern ein „Parlamentsheer“. Dogmatisch wäre Ersteres auch nur schwer gangbar gewesen, denn für einen grundrechtlich radizierten Parlamentsvorbehalt liegt schon kein typischer Anwendungsfall vor. Der einzelne militärische Einsatz, in dem sich die Dienstpflichten aktualisieren, betrifft nicht die Soldaten als Grundrechtsträger, sondern als Amtswalter des Staates309. Eine grundrechtliche Fundierung des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes kann daher schwerlich überzeugen310. 4. BVerfGE 104, 151 und BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008 – demokratischer Parlamentsvorbehalt Auch wenn die Wesentlichkeitstheorie in ihrer klassisch-grundrechtlichen Herleitung nicht geeignet ist, den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt dogmatisch abzusichern, ist dennoch augenscheinlich, dass das Bundesverfassungsgericht die Anforderungen an die demokratische Legitimation eines Einsatzes bewaffneter Streitkräfte erhöht hat. Als Legitimationsquelle für die Einsatzentscheidung reicht ein Beschluss der institutitionell und personell legiti309 Verfahrensbevollmächtigte Isensee/Randelzhofer, Gegenäußerung der CDU/CSUBundestagsfraktion vom 22. April 1993, abgedr. in: Dau/Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte (1996), S. 524 (540). Abzuwarten bleibt die Entwicklung aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Falle Major Pfaff, s. BVerwGE NJW 2006, 77 ff. Der Soldat war zum Zeitpunkt des Irakkriegs an einer Software zur logistischen und administrativen Unterstützung der Bundeswehr beteiligt. Er verweigerte im April 2003 diese Arbeit, da er nicht ausschließen könne, damit eine rechtswidrige Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an einer rechtswidrigen militärischen Auseinandersetzung mit dem Irak zu unterstützen. Das Truppendienstgericht schloss sich dieser Bewertung nicht an, ließ im Urteil sowohl die Frage der Völkerrechtswidrigkeit, als auch der Verfassungswidrigkeit einer deutschen Beteiligung am Irakkrieges unbeantwortet und degradierte Major Pfaff wegen Ungehorsam zum Hauptmann. Pfaff ging in Berufung und erwirkte am 21. Juni 2005 einen Freispruch vor dem Bundesverwaltungsgericht. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts geht dann weit über den Einzelfall hinaus. Es legt eine ausführliche Begründung im Kontext des Grundrechts auf Gewissensfreiheit vor. Das Urteil berücksichtigt sowohl die „subjektive Gewissensentscheidung des Soldaten“ als auch den politischen „Kontext der Gewissensentscheidung“ wie z. B. das Völkerrecht oder die „Feststellung kriegsrelevanter Unterstützungsleistungen“. Im Einzelnen hat der Senat entschieden, dass in der konkreten Lage das Grundrecht der Freiheit des Gewissens nach Art. 4 Abs. 1 GG durch den Befehl nicht verdrängt werde. Dieser sei deshalb für den Soldaten unverbindlich gewesen. Es legt implizit aber auch dar, dass die Gewissensfreiheit des Soldaten zwar vorbehaltlos, aber nicht schrankenlos gewährt ist. So betont das Bundesverwaltungsgericht etwa, dass Gewissensgründe nicht zur „Unzeit“ vorgebracht werden könne. Die Befürchtungen mancher Kritiker des Urteils, eine im Kampfeinsatz plötzlich vorgebrachte Gewissensnot könne die Handlungsfähigkeit der Streitkräfte in unerträglichem Maße beeinträchtigen, sind insoweit unbegründet; Besprechungen des Urteils bei Kotzur, JZ 2006, 25 ff.; Droege/Fischer-Lescano, NVwZ 2006, 171 ff.; Dau, NZWehrr 2005, 255 ff. 310 Im Ergebnis ebenso Vöneky/Wolfrum, ZaöRV 62 (2002), 569 (599); Wiefelspütz, Das Parlamentsheer (2005), S. 204 f.
C. Wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt
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mierten Bundesregierung nicht mehr aus; vielmehr muss der unmittelbar vom Volk gewählte Bundestag die Einsatzentscheidung mittragen311. Um bewaffnete Streitkräfte ins Ausland entsenden zu können, bedarf es eines „doppelten Schlüssels“ 312. Die vom Zweiten Senat geforderte „förmliche parlamentarische Beteiligung an der Entscheidung über militärische Einsätze deutscher Streitkräfte313“ weist daher, unbeschadet ihrer jeweiligen Begründung, zumindest in den Rechtsfolgen eine hohe Affinität zur Wesentlichkeitstheorie auf314: Schließlich hat das Parlament ein Vorrecht hinsichtlich des Einsatzes selbst, während der Exekutive ein Ermessenspielraum über die konkrete Ausgestaltung des Einsatzes zukommt315. Daher drängt sich die Frage auf, ob sich die parlamentarische Mitwirkung über eine stärkere Akzentuierung des der Wesentlichkeitslehre inhärenten Demokratieprinzips ableiten lässt. Zwar hat die Wesentlichkeitstheorie ihre bedeutsamsten Impulse aus der Grundrechtsdogmatik erhalten. Vielfach werden daher Wesentlichkeit und Grundrechtswesentlichkeit synonym verwendet. Diese Gleichsetzung greift jedoch zu kurz. So hat das Bundesverfassungsgericht die „Grundrechtswesentlichkeit“ stets nur als eine Variante besonders grundlegender Fragen des Gemeinwesens verstanden, die dem Gesetzgeber vorbehalten sein sollen316. Die eigentlich banale Vorgabe, wesentliche politische Entscheidungen „nicht am Parlament vorbei“ 317 zu treffen, speist sich aus dem demokratischen Prinzip. Das Demokratieprinzip geht davon aus, dass das Volk in unterschiedlich enger Beziehung zu den verschiedenen staatlichen Organen steht und spricht diesen dann auch in unterschiedlichem Maße die Fähigkeit zu, mit Legitimationskraft versehene Entscheidungen hervorzubringen. Danach soll die Entscheidung der wichtigsten Fragen dem Organ zukommen, das am stärksten demokratisch legitimiert ist. Anders gewendet: Je stärker die demokratische Legitimation eines staatlichen Organs ist, umso eher ist ihm auch die Kompetenz zur Entscheidung der besonders wichtigen Fragen zuzuweisen318. Demokratische Legitimation ist kein Selbstzweck, sondern zielt unter anderem darauf ab, Folgebereitschaft und Akzeptanz gegenüber staatlichen Entscheidungen und
311 Baldus, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 39 (51). 312 Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte (2003), S. 28. 313 BVerfGE 90, 286 (390). 314 Dies gilt – wie sich noch zeigen wird – unbeschadet dessen, dass ein Entsendebeschluss nicht in Gesetzesform ergeht. 315 Schmidt-Radefeldt, in: Born/Hänggi (Hrsg.), The ,Double Democratic Deficit‘ (2004), S. 147 (154). 316 BVerfGE 40, 237 (249 f.); 49, 89 (128); 61, 260 (275); 95, 267 (307); vgl. auch NW VerfGH NJW 1999, 1243 (1244 ff.) zur Zusammenlegung von Justiz- und Innenministerium; Hufen, NJW 1991, 1321(1324). 317 BVerfGE 68, 1 (109). 318 Stern, Staatsrecht Bd. I (1984), S. 811.
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt
gegenüber dem parlamentarischen System insgesamt zu erzeugen319. Das Bundesverfassungsgericht hat einst gar festgestellt, dass nur das Parlament die demokratische Legitimation zur politischen Leitentscheidung besitze320, eine Aussage, die es später allerdings erheblich relativierte321. a) Demokratieprinzip als Konstituens der Wesentlichkeitslehre Das demokratische Element der Wesentlichkeitstheorie hat innerhalb der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Schulrecht seine Grundlegung und deutlichste Ausprägung erfahren. Bei der Festlegung von Bildungskonzepten und in Fragen der Schulorganisation drängte die demokratische Komponente des Gesetzesvorbehaltes auf Anerkennung322. So führte das Bundesverfassungsgericht in seinem Speyer-Kolleg-Beschluss vom 27. Januar 1976 aus, dass es neben dem Rechtsstaatsprinzip das demokratische Prinzip gebiete, „dass die Ordnung wichtiger Lebensbereiche zumindest in ihren Grundzügen vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber selbst verantwortet und in einem öffentlichen Willensbildungsprozess unter Abwägung der verschiedenen, unter Umständen widerstreitenden Interessen gestaltet werde“ 323.
Die Frage war demnach nicht mehr, ob eine Oberstufenreform oder die Einführung einer zweiten Fremdsprache als Pflichtfach unmittelbar in die grundrechtliche Stellung der betroffenen Schüler eingreift, sondern vielmehr die des richtigen Verfahrens bzw. der entsprechenden Kompetenzzuweisung an die Ministerialbürokratie oder an das Parlament324. Je nach Inhalt, Gewicht und Bedeutung der zu treffenden Regelung soll die Zuweisung an das nach seiner Zusammensetzung, Legitimation und Verfahrensweise adäquate Regelungsorgan erfolgen. Nach Fritz Ossenbühl fokussierte sich das Problem nunmehr darauf, „ob an einer gemeinwichtigen Entscheidung mehrere Instanzen mitwirken sollen, ob in der Öffentlichkeit eine entsprechende Diskussion stattfinden und ob das Entscheidungsorgan nach seiner Zusammensetzung integrierend wirken soll, oder ob die betreffende Entscheidung mehr oder weniger bürokratisch-administrativ“ zu treffen ist325. In der Folge löste sich der Anwendungsbereich des Ge319 Vgl. nur Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. III (2005), § 34 Rndr. 29. 320 BVerfGE 34, 52 (59). 321 BVerfGE 49, 89 (124 ff.). 322 Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. III (1988), § 62 Rndr. 36. 323 BVerfGE 41, 251 (260). 324 Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. III (1988), § 62 Rndr. 36 f. 325 Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. III (1988), § 62 Rndr. 37.
C. Wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt
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setzesvorbehaltes immer stärker von der tradierten Differenzierung zwischen formellen und materiellen Gesetzen. Stattdessen rückte der Anwendungsbereich immer näher an den Wirkungsbereich des Parlamentes326. So ließ es das Bundesverfassungsgericht dann auch ausdrücklich offen, ob es von Verfassungs wegen geboten ist, die wesentlichen Entscheidungen im Schulrecht in einem förmlichen Gesetz zu regeln327. Entsprechend erblickte das Bundesverfassungsgericht dann in seiner Kalkar-Entscheidung vom 8. August 1978 in der zustimmenden parlamentarischen Zurkenntnisnahme von Energieprogrammen der Bundesregierung eine hinreichende Grundlage für die Genehmigung eines bestimmten, bei Erlass des Atomgesetzes noch unbekannten Reaktortyps328. In diese Entwicklung reiht sich auch ein obiter dictum der Pershing-Entscheidung ein. Danach konnte der Bundestag in der Frage der Pershingstationierung sein legitimatorisches Prä dadurch einbringen, dass er der Stationierung im Wege eines schlichten Parlamentsbeschlusses zustimmte329. Auf dem Hintergrund dieser Rechtsprechung wurde der Gesetzesvorbehalt im Zeichen des Demokratieprinzips immer mehr zum Parlamentsvorbehalt330. Der bislang darstellende und resümierende Teil zur Wesentlichkeitslehre soll im weiteren Verlauf der Arbeit eine Prüfung ermöglichen, ob die in den Rechtsfolgen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes und vor allem in der Entscheidungsbegründung zum NATO-Konzept anklingende Affinität zum demokratischen Element der Wesentlichkeitslehre eine tragfähige Begründung für den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt bieten kann. Mit anderen Worten: Kann die im Bereich des Auslandseinsatzes der Bundeswehr verbindliche parlamentarische Mitwirkungsbefugnis über die demokratische Wurzel der Wesentlichkeitslehre erklärt werden? b) (Allgemeiner) Parlamentsvorbehalt als Sachvorbehalt In der bisherigen Entwicklung ist der (allgemeine) Parlamentsvorbehalt vor allem als demokratisches Element des Gesetzesvorbehaltes begriffen worden, das seinerseits den überkommenen rechtsstaatlichen Gesetzesvorbehalt erweitert hat. In diesem Zusammenhang ist jedoch zwischen den Begriffen Parlaments326
Gusy, JA 2002, 610 (614). BVerfGE 45, 400 (419) – Oberstufenreform. 328 BVerfGE 49, 89 (133). 329 „Im übrigen ist der Bundestag im konkreten Fall mit der Nachrüstungsfrage, einschließlich der Zustimmung zur Stationierung der besagten Waffensysteme, mehrfach, zuletzt am 22. November 1983, befasst gewesen und hat die beabsichtigte und erteilte Zustimmungserklärung der Bundesregierung ausdrücklich gebilligt“ – BVerfGE 68, 1 (110). 330 Gusy, JA 2002, 610 (614) m.w. N.; Stern, Staatsrecht Bd. II (1980), S. 574 f.; ders., Bd. I (1984), S. 811; Erichsen, VerwArch 70 (1979), 249 (250). 327
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt
vorbehalt und Gesetzesvorbehalt zu unterscheiden331, auch wenn die Wissenschaft beide Begriffe zum Teil nur unscharf trennt oder sie ohne größere Differenzierungen synonym verwendet. „Genau besehen werden hierdurch aber unterschiedliche Vorbehaltskategorien vermengt. Zu unterscheiden sind nämlich Sachvorbehalte einerseits und Formvorbehalte andererseits. Sachvorbehalte beziehen sich auf Regelungsgegenstände (Sachmaterien), Formvorbehalte auf Entscheidungsformen (z. B. formelle Gesetze, schlichte Parlamentsbeschlüsse)“ 332. Während das Demokratieprinzip vor allem der Frage nachgeht, wer zur Entscheidung berufen ist, richtet das Rechtstaatsprinzip seinen Blick darauf, in welcher Handlungsform die Entscheidung zu ergehen hat333. Letzteres zielt auf die individualschützende und kontinuitätssichernde Funktion des Gesetzes ab. Der Parlamentsvorbehalt ist ein Sachvorbehalt, schließlich bestimmt er nur, ob eine Sachmaterie der Regelung durch das Parlament vorbehalten ist oder nicht, mehr ergibt sich aus dem den Parlamentsvorbehalt tragenden Demokratiegebot nicht; dieses fordert lediglich, dass eine wesentliche Entscheidung beim unmittelbar demokratisch legitimierten Parlament angesiedelt ist. Sind demnach bestimmte Entscheidungen vom Parlament selbst zu treffen, ohne dass hierfür der Erlass eines Gesetzes erforderlich wäre, können sie auch außerhalb des Gesetzgebungsverfahrens erfolgen334. In Frage kommen etwa bindende Parlamentbeschlüsse, wie der konstitutive Parlamentsbeschluss über Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Zwar bleibt ein solcher Beschluss in formaler Hinsicht hinter einem förmlichen Legislativakt zurück; doch bietet auch das Verfahren der förmlichen Gesetzgebung keine stärkere demokratische Legitimation. Der konstitutive Parlamentsbeschluss gewährleistet ebenso wie das förmliche Gesetz, dass eine offene Debatte im Plenum stattfindet, in der um das Für und Wider gestritten wird335. Die Legitimität parlamentarischer Entscheidungen wird weniger durch das reine Entscheidungsergebnis, sondern vor allem durch das Entschei331 Vgl. auch Rupp, in: Blankennagel et al. (Hrsg.), Liber Amicorum für Peter Häberle (2004), S. 731 (738); a. A. ausdrücklich Hufen, NJW 1991, 1321 (1326). 332 Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. III (1988), § 62 Rndr. 39. 333 Vgl. Pietzcker, JuS 1979, 710 (713); ähnlich Bleckmann, DVBl. 1984, 6 ff.; Degenhardt, Staatsrecht Bd. I (2005), Rndr. 66; Maurer, VVDStRL 43 (1984), 135 (137 f.); Bryde, Jura 1986, 363 (367). 334 Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. III (1988), § 62 Rndr. 39. 335 Vgl. Butzer, AöR 119 (1994), 61 (89 f.); Schmidt-Radefeldt, Parlamentarische Kontrolle der internationalen Streitkräfteintegration (2005), S. 139; Kokott, DVBl. 1996, 937 (949); Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes (1970), S. 171, meint, dass „die im Grundgesetz normierte äußere Form des Gesetzes (. . .) ein bestimmtes Maß an Vernünftigkeit und Gerechtigkeit (garantiert)“. Auch Eberle, DÖV 1984, 485 (489 f.) sieht gerade im spezifischen parlamentarischen Verfahren die Begründung für das Erfordernis des Parlamentsvorbehaltes; das Verfahren der Entscheidungsfindung gar in Verbindung mit der Richtigkeit der Entscheidung selbst bringend, v. Arnim, DVBl. 1987, 1241 (1244). Auch wenn diese Deutungen überhöht erscheinen, so müss-
C. Wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt
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dungsverfahren vermittelt. Welche Entscheidungsform für das Parlament in Betracht kommt, hängt wiederum von der Sachmaterie ab und dem intendierten Verbindlichkeitsgrad der zu treffenden Regelung. Soll sich der Sachvorbehalt zu einem Formvorbehalt verdichten, muss es gerade auf die spezifischen Funktionen des Gesetzes ankommen336; letztere dienen insbesondere der Gewährleistung einer gewissen Kontinuität und Generalisierung der Lebensbedingungen im Sinne der Wahrung der Rechtsgleichheit337. Als Alternative zum formellen Gesetz als verbindliche Gestaltungsform eröffnet sich dem Bundestag indes die Möglichkeit, dort seinen Willen konstitutiv und legitimierend einzubringen, wo verfassungsrechtlich eine Gesetzeslösung nicht zwingend geboten scheint338. Soll gewährleistet werden, dass in einer Angelegenheit frühzeitig die Aufmerksamkeit der Betroffenen und der parlamentarischen Opposition geweckt wird, dadurch alle entscheidungserheblichen Gesichtspunkte erkannt und berücksichtigt werden und so ein gerechter Ausgleich zwischen den divergierenden Interessen gefunden werden, dann ist es unerheblich, ob die Frage durch förmliches Gesetz oder durch Beschluss beantwortet wird. Dem förmlichen Gesetz kommt in keinem entscheidenden Umfang ein demokratischer Mehrwert zu. Unter demokratischen Gesichtspunkten ist es deshalb auch unbedenklich, dass bei Parlamentsbeschlüssen, die im Gesetzgebungsverfahren vorgeschriebene Beteiligung anderer höchster Staatsorgane entfällt. Folgende zwei Stufen parlamentarischer Mitwirkung lassen sich demnach unterscheiden339: • für Eingriffe und grundrechtswesentliche Fragen: Gesetz, • für sonstige wesentliche Fragen: anderweitige Mitwirkung des Parlaments; diese kann konstitutiv sein (also für die Regierung bindend); sie kann aber
ten sie nach Auffassung dieser Autoren auf Grund der verfahrensrechtlichen Anlehnung an die Gesetzgebung auch für den konstitutiven Parlamentsbeschluss gelten. 336 Siehe zu diesen Funktionen ausführlich H. H. Klein, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. III (2005), § 50 Rndr. 22 ff. 337 Kokott, DVBl. 1996, 937 (949). 338 Zu rekurrieren ist dabei etwa auf die in der Staatspraxis entwickelte und vom Bundesverfassungsgericht für unbedenklich erachtete Zustimmungsverordnung, in der sich Flexibilität exekutiver Rechtssetzung mit dem demokratischen Legitimationswert des Parlaments verbindet [BVerfGE 8, 274 (321 f.); dazu ausführlich Uhle, Parlament und Rechtsverordnung (1999), S. 81 ff.; 151 ff.; 289 ff.; 403 ff.; 463 ff.]. Diese Zustimmungsverordnung als Modell vor Augen, regte Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. III (1988), § 62 Rndr. 39 an, „neue Formen der Regelung zu finden, welche die alte Dichotomie von parlamentsbeschlossenen förmlichen Gesetz und exekutivischer Rechtsverordnung überwinden und zu neuzeitlichen, modernen Bedürfnissen angepassten Regelungsmechanismus führen, die den Erfordernissen sowohl des rechtsstaatlichen Gesetzesvorbehaltes als auch des demokratischen Parlamentsvorbehaltes genügen“. Nach Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 109 könnte die konstitutive Zustimmung genau diese Bedürfnislücke füllen. 339 Vgl. Degenhart, Staatsrecht I (2005), Rndr. 296.
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auch unverbindlich wirken; dann muss die Regierung das Parlament beteiligen, ist aber nicht an dessen Äußerung gebunden. Der Vorbehalt des Gesetzes ist demnach immer Parlamentsvorbehalt, weil nur das Parlament Gesetzgeber ist. Umgekehrt verlangt der Parlamentsvorbehalt nicht, dass das Parlament gerade gesetzgeberisch tätig wird. c) Anwendungsbereich der Wesentlichkeitsformel im Bereich der Auslandseinsätze Um den Anwendungsbereich der Wesentlichkeitstheorie eröffnen zu können, dürften die bewaffneten Auslandseinsätze der Bundeswehr keinem ausdrücklichen Kompetenztitel des Grundgesetzes zugeordnet sein. Einfacher ist die Frage zu beantworten, ob die Auslandsentsendung auch unter den Wesentlichkeitstatbestand subsumiert werden kann. Das Bundesverfassungsgericht liefert keine abstrakte Definition zum Wesen der Wesentlichkeit340; unbestritten ist wohl auch, dass es kaum gelingen wird, generelle Kriterien für ein verlässliches Urteil über die Wesentlichkeit einer Entscheidung zu entwickeln341. Auf Grund dieser Unbestimmtheit ist das Bundesverfassungsgericht denn auch vielfach kritisiert worden342. Dass es sich bei der Entsendung von Bundeswehreinheiten um einen für Deutschland wesentlichen Akt handelt, dürfte bei allen Definitionsmängeln der Wesentlichkeit aber nicht bestreitbar sein343. Dies gilt vor allem bei einem außenpolitischer Akt von der Tragweite eines Entschlusses zur kollektiven Selbstverteidigung; denn mit der Entscheidung zur militärischen Hilfeleistung zugunsten eines angegriffenen Verbündeten wird die Bundesrepublik in eine Haftungsgemeinschaft einge340 Das Bundesverfassungsgericht meint, die Wesentlichkeit sei als „heuristischer Begriff“ [BVerfGE 47, 46 (79)] zu verstehen, welcher den verfassungsrechtlich garantierten Vorbehaltsbereich der Legislative umschreibt. 341 Schon 1928 merkte Hermann Heller an: „Was zum Vorbehalt des Gesetzes gehört, welche Gegenstände die Gesetzgebung ergreift, das bestimmen nicht Logik und nicht seine theoretischen Formeln, sondern Tradition, Zweckmäßigkeit, Machtlage und Rechtsbewusstsein“, ders., VVDStRL 4 (1928), S. 98 (121). 342 Die Kritik an der Wesentlichkeitsrechtsprechung hebt hervor, dass gerade im Bereich des Staatsorganisationsrechts ein besonderes Bedürfnis nach Klarheit von Normen und Zuständigkeit bestehe, vgl. zusammenfassend Gusy, JA 2002, 610 (614). Nach Pieske, DVBl 1977, 673 (677) handelt es sich bei der Wesentlichkeitstheorie um eine rechtsdogmatische „Sackgasse“. 343 So auch Blumenwitz, NZWehrr 1988, 133 (145); Tomuschat, Außenpolitik 1985, 272 (283); nach Bartke, Verteidigungsauftrag der Bundeswehr (1991), S. 86 ist die Entscheidung über einen kriegerischen Einsatz des Militärs die wesentlichste Entscheidung, die eine Regierung überhaupt treffen kann. In diese Richtung auch K. Ipsen, DÖV 1971, 583 (588); ders., in: Schwarz (Hrsg.), Sicherheitspolitik (1978), S. 615 (626 f.); Kersting, NZWehrr 1982, 84 (91) und Burmester, NZWehrr 1993, 133 (146), die zwar das verfassungsrechtliche Erfordernis einer parlamentarischen Zustimmung de lege lata verneinen, aber eine entsprechende Verfassungsänderung fordern.
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bracht344. Gerade die Entscheidung zur Bündnisleistung kann es sein, die dazu führt, dass nunmehr auch das Bundesgebiet mit Waffengewalt bedroht wird, womit die parlamentarische Feststellungsbefugnis des Bundestages nach Art. 115a Abs. 1 GG durch einen Akt der Exekutive präjudiziert wäre. Auch wenn Auslandseinsätze der Bundeswehr daher das Wesentlichkeitskriterium erfüllen, ist eine im Grundgesetz ausdrücklich vorgegebene Kompetenzlage in diesem Bereich gleichwohl zu beachten; denn die Wesentlichkeit einer entscheidungsbedürftigen Materie ist zunächst nur ein Indikator für eine Regelung durch das Parlament mittels seiner Legitimationskraft. Sie steht nicht selbstständig neben dem positiven Verfassungsrecht. Die Wesentlichkeit alleine ist ungeeignet, um eine Entscheidung der Organkompetenz der Zweiten Gewalt zu entziehen und sie der Ersten zuzuweisen. „Das Grundgesetz spricht dem Parlament nicht einen allumfassenden Vorrang bei grundlegenden Entscheidungen zu. Es setzt durch die gewaltenteilende Kompetenzzuordnung seinen Befugnissen Grenzen.“ 345 „Die konkrete Ordnung der Verteilung und des Ausgleichs staatlicher Macht, die das Grundgesetz gewahrt wissen will, darf nicht durch einen aus dem Demokratieprinzip fälschlich abgeleiteten Gewaltenmonismus in Form eines allumfassenden Parlamentsvorbehalts unterlaufen werden. Aus dem Umstand, dass allein die Mitglieder des Parlaments unmittelbar vom Volk gewählt werden, folgt nicht, dass andere Institutionen und Funktionen der Staatsgewalt der demokratischen Legitimation entbehrten. Die Organe der gesetzgebenden, der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt beziehen ihre institutionelle und funktionelle demokratische Legitimation aus der in Art. 20 Abs. 2 GG getroffenen Entscheidung des Verfassungsgebers.“ 346 „Das aber schließt es aus, aus dem Grundsatz der parlamentarischen Demokratie einen Vorrang des Parlaments und seiner Entscheidungen gegenüber den anderen Gewalten als einen alle konkreten Kompetenzzuordnungen überspielenden Auslegungsgrundsatz herzuleiten. Auch die Tatsache, dass eine Frage politisch umstritten ist, vermag die von der Verfassung zugeordneten Entscheidungskompetenzen nicht zu verschieben.“ 347
Die Aussage des Bundesverfassungsgerichts, wonach die verfassungsunmittelbaren Kompetenzen von Exekutivorganen durch das legitimatorische Prä des Bundestages nicht zu dessen Gunsten verschoben werden, ist im Grunde ba344 Hieran vermag auch das denkbare Argument nichts zu ändern, dass einem aus dem Demokratieprinzip abgeleiteten Beteiligungserfordernis durch das Zustimmungsgesetz zum NATO-Beitritt entsprochen sei. Denn Art. 5 des NATO-Statuts belässt es ausdrücklich in der Entscheidungsfreiheit der Partner die konkrete „Art der Beistandsleistung“ zu bestimmen und Art. 11 sichert darüber hinaus deren verfassungsmäßiges Zustandekommen; vgl. auch K. Ipsen, DÖV 1971, 583 (587); ders., in: Schwarz (Hrsg.), Sicherheitspolitik (1978), S. 615 (626); Burmester, NZWehrr 1993, 133 (146). 345 BVerfGE 49, 89 (124) – Kalkar. 346 BVerfGE 68, 1 (87) – Pershing. 347 BVerfGE 49, 89 (125 f.).
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nal348. Eine explizite Aussage darüber, welches Verfassungsorgan über die Kompetenz verfügt, einen Einsatz deutscher Streitkräfte im Ausland anzuordnen, enthält das Grundgesetz jedoch nicht349. Traditionell wird die Entsendung der Streitkräfte unter die auswärtige Gewalt subsumiert; zu Recht, schließlich wird durch die Entscheidung über den Einsatz von Truppen ein anderes Völkerrechtssubjekt – klassischerweise fremde Staaten – in der Sphäre der Völkerrechtsordnung berührt. Insoweit ist die Wehrhoheit als nach außen gewendetes Hoheitsrecht Teil der auswärtigen Gewalt350. Die kompetenzielle Zuordnung der auswärtigen Gewalt ist im Schrifttum zum Grundgesetz seit jeher umstritten351. Die Schere öffnet sich zwischen einem effizienz- und einem partizipationsorientierten Ansatz. Der Übergang zwischen beiden Ansätzen ist fließend. Mehrheitlich wird die Führung der Außenpolitik im Kompetenzbereich der Regierung und Verwaltung angesiedelt. Um diese Kompetenzverteilung staatstheoretisch zu legitimieren, wird regelmäßig die besondere Natur der auswärtigen Angelegenheiten herausgestellt. Diese verlangten nach einer Aufgabenwahrnehmung, die sich möglichst ungehindert von Parlamenten (und auch den Gerichten) vollziehen können müsse352. Die parlamentsfreundliche Gegenauffassung rekurriert vor allem auf Art. 59 Abs. 2 GG sowie auf Art. 23, 24, 115a, 115l Abs. 3 GG und sieht die auswärtige Gewalt als „kombinierte“ 353 oder eine „gemischte Ge348 Die Lehren vom Totalvorbehalt, die eine gesetzliche Ermächtigung für jedes Handeln der Zweiten Gewalt forderten, konnten sich in Rechtsprechung und Literatur nicht durchsetzen. Vertreter dieser Lehren waren etwa Jesch, Gesetz und Verwaltung (1968), S. 205 und 227, der den Totalvorbehalt aus der – im Demokratieprinzip wurzelnden – Zentral- und Spitzenstellung des Parlaments begründet, sowie Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre (1965), S. 113 ff., der den Totalvorbehalt in einem geänderten Freiheitsbegriff und damit im Rechtsstaatsprinzip verortet. 349 Sofern positivrechtliche Anhaltspunkte für eine Zuständigkeit der Regierung per analogiam in den Art. 35 Abs. 3 und 87a Abs. 4 GG gesehen werden [etwa bei K. Ipsen, in: Schwarz (Hrsg.), Sicherheitspolitik (1978), S. 615 (626); Blumenwitz, NZWehrr 1988, 133 (144)], ist darauf zu verweisen, dass diese Normen nur auf den Streitkräfteeinsatz im Inland angelegt sind. 350 BVerfGE 108, 34 (42) spricht vom konstitutiven Parlamentsvorbehalt als „Beteiligungsrecht des Bundestages an der auswärtigen Gewalt“. a. A. v. Bülow, Der Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung (1984), S. 210 f. 351 Zum Meinungsstand vgl. Wolfrum, in: Dreier/Badura (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Bd. 2 (2001), S. 693 (696 ff.). 352 Vgl. vor allem Grewe, VVDStRL 12 (1954), S. 129 ff.; ders., in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. III (1988), § 77 Rndr. 40 ff.; Eitel, in: Götz (Hrsg.), Liber amicorum Günther Jaenicke (1998), S. 947 (962); Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt (1986), S. 215 ff., konstatiert zwar das faktische Übergewicht der Regierung, vermeidet aber eine generelle Zuordnung der auswärtigen Gewalt zur Exekutive. Als „Querschnitt durch die verschiedenen Staatsfunktionen“ (ebda., S. 79) lasse sich die auswärtige Gewalt nur im Einzellfall zu Kompetenzen der Regierung oder des Parlaments konkretisieren. 353 Grundlegend E. Menzel, VVDStRL 12 (1954), 179 (197, 200). Menzel geht hierbei sehr weit und stuft außenpolitische Entschließungen des Bundestages als rechtlich bindende „Weisungen an die Exekutive“ ein, ebd., S. 219 Leitsatz 2; vgl. aus dem
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walt“ 354 an. Ähnlich partizipationsorientiert sind solche Stimmen, die die auswärtigen Angelegenheiten im Bereich der Staatsleitung355 ansiedeln, welche im parlamentarischen Regierungssystem der Ersten und der Zweiten Gewalt „zur gesamten Hand“ 356 anvertraut sei. Aus der Sicht des Parlaments bedeutet dies, dass nach ersterer Lesart, die einschlägigen Kompetenzen des Bundestages Ausnahmeerscheinungen darstellen, die nicht erweiterungsfähig sind. Nach letzterer Meinung sind diese Kompetenzen hingegen Ausprägungen eines verallgemeinerungsfähigen Grundsatzes; in entsprechender Interpretation muss er auch auf andere außenpolitische Gegenstände und Entscheidungen Anwendung finden, wenn diese in ihrem Gewicht den ausdrücklichen parlamentseigenen Entscheidungen gleich- oder zumindest nahe kommen. Wenn die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und die überwiegenden Meinung im Schrifttum davon ausgehen, dass im Bereich der auswärtigen Gewalt nicht auf einen gemeinsamen Bereich der Staatsleitung geschlossen werden kann, darf nicht außer acht fallen, von welchen Prämissen beide ausgehen; die verfassungsrechtliche Nachrangigkeit des Parlaments in außenpolitischen Fragen gründet zum einen in der Tradition und zum anderen in den faktischen Grenzen der parlamentarischen Aufgabenerledigung. So weist das Bundesverfassungsgericht in seiner PershingEntscheidung vom 18. Dezember 1984 zutreffend daraufhin, „dass staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen.“ 357
neueren Schrifttum Wolfrum, in: Dreier/Badura (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Bd. 2 (2001), S. 693 (696 ff.); ders., VVDStRL 56 (1997), S. 38 ff.; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG (2003), Art. 59 Rndr. 26; Jarass, in: Jarass/ Pieroth (Hrsg.), GG (2006) Art. 59 Rndr. 8; vgl. auch BVerfGE 68, 1 (128 f.) abweichende Meinung Mahrenholz. 354 Baade, Das Verhältnis von Parlament und Regierung (1962), S. 118 ff. Baade konstatiert aber auch, dass die verfassungsrechtliche Vorrangstellung des Parlaments in der Praxis nicht umgesetzt werde, ebda., S. 7. 355 Der dem Grundgesetz unbekannte Begriff der Staatsleitung deckt sich mit dem der Regierung im funktionellen Sinn, vgl. Graf Vitzthum, Parlament und Planung (1978), S. 259 m.w. N. 356 So das bekannte Diktum von Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), S. 9 (37 f.). Dies ergebe sich aus Art. 59 Abs. 2, 115a Abs. 1 115 l Abs. 3 sowie 110 GG, die eine Beteiligung des Parlaments auch außerhalb der materiellen Rechtssetzung vorsehen. Auch der Haushaltsplan sei unter der Geltung des Grundgesetzes nicht mehr wie noch bei Paul Laband bloßer Verwaltungsakt in Form eines nur formellen Gesetzes, sondern analogiefähiger Ausdruck eines allgemeinen Prinzips, nach dem der Parlamentsvorbehalt zugleich die Teilnahme der Volksvertretung an der Staatsleitung zu garantieren habe; zum begrenzten Aussagewert des Friesenhahnschen Diktums s. Graf Vitzthum, Parlament und Planung (1978), 262 f. 357 BVerfGE 68, 1 (86). Der bundesverfassungsgerichtliche Ansatz der „funktionsgerechten Organstruktur“ findet sich bereits 35 Jahre zuvor bei Küster, AöR 75 (1949), 397 (402 ff.).
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Darüber hinaus beruhe die grundsätzliche Zuordnung der Akte des auswärtigen Verkehrs zum Kompetenzbereich der Exekutive auf der Annahme, „dass institutionell und auf Dauer typischerweise allein die Regierung in hinreichendem Maße über die personellen, sachlichen und organisatorischen Möglichkeiten verfügt, auf wechselnde äußere Lagen zügig und sachgerecht zu reagieren und so die staatliche Aufgabe, die auswärtigen Angelegenheiten verantwortlich wahrzunehmen, bestmöglich zu erfüllen“ 358.
Gleichwohl mag es Fälle geben, in denen diese allgemeinen Rahmenbedingungen es nicht in gleichem Maße rechtfertigen und gebieten, das Parlament aus dem Entscheidungsprozess der Exekutive auszunehmen359. Denn aus dem Zuweisungskriterium der „funktionsgerechten Organstruktur“ folgt ebenso, dass hoheitliche Entscheidungen, die einen umfassenden Prozess öffentlicher Meinungsbildung verlangen, sowie ein Mindestmaß an Transparenz der Entscheidungsfindung und von denen nicht zuletzt Integrationswirkung ausgehen soll, dem Organ vorbehalten sind, das seiner Struktur nach diese Funktion am ehesten erfüllt; nämlich dem einzigen Verfassungsorgan, das mit unmittelbarer demokratischer Legitimation ausgestattet ist, dem Parlament. Ein solcher Fall liegt bei der Entscheidung über die Entsendung bewaffneter Streitkräfte ins Ausland regelmäßig vor. Es ist nicht ersichtlich, dass aus der Natur der Sache die grundsätzliche Entscheidung über das „Ob“ eines Auslandseinsatz nur von der Bundesregierung in funktions- und sachgerechter Weise getroffen und verantwortet werden kann. Anderes gilt selbstverständlich für die konkrete Durchführung – also das „Wie“ – eines Einsatzes; der Bundestag kann nicht als Feldherr agieren und soll es auch nicht. Dieses steht hier jedoch nicht zur Frage. Die Sonderstellung des Einsatzes militärischer Mittel innerhalb der auswärtigen Gewalt unterstreicht auch das Bundesverfassungsgericht. Es nimmt in seiner Out-of-areaEntscheidung eine analytische Trennung von Wehrgewalt und auswärtiger Gewalt vor360, so dass es zur grundsätzlichen Frage der Kompetenz innerhalb der auswärtigen Gewalt nicht neuerlich Stellung nehmen musste. Wenn das Bundesverfassungsgericht die Wehrgewalt als Enklave innerhalb der auswärtigen Gewalt sieht, ist durchaus Raum, um den Wesentlichkeitsgedanken ins Spiel zu bringen361, ohne sich gleichzeitig in Widerspruch zum tradierten Kompetenzverständnis der auswärtigen Gewalt zu setzen. 358
BVerfGE 68, 1 (87). Vgl. Kadelbach/Guntermann, AÖR 126 (2001), 563 (569). 360 Kritisiert wird in Teilen der Literatur, dass diese analytische Trennung künstlich konstruiert sei, und dem Militärischen in der auswärtigen Funktionszuordnung eine Sonderstellung eingeräumt werde, die ihm das Grundgesetz gerade nicht zuerkennen wollte, s. Röben, ZaöRV 63 (2003), 585 (593); Wolfrum, VVDStRL 56 (1997), S. 38 (53 FN 76). 361 Stern, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 56 (1997), S. 99, spricht folgerichtig von einer „wehrverfassungsrechtlichen Wesentlichkeitstheorie“, der er allerdings skeptisch gegenübersteht. 359
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Aber auch wenn man es ablehnt, den Streitkräfteeinsatz als Spezialmaterie innerhalb der auswärtigen Gewalt zu verstehen, drängt sich immer mehr die Frage auf, inwieweit die tradierten Kompetenzregeln zur auswärtigen Gewalt angesichts einer zunehmenden internationaler Verflechtung und Durchdringung nicht zu relativieren sind. Die Prämisse der herkömmlichen Auffassung, Auswärtiges und Innenpolitik stünden in abgrenzbarer Weise nebeneinander, verliert immer mehr ihre tatsächliche Grundlage362. Heute trifft eine in Form und Qualität gewandelte Außenpolitik für die Innenpolitik mitunter prägende und sogar derogierende Entscheidungen. Demokratie und Gewaltenteilung geraten hierdurch in eine beträchtliche Schieflage363. Die zunehmend an Dichte gewinnende internationale Zusammenarbeit, das Wirken inter- und supranationaler Organisationen, sowie die nationale Bereitschaft, ureigene Souveränitätsrechte auf zwischen- und überstaatliche Organe zu übertragen, führen unwillkürlich zur Stärkung der Exekutive. Die gesetzgebenden Parlamente und die am Gesetz orientierten Gerichte bleiben indes merklich zurück364. Diese faktische Gewichtsverschiebung zwischen den Gewalten erfordert eine entsprechende Neuausrichtung der tradierten Aussage zur kompetenziellen Zuordnung der auswärtigen Gewalt. Je stärker das Völker-365 und vor allem das Europarecht unmittelbare Auswirkungen auf die Rechtstellung des Individuums zeitigen bzw. wesentliche innerstaatliche Regelungsmaterien erfassen, desto mehr besteht unter dem Gesichtspunkt des Gesetzesvorbehaltes bzw. der Wesentlichkeitstheorie das Gebot parlamentarischer Mitwirkung an der Gestaltung. Die Bundesregierung muss sich daher im postnationalen366 Zeitalter eine gewisse Parlamentarisierung der auswärtigen Gewalt gefallen lassen: das vielzitierte Diktum Ernst Friesenhahns von der Staatsleitung „zur gesamten Hand“ verlangt nach neuen Konkretisierungen367. Um erste regelhafte Antworten bemüht sich die Rechtsprechung, indem sie im Bereich staatsleitender Entscheidungen in europapoli-
362 Tomuschat prägte schon vor einiger Zeit das Bild des „zur Außenwelt geöffneten Verfassungsstaates“, ders., VVDStRL 36 (1978), S. 16 ff.; vgl. auch di Fabio, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. II (2005), § 27 Rndr. 66; Hailbronner, VVDStRL 56 (1997), S. 7 (9 f.); Wolfrum, ebda., S. 38 (41 ff.); Krajewski, AVR 41 (2003), 419 (423 ff.). 363 di Fabio, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. II (2005), § 27 Rndr. 70. 364 di Fabio, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. II (2005), § 27 Rndr. 70. 365 Zur völkerrechtlichen Inpflichtnahme des Einzelnen s. die Beispiele bei Wolfrum, VVDStRL 56 (1997), 38 (41 f.); M. Schröder, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht (2004), 7. Abschn. Rndr. 37 ff.; Nettesheim, JZ 2002, 569 (574). 366 In Ahnlehnung an den Titel der von Jürgen Habermas 1998 veröffentlichten Essaysammlung „Die postnationale Konstellation“. 367 di Fabio, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. II (2005), § 27 Rndr. 71.
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tischen368 sowie – mit dem konstitutiven Parlamentsvorbehalt – in wehr- und verteidigungspolitischen Fragen Formen eines Übergangs der parlamentarischen Kontrolle der Bundesregierung zu einer Mitsprache des Bundestages entwickelte. In der Literatur werden diese kompetenziellen Mischformen zuweilen als „kooperativer Parlamentarismus“ 369 bezeichnet. Diesem richterrechtlich gefördertem Verfassungswandel liegt die stillschweigende oder ausdrückliche Annahme eines staatsleitenden Parlamentsvorbehaltes zugrunde, der nicht auf einen dem Parlament vorbehaltenen Entscheidungsbereich zielt, sondern auf politische Entscheidungen der Bundesregierung, die auf die Mitwirkung des Parlamentes angewiesen sind. d) Anhaltspunkte für das Zugrundelegen wesentlichkeitstheoretischer Überlegungen in den Streitkräfteentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Schon die vom Bundesverfassungsgericht gewählte Formel vom Parlamentsvorbehalt für den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte deutet auf eine Anleihe bei der Wesentlichkeitstheorie hin. Der Begriff des Parlamentsvorbehaltes ist in jüngster Zeit in sachlichem Zusammenhang mit der Wesentlichkeitstheorie überhaupt erst aufgekommen370. Im weiteren Teil der Untersuchung wird der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt in seiner durch das Bundesverfassungsgericht erfahrenen Begründung und Ausgestaltung analysiert. Die einzelnen Teilaspekte lassen erkennen, dass das Bundesverfassungsgericht dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt ein dem Wesentlichkeitsgedanken verwandtes Prinzip zugrundelegt. aa) Kompensationsgedanke in BVerfGE 104, 151 und BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008 Eine ausdrückliche Bezugnahme des Bundesverfassungsgerichts auf die Wesentlichkeitstheorie unterbleibt allerdings in allen seinen entsprechenden Entscheidungen. Ein erster, deutlicher Fingerzeig findet sich indes in seiner Entscheidung zum Neuen Strategischen Konzept der NATO. Das Gericht geht hier nicht mehr – wie noch in seinem Grundsatzjudikat – auf die explizit wehrverfassungsrechtliche und historische Grundlage des konstitutiven Parlamentvorbehaltes ein, sondern sieht die Entscheidungszuständigkeit des Parlaments vor al368
BVerfGE 89, 155 (163 f., 199 ff.) – Maastricht. Badura, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. II (2005), § 25 Rndr. 62 ff.; Scholz, in: Badura/Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht Bd. 2 (2001), S. 663 (674, 676). 370 Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. III (1988), § 62 Rndr. 9. 369
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lem als Kompensation für die schwindende Vertragsgewalt bei der dynamischen Entwicklung offener Bündnisverträge371. „(. . .) der Bundestag ist gegenüber einer – reversiblen – Veränderung der Vertragsgrundlage und damit des Zustimmungsgesetzes nicht schutzlos. Das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes stellt dem Bundestag ausreichende Instrumente für die politische Kontrolle der Bundesregierung auch im Hinblick auf die Fortentwicklung eines Systems der gegenseitigen kollektiven Sicherheit zur Verfügung. (. . .). Darüber hinaus ist wegen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts jeder Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der NATO sowohl zur kollektiven Verteidigung als auch zur Krisenreaktion von der Zustimmung des Bundestags abhängig (. . .), sodass auch im Hinblick darauf die Bundesregierung bei der Fortentwicklung des Einsatzbereichs der NATO und damit der völkervertraglichen Grundlage für Auslandseinsätze der Bundeswehr vorsorglich um die politische Unterstützung des Bundestags nachsuchen wird“ 372.
Dieser zunächst als obiter dictum formulierte Kompensationsgedanke wird durch die AWACS II-Entscheidung vom 7. Mai 2008 aufgewertet. „Nicht zuletzt aufgrund der verfassungsrechtlichen Tragweite der Integrationsermächtigung in Art. 24 Abs. 2 GG erlangt der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt erhebliches Gewicht (. . .). Wie der Senat bereits hervorgehoben hat, stellt der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt insoweit ein wesentliches Korrektiv für die Grenzen der parlamentarischen Verantwortungsübernahme im Bereich der auswärtigen Sicherheitspolitik dar (. . .). Mit der Anwendung militärischer Gewalt endet der weit bemessene Gestaltungsspielraum der Exekutive im auswärtigen Bereich. (. . .) Die funktionsgerechte Teilung der Staatsgewalt im Bereich auswärtiger Angelegenheiten (. . .) gestaltet sich im Hinblick auf Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit damit so, dass das Parlament durch seine Mitentscheidung grundlegende Verantwortung für die vertragliche Grundlage des Systems einerseits und für die Entscheidung über den konkreten Einsatz bewaffneten Streitkräfteeinsatz andererseits übernimmt (. . .)373“.
Dienten die rein deklaratorischen Parlamentsbeschlüsse im Vorfeld der Outof-area-Entscheidung vom 12. Juli 1994 noch dazu, die bereits getroffenen und auch umgesetzten Einsatzentscheidungen der Bundesregierung politisch zu bekräftigen, so haben die konstitutiven Beschlüsse nunmehr den Sinn, Regierungshandeln unmittelbar demokratisch zu legitimieren. Dieser bereits in der Grundsatzentscheidung anklingende Bezug zum Demokratieprinzip, wonach das Grundgesetz darauf angelegt sei, „die Bundeswehr nicht als Machtpotential allein der Exekutive zu überlassen, sondern als ,Parlamentsheer‘ in die demokratisch rechtsstaatliche Verfassungsordnung einzufügen (. . .)“ 374, 371
So auch Röben, ZaöRV 63 (2003), 585 (594). BVerfGE 104, 151 (208). 373 BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 68–71. 374 BVerfGE 90, 286 (382) – Hervorhebung nicht im Original; vgl. auch BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 57. 372
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt
drängt in den verfassungsrichterlichen Folgejudikaten immer mehr auf Anerkennung. Um die Exekutive bei einer Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte lediglich zu kontrollieren375, hätte es eines vorherigen, rechtsverbindlichen Parlamentsbeschlusses nicht bedurft; denn das Grundgesetz hindert schon in seiner Gesamtkonzeption weitgehend an einem Missbrauch der Streitkräfte. Insbesondere in der AWACS II-Entscheidung wird die funktionelle Bedeutung des konstitutiven Parlamentsbeschlusses über die einer rein kontrollierenden gestellt. „Der Deutsche Bundestag ist beim Einsatz bewaffneter Streitkräfte nicht lediglich in der Rolle eines nachvollziehenden, nur mittelbar lenkenden und kontrollierenden Organs, sondern er ist zur grundlegenden, konstitutiven Entscheidung berufen, ihm obliegt die Verantwortung für den bewaffneten Auslandseinsatz der Bundeswehr.“ 376
Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentvorbehalt als Kompensation für die schwindende Vertragsgewalt bei der dynamischen Entwicklung offener Bündnisverträge ist nicht nur nach vorstehend Gesagtem verfassungspolitisch zu begrüßen; denn vergleicht man das in der Maastricht-Entscheidung377 aus dem Demokratieprinzip gefolgerte hohe Legitimationsbedürfnis einer zwischenstaatlichen Einrichtung und an die Bestimmbarkeit ihres Integrationsprogramms mit dem geringen Legitimationsbedürfnis, das der Out-of-area-Beschluss und zuletzt der Tornado-Beschluss an die NATO hinsichtlich ihres Integrationsprogramms und der Neuausrichtung ihres historischen Konzepts formuliert378, wird ein Anforderungsgefälle deutlich. Eine Begründung für dieses Gefälle liefern die Judikate des Zweites Senats nicht, auch wenn die demokratische Legitimation im Bereich der Militärpolitik nicht weniger verfassungsrechtlich geboten ist als in Wirtschafts- und Währungsfragen379. bb) Parlamentarisches Beratungs- und Beschlussverfahren Inwieweit das Bundesverfassungsgericht dem demokratischen Prinzip Rechnung trägt, ist auch daraus erkenntlich, dass die parlamentarische Beschlussfassung zum Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte dem Verfahren der Gesetzgebung folgen soll.
375 Auf eine allgemeine Kontrollfunktion will Schmidt-Radefeldt, Parlamentarische Kontrolle der internationalen Streitkräfteorganisation (2005), S. 154 und 193, den Zustimmungsvorbehalt in diesem Fall beschränkt wissen und stellt ihn in eine Reihe mit parlamentarischem Budgetrecht und Wehrbeauftragtem. 376 BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 70. 377 BVerfGE 89, 155 (163 f., 199 ff.). 378 BVerfGE 90, 286 (370 f.) und 118, 244 (262 ff.). 379 So zu Recht Wieland, in: Grawert et al. (Hrsg.), Festschrift für Ernst-Wolfgang Böckenförde (1993), S. 219 (234); ähnlich Wiegandt, NJ 1996, 113 (116).
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„Der Bundestag hat über Einsätze bewaffneter Streitkräfte nach Maßgabe des Art. 42 Abs. 2 GG zu beschließen. Der Bedeutung des zu fassenden Beschlusses wird es, so es die Lage irgend erlaubt, entsprechen, dass er in den zuständigen Ausschüssen vorbereitet und im Plenum des Bundestages erörtert wird.“ 380
Zwar bleibt der Entsendebeschluss in formaler Hinsicht hinter einem förmlichen Legislativakt zurück; doch bietet auch das Verfahren der förmlichen Gesetzgebung keine stärkere demokratische Legitimation. Der konstitutive Parlamentsbeschluss gewährleistet ebenso wie das förmliche Gesetz, dass eine offene Debatte im Plenum stattfindet, in der um das Für und Wider gestritten wird. Parlamentarisches Verfahren, parlamentarische Öffentlichkeit und Diskussion sollen die sachliche Basis der Entscheidungen verbreitern, erhöhten Konsens über die Repräsentativfunktion des Parlaments gewährleisten381. Vor allem in kontrovers diskutierten Fragen erlangt parlamentarische Öffentlichkeit Bedeutung. Die Bedeutung einer öffentlichen Debatte im Vorfeld eines Streitkräfteeinsatzes stellt das Bundesverfassungsgericht jüngst in seiner AWACS II-Entscheidung vom 07. Mai 2008 ausdrücklich heraus. „Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt sichert insoweit eine adäquate Organzuständigkeit gerade auch im Hinblick auf die Beteiligung der Opposition in freier parlamentarischer Debatte und macht es damit auch der öffentlichen Meinung besser möglich, über die politische Reichweite des jeweiligen Einsatzes zu urteilen382.“
Wenn zudem oben bereits nachgezeichnet wurde, dass wesentliche Entscheidungen nicht zwingend der Gesetzesform bedürfen, gehen auch die Hinweise in der Literatur ins Leere, wonach die Wesentlichkeitstheorie als verfassungsrechtlicher Begründungansatz für den konstitutiven Parlamentsvorbehalt gewisse Schwächen aufweise383. cc) Abstufung der parlamentarischen Beteiligung Eine Affinität zur Wesentlichkeitstheorie ergibt sich auch aus den Vorschlägen des Bundesverfassungsgerichts zur verfahrensrechtlichen Ausgestaltung der parlamentarischen Beteiligungsrechte im Rahmen der Streitkräfteentsendung. „Je nach dem Anlass und den Rahmenbedingungen des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte sind unterschiedliche Formen der Mitwirkung denkbar. Insbesondere im 380 BVerfGE 90, 286 (388); ähnlich schon BVerfGE 89, 38 (47) – Somalia: „Der Bedeutung der jetzt zu treffenden Entscheidung entspräche es, wenn der vom Bundestag zu fassende Beschluss in den zuständigen Ausschüssen vorbereitet und im Plenum des Bundestages erörtert würde.“ 381 Degenhart, Staatsrecht Bd. I (2005), Rndr. 48. 382 BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 71. 383 So aber Wolfrum, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. VIII (1993), § 192 Rndr. 52; Schmidt-Radefeldt, Parlamentarische Kontrolle der internationalen Streitkräfteorganisation (2005), S. 153.
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Hinblick auf unterschiedliche Arten der Einsätze, vor allem bei solchen, die keinen Aufschub dulden oder erkennbar von geringer Bedeutung sind, empfiehlt es sich, den Zeitpunkt und die Intensität der Kontrolle des Parlaments näher zu umgrenzen. Dabei kann es angezeigt sein, im Rahmen völkerrechtlicher Verpflichtungen die parlamentarische Beteiligung nach der Regelungsdichte abzustufen, in der die Art des möglichen Einsatzes der Streitkräfte bereits durch ein vertraglich geregeltes Programm militärischer Integration vorgezeichnet ist.“ 384
Diese Aussagen zur näheren Umgrenzung der Beteiligung des Parlaments bei Streitkräfteeinsätzen, die erkennbar von geringer Bedeutung sind, lassen sich auf der Grundlage der klassischen Gewaltenteilung und der diesbezüglich starren Regelungen der Wehrverfassung dogmatisch kaum begründen385. Die nahe gelegte Abstufung der Kontrollbefugnisse des Bundestages lassen sich eher aus Wesentlichkeitsgesichtspunkten begründen. dd) Entscheidung der Regierung über konkrete Ausgestaltung eines Einsatzes bewaffneter Streitkräfte In ihrer klassischen Form verlangt die Wesentlichkeitslehre, dass die Erste Gewalt (nur) die wesentlichen Fragen selbst regelt. Die Einzelheiten können dann gegebenenfalls in Normen des untergesetzlichen Rechts enthalten sein386. Ganz ähnlich verlangt das Bundesverfassungsgericht im Bereich der Auslandseinsätze, dass das Parlament über einen militärischen Einsatz ebenfalls (nur) in seinen groben Zügen zu beschließen habe. Anschließend ist es das Recht und die Pflicht der Bundesregierung, den Streitkräfteeinsatz innerhalb des durch den parlamentarischen Zustimmungsbeschluss abgesteckten Rahmens näher auszugestalten und durchzuführen. Dies gilt, „insbesondere hinsichtlich der Entscheidung über die Modalitäten, den Umfang und die Dauer der Einsätze, die notwendige Koordination in und mit den Organen internationaler Organisationen“.387
Daher ist es sowohl nach der klassischen Wesentlichkeitslehre, als auch nach dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt beim Einsatz der Streitkräfte die Verpflichtung des Parlaments, das Wesentliche selbst zu regeln; ein Mehr wird von beiden nicht gefordert, aber auch kein Weniger. ee) Wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt als Parlamentspflicht nicht nur -recht Anders als im Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts besteht die primäre Funktion des Vorbehaltsgedankens heute nicht mehr darin, parlamentarische 384 385 386 387
BVerfGE So schon BVerfGE BVerfGE
90, 286 (390). Roellecke, Der Staat 34 (1995), 415 (424 f.). 34, 165 (192) – Förderstufe; 49, 89 (127) – Kalkar. 90, 286 (389).
C. Wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt
101
Kompetenzen vor einer Usurpation durch die Exekutive zu bewahren. Vielmehr soll das Parlament angehalten werden, die ihm verfassungsrechtlich zustehenden Kompetenzen auch tatsächlich wahrzunehmen. Anders gewendet: Während sich der Gesetzesvorbehalt in seiner rechtsstaatlichen Ausprägung gegen die Exekutive richtete, so wendet sich der demokratische Parlamentsvorbehalt fordernd an das Parlament, seine Aufgaben nicht zu vernachlässigen388. Hiernach ist es die Verpflichtung des Parlamentes das Wesentliche selbst zu regeln. Es soll im verwehrt sein aus wahl- oder machttaktischen Motivationen aus seiner Verpflichtung zu flüchten und der Exekutive seine ihm zustehenden Kompetenzen zu überantworten389. Der demokratische Parlamentsvorbehalt ist demnach der Staatsfunktionenlehre zuzuordnen und nicht – wie der klassische Vorbehalt des Gesetzes – der allgemeinen Grundrechtslehre390. Diesen allgemeinen Ausführungen entsprechend, richtet sich auch der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt fordernd an das Parlament. Die Formulierungen des Bundesverfassungsgericht legen nahe, dass es im konstitutiven Parlamentsvorbehalt nicht nur ein Recht, sondern auch und gerade eine Pflicht des Bundestages sieht391. So führte das Bundesverfassungsgericht in seinem Somalia-Eilbeschluss vom 23. Juni 1993 aus, es sei „dem Bundestag (. . .) aufgegeben, in eigener Verantwortlichkeit zu bestimmen“ 392,
inwieweit ein Entsendebeschluss der Bundesregierung verwirklicht werden darf. Indem es dem Bundestag „aufgegeben“ ist, im Bereich des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes Entscheidungen zu treffen, kann dies nur als Verpflichtung verstanden werden. Dass der Bundestag hierbei „in eigener Verantwortlichkeit“ bestimmt, ist eine entsprechende Tautologie. Deutlicher formuliert es nunmehr die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 07. Mai 2008. „Mit der Anwendung militärischer Gewalt endet der weit bemessene Gestaltungsspielraum der Exekutive im auswärtigen Bereich. Der Deutsche Bundestag ist beim Einsatz bewaffneter Streitkräfte nicht lediglich in der Rolle eines nachvollziehenden, nur mittelbar lenkenden und kontrollierenden Organs, sondern er ist zur grund-
388 Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. III (1988), § 62 Rndr. 37 f. 389 Vgl. auch Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis (1986), S. 133 ff., wonach die Wesentlichkeitslehre eine Selbstentscheidungspflicht für das Parlament begründet. 390 Zu diesem funktionell-rechtlichen Aspekt der Wesentlichkeitstheorie s. Böckenförde, NJW 1976, 2089 (2099); v. Arnim, DVBl. 1987, 1241 (1248 f.). 391 A. A. Wieland, Schriftlichen Gegenäußerung für die Bundesregierung im AWACS-II-Verfahren vom Dezember 2003; Wiefelspütz, Das Parlamentsheer (2005), S. 510. 392 BVerfGE 89, 38 (46) – Hervorhebung nicht im Original.
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt
legenden, konstitutiven Entscheidung berufen, ihm obliegt die Verantwortung für den bewaffneten Auslandseinsatz der Bundeswehr“ 393.
Es steht dem Bundestag demnach nicht frei, ob er überhaupt über den von der Regierung vorgelegten Einsatzantrag entscheidet394. ff) Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG als Leitgedanke Nicht in der konkreten Beschlussfassung, aber in Umfang und Grenzen dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt stark ähnelnd ist das ebenfalls aus dem demokratischen Prinzip gespeiste Erfordernis der Ratifizierung völkerrechtlicher Verträge395. Wie bei einem Entsendebeschluss auch, sind die Befugnisse der gesetzgebenden Körperschaften nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG auf eine Ermächtigung der Exekutive beschränkt. Völkerrechtliche Verträge kann die Bundesregierung in verfassungsrechtlich zulässiger Weise nur abschließen, wenn der Bundestag diesem Vorhaben in Gesetzesform zustimmt. In beiden Konstellationen kommt der Exekutive das alleinige Initiativrecht zu, während das Parlament die Vorlage nur in toto annehmen oder ablehnen kann. Wiederum verbleibt es auch in der Kompetenz der Bundesregierung zu entscheiden, ob sie den nunmehr vom Parlament ratifizierten Vertrag völkerrechtlich abschließt, beendet oder aufrechterhält396. Ebenso ist Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG nicht nur als Parlamentsrecht, sondern auch als -pflicht ausgestaltet. Er ist ein zwingender und nicht verzichtbarer Sondervorbehalt der Legislative397. Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt und der Ratifizierungsvorbehalt bewegen sich demnach in auffallendem Gleichklang, wie Thomas Schaefer zu Recht konstatiert398. Das Bundesverfassungsgericht sieht gar beide Institute so eng verwandt, dass es in seiner Begründung zum mangelnden parlamentarischen Initia393
BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 70. Auch dann nicht, wenn der Bundestag zuvor in einer parlamentarischen Entschließung die Bundesregierung aufgefordert hat, einen entsprechenden Kabinettsbeschluss über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte zu fassen, hierzu Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 59. 395 In seiner Kalkar-Entscheidung bezeichnet das Bundesverfassungsgericht Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG gar ausdrücklich als Ausprägung des allgemeinen Gesetzesvorbehaltes, BVerfGE 49, 89 (127). 396 „Die Bundesregierung (. . .) hat das Initiativrecht für ein Zustimmungsgesetz im Sinne des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG und bestimmt gegenüber dem Gesetzgeber den Vertragsinhalt, den dieser – sofern der Vertrag nicht Entscheidungsspielräume offen lässt – nur insgesamt billigen oder ablehnen kann. Das Zustimmungsgesetz enthält auch nur eine Ermächtigung, belässt also der Bundesregierung die Kompetenz zu entscheiden, ob sie den völkerrechtlichen Vertrag abschließt und nach seinem Abschluss völkerrechtlich beendet oder aufrechterhält.“ – BVerfGE 90, 286 (358); s. auch BVerfGE 68, 1 (85 f.). 397 BVerfGE 1, 372 (395). 398 Ders., Verfassungsrechtliche Grenzen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes (2005), S. 181 ff., 279 f. 394
C. Wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt
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tivrecht im Bereich der Bundeswehreinsätze ausdrücklich auf die in der Pershing-Entscheidung zu Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG dargelegten Grundsätze verweist399. Mit dem Ratifizierungsvorbehalt bietet das Grundgesetz ein Muster für die Verbindung exekutiver Flexibilität und demokratischer Legitimation im Bereich der auswärtigen Gewalt400. In ihm wird die funktionsgerechte Teilung der Staatsgewalt verwirklicht, indem Konkordanz zwischen dem von der Verfassung für außenpolitisches Handeln gewollten Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis und der verfassungsrechtlich notwendigen demokratischen Legitimation für staatsleitende Akte erreicht wird401. Ganz offenkundig lehnt sich das Bundesverfassungsgericht mit seiner Ausgestaltung des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts am Ratifizierungsvorbehalt nach Art. 59 Abs. 2 GG an und artikuliert somit implizit ein demokratisch-parlamentarisches Legitimationsbedürfnis für bewaffnete Auslandseinsätze. gg) Zwischenergebnis Nach allem, den abstrakt-dogmatischen Überlegungen und der Heranziehung entsprechender Auszüge aus der bundesverfassungsrichterlichen Judikatur, lässt sich die parlamentarische Mitwirkung an militärischen Auslandseinsätzen auf das Demokratieprinzip stützen402. Nach dem Bundesverfassungsgericht soll das Parlament berufen sein, eine solche gemeinwichtige Entscheidung mitzutragen, um eine Gewähr zu bieten, dass in der Öffentlichkeit eine entsprechende Diskussion stattfindet, damit die anschließende Entscheidung auf einem möglichst breiten Konsens basiert. Bei der Austarierung der Spannungen zwischen dem exekutiven Eigenbereich im Bereich der Auswärtigen Gewalt und dem vom Bundesverfassungsgericht statuierten demokratischen Legitimationsbedürfnis 399
Vgl. BVerfGE 90, 286 (389) i.V. m. BVerfGE 68, 1 (86). Schaefer, Verfassungsrechtliche Grenzen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes (2005), S. 183. 401 So wie Art. 59 Abs. 2 GG die außenpolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands gewahrt wissen möchte, muss dies im Weiteren auch als Paradigma im Bereich des konstitutiven Parlamentsvorbehaltes gelten. 402 Im Ergebnis ähnlich Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG (2003), Art. 59 Rndr. 27; di Fabio, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. III (2005), § 27 Rndr. 71 FN 152; Degenhardt, Staatsrecht Bd. I (2005), Rndr. 296; Kohnen, Die Zukunft des Gesetzesvorbehalts in der Europäischen Union (1998), S. 34 f., 41 f.; Hobe, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), GG (2001), Art. 24 Rndr. 60. Dass sich das Bundesverfassungsgericht auf die Terminologie der Wesentlichkeitsformel bezogen hat, ohne den Begriff selbst zu verwenden sehen – kritisch – auch Lerche, in: Bayerische Akademie der Wissenschaften, Sitzungsberichte 2001, S. 19 f.; Nolte, in: Ku/Jacobson (Hrsg.), Democratic Accountability and the Use of Force in International Law (2003), S. 231 (235); Epping, AöR 124 (1999), 423 (448); Kokott, DVBl. 1996, 939 (940, 944); Gusy, JA 2002, 610 (615 FN 55). 400
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt
von Einsätzen bewaffneter Streitkräfte ist auf die vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der Organadäquanz und Funktionengerechtigkeit zurückzugreifen: Sobald die Bundesregierung nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen zur verantwortungsgerechten Wahrnehmung der auswärtigen Angelegenheiten verfügt, gelangt das parlamentarische Mitwirkungsrecht beim Einsatz bewaffneter Streitkräfte an seine Grenzen. Zum Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung zu zählen sind403 • die Initiativbefugnis zum Einsatz bewaffneter Streitkräfte; hierzu gehört auch die Willensbildung innerhalb der Regierung404, • die materielle Planungsbefugnis hinsichtlich des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte, • die operative Durchführung des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte, • die exekutivische Notkompetenz bei Gefahr im Verzug. Bei der Entsendung deutscher Streitkräfte wirken Bundestag und Bundesregierung demnach entsprechend ihren spezifischen Funktionen mit, aber doch in verfassungsrechtlich unterschiedenem und unterscheidungsbedürftigem Maß405.
IV. Zur dogmatischen Einordnung des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsbeschlusses 1. Verfassungsrechtliches Novum Anders als in den meisten Verfassungen der Bündnispartner ist die nach dem Grundgesetz erforderliche Zustimmung für die Rechtmäßigkeit des Einsatzes deutscher Streitkräfte nicht nur deklaratorisch, sondern konstitutiv406. Der parlamentarische Zustimmungsakt ist zwischen rechtlich unverbindlichen Parlamentsentschließungen auf der einen und Gesetzesbeschlüssen auf der anderen Seite einzuordnen407. Bis zum Out-of-area-Urteil ging die Lehre davon aus, dass das Parlament außer in Fällen, die das Grundgesetz ausdrücklich vorsieht408, keine 403
Vgl. BVerfGE 90, 286 (388 f.). Vgl. BVerfGE 67, 100 (139) – Flick. 405 Vgl. allgemein zum institutionellen Zusammenwirken im Bereich der Staatsleitung Graf Vitzthum, Parlament und Planung (1978), S. 259 ff. 406 Rechtsvergleichende Darstellungen bei Nolte/Krieger, Europäische Wehrrechtssysteme (2003); Ku/Jacobson (Hrsg.), Democratic Accountability and the Use of Force in International Law (2003); Schmidt-Radefeldt, Parlamentarische Kontrolle der internationalen Streitkräfteorganisation (2005), S. 145 ff.; Koch, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz (2006), S. 38 ff. 407 Dau, NZWehrr 1998, 89 (98). Fehl gehen sowohl Sachs, JuS 1995, 163 (166), als auch Günther, in: Thiel (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie (2003) S. 328 (341). Ersterer meint die Zustimmung ergehe in Form eines schlichten Parlamentsbeschlusses, 404
C. Wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt
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für andere Organe oder Bürger rechtsverbindlichen Beschlüsse fassen kann. Schlichte Parlamentsbeschlüsse stellen lediglich eine Möglichkeit der zulässigen Ausübung politischen Drucks dar409. Der konstitutive Parlamentsbeschluss410 als Akt mit Außenwirkung und Verbindlichkeit411, ist ein Novum in der deutschen Verfassungsgeschichte. Das Spektrum parlamentarischer Handlungs- und Zustimmungsmöglichkeiten erfuhr eine bedeutende Erweiterung. Die klassischen Parlamentsinstrumente – formelles Gesetz, durch die Verfassung ausdrücklich mit Rechtskraft versehener Beschluss sowie schlichter Beschluss – wurden erweitert. Mit der Schaffung des konstitutiven Parlamentsbeschlusses hat das Bundesverfassungsgericht seine Wesentlichkeitsrechtsprechung um eine neues Instrument parlamentarischer Zustimmungsmöglichkeiten ergänzt: Tangiert ein staatlicher Hoheitsakt Wesentliches im nicht-grundrechtsrelevanten Bereich entfällt der Vorbehalt des Gesetzes als ein Konstituens der Wesentlichkeitstheorie; dem demokratischen Konstituens ist durch einen konstitutiven Parlamentsbeschluss genügt. Er kann die Legitimationsfunktion des formellen Gesetzes insoweit übernehmen und stärkt gleichzeitig die Mittelpunktsfunktion412, die das Parlament im parlamentarischen Regierungssystem des Grundgesetzes einnimmt 413. letzterer bezeichnet den Beschlussantrag der Bundesregierung als „eingebrachte Gesetzesvorlage über den Einsatz“. 408 In diesem Zusammenhang interessierende Beispiele sind die Feststellung bzw. Aufhebung des Spannungs- oder des Verteidigungsfalls (Art. 80a Abs. 1, 115 Abs. 1, 115 l Abs. 2 GG) sowie die Einstellung des Bundeswehreinsatzes im Innern (Art. 87a Abs. 4 Satz 2 GG). Eine Fortentwicklung des Instituts der Parlamentsbeschlüsse bildet auch Art 23 Abs. 3 GG i.V. m. § 5 des Gesetzes über die Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung und dem Deutschen Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG). Dieser Fall weist die Besonderheit auf, dass die Bundesregierung rechtlich verpflichtet ist, die Stellungnahme des Bundestages zu „berücksichtigen“ (Art. 23 Abs. 3 S. 2 GG) bzw. sie ihren Verhandlungen zu Grunde zu legen (§ 5 S. 3 EUZBBG); zur Differenz im Wortlaut beider Vorschriften siehe Scholz, in: Maunz/Dürig et al. (Hrsg.), GG (Stand 1996), Art. 23 Rndr. 116; Möller/Limpert, ZParl 1993, 21 (28 f.). 409 Eine explizite Norm, die eine allgemeine Zulässigkeit von schlichten Parlamentsbeschlüssen begründet, lässt sich dem Grundgesetz nicht entnehmen. Nach Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. IV (1990), § 98 Rndr. 195 könne sich das rein Politische jedoch – da unverbindlich – kompetenzfrei entfalten; zum Streitstand siehe Boewe, Die parlamentarische Befassungskompetenz (2001), S. 15 ff. Von der Mehrheit wird auch die Zulässigkeit von schlichten Parlamentsbeschlüssen zu außenpolitischen Fragen bejaht, vgl. nur Jarass, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.), GG (2004), Art. 59 Rndr. 8. Der Begriff des schlichen Parlamentsbeschlusses wurde von Richard Thoma geprägt, vgl. ders., in: Anschütz/Thoma, Handbuch des deutschen Staatsrechts Bd. II (1932), S. 221. 410 Die Begriff wurde eingeführt von Limpert, in: Häberle/Graf Vitzthum/Schwarze (Hrsg.), Der Staat als Teil und als Ganzes (1998), S. 52. 411 Nach Scholz, Referat, DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 2 (3) ein quasi-exekutiver Akt. 412 Zur zentralen rechtlichen Stellung des Bundestages in der staatlichen Organisation s. Graf Vitzthum, Parlament und Planung (1978), S. 260 f.
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt
Das Bundesverfassungsgericht hat mit der Out-of-area-Entscheidung gleichsam die Reichweite des Parlaments auf (außen-)politisch bedeutsame Angelegenheiten faktisch ausgedehnt. Auch wenn der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt damit die Mitwirkung des Bundestages an der politischen Leitungsgewalt des Staates fundiert, handelt es sich letztlich nicht um eine gleichberechtigte Mitwirkung des Bundestages. Dem Bundestag steht kein Initiativrecht zu; weder kann er die Bundesregierung zu einem Einsatz verpflichten, noch obliegt ihm Verantwortung für dessen operative Durchführung. Im Bereich des Militärischen gibt es kein Kondominium414. An der Vorrangstellung der Exekutive muss vielmehr festgehalten werden. 2. Wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsbeschluss als Bundesrecht i. S. von Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG Um die rechtsdogmatische Struktur des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsbeschlusses besser erfassen zu können, hilft auch die Fragestellung weiter, ob ein konstitutiver Parlamentsbeschluss tauglicher Verfahrensgegenstand einer abstrakten Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG sein kann. Dann müsste es sich bei dem konstitutiven Zustimmungsbeschluss um „Bundesrecht“ handeln (Landesrecht scheidet a priori aus). Diese Frage ist ungeklärt und findet in der Wissenschaft bislang kein Interesse. Einzige Ausnahme bilden insoweit Christian Fischer und Andreas Fischer-Lescano415. Im nachfolgenden Teil der Untersuchung wird ein formell ordnungsgemäßes Zustandekommen des Beschlusses unterstellt. Das abstrakte Normenkontrollverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG ist ein objektives Verfahren, in dem Bundes- oder Landesrecht auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin überprüft werden. Dabei wird nicht um organschaftliche Rechte und Kompetenzen gerungen – wie im kontradiktorischen Organstreit –, sondern der Vorrang der Verfassung durchgesetzt416. Bezeichnenderweise kennt die Normenkontrolle dann auch nur einen Antragsteller, keinen Antragsgegner. Antragsberechtigt sind die Bundesregierung, eine Landesregierung oder ein Drittel der Mitglieder des Bundestages, Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG. Zulässiger Verfahrensgegenstand kann nur Bundes- oder Landesrecht sein. Zunächst wird unter „Bundesrecht“ jede geltende Rechtsnorm der bundes413 Limpert, in: Häberle/Graf Vitzthum/Schwarze (Hrsg.), Der Staat als Teil und als Ganzes (1998), S. 53; ders., Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 108. 414 So aber Scholz, Referat, DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 2 (3); Pofalla, ZRP 2004, 221 (222). 415 Fischer/Fischer-Lescano, KritV 2002, 113 (139 ff.). 416 BVerfGE 2, 213 (217); 20, 350 (351); 52, 63 (80); 103, 111 (124); Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG Bd. III (2000), Art. 93 Rndr. 54; E. Klein, in: Benda/Klein (Hrsg.), Verfassungsprozessrecht (2001), § 22 Rndr. 718.
C. Wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt
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deutschen Rechtsordnung unabhängig von ihrer Rangstufe subsumiert417. Mit dem Rückgriff auf den Term der Rechtsnorm sind alle abstrakt-generellen Regelungen erfasst. Als „Bundesrecht“ anerkannt sind grundgesetzändernde Normen418, formelle und materielle Gesetze, nur formelle Gesetze419, Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen Verträgen420, Geschäftsordnungen der Bundesorgane421, autonome Satzungen422 aber auch gesetzliche Organisationsakte wie Stiftungsgründungen423 oder die Errichtung einer Bundesbehörde424. Ein wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsbeschluss zu einem von der Bundesregierung beabsichtigten Einsatz bewaffneter Streitkräfte ist indes keine abstrakt-generelle Regelung, sondern lediglich ein in einem Einzelfall ausgeübter Zustimmungsvorbehalt. Er ergeht auch nicht in Gesetzesform. Gleichwohl erscheint eine Einordnung als Bundesrecht nicht von vornherein ausgeschlossen425. Denn der Ausdruck „Bundesrecht“ soll den Gegenstand einer abstrakten Normenkontrolle möglichst umfassend bezeichnen426. Dementsprechend verlangt der Wortlaut des Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG nicht nach Bundesgesetzen. Wenn die mehrheitliche Literatur den Begriff des „Bundesrechts“ mit Rechtsnormen gleichsetzt, ist dies grammatikalisch verkürzt. Gleichsam findet sich im Grundgesetz der Begriff der abstrakten Normenkontrolle nicht. Vielmehr wurde dieser im Regelfall passende Begriff in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts von Ernst Friesenhahn eingeführt427. Entsprechend hat das das Bundesverfassungsgericht dann auch in seiner Rundfunkstaatsvertrag-Entscheidung vom 22. Februar 1994 festgestellt, dass Parlamentsbeschlüsse, die an Stelle eines Gesetzes treten und daher funktionsgleich sind, Gegenstand einer abstrakten Normenkontrolle sein können428. Konkreter Verfahrensgegenstand bildete die Zustimmung des bayerischen Landtages zum Rundfunkstaatsvertrag in Form eines Parlamentsbeschlusses. Nach Art. 72 Abs. 2 BayVerf. substituiert ein vorheriger 417 E. Klein, in: Benda/Klein (Hrsg.), Verfassungsprozessrecht (2001), § 22 Rndr. 718; Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht (2007), Rndr. 126 f. 418 BVerfGE 30, 1 – Abhörentscheidung. Das Bundesverfassungsgericht hält „verfassungswidriges Verfassungsrecht“ zumindest theoretisch für möglich, BVerfGE 1, 14 (32 f.). 419 BVerfGE 38, 121 (127); 79, 311 (326 f.). 420 BVerfGE 36, 1 – Grundlagenvertrag. 421 BVerfGE 1, 144 (148). 422 Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG Bd. III (2000), Art. 93 Rndr. 57; Rozek, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu et al. (Hrsg.), BVerfGG (Stand 2001), § 76 Rndr. 32. 423 BVerfGE 10, 20 (35) – Preußischer Kulturbesitz. 424 BVerfGE 14, 197 (209). 425 A. A. Fink, JZ 1999, 1016 (1018). 426 BVerfGE 1, 396 (410); 2, 307 (312); 4, 157 (162); 20, 56 (89) – st. Rspr. 427 Ders., in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), Handbuch des deutschen Staatsrechts Bd. II (1932), S. 523 (526). 428 BVerfGE 90, 60 (84 ff.).
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt
Parlamentsbeschluss die gesetzliche Zustimmung zu Staatsverträgen429. Eine solche Regelung ist im Hinblick auf den Vorbehalt des Gesetzes mit dem Homogenitätsprinzip des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG vereinbar430, führt aber nicht zum Ausschluss einer bundesverfassungsgerichtlichen Überprüfung eines in Landesrecht transformierten Staatsvertrages. In der Literatur findet der gerichtliche Ansatz, funktionell gesetzesersetzende Parlamentsbeschlüsse zum tauglichen Gegenstand einer abstrakten Normenkontrolle zu erklären, allgemeine Zustimmung431. Eine Weiterentwicklung dieser funktionellen, von formalen Aspekten unabhängigen Begriffsbestimmung des „Bundesrechts“ kann dazu führen, auch den konstitutiven Parlamentsbeschluss als umfasst zu sehen. Zwar ersetzt der konstitutive Parlamentsbeschluss nicht in gleicher Weise ein formelles Gesetz wie der Beschluss nach Art. 72 Abs. 2 BayVerf.432, doch substituiert er die Wesentlichkeitsfunktion des formellen Gesetzes im nicht-grundrechtsrelevanten Bereich. Ähnlich einem Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG – das unbestritten ein tauglicher Verfahrensgegenstand einer abstrakten Normenkontrolle sei kann – legitimiert er in rechtsverbindlicher Weise exekutives Handeln. Dem steht auch die herrschende Auffassung in der Literatur nicht entgegen, wonach schlichte Parlamentsbeschlüsse kein „Bundesrecht“ darstellen433; der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsbeschluss ist kein schlichter und auch kein Kreationsbeschluss des Bundestages. Auch ein Blick in die ältere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lässt offenbar werden, dass der Weg, im wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsbeschluss justiziables „Bundesrecht“ zu sehen, durchaus gangbar ist. Im ersten Parteienfinanzierungsjudikat vom 19. Juni 1966 wurde das Bundeshaushaltsge429 Entsprechende – von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG abweichende – Regelungen finden sich auf Länderebene mehrfach; vgl. Art. 50 Satz 2 BWVerf.; Art. 91 Abs. 2 BbgVerf.; Art. 43 Satz 3 HambVerf.; Art. 103 Abs. 2 HessVerf.; Art. 47 Abs. 2 MVVerf.; Art. 35 Abs. 2 NdsVerf.; Art. 66 NWVerf.; Art. 65 Abs. 2 SächsVerf.; Art. 69 Abs. 2 LSA Verf.; Art. 30 Abs. 2 Satz 2 SchlHVerf.; Art. 77 Abs. 2 ThürVerf. 430 BVerfGE 90, 60 (84 f.). 431 Vgl. Rozek, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu et al. (Hrsg.), BVerfGG (Stand 2001), § 76 Rndr. 30; Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht (2007), Rndr. 127; Voßkuhle, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG Bd. III (2005), Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 Rndr. 121; Butzer, AöR 119 (1994), 61 (101 FN 159). 432 Hieran lassen Fischer/Fischer-Lescano, KritV 2002, 113 (142) die Einstufung als Bundesrecht (zunächst) scheitern, ohne auf die Möglichkeiten des Fortschreibens des funktionellen Ansatzes einzugehen. 433 Vgl. nur Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht (2007), Rndr. 127; Löwer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. III (2005), § 70 Rndr. 63; Für die fehlende Justiziabilität schlichter Parlamentsbeschlüsse wird in der älteren Literatur [vgl. die Nachweise bei Schmelter, Rechtsschutz gegen nicht zur Rechtssetzung gehörende Akte der Legislative (1977), S. 60 ff.], zumeist die Lehre vom justizfreien Hoheitsakt herangezogen. Diese im Staatsrecht der konstitutionellen Monarchie wurzelnde Figur wirkt im heutigen Verfassungsstaat fremdartig.
C. Wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt
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setz von 1965 auf seine Vereinbarkeit mit der Verfassung geprüft434. In der Literatur wird diese Entscheidung zumeist als Beleg dafür angeführt, dass auch nur formelle Gesetze im abstrakten Normenkontrollverfahren überprüfbar sind435. Indes sprechen die Formulierungen des Bundesverfassungsgerichts gegen eine derart verkürzte Interpretation. Dem Bundesverfassungsgericht kam es nicht auf eine Differenzierung zwischen Gesetzen im formellen oder materiellen Sinn an: „Dabei kann dahingestellt bleiben, ob solche ermächtigenden Vorschriften Wirkungen nur im Verhältnis zwischen Parlament und Regierung entfalten und ob sie auch heute noch als Gesetz im nur formellen Sinn oder als materielle Rechtssätze anzusehen sind. Jedenfalls enthalten sie Recht im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG.“ 436
Zuvor nahm das Urteil in allgemeinen Formulierungen Abstand von der Labandschen Unterscheidung zwischen Gesetzen im (nur) formellen und im materiellen Sinn437. Stattdessen stellte es darauf ab, dass das Haushaltsgesetz als Ermächtigung „Befugnisse und Verantwortlichkeiten im organschaftlichen Rechtskreis“ schafft, die ansonsten „nicht oder jedenfalls nicht in dieser Weise bestünden“ 438. Als „aus sich heraus verständlicher Rechtssatz“ könne das Haushaltsgesetz auf seine Vereinbarkeit mit den höherrangigen Normen des Grundgesetzes geprüft werden439. Diese Merkmale des Haushaltsgesetzes weist auch die Entscheidung des Bundestages über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte auf440. Ohne einen vorherigen konstitutiven Parlamentsbeschluss einzuholen, ist es der Bundesregierung durch das Grundgesetz untersagt, Bundeswehrsoldaten ins Ausland zu entsenden und dort auch einzusetzen. Ein positiver Zustimmungsbeschluss hat einen exekutiven Befugniszuwachs zur Folge. Gleichzeitig wird die Bundesregierung mit der operativen Durchführung des Auslandseinsatzes betraut. Der konstitutive Parlamentsbeschluss zeitigt daher sowohl Befugnisse als auch Verantwortungen im organschaftlichen Rechtskreis. Die beiden in den Beschlüssen zum Rundfunkstaatsvertrag und zur Parteienfinanzierung enthaltenen Argumentationslinien zur Konkretisierung des Begriffs des „Bundesrechts“ verstärken sich im Bereich des wehrverfassungsrechtlichen
434 BVerfGE 20, 56 (92). Strittig waren haushaltsrechtlicher Bewilligungen. § 1 des Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplanes 1965 wurde auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüft, soweit er den Bundesinnenminister ermächtigte, Haushaltsmittel nach einem bestimmten, im Einzelplan ausgewiesenen Titel auszugeben. 435 Vgl. Löwer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. III (2005), § 70 Rndr. 63. 436 BVerfGE 20, 56 (92). 437 BVerfGE 20, 56 (91 f.). 438 BVerfGE 20, 56 (91); vgl. auch BVerfGE 79, 311 (326). 439 BVerfGE 20, 56 (92). 440 Ebenso Fischer/Fischer-Lescano, KritV 2002, 113 (142).
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt
Parlamentsbeschlusses gegenseitig. Sie führen zu dem Ergebnis, dass ein Einsatzbeschluss des Bundestages im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle überprüfbar ist.
V. Zusammenfassung Durch die Kreation des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsbeschlusses hat das Bundesverfassungsgericht seine Wesentlichkeitsrechtsprechung um eine neue Kategorie parlamentarischer Zustimmungsmöglichkeiten ergänzt441. Dieses neue Instrument stellt einen innovativen und ausbaufähigen Mechanismus dar, um die Lücke zwischen internationaler Verflechtung und demokratisch-parlamentarischer Legitimation zu schließen442. Im Ergebnis hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassung nicht ausgelegt, sondern fortgebildet443. Es greift zu kurz wenn man meint, das Bundesverfassungsgericht hätte das Grundgesetz lediglich interpretiert; zu weit geht aber die Meinung, wonach das Bundesverfassungsgericht das Grundgesetz kurzerhand geändert habe444. Vielfach wird auch konstatiert, dass der Karlsruher Richterspruch vom 12. Juli 1994 eine seit der Entscheidung zum Maastricht-Vertrag445 eingeleitete Tendenz zur Parlamentarisierung der auswärtigen Gewalt verfestigt habe446. Die traditionell parla441 Limpert, in: Häberle/Graf Vitzthum/Schwarze (Hrsg.), Der Staat als Teil und als Ganzes (1998), S. 53; ders., Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 108. 442 Vgl. Wolfrum, VVDStRL 56 (1996), S. 38 (63). Die Vorteile eines bindenden Beschlusses de lege ferenda auch im Auswärtigen Bereich skizzierte anlässlich der Auseindersetzungen um die Pershing-Stationierung bereits Bryde, Jura 1986, 363 (368). 443 Nach Bothe hat das Bundesverfassungsgericht „eine deutliche rechtsschöpferische Leistung zugunsten des Parlaments vollbracht“, ders., in: Beyerlin (Hrsg.), Festschrift für Rudolf Bernhardt (1993), S. 755 (772); König, GYIL 1995, 103 (125) meint der konstitutive Parlamentsvorbehalt sei „more a result of a progressive development of the constitution than of its interpretation“. Scholz meint beim Parlamentsvorbehalt handele es sich „mehr um Verfassungsschöpfung qua Richterrecht als um Verfassungsauslegung“ [Referat, DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 2 f.] und um „relativ freie oder eigenständige Rechtsetzungen“, ders., in: Burmeister et al. (Hrsg.), Festschrift für Klaus Stern (1997), S. 1201 (1209). 444 So vor allem Roellecke, Der Staat 34 (1995), 415 (417, 427); Badura, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. II (2004), § 25 Rndr. 64; Nach Randelzhofer, in: Hanns-Seidel-Stiftung (Hrsg.), Politische Studien Sonderheft 1, 1996, S. 31 (40) kann man den geforderten Parlamentsbeschluss, „nur als eine Erfindung des Gerichts bezeichnen, eine Erfindung, die im Grundgesetz keine Stütze findet, wie jeder Satz der entsprechenden Begründung durch das Bundesverfassungsgericht zeigt“. 445 Im Hinblick auf die Entscheidung zum Maastricht-Vertrag [BVerfGE 89, 155 (163 f., 199 ff.)] wurde von einem Parlamentsvorbehalt des Verfassungsrechts bzw. einem Zustimmungsvorbehalt zugunsten des Bundestages gesprochen, vgl. P. Kirchhof, in: ders. et al. (Hrsg.), Festschrift für Franz Klein (1994), S. 61 (72 f., 82 f.). 446 Vgl. Kokott, DVBl. 1996, 937 (937 f., 944 f.); Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 54 ff.; Bothe, in: Beyerlin (Hrsg.), Festschrift für Rudolf Bernhardt (1993), S.755 ff. unterscheidet zwischen der Periode des Aufbaus einer Macht-
C. Wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt
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mentsfreie, außenpolitische Prärogative der Exekutive sei durch das das Out-ofarea-Urteil geändert worden. Ob das Judikat tatsächlich eine neue parlamentsfreundlichere Tendenz zur auswärtigen Gewalt aufweist, erscheint bei genauerem Hinsehen jedoch fraglich. In seinen Entscheidungen bemüht sich das Gericht sichtlich, den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt nicht aus dem Kompetenzgefüge der auswärtigen Gewalt herzuleiten; offenkundig versucht es dem Eindruck einer Parlamentarisierung der auswärtigen Gewalt gerade entgegenzuwirken447. Die durch das Bundesverfassungsgericht vorgenommene analytische Trennung von „Wehrgewalt“ und „auswärtiger Gewalt“ lässt keine Rückschlüsse auf die Konstituierung der auswärtigen Gewalt zu448. Gegen die These der Verfestigung einer vermeintlich parlamentsfreundlicheren Tendenz spricht weiterhin die verfassungsrichterliche Stellungnahme zu einem anderen Streitpunkt des Out-of-area-Verfahrens. So war ebenfalls umstritten, ob die Erweiterung des Aufgabenspektrums der NATO und der WEU – beide von ihrer historischen Konzeption her als Verteidigungsbündnisse ausgestaltet – entscheidend über die entsprechenden Zustimmungsgesetze von 1955 hinausreicht und daher eines neuen parlamentarischen Legislativakt nach Art. 59 Abs. 2 GG bedurft hätte. Das Gericht war in dieser Frage der Befugnisse des Parlaments in auswärtigen Angelegenheiten 4:4 gespalten. Daher konnte es nicht feststellen, dass verfassungsmäßige Rechte des Parlaments verletzt sind. Die das Urteil tragenden vier Richter beschränkten das Zustimmungserfordernis nach Art. 59 Abs. 2 GG auf völkerrechtliche Verträge und ihre förmliche Änderung449. An dieser restriktiven Rechtsprechung hielt das Bundesverfassungsgericht in den Entscheidung zum Neuen Strategischen Konzept der NATO450 und zum Tornadoeinsatz über Afghanistan fest451. War die Richterbank 1994 noch 4:4 gespalten, ergingen die Folgejudikate einstimmig. Die auswärtige Gewalt bleibt in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung daher auch weiterhin eine Domäne der Regierung. Der vermeintliche Trend zur Parlamentarisierung der Außenpolitik ist zudem weder durchgängig, noch frei von Brüchen. Selbst im Geltungsbeposition des Bundesverfassungsgerichts in außenpolitischen Fragen (1951–1970), der aktivistisch-nationalen Periode (1972–1975), dem großen Rückzug – Außenpolitik als Reserve der Exekutive (1979–1991) und schließlich der Reparlamentarisierung und Renationalisierung (ab 1993). 447 Kadelbach/Guntermann, AöR 126 (2001), 563 (573). 448 Hitzel-Cassagnes, KJ 2000, 63 (82); Fischer/Fischer-Lescano, KritV 2002, 113 (129). 449 BVerfGE 90, 286 (357 ff.). Nach Auffassung der unterliegenden Richter löse auch die authentische (Neu-)Interpretation wesentlicher Vertragsinhalte ohne einen völkerrechtlichen Änderungsvertrag das Zustimmungserfordernis nach Art. 59 Abs. 2 GG aus. Die Mitwirkungsrechte des Parlaments seien unmittelbar gefährdet, wenn Vertragsinhalte außerhalb der traditionellen Verfahrensweisen verbindlich modifiziert würden, vgl. BVerfGE 90, 286 (372 ff.). 450 BVerfGE 104, 151 (205 ff.). 451 BVerfGE 118, 244 (263 ff.).
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1. Kap.: Einsatz bewaffneter Streitkräfte und Parlamentsvorbehalt
reich des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts bleibt es bei einem Kompetenzübergewicht der Regierung. Der Exekutive alleine steht die Befugnis zu, die Initiative für einen Auslandseinsatz der Bundeswehr zu ergreifen. Der Bundestag kann die Bundesregierung nicht zu einem Einsatz verpflichten. Freilich ist der geplante Einsatz erst rechtmäßig, wenn der Bundestag konstitutiv zustimmt452. Im Weiteren obliegt der Bundesregierung dann die operative Führung des Einsatzes, wobei es dem Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis und Verantwortlichkeit zuzurechnen ist, ob und inwieweit sie die Zustimmung des Bundestages ausschöpft. Die operative Führung der Streitkräfte kann funktionsgerecht und organadäquat nicht durch das Parlament erfolgen453. Der Bundestag soll keineswegs Feldherr werden. Das Recht des Parlaments ist also von vornherein auf einen Zustimmungsvorbehalt zu einem bestimmten exekutivischen Handeln beschränkt. Dieses punktuelle parlamentarische Zugriffsrecht findet seine Grenzen in den Grundsätzen der Organadäquanz und Funktionengerechtigkeit454, so dass der Exekutive ein eigener, ungleich weiter gezogener Handlungsspielraum verbleibt. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht vom „Parlamentsheer“ spricht, ändert dies nichts am Kompetenzübergewicht der Exekutive auch im Bereich der Einsätze bewaffneter Streitkräfte455. Von einem Kondominium auszugehen, ginge daher deutlich zu weit; den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt lediglich auf ein allgemeines Kontrollinstrument im Bereich der auswärtigen Gewalt zu reduzieren456, hieße indes im Gegenzug, die tatsächliche Mitgestaltung der auswärtigen Gewalt zu verkennen. Zielgenauer ist es, den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes als prägnante Ausprägung des richterrechtlich geschaffenen kooperativen Parlamentarismus hervorzuheben. Abschließend sei noch einmal die politische Wirkmächtigkeit der Grundsatzentscheidung vom 12. Juli 1994 hervorgehoben. Zuvor hatte sich die deutsche Außenpolitik in der Out-of-area-Frage im selbstgefertigten Netz ihrer Verfassungsargumente hoffnungslos verfangen. Es war das Bundesverfassungsgericht, das die Außenpolitik befreite und ihr Verantwortung wiedergab457. Inhaltlich wurde die Wehrverfassung von einem Interpretationsnetz befreit, das „eine traumatisierte Nachkriegsgesellschaft über sie gelegt hatte“ 458. Nicht weniger ver452
Vgl. Wiefelspütz, Das Parlamentsheer (2005), S. 197. Lorz, Interorganrespekt im Verfassungsrecht (2001), S. 375; Wiefelspütz, Das Parlamentsheer (2005), S. 197. 454 Lorz, Interorganrespekt im Verfassungsrecht (2001), S. 342; Schaefer, Verfassungsrechtliche Grenzen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes (2005), S. 182. 455 Biermann, ZParl 2004, 607 (619 f.). 456 So aber Schmidt-Radefeldt, Parlamentarische Kontrolle der internationalen Streitkräfteorganisation (2005), S. 154. 457 So Isensee, JZ 1996, 1085 (1088), vgl. auch Heun, JZ 1994, 1073 (1074). 458 Depenheuer, DVBl. 1997, 686 (686). 453
C. Wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt
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dienstvoll ist die friedensstiftende Wirkung für den innenpolitischen Bereich. Der vom Bundesverfassungsgericht judizierte Kompromiss ist sorgfältig ausbalanciert: Die Regierung bekam die materielle Verfassungsmäßigkeit der bisherigen Out-of-area-Einsätze bestätigt, die Opposition bzw. der Bundestag das Recht auf konstitutive Mitwirkung im Entscheidungsverfahren459. Weil auch die einschlägigen Verfassungsänderungsvorschläge Anfang der 1990er Jahre jeweils eine parlamentarische Beteiligung vorgesehen haben460, hat der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt in der Folge auch einen breiten politischen Rückhalt gefunden. Klugerweise vermeidet das Bundesverfassungsgericht die problematische Unterscheidung zwischen praktisch immer weniger trennbaren Einsatzformen. Wenn zudem das Bundesverfassungsgericht dem Parlament nicht nur das Recht zugesteht, sondern gerade die Pflicht auferlegt, über Bundeswehrmissionen zu entscheiden, profitiert hiervon auch die Bundesregierung. Denn nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG sind die Abgeordneten des deutschen Bundestages Vertreter des ganzen Volkes und müssen Entscheidungen, die sie treffen, gegenüber der Gesellschaft insgesamt, gegenüber den Soldaten und auch gegenüber ihrem eigenen Gewissen verantworten. Die eigene Verantwortlichkeit des Parlaments und die individuelle Verantwortung des einzelnen Abgeordneten entlasten daher die Bundesregierung von der Alleinverantwortung für die Folgen eventueller Fehlentscheidungen im Bereich der Auslandseinsätze461.
459
Vgl. Biermann, ZParl 2004, 607 (614). Zu den einzelnen Initiativen ausführlich März, Bundeswehr in Somalia (1993), S. 80 ff. 461 Meyer, HSFK-Reports 4/2004, S. 16; ähnlich König, GYIL 1995, 103 (125), wonach ein Auslandseinsatz „needs the political backing of the majority of Parliament, which is especially important if there are casualties“. 460
Zweites Kapitel
Staatspraxis in Folge der Out-of-area-Entscheidung und Umsetzungsmöglichkeiten einer Verfahrensregelung A. Bundesverfassungsgerichtliche Verfahrensvorgaben zur Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte Die verfassungsrichterlich geforderte parlamentarische Mitwirkung an Auslandsentsendungen der Bundeswehr evoziert naturgemäß staatspraktische Herausforderungen. Um diese zu verdeutlichen und die sich hieraus ergebenden Ansprüche an das Parlamentsbeteiligungsgesetz sichtbar zu machen, sollen zunächst entsprechende Probleme aus der Staatspraxis skizziert werden. Es wird sich zeigen, dass problematische Fallkonstellationen nicht nur aus den bundesverfassungsgerichtlichen Anforderungen, sondern auch aus dem politischen Kräftespiel zwischen Bundesregierung und Parlament (Opposition) herrühren. Zum konkreten Ablauf des parlamentarischen Beratungs- und Beschlussverfahren bei zur Entscheidung anstehenden Auslandseinsätzen hat das Bundesverfassungsgericht lediglich festgelegt: „Der Bundestag hat über Einsätze bewaffneter Streitkräfte nach Maßgabe des Art. 42 Abs. 2 GG zu beschließen. Der Bedeutung des zu fassenden Beschlusses wird es, so es die Lage irgend erlaubt, entsprechen, dass er in den zuständigen Ausschüssen vorbereitet und im Plenum des Bundestages erörtert wird.“ 1
Auch zum notwendigen Inhalt einer an den Bundestag gerichteten Entsendevorlage der Regierung schweigt sich Karlsruhe weitgehend aus, betont jedoch an anderen Stellen: „Ein Mitentscheidungsrecht über die Einsatzmodalitäten steht dem Bundestag indes unter keinem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt zu.“ 2 „Der der Regierung von der Verfassung für außenpolitisches Handeln gewährte Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis und Verantwortlichkeit wird durch den Parlamentsvorbehalt nicht berührt. Das gilt insbesondere hinsichtlich der Entscheidung über die Modalitäten, den Umfang und die Dauer der Einsätze, die notwendige Koordination in und mit Organen internationaler Organisationen.“ 3
1 2 3
BVerfGE 90, 286 (388). BVerfGE 90, 286 (338). BVerfGE 90, 286 (389).
A. Bundesverfassungsgerichtliche Verfahrensvorgaben
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Alsbald nach der Grundsatzentscheidung vom 12. Juli 1994 stellten Politik und Rechtswissenschaft erste Überlegungen an, wie ein entsprechendes Verfahrensgesetz aussehen könnte. Diese frühen Initiativen erzeugten aber keine gesetzgeberische Dynamik und verpufften weitgehend. Es blieb einer allmählich wachsenden Staatspraxis überlassen, die Parameter des Entsendeverfahrens auszugestalten4. Die Praxis des parlamentarischen Zustimmungsverfahrens wurde mangels anderer Regelungen dem Gesetzgebungsverfahren entlehnt, insbesondere den entsprechenden Vorgaben der Geschäftsordnung des Bundestages5. Diese Verfahrenspraxis ist vom Bundesverfassungsgericht indes nicht vorgegeben; insbesondere ist ein Zustimmungsbeschluss kein Gesetz. Dennoch wird ein Regierungsantrag auf Zustimmung zu einem bewaffneten Streitkräfteeinsatz als Vorlage i. S. des § 75 Abs. 1 GOBT angesehen. Gemäß § 78 Abs. 2 Satz 3 GOBT gelten für solche Anträge sinngemäß die Vorschriften über die Beratung von Gesetzentwürfen.
I. Bislang ergangene konstitutive Bundestagsbeschlüsse Nach der Grundsatzentscheidung vom 12. Juli 1994 hat der Bundestag ohne eine entsprechende Verfahrensregelung bis zum Inkrafttreten des Parlamentsbeteiligungsgesetzes am 24. März 20056 insgesamt 39 konstitutive Beschlüsse über den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte gefasst. Die Bundesregierung holte bis Ablauf der 12. Legislaturperiode (1990–1994) noch in zwei Fällen die parlamentarische Zustimmung des Bundestages ein7, nachdem erstmals in der UNOSOM II-Eilentscheidung vom 23. Juni 1993 ein konstitutiver Parlamentsbeschluss von Karlsruhe verlangt wurde8. Während das Parlament in der 13. Legislaturperiode (1994–1998) siebenmal um Zustimmung ersucht wurde9, erteilte der Bundestag im Verlauf der 14. Wahlperiode (1998–2002) in 17 Fäl-
4
Dreist, ZG 2004, 39 (40). Koch, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz (2006), S. 30 spricht anschaulich von einem „kleine(n)“ Gesetzgebungsverfahren. 6 Das Parlamentsbeteiligungsgesetz vom 18. März 2005 ist am 23. März 2005 im Bundesgesetzblatt (BGBl. I S. 775) verkündet worden. 7 Den dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegten Missionen Sharp Guard (Adria-Überwachung) und Deny Flight (Flugverbot Bosnien-Herzegowina) stimmte der Bundestag am 22. Juli 1994 uno actu zu (BT-PlenProt. 12/240, S. 21208 C). 8 BT-PlenProt. 12/169 vom 02.07.1993, S. 14608. 9 Determined Effort (BT-PlenProt. 13/48 vom 30.06.1995, S. 4017 A.); IFOR/Joint Endeavour (BT-PlenProt. 13/76 vom 06.12.1995, S. 6673 B.); UNTAES (BT-PlenProt. 13/87 vom 09.02.1996, S. 7693); SFOR/Joint Guard (BT-PlenProt. 13/149 vom 13.12. 1996, S. 13519 A); Libelle (BT-PlenProt. 13/166 vom 20.03.1997, S. 14989 Cf.); SFOR/Joint Forge (BT-PlenProt. 13/242 vom 19.06.1998, S. 22486 A); Allied Force (BT-PlenProt. 13/248 vom 16.10.1998, S. 23161 B). 5
116
2. Kap.: Staatspraxis in Folge der Out-of-area-Entscheidung
len seine Zustimmung10. Bis zum Inkrafttreten des Parlamentsbeteiligungsgesetzes in der 15. Wahlperiode sind 13 Beschlüsse zu zählen, insgesamt waren es 1411. In der 16. Wahlperiode sind es bis zum 31. Dezember 2008 weitere 2712. 10 Eagle Eye (BT-PlenProt. 14/6 vom 13.11.1998, S. 369 Dff.); Joint Guarantor (BT-PlenProt. 14/8 vom 19.11.1998, S. 433 C); KFOR/Joint Guardian I (BT-PlenProt. 14/22 vom 25.02.1999, S. 1715 C); Allied Harbour (BT-PlenProt. 14/40 vom 07.05. 1999, S. 3409 D); Joint Guardian II (BT-PlenProt. 14/43 vom 11.06.1999, S. 3584 D); INTERFET (BT-PlenProt. 14/61 vom 07.10.1999, S. 5437 D); Erste Verlängerung KFOR/Joint Guardian II (BT-PlenProt. 14/108 vom 08.06.2000, S. 10169 A) Zweite Verlängerung KFOR (BT-PlenProt. 14/174 vom 01.06.2001, S. 17085 C); Essential Harvest (BT-PlenProt. 14/184 vom 29.08.2001, S. 18210 C); Amber Fox (BT-PlenProt. 14/190 vom 27.09.2001, S. 18569 D); Enduring Freedom (BT-PlenProt. 14/202 vom 16.11.2001, S. 19893 A); ISAF (BT-PlenProt. 14/210 vom 22.12.2001, S. 20849 D); Erste Verlängerung Amber Fox (BT-PlenProt. 14/208 vom 13.12.2001, S. 20575 B); Zweite Verlängerung Amber Fox (BT-PlenProt. 14/228 vom 22.03.2002, S. 22650 Bf.); Dritte Verlängerung KFOR (BT-PlenProt. 14/240 vom 07.06.2002); Dritte Verlängerung Amber Fox (BT-PlenProt. 14/243 vom 14.06.2002); Erste Verlängerung ISAF (BT-PlenProt. 14/243 vom 14.06.2002, S. 24479 B). 11 Vierte Verlängerung Amber Fox (BT-PlenProt. 15/3 vom 23.10.2002, S. 24466 C); Erste Verlängerung Enduring Freedom (BT-PlenProt. 15/11 vom 15.11.2002); Allied Harmony (BT-PlenProt. 15/14 vom 05.12.2002, S. 1024 B); Zweite Verlängerung ISAF (BT-PlenProt. 15/17 vom 20.12.2002, S. 1331 D); Concordia (BT-PlenProt. 15/ 35 vom 20.03.2003, S. 2932 D); Eufor/Artemis (BT-PlenProt. 15/51 vom 18.06.2003, S. 4240 D; Vierte Verlängerung KFOR (BT-PlenProt. 15/48 vom 05.06.2003); Dritte Verlängerung und Erweiterung ISAF (BT-PlenProt. 15/70 vom 24.10.2003, S. 6010 A); Zweite Verlängerung Enduring Freedom (BT-PlenProt. 15/76 vom 14.11.2003, S. 6577 C); Fünfte Verlängerung KFOR (BT-PlenProt. 15/111 vom 27.05.2004, S. 10090); Vierte Verlängerung ISAF (BT-PlenProt. 15/129 vom 30.09.2004, S. 11758 A); Dritte Verlängerung Enduring Freedom (BT-PlenProt. 15/139 vom 12.11.2004, S. 12798 D); AMIS (BT-PlenProt. 15/146 vom 03.12.2004, S. 13620 D). UNMIS (BT-PlenProt. 15/ 173 vom 22.04.2005, S. 16233 D). Erste Verlängerung AMIS (durch Fristablauf am 12.05.2005, s. BT-PlenProt. 15/176 vom 13.05.2005, S. 16664 C); Sechste Verlängerung KFOR (BT-PlenProt. 15/178 vom 02.06.2005); Erste Verlängerung UNMIS (Regierungsantrag BT-Drs. 15/5997 vom 24.09.2005, Zustimmung durch Fristablauf); Fünfte Verlängerung ISAF (BT-PlenProt. 15/187 vom 28.09.2005, S. 17585 D). 12 Vierte Verlängerung Enduring Freedom (BT-PlenProt. 16/2 vom 08.11.2005, S. 57 C ff.); Zweite Verlängerung AMIS (BT-PlenProt. 16/9 vom 16.12.2005, S. 603 C); Zweite Verlängerung UNMIS (BT-PlenProt. 16/33 vom 07.04.2006, S. 2778 D); Dritte Verlängerung AMIS (Zustimmung durch Fristablauf am 25.05.2006, s. BT-Drs. 16/ 1609 vom 26.05.2006) EUFOR RD Congo (BT-PlenProt. 16/37 vom 01.06.2006, S. 3259 C); Siebte Verlängerung KFOR (BT-PlenProt. 16/37 vom 01.06.2006, S. 3321 D); UNIFIL (BT-PlenProt. 16/50 vom 20.09.2006, S. 4845 D); Dritte Verlängerung UNMIS (BT-PlenProt. 16/54 vom 28.09.2006, S. 5237); Sechste Verlängerung ISAF (BT-PlenProt. 16/54 vom 28.09.2006, S. 5226 D); Vierte Verlängerung UNMIS (Zustimmung durch Fristablauf am 17.10.2006, s. BT-PlenProt. 16/58 vom 20.10.2006, S. 5755 A); Fünfte Verlängerung Enduring Freedom (BT-PlenProt. 16/64 vom 10.11. 2006, S. 6331 D); Vierte Verlängerung AMIS (BT-PlenProt. 16/74 vom 15.12.2006, S. 7450 D); Missionserweiterung ISAF/Tornados (BT-PlenProt. 16/86 vom 09.03.2007, S. 8725 D); Fünfte Verlängerung UNMIS (BT-PlenProt. 16/95 vom 27.04.2007, S. 9715 C); Fünfte Verlängerung AMIS (BT-PlenProt. 16/103 vom 23.05.2007, S. 10617 D); Siebte Verlängerung Joint Guardian II (BT-PlenProt. 16/106 vom 21.06. 2007, S. 10772 D); Erste Verlängerung UNIFIL (BT-PlenProt. 16/111 vom 12.09. 2007, S. 11570 C); Siebte Verlängerung ISAF (BT-PlenProt. 16/119 vom 12.10.2007,
A. Bundesverfassungsgerichtliche Verfahrensvorgaben
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Nicht wenige der Einsätze wurden allerdings mehrfach beschlossen bzw. verlängert oder erweitert13. Einen Sonderfall bildet der Beschluss, mit dem der Bundestag den Einsatz deutscher Streitkräfte zur Evakuierung deutscher und anderer Staatsangehöriger aus Albanien im Nachhinein gebilligt hat14. Denn hier war Gefahr im Verzug gegeben, weshalb die Bundesregierung diesen Einsatz beschloss und durchführte, noch bevor der Bundestag Gelegenheit hatte, ihm zuzustimmen.
II. Exekutives und parlamentarisches Beschlussverfahren Der später dem Bundestag zur konstitutiven Entscheidung zuzuleitende Einsatzbeschluss wird – auch unter dem Parlamentsbeteiligungsgesetz – zunächst von den Bundesministern der Verteidigung und des Auswärtigen in einer gemeinsame Vorlage (sog. Doppelkopfvorlage) in das Kabinett eingebracht15. Dieses berät über die Vorlage und stimmt gegebenenfalls zu. Eines Kabinettsbeschlusses bedarf es neben den bundesverfassungsrichterlichen Vorgaben auch nach § 15 Abs. 1 GOBReg, da der beschlossenen Maßnahme regelmäßig allgemeine außenpolitische Bedeutung zukommt. Das Bundesverfassungsgericht verlangt auch in dem Fall einen (vorherigen) Kabinettsbeschluss, wenn ein Einsatz wegen Gefahr im Verzug ausnahmsweise ohne vorherige Zustimmung des Bundestages erfolgen soll16. Nach Überweisung des Kabinettsbeschlusses wird eine Bundestagsdrucksache erstellt, in erster Lesung beraten und sodann den – bis zu sieben17 – Fachausschüssen zur Beratung zugeleitet. Dies entspricht der vom S. 12373 A); Sechste Verlängerung Enduring Freedom (BT-PlenProt. 16/126 vom 15.11. 2007, S. 13111 B); UNAMID (BT-PlenProt. 16/126 vom 15.11.2007, S. 13148 A); Sechste Verlängerung UNMIS (BT-PlenProt. 16/126 vom 15.11.227, S. 13145 B); Siebte Verlängerung UNMIS (BT-PlenProt. 16/175 vom 17.09.2008, S. 18742 D); Erste Verlängerung UNAMID (BT-PlenProt. 16/175 vom 17.09.2008, S. 18740 C); Zweite Verlängerung UNIFIL (BT-PlenProt. 16/175 vom 17.09.2008, S. 18729 C bzw. 18732 D); Achte Verlängerung KFOR (BT-PlenProt. 16/166 vom 05.06.2008, S. 17558 C); Achte Verlängerung ISAF (BT-PlenProt. 16/183 vom 16.10.2008, S. 19515 C); Siebte Verlängerung Enduring Freedom (BT-PlenProt. 16/187 vom 13.11.2008, S. 20044 C); Atalanta (BT-PlenProt. vom 19.12.2008, S. 21357 D). 13 Alleine Joint Guardian II bzw. KFOR zur Befriedung im Kosovo sowie ISAF zur Unterstützung der Übergangsregierung in Afghanistan wurden acht mal, Enduring Freedom sieben mal verlängert oder modifiziert. 14 Auf den entsprechenden nachträglichen Genehmigungsantrag der Bundesregierung vom 18. März 1997 (BT-Drs. 13/7233), erging die parlamentarische Zustimmung am 20. März 1997 (BT-PlenProt. 13/166 vom selben Tage, S. 14989 Cf. 15 Zum Verfahrensablauf innerhalb der Ministerialadministration instruktiv Dreist, KritV 2004, 79 (86 ff.) und F. Schröder, Das Parlamentarische Zustimmungsverfahren (2005), S. 134. 16 BVerfGE 90, 286 (388); BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 57. 17 Auswärtiger, Verteidigungs- und Rechtsausschuss sind stets beteiligt. Der ebenfalls stets beteiligte Haushaltsausschuss nimmt keine Bewertung in der Sache vor, sondern beschäftigt sich naturgemäß nur mit der Finanzierung der Missionen. Der Aus-
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Bundesverfassungsgericht gegebenen Anregung, die Ausschüsse „so es die Lage irgend erlaubt“ 18 zu beteiligen. Der Auswärtige Ausschuss ist hierbei federführend, da sein Aufgabenbereich mit dem des Auswärtigen Amtes korrespondiert und er somit für alle Fragen deutscher Außenpolitik zuständig ist. Stets beteiligt ist auch der Verteidigungsausschuss, der sich mit den militärischen Aspekten des Einsatzes befasst. Zu grundlegenden verfassungs- und völkerrechtlichen Fragen äußert sich der Rechtsausschuss. Außerdem wird nach § 96 GOBT immer der Haushaltsausschuss beteiligt. Dieser stellt in einer gesonderten Drucksache fest, inwieweit die beabsichtigte Truppenentsendung mit der Haushaltslage des Bundes vereinbar ist. Der Auswärtige Ausschuss dokumentiert die Beratungsergebnisse und Empfehlungen der Fachausschüsse ebenso wie sein eigenes Abstimmungsergebnis in einer Beschlussempfehlung an den Bundestag. Der Haushaltsausschuss votiert nach Abstimmung in einer gesonderten Empfehlung an das Plenum. Diese beiden Ausschussvoten werden in eigenen Bundestagsdrucksachen dokumentiert und zusammen mit dem Antrag der Bundesregierung auf konstitutive Zustimmung dem Plenum zur Beratung in der zweiten und dritten Lesung zugeleitet. Nach der dritten Lesung erfolgt die – zumeist namentliche – Abstimmung.
III. Inhaltliche Ausgestaltung eines Regierungsantrags auf Zustimmung Während schon die ersten Zustimmungsbeschlüsse des Bundestages den beschrieben Verfahrensgang durchliefen19, hat die inhaltliche Ausgestaltung der konstitutiven Parlamentsbeschlüsse eine quantitative und qualitative Entwicklung erfahren20. Die Zustimmungsbeschlüsse folgen dabei einem einheitlichen Muster, indem sie Bezug auf den Regierungsbeschluss nehmen, wodurch dieser
schuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe und der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sind des Öfteren beteiligt. Sind Angelegenheiten der Europäischen Union betroffen, wird auch der EU-Ausschuss miteinbezogen. Angesichts der fortschreitenden Entwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) wird dies in Zukunft wohl vermehrt der Fall sein. 18 BVerfGE 90, 286 (388). 19 Einen Sonderfall bildet das erste konstitutive Beschlussverfahren in Folge der einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts im Somalia-Verfahren vom 23. Juni 1993 (BVerfGE 89, 39). Hier waren es die Regierungsfraktionen die am 24. Juni 1993 einen Antrag auf Zustimmung stellten (BT-Drs. 12/5248). Das Plenum überwies dann diesen am selben Tage (BT-PlenProt. 12/166, S. 14340 D) für weiterführende Beratungen an den Auswärtigen, Verteidigungs- und Rechtsausschuss sowie den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit. 20 Vgl. zum Folgenden Dreist, NZWehrr 2003, 152 ff.; ders., ZG 2004, 39 (45). Eine ausführliche Darstellung der Praxis bis 2004 findet sich auch bei F. Schröder, Das parlamentarische Zustimmungsverfahren (2005), S. 39 ff.
A. Bundesverfassungsgerichtliche Verfahrensvorgaben
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in vollem Umfang21 Gegenstand der konsitutiven Zustimmung wird. Regelmäßig lautet der Beschluss des Bundestages: „Der Deutsche Bundestag stimmt dem Einsatz bewaffneter Streitkräfte entsprechend der von der Bundesregierung am (. . .) beschlossenen deutschen Beteiligung an (. . .) zu.“
Bis Ende 1996 geben die Zustimmungsbeschlüsse des Bundestages – genauer: die von ihnen in Bezug genommen Regierungsanträge – nur kusorische Auskunft über die dem jeweiligen Einsatz zugrundeliegenden völkerrechtlichen Rahmenbedingungen, den Auftrag, die Kabinettsbeschlüsse und das einzusetzende Personal22. Eine ausführlichere Darstellung erfährt erstmals der SFOR/ Joint Guard-Beschluss vom 13. Dezember 199623. Dieser führt zuächst in den internationalen und lokalen Zusammenhang ein, in welchem der Einsatz stattfinden soll. Sodann wird der Einsatz in insgesamt neun Ziffern in seine operativen Einzelheiten gegliedert. Die auf den Zustimmungsbeschluss zu SFOR/Joint Guard folgenden Entsendungen greifen mit einzellfallbezogenen Abweichungen dieses Grundmuster auf. Ab dem Bundestagsbeschluss zu Essential Harvest vom 29. August 200124 legen die Beschlüsse die Einsatzkautelen regelmäßig in 10 bzw. 11 operativen Ziffern fest. Im Einzelnen sind Angaben enthalten über25 1. die völkerrechtlichen Grundlagen und die politischen Rahmenbedingungen des Einsatzes, 2. dessen verfassungsrechtliche Grundlagen, 3. den Auftrag der Streitkräfte, (4. ergänzende völkerrechtliche Vereinbarungen)26, 21 H. H. Klein, in: Horn et al. (Hrsg.), Festschrift für Walter Schmitt Glaeser (2003), S. 245 (249). 22 Vgl. etwa den die Zustimmung des Bundestages zu Determined Effort (BTPlenProt. vom 13/48 vom 30.06.1995, S. 4017 A. mit Bezug auf Regierungsantrag BT-Drs. 13/1802 vom 26.06.1995), zu IFOR/Joint Endeavour (BT-PlenProt. 13/76 vom 06.12.1995, S. 6673 B. mit Bezug auf Regierungsantrag BT-Drs. 13/3122 vom 28.11.1995) und zu UNTAES (BT-PlenProt. 13/87 vom 09.02.1996, S. 7693 mit Bezug auf Regierungsantrag BT-Drs. 13/3708 vom 07.02.1996). 23 BT-PlenProt. 13/149 vom 13. 12.1996, S. 13519 A, mit Bezug auf Regierungsantrag BT-Drs. 13/6500 vom 11.12.1996. 24 Zustimmung zur Beteiligung am NATO-geführten Einsatz auf mazedonischem Territorium zum Einsammeln und Zerstören von Waffen, die durch die ethnisch albanischen Gruppen freiwillig abgegeben wurden (BT-PlenProt. 14/184 vom 29.08.2001, S. 18210 C mit Bezug auf Regierungsantrag BT-Drs. 14/6830 vom 23.08.2001). 25 Die diesem Aufbau zugrundliegenden Praxisüberlegungen zeichnet Dreist, NZWehrr 2003, 152 (154 ff.) ausführlich nach. Dreist war bis August 2002 Referent für Verfassungs- und Einsatzrecht im Bundesverteidigungsministerium. 26 Fehlen nach Punkt 4 ergänzende völkerrechtlichen Vereinbarungen im konkreten Fall rücken die nachfolgenden Ziffern auf, so z. B. bei Amber Fox (BT-PlenProt. 14/ 190 vom 27.09.2001, S. 18569 D mit Bezug auf Regierungsantrag BT-Drs. 14/6970 vom selben Tage); ISAF (BT-PlenProt. 14/210 vom 22.12.2001, S. 20849 D mit Bezug auf Regierungsantrag BT-Drs. 14/7930 vom 21.12.2001).
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die Ermächtigung zum Einsatz sowie zu dessen Beginn und Dauer, die einzusetzenden Kräfte, den Status und die Rechte der eingesetzten Soldaten, das Einsatzgebiet, den Personaleinsatz, die Besoldung der Soldaten i. R. d. besonderen Auslandsverwendung nach § 58a BBesG, 11. die allgemeine Finanzierung des Einsatzes. Erkennbar ist demnach eine Verfahrenspraxis, dem Parlament immer mehr operative Einzelheiten zur Zustimmung zu unterbreiten. Mag dieses Vorgehen auch der Notwendigkeit geschuldet sein, dass es dem Parlament obliegt, einem „konkreten Einsatz“ 27 seine Zustimmung zu erteilen, so führt dies dennoch zu Spannungen innerhalb der gewaltenteiligen Kompetenzen. Der Detailreichtum der Regierungsanträge ist teils auf Anforderungen aus dem parlamentarischen Raum zurückzuführen, teils aber auch auf eine Tendenz der Regierungspolitik, dem Bundestag beträchtliche Mitverantwortung zuzuschieben28.
IV. Befristete Zustimmungen und Protokolläußerungen Die aufgezeigten formalen Verfahrensmodalitäten erfassen jedoch nicht das gesamte Verfahrensprocedere zwischen der Regierung als Inhaberin exekutiver Eigenbereiche im Auswärtigen und dem Parlament als Legitimationsstifter für bewaffnete Auslandseinsätze der Bundeswehr. Anhand beispielhafter Beschlussverfahren soll im Folgenden dargestellt werden, wie die beiden Kraftfelder der Ersten und Zweiten Gewalt bei umstrittenen Einsatzvorlagen eine Einigung auf informalem Wege bewerkstelligen konnten. Sodann sollen diese mitunter komplexen Verfahrensszenarien einer rechtlichen Bewertung unterzogen werden. 1. Erste Missionsverlängerung KFOR/Joint Guardian II im Juni 2000 Bei der Verlängerung des KFOR/Joint Guardian II-Mandats im Jahre 2000 wurde erstmals die Problematik eines zeitlich befristeten Gehalts konstitutiver Parlamentsbeschlüsse virulent29. Der entsprechende Antrag der Bundesregierung
27
BVerfGE 90, 286 (387) – Hervorhebung im Original. Biermann, ZParl 2004, 607 (619) u. a. unter Berufung auf Abg. Klose (SPD), Stellvertretender Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im 15. Bundestag. 29 Instruktiv Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 71 ff.; Hummel, NZWehrr 2001, 221 (222 f.); Dreist, NZWehrr 2001, 1 (7 ff.). 28
A. Bundesverfassungsgerichtliche Verfahrensvorgaben
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enthielt keine eigene zeitliche Begrenzung des Mandats, sondern sollte an Mandate der Vereinten Nationen und an NATO-Ratsbeschlüsse gekoppelt sein30. Die CDU/CSU-Fraktion zielte hingegen auf die Begrenzung des Mandats auf ein Jahr31. Nach ihrer Ansicht drohte Joint Guardian II mangels politischer Fortschritte im Kosovo zu einer zeitlich unabsehbaren Mission zu werden32. Erst einen Tag vor Ablauf des ursprünglichen Mandats einigten sich die Bundesregierung und die CDU/CSU-Fraktion auf einen Kompromiss: Am 7. Juni 2000 erklärte der Bundesaußenminister vor dem Auswärtigen Ausschuss, dass die Regierung für die Fortdauer des Mandats alle 12 Monate den Bundestag konstitutiv befassen wolle, falls dies dem Wunsch einer Fraktion entspreche33. Eine Erklärung gleichen Inhalts gab der Bundesminister der Verteidigung vor dem Verteidigungsausschuss ab und teilte dies dem Vorsitzenden der CDU/CSUBundestagsfraktion mit. Am folgenden Tag stimmte der Bundestag dem Antrag der Regierung zu34. Dieser Beschluss erging – wie von der Bundesregierung beantragt – in seinem konstitutiven Gehalt ohne zeitliche Befristung des Mandats der KFOR-Truppe35. Im Verlauf der Debatte kündigte die CDU/CSU-Fraktion bereits an, im Frühjahr 2001 den Wunsch einer konstitutiven Befassung des Bundestages zu äußern36. Dies geschah mit Schreiben des Fraktionsvorsitzenden an den Bundeskanzler vom 27. März 2001. Dementsprechend erfolgte am 9. Mai 2001 eine erneute Kabinettsentscheidung37. Dieser (wiederum unbefristeten) Verlängerung des Kosovo-Einsatzes stimmte der Bundestag am 10. Juni 2001 zu38. Die Protokollerklärung des Bundesaußenministers vom 7. Juni 2000 ist seither Bestandteil aller KFOR-Folgemandate bis einschließlich des achten Verlängerungsantrags vom 27. Mai 200839.
30
BT-Drs. 14/3454 vom 25.05.2000. Was nicht mit dem Wunsch nach Beendigung des Engagements nach einem Jahr zu verwechseln ist. 32 Vgl. etwa die Äußerungen der Abg. Otto (CDU/CSU), BT-PlenProt. 14/108 vom 08.06.2000, S. 10234 B; Abg. Dörflinger (CDU/CSU), ebda., S. 10234 D; Abg. Börnsen (CDU/CSU), ebda. S. 10235 A. 33 BT-Drs. 14/3550, S. 4 Ziff. III. Weil der Bundestag keine Initiativbefugnis besitzt, wird er erst durch den entsprechenden Regierungsantrag in die Lage versetzt, über die Fortdauer eines Einsatzes zu entscheiden. Fehl geht daher die Auffassung des Abg. Hartenbach (SPD), KurzProt. RAussch 14/54 vom 07.06.2000, S. 28 f., wonach es aufgrund des Selbstbefassungsrechts des Bundestages ohnehin zu einer erneuen konstitutiven Befassung kommen müsse, wenn dies eine Fraktion beantrage. 34 BT-PlenProt. 14/108 vom 08.06.2000, S. 10169 A. 35 Überzeugend Dreist, NZWehrr 2001, 1 (10 f.). 36 Vgl. Abg. Lamers (CDU/CSU), BT-PlenProt. 14/108 vom 08.06.2000, S. 10155 C. 37 BT-Drs. 14/5972 vom 09.05.2001. 38 BT-PlenProt. 14/176, S. 17085 C. 39 Vgl. BT-Drs. 16/9287. 31
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2. Konstituierende Beschlussfassung Enduring Freedom im November 2001 Gegen eine deutsche Beteiligung an der US-geführten militärischen Reaktion auf die terroristischen Anschläge des 11. Septembers gab es massive parlamentarische Widerstände grundsätzlicher Art40. Kritik wurde aber auch an der konkreten Gestaltung des von der Bundesregierung vorgelegten Einsatzantrags laut. Dieser sei in vielen Teilen, vor allem in seinen Angaben zum Einsatzgebiet, -dauer und -ziel inhaltlich zu vage, wenn nicht gar unbestimmt41. Nach zähem Ringen reagierte der Bundesaußenminister auf die parlamentarischen Bedenken, indem er am 14. November 2001 im Auswärtigen Ausschuss Konkretisierungen des beabsichtigten Einsatzes zu Protokoll gab42. Hierbei wurde die kontinuierliche Unterrichtung des Bundestages über die Operation Enduring Freedom in Aussicht gestellt, sowie die Vorlage eines bilanzierenden Berichts nach spätestens sechs Monaten43. Das Ziel der Operation wurde auf das Al Qaida-Netzwerk und Osama Bin Laden, sowie deren Unterstützer begrenzt. Bei einer wesentlichen Abweichungen von der zahlenmäßigen Aufgabengliederung der eingesetzten Kräfte sollten die Fraktionen oder in Sitzungswochen die Fachausschüsse vorher konsultiert werden44. Die Bundesregierung habe darüber hinaus keine Absicht in Ländern außerhalb Afghanistans, in denen es derzeit keine Regierung gibt, deutsche Streitkräfte ohne Befassung des Bundestages einzusetzen45. Schließlich wurde zugesagt, dass die deutschen Streitkräfte nur unter 40 Da die parlamentarische Mehrheit der Regierungskoalition durch eine hohe Zahl zu erwartender Abweichler bedroht schien, verband der Bundeskanzler die Abstimmung nach Art. 68 Abs. 1 GG mit der Vertrauensfrage (BT-Drs. 14/7440 vom 13.11. 2001). An einer Mehrheit des Plenums bestand für den Regierungsantrag aufgrund der Unterstützung durch die Opposition zwar kein Zweifel, jedoch wollte die Regierung aus politischen Gründen den Beschluss in eigener Mehrheit fassen [instruktiv Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 82 ff.]. Die dadurch im Ergebnis nur knappe Bundestagsmehrheit spiegelte also nicht die Mehrheitsverhältnisse in Bezug auf den Bundeswehreinsatz wieder, sondern war der Ablehnung der Opposition in Bezug auf die Vertrauensfrage geschuldet. Daher ist fraglich, ob durch die Verbindung mit der Vertrauensfrage der Parlamentsvorbehalt im konkreten Fall noch den erwünschten Legitimationszweck erfüllen konnte. 41 Vgl. etwa Abg. Merz (CDU/CSU), BT-PlenProt. 14/198 vom 08.11.2001, S. 19288 D; Abg. Westerwelle (FDP), ebda. S. 19293 B. 42 BT-Drs. 14/7447 vom 14.11.2001, S. 4. 43 Was dann auch im Mai 2002 geschah, BT-Drs. 14/8990 vom 08.05.2002. 44 Hierzu die entsprechende Bitte des Abg. Erler (SPD), BT-PlenProt. 14/198 vom 08.11.2001, S. 19290 Cf. Eine zugesagte vorherige Information der Fraktionen bzw. der Ausschüsse findet sich auch bei der ersten Verlängerung der ISAF-Mission im Juni 2002. Die Konsultationen wurden zugesagt im Falle vorübergehender Überschreitung der Personalobergrenze von 1.200 Soldaten, s. Regierungsantrag BT-Drs. 14/9246 vom 05.06.2002. 45 Hierdurch würden Befürchtungen ausgeräumt, die Bundeswehr könnte in Somalia eingesetzt werden, welches als failed state galt.
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deutschem Kommando eingesetzt werden, außer im Falle von Soldaten in Austauschprogrammen. Der Auswärtige Ausschuss hat daraufhin diese Erklärung „zustimmend zur Kenntnis genommen und sie in die Beratungen des Antrages der Bundesregierung (. . .) einbezogen“ 46. 3. Dritte Missionsverlängerung und -erweiterung ISAF (Kunduz-Einsatz) im Oktober 2003 Bei der dritten Verlängerung der deutschen ISAF-Beteiligung und ihrer gleichzeitigen Erweiterung auf die Region Kunduz, gab der Bundesaußenminister ebenfalls eine Protokollerklärung ab, wonach Einsätze außerhalb der Region Kunduz und Kabul die Ausnahme bleiben und ausschließlich der Vorbereitung der afghanischen Wahlen im Jahre 2004 dienen sollen47. Außerdem werde der Bundestag über jeden einzelnen Einsatz im Voraus detailliert unterrichtet. Zugesagt wurde auch, dass die Bundeswehr nicht zur Bekämpfung des in der Region blühenden Drogenhandels eingesetzt werde. Der Bundesverteidigungsminister erklärte darüber hinaus, dass Einsätze außerhalb von Kabul und Kunduz vorab mit den Ausschussvorsitzenden und -obleuten abgesprochen würden und derartige Einsätze nicht in Betracht kämen, sofern sich in den Konsultationen erhebliche Bedenken ergäben48. 4. Operation Libelle am 14. März 1997 Aufgrund sich von Süden über das Land ausbreitenden Unruhen brach im März 2003 innerhalb weniger Wochen die gesamte staatliche Ordnung in Albanien zusammen. Das Leben der im Land verbliebenen ausländischen Staatsbürger war akut gefährdet. Ein Transfer deutscher Staatsbürger auf dem Landweg Richtung Adriaküste war bereits nicht mehr möglich. Für sie und Staatsangehörige anderer Nationen in Obhut der deutschen Botschaft blieb nur noch die Luftevakuierung. Aufgrund dieser zugespitzten Lage beschlossen der Bundeskanzler, der Verteidigungs- und der Außenminister am Morgen des 14. März 1997 eine militärische Rettungsaktion49. Eine Billigung durch das Kabinett erfolgte aufgrund des knappen Zeitfensters erst im Nachhinein. Noch vor Einsatzbeginn wurden jedoch die Fraktionsvorsitzenden des Bundestages, die Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses des Auswärtigen Ausschusses, sowie die Obleute in46
BT-Drs. 14/7447 vom 14.11.2001, S. 4. Hierzu und zum Folgenden s. Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses BT-Drs. 15/1806 vom 22.10.2003, S. 4 unter Nr. III. 48 So nochmals ausdrücklich in der Plenumsdebatte der Bundesverteidigungsminister, s. BT-PlenProt. 15/70 vom 24.10.2003, S. 5990 B. 49 Den zeitlichen Ablauf erläuterte Bundesaußenminister Kinkel, BT-PlenProt. 13/ 166 vom 20.03.1997, S. 14970. 47
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formiert. Ein Zustimmungs- bzw. Genehmigungsgesuch wurde – entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum Gefahr im Verzug-Einsatz – nachträglich in das Parlament eingebracht50 und gebilligt51. Das Vorgehen der Bundesregierung stieß in der Politik auf fast einhellige Zustimmung52, auch wenn deutlich gemacht wurde, dass die Behandlung einer solchen wichtigen Frage im Parlament im Nachhinein nur ein Ausnahmefall in extremen Notsituationen sein darf und nicht zum Regel- oder Präzedenzfall werden soll53. Die vorherige Unterrichtung der Vorsitzenden und der Obleute ist vom Bundesverfassungsgericht in seiner Out-of-are-Entscheidung nicht gefordert worden. Die Unterrichtung war, wie der Bundesverteidigungsminister in der entsprechenden Plenumsdebatte hervorgehoben hat, rein informell bzw. „ein Gebot der politischen Reife in einer Demokratie“ 54. Die Bundesregierung hat aus verfassungsrechtlicher Sicht insoweit überobligationsmäßig gehandelt55.
V. Bewertung der Staatspraxis 1. Staatspraxis und bundesverfassungsgerichtliche Vorgaben Die Darstellung ergibt, dass die formale parlamentarische Beschlussfassung seit den ersten zu treffenden Einsatzentscheidungen dem Gesetzgebungsverfahren angelehnt ist. Eine Änderung ergab sich im Lauf der Zeit hingegen in der inhaltlichen Ausgestaltung der Mandatsbeschlüsse. Die Bundesregierung legt nunmehr in ihrem Antrag die Einsatzmodalitäten en detail vor. Regelmäßig wird dargelegt, in welcher Truppenstärke und mit welchen Kräften, die Bundeswehr wo genau und vor allem auch wie eingesetzt wird. Ebenso regelmäßig legt die Bundesregierung Anträge auf befristete Zustimmung, so dass der Bundestag unter Umständen mehrfach über denselben Einsatz entscheiden muss bzw. darf 56. Zudem wurde sowohl von der Ersten als auch von der Zweiten Gewalt auf Protokollnotizen als Handlungsinstrumente zurückgegriffen. Nach dem Grundsatzurteil sind die Modalitäten eines konkreten Einsatzes aber gerade ein ausschließlich der Exekutive zustehendendes Handlungsfeld. Gemessen an den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts wäre auch ein Beschluss auf 50
BT-Drs. 13/7233 vom 18.03.1997. BT-PlenProt. 13/166 vom 20.03.1997, S. 14989 Cf. 52 Vgl. die Beiträge in der Zustimmungsdebatte, BT-PlenProt. 13/166 vom 20.03. 1997, S. 14969 Cff. 53 Etwa Abg. Voigt (SPD), BT-PlenProt. 13/166 vom 20.03.1997, S. 14969 Cff. 54 Bundesverteidigungsminister Rühe, BT-PlenProt. 13/166 vom 20.03.1997, S. 14981 f. 55 Kreß, ZaöRV 57 (1997), 329 (355); Epping, AöR 124 (1999), 423 (450 f.). 56 Einen unbefristeten Antrag kann der Bundestag freilich nicht aus eigenem Recht befristen. Nur die Regierung besitzt das entsprechende Initiativrecht. 51
A. Bundesverfassungsgerichtliche Verfahrensvorgaben
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Grundlage eines im Wortlaut deutlich sparsameren Regierungsantrags verfassungsrechtlich zulässig. Die vermeintlich klaren Vorgaben zur starren Trennung der Befugnisse von Regierung und Parlament sind von der Staatspraxis erheblich relativiert worden57. So ist es nicht ohne jede Grundlage, wenn Rupert Scholz ausspricht, dass in der Staatspraxis ein Kondominium zwischen Exekutive und der Legislative entstanden sei, das vom Bundesverfassungsgericht so nicht gewollt war58. Das enge Zusammenwirken und die wechselseitige Beeinflussung von Bundesregierung und (Regierungs-)Fraktionen liegen letzten Endes wohl in der Konsequenz des parlamentarischen Regierungssystems. Es ist dem Bundestag unbenommen, im Vorfeld eines Regierungsantrags in Gesprächen, die die Regierung in politisch kluger Weise suchen wird, seine Vorstellungen zum konkreten Einsatz zu äußern, damit diese Eingang in den Regierungsantrag finden können. Insbesondere steht es dem Bundestag dabei frei, mit einer Ablehnung des Regierungsgesuchs zu drohen59. 2. Staatspraxis in rechtlichen Kategorien Die aufgezeigte Staatspraxis im zeitlichen Vorfeld des Parlamentsbeteiligungsgesetzes findet nur geringes Interesse in der Staatsrechtswissenschaft60. So wurde etwa die Frage, ob sich die Praxis der am Entsendeverfahren beteiligten Organe derart verdichtete, dass aus ihr selbst Rechte und Pflichten erzeugt wurden, nicht vertieft. Die folgenden Überlegungen sind aber nicht nur rechts- oder parlamentshistorischer Natur; die zu einem guten Teil informellen Verfahrensmodalitäten werden auch unter dem Regime des Parlamentsbeteiligungsgesetzes nicht vollständig verdrängt61. a) Verfassungs- bzw. Geschäftsordnungsgewohnheitsrecht? Hält man rechtsdogmatisch die Bildung von Verfassungsgewohnheitsrecht nicht von vornherein für unmöglich62, so drängt sich die Frage auf, ob durch 57 So zu Recht Wiefelspütz, NZWehrr 2003, 133 (148); ders., Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte (2003), S. 51. 58 Ders., Referat, DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 2 (3). 59 Vgl. H. H. Klein, in: Horn (Hrsg.), Festschrift für Walter Schmitt Glaeser (2003), S. 245 (251). 60 Vgl. aber die Ansätze bei Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 62 ff.; Nowrot, ZRP 2002, 370 ff.; ders., NZWehrr 2003, 65 ff.; F. Schröder, Das Parlamentarische Zustimmungsverfahren (2005), S. 137 ff. 61 Vgl. die Gesetzesbegründung BT-Drs. 15/2742 vom 23.03.2004, S. 4. 62 Grundsätzliche Bedenken gegen die Annahme von Verfassungsgewohnheitsrecht werden aus dem Charakter des Grundgesetzes als verfassungsrechtliche Vollregelung (sog. self-contained regime) abgeleitet, das für Verfassungsgewohnheitsrecht keinen Raum lasse. Verfassungsgewohnheitsrecht würde das Grundgesetz anreichern und da-
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die geübten Beschlussverfahren zu den Auslandseinsätzen Verfassungs-63 oder zumindest doch Geschäftsordnungsgewohnheitsrecht64 entstanden sein könnte. Angesichts einer gewissen Dauer und Übung kann dies nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Neben einer hinreichenden Übung müsste für das Entstehen von Gewohnheitsrecht, auch eine diese Übung tragende Rechtsüberzeugung hinzutreten. Stellungnahmen der politischen Akteure lassen indes keine Anzeichen erkennen, dass das bisher gewählte Verfahren von allen Beteiligten als allein rechtsverbindlich anerkannt wurde. Der vielfach geäußerte Wunsch nach Flexibilität im parlamentarischen Entscheidungsverfahren spricht vielmehr dagegen65. Aber auch die über zehn Jahre kontinuierlich ausgeübte Staatspraxis als solche, wird der Annahme von Verfassungsgewohnheitsrecht nicht gerecht. So hat das Bundesverfassungsgericht die Dauer von zehn Jahren für die Bildung von Verfassungsgewohnheitsrecht als zu kurz angesehen: „Die Zeitspanne von knapp 10 Jahren ist zu kurz, um aus einer – durchaus nicht in bewusster Auseinandersetzung mit der Bedeutung des Artikels 80 Abs. 1 Satz 1 GG entstandenen – Übung auf eine Fixierung des Inhalts jener grundgesetzlichen Vorschriften zu schließen.66“
Demnach ist schon die Zeitdauer der staatspraktischen Übung zum Entsendeverfahren selbst, nicht geeignet, um auf Verfassungsgewohnheitsrecht schließen zu können. Zudem wurde in den zahlreichen Entsendeverfahren weder seitens der Bundesregierung, noch seitens des Bundestages eine bewusste Auseinandersetzung dergestalt vorgenommen, als das gewählte Verfahren als einzig zulässiges angesehen worden wäre67. Das innerstaatliche Zustimmungsverfahren konnte sich in der Folge nicht zu Gewohnheitsrecht verfestigen.
mit letztlich versteinern. Der Annahme von Verfassungsgewohnheitsrecht stehe vor allem auch Art. 79 GG entgegen. Zudem ist der bundesverfassungsgerichtlichen Überprüfungsmaßstabes auf „das Grundgesetz“ beschränkt (etwa Art. 93 GG). 63 Ausführlich Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht unter dem Grundgesetz (2000), S. 427 ff., der die Bildung von Verfassungsgewohnheitsrecht für möglich hält. 64 Allgemein zum Geschäftsordnungsgewohnheitsrecht und zum Parlamentsbrauch s. Bollmann, Verfassungsrechtliche Grundlagen und allgemeine verfassungsrechtliche Grenzen des Selbstorganisationsrechts des Bundestages (1992), S. 138 m.w. N.; Schwerin, Der Deutsche Bundestag als Geschäftsordnungsgeber (1998), S. 260 ff. 65 F. Schröder, Das Parlamentarische Zustimmungsverfahren (2005), S. 138. 66 BVerfGE 11, 77 (87). Streitig war in diesem Fall, ob die Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen nach Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG, auch an einen Landesminister übertragen werden kann. Das Bundesverfassungsgericht sprach hierbei der Tatsache, dass in einer Reihe von Gesetzen die Ermächtigung zum Erlass von Verordnungen auch an einen Landesminister erteilt worden ist, keine gewohnheitsrechtliche Bedeutung zu, BVerfGE 11, 77 (87). 67 F. Schröder, Das Parlamentarische Zustimmungsverfahren (2005), S. 139.
A. Bundesverfassungsgerichtliche Verfahrensvorgaben
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b) Informale Verfassungsregeln Die Staatspraxis im Bereich der parlamentarischen Mitwirkung an Auslandseinsätzen war bis zum Inkrafttreten des Parlamentsbeteiligungsgesetzes durch informelle Handlungsweisen geprägt68. Sie zeichnete sich durch Verpflichtungserklärungen seitens der Regierung, wie sie in protokollarischen Zugeständnissen oder in verfassungsgerichtlich nicht geforderten Konsultationen zum Ausdruck kommen. Das Interorganverfahren im Bereich der Auslandseinsätze ist damit geprägt durch ein Geben und Nehmen und durch nicht sanktionsbedrohte, konstruktive Kontrolle69. Diese informale Verfahrenspraxis ist nicht singulär, sondern steht pars pro toto für weitere Bereiche, in denen Verfassungsorgane ihre grundgesetzlich gesicherten Befugnisse unter gegenseitiger Beachtung des Interorganrespekts ausüben. Prominentes Beispiel ist etwa das im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften in den 1970er Jahren auftauchende Instrument der interinstitutionellen Vereinbarungen70. Derartige Verfahrensweisen sind insbesondere von Helmuth Schulze-Fielitz als „informale Verfassungsregeln“ bezeichnet worden71. Diese Instrumente zeichnen sich als regelmäßige Verhaltenserwartungen aus, die sich so verdichtet (institutionalisiert) haben, dass sie auch von Dritten erwartet werden und zwar unabhängig von ihrer faktischen Erfüllung. Informale Verfassungsregeln entwickeln sich dabei in Regelungsnischen, um einen verfassungsrechtlich nicht gestillten Regelungsbedarf zu erfüllen72. Wo das klassisch-formale Gewaltenteilungsschema endet und auf neue Probleme neue Antworten im Sinne eines alternativen Gewaltenteilungsverständnisses gefunden werden müssen, geben informale Verfassungsregeln als erste regelhafte Antworten auf solche Fragen73. Das informale Vorgehen ermöglicht aufgrund seiner inhärenten Flexibilität eine praxisgerechte Konkretisierung abstrakter Verfassungsgrundsätze im Sinne einer funktionsgerechten Zuordnung der jeweiligen Kompetenzen in einem Bereich, in dem Regierung und Parlament auf eine enge Kooperation angewiesen sind74. 68 So vor allem Nowrot, ZRP 2002, 370 ff.; ders., NZWehrr 2003, 65 ff.; Dreist, KritV 2004, 79 (102); F. Schröder, Das parlamentarische Zustimmungsverfahren (2005), S. 139; nach Dau, in: Goebel (Hrsg.), Von Kambodscha bis Kosovo (2000), S. 21 (30), habe sich zwischen der Bundesregierung und dem Parlament „in den Beratungen der vom Bundeskabinett vorgelegten einzelnen Einsatzentscheidungen eine von Vertrauen und Pragmatismus geprägte gute Zusammenarbeit ergeben“. 69 F. Schröder, Das parlamentarische Zustimmungsverfahren (2005), S. 139. 70 Hierzu Lorz, Interorganrespekt im Verfassungsrecht (2001), S. 158 f. 71 Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungsstaat (1984), S. 16; ders., in: Schneider/Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis (1989), S. 359 (363 f.); ähnlich schon Meyn, JZ 1977, 167 ff. der statt des Begriffs der „informalen Verfassungsregeln“ den der „Verfassungskonventionalregeln“ verwendet. 72 Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungsstaat (1984), S. 130. 73 Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungsstaat (1984), S. 107. 74 Nowrot, NZWehrr 2003, 65 (75).
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2. Kap.: Staatspraxis in Folge der Out-of-area-Entscheidung
In diesem Zusammenhang darf aber nicht übersehen werden, dass es sich lediglich um kontrafaktisch stabilisierte Verhaltenserwartungen handelt. Eine rechtliche Bindungswirkung erwächst hieraus nicht. Informale Verfassungsregeln sind trotz ihrer Nähe zum Verfassungsgewohnheitsrecht nicht als justiziable, sanktionsbewährte Rechtssätze zu verstehen75. Sie bestimmen das Verhalten der Verfassungsorgane zueinander, ohne dass diese rechtlich dazu verpflichtet wären76. Zwar kann derartigen Interorganvereinbarungen im Rahmen des allgemeinen Gebots des Interorganrespekts bzw. der Verfassungsorgantreue Bindungswirkung zukommen, doch wird letztlich die Handlungsfreiheit der Akteure de jure nur bedingt eingeschränkt77. Ein eigenes Verfahren für Auslandseinsätze bestand bis zum Inkrafttreten des Parlamentsbeteiligungsgesetzes demnach faktisch, aber nicht rechtlich78. Die Grundzüge des Verfahrens waren konstant, doch boten sie keine Gewähr für deren zukünftige Beibehaltung. Pars pro toto sind die Protokollerklärungen der Bundesregierung zutreffend als politische Verpflichtung ohne rechtliche Bindungswirkung dargestellt worden79.
B. Klärungsbedarf und rechtstechnische Umsetzungsmöglichkeiten Im Vorfeld des Parlamentsbeteiligigungsgesetzes waren sich nicht alle Stimmen in Wissenschaft und Politik mit dem Bundesverfassungsgericht darin einig, dass der Gesetzesgeber eine Verfahrensregelung erlassen solle. Teilweise wurde vorgebracht, dass eine Kodifizierung an den Eigenheiten der zu regelnden Materie scheitern müsse. Es gab aber auch Stimmen, die zwar von einer grundsätzlichen Regelungsfähigkeit ausgingen, diese aber nicht beim einfachen Gesetzgeber angesiedelt wissen wollten. Aus unterschiedlichen Überlegungen heraus, wurde entweder für eine grundgesetzliche Verankerung plädiert oder eine Umsetzung in der Geschäftsordnung des Bundestages als ausreichend erachtet. Die nachfolgende Darstellung soll zeigen, dass die vielfältigen Einwände gegen eine gesetzliche Umsetzung teilweise mit gutem Grund erhoben wurden, letzten Endes aber nicht durchschlagend sein konnten.
75 Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungsstaat (1984), S. 123 ff.; Nowrot, ZRP 2002, 370 (370 f.); Nowrot, NZWehrr 2003, 65 (75). 76 Ähnlich schon Meyn, JZ 1977, 167 ff. der statt den Begriffs der Verfassungskonventionalregeln verwendet. 77 Lorz, Interorganrespekt im Verfassungsrecht (2001), S. 41 m.w. N. 78 So auch F. Schröder, Das parlamentarische Zustimmungsverfahren (2005), S. 140. 79 Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 73.
B. Klärungsbedarf und rechtstechnische Umsetzungsmöglichkeiten
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I. Bundesverfassungsgerichtlicher Auftrag zum Erlass des Parlamentsbeteiligungsgesetzes Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist es „Sache des Gesetzgebers, die Form und das Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung näher auszugestalten“ 80. Das Gericht hat das Parlament hierbei nicht etwa zum Tätigwerden verpflichtet. Dennoch ist in der Bezugnahme auf ein eventuelles Gesetz eher die – wenn auch nicht verbindliche – Aufforderung zur Erfüllung einer Aufgabe, denn die bloße Beschreibung einer Möglichkeit zu sehen81. Zum Inhalt der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung beschränkt sich das Bundesverfassungsgericht auf Andeutungen: „Es ist Sache des Gesetzgebers, die Form und das Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung näher auszugestalten. Je nach dem Anlass und den Rahmenbedingungen des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte sind unterschiedliche Formen der Mitwirkung denkbar. Insbesondere im Hinblick auf unterschiedliche Arten der Einsätze, vor allem bei solchen, die keinen Aufschub dulden oder erkennbar von geringer Bedeutung sind, empfiehlt es sich, den Zeitpunkt und die Intensität der Kontrolle des Parlaments näher zu umgrenzen. Dabei kann es angezeigt sein, im Rahmen völkerrechtlicher Verpflichtungen die parlamentarische Beteiligung nach der Regelungsdichte abzustufen, in der die Art des möglichen Einsatzes der Streitkräfte bereits durch ein vertraglich geregeltes Programm militärischer Integration vorgezeichnet ist.“ 82
Im Sinne einer de minimis-Regel gibt Karlsruhe des Weiteren vor: „Der Bundestag hat über Einsätze bewaffneter Streitkräfte nach Maßgabe des Art. 42 Abs. 2 GG zu beschließen. Der Bedeutung des zu fassenden Beschlusses wird es, so es die Lage irgend erlaubt, entsprechen, dass er in den zuständigen Ausschüssen vorbereitet und im Plenum des Bundestages erörtert wird.“ 83 „Ungeachtet der Gestaltungsfreiheit im einzelnen muss die gesetzliche Regelung das Prinzip förmlicher parlamentarischer Beteiligung hinreichend zur Geltung bringen. Andererseits hat sie auch den von der Verfassung für außenpolitisches Handeln gewollten Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis und Verantwortlichkeit zu beachten“ 84.
Ebenso wie die staatlichen Organe nach § 31 Abs. 1 BVerfGG an diese Rechtsprechung gebunden sind, hat sich auch das Parlamentsbeteiligungsgesetz an diesen Vorgaben zu orientieren85. Die Erarbeitung des Gesetzes erforderte 80
BVerfGE 90, 286 (389). Lorz, Interorganrespekt im Verfassungsrecht (2001), S. 616. 82 BVerfGE 90, 286 (389). 83 BVerfGE 90, 286 (388). Die Öffnungsklausel des Art. 42 Abs. 2 Satz 2 GG, die es erlaubt, für die vom Bundestag vorzunehmenden Wahlen in der Geschäftsordnung Ausnahmen zuzulassen, ist per se nicht einschlägig. 84 BVerfGE 90, 286 (389 f.). 85 Neben dem Grundsatzjudikat sind dies BVerfGE 89, 38 – UNOSOM II; BVerfGE 100, 266 – Kosovo; BVerfGE 104, 151 – Neues Strategisches NATO-Kon81
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2. Kap.: Staatspraxis in Folge der Out-of-area-Entscheidung
gestaltendes Tätigwerden und erschöpfte sich nicht in bloßem Verfassungsvollzug86. Da das Gesetz auf die Ausgestaltung der parlamentarischen Beteiligungsrechte an Auslandseinsätzen abzielt, war es zunächst missverständlich, wenn im politischen und wissenschaftlichen Vorfeld von einem „Entsendegesetz“ gesprochen wurde87. Ungleich treffender ist der schließlich gewählte Titel des Parlamentsbeteiligungsgesetzes88. Schließlich ist an die Regelung von Art, Umfang und Modalitäten des konstitutiven Zustimmungsverfahrens und nicht etwa an zusätzliche Einsatzoptionen gedacht, wie der Begriff Entsendegesetz suggerieren könnte. Die materiellen völker- und verfassungsrechtlichen Einsatzvoraussetzungen können auf der Ebene eines einfachen Bundesgesetzes nicht modifiziert werden89. Diese Fragen sind unmittelbar aus dem Völker- und Verfassungsrecht zu beantworten90. Daher ist die Frage einer möglichen Militarisierung bzw. Demilitarisierung deutscher Außenpolitik durch das Parlamentsbeteiligungsgesetz nicht berührt. Die ungleich bedeutendere Frage, ob im Einzelfall bewaffnete
zept; BVerfGE 108, 34 – AWACS II-Eilentscheidung; BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008 – AWACS II. Hingegen ist Arndt, DÖV 2005 908 (910) der Auffassung, dass das Parlamentsbeteiligungsgesetz nach objektiver Verfassungslage keine Grundlage besitze, da Out-of-area-Einsätze (materiell-rechtlich) qua Verfassung ausgeschlossen seien. Das Bundesverfassungsgericht habe sich in „unzulässiger Weise“ über das Grundgesetz hinweggesetzt, seine Kompetenz überschritten, indem es sich als „verfassungsändernder Gesetzgeber“ betätigte und damit „einen Verfassungskonflikt herbeigeführt“ habe. 86 Wieland, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, Protokoll G 25, S. 133 (134). 87 Vgl. aus der Politik etwa die Diskussionsbeiträge beim Forum der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen zum Thema „Auslandseinsätze der Bundeswehr zwischen Parlaments- und Regierungsinteresse – Probleme eines Entsendegesetzes“ (DVParl.Prot. vom 04.06.2003). Scholz, Diskussionsbeitrag, DVParl-Prot. vom 04.06. 2003, S. 34, misst der Bezeichnung des Gesetzes weniger Bedeutung bei. 88 Vgl. Dreist, NZWehrr 2002, 133 (143). Indes meint Kutscha, KJ 37 (2004), 228 (234), dass die Wahl der Bezeichnung des Gesetzes „nicht gerade ein ausgeprägtes Bewusstsein für die zentrale Rolle des Parlaments im demokratischen Entscheidungsverfahren“ verrate. Von einem „Beteiligungsgesetz“ spricht – soweit besehen – erstmals Epping, AöR 124 (1999), 423 (456). 89 Damit erübrigen sich Überlegungen, im Parlamentsbeteiligungsgesetz bestimmte Einsatzarten generell auszuschließen [so Wild, DÖV 200, 622 (630); Schmidt-Radefeldt, Parlamentarische Kontrolle der internationalen Streitkräfteorganisation (2005), S. 140] oder an zusätzliche materielle Voraussetzungen zu knüpfen [so Brenner/Hahn, JuS 2001, 729 (735)]. Wenn der Bundestag im Einzelfall über einen Streitkräfteeinsatz zu entscheiden hat, besagt dies nicht, dass er sich dieser Entscheidungen durch ein Vorweg genommenes abstraktes Nein zu entziehen vermag. Dadurch würde in unzulässiger Weise in das außen- und wehrpolitische Reservat der Bundesregierung eingegriffen. Der Regierung kommt es Kraft ihrer Kompetenz zu, das Parlament mit dem Vorschlag eines konkreten Einsatzes zu konfrontieren, vgl. hierzu H. H. Klein, in: Horn (Hrsg.), Festschrift für Walter Schmitt Glaeser (2003), S. 245 (264). 90 Zutreffend das Positionspapier der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 03.11.2003, Ziff. 1 unter „Was wir nicht regeln können“.
B. Klärungsbedarf und rechtstechnische Umsetzungsmöglichkeiten
131
Streitkräfte eingesetzt werden sollen, bleibt letztlich eine der schwerwiegendsten politischen Entscheidungen, die der Bundesregierung und dem Bundestag abverlangt werden können. Die Zustimmung bzw. Ablehnung eines jeden Militäreinsatzes ist und bleibt dem politischen Prozess überlassen.
II. Klärungsbedarf Auch wenn die Formulierungen des Bundesverfassungsgerichtes dem Gesetzgeber den Erlass eines Verfahrensgesetzes mit einigem Nachdruck nahe legen, hat das Bundesverfassungsgericht dem Grundgesetz eine verfassungsrechtliche Verpflichtung dazu nicht entnommen91. Insofern hätte es rechtlich bei der durch die Out-of-area-Entscheidung grundsätzlichen getroffenen Zuordnung von Regierung und Parlament im Bereich des Auslandseinsatzes deutscher Streitkräfte bleiben können92. Auch die Tatsache allein, dass die konstitutive Beschlussfassung zu Auslandseinsätzen aufgrund ihrer zugrundeliegenden „wesentlichen“ Entscheidungsmaterie dem allgemeinen Parlamentsvorbehalt geschuldet ist, vermag eine gesetzliche Regelung nicht zu erzwingen. Dem demokratischen Parlamentsvorbehalt kann es durchaus genügen, wenn Regelungen nicht durch förmliches Gesetzes, sondern auf andere Weise getroffen werden. Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt erzeugt aber ein Spannungsfeld zwischen exekutiver Handlungsfähigkeit, militärischer Effizienz, Bündnistreue und demokratisch-parlamentarischer Legitimation93; genau hieraus speist sich Klärungsbedarf. Neben den bereits skizzierten Reibungspunkten in der interorganen Staatspraxis traten noch vielfältige Unklarheiten hinzu. Auch die hier folgenden Fragestellungen sind nicht abschließend94, sie sollen aber einen kurzen Einblick in die Vielzahl der praktischen Probleme ermöglichen und werden im III. Kapitel eingehend behandelt. • Inwieweit kann die konstitutive Zustimmung zu einem Einsatz statt vom Plenum von einen Ausschuss erteilt werden?95
91 H. H. Klein, in: Horn (Hrsg.), Festschrift für Walter Schmitt Glaeser (2003), S. 245 (246). 92 Vgl. schon Blumenwitz, BayVBl 1994, 641, 678 (681). 93 Schmidt-Radefeldt, Parlamentarische Kontrolle der internationalen Streitkräfteorganisation (2005), S. 109. 94 Siehe vor allem die umfangreiche Auflistung bei Schröder, Das parlamentarische Zustimmungsverfahren (2005), S. 145 ff. 95 Vgl. die entsprechenden Vorstellungen in den FDP-Anträgen BT-Drs. 14/9402 vom 12.06.2002; BT-Drs. 15/36 vom 06.11.2002; BT-Drs. 15/1985 vom 12.11.2003; vgl. auch die erneute FDP-Initiative nach Inkrafttreten des Parlamentsbeteiligungsgesetzes, BT-Drs. 16/3342 vom 08.11.2006.
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2. Kap.: Staatspraxis in Folge der Out-of-area-Entscheidung
• Inwieweit ist ein neues Verfahren zu entwickeln, um auch geheime Bundeswehreinsätze parlamentarisch abzusichern?96 • Unter welchen materiellen Umständen liegt Gefahr im Verzug vor? • Muss einem Gefahr im Verzug-Einsatz auch dann noch nachträglich zugestimmt werden, wenn er bereits beendet ist?97 • Inwieweit kann die Regierung ein größeres Kontingent als notwendig billigen lassen, um für unvorhergesehene Entwicklungen im Einsatzgebiet gerüstet zu sein?98 • Kann der Bundestag eine einmal erteilte Zustimmung zu einem konkreten Einsatz bewaffneter Streitkräfte widerrufen und die Bundeswehr zurückrufen?99 • Ist es zulässig einen konstitutiven Neuentscheid vom Willen einer Fraktion abhängig zu machen?100 • Welche Anforderungen sind an die Unterrichtung des Parlamentes über laufende Einsätze zu stellen?101 • Welche zeitlichen Mindestanforderungen sind an einen eingebrachten Regierungsantrag auf Zustimmung zu stellen, um dem Bundestag eine Diskussion zu ermöglichen?102 • Kann ein bereits abgewählter Bundestag vor Konstituierung des neugewählten Bundestages einem Einsatz noch konstitutiv zustimmen?103
96 Siehe die FDP-Vorschläge BT-Drs. 14/9402 vom 12.06.2002; BT-Drs. 15/36 vom 06.11.2002; BT-Drs. 15/1985 vom 12.11.2003; BT-Drs. 16/3342 vom 08.11.2006. 97 So geschehen im bislang einzigen Fall der Gefahr im Verzug, der Operation Libelle, BT-PlenProt. 13/166 vom 20.03.1997, S. 14989 Cf. 98 So z. B. geschehen bei Artemis, dazu Bundesverteidigungsminister Struck, BTPlenProt. vom 18.06.2003, 4228 C und bei Enduring Freedom, ebenfalls Bundesverteidigungsminister Struck, BT-PlenProt. 15/73 vom 07.11.2003, S. 6290 D. 99 Vgl. hierzu die Kontroverse im Rahmen der Konstituierung von Enduring Freedom zwischen dem Abg. Merz (CDU/CSU), dem ehemaligen Bundesverteidigungsminister Abg. Scholz (CDU/CSU), und dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Abg. Struck, BTPlenProt. 14/202 vom 16.11.2001, S. 19865 ff. 100 Wie erstmals im Rahmen der Verlängerung Joint Guardian II geschehen, vgl. BT-Drs. 14/3550 vom 08.06.2000, S. 4 Ziff. II und III. 101 Kritik an der zur Informationspolitik der Bundesregierung wurde des Öfteren laut, vgl. am Beispiel ISAF, Abg. Schäuble (CDU/CSU), BT-PlenProt. 15/51 vom 18.06.2003, S. 4230 D. 102 Zu einer als zu knapp empfundenen Zeitspanne z. B. im Falle Artemis s. Abg. Rossmanith (CDU/CSU), BT-PlenProt. 15/48 vom 05.06.2003, S. 4039 Bf. 103 So wie im Falle Allied Force (BT-PlenProt. 13/248 vom 16.10.1998, S. 23161 B) und bei der fünften Missionsverlängerung ISAF (BT-PlenProt. 15/187 vom 28.9. 2005, S. 17585 D).
B. Klärungsbedarf und rechtstechnische Umsetzungsmöglichkeiten
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• Sind sog. Erkundungsteams, deren vor Ort gewonnene Erkenntnisse überhaupt erst Überlegungen zur Möglichkeit und Notwendigkeit eines eventuellen Bundeswehreinsatzes ermöglichen, ebenfalls zustimmungspflichtig? Wie verhält es sich mit den sog. Vorausteams, die einen bereits anvisierten Einsatz vor Ort vorbereiten, indem sie die nötige Infrastruktur sichern, noch bevor das eigentliche Kontingent eintrifft?104 • Inwieweit ist es zulässig, Bundestagsmandate an Mandate internationaler Organisationen zu knüpfen?105 Bei der Beantwortung dieser unterschiedlichsten Fragestellungen dürfen indes die begrenzten Regelungsmöglichkeiten eines Verfahrensgesetzes nicht übersehen werden. Der einfache Gesetzgeber kann insbesondere den nervus rerum nicht regeln, wann ein verfassungsrechtlich zustimmungsbedürftiger Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Sinne der bundesverfassungsrichterlichen Rechtsprechung vorliegt; der Parlamentsvorbehalt für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte gilt „unmittelbar kraft Verfassung“ 106. Ein Verfahrensgesetz kann daher nicht wesentlich bestimmtere Regelungen enthalten als das Urteil des Bundesverfassungsgerichts selbst107. Dies gilt umso mehr als nicht absehbar ist, welche Einsatzformen die Bundeswehr zukünftig zu bewältigen hat. Einer klarstellenden Kodifizierung der Beteiligungsrechte des Bundestages stehen auch die Vorteile einer informalen Konkretisierung der parlamentarischen Beteiligung bei Auslandseinsätzen entgegen108. Eine nur auf den abstrakten, auslegungsbedürftigen Vorgaben des Out-of-area-Urteils basierende Staatspraxis, wie sie sich zwischen 1994 und 2004 herausgebildet hat, ermöglicht individuelle parlamentarische Beschluss- und Beratungsverfahren. Erweist sich ein Verfahrensmechanismus im Einzelfall unpassend – etwa bei der Beteiligung der Ausschüsse oder der Wahrnehmung des Informationsrechts durch das Parlament – so kann er durch einfachen politischen Konsens modifiziert werden109. Dies 104 Vgl. die Fragestellung im FDP-Antrag, BT-Drs. 15/36 vom 06.11.2002, S. 2 unter Nr. 3. 105 So das ursprünglich beabsichtigte Vorgehen der Bundesregierung im Falle der Mission Concordia, vgl. den Zustimmungsantrag BT-Drs. 15/696 vom 19.03.2003, S. 3. 106 BVerfGE 90, 286 (390); BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 53. 107 Auch Limpert, in: Häberle/Graf Vitzthum/Schwarze (Hrsg.), Der Staat als Teil und als Ganzes (1998), S. 50 f., war deshalb zunächst skeptisch gegenüber einem Verfahrensgesetz; unter dem Eindruck zunehmender Regelungsdichte der Bundestagsbeschlüsse befürchtet er aber später eine zunehmende Verwischung von parlamentarischen und exekutivischen Zuständigkeiten und fordert eine klarstellende Regelung, ders., Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 90 ff. 108 Dies betont vor allen Nowrot, ZRP 2002, 370 (370 f.); ders., NZWehrr 2003, 65 (73 ff.). 109 In diese Richtung gehen dann auch die Äußerungen des Verteidigungsminister Rühe, wonach die Verfahrensmodalitäten bei Auslandseinsätzen einer Verrechtlichung nicht zugänglich seien: „An das Problem darf man keine kalten Juristen lassen.“ Die
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2. Kap.: Staatspraxis in Folge der Out-of-area-Entscheidung
kommt dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt entgegen, weil er einem ständigen Anpassungsdruck an veränderte Umstände der Streitkräfteeinsätze und der Bewährung in der Praxis ausgesetzt ist. Zudem eröffnet die informale Staatspraxis eine Kompensationsmöglichkeit für die im Zeitpunkt der Beschlussfassung inhaltlich teilweise vagen Einsatzangaben der Regierung; bei isolierter Betrachtung eines vagen Zustimmungsantrags bestehende verfassungsrechtliche Bedenken können durch protokollarische Absichtserklärungen entschärft werden110. Eine solche informale Kooperation von Verfassungsorganen ist im Hinblick auf ein potenzielles Unterlaufen der gewaltenteiligen Kompetenzordnung und ein Entziehen des Verfassungsgebots demokratischer Öffentlichkeit aber gewichtigen Bedenken ausgesetzt111. Diese Bedenken wiegen im vorliegenden Bereich umso schwerer, als bei Auslandseinsätzen die Verletzungen höchster soldatischer Rechtsgüter zu befürchten sind. Vor allem die einzig unmittelbar Betroffenen eines Auslandseinsatzes, eben die Soldaten, haben Anspruch auf ein transparentes, nachvollziehbares Entscheidungsverfahren112. Im Sinne der immer wieder postulierten Bedeutung der Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik trägt ein kodifiziertes, durchsichtiges Verfahren der Bundestagsbeteiligung des Weiteren zur Berechenbarkeit und Verlässlichkeit deutscher Außen- und Verteidigungspolitik bei anderen Staaten und internationalen Organisation bei. Darüber hinaus kann informalen Regeln wohl lediglich zugestanden werden, für eine gewisse Übergangszeit als Erprobungsrahmen für Kooperationsmechanismen zu dienen113. Langfristig geben sie keine Rechtsicherheit. Um der Rechtssicherheit willen, ist dann auch die grundsätzliche Notwendigkeit von Regelungsmöglichkeiten anerkannt, die im interorganischen Bereich Bindungswirkung entfalten. Für den konkreten Fall der einfachgesetzlichen Regelung des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes wird die Bindungswirkung jedoch teilweise bestritten. Aufgrund der unmittelbaren Herleitung aus dem Grundgesetz könne im Bereich des wehrverfassungsrechtlichen Parlaments-
Frage der Beteiligung des Bundestags sei „durch die Praxis geregelt“, zit. nach Der Spiegel vom 31.03.1997, ,Dosierte Gewalt‘. 110 Vgl. Nowrot, ZRP 2002, 370 (370); ders., NZWehrr 2003, 65 (75). 111 Ausführlich Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungsstaat (1984), S. 134 ff. m.w. N.; allgemein zum Demokratiegebot der Öffentlichkeit Kloepfer, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. III (2005), § 42 Rndr. 11 ff.; 53 ff. 112 Auch der Wehrbeauftragte des Bundestages wies mehrfach darauf hin, dass es vor allem um der eingesetzten Soldaten Willen, politisch unbefriedigend sei, wenn das Bundesverfassungsgericht und nicht das Parlament die entscheidenden politischen Markierungen setze (vgl. etwa den Bericht des Wehrbeauftragten für das Jahr 2002, BT-Drs. 15/500, S. 17). Ebenso Generalleutnant Dieter, Diskussionsbeitrag, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, Protokoll G 25, S. 8. 113 Nicht verschwiegen werden soll an dieser Stelle, dass die informale Zusammenarbeit im Bereich der Auslandseinsätze notwendige und dienliche Versuche zur Regelbegründung und deren Erprobung in der Praxis ermöglichte.
B. Klärungsbedarf und rechtstechnische Umsetzungsmöglichkeiten
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vorbehaltes Unterverfassungsrecht keine Bindungswirkung entfalten114. Der durch eine verfahrensrechtliche Regelung avisierte Befriedungseffekt würde nicht erreicht, da Organstreitverfahren weiterhin drohten. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass der Gefahr, durch das Bundesverfassungsgericht als grundgesetzwidrig erkannt zu werden, jede Norm unterliegt. Und selbst wenn man von einer vollständigen Bindungslosigkeit der Verfahrensregelung ausgeht: die einseitige Missachtung eines einzelnen Regelungsbestandteils käme einer Verletzung des verfahrensrechtlichen Gesamtkomplexes gleich, was von der Gegenseite – sei es die Bundesregierung oder der Bundestag – weniger leicht genommen werden dürfte, als nur die einseitige Änderung des bisherigen Verfahrens in einem Einzelpunkt. Der von einer kodifizierten Regelung ausgehende politische Druck zur Einhaltung ist ungleich höher. Das vermag das Modell des sog. „Lindauer Abkommens“ zu bestätigen, denn trotz mangelnder Bindungswirkung bewährt sich seine Befriedungsfunktion schon seit Jahrzehnten115.
III. Rechtstechnische Umsetzungsmöglichkeiten 1. Verfassungsändernde Regelung Statt des einfachen könnte sich grundsätzlich auch der verfassungsändernde Gesetzgeber der Frage der Ausgestaltung des Beschlussverfahrens für Auslandseinsätze annehmen. Dies hätte zunächst den Vorteil einer ausdrücklichen Verankerung des Mitwirkungsverfahrens im Grundgesetztext für sich; die Akteure wären verfassungsrechtlich nicht mehr auf Richterrecht verwiesen116. Aufgrund der regelhaften Beteiligung deutscher Streitkräfte an internationalen Missionen käme hierbei eine Verortung bei Art. 24 GG in Betracht. Auch das Bundesverfassungsgericht hat die materielle Rechtmäßigkeit der Auslandseinsätze zentral auf diesen Artikel gestützt. Konkret wäre auch die Abweichung von der bundesverfassungsrichterlichen Judikatur möglich gewesen, indem etwa die Entsendebefugnis exklusiv der Bundesregierung zugewiesen würde. So liegt bei den Bündnispartnern der Bundesrepublik die Entscheidung über eine Beteiligung der Streitkräfte an internationalen Missionen überwiegend in der außenpolitischen Prärogative der Regierung117. Denkbar wäre eine modifizierte Entsende114 Isensee, Diskussionsbeitrag, DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 30; Wild, DÖV 2000, 622 (631). 115 Hierzu Rudolf, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. IV (1990), § 105 Rndr. 11, 45, 60. 116 Für eine Verfassungsänderung plädieren Kokott, in: Sachs (Hrsg.), GG (2003), Art. 87a Rndr. 31; Epping, in: Pieroth (Hrsg.), Verfassungsrecht und soziale Wirklichkeit in Wechselwirkung, (2000), S. 183 (206); Burkiczak, ZRP 2003, 82 (86). 117 Rechtsvergleichende Darstellungen bei Nolte/Krieger, Europäische Wehrrechtssysteme (2003); Ku/Jacobson (Hrsg.), Democratic Accountability and the Use of Force in International Law (2003); Schmidt-Radefeldt, Parlamentarische Kontrolle der inter-
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2. Kap.: Staatspraxis in Folge der Out-of-area-Entscheidung
befugnis der Regierung dergestalt, dass das Erfordernis der vorherigen Zustimmung durch eine nachgelagerte parlamentarische Mitentscheidungsbefugnis im Sinne eines Rückholrechts ersetzt würde, wie es das amerikanische Modell der War Powers Resolution vorsieht118. Gegner einer regierungsfreundlicheren Ausrichtung der Verfassung könnten darauf verweisen, dass die exekutiv ausgerichteten Bündnispartner auf eine andere Tradition und ein anderes Selbstverständnis des militärischen Einsatzes zurückblicken119. In Deutschland ist ein Bundeswehreinsatz mit vielfältigen politischen und historischen Hypotheken belastet120. Zudem gibt es auch in Europa aussagekräftige Gegenbeispiele, die eher der jetzigen deutschen Regelung entsprechen. Im Hinblick auf die erforderlichen Mehrheiten ist eine Verfassungsänderung im politischen Raum dann auch nicht ernsthaft erwogen worden. 2. Geschäftsordnungsregelung Verschiedentlich wurde auch vorgebracht, die Mitwirkung des Bundestages an der Entsendung von Streitkräften sei eine Angelegenheit der Geschäftsordnung des Bundestages. Vor allem Josef Isensee hat die Option einer Regelung der einschlägigen Fragen ausschließlich in der Geschäftsordnung vorgeschlagen121. Isensee führt aus, dass ein entsprechendes Verfahrensgesetz keine Binnationalen Streitkräfteorganisation (2005), S. 145 ff.; Koch, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz (2006), S. 38 ff. 118 Zur War Powers Resolution siehe die umfangreiche Darstellung bei Schwarz, Die verfassungsgerichtliche Kontrolle der Außen- und Sicherheitspolitik (1993), S. 104 ff. Inwieweit Erfahrungen des amerikanischen Verfahrenssystem für eine deutsche Regelung fruchtbar gemacht werden können, beleuchtet St. Böckenförde, in: Deutschen Stiftung Friedensforschung (Hrsg.), Die War Powers Resolution als ein mögliches Modell für ein Entsendegesetz/Parlamentsbeteiligungsgesetz (2004), der indes Zurückhaltung empfiehlt. 119 Vgl. Meier-Klodt, SWP-Studie 2002/S34, S. 10. 120 Dies wurde zuletzt vor allem im vorangegangenen innerdeutschen Streit um die Beteiligung der Bundeswehr an United Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL) deutlich. Das robuste, auf Kapitel VII der Charta beruhende VN-Mandat (Res. 1701 vom 11.08.2006) soll vor allem zur Absicherung der israelisch-libanesischen Grenze vor Waffenschmuggel dienen. Der Bundeswehr kommt hierbei die zentrale Aufgabe der Kontrolle der Seewege und die Umleitung von Schiffen im Verdachtsfall zu. Acht Kriegsschiffe der Bundeswehr mit einer Besatzungsstärke von über 1.000 Soldaten sind seit Ende September 2006 vor Ort. Im Zentrum der vorangegangenen, erregt geführten innerdeutschen Debatte standen vor allem zwei Fragen: Ist die besondere Verantwortung, die Deutschland wegen seiner Geschichte für Israel und dessen Existenzrecht empfindet, ein Argument für oder gegen ein militärisches Engagement in der Krisenregion? Und kann Deutschland vor diesem Hintergrund im Konflikt zwischen Israel, dem Libanon und der Hisbollah jene Neutralität wahren, auf die sich die Vereinten Nationen bei ihren Einsätzen berufen?, 121 Isensee, Diskussionsbeitrag, DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 41 „Die Geschäftsordnung wäre ein ideale Platz, um erst einmal in vorsichtiger Form auf einem schwierigen Gelände mit normativen Festsetzungen zu üben, anstelle die große, aber
B. Klärungsbedarf und rechtstechnische Umsetzungsmöglichkeiten
137
dungswirkungen entfalte, sondern lediglich das Verhältnis zweier Staatsorgane kläre. Im Verhältnis zur Regierung könne das Gesetz nur regeln, was die Verfassung ausdrücklich gestatte. Insbesondere könne es dem Bundestag nicht mehr Rechte geben, als diesem aus der Verfassung ohnehin zukommen122. Eine entsprechende Regelung sei nur fähig, in erster Linie das Parlament selbst zu binden. Einer Regelung dieser Materie lediglich in der Geschäftsordnung des Bundestages steht jedoch schon der apodiktische bundesverfassungsrichterliche Aufruf zu einer gesetzlichen Ausgestaltung des parlamentarischen Beteiligungsverfahrens entgegen123: „Es ist Sache des Gesetzgebers, die Form und das Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung näher auszugestalten (. . .) Ungeachtet der Gestaltungsfreiheit im einzelnen muss die gesetzliche Regelung das Prinzip förmlicher parlamentarischer Beteiligung hinreichend zur Geltung bringen.“ 124
Soweit auf Bundesebene die Möglichkeit der Regelung (auch) innerparlamentarischer Verfahrensfragen durch förmliches Gesetz bestritten wird, wird dies zumeist damit begründet, dass bei der Änderung und der Ausfertigung der Gesetze andere Verfassungsorgane (Bundesrat und Bundespräsident) beteiligt sind. Deshalb drohe ein Verlust der souveränen Selbstorganisation des Bundestags125. Keinen Bedenken begegnen insoweit aufgrund entsprechender verfassungsrechtlicher Ermächtigung gesetzlich geregelte Geschäftsordnungsfragen126. Das hier in Frage stehende Parlamentsbeteiligungsgesetz ist zwar vom Grundgesetz nicht ausdrücklich vorgesehen, impliziert aber auf Grund der Herleitung des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt unmittelbar aus der Verfassung127, sowie der Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts der Gesetzgeber solle diesen ausgestalten, eine quasi-verfassungsrechtliche Ermächtigung. Unproblematisch zulässig wäre jedoch eine Ergänzung der verfahrensgesetzlichen Kodifikation durch die Geschäftsordnung des Bundestages dahin, dass ein Abschnitt zur verfahrensmäßigen Umsetzung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes eingefügt auch riskante Lösung zu wählen.“; vgl. schon frühzeitig Dau, NZWehrr 1994, 177 (183) wonach die angeregte Kodifizierung der parlamentarische Mitwirkung einer „auf Bedeutungshöhe eines Gesetzesvorbehaltes gehobene Geschäftsordnungsregelung“ entspricht. 122 Isensee, Diskussionsbeitrag, DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 29 f. 123 Kritisch zu einer ausschließlichen Regelung in der Geschäftsordnung auch Abg. Nachtwei (Bündnis90/Die Grünen), Diskussionsbeitrag, DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 43; MDgt. Weingärtner, ebda., S. 45. 124 BVerfGE 90, 286 (389) – Hervorhebung nicht im Original. 125 Vgl. zu dieser Problematik BVerfGE 70, 324 (361) – Haushaltskontrolle der Nachrichtendienste und insbesondere die Sondervoten von Mahrenholz und Böckenförde, BVerfGE 70, 324 (366 ff. bzw. 380 ff.). 126 Vgl. Art. 10 Abs. 2 Satz 2, Art. 41 Abs. 3, Art. 45b Satz 2, Art. 45c Abs. 2 GG. 127 BVerfGE 90, 286 (390); BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 53.
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2. Kap.: Staatspraxis in Folge der Out-of-area-Entscheidung
würde. Das rein innerparlamentarische Zustimmungsverfahren zu Auslandseinsätzen hätte sich dann nicht mehr notbehelfsmäßig an den Regelungen des Gesetzgebungsverfahrens zu orientieren128. Der Weg, den der Geschäftsordnungsgeber am 21. April 2005 mit Einfügung des § 96a GOBT eingeschlagen hat, beschränkt sich jedoch auf Wiederholungen der Formulierungen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes bzw. auf wenig weitreichende innerparlamentarische Regelungen129. Gegen eine tiefgreifendere Anpassung der Geschäftsordnung mag der Einwand aufkommen, dass eine zusätzliche Verortung in der Geschäftsordnung die zu regelnde Materie einer wenig übersichtliche Zersplitterung in ein interorganisches Verfahrensgesetz und eine rein intraorganische Geschäftsordnungsregelung zuführe. Schwerer wiegen jedoch die Vorteile eines verschlankten Verfahrens und die Möglichkeit mittels einfacher Geschäftsordnungsänderung zeitnah und flexibel auf neue Konstellationen zu reagieren. 3. Einfachgesetzliche Regelung Nach allem sprechen keine durchgreifenden Argumente gegen die einfachgesetzliche Normierung der parlamentarischen Mitwirkungsrechte an Auslandseinsätzen. Im Gegenteil: Der herausragenden Bedeutung, die der Erzielung einen möglichst breiten Konsens in dieser sensiblen Materie zukommt, kann nur durch eine in ihren Grundzügen verrechtlichte Kooperation zwischen Regierung und Parlament entsprochen werden. Um ein Höchstmaß an Akzeptanz, Folgebereitschaft und Berechenbarkeit zur erzielen, bedarf es einer öffentlichen, die Gesetzgebung begleitende Debatte ebenso wie einer transparenten Regelung als deren Ergebnis130. Die gesetzlichen Festlegungen sind primär das Ergebnis einer gestaltenden Tätigkeit und bekunden den politischen Willen des Parlaments, wie das Spannungsverhältnis zwischen wehrverfassungsrechtlichem Parlamentsvorbehalt, exekutivischer Eigenverantwortung und Bündnisfähigkeit aufgelöst werden soll. Nur solange das Parlament von der ihm zustehenden Regelungsbefugnis keinen Gebrauch macht, kann das Bundesverfassungsgericht (als legislative Komplementärgewalt) den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt gestalterisch ausfüllen, da es anderenfalls die ihm vorgelegten Rechtsfragen nicht entscheiden könnte. Sobald aber der Gesetzgeber konkretisierende Regelungen getroffen hat, ist das Bundesverfassungsgericht darauf beschränkt, lediglich zu klären, ob die gesetzlichen Regelungen im Einklang mit der Verfassung stehen131. Die Parameter einer gesetzlichen Regelung hat das Bundesverfas128
Dazu Zweites Kapitel, A. II. Anhang II. 130 Ähnlich Nowrot, NZWehrr 2003, 65 (76 f.). 131 Wieland, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 133 (134). 129
B. Klärungsbedarf und rechtstechnische Umsetzungsmöglichkeiten
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sungsgericht in seiner Out-of-area-Entscheidung vorgeben und jüngst in seiner AWACS II-Entscheidung vom 7. Mai 2008 bekräftigt132. Jenseits dieser sind das Verfahren und die Intensität der Beteiligung des Bundestages in der Verfassung nicht vorgegeben. Rechtsvergleichend fällt auf, dass sich in der Frage verfahrensrechtlichen Regelungs- und Klärungsbedarfs Parallelen zu anderen Bereichen finden. So erwuchs mit steigender Bedeutung der europäischen Integration die Erkenntnis, dass es einer gesonderten Regelung bedürfe, die schließlich zur Einfügung des Art. 23 GG führten. Prinzipiell hätte es auch hier bei Art. 24 Abs. 1 und 59 Abs. 2 Satz 1 GG bleiben können. Nach jahrzehntelangem Ringen konnte sich der Gesetzgeber schließlich 2001 auch auf die Verabschiedung des Parlamentarischen Untersuchungsausschussgesetzes (PUAG) einigen. Das PUAG regelt als Ausführungsgesetz zu Art. 44 GG Fragen der Einsetzung von Untersuchungsausschüssen und das Verfahren vor den Untersuchungsausschüssen133. Des Weiteren besteht eine detaillierte Regelung für Auslandsmissionen des Bundesgrenzschutzes in § 8 BGSG134, obwohl die praktische Relevanz derartiger Fälle hinter denen von Bundeswehr-Einsätzen weit zurückbleibt.
132 BVerfGE 90, 286 (389); BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 19. Hierbei sind auch die tragenden Gründe der Entscheidung nach § 31 Abs. 1 BVerfGG bindend, s. BVerfGE 40, 88 (93 f.). 133 Zum PUAG siehe März, in: ders. (Hrsg.), An den Grenzen des Rechts – Kolloquium zum 60. Geburtstag von Wolfgang Graf Vitzthum (2003), S. 43 ff. 134 Vgl. hierzu Schultz, Die Auslandsentsendung von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz (1998), S. 445 ff., 453.
Drittes Kapitel
Das Parlamentsbeteiligungsgesetz A. Gesetzesgenese Zehn Jahre mussten vergehen bis der Gesetzgeber der Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts gefolgt ist und am 3. Dezember 2004 das Parlamentsbeteiligungsgesetz verabschiedete. Angenommen wurde der von den rot-grünen Koalitionsfraktionen am 23. März 2004 gemeinsam eingebrachte Gesetzesentwurf1, der sich gegen die Initiative der FDP-Fraktion vom 12. November 2003 durchsetzen konnte2. Zunächst war es die FDP-Fraktion, die ein Verfahrensgesetz beschleunigte3. Schon 2002 forderte sie die Bundesregierung in zwei Anträgen auf4, einen Gesetzesentwurf vorzulegen, bevor sie selbst initiativ wurde und ihren eigenen Entwurf einbrachte. Zu dieser Zeit erstellte auch eine Arbeitsgruppe von SPD-Fraktionsmitgliedern einen entsprechenden Gesetzestext5, der aber nicht in das förmliche Verfahren eingebracht wurde. Parallel entwickelte der Fraktionsvorstand von Bündnis90/Die Grünen seine Gedanken zu einer gesetzlichen Regelung und beschloss am 3. November 2003 ein entsprechendes Positionspapier6. Die zunächst separat geführten Überlegungen der Koalitionsfraktionen mündeten schließlich in den gemeinsamen Gesetzesentwurf vom 23. März 2004. Letzterer stellt im Wesentlichen eine eher redaktionelle Weiterentwicklung des SPD-Entwurfes dar, wurde jedoch erstmals mit einer Begründung versehen. Die Unionsfraktion wurde nicht initiativ, sie beließ es im November 2003 bei der Erarbeitung eines „Entwurfs eines Eckpunktepapiers“ 7. Sie begründete dies mit einer vermeintlichen Bringschuld der Bundesregierung, einen Gesetzesentwurf vorzulegen8. Bereits zuvor veröffentlichten die Unions1
BT-Drs. 15/2742. BT-Drs. 15/1985 vom 12.11.2003. 3 Einzelne Äußerungen aus der Politik zur Ausgestaltung des geplanten Gesetzes sind dokumentiert bei Dreist, NZWehrr 2002, 133 (134 ff.); Spies, in: Fischer et al. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Fleck (2004), S. 531 (534). 4 BT-Drs. 14/9402 vom 12.06.2002 und BT-Drs. 15/36 vom 06.11.2002. 5 s. Anhang 3. 6 s. Anhang 4. 7 s. Anhang 8. 8 Entwurf für ein Eckpunktepapier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (Stand: 11.11. 2003); Abg. Pofalla (CDU/CSU), Diskussionsbeitrag, DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 25. 2
A. Gesetzesgenese
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abgeordneten Karl Lamers, Wolfgang Schäuble und Rupert Scholz im Frühjahr 2002 ein „Zukunftskonzept Sicherheit“ 9, in dem sie u. a. auch ihre Vorstellungen zu einem Verfahrensgesetzes darlegten. Die am 25. März 2004 abgehaltene erste Lesung10 machte die unterschiedlichen Vorstellungen zur Ausgestaltung des Parlamentsvorbehaltes deutlich, zeigte aber auch, dass diese nicht per se unüberbrückbar waren. Einig waren sich alle Fraktionen darin, das Verfahren der Parlamentsbeteiligung zu standardisieren und damit zu vereinfachen. Uneinig war man indes, wie diese Vereinfachung verfahrenstechnisch umzusetzen sei. Während nach den Vorstellungen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP ein neu zu errichtender Ausschuss die vorzugwürdige Lösung darstellte, lehnten dies die Koalitionsfraktionen ab11. Der weitergehende Vorschlag der Union, die Regierung dadurch zu stärken, dass vom Bundestag ein genereller Vorabbeschluss über Einsätze der Bundeswehr zu fassen sei, um es der Bundesregierung im Bündnisrahmen zu ermöglichen, flexibler agieren zu können, wiesen wiederum die regierenden Koalitionsfraktionen und die FDP zurück. Des Weiteren empfahl die CDU/CSU-Fraktion, die Ausschussberatungen dazu zu nutzen, einen fraktionsübergreifenden Gesetzestext zu erarbeiten12, was in der Folge jedoch nicht gelang. Vielmehr wurden die Entwürfe nach einer im federführenden Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung erfolgten Sachverständigenanhörung13 nahezu unverändert14 zur zweiten und dritten Lesung am 3. Dezember 2004 vorgelegt15. Letzten Endes führten die unterschiedlichen Vorstellungen doch dazu, dass sich die Fraktionen nicht auf einen gemeinsamen Gesetzestext einigen konnten. Die Unionsfraktion sah in beiden Entwürfen die neuesten Entwicklungen im EU- und NATO-Bündnis nicht ausreichend berücksichtigt und lehnte daher beide Vorlagen ab. Auch zwischen den Koalitionsfraktionen und der FDP konnte keine Einigkeit erzielt werden. Der von der FDP vorgesehene Ausschuss, der befugt gewesen wäre, über eilige, geheime oder geringfügige Einsätze zu beschließen, 9
Abrufbar unter: www.wolfgang-schaeuble.de/positionspapiere/zukunftskonzsich.
pdf. 10
BT-PlenProt. 15/100 vom 25.03.2004, S. 8977 Cff. Vgl. Abg. Nachtwei (Bündnis90/Die Grünen), BT-PlenProt. 15/100 vom 25.03. 2004, S. 8983 B; Abg. Erler (SPD), BT-PlenProt. 15/146 vom 03.12.2004, S. 136366 D. 12 Abg. v. Klaeden (CDU/CSU), BT-PlenProt. 15/100 vom 25.03.2004, S. 8981 D. 13 Vgl. StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages am 17.06.2004. Auch der Bundesaußenminister (vgl. KurzProt. der 11. Sitzung des Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung am 27.06.2003), sowie der Verteidigungsminister und der Generalinspekteur der Bundeswehr (vgl. KurzProt. der 9. Sitzung des Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung am 05.06.2003) wurden in den Beratungen gehört. 14 Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung BT-Drs. 15/4264 vom 24.11.2004. 15 BT-PlenProt. 15/146 vom 03.12.2004, S. 13635 Cff. 11
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
war zwar anfangs von Teilen der SPD und insbesondere von Bundesverteidigungsminister Struck befürwortet worden. Doch Bündnis90/Die Grünen wehrten sich entschieden und erfolgreich hiergegen, weil sie darin die Rechte des Plenums verletzt sahen. Letztlich wurde der von den Koalitionsfraktionen vorgelegte Entwurf mit Regierungsmehrheit beschlossen. Auf eine zwischen den Berichterstattern des federführenden Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung geschlossene Verabredung, eine geschäftsordnungsrechtliche Nachfolgeregelungen an das Parlamentsbeteiligungsgesetzes folgen zulassen16, folgte am 21. April 2005 die Einfügung des neuen § 96a GOBT17. Dieser beschränkt sich indes auf die Wiedergabe weniger Abschnitte des Parlamentsbeteiligungsgesetzes bzw. trifft innerparlamentarische Regelungen mit eher untergeordneter Bedeutung. Am 8. November 2006 erneuerte die FDP-Fraktion mit einem Entwurf eines Änderungsgesetzes zum Parlamentsbeteiligungsgesetz ihren Versuch, einen Ausschuss für besondere Auslandseinsätze zu errichten18. Der neue Entwurf entspricht im Wesentlichen dem Vorgänger aus der 15. Wahlperiode. Am 24. Oktober 2007 wurde der FDP-Antrag im Bundestag erstmals beraten19. Dabei wurde er von den anderen Fraktionen weitgehend abgelehnt20, ohne dass Einigungsmöglichkeiten ersichtlich geworden wären21. Seither wird er in den Ausschüssen behandelt. An diese kurze Skizzierung der Gesetzesgenese und der verschiedenen Vorschläge innerhalb der Parteien schließt sich im folgenden Teil der Untersuchung ihre ausführliche Darstellung an. Einzelne, in der Staatspraxis und im Gesetzgebungsverfahren umstrittenen Punkte der interorganischen Kompetenzen und Verantwortungen im Bereich des Streitkräfteeinsatzes werden aufgezeigt und ihre Lösung im Parlamentsbeteiligungsgesetz eingehenden dargestellt. Von besonderem Interesse sind hier die Definition des Begriffs des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte, die inhaltliche Ausgestaltung der an das Parlament gerichteten Zustimmungsanträge, die Abstufung der Verfahrensdichte bei Einsätzen ge16 15. WP, Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll 28 vom 11.11.2004, S. 10. 17 BGBl. I S. 1230; auch abgedruckt im Anhang 2. 18 BT-Drs. 16/3342. 19 BT-PlenProt. 16/120, S. 12512 Dff. 20 Der Vertreter der CDU/CSU-Fraktion befürchtete aufgrund der vorgeschlagenen Verfahrensregelung zu Gefahr im Verzug-Einsätzen, sowie zur Unterrichtung des Bundestages über laufende Einsätze eine unangemessene Gewichtsverschiebung zu Lasten der Bundesregierung. Gleichzeitig hegte er gegenüber dem Einsatzausschuss verfassungsrechtliche Bedenken. Die Vertreter der SPD sowie Bündnis90/Die Grünen hielten zumindest die geltenden Regelungen – wenn auch nicht die Praxis – der Unterrichtung durch die Bundesregierung für ausreichend. Des Weiteren besorgten sie aufgrund der Ausschussregelung den Charakter der Bundeswehr als „Parlamentsarmee“. 21 BT-PlenProt. 16/120, S. 12512 Dff.
B. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte
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ringerer Bedeutung, die Gefahr im Verzug-Regelung, sowie nicht zuletzt die Frage nach einem parlamentarischen Rückholrecht der Streitkräfte. Unter Rückgriff auf die Darstellungen und Ergebnisse der vorangegangenen Kapitel werden die nunmehr getroffenen Regelungen anschließend einer Bewertung unterzogen. Für den Einzelfall werden de lege ferenda Alternativen entwickelt. Ebenso werden Lösungsvorschläge unterbreitet für gesetzgeberisch außen vor gelassene, gleichwohl aber praktisch relevante Problemstellungen.
B. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte I. Notwendigkeit und Möglichkeiten einer Definition Nicht jede Verwendung der Bundeswehr im Ausland, sondern nur der Einsatz bewaffneter Streitkräfte verpflichtet die Bundesregierung, das Parlament um seine konstitutive Zustimmung zu ersuchen. Der Tatbestand des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte ist somit das verfassungsrechtliche Entrée für die Bundestagsbefassung. Wird eine geplante Mission seitens der Exekutive als unterhalb dieser Schwelle liegend und damit als zustimmungsfrei erachtet, so besteht für den Bundestag keine direkte Möglichkeit der Einflussnahme. Stellt die Bundesregierung keinen Antrag auf Zustimmung, kann der Bundestag auch keine Zustimmung erteilen. Für den Bundestag verbleibt im Einzelfall nur die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts im Organstreitverfahren. Der Gang nach Karlsruhe ist aber langwierig, die streitgegenständliche Mission wird bis zur Entscheidung regelmäßig begonnen haben, oder gar – wie zuletzt bei der Entscheidung über die AWACS-Flüge anlässlich des dritten Irakkriegs – schon abgeschlossen sein. Zudem sind die Erfolgsaussichten des Eilrechtsschutzes in Fragen außenpolitischer Dimension durch die bloße Abwägung der Entscheidungsfolgen gering22, wie zuletzt der Tornado-Eilbeschluss vom 29. März 2007 einmal mehr bestätigte23. Es drängte sich damit auf, dass der Bundestag im Parlamentsbeteiligungsgesetz legaliter definiert, wann eine den Parlamentsvorbehalt auslösende Bundeswehrmission vorliegt. Gleichzeitig ist aber festzuhalten, dass der Parlamentsvorbehalt kraft Verfassung gilt und nicht vom einfachen Gesetzgeber definiert werden kann24. Dem Bundestag ist die authentische Inter22 Vgl. 33, 195 (197); 83, 162 (171 f.); 88, 173 (179); 89, 38 (43); 108, 34 (41); hierzu auch Schoch/Wahl, in: E. Klein (Hrsg.), Festschrift für Ernst Benda (1993), S. 265 ff.; zur sog. Doppelhypothese explizit BVerfGE 83, 162 (171 f.); 86, 390 (395). 23 BVerfGE 118, 111 (122). 24 Fehl gehen demnach Eitelhuber, SWP-Studie 2004/S10, S. 8 FN 6, der den Gesetzgeber auffordert, den Begriff des bewaffneten Einsatzes „rechtlich verbindlich zu definieren“, sowie der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Abg. Arnold mit der gleichlautenden Forderung in Spiegel-Online vom 28.03.2003, ,Kompetenzgerangel um Entsendegesetz‘.
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
pretation der Verfassung verwehrt25. Durch eine Legaldefinition kann also nicht verhindert werden, dass etwa unter Berufung auf Formulierungen des Grundsatzurteils streitige Fällen nach Karlsruhe getragen werden. Der Bundestag kann aber zumindest sein Verständnis von Umfang und Grenzen des Parlamentsvorbehalts dokumentieren. Er kann dabei eine Verständigung darüber herbeiführen, für welche Fälle er ein Recht auf Beteiligung an Entsendeentscheidungen beansprucht26. Das Bundesverfassungsgericht formuliert dies entsprechend in seiner eben zitierten zweiten AWACS-Entscheidung vom 7. Mai 2008: „,Einsatz bewaffneter Streitkräfte‘ ist ein verfassungsrechtlicher Begriff, (. . .) der auch nicht von einem im Rang unter der Verfassung stehenden Gesetz (. . .) verbindlich konkretisiert werden kann, wenn auch die gesetzliche Ausgestaltung des Instituts im Einzelfall Hinweise für seine verfassungsunmittelbare Reichweite zu geben vermag.“ 27
Gerade aus systematischer Sicht wäre ein Verfahrensgesetz ohne entsprechende Begriffsbestimmung des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte auch kaum denkbar gewesen, schließlich hat auch das Bundesverfassungsgericht den Auftrag erteilt, das parlamentarische Beschluss- und Beratungsverfahren insbesondere bei Einsätzen von geringerer Bedeutung entsprechend zu modifizieren28. Gegen eine Legaldefinition wurde auch vorgebracht, dass sie an den dynamischen Eigenheiten der zu regelnden Materie scheitern müsse. Jede Bundeswehrmission sei nach aller Erfahrung singulär, der nächste Einsatz weise Abweichungen von allen bisherigen Einsätzen auf, daher könne eine Legaldefinition kaum konkreter ausgestaltet sein, als die bundesverfassungsrichterlichen Vorgaben selbst29. Der vermeintliche Gewinn einer gesetzlichen Regelung verlagere sich damit lediglich auf die Ebene der Interpretation des Gesetzes30. Strebe man aber eine bestimmtere Legaldefinition an, etwa in Form einer Einsatzkasuistik, bestünde wiederum die Gefahr, diese aufgrund ständig neuer Entwicklungen dauerhaft ergänzen zu müssen31. Diese Prämisse, wonach jeder Einsatz singulär ist, verdient zwar Zustimmung, doch ist der Schluss auf eine stets ergänzungsbedürftige Einsatzkasuistik nicht zwingend. Eine Aufzählung muss nicht ab25
BVerfGE 12, 45 (53). Baldus, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 39 (66). 27 BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 61. 28 Schmidt-Jortzig, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 107 (108). 29 Für ein erhebliches Maß an Offenheit einer Legaldefinition plädierte im Rahmen einer Veranstaltung der Vereinigung für Parlamentsfragen e. V. dann auch Rupert Scholz als geladener Sachverständiger, s. ders., Referat, DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 2 (7, 9). 30 So Gramm, UBWV 2003, 161 (163). 31 Dreist, KritV 2004, 79 (90 f.). 26
B. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte
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schließend formuliert sein; möglich ist auch ein Rückgriff auf die Regelbeispieltechnik.
II. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 1. Abstrakte Ausführungen Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Grundsatzentscheidung vom 12. Juli 1994 nicht hinreichend geklärt, welchen Anforderungen eine Bundeswehrmission im Ausland gerecht werden muss, um den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt auszulösen. Indem das Bundesverfassungsgericht den „Einsatz bewaffneter Streitkräfte grundsätzlich der vorherigen konstitutiven Zustimmung des Bundestages“ 32
unterwirft, erläutert oder definiert es den Begriff nicht, sondern setzt ihn voraus. An andere Stelle der Entscheidung spricht das Gericht synonym von der „Entscheidung über militärische Einsätze deutscher Streitkräfte“ 33. Wenn es weiter ausführt, dass „die Verwendung von Personal der Bundeswehr für Hilfsdienste und Hilfeleistungen im Ausland, sofern die Soldaten dabei nicht in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind“ 34,
nicht des Zustimmung des Bundestages bedürfen, gilt im Umkehrschluss, dass der Parlamentsvorbehalt auch dann ausgelöst wird, wenn deutsche Soldaten zwar selber keine Waffen tragen, aber in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind35. Diese scheinbar klare Unterscheidung zwischen dem zustimmungspflichtigen „Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ bzw. einem Einbezogensein „in bewaffnete Unternehmungen“ und der zustimmungsfreien „Verwendung für Hilfsdienste“, liefert aber nur vordergründig geeignete Parameter. So hat das Begriffspaar „Einsatz“ und „Verwendung“ bereits in der dem Grundsatzjudikat vorausgegangenen verfassungsrechtlichen Diskussion um Art. 87a Abs. 2 GG eine zentrale Rolle gespielt, die zu waghalsigen und allzu ergebnisorientierten Interpretationen führte36. Durch die Aufnahme beider Begriffe in das Out-ofarea-Urteil wurde das aus der Auseinandersetzung mit Art. 87a Abs. 2 GG bekannte Problem der Begriffsakrobatik nicht beseitigt, sondern verlagert. Schon 32
BVerfGE 90, 286 (381). BVerfGE 90, 286 (387). 34 BVerfGE 90, 286 (388); BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 59. 35 So dann auch BVerfGE 108, 34 (43). 36 Diese Problematik entzündete sich an der vorgelagerten Frage, ob Auslandsmissionen der Bundeswehr nicht von vornherein ausgeschlossen seien, da Art. 87a Abs. 2 GG vorschreibt, dass die Bundeswehr außer zur Verteidigung nur in von der Verfassung benannten Fällen „eingesetzt“ werden darf. 33
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
in der älteren Diskussion wurde deutlich, dass zumindest eine am Wortlaut orientierte Auslegung des Einsatzbegriffs zu keinem eindeutigen Ergebnis führen kann. Der natürliche Wortsinn von „einsetzen“ birgt auf Grund seiner Weite kein Abgrenzungspotential, schließlich können hierunter sowohl Ernte- oder Hilfseinsätze als auch Kriegseinsätzen der Bundeswehr subsumiert werden. Dieser Befund spiegelt sich auch in der Grammatik des Grundgesetzes, wenn innerhalb der Verfassung der Begriff „Einsatz“ sehr heterogen verwendet wird. Während Art. 87a Abs. 4 Satz 2 GG unter anderem das Bekämpfen militärischer Aufständischer als „Einsatz“ qualifiziert, wird in Art. 35 Abs. 3 Satz GG auch das schlichte Hilfeleisten bei Naturkatastrophen und Unglücksfällen hierunter gefasst. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass „Einsatz“ i. S. des Art. 87a Abs. 2 GG und „Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ keineswegs deckungsgleich sind, auch wenn beide Begriffe in der Literatur des öfteren gleichgesetzt werden37. Schon der unterschiedliche Wortlaut gebietet eine Differenzierung. Zudem meinte das Bundesverfassungsgericht explizit, dass es sich zu Art. 87a GG im Allgemeinen, und zu seinem Einsatz-Begriff im Besonderen nicht äußern will. Einsatz i. S. des Art. 87a Abs. 2 GG und Einsatz bewaffneter Streitkräfte stehen vielmehr im Verhältnis von Grundtatbestand und Qualifikation. Jeder Einsatz bewaffneter Streitkräfte ist zugleich Einsatz, nicht aber umgekehrt38. Wenn das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich auf die Streitkräfte abhebt, wird a priori deutlich, dass die durchaus gängige Beteiligung von Beamten der Polizei, des Bundesgrenzschutzes oder anderer Bundes- oder Länderbehörden oder von Zivilpersonen an multinationalen Missionen nicht dem Parlamentsvorbehalt unterfallen39. Auch wenn sich insbesondere nach dem 11. September die polizeiliche und militärische Sphäre nicht mehr trennscharf unterscheiden lassen, sind Polizeibeamte keine Streitkräfte. Auch die in § 8 BGSG gesetzlich verankerten Außeneinsätze des Bundesgrenzschutzes, sei es im Rahmen der Vereinten Nationen40, oder der EU und OSZE, unterfallen wegen ihres strengpolizeilichen Charakters nicht dem Parlamentsvorbehalt41. 37 In der Literatur findet sich eine deutliche Unterscheidung erstmals bei Wiefelspütz NZWehrr 2003, 133 (137); ders., BayVBl. 2003, 609 (610) und Lutze, DÖV 2003, 972 (973 f.); keine hinreichende Differenzierungen leisten etwa Günther, in: Thiel (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie (2003) S. 328 (343 f.); Arndt, DÖV 2005, 908 (911); Burkiczak, ZRP 2003, 82 (83 f.). Wenn Dreist KritV 2004, 79 (91) davon ausgeht, dass die Inlandseinsätze nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG grundgesetzlich geregelte „Einsätze bewaffneter Streitkräfte“ seien, übersieht er, dass nur Auslandseinsätze diesem verfassungsrichterlichen Begriff entsprechen können. 38 So zu Recht F. Schröder, Das Parlamentarische Zustimmungsverfahren (2005), S. 166. 39 Vgl. statt aller Dreist, ZaöRV 64 (2004), 1001 (1023). 40 Vgl. etwa die Beteiligung des BGS mit 50 Beamten an den Mission UNTAG in Namibia (1989/90), in deren Rahmen sie Wahlhilfe leisteten und die nationalen Polizeieinheiten überwachten. Auch die DDR stellte 30 Volkspolizisten für dieses insgesamt 1.000 Polizeibeamte umfassenden Kontingents zur Verfügung. Bei UNMIBH in
B. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte
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2. Kasuistik in BVerfGE 90, 286 ff. Des Weiteren hat sich das Bundesverfassungsgericht in seiner Grundsatzentscheidung mit kasuistischen Überlegungen zum Einsatz bewaffneter Streitkräfte begnügt, indem es apodiktisch feststellte, dass alle drei ihm zur Entscheidung vorgelegten Bundeswehrmissionen als Einsätze bewaffneter Streitkräfte zu sehen sind. Konkret waren dies die deutschen Beteiligungen an • der von den VN mandatierten Mission UNOSOM II in Somalia (Einsatz eines Kontingents von 1700 zum Eigenschutz bewaffneter Bundeswehrsoldaten für den Aufbau, sowie Unterstützung und Sicherstellung der Verteilerorganisation für Hilfs- und Logistikgüter in Belet Huen), • der Mission Sharp Guard (Einsatz von mehreren Kriegschiffen und einem mehreren Hundert Soldaten starken Truppenkontingent in der Adria zur Durchsetzung des von den VN verhängten und von den Flotten der WEU und NATO durchgesetzten Handels- und Waffenembargos gegen das frühere Jugoslawien), • der Mission Deny Flight (unbewaffneter Einsatz von deutschen AWACS-Flugzeugen, zur Unterstützung der VN-autorisierten und NATO-durchgeführten Luftschläge gegen die Streitkräfte im früheren Jugoslawien). Indem auch die letztgenannte Operation höchstrichterlich als Einsatz bewaffneter Streitkräfte gewertet wurde, obwohl die Bundeswehr bei Deny Flight unbewaffnet agierte, konkretisiert sich der bereits aus den abstrakten Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts hergeleitete Befund, dass Bundeswehrsoldaten nicht selbst bewaffnet sein müssen, um den Parlamentsvorbehalt auszulösen. Tragen deutsche Soldaten im Ausland selbst keine Waffen, ist für die Frage der Zustimmungspflicht der Gesamtcharakter der von deutscher Seite unterstützten Mission entscheidend. a) VN-Friedenstruppen Sowohl Blauhelmeinsätze der Bundeswehr, als auch militärische Zwangsmaßnahmen nach Kap. VII VN-Charta sind nach Auffassung des Gerichts Einsätze Bosnien-Herzegowina zur Umsetzung des Dayton-Abkommens stellte die Bundesrepublik mit 165 Beamten des Bundesgrenzschutzes und der Länderpolizeien das zweitgrößte Kontingent nach den USA. Im Rahmen der VN-Mission UNTAC in Kambodscha von Mai 1992 bis August 1993 wurden bis zu 76 Polizeivollzugsbeamte des BGS eingesetzt. Weitere (kleinere) Missionen waren etwa MINURSO in der Westsahara (1993/96) und 1995 UNAMIR in Ruanda, vgl. zu diesen Beteiligungen die Antwort der Bundesregierung vom 11. Dezember 1996 auf eine schriftliche Parlamentarische Anfrage, BT-Drs. 13/6558, S. 7. 41 Der Parlamentsvorbehalt für den Streitkräfteeinsatz ist auch nicht analog auf den Auslandseinsatz des Bundesgrenzschutzes anwendbar, vgl. Schultz, Die Auslandsentsendung von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz (1998), S. 448 ff.; Fischer-Lescano, AöR 128 (2003), 52 (86 ff.).
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
bewaffneter Streitkräfte. Zur Begründung dieser einheitlichen Handhabe führt das Gericht aus, dass sich eine unterschiedliche Behandlung der verschiedenen Einsatzformen von VN-Friedenstruppen verbiete, weil die Grenzen zwischen traditionellen Blauhelmeinsätzen und solchen mit der Befugnis zu bewaffneten Sicherungsmaßnahmen in der Realität fließend geworden seien42. Schließlich werde auch der Begriff der Selbstverteidigung, die schlichten Friedenstruppen erlaubt sei, bereits in einem aktiven Sinne dahin definiert, dass sie auch den Widerstand gegen gewaltsame Versuche einschließe, die Truppen an der Ausführung ihres Auftrages zu hindern43. Durch diese Einbeziehung klassischer Blauhelm-Einsätze gibt das Gericht ein erstes Mal zu erkennen, dass es den Parlamentsvorbehalt eher weit verstanden wissen will. b) Humanitäre Hilfsdienste und Hilfeleistungen Humanitäre Hilfsdienste und Hilfeleistungen fallen dagegen nicht unter den Parlamentsvorbehalt, sofern die deutschen Soldatzen nicht in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind44. Da das Bundesverfassungsgericht hierbei auf das Nichteinbezogensein in bewaffnete Unternehmungen abstellt und nicht auf den Begriff der Selbstverteidigung, darf das hilfeleistende Personal der Bundeswehr zwar Waffen zur (individuellen) Notwehr mitführen und auch gebrauchen45, Widerstände gegen die Ausführung seiner Hilfsdienste darf es jedoch nicht mit Waffengewalt brechen. c) Verteidigungsfall nach Art. 115 Abs. 1 GG In der Feststellung des Verteidigungsfalles nach Art. 115a Abs. 1 GG, die per se nur den Übergang von der Normalverfassung zur Notstandsverfassung bewirkt, liegt nach den Erkenntnissen des Gerichts uno actu die Ermächtigung 42 Hiermit nimmt das Urteil Abstand von den zuvor in der gemeinsamen Verfassungskommission gescheiterten methodischen Ansätzen der Differenzierung nach Einsatzformen und unterschiedlichen Mehrheitsverhältnissen, vgl. Blumenwitz, BayVBl. 1994, 641, 678 (680). 43 BVerfGE 90, 286 (388); vgl. auch BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 59. 44 Da es sich bei der humanitäre Hilfe weder um Verteidigungsaufgaben noch um vertragliche Pflichten im Rahmen eines kollektiven Sicherheitssystems handelt, kann weder auf Art. 87a Abs. 1 S. 1 GG noch auf Art. 24 Abs. 2 GG als verfassungsrechtliche Befugnisnorm rekurriert werden. Die rechtliche Grundlage für humanitäre Hilfe stellt vielmehr Art. 32 Abs. 1 GG dar. Nach dieser Verfassungsnorm obliegt die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten dem Bund, ausführlich zum verfassungsrechtlichen Hintergrund nichtmilitärischer Auslandsverwendungen Schemann, Verfassungsrechtliche Legitimation nichtmilitärischer Auslandseinsätze der Bundeswehr (1998), S. 29 ff. 45 Zöckler, EJIL 1995, 274 (285); Brenner/Hahn, JuS 2001, 729 (730); offengelassen bei Dau, NZWehrr 1994, 177 (183).
B. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte
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zum bewaffneten Einsatz der Bundeswehr. Vor allem der Übergang der Befehlsgewalt vom Bundesminister der Verteidigung auf den Bundeskanzler nach Art. 115b GG zeige, dass diese Feststellung des Verteidigungsfalls durch das Parlament gem. Art. 115a Abs. 1 GG zugleich zum militärischen Einsatz ermächtige46. Liegen Bündnis- und Verteidigungsfall gleichzeitig vor, so bemisst sich die Mitwirkung des Bundestages nach Art. 115a Abs. 1, Abs. 4 GG47. d) Bündnisfall Ausdrücklich erstreckt das Bundesverfassungsgericht den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehlt – freilich ohne durch den Prozessgegenstand dazu genötigt zu sein – auch auf die Fälle, in denen die Bundeswehr zur Verteidigung eines Bündnispartners eingesetzt wird48. Das Zustimmungsgesetz zum Bündnisvertrag erfasse nicht den konkreten Einsatz49. Auch gestatte die Bündnisklausel des Art. 80a Abs. 3 GG keinen Streitkräfteeinsatz in alleiniger Kompetenz der Exekutive; die Vorschrift betreffe die nach Maßgabe des NATOAlarmsystems ausgelöste zivile Teilmobilmachung, nicht den Streitkräfteeinsatz im Bündnisfall50. Das Erfordernis, den Bundestag auch für den Streitkräfteeinsatz im Bündnisfall um Zustimmung zu ersuchen, stieß infolge der Eilbedürftigkeit einer wirksamen Militärreaktion und wegen einer befürchteten Gefährdung der bündnisinternen Entscheidungsabläufe schon früh auf Kritik51. Diese Kritik übersieht jedoch, dass das Bundesverfassungsgericht vom Erfordernis eines vorherigen 46
BVerfGE 90, 286 (386). Brenner/Hahn, JuS 2001, 729 (733). 48 Die bislang einzige Bundeswehrmission, die sich auf den Bündnisfall beruft, liegt in der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf den 11. September. Die völkerrechtliche Grundlage zu Enduring Freedom bilden nach der entsprechenden Regierungsvorlage Art. 51 VN-Charta und Art. 5 NATO-Vertrag, sowie die Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des VN-Sicherheitsrates, vgl. BT-Drs. 14/7296 vom 07.11.2001. Alle folgenden Fortsetzungsbeschlüsse zu Enduring Freedom berufen sich ebenfalls auf den Bündnisfall, zuletzt die siebte Fortsetzung vom 13.11.2008 (BTPlenProt. 16/187, S. 20044 C i.V. m. BT-Drs. 16/10720 vom 29.10.2008). 49 BVerfGE 90, 286 (387). Die Karlsruher Verfassungsrichter hatten damals „einen Angriff durch den Irak oder China im Sinn“ wie nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins Der Spiegel vom 12.11.2001, ,Zustimmung auf Vorrat‘, ein (nicht näher genannter) am Out-of-area-Urteil beteiligter Richter erläutert haben soll. 50 BVerfGE 90, 286 (386 f.). 51 S. Blumenwitz, BayVBl. 1994, 641, 678 (681); Stein/Kröninger, Jura 1995, 254 (261). Schon K. Ipsen, DÖV 1971, 583 (587) äußerte, dass ein vorheriger und bindender Parlamentsbeschluss nicht dem Willen des verfassungsändernden Gesetzgeber entspreche, unter Verweis auf den schriftlichen Bericht des Rechtsauschusses vom 09.05.1968 (BT-Drs. 5/2873, S. 12), in dem es heißt, die Erfüllung der Bündnispflichten dürfe nicht „noch zusätzlich von der Zustimmung des Parlaments abhängig gemacht“ werden. Antikritik bei Brenner/Hahn, JuS 2001, 729 (733). 47
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
Parlamentsbeschluss absieht, soweit eine Gefahr für die Bündnisfähigkeit Deutschlands zu besorgen ist52. Des Weiteren stärkt das Gericht Bündnisinteressen auch dadurch, wenn es feststellt, dass das Parlament bei seiner Beschlussfassung an das Zustimmungsgesetz zum jeweiligen Bündnis gebunden ist53; zumindest innerhalb der WEU darf es daher nicht ablehnend entscheiden54. Die Erstreckung der Parlamentsbeteiligung ist außerdem deshalb zu begrüßen, weil es ansonsten in der alleinigen Entscheidung der Exekutive läge, durch eine bewaffnete Hilfeleistung einen für Deutschland möglicherweise existenzbedrohenden Kriegsfall herbeizuführen. 3. BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008 Schon jetzt ist absehbar, dass seit der Grundsatzentscheidung der Einsatzbegriff seinen bedeutendsten Impuls durch den noch jungen AWACS II-Beschluss vom 7. Mai 2008 seinen erhalten hat55. Danach in ist für die Zustimmungspflicht nicht erfoderlich, dass Bundeswehrsoldaten tatsächlich Teil einer bewaffneten Unternehmung werden. Vielmehr reiche die „qualifizierte Erwartung einer Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen“ 56
aus, um den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt zu aktivieren. Im weiteren Verlauf des Entscheidungstextes werden an die „qualifizierte Erwartung“ materielle Voraussetzungen geknüpft57. Bevor auf den Beschluss im Einzelnen einzugehen ist, soll an dieser Stelle der zugrundeliegende Streitgegenstand zunächst in tatsächlicher Hinsicht dargestellt werden. Am Vorabend des Krieges zwischen der US-geführten Koalition und dem Irak hatte die Türkei innerhalb der NATO nach Art. 4 NATO-Vertrag um Unterstützung nachgesucht58. Art. 4 NATO-Vertrag statuiert eine Konsultationspflicht, falls nach Auffassung eines Mitgliedstaates „die Unversehrtheit des Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht sind.“ Die Unterstützung sollte unter anderem durch Einsatz von AWACS-Flugzeugen über türkischem Hoheitsgebiet zum Schutz gegen mögliche irakische Luftan52
BVerfGE 90, 286 (388); BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 58. BVerfGE 90, 286 (388). 54 Versagt der Bundestag dennoch seine Zustimmung, muss der Bundeswehreinsatz zwar unterbleiben, die Bundesrepublik würde aber vertragsbrüchig, vgl. H. H. Klein, in: Horn (Hrsg.), Festschrift für Walter Schmitt Glaeser (2003), S. 245 (256). 55 Erste Besprechungen bei Limpert, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Fachbereich WD 3, Nr. 25/08 vom 20.05.2008; Sachs, JuS 2008, 829 ff.; Burkiczak, NVwZ 2008, 752 ff. 56 BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 77. 57 Dazu gleich. 58 Ausführliche Darstellung bei Dreist, ZaöRV 64 (2004), 1001 (1010 ff., 1020 f.). 53
B. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte
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griffe erfolgen (Operation Display Deterrence). Der NATO-Rat leistete dem Hilfeersuchen am 19. Februar 2003 Folge. Vier AWACS-Flugzeuge, deren Besatzung zu einem Drittel aus deutschen Soldaten bestand, wurden daraufhin am 25. Februar 2003 in die Türkei verlegt. Im Gegensatz zur Bundesregierung und der sie tragenden Bundestagsfraktionen bejahte die Opposition die Zustimmungspflicht dieses Einsatzes. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen hielten die Zustimmung des Bundestages für nicht erforderlich59, weil der Auftrag der AWACS-Flugzeuge strikt defensiv sei und es sich bei der Luftraumüberwachung in der Türkei um reine Routineflüge handele. Insbesondere leisteten die AWACSFlugzeuge keinerlei Unterstützung für Einsätze im oder gegen den Irak. Der AWACS-Auftrag bestehe lediglich darin, durch Überwachung des türkischen Luftraumes potentielle Angriffsabsichten frühzeitig zu identifizieren und die politische Entschlossenheit des Bündnisses zur Erhaltung der territorialen Integrität der Türkei zu demonstrieren60. Dagegen vertraten die FDP61 und die CDU/CSU62 die Auffassung, dass die Entsendung der AWACS-Flugzeuge eines konstitutiven Parlamentsbeschlusses bedurft hätte. Die Überwachungsflüge stünden als konkrete militärische Maßnahme im Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt und seien daher keine Bündnisroutine wie in Friedenszeiten63. Die FDP-Fraktion wandte sich daraufhin mit einem einstweiligen Anordnungsverfügen an das Bundesverfassungsgericht, um zu klären, ob der AWACS-Einsatz dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt unterliege. Sie führte hierbei an, dass es unrealistisch sei, den Einsatz der AWACS-Flugzeuge zum Schutz der Türkei strikt von dem Einsatz anderer Flugzeuge über dem Irak zu trennen64. Das Abwägungsergebnis des Bundesverfassungsgerichts fiel in seiner Eilentscheidung vom 25. März 2003 indes zugunsten der außenpolitischen Verlässlichkeit der Bundesrepublik aus. Doch stellte das Gericht ausdrücklich die Frage,
59 Regierungserklärung Bundeskanzler Gerhard Schröder, BT-PlenProt. 15/34 vom 19.03.2003, S. 2727 D. 60 BVerfGE 108, 34 (37). Im politischen Streit um die Entsendung verwies die Bundesregierung immer wieder auf die deutsche Bündnistreue und warnte davor, nicht mehr ihren Verpflichtungen gegenüber den Verbündeten nachkommen zu können, die über Jahrzehnte hinweg die Sicherheit Deutschlands gewährleistet hätten. Nur wenn der Bundestag nicht um Zustimmung gebeten werden müsse, sei die „Kontinuität und Konsistenz“ der Außenpolitik gewährleistet; s. Regierungserklärung Bundeskanzler Schröder BT-PlenProt. 15/37 vom 03.04.2003, S. 2997 B. Vgl. zu den Absichterklärungen der Bundesregierung auch Hartwig, ZaöRV 65 (2005), 741 (773 f.). 61 s. Abg. Hoyer (FDP), BT-PlenProt. 15/35 vom 20.03.2003, S. 2892 C. 62 s. Abg. Schäuble (CDU/CSU), BT-PlenProt. 15/35 vom 20.03.2003, S. 2886 A. 63 Ein FDP-Antrag, mit dem die Bundesregierung aufgefordert werden sollte, die konstitutive Zustimmung des Bundestages einzuholen (BT-Drs. 15/711 vom 20.03. 2003), lehnte der Bundestag mit 274 gegen 303 Stimmen bei sechs Enthaltungen ab, vgl. die namentliche Abstimmung BT-PlenProt. 15/ 35 vom 20.03.2003, S. 2926 Dff. 64 BVerfGE 108, 34 (39).
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
„ab wann und inwieweit der Einsatz in integrierten Nato-Verbänden zu einem den Parlamentsvorbehalt auslösenden bewaffneten Einsatz wird, wenn diese Verbände den Luftraum eines Bündnismitglieds überwachen, dessen Staatsgebiet unmittelbar an ein kriegsbefangenes Territorium angrenzt, oder wenn sich die Überwachung darüber hinaus auf das Territorium eines an dem bewaffneten Konflikt beteiligten Staates erstreckt“.65
Diese territoriale Differenzierung ist auf den ersten Blick durchaus plausibel, da anderenfalls auch befriedete Territorien durch eine rechtliche Fiktion zum Ort bewaffneter Konflikte würden66. Zudem bedarf es zwischen den an der Grenze zu einem kriegsbefangenen Territorium stationierten Soldaten und dem eigentlichen kriegerischen Geschehen zumindest eines logisch-militärischen Zusammenhangs67. Des Weiteren hielt das Bundesverfassungsgericht im anstehenden Hauptverfahren für klärungsbedürftig, „inwieweit auch eine mittelbare Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen den Parlamentsvorbehalt auslöst. Dies gilt insbesondere im vorliegenden Fall, wenn Entwicklungen möglich sind, dass der Bündnispartner, dessen Gebiet zu sichern ist, selbst zu einer kriegführenden Partei wird“ 68.
Was man unter „mittelbarer Einbeziehung“ zu verstehen hat, ließ das Gericht dabei ebenso offen, wie den Term der Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen selbst. Wenn es das Gericht nicht für ausgeschlossen hält, dass mittelbare Einbeziehungen in bewaffnete Unternehmungen den Parlamentsvorbehalt auslösen können, verstärkt dies seine schon im Grundlagenurteil zu erkennende Präferenz, wonach keine höchsten Anforderungen an die militärische Qualität eines Bundeswehreinsätze zu stellen sind. Verlangte das Bundesverfassungsgericht 1994 die Bundeswehr noch als unmittelbaren (bewaffneten oder unbewaffneten) Akteur einer bewaffneten Unternehmung, so lässt es 2003 offen, ob nicht bereits ein mittelbares Agieren das Parlament auf den Plan ruft. Einen eher weiten Geltungsbereich des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes deutet das Gericht ebenso an, indem es das Kriterium einer zu besorgenden Verstrickung in militärische Auseindersetzungen benannte: „Der konstitutive Parlamentsvorbehalt ist in der Begründung auf das historische Bild eines Kriegseintritts zugeschnitten (. . .). Unter den heutigen politischen Bedin-
65
BVerfGE 108, 34 (43). Fischer-Lescano, NVwZ 2003, 1474 (1475). 67 So zu Recht Abg. Nachtwei (Bündnis90/Die Grünen), Diskussionsbeitrag, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 21, wenn er darauf hinweist, dass die zeitliche und örtliche Nähe zu bewaffneten Konflikten nicht alleine schon das ausschlaggebende Kriterium für eine Bundestagsbefassung sein könne. In diesem Sinne hebt dann auch Schmidt-Jortzig, ebda., S. 29 auf die entsprechende militärische Planung ab. Eine spezifische Planung lasse eher den Schluss zu, dass man sich bereits als Teil einer militärischen Unternehmung versteht. 68 BVerfGE 108, 34 (43). 66
B. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte
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gungen, in denen Kriege nicht mehr förmlich erklärt werden, steht eine sukzessive Verstrickung in bewaffnete Auseinandersetzungen dem offiziellen Kriegseintritt gleich. Deshalb unterliegt grundsätzlich jeder Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte der konstitutiven parlamentarischen Mitwirkung.“ 69
Ein tatsächliches Einbezogensein in bewaffnete Unternehmungen ist demnach nicht unumstößliche Voraussetzung einer Parlamentsbeteiligung. Offenkundig soll schon ein gewisser Grad an Gefahr, dass deutsche Soldaten in bewaffnete Unternehmungen einbezogen werden, ausreichen. In seiner Hauptsacheentscheidung vom 7. Mai 2008 blieb das Bundesverfassungsgericht bei dieser parlamentsfreundlichen Lesart. Zwar greift es den Term der „mittelbaren Einbeziehung“ nicht mehr auf, aber lässt eine „qualifizierte Erwartung einer Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen“ 70
ausreichen, um den Parlamentsvorbehalt auszulösen. Es ist recht naheliegend, dass das Bundesverfassungsgericht auch unter dem Eindruck des zwischen Eilund Hauptverfahren erlassenen Parlamentsbeteiligungsgesetzes judizierte. Dessen § 2 Abs. 1 bestimmt u. a., dass ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte vorliegt, „wenn eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten“ ist. Hätte das Bundesverfassungsgericht eine wie auch immer geartete Erwartung nicht genügen lassen, hätte es implizit die Verfassungswidrigkeit des noch jungen Gesetzes statuiert. Leider schweigen sich die Richter in diesem Punkt aus. Im weiteren Verlauf ist das Gericht aber sichtlich bemüht, den neuen Term der „qualifizierten Erwartung“ zu konturieren. Von einer solchen könne unter zwei Prämissen ausgegangen werden: „Zum einen Bedarf es hinreichender greifbarer tatsächlicher Anhaltspunkte dafür, dass ein Einsatz nach seinem Zweck, den konkreten politischen und militärischen Umständen sowie den Einsatzbefugnissen in die Anwendung von Waffengewalt münden kann. Hierfür muss aus den Umständen des Falles und der politischen Gesamtlage heraus eine konkrete militärische Gefahrenlage bestehen, die eine hinreichende sachliche Nähe zur Anwendung von Waffengewalt und damit zur Verwicklung deutscher Streitkräfte in eine bewaffnete Auseinandersetzung aufweist.“ 71 Zum anderen bedarf es für eine qualifizierte Erwartung der Einbeziehung von Bundeswehrsoldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen einer besonderen Nähe der Anwendung von Waffengewalt. Danach muss die Einbeziehung unmittelbar zu erwarten sein.“ 72
Prima vista wird hierbei nicht deutlich, inwiefern die zweite Prämisse nicht lediglich eine Verdichtung der ersten ist: Ist eine Einbeziehung in bewaffnete 69 70 71 72
BVerfGE 108, 34 (42 f.). BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 77. BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 77. BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 78 f.
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
Auseinandersetzungen unmittelbar zu erwarten (zweite Prämisse) müssen denknotwenig tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein Einsatz in die Anwendung von Waffengewalt münden kann (erste Prämisse). Es fragt sich daher, warum beide kumulativ vorliegen müssen. Die äußerst komplexen bundesverfassungsrichterlichen Formulierungen verschleiern eine Antwort eher. Für das Vorliegen der ersten Prämisse fordert das Bundesverfassungsgericht in tatsächlicher Hinsicht eine „konkrete militärische Gefahrenlage“. Indem es gleichzeitig nach dem Zweck des aufgrund dieser Gefahrenlage geplanten Einsatzes fragt, nimmt es auch ein finales Moment auf. Strengenommen formuliert es damit schon zwei Unterprämissen. „Die unmittelbare Erwartung einer Einbeziehung“ als zweite Voraussetung ist weniger in temporaler Hinsicht zu verstehen. Denn wenn eine Anwendung von Waffengewalt zeitlich nahe bevorstehe, begründe dies für sich alleine „bereits (. . .) die qualifizierte Erwartung der Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen“ 73. Dass derartige Konstellationen, in denen eine zukünftige Einbeziehung bereits Gewissheit ist, dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt unterfallen, judizierte das Gericht bereits in seiner Out-of-area-Entscheidung. Schließlich hat der entsprechende Bundestagstagsbeschluss grundsätzlich im Vorfeld eines Einsatzes bzw. einer Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen zu erfolgen74. Das Kriterium der unmittelbaren Erwartung kommt vielmehr zum Zuge, wenn eine Betrachtung der Einsatzplanung und der Einsatzbefugnisse erweist, „dass eine gleichsam automatisch ablaufende Beteiligung deutscher Soldaten an der Anwendung bewaffneter Gewalt von der Gesamtsituation her wahrscheinlich ist und praktisch nur noch von Zufälligkeiten im tatsächlichen Geschehensablauf abhängt. Dies kann der Fall sein, wenn integrierte Bündnisabläufe bereits in Gang gesetzt sind, die vor der Anwendung von Waffengewalt praktisch kaum mehr reversibel oder jedenfalls politisch nicht mehr zu beeinflussen sind“.75
Bei der Konkretisierung der unmittelbaren Erwartung hat das Bundesverfassungsgericht offenkundig ein dynamisch-prozesshaftes Moment vor Augen. Auch wenn die beiden Prämissen einer „qualifizierten Erwartung bewaffneter Auseinandersetzungen“ nicht scharf von einander abgrenzbar sind, haben sie demnach doch eigene Schwerpunkte. Eine klare Unterscheidung war vom Bundesverfassungsgericht wohl auch nicht intendiert; ihm kommt es erkennbar auf eine Gesamtbetrachtung an. Insbesondere seine Feststellung, dass ein Parlamentsbeschluss herbeigeführt werden muss, bevor integrierte Bündnisabläufe bereits in Gang werden, „die vor der Anwendung von Waffengewalt praktisch kaum mehr reversibel oder jedenfalls politisch nicht mehr zu beeinflussen sind“ wird seine Wirkung auf die Staatspraxis nicht verfehlen. Die Entscheidung vom 73 74 75
BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 79. BVerfGE 90, 286 (381). BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 79.
B. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte
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7. Mai 2008 wird auch durch eine weitere Feststellung nachhaltige Wirkung entfalten. In weiser Voraussicht, dass es nicht alle möglichen Szenarien kommender (integrierter) Bundeswehreinsätze berücksichtigen konnte, gibt es für die Zukunft den deutlichen Fingerzeig: „Angesichts der Funktion und Reichweite des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes darf seine Reichweite nicht restriktiv bestimmt werden. Vielmehr ist der Parlamentsvorbehalt (. . .) im Zweifel parlamentsfreundlich auszulegen.“ 76
a) Defensive Ausrichtung und vermeintliche Routine Dem regierungsamtlichen Verweis, dass der AWACS-Einatz strikt defensiv ausgerichtet sei und damit nicht dem Parlamentsvorbehalt unterfalle, ist das Bundesverfassungsgericht zu Recht nicht gefolgt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist sogar die Verwendung von Personal der Bundeswehr für Hilfsdienste und Hilfeleistungen im Ausland zustimmungspflichtig, sofern die Soldaten in bewaffnete Unternehmungen einbezogen werden77. Defensivere Verwendungsmöglichkeiten als die zur humanitären Hilfe sind für Soldaten kaum vorstellbar78. Auch den weiteren Verweis der Bundesregierung, wonach die AWACS-Flüge zustimmungsfreie Bündnisroutine sei, hat das Bundesverfassungsgericht deutlich als militärtechnische Sprachregelung, die „keinen eigenständigen normativen Gehalt“ habe, zurückgewiesen.79 Zudem werde die konkrete sicherheitspolitische Situation außen vor gelassen80. Denn es handelt sich bei der Entsendung in die Türkei um eine Beistandsleistung der NATOMitgliedstaaten in einer konkreten Bedrohungssituation für einen NATO-Mitgliedstaat. Die Maßnahme stellte keineswegs – wie die Bundesregierung Glauben zu machen versuchte – eine reine Routinemaßnahme wie die Überwachung von einer Grenze in Friedenszeiten dar81. „Der nach allen damaligen Erkenntnissen bevorstehende Krieg im Irak und die Drohung des Irak gegen alle Verbündeten der USA in der Region, deren militärische Realisierbarkeit nicht verlässlich eingeschätzt werden konnte, erlauben es nicht, mit der Antragsgegnerin von Maßnahmen der NATO-Kräfte zu sprechen, die zum all76
BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 72. BVerfGE 90, 286 (388); BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 59. 78 Zutreffend Lutze, DÖV 2003, 972 (975). 79 BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 78. 80 BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 85. 81 Dreist, ZaöRV 64 (2004), 1001 (1030 f.); s. auch Bothe in einem Interview mit der Berliner Zeitung vom 19.03.2003, ,Beihilfe für eine Aggression‘: „Man kann nicht einfach sagen, die AWACS-Beobachtung, die bisher gewissermaßen Nato-Routine war und darum nicht der Zustimmung des Bundestages bedurfte, werde einfach fortgeführt. Denn es geht um einen Bundeswehreinsatz, der viel weit tragender ist als etwa die Beobachtung der Flugverbotszonen im Jugoslawienkrieg, von der das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, sie sei zustimmungsbedürftig.“ 77
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
täglichen Bündnisprogramm der Aufklärung, Sicherung und Abschreckung des Militärbündnisses zählen, wie sie an dessen geographischen Flanken schon zu Zeiten der Blockkonfrontation üblich waren.“ 82
So war es das erste Mal in der Bündnisgeschichte, dass sich ein Mitgliedstaat auf Art. 4 NATO-Vertrag berief. Die Entsendung erfolgte demnach nicht im Rahmen einer ständigen Routinemaßnahme, sondern als sog. non-article-5-mission83. Vereinzelt wird im Schrifftum vorgetragen, dass innerhalb des Bündnisses die Grenze zum wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt erst überschritten werde, wenn militärische Gewalt zur Abwehr eines Angriffes erfolge84. Diesseits der Grenze sei die Mitwirkung deutscher Streitkräfte im Bündnis, auch zur Abschreckung einer Aggression durch das Zeigen militärischer Stärke durch das Zustimmungsgesetz zum NATO-Vertrag gedeckt. Hierbei wird die verfassungsrechtliche Judikatur jedoch nicht in Gänze überblickt, denn das Bundesverfassungsgericht beschränkt den Parlamentsvorbehalt nicht auf NATO-Einsätze, die der kollektiven Selbstverteidigung dienen. Vielmehr ist „ jeder Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der NATO sowohl zur kollektiven Selbstverteidigung als auch zur Krisenreaktion von der Zustimmung des Bundestages abhängig“ 85.
b) Provozierte Gefahr im Verzug Entscheidende Bedeutung misst das Bundesverfassungsgericht dem Umstand bei, dass nach militärischer Auftragslagedie AWACS-Flugzeuge im Falle eines irakischen Angriffs als Feuerleitsysteme eingesetzt worden wären86, wodurch unzweifelhaft der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt ausgelöst worden wäre. Eine Betrachtung der Einsatzplanung und der Einsatzbefugnisse könne erweisen, „dass eine gleichsam automatisch ablaufende Beteiligung deutscher Soldaten an der Anwendung bewaffneter Gewalt von der Gesamtsituation her wahrscheinlich ist und praktisch nur noch von Zufälligkeiten im tatsächlichen Geschehensablauf abhängt. Dies kann der Fall sein, wenn integrierte Bündnisabläufe bereits in Gang gesetzt sind, die vor der Anwendung von Waffengewalt praktisch kaum mehr reversibel oder jedenfalls politisch nicht mehr zu beeinflussen sind. Dann ist die entscheidende Schwelle für einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte bereits überschritten, was 82
BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 85. Ein Überblick zu den sog. non-article-5-missions findet sich bei Stein, NZWehrr 2000, 1 ff. 84 Wiefelspütz, NZWehrr 2003, 133 (139). 85 BVerfGE 104, 151 (208). 86 Zur Auftragslage, den sog. Rules of Engagement siehe Dreist, ZaöRV 64 (2004), 1001 (1037 f.). 83
B. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte
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von Verfassungs wegen ohne Beteiligung des Deutschen Bundestags nicht zulässig ist.“ 87
Konkret auf die Operation Operation Display Deterrence bezogen, „hing die Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen nur noch davon ab, ob und wann der Irak einen Angriff auf die Türkei unternehmen würde. Denn in diesem Fall, dessen Wahrscheinlichkeit sich ab dem 20. März 2003 durch den Beginn der kriegerischen Handlungen im Irak noch einmal erhöht hatte, wären die Handlungen deutscher Soldaten ohne jede zeitliche Verzögerung wesentlicher Teil einer sofortigen militärischen Abwehrreaktion geworden, weil die AWACS-Flugzeuge jederzeit mit ihrer Feuerleitfunktion zur Verfügung standen. Damit war eine Situation eingetreten, in der in rechtlicher wie in tatsächlicher Hinsicht alle grundsätzlichen Entscheidungen hinsichtlich der Anwendung von Waffengewalt durch die NATO unter Beteiligung deutscher Soldaten bereits getroffen waren.“ 88
Dem Bundesverfassungsgericht ist in seiner Entscheidungsfindung zuzustimmen. Hätte der Irak die Türkei tatsächlich angegriffen, wäre die Bundesregierung aus Gründen der Bündnisfähigkeit Deutschlands berechtigt gewesen, den feuerleitenden Einsatz wegen Gefahr im Verzug einstweilen ohne Zustimmung des Bundestages durchzuführen89. Mit der Funktion des Parlamentsvorbehalts ist die Verwendung von Bundeswehrsoldaten im Vorfeld eines konkret möglich erscheinenden Bündnisfalls ohne Zustimmung des Bundestages aber nur schwer zu vereinbaren. Hierdurch würde eine nur nachträgliche Befassung durch den Bundestag billigend in Kauf genommen. Der Grundsatz der vorherigen Zustimmung des Bundestages würde in sein Gegenteil verkehrt90. Bedenklich ist zudem, dass sich die Bundesregierung auf Gefahr im Verzug beruft, obwohl sie deren tatsächliche Voraussetzungen selbst (mit-)herbeiführt. Die scheinbare klare Abgrenzung, wonach die AWACS-Einheiten „strictly seperated from other military operations in the region“ stationiert seien91, hätte zumindest im Ernstfall ihre Trennschärfe verloren. Eine Regierung, die die Voraussetzungen eines 87
BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 79. BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 91. 89 Nicht eingegangen werden kann hier auf völker- und verfassungsrechtliche Implikationen eines militärischen Gegenschlages gegen eine kriegerische Handlung der Türkei. Denn wenn man mit den Wissenschaftlichen Diensten des Bundestages (unveröffentlichtes Gutachten vom 2. Januar 2003), sowie der überwiegenden Mehrheit der Literaturstimmen den Koalitionskrieg als völkerrechtlich höchst problematisch ansieht [vgl. nur Blumenwitz, in: Fischer et al. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Fleck (2004), S. 23 ff.; Bothe, AVR 41 (2003), 255 ff.; Murswiek, NJW 2003, 1014 ff.; vgl. aber auch Kokott, ZaöRV 64 (2004), 517 ff.; hiergegen wiederum Graf Vitzthum, Der Staat der Staatengemeinschaft (2006), S. 47 ff.], so wäre ein möglicher Angriff des Iraks auf die die USA unterstützendende Türkei nicht mit völliger Eindeutigkeit als Aggressionshandlung zu verstehen. Vielmehr käme ein provozierter Bündnisfall in Betracht. 90 So zu Recht Lutze, DÖV 2003, 972 (974). 91 NATO-Presseerklärung vom 20.03.2003, abrufbar http://www.nato.int/docu/pr/ 2003/p03-027e.htm. 88
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
Bündnis- bzw. Gefahr im Verzug-Falls selbst herbeiführt, kann sich nicht auf ihre exekutive Notkompetenz zurückziehen. Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt würde ansonsten desavouiert. Auch aus diesem Blickwinkel ist dem Bundesverfassungsgericht Recht zu geben. c) Türkei als völkerrechtliche Konfliktpartei Aus dem rechtlich-militärische Gesamtzusammenhang des deutschen AWACSBeitrags lassen sich darüber hinaus weitere, in der AWACS II-Entscheidung nicht zur Sprache komende Gründe für eine Zustimmungspflichtigkeit ableiten. So führt Andreas Fischer-Lescano den tatsächlichen Umstand an, dass von türkischen Gebiet aus US-amerikanische und britische Luftangriffe gegen den Irak geflogen wuden92. Das Parlament in Ankara hatte die entsprechende Nutzung des türkischen Luftraums zuvor gebilligt. Der Koalitionskrieg wurde somit von der Türkei geduldet, wenn nicht gar unterstützt. Dieses Verhalten löst die völkerrechtliche Verantwortung aus93. Die Türkei ist daher nicht nur ein NATOMitglied, „dessen Staatsgebiet unmittelbar an ein kriegsbefangenes Territorium angrenzt“, sondern selbst „kriegsbefangene“ Partei. Die deutschen AWACS-Aufklärer schützten demnach das Staatsgebiet einer Konfliktpartei. Eine Einbeziehung der Türkei in den Koalitionskrieg ergibt sich ferner aus der türkischen Besetzung des Nordiraks94. Die teilweise Besetzung irakischen Territoriums führt nach völkerrechtlichen Kriterien (Art. 2 des IV. Genfer Abkommens zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten) zur Anwendung über die Regeln bewaffneter Konflikte95. Dass die Besetzung lediglich der Abwehr terroristischer Gefahren sowie der Betreuung von Flüchtlingen diente – wie der Bundesaußenminister stets verlautbarte – vermag an diesem Befund nichts zu ändern. Auch mag der türkische Truppeneinsatz keine massive Intervention im Irak dargestellt haben, so wie es die Beschlusslage im türkischen Parlament erlaubt hätte96. Die Unabwägbarkeiten der damaligen Krisensituation machen
92 Fischer-Lescano, NVwZ 2003, 1474 (1476); Dreist, ZaöRV 64 (2004), 1001 (1020). 93 Zu völkerrechtlichen Zurechungsfragen vgl. M. Schröder, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht (2004), 7. Abschn. Rndr. 1 ff. 94 Nur indem Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte (2003), S. 57, diesen völkerrechtlichen Bezugsrahmen außer acht lässt, kann er zu dem Ergebnis gelangen, dass die AWACS-Flüge zustimmungsfrei seien. Denn an selber Stelle führt er aus, dass von einem zustimmungspflichtigen Einsatz dann auszugehen sei, wenn militärisch bedeutsame Informationen willentlich an eine in den Irakkrieg involvierte Partei weitergeben würden. Dass die Türkei tatsächlich völkerrechtliche Konfliktpartei war, wird übersehen. 95 Allgemein zum Anwendungsbereich des ius in bello Bothe, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht (2004), 8. Abschn. Rndr. 56 ff. 96 Vgl. Die Welt vom 20.03.2003, ,Türkei öffnet USA Luftraum für Irakkrieg‘.
B. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte
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vielmehr die verfassungsrichterliche Fragestellung verständlich, wonach es der Klärung bedürfe, inwieweit auch eine mittelbare Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen den Parlamentsvorbehalt auszulösen vermag: „Dies gilt insbesondere im vorliegenden Fall, wenn Entwicklungen möglich sind, dass der Bündnispartner, dessen Gebiet zu sichern ist, selbst zu einer kriegführenden Partei wird.“ 97
Hier spielt das Bundesverfassungsgericht deutlich auf die Verwicklung des türkischen Militärs in Auseinandersetzungen im Nordirak an. Die deutschen AWACS-Aufklärer schützten demnach das Territorium einer nach Völkerrecht kriegsbefangenen Partei. Dass derartige militärische Unternehmungen nicht zustimmungspflichtig sein sollen, ist vor dem Hintergrund der ratio des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes auszuschließen98. d) Bundesrepublik als völkerrechtliche Konfliktpartei Aber nicht nur die Türkei, sondern auch die Bundesrepublik selbst könnte nach völkerrechtlichen Haftungsregeln in den dritten Irakkrieg involviert gewesen sein. Hierbei ist vor allem auf eine mögliche Verletzung des Neutralitätsrechts abzustellen. Die Rechte und Pflichten neutraler Staaten wurden auf der zweiten Haager Friedenskonferenz von 1907 in zwei Übereinkommen kodifiziert, welche sowohl von der Bundesrepublik, als auch von den USA als weitgehend deklaratorisch für bereits geltendes Gewohnheitsrecht anerkannt wurden99. Nach allgemeinen völkerrechtlichen Regeln und nach Völkervertragsrecht besitzt jeder Staat im Luftraum über seinem Hoheitsgebiet volle und ausschließliche Lufthoheit. Sind ausländische Truppen stationiert, so werden Umfang und Grenzen der Bewegungsfreiheit dieser Stationierungskräfte regelmäßig in speziellen völkerrechtlichen Abkommen geregelt. Was die Gewährung von Überflugrechten anbelangt, so besitzt die Bundesrepublik seit dem ZweiPlus-Vier-Vertrag (Art. 7 Abs. 2) wieder die volle Souveränität und damit auch die volle Lufthoheit. Mit der Widererlangung der Souveränität einhergehend, bedürfen Truppenbewegungen fremder Staaten in deutschem Hoheitsgebiet nunmehr grundsätzlich der Zustimmung der Bundesregierung. Zustimmungsfrei sind nach Art. 57 Abs. 1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut von 1994 die Bewegungsrechte für NATO-Truppen zur Erfüllung von NATO-Aufgaben. Nur im Rahmen eines NATO-Auftrages sind demgemäß amerikanische 97
BVerfGE 108, 34 (43). Fischer-Lescano, NVwZ 2003, 1474 (1476). 99 Ausführlich zum Neutralitätsrecht Bothe, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht (2004), 8. Abschn. Rndr. 103 ff.; zu den Pflichten neutraler Staaten nach Maßgabe des Haager Abkommen sowie hinsichtlich ihres Luftraums am Beispiel des dritten IrakKrieges, Heintschel von Heinegg, in: Fischer et al. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Fleck (2004), S. 221 ff. 98
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
Streitkräfte berechtigt, „mit Land-, Wasser- und Luftfahrzeugen die Grenzen der Bundesrepublik zu überqueren sowie sich in und über dem Bundesgebiet zu bewegen“. Die Operation Iraqui Freedom war aber kein NATO-Krieg, weshalb die Bundesregierung den Nutzungen von Militärflugbasen auf deutschem Territorium zustimmen musste. Die Bundesrepublik haftet demnach völkerrechtlich für die fremden Aktivitäten100. Unterstützt ein Staat einen anderen, der sich in einem bewaffneten Konflikt befindet, durch eigene militärische Maßnahmen, verletzt sie das kriegsrechtliche Neutralitätsgebot und wird selbst Kriegspartei101. Diese Ansicht teilt das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 21. Juni 2005 zum Fall „Major Pfaff“ nicht nur, sondern entwickelt sie gar weiter102. Es deutet nicht nur die Völkerrechtswidrigkeit des Irak-Krieges an, sondern formuliert auch schwerwiegende Bedenken, die aus völker- bzw. verfassungsrechtlicher Sicht gegen die Unterstützungsmaßnahmen der Bundesrepublik bestehen. Das Bundesverwaltungsgericht will nicht auschließen, dass es sich sogar um eine deutsche Beteiligung an einem Angriffskrieg handeln könnte; ein bislang einzigartiges Verdikt in der Geschichte der Bundesrepublik103. Die stichhaltigeren Argumente sprechen demnach dafür, dass die Bundesrepublik nach völkerrechtlichen Haftungsregeln in die Operation Iraqi Freedom involviert war. Indem sie am geographischen Rand des Konflikts auch noch 100 Wenn auch die Bundesregierung davon ausgeht, dass der Irakkrieg „unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten problematisch“ ist (so etwa Bundesinnenminister Schily, zit. nach: Die Welt vom 20.03.2003, ,Völkerrechtler kritisieren US-Politik‘) hätte sie die Nutzungen untersagen müssen, da nach Art. 3 lit. f. der VN-Angreiferdefinition (abgdr. in: VN 1975, 120) auch der Staat eine Angriffshandlung begeht, der duldet, „dass sein Hoheitsgebiet, das er einem anderen Staat zur Verfügung gestellt hat, von diesem anderen Staat dazu benutzt wird, eine Angriffshandlung gegen einen dritten Staat zu begehen.“ Hierbei darf aber zweierlei nicht übersehen werden. Zum einen bestimmt die Angreiferdefinition nur den Begriff der Angriffshandlung (act of aggression), der weiter gefasst ist, als der Begriff des bewaffneten Angriffs (armed attack). Erst ein bewaffneter Angriff erlaubt einem Staat nach Art. 51 VN-Charta militärische Selbstverteidigung zu üben. Zum anderen hat die als Resolution ergangene Angreiferdefinition nur empfehlenden Charakter und ist kein bindendes Recht. 101 Nach Heintschel von Heinegg, in: Fischer et al. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Fleck (2004), S. 221 (227) und Dreist, ZaöRV 64 (2004), 1001 (1020 f., 1030) ist die Bundesrepublik schon auf Grund der Nicht-Inhaftierung zurückkehrender Soldaten der Koalition, die sich aktiv an Kampfhandlungen beteiligt hatten, völkerrechtliche Konfliktpartei. Dagegen seien Schutz und Bewachung militärischer und ziviler Einrichtungen der US-Streitkräfte in Deutschland mit Haag V. vereinbar. Eine andere Frage ist indes, ob der militärische Schutz ziviler Einrichtungen aus verfassungsrechtlicher Sicht zulässig ist. Weder der Spannungsfall (Art. 80a Abs. 1 GG) noch der Verteidigungsfall (Art. 115 a Abs. 1 GG) waren festgestellt, und im Wege der Amtshilfe oder nach Maßgabe des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG zulässige Maßnahmen umfassen nicht den Schutz ziviler Objekte. 102 BVerwGE NJW 2006, 77 (93 ff.); Besprechungen des Urteils bei Kotzur, JZ 2006, 25 ff.; Droege/Fischer-Lescano, NVwZ 2006, 171 ff.; Dau, NZWehrr 2005, 255 ff. 103 Vgl. Kotzur, JZ 2006, 25 (29).
B. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte
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militärisch engagiert war, wird man sich in einer Gesamtbetrachtung dem Ergebnis, dass die AWACS-Aufklärungseinheiten der parlamentarischen Zustimmungspflicht unterlagen, kaum entziehen können. Da sich das Parlamentsbeteiligungsgesetz in § 2 Abs. 1 fast wortgleich an den abstrakten Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zum Einsatz bewaffneter Streitkräfte orientiert, sind vergleichbare Einsatzszenarien der Bundeswehr auch in Zukunft nicht ohne parlamentarisches Plazet zulässig.
III. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte in der Staatspraxis Aus der bisherigen Staatspraxis lässt sich eine Definition der den Parlamentsvorbehalt auslösenden Einsatzszenarien nicht abstrahieren. Die Zustimmungsanträge der Bundesregierung unterscheiden zwischen den einzelnen militärischen Komponenten einer Bundeswehrmission nicht104. Im Zweifel scheint eher ein weites Verständnis zum Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte vorzuherrschen105. So lehnt die Bundesregierung regelmäßig selbst solche Bitten der Vereinten Nationen ab, die lediglich auf die konkrete Bereitstellung von zwei oder drei Bundeswehrsoldaten zielten, um den arbeitsintensiven Prozess der parlamentarischen Zustimmung nicht anstrengen zu müssen106.
IV. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte in der Literatur Nachdem die Out-of-area-Entscheidung den Begriff des Einsatzes bewaffneter Soldaten nicht abschließend umrissen hat, ist es wenig verwunderlich, wenn sich im Schrifttum ein heterogenes Bild entwickelt hat, das auf unterschiedlichsten Herangehensweisen beruht. Einen eher deskriptiven Charakter haben etwa Stellungnahmen, in denen Einsätze bewaffneter Streitkräfte auch als militärische Einsätze umschrieben werden107. Innerhalb dieser Stellungnahmen präzi104
F. Schröder, Das Parlamentarische Zustimmungsverfahren (2005), S. 182 f. Schultz, Die Auslandsentsendung von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz (1998), S. 440 hält das Zustimmungserfordernis für in der Praxis überstrapaziert; ähnlich Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte (2003), S. 37 („übervorsichtig“); zu den entsprechen Vorstellungen im parlamentarischen Raum, s. Abg. van Essen (FDP), Diskussionsbeitrag, DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 16 und 19 („im Zweifel für den Parlamentsvorbehalt“). 106 Abg. Bartels (SPD), Diskussionsbeitrag, DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 13; vgl. auch die entsprechenden Aussagen von Bundesaußenminister Fischer in: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Kurzprotokoll der 11. Sitzung am 27.06.2003, S. 7 f. 107 Rojahn, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2 (2001), Art. 24 Rndr. 93; Brenner/Hahn, JuS 2001, 729 (730); Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein (Hrsg.), GG 105
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
siert Christian Hillgruber, dass militärischen Einsätzen alle „zum Verteidigungsauftrag nach Art. 87a I 1 gehörende Einsätze“ entsprächen108. Von einem weiten Geltungsbereich des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts geht Georg Nolte aus. Nach ihm sind alle Verwendungen waffentragender Soldaten im Ausland zustimmungspflichtig, außer sie erfolgen im Rahmen humanitärer Hilfeleistungen109. Ohne dabei inhaltliche Parameter aufzustellen, spricht sich auch Christof Gramm für ein weites Verständnis aus, wenn er meint, dass nicht eindeutige Fälle mit dem Grundsatz „im Zweifel für den Parlamentsvorbehalt“ am ehesten zu lösen seien110. Ein enger Ansatz findet sich bei Joachim Wieland, wonach die Zustimmungsbedürftigkeit immer erst dann zu bejahen sei, wenn nach klassischem Kriegsvölkerrecht eine Kriegserklärung zu erwarten wäre111. Noch einschränkender äußert sich Dieter Wiefelspütz, wonach die Zustimmungspflicht erst durch die konkrete Entscheidung, Kampfhandlungen aufzunehmen, ausgelöst werde112. Selbst bei konkreter Gefahr der Verwicklung in Kampfhandlungen werde der Parlamentsvorbehalt nicht berührt, da jeder Soldat grundsätzlich Ziel und Opfer eines Überraschungsangriffs sein könne. Entscheidend sei vielmehr, ob ein Soldat „bewusst und gewollt Teil eines bewaffneten Handlungszusammenhanges“ ist. Die Bewaffnung der einzelnen Soldaten selbst sei dabei unbeachtlich, da auch unbewaffnete Soldaten an bewaffneten Unternehmungen beteiligt seien können. Für Christian Lutze und Volker Röben steht hingegen fest, dass die konkrete Gefahr einer Verwicklung in Kampfhandlungen ausreichend ist113. Ein zustimmungspflichtiger Einsatz liege vor, „wenn Streitkräfte militärisch, also bewaffnet handeln.“ Auch Michael Wild knüpft an das formale Kriterium der Bewaffnung an, das alleine schon die abstrakte Gefahr
(2004), Art. 24 Rndr. 4b; Stein/Kröninger, Jura 1995, 254 (261); Deiseroth, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG Bd. I (2002), Art. 24 Rndr. 228; Riedel, DÖV 1995, 135 (140); Kokott, in: Sachs (Hrsg.), GG (2003), Art. 87a Rndr. 30; Röben, ZaöRV 63 (2003), 585 (585); Pieroth, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.), GG (2006), Art. 87a Rndr. 9. 108 Hillgruber, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG Bd. II (2002) Art. 87a Rndr. 34. 109 Nolte, ZaöRV 54 (1994), 652 (678 f.). Ausgenommen seien Kriegsschiffe, die auf hoher See über ihre gewöhnlichen Aktivitäten nur insoweit hinausgingen, als sie nicht-militärischen Verkehr beobachten; hier sei der Bezug zur „Grundentscheidung über Krieg und Frieden“ nicht mehr ersichtlich. 110 Gramm, UBWV 2003, 161 (163). 111 Wieland, Diskussionsbeitrag, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 26. Wieland beruft sich vor allem auf BVerfGE 90, 286 (383); 108, 34 (42 f.), wonach der konstitutive Parlamentsvorbehalt in der Begründung auf das historische Bild eines Kriegseintritts zugeschnitten sei, ausführlich ders. in seiner schriftlichen Gegenäußerung für die Bundesregierung im AWACS-II-Verfahren vom Dezember 2003. 112 Wiefelspütz, NZWehrr 2003, 133 (138 f.); ders., Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte (2003), S. 41; ders., Das Parlamentsheer (2005), S. 428 ff. 113 Lutze DÖV 2003, 972 (973); Röben, ZaöRV 63 (2003), 585 (592, 594).
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einer Eskalation mit sich bringe114. Dies entspreche dem Sinn des Parlamentsvorbehaltes; auf den Zweck des konkreten Einsatzes komme es nicht an. Einen formalen Ansatz wählt ebenso Wolff Heintschel von Heinegg, indem er es als entscheidendes Kriterium ansieht, dass im Bezug auf das Einsatzgebiet die Voraussetzungen des Art. 39 VN-Charta bejaht seien115. Es komme hierbei auf die militärische Aktion als Ganzes an und nicht auf den einzelnen deutschen Beitrag. Nur so sei eine Abgrenzung möglich, da das Recht zur bewaffneten Selbstverteidigung schließlich stets bestehe. Die bloße Möglichkeit der Verwicklung in bewaffnete Auseinandersetzungen genüge nicht. Hingegen ist nach Silja Vöneky und Rüdiger Wolfrum die Möglichkeit eines Waffeneinsatzes zur Selbstverteidigung sehr wohl ausschlaggebend116. Peter Dreist ergänzt die formalen Ansätze, in dem er nach einem möglichen Kombattantenstatus der eingesetzten Soldaten fragt117. Komme ihnen nach den Regeln des humanitären Völkerrechts der Kombattantenstatus zu, liege ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte schon deshalb vor, weil damit jeder Soldat rechtmäßiges Ziel gegnerischer Kampfhandlungen sei. Ähnlich wie Heintschel von Heinegg sprechen sich auch Christian Fischer und Andreas Fischer-Lescano für eine Gesamtbetrachtung der jeweiligen Mission aus, denn nur so könne auch gewaltneutrales Verhalten – etwa AWACS-Aufklärungsflüge – erfasst werden, welches verbündete Streitkräfte bei hoheitlicher Machtentfaltung unterstütze118. Stefan Oeter orientiert sich bei seinem Verständnis von einem zustimmungspflichtigen Einsatz offenbar eng an der herrschenden Meinung zum Einsatz i. S. des Art. 87a Abs. 2 GG, wonach ein Einsatz die Inanspruchnahme von Zwangsbefugnissen gegenüber Drittparteien durch Bundeswehrsoldaten, also die hoheitliche Verwendung der Streitkräfte als bewaffnete Vollzugsorgane sei119. Einen eigenen Ansatz verfolgt Manfred Baldus, wonach eine konkrete Gefahr für Leib und Leben der eingesetzten Soldaten den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt auslöse120. 114
Wild, DÖV 2000, 622 (624). Heintschel von Heinegg, in: Tomuschat (Hrsg.), Rechtsprobleme einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (1997), S. 87 (92). 116 Vöneky/Wolfrum, ZaöRV 62 (2002), 569 (596). 117 Dreist, ZG 2004, 39 (54 FN 77); ders., KritV 2004, 79 (111 FN 155). 118 Fischer/Fischer-Lescano, KritV 2002, 113 (118 f.); Fischer-Lescano, NVwZ 2003, 1474 (1476); ähnlich Dreist, NZWehrr 2003, 152 (156); ders., KritV 2004, 1001 (1002, 1022); Spies, in: Fischer et al. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Fleck (2004), S. 531 (541 f.). 119 Oeter, NZWehrr 2000, 89 (96 f.). 120 Baldus, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06. 2004, S. 39 (51 ff.); ders., in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG Bd. III (2005), Art. 87a GG Rndr. 66; ähnlich Schmidt-Radefeldt, Parlamentarische Kontrolle der internationalen Streitkräfteorganisation (2005), S. 157 f.; Bundesminister Struck, Deutscher Bundestag, 15. WP, Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G 9 vom 05.06.2003, S. 8. 115
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Aus dieser Übersicht wird deutlich, dass sich die Literaturstimmen zum einen darin einig sehen, dass unbewaffnete Hilfseinsätze im Ausland, etwa bei Hungersnöten oder Naturkatastrophen, keine zustimmungspflichtigen Einsätze bewaffneter Streitkräfte darstellen. Zum anderen seien – wenig überraschend – konkrete Kampfeinsätze der Bundeswehr ohne Zweifel zustimmungspflichtig. Über die Handhabung der zwischen diesen beiden Polen angesiedelten Einsatzspektren herrscht hingegen Unklarheit.
V. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte im Parlamentsbeteiligungsgesetz Im Vorfeld des Parlamentsbeteiligungsgesetzes wussten sich alle Fraktionen darin einig, dass von den verfassungsrechtlichen Vorgaben zum Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte in der zu findenden einfachgesetzlichen Regelung nicht wesentlich abgewichen werden kann121. Die entsprechenden Vorschläge der Koalitionsfraktionen und der FDP122 waren daher weitgehend kongruent. Nunmehr gilt nach § 2 ParlBG folgende Legaldefinition des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte: (1) Ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte liegt vor, wenn Soldatinnen oder Soldaten der Bundeswehr in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind oder eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten ist. (2) Vorbereitende Maßnahmen und Planungen sind kein Einsatz im Sinne dieses Gesetzes. Sie bedürfen keiner Zustimmung des Deutschen Bundestages. Gleiches gilt für humanitäre Hilfsdienste und Hilfsleistungen, bei denen Waffen lediglich zum Zweck der Selbstverteidigung mitgeführt werden, wenn nicht zu erwarten ist, dass die Soldatinnen oder Soldaten in bewaffnete Unternehmungen einbezogen werden.
Diese Definition übernimmt im Wesentlichen die offenen und interpretationsbedürftigen Formulierungen der Out-of-area-Entscheidung. Wenn im Sinne einer negativen Enumeration Planungs- und Vorbereitungsmaßnahmen sowie humanitäre Hilfsdienste und Hilfeleistungen von der Zustimmung als Nicht-Einsätze ausgenommen werden, wird lediglich die bestehende (Richter-)Rechtslage wiedergegeben. Auf eine konkretisierende Kasuistik verschiedener Einsatzszenarien wird zunächst verzichtet. Eine gewisse Änderung, oder doch zumindest eine Klarstellung der durch das Out-of-area-Urteil geschaffenen Rechtslage enthält die Legaldefinition gleichwohl. So geht die Formulierung in § 2 Abs. 1 Var. 2 ParlBG, wonach von einem 121 Der Entwurf für ein Eckpunktepapier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (Stand: 11.11.2003) unternimmt folgerichtig auch keinen eigenen Definitionsversuch; vgl. auch Abg. Pofalla (CDU/CSU), Diskussionsbeitrag, DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 26, der für ein erhebliches Maß an Offenheit des Einsatzbegriffs plädiert. 122 BT-Drs. 15/1985 vom 12.11.2003, §§ 1, 2.
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dem Parlamentsvorbehalt unterliegenden Streitkräfteeinsatz auszugehen ist, wenn „eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten ist“, über die Formulierungen des Grundsatzjudikats hinaus, die von einem tatsächlichen und nicht nur zu besorgenden Einbezogensein ausgehen123. Die Verfassungsmäßigkeit seiner Modifikation des Einsatzbegriffes wurde dem Gesetzgeber mittlerweile durch die zweite AWACS-Entscheidung zumindest mittelbar bestätigt. Das Bundesverfassungsgericht stellt darin selbst auf die „qualifizierte Erwartung einer Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen“ 124
ab, um den Einsatzbegriff zu umreissen. Die ebenfalls in der Entscheidung skizzierten Anforderungen an eine solche „qualifizierte Erwartung“ werden zukünftig bei der Auslegung des § 2 Abs. 1 Var. 2 ParlBG heranzuziehen sein. Eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift zieht deren Wirkungskreis damit enger, als sein Wortlaut zunächst vermuten lässt.125 Eine Änderung bewirken des Weiteren die Regelbeispiele eines Einsatzes geringer Intensität und Tragweite in § 4 Abs. 3 ParlBG, für die ein vereinfachtes Zustimmungsverfahren gelten soll. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz macht sich in § 4 nicht nur in verfahrensrechtlicher Hinsicht die bundesverfassungsgerichtliche Empfehlung einer Abstufung der parlamentarischen Beteiligung zu Eigen. Es konkretisiert auch den materiell-rechtlichen Begriff der Einsätze, „die erkennbar von geringer Bedeutung sind“, für die nach dem Richterspruch ein solches modifiziertes Verfahren gelten kann126. Zunächst ersetzt und ergänzt es in § 4 Abs. 2 ParlBG, den bundesverfassungsrichterlichen Term des Einsatzes, der „erkennbar von geringer Bedeutung“ ist, mit der Formulierung eines Einsatzes „von geringer Intensität und Tragweite“, der dann vorliege „wenn die Zahl der eingesetzten Soldaten gering ist und der Einsatz auf Grund der übrigen Begleitumstände erkennbar von geringer Bedeutung ist und es sich nicht um einen Krieg handelt“.
Im folgenden Absatz konkretisiert es diese Einsätze, die „in der Regel“ vorliegen, wenn • es sich um ein Erkundungskommando handelt, das Waffen lediglich zum Zwecke der Selbstverteidigung mit sich führt, • einzelne Soldatinnen oder Soldaten betroffen sind, die auf Grund von Austauschvereinbarungen Dienst in verbündeten Streitkräften leisten, oder
123 BVerfGE 90, 286 (388): „. . . in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind“ – Hervorhebung nicht im Original. 124 BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 77. 125 Dazu Drittes Kapitel, B. IV. 1. 126 BVerfGE 90, 286 (389).
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
• einzelne Soldatinnen und Soldaten im Rahmen eines Einsatzes der VN, der NATO, der EU oder einer Organisation, die einen VN-Auftrag erfüllt, verwendet werden. Vom originären Einsatz bewaffneter Streitkräfte unterscheidet sich diese Einsätze „von geringer Intensität und Tragweite“ nicht prinzipiell, sondern nur graduell. Auch wenn bei einem Einsatz geringerer Intensität und Tragweite ein vereinfachtes Zustimmungsverfahren angestrebt wird, unterlieget dieser dennoch dem Parlamentsvorbehalt. 1. Ausweitung des Einsatzbegriffs durch Gefahrenprognose in § 2 Abs. 1 Var. 2 ParlBG a) Verfassungskonforme Auslegung unter Berücksichtigung von BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 7. Mai 2008 Es wurde bereits angesprochen, dass die Legaldefinition des Einsatzes bewaffneter Streitkräfteaber auch eine Klarstellung der durch das Out-of-area-Urteil geschaffenen Rechtslage bewirkte. Var. 2 des § 2 Abs. 1 ParlBG geht von einem parlamentsvorbehaltsauslösenden Militäreinsatz auch dann aus, wenn „eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten ist“. Die Grammatik des Grundsatzjudikats geht indes von einem tatsächlichen und nicht einem nur zu besorgenden Einbezogensein aus127. Vor Erlass des Parlamentsbeteiligungsgesetzes war es vor allem die Staatspraxis, die das Gefahrenelement als zustimmungspflichtauslösend anerkannte128. Eine indirekte Bestätigung ihrer Rechtsauffassung erhielten der Gesetzgeber und die Staatspraxis durch die AWACS-Hauptentscheidung vom 7. Mai 2008. Das Bundesverfassungsgericht stellt darin selbst auf die „qualifizierte Erwartung einer Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen“ 129 127 BVerfGE 90, 286 (388): „. . . in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind“ – Hervorhebung nicht im Original. 128 Vgl. die nach Prognose besonders gefahrgeneigten Einsätze Essential Harvest (BT-Drs. 14/6830 vom 23.08.2001), Amber Fox (BT-Drs. 14/6970 vom 27.09.2001), oder INTERFET (BT-Drs. 14/1719 vom 06.10.1999); hierzu auch Bundesverteidigungsminister Struck, Deutscher Bundestag, 15. Wahlperiode, Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Kurzprotokoll der 9. Sitzung am 05.06.2003, S. 8; vgl. aus der Literatur Lutze DÖV 2003, 972 (973); Röben, ZaöRV 63 (2003), 585 (592, 594); Dreist, ZaöRV 64 (2004), 1001 (1032); offengelassen bei Blumenwitz, in: Majoros (Hrsg.), Festschrift für Gerhard Ritter (1993), S. 311 (316) und Krajewski, AVR 41 (2003), 419 (421); a. A. Heintschel von Heinegg, in: Tomuschat (Hrsg.), Rechtsprobleme einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (1997), S. 87 (92); Wiefelspütz, NVwZ 2005, 496 (497); ders., Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte (2003), S. 41. 129 BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 77.
B. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte
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ab, um den Einsatzbegriff zu umreißen. Im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht wurden zuvor jedoch – indirekt – gewichtige Bedenken, gegen eine derartige Ausweitung des Parlamentsvorbehaltes durch eine Gefahrenprognose vorgebracht. Diese sei unzulässig, da sie den verfassungsrechtlich gewährten Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis nachhaltig berühre. Die (Allein-) Entscheidungsbefugnis der Exekutive ende nach der gewaltenteiligen Kompetenzordnung des Grundgesetzes nämlich erst dort, wo das Grundgesetz (respektive das Bundesverfassungsgericht) dem Bundestag die Entscheidung über den bewaffneten Einsatz deutscher Soldaten zuweist. Das schließe es aus, den Parlamentsvorbehalt im Sinne einer Vermutungsregel zu sehen, die einen Bundeswehreinsatz im Zweifel von der Zustimmung des Parlamentes abhängig mache. In diesem Sinne sei das Regel-Ausnahme-Verhältnis vom Grundgesetz auch umgekehrt normiert; begründungsbedürftig sei danach der parlamentarische Zustimmungsvorbehalt und nicht das entsprechende (Allein-)Handeln der Exekutive130. Diesen Einwänden ist das Bundesverfassungsgericht nicht gefolgt. „Angesichts der Funktion und Reichweite des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes darf seine Reichweite nicht restriktiv bestimmt werden. Vielmehr ist der Parlamentsvorbehalt (. . .) im Zweifel parlamentsfreundlich auszulegen (. . .) Insbesondere kann das Eingreifen des Parlamentsvorbehaltes nicht unter Berufung auf Gestaltungsspielräume der Exekutive maßgeblich von den politischen und militärischen Bewertungen und Prognosen der Bundesregierung abhängig gemacht werden; eine Einschätzungsprärogative kann der Exekutive lediglich für den Eilfall und damit nicht einstweilen überlassen werden.“ 131
Diese bundesverfassungsrichterlichen Ausführungen überraschen vor dem Hintergrund der Formulierungen des AWACS-II-Eilbeschlusses vom 25. März 2003 wenig. Wenn heute eher „eine sukzessive Verstrickung in bewaffnete Auseinandersetzungen“ 132 als ein förmlicher Kriegseintritt vorstellbar ist, kommt die konkret zu besorgende Möglichkeit einer Gewaltanwendung dem Sinngehalt des Parlamentsvorbehalts gerade entgegen. Insofern wird der Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis jedenfalls dann nicht substanziell eingeschränkt, wenn an die Wahrscheinlichkeit hohe Anforderungen gestellt werden133. An die Qualität der zu besorgenden Eskalation muss zudem auch nach der zweiten
130 Wieland, Schriftlichen Gegenäußerung für die Bundesregierung im AWACS-IIVerfahren vom Dezember 2003; a. A. Abg. van Essen (FDP), Diskussionsbeitrag, DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 16 und 19; Gramm, UBWV 2003, 161 (163); Dreist, ZaöRV 64 (2004), 1001 (1039). 131 BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 72. 132 BVerfGE 108, 34 (43). 133 H. H. Klein, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 93 (94); ähnlich Scholz, Schriftliche Stellungnahme, ebda., S. 115 (117).
168
3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
AWACS-Entscheidung die Messlatte „bewaffneter Auseinandersetzungen“ 134 angelegt werden. Die zu befürchtende Eskalation muss demnach Kampf- oder gar Kriegshandlungen gleich- oder doch zumindest nahe kommen. Auch für humanitäre Hilfseinsätze soll nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz die Verwicklungsgefahr für eine Zustimmungspflichtigkeit ausreichen. Nach § 2 Abs. 2 Satz 2 ParlBG sollen Hilfseinsätze „bei denen Waffen lediglich zum Zweck der Selbstverteidigung mitgeführt werden“, nur dann zustimmungsfrei sein, wenn „nicht zu erwarten ist“, dass die Soldaten in bewaffnete Unternehmungen „einbezogen werden.“ Angesichts des AWACS II-Beschlusses ist auch hier eine verfassungskonforme Auslegung dahin zu bemühen, dass es einer qualifizierten Erwartung bewaffneter Auseindersetzungen bedarf. Ob Selbstschutzmaßnahmen von Hilfseinheiten überhaupt die verfassungsrechtliche Qualität „bewaffneter Auseindersetzungen“ erreichen können, ist hingegen fraglich. Zugegebenermaßen birgt auch die Bewaffnung zur Selbstverteidigung die Gefahr einer gewissen gewaltsamen Eskalation. Ob diese in eine sukzessive militärische Verstrickung münden kann, wie sie die AWACS-II-Entscheidung fordert, mag aber zu bezweifeln sein. b) Keine exekutive Einschätzungsprärogative Nach der Systematik des Parlamentsbeteiligungsgesetzes ist es die Regierung, die die Gefahrenprognose vornimmt. Kommt sie zu dem Ergebnis, dass eine geplante Mission keine qualifizierte Verstrickungsgefahr birgt, so besteht für den Bundestag keine direkte Möglichkeit der Einflussnahme; stellt die Bundesregierung keinen Antrag auf Zustimmung, kann der Bundestag auch keine Zustimmung erteilen bzw. versagen. Für den Bundestag verbliebe lediglich die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts im Organstreitverfahren. Bislang war davon auszugehen, dass in einem solchen Verfahren die Einschätzungsprärogative der Bundesregierung sehr weit gefasst würde, da der Streitgegenstand einen internationalen Bezug aufweist. Die AWACS II-Entscheidung weicht jedoch im Bereich des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes von dieser traditionellen Rechtsprechung ab. Die Frage, ob eine Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen, respektive ob bewaffnete Auseinandersetzungen qualifiziert zu erwarten sind, sei „gerichtlich voll überprüfbar“135. Ein vom Bundesverfassungsgericht nicht oder nur eingeschränkt nachprüfbarer Einschätzungs- oder Prognosespielraum sei der Bundesregierung hier nicht eröffnet136.
134 135 136
BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 76 ff. passim. BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 82. BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 82.
B. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte
169
Diese Einschränkung überrascht nur im ersten Moment. Traditionell nähert sich das Bundesverfassungsgericht dem Beurteilungsspielraum von Verfassungsorganen in einer dreistufigen Vorgehensweise. Hierbei unterscheidet es zwischen einer bloßen Evidenzkontrolle, einer Vertretbarkeitskontrolle und einer inhaltlichen Kontrolle137. Die gerichtliche Kontrolldichte richtet sich nach der Eigenheit des in Rede stehenden Sachverhaltes. Überprüft wird vor allem das Beurteilungsverfahren, weniger dessen Ergebnis138. Der Auslandsbezug eines Streitkräfteeinsatzes legt es daher auf den ersten Blick zwar nahe, die in der Entscheidung über „sichere Herkunftsstaaten“ entwickelten Maßstäbe entsprechend heranzuziehen139. Das Bundesverfassungsgericht könnte dann die Unvertretbarkeit der exekutiven Entscheidung nur feststellen, wenn eine Gesamtwürdigung ergäbe, dass die Bundesregierung sich bei ihrer „Entscheidung nicht von guten Gründen hat leiten lassen“ 140. Faktisch wäre der außen- und sicherheitspolitischen Einschätzungsprärogative der Bundesregierung damit nur die Grenze offensichtlicher Willkür gesetzt141. Im Bereich des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes aber – so die autoritative Feststellung des zweiten AWACS-Beschlusses – tragen die Überlegungen zum Einschätzungsprivileg der Bundesregierung in äußeren Angelegenheiten hingegen nicht. „Die Frage, ob eine Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Unternehmungen besteht, ist gerichtlich voll überprüfbar; ein vom Bundesverfassungsgericht nicht oder nur eingeschränkt nachprüfbarer Einschätzungs- oder Prognosespielraum ist der Bundesregierung hier nicht eröffnet. Solche Spielräume werden im Bereich der auswärtigen Gewalt regelmäßig angenommen, weil nur dadurch der grundsätzliche Handlungsvorrang der Exekutive zur Geltung gebracht werden könne (. . .). Wo solche Entscheidungsräume nach materiellem Verfassungsrecht nicht bestehen, fehlt es indes schon an der Voraussetzung für eine funktionell-rechtliche Beschränkung der verfassungsgerichtlichen Kontrolldichte. Da das Grundgesetz dem Deutschen Bundestag, soweit der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt reicht, ein originäres Mitentscheidungsrecht im Bereich der auswärtigen Gewalt zuweist, besteht in diesem Bereich jenseits der Eilkompetenz gerade kein eigener Entscheidungsraum der Exekutive (. . .).“ 142 137
BVerfGE 50, 290 (332 ff.) – Mitbestimmung. BVerfGE 50, 290 (334). 139 BVerfGE 94, 115 (139 ff.); vgl. Fischer/Fischer-Lescano, KritV 2002, 113 (136 f.); Schmidt-Radefeldt, Parlamentarische Kontrolle der internationalen Streitkräfteintegration (2005), S. 173. 140 BVerfGE 94, 115 (144). 141 BVerfGE 68, 1 (2 Leitsatz 3): „Einschätzungen und Wertungen außenpolitischer und verteidigungspolitischer Art obliegen der Bundesregierung. Das Grundgesetz zieht der Beurteilungsmacht, die der Bundesregierung insoweit zusteht, nur die Grenze offensichtlicher Willkür. Innerhalb dieser äußersten Grenze hat das Bundesverfassungsgericht nicht nachzuprüfen, ob die Einschätzungen oder Wertungen der Bundesregierung zutreffend oder unzutreffend sind, da es insoweit rechtlicher Maßstäbe ermangelt; sie sind politisch zu verantworten.“ 142 BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 82. 138
170
3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
Das Bundesverfassungsgericht greift hier – in sich folgerichtig – die analytische Trennung von Wehr- und auswärtiger Gewalt aus dem Out-of-area-Urteil143 wieder auf und entwickelt daraus neben dem konstitutiven Zustimmungsrecht eine weitere, parlamentsfreundliche Konsequenz. Unausgesprochen hat das Gericht diese Konsequenz bereits in seinen AWACS I- und Somalia-Eilbeschlüssen aus dem Jahre 1993 vorweggenommen. So hat das Bundesverfassungsgericht im ersten AWACS-Eilverfahren das außen- und sicherheitspolitische Vorbringen der Bundesregierung in der mündlichen Verhandlung vom 7. April 1993 ausführlich durch hochrangige Vertreter der Bundesregierung, der Bundeswehr und der NATO erörtern lassen144. Kurze Zeit später setzte es sich im SomaliaEilverfahren über die exekutiven Einschätzungen der Sicherheitslage gar hinweg145. Insofern spricht die zweite AWACS-Entscheidung vom 7. Mai 2008 lediglich das unmissverständlich aus, was in den vorangegangenen Judikaten zum wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt bereits angelegt war. c) Zwischenergebnis Nach allem ist davon auszugehen, dass die einfachgesetzliche Festlegungen in §§ 2 Abs. 1 Var. 2 und Abs. 2 Satz 2 ParlBG, wonach der Parlamentsvorbehalt schon dann ausgelöst wird, wenn „eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten ist“, sich im Rahmen der von der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts skizzierten Linien bewegt146. Bei der Auslegung der Vorschriften sind an die Gefahrenprognose die qualifizierten Anforderungen des AWACS-II-Beschlusses zu stellen. Durch die Heranziehung der materiellen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an die Gefahrenprognose wird auch ein rechtspolitischer Vorteil erzielt. Der schlichte Wortlaut des Abs. 1 Var. 2 und Abs. 2 Satz 2 ParlBG („zu erwarten ist“) wird inhaltlich konturiert und eingegrenzt, wodurch die naturgegebene Grauzone einer Erwartungsprognose eine begrüßenswerte Aufhellung erfährt.
143
BVerfGE 90, 286 (381 f.). Vgl. den Abdruck der mündlichen Verhandlung in: Dau/Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte (1996), S. 111 ff. 145 BVerfGE 89, 39 (42 einerseits, 45 anderseits). Die Lage in Belet Huen sei nicht „sicher und ruhig“ gewesen sondern, den Soldaten drohten vielmehr „nicht unerhebliche Gefahren (. . .) an Leib und Leben“; Bewertung bei Schaefer, Verfassungsrechtliche Grenzen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes (2005), S. 229 f. m.w. N. 146 Hierfür spricht auch, dass das Bundesverfassungsgericht in Art. 115a Abs. 1 GG einen ausdrücklich geregelten Fall des zustimmungspflichtigen Einsatzes bewaffneter Streitkräfte sieht [BVerfGE 90, 286 (382)]. Denn zumindest nach dem Wortlaut dieser Norm können die Streitkräfte nicht nur eingesetzt werden, wenn das Bundesgebiet angegriffen wird, sondern auch wenn „ein solcher Angriff unmittelbar droht“. 144
B. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte
171
2. Kriterium der Bewaffnung Auch wenn Bundesverfassungsgericht und Parlamentsbeteiligungsgesetz Einsätze bewaffneter Streitkräfte und die Einbeziehung von Soldaten in bewaffnete Unternehmungen unter den Parlamentsvorbehalt stellen, bietet das rein formale Merkmal der Bewaffnung für sich alleine kein trennscharfes Kriterium. Es ist das Bundesverfassungsgericht selbst, das eine allzu formale Sichtweise verwirft, wenn es bereits in seiner Out-of-area-Entscheidung im Fall der unbewaffneten AWACS-Flüge über Ex-Jugoslawien von einem Einsatz bewaffneter Streitkräfte ausgeht. Anknüpfungspunkt für eine Parlamentsbeteiligung war hier vielmehr, das Einbezogensein der Bundeswehrsoldaten in eine bewaffnete Unternehmung. Einbezogensein in bewaffnete Unternehmungen ist nicht gleichbedeutend mit selbst bewaffnet zu sein. Soldaten können auch dann integraler Bestandteil einer bewaffneten Unternehmung sein, wenn sie selbst unbewaffnet sind oder selbst nicht unmittelbar kämpferisch agieren. Exemplarisch seien Soldaten genannt, die im Rahmen einer Militärmission logistische Arbeit leisten oder in der Informationsgewinnung eingesetzt werden147. Entscheidend ist daher nicht, dass die Soldaten unmittelbar den Kampfauftrag erfüllen oder zum Waffeneinsatz zur Durchsetzung des Mandats ermächtigt sind. Vielmehr sind sie auch dann einbezogen, wenn sie unbewaffnet (AWACS) bzw. nur zum Eigenschutz bewaffnet (UNOSOM II) lediglich logistische oder humanitäre Unterstützung erbringen, aber in eine Kommandostruktur einbezogen sind, die ein militärisches Mandat zu erfüllen hat. Nicht der deutsche Beitrag, sondern die Mission als Ganzes ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die Abgrenzung entscheidet148. So bestand der deutsche Beitrag zur EUFOR-Operation Artemis darin, medizinische Versorgungsflüge durchzuführen. Bewaffnet waren die eingesetzten Bundeswehrsoldaten hierfür nicht. Da die Gesamtoperation Artemis aber bewaffnet erfolgte, war der deutsche Beitrag in eine bewaffnete Unternehmung einbezogen, die somit der Zustimmung des Bundestages bedurfte149. Eine Relativierung seiner eigenen Begriffsbestimmung des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte nimmt das Bundesverfassungsgericht weiterhin vor, wenn reine Hilfeleistungen der Bundeswehr im Ausland als grundsätzlich zustimmungsfrei gelten sollen; es entspricht hingegen Völkergewohnheitsrecht, dass Angehörige von Streitkräften, die sich im Rahmen eines Einsatzes zur humanitären Hilfe mit Zustimmung des Gaststaates auf dessen Staatsgebiet aufhalten, Waffen zur 147 Wiefelspütz, NVwZ 2005, 496 (498); ders., Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte (2003), S. 42; Schmidt-Radefeldt, Parlamentarische Kontrolle der internationalen Streitkräfteorganisation (2005), S. 163. 148 Vgl. auch Heintschel von Heinegg, in: Tomuschat (Hrsg.), Rechtsprobleme einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (1997), S. 87 (92). 149 Vgl. den Regierungsantrag vom 13.06.2003 (BT-Drs. 15/1168), sowie die Zustimmung des Bundestages vom 18.06.2003 (BT-PlenProt. 15/51, S. 4240 D).
172
3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
Selbstverteidigung tragen dürfen150. Angesichts seiner im Out-of-area-Urteil gezeigten völkerrechtlichen Kenntnisse ist davon auszugehen, dass dem Bundesverfassungsgericht bei Beschlussfassung dieser Umstand auch geläufig war. Das Bundesverfassungsgericht hat demnach implizit entschieden, dass das Parlament nicht in allen Fällen zustimmen muss, in denen Soldaten mit Waffen ins Ausland entsendet werden151. Die vom Bundesverfassungsgericht vorgenommene Relativierung des Merkmals der Bewaffnung kann zu dem kuriosen Ergebnis führen, dass einerseits bewaffnete Bundeswehrsoldaten im Ausland eingesetzt werden können, ohne dass der Bundestag zustimmen müsste (Hilfseinsätze), andererseits ist ein Einsatz deutscher Soldaten nicht schon deshalb zustimmungsfrei, weil die Soldaten keine Waffe tragen. 3. Kriterium des Bewaffnungszwecks Wie bereits dargestellt, ist die Entsendung waffentragender Soldaten in das Ausland nicht zwingend zustimmungspflichtig. Das formale Kriterium des Waffentragens allein kann nicht ausschlaggebend für eine Parlamentsbefassung sei. Das Bewaffnungselement deshalb außer acht zulassen, hieße jedoch den Wortlaut der beiden Begriffe des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte und des Einbezogenseins in bewaffnete Unternehmungen zu ignorieren. Das Kriterium der Bewaffnung bedarf vielmehr einer Ergänzung. Ungeeignet ist hierfür eine Unterscheidung hinsichtlich der militärtechnischen Bewaffnungsart. Diese führte zu kaum lösbaren Abgrenzungsschwierigkeiten. Solche zu vermeiden ist aber gerade ein Anliegen des Bundesverfassungsgerichts, indem es etwa darauf hinweist, dass zwischen schlichten, nur zur Selbstverteidigung befugten Blauhelmtruppen und solchen, die kämpferisch ihr Mandat durchsetzen dürfen, fließende Übergänge herrschen und deshalb – mangels trennscharfer Abgrenzung – auch klassische Blauhelmtruppen dem Parlamentsvorbehalt unterfallen. a) Robuste Bewaffnung Zielführender ist es, das formale Kriterium der Bewaffnung um ein finales Element anzureichern. Waffen, die zur Selbstverteidigung mitgeführt werden, lösen nicht zwingend die Parlamentsbeteiligung aus152. Sind die mitgeführten 150 Zu diesem Zweck haben die Vereinten Nationen Mustervertragsbedingungen für humanitäre Hilfseinsätze erstellt, die auch das Recht zum Waffentragen enthalten; abgedruckt in: United Nations (Hrsg.), The Use of Military and Civil Defence Assets in Disaster Relief Operations (1996), S. D-2-1 bis D-2-11. 151 Baldus, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06. 2004, S. 39 (61). 152 A. A. Lutze, DÖV 2003, 972 (975).
B. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte
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Waffen hingegen notwendig und erforderlich, den Missionsauftrag durchsetzen zu können, ist regelmäßig von einem Einsatz bewaffneter Streitkräfte im rechtlichen Sinne auszugehen. Zu fragen ist demnach, ob die unter deutscher Beteiligung stattfindende militärische Unternehmung mit Zwangsbefugnissen ausgestattet ist, die es erlauben, den Missionszweck robust zu erreichen oder gar einen konkreten Kampfeinsatz durchzuführen. Diese Lesart des Begriffs Einsatzes bewaffneter Streitkräfte geht nicht nur mit der bisherigen staatlichen Zustimmungspraxis einher, sondern greift auch die bundesverfassungsrechtlichen Intention auf, dass lediglich zum Zwecke des Eigen- und Materialschutz bewaffnete Bundeswehrsoldaten für sich betrachtet, noch keine Parlamentsbeteiligung auszulösen vermag. Auch das Bundesverfassungsgericht hebt nunmehr in aller Deutlichkeit hervor: „Solange es sich allerdings rechtlich nur um eine Ermächtigung zur Selbstverteidigung handelt und der Einsatz selbst einen nicht-militärischen Chrakter hat, ist (. . .) die Schwelle der Zustimmungsbedürftigkeit nicht schon durch diese Ermächtigung erreicht.“153
Hierin ist auch kein Widerspruch zur Out-of-area-Entscheidung zu erkennen. Zwar ist nach dem Grundsatzjudikat auch dann die Schwelle der Zustimmungsbedürftigkeit erreicht, wenn deutschen Soldaten im Rahmen einer VN-Mission strikt defensiv ausgerichtet sind. Das Bundesverfassungsgericht stellte jedoch nicht auf die zur Selbstverteidigungsrecht mitgeführten Waffen der Bundeswehrsoldaten ab, sondern auf drohende Abgrenzungsschwierigkeiten zu robusten Mandaten. Eine unterschiedliche Behandlung der verschiedenen Einsatzformen von Friedenstruppen verbiete sich (nur) deshalb, weil die Grenzen zwischen traditionellen Blauhelmeinsätzen, in deren Rahmen sich Soldaten selbstverteidigen dürfen und solchen mit der Befugnis zu allgemeinen bewaffneten Sicherungsmaßnahmen in der Realität fließend geworden seien. Schließlich werde der Begriff der Selbstverteidigung, die schlichten Friedenstruppen erlaubt sei, bereits in einem aktiven Sinne dahin definiert, dass sie auch den Widerstand gegen gewaltsame Versuche einschließe, die Truppen an der Ausführung ihres Auftrages zu hindern154.
153
BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 81. BVerfGE 90, 286 (388); vgl. auch BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 59. Beispiele für solche robusten Mandate sind IFOR/Joint Endeavour in Kroatien (BT-Drs. 13/3122 vom 28.11.1995); SFOR/Joint Guard in Bosnien-Herzegowina (BT-Drs. 13/6500 vom 11.12.1996); SFOR/Joint Forge in Bosnien-Herzegovina (BTDrs. 13/10977 vom 17.06.1998); Joint Guardian II (Erstantrag BT-Drs. 14/1133 vom 11.06.1999); ISAF in Afghanistan (Erstantrag BT-Drs. 14/7930 vom 21.12.2001); UNIFIL (BT-Drs. 16/2572 vom 13.09.2006). 154
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
b) VN-Missionen und bewaffnete Selbstverteidigung Unabhängig von der spezifischen Auftragslage steht deutschen Soldaten sowohl nach Völker- als auch nach Verfassungsrecht das naturgegebene Recht auf Selbstverteidigung gegen Gewalttaten zu155. Notwehr dürfen Angehörige der Streitkräfte insbesondere in Katastrophen- oder Bürgerkriegssituationen üben. Das Recht auf Selbstverteidigung umfasst sowohl den Schutz von Truppenangehörigen, als auch von Schutzbefohlenen, sowie des mitgeführten Material. Selbstverteidigung schließt hierbei den Gebrauch mitgeführter Waffen ein. Völkerrechtlich ist das Waffentragen der Soldaten zumindest auf der Grundlage einer Absprache mit dem Aufenthaltsstaat zulässig156. Bei der Inanspruchnahme ihres Rechts auf Notwehr und -hilfe haben die Soldaten die entsprechenden strafrechtlichen Regeln des Aufenthaltsstaates einzuhalten. Regelmäßig darf ein Angreifer zum Zwecke der Entwaffnung vorübergehend festgehalten und durchsucht werden. Anschließend sind er und eventuell aufgefundene Waffen der nächsterreichbaren Autorität des Aufenthaltsstaates zu übergeben157. Verüben ausländische Soldaten Straftaten im Zusammenhang mit dienstlichen Tätigkeiten, kann dies vom Aufenthaltstaat allerdings nicht verfolgt werden. Die entsprechende Immunität der ausländischen Soldaten kann sich aus speziellen Vereinbarungen mit dem Aufenthaltsstaat (ius in praesentia) ergeben, oder aus dem völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Grundsatz, dass ausländische Streitkräfte, die sich mit Willen des Gaststaates auf dessen Territorium aufhalten, funktionelle Immunität genießen. Bundeswehrsoldaten müssen ihre Selbstverteidigungshandlung aufgrund der in § 1a Abs. 2 Wehrstrafgesetzbuch geregelten Erstreckung des deutschen Strafrechts auf Auslandsvergehen auch am deutschen Notwehrrecht messen lassen. Des Weiteren dürfen Bundesregierung und Bundestag den deutschen Soldaten Vorgaben zur Ausübung ihres Rechts zur Nothilfe machen158. Die in der Out-of-area-Entscheidung angesprochene Entwicklung, wonach das Selbstverteidigungsrecht klassischer Blauhelme mittlerweile auch den Widerstand gegen gewaltsame Versuche einschließe, die Truppen an der Ausführung 155 Vgl. aus völkerrechtlicher Sicht Berber, Lehrbuch des Völkerrechts Bd. 2 (1969), S. 44 ff., 236; Blumenwitz, NZWehrr 1988, 133 (145). 156 Hermsdörfer, DVP 2004, 183 (185). 157 Vgl. am Beispiel Mazedonien Hermsdörfer, UBWV 2002, 321 (322 f.). 158 Hermsdörfer, UBWV 2002, 321 (322 f.). So haben Bundesregierung und Bundestag in den immer wieder bestätigten Beschlüssen zum KFOR/Joint Guardian IIEinsatz das Nothilferecht der Bundeswehrsoldaten konkretisiert: „Den im Rahmen dieser Operation eingesetzten Kräften wird auch die Befugnis zur Wahrnehmung des Rechts auf bewaffnete Nothilfe zugunsten Soldaten und Zivilpersonal der internationalen Präsenzen einer internationalen Polizeitruppe und humanitären Hilfsorganisationen erteilt“ (konstituierender Kabinettsbeschluss BT-Drs. 14/1133 vom 11.06.1999); zur Einschränkbarkeit der Nothilfe durch Befehl siehe Sohm, NZWehrr 1996, 89 ff.
B. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte
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ihres Auftrages zu hindern, setzte Anfang der 1960er Jahre während der VNOperation im Kongo (ONUC) ein. Hier wurde das Konzept der aktiven Selbstverteidigung entwickelt, das Friedenstreitkräften das Recht zum Waffengebrauch zubilligt, wenn sie gewaltsam an der Ausübung ihres Rechts auf Freizügigkeit und damit an der Wahrnehmung ihres Mandats gehindert werden. Tatsächlich hat die Entwicklung der friedenserhaltenden Missionen nach dem Brahimi-Bericht159 zu Einsatztypen der dritten Generation geführt, in deren Rahmen auch denjenigen Kräften mit Gewalt begegnet werden kann, die der Friedensmission zugrundeliegende Vereinbarungen brechen oder schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen verantworten. Um im Rahmen von Blauhelm-Missionen Abgrenzungsschwierigkeiten für eine Parlamentsbeteiligung zu vermeiden, ist die klare Haltung des Bundesverfassungsgerichts hilfreich. Gleichzeitig darf die Tatsache, dass auch die deutsche Beteiligung an klassischen, also nur selbstund nothilfeberechtigten Blauhelmeinsätzen zustimmungspflichtig ist, nicht derart verallgemeinert werden, dass das Parlament immer schon dann auf den Plan gerufen würde, wenn Bundeswehrsoldaten im Ausland sich mit Waffengewalt selbstverteidigen dürfen. Der Anknüpfungspunkt für das Bundesverfassungsgericht war nicht das Selbstverteidigungsrecht der bewaffneten Soldaten, sondern drohende Abgrenzungsschwierigkeiten auf Grund neuer VN-Einsatztypen. c) Humanitäre Hilfsdienste und bewaffnete Selbstverteidigung Auch bei rein humanitären Hilfsdiensten und -leistungen im Ausland sind Bundeswehrsoldaten regelmäßig zum Eigenschutz bewaffnet. Dem Parlamentsvorbehalt unterliegen solche Einsätze jedoch nicht, sofern die Soldaten hierbei nicht in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind160. Ein grundsätzlich zustimmungsfreies humanitäres Engagement ist demnach dann zustimmungspflichtig, wenn es sich im Wege einer Gesamtbetrachtung als integraler Bestandteil einer (multinationalen) Militäroperation mit Zwangscharakter darstellt. Die Staatenpraxis zeigt, dass es eine breite Übung und Anerkennung dafür gibt, dass Angehörige von Streitkräften, die sich im Rahmen eines Einsatzes zur humanitären Hilfe mit Zustimmung des Gaststaates auf dessen Staatsgebiet aufhalten, Handfeuerwaffen zur Selbstverteidigung tragen dürfen. Zu diesem Zweck haben die Vereinten Nationen Mustervertragsbedingungen für humanitäre Hilfseinsätze erstellt, die auch das Recht zum Waffentragen enthalten161. Die Verwendung von Soldaten bei humanitären Aktionen mit einer bewaffneten Kom159 UN Doc. A/55/305, S/2000/808; zum Brahimi-Bericht siehe Vöneky/Wolfrum, ZaöRV 62 (2002), 569 ff. 160 BVerfGE 90, 286 (388); BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 59. 161 Vgl. Hermsdörfer, DVP 2004, 183 (185); diese Bedingungen sind abgedr. in: United Nations (Hrsg.), The Use of Military and Civil Defence Assets in Disaster Relief Operations (1996), S. D-2-1 bis D-2-11.
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
ponente kann nicht wegen ihres defensiven Charakters per se als Einsatz bewaffneter Streitkräfte abgelehnt werden. Wenn das Bundesverfassungsgericht auf das Nichteinbezogensein in bewaffnete Unternehmungen abstellt und nicht auf etwa auf den Begriff der Selbstverteidigung, darf das hilfeleistende Personal der Bundeswehr mitgeführte Waffen zur Notwehr einsetzen162. Nicht möglich ist dagegen im Rahmen seines Hilfeauftrags Widerstände gegen die Ausführung der Hilfsdienste mit Waffengewalt zu brechen. d) Zwischenergebnis Auf den Verwendungszweck der mitgeführten Waffen abzustellen, um den Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte konkretisieren zu können, ist zwar durchaus naheliegend, wird von der Literatur jedoch weitgehend nicht bedacht163. Dies überrascht um so mehr, als an anderer prominenter Stelle, dem Streit um den Einsatzbegriff des Art. 87a Abs. 2 GG, ähnlich final argumentiert wird164. An den verfassungsgerichtlichen Anforderungen und an der Staatswirklichkeit vorbeigehend, erweist sich indes der enge Ansatz Dieter Wiefelspütz‘165, wonach die Zustimmungspflichtigkeit nicht schon durch die Entsendung robust-bewaffneter Soldaten ausgelöst werde, sondern erst durch die konkrete Entscheidung Kampfhandlungen aufzunehmen. Die praktische Folge dieser Auffassung wäre, dass die Parlamentsbeteiligung ausgehöhlt würde. Regelmäßig müsste auf das Institut der Gefahr im Verzug zurückgegriffen werden, wenn deutsche Soldaten oder befreundete Streitkräfte unversehens von gegnerischer Seite in Kampfhandlungen verstrickt würden. Ein Parlamentsbeschluss könnte in einer solch zugespitzten Situation nicht mehr rechtzeitig gefasst werden, so dass ein vorläufiges Alleinhandeln der Regierung die regelmäßige Folge wäre. Eine solche exekutive Notkompetenz will das Bundesverfassungsgericht aber schon in seiner Out-of-area-Entscheidung auf ausdrücklich auf singuläre, unerwartete Notfälle beschränkt sehen166. In seiner zweiten AWACS-Entscheidung vom 7. Mai 2008 formuliert es angesichts einer derart restriktiven Lesart die Befürchtung, dass der „Parlamentsvorbehalt zu einem Parlamentsnachvollzug“ werden könnte167. Auch die Staatspraxis spricht deutlich gegen den Ansatz Wiefelspütz’, da die konstitutive Parlamentszustimmung in den allermeisten 162 Brenner/Hahn, JuS 2001, 729 (730); offengelassen bei Dau, NZWehrr 1994, 177 (183). 163 Ansätze bei Dreist, ZaöRV 64 (2004), 1001 (1033); F. Schröder, Das Parlamentarische Zustimmungsverfahren (2005), S. 201 f. 164 Vgl. nur Hernekamp, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG Bd. 3 (2003), Art. 87a Rndr. 13. 165 Wiefelspütz, NZWehrr 2003, 133 (138 f.); ders., Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte (2003), S. 41.; ders., Das Parlamentsheer (2005), S. 428 ff. 166 BVerfGE 90, 286 (388). 167 BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 80.
B. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte
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Fällen tatsächlich vor Entsendung der Soldaten in den Aufenthaltsstaat erfolgt. Seinen Ursprung nimmt der mangelnde Ansatz offenbar in der bundesverfassungsrichterlichen Forderung nach einem Parlamentsbeschluss über den konkreten168 Einsatz. Unter dem konkreten Einsatz ist jedoch regelmäßig der im Regierungsantrag skizzierte Gesamteinsatz zu verstehen und nicht etwa jeder einzelne tatsächliche (Kampf-)Einsatz. Ob und wie Kampfhandlungen tatsächlich aufgenommen werden verbleibt aus guten Gründen in der Entscheidung der Regierung nachdem der Bundestag grundsätzlich seine Zustimmung signalisierte. Die Bundeswehr ist zwar eine Parlamentsarmee, der Bundestag gleichwohl kein Feldherr. 4. Gesamtbetrachtende Wertung Um festzustellen, ob ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte vorliegt, ist eine Gesamtschau demnach unerlässlich. Dies bestätigt das Bundesverfassungsgericht in seiner zweiten AWACS-Entscheidung zumindest für die Bestimmung einer „qualifizierte Erwartung einer Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen“ ausdrücklich169. Sich dem Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte über eine Gesamtbetrachtung zu nähern, stellt zwar keine echte Definition dar, orientiert sich jedoch an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Nach dieser kann es keinen Unterschied machen, ob die Bundeswehr selbst mit Waffengewalt einen Kampfauftrag ausführt, oder ob sie diesen stellvertretend durch eine befreundete Armee ausführen lässt und diese hierbei in logistischer, humanitärer oder sonstiger Weise unterstützt. Dass eine derartige, arbeitsteilige Vorgehensweise – nach strafrechtlichen Maßstäben zumindest eine Beihilfe – vom Parlamentsvorbehalt nicht erfasst werden soll, erscheint ausgeschlossen. Eine solche Gesamtschau stellt implizit auch das Bundesverfassungsgericht an, wenn es für die deutsche Beteiligung an UNOSOM II die Mitwirkung des Bundestages verlangte: Das deutsche Kontingent, lediglich zum Eigenschutz bewaffnet, unterstützte mit logistischen und humanitären Hilfestellungen befreundete Streitkräfte170, die Kampfaktion durchführten, die – wären sie von der Bundeswehr vorgenommen worden – unzweifelhaft einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte bedeuteten. Der Hilfsauftrag der Bundeswehr hätte isoliert betrachtet keiner parlamentarischen Billigung bedurft, erst mit Blick auf die internationale Einbettung des deutschen Beitrags ist das Bundesverfassungsgericht von einem zustimmungspflichtigen Vorgang ausgegangen. Auch in der Staatspraxis lassen sich 168
BVerfGE 90, 286 (389). BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 77. 170 Zur Auftragslage der Bundeswehr vgl. BVerfGE 90, 286 (310 ff.); 89, 38 (39 ff.). 169
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
Anhaltspunkte für eine wertende Gesamtbetrachtung finden. Der deutsche Beitrag zur multinationalen Sicherheitstruppe INTERFET171 bestand darin, mit etwa 100 Bundeswehrsoldaten, zusammengesetzt aus MEDEVAC-172 und Eigensicherungskräften, sowie Stabspersonal humanitäre (Not-)Hilfe zugunsten bedrohter Mitarbeiter oder Soldaten internationaler Organisationen zu leisten173. Isoliert betrachtet, stellte dieses deutsche Engagement zwar keinen Einsatz bewaffneter Streitkräfte dar, doch waren sich Parlament und Regierung über einen notwendigen Bundestagsbeschluss einig174. Bei unbefangener Lektüre des Parlamentsbeteiligungsgesetzes und insbesondere dessen Definitionsversuch zum Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte wird nicht deutlich, dass in bestimmten Fällen eine Gesamtbetrachtung den entscheidenden Bogen zu einer Bundestagsbefassung schlagen kann. Nicht zuletzt ein Bedürfnis nach mehr Transparenz des Entsendeverfahrens artikulierten die Befürworter des Parlamentsbeteiligungsgesetzes; ein Bedürfnis das effektiver gestillt werden könnte. So könnte der Reformgesetzgeber – auch aufgrund des mittlerweile ergangenen AWACS II-Beschlusses – eine Neufassung des § 2 Abs. 1 ParlBG formulieren: „Ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte liegt vor, wenn Soldatinnen oder Soldaten der Bundeswehr in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind. Eine Einbeziehung liegt auch dann vor, wenn – eine Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen qualifiziert zu erwarten ist – der Handlungsbeitrag der Soldatinnen oder Soldaten der Bundeswehr in die Gesamtstrategie auch einer fremden militärischen Unternehmung integriert ist.“
5. Kriterium der mittelbaren Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen Unter Einschluss einer „auch fremden“ militärischen Unternehmung hätte sich der Gesetzgeber ebenso des vom Bundesverfassungsgericht in seiner AWACS-II-Eilentscheidung aufgezeigten Klärungsbedarfs,
171 Die Vereinten Nationen beschlossen am 15. September 1999 mit der Resolution 1264 die Einsetzung von INTERFET, um die staatliche Ordnung in Ost-Timor wiederherzustellen, nachdem dort indonesische Milizen den Bürgerkrieg dramatisch verschärften. 172 MEDEVAC (Medical Evacuation) meint die Evakuierung verletzter Personen aus unsicheren Gebieten bzw. deren Verbringung in qualifizierte medizinische Versorgung. 173 BT-Drs. 14/1719 vom 06.10.1999. 174 Vgl. die Aussprache anlässlich der Beschlussfassung am 07.10.1999, BT-PlenProt. 14/61, S. 5421 Cff.
B. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte
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„inwieweit auch eine mittelbare Einbeziehung in bewaffneter Unternehmungen den Parlamentsvorbehalt auslöst“ 175,
teilweise angenommen. Dass sich das Parlamentsbeteiligungsgesetz insofern ausschweigt, ist schon deshalb bedauerlich, als die Entscheidung in der Hauptsache, wohl nicht zuletzt deshalb so lange ausgeblieben ist (5 Jahre), weil das Bundesverfassungsgericht in dieser Frage dem Gesetzgeber nicht vorgreifen wollte176. Die Gestaltungschance, den vom Gericht offengelassen Begriff der mittelbaren Einbeziehung zu konkretisieren, hat der Bundestag bislang vertan. Das Bundesverfassungsgericht selbst greift den Begriff in der Hauptsacheentscheidung nicht mehr auf, so dass weiterhin gesetzgeberischer Spielraum in der einmal aufgeworfenen Frage verbleibt. Zwar werden ähnlich der Vorbehalte gegenüber einer Legaldefinition des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte allgemein, gerade gegenüber einer Positivierung mittelbarer Einbeziehungen vorgebracht, dass diese aufgrund der regelhaft-dynamischen Entwicklung militärischer Einsatzszenarien kaum möglich sei177. Teilweise wird nicht nur die Kodifizierung abgelehnt, sondern auch schon der bundesverfassungsrichterliche Term selbst178. Doch aus dem Kontext der Eilentscheidung vom 25. März 2003 kann gefolgert werden, dass das Bundesverfassungsgericht mit einer mittelbaren Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen gerade solche Situation meinte, in denen ein an sich zustimmungsfreier Einsatz der Bundeswehr durch eine Gesamtbetrachtung eine andere Wertung erfahren muss. Konkret lag dem AWACSII-Eilbeschluss ein Szenario zugrunde, in dem es auch nicht ausgeschlossen schien, dass mittels der deutschen AWACS-Beobachtungen über der türkischirakischen Grenze militärstrategische Informationen gewonnen würden, die an die im Irak kriegführenden Nationen weitergeleitet und somit Grundlage entsprechender kriegerischer Unternehmungen werden könnten. Zwar konnte im Hauptsacheverfahren eine Informationsweitergabe nicht verifiziert werden, so dass das Bundesverfassungsgericht hierzu auch keine Stellung nehmen brauchte und andere Entscheidungsgründe heranzog. Es scheint aber ausgeschlossen, dass eine Weitergabe militärisch erlangter, bedeutsamer Informationen an fremde Streitkräfte, verfassungsrechtlich ohne Rechtsgrundlage gewollt sein
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BVerfGE 108, 34 (43). Vgl. auch Rau, AVR 44 (2006), 93 (98). 177 Skeptisch gegenüber einer abstrakten Formel Gramm, UBWV 2003, 161 (163). Für eine wörtliche Übernahme in das Parlamentsbeteiligungsgesetz spricht sich Baldus, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 39 (67), aus. 178 Die Differenzierung nach mittelbaren und unmittelbaren Einbeziehung sei schlichtweg „nicht aussage- oder klärungsfähig“, so Scholz, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 115 (119). 176
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
kann179. Gerade für solche Konstellation könnte sich eine um eine vorzunehmende Gesamtbetrachtung ergänzte Begriffsbestimmung in § 2 Abs. 1 ParlBG als fruchtbar erweisen. Die hier vorgeschlagene Ergänzung der Legaldefinition kann zwar keine authentische Übersetzung des weiten bundesverfassungsrichterlichen Terms der mittelbaren Einbeziehung sein; ein Mehr an Klarheit und Transparenz brächte sie dennoch. 6. Kriterium der Soldaten auf kriegsbefangenem Territorium Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung lässt sich ein klares, formales Abgrenzungskriterium für zustimmungspflichtige Einsätze auch dann gewinnen, wenn man auf das Einsatzgebiet abstellt. Ist das Einsatzgebiet kriegsbefangenes Territorium, so sind die Bundeswehrsoldaten in einem Maße in ein Kriegsgeschehen einbezogen, dass sie keinen abtrennbaren Teil eines bewaffneten Konfliktes darstellen180. Diese Ansicht wird durch die AWACS-II-Eilentscheidung gedeckt. Dort führt das Gericht aus, dass es im Hauptsacheverfahren zu prüfen ist, ob der Parlamentsvorbehalt auch dann ausgelöst werden kann, wenn Bundeswehrsoldaten in einem Staat operieren, „dessen Staatsgebiet unmittelbar an ein kriegsbefangenes Territorium angrenzt“ 181. Wenn es das Bundesverfassungsgericht für möglich hält, dass die örtliche Nähe eines Bundeswehreinsatzes zu einem bewaffneten Konflikt eine Parlamentsbefassung erfordert, so ist a minore ad maius zu schließen, dass ein Einsatz der Bundeswehr auf kriegsbefangenem Territorium zustimmungspflichtig ist. Diese grundsätzliche Überlegung, wonach der Parlamentsvorbehalt ausgelöst wird, wenn im Bezug auf das Einsatzgebiet friedlichen Rahmenbedingungen fehlen, ist dann auch auf Staatsgebiete zu erstrecken, in denen die Voraussetzungen des Art. 39 VN-Charta durch den Sicherheitsrat bejaht wurden182. Auch hier sind die Soldaten in örtlich-zeitlicher Hinsicht in tatsächliche Geschehen einbezogen, von denen sie realistischer Weise nicht zu trennen sind183. Eine aktive Teilnahme an kriegerischen oder Kampfhandlungen als stärkste Form des Einbezogenseins ist aufgrund des for179 Vgl. H. H. Klein, Diskussionsbeitrag, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung am 17.06.2004, S. 3; ders., Schriftliche Stellungnahme, ebda., S. 93 (95); Schmidt-Jortzig, Schriftliche Stellungnahme, ebda., S. 107 (109). 180 Wiefelspütz, Das Parlamentsheer (2005), S. 431. 181 BVerfGE 108, 34 (43). 182 Heintschel von Heinegg, in: Tomuschat (Hrsg.), Rechtsprobleme einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (1997), S. 87 (92). 183 Da die Mineräumaktion der Bundeswehr am Persischen Golf Anfang der 1990er Jahre in (mittlerweile) befriedeter Umgebung erfolgte, war sie nach heutigem Ermessen zustimmungsfrei; so auch Heintschel von Heinegg, in: Tomuschat (Hrsg.), Rechtsprobleme einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (1997), S. 87 (92); a. A. Dau, in: Goebel (Hrsg.), Von Kambodscha bis Kosovo (2000), S. 21 (24).
B. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte
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malen Ansatzpunktes nicht erforderlich184. Dies ergibt sich schon daraus, dass das Bundesverfassungsgericht auch für schlichte Blauhelmeinsätze einen Bundestagsbeschluss fordert. Eine strengere Lesart der bundesverfassungsgerichtlichen Judikatur ginge zudem an der Staatswirklichkeit vorbei, wie ein Blick auf die Mehrzahl der von der Bundeswehr geführten und parlamentarisch gebilligten Einsätze zeigt. 7. Kriterium der Änderungen der Einsatzlage und -umstände Auch für ein bereits verlegtes und ursprünglich zustimmungsfreies Truppenkontingent kann im Verlauf der Mission eine parlamentarische Zustimmung zwingend werden. So etwa im Rahmen einer humanitären Hilfe der Bundeswehr, wenn zum Zeitpunkt der Entsendung des Hilfstrupps keine erhöhte Gefahr der Verwicklung in bewaffnete Unternehmungen abzuschätzen war, sich die Umstände vor Ort aber derart ändern, dass nunmehr unausweichlich erscheint, in bewaffnete Unternehmungen einbezogen zu werden. Der zunächst alleine von der Regierung zu verantwortende Hilfeeinsatz schlägt hier in einen zustimmungspflichtigen Einsatz bewaffneter Streitkräfte um und bedarf deshalb der Legitimation durch den Bundestag. Erteilt der Bundestag dann keine Zustimmung zum Verbleib der betreffenden Soldaten, sind diese durch die Regierung abzuziehen185. Gleiches gilt für ein Truppenkontingent, das zwar schon im Vorab als Einsatz bewaffneter Soldaten zu qualifizieren war, aber durch veränderte Umstände qualitativ neue Aufgaben übernehmen muss, um operativ erfolgreich sein zu können. Durch die detaillierten Mandate, die dem Bundestag von der Regierung vorgelegt werden, fehlt es bei unvorhergesehenen Ereignissen an einer (notwendigen) parlamentarischen Zustimmung, um die neuen Aufgaben gegebenenfalls auch militärisch bewältigen zu können. Ein entsprechender Parlamentsbeschluss ist hierbei nicht etwa strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts geschuldet186, sondern vielmehr der Praxis von Erster und Zweiter Gewalt, durch detaillierte Einsatzmandate den von der Verfassung für außenpolitisches Handeln gewährten Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis und Verantwortlichkeit einzuschränken187. Da einem jeden Militäreinsatz die Möglichkeit einer Eskalation immanent ist, sind indes hohe Anforderungen zu stellen, um von einem neuen, qualitativ anderen Einsatz ausgehen zu können. Nur bei einer grundlegenden Änderung der bei Beschlussfassung gegebenen Umstände und Einsatz184
So aber Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte (2003), S. 36. Bundesminister Struck, 15. WP, Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G 9 vom 05.06.2003, S. 8. 186 Vgl. BVerfGE 90, 286 (389) wonach die tatsächliche Durchführung, sowie Umfang und Modalitäten einer grundsätzlich gebilligten Mission der Exekutive obliegen. 187 Dazu Drittes Kapitel, C. I. 2. 185
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
bedingungen ist daher ein erneuter bzw. erweiterter Legitimationsakt zu fordern. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich eine Abgrenzung im Einzelnen schwierig gestalten wird. Die Grenzziehung kann aber zumindest bei VN-Missionen dann unproblematisch sein, wenn der VN-Sicherheitsrat in Reaktion auf die grundlegend veränderten Rahmenbedingungen ein erweitertes bzw. neues Mandat erteilt188. Eine formal-qualitative Grenze wird hierbei wohl dann überschritten, wenn etwa Peacekeeping in Peaceenforcement umgewandelt wird. Dies wird in aller Regel einen neuen Beschluss erfordern189. Die hier dargestellten Überlegungen sind keineswegs nur von theoretoischer Natur, wie zwei Beispiele aus der jüngeren Staatspraxis zeigen. a) Erdbebenhilfe in Afghanistan durch deutsche ISAF-Soldaten (2002) Ein Beispiel eines entsprechenden Streitfalls stellt etwa Anfang 2002 der ad hoc-(Hilfs-)Einsatz deutscher ISAF-Soldaten nach einem Erdbeben in Mazar-iSharif in Nord-Afghanistan dar. Das ISAF-Mandat war auf Kabul und Umgebung beschränkt190, die Hilfstruppen aber von einer bewaffneten Sicherheitskomponente begleitet und außerhalb des festgelegten Einsatzgebietes eingesetzt. Gestritten wurde darüber, ob es zur Beurteilung auf den humanitären Einsatzzweck (Erdbebenhilfe) oder darauf ankommt, dass der Einsatz von bewaffneten Soldaten flankiert wurde191. Die erstere Position kam zu dem Ergebnis, dass der Einsatz in Mazar-i-Sharif (weil humanitär) auch ohne weitere parlamentarische Legitimation zulässig sei. Nach anderer Auffassung war angesichts des konkreten Einsatzbeschlusses des Bundestages, der den ISAF-Einsatz auf Kabul und Umgebung und den Einsatzzweck auf Sicherungsunterstützung für die afghanische Interimsregierung und VN-Personal festlegte, von einem parlametarisch nicht gebilligten Einsatz bewaffneter Streitkräfte auszugehen ist. Indes kann letzteres Ergebnis auf dem Hintergrund der bundesverfassungsrichterlichen Rechtsprechung keinen Bestand haben. Diese stellt einen rein humanitären Einsatz, der nicht in eine militärische Gesamtoperation eingebunden ist, auch dann in das Ermessen der Bundesregierung, wenn die Hilfe leistenden Soldaten Waffen zum Eigenschutz tragen. Außerdem erscheint es zweifelhaft, ob bei einer solchen Hilfsaktion (schwere) bewaffnete Auseindersetzungen i. S. der AWACSII-Entscheidung zu besorgen sind. Im konkreten Fall drohte kein Konflikt mit 188 Heintschel von Heinegg, in: Tomuschat (Hrsg.), Rechtsprobleme einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (1997), S. 87 (94). 189 Wie hier F. Schröder, Das Parlamentarische Zustimmungsverfahren (2005), S. 236. 190 BT-PlenProt. 14/210 vom 22.12.2001, S. 20849 D mit Bezug auf Regierungsantrag BT-Drs. 14/7930 vom 21.12.2001. 191 Vgl. die Ausführungen des Abg. van Essen (FDP), Diskussionsbeitrag, DVParlProt. vom 04.06.2003, S. 18.
B. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte
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der eingesetzten afghanischen Regierung, weil diese die ISAF-Truppe ausdrücklich um Hilfe bat. Mit Sinn und Zweck des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes ist es deshalb kaum vereinbar, die militärische Vorsorge für eine effektive Selbstverteidigung bereits als Einsatz bewaffneter Streitkräfte anzusehen. Stattdessen entspricht die Begleitung durch eine bewaffnete Selbstschutzkomponente in solchen Fällen dem Prinzip der Fürsorge sowie kluger militärischer Vorsorge192. b) Bundeswehrtornados über Afghanistan (2006/2007) Ein weiterer umstrittener Fall aus der Staatspraxis resultierte zum Ende des Jahres 2006 aus einer Anfrage der NATO, die Bundeswehr möge für die laufende ISAF-Mission dauerhaft Tornadoflugzeuge bereitstellen, um im umkämpften Süd-Afghanistan anderen NATO-Truppen Bilder für Bombardierungen von Taliban-Stellungen zu liefern. Um originäre Kampfeinsätze wurde nicht gebeten. Die Bundesregierung überlegte daraufhin, bis zu 8 Aufklärungs-Tornados im nordafghanischen Mazar-i-Sharif am Sitz des ISAF-Hauptquartiers Nord unter deutscher Zuständigkeit zu stationieren. Das bis dato gültige ISAF-Mandat des Bundestages begrenzte hingegen das deutsche Engagement auf Kabul und Nordafghanistan. Als Ausnahme sah es lediglich Einsätze „in anderen Regionen für zeitlich und im Umfang begrenzte Unterstützungsmaßnahmen“ vor, „sofern diese Unterstützungsmaßnahmen zur Erfüllung des ISAF-Gesamtauftrages unabweisbar sind“ 193. Außerdem hieß es in der Begründung des laufenden Zustimmungsantrags, dass Antiterroreinsätze auch zukünftig ausschließlich von der Operation Enduring Freedom durchgeführt werden und dass die für die Bundesregierung „wichtige klare Abgrenzung Terrorismusbekämpfung von ISAFSicherheitsoperationen“ bestehen bleibe. Insbesondere die Fraktion von Bündnis90/Die Grünen hielten einen Tornado-Einsatz, wie ihn die Bundesregierung skizzierte, für zustimmungspflichtig und nicht vom bisherigen ISAF-Mandat gedeckt194. Hingegen sah der Vorsitzende der SPD-Fraktion und ehemalige Verteidigungsminister Peter Struck keine rechtliche Notwendigkeit für einen ergänzenden Bundestagsbeschluss195, eine Ansicht die wenig überzeugt. Tornados, die Aufklärungsbilder von Taliban- oder Al Qaida-Stellungen schießen, um den befreundeten Anti-Terror-Truppen der Operation Enduring Freedom gezielte Mi192 193
Dreist, KritV 2004, 79 (100). BT-Drs. 16/2573 vom 13.09.2006 i.V. m. BT-Drs. 15/5996 vom 21.09.2005, S. 3
Nr. 7. 194 Im Falle eines unterbleibenden Zustimmungsgesuches drohte die Fraktion gar mit dem Gang vor das Bundesverfassungsgericht, vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16.01.2007, ,Die Tornados und das Mandat‘. 195 Zit. nach Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16.01.2007, ,Die Tornados und das Mandat‘.
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
litärschläge zu ermöglichen, fallen zunächst unzweifelhaft unter den Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte196. Außerhalb ihres angestammten Stationierungsgebiets Kabul und Nordafghanistan waren die deutschen ISAF-Kräfte nur im Ausnahme- und Notfall befugt zu operieren. Lediglich „zeitlich und im Umfang begrenzte Unterstützungsmaßnahmen“ waren vom Mandat umfasst, die darüber hinaus „zur Erfüllung des ISAF-Gesamtauftrages unabweisbar“ sein müssen. Dauerhafte Unterstützungshandlung im Süden bzw. eine entsprechende institutionelle Einrichtung sprengen diesen Rahmen. Die vorgesehene Verzahnung von ISAF und Enduring Freedom widerspricht auch der – allerdings nicht rechtsverbindlichen – Begründung des laufenden Zustimmungsantrags, die beide Missionen klar trennen will. Einem Anordnen des Tornado-Einsatzes ohne vorherige parlamentarische Zustimmung stand auch eine frühere Protokollerklärung der Bundesregierung entgegen. Bundesaußenminister Joschka Fischer äußerte anlässlich der fünften Verlängerung von ISAF im Herbst 2005 im Auswärtigen Ausschuss197, dass der Einsatz neuer ISAF-Elemente, die nicht im bestehenden Mandat enthalten seien, einen neuerlichen Parlamentsbeschluss erforderlich mache. Der Bundesaußenminister bezeichnete das damals ausdrücklich als Zusage der Bundesregierung, die so zu Protokoll genommen werden könne. Nach wochenlangem Streit legte die Bundesregierung dem Bundestag am 8. Februar 2007 einen ausführlichen Zustimmungsantrag vor198. Abweichend von den ursprünglichen Plänen, sollte nunmehr das Einsatzgebiet der Tornados nicht nur über dem Süden Afghanistans liegen, sondern über dem gesamten Land. Zusätzliche 500 Bundeswehrsoldaten sollten das bis zum 13. Oktober 2007 befristete Mandat umsetzen. Ein zeitgleiches Operieren von Tornados mit den Jagdbombern befreundeter Nationen (Close Air Support) soll nicht erfolgen, gewonnene Aufklärungsbilder werden am Boden ausgewertet und anschließend weitergeleitet. Wohl um den Befürchtungen einer weiteren Verwischung der Operationen ISAF und Enduring Freedom entgegenzutreten, sicherte die Regierung in der Antragsbegründung eine „restriktive Übermittlung von Aufklärungsergebnissen an Enduring Freedom“ zu, die auch nur dann erfolgen solle, „wenn dies zum Erfolg der ISAF-Operation oder für die Sicherheit von eingesetzten Soldaten erforderlich ist“. Diese Einschränkungen werden sich in der militärischen Praxis wohl kaum entfalten können; wurden die Tornados doch gerade deshalb von der NATO angefordert, weil sie für den Erfolg von ISAF grundsätzlich erforderlich sind. Ob eine „restriktive Übermittlung“ von Aufklä-
196 Im Sinne der hier de lege ferenda vorgeschlagenen Definition des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte liegt ein Handlungsbeitrag der Bundeswehr vor, der in die Gesamtstrategie einer fremden militärischen Unternehmung integriert ist. 197 KurzProt. der 67. Sitzung des Auswärtigen Ausschusses am 28.09.2005. 198 BT-Drs. 16/4298, Zustimmung des Bundestages in BT-PlenProt. 16/87 vom 09.03. 2007, S. 8711 D.
B. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte
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rungsergebnissen an die Operation Enduring Freedom durchzuhalten ist, erscheint daher zumindest fraglich. Exkurs: Die Tornado-Entscheidung BVerfGE 118, 244 Die Tornado-Entsendung nach Afghanistan war für die Fraktion der Linken199 bzw. zuvor in einem Eilantrag für die Unionsabgeordneten Peter Gauweiler und Willy Wimmer200 Anlass, im Wege eines verfassungsgerichtlichen Organstreits vorzutragen, die Bundesregierung habe mit der Entsendung Rechte des Bundestags aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 i.V. m. Art. 24 Abs. 2 GG verletzt. Autoritative Vorgaben oder Ausführungen zum wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt enthält die am 3. Juli 2007 ergangene Hauptsacheentscheidung allerdings nicht. Die Tornado-Entsendung war lediglich das Entrée für eine erneute Überprüfung, inwieweit sich das nordatlantische Bündnis noch im Integrationsrahmen des NATO-Vertrags bewegt, wie ihn der Bundestag im Wege des Zustimmungsgesetzes vom 24. März 1955 mitverantwortet. Dennoch soll die Entscheidung kurz skizziert werden, um deutlich zu machen, dass für den in den Beschlüssen über das Neue Strategische Konzept und AWACS II erläuterten Kompensationsgehalt des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt ein tatsächlicher Bedarf bestehen kann, wenn und soweit das Bundesverfassungsgericht an seiner engen, regierungsfreundlichen Auslegung des Art. 59 Abs. 2 GG festhält. Die Fraktion der Linken stellte zwei Anträge. Der erste zielte darauf, festzustellen, dass die Bundesregierung die parlamentarischen Rechte aus Art. 59 Abs. 2 GG dadurch verletzt habe, „dass sie sich an der konsensualen Fortentwicklung des Nordatlantik-Vertrags von 1955 beteiligt hat, die gegen wesentliche Strukturentscheidungen des Vertrags verstößt (. . .)“. Der zweite begehrte die Feststellung einer Verletzung des Art. 59 Abs. 2 GG durch die exekutive Entscheidung zur Entsendung der Tornados nach Afghanistan. Begründet wurde von den Antragsstellern die vermeintliche Verletzung der Parlamentsrechte aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 i.V. m. Art. 24 Abs. 2 GG zum einen damit, dass die NATO in Afghanistan mit ISAF einen militärischen Einsatz durchführe, der keinen Bezug mehr zur Sicherheit im euro-atlantischen Raum aufweise201. So habe das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum neuen Strategischen Konzept der NATO den Bezug militärischer Sicherheitsmaßnahmen zur euro-atlantischen Region als ein maßgebliches Element des vertraglichen Integrationspro199
Eilantrag abgelehnt am 29. März 2007; BVerfGE 118, 111. Deren Organklage wurde als unzulässig abgelehnt, da einzelne Abgeordnete auch nicht in Prozessstandschaft Rechte des Bundestages einfordern können, vgl. BVerfGE 117, 359 ff. 201 BVerfGE 118, 111 (116); 118, 244 (250). 200
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
gramms angesehen, über das hinaus der NATO-Vertrag nicht ohne förmliche Vertragsänderung fortentwickelt werden dürfe. Zum anderen sei das vertragliche NATO-Integrationsprogramm auch dadurch überschritten, dass sich die Bundesrepublik mit der Bereitstellung der Tornados mittelbar an Enduring Freedom in Afghanistan beteilige, wodurch die unterschiedlichen Verantwortungsbereiche der Missionen verwischt würden. Das Zusammenwirken von ISAF und der Operation Enduring Freedom führe dazu, dass den NATO-Staaten die Völkerrechtswidrigkeit der letztgenannten Operation zuzurechnen sei. Völkerrechtlich könne die Anwendung militärischer Gewalt im Rahmen des Anti-Terror-Kampfes der Operation Enduring Freedom in Afghanistan nur gerechtfertigt sein, wenn entweder ein Mandat des Sicherheitsrats nach Kap. VII der VN-Charta vorliege oder der Einsatz als kollektive Selbstverteidigung im Sinne von Art. 51 VNCharta einzuordnen sei; beides sei aber nicht der Fall202. Das Bundesverfassungsgericht ist beiden Argumentationssträngen nicht gefolgt203. Den ersten Antrag hält das Bundesverfassungsgericht für weitgehend unzulässig, da der Antragsgegenstand nicht hinreichend benannt worden sei204. Die Antragstellerin habe es schlichtweg versäumt, konkrete Maßnahmen darzulegen, aus denen sich eine verfassungswidrige Fortentwicklung ergeben könne. Soweit sie Maßnahmen nennt, fielen diese als Prüfungsgegenstände aus, da sie außerhalb der sechsmonatigen Antragsfrist für Organstreitigkeiten lägen. Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, dass nur konkrete Einzelmaßnahmen eine „Maßnahme oder Unterlassung“ iSd § 64 Abs. 1 BVerfGG darstellen können. Dass sich die gegen seinen eigentlichen Vertragszweck gerichtete „konsensuale Fortentwicklung des Nordatlantik-Vertrags“ möglicherweise erst aus der Gesamtschau von Einzelmaßnahmen feststellen lässt, die sich über mehr als sechs Monate erstrecken, wird durch das Bundesverfassungsgericht nicht thematisiert205. Der zweite Antrag sei indes zulässig, da die Tornado-Bereitstellung einen tauglichen Angriffsgegenstand darstelle. Begründet sei er jedoch nicht. Wenn die NATO mit ISAF einen Krisenreaktionseinsatz in Afghanistan und damit außerhalb ihres Bündnisgebiets führe, stelle dies keine Praxis dar, die über das Neue Strategische Konzept von 1999 hinausginge. Der Einsatz sei ersichtlich darauf ausgerichtet, nicht allein der Sicherheit Afghanistans, sondern auch und gerade der Sicherheit des euro-atlantischen Raums auch vor künftigen Angriffen zu dienen. Die Annahme eines Bezuges der innerafghanischen Sicherheit zur Sicherheit im euro-atlantischen Raum sei nicht außerhalb des Vertretbaren. Das Bundesverfassungsgericht will diese sicherheitspolitischen Einschätzungen
202
BVerfGE 118, 111 (117); 118, 244 (251). Erste Besprechungen bei Häußler, NZWehrr 2007, 235 ff.; Murswiek, NVwZ 2007, 1130 ff.; Rahe, KJ 2007, 404 ff.; Verlage, DVBl. 2007, 1245 ff. 204 BVerfGE 118, 244 (255). 205 Kritik auch bei Murswiek, NVwZ 2007, 1130 (1134). 203
B. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte
187
und Bewertungen auch nicht durch eigene ersetzen206. Da der durch die Tornados angereicherte ISAF-Einsatz somit der Sicherheit des euro-atlantischen Raums diene, bewege er sich auch nicht außerhalb des Integrationsprogramms des NATO-Vertrags, wie es der Bundestag im Wege des Zustimmungsgesetzes zu diesem Vertrag mitverantwortet. Auch wenn durch die Tornados gewonnenen Informationen im Rahmen von Enduring Freedom Verwendung finden sollten, sieht das Bundesverfassungsgericht darin keinen Anlass für eine Prüfung, ob sich die Operation Enduring Freedom auf das Recht der kollektiven Selbstverteidigung stützen konnte und fortdauernd kann207. Zwar gibt es zu bedenken, dass die Völkerrechtswidrigkeit einzelner militärischer Einsätze der NATO, ein Indikator dafür sein kann, dass sich die NATO von ihrer verfassungsrechtlich zwingenden friedenswahrenden Ausrichtung strukturell entfernt. Jedoch sei zu beachten, dass derartige Völkerrechtsverletzungen für sich genommen nicht Gegenstand eines Organstreitverfahrens sein können. In der vorliegenden Konstellation ist der Verstoß gegen das Gebot der Friedenswahrung nur als verfassungsrechtliche Grenze des Integrationsprogramms eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit bedeutsam. Verfassungsgerichtlich kann die Überschreitung dieses Integrationsprogramms im Organstreitverfahren nur deshalb überprüft werden, weil sie die Vertragsgrundlage der NATO der Verantwortung Bundestages entzieht und diesen damit in seinem Recht aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 i.V. m. Art. 24 Abs. 2 GG verletzt. Eine originäre Prüfung der Völkerrechtskonformität von militärischen Einsätzen der NATO kann über ein Organstreitverfahren nicht erreicht werden. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sei allein die strukturelle Abkopplung der NATO von ihrer friedenswahrenden Grundausrichtung.208 Zudem sei Enduring Freedom kein NATO-Einsatz und auch die die tatsächliche Annahme der Antragsteller ginge fehl, wonach der ISAF-Einsatz über die Tornado-Flüge rechtlich und tatsächlich an Enduring Freedom gekoppelt sei. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Wolfgang Schneiderhan, habe in der mündlichen Verhandlung deutlich gemacht, dass – neben den rechtlichen – auch praktische Vorkehrungen geschaffen wurden, damit es zu einer Vermischung der Operationen mit der Folge der Auflösung der bisherigen Trennung der Verantwortungsbereiche nicht kommt.209
206
BVerfGE 118, 244 (269). BVerfGE 118, 244 (268). 208 BVerfGE 118, 244 (272). 209 BVerfGE 118, 244 (274). Das Bundesverfassungsgericht begründet die rechtliche Trennung mit den unterschiedlichen völkerrechtlichen Rechtsgrundlagen der beiden Operationen sowie mit dem Beschluss der Bundesregierung vom 7. Februar 2007 (BT-Drs. 16/4298). Zur Frage der praktischen Vorkehrungen übernimmt es die Ausführungen der Bundesregierung unbesehen. 207
188
3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
8. Einsätze zur Verteidigung nach Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG und im Verteidigungsfall nach Art. 115a Abs. 1 GG Die dem Grundsatzurteil zugrundeliegenden Bundeswehrmissionen erfolgten ausschließlich im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit, und anhand dieser Einsatzkonstellation entwickelte das Bundesverfassungsgericht den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt. Ohne durch die streitgegenständlichen Missionen dazu genötigt zu sein, weitet das Bundesverfassungsgericht den Anwendungsbereich des Parlamentsvorbehaltes aber auch auf den Einsatz im Bündnisfall aus. Da sich das Urteil ausdrücklich jeglicher Stellungnahme zu Art. 87a GG enthalten will, behandelt es auch nicht den Einsatz zur Verteidigung nach Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG. Der Einsatz zur Verteidigung ist dogmatisch vom Einsatz im Verteidigungsfall zu trennen. Nicht jeder Einsatz zur Verteidigung setzt den Verteidigungsfall, also einen existenzbedrohenden Angriff auf das Bundesgebiet voraus210. Sinn und Zweck des Parlamentsvorbehaltes lassen aber keine andere Deutung zu, als dass er auch für Verteidigungseinsätze nach Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG gilt. Schließlich bedarf jeder mit Waffengewalt durchzuführende Einsatz der Zustimmung. Der Einsatz zur Verteidigung ist demnach nicht vom Parlamentsbeteiligungsgesetz ausgegrenzt. Bei Verteidigungseinsätzen und ihren schnellen Reaktionszeiten liegt es in der Natur der Sache, dass bei Ernstfällen die Gefahr im Verzug-Regelung besondere Bedeutung erlangt. Für den Verteidigungsfall nach Art. 115a Abs. 1 GG findet sich hingegen in § 1 Abs. 1 Satz 2 ParlBG der Hinweis, dass dieser durch das Parlamentsbeteiligungsgesetz nicht berührt werde. Dies ist eine konsequente Umsetzung, der Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichts, dass die parlamentarische Feststellung des Verteidigungsfalles uno actu auch die Ermächtigung zum Einsatz der Streitkräfte beinhalte211. Die Ausklammerung des Art. 115a GG enstpricht ebenso der gerichtlichen Erkenntnis, wonach sich die Vorgaben des Out-of-area-Urteils nicht auf die „im Grundgesetz ausdrücklich geregelten Fälle“ 212 beziehen; und der Einsatz im Verteidigungsfall ist ein solcher Fall213. Ein gesonderter Zustimmungsantrag ist im Verteidigungsfall nicht erforderlich. Die Entbehrlichkeit entspricht den sachlichen Notwendigkeiten angesichts der Gefahrenlage. Bei einem Angriff auf das Bundesgebiet muss der Regierung freie Hand gegeben werden. Der Verteidigungsfall ist insofern die Stunde der Exekutive214. 210
BVerfGE 90, 286 (386). BVerfGE 90, 286 (387). 212 BVerfGE 90, 286 (389). 213 Vgl. BVerfGE 90, 286 (387); a. A. Schaefer, Verfassungsrechtliche Grenzen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes (2005), S. 127 f., der für die Legalität einer militärischen Verteidigung im Ausland neben der Feststellung des Verteidigungsfalls einen „gesonderten konstitutiven Parlamentsbeschluss“ fordert. 211
B. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte
189
Da § 1 Abs. 1 Satz 2 ParlBG sich darauf beschränkt, bundesverfassungsgerichtliche Erkenntnisse nachzuzeichnen, ist sein Gehalt lediglich deklaratorischer Natur. 9. Einsätze zur Rettung deutscher Staatsbürger aus akuter Gefahr Lebensrettende Evakuierungsmaßnamen von deutschen Staatsbürgern aus fremden Staaten durch die Bundeswehr unterliegen dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt215. Um den Missionszweck, von fremder Seite ausgehende Gefahren für Leib und Leben im Ausland weilender Bundesbürger abzuwehren, ist es militärischer Vorsorge geschuldet, Waffen mitzuführen, um die Zweckerreichung abzusichern. Einziges, zugleich prominentes Beispiel aus der Praxis ist hierbei die Operation Libelle in Albanien am 14. März 1997, bei der sowohl die Bundesregierung als auch der Bundestag die konstitutive Beteiligung des Parlaments verfassungsrechtlich gefordert sahen216. Im konkreten Fall konnte aus zeitlichen Gründen indes ein vorheriger Bundestagsbeschluss nicht eingeholt werden. Das Parlament stimmte dem Evakuierungseinsatz in Übereinstimmung mit den bundesverfassungsgerichtlichen Vorgaben zur Gefahr im Verzug aber nachträglich zu. Auch das Parlamentsbeteiligungsgesetz geht nunmehr in § 5 Abs. 1 Satz 2 davon aus, dass lebensrettende Evakuierungsmaßnahmen der Bundeswehr die Zustimmungspflicht auslösen. 10. Einsätze von geringer Intensität und Tragweite nach § 4 Abs. 2, 3 ParlBG Dem vorherigen wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt unterliegen sämtliche Einsätze bewaffneter Streitkräfte217, auch kleinere, oder solche – wie es das Bundesverfassungsgericht formuliert –, die „erkennbar von geringer Bedeutung sind“ 218. Singulär geblieben ist die Auffassung von Dieter Wiefelspütz, wonach bewaffnete Einsätze lediglich geringer Bedeutung deshalb zustimmungsfrei seien können219, weil das Bundesverfassungsgericht den Einsatz bewaffneter Streitkräfte nur grundsätzlich dem Parlamentsvorbehalt unterwerfe. 214 Graf Vitzthum, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VII (1992), § 170 Rndr. 33. 215 Ohne Begründung a. A. Wiefelspütz, Das Parlamentsheer (2005), S. 212. 216 Vgl. unten zu den tatsächlichen Gegebenheiten der Operation Libelle, sowie generell zu den materiellen völker- und verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten solcher Rettungsaktionen. 217 Wenn nicht Gefahr im Verzug gegeben ist. 218 BVerfGE 90, 286 (389). 219 Hierunter sollen grundsätzlich kleinere Erkundungskommandos und PEP-Soldaten fallen, vgl. Wiefelspütz, NZWehrr 2003, 133 (140); ders., Der Einsatz bewaffneter Streitkräfte (2003), S. 37 ff.; ähnlich Dreist, ZG 2004, 39 (52).
190
3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
Letzterer sei auf das historische Bild eines Kriegseintritts und damit auf ein gravierendes bewaffnetes Unternehmen zugeschnitten. Zugegebenermaßen ist „grundsätzlich“ nicht mit „ausnahmslos“ gleichzusetzen; jedoch benennt das Bundesverfassungsgericht mit Einsätzen bei drohender Gefahr die entsprechenden Ausnahmen gleich selbst. Demnach geht es dem Bundesverfassungsgericht um den Grundsatz der Vorherigkeit und nicht um einen eventuell entbehrlichen Parlamentsbeschluss angesichts eines nur kleinen Truppenkontingentes. Wenn das Gericht zudem empfiehlt, für Einsätze, die „erkennbar von geringer Bedeutung sind“, den Zeitpunkt und die Intensität der Kontrolle des Parlaments näher zu umgrenzen220, impliziert dies eine Einbeziehung auch kleinerer Missionen. Ist eine Verwendung einmal als Einsatz bewaffneter Streitkräfte eingeordnet, so ist er auch dann zustimmungspflichtig, wenn er lediglich geringerer Bedeutung ist. Der nachvollziehbare Gedanke Wiefelspütz’, die Schwelle zum Parlamentsvorbehalt heraufzusetzen, um bei kleineren Missionen nicht den gesamten parlamentarischen Apparat bemühen zu müssen, wird hierbei methodisch nicht ausreichend umgesetzt. Richtigerweise ist die Abgrenzung nicht innerhalb bewaffneter Einsätze vorzunehmen, sondern schon im Vorfeld, ob nämlich der geplante Einsatz überhaupt als Einsatz bewaffneter Streitkräfte im technischen Sinne zu qualifizieren ist. Bis zum Erlass des Parlamentsbeteiligungsgesetzes bestand keinerlei Abstufung der Verfahrensdichte bei der parlamentarischen Beschlussfassung über einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte, so dass auch Kleinstmissionen oder unproblematische Verlängerungsmandate das umfangreiche und arbeitsintensive Grundverfahren durchliefen. An dieser einheitlichen Handhabe wurde vielfach kritisiert, dass der Beratungsaufwand in letztgenannten Fällen in keinem Verhältnis zum politischen Mehrwert stehe. Außerdem habe das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich empfohlen, gerade bei Streitkräfteeinsätzen, die „erkennbar von geringer Bedeutung sind (. . .), den Zeitpunkt und die Intensität der Kontrolle des Parlaments näher zu umgrenzen“ 221. Dieser bundesverfassungsrichterlichen Empfehlung folgt das Parlamentsbeteiligungsgesetz. Nach dessen § 4 Abs. 1 hat die Bundesregierung nunmehr in Fällen, in denen sie zum Ergebnis gelangt, dass ein beabsichtigter Einsatz von geringer Intensität und Tragweite ist, die Möglichkeit, die Zustimmung in einem vereinfachten Verfahren zu beantragen222. Nach der Legaldefinition in § 4 Abs. 2 ParlBG ist ein Einsatz von geringer Intensität und Tragweite, „wenn die Zahl der eingesetzten Soldaten gering ist und der Einsatz auf Grund der übrigen Begleitumstände erkennbar von geringer Bedeutung ist und es sich nicht um einen Krieg handelt“.
220 221 222
BVerfGE 90, 286 (389). BVerfGE 90, 286 (389). Zum technischen Verfahren s. Drittes Kapitel, D. II. 3. und 4.
B. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte
191
Mittels einer nichtabschließenden Einsatzkasuistik unternimmt der folgende Absatz 3 eine Konkretisierung, indem „in der Regel“ ein Einsatz von geringer Intensität und Tragweite vorliegen soll, wenn • es sich um ein Erkundungskommando handelt, das Waffen lediglich zum Zwecke der Selbstverteidigung mit sich führt, • einzelne Soldatinnen oder Soldaten betroffen sind, die auf Grund von Austauschvereinbarungen Dienst in verbündeten Streitkräften leisten, oder • einzelne Soldatinnen und Soldaten im Rahmen eines Einsatzes der VN, der NATO, der EU oder einer Organisation, die einen VN-Auftrag erfüllt, verwendet werden223. Dass die Legaldefinition in § 4 Abs. 2 ParlBG nicht alleine auf eine geringe Zahl an Soldaten als Kriterium abstellt, ist zunächst begrüßenswert; kann doch eine kleine schlagkräftige Spezialeinheit – etwa das Kommando Spezialkräfte – deutlich brisantere Situationen erzeugen bzw. ebensolchen ausgesetzt sein als etwa ein großes Peacekeeping-Kontingent224. Doch ist fraglich, was unter einer „geringen Zahl an Soldaten“ zu verstehen ist. Das unbestimmte Tatbestandsmerkmal der wenigen zum Einsatz kommenden Soldaten, mag in der Praxis durch die kumulativ hinzutretende, aus den „übrigen Begleitumständen“ heraus erkennbare „geringe Bedeutung“ des Einsatzes abgemildert werden. Die ebenso geforderte geringe Bedeutung des Einsatzes ist daher kein Pleonasmus. Vielmehr ermöglicht sie dem Parlament den Zugriff auch auf Einsätze, in denen zwar nur wenige bzw. nur einzelne Soldaten Verwendung finden, den Einsätzen selbst aber ein hohes Maß an politischer Bedeutung immanent ist. Wenn Florian Schröder meint, dass das zusätzliche Kriterium der Nichtbeteiligung an einem Krieg misslungen sei, da es die Realität gegenwärtiger Bundeswehr-Einsatzszenarien verkenne, geht dies in tatsächlicher Hinsicht fehl225. Die Bundeswehr hat bereits zweimal an kriegerischen Handlungen teilgenommen, 1999 an Allied Force und ab 2001 an Enduring Freedom. Auch war es im Vorfeld des dritten Irak-Krieges im Frühjahr 2003 in der Bundespolitik keineswegs unumstritten, ob sich die Bundesrepublik nicht an der Koalition unter US-ame223 Nach der FDP-Fraktion sollte nur der Fall eines Einsatzes einzelner Soldaten bei den VN, der NATO, der OSZE oder der EU als Einsatz geringerer Bedeutung gelten, vgl Entwurf der FDP-Fraktion BT-Drs. 15/1985 vom 12.11.2003, § 6 Abs. 1 c, sowie wortgleich die neue Initiative BT-Drs. 16/3342 vom 08.11.2006, § 6 Abs. 1 c. Die CDU/CSU wollte einen Einsatz von geringer Bedeutung anerkennen, wenn eine bestimmte, noch nicht festgelegte Personalstärke nicht überschritten wird. Möglicherweise werden auch die Fälle des Einsatzes im Rahmen völkerrechtlicher Verpflichtungen oder eine reine Verlängerung eines Einsatzes bis zu einem Jahr so verstanden, vgl. Entwurf für ein Eckpunktepapier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (Stand: 11.11. 2003), Ziff. VII. 224 So zu Recht F. Schröder, NJW 2005, 1401 (1401 f.). 225 F. Schröder, NJW 2005, 1401 (1401 f.).
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
rikanischer Führung beteiligen soll. Nicht umsonst wurde zwischen den beiden großen Volksparteien im Bundestagswahlkampf 2002 hart um die richtige Haltung im sich abzeichnenden Irak-Konflikt gerungen. Misslungen mag das Kriterium der Nichtbeteiligung an einem Krieg aber insofern sein, als der Kriegsbegriff weitgehend offenbleibt und kriegerische Handlungen per se keine Einsätze geringerer Bedeutung darstellen können. Demnach kann man die ausdrückliche Aufnahme in das Gesetz auch als überflüssig werten. a) Erkundungskommandos Die Staatspraxis und die mehrheitliche Auffassung in der Literatur nahmen schon vor Inkrafttreten des Parlamentsbeteiligungsgesetzes an, dass Erkundungskommandos dem Parlamentsvorbehalt unterfallen226. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz positiviert nun diese gängige Auffassung; die Qualifizierung als Einsätze lediglich geringer Bedeutung darf hierüber nicht wegtäuschen. Auch Einsätze geringerer Bedeutung unterliegen grundsätzlich dem Parlamentsvorbehalt. Nur das einzuhaltende parlamentarische Beschlussverfahren soll erleichtert und modifiziert werden. Erkundungskommandos (Fact Finding Teams) sondieren häufig im Vorfeld eines erst in Aussicht genommenen militärischen Engagements die Infrastruktur im geplanten Einsatzgebiet227. Sie erkunden etwa geeignete Unterkünfte für die 226 Etwa Dreist, NZWehrr 2002, 133 (144); ders., KritV 2004, 79 (102); Lutze, DÖV 2003, 972 (975); Gilch, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz (2005), S. 135; a. A. Wiefelspütz, Das Parlamentsheer (2005), S. 433; offengelassen bei Dau, NZWehrr 1994, 177 (183 f.). 227 Erkundungskommandos sind nicht zu verwechseln mit Vorauskommandos. Bei der Verwendung von Vorauskommandos steht fest, dass sie in eine militärische oder polizeiliche Aktion eingebunden sein werden [zu ihrer Zustimmungspflichtigkeit etwa Röben, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 103 (103)]. Vorauskommandos leisten in der Entstehungsphase der bewaffneten Unternehmung einen wichtigen Beitrag für die Durchführung der sich anschließenden Hauptoperation, beispielsweise im Rahmen von IFOR/Joint Endeavour in Bosnien-Herzegowina zur Absicherung des Dayton-Abkommens (hierzu Donner, HuV-I 1997, 63 ff.). Die Bundesregierung entschied in diesem Zusammenhang, dass erste Kräfte bereits ohne parlamentarische Zustimmung ins Einsatzgebiet verlegt werden dürfen (BT-Drs. 13/3122 vom 28.11.1995), und ließ sich dieses Vorgehen anschließend vom Bundestag billigen (BT-PlenProt. 13/76 vom 06.12.1995, S. 6673 B). In aller Regel wartet die Bundesregierung jedoch das parlamentarische Plazet ab, was sich sogar auf bestimmte Vorbereitungshandlungen wie den Abschluss von Transportverträgen und das Training der Soldaten erstreckt, vgl. die Ausführungen des Leiters der Abteilung Recht im Bundesverteidigungsministerium Weingärtner, Diskussionsbeitrag, DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 44 f.). Dass sich dies nachteilig auf die Durchführung der Hauptoperation auswirken kann, liegt auf der Hand: Mitunter war unzerstörte Infrastruktur (etwa geeignete Unterkünfte oder sonstiger Raumbedarf) durch die Vorauskommandos der anderen Nationen in Anspruch genommen. Auf diese problematische Staatspraxis hat insbesondere Abg. van Essen (FDP) immer wieder hingewie-
B. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte
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Soldaten, die medizinische Versorgung vor Ort und die Benutzbarkeit von Häfen oder Flughäfen. Erst mit Rückgriff auf diese Informationen ist überschaubar, ob mit der konkreten Planung eines in Aussicht genommenen Einsatzes begonnen werden kann, oder ob eine Militäroperation nicht von vornherein an tatsächlichen Gegebenheiten scheitern muss. Die Entsendung von Erkundungskommandos gerade vor einem Parlamentsbeschluss ist aus politischer und militärisch-operativer Sicht deshalb nicht nur wünschenswert, sondern für den Erfolg einer späteren militärischen Operation unabdingbar228. Die von Erkundungsteams gewonnen Erkenntnisse ermöglichen erst eine konkrete militärische Einsatzplanung und münden sodann in einen Regierungs- und später in einen Bundestagsbeschluss. In aller Regel führen Erkundungskommandos Handfeuerwaffen zum Eigenschutz mit; sie haben aber weder die Mittel noch den Auftrag, bewaffnete Unternehmungen zu beginnen oder sich auch nur darin verstricken zu lassen229. Da Erkundungsteams nicht zwingend einen konkreten Einsatz bewaffneter Streitkräfte nach sich ziehen – und nur dieser unterliegt dem Parlamentsvorbehalt – sind sie entgegen der herrschenden Meinung auch nicht immer vorbereitender Bestandteil einer konkreten militärischen Unternehmung. Erst wenn mittels ihrer Informationen ein Einsatz tatsächlich durchgeführt wird, werden Erkundungsteams nachträgliche zum Bestandteil. Auch der Umstand, dass sie während ihres Auftrages regelmäßig Waffen tragen, macht Erkundungsteams nicht selbst zu einem Einsatz bewaffneter Soldaten im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Ebenso kann der eventuelle Gefährdungsgrad für die agierenden Soldaten den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt nicht begründen230. Zudem sind Erkundungsteams in aller Regel nur wenige Tage im eventuellen Einsatzgebiet. Erkundungskommandos sind bei strenger Einhaltung ihres Sondierungsauftrages unter Beachtung der ratio des Parlamentsvorbehaltes daher in aller Regel unterhalb der Schwelle zum zustimmungsbedürftigen Einsatz bewaffneter Streitkräfte anzusiedeln231. Die Kritik im Vorfeld des Parlamentsbeteiligungsgesetzes, wonach für Erkundungsteams das
sen, vgl. ders., BT-PlenProt. 14/246 vom 28.06.2002, S. 24936 B; ders., Diskussionsbeitrag, DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 16 f. 228 Dreist, NZWehrr 2002, 133 (145). 229 Dreist, KritV 2004, 79 (102). 230 Wenn die Bundestagsfraktion von Bündnis/Die Grünen in ihrem Positionspapier vom 03.11.2003, Ziff. 3.4, bezüglich der Erkundungskommandos die Beibehaltung des status quo fordern, da gerade bei Erkundungskommandos für die betroffenen Soldaten extreme Gefahren bestehen, weil die Situation eben noch nicht erkundet ist, stellt dies allenfalls ein politisches, aber kein verfassungsrechtliches Argument dar. 231 So auch F. Schröder, NJW 2005, 1401 (1403); ders., Das Parlamentarische Zustimmungsverfahren (2005), S. 273 ff., 276; Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte (2003), S. 39 f.; H. H. Klein, in: Horn (Hrsg.), Festschrift für Walter Schmitt Glaeser (2003), S. 245 (261).
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
bisherige Verfahren nicht sachgerecht sei, weil es zu zeit- und arbeitsintensiv gestaltet ist, greift daher zu kurz, wenn es das in der Staatspraxis geübte parlamentarische Beschlussverfahren lediglich abschwächen will. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Erkundungsteams schon gar nicht dem Parlamentsvorbehalt unterfallen. Im Parlamentsbeteiligungsgesetz wurde nicht nur die Chance vertan, dieses festzuschreiben232, eventuell sprengt die gefundene Legaldefinition sogar den von Karlsruhe vorgegeben verfassungsrechtlichen Rahmen. Der Parlamentsvorbehalt darf nämlich nicht den Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis berühren. Aufgrund des Parlamentsvorbehaltes für Erkundungskommandos ist die Bundesregierung aber gehindert, die militärische Umsetzbarkeit eines in Aussicht genommenen Einsatzes alleinverantwortlich zu prüfen. Sie muss vorher das Einverständnis des Parlamentes einholen. Hierdurch wird das bundesverfassungsgerichtlich gesicherte alleinige Initiativrecht der Regierung, dem Bundestag einen konkreten Einsatz und seine Modalitäten zur Zustimmung zu unterbreiten, substantiell eingeschränkt. b) Einzelne Soldaten in Austauschprogrammen bzw. im VN-, NATO- oder EU-Einsatz Die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts differenziert nicht danach, ob nur der Einsatz eines großen Truppenkontingents oder schon die Entsendung einzelner Soldaten dem Parlamentsvorbehalt unterfallen. Gegen die Möglichkeit, dass schon die Entsendung einzelner Soldaten den Parlamentsvorbehalt auslösen, kann zunächst nicht das denkbare Argument angeführt werden, dass das Bundesverfassungsgericht nur „grundsätzlich“ den bewaffneten Einsatz deutscher Soldaten unter den Parlamentsvorbehalt stellt; denn die Ausnahme benennt es selbst, wenn es meint, bei Gefahr in Verzug kann von einer vorherigen Zustimmung abgesehen werden. Demnach geht es dem Bundesverfassungsgericht um den Grundsatz der Vorherigkeit und nicht um einen eventuell entbehrlichen Parlamentsbeschluss angesichts eines nur kleinen Truppenkontingentes233. Zahlreiche deutsche Soldaten aller Teilstreitkräfte nehmen an Austauschprogrammen (Partnership Exchange Programmes – PEP) mit Einheiten befreundeter Nationen teil, in denen sie auf Grund eines Memorandum of Understanding (MoU) Dienst leisten. Diese Programme sehen vor, dass ein Austauschsoldat
232
Eine denkbare Stelle wäre § 2 Abs. 2 ParlBG gewesen. Nach Dreist, ZG 2004, 39 (54 FN 77) liegt in einer derartigen Konstellation ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte schon deshalb vor, weil jeder Soldat einer beteiligten Partei nach den Regelungen des humanitären Völkerrechts Kombattant und damit rechtmäßiges Ziel gegnerischer Kampfhandlungen ist. Diese Beteiligung werde auch bei der Verstrickung einzelner Austauschsoldaten erreicht. 233
B. Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte
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nicht an kriegerischen oder sonstigen Einsätzen seiner Partnereinheit teilnehmen darf, die der Entsendestaat nicht ausdrücklich erlaubt. Anfragen befreundeter Nationen zur Beteiligung eines deutschen PEP-Austauschsoldaten an einem Einsatz, der sich als Einsatz bewaffneter Streitkräfte darstellt, müssen immer dann zurückgewiesen werden, wenn sich die Bundesrepublik nicht selbst an der entsprechenden Gesamtoperation beteiligt234. Ansonsten wären deutsche Soldaten in eine bewaffnete Unternehmung einbezogen, ohne dass das Parlament darüber konstitutiv entschieden hätte. Entsprechend neigt dann auch die Staatspraxis dazu, einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte nicht an der zahlenmäßigen Stärke der eingesetzten Soldaten festzumachen. Dies wird besonders deutlich, wenn auf internationaler Ebene an die Bundesregierung der Wunsch herangetragen wird, einzelne Bundeswehrsoldaten für eine ad-hoc-Operation abzustellen. So lehnte die Regierung etwa Bitten der Vereinten Nationen, Bundeswehrsoldaten abzustellen, selbst dann ab, wenn es sich dabei nur um zwei oder drei Soldaten handelt. Bevor der arbeitsintensive Apparat der parlamentarischen Beschlussfassung in Bewegung gesetzt wird, verzichtet die Bundesregierung auf solche Kleinstbeteiligungen235. Die durch das Parlamentsbeteiligungsgesetz nunmehr ermöglichte Verschlankung der parlamentarische Teilhabe bei der Entsendung einzelner, in Austauschprogrammen befindlicher Soldaten, sowie für solche, die auf internationaler Ebene konkret angefragt werden, ist vor dem Hintergrund der ratio des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes zu begrüßen. Materiell-rechtlich handelt es sich bei diesen Kleinstentsendungen trotz ihrer minimalen Größe zwar technisch um einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte; die Einstufung als „Einsätze von geringer Intensität und Tragweite“ entspricht hingegen den Relativierungen, die das Bundesverfassungsgericht für Einsätze, die „erkennbar von geringer Bedeutung sind“, selbst angeregt hat.
234 (Materiell-)Verfassungsrechtlich gestattet ist die Beteiligung eines deutschen PEP-Soldaten ferner nur, wenn die entsprechende Mission gleichzeitig auch im Rahmen und nach den Regeln eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit i. S. des Art. 24 Abs. 2 GG stattfindet. Stellt sich die Mission als nationaler Einsatz eines fremden Staates dar, ist eine deutsche Beteiligung nicht möglich, weil eine entsprechende verfassungsrechtliche Grundlage fehlt. 235 Vgl. die Ausführungen des Abg. Bartels (SPD), Diskussionsbeitrag, DVParlProt. vom 04.06.2003, S. 13; ähnlich auch die Einlassungen von Bundesaußenminister Fischer, wonach das Parlament zu beteiligen wäre, wenn der VN-Generalsekretär um einen General und fünf oder sechs Stabsoffiziere für eine (dort nicht näher bezeichnete) Afrika-Mission bittet, 15. WP, Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Kurzprotokoll der 11. Sitzung am 27. Juni 2003, S. 8.
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
11. Zustimmungsfreie Einsätze a) Vorbereitende Maßnahmen und Planungen nach § 2 Abs. 2 ParlBG Der bisherigen Praxis entsprechend, werden in § 2 Abs. 2 ParlBG vorbereitende Maßnahmen und Planungen vom Parlamentsvorbehalt ausgenommen. Hierunter fallen insbesondere die Beteiligung von Soldaten der Bundeswehr an ständigen integrierten sowie multinational besetzten Stäben und Hauptquartieren der NATO und anderer Organisationen, während bei einer Verwendung in eigens für konkrete bewaffnete Einsätze gebildeten Stäben und Hauptquartieren der Vorbehalt der konstitutiven Zustimmung des Bundestages besteht. Das Herausnehmen von vorbereitenden Maßnahmen und Planungen dient der klaren Abgrenzung, da es in der Praxis nahezu ausgeschlossen ist, bei Vorbereitungshandlungen und Planungen gerade in international besetzten Organisationen wie der NATO abstrakte und konkrete Planungen voneinander zu trennen bzw. die spätere Verwendung von erarbeiteten Unterlagen abzusehen. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Bundeswehr im Rahmen ihrer Zugehörigkeit zu militärischen Bündnissen an Planungen beteiligt ist, die gegebenenfalls Auswirkungen auf bewaffnete Unternehmungen haben können. Dies liegt jedoch ausschließlich in der Verantwortung der Bundesregierung. Erst der konkrete militärische Einsatz bedarf der parlamentarischen Zustimmung236. b) Sonstige zustimmungsfreie Fälle Im Folgenden sollen nicht explizit im Gesetzestext benannten Verwendungen der Streitkräfte dargestellt werden, die nach der bisherigen Staatspraxis als nicht zustimmungsbedürftig erachtet wurden und auf Grund fehlender anderer Hinweise auch unter dem Parlamentsbeteiligungsgesetz zustimmungsfrei bleiben237. Die Staatspraxis kennt einige Fälle, in denen Bundeswehrsoldaten lediglich auf Grundlage eines Kabinettsbeschlusses im Ausland eingesetzt werden. Die eingesetzten Soldaten sind hierbei regelmäßig unbewaffnet und haben nur Beobachterstatus, sind also in keine militärische Kommandostruktur eingebunden. Ein zustimmungsfreier Einsatz ist gegenwärtig etwa die deutsche Beteiligung an der VN-geführten Beobachtermission UNOMIG in Georgien238, in deren 236
Vgl. Gesetzesbegründung BT-Drs. 15/2742 vom 23.03.2004 zu § 2. Allgemein zu zustimmungsfreien Verwendungen der Bundeswehr siehe Hermsdörfer, DVP 2004, 183 ff. und Heintschel von Heinegg, in: Tomuschat (Hrsg.), Rechtsprobleme einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (1997), S. 87 (93). 238 Grundlagenbeschluss des Bundeskabinetts am 02.02.1994. Seit 1994 stellt die Bundeswehr in Georgien drei Militärbeobachter. Im Jahre 2005 waren es zudem drei Ärzte und fünf Sanitätsfeldwebel. Da die Soldaten bei UNOMIG einem hohen Maße an Gefahren ausgesetzt sind, äußern die Abg. Nachtwei (Bündnis90/Die Grünen), 237
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Rahmen Bundeswehrsoldaten als unbewaffnete zivile Beobachter eingesetzt werden, um den Waffenstillstand zwischen Georgien und dem abtrünnigen Landesteil Abchasien zu überwachen. Ebenfalls nur auf Grundlage eines Kabinettsbeschlusses beteiligt sich die Bundeswehr seit Anfang 2004 mit zwei Beobachteroffizieren an der United Nations Mission in Ethiopia and Eritrea (UNMEE)239. Die Mission dient der Überwachung des Waffenstillstands zwischen den beiden Ländern. Ein ähnlicher Fall war die deutsche Beteiligung an der OSZE Kosovo Verifikation Mission240. Eine von der EU geführte Überwachungsmission ist Aceh Monitoring Mission (AMM), die die zwischen der indonesischen Regierung und der „Bewegung Freies Aceh“ (GAM) vereinbarten Konfliktbeilegung kontrolliert. Die EU und Mitgliedsstaaten der Südostasiatischen Staatengemeinschaft (ASEAN) sind von beiden Konfliktparteien eingeladen worden, AMM aufzubauen und durchzuführen. Deutschland beteiligt sich mit bis zu zehn Experten. Diese unbewaffneten, rein beobachtenden Missionsbeteiligungen sind allesamt lediglich durch Kabinettsbeschluss zu entscheiden, da sie nicht in eine Kommandostruktur einbezogen sind, die ein militärisches Mandat erfüllt. Besondere Beachtung findet bei den zustimmungsfreien Vorhaben zudem die Umgruppierung von militärischen Einheiten241. Eine reine Truppendislozierung ist selbst dann kein zustimmungspflichtiger Vorgang, wenn im Nachbarterritorium militärische Kampfhandlung stattfinden242. Ein ebenso zustimmungsfreier Vorgang ist es, wenn Vorauspersonal an einem anderen Ort als dem vorhergesehenen Einsatzgebiet auf seine Operation wartet. Dies geschah beispielsweise vor DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 21 und Bartels (SPD), ebda., S. 32, Bedenken an der Zustimmungsfreiheit der deutschen Beteiligung. Während der Patrouillenfahrten sind mehrfach VN-Soldaten durch schwere Panzerminen ums Leben gekommen, die georgische Partisanen auf den Routen vergraben haben, die die Streifen passieren müssen. Hinzu kommen Entführungen, auch von Bundeswehrangehörigen, zuletzt Anfang Juni 2003. Am 8. Oktober 2001 wurde ein deutscher Oberstabsarzt beim Abschuss eines VN-Hubschraubers gar getötet. 239 Grundlagenbeschluss des Bundeskabinetts vom 28.01.2004. 240 Deutschland beteiligte sich an dieser OSZE Kosovo Verifikation Mission mit 200 zivilen Beobachtern, von denen 75 von der Bundeswehr abgestellt wurden. Das Bundeskabinett billigte die deutsche Beteiligung der unbewaffneten Beobachter durch Kabinettsbeschluss vom 27.10.1998. Die OSZE hatte im Kontext der Holbrooke-Milosevic-Vereinbarung vom 15.10.1998 (in dem Milosevic sich auf einen Waffenstillstand verpflichtete) die Entsendung von ca. 2.000 unbewaffneten, zivilen Beobachtern in das Kosovo vereinbart und am 25.10.1998 durch den ständigen Rat der OSZE den formalen Beschluss zur Einrichtung der Mission gefasst. Die Mission wird durch die Sicherheitsrat-Resolution 1203 vom 28.10.1998 bekräftigt; sie endete am 20.03.1999 durch Abzug aller Beobachter aus dem Kosovo im Vorfeld der Operation Allied Force, nachdem die Regierung in Belgrad sich endgültig geweigert hatte, das Rambouillet-Abkommen zu unterzeichnen. 241 Auf diese Problematik machte schon Dau, NZWehrr 1994, 177 (183) aufmerksam. 242 Wiefelspütz, Das Parlamentsheer (2005), S. 430.
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der Operation INTERFET in Ost-Timor, als die Bundesregierung das Vorauskommando mit der Weisung nach Australien entsandte, den entsprechenden Zustimmungsbeschluss des Bundestages abzuwarten, bevor die Grenze zu Ost-Timor übertreten wird243. Eines Bundestagsbeschlusses bedarf es in einer solchen Situation erst, wenn die Soldaten in ihr tatsächliches Einsatzgebiet verlegt werden244. Vorher ist eine Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen praktisch ausgeschlossen. Weitere grundsätzlich zustimmungsfreie Vorgänge sind, der Abschluss von Transitvereinbarungen, der Abschluss von Aufenthaltsvereinbarungen (ius ad praesentiam, ius in praesentia), sowie die Verbindungsaufnahme (z. B. durch Entsendung von Verbindungskommandos zu Verbündeten). Diese Maßnahmen werden im Hinblick auf einen geplanten Einsatz getroffen; mit ihnen vollzieht sich aber noch kein Einsatz. Sie sind typische Handlungen, die in den der Regierung von der Verfassung für außenpolitisches Handeln gewährte Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis und Verantwortlichkeit fallen. 12. Gesamtbetrachtung: Operation Eagle Assist Anhand der bislang gewonnenen Erkenntnisse zum Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte soll an dieser Stelle die in der Praxis verfassungsrechtlich umstrittene Operation Eagle Assist Bundeswehr skizziert und untersucht werden. Die Untersuchung soll die bislang eher abstrakten Erkenntnisse zum Einsatzbegriff veranschaulichen und zeigen, dass sie bei konkreten Konstellationen brauchbare Abgrenzungskriterien liefern. Aufgrund einer besonderen Anfrage der USA beschloss der NATO-Rat am 8. Oktober 2001 AWACS-Aufklärungsflugzeuge zu entsenden, die nach den Anschlägen des 11. Septembers den US-amerikanischen Luftraum überwachen sollten, um so die amerikanischen Einheiten zu entlasten, die zu jener Zeit im Einsatz über Afghanistan gebunden waren (Eagle Assist)245. Das NATOAWACS-System ist ein luftgestütztes Warn- und Überwachungssystem zur Früherkennung von Flugzeugen oder anderen fliegenden Objekten. Es kann neben diesen Kontrollfunktionen aber auch Führungsfunktionen bei der Leitung von 243
Regierungsantrag BT-Drs. 14/1719 vom 06.10.1999. Dreist, NZWehrr 2002, 133 (144 f.); Lutze, DÖV 2003, 972 (975). 245 Ausführliche Darstellung bei Dreist, ZaöRV 64 (2004), 1001 (1007 ff. 1018 f.); vgl. auch das Pressestatement des Supreme Allied Commander Europe (SACEUR) am 09.10.2001: „This deployment will directly support those aircraft under the command of the North American Aerospace Defense Command, or NORAD for short, by providing assets required to support the global campaign against terrorism.“, abrufbar unter: http://www.nato.int/docu/speech/2001/s011010a.htm; vgl. auch den bilanzierenden Gesamtbericht den Bundesregierung in BT-Drs. 14/8990 vom 08.05.2002, S. 3 „Diese Maßnahmen dienen in erster Linie der Entlastung amerikanischer Streitkräfte“. 244
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Jagdflugzeugen übernehmen246. Die Bundesregierung hat im Rahmen der Entsendung der rund 55 Bundeswehrsoldaten und 31 Zivilbeschäftigten die Auffassung vertreten, Eagle Assist bedürfe keiner konstitutiven Zustimmung des Bundestages. Für den Einsatz der Flugzeuge innerhalb des NATO-Gebietes sei nach der Verfassungslage ein Placet des Parlaments nicht notwendig. Die präventive Luftraumüberwachung gehöre zu den regulären Aufgaben des Bündnisses. Ohne parlamentarische Beteiligung und von der bundesdeutschen Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, begann die Operation Eagle Assist am 9. Oktober 2001 und endete am 15. Mai 2002. Entscheidend für eine Qualifizierung als zustimmungspflichtiger Einsatz ist nach nach den Erkenntnissen dieser Arbeit eine Gesamtbetrachtung. Daher scheitert die Zustimmungspflichtigkeit einerseits nicht schon daran, dass die AWACS-Aufklärer unbewaffnet waren247. Andererseits ginge es aber auch zu weit, bereits die reine, durch das spezifische Gewaltpotenzial der Streitkräfte vermittelte Abschreckung als parlamentsvorbehaltsauslösend anzusehen248. Unstreitig war Eagle Assist nicht unmittelbar in bewaffnete Unternehmungen einbezogen, da die deutschen Streitkräfte lediglich eine indirekte Unterstützung geleistet haben, indem sie den US-Militärs die Schaffung freier Kapazitäten und die Vornahme militärischer Maßnahmen auf dem Gebiet Afghanistans ermöglichten. Auch wenn Eagle Assist nationale Lufteinheiten der USA ersetzte, die bei der militärischen Operation Enduring Freedom eingesetzt wurden, wurden die deutschen Soldaten noch nicht Bestandteil dieser anderen militärischen Operation249. Dieser Umstand führt jedoch noch nicht per se zur Zustimmungsfreiheit des deutschen AWACS-Kontingentes. Denn gerade die Konstellation bei Eagle Assist könnte ein Anwendungsfall der mittelbaren Einbeziehung sein, für die das Bundesverfassungsgericht in seinem AWACS-II-Eilbeschluss Klärungsbedarf sieht. Eine entsprechende Gesamtbetrachtung ergibt dann auch, dass die AWACS-Entsendung ihre Grundlage in der Beistandsverpflichtung des Art. 5 NATO-Vertrag findet und daher Teil der Maßnahmen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist und nicht Teil einer etwaigen ständigen Präventivmaßnahme war. Hiervon geht auch die Bundesregierung in ihrem bilanzierenden 246 Zum Leistungspotential von AWACS-Fliegern instruktiv Dreist, ZaöRV 64 (2004), 1001 (1005 f.). 247 AWACS-Einsätze stellen in aller Regel keine isolierten Einsätze dar, sondern sind Bestandteil größerer Operationen, z. B. Deny Flight (Regierungsantrag BT-Drs. 12/8303 vom 19.07.1994), Allied Force (Regierungsantrag BT-Drs. 14/11469 vom 12.10.1998), Eagle Eye (Regierungsantrag BT-Drs. 14/16 vom 04.11.1998); KFOR/ Joint Guardian II (Regierungsantrag BT-Drs. 14/1133 vom 11.06.1999); Essential Harvest (Regierungsantrag BT-Drs. 14/6830 vom 23.08.2001). 248 So aber Fischer-Lescano, NVwZ 2003, 1474 (1475). 249 H. H. Klein, im Interview mit der Zeitung „taz“ vom 23.01.2003, ,Eine militärische Unternehmung‘, S. 7; ihm folgend Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte (2003), S. 54.
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Gesamtbericht zur Operation Freedom aus, indem sie den Einsatz der AWACSAufklärer über dem Gebiet der Vereinigten Staaten den militärischen Maßnahmen der Bundesrepublik im Rahmen von Enduring Freedom zuordnete250, ohne allerdings die verfassungsrechtlichen Konsequenzen hieraus zu ziehen. Als Bestandteil einer Operation nach Art. 5 NATO-Vertrag gelten für Eagle Assist die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts, das vor allem in seiner Entscheidung zum Neuen Strategischen Konzept klar und unmissverständlich formuliert hat: „Darüber hinaus ist wegen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts jeder Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der NATO sowohl zur kollektiven Selbstverteidigung als auch zur Krisenreaktion von der Zustimmung des Bundestages abhängig.“251
Als konkreter deutscher Beitrag zur kollektiven Selbstverteidigung nach Art. 5 NATO-Vertrag war die Operation Eagle Assist demnach zustimmungspflichtig252. Da das Parlamentsbeteiligungsgesetz in seiner Definition der dem Parlamentsvorbehalt unterfallenden Auslandseinsätze der Bundeswehr im Wesentlichen die abstrakten Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts übernimmt, gelangt man auch unter seinem Regime zum selben Ergebnis. 13. Zwischenergebnis Das Parlamentsbeteiligungsgesetz übernimmt in seiner Definition der dem Parlamentsvorbehalt unterfallenden Auslandseinsätze der Bundeswehr im Wesentlichen die abstrakten Vorgaben der Out-of-area-Entscheidung. Eine grundlegende Abweichung von der Judikatur wäre durch einfaches Recht auch nicht möglich gewesen. Leider ließ der Gesetzgeber durchaus vorhandenen Gestaltungsspielraum ungenutzt. So hätte er, ohne mit der Verfassungsrechtsprechung in Konflikt zu kommen, reine Erkundungskommandos, als nicht zustimmungspflichtig einstufen können. Für die Staatspraxis hätte dies durchaus eine Erleichterung bedeutet, da der Einsatz von Erkundungskommandos ein ständig wiederkehrendes Szenario darstellt. Wenig glücklich nutzt der einfache Gesetzgeber hingegen seinen Definitionsrahmen, indem er auch solche Auslandsverwendungen der Bundeswehr unter den Parlamentsvorbehalt stellt, bei denen eine Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen nicht feststeht, sondern im Wege einer Gefahrenprognose lediglich zu besorgen ist. Hierdurch wird der ohnehin abstrakt gehaltene Einsatzbegriff mit einer zusätzlichen Unsicherheit angereichert. Das Bundesverfassungsgericht weist hier den Weg, indem es in der 250
Vgl. BT-Drs. 14/8990, S. 3 vom 08.05.2002. BVerfGE 104, 151 (208) – Hervorhebungen nicht im Original. 252 Nach Dreist, ZaöRV 64 (2004), 1001 (1020) ergibt sich die Zustimmungspflichtigkeit zudem daraus, dass auch der deutschen AWACS-Besatzung der Kombattantenstatus zustehe. 251
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zweiten AWACS-Entscheidung die anzustellende Prognose materiellen Anforderungen unterwirft, deren volle Überprüfbarkeit es sich vorbehält. Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Gefahrenprognose sind stets mitzulesen, um eine verfassungskonforme Lesart der Einsatzdefinition zu erreichen. Zu mehr Rechtssicherheit und einer Optimierung parlamentarischer Rechte hätte zudem eine Regelung dergestalt führen können, dass der Gesetzgeber dem Parlament eine gewisse Definitionsmacht über konkrete Bundeswehreinsätze eingeräumt hätte. So wäre es durchaus gangbar gewesen, dem Parlament in Zweifelsfällen grundsätzlich die Möglichkeit zu geben, nach Einholung von Regierungsauskünften über den geplanten mit Mehrheit festzustellen, ob ein zustimmungsbedürftiger Einsatz vorliegt. In diesem Fall würde die Bundesregierung dann verpflichtet, eine Entscheidung über die Zustimmung herbeizuführen253.
C. Inhaltliche Angaben eines Regierungsantrags I. Spannungsfeld zwischen exekutivem Eigenbereich und rechtsstaatlichem Bestimmtheitsgebot 1. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Judikaten keine speziellen Anforderungen an den Inhalt des von der Regierung dem Parlament zur Zustimmung zu unterbreitendenden Antrags zum Einsatz bewaffneter Streitkräfte formuliert. Für eine eher offen und abstrakt gehaltene inhaltliche Ausgestaltung der dem Bundestag zuzuleitenden Anträge sprechen zunächst folgende Ausführungen des Out-of-area-Beschlusses: „Ein Mitentscheidungsrecht über die Einsatzmodalitäten steht dem Bundestag indes unter keinem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt zu.“ 254 (. . .) „Der der Regierung von der Verfassung für außenpolitisches Handeln gewährte Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis und Verantwortlichkeit wird durch den Parlamentsvorbehalt nicht berührt. Das gilt insbesondere hinsichtlich der Entscheidung über die Modalitäten, den Umfang und die Dauer der Einsätze, die notwendige Koordination in und mit Organen internationaler Organisationen.“ 255
253 Vgl. die Forderung im Positionspapier der Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen vom 03.11.2003, Ziff. 1. Unter Berücksichtigung der US-amerikanischen Erfahrungen mit der War Powers Resolution regte auch St. Böckenförde, in: Deutschen Stiftung Friedensforschung (Hrsg.), Die War Powers Resolution als ein mögliches Modell für ein Entsendegesetz/Parlamentsbeteiligungsgesetz (2004), S. 26, ein solches Verfahren an. 254 BVerfGE 90, 286 (338). 255 BVerfGE 90, 286 (389).
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Das Gericht hat aber auch hervorgehoben, dass das Parlament „über den konkreten Einsatz“ 256
zu entscheiden habe und dass die anstehende Entscheidung, „so es die Lage irgend erlaubt, (. . .) in den zuständigen Ausschüssen vorbereitet und im Plenum des Bundestages erörtert wird“.257
Damit der Bundestag über einen konkreten Einsatz beschließen kann, muss der Antrag der Bundesregierung sämtliche Informationen enthalten, die notwendig sind, eine verantwortliche Entscheidung über einen Einsatz treffen zu können. Der Antrag auf konstitutive Zustimmung muss deshalb den Gesamtcharakter des Einsatzes erkennen lassen. Das gebietet schon das Rechtstaatsprinzip258. Der Bundestag muss die wesentlichen Elemente des konkreten Einsatzes überblicken können259. Insoweit besteht eine umfassende Auskunftspflicht der Bundesregierung (Art. 20 Abs. 3, Art. 43 Abs. 1 GG). Auch ergibt die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Beratung in den zuständigen Ausschüssen nur dann Sinn, wenn dem Parlament eine hinreichende Beratungsgrundlage vorliegt260. Die inhaltliche Ausgestaltung von Einsatzvorlagen bewegen sich demnach im Spannungsfeld zwischen dem der Regierung von der Verfassung für außenpolitisches Handeln gewährten Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis und den rechtstaatlichen Anforderungen des Bestimmtheitsgebot. Über diese allgemeinen Überlegungen hinaus, war rechtlich bis zur Verabschiedung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes ungeklärt, wie weit dem Bundestag die operativen Details der geplanten Mission vorgelegt werden müssen. 2. Staatspraxis bis zum Inkrafttreten des Parlamentsbeteiligungsgesetzes In der gewachsenen Staatspraxis sind die vermeintlich klaren Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, dass Modalitäten, Umfang und Dauer der Einsätze in den Arkanbereich der Regierung fallen, erheblich relativiert worden261. Dem Parlament wurden immer mehr operative Einsatzdetails zur Zustimmung vorgelegt, nachdem Abgeordnete wiederholt die von der Bundesregierung vorgelegten 256
BVerfGE 90, 286 (387) – Hervorhebung durch das Gericht. BVerfGE 90, 286 (388). 258 Vgl. zum Bestimmtheitsgebot als Element des Rechtstaatsprinzips BVerfGE 49, 168 (181); 59, 104 (114); 87, 234 (263); 89, 69 (84). 259 Wild, DÖV 2000, 622 (624); Wiefelspütz, NVwZ 2005, 496 (498). 260 So zu Recht Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte (2003), S. 45. 261 Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte (2003), S. 51. 257
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Zustimmungsanträge wegen ihres angeblich vagen Charakters rügten. Mehrfach wurde der Vorwurf erhoben, die Regierung wolle einen „Vorratsbeschluss“ herbeiführen262. An einzelnen Einsatzkautelen entzündete sich immer wieder Streit, sei es am Einsatzauftrag263, am Einsatzgebiet264, an der Einsatzdauer265, an der Höchstzahl der einzusetzenden Soldaten266 oder an den rechtlichen Grundlagen
262 Aus rechtlicher Sicht wird mit diesem Vorwurf auf die Einhaltung der bundesverfassungsgerichtlichen Vorgabe gedrängt, wonach der konkrete Einsatz dem Bundestag zur Zustimmung unterbreitet werden müsse. 263 Die Beteiligung der Bundeswehr an der Operation Enduring Freedom hat im Erstantrag der Bundesregierung zum Ziel, „Führungs- und Ausbildungseinrichtungen von Terroristen auszuschalten, Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen sowie Dritte dauerhaft von der Unterstützung terroristischer Aktivitäten abzuhalten“ (vgl. BT-Drs. 14/7296 vom 07.11.2001, S. 3). Die Parlamentarier bemängelten an diesen Formulierungen, dass nicht hinreichend klar sei, was man unter Terroristen zu verstehen habe. Die Regierung sah sich dadurch genötigt, den beantragten Beschluss in einer Protokollerklärung dergestalt zu präzisieren, dass die „genannten Operationsziele sich alleine gegen das terroristische Netzwerk Bin Ladens, Al Qaida und diejenigen, die es beherbergen oder unterstützen, richten“ (vgl. BT-Drs. 14/7447 vom 14.11.2001, S. 4). 264 Die Bundesregierung umschreibt bei ihrem Antrag zur deutschen Beteiligung an Enduring Freedom das Einsatzgebiet der Bundeswehr nur vage: „Einsatzgebiet ist das Gebiet gem. Art. 6 des Nordatlantikvertrages, die arabische Halbinsel, Mittel- und Zentralasien und Nord-Ost-Afrika sowie die angrenzenden Seegebiete“. Durch die zusätzliche Berufung des Antrages auf das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 VNCharta wurde Kritik laut, diese unbestimmten Angaben zum geplanten Einsatzgebiet könnten als carte blanche für die Teilnahme an einem Krieg gegen einen Schurkenstaat (als renegade states kamen vor allem Irak und Iran in Betracht) oder einem failed state (Somalia) gedeutet werden können. Durch diese Bedenken sah sich die Bundesregierung veranlasst, ihre Position in einer Protokollerklärung einzuschränken (vgl. BT-Drs. 14/7296 vom 07.11.2001, S. 4). Hierbei wurde erklärt, dass es nicht beabsichtigt sei, „in Ländern außerhalb Afghanistans, in denen es derzeit keine Regierung gibt, deutsche bewaffnete Streitkräfte ohne Befassung des Deutschen Bundestages einzusetzen“. Diese informellen Protokollnotizen waren durchaus geeignet, den Vorwurf mangelnder Bestimmtheit zu entkräften, zumal es in der Natur von Enduring Freedom liegt, dass er gegen einen Gegner geführt wird, der invisibel agiert [vgl. Fischer/Fischer-Lescano, KritV 2002, 113 (123 f.); H. H. Klein, Horn (Hrsg.), Festschrift für Walter Schmitt Glaeser (2003), S. 245 (252)]. 265 Am Regierungsantrag zur EU-Operation Concordia missfiel den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP, dass die geplante Dauer der Operation nicht ausdrücklich angegeben sei, und dass er eine erneute Befassung nach einen einmal ergangenem Parlamentsbeschluss nicht vorsehe, vgl. BT-Drs. 15/696 vom 19.03.2003, S. 3: „Die Kräfte können eingesetzt werden, solange ein Ersuchen der mazedonischen Regierung und ein entsprechender Beschluss der EU sowie die konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages vorliegen.“ 266 Im Zusammenhang mit der Entscheidung des Bundestages zur zweiten Verlängerung und Modifizierung seiner Zustimmung zu Enduring Freedom (Regierungsantrag BT-Drs. 15/1880 vom 05.11.2003), wurde kritisiert, dass das Parlament den Einsatz eines großen Kontingent (3.100 Soldaten) billigen solle, obwohl derzeit nur mit einem Einsatz von ca. 700 Soldaten gerechnet werde, vgl. Abg. Schockenhoff (CDU), BT-PlenProt. 15/73 vom 07.11.2003, S. 6291 Cff.; Abg. Nolting (FDP), BT-PlenProt. 15/76 vom 14.11.2003, S. 6567 Cf.; Abg. Koppelin (FDP), ebda., S. 6606 Af.
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des Einsatzes267. Exemplarisch seien hier vor allem die öffentlich stark beachteten Auseinandersetzungen um Enduring Freedom genannt268. Zusätzlich nimmt das Parlament (potentiell) Einfluss auf die Dauer von Einsätzen, wenn es seine Zustimmung befristet abgibt – im Regelfall auf ein Jahr oder ein halbes. Die eingebauten Befristungen und entsprechende Protokollnotizen seitens der Bundesregierung269 ermöglichen es dem Parlament nach Ablauf einer gewissen Zeit, wiederum konstitutiv über den Einsatz zu beschließen. Aus eigenem Recht kann der Bundestag einen unbefristet eingereichten Antrag nicht befristen; hierfür hat ihm das Bundesverfassungsgericht das Inititiativrecht versagt. Die zunehmende Detaillierung der dem Bundestag vorgelegten Zustimmungsanträge ist jedoch nicht nur die Folge parlamentarischen Drängens, dem die Regierung etwa nur widerwillig nachgegeben hätte. Die Bundesregierung selbst schiebt dem Parlament beträchtliche Mitverantwortung zu, indem sie ausführlich formulierte Zustimmungsanträge unterbreitet. Angesichts dieser zunehmenden Detaillierung der Bundestagsbeschlüsse droht eine Verwischung von parlamentarischen und exekutivischen Zuständigkeiten. Andererseits haben die Detailvorgaben in den Regierungsanträgen den Vorteil, dem Parlament den konkreten Charakter einer beabsichtigten Militäroperation näherzubringen270, was nach Peter Dreist die zumeist breiten Mehrheitsentscheidungen begünstige271.
267 Schon bei der Erstzustimmung zu Enduring Freedom wurde die völkerrechtliche Unklarheit dieser Mission beanstandet, was sich wiederum auf die Bestimmtheit des Regierungsantrages auswirke, vgl. die Erklärung verschiedener Abgeordneter der SPDFraktion, BT-PlenProt. 14/202 vom 16.11.2001, S. 19898 Bf. und die Erklärung der Abg. Voß (Bündnis90/Die Grünen) ebda., S. 19911 D. Die völkerrechtliche Grundlage dieser Mission wird bis in die jüngste Zeit diskutiert, vgl. die Parlamentsdebatte zur siebten Verlängerung des Mandats am 13.11.2008 (BT-PlenProt. 16/187, S. 20027 ff.). 268 Allgemein zu den verfassungsrechtlichen Bedenken im Bezug die Bestimmtheit des Enduring Freedom-Erstmandats s. Blumenwitz, ZRP 2002, 102 (105 f.).; Fastenrath, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12.11.2001, ,Ein Verteidigungskrieg lässt sich nicht vorab begrenzen‘; Lutze, DÖV 2003, 972 (976); Fischer/Fischer-Lescano, KritV 2002, 113 (122 f.); Dolzer und Stein, zit. nach: Der Spiegel vom 12.11. 2001, ,Zustimmung auf Vorrat‘; Nowrot, ZRP 2002, 370 (370 f.); ders., NZWehrr 2003, 65 (66 ff.). Mehrheitlich wird hierbei (zu Recht) vertreten, dass sich die Rechtfertigung der teils vagen Einsatzkautelen in den neuartigen Einsatzbedingungen im Kampf gegen den internationalen Terrorismus finde, welcher auf Grund seiner nur bedingt abschätzbaren militärischen Anforderungen konkrete Angaben zu Art und Umfang der möglichen Einsätze im Vorhinein erschwert. 269 Vgl. nur die Protollnotiz des Bundesaußenminister vor dem Auswärtigen Ausschuss am 7. Juni 2000, wonach die Regierung für die Fortdauer des KFOR-Mandats alle 12 Monate den Bundestag konstitutiv befassen wolle, falls dies dem Wunsch einer Fraktion entspreche (BT-Drs. 14/3550, S. 4 Ziff. III). Diese Protokollerklärung ist seither Bestandteil aller KFOR-Folgemandate bis einschließlich des achten Verlängerungsantrags vom 27. Mai 2008 (BT-Drs. 16/9287). 270 Vgl. auch die Ausführungen des Abg. Pofalla (CDU/CSU), Diskussionsbeitrag, DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 23 f. 271 Ders., NZWehrr 2002, 133 (143).
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II. Regelung im Parlamentsbeteiligungsgesetz Mit Ausnahme der CDU/CSU befürworteten alle Fraktionen272 das konkrete, durch die Staatspraxis ausgeformte Grundmuster der in einem Regierungsantrag zu nennenden Einsatzkautelen festzuschreiben. Bündnis 90/Die Grünen bezeichneten die bisherige Handhabung als „gute Praxis“ 273. Für eine Restriktion der Einsatzkautelen führte die CDU/CSU an, dass die bisherige Staatspraxis gesetzgeberisch korrigiert werden müsse, weil das Parlament lediglich über das „Ob“ eines Einsatzes, nicht jedoch über dessen operative Details zu entscheiden habe; die konkrete Durchführung eines Einsatzes sei originäre Angelegenheit der Exekutive274. 1. Inhalt des § 3 Abs. 2 ParlBG Die Vorschrift des § 3 Abs. 2 ParlBG regelt nunmehr den notwendigen Inhalt des Antrags der Bundesregierung. Es handelt sich – wie das Wort „insbesondere“ ausdrückt – um eine Mindestanforderung. Die Bundesregierung ist demnach frei, weitere Einzelheiten in ihrem Antrag aufzuführen. Als zwingend275 sieht der Wortlaut jedoch die Benennung • des Einsatzauftrags, • des Einsatzgebiets, • der rechtlichen Grundlagen des Einsatzes, • der Höchstzahl der einzusetzenden Soldaten, • der Fähigkeit der einzusetzenden Streitkräfte, • der geplanten Dauer des Einsatzes, • der voraussichtlichen Kosten und die Finanzierung. Der von der Bundesregierung schriftlich einzureichende Antrag kann vom Parlament nach § 3 Abs. 3 ParlBG nicht geändert oder ergänzt werden. Diese 272 SPD-Gesetzentwurf vom 20.10.2003, § 3; FDP-Entwurf BT-Drs. 15/1985 vom 12.11.2003, § 3. 273 Positionspapier der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 03.11.03, Ziff 2.6. 274 Lamers/Schäuble/Scholz, Zukunftskonzept Sicherheit (2002), unter Nr. 7. Diese Linie wurde in der CDU/CSU-Fraktion indes nicht konsequent verfolgt. So kritisierte Abg. v. Klaeden (CDU/CSU), BT-PlenProt. 15/100 vom 25.03.2004, S. 8980, den Umstand, dass es dem Parlament verwehrt bleiben soll, einzelne Einsatzmodalitäten zu bestimmen. 275 A. A. Schaefer, Verfassungsrechtliche Grenzen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes (2005), S. 276, wonach die Vorschrift verfassungskonform als Soll-Vorschrift auszulegen ist, um nicht mit dem vom Grundgesetz für außenpolitisches Handeln gewollten exekutiven Eigenbereichs in Konflikt zu geraten.
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Restriktion soll sicherstellen, dass über den Regierungsantrag nur im Ganzen abgestimmt werden kann. Nur auf diese Weise kann der Verantwortung der Bundesregierung für den Auslandseinsatz Rechnung getragen werden276. Neuerungen enthält § 3 Abs. 2 ParlBG nicht. Die im Beschlussantrag aufzulistenden Einsatzkautelen sind aus der Staatspraxis geboren und stellen seit 1996 den regelmäßigen Inhalt von Anträgen der Bundesregierung dar. a) Verfassungsmäßigkeit der Einsatzkautelen des § 3 Abs. 2 ParlBG Nach Hans Hugo Klein habe die Zustimmung des Bundestages zu den detaillierten Einsatzkautelen weitgehend nur deklaratorischen Charakter277. Gewinne die Bundesregierung im Zuge der Durchführung der Aktion den Eindruck, dass andere oder mehr als die ursprünglichen Kräfte gebraucht werden, fielen die erforderlichen Entscheidungen in ihre Zuständigkeit. Sie bedürfe keiner Ermächtigung des Bundestages. Der Grund hierfür liege darin, dass „das Bundesverfassungsgericht keinen Zweifel gelassen“ habe, dass es die Bundesregierung sei, die über Art und Umfang der zum Einsatz kommenden Streitkräfte zu entscheiden habe. Einsatzauftrag und -ort seien ausreichende Elemente, um den Einsatz zu konkretisieren. Die Dauer des Einsatzes, sowie die Anzahl der eingesetzten Soldaten unterlägen hingegen nicht der rechtsverbindlichen Zustimmung des Bundestages. Die Gesetzesmaterialien äußern sich nicht dazu, ob die in § 3 Abs. 2 ParlBG aufgezählten Einsatzkautelen in den konstitutiven Gehalt des Bundestagsbeschlusses aufzunehmen sind. Angesichts des Konsenses in der bisherigen Staatspraxis, den Regierungsantrag in den parlamentarischen Zustimmungsbeschluss voll aufzunehmen und die Einsatzdetails damit als verbindlich anzusehen, ist dieses Schweigen aber in diese Richtung zu deuten278. Gleichwohl sind entsprechende Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu beachten, weshalb hier das vielfach geäußerte Problem relevant werden könnte, dass das Parlamentsbeteiligungsgesetz grundsätzlich keine Bindungswirkungen entfalten kann, sondern lediglich das Verhältnis zweier Staatsorgane kläre. Im Verhältnis zur Regierung kann das Gesetz nur regeln, was die Verfassung ausdrücklich gestatte. Insbesondere könne es dem Bundestag nicht mehr Rechte geben, als diesem aus der Verfassung ohnehin zukommen. Zu fragen ist demnach, ob § 3 Abs. 2 ParlBG 276
Gesetzentwurf BT-Drs. 15/2742 vom 23.03.2004 zu § 3. H. H. Klein, in: Horn (Hrsg.), Festschrift für Walter Schmitt Glaeser (2003), S. 245 (253 f.); ders., Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 93 (96). 278 Diesen gesetzgeberischen Willen konstatiert auch H. H. Klein, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 93 (96). 277
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dem Bundestag denn tatsächlich mehr Rechte einräumt, als ihm auf Grund der verfassungsrechtlichen Judikatur zustehen. Hans Hugo Klein beruft sich insofern auf die Passage, wonach die Entscheidung über die Modalitäten, den Umfang und die Dauer der Einsätze alleine der Regierung obliegen. Stellt man diese Aussage des Bundesverfassungsgerichts aber in ihren Kontext gewinnt sie einen anderen Aussagehalt. „Der Zustimmungsvorbehalt für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte verleiht dem Bundestag keine Initiativbefugnis (. . .); der Bundestag kann lediglich einem von der Bundesregierung beabsichtigten Einsatz seine Zustimmung versagen oder ihn, wenn er ausnahmsweise ohne seine Zustimmung schon begonnen hat (. . .), unterbinden, nicht aber die Regierung zu solch einem Einsatz der Streitkräfte verpflichten. Der der Regierung von der Verfassung für außenpolitisches Handeln gewährte Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis und Verantwortlichkeit wird durch den Parlamentsvorbehalt nicht berührt. Das gilt insbesondere hinsichtlich der Entscheidung über die Modalitäten, den Umfang und die Dauer der Einsätze (. . .).“ 279
Die von Hans Hugo Klein in Anspruch genommen Äußerungen stehen also in unmittelbarem Zusammenhang mit der Feststellung des Gerichts, dass der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt dem Bundestag keine Initiativbefugnis verleihe. Der Bundestag kann demnach die Regierung weder verpflichten einen Einsatz vorzunehmen, noch kann der Bundestag einen konkreten Regierungsantrag modifizieren. Eine entsprechende Umsetzung findet sich in § 3 Abs. 3 ParlBG, wonach das Parlament den Regierungsantrag nur ablehnen oder annehmen, nicht aber inhaltlich verändern kann. Das exekutive Arkanum der inhaltlichen Ausgestaltung eines Mandats bleibt auch durch die in § 3 Abs. 2 ParlBG geforderte Offenlegung unberührt. Da in einem anderen Kontext stehend, können die bundesverfassungsgerichtlichen Passagen also nicht gegen die Verbindlichkeit von § 3 Abs. 2 ParlBG angeführt werden. Der Bundestag hat nunmehr durch § 3 Abs. 2 ParlBG – ebenso wie schon vorher im Zusammenspiel mit der Bundesregierung – seine Konkretisierungsbefugnis im Rahmen offener Verfassungsnormen wahrgenommen. Eine derartige Konkretisierungsbefugnis steht nicht dem Bundesverfassungsgericht exklusiv zu. Es sagt selbst, dass bei der Ausgestaltung offener Verfassungsnormen auch andere Verfassungsorgane teilhaben280. b) Verfassungspolitische Kritik Auch wenn die nunmehr zwingenden Einsatzkautelen den Rahmen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht überschreiten, soll die verfassungspolitische Sympathie für die Einlassungen Hans Hugo Kleins nicht verhehlt werden. Der Gesetzgeber war nämlich keineswegs gehalten, den Einsatz279 280
BVerfGE 90, 286 (389). BVerfGE 62, 1 (38 f.) – Bundestagsauflösung I.
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
kautelen verpflichtenden Charakter beizumessen oder sie überhaupt näher zu positivieren. Gemessen an den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts wäre ein exekutiver Zustimmungsantrag mit dem knappen Wortlaut „Der Deutsche Bundestag stimmt dem Beschluss der Bundesregierung vom (. . .) zur Beteiligung an der Operation (. . .) in (. . .) mit bewaffneten deutschen Streitkräften zu.“
verfassungsrechtlich zulässig281. Das Parlament kann mit diesem Beschluss die wesentlichen Elemente des konkreten Einsatzes überblicken. Er enthält die Angabe, wo die Streitkräfte eingesetzt werden, und durch die Nennung der – regelmäßig international mandatierten – Mission auch den Einsatzzweck bzw. -auftrag. Der Einsatz wird durch diese zwei Parameter hinreichend bestimmt und lässt seinen Gesamtcharakter erkennen282. Erwähnt sei hier, dass schon einmal, und zwar noch vor dem Grundsatzurteil der Bundestag einen (schlichten) Beschluss zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte fasste, der durch seinen sparsamen Wortlaut ebenso besticht, wie durch seine Klarheit: „Der Deutsche Bundestag stimmt der Entscheidung der Bundesregierung vom 21. April 1993 zu, die Vereinten Nationen in befriedeten Gebieten Somalias durch Soldaten der Bundeswehr bei humanitären Einsätzen zu unterstützen.“ 283
Der Umstand, dass sich eine extensive Staatspraxis zwischen den beteiligten Verfassungsorganen herausgebildet hat, sollte den Blick auf das verfassungsrechtlich Geforderte nicht verstellen284. Sicherlich kann man die Verantwortung des Parlaments nur einfordern, wenn das Parlament auch überblicken kann, was es verantworten soll. Allerdings fragt sich, ob das Parlament diese Art der Verantwortung überhaupt übernehmen kann, weil die Regierung ihrerseits in aller Regel nicht in der Lage ist, alle Einsatzmerkmale dem Parlament zur Zustimmung zu unterbreiten. Dies lässt sich besonders deutlich machen am umständlichen, innerstaatlichen Zustimmungsverfahren zum Kosovo-Krieg. Nicht nur die erforderlichen Einsatzmodalitäten von Allied Force waren hierbei in der Schwebe; es war schon gar nicht abzusehen, ob es zur NATO-Mission Allied Force überhaupt kommen würde. Dennoch stimmte der 13. Deutsche Bundestag am 16. Oktober 1998 auf Antrag der gerade abgewählten Regierung Kohl der Beteiligung der Bundeswehr an NATO-Luftschlägen gegen Rest-Jugoslawien zu285. Der Antrag der Bundesregierung implizierte, dass der Kampfeinsatz (nur) durchgeführt werde, wenn Belgrad die Forderungen der Resolution 1199 der 281
So zu Recht auch Dreist, NZWehrr 2002, 133 (140); ders., KritV 2004, 79 (96). A. A. wohl Rau, AVR 44 (2006), 93 (104). 283 Beschlussfassung des Bundestages (noch keine konstitutive) auf einen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP (BT-Drs. 12/4759 von 21.04.1993), Zustimmung des Bundestages am selben Tage (BT-PlenProt. 12/151, S. 12976 C). 284 So zu Recht Dreist, KritV 2004, 79 (96). 285 BT-PlenProt. 13/248 vom 16.10.1998, S. 23161 B. 282
C. Inhaltliche Angaben eines Regierungsantrags
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Vereinten Nationen weiterhin nicht erfüllt286. Die Bundesregierung sah sich demnach zu einem Zeitpunkt zur Einholung der parlamentarischen Zustimmung verpflichtet, als die Meinungsbildung auf internationaler Ebene noch nicht abgeschlossen und eine Konkretisierung der Einsatzmodalitäten schlechterdings nicht möglich war. Bevor sich deutsche Soldaten dann tatsächlich im Frühjahr 1999 am Kosovo-Krieg beteiligten, bekräftigte der neue 14. Deutsche Bundestag in drei weiteren konstitutiven Beschlüssen vom 13. und 19. November 1998287, sowie vom 25. Februar 1999288 durch ausdrückliche Bezugnahme auf den Erstbeschluss des alten Bundestages nochmals die „von der NATO geplanten begrenzten und in Phasen durchzuführenden Luftoperationen zur Abwendung einer humanitären Katastrophe im Kosovo-Konflikt“. Zwar besaßen im Frühjahr 1999 sowohl der NATO-Einsatzbefehl als auch der Erstbeschluss des alten Bundestages noch Gültigkeit289, doch die neu gewählte Regierung Schröder wollte keinen Zweifel aufkommen lassen, „verfassungsrechtlich auf der richtigen Seite zu sein“, wie der Regierungssprecher betonte290 Aber auch wenn die Einsatzkautelen im Vorfeld einer Mission im Einsatzantrag festgelegt werden können, zeigt sich doch regelmäßig erst im Rahmen seiner Durchführung, welche konkrete Gestalt der Einsatz tatsächlich annimmt291. Zu Recht fragt Martin Limpert, „ob die Handhabung des konstitutiven Parlamentsbeschlusses in der Vergangenheit den Bundestag wegen der streckenweise doch sehr detaillierten Regelungsdichte des Zustimmungsbeschlusses nicht überfordert“ habe, und folgert zu Recht „Sinn der Parlamentsbeteiligung kann nicht sein, dass sich die Abgeordneten des (. . .) Bundestages quasi als (. . .) Neben-Außenminister gerieren (. . .)“ 292. Über die im Einzelfall unpraktikablen Folgen des § 3 Abs. 2 ParlBG hinaus kann sich diese Norm gar als Pyrrhussieg des Parlamentes erweisen. Denn je weitreichender der Bundestag im Vorhinein einem Einsatz zugestimmt hat, desto schwerer ist es für ihn, später Kritik zu üben. Übernimmt der Bundestag vermehrt die parlamentarische Verantwortung für Einsatzdetails, so begibt er sich im Nachhinein der Möglichkeit, künftige Einsatzentwicklungen wirksam zu kontrollieren293. Denn durch allzu detaillierte Zustimmungen wird das Parla286
BT-Drs. 13/11469 vom 12.10.1998, S. 2. BT-PlenProt. 14/6 vom 13.11.1998, S. 369 Dff. und BT-PlenProt. 14/8 vom 19.11.1998, S. 433 C. 288 BT-PlenProt. 14/22 vom 25.02.1999, S. 1715 C. 289 Vgl. BVerfGE 100, 266 (266 f.). 290 Bewertung bei Scholz, in: Badura/Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Bd. II (2001), S. 663 (675). 291 Vgl. Scholz, Referat, DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 2 (6). 292 Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 91. 293 Schmidt-Radefeldt, Parlamentarische Kontrolle der internationalen Streitkräfteorganisation (2005), S. 156 umschreibt dies anschaulich mit dem „Prinzip kommunizie287
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
ment so in das Geschehen eingebunden, dass die zu einer wirksamen Kontrolle notwendige Distanz zu den Trägern militärischer Befehlsgewalt fehlt294. Der Bundestag übernimmt somit Verantwortung für Bereiche, die er von Verfassungs wegen inhaltlich selbst nicht mitbestimmen darf. § 3 Abs. 2 ParlBG ist demnach nur vordergründig ein Kompetenzgewinn des Parlaments; tatsächlich handelt es sich um eine zusätzliche politische Verpflichtung, die mit einem Verlust an tatsächlichen Kontrollmöglichkeiten einhergeht. c) Exkurs: Verteidigungsfall nach Art. 115 Abs. 1 GG und Antrag auf konstitutive Zustimmung Nach den Erkenntnissen des Bundesverfassungsgerichts beinhaltet die Feststellung des Verteidigungsfalles (Art. 115a Abs. 1 GG) – die zunächst nur den Übergang von der Normal- zur Notstandsverfassung zeitigt – uno actu auch die Ermächtigung zum Einsatz der Streitkräfte295. Ein gesonderter Zustimmungsantrag, indem militärische Details zur beabsichtigten Gegenwehr von der Bundesregierung zu benennen wären, kann demnach unterbleiben. Dies entspricht den sachlichen Notwendigkeiten angesichts der Gefahrenlage; denn die Feststellung des Verteidigungsfalls setzt einen die Existenz der Bundesrepublik gefährdenden Angriff auf ihr Territorium voraus296. In einem solchen Extremfall die Anzahl der erforderlichen Soldaten, das Einsatzgebiet oder den Zeitrahmen auch nur ansatzweise zu bestimmen, ist schlechterdings nicht möglich297. Im Verteidigungsfall muss der Regierung in gewisser Weise eine carte blanche ausgestellt werden. Insofern ist er tatsächlich die Stunde der Exekutive298. Diese existentiellen Notwendigkeiten berücksichtigt das Parlamentsbeteiligungsgesetz, indem es seinen Anwendungsbereich ausdrücklich nicht auf den Verteidigungsfall erstreckt, § 1 Abs. 1 Satz 2. Damit ist – wenn auch mit deklaratorischer Wirkung – klargestellt, dass die inhaltlichen Anforderungen des § 3 Abs. 2 ParlBG an einen Regierungsantrag auf Zustimmung zum Einsatz bewaffneter Streitkräfte dann nicht gelten, wenn der Bundestag über den Verteidigungsfall – und render Röhren“; vgl. auch Wieland, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 133 (136). 294 Wieland, Schriftliche Gegenäußerung für die Bundesregierung im AWACS-IIVerfahren vom Dezember 2003. 295 BVerfGE 90, 286 (387); a. A. Schaefer, Verfassungsrechtliche Grenzen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes (2005), S. 127 f., der für die Legalität einer militärischen Verteidigung im Ausland neben der Feststellung des Verteidigungsfalls einen gesonderten konstitutiven Parlamentsbeschluss fordert. 296 Vgl. nur Graf Vitzthum, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VII (1992), § 170 Rndr. 30. 297 Lutze, DÖV 2003, 972 (976). 298 Graf Vitzthum, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VII (1992), § 170 Rndr. 33.
C. Inhaltliche Angaben eines Regierungsantrags
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damit uno actu über den Streitkräfteeinsatz 299 – beschließt. Eher deklaratorischer Natur ist die Ausklammerung des Art. 115a GG, weil es den Karlsruher Vorgaben entspricht, dass die „im Grundgesetz ausdrücklich geregelten Fälle“ eines Streitkräfteeinsatzes durch den allgemeinen wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt „unbeschadet“ 300 bleiben. Als ausdrücklich geregelten Fall benennt es gerade den Verteidigungsfall301. Die formalen und materiellen Anforderungen an dessen Beschlussverfahren ergeben sich hingegen unmittelbar aus der Verfassung. 2. Kein parlamentarisches Recht zur Modifikation des Regierungsantrags Nach § 3 Abs. 3 ParlBG kann der Bundestag den Regierungsantrag auf Zustimmung zu einem Einsatz bewaffneter Streitkräfte nur ablehnen oder annehmen, nicht aber inhaltlich verändern. Dem Bundestag soll nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz auch weiterhin versagt bleiben, seine Zustimmung mit Modifikationen zu versehen und hierdurch einzuschränken. Hätte ein parlamentarisches Modifikationsrecht Eingang in das Parlamentsbeteiligungsgesetz gefunden, wäre dies verfassungsrechtlich auch unzulässig gewesen. Denn wäre dem Bundestag einfachgesetzlich ein Initiativrecht zugestanden worden, also ein Recht, die Bundesregierung zu verpflichten, einen bestimmten, vom Parlament näher konkretisierten Einsatz durchzuführen, stünde dies konträr zu den Aussagen des Bundesverfassungsgerichts: „Der Zustimmungsvorbehalt für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte verleiht dem Bundestag keine Initiativbefugnis (. . .); der Bundestag kann lediglich einem von der Bundesregierung beabsichtigten Einsatz seine Zustimmung versagen oder ihn, wenn er ausnahmsweise ohne seine Zustimmung schon begonnen hat (. . .), unterbinden, nicht aber die Regierung zu solch einem Einsatz der Streitkräfte verpflichten.“ 302
Diese durch die Out-of-area-Entscheidung hervorgehobene alleinige Initiativbefugnis der Bundesregierung, deckt sich mit den allgemeinen vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätzen der Funktionsgerechtigkeit303: Nur die Bundesregierung verfügt in hinreichendem Maße über die personellen, sachlichen und organisatorischen Möglichkeiten, um die Planung eines auswärtigen Streitkräfteeinsatzes verantwortlich wahrzunehmen. Die Festlegung der Einsatzkautelen sowie die notwendige Koordination in und mit Organen internationaler 299
BVerfGE 90, 286 (389). BVerfGE 90, 286 (387). 301 BVerfGE 90, 286 (389). 302 BVerfGE 90, 286 (389) – Hervorhebungen nicht im Original; vgl. auch BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 58. 303 Siehe Erstes Kapitel, C. II. 4. c). 300
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
Organisationen sind aus Gründen der funktionsgerechten Arbeitsteilung als genuiner Bereich der Exekutive anzusehen. Erfreulicherweise wird durch § 3 Abs. 3 ParlBG den Versuchen in der Literatur eine Absage erteilt, diese bundesverfassungsrichterlichen Vorgaben zu relativieren. Vorgetragen wurde, dass der Bundestag auf Grund der Parlamentsautonomie bei seiner Entscheidung in der näheren Ausgestaltung seiner Zustimmung frei sei. Deshalb solle festgeschrieben werden, dass der Bundestag berechtigt sei, Einsatzdetails für die Regierung verbindlich vorzugeben oder auf einen unbefristeten Antrag mit einer befristeten Zustimmung zu reagieren304. Diese Ansicht verkennt jedoch, dass nur über eine verneinte parlamentarische Initiativbefugnis der Verantwortung der Bundesregierung für die operative Ausführung eines Auslandseinsatzes Rechnung getragen werden kann. Die Rolle des Bundestages ist im Rahmen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes eine legitimierende und kontrollierende, aber keine aktiv gestaltende305. Der Gleichklang des wehrverfassungsrechtlichen Zustimmungsvorbehaltes einerseits und des Zustimmungsvorbehaltes nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG andererseits wird hier offenkundig306. In der Geschäftsordnung des Bundestages findet sich in § 82 Abs. 2 Satz 2 eine parallele Regelung, nach der Änderungsanträge zu Verträgen i. S. des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG unzulässig sind. Nach § 81 Abs. 4 GOBT ist über diese Verträge im Ganzen abzustimmen. Unbedenklich ist hingegen, wenn das Parlament die Art und Weise, in der die Bundesregierung von ihren Zuständigkeiten Gebrauch macht, z. B. durch einen einfachen Bundestagsbeschluss politisch zu beeinflussen sucht; eine rechtliche Bindungswirkung entfalten derartige schlichte Beschlüsse nicht. So wäre dann auch eine rechtlich unverbindliche Aufforderung des Parlaments gegenüber der Bundesregierung bewaffnete Soldaten ins Ausland zu senden, verfassungsrechtlich unbedenklich307. 304 Vgl. die verschiedenen Überlegungen bei Vöneky/Wolfrum, ZaöRV 62 (2002), 569 (602); Meier-Klodt, SWP-Studie 2002/S34, S. 9; Wiefelspütz, NVwZ 2005, 496 (499); Röben, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 103 (104); Wieland, Diskussionsbeitrag, ebda., S. 34. Um über die eindeutigen Formulierungen der Out-of-area-Entscheidung hinwegzukommen, wurde auch der allgemeine Term des „Parlamentsheeres“ bemüht, so etwa von der Abg. DäublerGmelin (SPD), KurzProt. Rechtsausschuss 13/21 vom 28.06.1995, S. 44 f.). 305 Lutze, DÖV 2003, 972 (979); Schaefer, Verfassungsrechtliche Grenzen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes (2005), S. 180 f.; 328. 306 „Die Bundesregierung führt in eigener Kompetenz die Vertragsverhandlungen, hat das Initiativrecht für ein Zustimmungsgesetz im Sinne des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG und bestimmt gegenüber dem Gesetzgeber den Vertragsinhalt, den dieser – sofern der Vertrag nicht Entscheidungsspielräume offenlässt – nur insgesamt billigen oder ablehnen kann. Das Zustimmungsgesetz enthält auch nur eine Ermächtigung, belässt also der Bundesregierung die Kompetenz zu entscheiden, ob sie den völkerrechtlichen Vertrag abschließt und nach seinem Abschluss völkerrechtlich beendet oder aufrechterhält (vgl. BVerfGE 68, 1 [85 f.]).“ – BVerfGE 90, 286 (358).
C. Inhaltliche Angaben eines Regierungsantrags
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Die Bundesregierung selbst kann bis zur Abstimmung durch den Bundestag jederzeit ihren Antrag verändern, befristen oder gar zurückziehen308. Sie bleibt insoweit „Herrin ihres Antrages“ 309. Die Bundesregierung mag politisch gut beraten sein – etwa im Hinblick auf eine drohende Zustimmungsversagung – in eine dynamisch-prozesshafte, sich wechselseitig beeinflussende Relation mit dem Bundestag einzutreten310. In welcher Form die Bundesregierung dies vornimmt, ob durch förmliche Abänderung, Befristung oder Protokollnotiz, ist in der Praxis zweitrangig311. Entsprechend hält dann auch die Gesetzesbegründung ausdrücklich fest, dass auch unter dem Regime des Parlamentsbeteiligungsgesetzes Bundesminister weiterhin konkretisierende Protokollerklärungen in den beteiligten Ausschüssen abgeben können312. Derartige Protokollnotizen sind zwar keine justiziablen, sanktionsbewährte Rechtssätze; sie schränken den Spielraum politischer Entscheidungen der Bundesregierung aber zumindest faktisch ein und können unter dem allgemeinen Gebot des Interorganrespekts relevant werden313. 307 Vgl. H. H. Klein, in: Horn (Hrsg.), Festschrift für Walter Schmitt Glaeser (2003), S. 245 (246 FN 4, 251, 253); Raap, JuS 1996, 980 (983); ders., DVP 2002, 282 (283). 308 Röben, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 103 (104); H. H. Klein, Schriftliche Stellungnahme, ebda. S. 93 (97). 309 Wiefelspütz, Das Parlamentsheer (2005), S. 460. 310 Wie vielfältig eine wechselseitig beeinflussende Relation zwischen Erster und Zweiter Gewalt aussehen kann, lässt sich anhand des Entscheidungsverfahrens zur deutschen Beteiligung an der Operation Enduring Freedom nachzeichnen. Vor der konstitutiven Entscheidung Bundeswehrsoldaten im Kampf gegen den Terror einzusetzen, haben die Regierungsfraktionen begleitend zum Regierungsantrag einen Entschließungsantrag eingebracht (BT-Drs. 14/7513 vom 16.11.2001), der es ermöglichen sollte, eventuelle Abweichler einzubinden. In diesem Entschließungsantrag wird gefordert, der Bundestag möge substanzielle Hilfe für den Wiederaufbau Afghanistans bereit stellen, sowie die Initiativen der Bundesregierung unterstützen und „sich gemeinsam mit den Staaten der Europäischen Union und mit den Vereinigten Staaten aktiv in den politischen Planungs- und Vorbereitungsprozess für die politische Zukunft Afghanistans einzuschalten (Post-Taliban-Prozess) . . .“ Darüber hinaus enthält der Entschließungsantrag eine Reihe weiterer Punkte, die darauf angelegt waren, die Zustimmung zu Enduring Freedom mit „ziviler Konfliktbearbeitung und Krisenprävention“, „einer globalen Friedenspolitik“ und der „kontinuierliche(n) Forstsetzung des Dialogs zwischen den Kulturen und mit den Religionen“ zu erleichtern, um die militärischen Besorgnisse innerhalb und außerhalb der Regierungskoalition abzufedern. Die Entschließung selbst wurde dann nicht nur mit der Koalitionsmehrheit im Plenum verabschiedet (BT-PlenProt. 14/202 vom 16.11.2001, S. 19891 A), vielmehr fanden einzelne Formulierungen Eingang in die Erklärungen des Bundeskanzlers (ebda., S. 19856 A) und des Außenministers (ebda., S. 19877 B). 311 Schmidt-Jortzig, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 107 (110). 312 Gesetzentwurf BT-Drs. 15/2742 vom 23.03.2004 zu § 3. 313 Siehe Zweites Kapitel, A. V. 2. b).
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
3. Mehrheitserfordernis nach Art. 42 Abs. 2 Satz 1 GG Welche Mehrheit ein Regierungsantrag zum Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Parlament finden muss, lässt sich aus dem Parlamentsbeteiligungsgesetz nicht ablesen. Es ist jedoch nicht zu bezweifeln, dass es sich um die einfache Mehrheit nach Art. 42 Abs. 2 Satz 1 GG handelt. Ausdrücklich sieht das Bundesverfassungsgericht diese Mehrheit als ausreichend an. Man kann mit Martin Limpert bemängeln, dass das Bundesverfassungsgericht seinen Rückgriff auf Art. 42 Abs. 2 Satz 1 GG mit keinem Wort begründet314; gleichwohl ist es geltendes Verfassungsrecht und einer einfachgesetzlichen Änderung somit entzogen. Nur der verfassungsändernde Gesetzgeber ist in der Lage, von diesem bundesverfassungsgerichtlichen Diktum abzuweichen315. Insofern musste der in den ersten beiden FDP-Initiativen316 geäußerte Vorschlag, über den Einsatz der Streitkräfte mit der sog. Kanzlermehrheit zu entscheiden, an verfassungsrechtlichen Vorgaben scheitern. 4. „Rechtzeitige“ Antragsübersendung an den Bundestag Aus Organtreuegesichtspunkten ergibt sich für die Bundesregierung die Pflicht, dem Bundestag bei der Ausübung seines Zustimmungsvorbehaltes auch in zeitlicher Hinsicht die Möglichkeit zu geben, fundierte Vorstellungen entwickeln zu können317. In der Praxis kommt es hingegen zwischen Regierung und Bundestag immer wieder zu Kontroversen, weil sich letzterer durch (zu) kurzfristig übersendete Zustimmungsanträge nicht in der Lage sieht, geplante Einsätze im parlamentarischen Beratungsverfahren sorgsam prüfen zu können. Diese parlamentarische Kritik ist z. T. verständlich, wenn man bedenkt, dass sich der Bundestag angesichts der Konstituierung einer umfangreichen Mission wie ISAF am 22. Dezember 2001 gezwungen sah, innerhalb von nur knapp sieben Stunden zu beraten und dann in einer eigens dafür anberaumten Sitzung entscheiden zu müssen318. Wie die Staatspraxis – etwa bei der angesprochenen ISAF-Mission – zeigt, wird der Regierung häufig jedoch schon ihrerseits durch kurzfristige Beschlüsse internationaler Organisationen ein knapper Zeitrahmen aufgezwungen. Das dadurch auch für den Bundestag ohnehin enge Zeitfenster wird zuweilen durch dessen eigenen Detailanspruch zusätzlich verkürzt: die Regierung wartet nämlich ihrerseits die Beschlüsse der internationalen Organisa-
314
Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 61. Blumenwitz, BayVBl. 1994, 641, 678 (682); Burkizcak, ZRP 2003, 82 (86). 316 BT-Drs. 14/9402 vom 12.06.2002, S. 2 und BT-Drs. 15/36 vom 06.11.2002, S. 2. 317 Lorz, Interorganrespekt im Verfassungsrecht (2001), S. 343. 318 Zum Ablauf s. F. Schröder, Das Parlamentarische Zustimmungsverfahren (2005), S. 121 f. 315
C. Inhaltliche Angaben eines Regierungsantrags
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tionen auch deshalb ab, um auf deren Grundlage einen hinreichend konkreten Beschlussantrag stellen zu können, um sich nicht des parlamentarischen Vorwurfs des Vorratsbeschlusses ausgesetzt zu sehen. Mit vollem Recht kritisiert die Opposition die Regierung wegen eines eng bemessenen Zeitrahmens aber dann319, wenn die Exekutive bei befristet angelegten Bundestagsmandaten dem Parlament den entsprechenden Verlängerungsantrag erst kurz vor Fristablauf überweist. Der Gesetzgeber hat sich dieses praktischen Problems anzunehmen versucht. Nach § 3 Abs. 3 ParlBG hat die Bundesregierung dem Bundestag „den Antrag auf Zustimmung zum Einsatz der Streitkräfte rechtzeitig vor Beginn des Einsatzes“ zu übersenden. Der Gewinn dieser Regelung bleibt jedoch gering, zumal sie nichts statuiert, was nicht schon über den allgemeinen Grundsatz der Organtreue vermittelt würde. Dadurch wird sie vielmehr zur verschriftlichten Selbstverständlichkeit. Gleichzeitig ist aber auch nicht ersichtlich, wie diese Regelung wesentlich bestimmter ausfallen hätte können. Wenn Florian Schröder meint, dass eine Soll-Regelung unter Nennung verschiedener Fristen für verschiedene Einsatzarten vorzugswürdig gewesen wäre320, vermag dies nicht zu überzeugen. Unterscheiden sich die individuellen Beschlussverfahren doch nicht nur zwischen den verschiedenen Einsatzarten, sondern auch innerhalb dieser. Die Staatspraxis zeigt, dass sich das Zeitproblem nicht katalogartig verschiedenen Einsatzszenarien zurechnen lässt. Dem aus der Organtreue fließenden Rücksichtnahmegebot hätte hingegen die Formulierung einer „frühestmöglichen“ Antragsübersendung noch eher entsprochen, als die „rechtzeitige“. Eine entsprechende Formulierung lässt sich im einschlägigen Bereich des kooperativen Parlamentarismus dann auch in § 3 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG) finden. Hiernach unterrichtet die Bundesregierung „den Bundestag umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über alle Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union, die für die Bundesrepublik Deutschland von Interesse sein könnten“. Diese engere Formulierung hätte sich auch für das Parlamentsbeteiligungsgesetz angeboten.
319 Vgl. etwa Abg. Lamers (CDU) bei der ersten Missionsverlängerung Joint Guardian II (BT-PlenProt. 14/108 vom 08.06.2000, S. 10155 B) und Abg. Nolting (FDP) bei der zweite Missionsverlängerung Enduring Freedom (BT-PlenProt. 15/76 vom 14.11.2003, S. 6606 A). 320 Ders., NJW 2005, 1401 (1402).
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
D. Abstufung der Parlamentsmitwirkung nach Art und Rahmenbedingungen konkreter Einsätze bewaffneter Streitkräfte I. Vorgaben und Vorschläge des Bundesverfassungsgerichts Vor Erlass des Parlamentsbeteiligungsgesetzes bestand keinerlei Abstufung der Verfahrensdichte des parlamentarischen Zustimmungsprocederes. Nach Überweisung des Regierungsantrags wurde in erster Lesung beraten und der Antrag anschließend den – bis zu sieben – Fachausschüssen zur Beratung zugeleitet. Diese stimmten über ihre Vorlagen ab und formulierten gegebenenfalls Empfehlungen. Sodann wurden die Ausschussvoten dem Plenum zur weiteren Aussprache vorgelegt, in deren Anschluss die – zumeist namentliche – Abstimmung erfolgte. Auch kleinere Missionen oder unproblematische Verlängerungsmandate durchliefen dieses umfangreiche und arbeitsintensive Grundverfahren. An dieser einheitlichen Handhabe wurde vielfach kritisiert, dass der parlamentarische Arbeitsaufwand gerade bei Kleinstmissionen und Mandatsverlängerungen in keinem Verhältnis zum politischen Mehrwert stehe321. Vor allem werde dieses einheitliche Procedere mit Blick auf die zu erwartenden Einsätze der verschiedenen integrierten Schnelleingreiftruppen kaum mehr handhabbar sein. Den dort vorgesehenen beschleunigten Zeitabläufe könne die parlamentarische Entscheidungsfindung in ihrer Langwierigkeit nicht gerecht werden. Für diese vielfach als unbefriedigend empfundene Staatspraxis kann die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts indes nur bedingt verantwortlich gemacht werden. Keineswegs geben die Judikate für das parlamentarische Beteiligungsverfahren die Orientierung am Gesetzgebungsverfahren verbindlich vor. Als unverzichtbare Parameter der verfahrensrechtliche Ausgestaltung des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes hat das Bundesverfassungsgericht lediglich vorgegeben, dass322 • der Bundestag „über Einsätze bewaffneter Streitkräfte nach Maßgabe des Art. 42 Abs. 2 GG zu beschließen“ hat, • es der Bedeutung „des zu fassenden Beschlusses“ entspricht, „so es die Lage irgend erlaubt“, diesen „in den zuständigen Ausschüssen (vorzubereiten) und im Plenum (zu erörtern)“ 323,
321
Vgl. nur Abg. Bartels (SPD), Diskussionsbeitrag, DVParl-Prot. vom 04.06.2003,
S. 12. 322 323
(47).
BVerfGE 90, 286 (388). Ähnlich schon Formulierungen im Somalia-Eilbeschluss, vgl. BVerfGE 89, 38
D. Abstufung der Parlamentsmitwirkung nach Art
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• der „Bundestag bei seiner Beschlussfassung an die mit seiner Zustimmung zustande gekommenen rechtlichen Festlegungen über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte gebunden“ ist. Das Bundesverfassungsgericht verweist ausdrücklich auf verfahrensrechtliche Gestaltungsfreiheiten seitens des Gesetzgebers und zeigt Lösungswege für eine künftige Kodifizierung auf. Jenseits der skizzierten Mindestanforderungen obliegen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit „Verfahren und Intensität“, „Form und Ausmaß“ sowie „Zeitpunkt und Intensität“ der parlamentarischen Mitwirkung. Eine Differenzierung der Verfahren kann insbesondere erfolgen je nach324 • „Anlass und Rahmenbedingung des Einsatzes“, • Art der Einsätze, insbesondere bei solchen, „die keinen Aufschub dulden oder erkennbar von geringer Bedeutung sind“, • „der Regelungsdichte (. . .), in der die Art des möglichen Einsatzes der Streitkräfte bereits durch ein vertraglich geregeltes Programm militärischer Integration vorgezeichnet“ ist. Diese vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Parameter gilt es zu beachten, wenn im Folgenden insbesondere die im Parlamentsbeteiligungsgesetz gewählte Verfahrensvereinfachung einer Bewertung unterzogen wird. Aber auch die weiteren, im Anschluss an das Grundsatzjudikat sowohl in der rechtswissenschaftlichen, als auch in der politischen Diskussion in reicher Zahl unterbreiten Vorschläge für eine Verfahrensmodifikation sollen näher untersucht werden. Davon greifen einige konkret die Vorüberlegungen des Bundesverfassungsgerichts auf, teilweise werden auch eigenständige Wege gegangen, die von einer kleinen Lösung mittels Anpassung der Geschäftsordnung des Bundestages über eine große Lösung durch eine Verfassungsänderung reichen. Populär war und ist die Forderung nach einem speziellen parlamentarischen Einsatzausschuss, dem für verschiedene Einsatzszenarien das Zustimmungsrecht übertragen werden soll. Vorreiterin war hier die FDP-Fraktion mit ihrem Gesetzesentwurf aus der 15. Wahlperiode325. Zudem wurde von der Unionsfraktion die Möglichkeit einer generellen Vorabzustimmung für Einsätze in integrierten Verbänden – losgelöst vom konkreten Einsatz – vorgeschlagen326. Durchgesetzt hat sich schließlich das von den rot-grünen Koalitionsfraktionen favorisierte sog. vereinfachte Verfahren, eine Regelung, die im wissenschaftlichen Schrifttum nicht bedacht wurde. Zu diesem Verfahren bei Einsätzen von geringer Bedeutung hatte die Arbeits324
BVerfGE 90, 286 (389). BT-Drs. 15/1985 vom 12.11.2003, § 5 ff.; vgl. nunmehr auch den dem Vorgängerentwurf entsprechenden FDP-Änderungsentwurf BT-Drs. 16/3342 vom 08.11.2006. 326 Entwurf für ein Eckpunktepapier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (Stand: 11.11.2003), Ziff. II. 325
218
3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
gruppe der SPD-Fraktion einen ausformulierten Vorschlag vorgelegt327, der im gemeinsamen Entwurf der Regierungsparteien weiter detailliert und schließlich Gesetz wurde.
II. Regelung im Parlamentsbeteiligungsgesetz 1. Einsätze von lediglich geringer Intensität und Tragweite i. S. der §§ 4 Abs. 2 und 3 In Fällen in denen die Bundesregierung der Auffassung ist, dass ein beabsichtigter Einsatz lediglich von geringer Intensität und Tragweite ist, eröffnet ihr das Parlamentsbeteiligungsgesetz nunmehr die Möglichkeit, die Zustimmung in einem vereinfachten Verfahren zu beantragen. Derartige Einsätze sollen nach § 4 Abs. 2 ParlBG vorliegen, wenn die Zahl der eingesetzten Soldaten gering ist, der Einsatz auf Grund der übrigen Begleitumstände erkennbar von geringer Bedeutung ist und es sich nicht um die Beteiligung an einem Krieg328 handelt. Diese recht allgemein gehaltenen Anforderungen werden im folgenden Absatz durch drei Regelbeispiele konkretisiert. Ein Einsatz von geringer Intensität und Tragweite liege „in der Regel“ vor, wenn • es sich um ein Erkundungskommando handelt, das Waffen lediglich zum Zwecke der Selbstverteidigung mit sich führt, • einzelne Soldatinnen oder Soldaten betroffen sind, die auf Grund von Austauschvereinbarungen Dienst in verbündeten Streitkräften leisten, oder • einzelne Soldatinnen und Soldaten im Rahmen eines Einsatzes der VN, der NATO, der EU oder einer Organisation, die einen VN-Auftrag erfüllt, verwendet werden. Diese Aufzählung ist weder abschließend, noch ist eine ausführliche parlamentarische Beratung zu einem der aufgeführten Einsatzszenarien ausgeschlossen. Durch § 4 Abs. 2 ParlBG soll klargestellt werden, dass es neben der Zahl der eingesetzten Soldaten immer auch auf die übrigen Begleitumstände an-
327
Entwurf vom 20.10.2003, § 4. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz lässt weitgehend offen, wie es den Kriegsbegriff verstanden wissen will. Auch die Gesetzesmaterialien schweigen sich aus. Implizit kann dem Gesetz nur entnommen werden, dass es nicht jeden militärischen Konflikt als Krieg ansieht [so zu Recht Burkiczak, Verwaltungsrundschau 2005, 289 (291 f.)]. Klassischerweise versteht man unter dem Begriff des Krieges nur die bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Staaten [vgl. aus völkerrechtlicher Sicht, Graf Vitzthum, VRÜ 18 (1985), 421 ff.]. Spätestens seit dem sog. Krieg gegen den Terrorismus, der sich auch gegen Private richtet, kann von einer Trennschärfe dieses Begriffs nur noch schwerlich die Rede sein; vgl. zur Kritik an der Einfügung des Kriegsbegriffs auch Drittes Kapitel, B. V. 10. 328
D. Abstufung der Parlamentsmitwirkung nach Art
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kommt. Eine „schicksalhafte politische Entscheidung über Krieg und Frieden“ 329 kann damit nicht im Wege des vereinfachten Zustimmungsverfahrens ergehen330. 2. Verlängerung von Einsätzen Im vereinfachten Verfahren kann nach § 7 Abs. 1 ParlBG auch die Verlängerung von bereits erteilten Zustimmungsbeschlüssen ergehen331. Gemäß § 7 Abs. 2 ParlBG gilt dann der Einsatz bis zum Ablauf von zwei Sitzungstagen nach Verteilung des Verlängerungsantrages der Bundesregierung als genehmigt332. Letztere Vorschrift soll verhindern, dass durch kurzfristige Anträge auf Zustimmung zu reinen Verlängerungsbeschlüssen ein genehmigungsfreier Zustand eintritt333. Die Gesetzesbegründung hat insbesondere Situationen vor Auge, in denen aufgrund der oftmals sehr kurzfristigen Entscheidungen der Vereinten Nationen die Bundesregierung einen Zustimmungsantrag nicht mehr rechtzeitig zuleiten kann. Ein im vereinfachten Verfahren beantragter Verlängerungsbeschluss erfordert, dass die Regierung begründet darlegt, warum sich die Rahmenbedingungen des Einsatzes seit dem Erstbeschluss nicht wesentlich verändert haben334. 3. Vereinfachtes Verfahren nach § 4 Abs. 1 ParlBG Das vereinfachte Verfahren verläuft gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 ff. ParlBG wie folgt: Die Bundesregierung hat in einem Antrag substantiiert darzulegen, aus welchen Gründen ein avisierter Einsatz von geringer Intensität und Tragweite ist. Diesen Antrag übermittelt der Bundestagspräsident an die Vorsitzenden der Fraktionen sowie die Vorsitzenden und Fraktionsobleute des Auswärtigen und des Verteidigungsausschusses. Zudem lässt er den Antrag als Bundestagsdruck329
Vgl. zu dieser Formel BVerfGE 90, 286 (384). Gesetzentwurf BT-Drs. 15/2742 vom 23.03.2004 zu § 4. 331 Hier setzte sich die SPD-Fraktion gegen ihren kleineren Partner durch, der reine Verlängerungsbeschlüsse ohne vorherige Aussprache in den Ausschüssen durch das Plenum beschließen lassen wollte, vgl. Positionspapier der Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen vom 03.11.2003 unter Ziff. 2.4. Nach dem Willen der FDP-Fraktion hätte der Einsatzausschuss fakultativ über reine Verlängerungsbeschlüsse entscheiden können, vgl. BT-Drs. 15/1985 vom 12.11.2003, Erläuterungen zu § 6. 332 § 7 Abs. 2 ParlBG ist erst auf Vorschlag des federführenden Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (BT-Drs. 15/4264 vom 24.11.2004, S. 3) in das Gesetzgebungsverfahren aufgenommen worden. 333 BT-Drs. 15/4264 vom 24.11.2004, S. 7. 334 Vgl. BT-Drs. 15/2742 vom 23.03.2004 zu § 7. Die Gesetzesbegründung ist nicht frei von Widersprüchen, wenn man mit Koch, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz (2006), S. 25 fragt, ob nicht schon eine Verlängerung selbst eine wenn auch unausgesprochene qualitative Änderung darstellt. 330
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
sache verteilen. Die Zustimmung gilt als erteilt, wenn nicht innerhalb von sieben Tagen nach der Verteilung von einer Fraktion oder fünf von Hundert der Mitglieder des Bundestages eine Plenumbefassung verlangt wird. Wird eine Befassung des Bundestages verlangt, entscheidet dieser im Grundverfahren. Den auf einen Befassungswunsch folgenden innerparlamentarischen Verfahrensablauf konkretisiert der am 21. April 2005 eingefügte § 96a GOBT. Nach dessen Absatz 1 hat der Vorsitzende eines Ausschusses eine Sitzung außerhalb des Zeitplans dann einzuberaumen, wenn es eine Fraktion im Ausschuss oder mindestens ein Drittel der Mitglieder des Ausschusses verlangt und der Bundestagspräsident dies genehmigt. Das vereinfachte Verfahren soll nach der Gesetzesbegründung zwei Zielen dienen335: Zunächst soll sich das Plenum nur mit inhaltlich bedeutenden oder politisch umstrittenen Entscheidungen befassen. Dadurch werde der Bedeutung der Plenardebatte Rechnung getragen. Des Weiteren soll dem Bedürfnis der Praxis entsprochen werden, Plenarsitzungen und aufwendige Sondersitzungen des Bundestages insbesondere in sitzungsfreien Perioden bei unstrittigen Auslandseinsätzen von geringer Intensität und Tragweite zu vermeiden. Die gewählte Frist von sieben Tagen unterstreiche die Praxisnähe der gefunden Lösung. Zur Sicherstellung der umfassenden Information der Abgeordneten und der Eindeutigkeit der Fristbestimmungen werde auf die Verteilung als Drucksache und die entsprechenden Regelungen der Geschäftsordnung Bezug genommen. Die spezielle Unterrichtung der Fraktionsvorsitzenden sowie der Vorsitzenden und Obleute336 von Auswärtigem und Verteidigungsausschuss lehnt sich an das Verfahren der Vorentscheidung aus dem Immunitätsrecht des Bundestages an337. Bei Immunitätssachen, die vom Immunitätsausschuss des Bundestages als Bagatellsachen gewertet werden, sehen die Grundsätze in Immunitätsangelegenheiten ein vereinfachtes Verfahren (sog. Vorentscheidung) vor. Dem Geschäftsordnungsausschuss wird hierbei die Kompetenz zur Aufhebung parlamentarischer Immunität zugestanden338. Diese Kompetenz ist dem Geschäftsordnungsausschuss mit Widerspruchsvorbehalt des Plenums zugesprochen. Die Vorentscheidung des Geschäftsordnungsausschusses gilt als Entscheidung des Bundestages, wenn nicht innerhalb von sieben Tagen nach Mitteilung Widerspruch vom Plenum erhoben wird.
335
BT-Drs. 15/2742 vom 23.03.2004, S. 5 (zu § 4). Bei den Obleuten handelt es sich um die von den Fraktionen benannten Ausschussmitglieder die zusammen mit dem Vorsitzenden die Ausschussarbeit koordinieren. Der Begriff findet sich in vor allem in der GOBT sowie in § 10 Abs. 2 PUAG. 337 Wiefelspütz, NZWehrr 2004, 133 (137); zum Vorentscheidungsverfahren s. Butzer, Immunität im demokratischen Rechtsstaat (1991), S. 351 ff.; Schwerin, Der Deutsche Bundestag als Geschäftsordnungsgeber (1998), S. 177 f. 338 § 107 Abs. 2 GOBT i.V. m. Anlage 6 der GOBT. 336
D. Abstufung der Parlamentsmitwirkung nach Art
221
Eine Entsprechung des vereinfachten Zustimmungsverfahrens in technischer Hinsicht findet sich auf Länderebene zudem im Bundesland Berlin. Nach § 32 Abs. 5 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin werden Rechtsverordnungen i. S. des Art. 64 VV-Berlin anstelle einer Vorlage an das Parlament ohne Aussprache an den zuständigen Ausschuss überwiesen. Dieser spricht eine Empfehlung aus, die Rechtsverordnung aufzuheben, zu ändern oder ihr zuzustimmen. Erhebt der Ausschuss keine Einwendungen, so gilt die Vorlage als vom Abgeordnetenhaus zur Kenntnis genommen (§ 32 Abs. 5 Satz 5 Geschäftsordnung). Das Bundesverwaltungsgericht ist so weit gegangen, an diese Fiktion der Kenntnisnahme die Vermutung inhaltlicher Billigung durch das Berliner Abgeordnetenhaus zu knüpfen339. Auf internationaler Ebene findet sich beredterweise NATO-intern mit dem Instrument der sog. silent procedure eine weitere Analogie: Wird im Nordatlantikrat eine Entscheidung oder Beschlussvorlage unter eine Verschweigefrist gestellt, erfolgt eine Erörterung im Rat nur dann, wenn vor Ablauf der Frist ein Bündnispartner ausdrücklich Widerspruch einlegt. 4. Vereinfachtes Verfahren in der Staatspraxis Erste (fingierte) parlamentarische Zustimmungsbeschlüsse sind trotz der bislang kurzen Geltung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes bereits ergangen. Eine Darstellung der bisherigen, auf im vereinfachten Verfahren gestellte Regierungsanträge folgenden Praxisabläufe, soll Erkenntnisse bringen, inwieweit die gesetzgeberischen Ziele – das Plenum nur mit inhaltlich bedeutenden oder politisch umstrittenen Entscheidungen zu befassen, sowie aufwendige Sondersitzungen zu vermeiden –, erreicht werden konnten340. a) Erste Verlängerung AMIS (Mai 2005) Schon sieben Wochen nach Inkrafttreten des Parlamentsbeteiligungsgesetzes kam das vereinfachte Verfahren zum ersten Mal zur Anwendung. Es handelte sich um den Verlängerungsantrag der Regierung zur deutschen Unterstützung der Mission AMIS der Afrikanischen Union in Darfur/Sudan vom 4. Mai 2005341. Die Bundesregierung ist ihrer Verpflichtung gemäß § 7 i.V. m. 4 Abs. 1 Satz 2 ParlBG begründet darzulegen, warum sich die Rahmenbedingungen des Einsatzes seit dem Erstbeschluss nicht wesentlich verändert haben, mit recht
339
BVerwGE 57, 130 (139 f.). Einbezogen ist die Staatspraxis bis 31. Dezember 2008. 341 Antrag der Bundesregierung in BT-Drs. 15/5423 vom 04.05.2005; Zustimmung des Bundestages durch Fristablauf am 12. Mai 2005, BT-PlenProt. 15/176 vom 13.05. 2005, S. 16664 C. 340
222
3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
knapp und allgemein gehaltenen Formulierungen nachgekommen342. Zudem wurden die Zusatzausgaben für die sechsmonatige Verlängerung beziffert. Da keine Fraktion bzw. kein fünf vom Hundert der Abgeordneten eine Plenardebatte forderten, wurde die Zustimmung des Bundestages durch Fristablauf zum 12. Mai 2005 fingiert. Dokumentiert wurde die Zustimmung als amtliche Mitteilung in einer Anlage zum Plenarprotokoll vom 13. Mai 2005343. b) Erste Verlängerung UNMIS (September 2005) Am 21. September 2005 hat die Bundesregierung die Fortsetzung des zweiten Sudan-Einsatzes der Bundeswehr beschlossen und sodann im vereinfachten Verfahren um parlamentarische Zustimmung gebeten344. Ähnlich zum vorstehenden Antrag zur AMIS-Verlängerung schildert die Bundesregierung den bisherigen (innen-)politischen Verlauf im Sudan und schlussfolgert hieraus, dass ein weiteres Engagement der Bundeswehr unter gleichen militärischen Vorzeichen angezeigt sei. Keine Fraktion wiedersprach der angestrebten Zustimmung im vereinfachten Verfahren, so dass sie mit Wirkung zum 2. Oktober 2005 fingiert wurde. c) Zweite Verlängerung AMIS (November/Dezember 2005) Ende November 2005 sollte nach dem Willen der Regierung auch die zweite Verlängerung der deutschen Unterstützung für AMIS im vereinfachten Verfahren erfolgen345. Die Begründung liest sich als wortgleiche Wiederholung der entsprechenden Formulierungen des ersten Verlängerungsantrages vom Mai 2005. In der nunmehr 16. Wahlperiode des Bundestages verweigerten sich jedoch die Fraktionen von Bündnis90/Die Grünen und der neueingezogenen Linken dem Regierungsansinnen und beantragten eine Befassung des Plenums346. Das Plenum wiederum überwies ohne Aussprache am 14. Dezember 2005 den Antrag zur Beratung in die Ausschüsse347. Dem Grundverfahren entsprechend sprach der federführende Auswärtige Ausschuss eine Beschlussempfehlung an
342 „Die logistische Unterstützung der AU-Mission durch die Bundeswehr mit Lufttransport kann vor dem Hintergrund konstanter Rahmenbedingungen – insbesondere der unveränderten Sicherheitslage und dem weiterhin bestehenden Unterstützungsbedarf der AU-Mission – mit den im Beschluss der Bundesregierung (. . .) aufgeführten militärischen Kräfteumfängen und Fähigkeitskategorien unverändert gewährleistet werden“, BT-Drs. 15/5423 vom 04.05.2005, S. 3. 343 BT-PlenProt. 15/176 vom 13.05.2005, S. 16664 C. 344 BT-Drs. 15/5997 vom 24.09.2005. 345 BT-Drs. 16/100 vom 29.11.2005. 346 BT-Drs. 16/268 vom 15.12.2005. 347 BT-PlenProt. 16/7 vom 14.12.2005, S. 355 B.
D. Abstufung der Parlamentsmitwirkung nach Art
223
das Plenum aus348, und der Haushaltsausschuss äußerte sich gem. 96 GOBT in einer separaten Stellungnahme zu den Kosten des weiteren Militärengagements349. Beraten wurde der Fortsetzungsantrag zudem im Rechts- und Verteidigungsausschuss, sowie in den Ausschüssen für Menschenrechte und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Der Vertreter der Fraktion der Linken, der Abgeordnete Paech, begründete die Beantragung der Bundestagsbefassung in der am 16. Dezember 2005 folgenden Plenardebatte damit, „dass jeder außenpolitisch relevante Einsatz der Bundeswehr hier diskutiert werden muss. Wir wollen keine Vorratsbeschlüsse“ 350. Eine offizielle Stellungnahme von Bündnis90/Die Grünen zu ihrer Weigerung, den Einsatz im vereinfachten Verfahren zu verlängern, unterblieb hingegen351. Das Parlament beschloss noch am selben Tage die Verlängerung der militärischen Unterstützung der AU-Mission AMIS bis zum 2. Juni 2006352. d) Zweite Verlängerung UNMIS (März/April 2006) Auch der vierte Regierungsantrag353 einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte im vereinfachten Verfahren billigen zu lassen scheiterte. Die Fraktion der Linken widersprach dem Regierungsansinnen, so dass die zweite Missionsverlängerung zu UNMIS am 30. März 2006 vor das Plenum getragen wurde. Dieses überwies die Einsatzvorlage ohne Aussprache an die zuständigen Ausschüsse354. Am 7. April 2006 stimmte es der Verlängerung des deutschen Engagements im Rahmen der VN-Mission im Sudan für weitere sechs Monate zu355. e) Dritte Verlängerung AMIS (Mai 2006) Erst der fünfte Regierungsantrag, über einen Verlängerung eines Bundeswehreinsatzes im vereinfachten Verfahren zu entscheiden, führte wieder zum Erfolg. Dem Antrag vom 17. Mai 2006 auf Zustimmung zur nunmehr dritten Verlän-
348
BT-Drs. 16/268 vom 15.12.2005. BT-Drs. 16/269 vom 15.12.2005. 350 BT-PlenProt. 16/9 vom 16.12.2005, S. 596 A. 351 Auf Nachfrage des Verfassers bei Fraktionsmitgliedern von Bündnis90/Die Grünen äußerten diese lediglich, dass es Sache des Plenums sei, über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte zu entscheiden. Dies steht in seltsamem Widerspruch zu der von Bündnis90/Die Grünen mitgetragenen Gesetzesbegründung des vereinfachten Verfahrens. 352 BT-PlenProt. 16/9 vom 16.12.2005, S. 603 C. 353 BT-Drs. 16/1052 vom 24.03.2006. 354 BT-PlenProt. 16/29 vom 30.03.2006, S. 2370 A. 355 BT-PlenProt. 16/33 vom 07.04.2006, S. 2778 D. 349
224
3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
gerung der deutschen Beteiligung an AMIS356 wurde durch Fiktion am 26. Mai 2006 zugestimmt. Auffallend ist, dass die Zustimmung erstmals in einer Bundestagsdrucksache dokumentiert wurde357. f) Dritte Verlängerung UNMIS (Oktober 2006) Auch der Regierungsantrag zur vierten358 Verlängerung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte im Rahmen der Mission UNMIS359 durchlief das vereinfachte Verfahren und erfuhr am 17. Oktober 2006 die (fingierte) Zustimmung. Die Zustimmung wurde nicht mehr als eigene Bundestagsdrucksache dokumentiert, sondern in einer Anlage zum Plenarprotokoll360. Zuvor hatte die Fraktion die Linke dem Bundestagspräsidenten mitgeteilt, dass sie zwar weiterhin die deutsche Beteiligung an UNMIS ablehne, aber auf eine Plenumbefassung verzichte361. g) Vierte Verlängerung AMIS (November/Dezember 2006) Der vierte Verlängerungsantrag für die deutsche Beteiligung an AMIS362 wurde am 15. Dezember 2006 im Plenum debattiert363 nach dem die Fraktion von Bündnis90/Die Grünen dieses verlangte364. Weder während der Debatte noch an anderer Stelle ließ die bündnisgrüne Fraktion verlautbaren, weshalb sie entgegen des dritten Verlängerungsantrags vom 17. Mai 2006 nunmehr eine Plenumbefassung für erforderlich hielt365. Erstmals in einem im vereinfachten Verfahren begehrten Zustimmungsgesuch sicherte die Bundesregierung zu, den Bundestag vor Ablauf des ersuchten Verlängerungszeitraums dann erneut zu befassen, wenn eine inhaltliche Änderung 356
BT-Drs. 16/1508 vom 17.05.2006. BT-Drs. 16/1609 vom 26.05.2006. 358 Der dritte Verlängerungsantrag (BT-Drs. 16/2700 vom 23.09.2006) wurde von der Bundesregierung im Grundverfahren gestellt. Hintergrund dieses nur auf 14 Tage Mandatsdauer bezogenen Verlängerungsantrags war die unklare internationale Lage, siehe Bundesverteidigungsminister Jung BT-PlenProt. 16/54 vom 28.09.2006, S. 5230 Cff. 359 BT-Drs. 16/2900 vom 07.10.2006. 360 BT-PlenProt. 16/58 vom 20.10.2006, S. 5755 A. 361 BT-PlenProt. 16/58 vom 20.10.2006, S. 5755 B. 362 BT-Drs. 16/3652 vom 30.11.2006. 363 BT-PlenProt. 16/74 vom 15.12.2006, S. 7436 Bff. 364 Vgl. die Ausführungen im beschlussempfehlenden Bericht des Auswärtigen Ausschusses BT-Drs. 16/3845 vom 14.12.2006, S. 2. 365 Entsprechende Nachfragen des Verfassers bei Fraktionsmitgliedern von Bündnis90/Die Grünen wurden wiederum in allgemein gehaltenen Formulierungen beschieden. 357
D. Abstufung der Parlamentsmitwirkung nach Art
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der völkerrechtlichen Grundlagen der deutschen Beteiligung an AMIS erfolgen sollte366. Hintergrund war, dass der VN-Sicherheitsrat am 31. August 2006 die Resolution 1706 verabschiedete, die eine Überführung der AU-geführten Mission AMIS in eine VN-Mission bis zum Jahresende 2006 vorsieht. Die sudanesische Regierung ist der Aufforderung des VN-Sicherheitsrat, dieser Überführung zuzustimmen, bis zum Zeitpunkt der Antragstellung der Bundesregierung nicht nachgekommen, so dass die Bundesregegierung davon ausging, dass eine AU-geführte Mission AMIS auch über den 31. Dezember 2006 wahrscheinlich sei367. h) Fünfte Verlängerung UNMIS (März/April 2007) Ende März 2007 stellte die Bundesregierung den Antrag368 die UNMIS-Beteiligung im vereinfachten Verfahren um ein weiteres halbes Jahr zu verlängern. Gleichzeitig sicherte sie ebenso zu, das Parlament vor Ablauf dieses Zeitraums dann erneut zu befassen, „wenn der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sein Mandat in einer Weise ändert, die für Einsatzrahmen und Aufgaben der eingesetzten deutschen Kräfte von Bedeutung ist“. Sollte der Sicherheitsrat wider Erwarten das UNMIS-Mandat nicht verlängern, so sollte das Bundestagsmandat automatisch enden. Der Antrag wurde entgegen dem Ansinnen der Bundesregierung in das Plenum eingebracht und am 25. April 2007 ohne Aussprache in die Ausschüsse verwiesen369. Zwei Tage später stimmte der Bundestag zu370. i) Fünfte Verlängerung AMIS (Mai/Juni 2007) Ähnlich wie das zwei Monate vorangegangene Zustimmungsverfahren zu UNMIS verlief auch das zur Verlängerung der deutschen Beteiligung an AMIS. Die Bundesregierung wollte durch Antrag vom 23. Mai 2007 einen Beschluss im vereinfachten Verfahren herbeiführen371, was aufgrund des Widerspruchs der LINKEN nicht gelang. Der Bundestag hat den Antrag drei Wochen später in erster Lesung beraten und in die Ausschüsse verwiesen372 und am folgenden Tag zugestimmt373.
366 367 368 369 370 371 372 373
BT-Drs. 16/3652 vom 30.11.2006, S. 1 Nr. 2. Vgl. BT-Drs. 16/3652 vom 30.11.2006, S. 3. BT-Drs. 16/4861 vom 28.03.2007. BT-PlenProt. 16/93, S. 9423 A. BT-PlenProt. 16/95 vom 27.04.2007, S. 9715 C. BT-Drs. 16/5436 vom 23.05.2007. BT-PlenProt. 16/102 vom 13.06.2007. BT-PlenProt. 16/103 vom 14.06.2007, S. 10617 D.
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
5. Bewertung des vereinfachten Verfahrens a) Vereinfachtes Verfahren in praxi Wenn Peter Dreist mit Blick auf das vereinfachte Verfahren vorhersagt, dass es für die Praxis keinerlei Erleichterungen bringen werde374, lässt sich diese scharfe Prognose anhand der bisherigen Übung nicht belegen. Von den dargestellten, bislang neun Anträgen der Bundesregierung einem bewaffneten Einsatz der Streitkräfte ohne Plenumbefassung zuzustimmen, gelangten immerhin fünf ohne das aufwendige Grundverfahren zur Zustimmung. Doch darf nicht übersehen werden, dass es sich hierbei um reine Verlängerungsbeschlüsse nach § 7 ParlBG und um keine Erstbeschlüsse zu Einsätzen geringer Intensität und Tragweite i. S. des § 4 Abs. 2, 3 ParlBG handelte. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass bislang keine für eine Behandlung als Einsatz geringer Intensität und Tragweite in Betracht kommende Bundeswehrentsendung zur Entscheidung stand. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz harrt hier noch eines Praxistests. Auch wenn die Staatspraxis zum vereinfachten Verfahren noch nicht reichhaltig sein kann, fällt doch auf, dass der Begründungszwang für die Bundesregierung keinen allzu großen argumentativen Aufwand bedeutet. Dass sich die Regierung mit knapp gehaltenen Berichten über den bisherigen Verlauf der Missionen und der Lage vor Ort begnügt, vermag wenig zu überraschen. Aber auch die Abgeordneten fühlen sich als Adressaten der Regierungsausführungen offenbar hinreichend darüber informiert, warum sich die Rahmenbedingungen des zugrundeliegenden Einsatzes nicht wesentlichen geändert haben sollen. Unbefriedigend für die weitere Staatspraxis könnte sich aber auswirken, dass das vereinfachte Verfahren dann keine Erleichterung bedeutet, wenn eine Fraktion beantragt, das Plenum zu befassen375. Ein derartiger Antrag löst das schwerfällige Grundverfahren samt Ausschussbefassungen aus. Bereits der dritte Antrag der Regierung über einen Einsatz im vereinfachten Verfahren zu entscheiden, wurde im parlamentarischen Bereich abgelehnt. Zumindest bei der Verabschiedung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes war noch von einer strikten, kompromisslosen Ablehnung militärischer Operationen seitens der Fraktion der
374
Ders., ZG 2004, 39 (49, 60 f.). Dieser Gefahr unterliegt auch der dem vereinfachten Verfahren sehr ähnliche Lösungsvorschlag von Spies, in: Fischer et al. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Fleck (2004), S. 531 (554). Hiernach soll im Parlamentsbeteiligungsgesetz zunächst eine allgemeine, regelhafte Geltungsfrist für konstitutive Bundestagsbeschlüsse formuliert werden. Die regelmäßige Rechtsfolge bei sich abzeichnendem Ablauf des aktuellen Mandats solle darin bestehen, dem Bundestag bzw. einer qualifizierten Minderheit eine Antragsbefugnis auf eine konstitutive Befassung einzuräumen. Würde das Antragsrecht nicht in Anspruch genommen werden, verlängere sich die Zustimmung wiederum um die gesetzliche Regelfrist. 375
D. Abstufung der Parlamentsmitwirkung nach Art
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Linken auszugehen376, doch zeigt sich in allerjüngster Zeit eine Tendenz, dass sie sich gegenüber Regierungsanträgen im vereinfachten Verfahren nicht mehr regelmäßig verweigern wird377. Andererseits ist auch das Verhalten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in Fragen des vereinfachten Verfahrens nicht konsistent. Warum sie in zwei Verlängerungsverfahren die Plenumbefassung für erforderlich ansah, aber im Rahmen der gleichen Mission zuvor und auch danach das vereinfachte Verfahren wiederum billigte, bleibt auf Grund fehlender offizieller Stellungnahmen unklar. Diese mit dem vereinfachten Verfahren nach § 4 Abs. 1 Satz 3 ff. ParlBG verbundenen Unsicherheiten sind geeignet, die angestrebten Erleichterungen erheblich zu behindern. Das Quorum für eine Plenumbefassung zu erhöhen, etwa auf ein Drittel der Abgeordneten, mag hier eine Lösung sein, die auch mit dem parlamentarischen Minderheitenschutz in Einklang zu bringen wäre. Die Unsicherheiten im Rahmen des vereinfachten Verfahrens können aufgrund der gewählten Antragsfrist dann auch bis zu sieben Tagen andauern. Zudem ist diese Frist von sieben Tagen für Krisenfälle, „die keinen Aufschub dulden“ 378 wenig geeignet. Dies gilt umso mehr, als dass das Parlamentsbeteiligungsgesetz nicht regelt, wann es nach einem Antrag einer Fraktion oder vom fünf von Hundert der Abgeordneten zu einer konstitutiven Befassung des Plenums kommen soll379. Auch der neue, mit Blick auf das Parlamentsbeteiligungsgesetz erlassene § 96a GOBT schweigt sich hierzu aus, obwohl dieser materiell-rechtlich eine solche Regelung durchaus hätte treffen können. Tatsächlich dauerte es bei der zweiten Missionsverlängerung AMIS/Darfur, deren Zustimmung im vereinfachten Verfahren gescheitert ist, dann auch insgesamt 17 Tage, bis das Parlament einen verbindlichen Beschluss im Sinne des Regierungsantrages fasste380. Dem Sinn der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung kann diese Zeitdauer wohl kaum entsprechen.
376 Die Abg. Lötzsch (Die Linke) stellte dann auch in der ersten Beratung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes in Aussicht, „dass die PDS-Fraktion 2006 im Bundestag jeden Antrag auf Einsatz der Bundeswehr aus dem vereinfachten Zustimmungsverfahren herausholen und auf die Tagesordnung setzen wird“, dies., BT-PlenProt. 15/100 vom 25.03.2004, S. 8990 C. 377 Vgl. das Schreiben des Fraktionsvorsitzenden Gysi an den Bundestagspräsidenten, BT-PlenProt. 16/58 vom 20.10.2006, S. 5755 B. 378 Gerade für solche Fälle hat das Bundesverfassungsgericht eine Abstufung des parlamentarischen Verfahrens angeregt, vgl. BVerfGE 90, 286 (389). 379 Dreist, ZG 2004, 39 (60 f.). 380 Regierungsantrag am 29.11.2005 (BT-Drs. 16/100), Zustimmung des Bundestages am 16.12.2005 (BT-PlenProt. 16/9, S. 603 C).
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
b) Vereinfachtes Verfahren und verfassungsgerichtliche Anforderungen In der Literatur wird zumeist ohne nähere Begründung von der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des vereinfachten Verfahrens ausgegangen381. Nicht thematisiert wird vor allem, dass das Bundesverfassungsgericht sowohl an den einzelnen parlamentarischen Zustimmungsvorgang, als auch an die geforderte verfahrensrechtliche Kodifizierung Mindestanforderungen gestellt hat382. So hebt es ausdrücklich hervor, dass der Bundestag über Einsätze bewaffneter Streitkräfte nach Maßgabe des Art. 42 Abs. 2 GG zu beschließen habe und dass der Beschluss, „so es die Lage irgend erlaubt, (. . .) in den zuständigen Ausschüssen vorbereitet und im Plenum des Bundestages erörtert wird“.383
Sowohl die Vorbereitung in den Ausschüssen, als auch die Erörterung im Plenum entfallen jedoch im vereinfachten Verfahren nach § 4 Abs. 1 ParlBG. Dieser Widerspruch wird auch in Zusammenschau mit der Anregung des Bundesverfassungsgerichts, „Form“ und „Ausmaß“ der parlamentarischen Mitwirkung abzustufen384, nicht entscheidend abgeschwächt, da der statuierten Erörterungspflicht eine besondere Relevanz zukommt, die sie einer Relativierung wenig zugänglich macht. Diese Relevanz beruht auf dem Grundgedanken, wonach ein Mindestmaß an parlamentarischer Erörterung gegeben sein muss, um den gewünschten Legitimationseffekt zu erzielen385. Andauernde Auslandseinsätze, sowie Militärmissionen kleineren Umfangs können aber durch das vereinfachte Verfahren einer öffentlichen Debatte entzogen werden386. Das Bundesverfassungsgericht will hingegen die parlamentarische Erörterungspflicht nicht einer Relativierung ausgesetzt sehen, was im Hinblick auf das durchaus denkbare Argument wichtig werden kann, wonach das dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt zugrundeliegende demokratische Prinzip auch gerade gegen eine extensive Auslegung des Vorbehaltsgedankens angeführt werden könnte. 381 Siehe nur Burkiczak, Verwaltungsrundschau 2005, 289 (291); Wiefelspütz, NVwZ 2005, 496 (499). 382 „Der verfassungsrechtlich geforderte Parlamentsvorbehalt gilt ungeachtet näherer gesetzlicher Ausgestaltung unmittelbar kraft Verfassung. Bundesregierung und Bundestag haben daher bis zum Erlass eines Gesetzes, das eine förmliche parlamentarische Beteiligung an der Entscheidung über militärische Einsätze deutscher Streitkräfte näher ausgestaltet, nach Maßgabe der bereits (. . .) dargestellten Anforderungen zu verfahren,“ BVerfGE 90, 286 (390). 383 BVerfGE 90, 286 (388). 384 BVerfGE 90, 286 (389). 385 Baldus, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06. 2004, S. 39 (74). 386 Dieses kritisiert auch F. Schröder, NJW 2005, 1401 (1403).
D. Abstufung der Parlamentsmitwirkung nach Art
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Eine Beschränkung des Plenums auf Grundsatzentscheidungen erleichtert ihm nämlich die Wahrnehmung seiner ihm aus der Verfassung zugewiesenen Aufgaben und stärkt damit seine Stellung. Bei einer Überlastung der Parlamentarier ist eine unreflektierte Zustimmung jedenfalls der Mehrheitsfraktion zu Regierungsvorhaben angesichts der über einen sachkundigen Expertenstab verfügenden Ministerialbürokratie nicht auszuschließen. Diesen möglichen Argumenten hat das Bundesverfassungsgericht im Bereich der Auslandseinsätze jedoch einen Riegel vorgeschoben, in dem es eine parlamentarische Erörterungspflicht statuierte. Auch die Annahme, dass durch das vereinfachte Verfahren lediglich die förmliche Zustimmung durch eine konkludente ersetzt wird, erscheint zu einfach387. Die Erklärungsfiktion mag zwar formalrechtlich als „normiertes Schweigen“ Bestand haben, doch sind Zweifel angebracht, ob in der Parlamentspraxis das Schweigen der Abgeordneten stets ein „beredtes Schweigen“ ist. Durch die Verteilung des (Verlängerungs-)Antrags als Drucksache sind dem einzelnen Abgeordneten die Parameter des Einsatzes zwar zugänglich; ob der Abgeordnete diese Möglichkeit wahrnimmt, den Einsatz zur Kenntnis nimmt und sich mit ihm auseindersetzt, steht indes auf einem anderen Blatt. Es kann die verschiedensten Gründe geben, warum dies nicht geschieht. Der gewünschte Legitimationseffekt bleibt dann notgedrungen aus. Eine schlichte Nicht-Reaktion nach Zeitablauf als Zustimmung zu fingieren, ist nach allem unbefriedigend388. c) Zwischenergebnis Eine Verschlankung des Zustimmungsverfahrens durch die fingierte Billigung nach § 4 Abs. 1 Satz 3 ff. ParlBG wird den bundesverfassungsrichterlichen Vorgaben an die parlamentarische Beschlussvorbereitung und -fassung nicht gerecht. Das vereinfachte Verfahren befriedigt weder verfassungsrechtlich noch 387 So aber H. H. Klein, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 93 (98); allgemein zu den Grenzen gesetzlicher Fiktionen Schneider, Gesetzgebung (2002), Rndr. 368 ff. 388 So auch F. Schröder, NJW 2005, 1401 (1403); Baldus, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 39 (73 f.); Schmidt-Radefeldt, Parlamentarische Kontrolle der internationalen Streitkräfteintegration (2005), S. 161; Rau, AVR 44 (2006), 93 (102 f.). Nach Meyer, HSFK-Reports 4/2004, S. 37 ist das vereinfachte Verfahren weder der Mühe angemessen, die die Soldaten in diesen Einsätzen leisten, noch werde es dem Anspruch des Steuerzahlers gerecht, dass das Parlament prüfe, ob die für einen Einsatz aufgewandten Mittel auch sachgerecht verwendet werden. Die Kosten der Auslandseinsätze lagen in den Jahren 2000 bis 2007 jährlich zwischen rund 1,5 Mrd. und rund 0,9 Mrd. Euro, vgl. die Antwort der Bundesregierung in BT-Drs. 16/10692 vom 22.10.2008, S. 2.
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
-wirklich. Angesichts solcher Problematiken wird auch verständlich, warum in der dem Parlamentsbeteiligungsgesetz vorausgehenden wissenschaftlichen Diskussion eine Verfahrensabstufung bei Bundeswehreinsätzen geringerer Tragweite mittels einer fingierten Zustimmung erst gar nicht erörtert wurde.
III. Einsatzausschuss als mögliche Alternative de lege ferenda 1. Parlamentsheer als Ausschussheer? Aufgrund der Anregungen des Bundesverfassungsgerichts, für bestimmte Einsatzszenarien eine Abstufung der parlamentarischen Mitwirkung zu kodifizieren, ist in der rechtswissenschaftlichen389 und politischen Diskussion390 – dort vor allem durch die FDP-Fraktion391 – eine einfachgesetzliche Delegation auf einen Ausschuss gefordert worden392. Wahlweise bzw. additiv soll dieses Gremium anstelle des Plenums über Einsätze geringer Bedeutung, geheimhaltungsbedürftige Einsätze, bei Gefahr im Verzug oder über Einsätze der Bundeswehr in integrierten NATO- bzw. EU-Verbänden entscheiden. Einige Stimmen möchten die Entscheidungskompetenz dem bereits bestehenden Auswärtigen oder dem Verteidigungsausschuss zugestehen393, andere dem Gemeinsamen Ausschuss nach Art. 53a GG394 und wieder andere befürworten eine Delegation an ein neu zu errichtendes Gremium395. Gemein ist den entsprechenden Über389
Bereits bei Nolte, ZaöRV 54 (1994), 652 (679 f.) finden sich erste Überlegungen zu einer Ausschuss-Lösung; nachfolgend Kreß, ZaöRV 57 (1997), 329 (357 f.); Dreist, NZWehrr 2002, 133 (144, 151 f.); ders., KritV 2004, 79 (102); Epping, AöR 124 (1999), 423 (456 f., 679 f.); Burkiczak, ZRP 2003, 82 (85); Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte (2003), S. 70 ff.; ders., Jura 2004, 292 ff.; ders., Das Parlamentsheer (2005), S. 499 ff. 390 Entwurf für ein Eckpunktepapier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (Stand: 11.11.2003), Ziff. VI.; Abg. Schockenhoff (CDU), BT-PlenProt. 15/73 vom 07.11. 2003, S. 6292 B. 391 BT-Drs. 15/1985 vom 12.11.2003; Näheres unten. 392 Schaefer, Verfassungsrechtliche Grenzen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes (2005), S. 300, weist darauf hin, dass entsprechende Überlegungen im hier einschlägigen Bereich des Wehrverfassungsrechts schon sehr viel früher, noch unter Geltung des alten Art. 59a Abs. GG von Willms, Parlamentarische Kontrolle und Wehrverfassung (1959), S. 164 angestellt wurden. Willms dachte an eine Übertragung der parlamentarischen Feststellungskompetenz, dass der Verteidigungsfall eingetreten ist, auf den Verteidigungsausschuss, da dieser erheblich schneller einberufen werden könne als der Bundestag und damit der modernen Kriegsführung entsprochen würde. 393 Vgl. das Positionspapier der Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen vom 03.11.2003 unter Ziff. 2.5; Abg. Arnold (SPD), zit. nach: Der Spiegel vom 28.03. 2003, ,Kompetenzgerangel um Entsendegesetz‘. 394 Etwa Epping, AöR 124 (1999), 423 (456). 395 Vgl. den aus der Mitte des Bundestages zu wählenden „Ausschuss für besondere Auslandseinsätze“ in § 5 des FDP-Entwurfs sowie den Entwurf für ein Eckpunktepapier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (Stand: 11.11.2003), Ziff. VI.
D. Abstufung der Parlamentsmitwirkung nach Art
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legungen wiederum, dass es dem Parlament einerseits ermöglicht werden soll, seine knappen Ressourcen auf die bedeutsamen Bundeswehreinsätze zu konzentrieren und andererseits den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt an neue bündnis- und militärstrategische Herausforderungen anzupassen. Zudem sollen mit Hilfe des Einsatzausschusses bisherige Verfahren, die informell funktionieren aber keiner Rechtsverbindlichkeit unterliegen – wie z. B. die Information von Obleuten, Fraktionsvorsitzenden etc. – künftig obsolet werden396. Zumeist wird bei den Forderungen nach einem Einsatzausschuss unkritisch unterstellt, die Einrichtung eines entscheidungsbefugten Ausschusses bewege sich im Rahmen der vom Bundesverfassungsgericht zugestandenen Ausgestaltungsbefugnis397. Auf die ausdrücklich in der Out-of-area-Entscheidung statuierten Mindestanforderungen an das parlamentarische Zustimmungsverfahren verwenden diese Stimmen kein Interesse. Die Forderungen nach einem Einsatzgremium gehen – wenn auch zumeist unausgesprochen – von dem zutreffenden Befund aus, dass sich der Bundestag immer mehr von einem Rede- zu einem Arbeitsparlament entwickelt. Während im Redeparlament das Plenum die zentrale Rolle einnimmt, verlagern sich im Arbeitsparlament Macht und Arbeit in die Ausschüsse. Die beständig wachsende Komplexität politischer Entscheidungen drängt zur Spezialisierung der einzelnen Abgeordneten und zur Arbeitsteilung im Parlament. Für die Parlamentausschüsse bedeutet dies einen wesentlichen Aufgaben- und Bedeutungszuwachs; nach Interessen und Qualifikationen besetzt, können sie der unumkehrbaren Entwicklung der Verwissenschaftlichung der Politik eher gerecht werden. Die fachliche Entscheidungskompetenz eines Gremiums ist deshalb dem Plenum regelmäßig überlegen. Sollen fundierte Entscheidungen erzielt werden, mag eine Delegation funktional sogar geboten erscheinen398. Denn – so das Bundesverfassungsgericht in seiner Pershing-Entscheidung vom 18. Dezember 1984 unter Warnung vor einem allumfassenden Parlamentsvorbehalt – für staatliche Entscheidungen kommt es nicht nur auf ein Höchstmaß an demokratischer Legitimation an, sondern vor allem darauf, dass sie „möglichst richtig, d.h. von den Organen getroffenen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen“ 399.
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Dreist, KritV 2004, 79 (102). Nähere Untersuchungen finden sich nur bei Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte (2003), S. 70 ff.; ders., Jura 2004, 292 ff.; ders., Das Parlamentsheer (2005), S. 499 ff.; Schmidt-Radefeldt, Parlamentarische Kontrolle der internationalen Streitkräfteintegration (2005), S. 199 ff. und F. Schröder, Das parlamentarische Zustimmungsverfahren (2005), S. 212 ff. 398 Vgl. Kasten, DÖV 1985, 222 (224). 399 BVerfGE 68, 1 (86). 397
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
Anerkannte Grenze dieser an organadäquaten Kriterien ausgerichteten Interpretation ist indes der Wortlaut des Grundgesetztextes. Soweit die Verfassung dem Bundestag Aufgaben zuweist, ist nach überwiegender Ansicht das Plenum gemeint400. In diesem Falle können Ausschüsse nicht anstelle des Plenums tätig werden, es sei denn, dass die Aufgabenübertragung wiederum ausdrücklich im Grundgesetz erfolgt. Hintergrund dieser Überlegungen bildet der Funktionswandel des (allgemeinen) Parlamentsvorbehaltes, der historisch auf einer Abschichtung des strengen konstitutionellen Dualismus beruht, in der parlamentarischen Demokratie aber über eine reine Befugnis zur Beschränkung exekutiver Machtvollkommenheit hinausreicht und eine Pflicht zur parlamentarischen Sachentscheidung statuiert. In diesem Sinne sind dem Plenum u. a. vorbehalten401, die Gesetzgebung (Art. 77, 121 GG), die Bundeskanzlerwahl (Art. 63 Abs. 1 und 2, 121 GG), das Misstrauens- und Vertrauensvotum (Art. 67, 68, 121 GG), die Bundespräsidentenanklage (Art. 61 Abs. 1, 121 GG), der Geschäftsordnungserlass (Art. 40 Abs. 1 GG), der Ausschluss der Öffentlichkeit (Art. 42 Abs. 1 GG), Vertragsgesetze (Art. 59 Abs. 2 GG) und die Feststellung des Verteidigungsfall (Art. 115a Abs. 1 GG). Die nachfolgenden Untersuchungsschritte sollen zeigen, inwieweit diese dem Plenum vorbehaltenen Kompetenzen um den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt zu bereichern sind. 2. Bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung a) Verhältnis zwischen Plenum und Ausschüssen In seiner Out-of-area-Entscheidung äußert sich das Bundesverfassungsgericht nicht explizit, ob die parlamentarischen Mitwirkungsrechte am Auslandseinsatz der Bundeswehr auf einen Ausschuss delegiert werden können. Es führt jedoch aus: „Der verfassungsrechtlich geforderte Parlamentsvorbehalt gilt ungeachtet näherer gesetzlicher Ausgestaltung unmittelbar kraft Verfassung.“402 „Der Bundestag hat über Einsätze bewaffneter Streitkräfte nach Maßgabe des Art. 42 Abs. 2 GG zu beschließen.“403
Demnach folgt das Zustimmungserfordernis des Bundestages – und damit des Plenums – aus der Verfassung selbst. Grundsätzlich können diese Kompetenzen 400 Vgl. die Nachweise bei Brunhöber/Hasselbach, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Fachbereich WF III, Nr. 162/01 vom 15.01.2002. 401 Vgl. hierzu ausführlich Schwerin, Der deutsche Bundestag als Geschäftsordnungsgeber (1997), S. 169 ff. 402 BVerfGE 90, 286 (390) – Hervorhebung nicht im Original; vgl. auch BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 53. 403 BVerfGE 90, 286 (388) – Hervorhebung nicht im Original.
D. Abstufung der Parlamentsmitwirkung nach Art
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daher nur mittels Verfassungsänderung einem Gremium übertragen werden404. Überdies verlangt das Bundesverfassungsgericht nicht etwa eine schlichte Befassung, sondern – wie im Rahmen der gesetzgebenden Parlamentstätigkeit – eine Entscheidung der Mehrheit der Abgeordneten. Das Gericht hat das Verhältnis zwischen Plenum und Ausschüssen im konstitutiven Zustimmungsverfahren bereits definiert, wenn es ausführt: „Der Bedeutung des zu fassenden Beschlusses wird es, so es die Lage irgend erlaubt, entsprechen, dass er in den zuständigen Ausschüssen vorbereitet und im Plenum des Bundestages erörtert wird.“ 405
Das Bundesverfassungsgericht gesteht in hiesiger Konstellation den Ausschüssen lediglich eine das Plenum unterstützenden Funktion zu. Verstärkend kommt hinzu, dass diese Aussage ausdrücklich als verfassungsrechtliche Mindestanforderung an das parlamentarische Zustimmungsverfahren und als Grenze für den einfachen Gesetzgeber formuliert wird406. Eine einfachgesetzliche Kompetenzdelegation ist daher schon nach dem Wortlaut der Out-of-area-Entscheidung grundsätzlich ausgeschlossen. b) Demokratische Fundierung des Parlamentsvorbehaltes Mit Blick auf Sinn und Zweck des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes fällt dieser Befund noch deutlicher aus. Das Bundesverfassungsgericht stellt höchste Anforderungen an die demokratische Legitimation eines Einsatzes bewaffneter Streitkräfte. Als Legitimationsquelle für die Einsatzentscheidung reicht ein Beschluss der ebenfalls demokratisch legitimierten Bundesregierung nicht aus; vielmehr muss der unmittelbar vom Volk gewählte Bundestag die Einsatzentscheidung der Bundesregierung mittragen407. Dadurch ist der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt nicht nur als parlamentarisches Recht, sondern auch und gerade als Pflicht zu verstehen, dies mit der gebotenen Sorgfalt und unter Abwägung aller einsatzrelevanten Umstände zu tun408. Da
404 So auch Brunhöber/Hasselbach, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Fachbereich WF III, Nr. 162/01 vom 15. 01.2002. 405 BVerfGE 90, 286 (388) – Hervorhebung nicht im Original; ähnlich schon UNOSOM II – BVerfGE 89, 38 (47): „Der Bedeutung der (. . .) zu treffenden Entscheidung entspräche es, wenn der vom Bundestag zu fassende Beschluss in den zuständigen Ausschüssen vorbereitet und im Plenum des Bundestages erörtert würde.“ – Hervorhebung nicht im Original. 406 BVerfGE 90, 286 (389). 407 Baldus, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 39 (51). 408 Schmidt-Radefeldt, Parlamentarische Kontrolle der internationalen Streitkräfteintegration (2005), S. 172.
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
die Legitimität parlamentarischer Entscheidungen nicht nur durch das Entscheidungsergebnis, sondern in erheblichem Maße durch das Entscheidungsverfahren vermittelt wird, sind der Auslagerung entsprechender Kompetenzen enge Grenzen gesetzt. Das Verfahren in Ausschussberatungen kann das unter den Augen der Öffentlichkeit stattfindende Deliberations- und Ausgleichsverfahren des Plenums insoweit nicht ersetzen. Dies gilt insbesondere für parlamentarische Entscheidungsprozesse, die ein Spektrum von Argumenten wiederspiegeln sollen, welches nur im Parlamentsplenum seine Entsprechung findet. Inwieweit verschiedene Aspekte gerade beim Einsatz bewaffneter Streitkräfte berücksichtigen werden müssen, zeigt die Staatspraxis, in der bis zu sieben Ausschüsse die entsprechende Beschlussfassung im Plenum vorbereiten. Erst die freie Debatte im Parlament verbindet das rechtstechnische Beschlussverfahren zum Einsatz bewaffneter Streitkräfte mit einer substantiellen, auf die Kraft des Arguments gegründeten Willensbildung, die es dem demokratisch legitimierten Abgeordneten ermöglicht, die Verantwortung für seine Entscheidung zu übernehmen409. Auch das in Art. 42 Abs. 1 S. 1 i.V. m. Art. 20 Abs. 1 GG verankerte Publizitätsprinzip drängt zu einem Verbleib der parlamentarischen Entscheidungsbefugnis beim Plenum410. Der Grundsatz der Parlamentsöffentlichkeit ist elementare Voraussetzung für eine wirksame demokratische Kontrolle411. Auschüsse tagen in aller Regel jedoch nichtöffentlich, vgl. § 69 Abs. 1 GOBT. Diese Praxis deckt sich mit der überwiegenden Auffassung, wonach der Publizitätsgrundsatz nicht für Ausschusssitzungen gelte412. Berät hingegen das Plenum über einen anstehenden Auslandseinsatz ermöglicht dies der Allgemeinheit die Kenntnisnahme der zur Entscheidung anstehende Militäroperation, sowie der entsprechenden Auffassungen der verschiedenen politischen Strömungen. Hierdurch werden konstitutiven Beschlüsse an die Meinungsbildung der Gesellschaft rückgekoppelt. Die Berichterstattung in den Medien setzt Willensbildungsprozesse in der Bevölkerung in Gang, in deren Folge auf die Abgeordneten – etwa durch Eingaben betroffener Soldaten und deren Angehörigen oder durch Demonstrationen – eingewirkt wird. Die öffentliche Debatte sorgt dafür, dass die Abgeord409
Vgl. hierzu den Gauweiler-Beschluss, 2 BvE 1/05 bzw. 2 BvR 636/05. Wegen der mangelnden Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen spricht sich dann auch Röper, ZParl 2002, 239 (240) m.w. N. für ein Delegationsverbot von Plenaraufgaben aus. 411 Vgl. BVerfGE 40, 237 (240); 70, 324 (355); 84, 304 (329); Linck, ZParl 1992, 673 ff.; H. H. Klein, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. III (2005), § 50 Rndr. 4, 7, 42 ff. 412 Siehe nur BVerfGE 1, 144 (152); Pieroth, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.), GG (2006), Art. 42 Rndr. 1. Dieses Ergebnis resultiert aus der Systematik des Art. 42 GG. Während Abs. 3 GG ausdrücklich zwischen Ausschüssen und Bundestag unterscheidet, bezieht sich Abs. 1 nur auf den Bundestag. Hingegen fordert Magiera, in: Sachs (Hrsg.), GG (2003), Art. 45 Rndr. 7 für den Unionsausschuss die Öffentlichkeit der Sitzungen, weil der Ausschuss anstelle des Plenums tätig wird. 410
D. Abstufung der Parlamentsmitwirkung nach Art
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neten sich dem Für und Wider militärischer Einsätze stellen müssen und die Entscheidung nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit fällen können413. Ihr Votum für oder gegen Militär- und Kriegseinsätze entzöge sich ansonsten der allgemeinen Nachvollziehbarkeit414. Die AWACS II-Entscheidung führt in diesem Sinne aus, dass der „wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt (. . .) insoweit eine adäquate Organzuständigkeit gerade im Hinblick auf die Beteiligung der Opposition in freier parlamentarischer Debatte (sichert) und macht es damit auch der öffentlichen Meinung besser möglich, über die politische Reichweite des jeweiligen Einsatzes zu urteilen“.415
Parlamentsöffentlichkeit ist kein Selbstzweck. Besonders bei einer derart weitreichenden Entscheidung wie der über eine Auslandseinsatz, welche Konsequenzen für die gesamte Bundesrepublik, aber auch grundrechtsrelevante Folgen für die Soldaten haben kann, ist eine antizipierte öffentliche Kontrolle und eine Identifikation der Volksvertretung mit dem Beschluss notwendig416. Von dieser Grundkonstellation abweichend, kann eine Einschränkung der Öffentlichkeit durch ein dem Publizitätsgrundsatz gleichstarkes Gegenprinzip – etwa Geheimschutzinteressen – verfassungsrechtlich aber auch geboten sein. Allerdings muss grundsätzlich im Wege praktischer Konkordanz ein Ausgleich unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zwischen Geheimschutzinteressen und Publizitätsprinzip geschaffen werden417. Aber nicht nur das Verfahren der Ausschüsse, sondern auch ihre Zusammensetzung lässt offenbar werden, dass sie eine im Sinne des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes gesteigerte Legitimation nicht vermitteln können418. Zum einen sind Ausschüsse schon kein dem Plenum vergleichbares Abbild des Wählerwillens. Sie werden in der Regel nach Qualifikation und Interessen der Abgeordneten besetzt. Das in Art. 38 Abs. 1 GG als Ausfluss des Demokratieprinzips enthaltene Repräsentationsgebot findet in einem Ausschuss 413
Ähnlich Abg. Nachtwei (Bündnis90/Die Grünen), DVParl-Prot. vom 04.06.2003,
S. 20. 414 Dieser verfassungsrechtliche Befund muss unbeschadet der Verfassungswirklichkeit gelten, wonach im Einzelfall nicht ausgeschlossen werden kann, dass die konkrete parlamentarische Entscheidung nur eine formale Bestätigung der hinter verschlossenen Türen ausgehandelten Beschlüsse ist und die tatsächliche Transparenz des Beratungs-, Verhandlungs- und Entscheidungsprozesses daher nicht garantiert ist; immer noch lesenswerte klassische Kritik zum parlamentarischen System bei Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus (1923). 415 BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 71. 416 Brunhöber/Hasselbach, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Fachbereich WF III, Nr. 162/01 vom 15.01.2002. 417 BVerfGE 70, 324 (358). 418 Vgl zum Folgenden Brunhöber/Hasselbach, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Fachbereich WF III, Nr. 162/01 vom 15.01.2002.
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
keine Entsprechung. Zum anderen sind kleine Fraktionen unter- oder überrepräsentiert, was zu einer weiteren Verzerrung des Wählerwillens führt. Dadurch wird der in derselben Verfassungsvorschrift verankerte Wahlgrundsatz der Unmittelbarkeit berührt. Diese spezielle Ausprägung des Demokratieprinzips soll sicherstellen, dass der Wille des Souveräns nur einmal mediatisiert wird, und zwar durch die Gesamtheit der Abgeordneten. Demnach stellt sich auch das Repräsentationsprinzip einer Verlagerung der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte nach allem verteidigend entgegen. Ingesamt kann demnach eine Ausschussentscheidung über den bewaffneten Bundeswehreinsatz kein vollwertiges Äquivalent zur Entscheidung im Plenum darstellen. 3. Wehr- und Bündnisfähigkeit als einschränkende Verfassungsprinizipien Aus der Untersuchung ergibt sich ein sehr eingeengter Bereich für legitimationsstiftendes Wirken eines Entsendeausschusses419. Vor allem die dem demokratische Prinzip inhärenten Grundsätze der Parlamentsöffentlichkeit und der Repräsentation verengen die Möglichkeiten einer Entscheidungsdelegation auf einfachgesetzlichem Wege. Den konstitutiven Zustimmungsvorbehalt als „delegationsfeindlich“ anzusehen korrespondiert nicht nur mit der überwiegenden Auffassung, wonach sich das Plenum seiner aus der Verfassung resultierenden Kompetenzen nicht entledigen darf. Auch nach der Mindermeinung, die eine Delegation außenwirksamer Kompetenzen des Bundestages zulassen will, solange die Beschlüsse nicht staatsleitenden Charakter haben420, ist der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt einer innerparlamentarischen Delegation entzogen. Dass der Einsatz bewaffneter Streitkräfte der Staatsleitung unterfällt kann – auch wenn beide Begriffe nicht klar umrissen sind – ernstlich nicht bestritten werden. Zu kurz greift die insbesondere von Dieter Wiefelspütz vertretene Ansicht, wonach das entscheidende Kriterium für die Abgrenzung von zulässiger und unzulässiger parlamentarischer Aufgabenübertragung die sachliche Notwendigkeit bzw. die Funktionsgerechtigkeit sei421. Auch der Verweis, dieses Kriterium entspreche einer jahrzehntelangen, auch vom Bundesverfassungsgericht nicht 419 Ähnlich Scholz, Diskussionsbeitrag, DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 34 ff., 40 f.; anders hingegen kurze Zeit darauf ders., Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 115 (125). 420 So z. B. Achterberg, Parlamentsrecht (1984), S. 678 ff., 681. 421 Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte (2003) S. 70 ff.; ders., Jura 2004, 292 ff.; ders., Das Parlamentsheer (2005), S. 505. Die Funktionsgerechtigkeit einer entsprechenden Ausschussentscheidung wird erstmals bei Epping, AöR 124 (1999), 423 (457) betont.
D. Abstufung der Parlamentsmitwirkung nach Art
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beanstandeten Staatspraxis, ist nur vordergründig422. So sind im Falle einer einfachgesetzlichen Delegation des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes auf ein Gremium der Unions-, der Verteidigungs- sowie der Untersuchungsausschuss wenig aussagekräftig, da diese unmittelbar aus der Verfassung hervorgehen (Art. 45, 45a und 44 GG). Ähnlich aussageschwach ist der Hinweis auf das Parlamentarische Kontrollgremium zur Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeiten des Bundes (PKGr)423. Geheimdienstkontrolle und Auslandseinsätze der Bundeswehr unterscheiden sich in einem Punkt grundlegend: Während die Dienste als originär exekutive Institutionen handeln, die nur einer generellen Finanz- und Rechtmäßigkeitskontrolle unterliegen, bedürfen die Auslandsmissionen der konstitutiven Zustimmung durch den Bundestag424. Vergleichend ergiebig können mithin allenfalls der Richterwahlausschuss425, die Ent422 Wenn Wiefelspütz als vermeintlichen Beleg aus der Rechtsprechung etwa BVerfGE 40, 356 – Besetzung der Bundesverfassungsrichterbank – anführt, wird übersehen, dass diese Entscheidung nicht die Delegation der Bundesverfassungsrichterwahl zum Gegenstand hatte, sondern den Ausschluss der Wiederwahl nach § 4 Abs. 2 BVerfGG. 423 Vgl. § 4 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeiten des Bundes (PKGrG). Zwei der drei deutschen Geheimdienstbehörden des Bundes unterliegen mittelbarer parlamentarischer Kontrolle durch die den vorgesetzten Ministerien gegenüberstehenden Bundestagsauschüsse. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) untersteht dem Verteidigungsministerium, das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) dem Innenministerium. Der Bundesnachrichtendienst (BND) untersteht dagegen dem Bundeskanzleramt, dem kein Parlamentsausschuss gegenübersteht. Mittelbar ist die Kontrolle insofern, als nicht die Tätigkeit der Dienste selbst, sondern die, der ihnen vorgesetzten Behörden durch den Bundestag kontrolliert werden. So war es dann auch eine bisher einmalige Konstellation, als am 18. Januar 2006 im parlamentarischer Kontrollgremium die zwei während des dritten Irakkriegs in Bagdad operierenden deutschen Agenten persönlich aussagten (hierzu Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19.01.2006: ,BND-Mitarbeiter bestreiten Fehlverhalten im Irak‘). Die derzeit aus 9 Mitgliedern bestehende parlamentarische Kontrollkommission wird zu Beginn einer jeden Wahlperiode durch den Bundestag eingesetzt. Nach den Regeln des für sie geltenden PKGrG nimmt sie die Kontrollaufgabe des Bundestages wahr. 424 Deshalb verfängt auch der Verweis auf 10a Abs. 2 BHO nicht. Im Haushaltausschuss existiert ein Vertrauensgremium, welches den Haushaltsplan der Geheimdienste behandelt, so dass dem Haushaltsausschuss nur das jährliche Gesamtbudget bekannt wird, nicht aber die Details des Finanzplanes. 425 Nach Art. 94 Abs. 1 Satz 2 GG werden die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt. Das Plenum wählt gemäß § 6 Abs. 2 BVerfGG einen aus zwölf Mitgliedern bestehenden Wahlmännerausschuss, welcher seinerseits die Verfassungsrichter bestimmt. Der systematische Vergleich zwischen der Verfassungsrichterwahl und der Berufung der Bundesrichter (Art. 94 und 95 GG) zeige deutlich, dass das Grundgesetz in Art. 94 jedoch grundsätzlich von einer unmittelbaren Wahl der Bundesverfassungsrichter ausgeht. Anders könne nicht erklärt werden, dass Art. 95 Abs. 2 GG nur für die Mitwirkung des Bundestages bei der Bundesrichterwahl ausdrücklich die Mittelbarkeit regelt. Auch die Regierungsvorlage und die in diesem Punkt übereinstimmende Stellungnahme des Bundesrates seien seinerzeit davon ausgegangen dass die Wahl durch Wahlmänner nicht delegiert werden könne und damit verfassungswidrig sei. Des Weiteren wird ange-
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
scheidungskompetenz des Haushaltsausschusses bei der Entsperrung von im Haushaltsgesetz eingesetzten Mitteln426 und die Teilübertragung der Immunitätsentscheidung des Bundestages auf den Geschäftsordnungsausschuss (sog. Vorentscheidung, § 107 Abs. 2 GOBT i.V. m. Anlage 6 der GOBT)427 sein, die allesamt hinsichtlich ihrer verfassungsrechtlichen Zulässigkeit umstritten sind. Nach allem dürfen die Aufgaben des Parlamentes im Zusammenhang mit dem Einsatz bewaffneter Streitkräfte grundsätzlich nicht durch einfaches Gesetz, sondern nur durch Verfassungsänderung übertragen werden. Es stellt sich aber Frage, inwieweit von diesem Grundsatz ausnahmsweise durch einfachgesetzliche Kompetenzübertragung dennoch abgewichen werden kann. Denn das Bundesverfassungsgericht gewährt dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt keinen absoluten Anspruch; es bezeichnet ihn ausdrücklich als Prinzip428. Nach der Methodenlehre kann ein Prinzip durch gleichstarke Gegenprinzipien eingeschränkt werden. Anhand verschiedener Konstellationen soll daher untersucht werden, inwieweit dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbe-
führt, dass es sich bei der Bundesverfassungsrichterwahl um die Übertragung einer wesentlichen Entscheidung handele. So würde das Bundesverfassungsgericht zwar nicht gesetzgebend tätig werden, jedoch regelmäßig von seinem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch machen und Entscheidungen mit Gesetzeskraft fällen (Art. 94 Abs. 2 GG, § 31 Abs. 2 BVerfGG): Gerade in politisch umstrittenen Fällen könne das Bundesverfassungsgericht die (unübertragbaren) legislativen Kompetenzen begrenzen; zu diesen Bedenken siehe Kasten, DÖV 1985, 222 (226); Kreuzer, Der Staat 7 (1968), 183 (189 ff.); Berg, Der Staat 9 (1970), 21 (38); Neumann, Betrifft Justiz 59 (September 1999), S. 97 ff.; Voßkuhle, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG Bd. III (2005), Art. 94 Rndr. 10; Pieroth, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.), GG (2006), Art. 94 Rndr. 1 m.w. N. Diejenigen Autoren, die von der Verfassungsmäßigkeit der indirekten Wahl ausgehen, lassen zumeist diese Gegenargumente dahingestellt und rechtfertigen § 6 BVerfGG zumeist damit, dass die „normative Kraft des Faktischen“ in einer langjährigen Staatspraxis die verfassungsrechtlichen Bedenken überwunden habe, vgl. etwa Lechner/Zuck, BVerfGG (2006), § 6 Rndr. 2 f.; Klein, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu (Hrsg.), BVerfGG (Stand 1993), § 6 Rndr. 4. Indes ist diese Argumentation nur vordergründig. Selbst wenn man die Entwicklung von derogierendem Verfassungsgewohnheitsrecht für denkbar hält, fehlt es aufgrund der jahrzehntelangen Kontroverse um den Wahlmännerausschuss an der nötigen opinio juris. 426 Kritisch zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Übertragung auf den Haushaltsausschuss Berg, Der Staat 9 (1970), 21 (41); Schwerin, Der Deutsche Bundestag als Geschäftsordnungsgeber (1998), S. 178 ff. 427 Nach § 107 Abs. 2 GOBT i.V. m. Anlage 6 der GOBT wird bei Immunitätssachen, die vom Immunitätsausschuss des Bundestages als Bagatellsachen gewertet werden, dem Geschäftsordnungsausschuss die Kompetenz zur Aufhebung parlamentarischer Immunität zugestanden. Diese Kompetenz zu bindenden Entscheidungen ist dem Geschäftsordnungsausschuss mit Widerspruchsvorbehalt des Plenums zugesprochen. Die Vorentscheidung des Geschäftsordnungsausschusses gilt als Entscheidung des Bundestages, wenn nicht innerhalb von sieben Tagen nach Mitteilung Widerspruch vom Plenum erhoben wird; hierzu Butzer, Immunität im demokratischen Rechtsstaat (1991), S. 351 ff. 428 BVerfGE 90, 286 (387 passim); BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 57.
D. Abstufung der Parlamentsmitwirkung nach Art
239
halt ähnlich starke Prinzipien entgegenstehen können. Wegweisend ist hier die am 14. Januar 1986 ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Haushaltskontrolle der Geheimdienste429. Dem Parlament wurde ein großer Gestaltungsspielraum gewährt, um das Spannungsfeld zwischen demokratischer Legitimation und der Wahrung von staatlichen Geheimschutzbelangen verfahrenstechnisch aufzulösen. Das Gericht akzeptierte hierbei die vom Gesetzgeber gewählte Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen Geheimhaltung und Transparenz, nämlich die Bildung eines kleinen parlamentarischen Gremiums, dessen Zusammensetzung durch Persönlichkeitswahl bestimmt wird und gleichzeitig auch die Opposition nicht übergeht. Als ein dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt gegenläufiges Prinzip drängt sich zunächst die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik auf. Das Bundesverfassungsgericht selbst sieht seine Kreation des vorherigen Zustimmungsvorbehaltes einer gewissen Restriktion ausgesetzt. „Die verfassungsrechtlich gebotene Mitwirkung des Bundestages bei konkreten Entscheidungen über den Einsatz der bewaffneter Streitkräfte darf die militärische Wehrfähigkeit und die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht beeinträchtigen.“ 430
Im Zeichen der Bündnisfähigkeit stellt die Teilnahme Deutschlands an integrierten Schelleingreiftruppen der NATO und der EU eine besondere Herausforderung dar. Unstreitig gilt auch beim Einsatz integrierter Verbände der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt. Die Herausforderungen bestehen in der parlamentarischen Bewältigung der beschleunigten Entscheidungsabläufe, sowie in der organisatorisch fragilen Struktur der integrierten Verbände. Vielfach wurde vorgetragen, dass die Zuständigkeit eines kleinen Gremiums diesen Herausforderungen am ehesten gerecht würde. Sofern der Bundestag durch ein Zustimmungsgesetz zu völkerrechtlichen Verträgen nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG prinzipiell mit den Einsätzen deutscher Soldaten in integrierten Verbänden sein Einverständnis zum Ausdruck bringt, könne dieses Gremium dann über den konkreten Einsatz auf Grundlage der Verträge entscheiden431. Um ein besseres Verständnis dieser Problematik zu erlangen, sollen die Entwicklung und die Besonderheiten der integrierten Verbände kurz dargestellt werden.
429
BVerfGE 70, 324 (358 ff.). BVerfGE 90, 286 (388); vgl. auch BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 58. 431 Baldus, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06. 2004, S. 39 (84). 430
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
a) Integrierte Schnelleingreiftruppen: NATO Response Force (NRF) und European Rapid Reaction Force (ERRF) Durch das Ende des Ost/West-Konflikts sahen sich die Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedstaaten veranlasst, das Bündnis an neue Herausforderungen anzupassen und entsprechend umzustrukturieren. Infolgedessen wurde auf dem Bündnisgipfel am 22. November 2002 in Prag die Einrichtung einer Schnelleingreiftruppe (NRF) beschlossen. Diese soll sowohl bei VN-mandatierten Missionen, als auch im Zuge autonomer NATO-Operationen eingesetzt werden. Kleinere Vorkommandos der NRF sollen innerhalb von fünf Tagen dislozierbar sein, ein Verband in Brigadestärke – etwa 3.000 Mann – binnen sieben Tagen. Eine vorläufige Einsatzfähigkeit von ca. 2.000 Soldaten wurde im Oktober 2004 erreicht; die Erreichung des endgültigen Niveaus von 21.000–25.000 Soldaten war für 2007 geplant. Das teilstreitkräfteübergreifende, schnell verlegbare und innerhalb kürzester Zeit einsatzbereite Expeditionskorps der NATO soll auf Anforderung eines NATO-Staates für weltweite Kampf- und Anti-Terror-Einsätze zur Verfügung stehen. Die vollständige Streitmacht soll in der Lage sein, rund 30 Tage autark im Operationsgebiet agieren zu können. Im Einsatzfall wird die Befehlsgewalt über die NRF auf den SACEUR (Supreme Allied Commander Europe) übertragen. Für den Einsatz der NRF als eigenem und gemeinsam finanzierten Kampfverband der NATO gilt – wie bei der AWACSFlotte – das Konsensprinzip im NATO-Rat. Deutschland ist mit etwa 6.700 Soldaten an der NRF u. a. in Form der Deutsch-Französischen Brigade und dem Ersten Deutsch-Niederländischen Korps vertreten. Nach ihrem offenkundigen Scheitern im Balkan-Konflikt bemüht sich nun ebenfalls die EU um die autonome Fähigkeit, außerhalb des VN- oder NATORahmens Krisen in der Welt lösen zu können432. Durch den Amsterdamer Vertrag wurden die sog. Petersberg-Aufgaben des Krisenmanagements zugleich Aufgaben der Europäischen Union. Der Europäische Rat beschloss daher in Köln (3./4. Juni 1999) die EU für ein autonomes europäisches Krisenmanagement militärisch handlungsfähig zu machen. Hier schlug die Geburtsstunde der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP). Um die PetersbergAufgaben, einschließlich Aufgaben mit hoher militärischer Intensität erfolgreich durchführen zu können, beschloss der Europäische Rat in Helsinki (10./11. Dezember 1999) die Schaffung europäischer Krisenreaktionskräfte und legte ein gemeinsames Planziel fest (Helsinki Headline Goal). Die Mitgliedstaaten verpflichteten, sich bis zum Jahr 2003 in der Lage zu sein, freiwillig und innerhalb von 60 Tagen 50.–60.000 Soldaten für ein Jahr zur Durchführung von Krisenbewältigungsoperationen zur Verfügung stellen zu können. Die Mitgliedstaaten 432 Vgl. zum Folgenden Oppermann, Europarecht (2005), S. 724 ff.; Behme, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Fachbereich WD 2 Nr. 02/2007 vom 22.01.2007.
D. Abstufung der Parlamentsmitwirkung nach Art
241
benannten diejenigen Einheiten in ihren Armeen, die im Falle einer Krise der EU angeboten werden können. Dieser virtuelle Pool von Truppen bildet die European Rapid Reaction Force (ERRF). Die Verbände sollen gleichermaßen Konflikte von Kriseninterventionen bis hin zu militärischen Entwaffnungsoperationen durchführen können. Im Jahr 2003 stellte die EU dann fest, dass Helsinki Headline Goal erreicht zu haben, obgleich die Truppe in der geplanten Form nur auf dem Papier existierte. In halbem Anerkennen dieses Scheiterns wurde alsbald ein neues Ziel beschlossen, das Headline Goal 2010, mit Battle Groups (mobilen Kampftruppen) als festem Bestandteil. Im November 2004 entschieden die Außen- und Verteidigungsminister dann, 13 Battle Groups zu bilden. Diese hochflexiblen Verbände sollen aus jeweils 1.500 Soldaten bestehen und innerhalb einer kurzen Zeitspanne von 10–15 Tagen zur Krisenintervention zur Verfügung stehen. Geplant ist, dass die Klein-Kampftruppen in einer Entfernung von maximal 6.000 km bis zu vier Monate lang den Einsatz größerer Truppen vorbereiten. Bereits 2005 sollten die ersten dieser Truppen einsatzbereit sein, die volle Einsatzfähigkeit wurde im Januar 2007 gemeldet. Seitdem stehen jeweils zwei Battle Groups für jeweils 6 Monate einsatzbereit zur Verfügung. Deutschland beteiligt sich mit diversen Ländern an insgesamt vier der mobilen Kampftruppen: • an einer Battle Group mit der Deutsch-Französischen Brigade als Kern unter Beteiligung Belgiens, Luxemburg und Spaniens. Dieser Verband erreichte eine Teiloperationsfähigkeit für Evakuierungs- und Rückführungsmissionen bereits im ersten Halbjahr 2007, • an einer deutsch-niederländische Kampftruppe mit Beteiligung Finnlands, die ihre volle Einsatzfähigkeit ebenfalls im ersten Halbjahr 2007 erreichte, • unter polnischer Führung gemeinsam mit lettischer, litauischer und slowakischer Beteiligung. Diese soll 2009 – spätestens 2010 – voll einsetzbar sein, • an einer weiteren Battle Group zusammen mit Österreich und Tschechien. Unterschiede zur NATO Response Force ergeben sich sowohl in geographisch-finaler als auch in technischer Hinsicht. Während der Einsatzschwerpunkt der ERRF in der europäischen Nachbarschaft, insbesondere in der Krisenbewältigung in zerfallenden Staaten Afrikas liegt, hat die NATO einen anderen Fokus. Ihre Response Force soll zu weltweiten Kampf- und Antiterroreinsätze zur Verfügung stehen. Ein bedeutender Unterschied zur NRF ergibt sich auch daraus, dass die NATO-Truppe eine fest aufgestellte Einheit sein wird, während die ERRF ein virtueller Pool von Einheiten bleibt, der im Bedarfsfall mobilisiert werden muss433. Über das Verhältnis der NATO-Truppe zur Eingreiftruppe der EU herrschen dennoch gewisse Differenzen434. Auch wenn auf deutsches Drängen 2002 in Prag festgelegt wurde, dass sich die beiden Truppen nicht behin433 Die Absicht militärische Krisenreaktionskräfte aufzustellen, beinhaltet (noch) nicht die Aufstellung einer europäischen Armee. 434 Hierzu Haftendorn, SWP-Studie 2005/05, S. 19 ff.
242
3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
dern und sich „gegenseitig verstärken“ sollen, ist dies in der Praxis kaum möglich. Beide Truppen konkurrieren um dieselben knappen finanziellen, technischen und personellen Mittel. Eine doppelte Verwendung derselben (nationalen) Einheiten ist ausgeschlossen, da die NRF während des gesamten Jahres exklusiv der NATO zur Verfügung stehen soll. Auch das im März 2003 abgeschlossenes Rahmenabkommen mit der NATO, wonach die EU über die Möglichkeit verfügt, auf Mittel und Fähigkeiten der NATO zurückzugreifen (Berlin Plus), ändert an diesem Befund nichts. b) Bundesverfassungsgerichtliche Anforderungen an die Rechtsgrundlagen integrierter Verbände Wenn für den Einsatz integrierter Verbände vorgeschlagen wird, das parlamentarische Verfahren abzustufen, oder das entsprechende Zustimmungsrecht auf einen Ausschuss zu delegieren, wird regelmäßig auf die Aussagen der Outof-area-Entscheidung verwiesen, wonach dem Gesetzgeber angezeigt sein könne „im Rahmen völkerrechtlicher Verpflichtungen die parlamentarische Beteiligung nach der Regelungsdichte abzustufen, in der die Art des möglichen Einsatzes der Streitkräfte bereits durch ein vertraglich geregeltes Programm militärischer Integration vorgezeichnet ist“.435
Angesichts des bisherigen Regelungsstandes integrierter Verbände können diese Formulierungen des Bundesverfassungsgerichts aber eher gegen eine Verfahrensabstufung angeführt werden. Denn weder die NATO Response Force, noch die European Rapid Reaction Force basieren auf vertraglich geregelten Programmen im Sinne dieser Formulierungen. Der NRF und der ERRF liegen der NATO- bzw. der EU-Vertrag, sowie Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs der Staaten zugrunde. Relevant sind weiterhin Sekundärrechtsakte der Organe, die auf Grundlage der Verträge errichtet und mit entsprechenden Kompetenzen ausgestatten werden. Betrachtet man den NATO- bzw. EU-Vertrag alleine, so sind integrierte Verbände hierin nicht geregelt. Im NATO-Vertrag finden die der NRF übertragenen Aufgaben nicht einmal Erwähnung436. Die eigentliche Schaffung und Ausformungen der integrierten Verbände beruht lediglich auf Ratsbeschlüssen, sowie Sekundärrechtsakten. Zu diesen ist aber (noch) kein deutsches Vertragsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG ergangen. Deshalb mag man bezweifeln, ob den Schnelleingreiftruppen ein vertraglich geregeltes Programm i. S. des Out-of-area-Urteils zugrunde liegt. Dass das Bundesverfassungsgericht wohl eher dazu neigt, entsprechend strengere Anforderungen zu stellen, lässt sich durch Hinzuziehung seiner Beschlüsse zum Neuen Strategischen Konzept der NATO und zu AWACS II ablesen. Hier sieht das Gericht den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt nämlich vor allem als 435 436
BVerfGE 90, 286 (389) – Hervorhebung nicht im Original. Anders Art. 17 Abs. 2 EUV, der die Petersberg-Aufgaben aufführt.
D. Abstufung der Parlamentsmitwirkung nach Art
243
Kompensation für die typischerweise geringe Bestimmtheit der Vertragsgrundlagen von Sicherheitssystemen i. S. des Art. 24 Abs. 2 GG437. Das Bundesverfassungsgericht will demnach die Stellung des Bundestages angesichts der zunehmenden Entfernung des NATO-Konzepts vom Wortlaut des Zustimmungsgesetzes vom 24. März 1955438 gerade wieder stärken. Eine Beschneidung des vollen parlamentarischen Beteiligungsrechts an Einsätzen integrierter Verbände ist einfachgesetzlich solange nicht möglich, als die Krisenreaktionskräfte der NATO nicht Gegenstand eines vertraglichen Programms geworden sind, dem der Bundestag nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG zuzustimmen hat. Der faktisch wachsenden Integration nationaler Truppenkontingente in übernationale Strukturen steht der Befund gegenüber, dass die wehrrechtlichen Rahmenbedingungen noch weitgehend in nationaler Regelungskompetenz gesetzt werden. Hier treffen völlig unterschiedliche Führungsphilosophien und Wehrrechtssysteme aufeinander439. Für Deutschland kann dies zu einem Konflikt zwischen völkerrechtlichen Bündnisverpflichtungen und dem vom Grundgesetz vorgeschriebenen Parlamentsvorbehalt führen, wenn es bewaffnete Einsätze im Rahmen integrierter Verbände in Frage stehen. Falls sich ein derartiger Konflikt nicht lösen ließe, der Bundestag aufgrund des knappen Zeitfenster für die Entscheidung zum Einsatz in integrierten Verbänden überfordert wäre, oder seine Zustimmung gar verweigerte, könnte dies zu schwerwiegenden Konsequenzen, bis hin zum Scheitern der gesamten multinationalen Mission führen. Denn die erfolgreiche Ausführung einer Operation durch integrierte Verbände hängt von der Bereitstellung aller von den Nationen zugesagten militärischen Fähigkeiten ab. Ein Wegfall des Beitrags einer Nation kann möglicherweise das Scheitern der gesamten Mission zur Folge haben440. Was den für Deutschland daraus drohenden internationalen Kreditverlust anbelangt, ist fraglich, ob allein der Hinweis auf den in Deutschland geltenden Parlamentsvorbehalt dem entgegenwirken kann441. Gerade um dieses Spannungsfeld aufzulösen, wurde vielfach vorgeschlagen, die Entscheidung über einen Einsatz bewaffneter Soldaten in integrierten Verbänden einem Entsendeausschuss zu übertragen. Das Szenario, wonach der Bundestag mit einem Nein die Bündnisfähigkeit Deutschlands gefähr437 BVerfGE 104, 151 (208); BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 70 f.; vgl. Schmidt-Radefeldt, Parlamentarische Kontrolle der internationalen Streitkräfteintegration (2005), S. 153 f. 438 BGBl. 1955 II, S. 289. 439 Rechtsvergleichende Darstellungen bei Nolte/Krieger, Europäische Wehrrechtssysteme (2003); Ku/Jacobson (Hrsg.), Democratic Accountability and the Use of Force in International Law (2003); Schmidt-Radefeldt, Parlamentarische Kontrolle der internationalen Streitkräfteorganisation (2005), S. 145 ff. 440 Eitelhuber, SWP-Studie 2004/S10, S. 10. 441 Bei sämtlichen für die NRF angezeigten deutschen Kräfte findet sich in der Spalte Bemerkungen der Hinweis: „subject to Parliamentary approval“, vgl. Eitelhuber, SWP-Studie 2004/S10, S. 11 FN 18.
244
3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
den könne, vermag dennoch nicht recht zu verfangen. Auch der Bundestag weis, dass mit der Wahrnehmung des Parlamentsvorbehalts die Funktionsfähigkeit der integrierten Verbände berührt werden kann. Er wird daher sorgsam mit dieser Verantwortung umgehen, man kann ihm nicht unterstellen, weniger bündnisorientiert zu sein als die Regierung442. Dies gilt umso mehr, als es gängige Praxis ist, dass die Obleute bzw. Fraktionsvorsitzenden in der Phase der deutschen Positionsbestimmung in den NATO-Beratungen informell konsultiert werden. Ebenso dürfte sich der Bundestag bewusst sein, dass bei einer von Deutschland blockierten NRF eventuell nur eine Koalition unter Führung der USA in der Lage wäre, weltweite Kampfeinsätze durchzuführen443. Die Entscheidungsfähigkeit des Parlaments ist auch aus weiteren Gründen erheblich eingeengt444. Handelt es sich etwa um eine bündnis- oder unionsgeführte VNFriedensmission ist der Bundestag nach den örtlichen Konfliktparteien, den Vereinten Nationen, NATO/EU und der Bundesregierung das fünfte Glied in einer Entscheidungskette. Auch die militärisch-logistischen Vorbereitungen sind annähernd abgeschlossen: Die NATO/EU-Operationsplanung ist erfolgt, die Kräfte sind angezeigt. Auf nationaler Ebene hat der Bundesverteidigungsminister die Verbände für den Einsatz identifiziert, Personalauswahl und Vorausbildung sind weitgehend durchgeführt, die Verlegefähigkeit hergestellt. Faktisch wird der Parlamentsbeschluss dadurch präjudiziert. In aller Regel werden die Abgeordneten daher ihre Zustimmung nicht versagen. Vor allem die Regierungsfraktionen sind einem starken Zustimmungsdruck ausgesetzt, impliziert im parlamentarischen Regierungssystem jede Abstimmungsniederlage der Regierung ohnehin einen Vertrauensentzug. Präjudizierung und Fraktionsdisziplin verstärken sich hier gegenseitig445. c) Beschleunigte Zeitabläufe im Bündnis Auch wenn im Regelfall nicht mit einer parlamentarischen Zustimmungsversagung im Rahmen einer von der Bundesregierung auf internationaler Ebene zugesagten deutschen Beteiligung gerechnet werden kann, bleibt die Herausforderung der beschleunigten Zeitabläufe bestehen. So soll im Rahmen der NATO 442 A. A. Roellecke, Der Staat 34 (1995), 415 (426), wonach „außenpolitische Rücksichtnahme (. . .) nicht die Stärke des Bundestages“ sei. 443 Vgl. Meyer, HSFK-Reports 4/2004, S. 33. Gerade die Ausrichtung der NRF auf harte bewaffnete Auseinandersetzungen – die NATO selbst spricht euphemisierend von „Aufgaben im oberen Aufgabenspektrum“ – kann gegen eine Abschwächung der parlamentarischen Beteiligung angeführt werden. Wenn ausgerechnet bei harten Kampfeinsätzen der Parlamentsvorbehalt aufgeweicht würde, liefe dies der Intention des Parlamentsvorbehaltes entgegen, ähnlich Abg. Nachtwei (Bündnis 90/Die Grünen), DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 44. 444 Vgl. zum Folgenden Biermann, ZParl 2004, 607 (617 f.); Eitelhuber, SWP-Studie 2004/S10, S. 8 ff. 445 Biermann, ZParl 2004, 607 (618).
D. Abstufung der Parlamentsmitwirkung nach Art
245
die Response Force binnen 5–7 Tage nach Beschluss des Rats im Einsatzgebiet aufgestellt sein. Für die Schnelleingreiftruppe der EU gilt eine Zeitspanne von 10–15 Tagen. Das Zeitfenster für die Einholung der parlamentarischen Zustimmung ist dabei noch enger als die genannten Fristen. Denn zum einen sollen bei Ablauf der Fristen die Schnelleingreiftruppen bereits vor Ort sein. Zum anderen ist vor der Verlegung der integrierten Truppen regelmäßig die Übertragung der operational commands über das deutsche Kontingent vorgesehen. Schon diese Übertagung darf u. U. erst nach Zustimmung des Bundestages erfolgen446. Da die Entscheidungsabläufe maßgeblicher NATO-Partner schneller ablaufen, wird der zeitliche Druck zusätzlich erhöht447. So weisen dann auch zahlreiche Stimmen aus Politik448 und Wissenschaft449 daraufhin, dass das bisherige parlamentarische Beschlussverfahren zu arbeitsintensiv und schwerfällig sei, um diesen neuen Anforderungen gerecht werden zu können. Empirisch untermauert wird diese These von ihren Fürsprechern indes nicht. Eine Untersuchung der bisherigen parlamentarischen Zustimmungsverfahren soll Aufschluss darüber geben, inwieweit die Langwierigkeit konstitutiver Parlamentsentscheidungen tatsächlich oder nur vermeintlich besteht. Konkret soll nachgezeichnet werden, welchen Zeitraum das parlamentarische Zustimmungsverfahren von der Regierungsvorlage bis zur entsprechenden konstitutiven Entscheidung beanspruchte450.
446 Zu pauschal dürfte die Auffassung von Schmidt-Radefeldt, Parlamentarische Kontrolle der internationalen Streitkräfteorganisation (2005), S. 190, sein, wonach jede Übertragung der Befehlsgewalt zustimmungsbedürftig sei. 447 Eitelhuber, SWP-Studie 2004/S10, S. 9. 448 So etwa Verteidigungsminister Struck (SPD), 15. WP, Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, 9. Sitzung, 05.06.2003, Protokoll G 9, S. 14; Außenminister Fischer (Bündnis90/Die Grünen) 15. WP, Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, 11. Sitzung, 27.06.2003, Protokoll G 11; Lamers/ Schäuble/Scholz, Zukunftskonzept Sicherheit (2002), unter Nr. 7; Abg. Polenz (CDU/ CSU), StenProt. 15/146 vom 03.12.2004, S. 13650 D; Abg. v. Klaeden (CDU/CSU), BT-PlenProt. 15/100 vom 25.03.2004, S. 8981 D. 449 Vgl. nur Eitelhuber, SWP-Studie 2004/S10, S. 8; Schmidt-Radefeldt, in: Born/ Hänggi (Hrsg.), The ,Double Democratic Deficit‘ (2004), S. 147 (150); ders., Parlamentarische Kontrolle der internationalen Streitkräfteorganisation (2005), S. 160. 450 Einbezogen sind die parlamentarischen Beschlüsse ab der Somalia-Eilentscheidung vom 23. Juni 1993 bis 31. Dezember 2008. Nicht einbezogen ist der Sonderfall der Operation Libelle, die der Bundestag nur nachträglich genehmigte (BT-PlenProt. 13/166 vom 20.03.1997, S.14981), insofern also kein Zeitdruck gegeben war. Ebenfalls nicht einbezogen – da sie nicht das reguläre Grundverfahren durchlaufen haben – sind die sieben im vereinfachte Verfahren nach § 4 ParlBG beantragten Zustimmungsgesuche [erste, zweite, dritte und vierte Missionsverlängerung AMIS (Anträge der Bundesregierung in BT-Drs. 15/5423 vom 04.05.2005; BT-Drs. 16/100 vom 29.11. 2005; BT-Drs. 16/1508 vom 17.05.2006; BT-Drs. 16/3652 vom 30.11.2006) und erste, zweite und fünfte Missionsverlängerung UNMIS (BT-Drs. 15/5997 vom 24.09.2005; BT-Drs. 16/1052 vom 24.03.2006; BT-16/2900 vom 07.10.2006)]; vgl. schon die Aufstellung bei Wiefelspütz, Das Parlamentsheer (2005), S. 322 ff.
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
Anzahl der Tage von der Zuleitung Beteiligung der Bundeswehr an Mission des Regierungsantrages bis zur entsprechenden Zustimmung des Bundestages am selben Tag
Amber Fox451; KFOR/Joint Guardian II452
ein Tag
Joint Guarantor453, INTERFET454, ISAF455; Amber Fox (4. Verlängerung)456, Concordia457,
zwei Tage
UNTAES458, SFOR/Joint Guard459; SFOR/Joint Guard (Verlängerung)460, Allied Harmony461
drei Tage
Sharp Guard462, Deny Flight463, KFOR/Joint Guardian I464, Amber Fox (1. Verlängerung)465
vier Tage
Determined Effort466, Allied Force467
451 Antrag am 27.09.2001 (BT-Drs. 14/6970), Zustimmung am 27.09.2001 (BTPlenProt. 14/190, S. 18569 D). 452 Antrag am 11.06.1999 (BT-Drs. 14/1133), Zustimmung am 11.06.1999 (BTPlenProt. 14/43, S. 3584 D). 453 Antrag am 18.11.1998 (BT-Drs. 14/47), Zustimmung am 19.11.1998 (BT-PlenProt. 14/8, S. 433 C). 454 Antrag am 06.10.1999 (BT-Drs. 14/1719), Zustimmung am 07.10.1999 (BTPlenProt. 14/61, S. 5437 D). 455 Antrag am 21.12.2001 (BT-Drs. 14/7930), Zustimmung am 22.12.2001 (BTPlenProt. 14/210, S. 20849 D). 456 Antrag am 22.10.2002 (BT-Drs. 15/10), Zustimmung am 23.10.2002 (BT-PlenProt. 15/3, S. 45 D). 457 Antrag am 19.03.2003 (BT-Drs. 15/696), Zustimmung am 20.3.2003 (BT-PlenProt. 15/35, S. 2932 D). 458 Antrag am 07.02.1996 (BT-Drs. 13/3708), Zustimmung am 09.02.1996 (BTPlenProt. 13/87, S. 7693 A). 459 Antrag am 11.12.1996 (BT-Drs. 13/6500), Zustimmung am 13.12.1996 (BTPlenProt. 13/149, S. 13519 A). 460 Antrag am 17.06.1998 (BT-Drs. 13/10977), Zustimmung am 19.06.1998 (BTPlenProt. 13/242, S. 22486 A). 461 Antrag am 03.12.2002 (BT-Drs. 15/127), Zustimmung am 05.12.2002 (BTPlenProt. 15/14, S. 1024 B). 462 Antrag am 19.07.1994 (BT-Drs. 12/8303), Zustimmung am 22.07.1994 (BTPlenProt. 12/240, S. 21208 C). 463 Antrag am 19.07.1994 (BT-Drs. 12/8303), Zustimmung am 22.07.1994 (BTPlenProt. 12/240, S. 21208 C). 464 Antrag am 22.02.1999 (BT-Drs. 14/397), Zustimmung am 25.02.1999 (BTPlenProt. 14/22, S. 1715 C). 465 Antrag am 10.12.2001 (BT-Drs. 14/7770), Zustimmung am 13.12.2001 (BTPlenProt. 14/208, S. 20575 B). 466 Antrag am 26.06.1995 (BT-Drs. 13/1802), Zustimmung am 30.06.1995 (BTPlenProt. 13/48, S. 4017 A). 467 Antrag am 12.10.1998 (BT-Drs. 13/11469), Zustimmung am 16.10.1998 (BTPlenProt. 13/248, S. 23161 B).
D. Abstufung der Parlamentsmitwirkung nach Art
247
fünf Tage
Enduring Freedom (4. Verlängerung); EUFOR/ Artemis468, UNMIS (3. Verlängerung)469
sechs Tage
Essential Harvest470, KFOR (5. Verlängerung)471
sieben Tage
ISAF (5. Verlängerung)472, UNIFIL473
acht Tage
IFOR/Joint Endeavour474, ISAF (4. Verlängerung)475; UNOSOM II476; KFOR (7. Verlängerung)477; Enduring Freedom (6. Verlängerung)478; UNMIS (6. Verlängerung)479; UNAMID480; UNIFIL (2. Verlängerung)481
neun Tage
Eagle Eye482, Enduring Freedom483, Amber Fox (2. Verlängerung)484, Enduring Freedom
468 Antrag am 13.06.2003 (BT-Drs. 15/1168), Zustimmung am 18.06.2003 (BTPlenProt. 15/51, S. 4240 D). 469 Antrag am 23.09.2006 (BT-Drs. 16/2770), Zustimmung am 28.09.2006 (BTPlenProt. 16/54, S. 5237 D). 470 Antrag am 23.08.2001 (BT-Drs. 14/6), Zustimmung am 29.08.2001 (BT-PlenProt. 14/184, S. 18210 A). 471 Antrag am 21.05.2004 (BT-Drs. 15/3175), Zustimmung am 27.05.2004 (BTPlenProt. 15/1111, S. 10090 C). 472 Antrag am 21.09.2005 (BT-Drs. 15/5996), Zustimmung am 28.09.2005 (BTPlenProt. 15/187, S. 17585 D). 473 Antrag am 13.09.2006 (BT-Drs. 16/2572), Zustimmung am 20.09.2006 (BTPlenProt. 16/50, S. 4845 D). 474 Antrag am 28.11.1995 (BT-Drs. 13/3122), Zustimmung am 06.12.1995 (BTPlenProt. 13/76, S. 6673 B). 475 Antrag am 22.09.2004 (BT-Drs. 15/3710), Zustimmung am 30.09.2004 (BTPlenProt. 15/129, S. 11758 A). 476 Antrag am 24.06.1993 (BT-Drs. 12/5248), Zustimmung am 02.07.1993 (BTPlenProt. 12/169, S. 14608). 477 Antrag am 13.06. 2007 (BT-Drs. 16/5600), Zustimmung am 21.06.2007 (BTPlenProt. 16/106, S. 10772 D). 478 Antrag am 07.11.2007 (BT-Drs. 6940), Zustimmung am 15.11.2007 (BT-PlenProt. 16/126, S. 13111 B). 479 Antrag am 07.11.2007 (BT-Drs. 16/6940), Zustimmung am 15.11.2007 (BTPlenProt. 16/126, S. 13145 B). 480 Antrag am 07.11.2007 (BT-Drs. 16/6941) Zustimmung am 15.11.2007 (BTPlenProt. 16/126, S. 13148 A). 481 Antrag am 09.09.2008 (BT-Drs. 16/10207), Zustimmung am 17.09.2008 (BTPlenProt. 16/175, S. 18729 C bzw. 18732 D). 482 Antrag am 04.11.1998 (BT-Drs. 14/1), Zustimmung am 13.11.1998 (BT-PlenProt. 14/6, S. 369 D). 483 Antrag am 07.11.2001 (BT-Drs. 14/7296), Zustimmung am 16.11.2001 (BTPlenProt. 14/202, S. 19893). 484 Antrag am 13.05.2002 (BT-Drs. 14/8500), Zustimmung am 22.03.2002 (BTPlenProt. 14/228, S. 22657 D).
248
3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
Anzahl der Tage von der Zuleitung Beteiligung der Bundeswehr an Mission des Regierungsantrages bis zur entsprechenden Zustimmung des Bundestages (1. Verlängerung)485, ISAF (1. Verlängerung)486, Enduring Freedom (2. Verlängerung)487, ISAF (3. Verlängerung)488, UNMIS489; KFOR (8. Verlängerung)490; ISAF (8.Verlängerung)491; Atalanta492 14 und mehr Tage
485
KFOR/Joint Guardian II (1. Verlängerung)493, KFOR (2. Verlängerung)494, ISAF (2. Verlängerung)495, KFOR (3. Verlängerung)496, KFOR (4. Verlängerung)497, Amber Fox (3. Verlängerung)498, Enduring Freedom (3. Verlängerung)499, AMIS500, EUFOR RD Congo501;
Antrag am 06.11.2002 (BT-Drs. 15/37), Zustimmung am 15.11.2002 (BT-PlenProt. 15/11, S. 667 D). 486 Antrag am 05.06.2002 (BT-Drs. 14/9246), Zustimmung am 14.06.2002 (BTPlenProt. 14/243, S. 24479 B). 487 Antrag am 05.11.2003 (BT-Drs. 15/1880), Zustimmung am 14.11.2003 (BTPlenProt. 15/76, S. 6577). 488 Antrag am 15.10.2003 (BT-Drs. 14/1700), Zustimmung am 24.10.2003 (BTPlenProt. 15/70, S. 6010 A). 489 Antrag am 13.04.2005 (BT-Drs. 15/5265), Zustimmung am 22.04.2005 (BTPlenProt. 15/173, S. 16233 D). 490 Antrag am 27.05.2008 (BT-Drs. 16/9287), Zustimmung am 05.06.2008 (BTPlenProt. 16/166, S. 17558 C). 491 Antrag am 07.10.2008 (BT-Drs. 16/10473), Zustimmung am 16.10.2008 (BTPlenProt. 16/183, S. 19515 C). 492 Antrag am 10.12.2008 (BT-Drs. 16/11337), Zustimmung am 19.12.2008 (BTPlenProt. 16/197, S. 21357 D). 493 Antrag am 25.05.2000 (BT-Drs. 14/3454), Zustimmung am 08.06.2000 (BTPlenProt. 14/108, S. 10168 D). 494 Antrag am 09.05.2001 (BT-Drs. 14/5972), Zustimmung am 01.06.2001 (BTPlenProt. 14/174, S. 17085 C). 495 Antrag am 03.12.2002 (BT-Drs. 15/128), Zustimmung am 20.12.2002 (BTPlenProt. 15/17, S. 1331 D). 496 Antrag am 08.05.2002 (BT-Drs. 14/8991), Zustimmung am 07.06.2002 (BTPlenProt. 14/240, S. 24063 C). 497 Antrag am 21.05.2003 (BT-Drs. 15/1013), Zustimmung am 05.06.2003 (BTPlenProt. 15/48, S. 4043 C). 498 Antrag am 29.05.2002 (BT-Drs. 14/9179), Zustimmung am 14.06.2002 (BTPlenProt. 14/243, S. 24466 C). 499 Antrag am 27.10.2004 (BT-Drs. 15/4032), Zustimmung am 12.11.2004 (BTPlenProt. 15/139, S. 12798 D). 500 Antrag am 17.11.2004 (BT-Drs. 15/4227), Zustimmung am 03.12.2004 (BTPlenProt. 15/146, S 13620 D).
D. Abstufung der Parlamentsmitwirkung nach Art
249
ISAF (6. Verlängerung)502; UNIFIL (1. Verlängerung)503; UNMIS (5. und 7. Verlängerung)504, 505; ISAF (7. Verlängerung)506; UNAMID (1. Verlängerung)507; Enduring Freedom (7. Verlängerung)508
Diese Aufstellung zeigt ein klares, den Fürsprechern eines Entsendeausschusses widersprechendes Bild. In sieben zumeist eilbedürftigen Fällen beanspruchte das konstitutive Beschlussverfahren inklusive Ausschussberatungen nicht mehr als einen Tag. In insgesamt 20 Fällen war der Bundestag in der Lage innerhalb von fünf Tagen zu beschließen. Zustimmungsbeschlüsse, die erst nach Ablauf von acht Tagen ergangen sind, betreffen hingegen zumeist unkritische Missionsverlängerungen oder Erstentscheidungen, die keiner Eile unterlagen509. Die Erfahrung aus der Staatspraxis zeigt demnach, dass der Bundestag – gerade auch bei Eilbedürftigkeit – kurzfristig handlungsfähig ist510. Eine Beschleunigung des parlamentarischen Verfahrens konnte bei Bedarf interfraktionell vereinbart werden511. So absolvierte der Bundestag bei der Konstituierung der umfangreichen ISAF-Mission das gesamte parlamentarische Verfahren innerhalb von sieben Stunden des 22. Dezembers 2001; dazu noch in sitzungsfreier Zeit. Wenn die NATO Response Force innerhalb von 5–7 Tagen, und die European Rapid Reaction Force innerhalb von 10–15 Tagen einsetzbar sein sollen, ist das demnach ein Zeitraum, den der Bundestag nach bisheriger Erfahrung bewältigen kann. Da ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte aus militärischen, vor allem 501 Antrag am 17.05.2006 (BT-Drs. 16/1507), Zustimmung am 01.06.2006 (BTPlenProt. 16/37, S. 3259 C). 502 Antrag am 13.09.2006 (BT-Drs. 16/2573), Zustimmung am 28.09.2006 (BTPlenProt. 16/54, S. 5226 D). 503 Antrag am 28.08.2007 (BT-Drs. 16/6278), Zustimmung am 12.09.2007 (BTPlenProt. 16/111, S. 11570 C). 504 Antrag am 28.03.2007 (BT-Drs. 16/4861), Zustimmung am 27.04.2007 (BTPlenProt. 16/95, S. 9715 C). 505 Antrag am 13.08.2008 (BT-Drs. 16/10104), Zustimmung am 17.09.2008 (BTPlenProt. 16/175, S. 18742 D). 506 Antrag am 19.09.2007 (BT-Drs. 16/6460), Zustimmung am 12.10.2007 (BTPlenProt. 16/119, S. 12373 A). 507 Antrag am 13.08.2008 (BT-Drs. 16/10106), Zustimmung am 17.09.2008 (BTPlenProt. 16/175, S. 18740 C). 508 Antrag am 29.10.2008 (BT-Drs. 16/10720), Zustimmung am 13.11.2008 (BTPlenProt. 16/187, S. 20044 C). 509 Zu diesem Ergebnis gelangt auch Biermann, ZParl 2004, 607 (624). 510 Röben, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06. 2004, S. 103 (105); ähnlich Abg. Nachtwei (Bündnis90/Die Grünen), DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 43 f. 511 Zu diesen interfraktionellen Vereinbarungen im Einzelfall s. Schmidt, in: Biermann (Hrsg.), Deutsche Konfliktbewältigung auf dem Balkan (2002), S. 103 (110).
250
3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
aber aus bündnis- und allgemeinpolitischen Gründen regelmäßig einen langen Vorbereitungs- und Planungszeitraum verlangt, nahm in den meisten Fällen die Willensbildung innerhalb der Regierung erheblich mehr Zeit in Anspruch, als die im Parlament512. Denn faktisch tritt das Parlament schon vor formeller Zuleitung eines Regierungsantrages in die Willensbildung ein. Regierungsanträge sind meist vorhersehbar, da sie das Ergebnis eines Wochen oder sogar Monate andauernden Prozesses sind, der in den Gremien von VN, NATO oder EU vorbereitet und öffentlich begleitet wird513. In der Mehrzahl der Fälle war es dem Bundestag daher möglich, eine Einsatzentscheidung binnen weniger Tage herbeizuführen. Bislang ist in der Praxis dann auch kein Fall aufgetreten, indem die außenpolitische Handlungs- und Bündnisfähigkeit Deutschlands wegen der zeitlichen Abläufe des parlamentarischen Entscheidungsverfahrens substantiell gemindert worden wäre514. Die vielfach geäußerte Kritik am vermeintlich langwierigen parlamentarischen Beratungsvorgang ist empirisch nicht verifizierbar. Deshalb geht es an der deutschen Verfassungswirklichkeit vorbei, wenn der damalige NATO-Generalsekretär Lord Robertson mit Blick auf die Bundesrepublik schnellere nationale Entscheidungsprozesse forderte515, um den Ansprüchen der Zukunft gerecht zu werden. Die avisierten Reaktionszeiten der Schnelleingreiftruppen stellen sicherlich neue Anforderungen an den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt. Sie sind aber keine unüberwindliche Herausforderung. Sollte es dem Bundestag in einem konkreten Fall tatsächlich nicht möglich sein, einen rechtzeitigen Beschluss zu fassen, weist hier das Bundesverfassungsgericht mit seiner Gefahr im Verzug-Regelung einen Ausweg. Denn als zu schützendes Reservat wird in der Out-of-area-Entscheidung neben der Wehrfähigkeit Deutschlands, explizit auch dessen Bündnisfähigkeit benannt516. Um die Bündnisfähigkeit Deutschlands nicht zu gefährden, kann die Regierung Streitkräfte vorläufig entsenden. Diese 512 Vgl. Wiefelspütz, Das Parlamentsheer (2005), S. 328 und 475. Abg. Bartels (SPD), Diskussionsbeitrag, DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 11 sieht das Problem weniger in der zügigen Beschlussfassung des Bundestages, sondern vielmehr in der Zeit, die die Regierung mehrfach benötigte, um einen Antrag zu stellen. 513 Dreist, KritV 2004, 79 (98). 514 Vgl. Wiefelspütz, Das Parlamentsheer (2005), S. 328; Dreist, KritV 2004, 79 (98); Biermann, ZParl 2004, 606 (624). Erwähnt sei aber, dass die Mazedonien-Mission Essential Harvest aufgrund der parlamentsinternen Willensbildung zunächst auf das deutsche Kontingent verzichten musste. Die Bundeswehrsoldaten trafen erst am Einsatzort ein, als die NATO-Partner mit der Einsatzdurchführung (Einsammeln von Waffen der UCK) bereits begonnen haben [Regierungsantrag am 23.08.2001 (BT-Drs. 14/6830), Beginn der 30-tägigen NATO-Operation am 27.08.2001; Zustimmung des Bundestages am 29.08.2001 (BT-PlenProt. 14/184, S. 18210 A), Eintreffen der Bundeswehrsoldaten Anfang September]. 515 Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10.10.2003, ,Schnell einsatzbereit – Das Treffen der NATO-Verteidigungsminister in Colorado Springs‘. 516 BVerfGE 90, 286 (388); vgl. auch BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 58.
D. Abstufung der Parlamentsmitwirkung nach Art
251
Regelung hat aber Ausnahmecharakter, weshalb nicht dauerhaft auf diese exekutivische Notkompetenz zurückgegriffen werden kann. Wenn sich wider Erwarten das reguläre parlamentarische Beschlussverfahren im Rahmen des Einsatzes integrierter Verbände regelmäßig als zu umständlich und zeitintensiv erweisen sollte, ist eine Modifizierung des parlamentarischen Beschlussverfahrens dann nicht nur möglich, sondern auch geboten. Das Bundesverfassungsgericht hat den konstitutiven Plenumsbeschluss ausdrücklich als Prinzip klassifiziert. Als solches ist er mit einem ähnlich starken Prinzip wie der Bündnisfähigkeit in Einklang zu bringen. Da aber nach den bisherigen Erfahrungen Parlamentsvorbehalt und Bündnisfähigkeit nicht kollidieren, begegnet es erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn ersterer bereits zum jetzigen Zeitpunkt abgeschwächt werden soll. 4. Geheimschutz und Einsätze bewaffneter Streitkräfte Geheime Militäroperationen gehören zum notwendigen Instrumetarium der internationalen Krisenbewältigung. Dass der militärische Überraschungseffekt Bedingung für einen erfolgreichen Einsatz sein kann, liegt auf der Hand. Ohne Geheimhaltung sind weder ein weitestgehender Schutz von Leib und Leben der eingesetzten Soldaten zu erreichen, noch die taktisch-operativen Ziele der jeweiligen Mission optimal umsetzbar517. Um die Wehrfähigkeit der Bundesrepublik zu optimieren kann die Geheimhaltung eines Einsatzes demnach geboten sein. Gleichzeitig ist die Wehrfähigkeit ein verfassungsrechtliches geschütztes Prinzip, dem das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich die Fähigkeit zusprach, den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt zu beschränken518. Geraten militärischer Überraschungseffekt und öffentliche Parlamentsbeteiligung in eine gegenseitige Spannung, soll nach Auffassung verschiedener Stimmen in Schrifttum519 und Politik520 eine lediglich nachträgliche Befassung des Parlaments ausreichen. Die operative Notwendigkeit, einen beabsichtigten Einsatz geheim zu halten, sei hier mit einer Gefahr im Verzug-Situation gleichzustellen. Vor allem die FDP-Fraktion schlägt jedoch einen anderen Weg ein, indem sie die 517
Vgl. Hermsdörfer, DVP 2004, 183 (186). BVerfGE 90, 286 (388). 519 Epping, AöR 124 (1999), 423 (455 f.); Dreist, NZWehrr 2002, 133 (146); Schmidt-Radefeldt, Jura 2003, 201 (203 f.); ders., Parlamentarische Kontrolle der internationalen Streitkräfteintegration (2005), S. 162 f.; Burkiczak, ZRP 2003, 82 (85); Hermsdörfer, DVP 2004, 183 (186). 520 Vgl. die Auffassung des Bundesverteidigungsministers Rühe, der anlässlich einer Evakuierungsübung der Bundeswehr im September 1997 meinte, dass bei einer zur Sicherheit der Beteiligten notwendigen Geheimhaltung, das Parlament erst im Nachhinein informiert werde, s. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12.09.1997, ,Rühe: Bundeswehr soll in Krisenregionen tätig werden‘. 518
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
(vorherige) Zustimmung zu notwendigerweise geheimstattfindenden Streitkräfteeinsätze einem speziellen Einsatzausschuss übertragen will521. Um den Blick für die auch praktische Problematik von Geheimeinsätzen zu schärfen, werden im Folgenden die Besonderheiten des prominentesten Falls geheim agierender Soldaten – die Einsätze des Kommandos Spezialkräfte (KSK) – dargestellt. Da zu Art und Umfang der Spezialkräfte-Einsätze naturgemäß kaum offizielle Stellungnahmen oder Informationen vorliegen, werden hierbei vor allem übereinstimmende Medienberichte als Quelle herangezogen. a) Staatspraxis im Falle des Kommandos Spezialkräfte Bei dem Kommando Spezialkräfte handelt es sich um eine militärische Sondereinheit innerhalb der Bundeswehr. Als Elitetruppe kann das am 1. April 1996 in Calw aufgestellte KSK Operationen ausführen, zu denen Militäreinheiten mit gewöhnlicher Ausbildung und Bewaffnung nicht in der Lage wären. Nach Aussagen des damaligen Kommandanten General Reinhard Günzel, sei die Ausbildung der KSK-Soldaten „das Härteste, was man Menschen in der Demokratie abverlangen darf“ 522. Zu den Aufgaben der KSK zählen insbesondere extraterritoriale Geiselbefreiungen, sowie Kampfeinsätze im sog. Krieg gegen den Terror. Vor allem unter letzteren fallen die Aufklärung der gegnerischen Operationsführung, sowie die Vorbereitung der eigenen; weiterhin die Lähmung oder Zerstörung für die gegnerische Operationsführung entscheidender Waffen- und Einsatzmittel, Einrichtungen, Infrastruktur und Anlagen, sowie Bekämpfung von Führungsstäben und Strukturen523. Aufgabenbereich und Aufbau des KSK entsprechen weitgehend dem anderer militärischer Spezialeinheiten in befreundeten Staaten. Auslöser für die Aufstellung der deutschen Eliteeinheit waren Erfahrungen aus dem Frühjahr 1994. Belgische Fallschirmjäger mussten elf Mitarbeiter der Deutschen Welle aus der vom Bürgerkrieg umtobten ruandischen Hauptstadt Kigali retten. Die Bundeswehr hatte seinerzeit keine entsprechend ausgebildete Einheit. Zwar gibt es mit der GSG 9 eine Spezialeinheit des Bundesgrenzschutzes, die auf Rettung von Geiseln in entführten Flugzeugen spezialisiert, aber für militärische Einsätze nicht trainiert ist und zudem nur mit Zustimmung der Behörden im Operationsgebiet eingesetzt werden darf 524. KSK-Operationen müssen rasch und geheim ablaufen. Schon deswegen, so besagt ein internes Papier des Bundesverteidigungsministeriums, werde die im Grundsatzjudikat des Bundesverfassungsgerichts angeordnete vorherige Befas521 Gesetzesentwurf BT-Drs. 15/1985 vom 12.11.2003, § 6 Abs. 1 lit. a), sowie Änderungsentwurf BT-Drs. 16/3342 vom 08.11.2006, Nr. 2. 522 Zit. nach Der Spiegel vom 24.09.2001, ,Gegen das Böse kämpfen‘. 523 Vgl. die Antwort der Bundesregierung auf eine Parlamentarische Anfrage zur Aufstellung des KSK, BT-Drs. 13/6924 vom 07.02.1997, 4 f. 524 § 8 Abs. 1 Nr. 4 Bundesgrenzschutzgesetz (BGSG).
D. Abstufung der Parlamentsmitwirkung nach Art
253
sung des Parlaments in der Regel nicht möglich sein525. Die Soldaten müssen zudem schriftlich versichern, mit niemandem außerhalb des Kommandos über ihre Tätigkeit, geschweige denn über ihre Einsätze zu reden. Verstöße gegen diese Bestimmungen erfüllen in aller Regel den Tatbestand des Geheimnisverrats. Von der Öffentlichkeit dann auch kaum bemerkt, hat das KSK erste, eher untypische Einsätze auf dem Balkan hinter sich gebracht. Mehrfach rückten die Soldaten aus, um im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien gesuchte Kriegsverbrecher festzunehmen. Im Dezember 2001 wurden im Rahmen der Operation Enduring Freedom Einheiten des KSK, erst mit einem Vorauskommando, dann mit insgesamt 100 Mann, nach Afghanistan verlegt526. Der Einsatz endete im Herbst 2003 nach fast zwei Jahren, der Grund für die Beendigung blieb aus vermeintlichen Sicherheitsgründen ebenso im Dunkeln, wie die Modalitäten der Mission selbst527. Auch nach Abschluss der Mission erfolgte keine Erklärung zur KSK-Tätigkeit528. Überhaupt wurde der Einsatz der KSK-Truppe erst Anfang 2002 durch eine Indiskretion des US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld bekannt. Zuvor habe der US-Oberbefehlshaber General Franks bereits mehrmals die Beteiligung deutscher Soldaten an gefährlichen Einsätzen öffentlich machen wollen, sei aber vom Bundesverteidigungsministerium daran gehindert worden529. Parlamentarier beklagten daraufhin, nicht von offizieller Seite informiert geworden 525
Zit. nach: Der Spiegel 14/1997, ,Dosierte Gewalt‘, S. 55. Vgl. Der Spiegel vom 07.05.2002, ,Deutsche Elitetruppe offenbar an vorderster Front‘; Der Spiegel vom 27.05.2002, ,Heil rauszukommen ist die Kunst‘; Die Welt vom 01.02.2003, ,Afghanistan: KSK in schwere Kämpfe verwickelt‘. Der nach Angaben des Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses Wieczorek (SPD) waren sogar „sicherlich mehr als 200“ im Einsatz und dabei „durchaus erfolgreich“, zit. nach: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26.02.2002 ,Kopfschütteln über den voreiligen Ausschussvorsitzenden‘. 527 Siehe die Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesverteidigungsministerium Schulte (SPD), BT-PlenProt. 14/223 vom 13.05.2002, S. 22174 f. auf die Anfrage des Abg. Koppelin (FDP), BT-Drs. 14/8460 vom 08.03.2002, S. 5 Fragen 11 und 12, sowie ihre Antwort in BT-PlenProt. 14/226 vom 20.03.2002, S. 22416 Bff. auf die Anfrage der Abg. Gehrcke, Hübner und Littmann (alle PDS), BT-Drs. 14/8554 vom 15.03.2002, S. 4 Frage 6 – 9 (siehe auch die diversen Nachund Zwischenfragen verschiedener Abgeordneter im Rahmen der im Plenum gegebenen Regierungsantwort). 528 Bundesverteidigungsminister Struck führte im Rahmen der parlamentarischen Aussprache zur zweiten Verlängerung der deutschen Beteiligung an Enduring Freedom (BT-PlenProt. 15/73 vom 07.11.2003, S. 6289 D) lediglich aus: „Bis zum 15. September diesen Jahres waren Teile des Kommandos Spezialkräfte gegen versprengte Reste von Kämpfern der Al Qaida und der Taliban in Afghanistan eingesetzt.“ 529 Zit. nach Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 30.06.2002, ,Stärkere Rolle des KSK? Amerikaner loben Deutsche – Berlin unterdrückt Informationen über Einsätze‘. Die Bundeswehr sei „bei nahezu allen Einsätzen dabei, bei denen hinterher von Seiten des amerikanischen Kommandos nur über Aktionen amerikanischer und britischer Einheiten gesprochen wird“, zitiert derselbe Artikel ranghohe deutsche Offiziere. 526
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
zu sein530. Auch in der folgenden Sitzung des Verteidigungsausschusses blieb dessen Mitgliedern eine nähere Einsicht in die Vorgänge verwehrt531. In dieses Bild fügt sich dann auch, dass die meisten Parlamentarier vom Abzug des KSK im Herbst 2003 erst aus den Medien erfuhren. Zuvor kam ein von der FDPFraktion in Auftrag gegebenes Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages zu dem Schluss, dass die Bundesregierung mit der Zurückhaltung von Informationen über den Einsatz deutscher KSK-Elitetruppen in Afghanistan gegen das Grundgesetz verstoßen habe532. Eine der raren Stellungnahmen von öffentlicher Seite liegt in einem Antwortschreiben des Bundesministeriums der Verteidigung auf den Petitionsantrag eines Bürgers vor. Danach soll der Einsatz der ca. 100 KSK-Soldaten zum Ziel gehabt haben, „Führungs- und Ausbildungseinrichtungen von Terroristen auszuschalten, Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen, sowie Dritte dauerhaft von der Unterstützung terroristischer Aktivitäten abzuhalten.“ 533
Die Aussagekraft dieser Stellungnahme ist begrenzt; er wiederholt lediglich den Wortlaut des allgemeinen Zustimmungsantrags zu Enduring Freedom534. So bleibt offen, wie viele Terroristen die Spezialkräfte gefangen genommen haben und wohin diese verbracht wurden. Wann und wo sie vor Gericht gestellt geworden sind, ist nicht bekannt. Nicht geklärt ist auch, ob Gefangene an amerikanische Streitkräfte übergeben worden sind535. Übereinstimmenden Medienbe-
530 Der CDU-Verteidigungsexperte Breuer beklagte, die Regierung verspiele „Grundvertrauen“. Schärfer formulierte der FDP-Verteidigungspolitiker Nolting: „Verschweigen, tarnen und leugnen sind Kennzeichnen der Informationspolitik des Verteidigungsministeriums in Sachen KSK. Durch diese unverantwortliche Vorgehensweise verkommt der Status der Bundeswehr als Parlamentsarmee zur Farce“, jeweils zit. nach Die Welt vom 26.02.2002, ,Verschluss-Sache Krieg‘. 531 „An der kritischen Grenze“ sah nach der Sitzung der Abg. Nachtwei (Bündnis90/Die Grünen) die Informationen über die KSK-Operationen (vgl. auch dessen Einlassungen in BT-PlenProt. 14/246 vom 28.06.2002, S. 24939 D). „Nicht eine Silbe“ habe der Verteidigungsminister über den KSK-Einsatz verloren, klagte Abg. Nolting (FDP), zit. nach: Spiegel-online 04.03.2002, ,Höllisch aufpassen‘. 532 Eising/Kramer, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Fachbereich WF II, Nr. 074/02 vom 19.06.2002. 533 Antwortschreiben des Bundesministerium der Verteidigung auf einen Bürgerantrag an den Petitionsausschuss, zit. nach Spoo, in: Humanistische Union et al. (Hrsg.), Grundrechtereport (2004), S. 134 (135 f.). 534 Vgl. BT-Drs. 14/7296 vom 07.11.2001, S. 3. 535 Es soll allerdings eine interne Weisung gegeben haben, mutmaßliche Terroristen nicht zu verhaften, um sie nicht an die Amerikaner ausliefern zu müssen, die wegen ihres Umgangs mit Kriegsgefangenen international scharf kritisiert werden, zit. nach Der Spiegel vom 23.05.2005, ,Geheimer Auftrag für die Deutschen‘; vgl. zu Diskussionen innerhalb der Bundesregierung, ob der KSK-Einsatz und dessen konkrete Durchführung vom Völkerrecht gedeckt ist, Der Spiegel vom 13.05.2002, ,Stille Zweifel‘.
D. Abstufung der Parlamentsmitwirkung nach Art
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richten zufolge beteiligte sich das KSK unter anderem an den Gefechten mit mutmaßlichen Taliban- oder Al Qaida-Angehörigen im Bereich der Bergfestung Tora Bora536. Eine Beteiligung an kriegsähnlichen Aktionen oder gar die Exekution angetroffener Taliban oder Al Qaida-Mitglieder hätte dem Bundestagsmandat zu Enduring Freedom jedoch widersprochen537. Zur Frage, ob KSK-Soldaten verletzt oder gar getötet worden sind, äußern sich die offiziellen Stellen ebenfalls nicht. Während sich die Abgeordneten mit der Informationspolitik der Regierung offenbar abgefunden haben, war überraschenderweise aus den Reihen des KSK selbst heftige Kritik an der Afghanistanoperation zu vernehmen538. Brigadegeneral Reinhard Günzel warnte schon vor dem Beginn des Einsatzes, die KSK in Kampfhandlungen zu schicken539. Während ihres Einsatzes beklagten sich dann auch Soldaten, dass sie nicht gemäß ihrem Aufgabenspektrum eingesetzt würden. Sie fühlten sich als „politisches Symbol“ missbraucht, weil die USA die deutsche Elitetruppe angefordert hätten und die Bundesregierung diesem Ersuchen widerspruchslos gefolgt sei540. Anfang 2005 war erstmals zu vernehmen, dass das KSK vor einem neuerlichen Einsatz in Afghanistan stünde541. Im Mai 2005 ist dann tatsächlich ein Voraustrupp des KSK nach Afghanistan aufgebrochen, die Hauptkräfte folgten kurz darauf. Offenbar handelte es sich um den bis dato umfangreichsten Einsatz, der unter größter Geheimhaltung vorbereitet wurde542. Wiederum sind keine Informationen über den Umfang, über das Einsatzgebiet oder über den 536
Vgl. Spiegel-online 04.03.2002, ,Höllisch aufpassen‘. Berichtet wurde auch, dass das KSK im Dezember 2001 an jenen Gefechten um Tora Bora beteiligt gewesen sei, bei denen es Osama bin Laden gelungen sein soll, verletzt zu entkommen, s. nur Der Spiegel vom 27.05.2002, ,Heil rauszukommen ist die Kunst‘. 537 Zwar ließ das Parlamentsmandat zu Enduring Freedom (BT-Drs. 14/7296 vom 07.11.2001) offen, wie viele der 100 Mann der Spezialkräfte wann und vor allem wie eingesetzt werden sollen. Doch sicherte Bundeskanzler Schröder noch am 8. November 2001 in seiner Regierungserklärung (PlenProt. 14/198, S. 19825 A) zu, dass Bundeswehreinheiten keine Kampfeinsätze im Rahmen von Enduring Freedom durchführen werden: „Mir ist besonders wichtig festzuhalten: Es geht weder um eine deutsche Beteiligung an Luftangriffen noch um die Bereitstellung von Kampftruppen am Boden.“ 538 Die Welt vom 28.10.2002, ,KSK-Kräfte wollen Afghanistan verlassen‘; Der Spiegel vom 03.08.2002, ,Deutsche KSK-Elitesoldaten wollen nach Hause‘. 539 Weiter wird Brigadegeneral Günzel zitiert, dass nach dem 11. September die Bereitschaft der Politik gestiegen, gegebenenfalls den Tod von ein paar Elitesoldaten in Kauf zu nehmen, um das Leben von Tausenden Zivilisten zu retten, zit. nach Spiegel-online vom 21.09.2001, ,Es würde ein Blutbad geben‘. 540 Vgl. Der Spiegel vom 07.10.2002, ,Es bleiben nur Krümel‘. 541 Spiegel-online vom 12.01.2005, ,KSK-Elitesoldaten sollen zurück an den Hindukusch‘; Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29.01.2005, ,Schickt Struck KSK-Kräfte wieder nach Afghanistan?‘. 542 Der Spiegel vom 23.05.2005, ,Geheimer Auftrag für die Deutschen‘; Die Welt vom 25.05.2005, ,KSK-Soldaten in Afghanistan‘; Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 03.06.2005, ,Unsichere Grundlage‘.
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
genauen Auftrag zugänglich gemacht worden. Selbst die Obleute der Fraktionen, Anfang des Jahres grob informiert, „kennen den genauen Auftrag und den militärischen Befehl nicht“, so einer der Vertrauensleute543. Nach dem Abschluss der Parlamentswahlen in Afghanistan am 18. September 2005 hat der Eliteverband seinen Geheimeinsatz beendet544. Ein Teil der Spezialkräfte soll in einer Provinz im Nordosten des Landes, den Schutz der dort stationierten deutschen ISAF-Soldaten gewährleistet haben, die in der Provinzhauptstadt Faizabad ein Wiederaufbauteam betreiben. Schwerpunkt des KSK-Einsatzes sei aber der Kampf im südöstlichen Teil des Landes, im Grenzgebiet zu Pakistan gewesen, wo Taliban und Al Qaida eine Frühjahrsoffensive gegen die Amerikaner gestartet haben. Die deutschen Spezialkräfte sollen sich diesmal von Anfang an um einen eigenen Sektor gekümmert haben, in dem sie auch die sog. coordinating authority innehatten, womit sie ihre Ziele weitgehend selbst bestimmten. Gefangene sollten möglichst an afghanische Sicherheitskräfte übergeben werden. Für Aufsehen sorgte ein Medienbericht545, wonach KSK-Soldaten davon berichteten, dass „der Einsatz in Afghanistan aufs Ausschalten von Hochwertzielen im Drogengeschäft“, auf „drug enforcement“ hinauslaufe. Offen sollen hierbei die Soldaten ergänzt haben: „Wir sollen die Drahtzieher ausschalten, eliminieren.“ 546 Falls sich dieser Medienbericht bestätigen sollte, stellt sich in zweierlei Hinsicht die Frage, inwieweit dieses neuerliche Engagement der KSK in Afghanistan von den entsprechenden Bundestagsbeschlüssen gedeckt ist. Zum einen enthält das Mandat zu Enduring Freedom keinen Hinweis, dass Streitkräfte auch zur Drogenbekämpfung eingesetzt werden sollen. Wenig überzeugend ist hierbei eine auch als vorsorgliche Rechtfertigung deutbare Antwort des verteidigungspolitischen Sprechers der SPD, auf die Frage, ob KSK-Soldaten entgegen ihres Mandats auch gegen Drogenbosse im Einsatz seien: „Da gibt es Überschneidungen. Ein Terrorist kann sein Terrorgeschäft über Drogen finanzieren“ 547. Zum 543 Der Spiegel vom 23.05.2005, ,Geheimer Auftrag für die Deutschen‘; vgl. auch Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 03.06.2005 ,Afghanistan-Mandat soll präzisiert werden‘. 544 Der Spiegel vom 01.10.2005, ,KSK kehrt heim‘; Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 08.11.2005, ,KSK-Einsatz offenbar beendet‘. 545 Der Stern vom 07.07.2005, ,Diesmal wird es Tote geben‘. Brisant ist dieser Bericht auch deshalb, weil der Bundesverteidigungsminister ausdrücklich der journalistischen Begleitung der Soldaten zustimmte. 546 In anderem Zusammenhang legte die Bundesregierung im Januar 2008 jedoch dar, „die (. . .) ,gezielte Tötung Verdächtiger‘ im Sinne einer ,Liquidierung‘ der völkerrechtlich verpflichtend auferlegten Ziel- und Wirkungsanalyse sowohl begrifflich als auch insbesondere inhaltlich fremd ist. Zur Vermeidung eventueller Missverständnisse ist deshalb ausdrücklich festzustellen, dass deutsche Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr derartige ,Liquidierungen‘ nicht durchführen und auch nicht durchgeführt haben.“, vgl. Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Kossendey, BT-Drucksache 16/7794 vom 18.01.2008, S. 22 auf eine Anfrage des Abg. Ströbele (Bündnis90/ Die Grünen). 547 Abg. Arnold zit. nach ddp-Meldung vom 14.07.2005.
D. Abstufung der Parlamentsmitwirkung nach Art
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anderen droht der Einsatz der KSK-Soldaten zum Schutz von ISAF-Truppen in Faizabad zur weiteren Verwischung der Grenzen zwischen den verschiedenen Einsätzen beizutragen. Die Unterscheidung zwischen den ISAF-Friedenstruppen und den KSK-Soldaten, die im Rahmen von Enduring Freedom Kampfeinsätze durchführen sollen, wird vor Ort schwerlich umsetzbar sein. Von den meisten Parlamentariern wird diese Praxis hingenommen. Kritische Stimmen bleiben wiederum der Bundeswehr und KSK-Soldaten vor Ort überlassen, die sich „als Spielball der Politik sehen“ und befürchten „für einen Sitz im Weltsicherheitsrat von der Bundesregierung verheizt“ zu werden548. Nach Äußerungen von Bundesaußenminister Steinmeier sei das KSK nach 2005 nicht mehr im Rahmen von Enduring Freedom eingesetzt worden, sondern nur noch zum Schutz des ISAF-Kontingents549. Auf Druck der SPD-Fraktion und des Bundesaußenministers sollte das KSK-Kontingent daher im Dezember 2008 nicht mehr in das Mandat für Enduring Freedom aufgenommen werden. Die Beteiligung an Enduring Freedom ist für die Bundewehr damit auf den maritimen Einsatz im Mittelmeer und am Horn von Afrika beschränkt. Im Wege eines politischen Kompromiss‘ sollen die KSK-Soldaten dennoch in Afghanistan bleiben, um weiterhin die ISAF-Truppen zu schützen550. Im geltenden ISAF-Mandat551 findet sich jedoch keine ausdrückliche Erwähnung der Spezialkräfte. Man wird sie wohl unter Ziff. 6 „Einzusetzende Kräfte und Fähigkeiten“ unter „Stabilisierung, Sicherung, Schutz und ggf. Evakuierung“ einordnen müssen. b) Bewertung der Staatspraxis Die nunmehr auch in § 6 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes statuierte grundsätzliche Unterrichtungspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Parlament, läuft bei Einsätzen des KSK praktisch leer. Nun mag die militärische Geheimhaltung im Einzelfall tatsächlich eine vorherige konstitutive Beteiligung oder auch Unterrichtung des Plenums ausschließen. Auch während eines bereits laufenden Einsatzes können ohne Geheimhaltung weder ein weitest gehender Schutz von Leib und Leben der eingesetzten Soldaten noch die taktisch-operativen Ziele der jeweiligen Operation erreicht werden. Die Regierung neigt gegenwärtig indes zur Hypertrophie der Geheimhaltung. International ist die Informationspraxis der Bundesregierung weitgehend singulär, befreundete Länder – etwa Großbritannien aber auch die Vereinigten Staaten – gehen weit offener mit 548
Der Stern vom 07.07.2005, ,Diesmal wird es Tote geben‘. Ders., BT-PlenProt. 16/185 vom 04.11.2008, S. 19755 A. Vgl. auch Der Spiegel vom 06.10.2008, ,Riskanter Vorstoß‘. 550 Bundesverteidigungsminister Jung, BT-PlenProt. 16/185 vom 04.11.2008, S. 19758 A. 551 BT-Drs. 16/10473 vom 07.10.2008. 549
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
den Einsätzen ihrer militärischen Spezialkräfte um. Es ist kaum ersichtlich, warum nicht etwa der Verteidigungsausschuss, der auf Geheimhaltung verpflichtet werden kann552, relevanten Informationen erhält, geschweige denn vorherig befasst wird. Auch die Obleute der Fraktionen kennen den genauen Auftrag und den militärischen Befehl nicht. Die Aktivitäten des KSK entziehen sich selbst in ihren groben Zügen der allgemeinen parlamentarischen Kenntnis und Kontrolle. Inwieweit es sich aus Sicherheitsgründen immer noch verbiete, über die Rahmenbedingungen des im Oktober 2003 abgeschlossenen KSK-Einsatzes Stillschweigen zu bewahren, legt die Bundesregierung nicht dar553. Sie muss sich die Frage gefallen lassen, welche konkreten Sicherheitsgründe entgegenstehen, etwa Angaben über die Zahl verletzter oder gar getöteter KSK-Soldaten zu machen. Es kann politisch nur schwerlich genügen, wenn die Koalitionsregierung unter Führung von Bundeskanzlerin Merkel auf die neuerliche Gesetzesinitiative der FDP-Fraktion, aus der Mitte des Bundestages ein vertrauliches Gremium zu wählen, mit dem Vorschlag reagiert, den informellen Kreis auf die Fraktionsvorsitzenden zu erweitern554. Die informierten Obleute und Fraktionsvorsitzenden sind in dieser Funktion lediglich durch ihre Fraktion, nicht jedoch durch das Parlament legitimiert. Die Unterrichtung eines so erweiterten Personenkreises ist kein Verfahren des Parlamentes555, da es an einem „institutionell in den Bereich des Parlaments eingefügt(en)“ 556 Entscheidungsprozess mangelt. Mit den Intentionen des Out-of-area-Urteils ist diese Praxis kaum vereinbar. Faktisch ist das KSK eine Truppe der Exekutive und nicht mehr Teil einer Parlamentsarmee. c) Ausschusslösung der FDP-Initiativen Auch wenn eine militärische Geheimhaltung von Streitkräfteeinsätzen Bedingung für deren Erfolg sein kann, darf dies aufgrund des Prinzipiencharakter des Parlamentsvorbehaltes nicht per se zum Ausschluss des parlamentarischen Rechts auf vorherige Zustimmung bzw. Unterrichtung während des Einsatzes führen557. Bei einer vermehrten Berufung auf das militärische Erfordernis der Geheimhaltung würde die in der Out-of-area-Entscheidung angelegte Konkordanz zwischen dem Eigenbereich exekutivischer Handlungsbefugnis und dem 552
Vgl. § 69 Abs. 7 GOBT i.V. m. Anlage 3 zur GOBT. Vgl. zuletzt etwa die Antwort der Bundesregierung vom 15. Mai 2008 auf die Frage, ob das KSK bei den Kämpfen in Tora Bora beteiligt war, BT-Drs. 16/9249, S. 19 f. 554 Vgl. BT-Drs. 16/6157 vom 26.07.2007, S. 2 und 16/6670 vom 23.10.2007, S. 5. 555 So ebenfalls Axer, ZRP 2007, 82 (83). 556 Siehe zu dieser Voraussetzung BVerfGE 44, 308 (317). 557 Ähnlich Röben, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 103 (105). 553
D. Abstufung der Parlamentsmitwirkung nach Art
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Parlamentsvorbehalt einseitig zugunsten der Exekutive verschoben. Dem methodischen Grundsatz nach, darf das Prinzip der parlamentarischen Beteiligung dann nicht gänzlich zurückgedrängt werden, wenn ein Mittel oder ein Verfahren ersichtlich ist, durch das einerseits die gebotene Geheimhaltung gewährleistet wird, durch das andererseits aber das Recht auf vorherige Zustimmung weniger stark beschränkt wird als durch dessen völligen Ausschluss. Ein solches Mittel, das das Recht des Parlaments auf vorherige Zustimmung und laufende Unterrichtung stärker schont, kann etwa die Errichtung eines auf Geheimhaltung verpflichteten parlamentarischen Gremiums sein558. In der Geschichte der Bundesrepublik gibt es hierfür einen Präzedenzfall. Von 1956 an war das von Bundeskanzler Adenauer installierte Parlamentarische Vertrauensmännergremium für die Kontrolle zunächst nur des Bundesnachrichtendienstes zuständig. Ab 1964 unterfielen seiner Kontrolle auch die anderen Dienste. Die Arbeit des Gremiums beruhte auf rein informellen Absprachen zwischen Regierung und Fraktionen. Zudem war es nicht aus vom Bundestag gewählten Abgeordneten zusammengesetzt, sondern aus Mitgliedern, die von den Fraktionen entsandt wurden. Das Gremium trat nur auf Einladung durch den Bundeskanzler zusammen, der gleichzeitig auch den Vorsitz führte. Erst am 11. April 1978 institutionalisierte der Gesetzgeber die Geheimdienstkontrolle559. Mit der neuerrichteten Parlamentarischen Kontrollkommission wurde ein Instrument gewählt, dass sich in Verfahren und Zusammensetzung zwischen dem ursprünglich beabsichtigten ständigen Untersuchungsausschuss und dem als unzureichend angesehenen Vertrauensmännergremium bewegt. Auf die Problematik der Geheimhaltungsbedürftigkeit von Bundeswehreinsätzen geben der FDP-Entwurf der 15. Wahlperiode560, sowie die Änderungsinitiative der 16. Wahlperiode561 eine überzeugende Antwort562. In Fällen der Geheimhaltungsbedürftigkeit eines Einsatzes bewaffneter Streitkräfte soll die Erstentscheidungsbefugnis des Bundestages an das eigens einzurichtende Einsatzgremium übertragen werden, § 6 Abs. 1 lit. a). Über den so beschlossenen Einsatz solle dieses Gremium laufend unterrichtet werden, § 8 Abs. 1 Satz 1. Sehr weit geht die Vorstellung der FDP-Fraktion, wenn der Ausschuss nach § 8 Abs. 2 auch entsprechende Akten- und Dateneinsicht verlangen, sowie Regierungsmitarbeiter zur Auskunft einbestellen kann. Hier kollidiert das Informationsrecht des Ausschusses mit dem Kernbereich exekutiver Handlungsbefugnisse in den Bereichen des Auswärtigen sowie der regierungsinternen Vorgänge. 558 Baldus, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06. 2004, S. 39 (79). 559 BGBl. I, S. 453. 560 BT-Drs. 15/1985 vom 12.11.2003. 561 BT-Drs. 16/3342 vom 08.11.2006. 562 Problematisch ist indes § 6 Abs. 2 des FDP-Entwurfs, dazu gleich.
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
Dies führt jedoch nicht zur Verfassungswidrigkeit des § 8 Abs. 2563, sondern zu seiner restriktiven, verfassungskonformen Auslegung. In der Praxis dürfte die Vorschrift deshalb nur beschränkte Wirkkraft entfalten. Das Plenum soll nach Einsatzende von der Bundesregierung in einem abschließenden Bericht informiert werden, § 8 Abs. 1 Satz 2. Weiterhin überzeugt die FDP-Lösung durch § 9, weil er durch den Verweis auf die Vorschriften der Geheimschutzordnung des Bundestages auch die nötigen praktischen Voraussetzungen eines funktionierenden parlamentarischen Verfahrens wahrt. Gehen die Kompetenzen des FDP-„Ausschusses für besondere Auslandseinsätze“ jedoch über die Belange der Geheimhaltung hinaus, ist Kritik zu üben. Die Regelung des § 6 Abs. 2 des FDP-Gesetzesentwurfs aus der 15. Wahlperiode bzw. die entsprechende Vorschrift des Änderungsentwurfs der 16. Wahlperiode dürfte verfassungsrechtlich keinen Bestand haben564. Die Vorschrift sieht laut Begründung „fakultativ vor, dass der Deutsche Bundestag in geeigneten Fälle dem Ausschuss für besondere Auslandseinsätze einen Antrag der Bundesregierung überweisen und diesen mit einer Ermächtigung zur abschließenden Entscheidung verbinden kann“. Dieses Procedere kann aufgrund der allgemein gehaltenen Formulierungen auch für problematische Erstentscheidungen angewendet werden, die in ihrer Qualität über die Fallgruppen des § 6 Abs. 1 lit. a–c (Geheimeinsätze, Gefahr im Verzug, PEP-Soldaten) hinausgehen. Der Bundestag als Ganzes könnte sich so seiner Verpflichtung, über Militär- und Kriegsmissionen zu entscheiden, entziehen. Hieran ändert auch die Möglichkeit des Plenums nicht, eine einmal nach § 6 Abs. 2 delegierte Zustimmung nach § 6 Abs. 3 wieder an sich ziehen zu können. Weiterhin erscheint der FDP-Entwurf problematisch, wenn der Bundestag einen durch die Regierung unmittelbar an den Ausschuss gerichteten Antrag nur dann zur eigenen Beratung und Beschlussfassung an sich ziehen können soll, wenn es sich um einen Fall der Gefahr im Verzug hält. In den anderen Fällen eines unmittelbaren Regierungsantrags an den Ausschuss, namentlich wegen Geheimschutz oder eines PEP-Einsatzes nach § 6 Abs. 1 lit. a und c, wird eine Entscheidung des Bundestages unwiderruflich substituiert. Eine so weitgehende Delegation begegnet auch dann verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn die FDP-Fraktion zwar betont, dass man den Ausschuss in der Absicht vorschlage, „die Zahl der Fälle, in denen die Regierung allein entscheidet, auf ganz wenige reduzieren“ zu wollen565. Doch eröffnet die Grammatik des § 6 Abs. 1 Spielräume, welche die wohl kaum in-
563
So aber Axer, ZRP 2007, 82 (84). Ähnlich H. H. Klein, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 93 (101). 565 Abg. van Essen (FPD), BT-PlenProt. 15/100 vom 25.03.2004, S. 8984 B; vgl. auch BT-Drs. 15/1985 vom 12.11.2003, S. 6 zu § 5. 564
D. Abstufung der Parlamentsmitwirkung nach Art
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tendierte Folge haben könnten, dass sich die Bundesregierung allzu häufig nur an das Gremium und nicht an das Plenum wendet566. Trotz dieser Kritik bleibt festzuhalten, dass im Bereich der Geheimeinsätze der Bundeswehr der Lösungsvorschlag der FDP-Fraktion weit austarierter ist, als die meisten Vorschläge der Wissenschaft. Das Spannungsfeld zwischen notwendigerweise geheim stattfindenden Militäreinsätzen und wehrverfassungsrechtlichem Parlamentsvorbehalt wird nämlich nicht einseitig zu Lasten des Parlamentes, sondern praktisch konkordant aufgelöst. Die in der Ersten Lesung des FDP-Reformentwurf am 24. Oktober 2007567 von den anderen Fraktionen geäußerte Ablehnung, legt die Vermutung nahe, dass ein eigens einzurichtendes Einsatzgremium auf absehbare Zeit aber nicht verwirklicht wird; es ließe sich dennoch in Erwägung ziehen, ob in Geheimschutzbelangen nicht wenigstens der Verteidigungsausschuss zumindest informal konsultiert werden müsste, um dem Gedanken der parlamentarischen Kontrolle auch bei geheimen Spezialoperationen effektiver Rechnung zu tragen568. Dem Verteidigungsausschuss obliegt generell die durchgehende parlamentarische Begleitung sämtlicher Vorgänge des Verteidigungswesens. Im Vergleich zum Plenum sind die Beratungen im Ausschuss ausnahmslos nicht-öffentlich und die Ausschussmitglieder zu entsprechender Verschwiegenheit verpflichtet. Für seine Beratungen kann der Verteidigungsausschuss flexibel die jeweils erforderliche Geheimhaltungsstufe festlegen. Aufgrund dieser bestehenden Vorzüge, stellt sich dann die Frage, ob die Schaffung eines neuen Gremiums für die Kontrolle von geheimen Militäreinsätzen der Bundeswehr überhaupt erforderlich ist569. Für den FDP-Vorschlag eines aus der Mitte des Bundestages zu wählenden Spezialgremiums spricht indes, dass sich ein Bundeswehreinsatz nicht im Militärischen erschöpft, wie die regelhafte Mitwirkung von bis zu sieben Ausschüssen im konstitutiven parlamentarischen Beschlussverfahren zeigt. 5. Zwischenergebnis Als Ergebnis ist festzuhalten, dass lediglich im Rahmen notwendigerweise geheim durchzuführenden Einsätzen ein aktuelles Bedürfnis und ein dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt entsprechend starkes Gegenprinzip zu erkennen ist. Hier lässt sich eine einfachgesetzliche Delegation rechtfertigen, um beide Prinzipien zur Geltung zu verhelfen. Es zeigt sich, dass das Bundes566 Meyer, HSFK-Reports 4/2004, S. 27; ähnlich Abg. Pofalla (CDU), BT-PlenProt. 15/100 vom 25.03.2004, S. 8988 f.; ders., ZRP 2004, 221 (223). 567 Vgl. BT-PlenProt. 16/120, S. 12512 Dff. 568 Schmidt-Radefeldt, Jura 2003, 201 (204 FN 26). Nach Scholz, Referat, DVParlProt vom 04.06.2003, S. 2 (9) könnte auch der Auswärtige Ausschuss miteinbezogen werden. 569 Verneinend Eising/Kramer, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Fachbereich WF II, Nr. 074/02 vom 19.06.2002.
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
verfassungsgericht durch die konkrete Ausgestaltung und die Mindestvorgaben zum parlamentarischen Beteiligungsverfahren seine eigene Forderung nach einer einfachgesetzlichen Ausgestaltung konterkariert. Denn der Spielraum, der sich für den einfachen Gesetzgeber eröffnet, bleibt denkbar eng. Angesichts dieser beschränkten Variationsmöglichkeiten des konstitutiven Zustimmungsverfahrens, spricht dann Ralf Alexander Lorz auch anschaulich von einem „zu groben Hammer für eine kleine Nuss“ 570. Unbeschadet dessen, verbleibt natürlich dem verfassungsändernden Gesetzgeber die Möglichkeit, einen umfassend zuständigen Einsatzausschuss einzurichten. Die materielle Rechtmäßigkeit einer Grundgesetzänderung hat alleine die sog. Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG zum Maßstab571. Die Klausel ist als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts sind nur die wesentlichen Regelungsgehalte von Art. 1 und 20 GG nicht verhandelbar572. Unzulässig ist lediglich die prinzipielle Aufgabe der genannten Grundsätze. Punktuelle Modifikationen, die von sachgerechten Überlegungen getragen sind, berühren die Ewigkeitsgarantie hingegen nicht. Einer grundgesetzliche Implementierung eines Einsatzausschuss stehen verfassungsdogmatisch daher keine Bedenken im Wege. Ein positiver Nebeneffekt einer derartigen „großen Ausschuss-Lösung“ wäre, dass damit im Verfassungstext erstmals ein parlamentarisches Zustimmungserfordernis zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr statuiert würde.
IV. Weitere Lösungsvorschläge zur Abstufung des parlamentarischen Beteiligungsverfahrens In der Diskussion zur Vereinfachung und Beschleunigung des parlamentarischen Beschlussfahrens hat es an Vorschlägen nicht gefehlt. Von besonderem Interesse war – wie bereits angesprochen – vor allem die verfahrensrechtliche Ausgestaltung beim Einsatz integrierter Verbände. Immer wieder wurde auf die vom Bundesverfassungsgericht – mit Blick auf mögliche Entwicklungen, die 1994 noch nicht erkennbar waren – eher vage gehaltenen Formulierungen zurückgegriffen, wonach „im Rahmen völkerrechtlicher Verpflichtungen die parlamentarische Beteiligung nach der Regelungsdichte“ abgestuft werden kann, „in der die Art des möglichen Einsatzes der Streitkräfte bereits durch ein vertraglich geregeltes Programm militärischer Integration vorgezeichnet ist“ 573.
570
Lorz, Interorganrespekt im Verfassungsrecht (2001), S. 370. Vgl. zum Folgenden Brunhöber/Hasselbach, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Fachbereich WF III, Nr. 162/01 vom 15.01.2002. 572 BVerfGE 30, 1 (24 f.); 84, 90 (120 f.); 94, 12 (34). 573 BVerfGE 90, 286 (389). 571
D. Abstufung der Parlamentsmitwirkung nach Art
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Auch wenn man bezweifeln mag, ob den integrierten Verbänden in ihrer bisherigen Fundierung überhaupt vertraglich geregelte Programme im Sinne dieser verfassungsrichterlichen Formulierungen zugrunde liegen574, sollen die verschiedenen Lösungsansätze erörtert werden. 1. Einsatz integrierter Verbände als Gefahr im Verzug-Situation? Vor allem Rupert Scholz empfiehlt im Rahmen der integrierten Verbände, den Zustimmungsvorbehalt des Bundestages gesetzlich dahin auszugestalten, dass eine nur nachträgliche Zustimmung des Bundestages einzuholen ist575. Die Konstellationen beim Einsatz integrierter Verbände seien unschwer mit dem Tatbestand der Gefahr im Verzuge zu vergleichen, für den das Verfahren der nachträglichen Zustimmung für verfassungsgemäß erklärt worden ist. Aus diesem Grunde sollte im Kontext der Regelung von Fällen der Gefahr im Verzug eine Klausel des Inhalts aufgenommen werden, dass dieser Tatbestand auch dann erfüllt sei, wenn Einsatzentscheidungen auf Grundlage von multinationalen Streitkräfteorganisationen zu treffen sind. Diese Erweiterung des Ausnahmetatbestandes der Gefahr im Verzug führt indes unweigerlich zu einer Umkehrung des vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Regel-Ausnahme-Verhältnisses. Angesichts der umfassenden Bündnisintegration erscheint dann der Weg zu einem „Im Zweifel für das Bündnis“ nicht mehr weit576. Das Bundesverfassungsgericht will den Tatbestand der Gefahr im Verzug eng verstanden wissen; es gebraucht hierfür ausdrücklich die Begriffe des Not-577 bzw. Ausnahmefalls578. Zwar ist es bei der Entsendung integrierter Verbände in einem entsprechenden Einzelfall verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn sich die Regierung auf Gefahr im Verzug beruft. Eine generelle Berufung auf die exekutive Notkompetenz ist aber abzulehnen. Ebenfalls vermag der Scholzsche Hinweis auf die nachträgliche Befassung des Plenums und dessen Möglichkeit, die Soldaten dann zurückzubeordern, nicht recht zu überzeugen. Bei einem bereits stattfindenden, von der Regierung alleine beschlossenem Einsatz wiegt das Argument der Bündnissolidarität schwerer, als in der frühen Phase der Einsatzvorbereitung579. Mit Blick auf die Bünd574
Siehe Drittes Kapitel, D. III. 3. b). Scholz, Referat, DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 2 (8 ff.); ders., Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 115 (121); ähnlich Spies, in: Fischer et al. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Fleck (2004), S. 531 (556). 576 Ebenso Schmidt-Radefeldt, Parlamentarische Kontrolle der internationalen Streitkräfteorganisation (2005), S. 192. 577 BVerfGE 90, 286 (388). 578 BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 58. 579 Vgl. AWACS II-Entscheidung, BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 80: „Die vorherige Beteiligung ist gegenüber einem späteren parlamentarischen Rückruf 575
264
3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
nistreue könnte das Parlament bei einem laufenden Einsatz wohl nur in dramatischen Ausnahmefällen der Bundesregierung widersprechen und diese zwingen, die deutschen Kontingente aus den integrierten Verbänden herauszulösen und damit die Handlungsunfähigkeit der verbliebenen Rumpfverbände heraufzubeschwören. Derselbe Befund gilt unter dem Gesichtspunkt der (Verfassungs-)Organtreue, will der Bundestag die Regierung auf internationaler Ebene nicht desavouieren. Die Verlagerung des Zeitpunktes der parlamentarischen Mitwirkung bei Einsätzen integrierter Eingreiftruppen würde daher das Spannungsfeld zwischen den Prinzipien der Bündnisfähigkeit und des exekutiven Eigenbereich einerseits, sowie der vorherigen parlamentarischen Einsatzzustimmung andererseits, nicht konkordant auflösen, sondern faktisch die Aufgabe des Parlamentsvorbehaltes bedeuten. 2. Generelle Vorabzustimmung zu Einsätzen integrierter Verbände Vor allem aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wurde gefordert580, dass der Einsatz deutscher Soldaten in integrierten Verbänden auf Grundlage einer parlamentarischen Generaleinwilligung erfolgen soll581. Dem Parlamentsvorbehalt sei mit einem Rückholrecht Genüge getan. Schließlich habe das Bundesverfassungsgericht die militärische Wehrfähigkeit und die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik, sowie den von der Verfassung für außenpolitisches Handeln gewährten Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis als Verfassungsprinzipien ausgegeben, welche die Geltung des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes gegenläufig beschränken können. Je klarer und detaillierter Einsätze integrierter Verbände völkerrechtlich vorgezeichnet seien, desto eher könne das Parlamentsbeteiligungsgesetz eine generelle Zustimmung erteilen. Die von der CDU/CSU-Fraktion favorisierte Generaleinwilligung kann jedoch verfassungsrechtlich keinen Bestand haben582. Zutreffend lehnen die anderen deutscher Soldaten (. . .) auch zugleich die für die außenpolitische Handlungs- und Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland schonendere Alternative“. 580 Entwurf für ein Eckpunktepapier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (Stand: 11.11.2003), Ziff. III.Die Unterscheidung, ob es sich um eine generelle Ermächtigung handeln soll [hierfür Abg. Ch. Schmidt (CDU/CSU) zit. nach Der Spiegel vom 27.11. 2003 „Entsendegesetz: Regierung hält an Parlamentsentscheidung fest“], oder um eine zeitlich beschränkte, die am Beginn jeder Legislaturperiode erneuert werden müsste [hierfür: Abg. v. Klaeden (CDU/CSU), BT-PlenProt. 15/100 vom 25.03.2004, S. 8990 f.; Rühe (CDU/CSU), in: Süddeutsche Zeitung vom 19.12.2003 ,Außenansicht: Die Kontrolle von Auslands-Einsätzen‘], ist hierbei kaum erheblich. 581 Diese Forderung geht auf Blumenwitz, BayVBl. 1994, 641, 678 (682) zurück; vgl. aus der Wissenschaft auch Wieland, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 133 (136); H. H. Klein, in: Horn (Hrsg.), Festschrift für Walter Schmitt Glaeser (2003), S. 245 (261); Eitelhuber, SWP-Studie 2004/ S10, S. 15 f.
D. Abstufung der Parlamentsmitwirkung nach Art
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Fraktionen im Bundestag dieses Modell unisono als Preisgabe der Parlamentsrechte ab. Ein derartiger „Vorratsbeschluss“, der auf eine Einzelfallbefassung des Bundestages verzichtet, entzöge bestimmte Bundeswehrkontingente pauschal der verfassungsgerichtlichen Forderung nach einer „parlamentarische(n) Entscheidung über den konkreten Einsatz“ 583.
Mit der kursiven Hervorhebung im Entscheidungstext verdeutlicht das Bundesverfassungsgericht, dass gerade auf den einzelnen Einsatz abzustellen ist. An anderer Stelle führt es explizit aus, dass „jeder Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der NATO sowohl zur kollektiven Verteidigung als auch zur Krisenreaktion von der Zustimmung des Bundestages abhängig“ 584
sei. Gerade zur Krisenreaktion sind die integrierten Verbände aber eingerichtet worden. Zudem soll der vom Bundesverfassungsgericht geforderte Zustimmungsbeschluss gewährleisten, dass die Abgeordneten bei jedem einzelnen Einsatz die Risken abwägen und eine verantwortliche Entscheidung treffen. Dies gilt umso mehr bei völkerrechtlich nicht eindeutigen Militärmissionen585. Der Einsatz integrierter Verbände ist nämlich nicht etwa deshalb schon im Einklang mit dem Völkerrecht, weil er multinational erfolgt. Sowohl die NATO Response Force, als auch die European Rapid Reaction Force sollen auch ohne VN-Mandat eingesetzt werden können, wodurch Konflikte mit dem Völkerrecht nicht auszuschließen sind. Gerade in diesem Zusammenhang erweist sich die politische Einzelfallbetrachtung auf nationaler Ebene, d.h. die offene parlamentarische Debatte über die außenpolitischen und völkerrechtlichen Parameter eines NRF- oder ERRF-Einsatzes als unerlässlich586. Erschwerend kommt hinzu, dass
582 Vgl. Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 92; Baldus, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 39 (83 f.); a. A. Wiefelspütz, Das Parlamentsheer (2005), S. 358. 583 BVerfGE 90, 286 (387) – Hervorhebung im Original. Auf der folgenden Seite der amtlichen Sammlung wird nochmals die „verfassungsrechtlich gebotene Mitwirkung des Bundestages bei konkreten Entscheidungen über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ herausgestellt, s. BVerfGE 90, 286 (388). 584 BVerfGE 104, 151 (208) – Hervorhebung nicht im Original. Nach Baldus, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 39 (84) negierte eine parlamentarische Generaleinwilligung nicht nur die Funktion des Parlamentsvorbehaltes, sondern wäre geradezu eine „überflüssige Verdoppelung“ des bereits nach Art. 59 Abs. 2 GG ergangenen Zustimmungsgesetzes. 585 Schmidt-Radefeldt, Parlamentarische Kontrolle der internationalen Streitkräfteorganisation (2005), S. 191. 586 Nach Vöneky/Wolfrum, ZaöRV 62 (2002), 569 (595, 601) liegt der Sinn des Parlamentsvorbehaltes gerade in der Befassung des Bundestages mit den verfassungs- und völkerrechtlichen Implikationen des konkreten Bundeswehreinsatzes, um einen Missbrauch der Streitkräfte vorzubeugen.
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
im Falle der integrierten Verbände deutsche Soldaten in harte bewaffnete Auseinandersetzungen einbezogen werden können. Die intensivsten und gefahrvollsten Einsatzszenarien der Bundeswehr wären damit schwächer legitimiert als vergleichsweise harmlose Blauhelmeinsätze. 3. Große Lösung über ein Revokationsrecht Nicht nur für Einsätze geringer Intensität oder im Rahmen integrierter Verbände, sondern grundsätzlich für jegliches Einsatzszenario schlägt Rupert Scholz in einem früheren Beitrag eine weitreichende Verfahrensmodifikation vor587. Die Regierung solle dem Bundestag eine Vorabinformation zuleiten, falls sie einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte beabsichtige588. Der Bundestag könne in einem solchen Fall, in dem er noch nicht zu einer konstitutiven Zustimmung aufgerufen ist, mit einem klassischen (schlichten) Parlamentsbeschluss signalisieren, wie er diese Absicht beurteilt. Käme es in der Folge zu einem Einsatz, stünde dem Bundestag das Rückrufrecht zu. Eine stärkere Akzentuierung des Revokationsrecht sei nach Scholz „die verfassungspolitisch, sicherheitspolitisch und auch verfassungsrechtlich allerbeste, sauberste Lösung“. Diesem, über andere Überlegungen weit hinausreichendem Vorschlag ist zuzugestehen, dass hierbei das von Karlsruhe vorgeschriebene Kriterium der Vorherigkeit durchaus gewahrt bliebe. Gleichzeitig wird jedoch übersehen, dass der Parlamentsbeschluss nicht nur zeitlichen Ansprüchen genügen muss, sondern auch materiell-rechtlichen. Ein entsprechender Parlamentsbeschluss hat nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nämlich mit konstitutiver Wirkung zu ergehen und nicht in klassisch unverbindlicher Form. Scholz lässt in seinen Überlegungen entsprechend starke, dem Parlamentsvorbehalt in seinem konstitutiven Gehalt gegenläufige Verfassungsprinzipien vermissen. Es fehlt somit an der verfassungsdogmatischen Prämisse, um die grundsätzliche Bindungswirkung des Parlamentsbeschlusses zum Einsatz bewaffneter Streitkräfte aufzuweichen. Wenn Scholz dem Parlament ein stärker akzentuiertes Rückholrecht zur Hand geben will, um den Verlust des rechtsverbindlichen Charakters des Parlamentsbeschlusses auszugleichen, erfordert dies zudem, dass ein derartiges Revokationsrecht vor dem Hintergrund der Out-of-area-Entscheidung überhaupt Bestand haben kann589. Das Bundesverfassungsgericht hat sich
587 Scholz, Referat, DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 2 (8 ff.); ähnliche Vorschläge bei Meier-Klodt, SWP-Studie 2002/S34, S. 9; Röben, ZaöRV 63 (2003), 585 (592). 588 Für den Bereich der integrierten EU-Verbände, halten Lamers/Schäuble/Scholz, Zukunftskonzept Sicherheit (2002), unter Nr. 7, die Information eines Parlamentsgremiums über einen geplanten Einsatz für ausreichend. Das Gremium könne dann die Bundesregierung auffordern, von der Einsatzabsicht Abstand zu nehmen. Offengelassen wird hierbei, ob es sich um eine rechtsverbindliche oder lediglich politische Aufforderung handeln soll.
D. Abstufung der Parlamentsmitwirkung nach Art
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zu einem allgemeinen Rückholrecht des Bundestags aber nicht explizit geäußert590. 4. Zwischenergebnis und Ausblick Unbestreitbar stellt die immer weiter voranschreitende militärische Integration der Bundeswehr in multinationale Verbände die größte Herausforderung für den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt dar. Die Untersuchung der Staatspraxis und entsprechender Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zeigen, dass parlamentarisches Zustimmungsverfahren und Bündnisfähigkeit bislang nicht derart kollidieren, dass substantielle Beschneidungen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes verfassungsrechtlich oder -politisch angezeigt wären. Die vielfältigen Reformvorschläge der Wissenschaft und der politischen Praxis belasten einseitig den Parlamentsvorbehalt und lassen ergebnisorientiert dessen spezifische verfassungsrechtliche Begründung weitgehend außen vor. Ein Schattendasein in der wissenschaftlichen und politischen Diskussion führt bislang die Frage, ob angesichts der faktisch zunehmenden Integration und multinationalen Verflechtung mittel-, zumindest aber langfristig, die Bundesrepublik ihren nationalen Zustimmungsvorbehalt zum Einsatz bewaffneter Streitkräfte übertragen könnte. Obwohl Wissenschaft und Politik immer wieder einen scheinbar drohenden Verlust der Bündnisfähigkeit skizzieren, scheuen beide weitgehend die Fragestellung einer Entscheidungsdelegation etwa auf die europäische Ebene. Dies verwundert, denn bündnis- und integrationsorientierter könnte eine Lösung kaum sein. Denkbar wäre es, das Spannungsverhältnis zwischen dem nationalen Parlamentsvorbehalt und dem Ziel einer europäischen Integration so anzugehen, dass es zukünftig zu einer wirkungsvollen Beteiligung des Europäischen Parlaments an sicherheitspolitischen Entscheidungen kommt591. Bisher bleiben allerdings die Kompetenzen des Europäischen Parlaments im Bereich der 2. Säule (GASP/ESVP) deutlich hinter seiner Zuständigkeit im vergemeinschafteten Bereich zurück592. Entgegen dem durch ihr öffentliches Schattendasein erweckten Anschein kommt hingegen der Parlamentarischen Versammlung der WEU eine in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten 589 Scholz selbst, lehnt ein Revokationsrecht weitgehend ab (vgl. Diskussionsbeitrag, DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 34), wodurch seine Darstellungen widersprüchlich werden. 590 Näheres Drittes Kapitel, F. III. 591 So auch das Positionspapier der Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen vom 03.11.2003, Ziff. 3.4.; ähnlich Lamers/Schäuble/Scholz, Zukunftskonzept Sicherheit (2002), unter Nr. 7, 8, wonach „demokratisch legitimierte Institutionen im Rahmen der EU“ die Einsatzentscheidung übertragen werden solle. 592 Ausführlich Thym, AVR 42 (2004), 44 ff.; Lotz, in: Kämmerer/Wyrzkowski (Hrsg.), Verfassungsgebung für Europa (2005), S. 53 ff.
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
stetig gewachsene Rolle bei der Kontrolle des militärischen Integrationsprozesses zu. Derzeit besitzt aber auch die Parlamentarische Versammlung – die auch nach ihrer weitgehenden Inkorporierung in die EU als Interim European Society and Defense Assembly ihre Arbeit fortführt – keine Entscheidungskompetenzen über einen Streitkräfteeinsatz als ultim ratio des EU-Krisenmanagements. Im Rahmen der Erarbeitung der Europäischen Verfassung schlug sie dem Konvent vor, neben dem Europäischen Parlament eine zweite Kammer aus nationalen Parlamentariern zu errichten und dieser die demokratische Kontrolle der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu überantworten. Bis das Europäische Parlament selbst593, oder die vorgeschlagene zweite Kammer594 mit einem dem deutschen Parlamentsvorbehalt vergleichbaren Mitwirkungsrecht ausgestattet ist, könnte die Interim European Society and Defense Assembly diese Funktion ansatzweise übernehmen595. Durch wachsende und auszubauende Kompetenzen der Assembly eröffnete sich auch für diejenigen EU-Staaten, die auf keine Tradition parlamentarischer Entscheidungsbeteiligung beim Einsatz der Streitkräfte zurückblicken können, die Möglichkeit auf diesem Feld erste Schritte zu wagen. Sobald die Assembly, das Europäische Parlament selbst oder eine zweite Kammer über ein qualifiziertes Mitspracherecht bei der Entsendung der integrierten EU-Verbände verfügt, könnte der deutsche Parlamentsvorbehalt grundsätzlich durch Souveränitätsverzicht auf die europäische Ebene übertragen werden596.
E. Gefahr im Verzug Die konstitutive Beschlussfassung des Bundestages hat grundsätzlich vor der Entsendung der Streitkräfte zu erfolgen; das Erfordernis einer vorherigen Zustimmung entfällt nur dann, wenn Gefahr im Verzug besteht. Als Kompensation für die fehlende vorherige Zustimmung wird dem Parlament durch die Out-ofarea-Entscheidung die Möglichkeit eingeräumt, den ohne seine Zustimmung zustandegekommenen Einsatz zu beenden: „Die verfassungsrechtlich gebotene Mitwirkung des Bundestages bei konkreten Entscheidungen über den Einsatz der bewaffneter Streitkräfte darf die militärische Wehrfähigkeit und die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht beeinträchtigen. Deshalb ist die Bundesregierung bei Gefahr im Verzug berechtigt, 593 Hierfür Schmidt-Radefeldt, in: Fischer et al. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Fleck (2004), S. 489 (504). 594 Dieser Vorschlag wurde jedoch sowohl vom Konvent als auch in der Wissenschaft abgelehnt, s. die Nachweise bei Schmidt-Radefeldt, in: Fischer et al. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Fleck (2004), S. 489 (503 FN 42). 595 Meyer, HSFK-Reports 4/2004, S. 38. 596 Vgl. Meyer, HSFK-Reports 4/2004, S. 38; eher skeptisch Rittberger, Building Europe’s Parliament (2005), S. 177 ff.; 197 ff.
E. Gefahr im Verzug
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vorläufig den Einsatz von Streitkräften zu beschließen und an entsprechenden Beschlüssen in den Bündnissen oder internationalen Organisationen ohne vorherige Einzelermächtigung durch das Parlament mitzuwirken und diese vorläufig zu vollziehen. Die Bundesregierung muss jedoch in jedem Fall das Parlament umgehend mit dem so beschlossenen Einsatz befassen. Die Streitkräfte sind zurückzurufen, wenn es der Bundestag verlangt. Dem Gesetzgeber bleibt es unbenommen, die Voraussetzungen eines solchen Notfalls und das zu beachtende Verfahren näher zu regeln.“ 597
Dieser militärische Exekutivvorbehalt wurzelt als Notkompetenz im Gedanken des rechtfertigenden Notstandes, wonach eine verfahrensmäßig vorgeschriebene Vorgehensweise aus Zeitgründen ausnahmsweise als verzichtbar anerkannt wird598. Den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt mit einer Notkompetenz für die Exekutive oder mit einer anderen Ausnahmeregelung zu verbinden, entspricht deutscher Verfassungstradition, wie sie auch in Art. 59a GG Abs. 2 a. F. GG599 oder in der Fiktion des Verteidigungsfalls nach Art. 115a Abs. 4 GG zum Ausdruck kommt. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht in seiner Out-of-area-Entscheidung nur über militärische Einsätze im Rahmen kollektiver Sicherheitssysteme entschied, spricht wenig für eine Beschränkung dieser Notkompetenz auf Einsätze nach Art. 24 Abs. 2 GG; durch die ausdrückliche Bezugnahme auf die Wehrfähigkeit der Bundesrepublik wird man eine vorherige parlamentarische Zustimmung vielmehr auch dann für entbehrlich halten müssen, wenn die Bundesrepublik unilateral handelt600. Die exekutive Einsatzermächtigung bei Gefahr im Verzug ergänzt und erweitert bereits anerkannte Kernbereiche der Regierung. Die Frage nach einem allgemeinen Exekutivvorbehalt wurde in der Verfassungshistorie lange Zeit nicht gestellt, da die konstitutionelle Epoche allein darauf bedacht war, die monarchische Staatsgewalt durch Gesetzes- und Richtervorbehalt zu bändigen. Der heute ebenfalls demokratisch legitimierten Exekutive können aber – durchaus im Einklang mit dem Demokratieprinzip – grundsätzlich eigene Kompetenzen zur letztverbindlichen Entscheidung zugewiesen werden. In diesem Sinne hielt das Bundesverfassungsgericht dann erstmals in seiner Kalkar-Entscheidung vom
597 BVerfGE 90, 286 (388); vgl. auch BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 58. 598 Schmidt-Radefeldt, Parlamentarische Kontrolle der internationalen Streitkräfteintegration (2005), S. 158. 599 Art. 59a Abs. 1, 2 GG a. F. lauteten: (1) Die Feststellung, dass der Verteidigungsfall eingetreten ist, trifft der Bundestag. Sein Beschluss wird vom Bundespräsidenten verkündet. (2) Stehen dem Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegen, so kann bei Gefahr im Verzuge der Bundespräsident mit Gegenzeichnung des Bundeskanzlers diese Feststellung treffen und verkünden. Der Bundespräsident soll zuvor die Präsidenten des Bundestages und des Bundesrates hören. 600 Ähnlich Oeter, NZWehrr 2000, 89 (98).
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
8. August 1978 fest, dass eine allumfassende Parlamentszuständigkeit das grundgesetzliche System der Gewaltentrennung zu einem Gewaltenmonismus hin verändern würde601. Weiterhin führte es Mitte der 80er Jahre in seinen Flick-602 und Pershing-603Entscheidungen aus, dass der Grundsatz der parlamentarischen Verantwortung der Regierung notwendigerweise einen Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung voraussetze, welcher eine Zustimmung des Parlaments oder eine Ermächtigung durch förmliches Gesetz nur dort zulässt, wo das Grundgesetz sie statuiert604. Die Regierungsfunktion umfasst somit einen dem Parlament verschlossenen Kernbereich der Exekutive. Der selbständigen Entscheidungsgewalt der Regierung unterliegen etwa die Richtlinienkompetenz des Kanzlers nach Art. 65 Satz 1 GG und die Aufnahme oder der Abbruch diplomatischer Beziehungen605, der Bereich der Personalangelegenheiten606, der Vorgang der regierungsinternen Willensbildung607, allgemeine Akte des auswärtigen Verkehrs608, sowie die Befugnis zur Selbstorganisation nach Art. 65 Satz 4 GG und die Zuweisung der Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte auf den Verteidigungsminister bzw. den Bundeskanzler (nicht zu verwechseln mit der Organkompetenz zum Streitkräfteeinsatz). In jedem Einbruch in den Kernbereich – aber auch nur dann – liegt eine Verletzung des Gewaltenteilungsprinzips609. Zum Arkanbereich der Bundesregierung zählt nach dem Out-of-areaUrteil nun auch das exekutive Recht zum (vorläufigen) militärischen Alleinhandeln bei Gefahr im Verzug.
I. Staatspraxis Die Staatspraxis kennt drei Fälle, in denen der Bundestag erst nachträglich einem bewaffneten Streitkräfteeinsatz bzw. seiner Modifizierung zustimmte. Jedoch nur bei einem Einsatz – der Operation Libelle am 14. März 1997 zur Evakuierung deutscher Staatsbürger aus Albanien – berief sich die Regierung ausdrücklich auf ihre Notkompetenz zum Alleinhandeln bei Gefahr im Verzug.
601 BVerfGE 49, 89 (124 ff.). Einen „Kernbereich der Exekutive“ formulierte das Bundesverfassungsgericht bereits 1959, vgl. BVerfGE 9, 268 (280). 602 BVerfGE 67, 100 (139). 603 BVerfGE 68, 1 (87). 604 Instruktiv Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. III (1988), § 62 Rndr. 53 ff. 605 BVerfGE 49, 89 (124 f.). 606 BVerfGE 9, 268 (282). 607 BVerfGE 67, 100 (139). 608 BVerfGE 68, 1 (83 ff., 87). 609 BVerfGE 9, 268 (280).
E. Gefahr im Verzug
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1. IFOR/Joint Endeavour 1995 Der erste Fall einer nachträglichen Zustimmung war die von der Bundesregierung im Rahmen der deutschen Beteiligung an IFOR/Joint Endeavour am 28. November 1995 beschlossene Vorausverlegung von Personal und Führungskräften für internationale Hauptquartiere im früheren Jugoslawien610. Dadurch brauchte der ständige German Military Representative beim Headquarter UNPF (United Nations Peace Forces) in Zagreb nach Ende des UNPF-Mandats und dessen Fortsetzung durch die NATO-Mission IFOR/Joint Endeavour nicht zurückgerufen werden, sondern konnte seine Tätigkeit an gleicher Stelle im Rahmen von IFOR fortführen611. Diese Vorausverlegung vollzog sich noch vor dem konstitutiven Beschluss des Bundestages zu IFOR vom 6. Dezember 1995612, obwohl es sich um einen zustimmungspflichtigen Vorgang handelte: Während die Beteiligung von Soldaten der Bundeswehr an ständigen integrierten sowie multinational besetzten Stäben und Hauptquartieren internationaler Organisationen noch keinen Einsatz bewaffneter Streitkräfte darstellt, besteht bei einer Verwendung in eigens für konkrete militärische Unternehmungen gebildeten Stäben und Hauptquartieren der Vorbehalt der konstitutiven Zustimmung des Bundestages613. Weder den Beschlüssen der Regierung, noch denen des Bundestages ist ein Hinweis zu entnehmen, dass das Alleinhandeln der Regierung bei der Vorausverlegung von Personal und Führungskräften durch eine Gefahr im VerzugSituation geboten war. Diskutiert wurde dieser Vorgang weder in den Ausschüssen614, noch im Plenum615, obwohl die parlamentarischen Beratungen ansonsten kontrovers geführten wurden. Der Bundestag und seine Mitglieder scheinen diese Eigenmächtigkeit der Regierung stillschweigend geduldet zu haben. 2. Aufstockung der ISAF-Kräfte 2002 Ein weiterer Fall einer nachträglichen Bundestagszustimmung betrifft das ISAF-Mandat616. Da sich im Mai 2002 die Sicherheitslage in Afghanistan ver610
BT-Drs. 13/3122 vom 28.11.1995. Vgl. Hermsdörfer, UBWV 2003, 404 (405). 612 BT-PlenProt. 13/76, S. 6673 B. 613 Vgl. § 2 Abs. 2 Satz 1 ParlBG, wonach „vorbereitende Maßnahmen und Planungen“ vom Einsatzbegriff ausgenommen sind – hierunter fallen ständige integrierte Stäbe; gleichzeitig qualifiziert das Parlamentsbeteiligungsgesetz in § 4 Abs. 3, 3. SpStr die Verwendung „einzelne(r) Soldatinnen und Soldaten im Rahmen eines Einsatzes der VN, der NATO, der EU oder einer Organisation, die einen VN-Auftrag erfüllt“ als grundsätzlich zustimmungspflichtig, worunter auch ad-hoc eingerichtete multinationale Stäbe fallen; vgl. auch die Gesetzesbegründung BT-Drs. 15/2742, S. 5. 614 Vgl. KurzProt. Rechtsausschuss 13/32 vom 01.12.1995 und die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf BT-Drs. 13/3183 vom 04.12.1995. 615 BT-PlenProt. 13/76 vom 06.12.1995, S. 6632 ff. 616 Vgl. Hermsdörfer, UBWV 2003, 404 (405 f.). 611
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
schärfte, war der Eigenschutz des deutschen Anteils an ISAF zu verstärken. Am 5. Juni 2002 beschloss daher die Regierung das deutsche Kontingent ab dem folgenden Tag um 80 Soldaten aufzustocken und beantragte im Rahmen der (späteren, regulären) Verlängerung der ISAF-Mission ausdrücklich, der Bundestag möge dieser vorübergehenden Verstärkung „nachträglich“ zustimmen617. Das Parlament kam dieser Aufforderung am 14. Juni 2002 nach und billigte eine weitere vorübergehende Personalverstärkung um bis zu 200 Soldaten618. Wiederum fehlen sowohl im Regierungsantrag, als auch in parlamentarischen Stellungnahmen619 ausdrückliche Bezugnahmen auf den verfassungsrechtlichen Ausnahmetatbestand der Gefahr im Verzug620. 3. Operation Libelle 1997 Im Frühjahr 1997 destabilisierte sich aufgrund verschiedener außen- und innenpolitischen Faktoren die Situation in Albanien derart, dass die dortige Staatsgewalt vorübergehend fast vollständig zusammenbrach621. 21 Deutsche und 77 Angehörige anderer Nationen622 flüchteten daraufhin in die deutsche Botschaft in Tirana. Ihnen drohte akute Gefahr an Leib und Leben. Die albanische Regierung konnte für sie keine Sicherheitsgarantie abgeben und der Landweg aus Albanien war abgeschnitten. Daher beschlossen am 14. März 1997 der Bundeskanzler, sowie der Verteidigungs- und der Außenminister eine Luftevakuierung durch deutsche Streitkräfte623. Die Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, die Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, des Auswärtigen Ausschusses, 617
BT-Drs. 14/9246. BT-PlenProt. 14/243 vom 14.06.2002, S. 24479B. 619 KurzProt. Rechtsausschuss 14/132 vom 12.06.2002; Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses, BT-Drs. 14/9437 vom 12.06.2002; BT-PlenProt. 14/243 vom 14.6.2002, S. 24464 ff. 620 Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 61 wertet die ISAF-Aufstockung gleichwohl als Fall der Gefahr im Verzug. 621 Baldus, in: Erberich et al. (Hrsg.), Friede und Recht (1998), S. 259 (275) spricht von einem failed state; zu den tatsächlichen äußeren Bedingungen, Ablauf und eingesetztem Personal, s. Hermsdörfer, BayVBl 1998, 652 (652 f.); Epping, AöR 124 (1999), 423 (424 f.); Kreß, ZaöRV 57 (1997), 329 (330 f.); Glawatz, in: Goebel (Hrsg.), Von Kambodscha bis Kosovo (2000), S. 295 ff. 622 Zum Status Schutzbefohlener siehe § 6 Abs. 3 Konsulargesetz, Art. 20 EUV, EU-Ratsbeschluss vom 19.12.1995 über den Schutz der Bürger der Europäischen Union durch die diplomatischen und konsularischen Vertretungen (95/553/EG, Abl. Nr. L 314/73 vom 28.12.1995). 623 Bei den eingesetzten Streitkräften handelte es sich aufgrund der geographischen Nähe um Mitglieder der in Bosnien-Herzegowina stationierten SFOR-Truppe und nicht etwa um Einheiten des eigens für Evakuierungen errichteten und in Calw stationierten Kommandos Spezialkräfte; dazu, dass die GSG 9 oder andere Spezialeinheiten des Bundesgrenzschutzes für die Evakuierung nicht in Betracht gekommen sind, siehe die Antwort der Bundesregierung auf die entsprechende Frage der Abg. Altmann (Bündnis90/Die Grünen), BT-Drs. 13/7455 vom 18.04.1997, S. 4 unter Nr. 5. 618
E. Gefahr im Verzug
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sowie die Obleute wurden vorab informiert. Die Evakuierung wurde unter dem Namen Operation Libelle noch am selben Tage binnen Stunden durchgeführt und erfolgreich beendet. Trotz Beschuss durch albanische Bewaffnete – von deutscher Seite wurde das Feuer erwidert – konnten alle Eingeschlossenen unversehrt gerettet werden. Ein konkret auf die Evakuierung bezogenes, vorab gegebenes Einverständnis der albanischen Regierung konnte nicht eingeholt werden, die Zustimmung erfolgte im Nachhinein624. Ebenso kam es zu keinem vorherigen konstitutiven Bundestagsbeschluss. Auch das Kabinett billigte die Rettungsaktion erst nachträglich, ebenso wie der Verteidigungs-, der Rechtsausschuss und der federführende Auswärtige Ausschuss625. Abschließend stimmte der Bundestag, der am 18. März 1997 offiziell von der Bundesregierung informiert worden war626, am 20. März 1997 dem Einsatz zu und war sich mit der Bundesregierung einig, dass bei der Operation Libelle eine Gefahr im VerzugSituation im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorlag627. Die Operation Libelle ist in zweierlei Hinsicht als Novum in der Geschichte der Bundesrepublik zu werten. Zum einen führte die Bundeswehr zum ersten Mal autonom – also in alleiniger Verantwortung – eine militärische Operation im Ausland durch. Zum anderen war sie der erste und bislang einzige offizielle Anwendungsfall der durch das Bundesverfassungsgericht aufgestellten Gefahr im Verzug-Regelung.
II. Regelung im Parlamentsbeteiligungsgesetz Eine nähere Definition der Voraussetzungen und des Verfahrens bei Einsätzen zur Abwendung einer Gefahr im Verzug findet sich im Parlamentsbeteiligungsgesetz nicht, obwohl das Bundesverfassungsgericht hervorhob, dass es dem Gesetzgeber unbenommen bleibe, „die Voraussetzungen eines solchen Notfalls und das zu beachtende Verfahren näher zu regeln.“ 628
624 In der mangelnden Eindeutigkeit der albanischen Zustimmung liegt in tatsächlicher Hinsicht ein Unterschied zur Rettungsoperation der Spezialeinheit GSG 9 des Bundesgrenzschutzes im Jahre 1977 in Mogadishu. Damals ging man im ausdrücklichen Einvernehmen mit den somalischen Behörden vor. Eine überzeugende völkerrechtliche Bewertung der nachträglichen Billigung liefert Kreß, ZaöRV 57 (1997), 329 (337 ff.). 625 BT-Drs. 13/7265 vom 19.03.1997. 626 BT-Drs. 13/7233 vom 18.03.1997. 627 Aussprache im Plenum, BT-PlenProt. 13/166 vom 20.03.1997, S. 14969 ff.; vgl. insbesondere Abg. Voigt (SPD) ebda., S. 14774; Abg. Nolting (FDP), ebda., S. 14977. 628 BVerfGE 90, 286 (388).
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
Im Wesentlichen übernimmt das Parlamentsbeteiligungsgesetz die interpretationsfähigen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. In dieser Frage herrschte im Vorfeld auch weitgehende Einigkeit zwischen den Bundestagsfraktionen. Auf das verfassungsrichterlich begründete Recht zur nachträglichen Beschlussfassung und zum Rückruf hätte im Parlamentsbeteiligungsgesetz – da einfaches Recht – auch nicht verzichtet werden können. Das im Fall Libelle praktisch erprobte parlamentarische Zustimmungsverfahren sollte nach dem Willen von SPD und Bündnis90/Die Grünen nicht modifiziert werden, während die CDU/ CSU629 und die FDP630 diese Frage dem Einsatzausschuss überlassen wollten. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz benennt weder die Rechtsgüter, die in einer Gefahrensituation betroffen sein müssen, noch bestimmt es den Grad der Schadenswahrscheinlichkeit, der die Ausnahmebefugnis der Bundesregierung zur vorläufigen Alleinentscheidung begründet. Schon im Vorfeld wurde in der Literatur geäußert, dass sich eine nähere Definition auch nicht empfehle631. Angesichts der Unvorhersehbarkeit künftiger Ereignisse sollte der Tatbestand der Gefahr im Verzug eher unbestimmt gehalten werden. Durch den Rückgriff auf Formulierungen des Bundesverfassungsgerichts und aufgrund der Ausführungen in den Gesetzesmaterialien 632, ist aber kein Zweifel daran, dass zumindest die Wehr- und Bündnisfähigkeit Deutschlands als zu schützende Rechtsgüter in das Parlamentsbeteiligungsgesetz aufgenommen sind. Im Einzelnen hält das Parlamentsbeteiligungsgesetz in § 5 Abs. 1 Satz 1 fest, dass Einsätze bei Gefahr im Verzug, die keinen Aufschub dulden, auch keiner vorherigen Zustimmung des Bundestages bedürfen. Ein entsprechender Antrag auf Zustimmung ist aber unverzüglich nachzuholen. Lehnt der Bundestag den Antrag ab, ist der Einsatz durch die Regierung zu beenden. Ein sofortiger Abbruch des Einsatzes muss dies nicht bedeuten. Die Bundesregierung hat insbesondere ihrer Schutzverpflichtung gegenüber den eingesetzten Soldaten nachzukommen, so dass im Einzelfall zwar ein geordneter, aber kein sofortiger Rückzug verlangt werden kann. Auch im Hinblick auf multinationale Operationen kann die Regierung nicht zwingend zu einem unmittelbar auf den negativen Parlamentsbeschluss folgenden Totalabzug des deutschen Kontingents verpflichtet werden. Die Bündnissolidarität kann ein zeitlich und personell abgewogenes Vorgehen begründen. Gleichwohl sieht sich die Bundesregierung einem gewis-
629 Entwurf für ein Eckpunktepapier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (Stand: 11.11.2003), Ziff. VI. 630 BT-Drs. 15/1985 vom 12.11.2003, § 6 Abs. 1 b), sowie der Änderungsentwurf BT-Drs. 16/3342 vom 08.11.2006 Nr. 2 ff. 631 H. H. Klein, in: Horn (Hrsg.), Festschrift für Walter Schmitt Glaeser (2003), S. 245 (261); Scholz, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 116 (126). 632 BT-Drs. 15/2742 vom 23.03.2004 zu § 5.
E. Gefahr im Verzug
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sen „Beschleunigungsgrundsatz“ ausgesetzt, damit das parlamentarische Rückholrecht im konkreten Fall nicht leer läuft. Eine Modifikation zu den materiell-rechtlichen Vorgaben aus Karlsruhe nimmt der Gesetzgeber allerdings vor, wenn nach seinem Willen eine bloß nachträgliche parlamentarische Zustimmung auch bei Einsätzen zur Rettung von Menschen aus besonderen Gefahrenlagen ausreiche, solange durch die öffentliche Befassung des Bundestages das Leben der zu rettenden Menschen gefährdet würde. Für solche Evakuierungsmissionen gelte „gleiches“ wie bei Gefahr im Verzug-Einsätzen, § 5 Abs. 1 Satz 2 ParlBG633. Dies reicht zunächst über den reinen Wortlaut des Out-of-area-Urteils hinaus, wonach als zu schützendes Reservat ausdrücklich nur „die militärische Wehrfähigkeit und die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland“ 634 und nicht etwa die körperliche Unversehrtheit seiner oder anderer Staatsbürger im Ausland genannt wird. 1. Begriff der Gefahr im Verzug Das Schrifttum neigt zu einer eher extensiven Auslegung schützenswerter, die vorherige Parlamentszustimmung potentiell derogierender Rechtsgüter. Über die Wehr- und Bündnisfähigkeit hinaus, seien besonders hochrangige Rechtsgüter wie Leib und Leben635, aber auch unersetzliche kulturelle Werte, gegenüber denen Deutschland eine besondere Schutzpflicht habe636, der Gefahr im VerzugRegelung zugänglich. Einer allzu weiten Auslegung ist jedoch der wehrrechtliche Ausgangspunkt der Out-of-area-Entscheidung entgegenzuhalten. Im Unterschied zum Polizeirecht kommen im Wehrrecht nicht alle strafrechtlich geschützten Rechtsgüter in Betracht. Nach Hans Hugo Klein erklärt sich dieser Unterschied ohne weiteres daraus, dass es nicht um die Aufrechterhaltung der innerstaatlichen Ordnung gehe, sondern um einen internationalen Konflikt, bei dem völkerrechtliche Grundsätze wie die Friedenspflicht und die Achtung der Souveränität fremder Staaten auf dem Spiel stünden637.
633 Als eine Gefahr im Verzug-Situation erkennt nunmehr auch die FDP-Fraktion (Änderungsentwurf BT-Drs. 16/3342 vom 08.11.2006, § 6 Abs. 1 Nr. b) die Rettung von akut bedrohten Menschenleben an, wenn durch die öffentliche parlamentarische Beschlussfassung die Gefahrenlage noch gesteigert würde. 634 BVerfGE 90, 286 (388); vgl. auch BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 58. 635 Dau, NZWehrr 1998, 89 (99); Baldus, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 39 (80 f.). 636 H. H. Klein, in: Horn (Hrsg.), Festschrift für Walter Schmitt Glaeser (2003), S. 245 (262); Pofalla, ZRP 2004, 221 (223). Allerdings bleibt offen, was man unter diesen Werten zu verstehen hat. 637 Ders., in: Horn (Hrsg.), Festschrift für Walter Schmitt Glaeser (2003), S. 245 (262).
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
a) Wehr- und Bündnisfähigkeit als zu schützende Verfassungsprinzipien Als Rechtsgut, das es zu schützen gilt, benennt das Bundesverfassungsgericht die Wehr- und Bündnisfähigkeit Deutschlands638. Beide dürfen durch die verfassungsrechtlich gebotene Mitwirkung des Parlaments nicht beeinträchtigt werden639. Die Errichtung einer exekutiven Notkompetenz um die Bündnisfähigkeit Deutschlands nicht zu gefährden, ist ein notwendiges Korrelat zur grundsätzlichen Erstreckung des Zustimmungsvorbehaltes auch auf den Bündnisfall. Unter Bündnisfähigkeit ist nicht nur die Fähigkeit zur traditionellen Bündnisverteidigung gemeint. Der Gleichklang von Bündnisfähigkeit und Wehrfähigkeit könnte diesen restriktiven Schluss zunächst nahe legen, denn mit Wehrfähigkeit meint das Bundesverfassungsgericht offenkundig die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands. Aufgrund der offenen Formulierung des Bundesverfassungsgerichts – es spricht nicht etwa von der Fähigkeit im Bündnisfall – und seiner wiederkehrenden Betonung des verfassungsrechtlichen Gewichts der internationalen Integration, ist aber nicht von dieser engen Lesart auszugehen. Vielmehr wird ein vorheriger Parlamentsbeschluss ausnahmsweise auch dann entbehrlich sein, wenn die NATO in einem zeitlich dringlichen Fall ihre Krisenbewältigungsaufgaben wahrnimmt oder andere non-article-5-missions durchführt. b) Lebensschutz und Wehrauftrag Indem das Parlamentsbeteiligungsgesetz bei der militärischen Rettung von Menschen aus akuten Bedrohungssituationen im Ausland eine nachträgliche Plenumbefassung ausreichen lassen will, ist nicht nur eine verfahrensrechtliche Regelung getroffen; der Gesetzgeber bringt damit auch Vorstellungen im Bezug auf das materielle Recht zum Ausdruck, wonach der Bundeswehr solch eine Evakuierungsmission völker- und verfassungsrechtlich erlaubt sein soll640. Ob das Völkerrecht derlei Einsätze – in Ermangelung einer Zustimmung des Aufenthaltstaates – erlaubt, ist hingegen genauso umstritten, wie die Interpretation des Grundgesetzes in dieser Frage. Das Out-of-area-Urteil enthält sich einer Aussage, ob Gefahr im Verzuge auch bei Einsätzen zur Rettung von Menschen aus akuten Gefahrenlagen gegeben ist. Ein allzu unbedachter Rückgriff auf diese grundgesetzliche Ausnahmeregelung – wie ihn der einfache Gesetzgeber, sowie weite Teile der Literatur641 vornehmen – scheidet demnach aus. Unprob638 Dies verkennt Gilch, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz (2005), S. 125 wenn er meint, das Bundesverfassungsgericht habe die schützenswerten Rechtsgüter nicht benannt. Wenn demgegenüber Lutze, DÖV 2003, 972 (977) auf die Gefährdung schon allein des Einsatzzwecks abstellt, geht dies zu weit. 639 BVerfGE 90, 286 (388); BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 58. 640 Vgl. Rau, AöR 44 (2006), 93 (95 f.), der darauf hinweist, dass das Parlamentsbeteiligungsgesetz insofern zur Schaffung und Verfestigung von Verfassungswirklichkeit beiträgt.
E. Gefahr im Verzug
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lematisch wäre ein solcher Rückgriff, wenn mit einem drohenden Verlust von Menschenleben gleichzeitig die Wehr- und Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik zu besorgen wäre. Eine Beeinträchtigung der Bündnisfähigkeit erscheint in einer solchen Konstellation ausgeschlossen. Hingegen wäre die Wehr- bzw. Verteidigungsfähigkeit Deutschlands bedroht, wenn Evakuierungen von Menschen materiell-rechtlich als Verteidigung i. S. des Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG angesehen werden könnten. Obwohl schon der Verteidigungscharakter militärischer Aktionen der Bundeswehr zur Rettung deutscher Staatsbürger aus existenzieller Bedrohung in einem fremden Staat umstritten ist, will sich das Parlamentsbeteiligungsgesetz in § 5 Abs. 1 Satz 2 erst gar nicht auf die Evakuierung deutscher Bürger beschränken. Es spricht ganz allgemein von Menschen, schließt also Staatsangehörige anderer Nationen mit ein642. Derartige militärische Rettungsaktionen haben typischerweise autonomen Charakter und sind deshalb regelmäßig nicht durch Art. 24 Abs. 2 GG gedeckt. Für eine Subsumtion unilateraler Rettungsaktionen durch die Bundeswehr unter den Verteidigungsbegriff des völkerrechtstreuen Grundgesetzes ist Voraussetzung, dass die militärische Reaktion auf die Bedrohung eigener Staatsangehörigere völkerrechtlich als individuelle Selbstverteidigung nach Art. 51 VNCharta zulässig wäre643. Der Verteidigungsbegriff des völkerrechtstreuen Grundgesetzes kann nicht weiter sein, als der der internationalen Gemeinschaft644. Die herrschende Völkerrechtslehre lehnt eine derartige Subsumtion extraterritorialer Personalverteidigung indes ab645. Durch einen Angriff auf im Ausland befind641
Etwa F. Schröder, JA 2004, 853 (854): „unzweifelhaft“. Auf Leib und Leben der einzusetzenden Soldaten kann nicht abgestellt werden, da der Einsatz gerade das Mittel ist, um die Gefahr in Verzug abzuwehren, vgl. Baldus, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06. 2004, S. 39 (81); a. A. Abg. van Essen (FDP), BT-PlenProt. 15/100 vom 25.03.2004, S. 8985. 643 Nach einer Mindermeinung ist in der Bedrohung der eigenen Staatsangehörigen auf fremdem Territorium ein bewaffneter Angriff zu sehen, der Selbstverteidigungsmaßnahmen nach Art. 51 VN-Charta erlaube. Diese Argumentation beruht – offenbar ausgehend von Georg Jellineks Drei-Elementen-Lehre (ders., Allgemeine Staatslehre (1905), S. 381 ff. auf dem Gedanken, Staatsvolk stelle ein konstitutives Element des Staates dar und seine Verletzung bedrohe den Kern staatlicher Existenz [vgl. Bowett, in: Cassese (Hrsg.), The Current Legal Regulation of the Use of Force (1986), S. 39 (40); Stahn, in: Walter et al. (Hrsg.), Terrorism as a Challenge for National and International Law (2004) S. 827 (856 f.); ebenso, wenn auch mit Zweifeln Hailbronner, BDGV 26 (1986), 49 (100 ff.)]. 644 Siehe Erstes Kapitel, B. III. 645 Vgl. nur Randelzhofer, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations (2002), Art. 51 Rndr. 26 f.; Bothe, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht (2004), 8. Abschn. Rndr. 11; Epping, AöR 124 (1999), 423 (458 ff.). Im Zuge der Aufstellung des auf militärische Geiselbefreiungen ausgerichteten Kommandos Spezialkräfte (KSK) wurde in einer parlamentarischen Kleinen Anfrage an die Bundesregierung die Frage gerichtet, ob ihr bekannt sei, „dass die Staatenpraxis bei der völkerrechtlichen 642
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
liche Staatsangehörige werde der Heimatstaat nicht in seiner Sicherheit und schon gar nicht in seiner Existenz bedroht. Auch sei das Gewaltverbot nach Art. 2 Abs. 4 der VN-Charta gebiets- und nicht personalbezogen. So ist dann auch bezeichnend, dass Staaten, die derartige Schutzaktionen durchgeführt haben, es durchweg vermieden haben, das Vorgehen des Aufenthaltsstaates als bewaffneten Angriff i. S. des Art. 51 VN-Charta zu bezeichnen646. Dass völkerrechtlich der militärische Schutz eigener Staatsangehöriger unter Bezugnahme auf andere Rechtfertigungsansätze dennoch als überwiegend zulässig erachtet wird647, vermag nicht darüber hinwegzuhelfen, dass militärische Interventionen zugunsten akut bedrohter Bundesbürger nur dann unter Art. 87a Abs. 1 GG fallen, wenn sie auch völkerrechtlich als Selbstverteidigung zu qualifizieren wären. Will man mit der völkerrechtlichen Mindermeinung dennoch davon ausgehen, dass Evakuierungsmaßnahmen als Selbstverteidigung zu qualifizieren sind, stellt sich weiterhin die Frage, inwieweit auch eine Gesamtschau entsprechender Grundgesetznormen den extraterritorialen Personalschutz vom Verteidigungsauftrag der Streitkräfte umfasst wissen will. Wie bereits dargestellt, bietet das Völkerrecht lediglich das Begrenzungs- und nicht das Begründungsrecht für derartige Maßnahmen. Zunächst wäre die Bundeswehr am militärischen Schutz deutscher Staatsangehöriger im Ausland durch Art. 26 Abs. 1 GG nicht gehinBeurteilung gewaltsamer Schutzmaßnahmen zugunsten eigener Staatsangehörigen im Ausland uneinheitlich ist und dass im völkerrechtlichen Schrifttum solche Maßnahmen überwiegend als völkerrechtswidrig qualifiziert werden“ (BT-Drs. 13/6639 vom 20.12. 1996, S. 3, Frage 17), gab die Bundesregierung eine aussagefreie Antwort (BT-Drs. 13/6924 vom 07.02.1997, S. 7). 646 Vielmehr haben sie regelmäßig darauf verwiesen, dass diese Militäraktionen durch das neben Art. 51 VN-Charta bestehende Gewohnheitsrecht gerechtfertigt seien, vgl. Randelzhofer, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations (2002), Art. 51 Rndr. 27. 647 So wird in der völkerrechtlichen Literatur vertreten, dass ein Militäreinsatz aus dem Anwendungsbereich des Art. 2 Nr. 4 VN-Charta herausfalle, wenn er eine bestimmte Intensitätsschwelle nicht überschreite bzw. nicht von Annektionsabsichten getragen sei [Bowett, Self-Defence in International Law (1958), S. 42 ff., 142]. Zudem wird vor allem im anglo-amerikanischen Raum die Auffassung vertreten, dass das traditionelle Selbstverteidigungsrecht in keiner Weise durch Art. 51 VN-Charta geschmälert wurde. Dieser hebe vielmehr für den Fall des bewaffneten Angriffs das Selbstverteidigungsrecht lediglich deklaratorisch hervor [Bowett, Self-Defence in International Law (1958), S. 182 ff.; Schwebel, RdC 136 (1972-II), 411 (479 ff.); ders., Sondervotum zum Nicaragua-Urteil des IGH, ICJ Reports 1986, 226 (374); vgl. aus der deutschsprachigen Literatur aber auch Doehring, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. VII (1993), § 178 Rndr. 8]. Dem wird entgegengesetzt, dass die Satzung der Vereinten Nationen 1945 ein umfassendes Gewaltverbot aufstellen wolle. Alle bis dahin anerkannten Rechtfertigungsgründe begrenzter Gewaltanwendung seien damit abgeschafft worden [grundlegend Brownlie, International law and the use of force by States (1963), S. 269 ff., 298 ff.]. Zwar wurde seit dem Inkrafttreten der VN-Charta von Staaten wiederholt ein solches Recht geltend gemacht. Selbst wenn dadurch eine gewisse Übung entstanden ist [vgl. Dörr, in: ders. (Hrsg.), Symposium für Albrecht Randelzhofer (2004), S. 33 (46)], so blieb diese nie unbestritten.
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dert, da dieser zumindest nicht in der Absicht gewährt wird, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören. Nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Lehre ist eine verfassungsrechtliche Schutzpflicht der Bundesrepublik für ihre Staatsbürger anerkannt648. Das menschliche Leben stellt einen „Höchstwert“ dar und ist sowohl vitale Basis der Menschenwürde als auch Voraussetzung aller Grundrechte649. Die Schutzpflicht für das Leben der eigenen Staatsbürger wird auch relevant in solchen Konstellationen, in denen der Staat nicht einmal mittelbar eine Verantwortlichkeit im Sinne wertender Zurechenbarkeit trifft650, denn: „Diese Schutzpflicht ist umfassend. Sie gebietet dem Staat sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen; d.h. vor allem, es auch vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren (. . .). An diesem Gebot haben sich alle staatlichen Organe, je nach ihren besonderen Aufgaben auszurichten. Da das menschliche Leben eine Höchstwert darstellt, muss diese Schutzverpflichtung besonders ernst genommen werden.“ 651
Keineswegs überraschend ist daher, wenn die Bundesregierung der Auffassung ist, dass die Streitkräfte „für Rettungs- und Evakuierungseinsätze im Ausland – ggfls. auch unter ausschließlicher nationaler Einsatzführung – eingesetzt werden, wenn dies im Rahmen der Schutzverpflichtung für deutsche Staatsbürger erforderlich ist“ 652.
Wenn zudem im Kontext mit den Streitkräften keine Verengung des Verteidigungsbegriffs auf das Verteidigungsobjekt der territorialen Integrität stattfindet, liegt auch die Einordnung der extraterritorialen Personalverteidigung – aufgrund systematischer Auslegung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG – als Verteidigung im 648
BVerfGE 28, 243 (261); 32, 40 (46); 39, 1 (14); 48, 127 (159); 66, 39 (61). BVerfGE 46, 160 (164); vgl. auch BVerfGE 39, 1 (36 ff.); 45, 187 (254 f.); 49, 89 (132, 141 f.); 56, 54 (73); 77, 170 (214); 77, 381 (402 f.); 79, 174 (201 f.); 85, 191 (212); 88, 203 (251); 105 (115); 109, 279 (311); 115, 118 (152). 650 Stern, Staatsrecht Bd. III/1 (1988), S. 1055. 651 BVerfGE 46, 160 (164) – Schleyer. 652 BT-Drs. 13/6924 vom 07.02.1997, S. 4 f. in der Antwort auf eine Kleine Anfrage zur Aufstellung des Kommandos Spezialkräfte. Deutlicher noch Bundesverteidigungsminister Rühe: „Die Fähigkeit im Notfall die eigenen Staatsbürger im Ausland aus Gefahr für Leib und Leben retten zu können, gehört nach unsere Überzeugung zur grundlegenden Verantwortung eines jeden Staates (. . .). Es gehört zum Auftrag unserer Streitkräfte, deutschen Staatsbürgern aus Notlagen zu helfen.“ (BT-PlenProt. 13/166 vom 20.03.1997, S. 14982). Ähnliches wurde vom Bundesverteidigungsministerium verlautbart, als im April 1994 im ruandischen Bürgerkrieg elf Mitarbeiter der deutschen Welle in der Nähe von Kigali in unmittelbare Lebensgefahr gerieten. Das Bundesministerium der Verteidigung erhielt den Auftrag, die technischen Möglichkeiten von Lufttransport und Einsatz von Fallschirmjägern der Bundeswehr vor Ort zu prüfen. Dieser Auftrag ging von der Annehme aus, „dass die Rettung der deutschen Staatsangehörigen dem Völkerrecht entspricht und unter dem Gesichtspunkt der Schutzpflicht des Staates für in Lebensgefahr geratene Bürger auch staatsrechtlich zulässig ist“ (BMVg. Presseerklärung vom 18.04.1994). 649
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
Sinne des Grundgesetzes nahe653. In ihrer Antwort auf eine schriftliche parlamentarische Anfrage nach den rechtlichen Grundlagen der Operation Libelle führt die Bundesregierung scheinbar folgerichtig aus: „Der Einsatz war verfassungsrechtlich gem. Art. 87 a GG (. . .) zulässig, da der Auftrag zur Verteidigung auch die Rettung von in Lebensgefahr befindlichen deutschen Staatsangehörigen nach Maßgabe des völkerrechtlich Zulässigen umfasst.“ 654
Auch die mehrheitlichen Stimmen in der Literatur sehen die extraterritoriale Intervention zum Schutze von Bundesbürgern als Verteidigung an655; dem ist jedoch nicht zuzustimmen. Wie die Bundesrepublik der Schutzpflicht nachzukommen hat, beurteilen ihre zuständigen Organe nämlich im weiten Rahmen ihres Ermessens656; ihrer Schutzpflicht hätte sie jedenfalls bereits dann genügt, wenn sie alle diplomatischen und friedlichen Mittel ausgeschöpft hätte. Nur in besonders gelagerten Fällen verengen sich die Ermessenspielräume derart, dass staatlicherseits eine ganz konkrete Maßnahme ergriffen werden muss657. Ad consequentiam hieße der Rückgriff auf die „grundrechtlichen Schutzpflichten als systematisches Argument zur Erstreckung des Verteidigungsbegriffs demnach, dass kompetenzrechtliche Begrenzungen durch Normfunktionen aufgeweicht werden könnten, die nur durch mehrfache Vermittlung gewonnen und sich nur in äußerst seltenen Fällen zu einer konkreten Rechtsfolge verdichten“ 658. Der Schutzpflichtcharakter der Grundrechte verpflichtet zwar die Bundesrepublik, sich für im Ausland bedrohte Deutsche einzusetzen, besagt aber nichts über die hierbei zu verwendenden Mittel. Auch haben Schutzpflichten keine kompetenzerweiternde Funktion659. Mit der im Schrifttum und von der Bundesregierung geäußerten Argumentation ließen sich zudem vielfältige, ebenfalls verfassungsrechtlich geschützte Güter zum Verteidigungsobjekt erheben; dies gilt umso mehr, als sich die Schutzpflichtrechtsprechung des Bundesverfas653
Vgl. Epping, AöR 124 (1997), 423 (438). BT-Drs. 13/7582 vom 02.05.1997, S. 2. 655 Depenheuer, DVBl. 1997, 685 (687 f.); F. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. IV (2006), § 84 Rndr. 52; Kokott, in: Sachs (Hrsg.), GG (2003), Art. 87a Rndr. 18b; Kreß, ZaöRV 57 (1997), 329 (354); Hillgruber, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG Bd. II (2002) Art. 87a Rndr. 17; Dau, NZWehrr 1998, 89 (93 f.); Hermsdörfer, BayVBl. 1998, 652 (653); Franzke, NZWehrr 1996, 189 (192); Blumenwitz, NZWehrr 1988, 133 (143 f.), anders aber ders., BayVBl 1994, 641, 678 (679), wonach derartige Einsätze unter Art. 32 Abs. 1 GG fallen. 656 Die zur Rettung Staatsangehöriger zu treffende Entscheidung ist also letztlich politischer Art. Hier gilt der Grundsatz des judicial self-restraint [vgl. BVerfGE 36, 1 (14), 39, 1 (44 ff.); 46, 160 (164); 77, 170 (214 f.); 105, 141 (157)], der darauf abzielt, den von der Verfassung für die Verfassungsorgane garantierten Raum freier politischer Gestaltung offen zu halten. 657 BVerfGE 46, 160 (164 f.) – Schleyer. 658 Baldus, in: Erberich et al. (Hrsg.), Frieden und Recht (1998), S. 259 (283). 659 Ansonsten liefe die tradierte dogmatische Trennung von Aufgaben- und Befugnisnorm leer. 654
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sungsgerichts keinesfalls auf das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG beschränkt. So ließe sich nicht nur im Ausland befindliches Eigentum deutscher Staatsangehöriger zum Verteidigungsobjekt aufwerten, sondern in letzter Konsequenz sogar die gesamte Rechtsordnung660. Die Einsatzsperre des Art. 87a Abs. 2 wäre dann aber unterlaufen und der grundgesetzliche Verteidigungsbegriff hätte Beträchtliches von seiner ohnehin schon unscharfen Kontur verloren. Militärische Evakuierungen akut bedrohter deutscher Staatsbürger können nach allem nicht unter den Verteidigungsbegriff des Art. 87a Abs. 1 GG subsumiert werden661. Erst recht beeinträchtigen dann auch die (Lebens-)Bedrohungen fremder Staatsangehöriger die Wehrfähigkeit der Bundesrepublik nicht. Auch die zahlreichen Stimmen in der Literatur, die die Evakuierung deutscher Staatsbürger aufgrund der umfassenden staatlichen Schutzpflicht als Verteidigung ansehen, können bei konsequenter Fortsetzung ihres grundrechtlichen Anknüpfungspunkts zu keinem anderen Ergebnis kommen662. Denn gegenüber an Leib und Leben bedrohten fremden Staatsbürgern besteht keine vergleichbare verfassungsrechtliche Schutzverpflichtung der deutschen Staatsgewalt. Wenn demnach eine unilaterale Evakuierungsoperation, wie sie in § 5 Abs. 1 Satz 2 ParlBG vorausgesetzt wird, weder auf Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG, noch auf Art. 24 Abs. 2 GG gestützt werden kann, fragt sich, ob eine solche Operation überhaupt in Einklang mit dem Verfassungsrecht stehen kann. Der einfachgesetzliche § 5 Abs. 1 Satz 2 ParlBG kann keine implizite Ermächtigung beinhalten; dem steht der klare Wortlaut des Art. 87a Abs. 2 GG entgegen, wonach nur die Verfassung selbst weitere Einsatzmöglichkeiten neben der zur Verteidigung begründen kann663. Wie bereits angesprochen führt die Bundesregierung zur Operation Libelle die Schutzpflicht der Bundesrepublik für seine Staatsbürger an. In ihrem Billigungsantrag an das Parlament vermeidet sie dann aber eine Festlegung in der Frage der konkreten Rechtsgrundlage, insbesondere wird nicht vorgebracht, dass der Einsatz in Tirana zur Verteidigung i. S. des Art. 87a Abs. 1 GG erfolgte. So hieß es im Billigungsantrag vom 18. März 1997 nur allgemein:
660
Epping, AöR 124 (1997), 423 (440). Dies legt auch die Betrachtung der Normentstehungsgeschichte nahe, vgl. hierzu Baldus, in: Erberich et al. (Hrsg.), Frieden und Recht (1998), S. 259 (281). Aus systematischer Sicht ist noch anzuführen, dass in der Literatur der Schutz deutscher Staatsangehöriger im Ausland in Art. 73 Nr. 1 GG zumeist dem Gesetzgebungstitel „auswärtigen Angelegenheiten“ und nicht dem der „Verteidigung“ zugeschlagen wird, vgl. etwa Maunz, in: Maunz/Dürig et al. (Hrsg.), GG (Stand 1988), Art. 73 Rndr. 29. 662 Obwohl grundsätzlich die herrschende Meinung vertretend, bezweifelt dann auch Kokott, in: Sachs (Hrsg.), GG (2003), Art. 87a Rndr. 18c, dass die Operation Libelle als Einsatz zur Verteidigung gewertet werden kann, da weit mehr ausländische als deutsche Staatsangehörige in Sicherheit gebracht wurden. 663 Dazu, dass der Verfassungsvorbehalt des Art. 87a Abs. 2 GG nach hier vertretener Meinung nicht auf den Inlandseinsatz beschränkt ist, siehe Erstes Kapitel, B. II. 661
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
„Angesichts der anarchischen Zustände im Land war nunmehr Gefahr im Verzuge. Der Einsatz deutscher Streitkräfte war mithin die einzig verbliebene Möglichkeit.“ 664
Nur vermeintlich präziser äußert sich in seiner Sitzung vom 19. März 1997 der Rechtsausschuss, der den Einsatz „unter dem Gesichtspunkt staatlicher Nothilfe für gerechtfertigt“ 665
hielt. Mehr als fraglich ist aber, ob ein solcher Rekurs des Rechtsausschusses auf den übergesetzlichen Staatsnotstand bzw. staatliches Nothilferecht zur verfassungsmäßigen Rechtfertigung solcher Evakuierungseinsätze in der Lage ist. Im Sinne der strengen Normativität des Grundgesetzes stellt die rechtstaatliche Verfassung eine verbindliche, nicht nur ausschnittweise, sondern umfassende und daher abschließende Regelung der Handlungsbefugnis staatlicher Organe dar666. Jenseits des durch die Verfassung anerkannten und damit legitimierten Aufgabenbereichs kann sich die Staatsgewalt nicht entfalten, ohne sich zu dem Willen des Verfassungsgebers in Widerspruch zu setzen, der ihren Wirkungskreis substantiell bestimmt. Nach Art. 20 GG besitzen alle Verfassungsorgane nur die ihnen vom Grundgesetz ausdrücklich verliehene Kompetenz, daher muss sich alles staatliche Handeln auf eine kompetenzielle Ermächtigung in der Verfassung stützen667. Erinnert sei hier an die berühmte Aussage Ernst-Wolfgang Böckenfördes: „Der Grundsatz des übergesetzlichen Notstandes, auf der Verfassungsebene zum überverfassungsmäßigen Notstand transportiert, bedeutet nichts anderes als die Auflösung der Integrität der rechtsstaatlichen Verfassung und die Preisgabe des Prinzips des Verfassungsstaates.“ 668
Diese allgemeine Feststellung, wonach ein ungeschriebenes Notrecht in einem Rechtsstaat abzulehnen ist, gilt vor allem im Bereich der grundgesetzlichen Wehrverfassung669. Schon der Wortlaut des Art. 87a Abs. 2 GG lässt seinerseits keine ungeschriebenen Ermächtigungen zum Streitkräfteeinsatz zu. Die Notstandsverfassung – und damit auch Art. 87a Abs. 2 GG – wurden gerade formuliert, um einer Ableitung ungeschriebener Zuständigkeiten aus der „Natur der Sache“ einen Riegel vorzuschieben. Das Grundgesetz hat hier „den Weg einer verfassungsrechtlich positivierten Lösung“ eingeschlagen670. 664
BT-Drs. 13/7233 vom 18.03.1997. BT-Drs. 13/7265 vom 19.03.1997, S. 4. 666 Böckenförde, NJW 1978, 1881 (1883 FN 26 m.w. N.). 667 Isensee, in: Isensee/Lecheler (Hrsg.), Festschrift für Walter Leisner (1999), S. 359 (384 f.). 668 Böckenförde, NJW 1978, 1881 (1883 f.). 669 Vgl. Epping, AöR 124 (1997), 423 (442 f.). 670 Stern, Staatsrecht Bd. II (1980), S. 1334. Das Grundgesetz verhält sich dem Ausnahmezustand gegenüber nicht indifferent. An verschiedenen Stellen enthält es den Versuch der normativen Erfassung von der Normallage abweichender Situationen. Das 665
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Darüber hinaus behaupten auch die Fürsprecher überpositiver Staatsbefugnisse, dass letztere nur im Fall der äußersten Existenzbedrohung des Staates aufleben671. Selbst Carl Schmitt, der „das Wesen des Staates und des Rechts grundsätzlich und ausschließlich von der Möglichkeit der Vernichtung der Rechtsordnung im Not- und Ausnahmezustand her“ 672 gedacht hat, erkennt den Ausnahmezustand nur in extremen Konstellationen an, die derart von der Normallage abweichen, dass sie eine existenzielle Gefahr für das Fortbestehen des Staates begründen. Nur dann sei die zeitweilige Suspendierung von verfassungsrechtlichen Regeln zulässig673. Allein der unmittelbare Existenzkampf vermöge das Außerachtlassen geschriebenen Verfassungsrechts zu rechtfertigen. Das Szenario akut bedrohter Bundesbürger im Ausland ist hingegen weit davon entfernt, eine existenzielle Gefahr für die Bundesrepublik als Ganzes zu begründen. Verfassungsrechtliche Identität und zentrale Lebensfunktionen der Bundesrepublik stehen nicht auf dem Spiel. Des Weiteren gestehen auch die Fürsprecher überpositiver Notkompetenzen ein, dass sich der moderne Rechtstaat dann nicht auf das archaische „Not kennt kein Gebot“ zurückziehen kann, wenn er mit einer vorhersehbaren Situation konfrontiert wird674. Bedrohliche Situationen, die militärische Evakuierungen betroffener Bundesbürger notwendig machen, sind nicht nur vorhersehbar, sondern in der Praxis zahlreich vorgekommen. So gelang es alleine im Zeitraum von 1990 bis 1997 in einem knappen Dutzend von Fällen, nur noch durch Truppeneinsatz anderer Staaten, deutsche Staatsbürger aus unmittelbarer Gefahr für Leib und Leben zu befreien675. Die militärische Evakuierung akut bedrohter Deutscher im Ausland kann nach allem auf ungeschriebenes staatliches Notrecht nicht gestützt werden. Selbst wenn man im effizienten Schutz deutscher oder fremder Staatsbürger ein der Wehr- und Bündnisfähigkeit vergleichbar starkes, dem Verfassungsprinzip des Parlamentsvorbehaltes gegenläufigen Prinzip sehen will, kann dies über Grundgesetz verwendet jedoch keinen einheitlichen Begriff des Ausnahmefalls, sondern differenziert stattdessen zwischen mehreren Varianten mit unterschiedlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen. Zu nennen sind hier vor allem Art. 115a–l GG [hierzu Graf Vitzthum, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. VII (1992), § 170 Rndr. 29 ff.], sowie Art. 20 Abs. 4, 35, 91 GG (hierzu E. Klein, ebda., § 169; Dolzer, ebda., § 171). 671 Vgl. etwa Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. VII (1993), § 162 Rndr. 90 ff. 672 Hofmann, Legitimität gegen Legalität (1992), S. 67 f. 673 Schmitt, Verfassungslehre (1957), S. 109 f. 674 Auf das Rechtsinstitut des übergesetzlichen Staatsnotstandes könne allenfalls in „extremen, unvorhergesehenen Fällen“ zurückgegriffen werden, Stern, Staatsrecht Bd. II (1980), S. 1336. 675 Monrovia 1990 und 1996, Mogadishu 1990, Kinshasa 1991, Ruanda 1994, Jemen 1994, Bangui 1996, Sierra Leone 1997, zit. nach BT-Drs. 13/6924 vom 07.02. 1997, in der die Bundesregierung die militärischen Rettung Deutscher durch befreundete Streitkräfte in den vorangegangenen 10 Jahre auflistete.
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
den Befund nicht hinwegführen, dass militärische Evakuierungen von bedrohten Menschen keine grundgesetzliche Erlaubnisnorm finden. Verfassungsrechtlich die Unzulässigkeit von Interventionen zur Rettung von Menschenleben festzustellen, ist aber die eine Sache. Eine ganz andere ist, ob man in der konkreten Situation den Mut zum Nichthandeln um des Prinzips willen aufbringen kann676. Lösen könnte dieses Dilemma der verfassungsändernde Gesetzgeber. Nicht zuletzt die unmittelbar handelnden Soldaten haben einen Anspruch auf Rechtssicherheit. c) Geheime Einsätze als regelmäßige Gefahr im Verzug-Einsätze? Schon im Rahmen der Operation Libelle in Albanien sah die Staatspraxis Gefahr im Verzug und Geheimschutzinteressen zusammenfallen. Der damalige Bundesverteidigungsminister Rühe führte in der Plenardebatte aus, es sei „für den Erfolg der Operation, für die Sicherheit der Menschen in der Botschaft, für den Schutz der eingesetzten Soldaten (. . .) unumgänglich (gewesen), die Vorbereitung und Durchführung des Einsatzes geheim zuhalten“ 677.
Nicht erst seit den Terroranschlägen des 11. September gehören geheime Militär- und Antiterroreinsätze zum notwendigen Instrumentarium der internationalen Krisenbewältigung678. Aus militärischer Sicht ist in bestimmten Situationen der Überraschungseffekt oftmals unabdingbare Voraussetzung für ein Gelingen der Mission. Ohne Geheimhaltung sind weder ein weitest gehender Schutz von Leib und Leben der eingesetzten Soldaten noch die taktisch-operativen Ziele der jeweiligen Operation zu erreichen. Der militärische Überraschungseffekt kann daher in einen Gegensatz zu dem im Plenum zu erörternden konstitutiven Beschluss treten. Um dieses Spannungsfeld aufzulösen, ließe sich nach Auffassung verschiedener Stimmen679 an eine lediglich nachträgliche Befassung des Parlaments denken, während die Regierung im Rahmen ihrer auch durch das Out-of-area-Urteil bestätigten exekutiven Notkompetenz handelt. Die operative Notwendigkeit, einen beabsichtigten Einsatz geheim zu halten, sei mit einer Gefahr im Verzug-Situation gleichzustellen. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ließe nicht erkennen, dass andere Situationen als die des dro676
Epping, AöR 124 (1997), 423 (444). BT-PlenProt. 13/166 vom 20.03.1997, S. 14981. 678 Vgl. Schröder, Das parlamentarische Zustimmungsverfahren (2004), S. 284 ff. 679 Epping, AöR 124 (1999), 423 (455 f.); Burkiczak, ZRP 2003, 82 (85); ders., Verwaltungsrundschau 2005, 289 (292); Dreist, NZWehrr 2002, 133 (146); Hermsdörfer, DVP 2004, 183 (186); Lutze, DÖV 2003, 972 (977); vgl. auch die Auffassung des Bundesverteidigungsministers Rühe, der anlässlich einer Evakuierungsübung der Bundeswehr im September 1997 meinte, dass bei einer zur Sicherheit der Beteiligten notwendigen Geheimhaltung, das Parlament erst im Nachhinein informiert werde, s. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12.09.1997, ,Rühe: Bundeswehr soll in Krisenregionen tätig werden‘. 677
E. Gefahr im Verzug
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henden Verlusts der Wehr- und Bündnisfähigkeit als Ausnahmetatbestand ausgeschlossen sein sollen. Nach der bundesverfassungsrichterlichen Rechtsprechung soll die Gefahr im Verzug-Regelung eine Ausnahme sein, die nur im Not-680 bzw. Ausnahmefall681 zur Anwendung kommt. Ein dauerhafter Rückgriff auf diese Regelung bei geheimhaltungsbedürftigen Einsätzen liefe dem Ausnahme- und Notfallcharakter entgegen. Es würde ein Anreiz für die Regierung geschaffen, politisch und militärisch brisante Einsätze als geheim einzustufen, um eine öffentliche Diskussion zu umgehen. So droht eine weitere Hypertrophie der Geheimhaltung682, wodurch der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellte Grundsatz der vorherigen Beteiligung des Bundestages tatsächlich die Ausnahme darstellte und die Ausnahme zur Regel avancierte683. Gerade bei den oftmals gefahrvollen und auch politisch brisanten Geheim- und Antiterroreinsätzen lässt sich dies auf dem Hintergrund der demokratischen Fundierung des Parlamentsvorbehaltes und den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht vereinbaren. Daher ist den Auffassungen in der Literatur, die bei Geheimeinsätzen den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt weitgehend zurückdrängen wollen, nur bedingt zuzustimmen. Zwar klassifiziert das Bundesverfassungsgericht die vorherige konstitutive Parlamentsbeteiligung ausdrücklich als Prinzip684. Die Ausnahmen benennt es mit den ebenfalls verfassungsrechtlich verankerten Grundsätzen der Wehr- und Bündnisfähigkeit Deutschlands indes gleich selbst. Auch wenn die militärische Geheimhaltung der Steigerung der Wehr- und Bündnisfähigkeit dienen mag, kann aufgrund des Prinzipiencharakter die Geheimhaltungsbedürftigkeit eines Einsatzes nicht per se zum Ausschluss des parlamentarischen Rechts auf vorherige Zustimmung und Unterrichtung während des Einsatzes führen685. Eine vermehrte oder gar dauerhafte Anwendung der vom Gericht ausdrücklich auf einen Not- bzw. Ausnahmefall beschränkten Gefahr im Verzug-Regelung unter Berufung auf das militärische Erfordernis der Geheimhaltung würde die im Out-of-area-Urteil angelegte Konkordanz zwischen dem Eigenbereich exekutivischer Handlungsbefugnis und dem Parlamentsvorbehalt einseitig zugunsten ersterer verschieben686. Dem methodischen Grundsatz nach dürfte ein gänzlicher Ausschluss dieses Rechts nur dann erfolgen, wenn kein Mittel oder kein 680
BVerfGE 90, 286 (388). BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 58. 682 Ähnlich Abg. Nachtwei (Bündnis90/Die Grünen), DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 22; Meyer, HSFK-Reports 4/2004, S. 27. 683 Epping, in: Pieroth (Hrsg.), Verfassungsrecht und soziale Wirklichkeit in Wechselwirkung (2000), S. 183 (206); ders., AöR 124 (1999), 423 (455 f.). 684 BVerfGE 90, 286 (387 passim). 685 Ähnlich Röben, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 103 (105). 686 So zu Recht Nowrot, NZWehrr 2003, 65 (73). 681
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
Verfahren ersichtlich ist, durch das einerseits die gebotene Geheimhaltung gewährleistet wird, durch das andererseits aber das Recht auf vorherige Zustimmung weniger stark beschränkt wird als durch dessen völligen Ausschluss. Ein solches Mittel, das das Recht des Parlaments auf vorherige Zustimmung stärker schont, stellt – wie bereits oben herausgearbeitet – die Einrichtung eines auf Geheimhaltung verpflichteten parlamentarischen Gremiums, oder die Unterrichtung des Verteidigungsausschusses dar. 2. Grad der zu besorgenden Gefahr Das Bundesverfassungsgericht benennt zwar mit der Wehr- und Bündnisfähigkeit, die mit der Gefahr-im-Verzug-Regelung zu schützenden Rechtsgüter, doch enthält es sich einer Aussage darüber, welcher graduellen Intensität die für sie zu besorgende Gefahr sein muss. Der Begriff der Gefahr im Verzug taucht an anderer Stelle der Verfassung im Zusammenhang mit der Unverletzlichkeit der Wohnung auf, Art. 13 Abs. 2 GG687. Offenkundig knüpft das Bundesverfassungsgericht in seiner Out-of-area-Entscheidung an diesen Gefahrenbegriff an. In seiner Entscheidung zu Wohnungsdurchsuchungen vom 20. Februar 2001 hat es allgemeinverbindliche Ausführungen getroffen, die für das Vorliegen von Gefahr im Verzug gegeben sein müssen688. Danach müssen Tatsachen vorliegen, die begründen, dass durch die zeitliche Verzögerung beim Einhalten des üblichen Verfahrens eine Gefährdung des Auftrages besteht. Diese Voraussetzungen sind eng zu bestimmen. Allgemeine Erwägungen, Spekulationen oder Erfahrungswerte sind nicht ausreichend689. Die Einwirkung eines schädigenden Ereignisses muss bereits begonnen haben oder unmittelbar bevorstehen. Gefahr im Verzug im Bereich des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes bedeutet demnach, dass objektiv eine Situation gegeben sein muss, die unverzügliches Handeln erfordert, damit die Wehr- bzw. Bündnisfähigkeit Deutschlands erhalten bleibt690. Die durch die Einschaltung des Bundestages bedingte zeitliche Verzögerung muss geeignet sein, den Zweck des Streitkräfteeinsatzes zu vereitelten691. Die allgemeine Tendenz der Rechtsprechung, die Voraussetzun687 Einfachgesetzlich findet sich der Begriff der Gefahr im Verzug auch in den Vorschriften über den Strafprozess, sowie in den Polizeigesetzen. 688 BVerfGE 103, 142 ff. Auf diese Rechtsprechung verweisen in diesem Zusammenhang auch Bartelmann, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Fachbereich II, Nr. 24/2001 vom 24.10.2001; Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte (2003), S. 62; Zweifel, ob hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts der Rückgriff auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 13 Abs. 2 GG zulässig ist, äußert Baldus, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 39 (81). 689 BVerfGE 103, 142 (153, 155). 690 Bartelmann, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Fachbereich II, Nr. 24/2001 vom 24.10.2001.
E. Gefahr im Verzug
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gen von Gefahr im Verzug eng zu bestimmen, wird speziell für den militärischen Bereich durch den in der Out-of-area-Entscheidung verwendeten Term des Notfalls unterstrichen. An diesen Vorgaben muss sich auch die Staatspraxis messen lassen, falls sie vermehrt auf dieses Institut zurückgreift. Die Feststellung, ob Gefahr im Verzug zu besorgen ist, kann in diesem Zusammenhang nur die Bundesregierung treffen. Der AWACS II-Beschluss hat das exekutive Einschätzungsprivileg bei Gefahr im Verzug in einem obiter dictum ausdrücklich anerkannt. Unter Ablehnung eines generellen Einschätzungsprivilegs der Regierung im Bereich des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes, hebt der Beschluss hervor, dass „eine Einschätzungsprärogative (. . .) der Exekutive lediglich für den Eilfall und damit nur einstweilen überlassen sein (kann).“ 692
3. Nachträgliches Billigungsverfahen Indem § 5 Abs. 3 Satz 1 ParlBG die Pflicht der Regierung festschreibt, den Antrag auf konstitutive Zustimmung „nachzuholen“, entspricht dies den bundesverfassungsrichterlichen Vorgaben, wonach „die Bundesregierung in jedem Fall das Parlament umgehend mit dem so beschlossenen Einsatz befassen“ 693 muss. Der Bundestag kann nicht eigenmächtig einen konstitutiven Beschluss fassen; auch im Falle eines Gefahr im Verzug-Einsatzes bleibt dem Parlament eine Initiativbefugnis verwehrt. Nach § 5 Abs. 2 ParlBG ist der Bundestag vor Beginn und während des ohne seine vorherige Billigung stattfindenden Einsatzes in geeigneter Weise zu unterrichten. Wie der Bundestag „in geeigneter Weise zu unterrichten“ ist, bleibt – auch mit Blick auf die Gesetzesmaterialien – unklar. Auch der am 21. April 2005 eingefügte § 96a GOBT kann keine Klärung herbeiführen, da er lediglich an eine erfolgte Unterrichtung durch die Bundesregierung anknüpft und daraufhin das weitere innerparlamentarische Procedere regelt. Nach § 5 Abs. 3 ParlBG ist der Antrag auf Zustimmung unverzüglich nachzuholen. Lehnt der Bundestag diesen ab, ist der Einsatz zu beenden. „Unverzüglich“ setzt die (subjektive) Zumutbarkeit alsbaldigen Handelns voraus. Damit wird deutlich, dass die Bundesregierung den frühestmöglichen Zeitpunkt zur Unterrichtung des Parlaments und zur Antragstellung wählen muss694. 691 Vgl. Deiseroth, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG Bd. I (2002), Art. 24 Rndr. 229; Baldus, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06. 2004, S. 35 (81); Hermsdörfer, UBWV 2003, 404 (406). 692 BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 72. 693 BVerfGE 90, 286 (388) – Hervorhebungen nicht im Original. 694 Bartelmann, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Fachbereich II, Nr. 24/2001 vom 24.10.2001.
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
4. Nachträgliches Zustimmungserfordernis bei bereits abgeschlossenem Einsatz? Als Ausgleich für einen ausnahmsweise ohne seine vorherige Mitwirkung angeordneten Einsatz verschafft die Out-of-area-Entscheidung dem Bundestag die Möglichkeit, diesen Einsatz zu beenden. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz befindet hierzu in § 5 Abs. 3 knapp: „Der Antrag auf Zustimmung zum Einsatz ist unverzüglich nachzuholen. Lehnt der Bundestag den Antrag ab, ist der Einsatz zu beenden.“
Indem das Parlamentsbeteiligungsgesetz in § 5 Abs. 3 Satz 2 festhält, dass der vorläufig von der Regierung angeordnete Einsatz zu beenden ist, wenn das Parlament den Zustimmungsantrag ablehnt, setzt das Parlamentsbeteiligungsgesetz offenkundig voraus, dass der Einsatz überhaupt noch stattfindet. Bei dem bisher einzigen Fall, indem sich die Regierung offiziell auf eine Gefahr im Verzug-Situation berief – die Operation Libelle – war der Einsatz bei Unterrichtung des Parlaments indes schon abgeschlossen. Die Evakuierungsmission in Tirana wurde binnen Stunden durchgeführt. Das parlamentarische Recht, die Beendigung des Einsatzes zu verlangen, wurde im konkreten Fall obsolet. Daher stellt sich die Frage, ob eine nachträgliche Zustimmung des Bundestages nach § 5 Abs. 3 Satz 1 ParlBG entbehrlich ist, wenn der Einsatz zwischenzeitlich zu einem Ende gebracht wurde. Denn das Erfordernis der nachträglichen Zustimmung soll offenkundig die Möglichkeit zum parlamentarischen Rückruf der Streitkräfte eröffnen695. Ist der Einsatz hingegen schon beendet, könnte auch eine bloße Unterrichtung des Parlamentes ausreichen – das Ziel einer konstitutiven, also rechtserheblichen Befassung kann schließlich nicht mehr erreicht werden. Der konkrete Wortlaut des Gesetzes schweigt sich hierzu aus, während die Materialien von einer „zwingende(n) Nachholung der Beteiligung des Parlamentes“ ausgehen696. Indes geben die entsprechenden Passagen des Out-of-area-Urteils – an die der Wortlaut des § 5 Abs. 3 ParlBG eng angelehnt ist – keine ausdrückliche Antwort, ob eine konstitutive Beschlussfassung dann entbehrlich ist, wenn sie aus tatsächlichen Gründen nicht mehr zum Abbruch des Einsatzes führen kann: „Die Bundesregierung muss jedoch in jedem Fall das Parlament umgehend mit dem so beschlossenen Einsatz befassen. Die Streitkräfte sind zurückzurufen, wenn es der Bundestag verlangt.“ 697
695 Zutreffend Kreß, ZaöRV 57 (1997), 329 (356); vgl. aus dem parlamentarischen Raum Abg. Lamers (CDU/CSU) in einer Stellungnahme im Auswärtigen Ausschuss, s. BT-Drs. 13/7265 vom 19.03.1997, S. 4. 696 Gemeinsamer Entwurf von SPD und Bündnis90/Die Grünen, BT-Drs. 15/2742 vom 23.03.2004, S. 6 – Hervorhebung nicht im Original. 697 BVerfGE 90, 286 (388).
E. Gefahr im Verzug
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Die mehrheitlichen Stimmen in der Wissenschaft lehnen die Entbehrlichkeit des nachträglichen parlamentarischen Zustimmungserfordernisses ab698. Es wird argumentiert, dass gerade dann, wenn das Parlament einen Einsatz, der ohne seine Zustimmung angeordnet wurde, nicht mehr beenden kann, das Parlament also aus tatsächlichen Gründen ein originäres Recht verliert, ihm gleichzeitig die Möglichkeit vorbehalten sein muss, den Einsatz nachträglich zu missbilligen oder gutzuheißen. Das sei das Mindeste, was dem Parlament bei einem „Parlamentsheer“ zugestanden werden muss – eine eventuelle politische Missbilligung. Auch verfassungspolitisch sei eine nachträgliche Befassung „in jedem Fall“ wünschenswert, da die Beteiligung des Bundestages beim Einsatz der Streitkräfte eine erheblich vertrauensbegründende Komponente habe. Diese sensiblen Befindlichkeiten würden gestört, würde ein bereits abgeschlossener Einsatz nicht mehr dem Parlament vorgelegt. Eine parlamentarische Versagung der nachträglichen konstitutiven Zustimmung könne der Exekutive zudem wichtige Fingerzeige für künftige Fälle geben. Diese mehrheitlichen Stimmen verkennen jedoch die Funktion und die dogmatische Struktur des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsbeschlusses. Bereits in seinem Somalia-Eilbeschluss vom 23. Juni 1993 hebt das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich hervor, dass sich der spezifische Charakter einer konstitutiven (rechtserheblichen) Bundestagsentscheidung unterscheidet von Entschließungen, „die die Bundesregierung in ihrer bereits getroffenen Entscheidung bestärk(en) und diese politisch bekräftig(en), ohne selbst eine Entscheidungskompetenz zu beanspruchen (. . .)“.699
Konsequent führt es in seiner AWACS-II-Eilentscheidung vom 25. März 2003 dann weiter aus, dass mit dem konstitutiven Zustimmungserfordernis „das Beteiligungsrecht des Bundestages an der auswärtigen Gewalt insoweit gesichert wird, als der konkrete Einsatz von Soldaten der Bundeswehr seinem rechtserheblichen Einfluss unterliegt“.700
Eine auf exekutiven Antrag ergehende parlamentarische Ablehnung eines bereits abgeschlossenen Gefahr im Verzug-Einsatzes kann aber nur noch politische und keine rechtliche Bedeutung erlangen. Eine konstitutive Missbilligung wirkte allenfalls ex nunc, sie infizierte keineswegs rückwirkend einen bereits durchgeführten Einsatz. Der den Soldaten erteilte Einsatzbefehl bliebe auch 698 Etwa Dau, NZWehrr 1998, 89 (99); H. H. Klein, in: Horn (Hrsg.), Festschrift für Walter Schmitt Glaeser (2003), S. 245 (263); Lutze, DÖV 2003, 972 (978); Baldus, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 35 (78), a. A. Kreß, ZaöRV 57 (1997), 329 (356); Schaefer, Verfassungsrechtliche Grenzen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes (2005), S. 287 ff. 699 BVerfGE 89, 38 (46 f.). 700 BVerfGE 108, 34 (42) – Hervorhebung nicht im Original; vgl. auch das Grundsatzjudikat BVerfGE 90, 286 (382).
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
nach parlamentarischer Missbilligung rechtmäßig und verbindlich701. Das Erfordernis einer nachträglichen konstitutiven Plenumbefassung ist demnach nur als Mittel zu sehen, dem Bundestag als Ausgleich für einen ausnahmsweise ohne seine vorherige Mitwirkung angeordneten Einsatz die Möglichkeit zu eröffnen, diesen Einsatz zu beenden. Wenn in der Literatur ausgeführt wird, dass eine parlamentarische Versagung der nachträglichen konstitutiven Zustimmung der Regierung wichtige Fingerzeige für künftige Fälle geben könne702, ist dies zwar durchaus zutreffend, doch bedarf es hierfür keines konstitutiven Parlamentsbeschlusses703: Ein schlichter Beschluss ist die klassische parlamentarische Kontroll- und Äußerungsform des Parlaments gegenüber der Exekutive, die auf diese Weise politische Handlungsdirektiven erhält, ohne rechtlich verpflichtet zu werden704. Gleiches gilt für den Befund, dass eine eventuelle politische Missbilligung das Mindeste sei, was dem Parlament bei einem „Parlamentsheer“ zugestanden werden muss. Auch dieses Ziel kann durch einen schlichten Parlamentsbeschluss erreicht werden. Die Aufgabe, ein für die Bundesregierung verbindliches Urteil über die Rechtmäßigkeit des vorläufigen Einsatzes zu treffen, steht allein dem Bundesverfassungsgericht zu705.
III. FDP-Entwürfe und Gefahr im Verzug Der FDP-Entwurf des „Auslandseinsätzemitwirkungsgesetzes“, sowie der nachfolgende Änderungsentwurf der 16. Wahlperiode gehen bei Gefahr im Verzug-Konstellationen verfahrensrechtlich einen eigenen Weg. Nach § 6 Abs. 1 lit. b. soll der Ausschuss für besondere Auslandseinsätze auch für Einsatzanträge zustimmungsermächtigt sein, falls die Bundesregierung ihren Antrag „wegen Gefahr im Verzuge als besonders eilbedürftig bezeichnet“.
Dieser Rekurs auf den durch die Out-of-area-Entscheidung geprägten Begriff der Gefahr im Verzug ist nicht unproblematisch; denn bei einer Gefahr im Verzug-Situation hat der Bundestag gerade kein vorheriges Beteiligungsrecht. Hier erkennt das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich die verfassungsrechtliche 701 Dau, NZWehrr 1998, 89 (99); Baldus, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 35 (77); Roellecke, Der Staat 34 (1995), 415 (427 f.). 702 Vgl. H. H. Klein, in: Horn (Hrsg.), Festschrift für Walter Schmitt Glaeser (2003), S. 245 (263); a. A. Rupp, JZ 2003, 899 (900); ders., in: Blankennagel et al. (Hrsg.), Liber Amicorum für Peter Häberle, (2004), S. 731 (743) wonach ein nachfolgender negativer Beschluss politisch und praktisch keine Rolle mehr spielen und auch für die Zukunft wenig Aussagefähigkeit besäße. 703 Schaefer, Verfassungsrechtliche Grenzen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes (2005), S. 290. 704 Vgl. Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 92. 705 Kreß, ZaöRV 57 (1997), 329 (356).
E. Gefahr im Verzug
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Befugnis der Bundesregierung zu vorläufigem (Allein-)Handeln an706. Einem Einsatzausschuss können aber höchstens solche Entscheidungsbefugnisse übertragen werden, die auch dem Plenum zukommen. Die einfachgesetzliche Begründung einer parlamentarischen Entscheidungsbefugnis im Falle der Gefahr im Verzug ist daher verfassungsrechtlich unzulässig707. Verstärkt wird dieser Befund durch die Formulierung, wonach eine einfachgesetzliche Regelung „auch den von der Verfassung gewollten Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis und Verantwortlichkeit zu beachten“ 708
hat. Zu diesem Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis gehört gerade die Befugnis zur vorläufigen Anordnung eines Einsatzes bei Gefahr im Verzug. Die FDP-Fraktion scheint hier in ihrer Intention, durch einen Einsatzausschuss „die Zahl der Fälle, in denen die Regierung allein entscheidet, auf ganz wenige reduzieren“ zu wollen709, über ihr Ziel hinauszuschießen. Nachvollziehbar bleibt die Intention gleichwohl. In einer Situation in der das Plenum nicht mehr rechtzeitig seine Zustimmung zu erteilen vermag, aber ein parlamentarischer Einsatzausschuss sehr wohl dazu in der Lage wäre, gebietet es das Prinzip der vorherigen parlamentarischen Beteiligung diesen Ausschuss auch einzurichten und ihm ein Beschlussfassungsrecht zu übertragen. Solange die knappe Zeit noch eine – wenn auch nur in einem Ausschussverfahren – vorherige Zustimmung erlaubt, sollte ein solches Vorgehen immer Vorrang vor einer nachträglichen Billigung oder einem Rückruf der Streitkräfte haben710. Das Verfassungsprinzip des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes würde hierdurch optimiert. Dies käme der verfassungsrichterlichen Konzeption entgegen, wonach die Regierung nur im Notfall ein vorläufiges Alleinentscheidungsrecht beanspruchen kann. Ein Einsatzgremium könnte helfen, solche Notfälle zu verringern. Die Out-of-areaEntscheidung stünde einer solchen Modifikation durchaus offen gegenüber, wie die verfassungsrichterlichen Hilfestellung an den Gesetzgeber zeigt, wonach es sich insbesondere „im Hinblick auf unterschiedliche Arten der Einsätze, vor allem bei solchen, die keinen Aufschub dulden oder erkennbar von geringer Bedeutung sind“ empfehle, „den Zeitpunkt und die Intensität der Kontrolle des Parlaments näher zu umgrenzen“.711
706
BVerfGE 90, 286 (388). So zu Recht Burkiczak, ZRP 2003, 82 (85); a. A. Schaefer, Verfassungsrechtliche Grenzen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes (2005), S. 302; a. A. wohl auch Dreist, NZWehrR 2002, 133 (151). 708 BVerfGE 90, 286 (389 f.). 709 Abg. van Essen (FDP), BT-PlenProt. 15/100 vom 25.03.2004, S. 8984. 710 Schmidt-Jortzig, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 107 (111). 711 BVerfGE 90, 286 (389). 707
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
Bedauerlicherweise wählen die FDP-Initativen aber eine unglückliche terminologische Umsetzung. Auf den durch das Out-of-area-Urteil geprägten Begriff der Gefahr im Verzug wäre in § 6 Abs. 1 lit. b) des Entwurfs zu verzichten gewesen. Angeboten hätte sich etwa eine Formulierung: (1) Der Ausschuss für besondere Auslandseinsätze ist ermächtigt, die Zustimmung zu einem Antrag der Bundesregierung zu erteilen, falls die Bundesregierung ihren Antrag a) . . . b) in einem eilbedürftigen Fall, dem Plenum nicht mehr zur rechtzeitigen Beschlussfassung vorlegen kann, ohne dass dadurch die Durchführung des mit dem Antrag bezweckten Einsatz gefährdet wird c) . . .
Indem der durch das Bundesverfassungsgericht geprägte Begriff der Gefahr im Verzug bei der Umschreibung der in Rede stehenden eilbedürftigen Einsatzart außen vor gelassen würde, käme es zu keiner Kollision mit dem Wortlaut des Out-of-area-Urteils. Der von der FDP-Fraktion gewählte Konnex zur Gefahr im Verzug ist hingegen rechtstechnisch verunglückt.
IV. Exkurs: (Inner-)Exekutive Einsatzkompetenz bei Gefahr im Verzug 1. Grundsätzliche Einsatzkompetenz des Kabinetts Nach dem Wortlaut der Out-of-area-Entscheidung, ist es die Bundesregierung, die bei Gefahr im Verzug den Einsatz beschließt712. Nähere Ausführungen fehlen im Urteilstext. Die Bundesregierung wiederum besteht gem. Art. 62 GG aus dem Bundeskanzler und aus den Bundesministern. Angesichts der im Grundgesetz statuierten Befehls- und Kommandogewalt des Bundesverteidigungsministers sind in bald nach dem Judikat Zweifel laut geworden, ob nach den Buchstaben des Grundgesetzes überhaupt ein Beschluss der Bundesregierung, so wie es das Bundesverfassungsgericht verlangt, erforderlich ist713. Vielmehr sei die Einsatzkompetenz mit der Befehls- und Kommandogewalt i. S. des Art. 65a GG deckungsgleich. Von Verfassungs wegen komme dem Verteidigungsminister die höchste militärische Leitungsgewalt zu. Gleichwohl sei der Bundesverteidigungsminister hierbei nicht von der Beachtung der Richtlinien
712
BVerfGE 90, 286 (388). Siehe nur Roellecke, Der Staat 34 (1995), 415 (419, 423); Epping, AöR 124 (1999), 423 (452 ff.); Oldiges, in: Sachs (Hrsg.), GG (2003), Art. 65a Rndr. 19a; wohl auch Wieland, Schriftlichen Gegenäußerung für die Bundesregierung im AWACS-IIVerfahren vom Dezember 2003. 713
E. Gefahr im Verzug
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des Bundeskanzlers freigestellt; Art. 65a GG substituiere nicht Art. 65 S. 1 und 2 GG. Auch der ressortübergreifende Charakter der Einsatzentscheidung, sowie die herausragende Bedeutung einer solchen Entscheidung (vgl. § 15 Abs. 1 GOBReg) ließen sich nicht dafür anführen, dass die Bundesregierung über den Einsatz als Kollegialorgan zu entscheiden habe. Die niederrangige Bestimmung des § 15 GOBReg sei nicht in der Lage, die in Art. 65a GG angelegte Einsatzkompetenz zu derogieren; als reines Regierungsinnenrecht vermöge sie Verfassungsrecht nicht außer Kraft zu setzen. Dieser neuere Ansatz ist jedoch zugunsten einer strengeren, enger am Wortlaut der Out-of-area-Entscheidung orientierten Lesart abzulehnen. Das Bundesverfassungsgericht judizierte ausdrücklich, dass über den Einsatz von Soldaten nur die Bundesregierung als Kollegialorgan, nicht aber ein einzelner Minister entscheiden darf, auch wenn dieser Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte ist. Zudem verkennt diese jüngere Ansicht die dogmatische Struktur der Befehls- und Kommandogewalt. Die Art. 65a und 115b GG meinen nicht, dass der Inhaber der militärischen Befehlsgewalt selbst und allein über den Einsatz der Streitkräfte bestimmen darf. Sie beziehen sich nur auf die technisch-militärische Umsetzung des Streitkräfteeinsatzes 714. Demnach ist die Befehls- und Kommandogewalt Bestandteil der militärischen Weisungshierarchie, aber keine Funktion der allgemeinen Staatsführung; sie bewegt sich im Internum der Bundeswehr, bestimmt aber nicht deren Handlungsauftrag. Die Befehls- und Kommandogewalt ist daher strikt von der Einsatzkompetenz zu trennen715. Auch unterscheidet sich erstere nicht von der Leitungsbefugnis anderer Bundesminister innerhalb ihres Geschäftsbereiches716. Dies machte der Rechtsauschusses 1956 bei Installierung der Wehrverfassung deutlich: „Die Fassung ,Befehls- und Kommandogewalt‘ soll klarstellen, dass alle militärischen Befehls- und Kommandobefugnisse ihre Spitze in der Person des Verteidigungsminister finden, und dass es keine ihm endogene besondere Kommandogewalt gibt.“717
Art. 65a GG wird daher zumeist nur deklaratorische Natur zugemessen. Knuth Ipsen hat schon früh nachgewiesen, dass der Term der Befehls- und Kommandogewalt nur aus Gründen der deutschen Verfassungsgeschichte in das Grundgesetz aufgenommen wurde718.
714
Schmidt-Radefeldt, Jura 2003, 201 (202). Dau, NZWehrr 1998, 89 (96). 716 Dies ist allerdings nicht unbestritten, vgl. die Nachweise bei Stern, Staatsrecht Bd. II (1980), S. 877. 717 BT-Drs. 2/2150 vom 01.03.1956, S. 4. 718 K. Ipsen, in: Dolzer et al. (Hrsg.), BK-GG (Stand 1969), Art. 115b Rndr. 1 ff., insbesondere Rndr. 33 ff., 48 f. 715
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
2. Staatspraxis im Fall Libelle und Schlussfolgerungen Gleichwohl war es im bislang einzigen offiziellen Anwendungsfall der Gefahr im Verzug-Regelung nicht das Kabinett, das über die Evakuierungsmission in Albanien entschieden hat. Lediglich der Bundeskanzler, der Bundesaußenminister und der Bundesverteidigungsminister haben den Tirana-Einsatz beschlossen. Nach Art. 62 GG wird die Bundesregierung jedoch vom Bundeskanzler und den Bundesministern gebildet. Auf einen entsprechenden Einwurf aus dem Plenum räumte Verteidigungsminister Rühe dann in der Aussprache auch ein, dass die Einsatzentscheidung von den „drei Mitgliedern im Namen der Bundesregierung“ getroffen worden sei719. Ein Blick in die Geschäftsordnung der Bundesregierung lässt aber offenbar werden, dass die Bundesregierung erst dann beschlussfähig ist, wenn einschließlich des Vorsitzenden die Hälfte der Bundesminister anwesend sind (§ 24 Abs. 1 GOBReg). Demnach lag der Operation Libelle kein Einsatzbeschluss der Bundesregierung zugrunde720. Diese hat den vom Bundeskanzler, vom Außen- und Verteidigungsminister allein beschlossenen Einsatz erst nachträglich gebilligt. Unbeschadet der hier vertretenen These, wonach es der Regierung als Kollegialorgan obliegt, einen Gefahr im Verzug-Einsatz anzuordnen, mag es Fälle geben, in denen neben dem Parlament nicht einmal das Kabinett eine rechtzeitige Einsatzentscheidung treffen könnte. Auch hier erweist sich der Rückgriff auf das Out-of-area-Urteil als hilfreich. Das Bundesverfassungsgericht hat das Institut der Gefahr im Verzug als Rechtfertigung für die Derogation der verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsordnung anerkannt. Der darin angelegte Gedanke, eine Organkompetenz zu suspendieren, falls ein regelmäßiger Verfahrensgang der Gefährungslage nicht gerecht werden kann, muss auch dann zur Anwendung gelangen, wenn selbst das Kabinett nicht mehr rechtzeitig eingeschaltet werden kann, ohne bereits vorhandene Gefahren zu intensivieren721. Auf diesem Hintergrund erscheint es verfassungsrechtlich unbedenklich, unter Eilgesichtspunkten die Kompetenz für eine Militärmission zur Abwendung dringendster Gefahren für die Wehr- und Bündnisfähigkeit den betroffenen Ressortministern, also dem Bundesverteidigungsminister und dem Bundesaußenminister, sowie dem Bundeskanzler zu übertragen, und den Einsatz erst nachträglich dem Kabinett vorzulegen. Eine beispielgebende Regelung ließe sich im Gesetz über den Bundesgrenzschutz (BGSG) finden. Für den Auslandseinsatz des Bundesgrenzschutzes zur Rettung von Personen aus einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben weist § 8 Abs. 2 S. 3 BGSG die Einsatzentscheidung dem Bundesminister des Inneren im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt zu. Aber
719 720 721
BT-PlenProt. 13/166 vom 20.03.1997, S. 14981. So auch Epping, AöR 124 (1999), 423 (452). Dau, NZWehrr 1998, 89 (96 f.).
F. Das parlamentarische Revokationsrecht
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auch eine Verortung dieser äußersten Notkompetenz lediglich in der Geschäftsordnung der Bundesregierung könnte ausreichen, da eine derartige Regelung – anders als das Parlamentsbeteiligungsgesetz – nur Innenrecht begründete722.
F. Das parlamentarische Revokationsrecht In der auf die Out-of-area-Entscheidung folgenden Diskussion in Wissenschaft und Politik erfreute sich eine Frage besonderer Aufmerksamkeit. Heftig gestritten wurde, ob der Bundestag seine Zustimmung zu einem Einsatz bewaffneter Streitkräfte zurücknehmen und dadurch die Bundesregierung verpflichten könne, die eingesetzten Soldaten zurückzukommandieren. Unstreitig war und ist, dass der Bundestag keinesfalls die Einstellung selbst verfügen kann. Nur die Bundesregierung bzw. der Verteidigungsminister kann den Einstellungsbefehl erteilen, so dass in der Diskussion nur in Frage stand, ob der Bundestag von der Regierung eine Beendigung des Militäreinsatzes verlangen kann. In der Staatspraxis hat es bislang keinen ernsthaften parlamentarischen Versuch gegeben, die Regierung zur Beendigung eines Einsatzes zu zwingen723. Auch für die Zukunft dürfte dies eher unwahrscheinlich sein, da ein solcher Versuch gegenüber der amtierenden Regierung eine derart verletzende Wirkung hätte, dass diese selbst in Frage gestellt würde724. Der Diskussion um das sog. parlamentarische Rückholrecht tat dies keinen Abbruch725; vor allem deshalb, weil eine rechtlich existente Revokationsbefugnis über den konkreten Vorgang eines Einsatzabbruchs hinaus, weitreichenden Auswirkungen auf das gesamte parlamentarische Beteiligungsverfahren hätte. Ein verantwortungsvoller Umgang mit dem Rückholrecht setzt etwa eine angemessene Informationspolitik der Regierung gegenüber dem 722 Ähnlich Dreist KritV 2004, 79 (102), der zudem anregt, einen Einsatzrat als Kabinettsausschuss zu bilden, der grundsätzlich vom Bundeskanzler geleitet würde und dem immer die Minister des Inneren, der Verteidigung und des Auswärtigen angehören, falls eilbedürftige Entscheidungen zu treffen sind. 723 Vor dem Out-of-area-Grundsatzjudikat stellte jedoch die SPD-Fraktion im Bundestag den Antrag, den Einsatz der Bundeswehr in Somalia zu beenden (BT-Drs. 12/ 5140 vom 16.06.1993). Dieser Antrag wurde abgelehnt. Erwartungsgemäß abgelehnt wurde auch ein Antrag der Fraktion der Linken vom 13.03.2007 (BT-Drs. 16/4674), der auf Abbruch des KSK-Einsatzes in Afghanistan zielte, dazu gleich. 724 Pofalla, Diskussionsbeitrag, DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 28; ders., ZRP 2004, 221 (224) sieht in einem Rückholrecht daher ein „stumpfes Schwert“; ähnlich Außenminister Fischer, 15. WP, Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, KurzProt. der 11. Sitzung am 27.06.2003, S. 13. 725 Im Bundestag wurde sowohl im Plenum als auch in den Fachausschüssen wiederholt diskutiert, ob ein solches Rückholrecht bestehe; vgl. hierzu vor allem die bemerkenswerte Kontroverse im Bundestagsplenum zwischen dem damaligen Fraktionsvorsitzenden Merz (CDU/CSU), dem Vorsitzenden des Rechtsausschusses Scholz (CDU/CSU) und dem Fraktionsvorsitzenden Struck (SPD), BT-PlenProt. 14/202 vom 16.11.2001, S. 19865 ff.
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
Bundestag voraus726. Ohne entsprechende Rahmenkenntnisse des Einsatzverlaufs liefe die parlamentarische Revokationsbefugnis ins Leere. Aus dem Rückholrecht erwächst demnach ein Informationsrecht, das so für das Parlament im Out-of-area-Urteil nicht ausdrücklich vorgesehen war. Zudem wäre es ohne ein Revokationsrecht um vieles schwieriger, die verfassungsrechtliche Zulässigkeit verminderter Anforderungen an das Verfahren der vorherigen parlamentarischen Entscheidung annehmen zu können. So ist dem Bundestag die Zustimmung zu einem notwendigerweise unbestimmt formulierten Einsatz eher abzuverlangen, wenn er anschließend mittels eines Rückholrecht „Herr des Verfahrens“ bleiben kann727. Ähnliches gilt für eine Delegation seiner Entscheidungsbefugnis auf einen Ausschuss, wie ihn die FDP-Initiativen vorsehen, oder für die Zustimmung im vereinfachten Verfahren nach § 4 ParlBG; denn die Rechte des Plenums können umso eher bei der vorherigen Zustimmung gemindert werden, als dem Plenum wiederum eine verstärkte, nachträgliche Einflussnahme durch das Rückholrecht zugestanden wird. Das Bundesverfassungsgericht selbst hat sich zu einem Revokationsrecht nicht ausdrücklich geäußert. Ihm fehlte schlicht der Anlass. Dennoch berufen sich sowohl die Befürworter728 als auch die Gegner729 eines Rückholrechts 726 Ähnlich Schmidt-Radefeldt, Parlamentarische Kontrolle der internationalen Streitkräfteintegration (2005), S. 171; Koch, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz (2008), S. 29. 727 Vgl. auch H. H. Klein, in: Horn (Hrsg.), Festschrift für Walter Schmitt Glaeser (2003), S. 245 (256) wonach ein Rückrufrecht bei gleichzeitigem Verzicht auf die in festgelegten Abständen erfolgenden parlamentarischen Verlängerungsbeschlüsse gerade eine Stärkung der Handlungsfähigkeit der Regierung, als auch der außenpolitischen Verlässlichkeit der Bundesrepublik bewirkte. 728 Grundlegend Nolte, ZaöRV 54 (1994), 652 (680 ff.); des Weiteren Wolfrum, VVDStRL 56 (1997), S. 37 (53); ders., in: Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Bd. 2 (2001), S. 693 (707); Burkiczak, ZRP 2003, 82 (86); Fischer/FischerLescano, KritV 2002, 113 (124 ff.); Hummel, NZWehrr 2001, 221 (224 ff.); Röben, ZaöRV 63 (2003), 585 (592); Lorz, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24.11. 2001, ,Kein Blankoscheck des Bundestages‘; Schmidt-Radefeldt, Jura 2003, 201 (204); Wild, DÖV 2000, 622 (629 f.); Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte (2003), S. 66 ff.; Baldus, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 39 (87); H. H. Klein, Schriftliche Stellungnahme, ebda., S. 93 (101); ders., in: Horn (Hrsg.), Festschrift für Walter Schmitt Glaeser (2003), S. 245 (254 ff.); Pofalla, ZRP 2004, 221 (224); Verteidigungsminister Struck, Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Kurzprotokoll der 9. Sitzung am 05.06.2003, S. 14. 729 Heintschel von Heinegg, in: Tomuschat (Hrsg.), Rechtsprobleme einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (1997), S. 87 (94 f.); Oeter, NZWehrr 2000, 89 (98); Dreist, NZWehrr 2001, 1 (11, 16); ders., KritV 2004, 79 (92 ff.); Graf Vitzthum/Hahn, VBlBW 2004, 39, 71 (75); Isensee, Diskussionsbeitrag, DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 29; Scholz, Referat, ebda., S. 2 (4); ders., Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 115 (127 f.); Limpert,
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gleichermaßen auf die Out-of-area-Entscheidung, die an verschiedenen Stellen durchaus differenzierte Deutungen zulässt.
I. Regelung im Parlamentsbeteiligungsgesetz Im Vorfeld des Parlamentsbeteiligungsgesetzes forderte die Fraktion von Bündnis90/Die Grünen von Anfang an ein allgemeines, unkonditioniertes Rückholrecht für den Bundestag730, während die Fraktion der SPD dieses Recht zunächst auf zeitlich unbegrenzt genehmigte Einsätze beschränkte731. Später haben sich beide Fraktionen auf die Position des kleineren Partners verständigt. Die CDU/CSU wollte dem Bundestag ein Revokationsrecht nur für solche Streitkräfteeinsätze zugestehen, denen er zuvor nicht konkret zustimmte, sondern lediglich im Wege eines generellen, die Regierung ermächtigenden Vorabbeschlusses732. Dem gemeinsame Entwurf von SPD und Bündnis90/Die Grünen ähnlich, wollte auch die FDP-Fraktion ein unkonditioniertes Rückholrecht festschreiben733. Der FDP-Entwurf ist in seinem § 4 jedoch differenzierter ausgestaltet. So sind die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen enger formuliert, wenn im Vorfeld ein Antrag auf Zustimmungswiderruf der Unterstützung eines Viertels der Mitglieder des Bundestages bedarf. Zudem billigt der FDP-Entwurf dem Ausschuss für besondere Auslandseinsätze ein exklusives Rückholrecht zu, bei einem Einsatz zur Abwendung einer Gefahr im Verzug, bei geheimen Einsätzen, sowie VN-, NATO- oder EU-Einsätzen, in die einzelne deutsche Soldaten eingebunden sind. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz formuliert nun in § 8 apodiktisch ein allgemeines, unkonditioniertes Widerrufsrecht, ohne dass an den Widerruf eine ausdrückliche Rechtsfolge geknüpft würde:
Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 58 f.; Eising/Kramer, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Fachbereich WF II, Nr. 074/02 vom 19.06.2002; Spies, in: Fischer et al. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Fleck (2004), S. 531 (550 f.); Günther, in: Thiel (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie (2003), S. 328 (342); Dolzer, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23.11.2001, ,Einspruch, Herr Struck!‘; einschränkend auch Kokott, in: Sachs (Hrsg.), GG (2003) Art. 87a Rndr. 30b; Lutze, DÖV 2003, 972 (978 ff.); Gilch, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz (2005), S. 158 ff.; Schaefer, Verfassungsrechtliche Grenzen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes (2005), S. 333 ff. 730 Positionspapier der Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen vom 03.11.2003, Ziff. 2.2. 731 Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion vom 20.10.2003, § 7. 732 Entwurf für ein Eckpunktepapier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (Stand: 11.11.2003), Ziff. IV. 733 BT-Drs. 15/1985 vom 12.11.2003, § 4 Abs. 1 Satz 1. In ihren vorherigen Anträgen (BT-Drs. 14/9402 vom 12.06.2002 und BT-Drs. 15/36 vom 06.11.2002) ging die FDP-Fraktion jedoch noch davon aus, dass dem Bundestag ein allgemeines Rückholrecht nicht zustehe.
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
„Der Bundestag kann die Zustimmung zu einem Einsatz bewaffneter Streitkräfte widerrufen.“
Ähnlich lapidar heißt es hierzu in der Gesetzesbegründung, die Vorschrift des § 8 ParlBG beende die bisher bestehende Unsicherheit, ob der Bundestag die einmal getroffenen Entsendeentscheidung aus eigenem Recht wieder rückgängig machen kann oder nicht734. Die Materialien sind hier zumindest bis zu einer eventuell gegenläufigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch zutreffend. Darüberhinaus sind jedoch Zweifel angebracht, schließlich vermag das Parlamentsbeteiligungsgesetz im Interorganverhältnis von Regierung und Bundestag nur zu regeln, was die Verfassung und insbesondere die Out-of-area-Entscheidung auch einräumen. Aus eigener Kraft kann es dem Bundestag einen Zuwachs an substantiellen Rechten aber nicht verschaffen. Während sich das Parlamentsbeteiligungsgesetz auf das Widerrufsrecht beschränkt, ordnet § 4 Abs. 3 des FDP-Entwurfs darüber hinaus als Rechtsfolge an, dass die Bundesregierung nach einem Widerruf „den Einsatz unverzüglich zu beenden hat“. Diese Pflicht der Regierung, im Falle eines Widerrufsrechts den Einsatz umgehend zu beenden, ergibt sich zwar aus Sinn und Zweck; eine entsprechende Formulierung hätte aber auch im Parlamentsbeteiligungsgesetz eine klarstellende Funktion735, zumal auch für den Fall einer verweigerten nachträglichen Zustimmung zu einem Gefahr im Verzug-Einsatz der Einsatzabbruch als Rechtsfolge ausdrüchlich angeordnet wird, § 5 Abs. 3 ParlBG. Über das Ziel hinaus schießt der FDP-Vorschlag hingegen in seiner Forderung nach einer „unverzüglichen“ Beendigung durch die Bundesregierung. Den Einsatz „unverzüglich“, also ohne schuldhaftes Zögern abzurechen, erscheint in der Praxis, insbesondere im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit sowohl politisch, als auch militärisch nur schwerlich durchführbar. Ein Ausstieg aus einem laufenden Einsatz muss politisch in Abstimmung mit den Bündnispartnern vorbereitet werden. Zudem darf ein rascher Truppenrückzug nicht zu einer unverhältnismäßigen Gefährdung soldatischer Rechtsgüter führen. Deshalb kann der Bundestag auch nicht ohne weiteres einen Zeitpunkt für die Beendigung des Einsatzes vorschreiben. Gerade im Bereich integrierrter Verbände sind sogar Szenarien vorstellbar, in denen ein Abzug des deutschen Kontingentes unweigerlich das Ende der Gesamtoperation bedeutet. So hat im AWACS II-Verfahren Generalleutnant Dora (von 2000 bis 2003 Kommandeur der AWACS-Einheit der NATO) in der mündlichen Verhandlung vom 12. Februar 2008 erläutert, „dass ein Abzug der deutschen Soldaten aus dem AWACS734 Gemeinsamer Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und Bündnis90/Die Grünen, BT-Drs. 15/2742 vom 23.03.2004, S. 6 zu § 8. 735 So zu Recht Baldus, Schriftliche Stellungnahme, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 39 (90); Schmidt-Jortzig, ebda., S. 107 (112); Koch, Das Parlamentsbeteiligungsgesetz (2006), S. 26.
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Verband der NATO faktisch nicht möglich sei. Angesichts der zahlenmäßigen Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland und der stets zwischen Deutschland und den USA alternierenden Kommandogewalt sei eine Beendigung der deutschen Mitwirkung eine rein hypothetische Option. Ohne die gesamte AWACS-Truppe und ihren Einsatz in Frage zu stellen und die NATO damit zu zwingen, die gesamte Operation einzustellen, sei ein Abzug der deutschen Soldaten nicht möglich.“ 736 Keinen Bedenken entgegnet der Verzicht des Parlamentsbeteiligungsgesetzes auf eine gesetzliche oder geschäftsordnungsmäßige Regelung des vom Bundestag bei Ausübung seines Rückholrechtes einzuhaltenden Verfahrens. Die Geschäftsordnung des Bundestages bietet genügend Flexibilität, um einen Antrag aus der Mitte des Hauses zu behandeln, der auf den Abbruch eines militärischen Einsatzes gerichtet ist737. Konkret bietet sich die gleiche parlamentarische Verfahrensweise an, die nach § 78 Abs. 2 GOBT auch sonst bei Anträgen nach § 75 Abs. 1 lit. d GOBT Anwendung findet.
II. Antrag der Fraktion der Linken auf Abzug des KSK aus Afghanistan Der Verfahrensweg über §§ 78 Abs. 2 i.V. m. 75 Abs. 1 lit. d GOBT wurde dann auch eingeschlagen, als der unter dem Regime des Parlamentsbeteiligungsesetzes bislang einzige mit Verweis auf § 8 ParlBG gestellte Antrag behandelt wurde. Die Fraktion der Linken brachte am 13. März 2007 den Antrag in den Bundestag ein738, den Einsatz des Spezialkräftekommandos in Afghanistan zu beenden. Nach erster Lesung739 und Beschlussempfehlung der Ausschüsse740 lehnte der Bundestag in zweiter Lesung den Antrag erwartungsgemäß mit breiter Mehrheit ab741. Genau besehen handelte es sich bei dem 736
BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 92. H. H. Klein, in: Horn (Hrsg.), Festschrift für Walter Schmitt Glaeser (2003), S. 245 (259). 738 BT-Drs. 16/4674: „Der Bundestag wolle beschließen: Der Deutsche Bundestag widerruft die Genehmigung zum Einsatz des Kommandos Spezialkräfte (KSK) in Afghanistan“. Der auf dasselbe Ziel hinauslaufende Vorgängerantrag vom 30.11.2005 (BT-Drs. 16/121) schweigt sich indes zur Rechtsgrundlage aus. Der Vorgängerantrag zielte ebenso auf einen Abbruch der Gesamtoperation Enduring Freedom. Das KSK sollte im Gegensatz zur Gesamtoperation jedoch „unverzüglich“ zurückbeordert werden. 739 BT-PlenProt. 16/92 vom 30.03.2007, S. 9399 Dff. 740 Die Federführung lag beim Auswärtigen Ausschuss, zur Mitberatung wurde der Antrag ebenso dem Rechtsausschuss, dem Verteidigungsausschuss, dem Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe und dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung überwiesen, vgl. BT-Drs. 16/5309 vom 10.05.2007. 741 BT-PlenProt. 16/102 vom 13.06.2007, S. 10545 C. 737
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
Wunsch der Fraktion der Linken nur um einen verlangten Teilabbruch. Denn das KSK-Kommando stellt alleine keinen Einsatz im Sinne des § 8 ParlBG dar. Die Spezialkräfte sind lediglich Teil eines Einsatzes, namentlich Teil des Enduring Freedom-Mandats. Man könnte zunächst annehmen, § 8 ParlBG gewähre argumentum a maiore ad minus ein parlamentarisches Recht auf solch einen Teilabbruch. Richtig besehen handelt es sich bei einem derartigen Verlangen jedoch nicht um ein minus sondern um ein aliud. Durch den Abzug eines Teilkontingents wird ein (Gesamt-)Einsatz erheblich modifiziert. Eine inhaltliche Ausgestaltung eines laufenden oder bevorstehenden Einsatzes ist dem Bundestag aber ausdrücklich durch das Bundesverfassungsgericht untersagt742. Der einfache Gesetzgeber setzte dieses Verdikt auch folgerichtig in § 3 Abs. 3 ParlBG um. Der Antrag der Fraktion der Linken wäre demnach schon aus rechtlichen Gründen abzulehnen gewesen. Die dortige Berufung auf § 8 ParlBG konnte im konkreten Fall nicht tragen.
III. Regelung des § 8 ParlBG vor dem Hintergrund von Verfassung und Verfassungsrechtsprechung Zentral für die Beurteilung, ob das allgemeine Rückrufrecht des Parlamentsbeteiligungsgesetzes sich im Rahmen der Verfassung bzw. der Grenzen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes bewegt, sind folgende Passagen des Out-of-area-Urteils743: „Die verfassungsrechtlich gebotene Mitwirkung des Bundestages bei konkreten Entscheidungen über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte darf die militärische Wehrfähigkeit und die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht beeinträchtigen. Deshalb ist die Bundesregierung bei Gefahr im Verzug berechtigt, vorläufig den Einsatz von Streitkräften zu beschließen und an entsprechenden Beschlüssen in den Bündnissen oder internationalen Organisationen ohne vorherige Einzelermächtigung durch das Parlament mitzuwirken und diese vorläufig zu vollziehen. Die Bundesregierung muss jedoch in jedem Fall das Parlament umgehend mit dem so beschlossenen Einsatz befassen. Die Streitkräfte sind zurückzurufen, wenn es der Bundestag verlangt. Dem Gesetzgeber bleibt es unbenommen, die Voraussetzungen eines solchen Notfalls und das dabei zu beobachtende Verfahren näher zu regeln (. . .) Der Bundestag hat über Einsätze bewaffneter Streitkräfte nach Maßgabe des Art. 42 Abs. 2 GG zu beschließen. (. . .) Freilich ist der Bundestag bei seiner Beschlussfassung an die mit seiner Zustimmung zustande gekommenen rechtlichen Festlegungen über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte gebunden. Der Zustimmungsvorbehalt für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte verleiht dem Bundestag keine Initiativbefugnis (. . .) der Bundestag kann lediglich einem von der 742 743
BVerfGE 90, 286 (338). BVerfGE 90, 286 (388 f.).
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Bundesregierung beabsichtigten Einsatz seine Zustimmung versagen oder ihn, wenn er ausnahmsweise ohne seine Zustimmung schon begonnen hat (. . .) unterbinden, nicht aber die Regierung zu solch einem Einsatz der Streitkräfte verpflichten. Der Regierung von der Verfassung für außenpolitisches Handeln gewährte Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis und Verantwortlichkeit wird durch den Parlamentsvorbehalt nicht berührt. Das gilt insbesondere hinsichtlich der Entscheidung über die Modalitäten, den Umfang und die Dauer der Einsätze, die notwendige Koordination in und mit Organen internationaler Organisationen.“
1. Mangelnde parlamentarische Initiativbefugnis Gegen die Zulässigkeit eines allgemeinen parlamentarischen Rückholrechts wird in der Literatur häufig die verfassungsrichterliche Feststellung angeführt, wonach der Zustimmungsvorbehalt für den Einsatz dem Bundestag keine Initiativbefugnis verleihe744. Ein Teil der Literatur möchte diese Passage hingegen restriktiv verstanden wissen745. Die Initiativbefugnis solle hiernach nur für den Einsatz ausgeschlossen werden. Der Rückruf deutscher Streitkräfte sei aber kein Beschluss für, sondern gegen den Einsatz. Das mangelnde Initiativrecht des Bundestages beziehe sich daher erkennbar nur auf den Beginn des Einsatzes. Diese restriktive Lesart vermag jedoch kaum zu überzeugen, auch wenn das Bundesverfassungsgericht nur für die Entsendung deutscher Streitkräfte ausdrücklich eine Initiativbefugnis verwehrt. Denn wenn das Parlament bei der Entsendung deutscher Streitkräfte keine Initiativbefugnis besitzt, kann er diese auch für den actus contarius – die Rückholung der Streitkräfte – nicht in Anspruch nehmen746. Die von der Gegenmeinung vorgenommene analytische Trennung einer mangelnden parlamentarischen Initiativbefugnis für, aber einer vorhandenen gegen den Streitkräfteeinsatz erscheint gekünstelt; auch bei der Beschlussfassung über die Konstituierung einer Mission – was zweifellos immer nur durch einen Antrag der Exekutive ermöglicht wird – ist zugleich eine Entscheidung des Parlaments für oder gegen den Streitkräfteeinsatz zu treffen747. Lehnt der Bundestag einen in der exekutiven Vorlage umschriebenen Einsatz ab, erfolgt dies auf ein Regierungsersuchen hin und nicht aus einem originären Recht des Parlaments. 744 Vgl. nur Scholz, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 115 (128); Isensee, Diskussionsbeitrag, DVParl-Prot. vom 04.06. 2003, S. 29. 745 Vgl. Nolte ZaöRV 54 (1994), 652 (680 f.); Hummel, NZWehrr 2002, 221 (227); H. H. Klein, in: Horn (Hrsg.), Festschrift für Walter Schmitt Glaeser (2003), S. 245 (255); Burkiczak, ZRP 2003, 82 (86). 746 Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 59; Graf Vitzthum/Hahn, VBlBW 2004, 39, 71 (75). 747 Schaefer, Verfassungsrechtliche Grenzen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes (2005), S. 371.
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
Dogmatisch fehlerhaft ist es weiterhin, aus dem Zustimmungsrecht des Bundestages die Befugnis zu folgern, die Zustimmung zu widerrufen748. Denn die konstitutive Zustimmung ist für die Exekutive lediglich ermächtigend, nicht verpflichtend. Der Bundestag entsendet keine Streitkräfte, er erteilt der Bundesregierung lediglich das Plazet. Die Bundesregierung kann trotz erteilter Zustimmung von einem Einsatz ganz absehen. Sie kann ferner einen einmal begonnen Einsatz jederzeit beenden, auch vor Ablauf des Parlamentsmandats. Wiederum zeigt sich der Gleichlauf des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsbeschlusses mit Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG, da es nach letzterer Norm ebenfalls in die Entscheidungskompetenz der Bundesregierung fällt, ob sie nach ergangenem Zustimmungsgesetz den völkerrechtlichen Vertrag abschließt und nach seinem Abschluss völkerrechtlich beendet oder aufrechterhält749. Das Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG beinhaltet eine bloße Ermächtigung, in deren Anschluss es an einer parlamentarischen Kompetenz mangelt, die Kündigung eines Vertrages zu veranlassen, dem es einmal zugestimmt hat750. Aus der dogmatischen Struktur des Zustimmungsrecht verbietet sich weiterhin, ein Rückrufrecht aus dem Umstand abzuleiten, dass der Bundestag selbst Gesetze wieder zurücknehmen kann751. Ein entsprechendes argumentum a maiore ad minus scheidet schon deshalb aus, weil konstitutive Zustimmungsbeschlüsse und Gesetze hier in einem aliud-Verhältnis stehen. Der Bundestag kann Gesetze aus seiner Mitte initiieren (Art. 76 Abs. 1 GG), den Einsatz der Bundeswehr aber gerade nicht. Aufgrund dieser dogmatischen Verschiedenheit geht auch die Auffassung ins Leere, wonach ein mangelndes Rückholrecht dem Grundsatz des nachfolgenden Gesetzgebers zuwiderlaufe. Hierfür wird angeführt, dass der Bundestag ansonsten durch die zeitliche Gestaltung eines Entsendebeschlusses über das Ende der Legislaturperiode hinaus die Entscheidungsbefugnis des nächsten Bundestages beschneiden könne752, da der Entsendebeschluss – unstreitig753 – nicht der Diskontinuität verfalle. Ein neu gewählter Bundestag müsse sich demnach aus eigener Kraft nicht nur von einem Gesetz, sondern auch von einem Einsatzbeschluss des alten lösen können. Wiederum ist 748
So aber die Begründung des FDP-Entwurf, BT-Drs. 15/1985 vom 12.11.2003 zu
§ 4. 749
BVerfGE 90, 286 (358); vgl. auch Graf Vitzthum/Hahn, VBlBW 2004, 39, 71
(76). 750
BVerfGE 68, 1 (85 f.). A. A. der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesjustizministerium Pick (SPD), KurzProt. Rechtsausschuss vom 14.11.2001, S. 16; Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte (2003), S. 67. 752 Baldus, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 39 (88); Burkiczak, ZRP 2003, 82 (86); Lorz, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24.11.2001, ,Kein Blankoscheck des Bundestages‘. 753 Vgl. BVerfGE 100, 266 (269). 751
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festzuhalten, dass der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt nicht im Bereich der Gesetzgebung angesiedelt ist, sondern in dem vom Bundesverfassungsgericht betretenen Neuland konstitutiver Parlamentsbeschlüsse, einer Konstellation, bei der dem Parlament im Gegensatz zur Gesetzgebung gerade keine Initiativbefugnis zusteht. Im Übrigen kann sich der Grundsatz, dass der nachfolgende Gesetzgeber die Freiheit besitzen muss, Entscheidungen des vorhergehenden wieder aufzuheben, auch nur auf den nachfolgenden beziehen754. 2. Parlamentarische Gebundenheit bei Einsatzentscheidung Gegen ein parlamentarisches Revokationsrecht führen einige Stimmen die verfassungsgerichtlichen Formulierungen an, wonach der Bundestag „bei seiner Beschlussfassung an die mit seiner Zustimmung zustande gekommenen rechtlichen Festlegungen über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte gebunden“ 755
ist. Zu diesen Festlegungen sei die konstitutive Zustimmung zu zählen756. Die Formulierung des Gerichts ist hingegen nicht eindeutig. So ist schon aus semantischem Blickwinkel fraglich, wie der Bundestag bei seiner Beschlussfassung über einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte an seine (erst noch folgende) konstitutive Zustimmung gebunden sein soll757. Das Bundesverfassungsgericht hätte dann eher formulieren müssen, dass der Bundestag nach seiner konstitutiven Beschlussfassung gebunden sein soll. Einen Einsatzbeschluss hätte das Gericht zudem nicht umständlich mit „rechtlichen Festlegungen über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ umschreiben müssen. Dieser Befund wird durch die Urteilssystematik verstärkt, aus der nicht ersichtlich ist, dass sich das Gericht in seiner Formulierung auf einen parlamentarischen Entsendebeschluss bezieht; vielmehr wird im vorangestellten Urteilsabsatz das zu erlassende Verfahrensgesetz zum ersten Mal angemahnt. Dies lässt den Schluss zu, dass mit „rechtlichen Festlegungen“ solche gemeint sind, die der Bundestag nunmehr im Parlamentsbeteiligungsgesetz selbst fixiert hat758. Ebenso ist möglich, unter „rechtlichen Festlegungen“ völkerrechtliche Verträge zu verstehen, die die Beschlussfassung des Bundestages inhaltlich lenken, beispielsweise Beistandsver754
So zu Recht Lutze, DÖV 2003, 972 (977). BVerfGE 90, 286 (388). 756 Scholz, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06. 2004, S. 115 (128); Isensee, Diskussionsbeitrag, DVParl-Prot. vom 4.6.2003, S. 29; Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 58. 757 So zu Recht Fischer/Fischer-Lescano, KritV 2002, 113 (128). 758 Vgl. Heintschel von Heinegg, in: Tomuschat (Hrsg.), Rechtsprobleme einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (1997), S. 87 (94); Fischer/FischerLescano, KritV 2002, 113 (128); Schaefer, Verfassungsrechtliche Grenzen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes (2005), S. 339. 755
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
pflichtungen759. Aufgrund der Vieldeutigkeit der entsprechenden Passage spricht Ralph Alexander Lorz zu Recht von einem „kryptische(n) Satz“ des Bundesverfassungsgerichts760. Aus ihm sind nur schwerlich Argumente für oder gegen ein Revokationsrecht des Bundestages ableitbar. 3. Einsatzdauer und Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis Gegen ein Rückholrecht wird angeführt, dass das Bundesverfassungsgericht die Dauer der Einsätze ausdrücklich dem der Regierung von Verfassungs wegen für außenpolitisches Handeln gewährten Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis und Verantwortlichkeit zuordnet761. Die Gegenauffassung widerspricht dem insofern, als ein Rückrufrecht den exekutiven Verantwortungsbereich nicht übermäßig einschränke, da die Regierung auch weiterhin den Einsatz jederzeit beenden könne762. Die Regierung kann den Einsatz jedoch nur dann jederzeit beenden, wenn das für den gesamten Zeitraum des Mandats gilt. Im Falle einer Rückholbefugnis könnte die Bundesregierung gerade nicht alleine entscheiden763. Wiederum hilft der textliche Zusammenhang der Out-of-area-Entscheidung weiter. Die zitierte Aussage, wonach die Einsatzdauer der Exekutive obliegt, steht in direktem Konnex zur fehlenden Initiativbefugnis des Bundestages. Dem Bundestag ist es danach verwehrt, die Regierung gegen ihren Willen zu einem spezifischen Streitkräfteeinsatz zu verpflichten. Dies gilt sowohl für das „Ob“, als auch das „Wie“ eines Einsatzes. Vor allem kann der Bundestag einen ihm vorgelegten Einsatzantrag nicht verbindlich modifizieren, dies „gilt insbesondere hinsichtlich der Entscheidung über die Modalitäten, den Umfang und die Dauer der Einsätze (. . .)“.764
Wenn hier die zeitliche Dauer eines Einsatzes in einem Atemzug mit sonstigen Modalitäten und dem Umfang der Einsätze genannt wird, beschränkt sich die Aussage des Bundesverfassungsgericht streng genommen nur auf das „Wie“ eines Einsatzes. Ein Rückholrecht beträfe hingegen nicht das „Wie“, sondern das „Ob“ eines Einsatzes. Indem die Einsatzdauer der Regierung vorbehalten bleibt, bedeutet dies lediglich, dass der Bundestag einen im Regierungsantrag auf sechs Monate angelegten Einsatz nicht selbstständig per Antragsmodifizie759 Hummel, NZWehrr 2001, 221 (227); Burkiczak, ZRP 2003, 82 (86); wohl auch H. H. Klein, in: Horn (Hrsg.), Festschrift für Walter Schmitt Glaeser (2003), S. 245 (256) und P. Kirchhof, in: Beyerlin (Hrsg.), Festschrift für Rudolf Bernhardt (1993), S. 797 (824). 760 Ders., in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24.11.2001, ,Kein Blankoscheck des Bundestages‘. 761 Statt vieler Graf Vitzthum/Hahn, VBlBW 2004, 39, 71 (75). 762 Wild, DÖV 2000, 622 (630). 763 Lutze, DÖV 2003, 972 (979). 764 BVerfGE 90, 286 (389).
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rung auf drei Monate verkürzen oder auf 12 Monate ausweiten kann. Einer Antwort auf die Frage, ob der Bundestag einen einmal begonnen Streitkräfteeinsatz per Beschluss beenden kann, enthält sich diese Passage der Out-of-area-Entscheidung. 4. Gefahr im Verzug als Regelausnahme Gegen ein Rückholrecht wird auch die Ausnahmeregelung der Gefahr im Verzug angeführt. In diesem eilbedürftigen Sonderfall gesteht das Bundesverfassungsgericht dem Parlament ausdrücklich die Befugnis zu, einen Einsatz zu unterbinden, wenn er ausnahmsweise ohne seine Zustimmung schon begonnen hat765. Aus dem Regel-Ausnahme-Verhältnis sei daher zu schließen, dass für den Regelfall, indem die vorherige Zustimmung des Parlaments zu einem konkreten Einsatz bereits erteilt wurde, ein Rückholrecht ausgeschlossen sein soll766. Wenn gegenteilige Literaturstimmen geltend machen, die Gefahr im Verzug-Regelung sei nicht notwendig abschließend für ein parlamentarisches Beendigungsrecht767, überzeugt dies bei genauer Urteilslektüre nicht: „Der Zustimmungsvorbehalt für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte verleiht dem Bundestag keine Initiativbefugnis (. . .); der Bundestag kann lediglich (einen) (. . .) Einsatz (. . .), wenn er ausnahmsweise ohne seine Zustimmung schon begonnen hat (. . .) unterbinden (. . .).“ 768
Wenn also dem Bundestag keine Initiativbefugnis zusteht und er lediglich dann einen Einsatz unterbinden kann, wenn dieser ausnahmsweise ohne seine Zustimmung begonnen hat, bleibt kein Raum für ein allgemeines Rückholrecht für den Regelfall, indem eine vorherige Zustimmung des Parlaments zu einem Einsatz bereits erteilt wurde. Zudem kann er einen ausnahmsweise ohne seine vorherige Zustimmung zustandegekommenen Einsatz auch nicht aus eigener Kraft beenden, sondern kann nur auf den entsprechenden Genehmigungsantrag der Bundesregierung (ablehnend) reagieren. Sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch das Parlamentsbeteiligungsgesetz verpflichten lediglich die Regierung das Parlament mit dem so beschlossenen Einsatz zu befassen bzw. den Antrag auf konstitutive Zustimmung nachzuholen. Ein Initiativrecht auf Abbruch einer militärischen Unternehmung ist dem Parlament auch im Falle eines Gefahr im Verzug-Einsatzes verwehrt. Demnach spricht es deutlich gegen eine allgemeine parlamentarische Rückholbefugnis, wenn das Bundesverfassungsgericht dem Bundestag lediglich in einem eng begrenzten Sonderfall ein Beendigungsrecht zubilligt, zumal dieses Beendigungsrecht auch nur indirekt (auf Vorlage der Exekutive) gewährt wird. 765 766 767 768
BVerfGE 90, 286 (389). Dreist, NZWehrr 2002, 133 (148); ders., KritV 2004, 79 (92). Etwa Nolte, ZaöRV 54 (1994), 652 (680). BVerfGE 90, 286 (389) – Hervorhebungen nicht im Original.
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
5. Analogie zum Verteidigungsfall nach Art. 115 l Abs. 2 GG Des Öfteren greifen Befürworter eines Revokationsrechts auf die ausdrücklich im Grundgesetz geregelte Parlamentsbeteiligung beim Verteidigungsfall zurück769. Parallelen ergäben sich insoweit, als auch der Verteidigungsfall durch den Beschluss des Bundestages nach Art. 115a Abs. 1 S. 1 GG festgestellt werde, wofür die Bundesregierung nach Art. 115a Abs. 1 S. 2 GG ein ausschließliches Initiativrecht besitze. Beendet werde der Verteidigungsfall wiederum durch Beschluss (Art. 115 l Abs. 2 Satz 1 GG), wobei für diesen Beschluss ein ausschließliches Initiativrecht oder auch nur eine Beteiligung der Bundesregierung nicht vorgesehen sei; das Grundgesetz sehe sogar ausdrücklich vor, dass der Bundestag den Beschluss „jederzeit“ fassen dürfe. Nur folgerichtig sei es daher, auch bei der Frage der Beendigung eines Streitkräfteeinsatzes nach gleichem Muster zu argumentieren. Gegen eine analoge Anwendung des Art. 115l Abs. 2 Satz 1 GG spricht indes die fehlende Vergleichbarkeit der Ausgangsituationen. Die Feststellung des Verteidigungsfalls bewirkt zuallererst eine Umstellung der innerstaatlichen Rechtsordnung. Mit einer Entscheidung zum Einsatz der Streitkräfte haben die Vorschriften zum Verteidigungsfall zunächst wenig zu tun770. Auch der Umstand, dass das Einsatzspektrum der Bundeswehr nicht auf den Verteidigungsfall beschränkt und letzterer als Sondermaterie zu sehen ist, gebietet eine enge Auslegung771. Dies gilt umso mehr, als die Einsatzszenarien qualitativ nicht vergleichbar sind. Der Verteidigungsfall betrifft in erster Linie die Bundesrepublik und ihre Existenz. Bei Einsätzen der Bundeswehr, die regelmäßig in Systemen kollektiver Sicherheit erfolgen, besteht kein annähernd gleichwertiger Bezug zur staatlichen Existenz. Bei ihnen geht es gerade nicht um die Änderung des status quo, der regelmäßig Gegenstand von Kriegen ist. Auslandsmissionen im Rahmen von Systemen kollektiver Sicherheit sind auch kein minus im Verhältnis zum Streitkräfteeinsatz im Verteidigungsfall, sondern ein aliud. Diese Differenzierung findet auch einen bundesverfassungsrichterlichen Niederschlag. Nach dem Out-of-area-Urteil erfordern Auslandseinsätze lediglich die einfache Mehr769 Nolte, ZaöRV 54 (1994), 652 (681 f.); Wolfrum, VVDStRL 56 (1997), 37 (53); ders. in: Badura/Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht (2001), Bd. 2, S. 693 (707); Fischer/Fischer-Lescano, KritV 2002, 113 (129); Schultz, Die Auslandsentsendung von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz (1998), S. 442; Schmidt-Radefeldt, Jura 2003, 201 (204); Hummel, NZWehrr 2002, 221 (226). 770 Vgl. Randelzhofer, in: Maunz/Dürig et al. (Hrsg.), GG (Stand 1992), Art. 24 II Rndr. 46; Epping, AöR 124 (1999), 423 (447); ders., in: Pieroth (Hrsg.), Verfassungsrecht und soziale Wirklichkeit in Wechselwirkung, 2000, S. 183 (205); Stein/Kröninger, Jura 1995, 254 (261); Heintschel von Heinegg/Haltern, NILR 41 (1994), 285 (308). 771 Graf Vitzthum/Hahn, VBlBW 2004, 39, 71 (76); Heintschel von Heinegg, in: Tomuschat (Hrsg.), Rechtsprobleme einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (1997), S. 87 (94).
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heit nach Art. 42 Abs. 2 GG, während die Feststellung des Verteidigungsfalles in dem Anforderungsniveau der Verfassungsänderung angesiedelt ist; verlangt wird nämlich die Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, Art. 115a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 GG. Ganz abgesehen davon muss der Bundesrat dem Beschluss des Bundestages zustimmen, Art. 115a Abs. 1 Satz 1 GG, eine Voraussetzung die das Bundesverfassungsgericht für Auslandseinsätze nicht aufstellt. Ein Heranziehen der Regelungen zum Verteidigungsfall kann daher ein parlamentarisches Rückholrecht nicht begründen. Es fehlt bereits an einer vergleichbaren Interessenlage. Zudem sind anderweitige Schlussfolgerungen auch insofern nicht konsequent, als sie die beim Verteidigungsfall vorgeschriebene Mitwirkung des Bundesrates ausblenden. 6. Gesamtanalogie nach Art. 87a Abs. 4 Satz 2, 80a Abs. 2 und 3 Satz 2 GG Weiterhin lasse die verfassungsrechtliche Gesamtschau von Vorschriften, in denen dem Bundestag die Aufhebung bestimmter Maßnahmen einschließlich des Streitkräfteeinsatzes übertragen werde, auf die Existenz eines parlamentarischen Rückholrechts schließen772. Grundlage dieser Gesamtanalogie seien Art. 87a Abs. 4 Satz 2 GG (Objektschutz und Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer), 80a Abs. 2 und 3 Satz 2 (besondere Feststellung zum Einsatz der Streitkräfte im Spannungsfall), und der Verteidigungsfall. Dass letzterer ein untauglicher Ausgangspunkt für eine entsprechende Analogie darstellt, wurde bereits erörtert. Auch die Zusammenschau der verbleibenden 87a Abs. 4 Satz 2, sowie 80a Abs. 2 und 3 Satz 2 GG ergibt einen ähnlichen Befund. So betrifft Art. 87a Abs. 4 GG unstreitig nur den Einsatz der Bundeswehr im Innern. Wiederum wird nicht in Rechnung gestellt, dass im Falle des 87a Abs. 4 Satz 2 GG der Bundesrat alternativ zum Bundestag die Beendigung des Streitkräfteeinsatzes verlangen kann. Weitet man den Kreis der Verfassungsvorschriften, die Streitkräfteeinsätze zum Gegenstand haben aus, so fällt auf, dass in den Fällen des Art. 87a Abs. 1 GG (Einsatz zur Verteidigung), 87a Abs. 3 GG (zum Objektschutz und zur Verkehrsregelung) und Art. 35 Abs. 2 (regionaler Katastrophennotstand) und Abs. 3 (überregionaler Katastrophennotstand) ein Beendigungsrecht des Bundestages gerade nicht vorgesehen ist. Damit sieht das Grundgesetz die Entscheidung über das Ende eines konkreten Streitkräfteeinsatzes in der Mehrzahl der Fälle als originär exekutive Angelegenheit und nur ausnahmsweise als Befugnis des Parlaments773. Eine Gesamt772 Fischer/Fischer-Lescano, KritV 2002, 113 (129); H. H. Klein, in: Horn (Hrsg.), Festschrift für Walter Schmitt Glaeser (2003), S. 245 (255 f.); Burkiczak, ZRP 2003, 82 (86 FN 72). 773 Dreist, KritV 2004, 79 (93); ähnlich Baldus, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 39 (48).
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analogie nach Art. 87a Abs. 4 Satz 2, 80a Abs. 2 und 3 Satz 2 GG ist als Begründung für das Rückholrecht demnach nicht tragfähig, sondern lässt eher die gegenteilige Annahme zu. 7. Bündnisfähigkeit und Verfassungsorgantreue Gegen ein parlamentarisches Rückholrecht wird vereinzelt der auch in der Out-of-area-Entscheidung betonte Stellenwert der Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik angeführt774. Die Bündnisfähigkeit wäre substantiell tangiert, wenn nicht nur der Bundesregierung, sondern auch dem Bundestag eine Rückholbefugnis zugestanden würde. Die Fortführung eines Einsatzes hinge dann von zwei Organen ab. Infolgedessen könne die Bundesregierung mit den Regierungen anderer Staaten nur unter Vorbehalt die Beteiligung der Bundeswehr an multinationalen Streitkräfteeinsätzen beschließen, wodurch ihr von der Verfassung zugestandener Handlungsspielraum in auswärtigen Angelegenheiten eingeschränkt werde. Der in dieser Argumentation anklingende Bezug zum exekutiven Eigenbereich, der durch den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt in seiner Substanz nicht ausgehöhlt werden darf, führt zum Grundsatz der Verfassungsorgantreue. Diese fordert in ständiger Rechtsprechung, dass die einzelnen Verfassungsorgane bei der Wahrnehmung ihrer Kompetenzen auf die Befugnisse und Interessen der anderen Organe Rücksicht zu nehmen775. So ist es durch den der Verfassungsorgantreue inhärenten Grundsatz des venire contra factum prorium dem Bundestag untersagt, in seinem Organverhältnis zur Bundesregierung, diese durch widersprüchliches Verhalten gegenüber auswärtigen Staaten bloßzustellen776. Ein parlamentarisches Rückholrecht aus Gründen der Bündnisfähigkeit und Verfassungsorgantreue generell abzulehnen, hieße jedoch, dem Bundestag ein geringeres außenpolitisches Verantwortungsbewusstsein und weniger Respekt vor internationalen Verpflichtungen zu unterstellen als der Regierung. Eine solche Überlegung ist jedoch mit den jahrzehntelangen Erfahrungen der parlamentarischen Demokratie unter dem Grundgesetz nicht vereinbar. Gerade im Bereich der Auslandseinsätze ist der Bundestag gegenüber Verpflichtungen aus der Staatenwelt sorgsam umgegangen. Als Beispiel für seinen verantwortungsvollen Umgang kann etwa das parlamentarische Zustimmungsverfahren zur deutschen Beteiligung an INTERFET in Ost-Timor angeführt werden. Hier war es gerade nicht der Bundestag, der sich verfassungsrechtlich bedenklich verhielt; dagegen dürfte Bundesaußenminister Fischer das Gebot der Verfassungs774
Etwa von Lutze, DÖV 2003, 972 (979). BVerfGE 35, 193 (199); 36, 1 (15); 45, 1 (39); 90, 286 (337); 97, 350 (375). 776 Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 58; H. H. Klein, in: Horn (Hrsg.), Festschrift für Walter Schmitt Glaeser (2003), S. 245 (257). 775
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organtreue verletzt haben777, als er am 22. September 1999 in seiner Rede vor den Vereinten Nationen ein deutsches Engagement am multinationalen Streitkräfteeinsatz in Ost-Timor zusagte778. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Bundesregierung im Bundestag noch keinen entsprechenden Antrag auf Zustimmung vorgelegt. Auch wurden – wie in vergleichbaren Fällen – die Fraktionen des Bundestages nicht vorab konsultiert, um deren Haltung auszuloten. Durch sein selbstständiges Vorgehen präjudizierte Außenminister Fischer die folgende Zustimmungsentscheidung des Bundestages in einer Weise, die mit Sinn und Zweck der konstitutiven Zustimmung des Bundestages kaum vereinbar ist. Zusätzlich brüskiert durfte sich der Bundestag fühlen, als die Bundesregierung nach 21-tägigem, internem Streit über INTERFET die konstitutive Zustimmung des Bundestages innerhalb von 24 Stunden verlangte779. Vergegenwärtigt man sich den Zeitrahmen der regierungsinternen Meinungsbildung, deren Ergebnis ebenfalls durch den Außenminister präjudiziert wurde, so war es eher der Bundestag, der mit seiner raschen zustimmenden Entscheidung den internationalen Erwartungen in der Frage des Ost-Timor-Einsatzes entsprach. Denn trotz der zweifachen Zumutung durch die Exekutive – das eigenmächtige Vorgehen des Bundesaußenministers und der von der Bundesregierung äußerst knapp gesteckte Zeitrahmen für eine Beschlussfassung – verhielt sich das Parlament mit Rücksicht auf internationale Verantwortungen umsichtig und zurückhaltend. Es beließ es dabei, in der Plenardebatte die Regierungspraxis zu kritisieren780. 8. Staatspraxis Für die verfassungsrechtliche Möglichkeit eines Revokationsrechts wird auch die Staatspraxis im Fall der von der Bundesregierung am 9. Mai 2001 eingebrachte Neuvorlage zum KFOR/Joint Guardian II-Einsatzes781 angeführt782. Die entsprechende parlamentarische Erstzustimmung ein Jahr zuvor sei unbefristet ergangen, ein Versagen der Zustimmung zum neuerlichen Antrag hätte zwin777
Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 79. „Das Blutvergießen muss ein Ende haben. Den Opfern muss geholfen werden. Die Vertriebenen müssen sicher zurückkehren können. Deutschland hat bereits humanitäre und Nahrungsmittelhilfe bereitgestellt. Wir werden ein Sanitätskontingent zur Unterstützung der Friedenstruppen entsenden und weitere Maßnahmen beim Wiederaufbau des zerstörten Landes leisten. Ich bin sicher, dass unser Parlament diesem Vorhaben seine uneingeschränkte Unterstützung geben wird“; Rede abrufbar unter: www.welt.de/data/1999/09/23/643232.html. 779 Regierungsantrag am 06.10.1999 (BT-Drs. 14/1719) Zustimmung des Bundestages am 07.10.1999 (BT-PlenProt. 14/61, S. 5437 D). 780 Vgl. nur Abg. Lamers (CDU/CSU) BT-PlenProt. 14/61 vom 07.10.1999, S. 5424 A.; Abg. Neumann (SPD) ebda., S. 5424 B; Abg. Hirche (FDP), ebda., S. 5427 C. 781 Regierungsantrag am 09.05.2001 (BT-Drs. 14/5972), Zustimmung des Bundestages am 01.06.2001 (BT-PlenProt. 14/174, S. 17085 C). 782 Hummel, NZWehrr 2001, 221 (225). 778
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
gend zur Rückkehr des deutschen KFOR-Kontingents geführt. Dieser Umstand sei so zu interpretieren, dass ein späterer Beschluss des Bundestages die Beendigung eines anfänglich gebilligten Einsatzes herbeiführen kann. Zutreffend ist im Zusammenhang mit der zweiten Missionsverlängerung von KFOR/Joint Guardian II, dass eine Zustimmungsversagung des Bundestages die Beendigung des deutschen Engagements bedeutet hätte. Ein eigenständiges parlamentarisches Rückholrecht kann diese Feststellung dennoch nicht begründen, schließlich ging in dieser Konstellation die Initiative von der Bundesregierung aus. Da diese freilich jederzeit den Rückruf der Soldaten beschließen kann, muss es ihr auch freistehen, eine parlamentarische Zustimmung erneut einzuholen783. Aus politischen Erwägungen heraus kann eine Regierung klug beraten sein, solchermaßen zu handeln. Für ein Rückholrecht kann diese Staatspraxis aber nicht angeführt werden. 9. Allgemeine parlamentarische Kontroll- und Einwirkungsmöglichkeiten Verfassungspolitisch wird die Notwendigkeit eines Rückholrechts des Bundestages des Öfteren mit dem Hinweis auf das Bestehen allgemeiner parlamentarischer Kontroll- und Einwirkungsmöglichkeiten bestritten. Neben der Möglichkeit schlichter Parlamentsbeschlüsse wird vor allem vorgebracht, dass der Bundestag seinen Revokationswillen notfalls durch ein konstruktives Misstrauensvotum nach Art. 67 Abs. 1 GG durchzusetzen vermag784. Indes ist der Hinweis auf das Misstrauensvotum als ultima ratio wenig überzeugend. Das beruht weniger auf der denkbaren dogmatischen Gegenargumentation, wonach ein Misstrauensvotum lediglich bedeute, dass der Bundestag den amtierenden Bundeskanzler ablösen kann und die Wahl eines neuen Bundeskanzlers dem Parlament nicht die Möglichkeit eröffnet, sich gleichzeitig von der einmal erteilten Zustimmung zu einem Streitkräfteeinsatz zu lösen. Auch ein neugewählter Bundeskanzler könnte nicht vom Bundestag rechtlich verpflichtet werden, einen Militäreinsatz zu beenden. Dieser verfassungsrechtliche Befund ist zwar durchaus zutreffend, doch ist es verfassungswirklich wohl auszuschließen, dass ein unter diesen Prämissen neugewählter Bundeskanzler mittels seiner Richtlinienkompetenz den Einsatz nicht beenden würde. Insofern eröffnete ein konstruktives Misstrauensvotum dem Bundestag immerhin faktisch die Möglichkeit, einen aus seiner Sicht unliebsamen Einsatz zu beenden. Bewegt man sich im Bereich der Verfassungswirklichkeit, ist jedoch ebenso einzugestehen, dass vor allem die regierungstragenden Fraktionen vor dem Sturz der 783
Lutze, DÖV 2003, 972 (979). Siehe nur Spies, in: Fischer et al. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Fleck (2004), S. 531 (551 f.); skeptisch Pofalla, Diskussionsbeitrag, DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 28. 784
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Exekutive eher zurückschrecken werden, um einen Streitkräfteeinsatz indirekt zu unterbinden. Denn das scharfe Instrument eines Misstrauensvotums beinhaltet ungleich weittragendere Konsequenzen, als die Ausübung einer Revokationsbefugnis. Mit seinen Folgen und (macht)politischen Voraussetzungen ist das Misstrauensvotum kein gleichwertiges Äquivalent. Das Parlament auf seine Möglichkeiten nach Art. 67 Abs. 1 GG zu verweisen, erscheint daher kaum geeignet, ihm ein Rückholrecht abzusprechen. Es ist das eine, eine Kompetenz zur Beendigung eines Militäreinsatzes auszuüben; ein anderes ist der Sturz der (eigenen) Regierung. Den Bundestag auf das konstruktive Misstrauensvotum zu verweisen und ihm ein Rückholrecht zu versagen, hält der Verfassungswirklichkeit demnach kaum stand. Aus einem anderen Blickwinkel lässt sich die Verfassungswirklichkeit dennoch gegen die Notwendigkeit eines Rückholrechts anführen. Die Bundesregierung kann sich politisch über einen erklärten Willen des Bundestages nicht einfach hinwegsetzen. So kann der Bundestag etwa durch einfache Beschlüsse politischen Druck aufbauen, dem die Regierung nur schwerlich widerstehen kann. Einfache Beschlüsse sind zwar nicht rechtsverbindlich, faktisch kann eine Regierung aber schwerlich darüber hinweggehen. Einfache Beschlüsse sind auch im Bereich der Streitkräfteeinsätze zulässig; die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts zur mangelnden Initiativbefugnis des Bundestages gelten erkennbar nur für konstitutive Parlamentsbeschlüsse785, nicht jedoch für schlichte, rechtlich unverbindliche Willensäußerungen. Aufgrund dieser im parlamentarischen Regierungssystem wirksamen Mechanismen wird die Regierung in der Regel einen militärischen Einsatz nicht fortsetzen, wenn die (sie tragende) Mehrheit im Bundestag dies nicht wünscht786. Dass sich die Bundesregierung in der Praxis einem Wunsch des Parlaments nach Beendigung eines Einsatzes kaum erfolgreich zu entziehen vermag, nehmen offenbar auch ihre Vertreter selbst an. So führte der damalige Verteidigungsminister Peter Struck in der Plenardebatte zur Konstituierung der deutschen Beteiligung an Enduring Freedom aus: „Es sollte aber festgehalten werden, dass selbstverständlich eine Bundesregierung, die von der Mehrheit des Parlaments gebeten wird, die Soldaten zurückzuholen, sie zurückholen würde.“ 787
Es fragt sich demnach, welchen zwingenden Vorteil es mit sich brächte, dem Parlament ein direktes Rückholrecht zuzugestehen, wenn es die Einstellung eines Einsatzes bereits faktisch durchzusetzen vermag. 785 Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 59; ders., in: Häberle/Graf Vitzthum/Schwarze, (Hrsg.), Der Staat als Teil und als Ganzes (1998), S. 49. 786 H. H. Klein, in: Horn (Hrsg.), Festschrift für Walter Schmitt Glaeser (2003), S. 245 (256); ähnlich Scholz, Diskussionsbeitrag, DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 48. 787 Bundesminister Struck, BT-PlenProt. 14/198 vom 08.11.2001, S. 19287.
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
10. Clausula rebus sic stantibus Verbreitet ist eine auf Rupert Scholz zurückgehende Ansicht, wonach die clausula rebus sic stantibus ein parlamentarisches Rückholrecht begründen könne788. Die clausula rebus sic stantibus besagt, dass im Verhältnis zweier vertraglich gebundener Parteien für den Fall eines – so die deutsche Formulierung – „Wegfalls der Geschäftsgrundlage“ bestimmte Rechtsfolgen für das Vertragsverhältnis eintreten. Scholz setzt ihre Anwendbarkeit im Bereich des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes voraus und will dem Bundestag als Rechtsfolge ein Rückholrecht einräumen, wenn sich im Verlauf eines Einsatz dessen Vorzeichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen derart ändern, dass sie wesentlich von den ursprünglichen Beschlussgrundlagen des Parlaments abweichen. Diese Überlegungen leuchten zunächst ein. Immerhin muss sich ein wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsbeschluss nach dem Willen des Bundesverfassungsgerichts auf einen konkreten Streitkräfteeinsatz beziehen. Ein einmal ergangener Beschluss darf daher von der Regierung nicht als carte blanche verstanden werden, wenn sich die Einsatzumstände im Nachhinein wesentlich verändern. Wie schnell sich Rahmenbedingungen grundlegenden ändern können, hat der Einsatz eines deutschen ABC-Spürpanzerverbandes in Kuwait gezeigt. Als die sechzig Spezialisten mit ihren fünf Fahrzeugen im Frühjahr 2002 im Rahmen von Enduring Freedom an den Golf verlegt wurden, war nicht vorhersehbar, dass sie sich ein Jahr später im Aufmarschgebiet der US-geführten Koalition wiederfinden würden. Die Bundesregierung, die diesen Krieg ausdrücklich abgelehnt hatte, sah aus politischen Gründen indes keine Möglichkeit, den Verband zurückzuholen789. Es bleibt jedoch fraglich, ob der Bundestag in einer derartigen Konstellation überhaupt auf das Institut der clausula rebus sic stantibus zurückgreifen kann, und falls ja, ob deren Rechtsfolge in ein Rückholrecht münden kann. Das römisch-rechtliche Institut der clausula rebus sic stantibus findet sich in zahlreichen nationalen Rechtsordnungen, sowie im Völker-790 und im Kirchenrecht. Im Geltungsbereich des Grundgesetzes spielt sie eine Rolle 788 Scholz, BT-PlenProt. 14/202 vom 16.11.2001, S. 19865 D; ders., Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 115 (130); erste Überlegungen finden sich indes schon bei Nolte, ZaöRV 54 (1994), 652 (681); den Tatbestand der clausula weit auslegend, und explizit auch innerstaatliche Umstände anerkennend („Kostenexplosion“), H. H. Klein, in: Horn (Hrsg.), Festschrift für Walter Schmitt Glaeser (2003), S. 245 (257). 789 Anlässlich der ersten Verlängerung von Enduring Freedom am 15.11.2002 (BTPlenProt. 15/11, S. 649 Cff.) wurden die Bundesregierung und insbesondere Verteidigungsminister Struck von der Opposition dann auch für ihre unterschiedlichen Äußerungen zum Umgang mit den Spürpanzern im Fall eines Irak-Kriegs kritisiert. 790 Im Völkerrecht wurde diese ursprünglich als Gewohnheitsrecht anerkannte Formel in Art. 62 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (Wiener Ver-
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„im nationalen bürgerlichen Recht, im deutschen Verwaltungsrecht, im deutschen Verfassungsrecht, teils positiviert, teils innerhalb von geschriebenen Generalklauseln, teils als ungeschriebener Rechtssatz, nicht immer unter der hier verwendeten Formel und in sehr verschiedener Abgrenzung des Inhalts der Regel, im Kern stets als Ausnahme von dem allgemeinen Rechtssatz ,pacta sunt servanda‘“ 791.
Im vorliegenden Fall interessiert die clausula rebus sic stantibus als ungeschriebener Bestandteil des Verfassungsrechts. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist ihre Anwendung etwa bei (Glied)Staatsverträgen anerkannt, „wenn sich die Verhältnisse, die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestanden haben, mittlerweile grundlegend geändert haben und angesichts dieser Veränderung das Festhalten am Vertrag oder an einer Einzelvereinbarung innerhalb des Vertrags für den Verpflichteten unzumutbar geworden ist“.792
Hierdurch wird zugleich der beschränkte Anwendungsbereich der clausula rebus sic stantibus deutlich. Nur bei (zweiseitigen) Verträgen ist er eröffnet. Außerhalb von Vertragsverhältnissen ist für diesen Grundsatz kein Raum, insbesondere ist er nicht Teil der grundgesetzlichen Regelungen hinsichtlich der Kompetenzabgrenzung zwischen den Verfassungsorganen793. Ohne es explizit auszusprechen, geht ein Teil der staatsrechtlichen Literatur offenkundig davon aus, dass es einem vertragsähnlichen Verhältnis entspricht, wenn die Regierung einen Beschlussantrag stellt und der Bundestag diesem zustimmt. Dem ist zuzugestehen, dass es sich beim wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt, wie auch bei anderen Formen des kooperativen Parlamentarismus um ein Novum gegenüber der überkommenen Lehre handelt. Derartige, vor allem richterrechtlich geförderte und sich der klassischen Gewaltenteilung entziehende Konstruktionen, sind in der Wissenschaft bislang dogmatisch nicht durchdrungen. Die in neurer Zeit zu beobachtenden Formen des Übergangs der parlamentarischen Kontrolle der Regierung zu einer Mitsprache des Bundestages bei staatsleitenden Entscheidungen der Bundesregierung in außen-, europa- und verteidigungspolitischen Fragen sind entwicklungs- und bewertungsoffen. Die Frage, ob die clausula rebus sic stantibus allgemein im Bereich des kooperativen Parlamentarismus Anwendung finden kann, wurde bislang noch nicht gestellt. Eine Antwort würde den Umfang der vorliegenden Arbeit sprengen und kann zudem offen bleiben; denn zumindest im Rahmen des hier alleine interessierenden wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts beim Einsatz der Bundeswehr kommen die klassischen Rechtsfolgen des Wegfalls der tragsrechtskonvention) kodifiziert, vgl. Graf Vitzthum, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht (2004), 1. Abschn. Rndr. 131. 791 BVerfGE 34, 216 (230). 792 BVerfGE 34, 216 (232); 42, 345 (358). 793 Vgl. Fischer/Fischer-Lescano, KritV 2002, 113 (129 FN 63).
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
Geschäftsgrundlage nicht in Betracht, auch dann nicht, wenn sich die Rahmenbedingungen eines Einsatzes in dessen Verlauf grundlegend ändern. Denn sollte ein solcher Fall eintreten und der konkrete Einsatz eine Gestalt annehmen, die nicht mehr durch die Zustimmung gedeckt ist, so wird automatisch die Bundesregierung in die Pflicht genommen; sind doch bewaffnete Streitkräfte in einem Einsatz, dessen konkrete Gestalt das Parlament nicht gebilligt hat. Es handelt sich daher rechtstechnisch um einen anderen, um einen neuen Einsatz, dem es an parlamentarischer Billigung mangelt794. Die Bundesregierung kann in einem solchen Fall ihrer durch die Verfassungsorgantreue im Allgemeinen, und durch das Out-of-area-Urteil im Speziellen auferlegten Verantwortung auf zweifache Art nachkommen. Entweder es befasst das Parlament erneut mit dem Einsatz und erbittet dessen Zustimmung unter den veränderten Umständen, oder sie beendet den Einsatz von sich aus. Auf keinen Fall kann jedoch der Bundestag bei veränderten Rahmenbedingungen unter Berufung auf die clausula rebus sic stantibus ein eigenes Revokationsrecht beanspruchen. Zu diesem Ergebnis gelangt man auch, wenn man sich über die allgemeinen Grundsätzen der clausula rebus sic stantibus der Problematik nähert. Zum einen erfordert die Anwendung der clausula rebus sic stantibus in ihrer klassischen Form einen zweiseitigen Vertrag. Ein positiver konstitutiver Parlamentsbeschluss führt hingegen nicht zu einem Vertrag zwischen Erster und Zweiter Gewalt. Aber auch wenn man in dieser kooperativen Konstellation eine Struktur erkennen wollte, auf die eine entsprechende Ausweitung nicht von vornherein ausgeschlossen ist, darf nicht außer Acht fallen, dass zwischen Regierung und Bundestag im Bereich des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentvorbehaltes faktisch und rechtlich keine Gleichrangigkeit herrscht. Dies setzt die clausula rebus sic stantibus in ihrer tradierten Form aber voraus. Zum anderen kann ein Vertrauen auf die Beständigkeit der Geschäftsgrundlage beim Einsatz bewaffneter Streitkräfte von vornherein nur schwerlich bestehen. Militärische Unternehmungen sind in ihrem Verlauf schlechterdings nicht kalkulierbar, mit veränderten (Einsatz-)Umständen ist immer zu rechnen795. Zudem ist die regelmäßige Rechtsfolge des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht etwa ein Rücktrittsoder Kündigungsrecht der durch die veränderten Umstände benachteiligten Partei, sondern grundsätzlich die Vertragsanpassung. Dem Bundestag eine Revokationsbefugnis bei veränderten Umständen auszusprechen, also das Recht, die Bundesregierung – die andere „Vertragpartei“ – zu einem bestimmten Verhal794 So auch Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 58 f., der zu Unrecht in der Literatur des Öfteren von den Befürwortern eines über die clausula hergeleiteten Rückholrecht angeführt wird. 795 Vgl. die Diskussion um die Bereitstellung deutscher Tornados im Süden Afghanistans auf Anfrage von NATO-Militärs, nachdem sich die dortige Gefahrenlage für die ISAF-Partner deutlich verschärfte, hierzu Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 05.01.2007, ,Der Gesamtauftrag‘ und Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16.01. 2007, ,Die Tornados und das Mandat‘.
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ten, dem Rückzug der Streitkräfte, zwingen zu können, ginge über die anerkannten Rechtsfolgen der klassischen clausula rebus sic stantibus hinaus. Die nachvollziehbare Motivation, dem Bundestag Einflussmöglichkeiten zu verschaffen, wenn ein Streitkräfteeinsatz aus tatsächlichen Gründen wesentlich vom ursprünglichen Einsatzbeschluss abweicht, wird nicht in Abrede gestellt. Doch bedarf es hierzu nicht eines unkonditionierten Rückrufrechts des Bundestages, eine klarstellende Ergänzung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes genügte, wonach die Regierung in diesem speziellen Fall zu einer Neuauflage eines Zustimmungsantrags verpflichtet ist796. Diese deklaratorische Regelung, wäre sowohl für den Bundestag, als auch für die Bundesregierung vorteilhaft. Im Parlamentsbeteiligungsgesetz könnte sie vorzugsweise in § 2 oder statt des § 8 mit folgenden Wortlaut eingefügt werden: „Ändern sich im Verlauf eines Einsatzes bewaffneter Streitkräfte dessen tatsächliche Umstände derart, dass sie wesentlich von den im Zeitpunkt der Zustimmung zugrunde gelegten Annahmen abweichen, so ist die Bundesregierung verpflichtet, den Bundestag erneut um seine Zustimmung zu ersuchen, oder den Einsatz zu beenden.“
Ob die tatsächlichen Umstände des Einsatzes wesentlich von den Erwartungen im Zeitpunkt der Zustimmung abweichen, ist naturgemäß schwer abzugrenzen. Die Bundesregierung kann bei der Beantwortung dieser Frage kein Arkanum für sich reklamieren. Auch wenn außenpolitische Sachverhalte eine gewichtige Rolle spielen, ist der exekutiven Einschätzungsprärogative nicht erst die Grenze offensichtlicher Willkür gesetzt, wie dies in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu den Ostverträgen797 oder zur Aufstellung von Pershingraketen798 anklingt. In der AWACS-II-Entscheidung vom 7. Mai 2008 hat das Bundesverfassungsgericht der Bundesregierung dort ein Einschätzungsprivileg verwehrt, wo das Grundgesetz (respektive das Bundesverfassungsgericht) dem Bundestag die Mitentscheidung über den bewaffneten Einsatz deutscher Soldaten zuweist: „Angesichts der Funktion und Reichweite des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes darf seine Reichweite nicht restriktiv bestimmt werden. Vielmehr ist der Parlamentsvorbehalt (. . .) im Zweifel parlamentsfreundlich auszulegen (. . .) Insbesondere kann das Eingreifen des Parlamentsvorbehaltes nicht unter Berufung auf Gestaltungsspielräume der Exekutive maßgeblich von den politischen und militärischen Bewertungen und Prognosen der Bundesregierung abhängig gemacht wer796 Ein ähnlicher Gedanke findet sich auf Verfassungsebene bereits in Art. 115l Abs. 2 Satz 3 GG. Danach ist der Verteidigungsfall unverzüglich für beendet zu erklären, wenn die Voraussetzungen für seine Feststellung nicht mehr gegeben sind. Auch hier muss eine (neuerliche) Entscheidung getroffen werden, die der neuen Lage entspricht, wenn die Voraussetzungen, unter denen eine Entscheidung getroffen wurde, nicht mehr gegeben sind. 797 BVerfGE 40, 141 (178); bestätigt in BVerfGE 55, 349 (365) – Hess. 798 BVerfGE 68, 1 (2 Leitsatz 3).
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
den; eine Einschätzungsprärogative kann der Exekutive lediglich für den Eilfall und damit nicht einstweilen überlassen werden“ 799.
Die Konsequenz dieser bundesverfassunsgrichterlichen Feststellung lag in der konkreten Entscheidung dann darin, dass die Prognose, ob eine Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen qualifiziert zu erwarten ist, respektive ob ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte vorliegt, „gerichtlich voll überprüfbar“ ist800. Behält sich das Bundesverfassungsgericht vor, eine in die Zukunft gerichtete Einschätzung der Bundesregierung zu überprüfen, so hat dies erst recht für solche exekutiven Einschätzungen zu gelten, die der eher tatsächlichen Frage nachgehen, ob ein Streitkräfteinsatz noch von seinem ursprünglichen Zustimmungsbeschluss gedeckt wird. Ein in seinen Grundzügen wesentlich veränderter Streitkräfteeinsatz stellt einen einen neuen, zustimmungsbedürftigen Einsatz im Rechtsinne dar, weshalb sich die Bundesregierung nicht auf ihr vorbehaltene Einschätzungsspielräume zurückziehen kann. Man mag es aus rechtspolitischen Überlegungen sogar für sinnvoll halten, dem Parlament alleine die Entscheidung zuzugestehen, ob der konkrete Einsatz noch von seinem erteilten Zustimmungsmandat gedeckt ist. Diese Regelung könnte im Parlamentsbeteiligungsgesetz indes nicht umgesetzt werden. Ansonsten stünde dem Bundestag ein indirektes Initiativrecht zu, was ihm durch das Bundesverfassungsgericht hingegen ausdrücklich verwehrt ist801. 11. Bundeswehr als Parlamentsheer In der Literatur befürworten gewichtige Stimmen ein Rückholrecht mittels vermeintlich konsequentem Fortdenkens der Bundeswehr als Parlamentsheer802. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auf die Formulierungen des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Streitkräfte nicht allein der Exekutive überlassen sind, sondern als „Parlamentsheer“ auch unter dem Einfluss des Bundestages stehen sollen. Es sei nicht nachvollziehbar, wenn die Streitkräfte nach er799
BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 72. BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 82. 801 Hierin liegt dann auch der Unterschied zu Art. 115l Abs. 2 Satz 3 GG, da nach dieser Vorschrift die Aufhebung des Verteidigungsfalls durch den Bundestag in eigener, pflichtgebundener Initiative (und mit Zustimmung des Bundesrates) erfolgt, vgl. Graf Vitzthum, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VII (1992), § 170 Rndr. 50. 802 Baldus, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06. 2004, S. 35 (88); Nolte, ZaöRV 54 (1994), 652 (681 f.); Lorz, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24.11.2001, ,Kein Blankoscheck des Bundestages‘; Wild, DÖV 2000, 622 (629 f.); H. H. Klein, in: Horn (Hrsg.), Festschrift für Walter Schmitt Glaeser (2003), S. 245 (255); Schmidt-Radefeldt, Jura 2003, 201 (204); Hummel, NZWehrr 2001, 221 (226 f.); Burkizcak, ZRP 2003, 82 (86). 800
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folgter parlamentarischer Zustimmung für die Restdauer des Einsatzes zu einer „Regierungsarmee“ mutierten. Man müsse dem Grundgesetz, wenn man den Parlamentsvorbehalt im Sinne der Notwendigkeit einer vorherigen Zustimmung bejahe, ein Rückrufrecht des Parlaments erst recht entnehmen. Ansonsten drohe eine einmal erteilte Zustimmung zu einer nicht mehr revidierbaren carte blanche für die Bundesregierung zu werden. Der Bundestag müsste dann womöglich Entscheidungen treffen, deren Tragweite und Auswirkungen für die Zukunft noch gar nicht absehbar seien, ohne selbst die Möglichkeit zu haben, seine Entscheidung berichtigen zu können. Eine Auseinandersetzung mit dieser Argumentation, wonach die parlamentarischen Mitwirkungsrechte ein Revokationsrecht des Bundestages nicht nur eröffnen, sondern geradezu gebieten, führt zur Verortung des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentvorbehalts im demokratischen Parlamentsvorbehalt. Wie bereits dargestellt, lässt sich die Mitwirkung des Bundestages bei der Entscheidung über den Einsatz der Streitkräfte am überzeugendsten über eine starke Akzentuierung des der Wesentlichkeitslehre inhärenten demokratischen Prinzips herleiten. Für diese Herleitung bestand ein verfassungsrechtlicher Raum, weil Auslandseinsätze der Bundeswehr das Wesentlichkeitskriterium erfüllen und gleichzeitig dem Grundgesetz keine ausdrücklich vorgegebene Kompetenzlage in diesem Bereich zu entnehmen ist. Die Voraussetzung einer im Verfassungstext ungeklärten Kompetenzfrage ist unabdingbar, da die Wesentlichkeit einer entscheidungsbedürftigen Materie zunächst nur ein Indikator für eine Regelung durch das Parlament mittels seiner Legitimationskraft sein kann. Das Bundesverfassungsgericht stellt in seinen dogmatischen Ausführungen zur Wesentlichkeitslehre klar, dass die verfassungsunmittelbaren Kompetenzen von Exekutivorganen durch das legitimatorische Prä des Bundestages nicht zu dessen Gunsten verschoben werden. Genauso wenig wie sich im Grundgesetztext eine Kompetenznorm zur Anordnung eines Einsatz der Streitkräfte im Ausland findet, findet sich eine Kompetenznorm zum Abbruch eines einmal begonnen Einsatzes. Auf den ersten Blick scheint damit ein Anwendungsraum für die Wesentlichkeitslehre eröffnet, deren Rechtsfolge dann in ein parlamentarisches Rückholrecht münden könnte. Aber nicht nur die Kompetenzregelungen im Verfassungstext müssen sich ausschweigen über ein eventuelles Rückholrecht, sondern auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt. Dieser ist das Ergebnis verfassungsgerichtlicher Rechtsfortbildung und hat den Charakter einer generellen Norm803. Bei der Bestimmung von Rang, Normart, Status, Funktionen, Grenzen und Rechtsfolgen dieser Norm sind die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts deshalb als maßgebliche Erkenntnisquelle heranzuziehen. Dies ergibt sich aus § 31 803 Baldus, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06. 2004, S. 39 (46).
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
Abs. 1 BVerfGG. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts binden dabei auch die tragenden Gründe der Entscheidung804. Als Grenzen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes benennt das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich das mangelnde Initiativrecht des Bundestages zum Einsatz der Streitkräfte im Ausland. Der Bundestag kann demnach die Regierung nicht zu einem solchen Einsatz verpflichten. Nur folgerichtig ist es dann, dem Parlament auch für den actus contarius – die Rückholung der Streitkräfte – ein Initiativrecht zu verwehren. Die konstitutive Mitwirkung des Parlaments erschöpft sich in einem legitimierenden Zustimmungsakt. Der Bundesregierung allein steht die Befugnis zu, die Initiative zu einem Einsatz bewaffneter Streitkräfte zu ergreifen. Rechtmäßig ist der geplante Einsatz freilich erst, wenn der Bundestag konstitutiv zustimmt. Es ist dem Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis und Verantwortlichkeit zuzurechnen, ob und wie die Bundesregierung die Zustimmung des Bundestages ausschöpft. Der Bundesregierung obliegt dann die operative Führung des Einsatzes, die funktionsgerecht und organadäquat nicht durch das Parlament erfolgen kann. Das Recht des Parlaments ist also von vornherein auf einen Zustimmungsvorbehalt zu einem bestimmten exekutivischen Handeln beschränkt805. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht vom „Parlamentsheer“ spricht, ändert dies am Kompetenzübergewicht der Exekutive auch im Bereich der Einsätze bewaffneter Streitkräfte nichts. Letztlich handelt es sich nicht um eine gleichberechtigte Mitwirkung des Bundestages an der Gestaltung. Auch wenn der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt im demokratischen Prinzip wurzelt, spricht seine konkrete, richterrechtliche Ausgestaltung, und hier vor allem das fehlende parlamentarische Initiativrecht, deutlich gegen ein Revokationsrecht des Bundestages. 12. Zwischenergebnis Die überzeugenderen Argumente sprechen gegen ein parlamentarisches Recht, einen bereits gebilligten Militäreinsatz aus eigener Kraft zu beenden. Die fehlende Initiativbefugnis des Bundestages beim Einsatz bewaffneter Streitkräfte bildet den nervus rerum der hier dargestellten Überlegungen. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz blendet alle verfassungsrechtlichen Bedenken indes aus und statuiert ein unkonditioniertes Rückholrecht des Bundestages. Die Diskussionen und Rechtsunsicherheiten im Bereich des Revokationsrechts sind zwar hierdurch zunächst beigelegt, aber einer eventuellen Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht vorbehalten. In seiner AWACS II-Entscheidung vom 7. Mai 2008 hat es ausdrücklich hervorgehoben, dass durch das zwischenzeitlich in Kraft getretene Parlamentsbeteiligungsgesetz das Klarstellungsinteresse 804
BVerfGE 1, 14 (37); 19, 377 (392); 20, 56 (87); 40, 88 (93 f.); 72, 119 (121). Ähnlich Schaefer, Verfassungsrechtliche Grenzen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes (2005), S. 381. 805
F. Das parlamentarische Revokationsrecht
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in Fragen des verfassungsunmittelbaren Parlamentsvorbehalts nicht entfallen ist806. Bei einer Anrufung durch die Exekutive könnte das Bundesverfassungsgericht durchaus feststellen, dass der einfache Gesetzgeber dem Bundestag ein Kompetenzrecht zugestanden hat, das ihm nach der Verfassung und insbesondere nach der Out-of-area-Entscheidung gerade nicht zusteht. Dauerhafte Klarheit hätte hingegen eine Festschreibung der Rückholbefugnis im Grundgesetz zur Folge gehabt. Dieser Weg wurde allerdings von keiner Partei ernstlich erwogen. Bis das Bundesverfassungsgericht anderes entscheidet, gilt somit § 8 des ParlBG. Die grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber einem parlamentarischen Rückholrecht werden angesichts dessen apodiktischer Formulierung noch verstärkt. Selbst wenn man mit einer stark vertretenen Ansicht in der Literatur ein parlamentarisches Rückholrecht für möglich hält, muss man dennoch konstatieren, dass dessen konkrete Umsetzung im Parlamentsbeteiligungsgesetz angreifbar ist. So fehlt in § 8 ParlBG jeder Hinweis auf verfassungsrechtlich gebotene Schranken des Bundestages bei der Ausübung seines Rückholrechts. Dies könnte zu dem Irrtum verleiten, solche Bindungen bestünden nicht. Selbst in der Gesetzesbegründung findet die Existenz solcher Schranken keine Erwähnung807. Gleichwohl sind diese wegen des in Art. 20 Abs. 3 GG zum Ausdruck kommenden Vorrang der Verfassung zu beachten. In enger Anlehnung an die obigen, einem Rückholrecht grundsätzlich skeptischen gegenüberstehenden Ausführungen, kommen insbesondere der Grundsatz der Verfassungsorgantreue, sowie die nach Art. 25 GG geltende allgemeine Regel des Völkerrechts in Betracht, nach der es einem Staat aus Gründen des Vertrauensschutz untersagt ist, zum Schaden eines anderen Staates einen gegenteiligen Standpunkt einzunehmen, nachdem er durch sein Verhalten eine bestimmte Rechtsansicht zum Ausdruck gebracht hat (venire contra factum proprium)808. Aus letzterer folgt, dass der Bundestag bei seiner Entscheidung über einen Zustimmungswiderruf zu beachten hat, inwieweit diese Entscheidung mit völkerrechtlichen Vereinbarungen in Einklang steht, an die die Bundesrepublik gebunden ist809. Weiterhin ist das Parlament durch die Verfassungsorgantreue angehalten, die Regierung nicht in desavouierende Lagen zu bringen810. Bundestag und Bundesregierung sind zu wechselseitiger Rücksichtnahme bei der Ausübung ihrer Kompetenzen verpflichtet. Die Verfassungspositionen der Bundesregierung 806
BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 53. Auch nicht im Gesetzentwurf der FDP-Fraktion, BT-Drs. 15/1985 vom 12.11. 2003, S. 5 zu § 4. 808 Vgl. hierzu allgemein Koenig, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG Bd. II (2005), Art. 25 Rndr. 65. 809 Baldus, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06. 2004, S. 39 (89); Pofalla, ZRP 2004, 221 (224). 810 Vgl. Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr (2002), S. 58; Kokott, in: Sachs (Hrsg.), GG (2003), Art. 87a Rndr. 30b. 807
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
und des Bundestages sind hierbei in einen an Verhältnismäßigkeitskriterien ausgerichteten Ausgleich zu überführen. Bei dieser Abwägung kann nicht undifferenziert auf die allgemeinen Regeln und den Primat der Bundesregierung in der auswärtigen Politik abgestellt werden. Denn „(mit) der Anwendung militärischer Gewalt endet der weit bemessene Gestaltungsspielraum der Exekutive im auswärtigen Bereich“.811
Das Bundesverfassungsgericht hat für den Teilbereich der auswärtigen Gewalt eine Sonderregelung geschaffen, der den Einsatz der bewaffneten Streitkräfte zum Gegenstand hat812. Zwar ist dieser Teilbereich dem Parlament nicht zur gleichberechtigten Ausübung anvertraut ist, doch sind seine Befugnisse hier ungleich gewichtiger als im allgemeinen Bereich der auswärtigen Gewalt. Festzustellen bleibt, dass das Rückholrecht in § 8 ParlBG zwar unkonditioniert formuliert, aber dennoch nicht frei von Bindungen ist. Geht man entgegen der hier vertretenen Ansicht davon aus, dass ein die Bundesregierung verpflichtender Rückholbeschluss nicht per se rechtswidrig ist, kann man dennoch zu dem Schluss gelangen, dass ein konkreter Rückholbeschluss, aus genannten Gründen (Verfassungsorgantreue und Grundsatz des venire contra factum proprium) gegen das Grundgesetz verstößt. Dieser ist deshalb nicht etwa rechtlich unwirksam. Die Bundesregierung kann aber auch hier die Verletzung ihrer Kompetenzen im verfassungsrechtlichen Organstreit geltend machen und gegebenenfalls im Verfahren der einstweiligen Anordnung die Außervollzugsetzung des Beschlusses erreichen813.
G. Exekutive Unterrichtungspflicht über laufende Einsätze bewaffneter Streitkräfte I. Staatspraxis bis zum Inkraftreten des Parlamentsbeteiligungsgesetzes Eine exekutive Unterrichtungspflicht über laufende Auslandseinsätze wird dem Bundestag im Out-of-area-Urteil nicht ausdrücklich zugestanden. Lediglich in seinem Somalia-Eilbeschluss vom 23. Juni 1993 hielt das Bundesverfassungsgericht fest:
811
BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 69. Vgl. Baldus, Schriftliche Stellungnahme, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 39 (85). 813 Zutreffend H. H. Klein, in: Horn (Hrsg.), Festschrift für Walter Schmitt Glaeser (2003), S. 245 (257). 812
G. Exekutive Unterrichtungspflicht über laufende Einsätze
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„Um dem Bundestag die Wahrnehmung der ihm in der Zeit bis zur Entscheidung in der Hauptsache zufallenden Befugnisse und die parlamentarische Kontrolle der von ihm mitzuverantwortenden Vorgänge zu ermöglichen, ist die Bundesregierung gehalten, das Parlament laufend über den Fortgang der Maßnahme der Vereinten Nationen in Somalia sowie über die Einsatzbedingungen des deutschen UNOSOM IIKontingents und die Erfüllung seines Auftrages zu unterrichten.“ 814
Diese Passage eignet sich durch ihren Bezug zu der anstehenden Entscheidung in der Hauptsache zunächst wenig für eine Verallgemeinerung. Es waren vor allem politisches Kräftespiel und Courtoisie, die dazu führten, dass die Bundesregierung inzwischen seit Jahren ein System der kontinuierlichen Unterrichtung des Parlaments mit schriftlichen Berichten über die Einsatzgebiete etablierte815. Das Plenum wird hierbei halb- oder vierteljährig informiert, die zuständigen Ausschüsse regelmäßig sitzungswöchentlich816. Dieses informale Verfahren findet weitgehend Anerkennung, ist bei geheimhaltungsbedürftigen Einsätzen jedoch mit einer gewichtigen Einschränkung versehen. Einig sind sich Parlament und Regierung bei Geheimeinsätzen nur insoweit, als es sicherheitspolitische Konstellationen geben kann, die eine Geheimhaltung eines Streitkräfteeinsatzes oder zumindest bestimmter Teilaspekte desselben erfordern. Bestimmte Militäroperationen können und dürfen nicht in einer parlamentarischen Debatte öffentlich diskutiert werden, um den Zweck der geplanten oder laufenden Operation nicht zu gefährden. Soll diese gemeinsame Grundüberlegung von Regierung und Bundestag in der Praxis umgesetzt werden, kommt es hingegen immer wieder zu Unstimmigkeiten. Die Obleute des Verteidigungsausschusses werden zwar informal durch die Bundesregierung in besonderen Sitzungen über die Geheimeinsätze der Spezialkräfte unter Wahrung der Grundsätze der Geheimhaltung unterrichtet; doch die in diesem kleinen Kreis tatsächlich erteilten Auskünfte, ermöglichen es offenbar nicht einmal den Obleuten, den genauen Auftrag und den militärischen Befehl der Spezialkräfte zu erkennen. Die Fraktionsvertreter beklagen den unbefriedigenden Zustand zuweilen817, haben sich aber offenbar mit der restriktiven Informationspolitik der Bundesregierung abgefunden.
814
BVerfGE 89, 38 (47). Vgl. Dreist, KritV 2004, 79 (96 f.). 816 Zur Unterrichtungspraxis vgl. etwa Abg. Bartels (SPD), DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 14; instruktiv auch Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11.11.2003, ,Einsatzregeln für das Parlamentsheer‘; zur wöchentlichen Information der Fraktionen durch die Bundesregierung auch zu nur potentiellen Auslandseinsätze, siehe Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28.07.2001, ,Mehr Vorabunterrichtung als rechtlich nötig‘. 817 Vgl. nur Abg. van Essen (FDP) DVParl-Prot. vom 04.06.2003, S. 16. 815
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II. Parlamentarische Informationsrechte und exekutive Unterrichtungspflichten Der Bundesregierung obliegt gegenüber dem Bundestag eine allgemeine Informationspflicht über alle in ihre Zuständigkeiten fallenden Angelegenheiten818. Diese Pflicht ist für die parlamentarische Demokratie elementar und unverzichtbar, Art. 20 Abs. 2, 3, Art. 79 Abs. 3 GG819. Ihr entspricht ein ebensolches, umfassendes (Auskunfts-)Recht des Parlaments gegenüber der Regierung820. Folgerichtig können Plenum und Ausschüsse gestützt auf Art. 43 Abs. 1 GG die Anwesenheit jedes Mitglieds der Bundesregierung verlangen. Aber nicht nur Plenum oder Ausschüsse, sondern auch der einzelne Abgeordneten kann – gestützt auf den statusregelnden Gehalt des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG – Informationsrechte reklamieren. Sachgerecht beraten und abstimmen kann er nur, wenn er über die zur Regelung anstehenden Sachverhalte adäquat informiert ist. Daher hat die Bundesregierung „dem Bundestag auf Fragen Rede und Antwort zu stehen und seinen Abgeordneten, die zur Ausübung ihres Mandats erforderliche Information zu verschaffen“ 821.
Soweit der Bundestag ohne umfassende Information durch die Regierung seine Zuständigkeiten nicht so ausüben kann, wie es die Verfassung gebietet, liegt in der Informationsverpflichtung für die Bundesregierung keine unzulässige Kompetenzerweiterung zugunsten des Parlaments. Soweit für die Erfüllung der originären Parlamentsaufgaben eine Berichterstattung und Stellungnahme der Regierung hingegen nicht erforderlich ist, können sie auch nicht angefordert werden, weil das Verfassungsorgan Regierung ansonsten zu einem Hilfsorgan des Parlaments degradiert würde822. Im Bereich des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes ist die Informationspflicht als „Bringschuld“ der Regierung bezeichnet worden823. Die besondere Festschreibung von Informationspflichten gegenüber dem Bundestag wurde dann folgerichtig von allen Gesetzesentwürfen und -vorstellungen wenn auch mit unterschiedlichen Ausprägungen im Parlamentsbeteiligungsgesetz gefordert824. Die Informationspflicht der Bundesregierung fließt vor der parlamen-
818 Allgemein zur Informationspflicht der Exekutive ausführlich Brüning, Der Staat 43 (2004), 511 ff. 819 Zum Demokratiegebot der Öffentlichkeit Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. III (2005), § 42 Rndr. 11 ff.; 53 ff. 820 Eising/Kramer, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Fachbereich WF II, Nr. 074/02 vom 19.06.2002. 821 BVerfGE 13, 123 (125); 57, 1 (5); 67, 100 (129); 70, 324 (355); zuletzt BVerfGE 105, 252 (270) – Glykolwein und BVerfGE 105, 279 (306) – Osho. 822 In diesem Sinne etwa BayVerfGHE NVwZ 2002, 715 (716 f.). 823 Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte (2003), S. 60.
G. Exekutive Unterrichtungspflicht über laufende Einsätze
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tarischen Zustimmung aus dem Prinzip des konstitutiven Parlamentsvorbehaltes selbst, da der Bundestag über einen konkreten Einsatz nur entscheiden kann, wenn für ihn die Grundstrukturen des Einsatzes hinreichend erkennbar ist. Eine gewissenhafte und verantwortliche Entscheidung kann das Parlament daher nur treffen, wenn die Bundesregierung alle notwendigen Informationen zur Verfügung stellen825. Gleichzeitig ist das Parlament verpflichtet, in der gebotenen Sorgfalt alle möglichen Erkenntnismittel auszuschöpfen, um sich ein objektives Bild von der Notwendigkeit, der Rechtmäßigkeit sowie der politischen Zweckmäßigkeit eines Einsatzes verschaffen zu können. Hierbei können die verfahrensrechtlichen Vorgaben entsprechend herangezogen werden, die das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf eine Art gesetzgeberischer „Nachprüfungspflicht“ in seiner Entscheidung vom 14. Mai 1996 zu den sicheren Herkunftsstaaten aufgestellt hat826. Danach ist dem Gesetzgeber nicht eine bestimmte Art des Vorgehens, etwa der Einholung bestimmter Auskünfte oder die Ermittlung genau bezeichneter Tatsachen, vorgeschrieben. Vielmehr komme ihm ein Entscheidungsspielraum zu, wobei er zur Ermittlung der bedeutsamen Tatsachen die zugänglichen und als zuverlässig anzusehenden Quellen heranzuziehen hat. Wie andere Rechte und Pflichten der Verfassungsorgane auch, findet das parlamentarische Unterrichtungsrecht seine Begründung und seine Grenzen in der Verfassung, so dass sich dort die Grundlage für seine einfachrechtliche Ausgestaltung finden lassen muss. Der Gesetzgeber kann nicht aus eigener Kraft die Funktionsbalance zwischen den Gewalten mit einfacher Mehrheit zugunsten des Parlaments verschieben. Da die nunmehr einfachgesetzliche eingeführten Berichtspflichten des Parlamentsbeteiligungsgesetzes das Grundgesetz nicht derogieren können, sind sie nur dann verfassungsgemäß, wenn sich aus Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG, der Verfassungssystematik und insbesondere der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entnehmen lässt, dass der Grundsatz der Funktionstrennung zwischen Regierung und Parlament insoweit schon eingeschränkt ist. Aufgrund ihres Charakters als Grund- und Rahmenordnung, ist die Verfassung auf eine nähere Ausgestaltung durch die von ihr institutionalisierten Staatsorgane angewiesen. Hierbei kommt der Legislative mit ihrem aufwendigs-
824 Vgl. neben den konkreten Entwürfen der FDP (BT-Drs. 15/1985 vom 12.11. 2003, § 8; BT-Drs. 16/3342 vom 08.11.2006, Nr. 4) auch das Positionspapier der Bundestagsfraktion Bündis90/Die Grünen vom 03.11.2003, Ziff. 2.6, sowie den Entwurf für ein Eckpunktepapier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (Stand: 11.11.2003), Ziff. V. 825 Baldus, Schriftliche Stellungnahme, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 39 (85); Röben, ebda., S. 103 (106); SchmidtJortzig, Schriftliche Stellungnahme, ebda., S. 107 (112). 826 BVerfGE 94, 115 (139 ff.); so auch Fischer/Fischer-Lescano, KritV 2002, 113 (136 f.); Schmidt-Radefeldt, Parlamentarische Kontrolle der internationalen Streitkräfteintegration (2005), S. 173.
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
ten Verfahren der Staatswillensbildung, der Gesetzgebung, besondere Bedeutung zu827. Da das Parlament im Zusammenhang mit dem Einsatz bewaffneter Streitkräfte an der Staatsleitung beteiligt ist, kommt ihm auch ein Anspruch auf umfassende Informationen über den tatsächlichen Einsatzverlauf zu. Dass die Informationspflicht der Regierung nicht mit dem Beginn eines Streitkräfteeinsatzes enden kann828, steht mit den allgemeinen Vorgaben der Out-of-area-Entscheidung zumindest nicht im Widerspruch, wenn dort ausgeführt wird, dass das Grundgesetz im Bereich der Streitkräfte darauf angelegt sei, „die Bundeswehr nicht als Machtpotential allein der Exekutive zu überlassen, sondern als ,Parlamentsheer‘ in die demokratisch rechtsstaatliche Verfassungsordnung einzufügen“.829
Ein deutlicher Fingerzeig dafür, dass Karlsruhe ein Informationsrecht des Bundestages bei laufenden Auslandseinsätzen sogar für geboten hält, findet sich in der verfassungsrichterlichen Hilfestellung an den Gesetzgeber, dass es sich empfiehlt, „die Intensität der Kontrolle des Parlaments näher zu umgrenzen“ 830.
Kontrolle ohne relevante Informationen ist nicht möglich und über letztere verfügt naturgemäß zuerst die Bundesregierung. Dieser Zusammenhang wird vor allem an dem nunmehr in § 8 ParlBG normierten parlamentarischen Rückholrecht deutlich. Eine verantwortliche Wahrnehmung der Revokationsbefugnis kann nicht erfolgen, wenn der Bundestag nicht hinreichend über laufende Bundeswehreinsätze informiert wird. Fehlende Auskünfte desavouierten das Rückholrecht in der Praxis. Die Unterrichtungspflicht ist demnach substantieller Bestandteil des Revokationsrechts831. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz ist in seiner Systematik insofern konsequent. Einschränkungen der grundsätzlichen Informationspflicht der Bundesregierung bedürfen auch und gerade im Bereich des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte der verfassungsrechtlichen Begründung. Von Bedeutung sind hier vor allem der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung, insbesondere der Prozess der regierungsinternen Willensbildung, sowie die exekutiven Eigenverantwortlichkeiten im Bereich des Auswärtigen. Ebenso ergeben sich Grenzen aus dem 827
Vgl. hierzu Magiera, Parlament und Staatsleitung (1979), S. 177 ff. So aber H. H. Klein, in: Horn (Hrsg.), Festschrift für Walter Schmitt Glaeser (2003), S. 245 (263 f.), der die Notwendigkeit einer verfassungsrechtlichen Verortung der Informationsrechte sieht; wie hier Baldus, Schriftliche Stellungnahme, Schriftliche Stellungnahme, StenProt. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 39 (85). 829 BVerfGE 90, 286 (382); BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 07.05.2008, Abs. 57. 830 BVerfGE 90, 286 (389). 831 Auch wenn Letzterem verfassungsrechtliche Bedenken gegenüberstehen. 828
G. Exekutive Unterrichtungspflicht über laufende Einsätze
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verfassungsrechtlichen Gebot des Erhalts der Wehr- und Bündnisfähigkeit, insbesondere in Form notwendigerweise geheim stattfindender Bundeswehreinsätze, die für den Erhalt bzw. der Steigerung der Wehr- und Bündnisfähigkeit gleichsam unabdingbar sein können. Eine bloße Berufung auf das Staatswohl rechtfertigt eine Einschränkung der Unterrichtungspflichten hingegen nicht832, da das Staatswohl nicht der Bundesregierung allein, sondern ihr und dem Bundestag gemeinsam anvertraut ist833. Zudem darf den Mitgliedern des Bundestages nicht unterstellt werden, sie seien hinsichtlich der Verschwiegenheit über die Details der Auslandsmissionen weniger vertrauenswürdig als die mit dem Vorgang befassten Soldaten und zivilen Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums oder der Bundeswehr834. Auch die Behauptung der Gefährdung deutscher Soldaten genügt in der Regel nicht, da ein gewisses Gefahrenpotential per se mit der Tätigkeit in bewaffneten Streitkräften verbunden ist. Das Informationsrecht des Bundestages kann darüber hinaus nicht durch entsprechende Vereinbarungen der Bundesregierung mit anderen Staaten oder zwischenstaatlichen Organisationen derogiert werden. Eine dementsprechende Verpflichtungserklärung der Bundesregierung gegenüber einem anderen Völkerrechtssubjekt wäre verfassungswidrig835.
III. Regelung im Parlamentsbeteiligungsgesetz Die schließlich im Parlamentsbeteiligungsgesetz gefundene Regelung entspricht im Wesentlichen den Vorstellungen aller Fraktionen836. Über die notwendige gesetzliche Fixierung der bislang informal gehandhabten Unterrichtung über laufende Bundeswehreinsätze herrschte allgemeiner Konsens. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz verpflichtet nun in § 6 Abs. 1 die Bundesregierung den Bundestag „regelmäßig über den Verlauf der Einsätze und über die Entwicklung im Einsatzgebiet“ zu unterrichten. Ist ein Zustimmungsbeschluss im vereinfachten Zustimmungsverfahren ergangen, so legt Abs. 2 fest, dass „die Bundesregierung die zuständigen Ausschüsse und die Obleute unverzüglich“ zu unterrichten hat. Die in den Materialien zu § 6 ParlBG enthaltenen Konkretisierungen der Unterrichtungspflichten wurden auf Vorschlag der bündnisgrünen Fraktion aufge832
Vgl. Wiefelspütz, Das Parlamentsheer (2005), S. 478. BVerfGE 65, 1 (42 ff.); 67, 100 (136, 143 f.); 77, 1 (46 ff.). 834 Eising/Kramer, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Fachbereich WF II, Nr. 074/02 vom 19.06.2002. 835 Hiermit korrespondiert etwa Art. 11 des NATO-Vertrags, der bestimmt dass die Maßnahmen von den einzelnen Mitgliedstaaten gemäß ihrer Verfassung entsprechenden Verfahren durchgeführt werden, vgl. Eising/Kramer, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Fachbereich WF II, Nr. 074/02 vom 19.06.2002. 836 Vgl. Entwurf für ein Eckpunktepapier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (Stand: 11.11.2003), Ziff. V; FDP-Entwurf BT-Drs. 15/1985 vom 12.11.2003, Begründung zu § 8. 833
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
nommen, die sich wiederum an den schriftlichen Unterrichtungen des niederländischen Parlaments orientierte837. 1. Regelmäßige Unterrichtung Was der Gesetzgeber unter einer regelmäßigen Unterrichtung des Bundestages versteht, wird erst durch einen Blick in die Gesetzesmaterialien offenbar838. Die Bundesregierung hat über den Verlauf der Einsätze und die Entwicklung im Einsatzgebiet schriftlich zu unterrichten. Sie soll darüber hinaus dem Bundestag jährlich einen bilanzierenden Gesamtbericht über den jeweiligen Einsatz bewaffneter Streitkräfte und die politische Gesamtentwicklung im Einsatzgebiet vorlegen. Weiterhin soll die Bundesregierung nach Beendigung des Einsatzes einen Evaluierungsbericht erstellen, der sowohl die militärischen als auch die politischen Aspekte des Einsatzes darstellt und bewertet. Geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen müssen in den Berichten der Bundesregierung allerdings nicht enthalten sein. Es besteht Kosens darin, dass Einsatzkonstellationen möglich sind, bei denen eine einzelne Modalitäten oder aber auch der gesamte Einsatz der Geheimhaltung bedürfen. Über diese Tatsachen sollen die Obleute des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses in geeigneter Weise informiert werden. Offengelassen wird hierbei, welche Art und Weise sich eignet. Auf Grund dieses bewussten Nichtfixierens der Unterrichtungs- und Informationspflichten bei Geheimeinsätzen ist unschwer davon auszugehen, dass es nach dem Willen des Gesetzgebers bei den informalen Unterrichtungen bleiben soll. Die Gesetzesbegründung konkretisiert nicht nur die Unterrichtungspflicht nach § 6 Abs. 1 ParlBG, sondern weitet diese auch über den Wortlaut der Norm aus. So soll die Bundesregierung das Parlament auch mit Blick auf bevorstehende Einsätze, „insbesondere über vorbereitende Maßnahmen und Planungen zum Einsatz bewaffneter Streitkräfte unterrichten“. Der Gesetzgeber geht in seiner Begründung insoweit systematisch widersprüchlich vor. Nach § 2 Abs. 2 ParlBG unterfallen vorbereitende Maßnahmen und Planungen gerade nicht dem Parlamentsvorbehalt. Das Anmieten von Transportraum oder die die Verlegung von Streitkräften in Bereitstellungsräume (Truppendislozierung) erfolgen zustimmungsfrei. Die in diesem Punkt über den Wortlaut des § 6 Abs. 1 ParlBG hinausgehende Gesetzesbegründung, sowie ihr Widerspruch zu § 2 Abs. 2 ParlBG kann dann auch nur dazu führen, dass der Bundestag bei Maßnahmen und Planungen keine über seine allgemeinen Unterrichtungsrechte nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2, 43 Abs. 1 GG hinausreichenden Informationsrechte aus dem Parlamentsbeteiligungsgesetz ableiten kann.
837 838
Vgl. BT-Drs. 16/3740 vom 05.12.2006, S. 2. BT-Drs. 15/2742 vom 23.03.2004 zu § 6.
G. Exekutive Unterrichtungspflicht über laufende Einsätze
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2. Unterrichtung über im vereinfachten Verfahren beschlossene Einsätze bewaffneter Streitkräfte Für laufende Einsätze, deren parlamentarische Zustimmung im vereinfachten Verfahren nach § 4 ParlBG ergangen sind, enthält § 6 Abs. 2 ParlBG eine Sonderregelung. Danach hat „die Bundesregierung die zuständigen Ausschüsse und die Obleute unverzüglich zu unterrichten“. Zu dieser Unterrichtungspflicht enthalten die Materialien keine weiteren Ausführungen839. Dies mag man bedauern, denn die Formulierung, wonach in diesem Falle Ausschüsse und ihre Obleute „unverzüglich“ zu unterrichten sind, kommt unerwartet und ergibt an dieser Stelle wenig Sinn840. Hier wird ein Eilbedürfnis suggeriert, das im Rahmen der Unterrichtung über regulär laufende Einsätze nicht recht ersichtlich wird. Sinn ergibt eine unverzügliche Unterrichtung allenfalls bei einem laufenden Einsatz zur Abwehr einer Gefahr im Verzug, bei dem das Parlament von Verfassungs wegen nicht um vorherige Zustimmung gebeten werden muss. Diese Sonderkonstellation steht hier jedoch nicht in Frage und hat überdies in § 5 Abs. 2 ParlBG eine eigene Regelung erfahren. Die Intention des Gesetzgebers, im Bereich der im vereinfachten Verfahren beschlossenen Einsätze die allgemeine Unterrichtungsvorschrift des § 6 Abs. 1 ParlBG durch Abs. 2 (nur Obleute und Ausschussvorsitzende) zu verdrängen, legt den Schluss nahe, dass er bei Einsätzen von geringer Intensität und Tragweite eine laufende Unterrichtung des Plenums nicht für erforderlich hält841. Diese Verdrängung ist kaum systemkonform, weil die Letztverantwortung auch von Einsätzen, die im vereinfachten Verfahren beschlossen wurden, beim Plenum verbleibt842. So wird vor einer Entscheidung im vereinfachten Verfahren nach § 4 Abs. 1 Satz 3 ParlBG jeder einzelne Abgeordnete durch eine Verteilung als Drucksache über den Einsatz geringer Bedeutung informiert, was nach den Materialien gerade zur Sicherstellung der umfassenden Information der Abgeordneten dienen soll843. Hierzu entsteht ein Widerspruch, wenn das Informationsrecht der Abgeordneten und des Plenums nach der vereinfachten Zustimmung enden soll. Zudem verfügte das Plenum dann schwerlich über den notwendigen Wissenshintergrund, um verantwortungsvoll mit seinem Rückholrecht umzugehen.
839 Abgesehen von den Ausführungen, wonach die Obleute auch dann zu unterrichten sind, wenn innerhalb der Frist des § 4 Abs. 1 Satz 4 ParlBG keine Ausschusssitzungen stattfinden. 840 Vgl. F. Schröder, NJW 2005, 1401 (1403); Rau, AVR 44 (2006), 93 (107). 841 Rau, AöR 44 (2006), 93 (107). 842 Vgl. Abg. Wiefelspütz (SPD), BT-PlenProt. 15/146 vom 03.12.2004 wonach „das Plenum Herr des Verfahrens bleibt, auch bei einem vereinfachten Zustimmungsverfahren“. 843 BT-Drs. 15/2742 vom 23.03.2004, S. 5 zu § 4.
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
IV. Bewertung Das nunmehr festgeschriebene Unterrichtungsrecht des Bundestages ist wenig gelungen. Zum eine hätte eine mehr ins Detail gehende Regelung, wie die Gesetzesbegründung sie vorsieht, auch im Gesetztext ihren Niederschlag finden dürfen844. Der ausführlichere § 96a Abs. 3 hilft nicht weiter, da er lediglich das innerparlamamentarische Verfahren nach Erhalt regierungsamtlicher Informationen regelt. Auf mittlerweile aus den Reihen der Fraktion Bündnis90/Die Grünen geübte Kritik, wonach die Bundesregierung in der Praxis ihren Unterrichtungspflichten eher ungenügend und uneinheitlich nachkomme, konnte sich die Bundesregierung mit einiger Berechtigung auf die formale Position zurückziehen, dass „(d)er Gesetzgeber (. . .) im ParlBetG selbst nicht konkretisiert (hat), in welcher Form, in welchem Umfang und in welchen Abständen die Bundesregierung ihren Unterrichtungspflichten nachzukommen hat“ 845. Zum anderen ist der knappe Gesetzestext und vor allem die Gesetzesbegründung nicht frei von Widersprüchen. Der schwerwiegendste Mangel der Regelung liegt jedoch darin, dass es bei dem in der Staatspraxis drängendsten Problem – der Unterrichtung über Geheimeinsätzen – beim status quo verbleibt. Die Gesetzesinitiativen der FDP-Fraktion sind in dieser Frage weit mutiger und präziser. So verpflichtet der Entwurf der aus der 15. Wahlperiode in seinen §§ 5–8 die Regierung, einem eigens einzurichtenden, aus der Mitte des Bundestages zu wählenden Gremium umfassende Auskunft über die Geheimeinsätzen zu erstatten. Durch § 8 Abs. 2 sollte gar normiert werden, dass die Regierung verpflichtet ist, dem Einsatzausschuss auf Verlangen Einsicht in einsatzbezogene Unterlagen zu gewähren und die Anhörung von „Mitgliedern“ zu ermöglichen. In ihrer Änderungsinitiative vom 8. November 2006846 möchte die FDP-Fraktion die Unterichtungs- und Informationsrechte über ihren Vorschlag aus der 15. Wahlperiode hinaus verstärken. Danach müsse die Bundesregierung auf Antrag einer Fraktion bzw. fünf vom Hundert der Abgeordneten das Parlament „unverzüglich“ über den betreffenden Auslandseinsatz unterichten. Gleichzeitig habe die Bundesregierung den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses auf Verlangen einer Fraktion bzw. fünf vom Hundert der Abgeordneten Einsicht in Akten 844 So zu Recht F. Schröder, NJW 2005, 1401 (1403); a. A. Schmidt-Jortzig, Schriftliche Stellungnahme, Öffentliche Anhörung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestag am 17.06.2004, S. 107 (112), die Unterrichtungspflicht der Bundesregierung sei „hinreichend festgeschrieben“. Wiederum sind die Initiativen der FDP (BT-Drs. 15/1985 vom 12.11.2003, § 8 Abs. 1 Satz 2; BT-Drs. 16/3342 vom 08.11.2006, Nr. 7) präziser gefasst, wenn sie im Gesetzestext festhalten, dass die Bundesregierung nach Ende eines Einsatzes dem Bundestag einen Abschlussbericht vorzulegen habe, ein Umstand, der sich mit Blick auf das Parlamentsbeteiligungsgesetz eben erst aus dessen Materialien ergibt. 845 Vgl. Antwort BT-Drs. Der Bundesregierung in BT-Drs. 16/3760 vom 05.12. 2006, S. 3. 846 BT-Drs. 16/3342 Nr. 7.
G. Exekutive Unterrichtungspflicht über laufende Einsätze
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und Dateien zu geben, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem entsprechenden Auslandseinsatz stehen. Darüber hinaus soll durch die Bundesregierung die Anhörung von Mitarbeitern ermöglicht werden. Angesichts dieses im Vergleich zum Parlamentsbeteiligungsgesetz substantiellen Zuwaches an parlamentarischen Informationsrechten muss jedoch einschränkend festgehalten werden, dass in der Praxis Kollisionen mit dem Kernbereich exekutiver Handlungsbefugnisse in den Bereichen des Auswärtigen, sowie der regierungsinternen Willensvorgänge vorgezeichnet wären. Dies führt jedoch nicht zur Verfassungswidrigkeit der Initiativvorschlags847, sondern zu seiner restriktiven, verfassungskonformen Auslegung. Es ist daher nicht auszuschließen, dass er in der Praxis nur begrenzte Wirkkraft entfalten könnte. Zur von der FDP-Bundestagsfraktion favorisierten Ausschusslösung ist in rechtsvergleichender Hinsicht hinzuzufügen, dass einfachgesetzlich normierte Auskunftsverpflichtungen der Regierung gegenüber Ausschüssen bereits im Rahmen des Petitionsausschusses848, der Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse849 und des Ausschusses für Angelegenheiten der EU850 bestehen. Deren Zulässigkeit wird aufgrund ihrer ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Grundlagen in der Verfassung angenommen, vgl. Art. 45c Abs. 2; Art. 44 Abs. 1 S. 1; Art. 45 i.V. m. 23 Abs. 2 GG. Im Bereich des konstitutiven Parlamentsvorbehaltes ergibt sich dagegen die Zulässigkeit implizit: Mit einem auf Geheimhaltung verpflichteten Parlamentsgremium ließe sich das Spannungsfeld zwischen notwendigerweise geheim stattfindenden Einsätzen und dem aus dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt fließenden Recht des Bundestages auf Informationen praktisch konkordant auflösen. Eine Delegation, die aus zwingenden Gründen des Staatswohls erfolgt, muss verfassungsrechtlich möglich sein851. Die Errichtung eines vertraulich tagenden Gremiums gewährleistet die gebotene Geheimhaltung, während das Unterrichtungsrechts des Parlaments weniger stark beschränkt wird, als in der bisherigen Staatspraxis. Je nach Grad der Gefährdung hochrangiger Rechtsgüter und notwendiger Geheimhaltung kann es im Einzelfall sogar zulässig und unter Umständen sogar rechtlich geboten sein, den Kreis der Anwesenden bei diesen Beratungen weiter zu beschränken. In Betracht käme insoweit insbesondere eine Information nur der Obleute. Hiermit ist allerdings nicht gesagt, dass es zwingend der Errichtung eines neuen, zur Geheimhaltung verpflichteten Gremiums bedarf, um einen entspre847
In diese Richtung wohl Axer, ZRP 2007, 82 (84). § 1 des Gesetzes über die Befugnisse des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages (PetAG). 849 § 8 des Gesetzes zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages (PUAG). 850 § 3 des Gesetzes über die Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung und dem Deutschen Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG). 851 Vgl. BVerfGE 70, 324 (358). 848
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3. Kap.: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz
chenden Ausgleich zu finden. In seiner Struktur und Arbeitsweise käme auch der Verteidigungsausschuss in Betracht, das Unterrichtungs- und Auskunftsrecht des Bundestages stellvertretend wahrzunehmen852; obliegt ihm doch generell die durchgehende parlamentarische Begleitung sämtlicher Vorgänge des Militärwesens. Der Verteidigungsausschuss kann für seine Beratungen flexibel die jeweils erforderliche Geheimhaltungsstufe festlegen. Bei den Informationspflichten zu Geheimeinsätzen ergibt sich eine der wenigen, auf einfachgesetzlichem Wege möglichen Delegationen im Bereich des konstitutiven Parlamentsvorbehaltes. Während bei sonstigen Delegationen auf dieses Gremium aufgrund der Out-ofarea-Entscheidung wohl nur durch eine Verfassungsänderung bewerkstelligt werden könnte, ist in notwendigerweise geheim durchzuführenden Einsätzen ein dem konstitutiven Parlamentsvorbehalt entsprechend starkes Gegenprinzip zu erkennen. Eine einfachgesetzliche Delegation lässt sich hier rechtfertigen, um beiden Prinzipien zur Geltung zu verhelfen. Eines eigens zu errichtenden Gremiums bedarf es demnach nicht zwingend; für die FDP-Variante eines aus der Mitte des Bundestages zu wählenden Spezialgremiums spricht jedoch, dass sich ein Bundeswehreinsatz nicht im Militärischen erschöpft, wie die regelhafte Mitwirkung von bis zu sieben Ausschüssen im konstitutiven parlamentarischen Beschlussverfahren zeigt. Aufbau und Zusammensetzung eines für die Kontrolle geheim stattfindender Militäroperationen zuständigen Gremiums bleiben letztlich eine politische Entscheidung.
852 Da die Gesetzesbegründung zu § 6 ParlBG nur davon spricht, dass die Ausschussvorsitzenden und -obleute über geheimhaltungsbedürftige Tatsachen unterrichtet werden „sollen“, steht dies einer informalen Unterrichtung des Verteidigungssauschuss de lege lata nicht entgegen.
Ausblick Die Ausgangsfrage der Untersuchung war, inwieweit das Parlamentsbeteiligungsgesetz die im Bereich der Auslandseinsätze der Bundeswehr herrschenden Zielkonflikte zwischen dem Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis, der Bündnistreue und der parlamentarischer Mitwirkung in Einklang zu bringen vermag. Das ehrgeizige Unterfangen des Gesetzgebers mündete jedoch weitgehend in einer Festschreibung der bisherigen, auf den unvollständigen und interpretationsbedürftigen Vorgaben der Out-of-area-Entscheidung basierenden und zum Teil nicht unproblematischen Staatspraxis. Beispielhaft herausgegriffen seien zwei, vom Bundesverfassungsgericht wohl nicht intendierte Gewichtsverschiebungen zwischen Erster und Zweiter Gewalt. So läuft in der staatlichen Übung die parlamentarische Mitwirkung zum einen praktisch leer, wenn die Unterrichtung des Bundestags über brisante Antiterror- und Geheimeinsätze weitgehend im Belieben der Exekutive steht. Zum anderen dringt der Parlamentsvorbehalt aber, wenn der Bundestag detailliert über die einzelnen Modalitäten eines Einsatzes mitbestimmt, in das Arkanum der Bundesregierung vor. Beiden Problemkonstellationen hilft das Parlamentsbeteiligungsgesetz leider nicht ab: Das parlamentarische Informations- und Mitwirkungsrechte beschneidende Regierungshandeln findet im Parlamentsbeteiligungsgesetz keine gegenwirkende Regelung. Gleichzeitig wird im Bereich der konkreten Einsatzkautelen die aus zehnjähriger staatspraktischer Übung hervorgegangene Gewichtsverschiebung zu Lasten der Exekutive gar festgeschrieben und vertieft. Eine verfassungsrechtlich nicht unbedenkliche Festschreibung der in Parlament und Regierung vorherrschenden Rechtsauffassung, ist auch im parlamentarischen Rückholrecht zu erblicken. Angesichts der für die Zukunft kaum zu erwartenden tatsächlichen Relevanz dieser Revokationsbefugnis, ist der durch sie bedingte Einbruch in den für außenpolitisches Handeln gewährte Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis und Verantwortlichkeit indes nicht überzubewerten. An seine natürlichen Grenzen musste das Parlamentsbeteiligungsgesetz bei der Definition, des dem Parlamentsvorbehalt unterfallenden Einsatzes bewaffneter Streitkräfte stoßen. Anstatt die ohnehin offene und abstrakte Begriffsbestimmung des Bundesverfassungsgerichts zu übernehmen und eventuell mit Regelbeispielen vorsichtig zu konkretisieren, schafft der Gesetzgeber mit seiner ausweitenden Verstrickungs- und Gefahrenprognose zusätzliche Grauzonen. Eine echte Erneuerung im Entsendeverfahren birgt das vereinfachte Zustimmungsverfahren bei Einsätzen von geringer Intensität und Tragweite. In der kurzen Zeit seit Inkrafttreten des Parlamentsbeteiligungsgesetzes ist das verein-
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Ausblick
fachte Verfahren bislang nur bei Mandatsverlängerungen von der Regierung angestrengt worden und nur in etwa der Hälfte der Fälle kam es tatsächlich zu einer Verfahrensvereinfachung mittels der fingierten Zustimmung. Die Zukunft wird daher noch zeigen müssen, ob das vereinfachte Verfahren auf Dauer eine Entlastung für die Staatspraxis bedeutet. Ungeachtet dessen, steht eine Zustimmungsfiktion im Bereich der Auslandseinsätze – wenn man wie hier davon ausgeht, dass der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt dem demokratischen geschuldet ist – verfassungsrechtlich auf unsicherer Grundlage. Weitaus mutiger und von mehr Gestaltungswillen getragen zeigen sich die Ansätze der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP. Das Eckpunkte-Papier der Union ist getragen von dem Gedanken, dass Außenpolitik – und damit auch der Streitkräfteeinsatz – im Kern eine eigenverantwortliche Domäne der Bundesregierung sei. Es hebt in wünschenswerter Deutlichkeit hervor, dass die militärische Planung und Durchführung, also das „Wie“ eines Bundeswehreinsatzes nur von der Exekutive in funktionsgerechter Weise wahrgenommen werden kann. Die Kritik an der Staatspraxis, operative Details des Streitkräfteeinsatzes allzu zahlreich vom Parlament mitverantworten zu lassen, ist berechtigt; die damit verbundene Forderung, dieses Kondominium aufzulösen war hingegen politisch nicht durchsetzbar. In einem Vorschlag schießt das Ansinnen einer exekutivfreundlichen Neuausrichtung des Parlamentsvorbehaltes hingegen über das verfassungsrechtlich zulässige Ziel hinaus. Ein parlamentarischer Vorabbeschluss, der die Regierung dauerhaft und losgelöst von den konkreten Einsatzumständen ermächtigen soll, im Rahmen der europäisch-transatlantischen Partnerschaft die Bundeswehr zur Krisenreaktion einzusetzen, ist mit der bundesverfassungsrichterlichen Vorgabe, dass jeder konkrete Einsatz der Zustimmung des Parlaments unterfalle, nicht vereinbar. Der einfache Gesetzgeber kann das parlamentarische Mitentscheidungsrecht über das „Ob“ eines Auslandseinsatzes nicht zur Alleinausübung auf die Bundesregierung übertragen. Auf Grund der generellen, exekutivfreundlichen Stoßrichtung ihres Eckpunktepapiers ist umso erstaunlicher, dass die CDU/CSU im Bereich geheim durchzuführender Einsätze eine parlamentsaffinere Haltung einnimmt, als das mit den Stimmen der Fraktionen der SPD und Bündnis90/Die Grünen verabschiedete Parlamentsbeteiligungsgesetz. Während notwendigerweise geheim stattfindende Einsätze dort weitgehend der Exekutive überlassen bleiben, soll nach dem Vorschlag der Unionsfraktion hierfür einem vertraulichen Einsatzausschuss Zustimmung und Kontrolle übertragen werden. Diese Lösung erweist sich in organ- und funktionsadäquater Hinsicht als deutlich überlegen. Das eigentliche Verdienst, eine deartige, gleichsam an praktischer Konkordanz und an Funktionsgerechtigkeit orientierte, parlamentsfreundliche Alternative aufgezeigt zu haben, gebührt jedoch der FDP-Fraktion. In ihrem differenzierten Gesetzesentwurf, ist ein vertrauliches Einsatz- und Kontrollgremium Ausfluss des den gesammten Regelungsvorschlag durchziehenden Paradigmas der Bundeswehr als „Parlamentsheer“. Auch unter dem Re-
Ausblick
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gime des Parlamentsbeteiligungsgesetzes verfolgt die FDP-Fraktion diesen Leitgedanken weiter, indem sie einen entsprechenden Änderungsentwurf vorlegte. Einem den Vorstellungen und Vorschlägen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP entsprechenden Gestaltungswillen lässt das Parlamentsbeteiligungsgesetz vermissen. Das bislang eingeübte Verfahren wird sich mit all seinen Vorund Nachteilen auch unter dem Regime des Parlamentsbeteiligungsgesetzes weitestgehend fortsetzen. Insbesondere die Fraktion von Bündnis90/Die Grünen sperrte sich gegen tatsächliche Änderungen. Die in der Staatspraxis aufgetretenen Spannungsfelder im Dreieck des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung für außenpolitisches Handeln, der Bündnistreue und der parlamentarischen Mitentscheidung bleiben im wesentlichen Bestehen. Andererseits ist den Beharrungskräften zu Gute zu halten, dass sie den vielen Stimmen in Politik und Wissenschaft widerstanden haben, die die parlamentarischen Miteinscheidungsrechte wegen einer vermeintlichen zu besorgenden Beeinträchtigung der deutschen Bündnisfähigkeit empfindlich zurückdrängen wollten. Denn bislang waren Bündnistreue und konstitutiver Zustimmungsvorbehalt stets kompatibel, anderweitige Stellungnahmen lassen sich empirisch nicht verifizieren. Auch die avisierten Reaktionszeiten der integrierten Schnelleingreiftruppen der NATO und der EU müssen nicht zwangsläufig zu einer Abschwächung der parlamentarischen Mitentscheidung führen. Diese stellen keine unüberwindliche Herausforderung dar. Das Parlament hat hinreichend unter Beweis gestellt, dass es zu kurzfristigen Entsendeentscheidungen in der Lage ist. Ein ebenso nicht gering zu achtender Verdienst des übersichtlichen Gesetzestextes ist es, dass das staatliche Zustimmungsverfahren zum Einsatz bewaffneter Streitkräfte nunmehr rechtsverbindlich und transparent gestaltet ist. Waren die Modalitäten des Zustimmungsverfahrens bislang vor allem durch das Kräftespiel zwischen Regierung und Opposition bedingt, beruht es nunmehr auf kodifizierten Regeln, die das Verfahren insgesamt berechenbarer gestalten. Gleichwohl werden sich das konstitutive Zustimmungsverfahren und damit auch das Parlamentsbeteiligungsgesetz wegen der zugrunde liegenden Regelungsmaterie weiterhin einem naturgemäßen Anpassungsdruck ausgesetzt sehen. Ebenso wenig wie im Zeitpunkt der Out-of-area-Entscheidung vom 12. Juli 1994 Einsatzszenarien absehbar waren, die mittlerweile zum Standardrepertoire der Bundeswehr avancierten, sind heute Konstellationen vorhersehbar, mit denen sich die Beteiligten in der 17., 18. oder 19. Legislaturperiode konfrontiert sehen werden. Auch die am 11. November 2005 zwischen den Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD geschlossene Koalitionsvereinbarung sieht das Parlamentsbeteiligungsgesetz als offenes Gesetz: „Das Parlamentsbeteiligungsgesetz bleibt Verfahrensgrundlage der konstitutiven Entscheidung des Parlaments über Auslandseinsätze der Bundeswehr. Sollte sich im Lichte bisher gewonnener Erfahrungen ein Bedarf zur Weiterentwicklung ergeben, so werden die Koalitionsfraktionen Initiativen einbringen.“
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Ausblick
Der Gesetzgeber wird sich des Parlamentsbeteiligungsgesetzes früher oder später wieder annehmen.
Anhang 1 Gesetz über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland (Parlamentsbeteiligungsgesetz) Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen: § 1 Grundsatz (1) Dieses Gesetz regelt Form und Ausmaß der Beteiligung des deutschen Bundestages beim Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland. Art. 115a des Grundgesetzes bleibt unberührt. (2) Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes bedarf der Zustimmung des Deutschen Bundestages. § 2 Begriffsbestimmung (1) Ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte liegt vor, wenn Soldatinnen oder Soldaten der Bundeswehr in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind oder eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten ist. (2) Vorbereitende Maßnahmen und Planungen sind kein Einsatz im Sinne dieses Gesetzes. Sie bedürfen keiner Zustimmung des Deutschen Bundestages. Gleiches gilt für humanitäre Hilfsdienste und Hilfsleistungen, bei denen Waffen lediglich zum Zweck der Selbstverteidigung mitgeführt werden, wenn nicht zu erwarten ist, dass die Soldatinnen oder Soldaten in bewaffnete Unternehmungen einbezogen werden. § 3 Antrag (1) Die Bundesregierung übersendet dem Bundestag den Antrag auf Zustimmung zum Einsatz der Streitkräfte rechtzeitig vor Beginn des Einsatzes. (2) Der Antrag der Bundesregierung enthält Angaben insbesondere über – – – – – – –
den Einsatzauftrag das Einsatzgebiet die rechtlichen Grundlagen des Einsatzes die Höchstzahl der einzusetzenden Soldatinnen und Soldaten die Fähigkeit der einzusetzenden Streitkräfte die geplante Dauer des Einsatzes die voraussichtlichen Kosten und die Finanzierung
(3) Der Bundestag kann dem Antrag zustimmen oder ihn ablehnen. Änderungen des Antrags sind nicht zulässig.
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Anhang 1 § 4 Vereinfachtes Zustimmungsverfahren
(1) Bei Einsätzen geringer Intensität und Tragweite kann die Zustimmung in einem vereinfachten Verfahren erteilt werden. Die Bundesregierung hat begründet darzulegen, aus welchen Gründen der bevorstehende Einsatz von geringer Intensität und Tragweite ist. Die Präsidentin oder der Präsident des deutschen Bundestages übermittelt den Antrag an die Vorsitzenden der Fraktionen sowie die Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses und je einen von jeder in diesen Ausschüssen vertretenen Fraktionen benannten Vertreter (Obleute) und lässt den Antrag als Bundestagsdrucksache verteilen. Die Zustimmung gilt als erteilt, wenn nicht innerhalb von sieben Tagen nach der Verteidigung von einer Fraktion oder fünf von Hundert der Mitglieder des Bundestages verlangt wird. Wird die Befassung des Bundestages verlangt, entscheidet dieser. (2) Ein Einsatz ist dann von geringer Intensität und Tragweite, wenn die Zahl der eingesetzten Soldaten gering ist und der Einsatz auf Grund der übrigen Begleitumstände erkennbar von geringer Bedeutung ist und es sich nicht um einen Krieg handelt. (3) In der Regel liegt ein Einsatz von geringer Intensität und Tragweite vor, wenn – es sich um ein Erkundungskommando handelt, das Waffen lediglich zum Zwecke der Selbstverteidigung mit sich führt, – einzelne Soldatinnen oder Soldaten betroffen sind, die auf Grund von Austauschvereinbarungen Dienst in verbündeten Streitkräften leisten, oder – einzelne Soldatinnen und Soldaten im Rahmen eines Einsatzes der VN, der NATO, der EU oder einer Organisation, die einen VN-Auftrag erfüllt, verwendet werden.
§ 5 Nachträgliche Zustimmung (1) Bei Gefahr im Verzug bedarf ein Einsatz nicht der vorherigen Zustimmung des Bundestages. Gleiches gilt für Einsätze zur Rettung von Menschen aus besonderen Gefahrenlagen, solange durch die öffentliche Befassung des Bundestages das Leben der zu rettenden Menschen gefährdet würde. (2) Der Bundestag ist vor Beginn und während des Einsatzes in geeigneter Weise zu unterrichten. (3) Der Antrag auf Zustimmung zum Einsatz ist unverzüglich nachzuholen. Lehnt der Bundestag den Antrag ab, ist der Einsatz zu beenden.
§ 6 Unterrichtungspflicht (1) Die Bundesregierung unterrichtet den Bundestag regelmäßig über den Verlauf der Einsätze und über die Entwicklung im Einsatzgebiet. (2) In Fällen des § 4 Abs. 1 (vereinfachtes Zustimmungsverfahren) unterrichtet die Bundesregierung die zuständigen Ausschüsse und die Obleute unverzüglich.
Anhang 1
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§ 7 Verlängerung von Einsätzen (1) Das Verfahren nach § 4 findet Anwendung auf die Verlängerung von Zustimmungsbeschlüssen ohne inhaltliche Änderung. (2) Beantragt die Bundesregierung die Verlängerung eines Einsatzes so gilt der Einsatz bis zur nächsten Sitzung des Bundestages als genehmigt. Wird der Antrag im vereinfachten Verfahren nach § 4 gestellt, so gilt er bis zum Ablauf der in § 4 Abs. 1 Satz 4 bestimmten Frist als genehmigt. § 8 Rückholrecht Der Bundestag kann die Zustimmung zu einem Einsatz bewaffneter Streitkräfte widerrufen § 9 Inkrafttreten Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft. Die verfassungsrechtlichen Rechte des Bundesrates sind gewahrt. Das vorstehende Gesetz wird hiermit ausgefertigt. Berlin den 18. März 2005 Der Bundespräsident Horst Köhler Der Bundeskanzler Gerhard Schröder Der Bundesminister des Inneren Schily Der Bundesminister des Auswärtigen J. Fischer Der Bundesminister der Verteidigung Peter Struck
Anhang 2 Auszug aus der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juli 1980 (BGBl. I S. 1237), zuletzt geändert laut Bekanntmachung vom 26. September 2006 (BGBl. I S. 2210) (. . .) § 96a Verfahren nach Parlamentsbeteiligungsgesetz (1) Der Vorsitzende eines Ausschusses ist zur Einberufung einer Sitzung außerhalb des Zeitplans zur Beratung über einen Antrag gemäß § 4 Abs. 1 oder § 7 Abs. 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 1 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes verpflichtet, wenn es eine Fraktion im Ausschuss oder mindestens ein Drittel der Mitglieder des Ausschusses verlangt und die Genehmigung des Präsidenten erteilt worden ist. (2) Ein Verlangen auf Befassung des Bundestages gemäß § 4 Abs. 1 Satz 4 oder § 7 Abs. 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 1 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes muss binnen sieben Tagen seit der Verteilung der Drucksache beim Präsidenten eingehen. Nach Eingang des Verlangens unterrichtet der Präsident die Fraktionen und die Bundesregierung hierüber unverzüglich. (3) Unterrichtet die Bundesregierung den Bundestag gemäß § 6 Abs. 1 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes durch einen schriftlichen Bericht, wird dieser als Drucksache verteilt. Das Gleiche gilt für sonstige schriftliche Unterrichtungen des Bundestages. In Fällen des § 5 Abs. 1 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes werden gemäß Absatz 2 grundsätzlich die Vorsitzenden und Obleute des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses außerhalb einer Ausschusssitzung unterrichtet. Hat der Bundestag einem Antrag gemäß § 5 Abs. 3 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes zugestimmt, gelten für weitere Unterrichtungen die allgemeinen Regelungen. (4) Die Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestages (Anlage 3) findet Anwendung. (. . .)
Anhang 3 Entwurf der SPD-Bundestagsfraktion für ein Parlamentsbeteiligungsgesetz1 20.10.2003 § 1 Grundsatz Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes bedarf der Zustimmung des Deutschen Bundestages. § 2 Begriffsbestimmung (1) Der Einsatz bewaffneter Streitkräfte liegt vor, wenn Soldaten der Bundeswehr in bewaffnete Unternehmen einbezogen sind oder eine Einbeziehung in ein bewaffnetes Unternehmen zu erwarten ist. (2) Planungs- und Vorbereitungsmaßnahmen sowie humanitäre Hilfsdienste und Hilfsleistungen, bei denen Waffen lediglich zum Zweck der Selbstverteidigung mitgeführt werden, stellen keinen Einsatz im Sinne dieses Gesetzes dar. Sie bedürfen keiner Zustimmung des Deutschen Bundestages. § 3 Antrag der Bundesregierung (1) Die Bundesregierung übersendet dem Bundestag den Antrag auf Zustimmung zum Einsatz der Streitkräfte rechtzeitig vor Beginn des Einsatzes. – – – – – – –
(2) Der Antrag der Bundesregierung enthält Angaben insbesondere über den Einsatzauftrag, das Einsatzgebiet, die rechtlichen Grundlagen des Einsatzes, die Höchstzahl der einzusetzenden Soldaten, über Art und Zusammensetzung der Streitkräfte, über die geplante Dauer des Einsatzes, über die voraussichtlichen Kosten und die Finanzierung.
(3) Der Bundestag kann dem Antrag zustimmen oder ihn ablehnen. Änderungen des Antrags sind nicht zulässig. 1 Der vorliegende Entwurf wurde erstellt von der eingesetzten Arbeitsgruppe der SPD-Bundestagsfraktion. Ihr gehören folgende Abgeordneten an: Gernot Erler (Leitung), Rainer Arnold, Hermann Bachmaier, Hans-Peter Bartels, Hans-Joachim Hacker, Christine Lambrecht, Erika Simm, Gert Weisskirchen, Dieter Wiefelspütz und Christoph Zöpel.
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Anhang 3 § 4 Vereinfachtes Zustimmungsverfahren
(1) Bei Einsätzen von geringer Bedeutung kann die Zustimmung des Bundestages in einem vereinfachten Verfahren erteilt werden. Die Bundesregierung hat begründet darzulegen, dass der bevorstehende Einsatz von geringer Bedeutung ist. Die Zustimmung des Bundestages gilt als erteilt, wenn nicht innerhalb von sieben Tagen nach der Verteilung des Antrags an die Mitglieder des Bundestages von einer Fraktion oder fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages Widerspruch erhoben wird. Wird Widerspruch erhoben, entscheidet der Bundestag. (2) Ein Einsatz ist insbesondere dann von geringer Bedeutung, wenn 1. es sich um ein Erkundungskommando handelt, das Waffen allenfalls zum Zweck der Selbstverteidigung mit sich führt, 2. einzelne Soldaten betroffen sind, die auf Grund von Austauschvereinbarungen Dienst in verbündeten Streitkräften leisten, oder 3. einzelne Soldaten im Rahmen eines Einsatzes der VN, der NATO, der EU oder einer Organisation, die einen VN-Auftrag erfüllt, verwendet werden. (3) Das Verfahren nach Abs. 1 findet auch Anwendung auf die Verlängerung von Zustimmungsbeschlüssen ohne wesentliche inhaltliche Änderung. § 5 Nachträgliche Zustimmung (1) Ein Einsatz bedarf nicht der vorherigen Zustimmung des Bundestages bei Vorliegen von Gefahr im Verzug oder wenn der Einsatz der Rettung von Menschen aus einer besonderen Gefahrenlage dienen soll. (2) Der Bundestag ist vor Beginn und während des Einsatzes in geeigneter Weise zu unterrichten. (3) Der Antrag auf Zustimmung zum Einsatz ist unverzüglich nachzuholen. (4) Lehnt der Bundestag den Antrag ab, ist der Einsatz zu beenden. § 6 Unterrichtungspflicht Die Bundesregierung unterrichtet den Bundestag regelmäßig über den Verlauf der Einsätze. § 7 Rückholrecht (1) Ist in dem Beschluss des Bundestages eine Frist für den Einsatz der Streitkräfte nicht festgelegt, entscheidet der Bundestag auf Verlangen einer Fraktion nach Ablauf eines Jahres erneut über die Zustimmung. (2) Der Bundestag kann die Zustimmung zu einem Einsatz bewaffneter Streitkräfte widerrufen. § 8 Inkrafttreten, Rückwirkung (1) Das Gesetz tritt am . . . . . . . . . . . . . . . in Kraft. (2) Das Gesetz ist nur auf Einsätze im Sinne dieses Gesetzes anwendbar, die nach dem Inkrafttreten von der Bundesregierung beantragt werden.
Anhang 4 Parlamentsbeteiligungsgesetz – Positionspapier der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen Beschluss des Fraktionsvorstandes am 03.11.03
1. Ziel eines Parlamentsbeteiligungsgesetzes Was wir regeln wollen: Auslandseinsätze der Bundeswehr bedürfen grundsätzlich der vorherigen Zustimmung des Deutschen Bundestages, wenn die Gefahr besteht, dass die Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt werden. Der Parlamentsvorbehalt und die Praxis der Parlamentsbeteiligung haben sich im Hinblick auf Konsensbildung im Bundestag und in der Öffentlichkeit bewährt. Der Parlamentsvorbehalt stärkt die Legitimität von Auslandseinsätzen, erhöht die Einsatzschwelle und fördert die militärpolitische Zurückhaltung Deutschlands. Die Soldaten können davon ausgehen, dass sie im Auftrag der Mehrheit des Parlamentes eingesetzt werden. Die multilaterale Handlungsfähigkeit Deutschlands und die UN-Fähigkeit können sichergestellt werden, ohne die Rechte des Parlaments einzuschränken. Ein Parlamentsbeteiligungsgesetz kann hier für die nötige Klarheit sorgen. Ziel eines Parlamentsbeteiligungsgesetzes ist es • die Parlamentsbeteiligung klar und wirksam zu gestalten; • die Praxis der seit langem bewährten parlamentarischen Informations-, Beschlussund Kontrollverfahren für Auslandseinsätze der Bundeswehr fortzuführen; • Form und Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts näher auszugestalten; • Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zu fördern. Was wir nicht regeln können: Ziel eines Parlamentsbeteiligungsgesetzes kann es jedoch nicht sein, auf die Frage, ob ein Einsatz völkerrechtlich bzw. nach dem Grundgesetz zulässig ist, eine Antwort zu geben. Diese Fragen sind unmittelbar aus dem Völkerrecht bzw. Verfassungsrecht zu beantworten. Der (einfache) Gesetzgeber kann insbesondere nicht regeln, wann ein verfassungsrechtlich zustimmungsbedürftiger Einsatz vorliegt. Ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland kann nur auf der Grundlage des Grundgesetzes und des Völkerrechtes und insbesondere der Charta der Vereinten Nationen beschlossen werden.
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Was wir ergänzend regeln könnten: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz könnte jedoch die Möglichkeiten des Bundestages für Fälle verstärken, in denen politisch bzw. rechtlich umstritten ist, ob es sich um einen zustimmungsbedürftigen Einsatz handelt. Durch die Schaffung von entsprechenden Verfahrensregeln würde voraussichtlich die Zahl der Fälle sinken, in denen das Bundesverfassungsgericht angerufen wird. In strittigen Fällen könnte das vom Verfassungsgericht geforderte „Prinzip förmlicher parlamentarischer Beteiligung“ verstärkt zur Geltung gebracht werden. Machbar wäre eine Regelung folgenden Inhalts: Das Parlament kann mit Mehrheit – nach Einholung von Auskünften über den Einsatz bei der Bundesregierung feststellen, dass ein zustimmungsbedürftiger Einsatz vorliegt. In diesem Fall wird die Bundesregierung verpflichtet, eine Entscheidung über die Zustimmung herbeizuführen oder den Einsatz einzustellen.
2. Ausdifferenzierung in unterschiedliche Verfahren Wir schlagen folgende Ausdifferenzierungen in unterschiedliche Verfahren vor: 2.1. Der Grundsatz bleibt, dass das Parlament im allgemein üblichen Verfahren (wie bei Gesetzentwürfen) entscheidet. 2.2. Das Prinzip der parlamentarischen Beteiligung wird gestärkt, indem klargestellt wird, dass der Bundestag ein vollständiges Rückholrecht hat. 2.3. Nur bei „Gefahr im Verzug“ kann die Entscheidung des Bundestages nachträglich eingeholt werden. 2.4. Verkürztes Verfahren im Bundestag In einigen Fallgruppen ist ein abgekürztes parlamentarisches Verfahren möglich. Wie z. B. bei der Entscheidung über Anträge oder über Sammelübersichten von Petitionen kann in besonderen Fällen – z. B. bei einer reinen Verlängerung eines bereits mandatierten Einsatzes die Abstimmung über einen Einsatz direkt im Plenum ohne Befassung der Ausschüsse erfolgen. Die entsprechenden Regelungen können auch in der Geschäftsordnung vorgesehen werden. 2.5. In einigen Fälle kann die Entscheidung – zumindest zeitweise – an einen Ausschuss übertragen werden. Um sicherzustellen, dass die fachpolitische Kompetenz gegeben ist und die Verantwortung für Entscheidungen nicht zersplittert, soll dem Auswärtigen Ausschuss federführend, sowie zumindest den Ausschüssen für Verteidigung und Recht mitberatend in besonders definierten Fällen die Entscheidungskompetenz übertragen werden. Kompetenz- und Verantwortungskontinuität sind hierbei ausschlaggebende Kriterien. Einen gesonderten Entsendeausschuss bzw. einen neu zusammengesetzten Ausschuss aus verschiedenen bestehenden Ausschüssen lehnen wir ab. Die Delegation von Parlamentsrechten an einen Ausschuss erfordert gleichzeitig, dass dann einer relevanten Minderheit (z. B. eine Fraktion bzw. eine qualifizierte Minderheit von 5% der Mitglieder des Deutschen Bundestages) das Recht eingeräumt werden muss, die Entscheidung durch das Plenum zu verlangen.
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2.6. Informationsrechte des Parlaments Die gute Praxis, wonach Regierungsvorlagen Aussagen zu Einsatzgrund und politischen Rahmenbedingungen, zur Rechtsgrundlage, zum Auftrag, Einsatzgebiet und zur Befristung, zu Einsatzkräften (Höchstzahl, Art und Zusammensetzung der Kräfte), Umfang und Finanzierung machen, hat sich bewährt und soll verbindlich festgeschrieben werden. Dies gilt auch für die Information der Obleute bzw. Berichterstatter der Ausschüsse für Auswärtiges und Verteidigung sowie der Fraktionsvorsitzenden über geheimhaltungsbedürftige Anteile von Einsätzen bzw. Einsätzen bei Gefahr im Verzug. Die Bundesregierung unterrichtet ferner den Bundestag fortlaufend über den Verlauf von bewaffneten Einsätzen und den politischen Gesamtprozess. Über die regelmäßige schriftliche Unterrichtung hinaus legt die Bundesregierung einmal im Jahr eine politische Zwischenbilanz über den jeweiligen Einsatz und die politische Gesamtentwicklung vor. 3. Welches Verfahren in welcher Fallgruppe?: 3.1. „Geringfügige Fälle“ Definition Beispiele für geringfügige Fälle sind Einsätze, in denen die Zahl der Soldaten gering ist, es sich nur um ein Vorauskommando handelt oder ähnliche Einzelfallkonstellationen. Geringfügigkeit kann sich aber nicht allein quantitativ an der Zahl der eingesetzten Soldaten oder an den Begleitumständen bemessen. In jedem Einzelfall muss eine „erkennbar geringe Bedeutung“ festgestellt werden können. Eine gesetzliche Regelung muss daher abstrakt Kriterien festlegen, in denen ein Einsatz geringfügig sein kann (niedrige Zahl und geringe Gefahren, in bewaffnete Auseinandersetzungen mit einbezogen zu werden, und geringe Bedeutung). Beispiele, in denen solche Fälle vorliegen, können allenfalls unverbindlichen Charakter haben und als Regelbeispiele dienen. Das Mittel sollte mit äußerster Sparsamkeit eingesetzt werden, denn auch durch das abgekürzte Verfahren (2.4.) lässt sich die Belastung des Bundestages deutlich reduzieren. Verfahren Bei wirklich geringfügigen Fällen scheint das Verfahren unter 2.5. (Entscheidung durch einen Ausschuss) vertretbar. 3.2. „Gefahr im Verzug“ Definition Der Begriff „Gefahr im Verzug“ muss im Parlamentsbeteiligungsgesetz näher erläutert werden. Wenn eine akute Gefahrenlage unabweisbar ein sofortiges Handeln erfordert, liegt ein solcher Fall vor. In diesen Fällen muss der Exekutive die Handlungsfähigkeit gewährleistet werden, obwohl die Zustimmung des Bundestags noch nicht vorliegt. Verfahren Die erforderliche Zustimmung des Bundestags muss im üblichen Verfahren nachgeholt werden (2.3), sobald dies möglich ist. Gleichzeitig muss der Bundestag über die
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Hintergründe des Einsatzes umfassend informiert werden. Verweigert der Bundestag die Zustimmung, ist der Einsatz abzubrechen. Der Bundestag ist auch zu befassen, wenn der Einsatz voraussichtlich vor der Entscheidung des Bundestages bereits abgeschlossen werden wird oder wurde. Die Bundesregierung muss dem Bundestag den Antrag unverzüglich zuleiten. 3.3. Verlängerung von Zustimmungen Definition Eine bloße Verlängerung ist dann nicht mehr gegeben, wenn Umfang bzw. Intensität oder die Zielsetzung für einen Einsatz verändert werden. Verfahren Wenn die Bundesregierung eine Verlängerung beantragt, gilt der Einsatz bis zur nächsten regulären Bundestagssitzung als genehmigt. Gleichzeitig kann das verkürzte Verfahren im Bundestag (vgl. 2.4.) angewandt werden. 3.4. Integrierte/internationale Einsätze Die Verwendung von deutschen Soldaten in integrierten Verbänden nimmt in der Praxis immer weiter zu (Nato-Response Force, Eurokorps etc.). Aus der Union ist gefordert worden, dass in diesen Fällen auch bei Einsätzen zu Kampfzwecken die Beteiligung des Parlamentes durch eine generelle Zustimmung abgedeckt sein und der Bundestag anders als bisher nicht mehr im Einzelfall befasst werden soll1. Im Falle integrierter Verbände wie der Nato Response Force sind deutsche Soldaten in harte bewaffnete Auseinandersetzungen einbezogen. Eine generelle Zustimmung durch Gesetz für integrierte Einsätze, wie die Union sie anstrebt, dürfte die vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Grenzen überschreiten. Gleichzeitig liefen bei einer Vorab-Zustimmung im Ratifizierungsverfahren die Beteiligungsrechte des Parlamentes in der Praxis immer weiter leer. Deshalb muss die Beteiligung des Parlamentes im Einzelfall hier gewährleistet bleiben. Eine generelle Sonderregelung für diesen Bereich ist daher abzulehnen. Die nähere Betrachtung zeigt, dass die problematischen Fallgruppen mit dem vorstehend vorgestellten Instrumentarium ohne weiteres zu bewältigen sind: • Die breite Beteiligung deutscher Soldaten an integrierten Hauptquartieren (z. B. Eurokorps, deutsch-dänisches Korps) erfordert, dass der Einsatz flexibel und schnell erfolgen kann. Dieser Anforderung kann mit dem ganzen Instrumentarium begegnet werden, das wir vorschlagen. Bei Gefahr im Verzug kann die Entscheidung des Bundestages nachgeholt werden (siehe 2.3.). In vielen Fällen wird aber schon das Verfahren unter 2.4 (verkürztes Bundestagsverfahren) ausreichen, um zu einer rechtzei-
1 Wolfgang Schäuble, Interview vom 11.12.2002 in www.bundeswehrforum.de: „Aber man kann sich vorstellen, dass es für bestimmte integrierte Strukturen eine generelle Zustimmung gibt.“ Thesenpapier für die Klausurtagung des Vorstandes CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 9./10.2.2003: „Bei der Beteiligung an integrierten europäischen Verbänden sollte eine parlamentarische Zustimmung ex ante im Ratifizierungsverfahren angestrebt werden.“
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tigen Entscheidung zu kommen. Darüber hinaus gibt es auch in diesem Bereich selbstverständlich Fallgruppen, in denen eine geringfügige Bedeutung vorliegt und der speziell zuständige Ausschuss (vgl. 2.5.) entscheiden kann. • Auch ein einzelner General, der einen internationalen Friedenseinsatz leitet, kann ein wesentlicher deutscher Konfliktbeitrag sein. Gerade bei Erkundungsmissionen können für die betroffenen Soldaten extreme Gefahren bestehen, da die Situation eben noch nicht erkundet ist. Deshalb kann in diesen Fällen nach den Kriterien unter 3.1. nicht automatisch ein geringfügiger Einsatz angenommen werden. Die Regelungen über das abgekürzte Verfahren (2.4.) können jedoch, wenn erforderlich, angewandt werden. • Es besteht ein politisches Interesse, Kleinsteinsätze wie z. B. in vielen Fällen die Beteiligung an UN-geführten Missionen in Afrika durch ein zügigeres Parlamentsverfahren häufiger als in der Vergangenheit zu ermöglichen. Hier kann durch Anwendung der Regelung über „geringfügige Fälle“ (2.5.) geholfen werden. • Auch ein Einsatz, der konkrete militärische Handlungen absichert oder ermöglicht (AWACS-Einsatz im Jugoslawienkonflikt), kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Schwelle zum Einsatz i. S. d. Grundgesetzes übersteigen. Dies gilt natürlich nicht für den Normaleinsatz von AWACS-Einsätzen über dem Bündnisgebiet. Insgesamt ist daher festzustellen, dass wir bei Realisierung unseres differenzierten Modells keine Sonderregelungen für integrierte Einsätze benötigen, weil unser Modell in vollem Umfang dem Ziel, die multilaterale Handlungsfähigkeit Deutschlands zu gewährleisten, Rechnung trägt. Langfristig ist allerdings denkbar, das Zustimmungsrecht für europäisch getragene Einsätze an ein erstarktes Europäisches Parlament zu übertragen.
Anhang 5 Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deutscher Bundestag Drucksache 15/2742 Entwurf eines Gesetzes über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland (Parlamentsbeteiligungsgesetz) A. Problem Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 (BVerfGE 90, 286) ist die Bundesregierung verpflichtet, für einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland die – grundsätzlich vorherige – konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen. Seitdem hat es ca. 50 Einsatzentscheidungen über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland gegeben, die ohne nähere gesetzliche Regelung gefasst wurden. Das Verfahren, in dem die parlamentarische Zustimmung eingeholt und die parlamentarische Mitwirkung abgewickelt wurde, beruht vielmehr ausschließlich auf der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und anschließender parlamentarischer Übung. Es braucht aber nach den Erfahrungen mit den inzwischen durchgeführten Einsätzen verbindliche Regelungen, auf die sich der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung einzustellen haben und durch die Rechtsklarheit auch im öffentlichen Interesse hergestellt werden. Dabei soll auch das Rückholrecht des Parlaments klargestellt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seiner Entscheidung angeregt, ein Gesetz zu erlassen, das unter Beachtung der vom Gericht aufgestellten Grundsätze die förmliche parlamentarische Beteiligung an der Entscheidung über militärische Einsätze deutscher Streitkräfte näher ausgestaltet. B. Lösung Verabschiedung eines Gesetzes, das das Verfahren der Mitwirkung des Deutschen Bundestages an der Entscheidung über bewaffnete Einsätze deutscher Streitkräfte im Ausland regelt, die Pflichten der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem parlamentarischen Verfahren festlegt und insoweit Rechtssicherheit für die beteiligten Verfassungsorgane, aber auch für die betroffenen Soldatinnen und Soldaten schafft. C. Alternativen Beibehaltung des bisher geübten Verfahrens.
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D. Kosten der öffentlichen Haushalte Keine E. Sonstige Kosten Keine
Entwurf eines Gesetzes über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland (Parlamentsbeteiligungsgesetz) Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen: § 1 Grundsatz (1) Dieses Gesetz regelt Form und Ausmaß der Beteiligung des Bundestages beim Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland. Artikel 115a des Grundgesetzes bleibt davon unberührt. (2) Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes bedarf der Zustimmung des Bundestages. § 2 Begriffsbestimmung (1) Ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte liegt vor, wenn Soldatinnen oder Soldaten der Bundeswehr in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind oder eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten ist. (2) Vorbereitende Maßnahmen und Planungen sind kein Einsatz im Sinne dieses Gesetzes. Sie bedürfen keiner Zustimmung des Bundestages. Gleiches gilt für humanitäre Hilfsdienste und Hilfsleistungen der Streitkräfte, bei denen Waffen lediglich zum Zweck der Selbstverteidigung mitgeführt werden, wenn nicht zu erwarten ist, dass die Soldatinnen oder Soldaten in bewaffnete Unternehmungen einbezogen werden. § 3 Antrag (1) Die Bundesregierung übersendet dem Bundestag den Antrag auf Zustimmung zum Einsatz der Streitkräfte rechtzeitig vor Beginn des Einsatzes. (2) Der Antrag der Bundesregierung enthält Angaben insbesondere über – – – – – – –
den Einsatzauftrag, das Einsatzgebiet, die rechtlichen Grundlagen des Einsatzes, die Höchstzahl der einzusetzenden Soldatinnen und Soldaten, die Fähigkeiten der einzusetzenden Streitkräfte, die geplante Dauer des Einsatzes, die voraussichtlichen Kosten und die Finanzierung.
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(3) Der Bundestag kann dem Antrag zustimmen oder ihn ablehnen. Änderungen des Antrags sind nicht zulässig.
§ 4 Vereinfachtes Zustimmungsverfahren (1) Bei Einsätzen von geringer Intensität und Tragweite kann die Zustimmung in einem vereinfachten Verfahren erteilt werden. Die Bundesregierung hat begründet darzulegen, aus welchen Gründen der bevorstehende Einsatz von geringer Intensität und Tragweite ist. Die Präsidentin oder der Präsident des Deutschen Bundestages übermittelt den Antrag an die Vorsitzenden der Fraktionen sowie die Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses und je einen von jeder in diesen Ausschüssen vertretenen Fraktionen benannten Vertreter (Obleute) und lässt den Antrag als Bundestagsdrucksache an alle Mitglieder des Bundestages verteilen. Die Zustimmung gilt als erteilt, wenn nicht innerhalb von sieben Tagen nach der Verteilung der Drucksache von einer Fraktion oder fünf von Hundert der Mitglieder des Bundestages eine Befassung des Bundestages verlangt wird. Wird die Befassung des Bundestages verlangt, entscheidet dieser. (2) Ein Einsatz ist dann von geringer Intensität und Tragweite, wenn die Zahl der eingesetzten Soldatinnen und Soldaten gering ist, der Einsatz auf Grund der übrigen Begleitumstände erkennbar von geringer Bedeutung ist und es sich nicht um die Beteiligung an einem Krieg handelt. (3) In der Regel liegt ein Einsatz von geringer Intensität und Tragweite vor, wenn – es sich um ein Erkundungskommando handelt, das Waffen lediglich zum Zweck der Selbstverteidigung mit sich führt, – einzelne Soldatinnen oder Soldaten betroffen sind, die auf Grund von Austauschvereinbarungen Dienst in verbündeten Streitkräften leisten, oder – einzelne Soldatinnen oder Soldaten im Rahmen eines Einsatzes der VN, der NATO, der EU oder einer Organisation, die einen VN-Auftrag erfüllt, verwendet werden.
§ 5 Nachträgliche Zustimmung (1) Einsätze bei Gefahr im Verzug, die keinen Aufschub dulden, bedürfen keiner vorherigen Zustimmung des Bundestages. Gleiches gilt für Einsätze zur Rettung von Menschen aus besonderen Gefahrenlagen, solange durch die öffentliche Befassung des Bundestages das Leben der zu rettenden Menschen gefährdet würde. (2) Der Bundestag ist vor Beginn und während des Einsatzes in geeigneter Weise zu unterrichten. (3) Der Antrag auf Zustimmung zum Einsatz ist unverzüglich nachzuholen. Lehnt der Bundestag den Antrag ab, ist der Einsatz zu beenden.
§ 6 Unterrichtungspflicht (1) Die Bundesregierung unterrichtet den Bundestag regelmäßig über den Verlauf der Einsätze und über die Entwicklung im Einsatzgebiet.
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(2) In Fällen des § 4 Abs. 1 (Vereinfachtes Zustimmungsverfahren) unterrichtet die Bundesregierung die zuständigen Ausschüsse und die Obleute unverzüglich. § 7 Verlängerung von Einsätzen (1) Das Verfahren nach § 4 findet auch Anwendung auf die Verlängerung von Zustimmungsbeschlüssen ohne inhaltliche Änderung. (2) Beantragt die Bundesregierung die Verlängerung eines Einsatzes, so gilt der Einsatz bis zur nächsten Sitzung des Bundestages als genehmigt. Wird der Antrag im vereinfachten Verfahren nach § 4 gestellt, so gilt er bis zum Ablauf der in § 4 Abs. 1 Satz 4 bestimmten Frist als genehmigt. § 8 Rückholrecht Der Bundestag kann die Zustimmung zu einem Einsatz bewaffneter Streitkräfte widerrufen. § 9 Inkrafttreten Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft. Berlin, den 23. März 2004 Franz Müntefering und Fraktion Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und Fraktion
Begründung I. Allgemeiner Teil A. Die Bundesregierung ist nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 (BVerfGE 90, 286) verpflichtet, für einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte die – grundsätzlich vorherige – konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen. Für das Verfahren selbst gibt es gegenwärtig keine nähere gesetzliche Grundlage. Vielmehr orientiert sich die Parlamentspraxis an denjenigen Verfahren, die für die Behandlung von Gesetzentwürfen oder Anträgen vorgesehen sind. Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits in seiner Entscheidung von 1994 erklärt, dass es Sache des Gesetzgebers sei, ein Gesetz zu erlassen, das unter Beachtung der vom Gericht aufgestellten Grundsätze die Form und das Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung bei der Entscheidung über militärische Einsätze deutscher Streitkräfte näher ausgestaltet. Seit dieser Entscheidung war das Parlament an einer Vielzahl von Entscheidungen zum Einsatz oder zur Verlängerung von Einsätzen beteiligt. Dabei war das Spektrum der Auslandseinsätze hinsichtlich Auftrag, Umfang, Intensität und Tragweite äußerst unterschiedlich. Die meisten Entscheidungen waren politisch
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weitgehend unstrittig und wurden in der Regel von einer breiten parlamentarischen Mehrheit getragen. Die bisherigen parlamentarischen Entscheidungen über die Entsendung deutscher Streitkräfte ins Ausland machen überdeutlich, dass es die gemeinsame Überzeugung der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien ist, die internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland im Interesse des Friedens und der Wahrung der Menschenrechte zu erfüllen. Die Vielzahl und die Bedeutung der in den vergangenen Jahren notwendig gewordenen parlamentarischen Entscheidungen über die Entsendung deutscher Streitkräfte lassen es angezeigt erscheinen, ein Gesetz zu schaffen, das das Verfahren eindeutig und transparent regelt. Der hier vorgelegte Entwurf soll den zukünftigen formalen Rahmen für das Zustimmungsverfahren des Deutschen Bundestages schaffen. Dabei wird auch das Rückholrecht des Parlaments klargestellt. Die jeweiligen Bundesregierungen haben den Deutschen Bundestag in der Vergangenheit umfassend über anstehende Einsätze informiert. Die Praxis der Einbeziehung des Deutschen Bundestages ging dabei teilweise über die Mindestanforderungen des Bundesverfassungsgerichts hinaus. Diese Praxis hat sich bewährt und muss bewahrt bleiben. Das Gesetz soll, aufbauend auf den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und den Erfahrungen der vergangenen Jahre, den rechtlichen Rahmen für das Zustimmungsverfahren des Deutschen Bundestages festschreiben und in bestimmten Fällen ein vereinfachtes Verfahren ermöglichen.
B. Die Regelung des parlamentarischen Verfahrens für den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland durch den vorliegenden Gesetzentwurf bezieht sich auf die Form und das Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung. Die bestehende materielle Rechtslage wird nicht geändert. Die Voraussetzungen für einen Auslandeinsatz regeln sich nach wie vor nach internationalem Recht, insbesondere der Charta der Vereinten Nationen, und den Bestimmungen des Grundgesetzes. Die Rechte des Deutschen Bundestages, die durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts konkretisiert sind, werden weder ausgeweitet noch eingeschränkt. Klargestellt wird, dass vorbereitende Maßnahmen und Planungen ebenso wie humanitäre Hilfsdienste und Hilfsleistungen regelmäßig kein Auslandseinsatz im Sinne dieses Gesetzes sind. So ist die Erbringung von humanitären Leistungen, z. B. durch den Aufbau eines mobilen Krankenhauses, in der Regel auch in Krisengebieten kein militärischer Einsatz im Sinne dieses Gesetzes. Nicht als Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Sinne des Gesetzes angesehen wird, ebenfalls der bisherigen Praxis entsprechend, die Beteiligung von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr an ständigen integrierten sowie multinational besetzten Stäben und Hauptquartieren der Organisation des Nordatlantikvertrages (NATO) und anderer Organisationen gegenseitiger kollektiver Sicherheit, während bei einer Verwendung in eigens für konkrete bewaffnete Einsätze gebildeten Stäben und Hauptquartieren der NATO und anderer Organisationen kollektiver Sicherheit der Vorbehalt der konstitutiven Zustimmung des Deutschen Bundestages besteht. Die bisherige Praxis der Erstellung von Protokollerklärungen der Bundesregierung bleibt hiervon unberührt.
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Das parlamentarische Zustimmungsverfahren ist nach wie vor streng formalisiert und soll dem Deutschen Bundestag für seine Entscheidung eine größtmögliche Informationsbasis geben, ohne in die exekutive Entscheidungsbefugnis der Bundesregierung einzugreifen. Die Schaffung eines vereinfachten Zustimmungsverfahrens trägt dabei dem Gebot der Effektivität und der Verhältnismäßigkeit Rechnung. Das gewählte Verfahren stellt sicher, dass auch bei Einsätzen von geringer Intensität und Tragweite das Parlament vollständig informiert ist und die Entscheidung jederzeit an sich ziehen kann. Gleichzeitig stellt es sicher, dass der Deutsche Bundestag nur bei Entscheidungen von wesentlicher politischer Bedeutung mit dem Plenum befasst wird und unterstreicht damit die herausgehobene Bedeutung der Parlamentsdebatte. Gleiches gilt für die Vorschrift über die nachträgliche Zustimmung des Parlaments. Das Verfahren zur Verlängerung von Einsätzen ist notwendig, um die internationale Handlungsfähigkeit der Bundesregierung zu sichern. Das in das Gesetz aufgenommene Rückholrecht des Parlaments ist Ausdruck eines umfassenden Parlamentsvorbehalts und dient insoweit der Klarstellung. II. Besonderer Teil Zu § 1 (Grundsatz) Es wird klargestellt, dass das Gesetz lediglich Form und Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung regelt. Für das materielle Recht gilt, dass Einsätze bewaffneter deutscher Streitkräfte nach wie vor ausschließlich auf der Grundlage des Verfassungsrechts und des Völkerrechts stattfinden dürfen. Zweck der Norm ist es, Unsicherheiten bezüglich der Regelungsweite des Gesetzes zu vermeiden. Es wird ebenfalls klargestellt, dass der Verteidigungsfall von dem Anwendungsbereich des Gesetzes ausgenommen ist. Zu § 2 (Begriffsbestimmung) Es wird zunächst eine Legaldefinition gegeben, was unter dem Einsatz bewaffneter Streitkräfte zu verstehen ist. Dabei werden nicht nur Einsätze im Rahmen bewaffneter Unternehmungen umfasst, sondern auch Einsätze, bei denen mit der Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung zu rechnen ist. Weiterhin werden vorbereitende Maßnahmen und Planungen sowie humanitäre Hilfsdienste und Hilfsleistungen aus der Anwendbarkeit des Gesetzes ausdrücklich ausgeschlossen. Dies dient zunächst der Abgrenzung, da es in der Praxis nahezu unmöglich ist, bei Vorbereitungshandlungen und Planungen gerade in international besetzten militärischen Organisationen wie der NATO abstrakte und konkrete Planungen voneinander zu trennen bzw. die spätere Verwendung von erarbeiteten Unterlagen abzusehen. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Bundeswehr im Rahmen ihrer Zugehörigkeit zu militärischen Bündnissen an Planungen beteiligt ist, die gegebenenfalls Auswirkungen auf bewaffnete Unternehmungen haben können. Doch liegt dies ausschließlich in der Verantwortung der Bundesregierung. Erst der konkrete militärische Einsatz bedarf der parlamentarischen Zustimmung. Es wird ferner deutlich gemacht, dass der Parlamentsvorbehalt auf militärische Aktionen beschränkt ist und sich nicht auf humanitäre Hilfsleistungen wie z. B. Katastrophenhilfe bezieht.
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Der bisherigen Praxis entsprechend wird die Beteiligung von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr an ständigen integrierten sowie multinational besetzten Stäben und Hauptquartieren der NATO und anderer Organisationen kollektiver Sicherheit nicht als Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Sinne des Gesetzes angesehen, während bei einer Verwendung in eigens für konkrete bewaffnete Einsätze gebildeten Stäben und Hauptquartieren der NATO und anderer Organisationen kollektiver Sicherheit der Vorbehalt der konstitutiven Zustimmung des Deutschen Bundestages besteht. Zu § 3 (Antrag) Die Vorschrift regelt den notwendigen Inhalt des Antrags der Bundesregierung. Dabei handelt es sich, wie das Wort „insbesondere“ ausdrückt, um eine Mindestanforderung. Die Bundesregierung ist frei, weitere Einzelheiten in ihrem Antrag aufzuführen. Die aufgeführten Angaben sollen eine umfassende Informationsbasis für die parlamentarische Entscheidung sicherstellen. Der von der Bundesregierung schriftlich einzureichende Antrag – insoweit in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtslage – kann vom Parlament nicht geändert oder ergänzt werden. Dieses Verfahren hat die Funktion, dass über den Antrag nur im Ganzen abgestimmt werden kann. Nur auf diese Weise kann der Verantwortung der Bundesregierung für den Auslandseinsatz Rechnung getragen werden. Die bisherige Praxis der Erstellung von Protokollerklärungen der Bundesregierung bleibt davon unberührt. Zu § 4 (Vereinfachtes Zustimmungsverfahren) Das neu einzuführende Verfahren spezifiziert die vom Bundesverfassungsgericht eingeräumte Möglichkeit, Form und Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung je nach Art der Einsätze zu differenzieren. In Fällen, in denen die Bundesregierung der Auffassung ist, dass ein beabsichtigter Einsatz von geringer Intensität und Tragweite ist, hat sie die Möglichkeit, ein vereinfachtes Zustimmungsverfahren zu beantragen. Das Gleiche gilt für die Verlängerung von bereits erteilten Zustimmungsbeschlüssen. Den Fraktionen des Deutschen Bundestages (bzw. fünf Prozent der Abgeordneten) steht es frei, binnen sieben Tagen eine ordentliche Befassung des Bundestages zu verlangen. Das Verfahren dient zwei Zielen: Einerseits soll sich das Plenum des Deutschen Bundestages nur mit inhaltlich bedeutenden oder politisch umstrittenen Entscheidungen befassen. So wird der Bedeutung der Plenardebatte Rechnung getragen. Andererseits soll aber auch dem Bedürfnis der Praxis entsprochen werden, Plenarsitzungen und aufwändige Sondersitzungen des Deutschen Bundestages insbesondere in sitzungsfreien Perioden bei unstrittigen Auslandseinsätzen von geringer Intensität und Tragweite zu vermeiden. Um abzugrenzen, wann ein solcher Fall anzunehmen ist, sieht das Gesetz Regelbeispiele vor, bei denen typischerweise zwar der Parlamentsvorbehalt betroffen ist, die jedoch eine Befassung des Plenums nicht rechtfertigen würden. In solchen Fällen reicht regelmäßig eine gründliche Information aus, wie sie durch die Norm sichergestellt ist. Diese Aufzählung ist weder abschließend noch ist eine ausführliche parlamentarische Beratung bei Vorlage eines der aufgeführten Fälle ausgeschlossen. In Absatz 2 wird im Übrigen klargestellt, dass es neben der Zahl der eingesetzten Soldaten immer auch auf die übrigen Begleitumstände des Einsatzes ankommt.
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Eine „schicksalhafte politische Entscheidung über Krieg und Frieden“ (vgl. BVerfGE 90, 286, 384) kann damit nicht im Wege des vereinfachten Zustimmungsverfahrens sanktioniert werden. Die gewählte kurze Frist unterstreicht die Praxisnähe der gefundenen Lösung. Zur Sicherstellung der umfassenden Information der Abgeordneten und der Eindeutigkeit der Fristbestimmungen wird auf die Verteilung der Bundestagsdrucksache durch die Verwaltung des Deutschen Bundestages und die entsprechenden Regelungen der Geschäftsordnung Bezug genommen. Zum Begriff der „Obleute“ ist anzumerken, dass es sich hierbei um die von den Fraktionen benannten Ausschussmitglieder, die zusammen mit der/dem Vorsitzenden die Ausschussarbeit koordinieren, handelt. Der Terminus findet sich in Aussagen des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung sowie neuerdings in § 10 Abs. 2Untersuchungsausschussgesetz. Hierauf wird Bezug genommen.
Zu § 5 (Nachträgliche Zustimmung) Um die militärische Wehrfähigkeit und die Bündnisfähigkeit Deutschlands zu sichern, sieht das Gesetz bei Gefahr im Verzug ein besonderes Verfahren für Einsätze vor. Gefahr im Verzug ist zum einen dann gegeben, wenn angesichts einer konkreten Gefahr unmittelbar gehandelt werden muss und die Entscheidung des Deutschen Bundestages nicht rechtzeitig herbeigeführt werden kann. Zum anderen kann dies auch bei Einsätzen zur Rettung aus besonderen Gefahrenlagen gegeben sein, solange durch die öffentliche Befassung des Deutschen Bundestages das Leben der zu rettenden Menschen gefährdet würde. Das vom Grundgesetz abschließend festgelegte Verhältnis der Verfassungsorgane Bundesregierung und Bundestag zueinander macht es notwendig, den Parlamentsvorbehalt in diesem Fall gegenüber der Entscheidungsbefugnis der Bundesregierung zurücktreten zu lassen. Dies wird durch eine unverzügliche Informationspflicht und die zwingende Nachholung der Beteiligung des Parlaments ausgeglichen. Dabei hat die Bundesregierung die Gründe für das von ihr gewählte Verfahren darzulegen.
Zu § 6 (Unterrichtungspflicht) Die Vorschrift stellt die regelmäßige Unterrichtung des Deutschen Bundestages durch die Bundesregierung sicher. Diese soll mit Blick auf bevorstehende Einsätze insbesondere über vorbereitende Maßnahmen und Planungen zum Einsatz bewaffneter Streitkräfte unterrichten. Über den Verlauf der Einsätze und die Entwicklung im Einsatzgebiet unterrichtet die Bundesregierung den Deutschen Bundestag schriftlich. Sie soll darüber hinaus dem Deutschen Bundestag jährlich einen bilanzierenden Gesamtbericht über den jeweiligen Einsatz bewaffneter Streitkräfte und die politische Gesamtentwicklung im Einsatzgebiet vorlegen. In den Berichten der Bundesregierung müssen allerdings geheimhaltungsbedürftige Tatsachen nicht enthalten sein. Über diese Tatsachen sollen die Obleute des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses in geeigneter Weise informiert werden. Findet innerhalb der Frist des § 4 Abs. 1 Satz 4 eine Ausschusssitzung des
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Auswärtigen Ausschusses oder des Verteidigungsausschusses nicht statt, so sollten ebenfalls die Obleute dieser Ausschüsse unterrichtet werden. Die Bundesregierung soll nach Beendigung des Einsatzes einen Evaluierungsbericht erstellen, der sowohl die militärischen als auch die politischen Aspekte des Einsatzes darstellt und bewertet. Zu § 7 (Verlängerung von Einsätzen) Die Vorschrift schafft ein Verfahren für die Verlängerung von Auslandseinsätzen, die sich inhaltlich seit der letzten parlamentarischen Entscheidung nicht verändert haben. Dies setzt auch voraus, dass sich die Rahmenbedingungen nicht wesentlich geändert haben. Absatz 2 bezieht sich auf Genehmigungsbeschlüsse, die in der sitzungsfreien Zeit des Deutschen Bundestages auslaufen. Insbesondere die oftmals sehr kurzfristigen Entscheidungen der Gremien der Vereinten Nationen machen eine solche Regelung sinnvoll. Das Recht der Fraktionen, jederzeit eine Befassung des Parlaments über die Verlängerung herbeizuführen, bleibt unberührt. Zu § 8 (Rückholrecht) Die Vorschrift beendet die bisher bestehende Unsicherheit, ob der Deutsche Bundestag die einmal getroffene Entsendeentscheidung aus eigenem Recht wieder rückgängig machen kann oder nicht. Zu § 9 (Inkrafttreten) Die Vorschrift regelt den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes.
Anhang 6 Entwurf eines Gesetzes zur Mitwirkung des Deutschen Bundestages bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr (Auslandseinsätzemitwirkungsgesetz) Deutscher Bundestag Drucksache 15/1985 Gesetzentwurf der Abgeordneten Jörg van Essen (. . .) und Fraktion der FDP A. Problem Einsätze bewaffneter Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland im Ausland bedürfen der Zustimmung des Deutschen Bundestages. Das Verfahren, in dem die parlamentarische Zustimmung einzuholen und die parlamentarische Mitwirkung an Einsätzen bewaffneter Streitkräfte im Ausland abzuwickeln ist, beruht bisher auf der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und anschließender parlamentarischer Übung. Es braucht aber nach den Erfahrungen mit den inzwischen durchgeführten Einsätzen verbindliche Regelungen, auf die sich der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung einzustellen haben und verlassen können. B. Lösung Verabschiedung eines Gesetzes, das die Mitwirkung des Deutschen Bundestages bei bewaffneten Einsätzen deutscher Streitkräfte im Ausland regelt und die Pflichten der Bundesregierung zur Beteiligung des Deutschen Bundestages festlegt, um Rechtssicherheit für die Auslandseinsätze der Bundeswehr zu schaffen. C. Alternativen Beibehaltung des bisher geübten und vereinbarten parlamentarischen Verfahrens auf der Grundlage der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages in Verbindung mit den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr oder eine Ergänzung der Geschäftsordnung. D. Kosten Für den Bundeshaushalt entstehen keine zusätzlichen Kosten.
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Entwurf eines Gesetzes zur Mitwirkung des Deutschen Bundestages bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr (Auslandseinsätzemitwirkungsgesetz) Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
§ 1 Parlamentsvorbehalt (1) Jeder Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland bedarf der Zustimmung des Bundestages, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt oder zulässt. (2) Ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte liegt vor, wenn Soldaten der Bundeswehr in eine bewaffnete Unternehmung einbezogen sind oder eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten ist.
§ 2 Grenzen des Parlamentsvorbehaltes (1) Maßnahmen, die zur Abklärung der Notwendigkeit von Einsätzen bewaffneter Streitkräfte, für deren Planung und für die ausbildungsbedingte wie logistische Vorbereitung unabdingbar sind, bedürfen nicht der Zustimmung des Bundestages. (2) Humanitäre Hilfsmaßnahmen und Katastrophenhilfe sind kein Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Sinne dieses Gesetzes.
§ 3 Antrag der Bundesregierung Der Bundestag entscheidet auf Grund eines Antrags der Bundesregierung, der mindestens die Einsatzgrundlage, das Einsatzziel, den Einsatzauftrag, den Einsatzumfang, das Einsatzgebiet, die Einsatzdauer und die Einsatzkosten sowie deren Finanzierung bezeichnet.
§ 4 Rückholrecht (1) Der Bundestag kann die Zustimmung zu einem Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland widerrufen. In den Fällen des § 6 Abs. 1 Buchstabe a steht das Widerrufsrecht nur dem Ausschuss für besondere Auslandseinsätze zu. In den Fällen des § 6 Abs. 1 Buchstabe b steht das Widerrufsrecht dem Ausschuss für besondere Auslandseinsätze zu, sofern nicht der Bundestag den Vorgang gemäß § 6 Abs. 3 an sich gezogen hat. (2) Der Antrag, die Zustimmung zu einem bestimmten Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland zu widerrufen, bedarf der Unterstützung eines Viertels der Mitglieder des Bundestages. (3) Hat der Bundestag seine Zustimmung zu einem Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland widerrufen, hat die Bundesregierung den Einsatz unverzüglich zu beenden.
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§ 5 Ausschuss für besondere Auslandseinsätze (1) Der Bundestag wählt aus seiner Mitte einen Ausschuss für besondere Auslandseinsätze. Er besteht aus höchstens elf Mitgliedern. (2) Jede Fraktion ist durch wenigstens ein Mitglied im Ausschuss für besondere Auslandseinsätze vertreten. (3) Der Ausschuss für besondere Auslandseinsätze übt seine Tätigkeit auch über das Ende einer Wahlperiode des Bundestages hinaus so lange aus, bis der Bundestag gemäß den Absätzen 1 und 2 entschieden hat.
§ 6 Zustimmungsermächtigungen (1) Der Ausschuss für besondere Auslandseinsätze ist ermächtigt, die Zustimmung zu einem Antrag der Bundesregierung zu erteilen, falls die Bundesregierung ihren Antrag a) als Verschlusssache des Geheimhaltungsgrades GEHEIM und höher eingestuft hat, b) wegen Gefahr im Verzuge als besonders eilbedürftig bezeichnet oder c) wegen der Teilnahme einzelner deutscher Soldaten an bewaffneten Einsätzen der Vereinten Nationen, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, der North Atlantic Treaty Organization, anderer Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne von Artikel 24 Abs. 2 des Grundgesetzes oder der Europäischen Union stellt. (2) Der Bundestag kann den Ausschuss für besondere Auslandseinsätze ermächtigen, die Zustimmung zu einem Antrag der Bundesregierung zu erteilen. (3) Der Bundestag kann Anträge der Bundesregierung, zu denen eine Ermächtigung gemäß Absatz 1 Buchstabe b oder Absatz 2 erteilt ist, zur eigenen Beratung und Beschlussfassung an sich ziehen.
§ 7 Verfahren des Ausschusses für besondere Auslandseinsätze (1) Anträge der Bundesregierung gemäß § 6 Abs. 1 leitet der Präsident des Deutschen Bundestages unmittelbar an den Ausschuss für besondere Auslandseinsätze weiter. Der Ausschuss für besondere Auslandseinsätze berät abschließend, soweit der Bundestag nicht von seinem Recht gemäß § 6 Abs. 3 Gebrauch macht. (2) Jedes Mitglied kann die Einberufung und Unterrichtung des Ausschusses für besondere Auslandseinsätze beantragen. (3) Der Ausschuss für besondere Auslandseinsätze erstattet dem Bundestag jährlich einen Bericht. Er hat unter Beachtung der Geheimhaltung jeden von ihm genehmigten Einsatz dem Bundestag bekannt zu geben und nach Beendigung des Einsatzes einen Bericht vorzulegen.
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Anhang 6 § 8 Auskünfte der Bundesregierung
(1) Die Bundesregierung hat den Ausschuss für besondere Auslandseinsätze über die durch diesen genehmigten Einsätze laufend zu unterrichten. Nach Ende eines Einsatzes legt sie dem Bundestag einen abschließenden Bericht vor. (2) Die Bundesregierung hat dem Ausschuss für besondere Auslandseinsätze auf Verlangen Einsicht in die Akten und Dateien zu geben, die in unmittelbarem Zusammenhang mit den genehmigten Einsätzen bewaffneter Streitkräfte stehen, und die Anhörung von Mitarbeitern ermöglichen.
§ 9 Geheimhaltung (1) Hat die Bundesregierung ihren Antrag als Verschlusssache des Geheimhaltungsgrades GEHEIM und höher eingestuft, ist nach den Vorschriften der Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestages zu verfahren. (2) Der Ausschuss für besondere Auslandseinsätze erstattet dem Bundestag einen Bericht über einen GEHEIM und höher eingestuften Einsatz erst, nachdem dessen Geheimhaltungsbedürftigkeit aufgehoben worden ist.
§ 10 Inkrafttreten Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft. Berlin, den 12. November 2003 Jörg van Essen (. . .) und FDP-Fraktion
Begründung A. Allgemeines Die Gesetzgebungskompetenz für ein Gesetz zur Mitwirkung des Deutschen Bundestages bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr (Auslandseinsätzemitwirkungsgesetz) ergibt sich aus dem im Grundgesetz verankerten Prinzip eines konstitutiven Parlamentsvorbehaltes für den militärischen Einsatz von Streitkräften (vgl. BVerfGE 90, 286 ). Das Bundesverfassungsgericht hat festgelegt, dass der Deutsche Bundestag konstitutiv über den bewaffneten Einsatz deutscher Streitkräfte im Ausland zu entscheiden hat. Es hat dem Bundesgesetzgeber Freiheit gelassen, durch ein Gesetz das nähere Verfahren für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland zu regeln. Diesem Auftrag kommt das vorliegende Gesetz nach. Es gestaltet den „verfassungsrechtlich geforderten Parlamentsvorbehalt“ aus und stärkt damit den Deutschen Bundestag in seiner Verantwortung für das „Parlamentsheer“ (vgl. BVerfGE 90, 286 ), ohne dass es in die eigenständigen Verantwortlichkeiten der Bundesregierung für die bewaffneten Streitkräfte eingreift.
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Für ein Gesetz zur Mitwirkung des Deutschen Bundestages bei Einsätzen bewaffneter Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland im Ausland besteht auch nach den bisherigen Erfahrungen des Deutschen Bundestages ein Bedarf. Bisher orientiert sich das Verfahren der Beteiligung des Deutschen Bundestages an der Entscheidung und dem Einsatz bewaffneter Streitkräfte an einer vereinbarten parlamentarischen Übung, die mehr oder weniger dem Gesetzgebungsverfahren nachgebildet worden ist. Dieses Verfahren wird sowohl in der Wissenschaft als auch in der Politik mit unterschiedlichen Gründen kritisiert. Eine Verfahrensregelung allein in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages reicht nicht aus, weil dieser nur die Befugnis zugerechnet wird, die innerparlamentarischen Rechtsbeziehungen zu regeln, nicht auch die interorganschaftlichen Beziehungen von Bundestag und Bundesregierung, auf die es bei einer Beteiligung des Deutschen Bundestages an Einsätzen bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland angesichts des Kompetenzbereichs der Bundesregierung für die Bundeswehr gerade ankommt. Das Gesetz wird aber die „Regelungsmacht des Parlaments in eigenen Angelegenheiten“ (BVerfGE 102, 224 104, 310 < 332 >) nicht ausschalten. Es will zwar auch einige wenige Regelungen für die Organisation und das Verfahren des Deutschen Bundestages treffen und insoweit die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages modifizieren. Das Gesetz hält sich dabei aber innerhalb des Rahmens, den das Bundesverfassungsgericht für Gesetze in parlamentarischen Angelegenheiten gebilligt hat (BVerfGE 70, 324 < 361 >). Die organisations- und verfahrensrechtlichen Vorschriften im Auslandseinsätzemitwirkungsgesetz beschränken sich auf Angelegenheiten, die der vertrauensvollen Zusammenarbeit von Bundestag und Bundesregierung bei Einsätzen des „Parlamentsheeres“ im Ausland eine verlässlich die Wahlperioden überdauernde Grundlage bieten sollen. Schon darin liegen gewichtige sachliche Gründe, die es rechtfertigen, insbesondere die Regeln über die Einsetzung, Verfahrensweise und Aufgaben des Ausschusses für besondere Auslandseinsätze nicht allein der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zu überlassen. Das Gesetz verdrängt aber nicht die allgemeinen Vorschriften des Parlamentsrechts zur Organisation und zum Verfahren des Deutschen Bundestages im Grundgesetz und in der Geschäftsordnung. Maßgeblich bleiben grundsätzlich die gewohnten parlamentsrechtlichen Vorschriften über die Rechtsstellung der ständigen Ausschüsse und über das Beratungs- und Beschlussverfahren für Vorlagen. Es bleibt im Regelfall bei der Beratung eines Antrages der Bundesregierung im Plenum des Deutschen Bundestages, seiner Überweisung an die zuständigen Fachausschüsse und der anschließenden Beschlussfassung im Plenum. Dieses wird lediglich dann nicht beteiligt, wenn ein Antrag auf Grund der gesetzlichen Ermächtigung dem Ausschuss für besondere Auslandseinsätze zur abschließenden Entscheidung zugeleitet werden muss (vgl. § 6 Abs. 1). Aber auch diese Regelung erfährt eine Ausnahme, falls nämlich dem Plenum die Befugnis zusteht, eine erteilte Ermächtigung an den Ausschuss für besondere Auslandseinsätze rückgängig zu machen (vgl. § 6 Abs. 3). B. Einzelbegründung Zu § 1 Das Gesetz hebt bereits in seiner einleitenden Vorschrift den Angelpunkt seiner Regelungen hervor, nämlich den Parlamentsvorbehalt der Wehrverfassung des Grundgesetzes (BVerfGE 90, 286 < 383 >) der sich unmittelbar aus dem Grundgesetz ergibt. Es
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betont, dass „grundsätzlich jeder Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte der konstitutiven parlamentarischen Mitwirkung“ unterliegt (BVerfG 2 BvQ 18/03 v. 25. März 2003, Absatz 33). Der Einsatz bewaffneter Streitkräfte bedarf daher „grundsätzlich der vorherigen Zustimmung des Bundestages“ (BVerfGE 90, 286 < 381 >; 100, 266 < 269 >). Gleichzeitig wird anerkannt, dass ein Beschluss des Deutschen Bundestages, dem Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zuzustimmen oder ihn abzulehnen, einen förmlichen Antrag der Bundesregierung voraussetzt (BVerfGE 90, 286 < 389 >). Das Gesetz berührt nicht den „der Regierung von der Verfassung für außenpolitisches Handeln gewährten Eigenbereich exekutivischer Handlungsbefugnis und Verantwortlichkeit“ (BVerfGE 90, 286 < 389 >). In diesem Verantwortungsbereich der Bundesregierung liegt nicht nur die Kooperation mit dem Deutschen Bundestag, sondern auch die Information an die Vertragspartner über die deutsche Rechtslage zum Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland. „Gegenstand einer Parlamentsbeteiligung sind die Einsätze bewaffneter Streitkräfte“ (BVerfGE 90, 286 < 387 >) der Bundesrepublik Deutschland. Das Gesetz beschränkt sich, wie in Absatz 1 ausdrücklich vermerkt, auf Einsätze im Ausland, also in Territorien außerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Was unter Einsätzen bewaffneter Streitkräfte (Einsätzen bewaffneter deutscher Streitkräfte, Einsätzen der Bundeswehr) zu verstehen ist, wird in Absatz 2 im Anschluss an die einschlägigen Formulierungen des Bundesverfassungsgerichts allgemein umschrieben. Eine weitere Spezifizierung des Einsatzbegriffes erscheint nicht sinnvoll. Angesichts der sich wandelnden Einsatzarten muss jedenfalls gegenwärtig eine nähere Bestimmung der Einsatzschwelle der Praxis im Einzelfall vorbehalten bleiben, ggf. durch eine Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts. Beispielsfälle für genehmigungsbedürftige Einsätze sind bereits im Antrag auf Bundestagsdrucksache 15/36 aufgelistet. Exemplarisch zu nennen sind: – Einsätze von Vorauskommandos; – humanitäre Hilfsleistungen mit Sicherheitskräften; – Einrichtung einer logistischen Basis mit Sicherungskräften; – Beteiligung deutscher Soldaten in bi- und multinationalen militärischen Stäben oder Truppenkörpern, die nicht unter nationalem Kommando stehen, an militärischen Einsätzen; – Einsätze bewaffneter Streitkräfte, deren Vorbereitung und Beginn und Durchführung der Geheimhaltung unterliegen müssen; – Einsätze bewaffneter Streitkräfte bei Gefahr im Verzug; – reguläre Einsätze bewaffneter Streitkräfte. Zu § 2 Diese Vorschrift umfasst zwei Fallgruppen, bei denen im Ergebnis – wenn auch aus verschiedenen Gründen – ein Zustimmungsbeschluss des Deutschen Bundestages zu Maßnahmen der Bundesregierung entfällt, bei denen Angehörige der Bundeswehr im Ausland tätig werden. Im Absatz 1 werden vorsorgliche Maßnahmen der Bundesregierung im militärischen Bereich benannt, die nicht zuletzt aus Gründen der Zweckmäßigkeit und Praktikabili-
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tät von einer einzelfallbezogenen parlamentarischen Zustimmung freigestellt werden sollen. Im Antrag auf Bundestagsdrucksache 15/36 sind beispielhaft aufgezählt: – vorsorgliche Operationsplanung (Contingency Plans) für eventuelle bewaffnete Einsätze; – Durchführung spezieller Ausbildungsprogramme zur Vorbereitung auf eventuelle Einsätze; – vorsorgliche Bereitstellung oder Anmietung von Transportraum für die eventuelle Verlegung von Streitkräften in Bereitstellungs- oder Einsatzräume; – Einsatz von Erkundungskommandos/Fact Finding Teams. Absatz 2 erkennt an, dass humanitäre Einsätze und Katastrophenhilfe nicht der Parlamentsbeteiligung unterliegen, weil sie nicht als Einsätze bewaffneter Streitkräfte im Sinne des konstitutiven Parlamentsvorbehalts qualifiziert werden können. Schon das Bundesverfassungsgericht hatte betont, dass „die Verwendung von Personal der Bundeswehr für Hilfsdienste und Hilfsleistungen im Ausland, sofern die Soldaten dabei nicht in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind“ (BVerfGE 90, 286 < 388 >), nicht der Zustimmung des Deutschen Bundestages bedarf.
Zu § 3 Damit der Deutsche Bundestag seiner Verantwortung für das „Parlamentsheer“ (BVerfGE 90, 286 < 382 >) in voller Kenntnis der Lage gerecht werden kann, verpflichtet die Vorschrift des § 3 die Bundesregierung, bei der unabdingbaren Unterrichtung über die Bedingungen und Modalitäten eines geplanten Einsatzes bewaffneter Streitkräfte im Ausland einem Mindeststandard der Informationsweitergabe zu genügen. Die Vorschrift nennt diejenigen Kriterien, zu denen die Bundesregierung in ihrem Antrag fallbezogen dem Deutschen Bundestag konkretisierte Auskünfte erteilen muss. Von Fall zu Fall werden weitere Auskünfte erforderlich oder zumindest zweckmässig sein, um den Deutschen Bundestag für seine Willensbildung zum Antrag der Bundesregierung zu unterstützen. Die spezifizierten Auskünfte der Bundesregierung bieten die informationelle Basis, auf der der Deutsche Bundestag seine Beratungen aufbauen und seine Entscheidung fällen kann. Ein Antrag der Bundesregierung stellt eine Vorlage im Sinne des § 70 Abs. 1 GO-BT dar. Er muss, soweit dieses Gesetz oder eine künftige Vorschrift der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages nichts anderes bestimmen, vom Deutschen Bundestag in dem für Vorlagen üblichen Verfahren behandelt werden. Demzufolge kann es grundsätzlich bei dem bisher geübten „dreistufigen“ Verfahren der Beratung eines Antrages der Bundesregierung auf Zustimmung zu einem Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland bleiben. Eine Überweisung eines Antrages der Bundesregierung kann auch weiterhin im Anschluss an eine „erste Beratung“ des Antrages erfolgen. Der Antrag kann aber auch im vereinfachten Verfahren an die zuständigen Ausschüsse überwiesen werden (vgl. § 80 Abs. 4 GO-BT), was sich beispielsweise bei sog. Bagatellfällen empfehlen kann, die nach übereinstimmender Ansicht der Fraktionen im Ältestenrat keiner öffentlichen Eingangsberatung bedürfen. Der Antrag der Bundesregierung wird im Übrigen auch künftig im Regelfalle dem Auswärtigen Ausschuss federführend und dem Verteidigungsausschuss und gegebenenfalls weiteren Ausschüssen mitberatend überwiesen werden. Diese Vorgehensweise führt schließlich dazu, dass der Deutsche Bundestag auf Grund eines Berichtes
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und einer Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses den Antrag abschließend beraten kann. Das parlamentarische Verfahren endet mit dem Beschluss des Deutschen Bundestages darüber, ob dem Antrag der Bundesregierung zugestimmt wird oder nicht. Von diesem geschäftsordnungsrechtlich üblichen Verfahren soll es nach diesem Gesetz nur eine einzige zwingende Ausnahme geben, nämlich im Falle der obligatorischen Ermächtigung des Ausschusses für besondere Auslandseinsätze nach § 6 Abs. 1. Im Falle der fakultativen Ermächtigung nach § 6 Abs. 2 hat es das Plenum in der Hand, ob es dem Vorschlag des Ältestenrates oder einem Antrag aus der Mitte des Deutschen Bundestages folgen soll, den Antrag der Bundesregierung an den Ausschuss für besondere Auslandseinsätze zu überweisen und damit die Ermächtigung zur Beschlussfassung zu verbinden.
Zu § 4 Aus dem Zustimmungsrecht folgt die Befugnis, die Zustimmung zu widerrufen (Absatz 1 Satz 1). Der konstitutive Parlamentsvorbehalt erschöpft sich nicht in einem einmaligen Zustimmungsakt zu einem bevorstehenden Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland, sondern erstreckt sich auch auf die Mitverantwortung des Deutschen Bundestages für den Ablauf eines genehmigten Einsatzes seines „Parlamentsheeres“ (vergleichbar argumentiert das Bundesverfassungsgericht zur Verantwortung des Parlaments beim Vollzug des NATO-Vertrages: BVerfGE 104, 151 < 209 >). In der bisherigen Diskussion zu einer gesetzlichen Regelung der Einsätze bewaffneter deutscher Streitkräfte wird dieses Recht zum Widerruf vielfach als „Rückholrecht“ bezeichnet. Hierbei handelt es sich um die Rechtsbeziehungen zwischen dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung. Dieser Begriff schillert aber, weil er auch im Zusammenhang mit den Fällen einer Ermächtigung zur abschließenden Entscheidung eines Ausschusses anstelle des Plenums verwandt wird. Im innerparlamentarischen Bereich ist das Rechtsverhältnis zwischen dem Deutschen Bundestag insgesamt und dem Ausschuss für besondere Auslandseinsätze betroffen. Dieses „Rückholrecht“ wird in § 6 Abs. 3 geregelt. Das grundsätzliche Widerrufsrecht des Deutschen Bundestages liefe leer, wenn es in den Fällen einer obligatorischen Ermächtigung des Ausschusses für besondere Auslandseinsätze wegen geheimer oder eilbedürftiger Einsätze (vgl. Buchstaben a und b des § 6 Abs. 1) dem Plenum vorbehalten wäre.Deshalb weist Absatz 1 Satz 2 dem Ausschuss für besondere Auslandseinsätze die Befugnis zu, in diesen beiden Fällen über einen Widerruf der Zustimmung zu beschließen. Um einer mutwilligen Wahrnehmung des Widerrufsrechts vorzubeugen, wird in Absatz 2 empfohlen, den notwendigen innerparlamentarischen Antrag an ein Quorum von einem Viertel der Mitglieder des Deutschen Bundestages zu binden. Im Übrigen kann es bei der Beschlussfassung über diesen Antrag bei dem in Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 GG festgelegten Mehrheitserfordernis bleiben. Dabei wird auch hier – wie bereits schon beim Zustimmungsbeschluss – davon ausgegangen, dass zu einem Widerrufsantrag namentliche Abstimmung beantragt wird. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang noch, dass ein Widerrufsantrag keineswegs „automatisch“ eine Mehrheit im Deutschen Bundestag finden wird; wird er abglehnt, was überwiegend der Fall sein
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dürfte, ergibt sich aus dem Beschluss, der die Zustimmung zum Einsatz bekräftigt, für die bewaffneten Streitkräfte der Vorteil, weiterhin auf die Unterstützung des Deutschen Bundestages bauen zu können. Der Widerrufsantrag erlaubt es, eine aktuelle öffentliche Diskussion parlamentarisch aufzugreifen und zu einem Abschluss zu führen. Die Rechtsfolge des Widerrufs ist zwingend. Die Bundesregierung muss den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland unverzüglich beenden. Die Beendigung dieses Einsatzes duldet keinen unvertretbaren Aufschub. Die Bundesregierung muss ohne schuldhaftes Zögern die im Ausland eingesetzten Soldaten abziehen. Zu § 5 Beim Ausschuss für besondere Auslandseinsätze handelt es sich um einen Parlamentsausschuss für eine Sonderaufgabe, die von den beteiligten Fachausschüssen nur unter erschwerten Bedingungen für den Deutschen Bundestag wahrgenommen werden könnten. Dem Ausschuss für besondere Auslandseinsätze soll – wie bereits in der Begründung zu § 3 erwähnt – nicht die Beratung jedes Antrages der Bundesregierung auf Zustimmung zu einem Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland obliegen. Er soll grundsätzlich nur mit solchen Anträgen befasst werden, die zweckmäßigerweise in einem kleinen Gremium ausgewählter Vertreter der Fraktionen behandelt werden sollten. Um diese Sonderaufgabe mit der erforderlichen Legitimation, Durchsetzungskraft und Vertraulichkeit erfüllen zu können, soll der Ausschuss für besondere Auslandseinsätze nach Absatz 1 Satz 1 aus der Mitte des Deutschen Bundestages gewählt werden und nach Absatz 1 Satz 2 lediglich elf Mitglieder umfassen, unter denen sich gemäß Absatz 2 Vertreter aller Fraktionen befinden müssen. Absatz 3 stellt nach dem Vorbild des Parlamentarischen Kontrollgremiums (vgl. § 5 Abs. 4 PKGrG) sicher, dass der Deutsche Bundestag auch in der kurzen Zeit zwischen der Konstituierung des neu gewählten Deutschen Bundestages und der Wahl der Mitglieder des Ausschusses für besondere Auslandseinsätze bei Einsätzen der Bundeswehr im Ausland voll handlungsfähig bleibt. Unter diesen Voraussetzungen bietet der Ausschuss für besondere Auslandseinsätze einen nachhaltigen Beitrag zur Stärkung der Rechte des Parlaments. Zu § 6 Die Vorschrift über die Fälle, in denen der Ausschuss für besondere Auslandseinsätze ermächtigt sein soll, anstelle des Deutschen Bundestages über einen Antrag der Bundesregierung zu entscheiden, stellt – wie bereits in der Begründung zu § 3 hervorgehoben – eine eng begrenzte Ausnahme zum allgemeinen Beratungsverfahren des Deutschen Bundestages von Vorlagen dar. In den Fällen des Absatzes 1 regelt nämlich das Gesetz selbst die Überweisung unmittelbar an den Ausschuss für besondere Auslandseinsätze. Obligatorisch verbunden ist mit dieser Überweisung die Ermächtigung, anstelle des Deutschen Bundestages über den Antrag der Bundesregierung abschließend zu entscheiden. Darüber hinaus sieht Absatz 2 fakultativ vor, dass der Deutsche Bundestag in geeigneten Fällen dem Ausschuss für besondere Auslandseinsätze einen Antrag der Bundesregierung überweisen und diesen mit einer Ermächtigung zur ab-
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schließenden Entscheidung verbinden kann; dabei wird er sich regelmäßig auf einen Vorschlag des Ältestenrates stützen. In Absatz 1 werden drei Fallgruppen aufgezählt, bei denen es sachgerecht und zweckdienlich ist, die Beratungen eines Antrages der Bundesregierung auf Zustimmung zu einem Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland allein in einem kleinen parlamentarischen Ausschuss beraten und entscheiden zu lassen. In den Fällen besonders eilbedürftiger Einsätze oder von Einsätzen einzelner Soldaten im Rahmen von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit und der Europäischen Union ist eine Beratung im Plenum und in den zuständigen Ausschüssen sowie eine Beschlussfassung im Plenum viel zu schwerfällig und zeitraubend, wie sich auch in der bisherigen Praxis gezeigt hat. In den Fällen geheimer Einsätze eignet sich eine Plenarberatung, die grundsätzlich öffentlich stattfindet, der Natur der Sache nach überhaupt nicht. Schon deshalb begegnet eine Befassung eines kleinen Ausschusses mit Anträgen zu geheimhaltungsbedürftigen Einsätzen der Gefahr, dass der Deutsche Bundestag wegen des Zwangs der Verhältnisse vor vollendete Tatsachen gestellt wird; die Anwendung von § 10a Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung bleibt unberührt. Aber auch bei Anträgen zu besonders eilbedürftigen Einsätzen oder zu Einsätzen einzelner Soldaten im Rahmen von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit und der Europäischen Union läuft der Deutsche Bundestag Gefahr, dass der Parlamentsvorbehalt in besonders wichtigen Fällen faktisch ausgeschaltet wird, wenn er nicht mit Hilfe eines kleinen Ausschusses ein zielstrebiges und praktikables Verfahren bereit hält. Die Befugnis zur fakultativen Ermächtigung des Ausschusses für besondere Auslandseinsätze nach Absatz 2 zur abschließenden Beratung eines einzelnen Antrages der Bundesregierung auf Zustimmung zu einem Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland soll dem Deutschen Bundestag zur Verfügung gestellt werden, damit er in geeigneten Ausnahmefällen ein vereinfachtes Verfahren wählen kann. In Betracht kommt, dass der Deutsche Bundestag bei einzelnen – nicht bei allen – Anträgen von Absatz 2 Gebrauch macht, die Einsätze von geringer Bedeutung betreffen oder eine unstreitige Verlängerung eines genehmigten Einsatzes begehren. Absatz 3 eröffnet dem Deutschen Bundestag ein „Rückholrecht“ (vgl. dazu schon die Begründung zu § 4), wonach er dem Ausschuss für besondere Auslandseinsätze eine erteilte Ermächtigung, einem Antrag der Bundesregierung anstelle des Plenums zuzustimmen, wieder entziehen und selbst über den Antrag Beschluss fassen kann. Diese Befugnis steht dem Deutschen Bundestag nicht nur in den Fällen einer fakultativen Ermächtigung gemäß Absatz 2 zu, die er selbst nach Eingang des Antrages der Bundesregierung in freier Ermessensausübung erteilt hat und nach neuer Abwägung für unzweckmäßig hält. Diese Befugnis muss dem Deutschen Bundestag auch in einem speziellen Falle obligatorischer Ermächtigung zustehen, wenn nämlich erkennbar wird, dass ein Antrag abweichend von der erklärten Ansicht der Bundesregierung nicht so eilbedürftig ist, dass nicht auch der gesamte Deutsche Bundestag rechtzeitig einen zustimmenden oder ablehnenden Beschluss fassen könnte. Andererseits greift die hierdurch begründete Verpflichtung, geheimhaltungs- und eilbedürftige Vorgänge wenigstens einem Ausschuss des Parlaments vorzulegen, nicht in einen der Exekutive vorbehaltenen Bereich ein. Vielmehr ist die gesetzliche Regelung einer solchen Verpflichtung durch die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ge-
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deckt, wonach der Gesetzgeber berechtigt ist, das in einem solchen Fall „zu beobachtende Verfahren näher zu regeln“ (BVerfGE 90, 286 < 383 >).
Zu § 7 Anträge der Bundesregierung mit einem Inhalt, die gemäß § 6 Abs. 1 obligatorisch zur Befassung des Ausschusses für besondere Auslandseinsätze führen, müssen zügig beraten und beschieden werden. Deshalb sieht Absatz 1 Satz 1 vor, das Überweisungsverfahren für diese Vorlagen nach dem bewährten Vorbild der Praxis in Immunitätsangelegenheiten (vgl. § 109 Abs. 1 Satz 1 GO-BT) abzuwickeln. Absatz 1 Satz 2 bekräftigt nicht nur die Ermächtigung an den Ausschuss für besondere Auslandseinsätze, anstelle des Deutschen Bundestages die Zustimmung zu dem Antrag der Bundesregierung zu erteilen oder abzulehnen. Die Vorschrift verlangt auch, dass der Ausschuss für besondere Auslandseinsätze eine Entscheidung trifft. Von dieser Regelung gibt es indes eine Ausnahme. Der Deutsche Bundestag kann nämlich bei Anträgen, die die Bundesregierung als eilbedürftig bezeichnet hat (vgl. § 6 Abs. 1 Buchstabe b), von einem „Rückholrecht“ gemäß § 6 Abs. 3 Gebrauch machen und selbst darüber Beschluss fassen, ob die Zustimmung erteilt oder versagt wird. Das Recht jedes Mitgliedes des Ausschusses für besondere Auslandseinsätze, die Einberufung und Unterrichtung des Ausschusses verlangen zu können (Absatz 2), ist erforderlich, um auch parlamentarisch auf Entwicklungen flexibel und angemessen reagieren zu können, die im Zusammenhang mit Einsätzen bewaffneter Streitkräfte im Ausland stehen. Zu den Aufgaben des Ausschusses für besondere Auslandseinsätze gehört es, dem Deutschen Bundestag einen jährlichen Bericht über seine Tätigkeit vorzulegen. Spätestens damit werden alle Mitglieder des Deutschen Bundestages auch über diejenigen Einsätze der Bundeswehr im Ausland unterrichtet, die zunächst nur „im kleinen Kreis“ des Ausschusses für besondere Auslandseinsätze zu behandeln waren. Selbstverständlich muss diese Berichtspflicht in Fällen geheimer Einsätze eingeschränkt sein (vgl. § 9 Abs. 2).
Zu § 8 Die Informationspflicht der Bundesregierung zu Einsätzen bewaffneter deutscher Streitkräfte kann sich nicht in einer ausführlichen Begründung des Antrags auf Zustimmung zum geplanten Einsatz erschöpfen. Sie erstreckt sich auch auf den Vollzug des genehmigten Einsatzes. Dafür braucht der Deutsche Bundestag eine ausreichende Informationsbasis, die im wesentlichen von der Bundesregierung aufbereitet werden muss und auch grundsätzlich nur von ihr aufbereitet werden kann. Während eines laufenden Einsatzes, den der Ausschuss für besondere Auslandseinsätze genehmigt hat, wäre es aber nicht zweckmässig, dem gesamten Deutschen Bundestag einen förmlichen Bericht der Bundesregierung zuzuleiten. Deshalb sieht Absatz 1 Satz 1 vor, dass die Bundesregierung in diesen Fällen nur den Ausschuss unterrichtet. Die Berichterstattung muss freilich kontinuierlich erfolgen. Um dieses Informationsrecht abzusichern, begründet Absatz 2 ein Akteneinsichtsrecht des Ausschusses
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für besondere Auslandseinsätze und ein Recht, mit Mitarbeitern der Bundesregierung den Einsatz zu erörtern. Sobald indes ein Einsatz, der vom Ausschuss für besondere Auslandseinsätze genehmigt wurde, abgeschlossen ist, hat die Bundesregierung selbst gemäß Absatz 1 Satz 2 dem Deutschen Bundestag einen abschließenden Bericht zu erstatten. Zu § 9 Das Gesetz geht davon aus, dass verschwiegen zu behandelnde Einsätze bewaffneter Streitkräfte im Ausland stets mit einem höheren Geheimhaltungsgrad als VS-VERTRAULICH eingestuft werden. Zur Absicherung der notwendigen Geheimhaltung im Parlament hält der Deutsche Bundestag mit seiner Geheimschutzordnung (Anlage 3 GO-BT) ein geeignetes Instrument bereit, das sich sowohl bei der Unterrichtung der zuständigen Mitglieder des Deutschen Bundestages als auch bei der parlamentsinternen Willensbildung bewährt hat. Zu § 10 Das Gesetz soll so schnell wie möglich in Kraft treten, damit es für künftige Einsätze Rechtssicherheit schafft und bei der Abwicklung bereits genehmigter Einsätze zugrunde gelegt werden kann.
Anhang 7 Gesetzentwurf der Fraktion der FDP Deutscher Bundestag Drucksache 16/3342 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland A. Problem Aktuell existiert nur eine begrenzte Unterrichtungspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Deutschen Bundestag über die Auslandseinsätze bewaffneter deutscher Streitkräfte (§ 6 ParlBG). Über die Einsätze des Kommandos Spezialkräfte unterrichtet das Bundesministerium der Verteidigung nur die Obleute. Diese sollen die parlamentarische Kontrolle ausüben. Allerdings haben diese kein wirksames Informationsrecht gegenüber dem Bundesverteidigungsministerium. B. Lösung Einrichtung eines Ausschusses für besondere Auslandseinsätze der anstelle der Obleute die parlamentarische Kontrolle auch über KSK-Einsätze ausübt, sowie Stärkung der Informationsrechte des Parlaments durch Ausweitung der Unterrichtungspflicht der Bundesregierung, um eine wirksame parlamentarische Kontrolle der Auslandseinsätze bewaffneter deutscher Streitkräfte zu gewährleisten. C. Alternativen Beibehaltung des bisherigen Verfahrens auf der Basis des geltenden Parlamentsbeteiligungsgesetzes (ParlBG). D. Kosten Für den Bundeshaushalt entstehen keine zusätzlichen Kosten.
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Anhang 7 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen: Artikel 1 Das Gesetz über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland (Parlamentsbeteiligungsgesetz) vom 18. März 2005 (BGBl. I 2005, 775) wird wie folgt geändert: 1. § 5 wird wie folgt gefasst: „§ 5 Ausschuss für besondere Auslandseinsätze (1) Der Bundestag wählt aus seiner Mitte einen Ausschuss für besondere Auslandseinsätze. Er besteht aus höchstens elf Mitgliedern. (2) Jede Fraktion ist durch wenigstens ein Mitglied im Ausschuss für besondere Auslandseinsätze vertreten. (3) Der Ausschuss für besondere Auslandseinsätze übt seine Tätigkeit auch über das Ende einer Wahlperiode des Bundestages hinaus so lange aus, bis der Bundestag gemäß den Absätzen 1 und 2 entschieden hat.“ 2. § 6 wird wie folgt gefasst: „§ 6 Zustimmungsermächtigungen (1) Der Ausschuss für besondere Auslandseinsätze ist ermächtigt, die Zustimmung zu einem Antrag der Bundesregierung zu erteilen, falls die Bundesregierung ihren Antrag a) als Verschlusssache des Geheimhaltungsgrades GEHEIM und höher eingestuft hat, b) wegen Gefahr im Verzuge als besonders eilbedürftig bezeichnet hat, insbesondere zur Rettung von Menschen aus besonderen Gefahrenlagen, solange durch die öffentliche Beschlussfassung des Bundestages das Leben der zu rettenden Menschen gefährdet würde oder c) wegen der Teilnahme einzelner deutscher Soldaten an bewaffneten Einsätzen der Vereinten Nationen, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, der North Atlantic Treaty Organization, anderer Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne von Artikel 24 Abs. 2 des Grundgesetzes oder der Europäischen Union stellt. (2) Der Bundestag kann den Ausschuss für besondere Auslandseinsätze ermächtigen, die Zustimmung zu einem Antrag der Bundesregierung zu erteilen. (3) Der Bundestag kann Anträge der Bundesregierung, zu denen eine Ermächtigung gemäß Absatz 1 Buchstabe b oder Absatz 2 erteilt ist, zur eigenen Beratung und Beschlussfassung an sich ziehen.“
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3. § 7 wird wie folgt gefasst: „§ 7 Verfahren des Ausschusses für besondere Auslandseinsätze (1) Anträge der Bundesregierung gemäß § 6 Abs. 1 leitet der Präsident des Deutschen Bundestages unmittelbar an den Ausschuss für besondere Auslandseinsätze weiter. Der Ausschuss für besondere Auslandseinsätze berät abschließend, soweit der Bundestag nicht von seinem Recht gemäß § 6 Abs. 3 Gebrauch macht. (2) Jedes Mitglied kann die Einberufung und Unterrichtung des Ausschusses für besondere Auslandseinsätze beantragen. (3) Der Ausschuss für besondere Auslandseinsätze erstattet dem Bundestag jährlich einen Bericht. Er hat unter Beachtung der Geheimhaltung jeden von ihm genehmigten Einsatz dem Bundestag bekannt zu geben und nach Beendigung des Einsatzes einen Bericht vorzulegen.“ 4. § 8 wird wie folgt gefasst: „§ 8 Auskünfte der Bundesregierung (1) Die Bundesregierung hat dem Ausschuss für besondere Auslandseinsätze über die durch diesen genehmigten Einsätze laufend zu unterrichten. Nach Ende eines Einsatzes legt sie dem Bundestag einen abschließenden Bericht vor. (2) Die Bundesregierung hat dem Ausschuss für besondere Auslandseinsätze auf Verlangen Einsicht in die Akten und Dateien zu geben, die in unmittelbarem Zusammenhang mit den genehmigten Einsätzen bewaffneter Streitkräfte stehen, und die Anhörung von Mitarbeitern ermöglichen.“ 5. § 9 wird wie folgt gefasst: „§ 9 Geheimhaltung (1) Hat die Bundesregierung ihren Antrag als Verschlusssache des Geheimhaltungsgrades GEHEIM und höher eingestuft, ist nach den Vorschriften der Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestages zu verfahren. (2) Der Ausschuss für besondere Auslandseinsätze erstattet dem Bundestag einen Bericht über einen GEHEIM und höher eingestuften Einsatz erst, nachdem dessen Geheimhaltungsbedürftigkeit aufgehoben worden ist.“ 6. Die bisherigen §§ 6, 7, 8 und 9 werden §§ 10, 11, 12 und 13. 7. Dem § 10 werden folgende Absätze 3 und 4 angefügt: „(3) Auf Antrag einer Fraktion oder fünf Prozent seiner Mitglieder hat die Bundesregierung die Pflicht, den Verteidigungsausschuss unverzüglich über den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland zu unterrichten. Nach Ende eines Einsatzes legt die Bundesregierung dem Bundestag einen Abschlussbericht vor. (4) Die Bundesregierung hat den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses auf Verlangen einer Fraktion oder fünf Prozent seiner Mitglieder Einsicht in die Akten und
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Dateien zu geben, die in unmittelbarem Zusammenhang mit den in Absatz 3 genannten Einsätzen stehen und die Anhörung von Mitarbeitern zu ermöglichen.“ Artikel 2 Inkrafttreten Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft. Berlin, den 8. November 2006 Dr. Guido Westerwelle und Fraktion
Begründung A. Allgemeines Die Gesetzgebungskompetenz ergibt sich aus dem im Grundgesetz verankerten Prinzip eines konstitutiven Parlamentsvorbehaltes für den militärischen Einsatz von Streitkräften. Nach den bisherigen Erfahrungen mit dem Parlamentsbeteiligungsgesetz (ParlBG) ergibt sich im Interesse einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle ein Änderungsbedarf hinsichtlich der Mitwirkung des Deutschen Bundestages bei Entscheidungen über Einsätze bewaffneter Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland im Ausland. Das Gesetz verdrängt nicht die allgemeinen Vorschriften des Parlamentsrechts zur Organisation und zum Verfahren des Deutschen Bundestages im Grundgesetz und in der Geschäftsordnung. Maßgeblich bleiben grundsätzlich die gewohnten parlamentsrechtlichen Vorschriften über die Rechtsstellung der ständigen Ausschüsse und über das Beratungs- und Beschlussverfahren für Vorlagen. Es bleibt im Regelfall bei der Beratung eines Antrages der Bundesregierung im Plenum des Deutschen Bundestages, seiner Überweisung an die zuständigen Fachausschüsse und der anschließenden Beschlussfassung im Plenum. Dieses wird lediglich dann nicht beteiligt, wenn ein Antrag aufgrund der gesetzlichen Ermächtigung dem Ausschuss für besondere Auslandseinsätze zur abschließenden Entscheidung zugeleitet werden muss (vgl. § 6 Abs. 1). Aber auch diese Regelung erfährt eine Ausnahme, falls nämlich dem Plenum die Befugnis zusteht, eine erteilte Ermächtigung an den Ausschuss für besondere Auslandseinsätze rückgängig zu machen (vgl. § 6 Abs. 3). Aktuell existiert nur eine begrenzte Unterrichtungspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Deutschen Bundestag über die Auslandseinsätze bewaffneter deutscher Streitkräfte(§ 6 ParlBG). Über die Einsätze des Kommandos Spezialkräfte unterrichtet das Bundesministerium der Verteidigung nur die Obleute. Diese sollen die parlamentarische Kontrolle ausüben. Allerdings haben diese kein wirksames Informationsrecht gegenüber dem Bundesverteidigungsministerium. Die Entscheidung über die Zustimmung wird in die Hände des Ausschusses für besondere Auslandseinsätze gelegt. § 10 (neu) sieht zudem in Absatz 3 und 4 eine Ausdehnung der Informationspflichten der Bundesregierung vor.
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B. Einzelbegründung Zu Artikel 1 Nummer 1–5 (nicht abgedruckt, da die Begründungen wortgleich mit denen der Initiative BT-Drs. 15/1985 § 5–9 sind; d. Verf.) Zu Nummer 6 (§§ 7 bis 10 – neu –) Es handelt sich um Änderungen infolge der Einfügung der Vorschriften über den Ausschuss für besondere Auslandseinsätze. Zu Nummer 7 (§ 10 – neu – Abs. 3 und 4) Die geltenden Vorschriften über die Unterrichtung des Deutschen Bundestages sind unzureichend. Sie werden deshalb im Interesse einer effektiven parlamentarischen Kontrolle der Auslandseinsätze bewaffneter deutscher Streitkräfte ergänzt um Informationsansprüche der Mitglieder des Verteidigungsausschusses die einer Fraktion angehören oder die in Fraktionsstärke eine entsprechende Information fordern. Die Informationspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Verteidigungsausschuss zu Einsätzen bewaffneter deutscher Streitkräfte kann sich nicht in einer ausführlichen Begründung des Antrags auf Zustimmung zum geplanten Einsatz erschöpfen. Sie erstreckt sich auch auf den Vollzug des genehmigten Einsatzes. Dafür braucht der Deutsche Bundestag eine ausreichende Informationsbasis, die im Wesentlichen von der Bundesregierung aufbereitet werden muss und auch grundsätzlich nur von ihr aufbereitet werden kann. Während eines laufenden Einsatzes wäre es aber nicht zweckmäßig, dem gesamten Deutschen Bundestag einen förmlichen Bericht der Bundesregierung zuzuleiten. Deshalb sieht Absatz 3 Satz 1 vor, dass die Bundesregierung auf Antrag von einer Anzahl von Mitgliedern des Verteidigungsausschusses, die mindestens Fraktionsstärke haben müssen, nur den Verteidigungsausschuss unterrichtet. Um dieses Informationsrecht abzusichern, begründet Absatz 4 ein Akteneinsichtsrecht der Mitglieder des Verteidigungsausschusses und ein Recht, mit Mitarbeitern der Bundesregierung den Einsatz zu erörtern. Zur Klarstellung weist Absatz 3 Satz 2 darauf hin, dass die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag einen abschließenden Bericht zu erstatten hat, sobald der Einsatz abgeschlossen ist. Zu Artikel 2 Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.
Anhang 8 Entwurf für ein Eckpunktepapier der CDU/CSU für ein neues „Parlamentsbeteiligungsgesetz“ Stand: 11.11.2003 Seitdem der Deutsche Bundestag vor zehn Jahren mit seiner Zustimmung für den Einsatz der Bundeswehr in Somalia erstmals einem bewaffneten Auslandseinsatz deutscher Soldaten zustimmte, hat es an die fünfzig weitere Einsatzentscheidungen gegeben. Diese Entscheidungen, ursprünglich „freihändig“ und ohne klare Rechtsgrundlage mehr politisch als juristisch getroffen, werden seit dem sogenannten „AWACS-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts von 1994 (BVerfGE 94, 286 ff.), das eine konstitutive Parlamentsbeteiligung verlangt, immer noch ohne präzisiertes Verfahren und Kompetenzabgrenzung getroffen. Die bisherige Parlamentspraxis Nach bisheriger Parlamentspraxis legt die Bundesregierung entsprechend dem Bundesverfassungsgerichtsurteil dem Parlament einen Antrag für einen bewaffneten Streitkräfteeinsatz vor, über dessen Ausgestaltung es selbst nicht entscheiden kann. Das Parlament ist also nur in der Rolle des Ja- oder Neinsagers. Einmal getroffene Entscheidungen kann das Parlament nach heutiger Rechtslage nicht wieder an sich ziehen. Es ist dann auf Initiativen der Bundesregierung angewiesen und kann nicht aus eigenem Recht die Sache wieder an sich ziehen. Die heutige Parlamentspraxis, unvollständige, missverständliche oder politisch umstrittene Anträge der Bundesregierung für einen bewaffneten Einsatz durch sogenannte Protokollnotizen zu präzisieren, ist eine Hilfskonstruktion und kein echtes Kontrollinstrument des Parlaments. Darüber hinaus ergibt sich vor allem durch die kurzen Reaktionszeiten der NATOund EU-Eingreiftruppen ein erheblicher Zeitdruck für die Entscheidungen des Deutschen Bundestages, dem das bisherige Verfahren kaum noch gerecht werden kann. Erwartungsdruck durch das Bundesverfassungsgericht In allen bisherigen Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht seine Erwartungen an den Deutschen Bundestag als Gesetzgeber erkennen lassen, dass dieser ein Parlamentsbeteiligungsgesetz mit klaren Regelungen darüber verabschiedet, wo die genaue Grenzlinie der Zuständigkeit von Bundesregierung und Parlament verläuft und wie das Entscheidungsverfahren in verschiedenen Fallkonstellationen ausdifferenziert werden kann. Es wird immer deutlicher – etwa durch die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Einstweiligen Verfahren zum Einsatz von AWACS-Flugzeugen über der Türkei vom 25.03.2003 – dass mit bloßer Bezugnahme auf die inso-
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weit nicht weiter präzisierenden Vorgaben der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung von 1994 den unterschiedlichen Typen und Formen von Auslandseinsätzen der Bundeswehr kein ausreichendes parlamentarisches Instrumentarium gegenüber gestellt wird. Deswegen hat sich in der laufenden Legislaturperiode der Wille verstärkt, ein „Parlamentsbeteiligungsgesetz“ vorzulegen. Dabei ist es zunächst die Aufgabe der Mehrheit der rot-grünen Regierungskoalition, einen abgestimmten Gesetzentwurf vorzulegen. Ziel eines Parlamentsbeteiligungsgesetzes muss es sein, die konstitutiven Parlamentsrechte bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr unter der Schwelle des Verteidigungsoder Spannungsfalles im parlamentarischen Verfahren zu operationalisieren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass gerade im Bereich der internationalen Verpflichtungen das Parlament seine Entscheidungen an derart vielen Faktoren der internationalen Politik orientieren muss, dass im Sinne der außenpolitischen Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit unseres Landes eine kluge Abwägung zwischen konstitutivem Parlamentsrecht einerseits und den außen- und sicherheitspolitischen Notwendigkeiten andererseits gefunden wird. Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 25. März 2003 formuliert hat, hat die ungeschmälerte außenpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung auch im gesamtstaatlichen Interesse an der außen- und sicherheitspolitischen Verlässlichkeit Deutschlands bei der Abwägung ein besonderes Gewicht. Sie stehen, so das Bundesverfassungsgericht, der Rechtsposition des Bundestages zumindest gleichwertig gegenüber.
Außenpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung und sicherheitspolitische Verlässlichkeit Deutschlands gegenüber Beteiligungsrechten des Parlaments In früheren Legislaturperioden sind alle Debatten über ein „Parlamentsbeteiligungsgesetz“ im Sande verlaufen. Dabei scheiterte eine Einigung oft an der Abgrenzung, wie die Rechte des Parlamentes mit der regelmäßig vorherigen konstitutiven Entscheidungsbefugnis bei der Entsendung von bewaffneten Streitkräften mit dem Kernbereich der Entscheidungsfreiheit der Bundesregierung in ihrer außenpolitischen Handlungsfähigkeit und sicherheitspolitischer Verlässlichkeit Deutschlands in Einklang zu bringen sind. In allen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ist jedoch erkennbar, dass von einer abgestuften Intensität der Parlamentsbeteiligung je nach Intensität des bewaffneten Einsatzes ausgegangen wird. Sofern es sich um geheimhaltungsbedürftige Einsätze, um Einsätze bei Gefahr im Verzug oder keine unmittelbare Einbeziehung in Kampfhandlungen handelt, ist das Bundesverfassungsgericht offenbar bereit, die Rechte des Parlamentes gegenüber der Entscheidungsfreiheit der Bundesregierung zurückzustellen. An diesen Grundsätzen sollte sich auch ein neues Parlamentsbeteiligungsgesetz orientieren.
Acht Eckpunkte für ein neues Parlamentsbeteiligungsgesetz I. Einbettung ins Grundgesetz Um die besondere Bedeutung des neuen Gesetzes zu verdeutlichen und eine klare verfassungsrechtliche Grundlage zu schaffen, sollte das neue Parlamentsbeteiligungsgesetz z. B. im Art. 24 Absatz 2 (in Verbindung mit Art. 87a) Grundgesetz verankert
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werden („das Nähere zum Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland regelt ein Bundesgesetz“). Besondere Bedeutung kommt dabei einer klaren Definition des Einsatzbegriffs bewaffneter Streitkräfte zu. Bei einer Neuregelung wäre dann auch zu überlegen, ob hierunter nicht auch bewaffnete Polizeieinsätze im Ausland, die militärischen Charakter haben, z. B. der Einsatz der GSG 9, fallen und diese deshalb auch durch den Bundestag beschlossen werden müssten. II. Das Parlament setzt die politischen Rahmenbedingungen Außenpolitik ist im Kern eine eigenverantwortliche Domäne der Exekutive mit eigener Entscheidungsfreiheit. Dies gilt auch für das Wann und Wie von Einsätzen der Bundeswehr. Der Bundestag braucht deshalb eine echte Handhabe zur Durchsetzung seiner parlamentarischen Rechte. Er muss in die Lage versetzt werden, die politischen Rahmenbedingungen für einen späteren bewaffneten Streitkräfteeinsatz vorgeben zu können. Hierzu können neben der Formulierung von politischen Zielen auch regionale und/oder auch zeitliche Vorgaben für die Beteiligung an einer Krisenlösung mit allen diplomatischen, in letzter Konsequenz auch militärischen Mitteln gemacht werden. Die Bundesregierung muss in dem gesetzten politischen Rahmen dann mit einer Entsendung von bewaffneten Streitkräften zurückhaltend umgehen, einen Einsatz also eher zur Ausnahme und nicht zur Regel machen (ultima ratio-Prinzip) und dabei eine nachvollziehbare Linie fahren. Bei der Abwägung, wie spezifiziert die politischen Vorgaben an die Bundesregierung sein könnten, sollte nach den Anregungen des Bundesverfassungsgerichts wie folgt differenziert werden: Je höher jeweils der Grad der Integration deutscher bewaffneter Streitkräfte in internationale Streitkräftekoalitionen bei einem möglichen bewaffneten Einsatz ist und je geringer die Gefahr der Einbeziehung in unmittelbare Kampfhandlungen ist, umso eigenverantwortlicher kann die Bundesregierung zunächst handeln. Der Bundestag geriete so nicht in die Gefahr, unter hohem Zeitdruck weitreichende technische und militärische Einzelheiten vorgeben zu müssen und sich selbst quasi auf den Feldherrnhügel begeben zu müssen. Mit einer solchen Regelung könnte die Bundesregierung in den internationalen Gremien wie UN, NATO und EU in die Lage versetzt werden, schnellere Entscheidungen zu treffen und diese unmittelbar, gegebenenfalls auch durch den Einsatz von bewaffneten Streitkräften umsetzen zu können. Mit gutem Grund sind als Reaktion auf die modernen Bedrohungsszenarien und Risken im Rahmen der NATO Response Force und die europäische Eingreiftruppe im Rahmen der EU mit ihren kurzen Reaktionsund Einsatzbereitschaftszeiten von wenigen Tagen geschaffen worden. III. Frühzeitige Befassung des Parlaments Die gegenwärtige Parlamentspraxis zeigt, dass zu einem späten Zeitpunkt der Beschlussfassung den Gegebenheiten der internationalen Entwicklung viel stärker Rechnung getragen werden muss, als zu einem Zeitpunkt, in dem das Ob und Wie eines multilateralen Militäreinsatzes, der üblicherweise am Ende der Eskalation eines Konfliktes steht, eben doch nicht absehbar und die grundsätzliche Linie noch beeinfluss-
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bar ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Gefahr besteht, dass Deutschland auch im Rahmen seiner kollektiven Sicherheitsbündnisse in bewaffnete Konflikte einbezogen werden könnte. Durch eine solch „vorgelagerte“ Befassung würde die Kompetenz des Bundestages nicht beschnitten, sondern eher gestärkt, Grundsatzentscheidungen der deutschen Außenpolitik würden ins Parlament zurückgeholt, die mit der Ratifizierung des NATO-Vertrags oder der EU-Verträge aus dem nationalen Parlament zunächst herausgegangen sind. Dies heißt natürlich, dass solch ein Beschluss, der insbesondere bei hoch integrierten Verbänden sinnvoll ist, sich nicht in die Detailregelungen einlassen kann, sondern die grundsätzliche Einsatzmöglichkeit regelt. Dies könnte bei hochpräsenten und notwendigerweise schnell einsatzfähigen Truppen solch einen Beschluss dann durch einen jeweiligen, unter Umständen nachträglichen Beschluss des Parlamentes zum Einsatz im Einzelnen ergänzt werden. In der Zwischenzeit könnte die Unterrichtung eines einzurichtenden Ausschusses ausreichen. In diesem Sinne sollte alsbald ein Beschluss des Deutschen Bundestages herbeigeführt werden, der die grundsätzliche Einsatzmöglichkeit der Europäischen Eingreiftruppe/NATO Response Force durch die Bundesregierung regelt. Dieser generelle Beschluss beauftragt die Bundesregierung, im Rahmen der europäisch/transatlantischen Partnerschaft auf der Basis von regelmäßig einstimmigen Beschlüssen und entsprechenden Mandaten der internationalen Staaten- und Sicherheitsgemeinschaft für eine Krisenbewältigung auch bewaffnete deutsche Streitkräfte einzusetzen, ohne vorab den Deutschen Bundestag nochmals beteiligen zu müssen. Damit handelt es sich nicht um einen Vorratsbeschluss, sondern um einen quasi-ausdrücklichen „Beauftragungsbeschluss“ des Deutschen Bundestages. IV. Rückholrecht Mit einer so „vorgelagerten Befassung“ und einem „Beauftragungsbeschluss“ korrespondiert dann zwangsläufig ein „Rückholrecht“, mit dem der Deutsche Bundestag seiner besonderen Verantwortung bei der Entsendung bewaffneter Streitkräfte gerecht werden kann. Dieses Rückholrecht kann der Deutsche Bundestag dann auch mit Mehrheit durchsetzen. V. Informationspflicht der Bundesregierung Voraussetzung für die parlamentarische Kontrolle von Einsätzen bewaffneter Streitkräfte ist eine rechtzeitige und umfassende Informationspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Deutschen Bundestag. Die gegenwärtige Praxis der Bundesregierung, neben routinemäßiger Information in den Ausschüssen einen ausgewählten Kreis von Abgeordneten in vertraulichen Angelegenheiten über laufende Einsätze zu unterrichten, ist dafür ein erster guter Ansatz, reicht aber nicht aus. VI. Schaffung eines neuen „Einsatzausschusses“ Der Deutsche Bundestag muss sich ein besonderes Gremium schaffen, dass zum einen den Anspruch des Parlamentes auf Information durch die Bundesregierung, zum anderen aber auch Entscheidungskompetenz hat. Dieser „Einsatzausschuss“ sollte sich aus den Vorsitzenden und Obleuten des Verteidigungs- und des Auswärtigen Aus-
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schusses sowie des Haushaltsausschusses zusammensetzen. Dabei muss er in geeigneter Weise die Mehrheitsverhältnisse des Deutschen Bundestages widerspiegeln. Er kann sich bei seinen vertraulichen Sitzungen in seiner Geschäftsordnung an bestehenden Gremien, wie z. B. dem Parlamentarischen Kontrollgremium, orientieren. So könnten bei Spezialoperationen, z. B. dem KSK, in geheimhaltungsbedürftigen Fällen, z. B. einer Geiselbefreiung, in sonstigen besonderen Eilfällen, bei Gefahr im Verzug oder auch etwa einer notwendig werdenden begrenzten Mandatsausweitung in einfachem Verfahren schnelle und vertrauliche Entscheidungen für den gesamten Deutschen Bundestag herbeigeführt werden. VII. Bestimmte kleinere Einsätze kann die Regierung zunächst allein entscheiden Auf der Basis eines entsprechenden Einsatzbegriffs rührt es nicht an den Parlamentsrechten, wenn man bei kleinen, überschaubaren Einsätzen dem Bundestag nicht auferlegt, über den Marschbefehl für einen General und fünf Unteroffiziere für einen zweiwöchigen Einsatz zu entscheiden. Im neuen Parlamentsbeteiligungsgesetz sollten dann genaue Grenzen vorgegeben werden, wann es sich um sog. kleine Einsätze handelt (für diese braucht die Bundesregierung dann vorab keine Genehmigung durch den Deutschen Bundestag einzuholen) und wann es sich um große und damit parlamentsrelevante Einsätze handelt. Solcher Art zahlen- und zeitmäßig begrenzter Einsätze, Einsätze rein humanitärer Art, aber auch Vorauskommandos und sog. „fact-finding-teams“ oder die Entsendung von Personal in internationale Hauptquartiere und internationale Einheiten und Schiffe können dann mit erleichterter Zustimmung des Deutschen Bundestages erfolgen, so dass hier eine Unterrichtung des „Einsatzausschusses“ ausreichend wäre. Der „Einsatzausschuss“ muss in diesem Fall die Kompetenz haben, die Einsatzentscheidung auch wieder in den Bundestag zu ziehen. Dies insbesondere dann, wenn eine „vorgelagerte Befassung“ durch den Deutschen Bundestag stattgefunden hat. Über solche Einsätze muss die Bundesregierung dann aber in jedem Fall unverzüglich und vollständig den Deutschen Bundestag unterrichten. VIII. Den Einsatz befristen Die Mandate des Deutschen Bundestages für einen bewaffneten Streitkräfteeinsatz können zukünftig grundsätzlich befristet sein. Allerdings sollte je nach der Entwicklung der Lage im Einsatzgebiet der Bundeswehr eine erste Überprüfung (auf Antrag einer Fraktion) schon nach 6 Monaten, jedenfalls aber nach einem Jahr durch den Deutschen Bundestag möglich sein.
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Sachwortregister AMIS, Mission 29, 38, 221 ff. Atalanta, Mission 29 f., 45, 117, 248 AWACS II-Beschluss 84 ff., 96 ff. Beschlussverfahren, exekutives 101 Beschlussverfahren, parlamentarisches 101, 191 ff. Bündnisfall 62, 149, 188, 276 Clausula rebus sic stantibus 312 ff. Einsatz bewaffneter Streitkräfte, Begriff 66, 143 ff. Einsatz von geringer Intensität und Tragweite, Begriff 192 ff. Einsatzausschuss 230 ff., 291 Enduring Freedom, Mission 62, 116, 122, 183, 200, 203 f., 253 ff., 300 Erkundungskommandos 189, 192 ff., 218 European Rapid Reaction Force 240 ff., 263 ff., 328 exekutive Einschätzungsprärogative 147 ff., 287, 315 f. exekutiver Eigenbereich 68, 112, 167, 198, 201, 291, 304, 318 Gefahr im Verzug 67, 104, 118, 123, 156, 251, 263, 268 ff., 305 Geheimschutz 250 ff., 284 Grundrechte, soldatische 81 ff., 298 Helsinki Headline Goal 27 f. Informale Verfassungsregeln 120 ff., 127 Integrierte Verbände 240 ff., 263 ff., 328
ISAF, Mission 123, 182, 271 KFOR, Mission 116 f., 120, 158, 204, 246 ff. Kommando Spezialkräfte 252 ff., 299 KSZE/OSZE 36 Libelle, Operation 123 ff., 189, 294 Mehrheitserfordernis 68, 80, 214 mittelbare Einbeziehung in bewaffnete Unternehmung 152, 178 NATO 27, 240, 263 ff., 328 NATO Response Force 240 ff., 263 ff., 328 OSZE/KSZE 36 Out-of-area-Beschluss 71 ff. Parlamentsvorbehalt, allgemeiner 84 ff., 233 Parlamentsvorbehalt, wehrverfassungsrechtlicher 64 ff., 150 ff., 233 Partnership Exchange Programmes 194 f. Plenum und Ausschuss, Verhältnis 232 Protokollnotizen 120 ff. Regierungsantrag, Inhalt 201 ff. Regierungsantrag, inhaltliche Änderung 211 ff., 304 Revokationsrecht 266, 295 ff. Somalia-Eilbeschluss 81 ff., 289, 320 f. System gegenseitiger kollektiver Sicherheit 23 ff.
Sachwortregister Tornado-Beschluss 185 UNIFIL, Mission 116 f., 136, 247 f. UNMIS, Mission 116, 222 ff., 247 ff. Unterrichtungspflicht, exekutive 320 ff. Verfassungsorgantreue 128, 308, 319 Verlängerungsbeschlüsse 123, 184, 219, 221 ff. Verteidigung, Begriff 53 ff. Verteidigungsfall 55, 58, 148, 188, 210, 306
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Vorabzustimmung, parlamentarische 217, 264 Wehr- und Bündnisfähigkeit 67, 236, 274 ff., 325 Wesentlichkeitslehre 81 ff., 105, 317 WEU 33 Zustimmung, nachträgliche 263, 268 ff. Zustimmungsbeschlüsse, bisherige 115 ff. Zustimmungsverfahren, vereinfachtes 219 ff.
SUMMARY The German Federal Constitutional Court derived the requirement of constitutive parliamentary approval for the deployment of armed German military forces abroad from the general constitutional framework as one of the general democratic parliamentary prerogatives. In terms of its legitimizing function, the decision by the Bundestag on the deployment of armed German military forces outside Germany is similar to a law. Parliament’s prerogative regarding the decision on deployment of armed German military forces outside Germany is circumscribed by the constitutional principles of its executive as well as the fact that Germany’s capability to defend itself and to fulfil the obligations of military alliance commitments must not be compromised. The Bundestag may only reject or approve the request for deployment of armed military forces. The operational details of the military assignment are the responsibility of the Federal government or the Federal Defence Minister. The Parliamentary Participation Act may only further outline the parliamentary prerogative as set forth by the Federal Constitutional Court but not suspend it. In terms of ordinary law the right of the Bundestag to consent to the deployment of armed military forces abroad can only be transferred to a committee of the Bundestag in a circumscribed manner. Once the Bundestag has given its consent to a deployment of armed military forces abroad it cannot subsequently withdraw such consent with the effect of recalling the forces.
RÉSUMÉ Le droit du Bundestag allemand de participer à la prise de décision concernant l’engagement des forces armées allemandes, qui a été élaboré par le Tribunal constitutionnel fédéral, s’inscrit dans la réserve parlementaire, générale et démocratique. La décision du Bundestag allemand concernant une intervention a une fonction légitimante, similaire à une loi. La réserve parlementaire relative à l’engagement des forces armées allemandes est limitée par les principes constitutionnels de la séparation du domaine de l’exécutif ainsi que par la capacité de la République fédérale à se défendre et nouer des alliances. Le droit d’approbation du Bundestag allemand se rapporte donc à la possibilité (« si ») d’une intervention des forces armées. Le déroulement concret des opérations militaires est confié au gouvernement fédéral ou au ministère fédérale de la Défense. La loi sur la participation du Parlement qui s’inscrit dans le droit ordinaire peut uniquement concrétiser le droit de réserve défini par les magistrats chargés de la constitution et non y déroger. En droit ordinaire, le droit du Bundestag allemand d’approuver une intervention ne peut être délégué à une commission du Bundestag que sous certaines conditions. Le Bundestag allemand ne peut pas retirer l’autorisation d’intervention accordée, avec pour conséquence le retrait des forces armées.